StaRUG: Kommentar zum Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen [2 ed.] 9783814558660

Das StaRUG hat zum neuen Jahr das Restrukturierungs- und Insolvenzrecht nachhaltig verändert. Die Kommentierung des StaR

238 42 5MB

German Pages 1478 Year 2021

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

StaRUG: Kommentar zum Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen [2 ed.]
 9783814558660

Citation preview

Morgen (Hrsg.) StaRUG

StaRUG Kommentar zum Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen

Herausgegeben von Dr. Christoph Morgen, Hamburg

Bearbeitet von Dr. Paul Abel, Daniel Arends, Dr. Marcus Backes, Dr. Daniel Blankenburg, Prof. Dr. Reinhard Bork, Dr. Hendrik Boss, Dr. Susann Brackmann, Dominik Demisch, Dr. Gunnar Gerig, Dr. Christoph Herbst, Dr. Helge Hirschberger, Riaz K. Janjuah, LL.M., Dr. Marvin Knapp, Dr. Jörn Kowalewski, Nicole Langer, Maik Luttmann, Dr. Stefan Mayer, Dr. Christoph Morgen, Dr. Jan-Philipp Praß, Hendrik Röger, Dr. Annika Schinkel, Björn Schwencke, LL.M., Sebastian Siepmann, Jonas Tangermann, Dr. Matthias Tresselt, Dr. Jan-Philip Wilde, Rüdiger Wolf, MBA, Andreas Ziegenhagen

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG · Köln

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2022 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG Postfach 27 01 25, 50508 Köln E-Mail: [email protected], Internet: http://www.rws-verlag.de Das vorliegende Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Übersetzung, des Vortrags, der Reproduktion, der Vervielfältigung auf fotomechanischem oder anderen Wegen und der Speicherung in elektronischen Medien. Satz und Datenverarbeitung: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt Druck und Bindung: CPI books, Leck

Vorwort Mit dem am 1. Januar 2021 in Kraft getretenen Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) hat der Gesetzgeber weitreichende Änderungen auf der „Dauerbaustelle des Insolvenz- und Sanierungsrechts“ vorgenommen. Mit dem SanInsFoG wurden insbesondere die Ergebnisse der sog. ESUGEvaluation in der Insolvenzordnung und die Vorgaben der „Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlamentes und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz)“ durch Einführung des Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetzes (StaRUG) umgesetzt. Durch das StaRUG sollen Lücken bei der außergerichtlichen Sanierung von Unternehmen geschlossen werden. Dazu bietet das StaRUG einen Werkzeugkasten unterschiedlicher, flexibel einsetzbarer sog. Instrumente. Herzstück des StaRUG ist die gerichtliche Bestätigung des sog. Restrukturierungsplans. Diese ermöglicht es, mit qualifizierter Mehrheitsentscheidung in Gläubigerrechte einzugreifen, um so die Sanierung sanierungsfähiger Unternehmen auch gegen den Willen einzelner Gläubiger durchzusetzen. Flankiert wird die gerichtliche Planbestätigung durch die weiteren Instrumente der gerichtlichen Planabstimmung, der gerichtlichen Vorprüfung und der gerichtlichen Anordnung von Regelungen zur Einschränkung von Maßnahmen der individuellen Rechtsdurchsetzung sowie durch gewisse Anfechtungs- und Haftungsprivilegien für neue Finanzierungen. Der Sanierung und dem Gläubigerschutz dienen die Vorschriften zur Bestellung eines Sanierungsmoderators und/oder obligatorischen oder fakultativen Restrukturierungsbeauftragten. Keinen Eingang in das StaRUG gefunden haben die im Regierungsentwurf enthaltenen Regelungen zum sog. „shift of fiduciary duties“ und zur Ermöglichung der Vertragsbeendigung. Diese Regelungen sind im Gesetzgebungsprozess ersatzlos gestrichen worden. Der modulare Aufbau des StaRUG ist eine der großen Stärken des Gesetzes, denn er ermöglicht den flexiblen, zielgerichteten Einsatz der Instrumente im Einzelfall. Zugleich führt er jedoch dazu, dass das StaRUG ein hoch komplexes Regelwerk beinhaltet, dessen Anwendung in der Praxis sicherlich vielfältige Fragen aufwerfen wird. Verschärft wird dies dadurch, dass das StaRUG oftmals mit unbestimmten Rechtsbegriffen und mit Ausnahmen und Rückausnahmen arbeitet. Hinzu kommt, dass das Gesetzgebungsverfahren aufgrund der befürchteten wirtschaftlichen Verwerfungen in Folge der weltweiten COVID-19-Pandemie und vor dem Hintergrund der (zunächst) zum 1. Januar 2021 auslaufenden Aussetzung der Insolvenzantragspflichten nach dem Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflichten und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19Pandemie bedingten Insolvenz (COVInsAG) mit großer Eile durchgeführt wurde und eine intensive Diskussion einzelner Aspekte damit nicht möglich war. Auch die Gesetzesbegründung bietet oftmals nur wenig Anhaltspunkte dafür, wie bestimmte Vorschriften auszulegen sind. V

Vorwort Diese Komplexität des StaRUG hat dazu geführt, dass sich diese Erstkommentierung des StaRUG als deutlich anspruchsvoller und zeitaufwendiger erwiesen hat, als zunächst erwartet. Mein herzlicher Dank gilt daher allen Autor*innen dieses Werkes für Ihren außerordentlichen Einsatz. Die Autor*innen und ich hoffen, dem Rechtsanwender mit dem vorliegenden Werk eine Orientierung bei der praktischen Anwendung der komplexen Regelungen des StaRUG zu geben und zugleich einen Beitrag für die weitere Diskussion um die Auslegung der Vorschriften des StaRUG und gegebenenfalls notwendige gesetzgeberische Anpassungen zu leisten. Abschließend möchte ich Herrn Dr. Bruno Kübler als Verleger und Herrn Markus J. Sauerwald als Verlagsleiter des RWS Verlags herzlich für die Aufnahme des Werkes in die Kommentarreihe des Verlages zum Insolvenzrecht danken. Mein besonderer Dank gilt auch Frau Iris Theves-Telyakar für ihr akribisches Lektorat und ihre Geduld! Im September 2021

VI

Christoph Morgen

Inhaltsübersicht Seite Vorwort ....................................................................................................................... V Autorenverzeichnis .................................................................................................. IX Literaturverzeichnis .............................................................................................. XIII A. Gesetzestext Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG) .................................................................... 3 B. Kommentierung des StaRUG Einleitung .............................................................................. 51 Teil 1

Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement (§ 1) ......................................................................................... 89

Teil 2

Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (§§ 2 – 93) ................................................................................. 97 Restrukturierungsplan (§§ 2 – 28) ......................................... 97 Abschnitt 1 Gestaltung von Rechtsverhältnissen (§§ 2 – 4) ...................................................... 97 Abschnitt 2 Anforderungen an den Restrukturierungsplan (§§ 5 – 16) ............................ 161 Abschnitt 3 Planabstimmung (§§ 17 – 28) ................... 302 Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumente (§§ 29 – 72) ............................................................................ 433 Abschnitt 1 Allgemeine Bestimmungen (§§ 29 – 44) ................................................ 433 Abschnitt 2 Gerichtliche Planabstimmung (§§ 45 – 46) ................................................ 666 Abschnitt 3 Vorprüfung (§§ 47 – 48) ........................... 691 Abschnitt 4 Stabilisierung (§§ 49 – 59) ........................ 698 Abschnitt 5 Planbestätigung (§§ 60 – 72) .................... 768 Restrukturierungsbeauftragter (§§ 73 – 83) ........................ 953 Abschnitt 1 Bestellung von Amts wegen (§§ 73 – 76) ................................................ 953 Abschnitt 2 Bestellung auf Antrag (§§ 77 – 79) .............................................. 1050 Abschnitt 3 Vergütung (§§ 80 – 83) ........................... 1060

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

VII

Inhaltsübersicht Kapitel 4 Kapitel 5 Kapitel 6

Öffentliche Restrukturierungssachen (§§ 84 – 88) ............. 1111 Anfechtungs- und Haftungsrecht (§§ 89 – 91) ................. 1189 Arbeitnehmerbeteiligung; Gläubigerbeirat (§§ 92 – 93) .......................................................................... 1225

Teil 3

Sanierungsmoderation (§§ 94 – 100) .................................. 1251

Teil 4

Frühwarnsysteme (§§ 101 – 102) ........................................ 1295

C. Sanierungssteuerrecht Steuerliche Fragen der Sanierung i. R. des Restrukturierungsverfahrens .......................................... 1313 Anhang Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsver-fahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz), ABl. (EU) L 172 vom 26.6.2019, S. 18 ................................................ 1337 Stichwortverzeichnis ........................................................................................... 1399

VIII

Autorenverzeichnis Dr. Paul Abel .................................................................................................. §§ 84 – 86 Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Partner Wellensiek Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, München Daniel Arends ..................................................................................... §§ 60 – 62, 67 – 70 Rechtsanwalt, Partner Brinkmann & Partner, Rechtsanwälte | Steuerberater Partnerschaftsgesellschaft mbB, Hamburg Dr. Marcus Backes .............................................................................. §§ 60 – 62, 67 – 70 Rechtsanwalt, Zertifizierter Restrukturierungs- und Sanierungsexperte (RWS), Partner Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hamburg Dr. Daniel Blankenburg ....................................................... §§ 33 – 41, 45 – 48, 65 – 66 Richter am Amtsgericht Hannover §§ 71, 74, 78 Abs. 1 – 2, 88, 93 Professor Dr. Reinhard Bork .......................................................................... §§ 89 – 91 Professor an der Universität Hamburg Professor of International Insolvency Law, Radboud University Nijmegen/NL Richter am Hanseatischen Oberlandesgericht a. D. Dr. Hendrik Boss ................................................................................ §§ 44, 49 – 57, 59 Rechtsanwalt, Partner Taylor Wessing Partnerschaftsgesellschaft mbB, München Dr. Susann Brackmann .............................................................................. §§ 63, 72, 87 Rechtsanwältin Hogan Lovells International LLP, Hamburg Dominik Demisch ................................................................................................... § 43 Rechtsanwalt, Partner BRL BOEGE ROHDE LUEBBEHUESEN, Partnerschaft von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern mbB, Hamburg

IX

Autorenverzeichnis Dr. Gunnar Gerig ................................................................................. § 1, §§ 101, 102 Wirtschaftsprüfer, Partner Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Hamburg Dr. Christoph Herbst ..................................................................................... §§ 84 – 86 Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Partner Anchor Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München Dr. Helge Hirschberger .................................................................................. §§ 29 – 31 Rechtsanwalt, Partner MÖHRLE HAPP LUTHER Partnerschaft mbB Wirtschaftsprüfer Steuerberater Rechtsanwälte, Hamburg Riaz K. Janjuah, LL.M. (LSE) .................................................................. §§ 32, 42, 58 Rechtsanwalt, Partner White & Case LLP, Hamburg Dr. Marvin Knapp ................................................................................. § 2 Abs. 1, 2, 5 Rechtsanwalt, Partner §§ 3, 5, 6, 7 Abs. 1 – 3 Freshfields Bruckhaus Deringer Rechtsanwälte, §§ 8, 11 – 13, 15 – 16 Steuerberater PartG mbB, Hamburg Dr. Jörn Kowalewski ........................................................................... §§ 9 – 10, 25 – 28 Rechtsanwalt, Partner LATHAM & WATKINS LLP, Hamburg Nicole Langer .................................................................................................. §§ 63, 64 Richterin am Amtsgericht Aachen §§ 73, 75 Abs. 1 – 3, 78 Abs. 3 Aufsichtführende Richterin am Amtsgericht Maik Luttmann ................................................................................... §§ 44, 49 – 57, 59 Rechtsanwalt, Partner Taylor Wessing Partnerschaftsgesellschaft mbB, München

X

Autorenverzeichnis Dr. Stefan Mayer .................................................. C. Steuerliche Fragen der Sanierung Rechtsanwalt, Steuerberater, Partner Gleiss Lutz Hootz Hirsch PartmbB Rechtsanwälte, Steuerberater, Frankfurt a. M. Dr. Christoph Morgen ................................................................................... Einleitung Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, §§ 75 Abs. 4, 76, 77, 79 Steuerberater, Betriebswirt (IWW), Partner Brinkmann & Partner, Rechtsanwälte | Steuerberater | Insolvenzverwalter, Hamburg Dr. Jan-Philipp Praß ............................................................................ §§ 9 – 10, 25 – 28 Rechtsanwalt LATHAM & WATKINS LLP, Hamburg Hendrik Röger ................................................................................................... §§ 4, 92 Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner White & Case LLP, Hamburg Dr. Annika Schinkel .................................................................................. §§ 80 – 83, 98 Rechtsanwältin, Partnerin Brinkmann & Partner, Rechtsanwälte | Steuerberater | Insolvenzverwalter, Hamburg Björn Schwencke, LL.M. (Auckland) ..................................................................... § 43 Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Partner BRL BOEGE ROHDE LUEBBEHUESEN, Partnerschaft von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern mbB, Hamburg Sebastian Siepmann ........................................................................................ §§ 29 – 31 Rechtsanwalt, Partner MÖHRLE HAPP LUTHER Partnerschaft mbB Wirtschaftsprüfer Steuerberater Rechtsanwälte, Hamburg

XI

Autorenverzeichnis Jonas Tangermann ..................................................................................... §§ 32, 42, 58 Rechtsanwalt White & Case LLP, Hamburg Dr. Matthias Tresselt .............................................................. § 2 Abs. 3 – 4, § 7 Abs. 4 Rechtsanwalt, Partner §§ 17 – 24 Gleiss Lutz Hootz Hirsch Partnerschaft mbB Rechtsanwälte, Steuerberater, Stuttgart Dr. Jan-Philip Wilde, LL.M. (Cambridge) ........................................... § 2 Abs. 1, 2, 5 Rechtsanwalt, Counsel §§ 3, 5, 6, 7 Abs. 1 – 3 Freshfields Bruckhaus Deringer Rechtsanwälte, §§ 8, 11 – 13, 15 – 16 Steuerberater PartG mbB, Hamburg Rüdiger Wolf, MBA (Cambridge) .................................................................. §§ 14, 64 Rechtsanwalt, Managing Director, Partner Boston Consulting Group, Hamburg Andreas Ziegenhagen ........................................................................ §§ 94 – 97, 99 – 100 Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Partner Dentons Europe LLP, Frankfurt/Berlin

XII

Literaturverzeichnis Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, Kommentar, 4. Aufl. 2020 (zit.: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Bearbeiter, InsR) Altmeppen, GmbHG, Kommentar, 10. Aufl. 2021 (zit.: Altmeppen-Bearbeiter, GmbHG) Andres/Leithaus, Insolvenzordnung, Kommentar, 4. Aufl. 2018 (zit.: Andres/Leithaus-Bearbeiter, InsO) Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung – Prozess, Methoden und Probleme, 5. Aufl. 2016 (zit.: Bearbeiter in: Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung) Baumbach/Hueck, GmbHG, Kommentar, 22. Aufl. 2019 (zit.: Baumbach/Hueck-Bearbeiter, GmbHG) Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl. 2017 beck-online.Grosskommentar zum Zivilrecht, BGB, hrsg. v. Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, Stand: 1.10.2020 (zit.: Bearbeiter in: BeckOGK-BGB) beck-online.Grosskommentar zum Aktienrecht, hrsg. v. Henssler, Stand: 1.3.2021 (zit.: Bearbeiter in: BeckOGK-AktG) Beck’scher Online-Kommentar BGB, hrsg. v. Hau/Poseck, Ed. 58 Stand: 1.5.2021 (zit.: Bearbeiter in: BeckOK-BGB) Beck’scher Online-Kommentar GBO, hrsg. v. Hügel, Ed. 41 Stand: 1.2.2021 (zit.: Bearbeiter in: BeckOK-GBO) Beck’scher Online-Kommentar GmbHG, hrsg. v. Ziemons/Jaeger/Pöschke, Ed. 48 Stand: 1.5.2021 (zit.: Bearbeiter in: BeckOK-GmbHG) Beck’scher Online-Kommentar GVG, hrsg. v. Graf, Ed. 40 Stand: 1.1.2021 (zit.: Bearbeiter in: BeckOK-GVG) Beck’scher Online-Kommentar InsO, hrsg. v. Fridgen/Geiwitz/Göpfert, Ed. 22 15.1.2021 (zit.: Bearbeiter in: BeckOK-InsO) Beck’scher Online-Kommentar Kostenrecht, hrsg. v. Dörndorfer/Wendtland/ Gerlach/Diehn, Ed. 32 Stand: 1.1.2021 (zit.: Bearbeiter in: BeckOK-KostR) Beck’scher Online-Kommentar StaRUG, hrsg. v. Skauradszun/Fridgen, Ed. 1 Stand: 1.4.2021 (zit.: Bearbeiter in: BeckOK-StaRUG) Beck’scher Online-Kommentar ZPO, hrsg. v. Vorwerk/Wolf, Ed. 41 Stand: 1.7.2021 (zit.: Bearbeiter in: BeckOK-ZPO) Berliner Kommentar Insolvenzrecht, hrsg. v. Blersch/Goetsch/Haas, Loseblatt, 72. EL 4/2020 (zit.: Bearbeiter in: BK-InsO) Blümich, EStG, KStG, GewStG, Kommentar, Loseblatt, 157. Ed. Stand: 5/2021 (zit.: Blümich-Bearbeiter, EStG/KStG/GewStG)

XIII

Literaturverzeichnis Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KredReorgG, Kommentar, 5. Aufl. 2016 (zit.: Boos/Fischer/Schulte-Mattler-Bearbeiter, KredReorgG) Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 4. Aufl. 2016 Bork/Hölzle, Handbuch Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2019 (zit.: Bearbeiter in: Bork/Hölzle, Hdb. Insolvenzrecht) Bork/Schäfer, GmbHG, Kommentar, 4. Aufl. 2019 (zit.: Bork/Schäfer-Bearbeiter, GmbHG) Borowski, Schuldverschreibungsgesetz, Das Deutsche Bundesrecht, Kommentar Stand: 1.6.2019 (zit.: Borowski, NK-SchuldVG) Bott/Walter, KStG mit Nebenbestimmungen, 152. EL 2021 (zit.: Bott/Walter-Bearbeiter, KStG) Böttcher, ZVG, Kommentar, 6. Aufl. 2016 (zit.: Böttcher-Bearbeiter, ZVG) Braun, Insolvenzordnung, Kommentar, 8. Aufl. 2020 (zit.: Braun-Bearbeiter, InsO) Braun, StaRUG, Kommentar, 2021 (zit.: Braun-Bearbeiter, StaRUG) Breuer, Insolvenzrechts-Formularbuch, 3. Aufl. 2017 Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020 (zit.: Bearbeiter in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan) Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 4. Aufl. 2014 (zit.: Bearbeiter in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz) Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, 25. Aufl. 2018 Dammann, Studie für den JURI-Ausschuss zum Vorschlag der Kommission für vorinsolvenzliche Restrukturierung und Auswirkung auf den Gläubigerschutz, 2017 Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, 2021 Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl. 2019 Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, KStG, Kommentar, 102. EL 2021 (zit.: Dötsch/Pung/Möhlenbrock-Bearbeiter, KStG) Drukarzyk, Unternehmensbewertungen, 4. Aufl. 2003 Drygala/Wächter, Venture Capital, Beteiligungsverträge und „Unterkomplexitätsprobleme“, 2018 (zit.: Bearbeiter in: Drygala/Wächter, Venture Capital) Ebke/Seagon/Blatz, Unternehmensrestrukturierung im Umbruch?!, 2017 (zit.: Bearbeiter in: Ebke/Seagon/Blatz, Unternehmensrestrukturierung) Ebke/Seagon/Piekenbrock, Überschuldung: Quo vadis?, Baden-Baden, 2020 (zit.: Bearbeiter in: Ebke/Seagon/Piekenbrock, Überschuldung) Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, 3. Aufl. 2018 (zit.: Bearbeiter in: Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity) Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014 Eilers/Schwahn, Sanierungssteuerrecht, 2. Aufl. 2020

XIV

Literaturverzeichnis Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, hrsg. v. Dieterich/Müller-Glöge/Preis/ Schaub, 21. Aufl. 2021 (zit.: Bearbeiter in: ErfK-ArbR) Erman, BGB, Kommentar, 16. Aufl. 2020 (zit.: Erman-Bearbeiter, BGB) Ernst & Young, Verdeckte Gewinnausschüttungen und verdeckte Einlagen, Handbuch, Ed. 84. 2021 Feldbauer-Durstmüller/Schlager, Unternehmensbewertung – Bewertung ertragsschwacher Unternehmen, 2. Aufl. 2017 Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, Betriebsverfassungsgesetz, BetrVG, Kommentar, 30. Aufl. 2020 (zit: Fitting/Engels/Schmidt/u. a.-Bearbeiter, BetrVG) Flöther, Sanierungsrecht, Einführung zur Richtlinie der Europäischen Kommission über präventive Restrukturierungsrahmen, 2019 (zit.: Bearbeiter in: Flöther, Sanierungsrecht) Flöther, StaRUG, Kommentar, 2021 (im Erscheinen) (zit.: Flöther-Bearbeiter, StaRUG) Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, hrsg. v. Pechstein/Nowak/Häde, 2017 2018 (zit.: Bearbeiter in: FK-EUV/GRC/AEUV) Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg. v. Wimmer, 9. Aufl. 2018 (zit.: Bearbeiter in: FK-InsO) Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, 8. Aufl. 2015 (zit.: Frege/Keller/Riedel, InsR) Fritzsche, Die juristische Konstruktion des Insolvenzplans als Vertrag, 2017 Gerhardt, Grundpfandrechte im Insolvenzverfahren, 8. Aufl. 1999 Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch Gläubigerausschuss, 2016 Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2020 (zit.: Bearbeiter in: Gottwald/Haas, InsR-Hdb.) Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 7. Aufl. 2021 (zit.: Grabenwarter/Pabel-Bearbeiter, EMRK) Gräber, FGO, Kommentar, 9. Aufl. 2019 Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union: EUV/AEUV, Kommentar, Loseblatt, 71. EL 6/2020 (zit.: Grabitz/Hilf/NettesheimBearbeiter, EUV/AEUV) Graf-Schlicker, InsO, Kommentar, 6. Aufl. 2022 (zit.: Graf-Schlicker-Bearbeiter, InsO) Grigoleit, AktG, Kommentar, 2. Aufl. 2020 (zit.: Grigoleit-Bearbeiter, AktG) Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, 9. Aufl. 2020 (Bearbeiter in: Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung) Haarmeyer/Mock, Insolvenzrechtliche Vergütung, Kommentar, 6. Aufl. 2019 (zit.: Haarmeyer/Mock, InsVV) Haarmeyer/Wutzke/Förster, Insolvenzordnung, Kommentar, 2. Aufl. 2012 (zit.: Haarmeyer/Wutzke/Förster-Bearbeiter, InsO)

XV

Literaturverzeichnis Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, hrsg. v. A. Schmidt, 8. Aufl. 2020 (zit.: Bearbeiter in: HambKomm-InsO) Hammes, Der Gläubigerausschuss in der Eigenverwaltung: Rechtsstellung und besondere Verantwortung, 2019 Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl. 2020 (zit.: Bearbeiter in: Heidel, AktR) Heidelberger Kommentar zur InsO, hrsg. v. Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020 (zit.: Bearbeiter in: HK-InsO) Henning/Lackmann/Rein, Privatinsolvenzen, 2020 Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Kommentar, 5. Aufl. 2021 (zit.: Henssler/Strohn-Bearbeiter, GesR) Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Kommentar, Loseblatt, 304. EL 7/2021 (zit.: HHR-Bearbeiter, EStG/KStG) Heß, Die Restrukturierung des Insolvenzrechts, 2018 Hobt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Kommentar, 2017 (zit.: Bearbeiter in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht) Höfer/de Groot/Küpper/Reich, Betriebsrentenrecht (BetrAVG), Kommentar, Loseblatt, Bd. I: Arbeitsrecht, 25. EL 1/2020 (zit.: Höfer/de Groot/ Küpper/Reich-Bearbeiter, BetrAVG) Hölters, AktG, Kommentar, 3. Aufl. 2017 (zit.: Hölters-Bearbeiter, AktG) Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, Kommentar, Loseblatt, 263. EL 2021 (zit.: HHS-Bearbeiter, AO) Hüffer/Koch, AktG, Kommentar, 15. Aufl. 2021 (zit.: Hüffer/Koch-Bearbeiter, AktG) Jaeger, Insolvenzordnung, Großkommentar, hrsg. v. Henckel/Gerhardt, 2004 ff, Bd. 7: 2018 (zit.: Jaeger-Bearbeiter, InsO) Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, Handbuch, 2019 Juris Praxiskommentar Elektronischer Rechtsverkehr, Bd. 2, hrsg. v. Weth, 2021 (zit.: Bearbeiter in: jurisPK-ERV, Bd. 2) Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, Handbuch, 2. Aufl. 2011 Keller, Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 2013 Kindl/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, Kommentar, 4. Aufl. 2021 (Kindl/Meller-Hannich-Bearbeiter, ZVG) Kindler/Nachmann/Bitzer, Handbuch Insolvenzrecht in Europa, 8. EL 12/2020 (zit.: Bearbeiter in: Kindler/Nachmann/Bitzer, Hdb. Insolvenzrecht in Europa) Kirchhof, EStG, Kommentar, hrsg. v. Kirchhof/Seer, 20. Aufl. 2021 (zit.: Kirchhof-Bearbeiter, EStG) Kissel/Mayer, GVG, Kommentar, 10. Aufl. 2021 Klein, AO, Kommentar, 15. Aufl. 2020 (zit.: Klein-Bearbeiter, AO)

XVI

Literaturverzeichnis Kölner Kommentar zum WpÜG, hrsg. v. Hirte/v. Bülow, 2. Aufl. 2010 (zit.: Bearbeiter in: KölnKomm-WpÜG) Koenig, Abgabenordnung, AO, Kommentar, 4. Aufl. 2021 (zit.: Koenig-Bearbeiter AO) Kraemer/Vallender/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, 97. EL 2021 (zit.: Bearbeiter in: Kraemer/Vallender/Vogelsang, Hdb. InsO) Kranz, Die Rescue Culture in Großbritannien, KTS-Schriften Bd. 53, 2017 Kübler, Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz, 3. Aufl. 2019 (zit.: Bearbeiter in: Kübler, HRI) Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, Kommentar, Loseblatt, 88. EL 5/2021 (zit.: Bearbeiter in: Kübler/Prütting/Bork, InsO) Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 3. Aufl. 2020 (zit.: Langenbucher/Bliesener/Spindler-Bearbeiter, Bankrechts-Kommentar) Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995 Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, Kommentar, 20. Aufl. 2020 (zit.: Lutter/ Hommelhoff-Bearbeiter, GmbHG) Mankowski/Müller/Schmidt, J., EuInsVO 2015, Kommentar, 2016 Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., GmbHG, Kommentar, hrsg. v. Heidinger/ Leible/J. Schmidt, 3. Aufl. 2017 (zit.: Michalski/Heidinger/Leible/ J. Schmidt-Bearbeiter, GmbHG) Morgen, Präventive Restrukturierung – Kommentar und Handbuch zur Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, 2019 (zit.: Bearbeiter in: Morgen, Präventive Restrukturierung) Münchener Anwaltshandbuch GmbH-Recht, hrsg. v. Römermann, 4. Aufl. 2018 (zit.: Bearbeiter in: MünchAHB GmbH-Recht) Münchener Handbuch zum Gesellschaftsrecht, hrsg. v. Gummert/Weipert, 5. Aufl. 2018 ff. (zit.: Bearbeiter in: Münch-Hdb. GesR) Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, hrsg. v. Goette/Habersack, Bd. 1 – 2, 4, 5. Aufl. 2019/2021; Bd. 3, 6 – 7, 4. Aufl. 2017 f. (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-AktG) Münchener Kommentar zum Anfechtungsgesetz, hrsg. v. Kirchhof, 2012 (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-AnfG) Münchener Kommentar zum Bilanzrecht, hrsg. v. Hennrich/Kleindiek/Watrin, Bd. 2: 2013 (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-BilanzR) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. v. Säcker/Rixecker/ Oetker/Limperg, 8. Aufl. 2018 ff. (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-BGB) Münchener Kommentar zum GmbHG, hrsg. v. Fleischer/Goette, 3. Aufl. 2018 f. (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-GmbHG)

XVII

Literaturverzeichnis Münchener Kommentar zum Handeslgesetzbuch, Red. K. Schmidt,. 4. Aufl. 2016 ff. (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-HGB) Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg. v. Stürner/Eidenmüller/ Schoppmeyer, 4. Aufl. 2019 ff. (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-InsO) Münchener Kommentar zur ZPO, hrsg. v. Rauscher/Krüger, 6. Aufl. 2020 (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-ZPO) Musielak/Voit, ZPO, Kommentar, 17. Aufl. 2020 (zit.: Musielak/Voit-Bearbeiter, ZPO) Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, Kommentar, 42. EL 2/2021 (zit.: Nerlich/Römermann-Bearbeiter, InsO) Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 80. Aufl. 2021 (zit.: Palandt-Bearbeiter, BGB) Pannen/Riedemann/Smid, StaRUG, Kommentar, 2021 (zit.: Pannen/Riedemann/ Smid-Bearbeiter, StaRUG) Pape/Uhländer, InsO, Kommentar, 2013 (zit.: Pape/Uhländer-Bearbeiter, InsO) Paulus, EuInsVO, Kommentar, 6. Aufl. 2021 Rendels/Zabel, Insolvenzplan, 2. Aufl. 2015 Röger, Insolvenzarbeitsrecht, Handbuch, 2018 Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, Kommentar, 6. Aufl. 2017 (zit.: Rowedder/Schmidt-Leithoff-Bearbeiter, GmbHG) Saenger/Inhester, GmbHG, Kommentar, 4. Aufl. 2020 (zit.: Saenger/Inhester-Bearbeiter, GmbHG) Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. 2021 (zit.: Schack, Int. Zivilverfahrensrecht) Schmidt, A., Sanierungsrecht, Kommentar, 2. Aufl. 2019 (zit.: Bearbeiter in: A. Schmidt, Sanierungsrecht) Schmidt, K., Insolvenzordnung, Kommentar, 19. Aufl. 2016 Schmidt, K., Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen durch Maßnahmen im Unternehmens-, Arbeits-, Sozial- und Insolvenzrecht. Gutachten D zum 54. Deutschen Juristentag, Bd. I, 1982 Schmidt, K./Lutter, AktG, Kommentar, 4. Aufl. 2020 (zit.: K. Schmidt/Lutter-Bearbeiter, AktG) Schmidt, K./Uhlenbruck, Die GmbH in der Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016 Schmidt, L., EStG, Kommentar, hrsg. v. Weber-Grellet, 39. Aufl. 2020 Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, VwGO, Kommentar, Loseblatt, 40. EL 2/2021 (zit.: Schoch/Schneider-Bearbeiter, VwGO) Scholz, GmbHG, Kommentar, 12. Aufl. 2020 (zit.: Scholz-Bearbeiter, GmbHG) Schulz, Der Debt Equity Swap in der Insolvenz, 2015

XVIII

Literaturverzeichnis Smid/Depré, InsO, Kommentar, 1999 Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, 4. Aufl. 2015 Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 5. Aufl. 2018 (zit.: Sodan/Ziekow-Bearbeiter, VwGO) Stanghellini/Mokal/Paulus/Tirado, Best Practices in European Restructuring. Contractualised Distress Resolution in the Shadow of the Law, 2018 Staudinger, Bürgerliches Gesetzbuch, BGB, Kommentar, Neubearb. 2012 ff. (zit.: Staudinger-Bearbeiter, VwGO) Stöber/Otto, Handbuch Vereinsrecht, 12. Aufl. 2021 (zit.: Stöber/Otto, Hdb. Vereinsrecht) Swierczok, Das englische Scheme of Arrangement und seine Rezeption in Deutschland, 2013 Theiselmann, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, 4. Aufl. 2020 (zit.: Bearbeiter in: Theiselmann, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts) Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, 3. Aufl. 2020 Thoma, Insolvenzrechtliche Gläubigerautonomie im Gläubigerausschuss, 2019 Tillmanns/Heise/u. a., BetrVG, Kommentar, Haufe Personal Office, Stand: 26.8.2020 (zit.: Tillmanns/Heise/u. a.-Bearbeiter, BetrVG) Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, Loseblatt, 166. EL 6/2021 (zit.: Tipke/Kruse-Bearbeiter, AO/FGO) Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, ErbStG, Kommentar, Loseblatt, 61. EL 1/2021 (zit.: Troll/Gebel/Jülicher/ Gottschalk-Bearbeiter, ErbStG) Uhlenbruck, Insolvenzordnung, Kommentar, 15. Aufl. 2019 (zit.: Uhlenbruck-Bearbeiter, InsO) Uhlenbruck, Insolvenzrecht, 1979 Vallender, EuInsVO, Kommentar, 2. Aufl. 2020 (zit.: Vallender-Bearbeiter, EuInsVO) Verannemann, Schuldverschreibungsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2016 (zit.: Verannemann-Bearbeiter, SchuldVG) Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980 Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, 2016 Wolgast/Grauer, StaRUG.online, Kommentar, Stand: 4/2021 (zit.: Wolgast/Grauer-Bearbeiter, StaRUG.online) Zöller, Zivilprozessordnung, Kommentar, 33. Aufl. 2020 (zit.: Zöller-Bearbeiter, ZPO)

XIX

A. Gesetzestext

Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG) vom 22. Dezember 2020, BGBl. I 2020, 3256, zuletzt geändert durch Artikel 38 des Gesetzes vom 10. August 2021, BGBl. I 2021, 3436

Teil 1 Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement §1 Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement bei haftungsbeschränkten Unternehmensträgern (1) 1Die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs einer juristischen Person (Geschäftsleiter) wachen fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können. 2Erkennen sie solche Entwicklungen, ergreifen sie geeignete Gegenmaßnahmen und erstatten den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (Überwachungsorganen) unverzüglich Bericht. 3 Berühren die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeiten anderer Organe, wirken die Geschäftsleiter unverzüglich auf deren Befassung hin. (2) Bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit im Sinne von § 15a Absatz 1 Satz 3 und Absatz 2 der Insolvenzordnung gilt Absatz 1 entsprechend für die Geschäftsleiter der zur Geschäftsführung berufenen Gesellschafter.*) (3) Weitergehende Pflichten, die sich aus anderen Gesetzen ergeben, bleiben unberührt.

Teil 2 Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen Kapitel 1 Restrukturierungsplan Abschnitt 1 Gestaltung von Rechtsverhältnissen §2 Gestaltbare Rechtsverhältnisse (1) Auf der Grundlage eines Restrukturierungsplans können gestaltet werden: 1.

Forderungen, die gegen eine restrukturierungsfähige Person (Schuldner) begründet sind (Restrukturierungsforderungen), und _____________ *)

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 1 Abs. 2 die Wörter „Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaften“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft.

3

StaRUG 2.

Gesetzestext

die an Gegenständen des schuldnerischen Vermögens bestehenden Rechte, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Absonderung berechtigen würden, es sei denn, es handelt sich bei ihnen um Finanzsicherheiten im Sinne des § 1 Absatz 17 des Kreditwesengesetzes oder um Sicherheiten, die dem Betreiber eines Systems nach § 1 Absatz 16 des Kreditwesengesetzes zur Absicherung seiner Ansprüche aus dem System oder der Zentralbank eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder der Europäischen Zentralbank gestellt wurden (Absonderungsanwartschaften).

(2) 1Beruhen Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften auf einem mehrseitigen Rechtsverhältnis zwischen dem Schuldner und mehreren Gläubigern, so sind auch Einzelbestimmungen in diesem Rechtsverhältnis durch den Restrukturierungsplan gestaltbar. 2Satz 1 gilt auch für die Bedingungen von Schuldtiteln im Sinne des § 2 Absatz 1 Nummer 3 des Wertpapierhandelsgesetzes und von Verträgen, die zu gleichlautenden Bedingungen mit einer Vielzahl von Gläubigern geschlossen wurden. 3Beruhen Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften auf unterschiedlichen Rechtsverhältnissen und haben die Inhaber der Forderungen oder Anwartschaften untereinander und mit dem Schuldner Vereinbarungen über die Durchsetzung der gegenüber diesem bestehenden Forderungen oder Anwartschaften und das relative Rangverhältnis der aus der Durchsetzung resultierenden Erlöse getroffen, so sind auch die Bedingungen dieser Vereinbarung durch den Plan gestaltbar. (3) Ist der Schuldner eine juristische Person oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, können auch die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der an dem Schuldner beteiligten Personen durch den Restrukturierungsplan gestaltet, sonstige gesellschaftsrechtlich zulässige Regelungen getroffen sowie Anteils- und Mitgliedschaftsrechte übertragen werden.*) (4) 1Der Restrukturierungsplan kann auch die Rechte der Inhaber von Restrukturierungsforderungen gestalten, die diesen aus einer von einem verbundenen Unternehmen im Sinne des § 15 des Aktiengesetzes als Bürge, Mitschuldner oder aufgrund einer anderweitig übernommenen Haftung oder an Gegenständen des Vermögens dieses Unternehmens zustehen (gruppeninterne Drittsicherheit); der Eingriff ist durch eine angemessene Entschädigung zu kompensieren. 2Satz 1 Halbsatz 2 gilt entsprechend für eine Beschränkung der persönlichen Haftung eines persönlich haftenden Gesellschafters eines als Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit verfassten Schuldners.*) (5) 1Maßgeblich für die Absätze 1 bis 4 sind die Rechtsverhältnisse zum Zeitpunkt der Unterbreitung des Planangebots (§ 17), im Fall einer Abstimmung im gerichtlichen Planabstimmungsverfahren zum Zeitpunkt der Antragstellung (§ 45). 2Erwirkt der Schuldner vorher eine Stabilisierungsanordnung (§ 49), tritt an die Stelle des Planangebots oder des Antrags der Zeitpunkt der Erstanordnung. _____________ *)

4

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 2 Abs. 3, Abs. 4 Satz 2 die Wörter „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft.

StaRUG

Gesetzestext

§3 Bedingte und nicht fällige Restrukturierungsforderungen; Forderungen aus gegenseitigen Verträgen (1) Restrukturierungsforderungen sind auch dann gestaltbar, wenn sie bedingt oder noch nicht fällig sind. (2) Restrukturierungsforderungen aus gegenseitigen Verträgen sind nur insoweit gestaltbar, als die dem anderen Teil obliegende Leistung bereits erbracht ist. §4 Ausgenommene Rechtsverhältnisse 1

Einer Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan sind unzugänglich:

1.

Forderungen von Arbeitnehmern aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, einschließlich der Rechte aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung,

2.

Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen und

3.

Forderungen nach § 39 Absatz 1 Nummer 3 der Insolvenzordnung.

2

Handelt es sich bei dem Schuldner um eine natürliche Person, gilt dies auch für Forderungen und Absonderungsanwartschaften, die mit dessen unternehmerischer Tätigkeit in keinem Zusammenhang stehen. Abschnitt 2 Anforderungen an den Restrukturierungsplan §5 Gliederung des Restrukturierungsplans

1

Der Restrukturierungsplan besteht aus einem darstellenden und einem gestaltenden Teil. 2Er enthält mindestens die nach der Anlage zu diesem Gesetz erforderlichen Angaben. 3Dem Restrukturierungsplan sind die nach den §§ 14 und 15 erforderlichen Anlagen beizufügen. §6 Darstellender Teil (1) 1Der darstellende Teil beschreibt die Grundlagen und die Auswirkungen des Restrukturierungsplans. 2Der darstellende Teil enthält alle Angaben, die für die Entscheidung der von dem Plan Betroffenen über die Zustimmung zum Plan und für dessen gerichtliche Bestätigung erheblich sind, einschließlich der Krisenursachen und der zur Krisenbewältigung vorzunehmenden Maßnahmen. 3Soweit Restrukturierungsmaßnahmen vorgesehen sind, die nicht über den gestaltenden Teil des Plans umgesetzt werden können oder sollen, sind sie im darstellenden Teil gesondert hervorzuheben. (2) 1Der darstellende Teil enthält insbesondere eine Vergleichsrechnung, in der die Auswirkungen des Restrukturierungsplans auf die Befriedigungsaussichten der Planbetroffenen dargestellt werden. 2Sieht der Plan eine Fortführung des Unternehmens vor, ist für die Ermittlung der Befriedigungsaussichten ohne Plan zu unterstellen, dass das Unternehmen fortgeführt wird. 3Dies gilt nicht, wenn ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist.

5

StaRUG

Gesetzestext

(3) Sieht der Restrukturierungsplan Eingriffe in die Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 2 Absatz 4) vor, sind in die Darstellung auch die Verhältnisse des die Sicherheit gewährenden verbundenen Unternehmens und die Auswirkungen des Plans auf dieses Unternehmen einzubeziehen. §7 Gestaltender Teil (1) Der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans legt fest, wie die Rechtsstellung der Inhaber der Restrukturierungsforderungen, der Absonderungsanwartschaften, der Rechte aus gruppeninternen Drittsicherheiten und der Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte (Planbetroffenen) durch den Plan geändert werden soll. (2) 1Soweit Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften gestaltet werden, ist zu bestimmen, um welchen Bruchteil diese gekürzt, für welchen Zeitraum sie gestundet, wie sie gesichert und welchen sonstigen Regelungen sie unterworfen werden sollen. 2Satz 1 gilt entsprechend für die Gestaltung der Rechte aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 2 Absatz 4). (3) Soweit vertragliche Nebenbestimmungen oder Vereinbarungen nach § 2 Absatz 2 gestaltet werden, legt der gestaltende Teil fest, wie diese abgeändert werden sollen. (4) 1Restrukturierungsforderungen können auch in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte an dem Schuldner umgewandelt werden. 2Eine Umwandlung gegen den Willen der betroffenen Gläubiger ist ausgeschlossen. 3Insbesondere kann der Plan eine Kapitalherabsetzung oder -erhöhung, die Leistung von Sacheinlagen, den Ausschluss von Bezugsrechten oder die Zahlung von Abfindungen an ausscheidende an dem Schuldner beteiligte Personen vorsehen. 4Der Plan kann vorsehen, dass Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte übertragen werden. 5Im Übrigen kann jede Regelung getroffen werden, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist. 6§ 225a Absatz 4 und 5 der Insolvenzordnung ist entsprechend anzuwenden. §8 Auswahl der Planbetroffenen 1 Die Auswahl der Planbetroffenen hat nach sachgerechten Kriterien zu erfolgen, die im darstellenden Teil des Plans anzugeben und zu erläutern sind. 2Die Auswahl ist sachgerecht, wenn

1.

die nicht einbezogenen Forderungen auch in einem Insolvenzverfahren voraussichtlich vollständig erfüllt würden,

2.

die in der Auswahl angelegte Differenzierung nach der Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners und den Umständen angemessen erscheint, insbesondere, wenn ausschließlich Finanzverbindlichkeiten und die zu deren Sicherung bestellten Sicherheiten gestaltet werden oder die Forderungen von Kleingläubigern, insbesondere Verbrauchern, Klein- und Kleinstunternehmen oder mittleren Unternehmen, unberührt bleiben oder

3.

mit Ausnahme der in § 4 genannten Forderungen sämtliche Forderungen einbezogen werden.

6

StaRUG

Gesetzestext

§9 Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen (1) 1Bei der Festlegung der Rechte der Planbetroffenen im Restrukturierungsplan sind Gruppen zu bilden, soweit Planbetroffene mit unterschiedlicher Rechtsstellung betroffen sind. 2Es ist zu unterscheiden zwischen 1.

den Inhabern von Absonderungsanwartschaften,

2.

den Inhabern von Forderungen, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als nicht nachrangige Insolvenzforderungen geltend zu machen wären, nebst darauf entfallender Zinsen und Säumniszuschläge (einfache Restrukturierungsgläubiger),

3.

den Inhabern von Forderungen, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach § 39 Absatz 1 Nummer 4, 5 oder Absatz 2 der Insolvenzordnung als nachrangige Insolvenzforderungen anzumelden wären (nachrangige Restrukturierungsgläubiger), wobei für jede Rangklasse eine Gruppe zu bilden ist, und

4.

den Inhabern von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten.

3

Sieht der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans Eingriffe in die Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten vor, bilden die davon betroffenen Gläubiger eigenständige Gruppen. (2) 1Die Gruppen können nach Maßgabe wirtschaftlicher Interessen in weitere Gruppen unterteilt werden. 2Sie müssen sachgerecht voneinander abgegrenzt werden. 3Die Kriterien für die Abgrenzung sind im Plan anzugeben. 4Kleingläubiger sind im Rahmen der nach Absatz 1 zu bildenden Gruppen zu eigenständigen Gruppen zusammenzufassen. § 10 Gleichbehandlung von Planbetroffenen (1) Innerhalb jeder Gruppe sind allen Planbetroffenen gleiche Rechte anzubieten. (2) 1Eine unterschiedliche Behandlung der Planbetroffenen in einer Gruppe ist nur mit Zustimmung aller Planbetroffenen, zu deren Lasten die unterschiedliche Behandlung geht, zulässig. 2In diesem Fall ist dem Restrukturierungsplan die zustimmende Erklärung eines jeden Planbetroffenen, zu dessen Lasten die unterschiedliche Behandlung geht, beizufügen. (3) Jedes Abkommen des Schuldners oder Dritter mit einzelnen Planbetroffenen, durch das diesen für ihr Verhalten bei Abstimmungen oder sonst im Zusammenhang mit dem Restrukturierungsverfahren ein nicht im Plan vorgesehener Vorteil gewährt wird, ist nichtig. § 11 Haftung des Schuldners 1

Ist im Restrukturierungsplan nichts anderes bestimmt, wird der Schuldner mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Gläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen aus den in den Plan einbezogenen Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften befreit. 2Handelt 7

StaRUG

Gesetzestext

es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, so gilt Satz 1 entsprechend für die persönliche Haftung der unbeschränkt haftenden Gesellschafter. § 12 Neue Finanzierung 1

In den Restrukturierungsplan können Regelungen zur Zusage von Darlehen oder sonstigen Krediten aufgenommen werden, die zur Finanzierung der Restrukturierung auf der Grundlage des Plans erforderlich sind (neue Finanzierung). 2Als neue Finanzierung gilt auch deren Besicherung. § 13 Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse 1

Sollen Rechte an Gegenständen begründet, geändert, übertragen oder aufgehoben werden, so können die erforderlichen Willenserklärungen der Beteiligten in den gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans aufgenommen werden. 2Sind im Grundbuch eingetragene Rechte an einem Grundstück oder an eingetragenen Rechten betroffen, so sind diese Rechte unter Beachtung des § 28 der Grundbuchordnung genau zu bezeichnen. 3Für Rechte, die im Schiffsregister, im Schiffsbauregister oder im Register für Pfandrechte an Luftfahrzeugen eingetragen sind, gilt Satz 2 entsprechend. § 14 Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht; Ergebnis- und Finanzplan (1) Dem Restrukturierungsplan ist eine begründete Erklärung zu den Aussichten darauf beizufügen, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners durch den Plan beseitigt wird und dass die Bestandsfähigkeit des Schuldners sicher- oder wiederhergestellt wird. (2) 1Dem Restrukturierungsplan ist eine Vermögensübersicht beizufügen, in der die Vermögensgegenstände und die Verbindlichkeiten, die sich bei Wirksamwerden des Plans gegenüberstünden, mit ihren Werten aufgeführt sind. 2Zudem ist aufzuführen, welche Aufwendungen und Erträge für den Zeitraum, während dessen die Gläubiger befriedigt werden sollen, zu erwarten sind und durch welche Abfolge von Einnahmen und Ausgaben die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens während dieses Zeitraums gewährleistet werden soll. 3Dabei sind neben den Restrukturierungsforderungen auch die vom Plan unberührt bleibenden Forderungen sowie die künftig nach dem Plan zu begründenden Forderungen zu berücksichtigen. § 15 Weitere beizufügende Erklärungen (1) Handelt es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, so ist dem Restrukturierungsplan eine Erklärung der Personen beizufügen, die nach dem Plan persönlich

8

StaRUG

Gesetzestext

haftende Gesellschafter des Unternehmens sein sollen, dass sie zur Fortführung des Unternehmens auf der Grundlage des Plans bereit sind.*) (2) Sollen Gläubiger Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte oder Beteiligungen an einer juristischen Person, einem nicht rechtsfähigen Verein oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit übernehmen, so ist dem Restrukturierungsplan die Zustimmungserklärung eines jeden dieser Gläubiger beizufügen.*) (3) Hat ein Dritter für den Fall der Bestätigung des Restrukturierungsplans Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern übernommen, so ist dem Plan die Erklärung des Dritten beizufügen. (4) Sieht der Restrukturierungsplan Eingriffe in die Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten vor, so ist dem Plan die Zustimmung des verbundenen Unternehmens beizufügen, das die Sicherheit gestellt hat. § 16 Checkliste für Restrukturierungspläne 1 Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz macht eine Checkliste für Restrukturierungspläne bekannt, welche an die Bedürfnisse von kleinen und mittleren Unternehmen angepasst ist. 2Die Checkliste wird auf der Internetseite www.bmjv.bund.de veröffentlicht.

Abschnitt 3 Planabstimmung Unterabschnitt 1 Planangebot und Planannahme § 17 Planangebot (1) 1Das an die Planbetroffenen gerichtete Angebot des Schuldners, den Restrukturierungsplan anzunehmen (Planangebot), hat den deutlichen Hinweis darauf zu enthalten, dass der Plan im Fall seiner mehrheitlichen Annahme und gerichtlichen Bestätigung auch gegenüber Planbetroffenen wirksam wird, die das Angebot nicht annehmen. 2Dem Planangebot ist der vollständige Restrukturierungsplan nebst Anlagen sowie eine Darstellung der bereits angefallenen und der noch zu erwartenden Kosten des Restrukturierungsverfahrens einschließlich der Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten beizufügen. (2) Aus dem Planangebot muss hervorgehen, mit welchen Forderungen oder Rechten der jeweilige Planbetroffene in den Restrukturierungsplan einbezogen ist, welchen Gruppen der Planbetroffene zugeordnet ist und welche Stimmrechte die ihm zustehenden Forderungen und Rechte gewähren. _____________ *)

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 15 Abs. 1, Abs. 2 die Wörter „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft.

9

StaRUG

Gesetzestext

(3) Hat der Schuldner vor Abgabe des Planangebots nicht allen Planbetroffenen Gelegenheit zur gemeinschaftlichen Erörterung des Plans oder des Restrukturierungskonzepts gegeben, das durch den Plan umgesetzt werden soll, hat das Planangebot den Hinweis darauf zu enthalten, dass auf Verlangen eines Planbetroffenen oder mehrerer Planbetroffener eine Versammlung der Planbetroffenen zwecks Erörterung des Plans abgehalten wird. (4) 1Sofern im Verhältnis zu einzelnen Planbetroffenen nichts anderes vereinbart ist, unterliegt das Planangebot der Schriftform. 2Bestimmt der Schuldner im Planangebot keine andere Form, unterliegt auch die Planannahme der Schriftform. § 18 Auslegung des Planangebots Im Zweifel ist anzunehmen, dass das Planangebot unter der Bedingung steht, dass sämtliche Planbetroffene zustimmen oder dass der Plan gerichtlich bestätigt wird. § 19 Annahmefrist 1

Für die Annahme des Restrukturierungsplans setzt der Schuldner eine Frist. 2Die Frist beträgt mindestens 14 Tage. 3Sie kann kürzer sein, wenn dem Plan ein Restrukturierungskonzept zugrunde liegt, das allen Planbetroffenen seit mindestens 14 Tagen in Textform zugänglich gemacht ist. § 20 Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen

(1) 1Der Schuldner kann den Restrukturierungsplan im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen zur Abstimmung stellen. 2Die Einberufung erfolgt schriftlich. 3Die Einberufungsfrist beträgt 14 Tage. 4Räumt der Schuldner die Möglichkeit einer elektronischen Teilnahme ein, beträgt die Frist sieben Tage. 5Der Einberufung ist der vollständige Restrukturierungsplan nebst Anlagen beizufügen. (2) Das Planangebot kann vorsehen, dass Planbetroffene auch ohne Anwesenheit an dem Versammlungsort teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können (elektronische Teilnahme). (3) 1Den Vorsitz der Versammlung führt der Schuldner. 2Er hat jedem Planbetroffenen auf Verlangen Auskunft über den Restrukturierungsplan und die für die sachgemäße Beurteilung des Plans relevanten Verhältnisse sowie im Fall des § 2 Absatz 4 Satz 1 jeder betroffenen Tochtergesellschaft zu erteilen. 3Planbetroffene haben das Recht, Vorschläge zur Abänderung des Plans zu unterbreiten. 4Die Vorschläge sind dem Schuldner mindestens einen Tag vor dem Beginn der Versammlung in Textform zugänglich zu machen. (4) In der Versammlung kann auch dann über den Plan abgestimmt werden, wenn dieser aufgrund der Erörterungen in der Versammlung inhaltlich in einzelnen Punkten abgeändert wird. (5) 1Jede Gruppe der Planbetroffenen stimmt gesondert ab. 2Im Übrigen legt der Schuldner die Modalitäten der Abstimmung fest. 3Üben Planbetroffene ihr Stimm10

StaRUG

Gesetzestext

recht elektronisch aus, ist diesen der Zugang der elektronisch abgegebenen Stimme elektronisch zu bestätigen. 4Die Stimmabgabe ist auch ohne Teilnahme an der Versammlung bis zum Ende der Abstimmung möglich. § 21 Erörterung des Restrukturierungsplans (1) Findet eine Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen nicht statt, ist unter den Voraussetzungen des § 17 Absatz 3 auf Verlangen eines Planbetroffenen eine Versammlung der Planbetroffenen zur Erörterung des Plans abzuhalten. (2) 1Die Einberufung erfolgt schriftlich. 2Die Frist zur Einberufung beträgt mindestens 14 Tage. 3Räumt der Schuldner die Möglichkeit einer elektronischen Teilnahme ein, beträgt die Frist sieben Tage. (3) § 20 Absatz 3 gilt entsprechend. (4) 1Findet die Versammlung nach Ablauf einer zur Planannahme gesetzten Frist statt, verlängert sich diese bis zum Ablauf des Tags der Versammlung oder bis zu dem Termin, den der Schuldner bis zum Ende der Versammlung bestimmt. 2Hatte sich ein Planbetroffener bereits zum Planangebot erklärt, entfällt die Bindung an diese Erklärung, wenn er sich binnen der verlängerten Frist erneut erklärt. § 22 Dokumentation der Abstimmung (1) 1Der Schuldner dokumentiert den Ablauf des Planannahmeverfahrens und hält das Ergebnis der Abstimmung nach Ablauf der Annahmefrist oder nach Durchführung der Abstimmung unverzüglich schriftlich fest. 2Ist die Auswahl der Planbetroffenen, deren Einteilung in Gruppen oder die Zuweisung von Stimmrechten streitig geworden, ist dies in der Dokumentation zu vermerken. (2) Die Dokumentation ist den Planbetroffenen unverzüglich zugänglich zu machen. § 23 Gerichtliches Planabstimmungsverfahren Der Schuldner kann den Restrukturierungsplan in einem gerichtlichen Verfahren zur Abstimmung stellen, welches nach den §§ 45 und 46 durchzuführen ist; die §§ 17 bis 22 finden in diesem Fall keine Anwendung. Unterabschnitt 2 Stimmrecht und erforderliche Mehrheiten § 24 Stimmrecht (1) Das Stimmrecht richtet sich 1.

bei Restrukturierungsforderungen nach deren Betrag, soweit sich aus Absatz 2 nichts anders ergibt,

2.

bei Absonderungsanwartschaften und gruppeninternen Drittsicherheiten nach deren Wert und 11

StaRUG 3.

Gesetzestext

bei Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten nach dem Anteil am gezeichneten Kapital oder Vermögen des Schuldners; Stimmrechtsbeschränkungen, Sonderoder Mehrstimmrechte bleiben außer Betracht.

(2) Für Zwecke der Bestimmung des Stimmrechts, das Restrukturierungsforderungen gewähren, werden angesetzt: 1.

bedingte Forderungen mit dem ihnen unter Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit des Bedingungseintritts zukommenden Wert;

2.

unverzinsliche Forderungen mit dem Betrag, der sich in Anwendung des § 41 Absatz 2 der Insolvenzordnung durch Abzinsung auf den Tag der Planvorlage ergibt;

3.

Forderungen, die auf Geldbeträge unbestimmter Höhe gerichtet oder in ausländischer Währung oder einer Rechnungseinheit ausgedrückt sind, mit dem nach § 45 der Insolvenzordnung zu bestimmenden Wert;

4.

auf wiederkehrende Leistungen gerichtete Forderungen mit dem nach Maßgabe des § 46 der Insolvenzordnung bestimmten Wert.

(3) 1Durch Absonderungsanwartschaften oder gruppeninterne Drittsicherheiten gesicherte Forderungen vermitteln in einer Gruppe von Restrukturierungsgläubigern nur insoweit ein Stimmrecht, wie der Schuldner für die gesicherten Forderungen auch persönlich haftet und der Inhaber der Absonderungsanwartschaft auf diese verzichtet oder mit einer abgesonderten Befriedigung ausfallen würde. 2Solange der Ausfall nicht feststeht, ist die Forderung mit dem mutmaßlichen Ausfall zu berücksichtigen. (4) 1Ist das auf eine Forderung oder ein Recht entfallende Stimmrecht streitig, kann der Schuldner der Abstimmung das Stimmrecht zugrunde legen, das er den Planbetroffenen zugewiesen hat. 2In der Dokumentation der Abstimmung vermerkt er, dass, inwieweit und aus welchem Grund das Stimmrecht streitig ist. § 25 Erforderliche Mehrheiten (1) Zur Annahme des Restrukturierungsplans ist erforderlich, dass in jeder Gruppe auf die dem Plan zustimmenden Gruppenmitglieder mindestens drei Viertel der Stimmrechte in dieser Gruppe entfallen. (2) 1Planbetroffene, denen eine Forderung oder ein Recht gemeinschaftlich zusteht, werden bei der Abstimmung als ein Planbetroffener behandelt. 2Entsprechendes gilt, wenn an einem Recht ein Pfandrecht oder ein Nießbrauch besteht. § 26 Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung (1) Wird in einer Gruppe die nach § 25 erforderliche Mehrheit nicht erreicht, gilt die Zustimmung dieser Gruppe als erteilt, wenn 1.

die Mitglieder dieser Gruppe durch den Restrukturierungsplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden als sie ohne einen Plan stünden,

2.

die Mitglieder dieser Gruppe angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der auf der Grundlage des Plans den Planbetroffenen zufließen soll (Planwert), und

12

StaRUG

Gesetzestext

3.

die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt hat; wurden lediglich zwei Gruppen gebildet, genügt die Zustimmung der anderen Gruppe; die zustimmenden Gruppen dürfen nicht ausschließlich durch Anteilsinhaber oder nachrangige Restrukturierungsgläubiger gebildet sein.

(2) Wird die nach § 25 erforderliche Mehrheit in einer Gruppe nicht erreicht, die nach § 9 Absatz 1 Satz 3 zu bilden ist, so gelten Absatz 1, § 27 Absatz 1 und § 28 für diese Gruppe nur, wenn die vorgesehene Entschädigung die Inhaber der Rechte aus der gruppeninternen Drittsicherheit für den zu erleidenden Rechtsverlust oder den Verlust der Haftung des persönlich haftenden Gesellschafters angemessen entschädigt. § 27 Absolute Priorität (1) Eine Gruppe von Gläubigern ist angemessen am Planwert beteiligt, wenn 1.

kein anderer planbetroffener Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen,

2.

weder ein planbetroffener Gläubiger, der ohne einen Plan in einem Insolvenzverfahren mit Nachrang gegenüber den Gläubigern der Gruppe zu befriedigen wäre, noch der Schuldner oder eine an dem Schuldner beteiligte Person einen nicht durch Leistung in das Vermögen des Schuldners vollständig ausgeglichenen wirtschaftlichen Wert erhält und

3.

kein planbetroffener Gläubiger, der in einem Insolvenzverfahren gleichrangig mit den Gläubigern der Gruppe zu befriedigen wäre, bessergestellt wird als diese Gläubiger.

(2) Für eine Gruppe der an dem Schuldner beteiligten Personen liegt eine angemessene Beteiligung am Planwert vor, wenn nach dem Plan 1.

kein planbetroffener Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen, und

2.

vorbehaltlich des § 28 Absatz 2 Nummer 1 keine an dem Schuldner beteiligte Person, die ohne Plan den Mitgliedern der Gruppe gleichgestellt wäre, einen wirtschaftlichen Wert behält. § 28 Durchbrechung der absoluten Priorität

(1) 1Der angemessenen Beteiligung einer Gruppe von planbetroffenen Gläubigern am Planwert steht es nicht entgegen, wenn eine von § 27 Absatz 1 Nummer 3 abweichende Regelung nach der Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und nach den Umständen sachgerecht ist. 2Eine von § 27 Absatz 1 Nummer 3 abweichende Regelung ist nicht sachgerecht, wenn auf die überstimmte Gruppe mehr als die Hälfte der Stimmrechte der Gläubiger der betroffenen Rangklasse entfällt. (2) Einer angemessenen Beteiligung einer Gruppe von planbetroffenen Gläubigern am Planwert steht es nicht entgegen, wenn der Schuldner oder eine an dem Schuldner beteiligte Person entgegen § 27 Absatz 1 Nummer 2 am Unternehmensvermögen beteiligt bleibt, sofern 13

StaRUG

Gesetzestext

1.

die Mitwirkung des Schuldners oder der an dem Schuldner beteiligten Person an der Fortführung des Unternehmens infolge besonderer, in seiner Person liegender Umstände unerlässlich ist, um den Planwert zu verwirklichen, und sich der Schuldner oder die an dem Schuldner beteiligte Person im Plan zu der erforderlichen Mitwirkung sowie zur Übertragung der wirtschaftlichen Werte für den Fall verpflichtet, dass seine Mitwirkung aus von ihm zu vertretenden Gründen vor dem Ablauf von fünf Jahren oder einer kürzeren, für den Planvollzug vorgesehenen Frist endet oder

2.

die Eingriffe in die Rechte der Gläubiger geringfügig sind, insbesondere, weil die Rechte nicht gekürzt werden und deren Fälligkeiten um nicht mehr als 18 Monate verschoben werden. Kapitel 2 Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumente Abschnitt 1 Allgemeine Bestimmungen Unterabschnitt 1 Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens; Verfahren § 29 Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens

(1) Zur nachhaltigen Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 18 Absatz 2 der Insolvenzordnung können die in Absatz 2 genannten Verfahrenshilfen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens (Instrumente) in Anspruch genommen werden. (2) Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens im Sinne des Absatzes 1 sind: 1.

die Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens (gerichtliche Planabstimmung),

2.

die gerichtliche Vorprüfung von Fragen, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich sind (Vorprüfung),

3.

die gerichtliche Anordnung von Regelungen zur Einschränkung von Maßnahmen der individuellen Rechtsdurchsetzung (Stabilisierung) und

4.

die gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungsplans (Planbestätigung).

(3) Soweit sich aus den Bestimmungen dieses Gesetzes nichts Abweichendes ergibt, kann der Schuldner die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens unabhängig voneinander in Anspruch nehmen. § 30 Restrukturierungsfähigkeit (1) 1Die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens können vorbehaltlich des Absatzes 2 von jedem insolvenzfähigen Schuldner in Anspruch genommen werden. 2Für natürliche Personen gilt dies nur, soweit sie unternehmerisch tätig sind. 14

StaRUG

Gesetzestext

(2) Die Bestimmungen dieses Kapitels sind auf Unternehmen der Finanzbranche im Sinne des § 1 Absatz 19 des Kreditwesengesetzes nicht anzuwenden. § 31 Anzeige des Restrukturierungsvorhabens (1) Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmens ist die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens bei dem zuständigen Restrukturierungsgericht. (2) 1Der Anzeige sind beizufügen: 1.

der Entwurf eines Restrukturierungsplans oder, sofern ein solcher nach dem Stand des angezeigten Vorhabens noch nicht ausgearbeitet und ausgehandelt werden konnte, ein Konzept für die Restrukturierung, welches auf Grundlage einer Darstellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise das Ziel der Restrukturierung (Restrukturierungsziel) sowie die Maßnahmen beschreibt, welche zur Erreichung des Restrukturierungsziels in Aussicht genommen werden,

2.

eine Darstellung des Stands von Verhandlungen mit Gläubigern, an dem Schuldner beteiligten Personen und Dritten zu den in Aussicht genommenen Maßnahmen und

3.

eine Darstellung der Vorkehrungen, welche der Schuldner getroffen hat, um seine Fähigkeit sicherzustellen, seine Pflichten nach diesem Gesetz zu erfüllen.

2

Der Schuldner hat bei der Anzeige zudem anzugeben, ob die Rechte von Verbrauchern oder von mittleren, kleinen oder Kleinstunternehmen berührt werden sollen, insbesondere, weil deren Forderungen oder Absonderungsanwartschaften durch einen Restrukturierungsplan gestaltet oder die Durchsetzung dieser Forderungen durch eine Stabilisierungsanordnung vorübergehend gesperrt werden sollen. 3Anzugeben ist auch, ob damit zu rechnen ist, dass das Restrukturierungsziel nur gegen den Widerstand einer nach Maßgabe des § 9 zu bildenden Gruppe durchgesetzt werden kann. 4Des Weiteren sind frühere Restrukturierungssachen unter Angabe des befassten Gerichts und Aktenzeichens anzugeben. (3) Mit der Anzeige wird die Restrukturierungssache rechtshängig. (4) Die Anzeige verliert ihre Wirkung, wenn 1.

der Schuldner die Anzeige zurücknimmt,

2.

die Entscheidung über die Planbestätigung rechtskräftig wird,

3.

das Gericht die Restrukturierungssache nach § 33 aufhebt oder

4.

seit der Anzeige sechs Monate oder, sofern der Schuldner die Anzeige zuvor erneuert hat, zwölf Monate vergangen sind. § 32 Pflichten des Schuldners

(1) 1Der Schuldner betreibt die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers und wahrt dabei die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger. 2Insbesondere unterlässt er Maßnahmen, welche sich mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbaren lassen oder welche die Erfolgsaussich15

StaRUG

Gesetzestext

ten der in Aussicht genommenen Restrukturierung gefährden. 3Mit dem Restrukturierungsziel ist es in der Regel nicht vereinbar, Forderungen zu begleichen oder zu besichern, die durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen. (2) 1Der Schuldner teilt dem Gericht jede wesentliche Änderung mit, welche den Gegenstand des angezeigten Restrukturierungsvorhabens und die Darstellung des Verhandlungsstands betrifft. 2Hat der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung nach § 49 erwirkt, teilt er auch unverzüglich wesentliche Änderungen mit, welche die Restrukturierungsplanung betreffen. 3Ist ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, bestehen die Pflichten nach den Sätzen 1 und 2 auch gegenüber dem Restrukturierungsbeauftragten. (3) 1Während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ist der Schuldner verpflichtet, dem Restrukturierungsgericht den Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Absatz 2 der Insolvenzordnung unverzüglich anzuzeigen. 2Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, für deren Verbindlichkeiten keine natürliche Person als unmittelbarer oder mittelbarer Gesellschafter haftet, steht der Zahlungsunfähigkeit eine Überschuldung im Sinne des § 19 Absatz 2 der Insolvenzordnung gleich.*) (4) Der Schuldner ist verpflichtet, dem Gericht unverzüglich anzuzeigen, wenn das Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat, insbesondere, wenn infolge der erkennbar gewordenen ernsthaften und endgültigen Ablehnung des vorgelegten Restrukturierungsplans durch Planbetroffene nicht davon ausgegangen werden kann, dass die für eine Planannahme erforderlichen Mehrheiten erreicht werden können. § 33 Aufhebung der Restrukturierungssache (1) Das Restrukturierungsgericht hebt die Restrukturierungssache von Amts wegen auf, wenn 1.

der Schuldner einen Insolvenzantrag stellt oder über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren eröffnet ist,

2.

das Restrukturierungsgericht für die Restrukturierungssache unzuständig ist und der Schuldner innerhalb einer vom Restrukturierungsgericht gesetzten Frist keinen Verweisungsantrag gestellt oder die Anzeige zurückgenommen hat oder

3.

der Schuldner in schwerwiegender Weise gegen seine Pflichten zur Mitwirkung und Auskunftserteilung gegenüber dem Gericht oder einem Restrukturierungsbeauftragten verstößt.

(2) 1Das Gericht hebt die Restrukturierungssache ferner auf, wenn 1.

der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nach § 32 Absatz 3 angezeigt hat oder andere Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass

_____________ *)

16

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 32 Abs. 3 Satz 2 die Wörter „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft.

StaRUG

Gesetzestext

der Schuldner insolvenzreif ist; von einer Aufhebung der Restrukturierungssache kann abgesehen werden, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit Blick auf den erreichten Stand in der Restrukturierungssache offensichtlich nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen würde; von einer Aufhebung kann auch abgesehen werden, wenn die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung aus der Kündigung oder sonstigen Fälligstellung einer Forderung resultiert, die nach dem angezeigten Restrukturierungskonzept einer Gestaltung durch den Plan unterworfen werden soll, sofern die Erreichung des Restrukturierungsziels überwiegend wahrscheinlich ist, 2.

sich aufgrund einer Anzeige nach § 32 Absatz 4 oder aus sonstigen Umständen ergibt, dass das angezeigte Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat,

3.

ihm Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner in schwerwiegender Weise gegen die ihm nach § 32 obliegenden Pflichten verstoßen hat, oder

4.

in einer früheren Restrukturierungssache a) der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung oder eine Planbestätigung erwirkt hat oder b) eine Aufhebung nach Nummer 3 oder nach Absatz 1 Nummer 3 erfolgt ist.

2

Satz 1 Nummer 4 ist nicht anwendbar, wenn der Anlass für die frühere Restrukturierungssache infolge einer nachhaltigen Sanierung bewältigt wurde. 3Sind seit dem Ende des Anordnungszeitraums oder der Entscheidung über den Antrag auf Planbestätigung in der früheren Restrukturierungssache weniger als drei Jahre vergangen, ist im Zweifel anzunehmen, dass eine nachhaltige Sanierung nicht erfolgt ist. 4Der Inanspruchnahme von Instrumenten des Restrukturierungsrahmens steht ein in Eigenverwaltung geführtes Insolvenzverfahren gleich. (3) Eine Aufhebung der Restrukturierungssache unterbleibt, solange das Gericht von einer Aufhebung einer Stabilisierungsanordnung gemäß § 59 Absatz 3 abgesehen hat. (4) Gegen die Aufhebung der Restrukturierungssache nach den Absätzen 1 bis 3 steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu. § 34 Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung (1) 1Für Entscheidungen in Restrukturierungssachen ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk ein Oberlandesgericht seinen Sitz hat, als Restrukturierungsgericht für den Bezirk des Oberlandesgerichts ausschließlich zuständig. 2Ist dieses Amtsgericht nicht für Regelinsolvenzsachen zuständig, so ist das Amtsgericht zuständig, das für Regelinsolvenzsachen am Sitz des Oberlandesgerichts zuständig ist. (2) 1Die Landesregierungen werden ermächtigt, zur sachdienlichen Förderung oder schnelleren Erledigung von Restrukturierungssachen durch Rechtsverordnung 1.

innerhalb eines Bezirks die Zuständigkeit eines anderen, für Regelinsolvenzsachen zuständigen Amtsgerichts zu bestimmen oder

17

StaRUG 2.

Gesetzestext

die Zuständigkeit eines Restrukturierungsgerichts innerhalb eines Landes zusätzlich auf den Bezirk eines oder mehrerer weiterer Oberlandesgerichte zu erstrecken.

2

Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. 3Mehrere Länder können die Errichtung gemeinsamer Abteilungen eines Amtsgerichts für Restrukturierungssachen oder die Ausdehnung von Gerichtsbezirken für Restrukturierungssachen über die Landesgrenzen hinaus vereinbaren. § 35 Örtliche Zuständigkeit 1

Örtlich zuständig ist ausschließlich das Restrukturierungsgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. 2Liegt der Mittelpunkt einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist ausschließlich das Restrukturierungsgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt. § 36 Einheitliche Zuständigkeit Für alle Entscheidungen und Maßnahmen in der Restrukturierungssache ist die Abteilung zuständig, die für die erste Entscheidung zuständig war. § 37 Gruppen-Gerichtsstand (1) Auf Antrag eines Schuldners, der einer Unternehmensgruppe im Sinne des § 3e der Insolvenzordnung angehört (gruppenangehöriger Schuldner), erklärt sich das angerufene Restrukturierungsgericht für Restrukturierungssachen anderer gruppenangehöriger Schuldner (Gruppen-Folgeverfahren) für zuständig, wenn dieser Schuldner einen zulässigen Antrag in der Restrukturierungssache gestellt hat und er nicht offensichtlich von untergeordneter Bedeutung für die gesamte Unternehmensgruppe ist. (2) § 3a Absatz 1 Satz 2 bis 4, Absatz 2, die §§ 3b, 3c Absatz 1, § 3d Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Satz 1 und § 13a der Insolvenzordnung gelten entsprechend. (3) Auf Antrag des Schuldners erklärt sich unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 das für Gruppen-Folgeverfahren in Restrukturierungssachen zuständige Gericht als Insolvenzgericht auch für Gruppen-Folgeverfahren in Insolvenzsachen nach § 3a Absatz 1 der Insolvenzordnung für zuständig. § 38 Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung 1

Für Verfahren in Restrukturierungssachen gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. 2§ 128a der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe, dass bei Versammlungen und Terminen die Beteiligten in der Ladung auf die Verpflichtung hinzuweisen sind, wissentliche Ton- und Bildaufzeichnungen zu unterlassen und durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Dritte die Ton- und Bildübertragung nicht wahrnehmen können.

18

StaRUG

Gesetzestext

§ 39 Verfahrensgrundsätze (1) 1Das Restrukturierungsgericht hat von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln, die für das Verfahren in der Restrukturierungssache von Bedeutung sind, soweit in diesem Gesetz nichts Abweichendes bestimmt ist. 2Es kann zu diesem Zweck insbesondere Zeugen und Sachverständige vernehmen. (2) Der Schuldner hat dem Restrukturierungsgericht die Auskünfte zu erteilen, die zur Entscheidung über seine Anträge erforderlich sind, und es auch sonst bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. (3) 1Die Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts können ohne mündliche Verhandlung ergehen. 2Findet eine mündliche Verhandlung statt, so ist § 227 Absatz 3 Satz 1 der Zivilprozessordnung nicht anzuwenden. § 40 Rechtsmittel (1) 1Die Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. 2 Die sofortige Beschwerde ist bei dem Restrukturierungsgericht einzulegen. (2) Die Beschwerdefrist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung. (3) 1Die Entscheidung über die Beschwerde wird erst mit der Rechtskraft wirksam. 2 Das Beschwerdegericht kann jedoch die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anordnen. § 41 Zustellungen (1) 1Zustellungen erfolgen von Amts wegen, ohne dass es einer Beglaubigung des zuzustellenden Schriftstücks bedarf. 2Sie können dadurch bewirkt werden, dass das Schriftstück unter der Anschrift des Zustellungsadressaten zur Post gegeben wird; § 184 Absatz 2 Satz 1, 2 und 4 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. 3Soll die Zustellung im Inland bewirkt werden, gilt das Schriftstück drei Tage nach Aufgabe zur Post als zugestellt. (2) 1An Personen, deren Aufenthalt unbekannt ist, wird nicht zugestellt. 2Haben sie einen zur Entgegennahme von Zustellungen berechtigten Vertreter, so wird dem Vertreter zugestellt. (3) Beauftragt das Gericht den Schuldner mit der Zustellung, erfolgt diese nach Maßgabe der §§ 191 bis 194 der Zivilprozessordnung. Unterabschnitt 2 Restrukturierungsrecht § 42 Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift (1) 1Während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ruht die Antragspflicht nach § 15a Absatz 1 bis 3 der Insolvenzordnung und § 42 Absatz 2 des 19

StaRUG

Gesetzestext

Bürgerlichen Gesetzbuchs. 2Die Antragspflichtigen sind jedoch verpflichtet, dem Restrukturierungsgericht den Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Absatz 2 der Insolvenzordnung oder einer Überschuldung im Sinne des § 19 Absatz 2 der Insolvenzordnung ohne schuldhaftes Zögern anzuzeigen. (2) Die Stellung eines den Anforderungen des § 15a der Insolvenzordnung genügenden Insolvenzantrags gilt als rechtzeitige Erfüllung der Anzeigepflicht nach Absatz 1 Satz 2. (3) 1Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen Absatz 1 Satz 2 den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung nicht oder nicht rechtzeitig anzeigt. 2Handelt der Täter fahrlässig, ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. 3Die Sätze 1 und 2 sind nicht anzuwenden auf Vereine und Stiftungen, für die die Pflicht nach Absatz 1 Satz 1 gilt. (4) Wenn die Anzeige der Restrukturierungssache nach § 31 Absatz 4 ihre Wirkung verliert, leben die nach Absatz 1 Satz 1 ruhenden Antragspflichten wieder auf. § 43 Pflichten und Haftung der Organe (1) 1Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit im Sinne des § 15a Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 der Insolvenzordnung, wirken dessen Geschäftsleiter darauf hin, dass der Schuldner die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreibt und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger wahrt. 2Für die Verletzung dieser Pflicht haften sie dem Schuldner in Höhe des den Gläubigern entstandenen Schadens, es sei denn sie haben die Pflichtverletzung nicht zu vertreten.*) (2) 1Ein Verzicht des Schuldners auf Ansprüche nach Absatz 1 Satz 2 oder ein Vergleich über diese Ansprüche ist unwirksam, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist. 2Dies gilt nicht, wenn sich der Ersatzpflichtige zur Abwendung eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen mit seinen Gläubigern vergleicht, wenn die Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird oder wenn für den Ersatzberechtigten ein Insolvenzverwalter handelt. (3) 1Ansprüche nach Absatz 1 Satz 2 verjähren in fünf Jahren. 2Ist der Schuldner zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung eine börsennotierte Gesellschaft, verjähren die Ansprüche in zehn Jahren. § 44 Verbot von Lösungsklauseln (1) 1Die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder die Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens durch den Schuldner ist ohne Weiteres kein Grund _____________ *)

20

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 43 Abs. 1 Satz 1 die Wörter „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft.

StaRUG

Gesetzestext

1.

für die Beendigung von Vertragsverhältnissen, an denen der Schuldner beteiligt ist,

2.

für die Fälligstellung von Leistungen oder

3.

für ein Recht des anderen Teils, die diesem obliegende Leistung zu verweigern oder die Anpassung oder anderweitige Gestaltung des Vertrags zu verlangen.

2

Sie berühren ohne Weiteres auch nicht die Wirksamkeit des Vertrags.

(2) Dem Absatz 1 entgegenstehende Vereinbarungen sind unwirksam. (3) 1Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für Geschäfte nach § 104 Absatz 1 der Insolvenzordnung und Vereinbarungen über das Liquidationsnetting nach § 104 Absatz 3 und 4 der Insolvenzordnung und Finanzsicherheiten im Sinne von § 1 Absatz 17 des Kreditwesengesetzes. 2Dies gilt auch für Geschäfte, die im Rahmen eines Systems nach § 1 Absatz 16 des Kreditwesengesetzes der Verrechnung von Ansprüchen und Leistungen unterliegen. Abschnitt 2 Gerichtliche Planabstimmung § 45 Erörterungs- und Abstimmungstermin (1) 1Auf Antrag des Schuldners bestimmt das Restrukturierungsgericht einen Termin, in dem der Restrukturierungsplan und das Stimmrecht der Planbetroffenen erörtert werden und anschließend über den Plan abgestimmt wird. 2Die Ladungsfrist beträgt mindestens 14 Tage. (2) Dem Antrag ist der vollständige Restrukturierungsplan nebst Anlagen beizufügen. (3) 1Die Planbetroffenen sind zu dem Termin zu laden. 2Die Ladung enthält den Hinweis darauf, dass der Termin und die Abstimmung auch dann durchgeführt werden können, wenn nicht alle Planbetroffenen teilnehmen. 3Das Gericht kann den Schuldner mit der Zustellung der Ladungen beauftragen. (4) 1Auf das Verfahren finden die §§ 239 bis 242 der Insolvenzordnung sowie die §§ 24 bis 28 dieses Gesetzes entsprechende Anwendung. 2Ist streitig, welches Stimmrecht die Forderung, die Absonderungsanwartschaft, die gruppeninterne Drittsicherheit oder das Anteils- oder Mitgliedschaftsrecht einem Planbetroffenen gewährt und lässt sich darüber keine Einigung zwischen den Beteiligten erzielen, legt das Gericht das Stimmrecht fest. § 46 Vorprüfungstermin (1) 1Auf Antrag des Schuldners bestimmt das Gericht einen gesonderten Termin zur Vorprüfung des Restrukturierungsplans vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin. 2Gegenstand dieser Vorprüfung kann jede Frage sein, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich ist, insbesondere, 1.

ob die Auswahl der Planbetroffenen und die Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen den Anforderungen der §§ 8 und 9 entspricht,

21

StaRUG

Gesetzestext

2.

welches Stimmrecht eine Restrukturierungsforderung, eine Absonderungsanwartschaft oder ein Anteils- oder Mitgliedschaftsrecht gewährt oder

3.

ob dem Schuldner die Zahlungsunfähigkeit droht.

3

§ 45 Absatz 3 gilt entsprechend. 4Die Ladungsfrist beträgt mindestens sieben Tage.

(2) Das Ergebnis der Vorprüfung fasst das Gericht in einem Hinweis zusammen. (3) Das Gericht kann einen Vorprüfungstermin auch von Amts wegen bestimmen, wenn dies zweckmäßig ist. Abschnitt 3 Vorprüfung § 47 Antrag 1

Auf Antrag des Schuldners führt das Restrukturierungsgericht auch dann eine Vorprüfung durch, wenn der Restrukturierungsplan nicht im gerichtlichen Verfahren zur Abstimmung gebracht werden soll. 2Gegenstand einer solchen Vorprüfung kann jede Frage sein, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich ist. 3Neben den in § 46 Absatz 1 Satz 2 genannten Gegenständen können dies insbesondere auch die Anforderungen sein, die an das Planabstimmungsverfahren nach den §§ 17 bis 22 zu stellen sind. § 48 Verfahren (1) Die von der Vorprüfungsfrage berührten Planbetroffenen sind anzuhören. (2) 1Das Ergebnis der Vorprüfung fasst das Gericht in einem Hinweis zusammen. Der Hinweis soll innerhalb von zwei Wochen nach Antragstellung oder, sofern ein Anhörungstermin stattfindet, innerhalb von zwei Wochen nach diesem Termin ergehen. 3Für die Ladung zu dem Anhörungstermin gelten § 45 Absatz 3 und § 46 Absatz 1 Satz 3 entsprechend. 2

Abschnitt 4 Stabilisierung § 49 Stabilisierungsanordnung (1) Soweit dies zur Wahrung der Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels erforderlich ist, ordnet das Restrukturierungsgericht auf Antrag des Schuldners an, dass 1.

Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagt oder einstweilen eingestellt werden (Vollstreckungssperre) und

2.

Rechte an Gegenständen des beweglichen Vermögens, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Ab- oder Aussonderungsrecht geltend gemacht werden könnten, von dem Gläubiger nicht durchgesetzt werden dürfen und dass solche Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens des Schuld-

22

StaRUG

Gesetzestext

ners eingesetzt werden können, soweit sie hierfür von erheblicher Bedeutung sind (Verwertungssperre). (2) 1Forderungen, die nach § 4 einer Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan unzugänglich sind, bleiben von einer Anordnung nach Absatz 1 und deren vertragsrechtlichen Wirkungen unberührt. 2Die Anordnung kann sich im Übrigen gegen einzelne, mehrere oder alle Gläubiger richten. (3) Die Anordnung nach Absatz 1 kann auch das Recht von Gläubigern zur Durchsetzung von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 2 Absatz 4) sperren. § 50 Antrag (1) Der Schuldner hat die beantragte Stabilisierungsanordnung nach § 49 Absatz 1 ihrem Inhalt, dem Adressatenkreis und der Dauer nach zu bezeichnen. (2) Der Schuldner fügt dem Antrag eine Restrukturierungsplanung bei, welche umfasst: 1.

einen auf den Tag der Antragstellung aktualisierten Entwurf des Restrukturierungsplans oder ein auf diesen Tag aktualisiertes Konzept für die Restrukturierung nach § 31 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1,

2.

einen Finanzplan, der den Zeitraum von sechs Monaten umfasst und eine fundierte Darstellung der Finanzierungsquellen enthält, durch welche die Fortführung des Unternehmens in diesem Zeitraum sichergestellt werden soll; dabei bleiben Finanzierungsquellen außer Betracht, die sich mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbaren lassen.

(3) Des Weiteren hat der Schuldner zu erklären, 1.

ob, in welchem Umfang und gegenüber welchen Gläubigern er sich mit der Erfüllung von Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen, Pensionszusagen oder dem Steuerschuldverhältnis, gegenüber den Sozialversicherungsträgern oder Lieferanten in Verzug befindet,

2.

ob und in welchen Verfahren zu seinen Gunsten innerhalb der letzten drei Jahre vor dem Antrag Vollstreckungs- oder Verwertungssperren nach diesem Gesetz oder nach § 21 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 oder 5 der Insolvenzordnung angeordnet wurden und

3.

ob er für die letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre seinen Verpflichtungen aus den §§ 325 bis 328 oder aus § 339 des Handelsgesetzbuchs nachgekommen ist. § 51 Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung

(1) 1Die Stabilisierungsanordnung ergeht, wenn die von dem Schuldner vorgelegte Restrukturierungsplanung vollständig und schlüssig ist und keine Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass 1.

die Restrukturierungsplanung oder die Erklärungen zu § 50 Absatz 3 in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht oder beruhen, 23

StaRUG

Gesetzestext

2.

die Restrukturierung aussichtslos ist, weil keine Aussicht darauf besteht, dass ein das Restrukturierungskonzept umsetzender Plan von den Planbetroffenen angenommen oder vom Gericht bestätigt werden würde,

3.

der Schuldner noch nicht drohend zahlungsunfähig ist oder

4.

die beantragte Anordnung nicht erforderlich ist, um das Restrukturierungsziel zu verwirklichen.

2

Schlüssig ist die Planung, wenn nicht offensichtlich ist, dass sich das Restrukturierungsziel nicht auf Grundlage der in Aussicht genommenen Maßnahmen erreichen lässt. 3Weist die Restrukturierungsplanung behebbare Mängel auf, erlässt das Gericht die Anordnung für einen Zeitraum von höchstens 20 Tagen und gibt dem Schuldner auf, die Mängel innerhalb dieses Zeitraums zu beheben. (2) Sind Umstände bekannt, aus denen sich ergibt, dass 1.

erhebliche Zahlungsrückstände gegenüber den in § 50 Absatz 3 Nummer 1 genannten Gläubigern bestehen oder

2.

der Schuldner für mindestens eines der letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre gegen die Offenlegungspflichten nach den §§ 325 bis 328 oder nach § 339 des Handelsgesetzbuchs verstoßen hat, erfolgt die Stabilisierungsanordnung nur, wenn trotz dieser Umstände zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten. Dies gilt auch, wenn zugunsten des Schuldners in den letzten drei Jahren vor der Stellung des Antrags die in § 49 Absatz 1 genannten Vollstreckungs- oder Verwertungssperren oder vorläufige Sicherungsanordnungen nach § 21 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 oder 5 der Insolvenzordnung angeordnet wurden, sofern nicht der Anlass dieser Anordnungen durch eine nachhaltige Sanierung des Schuldners bewältigt wurde.

(3) Liegt zum Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung kein Restrukturierungsplan vor, kann das Gericht dem Schuldner eine Frist setzen, binnen derer der Restrukturierungsplan vorzulegen ist. (4) 1Die Stabilisierungsanordnung ist allen Gläubigern, die von ihr betroffen sind, zuzustellen. 2In öffentlichen Restrukturierungssachen (§ 84) kann auf eine Zustellung verzichtet werden, wenn sich die Anordnung mit Ausnahme der in § 4 genannten Gläubiger gegen alle Gläubiger richtet. (5) 1Das Restrukturierungsgericht entscheidet über den Antrag auf Erlass der Stabilisierungsanordnung durch Beschluss. 2Soweit das Gericht den Antrag zurückweist, steht dem Schuldner gegen den Beschluss die sofortige Beschwerde zu. § 52 Folgeanordnung, Neuanordnung Unter den Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 und 2 kann eine Stabilisierungsanordnung auf weitere Gläubiger erstreckt, inhaltlich erweitert oder zeitlich verlängert werden (Folgeanordnung) oder, sofern die Anordnungsdauer bereits überschritten ist, erneuert werden (Neuanordnung).

24

StaRUG

Gesetzestext

§ 53 Anordnungsdauer (1) Die Stabilisierungsanordnung kann für eine Dauer von bis zu drei Monaten ergehen. (2) 1Folge- oder Neuanordnungen können nur im Rahmen der Anordnungshöchstdauer nach Absatz 1 ergehen, es sei denn, 1.

der Schuldner hat den Gläubigern ein Planangebot unterbreitet und

2.

es sind keine Umstände bekannt, aus denen sich ergibt, dass mit einer Planannahme innerhalb eines Monats nicht zu rechnen ist.

2 In diesem Fall verlängert sich die Anordnungshöchstdauer um einen Monat und die Anordnung richtet sich ausschließlich gegen Planbetroffene.

(3) 1Hat der Schuldner die gerichtliche Bestätigung des von den Planbetroffenen angenommenen Restrukturierungsplans beantragt, können Folge- oder Neuanordnungen bis zur Rechtskraft der Planbestätigung, höchstens aber bis zum Ablauf von acht Monaten nach dem Erlass der Erstanordnung ergehen. 2Dies gilt nicht, wenn der Restrukturierungsplan offensichtlich nicht bestätigungsfähig ist. (4) Absatz 3 ist nicht anzuwenden, wenn der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten vor der ersten Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union in das Inland verlegt wurde und keine öffentlichen Bekanntmachungen nach den §§ 84 bis 86 erfolgen. § 54 Folgen der Verwertungssperre (1) 1Ist eine Verwertungssperre ergangen, sind dem Gläubiger die geschuldeten Zinsen zu zahlen und der durch die Nutzung eintretende Wertverlust ist durch laufende Zahlungen an den Gläubiger auszugleichen. 2Dies gilt nicht, soweit nach der Höhe der Forderung und der sonstigen Belastung des Gegenstands mit einer Befriedigung des Gläubigers aus dem Verwertungserlös nicht zu rechnen ist. (2) Zieht der Schuldner nach Maßgabe der vertraglichen Vereinbarungen mit dem Berechtigten Forderungen ein, die zur Sicherung eines Anspruchs abgetreten sind, oder veräußert oder verarbeitet er bewegliche Sachen, an denen Rechte bestehen, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Aus- oder Absonderungsrechte geltend gemacht werden könnten, sind die dabei erzielten Erlöse an den Berechtigten auszukehren oder unterscheidbar zu verwahren, es sei denn, der Schuldner trifft mit dem Berechtigten eine anderweitige Vereinbarung. § 55 Vertragsrechtliche Wirkungen (1) 1Ist der Schuldner zum Zeitpunkt der Stabilisierunganordnung einem Gläubiger etwas aus einem Vertrag schuldig, so kann der Gläubiger nicht allein wegen der rückständigen Leistung eine ihm im Anordnungszeitraum obliegende Leistung

25

StaRUG

Gesetzestext

verweigern oder Vertragsbeendigungs- oder -abänderungsrechte geltend machen; unberührt bleibt das Recht des Gläubigers, die Erbringung des Teils der ihm obliegenden Gegenleistung zu verweigern, der auf die rückständige Leistung des Schuldners entfällt. 2Ergehen Folge- oder Neuanordnungen, ist der Zeitpunkt der Erstanordnung maßgeblich. (2) Absatz 1 gilt nicht, wenn der Schuldner für die Fortführung des Unternehmens nicht auf die dem Gläubiger obliegende Leistung angewiesen ist. (3) 1Ist der Gläubiger vorleistungspflichtig, hat er das Recht, die ihm obliegende Leistung gegen Sicherheitsleistung oder Zug um Zug gegen die dem Schuldner obliegende Leistung zu erbringen. 2Absatz 1 berührt nicht das Recht von Darlehensgebern, den Darlehensvertrag vor der Auszahlung des Darlehens wegen einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners oder der Werthaltigkeit der für das Darlehen gestellten Sicherheit zu kündigen (§ 490 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). 3Satz 2 gilt auch für andere Kreditzusagen. § 56 Finanzsicherheiten, Zahlungs- und Abwicklungssysteme, Liquidationsnetting (1) 1Die Stabilisierungsanordnung berührt nicht die Wirksamkeit von Verfügungen über Finanzsicherheiten nach § 1 Absatz 17 des Kreditwesengesetzes und die Wirksamkeit der Verrechnung von Ansprüchen und Leistungen aus Zahlungsaufträgen, Aufträgen zwischen Zahlungsdienstleistern oder zwischengeschalteten Stellen oder Aufträgen zur Übertragung von Wertpapieren, die in Systeme nach § 1 Absatz 16 des Kreditwesengesetzes eingebracht wurden. 2Dies gilt auch dann, wenn ein solches Rechtsgeschäft des Schuldners am Tag der Anordnung getätigt und verrechnet oder eine Finanzsicherheit bestellt wird und der andere Teil nachweist, dass er die Anordnung weder kannte noch hätte kennen müssen; ist der andere Teil ein Systembetreiber oder Teilnehmer in dem System, bestimmt sich der Tag der Anordnung nach dem Geschäftstag im Sinne des § 1 Absatz 16b des Kreditwesengesetzes. (2) 1Von der Stabilisierungsanordnung und ihren Wirkungen bleiben Geschäfte, die den Gegenstand einer Vereinbarung über das Liquidationsnetting im Sinne von § 104 Absatz 3 und 4 der Insolvenzordnung bilden können, sowie Vereinbarungen über das Liquidationsnetting unberührt. 2Die aus dem Liquidationsnetting resultierende Forderung kann einer Vollstreckungssperre und, im Rahmen des nach Absatz 1 Zulässigen, auch einer Verwertungssperre unterworfen werden. § 57 Haftung der Organe 1

Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit im Sinne des § 15a Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 der Insolvenzordnung und erwirkt er aufgrund vorsätzlich oder fahrlässig unrichtiger Angaben eine Stabilisierungsanordnung, ist der Geschäftsleiter den davon betroffenen Gläubigern zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den diese durch die Anordnung erleiden. 2Dies gilt nicht, wenn ihn kein Verschulden trifft. 3Die Sätze 1 und 2 gelten auch für den Ersatz des Schadens, der einem Gläubiger aus einer

26

StaRUG

Gesetzestext

nicht ordnungsgemäßen Auskehrung oder Verwahrung der Erlöse nach § 54 Absatz 2 entsteht. 4Für Ansprüche nach den Sätzen 1 und 3 gilt § 43 Absatz 3 entsprechend.*) § 58 Insolvenzantrag Das Verfahren über den Antrag eines Gläubigers, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners zu eröffnen, wird für die Anordnungsdauer ausgesetzt. § 59 Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung (1) Das Restrukturierungsgericht hebt die Stabilisierungsanordnung auf, wenn 1.

der Schuldner dies beantragt,

2.

die Anzeige nach § 31 Absatz 4 ihre Wirkungen verloren hat oder wenn die Voraussetzungen einer Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 31 Absatz 4 Nummer 3, § 33 vorliegen,

3.

der Schuldner es versäumt, dem Gericht nach Ablauf einer zu diesem Zweck eingeräumten angemessenen Frist den Entwurf eines Restrukturierungsplans zu übermitteln oder

4.

Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner nicht bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten, insbesondere weil a) die Restrukturierungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht oder b) die Rechnungslegung und Buchführung des Schuldners so unvollständig oder mangelhaft sind, dass sie eine Beurteilung der Restrukturierungsplanung, insbesondere des Finanzplans, nicht ermöglichen.

(2) Die Stabilisierungsanordnung wird wegen der in Absatz 1 Nummer 2 und 4 genannten Gründe auch auf Antrag eines von der Anordnung betroffenen Gläubigers aufgehoben, wenn dieser das Vorliegen des Beendigungsgrunds glaubhaft macht. (3) 1Das Restrukturierungsgericht kann von einer Aufhebung absehen, wenn die Fortdauer der Stabilisierungsanordnung geboten erscheint, um im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger einen geordneten Übergang in ein Insolvenzverfahren zu gewährleisten. 2Das Gericht setzt dem Schuldner eine Frist von höchstens drei Wochen, innerhalb derer er dem Gericht die Beantragung eines Insolvenzverfahrens nachzuweisen hat. 3Nach Ablauf dieser Frist ist die Stabilisierungsanordnung aufzuheben. (4) Die Stabilisierungsanordnung endet, wenn der Restrukturierungsplan bestätigt ist oder die Planbestätigung versagt wird. _____________ *)

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 57 Satz 1 die Wörter „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft.

27

StaRUG

Gesetzestext

Abschnitt 5 Planbestätigung Unterabschnitt 1 Bestätigungsverfahren § 60 Antrag (1) 1Auf Antrag des Schuldners bestätigt das Gericht den von den Planbetroffenen angenommenen Restrukturierungsplan durch Beschluss. 2Der Antrag kann auch im Erörterungs- und Abstimmungstermin gestellt werden. 3Ist die Planabstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren (§ 45) erfolgt, hat der Schuldner dem Antrag auf Bestätigung des Restrukturierungsplans neben dem zur Abstimmung gestellten Plan und seinen Anlagen die Dokumentation über das Abstimmungsergebnis sowie sämtliche Urkunden und sonstigen Nachweise beizufügen, aus denen sich ergibt, wie die Abstimmung durchgeführt wurde und zu welchem Ergebnis sie geführt hat. (2) 1Handelt es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder um eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, bedarf der Antrag auf Bestätigung eines Restrukturierungsplans, der die persönlich haftenden Gesellschafter nicht von deren Haftung für die durch den Plan gestalteten Forderungen und Rechte befreit, der Zustimmung aller persönlich haftenden Gesellschafter. 2 Dies gilt nicht, soweit es sich bei den persönlich haftenden Gesellschaftern 1.

um juristische Personen handelt oder

2.

um Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit handelt, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist und kein persönlich haftender Gesellschafter selbst eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit ist, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist oder sich die Verbindung von Gesellschaften in dieser Art fortsetzt.*) § 61 Anhörung

1 Vor der Entscheidung über die Bestätigung des Restrukturierungsplans kann das Gericht die Planbetroffenen anhören. 2Ist die Planabstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren erfolgt, hat das Gericht einen Termin zur Anhörung der Planbetroffenen durchzuführen. 3§ 45 Absatz 3 und § 46 Absatz 1 Satz 4 gelten entsprechend.

_____________ *)

28

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 60 Abs. 2 Satz 1 die Wörter „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt und in § 60 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 die Wörter „Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaften“ und die Wörter „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft.

StaRUG

Gesetzestext

§ 62 Bedingter Restrukturierungsplan Ist im Restrukturierungsplan vorgesehen, dass vor dessen Bestätigung bestimmte Leistungen erbracht oder andere Maßnahmen verwirklicht werden sollen, wird der Plan nur bestätigt, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind und Versagungsgründe nicht vorliegen. § 63 Versagung der Bestätigung (1) Die Bestätigung des Restrukturierungsplans ist von Amts wegen zu versagen, wenn 1.

der Schuldner nicht drohend zahlungsunfähig ist;

2.

die Vorschriften über den Inhalt und die verfahrensmäßige Behandlung des Restrukturierungsplans sowie über die Annahme des Plans durch die Planbetroffenen in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet worden sind und der Schuldner den Mangel nicht beheben kann oder innerhalb einer angemessenen, vom Restrukturierungsgericht gesetzten Frist nicht behebt oder

3.

die Ansprüche, die den Planbetroffenen durch den gestaltenden Teil des Plans zugewiesen werden, und die durch den Plan nicht berührten Ansprüche der übrigen Gläubiger offensichtlich nicht erfüllt werden können. (2) Sieht der Restrukturierungsplan eine neue Finanzierung vor, ist die Bestätigung zu versagen, wenn das dem Plan zugrunde liegende Restrukturierungskonzept unschlüssig ist oder wenn Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass das Konzept nicht von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht oder keine begründete Aussicht auf Erfolg vermittelt. (3) 1Ist die Planabstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren erfolgt, gehen Zweifel an der ordnungsgemäßen Annahme des Restrukturierungsplans durch die Planbetroffenen zulasten des Schuldners. 2Besteht Streit über das einem Planbetroffenen zustehende Stimmrecht, legt das Gericht seiner Entscheidung das nach Maßgabe des § 24 zu bestimmende Stimmrecht zugrunde. (4) Die Bestätigung ist auch zu versagen, wenn die Annahme des Restrukturierungsplans unlauter herbeigeführt worden ist, insbesondere durch Begünstigung eines Planbetroffenen. § 64 Minderheitenschutz (1) 1Auf Antrag eines Planbetroffenen, der gegen den Restrukturierungsplan gestimmt hat, ist die Bestätigung des Plans zu versagen, wenn der Antragsteller durch den Restrukturierungsplan voraussichtlich schlechter gestellt wird als er ohne den Plan stünde. 2Hat der Schuldner gegen den Inhaber einer Absonderungsanwartschaft eine Vollstreckungs- oder Verwertungssperre erwirkt, die diesen an der Verwertung der Anwartschaft hinderte, bleiben Minderungen im Wert der Anwartschaft, die sich während der Dauer der Anordnung ergeben, für die Bestimmung der Stellung des Berechtigten ohne Plan außer Betracht, es sei denn, die Wertminderung hätte sich auch ohne die Anordnung ergeben.

29

StaRUG

Gesetzestext

(2) 1Der Antrag nach Absatz 1 ist nur zulässig, wenn der Antragsteller bereits im Abstimmungsverfahren dem Plan widersprochen und geltend gemacht hat, dass er durch den Plan voraussichtlich schlechter gestellt wird als er ohne Plan stünde. 2Ist die Planabstimmung in einem gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin erfolgt, muss der Antragsteller spätestens in diesem Termin glaubhaft machen, durch den Plan voraussichtlich schlechter gestellt zu werden. (3) 1Der Antrag nach Absatz 1 ist abzuweisen, wenn im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans Mittel für den Fall bereitgestellt werden, dass ein Planbetroffener eine Schlechterstellung nachweist. 2Ob der Antragsteller einen Ausgleich aus diesen Mitteln erhält, ist außerhalb der Restrukturierungssache zu klären. (4) 1Hat weder eine Versammlung der Planbetroffenen (§ 20) noch ein Erörterungsund Abstimmungstermin (§ 45) stattgefunden, gilt Absatz 2 Satz 1 nur, wenn im Planangebot besonders auf das Erfordernis der Geltendmachung der voraussichtlichen Schlechterstellung durch den Plan im Abstimmungsverfahren hingewiesen wurde. 2Hat eine Versammlung der Planbetroffenen stattgefunden, gilt Absatz 2 Satz 1 nur, wenn in dem Einberufungsschreiben besonders auf das Erfordernis der Geltendmachung der voraussichtlichen Schlechterstellung durch den Plan im Abstimmungsverfahren hingewiesen wurde. 3Absatz 2 Satz 2 gilt nur, wenn in der Ladung besonders auf das Erfordernis der Glaubhaftmachung der voraussichtlichen Schlechterstellung durch den Plan spätestens im Erörterungs- und Abstimmungstermin hingewiesen wurde. § 65 Bekanntgabe der Entscheidung (1) Wird die Entscheidung über den Antrag auf Bestätigung des Restrukturierungsplans nicht im Anhörungstermin oder im Erörterungs- und Abstimmungstermin verkündet, ist sie in einem alsbald zu bestimmenden besonderen Termin zu verkünden. (2) 1Wird der Restrukturierungsplan bestätigt, so ist den Planbetroffenen unter Hinweis auf die Bestätigung ein Abdruck des Plans oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts zuzusenden; für an dem Schuldner beteiligte Aktionäre oder Kommanditaktionäre gilt dies nicht. 2Börsennotierte Gesellschaften haben eine Zusammenfassung des wesentlichen Inhalts des Plans über ihre Internetseite zugänglich zu machen. 3Die Übersendung eines Abdrucks des Plans oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts nach Satz 1 kann unterbleiben, wenn der vor der Abstimmung übersendete Plan unverändert angenommen wurde. § 66 Sofortige Beschwerde (1) 1Gegen den Beschluss, durch den der Restrukturierungsplan bestätigt wird, steht jedem Planbetroffenen die sofortige Beschwerde zu. 2Dem Schuldner steht die sofortige Beschwerde zu, wenn die Bestätigung des Restrukturierungsplans abgelehnt worden ist. (2) Die sofortige Beschwerde gegen die Bestätigung des Restrukturierungsplans ist nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer 1.

dem Plan im Abstimmungsverfahren widersprochen hat (§ 64 Absatz 2),

2.

gegen den Plan gestimmt hat und

30

StaRUG

Gesetzestext

3.

glaubhaft macht, dass er durch den Plan wesentlich schlechter gestellt wird als er ohne den Plan stünde und dass dieser Nachteil nicht durch eine Zahlung aus den in § 64 Absatz 3 genannten Mitteln ausgeglichen werden kann.

(3) 1Absatz 2 Nummer 1 und 2 gilt nur, wenn im Einberufungsschreiben oder in der Ladung zum Termin auf die Notwendigkeit des Widerspruchs und der Ablehnung des Plans besonders hingewiesen wurde. 2Hat weder eine Versammlung der Planbetroffenen (§ 20) noch ein Erörterungs- und Abstimmungstermin (§ 45) stattgefunden, so gilt Absatz 2 Nummer 1 und 2 nur, wenn im Planangebot auf die Notwendigkeit des Widerspruchs und der Ablehnung des Plans besonders hingewiesen wurde. (4) Auf Antrag des Beschwerdeführers ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung der Beschwerde an, wenn der Vollzug des Restrukturierungsplans mit schwerwiegenden, insbesondere nicht rückgängig zu machenden Nachteilen für den Beschwerdeführer einhergeht, die außer Verhältnis zu den Vorteilen des sofortigen Planvollzugs stehen. (5) 1Das Beschwerdegericht weist die Beschwerde gegen die Bestätigung des Restrukturierungsplans auf Antrag des Schuldners unverzüglich zurück, wenn die alsbaldige Rechtskraft der Planbestätigung vorrangig erscheint, weil die Nachteile eines verzögerten Planvollzugs die Nachteile für den Beschwerdeführer überwiegen; ein Abhilfeverfahren findet nicht statt. 2Dies gilt nicht, wenn ein besonders schwerer Rechtsverstoß vorliegt. 3Weist das Beschwerdegericht die Beschwerde nach Satz 1 zurück, ist der Schuldner dem Beschwerdeführer zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der ihm durch den Planvollzug entsteht; die Rückgängigmachung der Wirkungen des Restrukturierungsplans kann nicht als Schadensersatz verlangt werden. 4Für Klagen, mit denen Schadensersatzansprüche nach Satz 3 geltend gemacht werden, ist das Landgericht ausschließlich zuständig, das die Beschwerde zurückgewiesen hat. Unterabschnitt 2 Wirkungen des bestätigten Plans; Überwachung der Planerfüllung § 67 Wirkungen des Restrukturierungsplans (1) 1Mit der Bestätigung des Restrukturierungsplans treten die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen ein. 2Dies gilt auch im Verhältnis zu Planbetroffenen, die gegen den Plan gestimmt haben oder die an der Abstimmung nicht teilgenommen haben, obgleich sie ordnungsgemäß an dem Abstimmungsverfahren beteiligt worden sind. (2) Handelt es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, wirkt eine Befreiung des Schuldners von Verbindlichkeiten auch zugunsten seiner persönlich haftenden Gesellschafter, sofern im Restrukturierungsplan nichts anderes bestimmt ist.*) _____________ *)

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 67 Abs. 2 die Wörter „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft.

31

StaRUG

Gesetzestext

(3) 1Die Rechte der Restrukturierungsgläubiger gegen Mitschuldner und Bürgen des Schuldners sowie die Rechte der Gläubiger an Gegenständen, die nicht zum Vermögen des Schuldners gehören, oder aus einer Vormerkung, die sich auf solche Gegenstände bezieht, werden mit Ausnahme der nach § 2 Absatz 4 gestalteten Rechte aus gruppeninternen Drittsicherheiten von dem Restrukturierungsplan nicht berührt. 2Der Schuldner wird jedoch durch den Plan gegenüber dem Mitschuldner, Bürgen oder sonstigen Rückgriffsberechtigten befreit wie gegenüber dem Gläubiger. (4) Ist ein Gläubiger weitergehend befriedigt worden, als er es nach dem Restrukturierungsplan zu beanspruchen hat, so begründet dies keine Pflicht zur Rückgewähr des Erlangten. (5) Werden Restrukturierungsforderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte an dem Schuldner umgewandelt, kann der Schuldner nach der gerichtlichen Bestätigung des Restrukturierungsplans keine Ansprüche wegen einer Überbewertung der Forderungen im Plan gegen die bisherigen Gläubiger geltend machen. (6) Mit der rechtskräftigen Bestätigung des Restrukturierungsplans gelten Mängel im Verfahren der Planabstimmung sowie Willensmängel von Planangebot und Planannahme als geheilt. § 68 Sonstige Wirkungen des Restrukturierungsplans (1) Wenn Rechte an Gegenständen begründet, geändert, übertragen oder aufgehoben oder Geschäftsanteile an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung abgetreten werden sollen, gelten die in den Restrukturierungsplan aufgenommenen Willenserklärungen der Planbetroffenen und des Schuldners als in der vorgeschriebenen Form abgegeben. (2) 1Die in den Restrukturierungsplan aufgenommenen Beschlüsse und sonstigen Willenserklärungen der Planbetroffenen und des Schuldners gelten als in der vorgeschriebenen Form abgegeben. 2Gesellschaftsrechtlich erforderliche Ladungen, Bekanntmachungen und sonstige Maßnahmen zur Vorbereitung von Beschlüssen der Planbetroffenen gelten als in der vorgeschriebenen Form bewirkt. (3) Entsprechendes gilt für die in den Restrukturierungsplan aufgenommenen Verpflichtungserklärungen, die einer Maßnahme nach Absatz 1 oder Absatz 2 zugrunde liegen. § 69 Wiederaufleben gestundeter oder erlassener Forderungen (1) 1Sind aufgrund des gestaltenden Teils des Restrukturierungsplans einbezogene Restrukturierungsforderungen gestundet oder teilweise erlassen worden, so wird die Stundung oder der Erlass für den Gläubiger hinfällig, gegenüber dem der Schuldner mit der Erfüllung des Plans erheblich in Rückstand gerät. 2Ein erheblicher Rückstand ist erst anzunehmen, wenn der Schuldner eine fällige Verbindlichkeit nicht bezahlt hat, obwohl der Gläubiger ihn schriftlich gemahnt und ihm dabei eine mindestens zweiwöchige Nachfrist gesetzt hat.

32

StaRUG

Gesetzestext

(2) Wird vor vollständiger Erfüllung des Restrukturierungsplans über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren eröffnet, so ist die Stundung oder der Erlass im Sinne des Absatzes 1 für alle Gläubiger hinfällig. (3) 1Im Restrukturierungsplan kann etwas von Absatz 1 oder 2 Abweichendes vorgesehen werden. 2Jedoch kann von Absatz 1 nicht zum Nachteil des Schuldners abgewichen werden. § 70 Streitige Forderungen und Ausfallforderungen (1) Streitige Restrukturierungsforderungen unterliegen der auf sie anwendbaren Regelung des Restrukturierungsplans in der Höhe, in der sie später festgestellt sind, nicht aber über den Betrag hinaus, der dem Plan zugrunde gelegt wurde. (2) 1Ist eine Restrukturierungsforderung im Abstimmungsverfahren bestritten worden oder steht die Höhe der Ausfallforderung des Inhabers einer Absonderungsanwartschaft noch nicht fest, so ist ein Rückstand mit der Erfüllung des Restrukturierungsplans im Sinne des § 69 Absatz 1 nicht anzunehmen, wenn der Schuldner die Forderung bis zur endgültigen Feststellung in der Höhe berücksichtigt, die der Entscheidung über das Stimmrecht bei der Abstimmung über den Plan entspricht. 2 Ist keine Entscheidung des Restrukturierungsgerichts über das Stimmrecht getroffen worden, so hat das Restrukturierungsgericht auf Antrag des Schuldners oder des Gläubigers nachträglich festzustellen, in welchem Ausmaß der Schuldner die Forderung vorläufig zu berücksichtigen hat. (3) 1Ergibt die endgültige Feststellung der Forderung, dass der Schuldner zu wenig gezahlt hat, so hat er das Fehlende nachzuzahlen. 2Ein erheblicher Rückstand mit der Erfüllung des Restrukturierungsplans ist erst anzunehmen, wenn der Schuldner das Fehlende nicht nachzahlt, obwohl der Gläubiger ihn schriftlich gemahnt und ihm dabei eine mindestens zweiwöchige Nachfrist gesetzt hat. (4) Ergibt die endgültige Feststellung der Forderung, dass der Schuldner zu viel gezahlt hat, so kann er den Mehrbetrag nur insoweit zurückfordern, als dieser auch den nicht fälligen Teil der Forderung übersteigt, die dem Gläubiger nach dem Restrukturierungsplan zusteht. § 71 Vollstreckung aus dem Restrukturierungsplan (1) 1Aus dem rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplan können die Restrukturierungsgläubiger, deren Forderungen im Bestätigungsbeschluss nicht als bestritten ausgewiesen sind, wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben. 2§ 202 der Insolvenzordnung gilt entsprechend. (2) Absatz 1 gilt auch für die Zwangsvollstreckung gegen einen Dritten, der durch eine dem Restrukturierungsgericht eingereichte schriftliche Erklärung für die Erfüllung des Plans neben dem Schuldner ohne Vorbehalt der Einrede der Vorausklage Verpflichtungen übernommen hat. (3) Macht ein Gläubiger die Rechte geltend, die ihm im Fall eines erheblichen Rückstands des Schuldners mit der Erfüllung des Plans zustehen, so hat er zur

33

StaRUG

Gesetzestext

Erteilung der Vollstreckungsklausel für diese Rechte und zur Durchführung der Vollstreckung die Mahnung und den Ablauf der Nachfrist glaubhaft zu machen, jedoch keinen weiteren Beweis für den Rückstand des Schuldners zu führen. (4) Bestand für die einer Planregelung unterliegende Forderung bereits ein vollstreckbarer Titel, tritt der rechtskräftig bestätigte Restrukturierungsplan an dessen Stelle; die weitere Vollstreckung aus dem früheren Titel ist insoweit unzulässig. § 72 Planüberwachung (1) Im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans kann vorgesehen werden, dass die Erfüllung der den Gläubigern nach dem gestaltenden Teil zustehenden Ansprüche überwacht wird. (2) Die Überwachung ist einem Restrukturierungsbeauftragten zu übertragen. (3) Stellt der Restrukturierungsbeauftragte fest, dass Ansprüche, deren Erfüllung überwacht wird, nicht erfüllt werden oder nicht erfüllt werden können, so hat er dies unverzüglich dem Restrukturierungsgericht und den Gläubigern anzuzeigen, denen nach dem gestaltenden Teil des Plans Ansprüche gegen den Schuldner zustehen. (4) Das Restrukturierungsgericht beschließt die Aufhebung der Überwachung, wenn 1.

die Ansprüche, deren Erfüllung überwacht wird, erfüllt sind oder wenn gewährleistet ist, dass sie erfüllt werden,

2.

seit dem Eintritt der Rechtskraft des Restrukturierungsplans drei Jahre verstrichen sind oder

3.

das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet oder die Eröffnung mangels Masse abgewiesen wird. Kapitel 3 Restrukturierungsbeauftragter Abschnitt 1 Bestellung von Amts wegen § 73 Bestellung von Amts wegen

(1) 1Das Restrukturierungsgericht bestellt einen Restrukturierungsbeauftragten, wenn 1.

im Rahmen der Restrukturierung die Rechte von Verbrauchern oder mittleren, kleinen oder Kleinstunternehmen berührt werden sollen, weil deren Forderungen oder Absonderungsanwartschaften durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen oder die Durchsetzung solcher Forderungen oder Absonderungsanwartschaften durch eine Stabilisierungsanordnung gesperrt werden soll,

2.

der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung beantragt, welche sich mit Ausnahme der nach § 4 ausgenommenen Forderungen gegen alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger richten soll,

34

StaRUG

Gesetzestext

3.

der Restrukturierungsplan eine Überwachung der Erfüllung der den Gläubigern zustehenden Ansprüche vorsieht (§ 72).

2 Das Gericht kann im Einzelfall von einer Bestellung absehen, wenn die Bestellung zur Wahrung der Rechte der Beteiligten nicht erforderlich oder offensichtlich unverhältnismäßig ist.

(2) 1Eine Bestellung erfolgt auch, wenn absehbar ist, dass das Restrukturierungsziel nur gegen den Willen von Inhabern von Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften erreichbar ist, ohne deren Zustimmung zum Restrukturierungsplan eine Planbestätigung allein unter den Voraussetzungen des § 26 möglich ist. 2Dies gilt nicht, wenn an der Restrukturierung allein Unternehmen des Finanzsektors als Planbetroffene beteiligt sind. 3Den Unternehmen des Finanzsektors stehen Planbetroffene gleich, die als Rechtsnachfolger in die von Unternehmen des Finanzsektors begründeten Forderungen eingetreten sind oder die mit Forderungen aus geld- oder kapitalmarktgehandelten Instrumenten betroffen werden. 4Den geld- und kapitalmarktgehandelten Instrumenten stehen nicht verbriefte Instrumente gleich, die zu gleichlautenden Bedingungen ausgegeben wurden. (3) Das Gericht kann einen Restrukturierungsbeauftragten bestellen, um Prüfungen als Sachverständiger vorzunehmen, insbesondere 1.

zu den Bestätigungsvoraussetzungen nach § 63 Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 und § 64 Absatz 1 oder

2.

zur Angemessenheit der Entschädigung bei einem Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten oder einer Beschränkung der Haftung von unbeschränkt haftenden Gesellschaftern. § 74 Bestellung

(1) Zum Restrukturierungsbeauftragten ist ein für den jeweiligen Einzelfall geeigneter, in Restrukturierungs- und Insolvenzsachen erfahrener Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt oder eine sonstige natürliche Person mit vergleichbarer Qualifikation zu bestellen, die von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängig ist und die aus dem Kreis aller zur Übernahme des Amtes bereiten Personen auszuwählen ist. (2) 1Das Restrukturierungsgericht berücksichtigt bei der Auswahl eines Restrukturierungsbeauftragten nach § 73 Absatz 1 und 2 Vorschläge des Schuldners, der Gläubiger und der an dem Schuldner beteiligten Personen. 2Hat der Schuldner die Bescheinigung eines in Restrukturierungs- und Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers, Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation vorgelegt, aus der sich ergibt, dass der Schuldner die Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 und 2 erfüllt, kann das Gericht vom Vorschlag des Schuldners nur dann abweichen, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich ungeeignet ist; dies ist zu begründen. 3Wenn Planbetroffene, auf welche in jeder der nach § 9 gebildeten oder zu bildenden Gruppen von Inhabern von Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften mehr als 25 Prozent des Stimmrechts entfallen oder voraussichtlich entfallen werden, einen gemeinschaftlichen 35

StaRUG

Gesetzestext

Vorschlag unterbreiten und wenn keine Bindung des Gerichts nach Satz 2 besteht, kann das Gericht vom gemeinsamen Vorschlag der Planbetroffenen nur dann abweichen, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich ungeeignet ist; dies ist zu begründen. (3) Folgt das Restrukturierungsgericht einem Vorschlag des Schuldners nach Absatz 2 Satz 2 oder der Planbetroffenen nach Absatz 2 Satz 3, kann es einen weiteren Restrukturierungsbeauftragten bestellen und diesem dessen Aufgaben übertragen; dies gilt nicht für die Aufgaben nach § 76 Absatz 2 Nummer 1 Halbsatz 1 und 2. § 75 Rechtsstellung (1) 1Der Restrukturierungsbeauftragte steht unter der Aufsicht des Restrukturierungsgerichts. 2Das Gericht kann jederzeit einzelne Auskünfte oder einen Bericht über den Sachstand verlangen. (2) 1Das Restrukturierungsgericht kann den Restrukturierungsbeauftragten aus wichtigem Grund aus dem Amt entlassen. 2Die Entlassung kann von Amts wegen oder auf Antrag des Restrukturierungsbeauftragten, des Schuldners oder eines Gläubigers erfolgen. 3Auf Antrag des Schuldners oder eines Gläubigers erfolgt die Entlassung nur, wenn der Beauftragte nicht unabhängig ist; dies ist von dem Antragsteller glaubhaft zu machen. 4Vor der Entscheidung ist der Restrukturierungsbeauftragte zu hören. (3) 1Gegen die Entlassung steht dem Beauftragten die sofortige Beschwerde zu. 2Gegen die Ablehnung des Antrags steht dem Antragsteller die sofortige Beschwerde zu. (4) 1Der Restrukturierungsbeauftragte erfüllt seine Aufgaben mit der gebotenen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit. 2Er nimmt seine Aufgaben unparteiisch wahr. 3 Verletzt er die ihm obliegenden Pflichten in schuldhafter Weise, ist er den Betroffenen zum Schadensersatz verpflichtet. 4Die Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des Schadens, der aus einer Pflichtverletzung des Restrukturierungsbeauftragten entstanden ist, richtet sich nach den Regelungen über die regelmäßige Verjährung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. 5Der Anspruch verjährt spätestens in drei Jahren nach der Beendigung der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache. 6Ist eine Planüberwachung angeordnet, tritt an die Stelle des Endes der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache der Abschluss der Planüberwachung. § 76 Aufgaben (1) Stellt der Restrukturierungsbeauftragte Umstände fest, die eine Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 rechtfertigen, hat er diese dem Restrukturierungsgericht unverzüglich mitzuteilen. (2) Liegen die Voraussetzungen von § 73 Absatz 1 Nummer 1 oder 2 oder Absatz 2 vor, 1.

36

steht dem Restrukturierungsbeauftragten die Entscheidung darüber zu, wie der Restrukturierungsplan zur Abstimmung gebracht wird; erfolgt die Abstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren, leitet der Beauftragte die Versammlung der Planbetroffenen und dokumentiert die Abstimmung; der Beauftragte prüft

Gesetzestext

StaRUG

die Forderungen, Absonderungsanwartschaften, gruppeninternen Drittsicherheiten und Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der Planbetroffenen; ist eine Restrukturierungsforderung, Absonderungsanwartschaft oder gruppeninterne Drittsicherheit oder ein Anteils- und Mitgliedschaftsrecht dem Grunde oder der Höhe nach streitig oder zweifelhaft, weist er die anderen Planbetroffenen darauf hin und wirkt auf eine Klärung des Stimmrechts im Wege einer Vorprüfung nach den §§ 47 und 48 hin, 2.

kann das Gericht dem Beauftragten die Befugnis übertragen, a) die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und dessen Geschäftsführung zu überwachen, b) von dem Schuldner zu verlangen, dass eingehende Gelder nur von dem Beauftragten entgegengenommen und Zahlungen nur von dem Beauftragten geleistet werden können,

3.

kann das Gericht dem Schuldner aufgeben, dem Beauftragten Zahlungen anzuzeigen und Zahlungen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs nur zu tätigen, wenn der Beauftragte zustimmt.

(3) Wird zugunsten des Schuldners eine Stabilisierungsanordnung erlassen, 1.

prüft der Beauftragte fortlaufend, ob die Anordnungsvoraussetzungen fortbestehen und ob ein Aufhebungsgrund vorliegt; zu diesem Zweck untersucht der Beauftragte die Verhältnisse des Schuldners;

2.

steht dem Beauftragten das Recht zu, die Gründe für die Aufhebung der Anordnung geltend zu machen.

(4) 1Legt der Schuldner einen Restrukturierungsplan zur Bestätigung vor, nimmt der Beauftragte Stellung zur Erklärung nach § 14 Absatz 1. 2Erfolgt die Bestellung des Beauftragten vor der Planabstimmung, ist die Stellungnahme den Planbetroffenen als weitere Anlage beizufügen. 3Der Bericht nach Satz 1 stellt auch die Zweifel am Bestehen oder an der Höhe einer Restrukturierungsforderung, einer Absonderungsanwartschaft, einer gruppeninternen Drittsicherheit oder eines Anteils- und Mitgliedschaftsrechts nach Absatz 2 Nummer 1 Halbsatz 4 oder einen diesbezüglichen Streit dar. (5) Der Schuldner ist verpflichtet, dem Beauftragten die erforderlichen Auskünfte zu erteilen, ihm Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere zu gewähren und ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. (6) 1Das Restrukturierungsgericht kann den Restrukturierungsbeauftragten beauftragen, die dem Gericht obliegenden Zustellungen durchzuführen. 2Zur Durchführung der Zustellung und zur Erfassung in den Akten kann der Beauftragte sich Dritter, insbesondere auch eigenen Personals, bedienen. 3Er hat die von ihm nach § 184 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung angefertigten Vermerke unverzüglich zu den Gerichtsakten zu reichen.

37

StaRUG

Gesetzestext

Abschnitt 2 Bestellung auf Antrag § 77 Antrag (1) 1Auf Antrag des Schuldners bestellt das Restrukturierungsgericht einen Restrukturierungsbeauftragten zur Förderung der Verhandlungen zwischen den Beteiligten (fakultativer Restrukturierungsbeauftragter). 2Gläubigern steht dieses Recht gemeinschaftlich zu, wenn auf sie mehr als 25 Prozent der Stimmrechte in einer Gruppe entfallen oder voraussichtlich entfallen werden und wenn sie sich zur gesamtschuldnerischen Übernahme der Kosten der Beauftragung verpflichten. (2) Der Antrag kann darauf gerichtet sein, dem Beauftragten zusätzlich eine oder mehrere Aufgaben nach § 76 zuzuweisen. § 78 Bestellung und Rechtsstellung (1) Auf die Bestellung des fakultativen Restrukturierungsbeauftragten findet § 74 Absatz 1 entsprechende Anwendung. (2) Wird von Gläubigern, die zusammen alle voraussichtlich in den Restrukturierungsplan einbezogenen Gruppen repräsentieren, ein Vorschlag zur Person des fakultativen Restrukturierungsbeauftragten gemacht, kann das Gericht von diesem nur dann abweichen, wenn die Person offensichtlich ungeeignet ist oder, falls der Beauftragte lediglich zum Zwecke der Förderung der Verhandlungen zwischen den Beteiligten bestellt werden soll, der Schuldner dem Vorschlag widerspricht; eine Abweichung ist zu begründen. (3) Auf die Rechtsstellung des fakultativen Restrukturierungsbeauftragten findet § 75 entsprechende Anwendung. § 79 Aufgaben Der fakultative Restrukturierungsbeauftragte unterstützt den Schuldner und die Gläubiger bei der Ausarbeitung und Aushandlung des Restrukturierungskonzepts und des auf ihm basierenden Plans. Abschnitt 3 Vergütung § 80 Vergütungsanspruch 1

Der Restrukturierungsbeauftragte hat nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen Anspruch auf Vergütung (Honorar und Auslagen). 2Vereinbarungen über die Vergütung sind nur dann wirksam, wenn die nachfolgenden Bestimmungen zum zulässigen Inhalt und zum Verfahren beachtet sind.

38

StaRUG

Gesetzestext

§ 81 Regelvergütung (1) Der Restrukturierungsbeauftragte erhält, soweit er persönlich tätig wird, ein Honorar auf der Grundlage angemessener Stundensätze. (2) Soweit der unterstützende Einsatz qualifizierter Mitarbeiter erforderlich ist, erhält der Restrukturierungsbeauftragte auch für deren Tätigkeit ein Honorar auf der Grundlage angemessener Stundensätze. (3) 1Bei der Bemessung der Stundensätze berücksichtigt das Restrukturierungsgericht die Unternehmensgröße, Art und Umfang der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners und die Qualifikation des Restrukturierungsbeauftragten sowie der qualifizierten Mitarbeiter. 2Im Regelfall beläuft sich der Stundensatz für die persönliche Tätigkeit des Restrukturierungsbeauftragten auf bis zu 350 Euro und für die Tätigkeit qualifizierter Mitarbeiter auf bis zu 200 Euro. (4) 1Mit der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten setzt das Restrukturierungsgericht die Stundensätze fest. 2Zugleich bestimmt es auf der Grundlage von Stundenbudgets, die dem voraussichtlichen Aufwand und der Qualifikation des Beauftragten und der qualifizierten Mitarbeiter angemessen Rechnung tragen, einen Höchstbetrag für das Honorar. 3Dazu hört das Restrukturierungsgericht die zu bestellende Person und diejenigen an, die die Auslagen nach Nummer 9017 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz schulden (Auslagenschuldner). (5) 1Die Bestellung eines fakultativen Restrukturierungsbeauftragten soll erst nach Zahlung der Gerichtsgebühr für die Bestellung nach Nummer 2513 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz und eines Vorschusses auf die Auslagen nach Nummer 9017 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz erfolgen. 2 Erfolgt eine Bestellung von Amts wegen, soll das Restrukturierungsgericht auch über jeden Antrag des Schuldners auf Inanspruchnahme eines Instruments des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens erst nach Zahlung der Gerichtsgebühr für die Bestellung nach Nummer 2513 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz und eines Vorschusses auf die Auslagen nach Nummer 9017 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz entscheiden. (6) 1Reichen die der Ermittlung des Höchstbetrags zugrunde gelegten Stundenbudgets für eine sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben und Befugnisse nicht aus, legt der Beauftragte Grund und Ausmaß des Erhöhungsbedarfs unverzüglich dem Restrukturierungsgericht dar. 2Das Restrukturierungsgericht hat in diesem Fall nach Anhörung der Auslagenschuldner unverzüglich über eine Anpassung der Budgets zu entscheiden. 3Absatz 5 gilt entsprechend. (7) Für den Ersatz der Auslagen gelten § 5 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und die §§ 6, 7 und 12 Absatz 1 Satz 2 Nummer 4 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes entsprechend. § 82 Festsetzung der Vergütung (1) Auf Antrag des Restrukturierungsbeauftragten setzt das Restrukturierungsgericht nach Beendigung des Amtes des Restrukturierungsbeauftragten die Vergütung durch Beschluss fest. 39

StaRUG

Gesetzestext

(2) 1Das Restrukturierungsgericht entscheidet bei der Festsetzung der Vergütung nach Absatz 1 auch darüber, wer in welchem Umfang die Auslagen nach Nummer 9017 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz zu tragen hat. 2Die Auslagen sind dem Schuldner aufzuerlegen. 3Abweichend von Satz 2 sind die Auslagen bei Bestellung eines fakultativen Restrukturierungsbeauftragten auf Antrag von Gläubigern den antragstellenden Gläubigern aufzuerlegen, soweit sie nicht für Tätigkeiten entstehen, die das Restrukturierungsgericht dem Restrukturierungsbeauftragten von Amts wegen oder auf Antrag des Schuldners übertragen hat. (3) Gegen die Festsetzung des Stundensatzes nach § 81 Absatz 4, gegen die Bestimmung oder Anpassung des Höchstbetrags nach § 81 Absatz 4 und 6 und gegen die Festsetzung der Vergütung steht dem Restrukturierungsbeauftragten und jedem Auslagenschuldner die sofortige Beschwerde zu. (4) Auf Antrag des Restrukturierungsbeauftragten ist ein angemessener Vorschuss auszuzahlen, wenn ihm erhebliche Auslagen entstanden sind oder voraussichtlich entstehen werden oder wenn die zu erwartende Vergütung für bereits erbrachte Arbeiten einen Betrag von 10 000 Euro übersteigt. § 83 Vergütung in besonderen Fällen (1) 1In besonderen Fällen können Stundensätze als Grundlage für das Honorar festgesetzt werden, welche die Höchstbeträge des § 81 Absatz 3 übersteigen, insbesondere, wenn 1.

alle voraussichtlichen Auslagenschuldner zustimmen,

2.

sich ansonsten keine geeignete Person zur Übernahme des Amtes bereit erklärt oder

3.

die dem Restrukturierungsbeauftragten übertragenen Aufgaben unter den besonderen Umständen der Restrukturierungssache den Aufgaben nahekommen, die einem Sachwalter in einem in Eigenverwaltung geführten Insolvenzverfahren übertragen sind, insbesondere, weil eine allgemeine Stabilisierungsanordnung ergeht oder weil in den Restrukturierungsplan mit Ausnahme der nach § 4 auszunehmenden Gläubiger alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger und an dem Schuldner beteiligten Personen einbezogen werden.

2

Im Fall des Satzes 1 Nummer 3 kommt auch eine Vergütung nach anderen Grundsätzen, insbesondere eine Bemessung auf Grundlage des Wertes der in den Restrukturierungsplan einbezogenen Forderungen gegen den Schuldner oder des Unternehmensvermögens in Betracht. (2) Wenn der Restrukturierungsbeauftragte auf Antrag und auf Vorschlag aller voraussichtlichen Auslagenschuldner bestellt wird und der Restrukturierungsbeauftragte und sämtliche Auslagenschuldner eine Vereinbarung über die Vergütung vorlegen, hat das Gericht diese Vereinbarung der Bemessung der Vergütung zugrunde zu legen, wenn die Vereinbarung nicht zu einer unangemessenen Vergütung führt.

40

StaRUG

Gesetzestext

Kapitel 41) Öffentliche Restrukturierungssachen § 84 Antrag und erste Entscheidung (1) 1In Verfahren über Restrukturierungssachen erfolgen öffentliche Bekanntmachungen nur, wenn der Schuldner dies beantragt. 2Der Antrag ist vor der ersten Entscheidung in der Restrukturierungssache zu stellen und kann nur bis zur ersten Entscheidung zurückgenommen werden. 3Auf den Antrag findet Artikel 102c § 5 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung entsprechende Anwendung. (2) 1Hat der Schuldner beantragt, dass in den Verfahren in der Restrukturierungssache öffentliche Bekanntmachungen erfolgen sollen, sind in der ersten Entscheidung, die in der Restrukturierungssache ergeht, anzugeben: 1.

die Gründe, auf denen die internationale Zuständigkeit des Gerichts beruht, sowie

2.

ob die Zuständigkeit auf Artikel 3 Absatz 1 oder Absatz 2 der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (ABl. L 141 vom 5.6.2015, S. 19; L 349 vom 21.12.2016, S. 6) in der jeweils geltenden Fassung beruht.

2 Öffentlich bekannt zu machen sind die in Artikel 24 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2015/848 genannten Angaben. 3Artikel 102c § 4 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung ist entsprechend anzuwenden.

§ 85 Besondere Bestimmungen (1) Öffentlich bekannt zu machen sind neben den in § 84 Absatz 2 Satz 2 genannten Angaben: 1.

Ort und Zeit gerichtlicher Termine,

2.

die Bestellung und Abberufung eines Restrukturierungsbeauftragten,

3.

sämtliche gerichtliche Entscheidungen, die in der Restrukturierungssache ergehen.

(2) 1Erfolgen öffentliche Bekanntmachungen nach Absatz 1, ist eine Zustellung von Ladungen zu Terminen gegenüber Aktionären, Kommanditaktionären und Inhabern von Schuldverschreibungen nicht erforderlich. 2Handelt es sich bei dem Schuldner um eine börsennotierte Aktiengesellschaft, findet § 121 Absatz 4a des Aktiengesetzes entsprechende Anwendung. § 86 Öffentliche Bekanntmachung; Verordnungsermächtigung (1) 1Die öffentliche Bekanntmachung erfolgt durch eine zentrale und länderübergreifende Veröffentlichung im Internet; diese kann auszugsweise geschehen. 2Die Bekanntmachung gilt als bewirkt, sobald nach dem Tag der Veröffentlichung zwei weitere Tage verstrichen sind. _____________ 1)

Die §§ 84 – 88 treten gemäß Art. 25 Abs. 3 Nr. 1 SanInsFoG am 17.7.2022 in Kraft.

41

StaRUG

Gesetzestext

(2) 1Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Einzelheiten der zentralen und länderübergreifenden Veröffentlichung im Internet zu regeln. 2Dabei sind insbesondere Löschungsfristen vorzusehen sowie Vorschriften, die sicherstellen, dass die Veröffentlichungen 1.

unversehrt, vollständig, sachlich richtig und aktuell bleiben,

2.

jederzeit ihrem Ursprung nach zugeordnet werden können.

(3) Die öffentliche Bekanntmachung genügt zum Nachweis der Zustellung an alle Beteiligten, auch wenn dieses Gesetz neben ihr eine besondere Zustellung vorschreibt. § 87 Restrukturierungsforum; Verordnungsermächtigung (1) Planbetroffene können im Restrukturierungsforum des Bundesanzeigers andere Planbetroffene auffordern, das Stimmrecht im Rahmen einer Planabstimmung in bestimmter Weise auszuüben, eine Stimmrechtsvollmacht zu erteilen oder einen Vorschlag zur Änderung des vorgelegten Restrukturierungsplans zu unterstützen. (2) Die Aufforderung hat die folgenden Angaben zu enthalten: 1.

den Namen und eine Anschrift des Planbetroffenen,

2.

den Schuldner,

3.

das Restrukturierungsgericht und das Aktenzeichen der Restrukturierungssache,

4.

den Vorschlag für die Stimmrechtsausübung, für die Stimmrechtsvollmacht oder zur Änderung des Plans und

5.

den Tag der Versammlung der Planbetroffenen oder des Fristablaufs zur Annahme des Planangebots.

(3) Die Aufforderung kann auf eine Begründung auf der Internetseite des Auffordernden und deren elektronische Adresse hinweisen. (4) Der Schuldner kann im Restrukturierungsforum des Bundesanzeigers auf eine Stellungnahme zu der Aufforderung auf seiner Internetseite hinweisen. (5) Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, die äußere Gestaltung des Restrukturierungsforums und weitere Einzelheiten insbesondere zu der Aufforderung, dem Hinweis, den Entgelten, zu Löschungsfristen, zum Löschungsanspruch, zu Missbrauchsfällen und zur Einsichtnahme zu regeln. § 88 Anwendbarkeit des Artikel s 102c des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung In öffentlichen Restrukturierungssachen ist Artikel 102c §§ 1, 2, 3 Absatz 1 und 3, die §§ 6, 15, 25 und 26 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung entsprechend anwendbar.

42

StaRUG

Gesetzestext

Kapitel 5 Anfechtungs- und Haftungsrecht § 89 Rechtshandlungen, die während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache vorgenommen werden (1) Die Annahme eines sittenwidrigen Beitrags zur Insolvenzverschleppung oder einer Rechtshandlung, die mit dem Vorsatz einer Benachteiligung der Gläubiger vorgenommen wurde, kann nicht allein darauf gestützt werden, dass ein an der Rechtshandlung Beteiligter Kenntnis davon hatte, dass die Restrukturierungssache rechtshängig war oder dass der Schuldner Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Anspruch nahm. (2) Hebt das Gericht nach einer Anzeige der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung die Restrukturierungssache nicht nach § 33 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 auf, so gilt Absatz 1 auch für die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. (3) 1Hat der Schuldner eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nach § 32 Absatz 3 angezeigt, so gilt bis zur Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 jede Zahlung im ordnungsgemäßen Geschäftsgang, insbesondere Zahlungen, die für die Fortführung der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit und die Vorbereitung und Umsetzung des angezeigten Restrukturierungsvorhabens erforderlich sind, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar. 2 Das gilt nicht für Zahlungen, die bis zu der absehbar zu erwartenden Entscheidung des Restrukturierungsgerichts zurückgehalten werden können, ohne dass damit Nachteile für eine Fortsetzung des Restrukturierungsvorhabens verbunden sind. § 90 Planfolgen und Planvollzug (1) Die Regelungen eines rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplans und Rechtshandlungen, die im Vollzug eines solchen Plans erfolgen, sind mit Ausnahme von Forderungen im Rang des § 39 Absatz 1 Nummer 5 der Insolvenzordnung und Sicherheitsleistungen, die nach § 135 der Insolvenzordnung oder § 6 des Anfechtungsgesetzes anfechtbar sind, bis zur nachhaltigen Restrukturierung einer Anfechtung nur zugänglich, wenn die Bestätigung auf der Grundlage unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Schuldners erfolgte und dem anderen Teil dies bekannt war. (2) Sieht der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans die Übertragung des gesamten schuldnerischen Vermögens oder wesentlicher Teile davon vor, gilt Absatz 1 nur, soweit sichergestellt wird, dass die Gläubiger, die nicht planbetroffen sind, sich gegenüber den Planbetroffenen vorrangig aus der dem Wert des Gegenstands der Übertragung angemessenen Gegenleistung befriedigen können. § 91 Berechnung von Fristen In die Fristen der §§ 3 bis 6a des Anfechtungsgesetzes sowie der §§ 88, 130 bis 136 der Insolvenzordnung wird die Zeit der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache nicht eingerechnet. 43

StaRUG

Gesetzestext

Kapitel 6 Arbeitnehmerbeteiligung; Gläubigerbeirat § 92 Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz Die Verpflichtungen des Schuldners gegenüber den Arbeitnehmervertretungsorganen und deren Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz bleiben von diesem Gesetz unberührt. § 93 Gläubigerbeirat (1) 1Sollen in einer Restrukturierungssache mit Ausnahme der in § 4 genannten Forderungen die Forderungen aller Gläubiger durch einen Restrukturierungsplan gestaltet werden, und weist die Restrukturierungssache gesamtverfahrensartige Züge auf, kann das Gericht einen Gläubigerbeirat einsetzen. 2§ 21 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1a der Insolvenzordnung gilt entsprechend. 3In dem Beirat können auch nicht planbetroffene Gläubiger vertreten sein. (2) Ist ein Gläubigerbeirat eingerichtet, tritt an die Stelle des gemeinschaftlichen Vorschlags der Planbetroffenen nach § 74 Absatz 2 Satz 3 der einstimmige Beschluss des Gläubigerbeirats. (3) 1Die Mitglieder des Beirats unterstützen und überwachen den Schuldner bei seiner Geschäftsführung. 2Der Schuldner zeigt dem Beirat die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens an. (4) 1Die Mitglieder des Gläubigerbeirates haben Anspruch auf Vergütung für ihre Tätigkeit und auf Erstattung angemessener Auslagen. 2Die Höhe der Vergütung richtet sich nach § 17 der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung.

Teil 3 Sanierungsmoderation § 94 Antrag (1) Auf Antrag eines restrukturierungsfähigen Schuldners bestellt das Gericht eine geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zum Sanierungsmoderator. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner offensichtlich zahlungsunfähig ist. Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder eine Person ohne Rechtspersönlichkeit, für deren Verbindlichkeiten keine natürliche Person als unmittelbarer oder mittelbarer Gesellschafter haftet, gilt Satz 2 auch bei einer offensichtlichen Überschuldung.*) (2) Im Antrag sind anzugeben: 1.

der Gegenstand des Unternehmens und

2.

die Art der wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten.

Dem Antrag sind ein Verzeichnis der Gläubiger und ein Verzeichnis des Vermögens sowie die Erklärung des Schuldners beizufügen, nicht zahlungsunfähig zu 44

StaRUG

Gesetzestext

sein. Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder eine Person ohne Rechtspersönlichkeit, für deren Verbindlichkeiten keine natürliche Person als unmittelbarer oder mittelbarer Gesellschafter haftet, hat sich die Erklärung auch darauf zu erstrecken, dass keine Überschuldung vorliegt.*) (3) Der Antrag ist an das für Restrukturierungssachen zuständige Gericht zu richten. § 95 Bestellung (1) Die Bestellung des Sanierungsmoderators erfolgt für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten. Auf Antrag des Moderators, welcher der Zustimmung des Schuldners und der in die Verhandlungen einbezogenen Gläubiger bedarf, kann der Bestellungszeitraum um bis zu drei weitere Monate verlängert werden. Wird innerhalb dieses Zeitraums die Bestätigung eines Sanierungsvergleichs nach § 97 beantragt, verlängert sich die Bestellung bis zur Entscheidung über die Bestätigung des Vergleichs. (2) Die Bestellung wird nicht öffentlich bekannt gemacht. § 96 Sanierungsmoderation (1) Der Sanierungsmoderator vermittelt zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern bei der Herbeiführung einer Lösung zur Überwindung der wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten. (2) Der Schuldner gewährt dem Moderator Einblick in seine Bücher und Geschäftsunterlagen und erteilt ihm die angeforderten zweckmäßigen Auskünfte. (3) Der Sanierungsmoderator erstattet dem Gericht über den Fortgang der Sanierungsmoderation monatlich schriftlich Bericht. Der Bericht enthält mindestens Angaben über 1.

die Art und Ursachen der wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten;

2.

den Kreis der in die Verhandlungen einbezogenen Gläubiger und sonstigen Beteiligten;

3.

den Gegenstand der Verhandlungen und

4.

das Ziel und den voraussichtlichen Fortgang der Verhandlungen.

(4) Der Sanierungsmoderator zeigt dem Gericht eine ihm bekannt gewordene Zahlungsunfähigkeit des Schuldners an. Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, bei der

_____________ *)

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 94 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 3 jeweils die Wörter „Person ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft.

45

StaRUG

Gesetzestext

kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, gilt dies auch für die Überschuldung des Schuldners. *) (5) Der Sanierungsmoderator steht unter der Aufsicht des Restrukturierungsgerichts. Das Restrukturierungsgericht kann den Sanierungsmoderator aus wichtigem Grund aus dem Amt entlassen. Vor der Entscheidung ist der Sanierungsmoderator zu hören. § 97 Bestätigung eines Sanierungsvergleichs (1) Ein Sanierungsvergleich, den der Schuldner mit seinen Gläubigern schließt und an dem sich auch Dritte beteiligen können, kann auf Antrag des Schuldners durch das Restrukturierungsgericht bestätigt werden. Die Bestätigung wird versagt, wenn das dem Vergleich zugrunde liegende Sanierungskonzept 1.

nicht schlüssig ist oder nicht von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht oder

2.

keine vernünftige Aussicht auf Erfolg hat.

(2) Der Sanierungsmoderator nimmt zu den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 schriftlich Stellung. (3) Ein nach Absatz 1 bestätigter Sanierungsvergleich ist nur unter den Voraussetzungen des § 90 anfechtbar. § 98 Vergütung (1) Der Sanierungsmoderator hat Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Diese bemisst sich nach dem Zeit- und Sachaufwand der mit der Sanierungsmoderation verbundenen Aufgaben. (2) Die §§ 80 bis 83 finden entsprechende Anwendung. § 99 Abberufung (1) Der Sanierungsmoderator wird abberufen: 1.

auf eigenen Antrag oder auf Antrag des Schuldners,

2.

von Amts wegen, wenn dem Restrukturierungsgericht durch den Moderator die Insolvenzreife des Schuldners angezeigt wurde.

(2) Wird der Moderator nach Absatz 1 Nummer 1 abberufen, bestellt das Gericht auf Antrag des Schuldners einen anderen Moderator. § 100 Übergang in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (1) Nimmt der Schuldner Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Anspruch, bleibt der Sanierungsmoderator im Amt, bis der Bestellungs_____________ *)

46

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 96 Abs. 4 die Wörter „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft.

StaRUG

Gesetzestext

zeitraum abläuft, er nach § 99 abberufen wird oder ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt wird. (2) Das Restrukturierungsgericht kann den Sanierungsmoderator zum Restrukturierungsbeauftragten bestellen.

Teil 4 Frühwarnsysteme § 101 Informationen zu Frühwarnsystemen Informationen über die Verfügbarkeit der von öffentlichen Stellen bereitgestellten Instrumentarien zur frühzeitigen Identifizierung von Krisen werden vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz unter seiner Internetadresse www.bmjv.bund.de bereitgestellt. § 102 Hinweis- und Warnpflichten Bei der Erstellung eines Jahresabschlusses für einen Mandanten haben Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte den Mandanten auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes nach den §§ 17 bis 19 der Insolvenzordnung und die sich daran anknüpfenden Pflichten der Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist. Anlage (zu § 5 Satz 2) Notwendige Angaben im Restrukturierungsplan Neben den sich aus den §§ 5 bis 15 ergebenden Angaben hat der Restrukturierungsplan mindestens die folgenden Angaben zu enthalten: 1.

Firma oder Namen und Vornamen, Geburtsdatum, Registergericht und Registernummer, unter der der Schuldner in das Handelsregister eingetragen ist, Geschäftszweig oder Beschäftigung, gewerbliche Niederlassungen oder Wohnung des Schuldners und bei mehreren Niederlassungen die Hauptniederlassung;

2.

die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Schuldners zum Zeitpunkt der Vorlage des Restrukturierungsplans, einschließlich einer Bewertung der Vermögenswerte, eine Beschreibung der wirtschaftlichen Situation des Schuldners und der Position der Arbeitnehmer sowie eine Beschreibung der Ursachen und des Umfangs der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners;

3.

die Planbetroffenen, die entweder namentlich zu benennen oder unter hinreichend konkreter Bezeichnung der Forderungen oder Rechte zu beschreiben sind;

4.

die Gruppen, in welche die Planbetroffenen für die Zwecke der Annahme des Restrukturierungsplans unterteilt wurden, und die auf deren Forderungen und Rechte entfallenden Stimmrechte; 47

StaRUG

Gesetzestext

5.

die Gläubiger, Inhaber von Absonderungsanwartschaften sowie Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten, die nicht in den Restrukturierungsplan einbezogen wurden, zusammen mit einer Erläuterung der Gründe für die unterbliebene Einbeziehung; eine Beschreibung unter Bezugnahme auf Kategorien gleichartiger Gläubiger, Inhaber von Absonderungsanwartschaften sowie Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten genügt, wenn dadurch die Überprüfung der sachgerechten Abgrenzung nach § 8 nicht erschwert wird;

6.

Name und Anschrift des Restrukturierungsbeauftragten, sofern ein solcher bestellt ist;

7.

die Auswirkungen des Restrukturierungsvorhabens auf die Beschäftigungsverhältnisse sowie Entlassungen und Kurzarbeiterregelungen und die Modalitäten der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertretung;

8.

sofern der Restrukturierungsplan eine neue Finanzierung (§ 12) vorsieht, die Gründe für die Erforderlichkeit dieser Finanzierung.

48

B. Kommentierung des StaRUG

Einleitung Morgen

Literatur: Blankenburg, Umsetzungsbedarf aufgrund des Entwurfs zur Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 241; Goetker/Schulz, Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren – Warum braucht die Praxis ein solches und wie könnte es aussehen?, ZIP 2016, 2095; Hölzle, Präventiver Restrukturierungsrahmen – Beitrag zu einer Verbesserung der Restrukturierungskultur in Europa und ergänzende Sanierungsoption oder „Schlachtbank“ für die Motive des ESUG?, ZIP 2017, 1307; Jacobi, EU-Restrukturierungsverfahren: Fortschritte in den Verhandlungen, Von der Schuldnerknechtschaft zur Schuldnerherrschaft, ZInsO 2018, 597; Jacoby, Das Präventive Restrukturierungsverfahren, ZInsO 2017, 1; Jacoby/ Madaus/Sack/Schmidt, H./Thole, ESUG-Evaluierung: Forschungsbericht zur Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vom 7.11.2011, RWS Verlag; Kayser, Eingriffe des Richtlinienvorschlags der Europäischen Union in das deutsche Vertrags-, Insolvenz- und Gesellschaftsrecht, ZIP 2017, 1393; Kübler, Neues Restrukturierungsrecht im Werden und seine Auswirkungen auf das Berufsbild des Insolvenzverwalters, ZIP 2016, S047; Madaus, Einstieg in die ESUG-Evaluation – Für einen konstruktiven Umgang mit den europäischen Ideen für einen präventiven Restrukturierungsrahmen, NZI 2017, 329; Morgen, Das StaRUG – Aufbau, Inhalte, erste Fragen und Einschätzungen – Lücken für die Praxis passend geschlossen?, INDat-Report 9/2020; Pape, Erste Überlegungen zu den möglichen Konsequenzen aus der ESUGEvaluierung, ZInsO 2018, 2725; Paulus, Die Gunst der Stunde – oder: der präventive Restrukturierungsrahmen, ZIP 2017, 910; Seibt/Bulgrin, Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetzes (StaRUG) – Kritische Analyse aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, DB 2020, 2226; Stohrer, Der Gläubigerschutz im präventiven Restrukturierungsrahmen, ZInsO 2018, 660; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Thole, Der Richtlinienvorschlag zum präventiven Restrukturierungsrahmen, ZIP 2017, 101; Würdinger, Fresh Start und zweite Chance für Unternehmer – kritische Anmerkungen zum Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission (COM[2016] 723 final), jM 2018, 90. Stellungnahmen der Institutionen/Verbände: BAKinso, Stellungnahme des Bundesarbeitskreises Insolvenzgerichte e. V. (BAKinso e. V.) zum Entwurf v. 22.11.2016 einer EURichtlinie zu vorbeugender Restrukturierung, Restschuldbefreiung und Effizienzsteigerung in Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren (COM [2016], 723 final), ZInsO 2017, 690 ff. (zit.: BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie); BAKinso, Stellungnahme zum Referentenentwurf v. 18.9.2020 eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 30.9.2020, (BAKinso, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 30.9.2020), abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/ 091820_Stellungnahme_BAKinso_RefE_Fortenwicklung_Insolvenzrecht.pdf?__blob= publicationFile&v=3; BDI, Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission COM (2016) 723 final für eine Richtlinie zu Unternehmensinsolvenzen, v. 15.3.2017, abrufbar unter www.bdi.eu/publikation/news; BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017 zum EU-Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 4/2017, ZIP 2017, 789; BRAK, Stellungnahme Nr. 61/2020 zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 10/2020 (zit.: BRAK, Stellungnahme Nr. 61/2020 z. RefE SanInsFoG, v. 10/2020), abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Stellungnahmen/2020/Downloads/100220_Stellungnahme_BRAK_RefE_Fortenwicklung_ Insolvenzrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=2; BStBK, Stellungnahme der Bundessteuerberaterkammer zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (BT-Drs. 19/24181) vom 20.11.2020 (zit.: BStBK, Stellungnahme z. RegE SanInsFoG, v. 20.11.2020), abrufbar unter https://www.bstbk.de/ downloads/bstbk/steuerrecht-und-rechnungslegung/fachinfos/BStBK-Stellungnahme_

Morgen

51

Einleitung Regierungsentwurf_Insovlenzrecht.pdf; Clearingstelle Mittelstand, Stellungnahme zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs- Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU (Reform des europäischen Insolvenzrechts für Unternehmen) (COM(2016) 723 final/BR-Drs. 1/17), v. 30.3.2017 (zit.: Clearingstelle Mittelstand, Stellungnahme z. Vorschlag für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 30.3.2017), abrufbar unter https://www.clearingstelle-mittelstand.de/fileadmin/public/ Redaktion/Dokumente/PDF/Abgeschlossene-Verfahren/2017/Stellungnahme-EU-RLInsolvenzrecht-30.3.2017.pdf; DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 durch den Ausschuss Insolvenzrecht in Zusammenarbeit mit der Europagruppe der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im DAV zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und der Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU vom 22.11.2016 (COM(2016) 723 final, v. 2/2017, (zit.: DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 2/2017), abrufbar unter https://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-17-17-zweite-chance-fuer-unternehmen-neuervorschlag-fuer-eu-richtlinie?file=files/anwaltverein.de/downloads/newsroom/stellungnahmen/2017/DAV-SN_InsO_17-2017.pdf; DGB, Positionierung zum Vorschlag der Kommission für eine „Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung von restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU“ sowie zu Überlegungen zur Einführung eines vorinsolvenzlichen Verfahrens, v. 27.2.2017 (zit.: DGB, Positionierung zum Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 27.2.2017), abrufbar unter https://www.dgb.de/downloadcenter/++co++ 902f3dd0-2cf8-11e8-bfa0-52540088cada; DIHK, BDI, BGA, ZDH, bdew und ZGV, Gemeinsame Stellungnahme zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), v. 2.10.2020 (zit.: DIHK/BDI/BGA/ ZDH/bdew/ZGV, Gemeinsame Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020), abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/ Downloads/100120_Stellungnahme_DIHK_BDI_BGA_ZDH_bdew_ZGV_RefE_Fortenwicklung_Insolvenzrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=4; DK, Stellungnahme Vorschlag der Europäischen Kommission zu präventiven Restrukturierungsverfahren COM (2016) 723 final vom 22. November 2016, v. 6.6.2017 (zit.: DK, Stellungnahme Vorschlag der Europäischen Kommission zu präventiven Restrukturierungsverfahren), abrufbar unter https://die-dk.de/media/files/2017-06-06-Stn-DK-praevent_Restrukturierung-DE.pdf; DK, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts, v. 2.10.2020 (zit.: DK, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020), abrufbar unter https://die-dk.de/themen/stellungnahmen/stellungnahmezum-referentenentwurf-eines-gesetzes-zur-fortentwicklung-des-sanierungs-und-insolvenzrechts/; DStV, Stellungnahme zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU (COM(2016) 723 final, v. 14.5.2018, ZInsO 2018, 1607 (zit.: DStV, Stellungnahme z. Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 14.5.2018); Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme zu den Regelungen der Europäischen Kommission vom 22. November 2016 über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 28.2.2017 (zit.: Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 28.2.2017), abrufbar unter https://www.gravenbrucher-kreis.de/2017/03/01/ gravenbrucher-kreis-reicht-stellungnahme-zum-richtlinienvorschlag-%C3 %BCber-pr% C3 %A4ventive-restrukturierung-bei-der-europ%C3 %A4ischen-kommission-ein/; Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs-

52

Morgen

Einleitung und Insolvenzrechts (Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 30.9.2020 (zit.: Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 30.9.2020), abrufbar unter https://www.gravenbrucher-kreis.de/2020/10/02/gravenbrucher-kreis-nimmt-stellungzum-referentenentwurf-eines-gesetzes-zur-fortentwicklung-des-sanierungs-und-insolvenrechts/; Niering (VID), Stellungnahme im Rahmen der Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 25.11.2020 zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) BTDrucksache 19/24181 vom 23.11.2020 (zit.: Niering (VID), Stellungnahme z. RegE SanInsFoG, v. 23.11.2020), abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/ 2020/11/Stellungnahme-v.-Dr.-Christoph-Niering-VID-zur-Sachverstaendigenanhoerungzum-RegE-des-SanInsFoG.pdf; NIVD, Stellungnahme zum Entwurf einer EU-Richtlinie zu vorbeugender Restrukturierung, Restschuldbefreiung und Effizienzsteigerung in Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren vom 22.11.2016, v. 2.12.2016 (zit.: NVID, Stellungnahme z. Entwurf einer EU-Richtlinie zu vorbeugender Restrukturierung, v. 2.12.2016), abrufbar unter https://www.rws-verlag.de/aktuell/newsticker-kanzleien/nivdstellungnahme-zum-entwurf-einer-eu-richtlinie-zu-vorbeugender-restrukturierungrestschuldbefreiung-und-effizienzsteigerung-in-restrukturierungs-51687/; NIVD, Ergänzende Stellungnahme zum Entwurf einer EU-Richtlinie zu vorbeugender Restrukturierung, Restschuldbefreiung und Effizienzsteigerung in Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren vom 22.11.2016, v. 27.2.2017(zit.: NVID, Ergänzende Stellungnahme z. Entwurf einer EU-Richtlinie zu vorbeugender Restrukturierung, v. 27.2.2017), abrufbar unter https://www.nivd.de/images/pdfs/2017/ergnzende-Stellungnahme-vorinsolvenzlichesRestrukturierungsverfahren.pdf; VID, Stellungnahme des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, v. 1.3.2017, (zit.: VID, Stellungnahme zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 12.3.2017), abrufbar unter https://www.vid.de/stellungnahmen/stellungnahme-des-vid-zumvorschlag-fuer-eine-richtlinie-des-europaeischen-parlaments-und-des-rates-ueber-praeventive-restrukturierungsrahmen-die-zweite-chance-und-massnahmen-zur-steigerung-dereffiz/; VID, Stellungnahme des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), v. 2.10.2020 (zit.: VID, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020), abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/2020/10/VID-Stellungnahme-zumRefE-SanInsFoG.pdf; TMA Deutschland, Stellungnahme zum Referentenentwurf v. 18.9.2020 eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), v. 2.10.2020 (zit.: TMA, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020), abrufbar unter https://www.tma-deutschland.org/presse-nf-leser/tma-stellungnahme-zumreferentenentwurf-v-18-9-2020-eines-gesetzes-zur-fortentwicklung-des-sanierungs-undinsolvenzrechts-sanier.html; Unternehmen NRW, Stellungnahme für das Clearingverfahren zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsmaßnahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU (Reform des europäischen Insolvenzrechts für Unternehmen), v. 14.3.2017 (zit.: Unternehmen NRW, Stellungnahme z. Vorschlag für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsmaßnahmen v. 14.3.2017), abrufbar unter https:// www.unternehmer.nrw/fileadmin/user_upload/Stellungnahmen/2016_17/2017-03-14_Stellungnahme_Insolvenzrecht.pdf. (Abrufdatum jeweils: 23.8.2021). Übersicht I. Ziele ....................................................... 1 II. Inhalte, Konzeption und Grenzen des StaRUG .......................................... 3 1. Inhalte und Aufbau ............................... 3

2. 3.

Konzeption ............................................ 8 Rechtfertigung für den Eingriff in Rechte von Gläubigern und Gesellschaftern .............................................. 14

Morgen

53

Einleitung 4.

Inhalte des StaRUG ............................ a) Krisenfrüherkennung und -management ................................ b) Restrukturierungsplan ................. c) Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens ........................................ d) Instrumente .................................. e) Der Restrukturierungsbeauftragte .................................... f) Öffentlichkeit .............................. g) Anfechtungsrecht ........................ h) Gläubigerbeirat ............................ i) Sanierungsmoderation ................. j) Frühwarnsysteme ......................... III. Entstehungsgeschichte ...................... 1. Entstehungsgeschichte der Richtlinie .............................................. a) Kompetenzgrundlagen für die EU ..................................... b) Verlauf des EU-Gesetzgebungsverfahrens ....................... c) Vorgaben der Richtlinie zur Umsetzung in nationales Recht ..... d) Diskussion der Richtlinie in Deutschland .............................

I. 1

19 19 21 37 40 45 51 52 54 55 56 57 58

2.

58 61 68

aa) Beschluss des Bundesrates vom 10.3.2017 .............................. 70 bb) Stellungnahme der Clearingstelle Mittelstand des Landes NRW bei IHK NRW vom 30.3.2017 ....................................... 74 cc) Stellungnahme der BRAK Nr. 21/2017 .................................. 81 dd) Stellungnahme des DAV Nr. 17/17 ...................................... 86 ee) Stellungnahme des VID ............... 92 ff) Stellungnahme des BAKinso ....... 98 gg) Stellungnahme des DGB ........... 107 hh) Stellungnahme des BDI ............. 111 ii) Stellungnahme der DK .............. 115 jj) Zusammenfassung der Stellungnahmen zur Richtlinie ........ 120 Gesetzgebungsverfahren zum StaRUG .............................................. 125 a) Referentenentwurf ..................... 125 aa) Inhalte ......................................... 126 bb) Stellungnahmen .......................... 134 b) Regierungsentwurf ..................... 141 aa) Inhalte ......................................... 142 bb) Stellungnahmen .......................... 143

69

Ziele

Das zum 1.1.2021 in Kraft getretene Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) verfolgt das Ziel, mit der Einführung des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG)1) die europäische Richtlinie über Restrukturierungsrahmen2) umzusetzen, mit den Änderungen der InsO die Erkenntnisse aus der Evaluation des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung und Fortentwicklung von Unternehmen umzusetzen und mit den Änderungen zum COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) temporäre Anpassungen des fortentwickelten Rechts zur Bewältigung der Krisenfolgen der COVID-19-Pandemie vorzunehmen. Außerdem sieht das SanInsFoG die Änderung einer Reihe anderer Gesetze und Verordnungen, namentlich des GVG, der ZPO, des ZVG, der InsVV, der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet (InsoBekV), des EGInsO, des Insolvenzstatistikgesetzes, des GKG, des RVG, des BGB, des HGB, des AktG, des GmbHG, des GenG, des _____________ 1)

2)

54

Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256 (= Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts [Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG], v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256). Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

Morgen

Einleitung SchuldVG, des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechtes der Industrie- und Handelskammern (IHKG), der GewO, der HwO, des PfandBG, des BetrAVG und des SGB III vor. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Folgeänderungen aufgrund der Einführung des StaRUG und den Änderungen der InsO, aber auch um darüberhinausgehende Anpassungen, wie bspw. die Änderung der InsVV. Mit dem StaRUG soll ein Rechtsrahmen geschaffen werden, der es Unternehmen ermöglicht, sich auf der Grundlage eines von den Gläubigern mehrheitlich angenommenen Restrukturierungsplans zu sanieren.3) Dadurch soll die Lücke zwischen der freien, vollkonsensualen Sanierung einerseits und der Sanierung im Insolvenzverfahren andererseits geschlossen werden.4) Schuldnern soll es ermöglicht werden, selbst über den Restrukturierungsplan zu verhandeln und diesen zur Abstimmung zu stellen. Der Restrukturierungsrahmen bietet dazu ein modulares System unterschiedlicher Instrumente als Verfahrenshilfe an (siehe unten Rz. 8).

2

II. Inhalte, Konzeption und Grenzen des StaRUG 1.

Inhalte und Aufbau

Das StaRUG gliedert sich in vier Teile. Teil 1 (§ 1) befasst sich mit der Krisenfrüherkennung und dem Krisenmanagement. Teil 2 (§§ 2 – 93) enthält als Kernstück des StaRUG die Regelungen zum Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen. Dieser in sechs Kapitel unterteilte Teil 2 enthält in Kapitel 1 (§§ 2 – 28) Regelungen zum Restrukturierungsplan, wobei insbesondere die Regelungen zum Inhalt des Plans, zur Gruppenbildung, den Stimmrechten und Mehrheiten und dem Minderheitenschutz strukturell (freilich mit Abweichungen hinsichtlich der Auswahl der Planbetroffenen und der erforderlichen Mehrheiten sowie der Möglichkeit, einer privatautonom organisierten Abstimmung über den Plan) sehr eng an das bestehende Insolvenzplanrecht angelehnt sind.

3

Teil 2 Kapitel 2 (§§ 29 – 72) regelt die sog. Restrukturierungs- und Stabilisierungsinstrumente. Kern ist die gerichtliche Planbestätigung nach §§ 60 – 72, welche dem nur mehrheitlich angenommenen Plan zur Wirksamkeit gegenüber überstimmten Gläubigern verhilft. Daneben regelt Teil 2 Kapitel 2 die Instrumente der gerichtlichen Planabstimmung (§§ 45, 46), der gerichtlichen Vorprüfung (§§ 47, 48) sowie der sog. Stabilisierungsanordnung (§§ 49 – 59), welche ein Vollstreckungs- und/oder Verwertungsverbot gegenüber einzelnen oder auch allen Gläubigern beinhalten kann.

4

Teil 2 Kapitel 3 (§§ 73 – 83) regelt die Voraussetzungen der Bestellung, die Aufgaben, die Haftung und die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten. Teil 2 Kapitel 4 (§§ 84 – 88) regelt die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Restrukturierungssache öffentlich bekannt gemacht wird, tritt allerdings erst am 17.7.2022 in Kraft. Teil 2 Kapitel 5 (§§ 89 – 91) beschäftigt sich mit der Privilegierung im Anfechtungs- und Haftungsrecht. Teil 2 Kapitel 6 (§§ 92, 93) enthält eine Klarstellung zur Arbeitnehmerbeteiligung sowie den erst in der finalen Fassung des StaRUG eingeführten Gläubigerbeirat.

5

_____________ 3) 4)

Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 1 unter B. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 1 unter B.; vgl. zu dieser Lücke m. w. N. Morgen in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Einl. Rz. 43 ff.

Morgen

55

Einleitung 6

Teil 3 (§§ 94 – 102) enthält Vorschriften zur sog. Sanierungsmoderation, welche die Einschaltung eines auf Antrag des Schuldners vom Gericht zu bestellenden Sanierungsmoderators zur Förderung der Verhandlungen bedeutet.

7

Teil 4 (§§ 101, 102) schließlich enthält Regelungen zu sog. Frühwarnsystemen, insbesondere eine gesetzliche Pflicht für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer etc., bei der Erstellung von Jahresabschlüssen ihre Mandanten auf etwaige Insolvenzgründe nach den §§ 17 – 19 InsO hinzuweisen. 2.

8

Konzeption

Das StaRUG enthält umfassende Regelungen zu einem neuen, vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren. Dadurch wird die Lücke im geltenden Recht zwischen der einvernehmlichen außergerichtlichen Sanierung und dem rechtsförmlichen Insolvenzverfahren, welches auch in Form der Eigenverwaltung oder des Schutzschirms zu einem das ganze Unternehmen erfassenden Insolvenzbeschlags führt, geschlossen. Das StaRUG bietet einen modularen „Instrumentenkasten“ unterschiedlicher Verfahrenshilfen, derer sich ein Unternehmen zur Umsetzung seines Sanierungsvorhabens bedienen kann. Die nach § 29 vorgesehenen, als „Instrumente“ bezeichneten Verfahrenshilfen sind –

die gerichtliche Planabstimmung,



die gerichtliche Vorprüfung,



die Stabilisierung und die



Planbestätigung.

9

Das StaRUG hat damit sowohl Elemente eines „Vertragshilfemodells“ als auch eines „Vergleichsverfahrensmodells“.5) Diese Instrumente kann der Schuldner, wenn nichts anderes geregelt ist, unabhängig voneinander in Anspruch nehmen (§ 29 Abs. 3). Das StaRUG eröffnet damit größtmögliche Flexibilität für die Gestaltung des Verfahrens und der einzusetzenden Instrumente durch den Schuldner und die Beteiligten. Dabei stärkt das StaRUG die Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten des Schuldners, da der Schuldner das Restrukturierungsvorhaben selbst betreibt und die Restrukturierungssache erst dann beim Restrukturierungsgericht anzeigen muss, wenn er eine der als Instrumente bezeichneten Verfahrenshilfen in Anspruch nehmen möchte.

10

Die modulare Konzeption ist eine der großen Stärken des StaRUG, denn sie ermöglicht es, passgenau und flexibel auf die Herausforderungen der Sanierung im Einzelfall zu reagieren. Nachteil ist jedoch, dass dieses modulare Konzept aufgrund der sich daraus ergebenden vielfältigen Optionen ein komplexes Regelwerk mit Ausnahmen und Rückausnahmen in insgesamt 102 Paragraphen erfordert.6) Die Komplexität steht dem Ziel der Gestaltung eines einfachen und kostengünstigen Verfahrens entgegen, denn es ist zu erwarten, dass die Regeln des StaRUG nicht _____________ 5) 6)

56

BAKinso, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 30.9.2020. Der BAKinso hält die Regelungstechnik in seiner Stellungnahme zum RefE gar für „strukturell sehr nachteilig“ und „intransparent und nicht überschaubar“. Er bezeichnet sie daher zugespitzt als „Ausnahmeritis“, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 30.9.2020.

Morgen

Einleitung ohne umfassende professionelle Hilfe angewendet werden können.7) Damit ist auch zu erwarten, dass tendenziell eher größere Unternehmen von den im StaRUG vorgesehenen Sanierungsmöglichkeiten Gebrauch machen werden. Der vorgenannte, modulare Instrumentenkasten ermöglicht nicht nur rein finanzwirtschaftliche Restrukturierungen mit Mehrheitsentscheidung. Vielmehr eröffnet das StaRUG die Möglichkeit, nach § 4 alle Arten (mit Ausnahme der in § 6 genannten) von Forderungen und nach § 10 Nr. 3 sämtliche Forderungen aller Gläubiger in den Restrukturierungsplan einzubeziehen. Die noch im RegE vorgesehene Möglichkeit der Vertragsbeendigung nach §§ 51 ff. RegE ist indes nicht in die finale Fassung des StaRUG aufgenommen worden.

11

Die Kontrolle des Schuldners durch einen unabhängigen Restrukturierungsbeauftragten ist dabei nur in den in § 73 genannten Fällen zwingend erforderlich.

12

Insgesamt geht der Entwurf deutlich über die Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie hinaus8) und entfernt sich weit von der um die Restrukturierungsrichtlinie geführten Diskussion in Deutschland. Im Rahmen dieser Diskussion wurde der ursprüngliche Richtlinienvorschlag der Kommission vom 22.11.2016 von vielen Institutionen und Verbänden als zu weitgehend zurückgewiesen und auf eine nur partielle Ergänzung des Insolvenzrechts zur Ermöglichung von Mehrheitsentscheidungen i. R. finanzwirtschaftlicher Restrukturierungen gedrungen (siehe zur Diskussion über die Umsetzung der Richtlinie unten Rz. 69 ff.). So hat bspw. der Bundesrat in seinem Beschluss vom 10.3.2017 zu dem Richtlinienvorschlag der Kommission kritisiert, dass die Möglichkeit eines allgemeinen Moratoriums zu weitgehend und ein solches auf Finanzgläubiger zu beschränken sei.9) Eine Überwachung des Schuldners sei immer erforderlich, wenn ein Moratorium angeordnet oder durch Mehrheitsentscheidungen in Gläubigerrechte eingegriffen werde (siehe unten Rz. 70 ff.). Auch eine Vielzahl von Verbänden, denen nicht der Vorhalt gemacht werden kann, im Interesse des Schutzes des Arbeitsaufkommens der Insolvenzverwalter auf einen nur begrenzten Anwendungsbereich der Richtlinie zu drängen, haben sich für eine Begrenzung auf finanzielle Restrukturierungen, zeitlich befristete Moratorien gegenüber nur einzelnen Gläubigern und eine angemessene Kontrolle durch einen Restrukturierungsbeauftragten stark gemacht (siehe unten Rz. 74 ff.).

13

3.

Rechtfertigung für den Eingriff in Rechte von Gläubigern und Gesellschaftern

Die Instrumente der gerichtlichen Bestätigung nicht einstimmig angenommener Restrukturierungspläne und der Stabilisierungsanordnung ermöglichen weitreichende Eingriffe in Eigentumspositionen Betroffener. Im Rahmen des Restrukturierungsplanes können vielfältige Regelungen zum Erlass oder der Stundung von Forderungen getroffen werden. Die Möglichkeit einer Vollstreckungs- und Verwertungssperre _____________ 7)

8) 9)

So auch VID, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 1: „Die Komplexität der dort vorgesehenen Regelungen und der Verfahren bestätigt die vielfach geäußerte Befürchtung, dass die Nutzung des Restrukturierungsrahmens – entgegen der (unrealistischen) Intention der Richtlinie – nur mit fachkundiger Beratung möglich sein wird, die für kleine Unternehmen kaum finanzierbar und organisierbar sein wird.“ So auch VID, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 1. Bundesrat, Beschluss zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, Ratsdok. 14875/16, BR-Drucks. 1/17 (B), v. 10.03.2017.

Morgen

57

14

Einleitung eröffnet die Möglichkeit, sogar auch nicht vom Plan betroffene Gläubiger zeitweise an der Durchsetzung ihrer Rechte zu hindern. Schließlich ermöglichen die Regelungen zu gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen die Verwässerung oder sogar Enteignung der Gesellschafter. 15

Nach der Gesetzesbegründung sind diese Eingriffe in geschützte Eigentumspositionen gerechtfertigt, da die drohende Zahlungsunfähigkeit als Eingangsvoraussetzung eine „immanente Gefährdung der Gläubigerinteressen“10) und eine „Gefährdung der Befriedigung der Gläubigeransprüche“11) bedeute. Diese Gläubigerinteressen gelte es zu schützen. Der Gesetzesentwurf stelle „keine Hinwendung zu einer primären oder vorrangigen Ausrichtung des Insolvenzrechtes auf den Erhalt von Unternehmen“12) dar. Vielmehr gehe es darum, ein Scheitern von im Interesse aller Beteiligten liegenden Sanierungen durch „eigensinniges Verhalten“13) einzelner zu verhindern. Ein Insolvenzverfahren stelle eine übermäßige Belastung dar, wenn es „im Kern allein darum geht, einen Teil der Gläubiger zu einem Sanierungsbeitrag zu bewegen.“14) Die Sanierung bleibe ein „Instrument zur Verwirklichung der auf die Befriedigung der Gläubiger gerichteten Ziele des Insolvenzrechtes“.15) Die „Gläubigerautonomie als tragendes Steuerungsprinzip“ komme weiterhin zum Tragen, um die „Marktkonformität der Verfahrensergebnisse“ abzusichern.16)

16

Den vorgenannten Gründen ist uneingeschränkt zuzustimmen, doch werfen diese einige Fragen auf: Wieso ist es nach dem StaRUG möglich, alle Gläubiger in einen Restrukturierungsplan einzubeziehen, ein allgemeines Vollstreckungsverbot und eine Verwertungssperre gegenüber allen (auch nicht vom Restrukturierungsplan betroffenen) Gläubigern anzuordnen, wenn es doch „im Kern allein darum geht, einen Teil der Gläubiger zu einem Sanierungsbeitrag zu bewegen“?17) Wieso soll die drohende Zahlungsunfähigkeit die „Befriedigung der Gläubigeransprüche“ gefährden und deshalb eine Enteignung der Gesellschafter rechtfertigen, sagt diese doch zunächst nichts anderes, als dass die rechtzeitige, nicht aber zwingend die vollständige Befriedigung der Gläubiger gefährdet ist?18) _____________ 10) 11) 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18)

58

Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, A. II. 1., S. 85 ff. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, A. II. 1., S. 85 ff. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, A. II. 1., S. 85 ff. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, A. I., S. 84. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, A. I., S. 84. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, A. II. 1., S. 85 ff. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, A. II. 1., S. 85 ff. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, A. I., S. 84 (Hervorhebung durch den Verf.). Dazu Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226 ff., die die Auffassung vertreten, dass die Anknüpfung an die drohende Zahlungsunfähigkeit „nicht nur im Hinblick auf die hierdurch verringerte Attraktivität des Restrukturierungsplans aus der Sicht von Anteilseignern“ problematisch sei, „sondern auch deshalb, weil zwangsweise Eingriffe in die Rechte der Anteilsinhaber im Lichte von Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 1 GG anders als im Falle der materiellen Insolvenz jedenfalls nicht damit gerechtfertigt werden können, dass den Anteilen kein Wert mehr zukomme.“ Vielmehr komme „den Anteilen im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit regelmäßig noch ein Wert zu, dessen vollkommener Ausgleich im Lichte von Art. 14 Abs. 1 GG geboten“ sei. Die Rechtfertigung für die zwangsweise Einbeziehung der Gesellschafter könne aber darin gesehen werden, „dass diese der Einleitung eines präventiven Restrukturierungsverfahrens durch qualifizierten Mehrheitsbeschluss zwingend zustimmen müssen.“

Morgen

Einleitung Wie die vorstehenden Fragen zeigen, trägt die Gesetzesbegründung die weitreichenden Rechtseingriffe des StaRUG nicht.19) Die Einführung der weitreichenden Instrumente des StaRUG dient offensichtlich auch dem zu begrüßenden Ziel des Erhalts sanierungsfähiger Unternehmen unter Wahrung berechtigter Gläubigerinteressen.20) Dieser Zweck hätte dann aber vom Gesetzgeber auch ausdrücklich benannt werden sollen, damit Gesetzesbegründung und der Inhalt der gesetzlichen Regelungen zusammenpassen.

17

Selbst mit dieser Zielsetzung ist jedoch nicht erklärt, warum die durch die drohende Zahlungsunfähigkeit indizierte Gefährdung von Gläubigerinteressen einen Eingriff in die Rechte der Gesellschafter bis hin zur Enteignung rechtfertigt. Für die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs müsste eigentlich eher auf die Vermögenspositionen des Unternehmens anstatt auf die Liquidität abgestellt werden, um zu ermitteln, ob der Gesellschafter tatsächlich „aus dem Geld ist“ und seine Anteile daher wirtschaftlich wertlos sind. Diese Vermögenskomponente ist zwar dadurch abgesichert, dass der Plan gegen den Willen der Gesellschafter nur dann vom Gericht bestätigt werden kann, wenn diese durch den Plan voraussichtlich nicht schlechtergestellt werden, als sie ohne Plan stünden.21) Diese Absicherung dürfte aber praktisch nicht zum Tragen kommen. In einem solchen Szenario wäre ein Eingriff in vorrangige Gläubigerrechte nämlich nicht möglich, denn diese müssten dann ja aufgrund der Regel des absoluten Vorrangs voll befriedigt werden. Rechtfertigung für den Eingriff in Gesellschafterrechte dürfte die vorrangige Finanzierungsverantwortung der Gesellschafter und die vorrangige Haftung des Eigenkapitals vor dem Fremdkapital sein. Außerdem rechtfertigen praktische Überlegungen diese Möglichkeit: Kein Fremdfinanzierer wäre bereit, durch eigene Beiträge die Sanierung zu ermöglichen und damit dem Gesellschafter zu einer werthaltigen Eigentümerstellung zu verhelfen, ohne dass der Gesellschafter diesen aufgrund des Vermögensverlustes der Gläubiger bei ihm eintretenden Vermögenszuwachs kompensiert. Trotz dieser Rechtfertigung ist es durchaus möglich, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Enteignung von Gesellschaftern allein aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit künftig das BVerfG beschäftigen wird.

18

4.

Inhalte des StaRUG

a) Krisenfrüherkennung und -management Unter dem Titel Krisenfrüherkennung und -management werden in § 1 Handlungspflichten des Managements zur fortlaufenden Überwachung bestandsgefährdender Entwicklungen geregelt. Die noch im RegE vorgesehenen weitergehenden Pflichten der Geschäftsleitung sind nicht ins StaRUG übernommen worden. _____________ 19) Dies beinhaltet ausdrücklich keine Aussage dazu, inwieweit die durch das StaRUG vorgesehenen Instrumente und Verfahrenshilfen sinnvoll und i. S. der Sanierung von Unternehmen wünschenswert sind. Dazu mehr unten i. R. der Darstellung der einzelnen Instrumente bei Rz. 40. 20) Dies deckt sich auch mit der Intention des Richtliniengebers, wonach die Richtlinie eine Sanierungskultur fördern und dabei nicht nur auf die reine finanzwirtschaftliche Sanierung größerer Unternehmen abzielen soll. 21) So Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2233.

Morgen

59

19

Einleitung 20

§ 1 verpflichtet die Mitglieder des geschäftsführenden Organs einer juristischen Person zur laufenden Überwachung bestandsgefährdender Risiken, zum Ergreifen geeigneter Gegenmaßnahmen und zur unverzüglichen Berichterstattung darüber gegenüber Überwachungsorganen (siehe dazu i. E. § 1). Berühren die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeit anderer Organe, wirken die Geschäftsleiter unverzüglich auf deren Beschlussfassung hin. § 1 enthält damit nichts Neues. Auch nach geltendem Recht sind die Geschäftsleiter zur laufenden Überwachung bestandsgefährdender Risiken (z. B. nach §§ 91 Abs. 2, 93 Abs. 1 Satz 2 AktG), zum Ergreifen geeigneter Gegenmaßnahmen (z. B. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG; § 43 Abs. 1 GmbHG) und zur Einbindung anderer Organe (z. B. § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 AktG; § 49 Abs. 3 GmbHG) verpflichtet.22) b) Restrukturierungsplan

21

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 können grundsätzlich alle Forderungen, die gegen den Schuldner begründet sind, im Restrukturierungsplan gestaltet werden. Diese Forderungen werden als Restrukturierungsforderungen bezeichnet. Ausgenommen sind lediglich die in § 4 genannten Forderungen der Arbeitnehmer aus oder im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen, einschließlich der Zusagen auf betriebliche Altersversorgung und Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen und Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO (siehe dazu i. E. § 4). Nach § 3 Abs. 1 sind auch bedingte oder noch nicht fällige Restrukturierungsforderungen gestaltbar. Forderungen aus gegenseitigen Verträgen sind nach § 3 Abs. 2 nur insoweit gestaltbar, als der andere Teil die ihm obliegende Leistung erbracht hat. Forderungen aus beiderseits noch nicht vollständig erfüllten Verträgen sollen nicht durch den Restrukturierungsplan gestaltbar sein (siehe dazu i. E. § 3).

22

Neben den Restrukturierungsforderungen können nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 die an Gegenständen bestehenden Rechte, die im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Absonderung berechtigen würden, gestaltet werden, ausgenommen bestimmter Finanzsicherheiten (siehe dazu i. E. § 2). Diese Absonderungsrechte werden als Absonderungsanwartschaften bezeichnet. Nicht durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden können Rechte, die im Falle der der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Aussonderung berechtigen würden. In Bezug auf solche Rechte ist lediglich die Beantragung der Anordnung einer zeitlich begrenzten Verwertungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 möglich. Schwierigkeiten können sich in der Praxis ergeben, wenn die Frage, ob künftig ein Ab- oder ein Aussonderungsrecht besteht, noch unklar ist.23)

23

Nach § 2 Abs. 2 sind auch vertragliche Nebenbestimmungen gestaltbar (siehe dazu i. E. § 2). Damit ist es insbesondere möglich, bei Konsortialkrediten vertragliche Nebenbestimmungen gegen den Willen von Akkordstörern anzupassen. Außerdem können nach § 2 Abs. 2 Satz 3 die Bedingungen von Vereinbarungen zwischen dem Schuldner und mehreren Inhabern von Restrukturierungsforderungen oder Absonde_____________ 22) Vgl. Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2229 f. 23) Vgl. Thole, ZIP 2020, 1985, 1988, der als Beispiel einen verlängerten Eigentumsvorbehalt mit Weiterveräußerungsermächtigung nennt, bei dem die Rechtsposition des Gläubigers davon abhängt, ob die Sache noch vorhanden ist.

60

Morgen

Einleitung rungsanwartschaften oder Vereinbarungen unter diesen Inhabern, welche die Durchsetzung und das relative Rangverhältnis betreffen, gestaltet werden. Damit sind insbesondere auch Anpassungen in den Bedingungen von Intercreditor Agreements möglich. Nach § 2 Abs. 3 können auch die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der an dem Schuldner beteiligten Personen gestaltet und sonstige gesellschaftsrechtliche Maßnahmen getroffen sowie Mitgliedschaftsrechte übertragen werden (siehe dazu i. E. § 2). Nach § 7 Abs. 4 können Forderungen in Anteils- und Mitgliedschaftsrechte umgewandelt werden (Debt Equity Swap).

24

Neu ist, dass nach § 2 Abs. 4 auch gruppeninterne Drittsicherheiten durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden können.24) Nach § 2 Abs. 4 ist der Eingriff durch eine angemessene Entschädigung zu kompensieren. Zur Prüfung der Angemessenheit der Entschädigung kann das Restrukturierungsgericht nach § 73 Abs. 3 Nr. 2 einen Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständigen bestellen.

25

Wie auch ein Insolvenzplan soll der Restrukturierungsplan in einen darstellenden und einen gestaltenden Teil gegliedert werden (§§ 6 und 7; siehe dazu i. E. auch dort). Ähnlich der Regelung in § 229 InsO bei Fortführungsplänen ist eine Unternehmensplanung beizufügen, aus der sich die Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und die Sicher- oder Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit ergibt (§ 14). Außerdem sind danach eine Übersicht der Vermögensverhältnisse bei Wirksamwerden des Plans und eine Liquiditätsplanung für den Zeitraum, währenddessen die Gläubiger befriedigt werden sollen, beizufügen.

26

Nach § 6 Abs. 2 wird im darstellenden Teil ausdrücklich eine Vergleichsrechnung gefordert (siehe zur Vergleichsrechnung § 6). In dieser sollen die Befriedigungsaussichten der Planbetroffenen mit den Befriedigungsaussichten ohne Plan verglichen werden. Wenn der Plan eine Fortführung vorsieht, sollen für das Szenario ohne Plan grundsätzlich Fortführungswerte angesetzt werden. Nur wenn ein Verkauf des Unternehmens aussichtslos oder eine anderweitige Fortführung ohne Umsetzung des Restrukturierungsplans aussichtslos ist, können Liquidationswerte angesetzt werden. Dies dürfte in der Praxis ein nur schwer begründbarer Ausnahmefall sein, denn die meisten Unternehmen, die eine Sanierung über den Restrukturierungsrahmen erreichen wollen, dürften – ggf. auch in einem Insolvenzverfahren – fortführungsfähig und damit verkäuflich sein.

27

Praktisch wird sicherlich die Frage spannend, wie der i. R. der Vergleichsrechnung zu ermittelnde Fortführungswert bestimmt wird. In Betracht kommt zum einen eine gutachterliche Ermittlung i. R. einer Unternehmensbewertung nach einem anerkannten Bewertungsverfahren. Zum anderen kann der Fortführungswert auch am Markt i. R. eines M&A-Prozesses ermittelt werden. Wie bereits heute im Insolvenzverfahren wird sich damit in der Praxis die Frage stellen, ob i. R. eines Restrukturierungsverfahrens nach dem StaRUG regelmäßig ein sog. „Dual-Track-Verfahren“ verfolgt werden sollte bzw. regelmäßig von Gläubigern gefordert werden. Im Rahmen

28

_____________ 24) § 254 Abs. 2 Satz 1 InsO wurde durch das SanInsFoG entsprechend angepasst; s. dazu i. E. die Kommentierung zu § 2.

Morgen

61

Einleitung von Insolvenzverfahren ist ein Dual-Track-Verfahren aufgrund der ausschließlichen Orientierung an Gläubigerinteressen zwar nicht zwingend, aber regelmäßig geboten und aufgrund der eingetretenen materiellen Insolvenz auch gegenüber den Gesellschaftern gerechtfertigt. Im Rahmen eines präventiven Restrukturierungsverfahrens sollte dies aber nicht zum Marktstandard werden. Anderenfalls könnten Gesellschafter und Geschäftsführer von der Inanspruchnahme des Restrukturierungsrahmens abgehalten und damit von Gesellschaftern unterstützte Sanierungen erschwert oder gar verhindert werden. 29

Anders als im zwingend alle Gläubiger erfassenden Insolvenzverfahren handelt es sich bei dem Restrukturierungsrahmen nicht um ein Gesamtverfahren. Deshalb muss sich der Schuldner zunächst fragen, welche Gläubiger überhaupt in den Restrukturierungsplan einbezogen werden sollen. Diese Auswahl ist von erheblicher Bedeutung, denn sie führt zu einer Ungleichbehandlung der Gläubiger: Diejenigen, die einbezogen werden, erleiden ggf. zwangsweise Rechtsverluste durch Gestaltungen im Restrukturierungsplan während diejenigen, die nicht einbezogen werden, weiterhin ihre volle Forderung geltend machen können. Trotz dieser Bedeutung enthält § 8 nur die Vorgabe, dass die Planbetroffenen nach sachgerechten Kriterien auszuwählen sind, wobei in Nr. 1 bis Nr. 3 der Versuch einer Konkretisierung dieses unbestimmten Tatbestandsmerkmals unternommen wurde (siehe dazu i. E. § 8).

30

Die Planbetroffenen sind in Pflichtgruppen nach § 9 Abs. 1 einzuteilen. Diese können nach § 9 Abs. 2 nach Maßgabe wirtschaftlicher Interessen in weitere, sachgerecht abgegrenzte Gruppen unterteilt werden (siehe dazu i. E. § 9). Dies entspricht im Wesentlichen der Regelung in § 222 InsO, wobei die Bildung einer Gruppe für Arbeitnehmer entsprechend § 222 Abs. 3 InsO nicht vorgesehen ist, da in deren Rechte gemäß § 4 nicht eingegriffen werden kann. Neu ist, dass die Inhaber von gruppeninternen Drittsicherheiten eine eigene Gruppe bilden, wenn durch den Restrukturierungsplan in deren Rechte eingegriffen wird, § 9 Abs. 1 Satz 3. Das ist sinnvoll, denn sie erhalten gemäß § 2 Abs. 2 eine angemessene Entschädigung, die ggf. aus einem anderen Topf, nämlich dem Vermögen der Tochtergesellschaft bedient wird. Entsprechend § 10 Abs. 1 sind die Planbetroffenen innerhalb einer Gruppe gleichzubehandeln.

31

Nach § 12 können neue Finanzierungen, die für die Finanzierung der Restrukturierung auf der Grundlage des Plans erforderlich sind, in den Restrukturierungsplan aufgenommen werden (siehe dazu i. E. § 12). Erfasst werden Darlehen oder sonstige Kredite, mithin auch Warenkredite oder Sachdarlehen. Außerdem wird auch ausdrücklich die Besicherung neuer Darlehen und sonstiger Kredite genannt. Die Einbeziehung hat zur Folge, dass diese neuen Finanzierungen den Anfechtungsschutz des § 89 Abs. 1 genießen. Da dadurch die Gefahr der Aushöhlung der künftigen Insolvenzmasse im Falle des Scheiterns der Sanierung besteht, zieht die Einbeziehung neuer Finanzierungen in den Restrukturierungsplan eine erweiterte Prüfungspflicht des Restrukturierungsgerichtes nach § 63 Abs. 2 nach sich. Das Gericht hat die Bestätigung zu versagen, wenn das Restrukturierungskonzept unschlüssig ist oder nicht von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht oder keine begründete Aussicht auf Erfolg hat. Dazu kann das Gericht einen Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständigen bestellen (§ 73 Abs. 3 Nr. 1). 62

Morgen

Einleitung Das StaRUG sieht verschiedene Möglichkeiten der Planabstimmung vor (siehe dazu i. E. unten §§ 17 – 30 und §§ 45 – 46). Zum einen kann die Abstimmung privatautonom durch den Schuldner nach den Vorschriften der §§ 19 – 30 durchgeführt werden, zum anderen im Wege der gerichtlichen Planabstimmung nach den §§ 45 und 46. Zur privatautonomen Abstimmung unterbreitet der Schuldner den Planbetroffenen nach § 17 Abs. 1 ein Angebot in Schriftform zur Annahme des Restrukturierungsplans. Eine Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim Restrukturierungsgericht muss dazu noch nicht erfolgen. Diese ist erst notwendig, wenn Instrumente in Anspruch genommen werden sollen. Zu beachten ist, dass eine gerichtliche Planbestätigung nach privatautonomer Durchführung der Planabstimmung nach § 63 Abs. 3 erfordert, dass dem Gericht die Dokumentation über das Abstimmungsergebnis sowie Unterlagen zum Nachweis, wie die Abstimmung durchgeführt wurde und zu welchem Ergebnis sie geführt hat, vorgelegt werden. Zweifel an der ordnungsgemäßen Annahme des Restrukturierungsplans gehen dabei zulasten des Schuldners (§ 63 Abs. 3). Aufgrund dieses Risikos i. R der Planbestätigung dürfte die privatautonome Durchführung der Planabstimmung praktisch vornehmlich dann angewandt werden, wenn im Wesentlichen eine überschaubare Anzahl von Finanzgläubigern mit klaren Stimmrechten in den Plan einbezogen werden. Werden hingegen eine Vielzahl von Gläubigern mit ggf. schwierigen Stimmrechtsfestsetzungen (z. B. Gläubiger mit Schadensersatzforderungen) in den Plan einbezogen, dürfte das privatautonome Verfahren eher nicht geeignet sein.

32

In Anlehnung an die insolvenzrechtlichen Regeln der InsO ist in § 24 geregelt, wie die Stimmrechte der planbetroffenen Gläubiger zu ermitteln sind (siehe dazu i. E. § 24). Sofern Unsicherheiten bei der Stimmrechtsfestsetzung bestehen, prüft das Restrukturierungsgericht diese auf Antrag des Schuldners i. R. der sog. gerichtlichen Vorprüfung nach den §§ 47 und 48.

33

Zur Annahme des Restrukturierungsplans ist nach § 25 Abs. 1 erforderlich, dass in jeder Gruppe eine 75 %ige Summenmehrheit erreicht wird (siehe dazu i. E. § 25). Eine Kopfmehrheit ist nicht erforderlich. Allerdings ist zu beachten, dass bei der Berechnung der Summenmehrheit nicht auf die Forderungen der abstimmenden Gruppenmitglieder abzustellen ist, sondern auf die Forderungen aller Gruppenmitglieder, auch wenn diese der Abstimmung fernbleiben.

34

Sofern nicht in allen, aber in der Mehrheit der abstimmenden Gruppen die nach § 25 erforderliche Mehrheit erreicht wurde, kann das Obstruktionsverbot der gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung nach § 26 greifen (sog. Cross-Class Cramdown), siehe dazu i. E. § 26. Die Zustimmung einer oder mehrerer Gruppen gilt danach als erteilt, wenn die Mitglieder der Gruppe nicht schlechterstehen, als sie ohne Plan stünden (§ 26 Abs. 1 Nr. 1), sie angemessen am Planwert beteiligt werden (§ 26 Abs. 1 Nr. 2) und eine Mehrheit der Gruppen zugestimmt hat (§ 26 Abs. 1 Nr. 3). Sofern ein Cross-Class Cram-down absehbar wird, hat das Restrukturierungsgericht frühzeitig einen Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen, es sei denn, an der Restrukturierung sind nur Unternehmen des Finanzsektors beteiligt (§ 73 Abs. 2, siehe dazu i. E. § 73).

35

Für die Frage, wann eine angemessene Beteiligung am Planwert i. S. des § 26 Abs. 1 Nr. 2 vorliegt, gilt gemäß § 28 die Regel der absoluten Priorität (siehe dazu i. E.

36

Morgen

63

Einleitung § 28). Eine Durchbrechung soll in den Ausnahmefällen des § 28 möglich sein, insbesondere, wenn die Mitwirkung des Schuldners oder der Anteilsinhaber infolge in seiner Person liegender Umstände unerlässlich ist, um den Planmehrwert zu verwirklichen. c) Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens 37

Voraussetzung für die Inanspruchnahme der oben genannten sog. Instrumente ist nach § 31 Abs. 1 die Anzeige der Restrukturierungssache gegenüber dem Restrukturierungsgericht unter Beifügung der in § 31 Abs. 2 genannten Unterlagen (siehe dazu i. E. § 31). Mit der Anzeige wird die Restrukturierungssache rechtshängig (§ 31 Abs. 3). Die Rechtshängigkeit hat nach § 42 zur Folge, dass die Insolvenzantragspflicht ruht (siehe i. E. § 42). Die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO wird durch eine entsprechende Anzeigepflicht gegenüber dem Restrukturierungsgericht ersetzt (§§ 32 Abs. 3, 42). Während der Rechtshängigkeit hat der Schuldner die Restrukturierungsache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers zu führen und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren (§ 32 Abs. 1; siehe dazu § 32). Eine weitere wesentliche Folge der Rechtshängigkeit ist, dass das Verbot von Lösungsklauseln nach § 44 greift (siehe i. E. § 44). Die Anzeige verliert nach § 31 Abs. 4 ihre Wirkung, wenn sie vom Schuldner zurückgenommen wird, die Entscheidung über die Planbestätigung rechtskräftig wird, das Gericht die Restrukturierungssache aufhebt oder seit der Anzeige mehr als sechs, bei vorheriger Erneuerung der Anzeige bis zu zwölf Monate vergangen sind (siehe dazu § 31). Eine Aufhebung hat nach § 33 Abs. 1 in den dort genannten Fällen von Amts wegen zu erfolgen (siehe dazu i. E. § 33). Das Gericht kann die Sache u. a. dann aufheben, wenn Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung angezeigt wurde (§ 33 Abs. 2). Von einer Aufhebung kann das Gericht jedoch in diesem Fall absehen, wenn die Erreichung des Restrukturierungsziels überwiegend wahrscheinlich ist. Ferner kommt eine Aufhebung in den weiteren in § 33 Abs. 2 genannten Fällen in Betracht.

38

Nach § 29 Abs. 1 stehen die Verfahrenshilfen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens zur nachhaltigen Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit zur Verfügung (siehe dazu § 29). Der Gesetzgeber ist damit der verbreiteten Empfehlung gefolgt, den Begriff der wahrscheinlichen Insolvenz aus der Restrukturierungsrichtlinie als drohende Zahlungsunfähigkeit zu definieren.25) Der Rahmen kann damit frühestens mit Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit i. S. des § 18 Abs. 2 der InsO in Anspruch genommen werden. Um eine klare Abgrenzung zwischen materieller Insolvenzreife und der Eingangsvoraussetzung zum Rahmen zu schaffen, sieht das SanInsFoG eine Änderung der Definition der drohenden Zahlungsunfähigkeit i. S. des § 18 Abs. 2 InsO und der Überschuldung i. S. des § 19 Abs. 2 InsO vor. Danach soll bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit künftig in der Regel ein 24-monatiger Prognosezeitraum und bei der Prüfung der Fortführungsprognose i. R. der Überschuldung ein zwölfmonatiger Prognosezeitraum zugrunde gelegt werden. _____________ 25) Vgl. dazu schon Siepmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 4 Rz. 34.

64

Morgen

Einleitung Neben den Zugangsvoraussetzungen der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der noch nicht eingetretenen Insolvenzreife sieht § 29 Abs. 1 vor, dass die Instrumente zur nachhaltigen Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit in Anspruch genommen werden können.

39

d) Instrumente Dem Schuldner stehen zur Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach Anzeige des Restrukturierungsvorhabens die in § 29 Abs. 1 genannten Instrumente zur Verfügung.

40

Die Planbestätigung stellt dabei das Kernstück der Instrumente dar, denn durch diese entfaltet der Restrukturierungsplan auch gegenüber den opponierenden Gläubigern Wirkung (§ 67 Abs. 1 Satz 1 und 2; siehe dazu i. E. § 67). In Bezug auf streitige Forderungen enthält § 70 Abs. 1 eine fragliche Regelung (siehe dazu i. E. § 70). Sie sollen den Planregelungen in der Höhe unterliegen, in der sie später festgestellt sind, allerdings nicht über den Betrag hinaus, der dem Plan zugrunde gelegt wurde. Hier werden offensichtlich Fragen der Stimmrechtsfestsetzung und der materiellen Planwirkungen vermischt. Voraussetzung für die Planbestätigung ist ein Antrag des Schuldners (§ 60 Abs. 1 Satz 1; siehe auch § 60). Wenn die Planabstimmung privatautonom erfolgt ist, hat das Restrukturierungsgericht die Betroffenen anzuhören (§ 61; siehe dazu i. E. dort). Die Bestätigung ist nach § 63 Abs. 1 zu versagen, wenn der Schuldner nicht drohend zahlungsunfähig ist, Vorschriften über Inhalt und Verfahren in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet und eine Heilung nicht möglich ist oder die Ansprüche der Planbetroffenen nach dem gestaltenden Teil offensichtlich nicht erfüllt werden können (siehe dazu i. E. § 63). Die Prüfung der Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Nr. 1 kann das Gericht nach § 73 Abs. 3 Nr. 1 vom Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständigen prüfen lassen (siehe dazu i. E. § 73).

41

Zweifel an der ordnungsgemäßen Abstimmung gehen bei einer privatautonomen Abstimmung zulasten des Schuldners (§ 70 Abs. 3). Zur Vermeidung dieser Unsicherheit kann der Schuldner die Instrumente der gerichtlichen Vorprüfung nach § 29 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. §§ 47 und 48 (siehe dazu § 47 und § 48) oder der gerichtlichen Planabstimmung nach § 29 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. §§ 45 und 46 (siehe dazu i. E. § 45 und § 46) in Anspruch nehmen.

42

Soweit dies zur Wahrung der Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels erforderlich ist, ordnet das Restrukturierungsgericht auf Antrag des Schuldners eine Vollstreckungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 und eine Verwertungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 an (siehe dazu i. E. § 49). Die Anordnung kann sich gegen einzelne Gläubiger, mehrere oder auch alle Gläubiger richten (§ 49 Abs. 2).

43

§ 54 Abs. 2 sieht nunmehr anders als noch der Referentenentwurf vor, dass die Erlöse aus dem Einzug zedierter Forderungen oder aus der Veräußerung oder Verarbeitung beweglicher Sachen an die Berechtigten auszukehren oder unterscheidbar zu verwahren sind, wenn an diesen Forderungen oder Sachen im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens Aus- oder Absonderungsrechte geltend gemacht werden könnten (siehe dazu § 54).

44

Morgen

65

Einleitung e) Der Restrukturierungsbeauftragte 45

Hinsichtlich des Restrukturierungsbeauftragten sieht das StaRUG –

die zwingende Bestellung von Amts wegen,



die fakultative Bestellung von Amts wegen und



die Bestellung auf Antrag des Schuldners vor.

46

Eine zwingende Bestellung von Amts wegen erfolgt nach § 73 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, wenn die Rechte von Verbrauchern oder mittleren, kleinen oder Kleinstunternehmen berührt werden, der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung gegen (nahezu) alle Gläubiger beantragt oder der Restrukturierungsplan die Planüberwachung vorsieht (siehe § 73). Das Gericht kann von der Bestellung absehen, wenn dies im Einzelfall nicht erforderlich oder offensichtlich unverhältnismäßig ist. Eine Bestellung erfolgt außerdem, wenn eine klassenübergreifende Mehrheitsentscheidung nach § 26 erforderlich sein wird, es sei denn, es sind nur Unternehmen des Finanzsektors betroffen (§ 73 Abs. 2). Schließlich kann das Gericht einen Restrukturierungsbeauftragten bestellen, um Prüfungshandlungen als Sachverständiger vorzunehmen.

47

Im Falle der Bestellung von Amts wegen ergeben sich die Aufgaben des Restrukturierungsbeauftragten aus § 76 (siehe dazu i. E. § 76). Er hat dem Gericht Umstände anzuzeigen, die eine Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 rechtfertigen (§ 76 Abs. 1). In den Fällen der Bestellung nach § 73 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 oder Abs. 2 kann das Gericht dem Restrukturierungsbeauftragten weitere in § 76 Abs. 2 genannte Befugnisse übertragen. Diese sind stark an die Pflichten und Aufgaben des Sachwalters angelehnt und reichen sogar soweit, dass das Gericht dem Restrukturierungsbeauftragten die Befugnis übertragen kann, die Kassenführung an sich zu ziehen. Nach § 76 Abs. 3 hat der Restrukturierungsbeauftragte die Voraussetzungen für Stabilisierungsanordnungen oder das Vorliegen von Aufhebungsgründen laufend zu prüfen. Er kann die Aufhebungsgründe geltend machen.

48

Der Restrukturierungsrahmen kann sich somit z. B. im Falle der Einbeziehung aller Gläubiger, der Anordnung gegenüber allen wirkender Stabilisierungsanordnungen und der Ausstattung des Restrukturierungsbeauftragten mit der Befugnis, die Kassenführung an sich zu ziehen sehr stark einem Eigenverwaltungsverfahren annähern.

49

Neben der Bestellung von Amts wegen, kann das Gericht den Restrukturierungsbeauftragten auf Antrag des Schuldners zur Förderung der Verhandlungen zwischen den Beteiligten bestellen (siehe dazu i. E. § 77). Dieses Antragsrecht steht auch Gläubigern zu, auf die 25 % der Stimmrechte in einer Gruppe entfallen, wenn sie sich zur gemeinschaftlichen Übernahme der Kosten verpflichten. Der Antrag kann auch darauf gerichtet sein, dem Beauftragten zusätzlich eine oder mehrere Aufgaben nach § 83 zuzuweisen. Bei der fakultativen Bestellung steht jedoch gemäß § 86 mehr die Unterstützung des Schuldners und der Gläubiger bei der Ausarbeitung des Plans als die Kontrolle im Vordergrund.

50

§§ 80 ff. regelt die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten (siehe dazu i. E. §§ 80 bis 83). Das StaRUG weicht dabei von den Regelungen zur Vergütung des Insolvenz- bzw. Sachwalters nach der InsO in zweierlei Hinsicht ab: Zum einen wird nicht nur der Anspruch dem Grunde nach geregelt und für die konkrete 66

Morgen

Einleitung Ausgestaltung eine Verordnungsermächtigung erteilt, sondern das StaRUG regelt die Vergütung abschließend selbst. Zum anderen wird die Vergütung in der Regel nach Stundensätzen bemessen. Schuldner der Vergütung ist die Staatskasse. f)

Öffentlichkeit

Die Vorschriften zur öffentlichen Bekanntmachung nach §§ 84 ff. treten erst zum 17.7.2022 in Kraft. Dennoch werden sie im vorliegenden Werk schon jetzt mitkommentiert, denn die Öffentlichkeit hat insbesondere für die Frage der internationalen Anerkennung erhebliche Bedeutung (siehe dazu i. E. §§ 84 – 88).

51

g) Anfechtungsrecht §§ 89 – 91 dienen der Reduzierung von Anfechtungs- und Haftungsrisiken (siehe dazu i. E. §§ 88 – 91). Nach § 89 kann die Annahme eines sittenwidrigen Beitrags zur Insolvenzverschleppung oder ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nicht allein darauf gestützt werden, dass ein an der Rechtshandlung Beteiligter Kenntnis davon hatte, dass die Restrukturierungssache rechtshängig war oder dass der Schuldner Instrumente in Anspruch nahm (§ 89 Abs. 1; siehe dazu auch § 89). Nach § 89 Abs. 2 gelten die Privilegien des § 89 Abs. 1 auch dann, wenn nach Rechtshängigkeit Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eintreten, dass Gericht aber von einer Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 absieht. Außerdem gelten in diesem Fall nach § 89 Abs. 3 alle Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar, sofern diese nicht bis zu einer Entscheidung des Restrukturierungsgerichts zurückgehalten werden können.

52

§ 90 privilegiert die Regelungen eines rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplans und die Rechtshandlungen beim Vollzug des Plans (siehe dazu i. E. auch § 90).

53

h) Gläubigerbeirat In § 93 ist – anders als noch im RegE – ein Gläubigerbeirat vorgesehen (siehe dazu i. E. § 93). Dieser kann vom Gericht eingesetzt werden, wenn das Verfahren „gesamtverfahrensartige Züge“ aufweist. Der Gläubigerbeirat soll – ähnlich wie der Gläubigerausschuss im Insolvenzverfahren – den Schuldner bei der Geschäftsführung unterstützen und überwachen. i)

Sanierungsmoderation

§§ 94 ff. sehen als weiteres Instrument die Sanierungsmoderation vor (siehe dazu i. E. bei §§ 94 – 100). Bei dieser kann auf Antrag des Schuldners vom Restrukturierungsgericht für die Dauer von drei Monaten ein Sanierungsmoderator bestellt werden, der zwischen dem Schuldner und den Gläubigern vermitteln soll. Im Rahmen der Sanierungsmoderation kann ein einstimmig angenommener Sanierungsplan vom Gericht bestätigt werden (§ 103 Abs. 1). Dies hat gemäß § 103 Abs. 1 zur Folge, dass der Sanierungsplan die Anfechtungsprivilegien des § 97 genießt. j)

54

55

Frühwarnsysteme

§§ 100, 101 schließlich enthalten Vorschriften zu Frühwarnsystemen und Hinweispflichten, insbesondere für Berater des Schuldners (siehe dazu i. E. §§ 100, 101). Morgen

67

56

Einleitung III. Entstehungsgeschichte 57

Die Einführung des StaRUG erfolgt unmittelbar in Umsetzung der „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2017/1132/EU (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz)“26), nachfolgend „Restrukturierungsrichtlinie“. Die Entstehungsgeschichte geht indes deutlich weiter zurück: 1.

Entstehungsgeschichte der Richtlinie

a) Kompetenzgrundlagen für die EU 58

Ausweislich der Einleitung der Richtlinie stützt sich die Richtlinie auf die Art. 5327) und 11428) des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).

59

Nach Art. 53 hat die EU Richtlinienkompetenz bei der Regelung der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und der Aufnahme selbständiger Tätigkeiten. Nach Art. 114 AEUV hat die EU Richtlinienkompetenzen zur Erreichung des in Art. 26 AEUV genannten Ziels eines einheitlichen Binnenmarktes. Die EU hat hingegen keine Kompetenz, im Bereich des materiellen Insolvenzrechts in das nationale Recht ihrer Mitgliedstaaten einzugreifen.29) Um den mit der Restrukturierungsrichtlinie verbundenen Eingriff in die nationalen Rechtsordnungen auf Art. 53 und Art. 114 AEUV stützen zu können, hat die Restrukturierungsrichtlinie das zuständigkeitsbegründende Ziel der Vereinheitlichung des Binnenmarktes durch Schaffung eines einheitlichen Sanierungsrechtes.30)

60

Ob eine derartige weite Auslegung der Binnenmarktrelevanz eine Zuständigkeit der EU für Eingriffe in materielles nationales Recht liefern kann, erscheint zumindest _____________ 26) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/ 18 v. 26.6.2019. 27) Art. 53 Abs. 1 AEUV: „Um die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten zu erleichtern, erlassen das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Richtlinien für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise sowie für die Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten.“ 28) Art. 114 Abs. 1 AEUV: „Soweit in den Verträgen nichts anderes bestimmt ist, gilt für die Verwirklichung der Ziele des Artikels 26 die nachstehende Regelung. Das Europäische Parlament und der Rat erlassen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses die Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben.“; Art. 26 Abs. 1 AEUV: „Die Union erlässt die erforderlichen Maßnahmen, um nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen der Verträge den Binnenmarkt zu verwirklichen beziehungsweise dessen Funktionieren zu gewährleisten.“ 29) Würdinger, jM 2018, 90, 92. 30) Kayser, ZIP 2017, 1393, 1395.

68

Morgen

Einleitung fraglich. Bei einer derart weiten Auslegung könnte man letztlich fast immer über die Definition von binnenmarktrelevanten Zielen eine Kompetenz über Art. 114 AEUV begründen. Damit bietet die weit verstandene Kapitalmarktunion ein besseres Mittel, als die engen Grenzen unterworfene Rechtsunion, um einen Eingriff der Europäischen Union in nationale Rechtsordnungen zu rechtfertigen.31) b) Verlauf des EU-Gesetzgebungsverfahrens Die Restrukturierungsrichtlinie geht auf eine Empfehlung der Kommission vom 12.3.2014 für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen32) zurück. In Deutschland wurde kurz zuvor im Jahr 2013 das sog. ESUG33) eingeführt, so dass der deutsche Gesetzgeber zunächst keine Veranlassung sah, sich mit der Empfehlung auseinanderzusetzen. So erläuterte der damalige Bundesminister der Justiz Heiko Maas in einer Rede auf dem 11. Deutschen Insolvenzrechtstags am 3.4.2014, eine Notwendigkeit die Empfehlung mit dem deutschen Recht abzugleichen bestehe nicht, da man in Deutschland mit dem ESUG bereits ein effektives Mittel zur frühzeitigen Unternehmenssanierung habe.34)

61

Auf europäischer Ebene wurde das Thema dennoch weiterverfolgt. Mit dem Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion der Kommission vom 30.9.2015 kündigte die Kommission einen Legislativentwurf für Ende Oktober 2016 an.

62

Die Kommission führte dann im Sommer 2016 ein „Konsultationsverfahren zu einem wirksamen Insolvenzrahmen der EU“ durch und lud die Mitgliedstaaten dazu ein, auf der Brüsseler Konferenz vom 12.7.2016 ihre Positionen darzulegen. Das deutsche BMJV hat Mindestanforderungen zum Anwendungsbereich vorbeugender Maßnahmen und im Bereich der Restschuldbefreiung für sinnvoll erachtet, eine Vereinheitlichung von Bereichen des Insolvenzrechts, die mit anderen Bereichen des Wirtschaftsrechts eng verwoben sind, wegen möglicher Wechselwirkungen aber skeptisch gesehen.35)

63

Die Kommission hat dann am 22.11.2016 einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU vorgelegt.

64

Der Richtlinienvorschlag wurde sodann im Rat und seinen vorbereitenden Dienststellen erörtert und für Stellungnahmen übersandt. Der Europäische Wirtschafts-

65

_____________ 31) Kayser, ZIP 2017, 1393, 1395. 32) Empfehlung der Kommission v. 12.3.2014 für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen, ABl. (EU) L 74/65 v. 14.3.2014. 33) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), v. 7.12.2011, BGBl. I 2012, 2582. 34) Kayser, ZIP 2017, 1393, 1394. 35) Kayser, ZIP 2017, 1393, 1395.

Morgen

69

Einleitung und Sozialausschuss hat am 29.3.201736), die Europäische Zentralbank am 7.6.201737) und der Europäische Ausschuss der Regionen am 12.7.201738) zu dem Kommissionsvorschlag Stellung genommen. 66

Von EU-Parlamentariern wurden insgesamt über 382 Änderungsvorschläge eingebracht, die in dem Bericht des Europäischen Parlaments vom 21.8.2018 (sog. „Niebler-Bericht“) mündeten.39) Am 1.10.2018 schließlich legte der Rat der Europäischen Union seine allgemeine Ausrichtung zum Richtlinienvorschlag der Kommission vor.40) Daraufhin haben informelle Trilog-Verhandlungen zwischen der Kommission, dem Rat und dem Parlament begonnen, die zu dem finalen Entwurf der Richtlinie vom 17.12.201841) geführt haben. Die Richtlinie wurde – abgesehen von redaktionellen und numerischen Änderungen – am 20.6.2019 in der Fassung vom 17.12.2018 verabschiedet.

67

Parallel zu dem europäischen Verfahren hat sich der Deutsche Bundesrat in seiner 954. Sitzung am 10.3.2017 mit dem Vorschlag der Kommission gemäß §§ 3 und 5

_____________ 36) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU“ (COM(2016) 723 final – 2016/0359 (COD)), v. 29.3.2017, abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX%3A52016AE6275 (Abrufdatum: 23.8.2021). 37) Stellungnahme der Europäischen Zentralbank v. 7.6.2017 zu einem Vorschlag des Europäischen Parlaments und des Rates für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/ 30/EU, ABl. (EU) C 236/2 v. 21.7.2017. 38) Stellungnahme des Europäischen Ausschusses der Regionen – Förderung von Start-upund Scale-up-Unternehmen in Europa: die regionale und lokale Perspektive v. 12.7.2017, ABl. (EU) C 342/43 v. 12.10.2017. 39) Europäisches Parlament, Bericht des Rechtsausschusses über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/ 30/EU (COM(2016)0723 – C8-0475/2016 [2016/0359(COD)), (A8-0269/2018), v. 21.8.2018 (Niebler-Bericht), abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-82018-0269_DE.pdf (Abrufdatum: 23.8.2021). 40) Rat der Europäischen Union, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, Allgemeine Ausrichtung v. 1.10.2018, abrufbar unter https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-12536-2018-INIT/de/pdf (Abrufdatum: 23.8.2021). 41) Council of the European Union, Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on preventive restructuring frameworks, second chance and measures to increase the efficiency of restructuring, insolvency and discharge procedures and amending Directive 2012/30, Confirmation of the final compromise text with a view to agreement v. 17.12.2018, abrufbar unter https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST15556-2018-INIT/en/pdf (Abrufdatum: 23.8.2021).

70

Morgen

Einleitung EUZBLG befasst und i. R. des politischen Dialogs mit der Kommission seinen Standpunkt durch Direktzuleitungsbeschlüsse an die Kommission übermittelt.42) c) Vorgaben der Richtlinie zur Umsetzung in nationales Recht Die Mitgliedstaaten hatten nach Art. 34 Abs. 1 der Restrukturierungsrichtlinie zwei Jahre Zeit, die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um der Richtlinie nachzukommen. Mit der Einführung des StaRUG zum 1.1.2021 hat Deutschland die Richtlinie im vorgegebenen Zeitrahmen vorzeitig umgesetzt.

68

d) Diskussion der Richtlinie in Deutschland Unmittelbar nach Veröffentlichung des Richtlinienvorschlags vom 22.11.2016 haben eine Vielzahl von Berufs- und sonstigen Interessenverbänden Stellungnahmen zum Richtlinienvorschlag eingereicht. In den Stellungnahmen spielen stets die Fragen des Zugangs zum Verfahren, den Voraussetzungen, der Dauer und dem Umfang eines Moratoriums, der Einbindung staatlicher Stellen und eines Restrukturierungsbeauftragten, der Möglichkeiten von Mehrheitsentscheidungen sowie die Privilegierungen von Neu-Finanzierungen und Sanierungsberatern eine zentrale Rolle, da die Beantwortung dieser Fragen maßgeblich für die Austarierung der verschiedenen Interessen der Beteiligten sind. Die Stellungnahmen43) verschiedener Kammern, Vereine und Verbände in Deutschland zeigen, dass ein präventives Restrukturierungsverfahren grundsätzlich begrüßt wurde, die im ursprünglichen Richtlinienvorschlag vorgesehene Ausgestaltung jedoch als deutlich zu schuldnerfreundlich eingestuft wurde.44) Nachfolgend werden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die Kernkritikpunkte der wichtigsten Gesetzgebungsorgane, Kammern, Vereine und Verbände dargestellt. Einige der Kritikpunkte sind bei der Überarbeitung und Finalisierung der Restrukturierungsrichtlinie bereits berücksichtigt worden. Für eine Vielzahl von Kritikpunkten eröffnet die Restrukturierungsrichtlinie dem nationalen Gesetzgeber einen weiten Umsetzungsspielraum, bei dessen Ausnutzung das nachfolgende Meinungsbild sicherlich zu berücksichtigen sein wird.

69

aa) Beschluss des Bundesrates vom 10.3.2017 Der Deutsche Bundesrat hat in seiner 954. Sitzung am 10.3.2017 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG zu dem Richtlinienvorschlag der Kommission vom 22.11.2016 kritisch Stellung genommen.

70

Er kritisierte, dass der nach dem Richtlinienvorschlag vorgesehene präventive Restrukturierungsrahmen zu einem „Paradigmenwechsel“ führen würde. Das deutsche Insolvenzrecht sorge derzeit für einen angemessenen Ausgleich zwischen Gläubigerund Schuldnerinteressen, während der Richtlinienvorschlag insbesondere die Schuldnerinteressen im Blick habe: Die Eingangsvoraussetzungen seien niedrig, die

71

_____________ 42) BRat, Beschluss v. 10.3.2017, BR-Drucks. 1/17 (Beschluss), abrufbar unter https:// www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2017/0001-0100/1-17(B).pdf;jsessionid= D1E59F6A74BF9BBD7B44596E27F0EA93.1_cid374?__blob=publicationFile&v=9 (Abrufdatum: 23.8.2021). 43) Die hier ausgewerteten sind oben im Verzeichnis genannt. 44) Jacobi, ZInsO 2018, 597, 597, spricht gar vom Übergang „von der Schuldnerknechtschaft zur Schuldnerherrschaft“.

Morgen

71

Einleitung dem Schuldner mit einem allgemeinen Moratorium, der Aussetzung von Insolvenzantragspflichten etc. zur Verfügung stehenden Mittel jedoch extrem scharf. 72

Es sei erforderlich, die Zugangsvoraussetzungen in Abgrenzung zur Insolvenz klar zu definieren. Als Zugangsvoraussetzung sei vom Schuldner eine Bescheinigung eines unabhängigen Experten vorzulegen, aus der hervorgeht, dass der Schuldner nicht zahlungsunfähig ist und dies in den kommenden sechs Monaten voraussichtlich auch nicht werde. Außerdem solle der Schuldner eine Grobplanung für die Sanierung vorlegen. Ein Moratorium solle nicht für alle Gläubiger gelten, sondern auf Finanzgläubiger beschränkt werden. Dieses müsse durch ein Gericht angeordnet werden, wobei eine Abwägung zwischen Schutzinteresse des Schuldners und Gläubigerinteressen stattzufinden habe. Dazu sollte der Schuldner glaubhaft machen, warum den Gläubigern das Moratorium zumutbar ist. Den Grundsatz der Eigenverwaltung begrüßte der Bundesrat, meinte jedoch, dass eine Überwachung des Schuldners nicht nur bei einem generellen Moratorium erforderlich sei, sondern immer dann, wenn durch ein begrenztes Moratorium oder Mehrheitsentscheidungen in Gläubigerrechte eingegriffen werden solle. Außerdem solle während eines Moratoriums ein Gläubigerausschuss eingesetzt werden, der wichtigen Geschäftsmaßnahmen außerhalb des üblichen Geschäftsgangs zustimmen müsse. Die Höchstdauer solle drei Monate betragen und nur in Ausnahmefällen verlängert werden. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sollte dann nicht greifen, wenn der Schuldner trotz des Moratoriums zahlungsunfähig wird.

73

Insgesamt lässt sich festhalten, dass nach der Auffassung des Bundesrates bei der Umsetzung der Richtlinie eine möglichst schonende Ergänzung des bestehenden Insolvenzrechtes gewählt werden sollte, in dem sich der präventive Restrukturierungsrahmen auf die Restrukturierung von Finanzverbindlichkeiten bei vollständiger weiterer Bedienung aller aus dem operativen Geschäftsbetrieb herrührenden Verbindlichkeiten beschränkt. Zum Zwecke der Verhandlungen über die finanzielle Restrukturierung sollte nur ein partielles, zeitlich begrenztes Moratorium möglich sein. Ferner sollte eine enge Überwachung des Schuldners durch einen Restrukturierungsbeauftragten erfolgen, die Regel des absoluten Vorrangs ggf. mit Anpassungen für unternehmergeprägte Unternehmen beibehalten werden und der Schutz von Neu-Finanzierungen nur in Anlehnung an die bisherige Rechtsprechung zu Sanierungs- und Überbrückungskrediten erfolgen. bb) Stellungnahme der Clearingstelle Mittelstand des Landes NRW bei IHK NRW vom 30.3.2017

74

Die Clearingstelle Mittelstand des Landes NRW bei der IHK NRW hat am 3.3.2017 eine Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag der Kommission abgegeben. In diese sind Stellungnahmen der Industrie- und Handelskammer in Nordrhein-Westfalen, eine gemeinsame Stellungnahme des Nordrhein-Westfälischen Handwerkstags und des Westdeutschen Handwerkskammertags, der Landesvereinigung der Unternehmensverbände und des Deutschen Gewerkschaftsbunds Bezirk Nordrhein-Westfalen eingeflossen. Die Stellungnahme bietet damit einen guten Überblick über die Positionen der mittelständischen Wirtschaft zum präventiven Restrukturierungsrahmen.

72

Morgen

Einleitung Einleitend wurde ausgeführt, dass „allen eingegangenen Stellungnahmen deutliche Bedenken hinsichtlich des vorliegenden EU-Richtlinienvorschlags zu entnehmen“ seien. Der Kommissionsvorschlag lasse einen fairen Interessenausgleich von Schuldner- und Gläubigerinteressen vermissen und fokussiere sich einseitig auf die Schuldnerinteressen. Dies vernachlässige, dass Unternehmen überwiegend als Gläubiger von Insolvenzen betroffen seien.

75

Die Zugangsvoraussetzungen müssten klar definiert werden. Aufgrund der Grundrechtsrelevanz sei eine angemessene gerichtliche Beteiligung sicherzustellen, welche auch die Rentabilität des Unternehmens als Eingangsprüfung bei Verfahrensbeginn umfassen sollte.

76

Der Grundsatz der Eigenverwaltung erfordere, dass das Management durch qualifizierte staatlich bestellte Personen überwacht werde, welche mit dem Sachwalter im deutschen Insolvenzrecht vergleichbare Kontroll- und Eingriffsbefugnisse haben müsse. Diese Kontrolle könne auch nicht durch Unternehmensberatungen ersetzt werden, da diese vom Schuldner beauftragt würden.

77

Die Aussetzung von Durchsetzungsmaßnahmen solle sich auf einzelne Gläubiger beschränken und der umfassenden gerichtlichen Prüfung unterliegen. Ein allgemeines Moratorium solle nicht vorgesehen werden, da in der Regel Insolvenzreife bestehe, wenn ein solches erforderlich ist. Eine generelle Befreiung von der Insolvenzantragspflicht sei abzulehnen. Eine Beschränkung der Vertragsanpassungsmöglichkeiten stelle einen unangemessenen Eingriff in die Privatautonomie dar und sei abzulehnen.

78

Die Annahme von Restrukturierungsplänen mit Mehrheitsentscheidungen sei in Ordnung, sofern ein angemessener und gerichtlich überwachter Minderheitenschutz erfolge. Bewertungsmaßstab für eine angemessene Beteiligung überstimmter Gläubiger müsse der Fortführungswert sein, wenn sich ein solcher durch Verkauf realisieren ließe.

79

Die Privilegierungen von Sanierungskreditgebern und Unternehmensberatern in Folgeinsolvenzen wurden kritisch gesehen, da sie zu einer Masseschmälerung in Folgeinsolvenzen führen könnten.

80

cc) Stellungnahme der BRAK Nr. 21/2017 Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) ist der Auffassung, dass Deutschland bereits über ein rechtlich ausgewogenes und in der Praxis gut funktionierendes Insolvenzrecht verfüge.45) Ein präventives Restrukturierungsverfahren sei nur dann sinnvoll, wenn es auf Unternehmen beschränkt wird, die es „verdienen“ und nur gegenüber klar definierten Gläubigergruppen wirke.46) Es solle auf Geldkreditgeber beschränkt werden.47) Das Verfahren solle eine Art Vertragshilfe darstellen, für Fälle, in denen eine konsensuale Sanierung an Akkordstörern scheitert.48) _____________ 45) BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017 z. EU-Richtlinienvorschlag turierungsrahmen, v. 4/2017, ZIP 2017, 789, 789. 46) BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017 z. EU-Richtlinienvorschlag turierungsrahmen, v. 4/2017, ZIP 2017, 789, 789. 47) BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017 z. EU-Richtlinienvorschlag turierungsrahmen, v. 4/2017, ZIP 2017, 789, 789. 48) BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017 z. EU-Richtlinienvorschlag turierungsrahmen, v. 4/2017, ZIP 2017, 789, 790.

Morgen

über präventive Restruküber präventive Restruküber präventive Restruküber präventive Restruk-

73

81

Einleitung 82

Das Verfahren solle nur liquiden Unternehmen, bei denen noch keine Insolvenz akut droht, offenstehen.49) Ein Restrukturierungsverwalter solle immer dann bestellt werden, wenn von einer Aussetzung der Vollziehung oder einem Restrukturierungsplan betroffene Gläubiger dies verlangen.50) Ein Moratorium gegenüber allen Gläubigern solle nicht möglich sein.51) Das Moratorium solle auf eine Dauer von höchstens einen Monat begrenzt sein und auf insgesamt maximal drei Monate verlängert werden können.52) Bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit solle die Insolvenzantragspflicht nicht suspendiert sein.53)

83

Vertragliche Leistungsverweigerungs- und Kündigungsrechte, die allein an die Aufnahme von Restrukturierungsverhandlungen anknüpften, sollten für die Dauer des Moratoriums ausgesetzt werden.54)

84

Mehrheitsentscheidungen sollten ein Quorum von mindestens 75 % erfordern. Die Regelungen zum klassenübergreifenden Cram-Down müssten präzisiert werden und sollten ein Quorum von mindestens 75 % der Gruppen und von mindestens 75 % der Stimmen innerhalb dieser Gruppen erfordern.55) Im Rahmen des Minderheitenschutzes sei bei der Bestimmung des Wertes an den Fortführungswert und nicht an den Liquidationswert anzuknüpfen.56)

85

Ein Eingriff in Gesellschafterrechte außerhalb einer Insolvenz sei abzulehnen.57) dd) Stellungnahme des DAV Nr. 17/17

86

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat im Februar 2017 zum Richtlinienvorschlag der Kommission Stellung genommen. Ein präventives Sanierungsverfahren ohne zwingende gerichtliche Beteiligung bei der Erarbeitung und ohne zwingende, jedoch freilich flexibler, Einsetzung eines unabhängigen Sanierungsexperten sei zu begrüßen.58) Der präventive Restrukturierungsrahmen solle der Restrukturierung

_____________ 49) BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017 z. EU-Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 4/2017, ZIP 2017, 789, 790. 50) BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017 z. EU-Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 4/2017, ZIP 2017, 789, 790. 51) BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017 z. EU-Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 4/2017, ZIP 2017, 789, 790. 52) BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017 z. EU-Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 4/2017, ZIP 2017, 789, 791. 53) BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017 z. EU-Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 4/2017, ZIP 2017, 789, 791. 54) BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017 z. EU-Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 4/2017, ZIP 2017, 789, 791. 55) BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017 z. EU-Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 4/2017, ZIP2017, 789, 791. 56) BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017 z. EU-Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 4/2017, ZIP 2017, 789, 792. 57) BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017 z. EU-Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 4/2017, ZIP 2017, 789, 792. 58) DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 2/2017, S. 4.

74

Morgen

Einleitung der Passivseite der Bilanz unter Einschluss der Kapitalstruktur und des Eigenkapitals dienen.59) Voraussetzung sei ein Abstandsgebot zur Insolvenz, welches dann erfüllt sei, wenn das Unternehmen bei Beantragung der Maßnahme nachweist, dass es über ein ausreichendes Working Capital für die kommenden sechs Monate verfügt und operativ ertragreich wirtschaftet.60) Erfolgversprechende Verhandlungen eines Restrukturierungsplans rechtfertigten per se, das von einer positiven Fortbestehensprognose ausgegangen werden dürfe.61)

87

Die Hinzuziehung eines Restrukturierungsexperten als Moderator sei im Einzelfall sinnvoll.62) Gerade in komplizierten Fällen könne dieser Vertrauen, Fairness und Transparenz aufbauen.63) Außerdem könne dieser die Aufgabe des Sachverständigen nach Art. 13 des Richtlinienentwurfs übernehmen.64)

88

Ein Moratorium solle nur gegenüber den betroffenen Gläubigern gelten.65) Die Dauer solle drei Monate betragen und insgesamt auf maximal vier Monate verlängert werden können.66)

89

Mehrheitsentscheidungen bei der Annahme von Restrukturierungsplänen sollten ein Quorum von 75 % je Klasse erfordern.67) Im Falle eines klassenübergreifenden Cram-down sollte eine Mehrheit der Gruppen erforderlich sein.68) Bei der Vergleichsrechnung sollte der Marktwert nach der jeweiligen Abwicklungsart und nicht grundsätzlich der Liquidationswert angesetzt werden.69)

90

Die Einbeziehung der Anteilseigner sei zu begrüßen und solle dann zulässig sein, wenn die Anteilseigner nicht weniger erhalten, als sie in einer Liquidation erhielten.70)

91

_____________ 59) DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive strukturierungsrahmen, v. 2/2017, S. 4. 60) DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive strukturierungsrahmen, v. 2/2017, S. 6. 61) DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive strukturierungsrahmen, v. 2/2017, S. 6. 62) DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive strukturierungsrahmen, v. 2/2017, S. 7 und S. 9. 63) DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive strukturierungsrahmen, v. 2/2017, S. 7. 64) DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive strukturierungsrahmen, v. 2/2017, S. 8; s. Art. 14 Abs. 2 Restrukturierungsrichtlinie. 65) DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive strukturierungsrahmen, v. 2/2017, S. 11 f. 66) DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive strukturierungsrahmen, v. 2/2017, S. 12. 67) DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive strukturierungsrahmen, v. 2/2017, S. 18. 68) DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive strukturierungsrahmen, v. 2/2017, S. 18. 69) DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive strukturierungsrahmen, v. 2/2017, S. 21. 70) DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive strukturierungsrahmen, v. 2/2017, S. 23.

Morgen

ReReReReReReReReReReReRe-

75

Einleitung ee) Stellungnahme des VID 92

Der Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) hat eine umfangreiche Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag der Kommission abgegeben. Zwar begrüße man den Vorschlag der Kommission, habe jedoch auch erhebliche Kritikpunkte.71)

93

Das Verfahren sollte auf Finanzgläubiger beschränkt werden.72) Der Zugang zum Verfahren sollte voraussetzen, dass noch keine Insolvenzgründe vorlägen und die Zahlungsfähigkeit des Schuldners noch für sechs Monate gewährleistet sei.73) Außerdem sollte der Schuldner als Eintrittsbedingung nachweisen, dass er seinen Buchhaltungs-, Bilanzierungs- und Steuerpflichten pünktlich und vollständig nachgekommen sei.74)

94

Ein Restrukturierungsverwalter sollte zwingend erforderlich sein, wenn ein Moratorium erforderlich ist oder wenn der Restrukturierungsplan im Wege eines klassenübergreifenden Cram-down angenommen werden muss.75) In anderen Fällen solle eine Bestellung möglich sein.76) Moratorien sollten auf maximal drei Monate begrenzt sein.77) Ein allgemeines Moratorium solle entweder gar nicht möglich sein oder allenfalls mit einer engen zeitlichen Befristung unter Aufsicht eines Restrukturierungsverwalters.78)

95

Die Aussetzung von Leistungsverweigerungsrechten von Lieferanten begegne schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken und erhöhe das Risiko von Folgeinsolvenzen in der Lieferkette.79) Die Sperre von Durchsetzungsmaßnahmen dürfe ausschließlich Kreditgläubiger betreffen.80)

96

Mehrheitsentscheidungen bei der Abstimmung über Restrukturierungspläne sollten mit klar definierten Quoren erfolgen, um einen europäischen Wettlauf um das schuldnerfreundlichste Verfahren zu verhindern.81) Ein klassenübergreifender Cram_____________ 71) VID, Stellungnahme zum Vorschlag für eine rungsrahmen, v. 12.3.2017, S. 1 f. 72) VID, Stellungnahme zum Vorschlag für eine rungsrahmen, v. 12.3.2017, S. 13 und S. 36. 73) VID, Stellungnahme zum Vorschlag für eine rungsrahmen, v. 12.3.2017, S. 16. 74) VID, Stellungnahme zum Vorschlag für eine rungsrahmen, v. 12.3.2017, S. 21. 75) VID, Stellungnahme zum Vorschlag für eine rungsrahmen, v. 12.3.2017, S. 23. 76) VID, Stellungnahme zum Vorschlag für eine rungsrahmen, v. 12.3.2017, S. 23. 77) VID, Stellungnahme zum Vorschlag für eine rungsrahmen, v. 12.3.2017, S. 24 f. 78) VID, Stellungnahme zum Vorschlag für eine rungsrahmen, v. 12.3.2017, S. 31. 79) VID, Stellungnahme zum Vorschlag für eine rungsrahmen, v. 12.3.2017, S. 32 f. 80) VID, Stellungnahme zum Vorschlag für eine rungsrahmen, v. 12.3.2017, S. 36. 81) VID, Stellungnahme zum Vorschlag für eine rungsrahmen, v. 12.3.2017, S. 44.

76

Morgen

Richtlinie über präventive RestrukturieRichtlinie über präventive RestrukturieRichtlinie über präventive RestrukturieRichtlinie über präventive RestrukturieRichtlinie über präventive RestrukturieRichtlinie über präventive RestrukturieRichtlinie über präventive RestrukturieRichtlinie über präventive RestrukturieRichtlinie über präventive RestrukturieRichtlinie über präventive RestrukturieRichtlinie über präventive Restrukturie-

Einleitung down sollte eine Mehrheit der Klassen erfordern.82) Zur Ermittlung von Vergleichswerten sollte die Ermittlung von Verkaufswerten durch sog. Dual-Track-Verfahren vorgeschrieben werden.83) Ein Eingriff in Rechte von Anteilseignern durch Restrukturierungspläne sei abzulehnen.84) Die nunmehr in Art. 17 und Art. 18 der Restrukturierungsrichtlinie vorgesehene Privilegierung von Restrukturierungsgläubigern solle nur bei ernsthaften Sanierungsversuchen entsprechend der Rechtsprechung des BGH und nur in dem bestehenden Umfang erfolgen.85)

97

ff) Stellungnahme des BAKinso Der Bundesarbeitskreis der Insolvenzgerichte (BAKinso) begrüßte grundsätzlich die Schaffung von Anreizen für eine frühzeitige Restrukturierung bzw. Sanierung von Firmen auf europäischer Ebene.86) Der BAKinso wies jedoch auch auf die Gefahren von negativen Auswirkungen auf die Akzeptanz und die nationalen deutschen insolvenzgesetzlichen Regelungen durch die Umsetzung der Richtlinie hin.87)

98

Zum Ziel der Richtlinie gehöre auch die Verbesserung der Insolvenzsysteme von Mitgliedstaaten, die keine sanierungsbezogenen Regeln kennen oder in denen solche wenig bis kaum entwickelt sind.88) Dies treffe auf das deutsche Insolvenzrecht, welches zu den international anerkannten und bestbewerteten Insolvenzordnungen gehöre, nicht zu.89) Durch die Umsetzung der Richtlinie bestünde die Gefahr, dass das umfassende System der deutschen Insolvenzregeln und die darin verankerten Kernprinzipien deutlich an Qualität verliere.90)

99

Darüber hinaus befürchtete der BAKinso eine Verzögerung der Restrukturierung und Sanierung durch eine zunehmende Beteiligung der Gerichte:91) „Je stärker, massiver, unkontrollierter und schuldnerbestimmter … die Eingriffsstruktur der gebotenen Möglichkeiten ausgestaltet wird, desto häufiger werden die Gerichte angerufen“.92) Aus diesem Grund solle das Restrukturierungsverfahren im nationalen Recht nur minimalinvasive Eingriffe in Gläubigerrechte zulassen und eine klare Regelung für einen allein vom Gericht einzusetzenden und zu überwachenden Restrukturierungsverwalter enthalten, sodass direkte gerichtliche verfahrensgestaltende

100

_____________ 82) VID, Stellungnahme zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 12.3.2017, S. 49. 83) VID, Stellungnahme zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 12.3.2017, S. 46. 84) VID, Stellungnahme zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 12.3.2017, S. 39. 85) VID, Stellungnahme zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 12.3.2017, S. 53. 86) BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 692. 87) BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 690. 88) BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 690. 89) BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 690. 90) BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 690. 91) BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 690. 92) BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 690 f.

Morgen

77

Einleitung Entscheidungen die Ausnahme darstellen.93) Das Verfahren nach dem Richtlinienvorschlag der Kommission erfülle die Attribute „schnell, kooperativ, leise und möglichst gerichtsfern“ allerdings nicht ansatzweise.94) Sofern eine derart gestaltete Restrukturierung nicht gelänge, sei das deutsche sanierende Insolvenzrecht als geeigneter Rechtsrahmen zu wählen.95) 101

Der BAKinso ist der Auffassung, dass eine nachhaltige Sanierung des betroffenen Unternehmens die Einbeziehung von operativen und leistungswirtschaftlichen Themen erfordert, mithin eine Begrenzung des Restrukturierungsverfahrens auf Finanzgläubiger wenig sinnvoll sei.96)

102

Ein Vollstreckungsmoratorium solle nicht gegenüber solchen Gläubigern möglich sein, die nicht in die Restrukturierungsverhandlungen einbezogen seien und würden.97) Bei der notwendigen antragsweisen Einschaltung des Gerichts müsse ferner die Möglichkeit der Implementierung eines Gläubigerausschusses gegeben sein.98) Die Suspendierung der Insolvenzantragspflicht widerspreche einer der Grundregeln des deutschen Insolvenz- und Gesellschaftsrechts und sei abzulehnen.99)

103

Die Deckelung der Zustimmungsquote zu einem Restrukturierungsplan auf höchstens 75 % fördere das Bedürfnis nach einem möglichst hohen Konsens zwischen den Beteiligten des Restrukturierungsverfahrens nicht.100)

104

Die im Planprüfungsverfahren geforderten gerichtlichen materiellen Prüfungen innerhalb kürzester Fristen wurden als nicht umsetzbar erachtet und sollen dem Restrukturierungsverwalter überantwortet werden.101) Der klassenübergreifende Cram-down stehe im Widerspruch zu deutschen insolvenzrechtlichen Plangrundsätzen und fördere wiederum die Anrufung des Restrukturierungsgerichts.102)

105

Der anfechtungsfreie Bereich von Leistungen und Transaktionen sei zu weiträumig und gestalte das Restrukturierungsverfahren zu einer gefährlichen Vorstufe einer Insolvenz, welches zukünftig zum Standardprogramm insolvenznaher Beratung herangezogen werden könnte.103)

106

Der BAKinso wies schließlich darauf hin, dass die Anforderungen an die Gerichte durch das künftige Restrukturierungsrecht die Spezialisierung von Richtern und Rechtspflegern erfordere und entsprechende Vorschriften zur Konzentration der Restrukturierungsgerichte und eindeutig geregelte Qualitätsanforderungen in das GVG zu implementieren seien.104) _____________ 93) 94) 95) 96) 97) 98) 99) 100) 101) 102) 103) 104)

78

BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 691. BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 691. BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 691. BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 691. BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 691. BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 691. BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 691. BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 691. BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 691. BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 691. BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 691. BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 692.

Morgen

Einleitung gg) Stellungnahme des DGB Der Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßte den Richtlinienvorschlag der Kommission in seiner Stellungnahme vom 27.2.2017 grundsätzlich, hob jedoch die sich aus gewerkschaftlicher und Arbeitnehmersicht ergebende Zwiespältigkeit hervor: Einerseits liege es im Interesse von Gewerkschaften, Arbeitnehmervertretungen und Beschäftigten ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren zu etablieren, um Unternehmen zu sanieren und Arbeitsplätze zu retten.105) Andererseits müsse den damit zusammenhängenden Beeinträchtigungen und Gefährdungen von Beschäftigteninteressen und Arbeitnehmeransprüchen von vornherein entschieden begegnet werden.106)

107

Vor diesem Hintergrund ist der DGB der Auffassung, dass durch ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren keine neuen gesetzlichen Eingriffe in Rechtspositionen und Interessen der Arbeitnehmer und ihrer Vertretungen bzw. Organisationen drohen dürften.107) Die Einbeziehung von Arbeitnehmerforderungen und -rechten in Restrukturierungspläne sei daher zwingend abzulehnen.108)

108

Auch seien neue rechtliche Privilegien und Prioritäten für Banken oder sonstige Finanzkreditgeber abzulehnen.109)

109

Darüber hinaus forderte der DGB im Fall von Interessenbeeinträchtigungen durch das Restrukturierungsverfahren eine ausreichende gerichtliche Kontrolle und Beteiligung eines insolvenzrechtlichen Kontrollorgans, wie z. B. einen vorläufigen Gläubigerausschuss mit Arbeitnehmervertretung.110)

110

hh) Stellungnahme des BDI Grundsätzlich befürwortete der Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI) den Richtlinienvorschlag der Kommission und die darin angelegte Harmonisierung der Regeln zu Restrukturierung und Insolvenz sowie die angestrebte Optimierung der Insolvenzverfahren in der EU.111) Aufgrund der weitreichenden europäischen Vernetzung verursachen gescheiterte Restrukturierungen und Folgeinsolvenzen von Vertragspartnern der deutschen Industrie jedes Jahr erhebliche finanzielle Schäden.112) _____________ 105) DGB, Positionierung zum Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 27.2.2017, S. 1. 106) DGB, Positionierung zum Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 27.2.2017, S. 1. 107) DGB, Positionierung zum Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 27.2.2017, S. 3. 108) DGB, Positionierung zum Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 27.2.2017, S. 3. 109) DGB, Positionierung zum Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 27.2.2017, S. 3. 110) DGB, Positionierung zum Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 27.2.2017, S. 3. 111) BDI, Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission COM (2016) 723 final für eine Richtlinie zu Unternehmensinsolvenzen, v. 15.3.2017, S. 1. 112) BDI, Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission COM (2016) 723 final für eine Richtlinie zu Unternehmensinsolvenzen, v. 15.3.2017, S. 1.

Morgen

79

111

Einleitung 112

Der BDI wies aber darauf hin, dass die Regelungen des Richtlinienvorschlags aus Sicht der deutschen Industrie nicht geeignet seien, die wesentliche Probleme, nämlich das Insolvenzverfahren zu spät eingeleitet würden und keine ausreichende Transparenz über die tatsächlichen Sanierungschancen eines Unternehmens bestünden, zu beheben.113) Darüber hinaus bestünden in den Mitgliedstaaten Regelungen zur Restrukturierung und Insolvenz, die in der Praxis nicht voll ausgeschöpft werden.114) Der Schutz der Interessen der Vertragspartner werde mit den schuldnerfreundlichen Regelungen des Richtlinienvorschlags ausgehöhlt.115) Insbesondere durch die Regelungen zur Durchsetzungssperre und der vorgesehenen Anfechtungsfestigkeit wird befürchtet, dass ein ausreichender Schutz von Gläubigerinteressen nicht gewährleistet werde.116)

113

Im Einzelnen bewertete der BDI insbesondere die Einführung von geeigneten Frühwarnsystemen in Art. 3 der Restrukturierungsrichtlinie positiv. Hierbei sei jedoch auf Transparenz für die Gläubiger und Kunden des Schuldners zu achten, welche durch entsprechende Offenlegungspflichten von relevanten Informationen erreicht werden könnte.117)

114

Im Hinblick auf den präventiven Restrukturierungsrahmen bewertete der BDI etliche Aspekte kritisch.118) Als Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Verfahrens sei zunächst eine gerichtliche bzw. behördliche Eingangsprüfung, die auch die Solvenz und Rentabilität des Unternehmens zum Gegenstand hat, erforderlich.119) Der BDI empfahl zudem das Eigenverwaltungsverfahren durch einen staatlich bestellten Sachwalter zu ergänzen oder alternativ eine erhöhte Transparenz und Kontrolle über die Einbeziehung von sonstigen Gremien zu erreichen.120) Die Aussetzung von Durchsetzungsmaßnahmen solle auf Einzelfälle, auf eine kurze Dauer und nicht bereits insolvenzreife Schuldner beschränkt werden.121) Ferner sei die Suspendierung von Insolvenzantragspflichten zu streichen und etwaige Vertragsanpassungen seien während der Aussetzung von Durchsetzungsmaßnahmen

_____________ 113) BDI, Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission COM final für eine Richtlinie zu Unternehmensinsolvenzen, v. 15.3.2017, S. 1. 114) BDI, Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission COM final für eine Richtlinie zu Unternehmensinsolvenzen, v. 15.3.2017, S. 2. 115) BDI, Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission COM final für eine Richtlinie zu Unternehmensinsolvenzen, v. 15.3.2017, S. 2. 116) BDI, Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission COM final für eine Richtlinie zu Unternehmensinsolvenzen, v. 15.3.2017, S. 2. 117) BDI, Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission COM final für eine Richtlinie zu Unternehmensinsolvenzen, v. 15.3.2017, S. 3. 118) BDI, Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission COM final für eine Richtlinie zu Unternehmensinsolvenzen, v. 15.3.2017, S. 4 ff. 119) BDI, Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission COM final für eine Richtlinie zu Unternehmensinsolvenzen, v. 15.3.2017, S. 5. 120) BDI, Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission COM final für eine Richtlinie zu Unternehmensinsolvenzen, v. 15.3.2017, S. 5. 121) BDI, Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission COM final für eine Richtlinie zu Unternehmensinsolvenzen, v. 15.3.2017, S. 7.

80

Morgen

(2016) 723 (2016) 723 (2016) 723 (2016) 723 (2016) 723 (2016) 723 (2016) 723 (2016) 723 (2016) 723

Einleitung nur eingeschränkt zu gewähren.122) Im Hinblick auf die Planannahme verlangte der BDI insbesondere die Streichung oder starke Einschränkung der Möglichkeit eines klassenübergreifenden Cram-down.123) Der im Zusammenhang mit der Restrukturierung gebotene Schutz für neue Finanzierungen, Zwischenfinanzierungen und sonstigen Transaktionen wurde als zu weitreichend erachtet und solle daher eingeschränkt werden.124) ii) Stellungnahme der DK Auch die in der Deutschen Kreditwirtschaft (DK) zusammengeschlossenen Spitzenverbände der Banken und Sparkassen stehen der im Richtlinienvorschlag der Kommission vorgesehenen EU-weiten Harmonisierung eines vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahrens für Unternehmen und dem Entschuldungsregelungen für Unternehmer kritisch gegenüber.125) Das Ziel, die Erleichterung und die Förderung der Restrukturierung und Sanierung von in wirtschaftlichen Schwierigkeiten geratenen Unternehmen sei zwar begrüßenswert, die Regelungen des Richtlinienentwurfs seien jedoch unausgewogen und gingen unangemessen zulasten der Gläubiger, insbesondere der gesicherten Gläubiger.126) Die DK wies auf eine Entwertung von Kreditsicherheiten und dadurch bedingte erhöhte Verlustquoten hin, wodurch sich der Druck auf das regulatorische Eigenkapital weiter erhöhen würde und die Kreditversorgung kleinerer und mittlerer Unternehmen beeinträchtigt werden könne.127) Im Wesentlichen erachtete es der DK als nicht sinnvoll, das Verfahren auf eine finanzielle Restrukturierung oder auf Finanzgläubiger zu beschränken, da dies die Sanierungschancen des Unternehmens erheblich verringern würde.128)

115

Hinsichtlich der Frühwarnsysteme nach Art. 3 sollten jedenfalls nicht die Gläubiger verpflichten werden, den Schuldner auf seine wirtschaftliche Lage hinzuweisen oder auf die Dringlichkeit von Handlungsbedarf aufmerksam zu machen.129)

116

Ein Restrukturierungsverfahren dürfe nur dann eingeleitet werden, wenn keine Insolvenzgründe vorliegen.130) Der Zugang zum Verfahren und ein damit verbundener Eingriff in Gläubigerrechte seien zudem von den Erfolgsaussichten der angestrebten Sanierung abhängig zu machen, welche von einem Gericht zu prüfen

117

_____________ 122) BDI, Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission COM (2016) 723 final für eine Richtlinie zu Unternehmensinsolvenzen, v. 15.3.2017, S. 7 f. 123) BDI, Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission COM (2016) 723 final für eine Richtlinie zu Unternehmensinsolvenzen, v. 15.3.2017, S. 10. 124) BDI, Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission COM (2016) 723 final für eine Richtlinie zu Unternehmensinsolvenzen, v. 15.3.2017, S. 11. 125) DK, Stellungnahme Vorschlag der Europäischen Kommission zu präventiven Restrukturierungsverfahren, S. 3. 126) DK, Stellungnahme Vorschlag der Europäischen Kommission zu präventiven Restrukturierungsverfahren, S. 3. 127) DK, Stellungnahme Vorschlag der Europäischen Kommission zu präventiven Restrukturierungsverfahren, S. 3. 128) DK, Stellungnahme Vorschlag der Europäischen Kommission zu präventiven Restrukturierungsverfahren, S. 3, 6. 129) DK, Stellungnahme Vorschlag der Europäischen Kommission zu präventiven Restrukturierungsverfahren, S. 5. 130) DK, Stellungnahme Vorschlag der Europäischen Kommission zu präventiven Restrukturierungsverfahren, S. 7.

Morgen

81

Einleitung seien.131) Auf die Möglichkeit, einen Sachwalter zu bestellen, solle zur Vereinfachung des Verfahrens und zur Erhöhung der Akzeptanz bei den Schuldnern gänzlich verzichtet werden.132) Die DK erachtete die Dauer des Moratoriums (insbesondere wegen des Widerspruchs zum Bankenaufsichtsrecht) als zu lang und forderte eine Beschränkung auf maximal vier Wochen.133) Zudem dürfe die Insolvenzantragspflicht auch während der Dauer des Moratoriums nicht ausgesetzt werden, um eine „legalisierte Insolvenzverschleppung“ zu verhindern.134) Außerdem sei die Begrenzung des Moratoriums auf Akkordstörer geboten.135) Schließlich solle sowohl das Gericht die Möglichkeit haben, ein Moratorium von Amts wegen aufzuheben, als auch die Gläubiger, das Restrukturierungsverfahren und damit auch die Wirkungen des Moratoriums jederzeit zu beenden.136) 118

Die vorgesehene Abstimmungsmehrheit bei gerichtlicher Bestätigung eines Restrukturierungsplans müsse auf mindestens 90 % der Summenmehrheit erhöht werden.137) Der klassenübergreifende Cram-down sei insgesamt abzulehnen und allenfalls zulasten der Gruppe von Gesellschaftern/Anteilseignern und gesellschafterähnlichen Gläubigern denkbar.138) Ein Eingriff in die Rechte obstruierender Gläubiger solle nur dann zulässig sein, wenn der Restrukturierungsplan keine Verschlechterung seiner am Fortführungswert – und nicht am Zerschlagungswert – bemessenen Interessen zur Folge habe.139) Die im Richtlinienvorschlag enthaltene Privilegierung von Sanierungsfinanzierungen in Folgeinsolvenzen sei auf Fälle zu beschränken, in denen der Schuldner zur Überzeugung der Gläubiger ein tragfähiges Geschäftsmodell vorweisen könne, um eine Entwertung von Altforderungen (insbesondere bereits gewährte Kredite) zu vermeiden.140)

119

Die vorgeschlagene Höchstfrist für die Restschuldbefreiung von drei Jahren wurde von der DK schließlich abgelehnt, da diese als zu kurz erachtet wird und vielmehr als Mindestdauer festgelegt werden solle.141) _____________ 131) DK, Stellungnahme Vorschlag rierungsverfahren, S. 3, 6. 132) DK, Stellungnahme Vorschlag rierungsverfahren, S. 7. 133) DK, Stellungnahme Vorschlag rierungsverfahren, S. 3, 12. 134) DK, Stellungnahme Vorschlag rierungsverfahren, S. 3, 12. 135) DK, Stellungnahme Vorschlag rierungsverfahren, S. 3, 13. 136) DK, Stellungnahme Vorschlag rierungsverfahren, S. 3, 14. 137) DK, Stellungnahme Vorschlag rierungsverfahren, S. 3, 15 f. 138) DK, Stellungnahme Vorschlag rierungsverfahren, S. 3 f., 16 f. 139) DK, Stellungnahme Vorschlag rierungsverfahren, S. 4, 17. 140) DK, Stellungnahme Vorschlag rierungsverfahren, S. 4, 17. 141) DK, Stellungnahme Vorschlag rierungsverfahren, S. 4, 19.

82

der Europäischen Kommission zu präventiven Restruktuder Europäischen Kommission zu präventiven Restruktuder Europäischen Kommission zu präventiven Restruktuder Europäischen Kommission zu präventiven Restruktuder Europäischen Kommission zu präventiven Restruktuder Europäischen Kommission zu präventiven Restruktuder Europäischen Kommission zu präventiven Restruktuder Europäischen Kommission zu präventiven Restruktuder Europäischen Kommission zu präventiven Restruktuder Europäischen Kommission zu präventiven Restruktuder Europäischen Kommission zu präventiven Restruktu-

Morgen

Einleitung jj) Zusammenfassung der Stellungnahmen zur Richtlinie Die Analyse der widerstreitenden Interessen in der Sanierung und Insolvenz, des bestehenden Rechtsrahmens in Deutschland und der Stellungnahmen von Vertretern der Industrie und des Handwerks, der Finanzwirtschaft, der Arbeitnehmerschaft und der verschiedenen Berufsverbände der mit Restrukturierungen befassten Berufsgruppen zeigt, dass ein präventives Restrukturierungsverfahren grundsätzlich begrüßt wird, insbesondere um die oben genannten Lücken bei außergerichtlichen Sanierungen zu schließen.

120

Allerdings dürfte Mehrheitsmeinung sein, dass der ursprüngliche Richtlinienvorschlag der Kommission zu einseitig auf Schuldnerinteressen fokussierte und Gläubigerinteressen zu sehr ausblendete. Die finale Restrukturierungsrichtlinie hat diese Bedenken in weiten Teilen aufgegriffen und lässt den nationalen Gesetzgebern weite Umsetzungsspielräume, um das Restrukturierungsverfahren ausgewogener auszugestalten. Es bleibt abzuwarten, ob dies zu einem Wettlauf um das schuldnerfreundlichste Sanierungsrecht in Europa führt und damit das eigentliche Ziel der Harmonisierung der Rechtsrahmen konterkariert.

121

Die Stellungnahmen der Kammern, Verbände und Vereine in Deutschland fordern mehrheitlich – wenn auch i. E. sicherlich mit unterschiedlicher Ausgestaltung –, dass der Zugang zu dem Verfahren klar geregelt und an Zugangsbedingungen (Erfüllung von Buchführungspflichten; Abstand zur Insolvenz) geknüpft sein sollte. Moratorien sollten auf einzelne Gläubiger beschränkt und aufgrund des Eingriffs in die Rechte der Gläubiger zeitlich begrenzt sein. Sie sollten die Einbindung von Gericht und Restrukturierungsbeauftragten erfordern. Der Grundsatz der Eigenverwaltung wird allgemein begrüßt, wobei mehrheitlich die Einbindung eines Restrukturierungsverwalters als Moderator und Aufsichtsperson gefordert wird.

122

Mehrheitsentscheidungen bei der Annahme von Restrukturierungsplänen werden positiv bewertet, wobei unterschiedliche Anforderungen an die erforderlichen Quoren gestellt werden. Das Meinungsbild zur Zulässigkeit eines Cross-Class Cram-down ist uneinheitlich.

123

Im Rahmen der Vergleichsrechnung sollte auf Fortführungswerte und nicht auf Liquidationswerte abgestellt werden. Die Privilegierung von neuen Finanzierungen sollte sich nach überwiegender Einschätzung an der bisherigen Rechtsprechung orientieren. Sehr kontrovers ist das Meinungsbild im Hinblick die Möglichkeit des Eingriffs in Gesellschafterrechte; es reicht von eindeutiger Zustimmung bis absoluter Ablehnung.

124

2.

Gesetzgebungsverfahren zum StaRUG

a) Referentenentwurf Am 18.9.2020 hat das BMJV den ersten RefE für das SanInsFoG und mit diesem den RefE des StaRUG vorgelegt.

125

aa) Inhalte Der RefE sah – sprachlich noch etwas verwirrend, da das generische Maskulinum im Interesse einer gendergerechten Sprache, aber grammatikalisch falsch, gegen weib-

Morgen

83

126

Einleitung liche Substantive ausgetauscht wurde – die Einführung des StaRUG mit insgesamt 101 Paragraphen vor. 127

Bereits der RefE enthielt das modulare System des StaRUG, welches dem Schuldner verschiedene Instrumente zu einer von ihm selbst betriebenen und von der qualifizierten Mehrheit der Gläubiger unterstützten Sanierung anbietet. Konzeptionell entsprach der RefE damit der finalen Fassung des StaRUG. Allerdings haben sich in der konkreten Ausgestaltung im Gesetzgebungsprozess noch erhebliche Änderungen ergeben:

128

Der RefE enthielt in den §§ 2 und 3 RefE eine erhebliche Änderung der Geschäftsleiterpflichten. Nach §§ 2 und 3 RefE sollten die Geschäftsleiter ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit sowohl die Interessen der Gesellschafter als auch die der Gesamtheit der Gläubiger zu beachten haben, wobei die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger vorrangig zu beachten sein sollten (§ 2 Abs. 1 und Abs. 2 RefE). Außerdem sollten nach § 2 Abs. 1 RefE entgegenstehende Weisungen der Gesellschafter und anderer Organe unbeachtlich sein. Dieser frühzeitige „shift of fiduciary duties“ sollt eine dynamische Pflichtenverschiebung darstellen, bei der die Pflichten zur Wahrnehmung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zunehmend in den Vordergrund rücken, je mehr sich die Krise vertieft.142)

129

Im Rahmen der Planannahme enthielt der RefE bei einer klassenübergreifenden Mehrheitsentscheidung das Prinzip des absoluten Vorrangs (§ 28 RefE). Allerdings haben diese Regelungen im StaRUG noch deutliche Anpassungen im Detail erfahren.

130

In § 29 Abs. 2 Nr. 4 i. V. m. §§ 49 – 52 RefE war die Möglichkeit der Vertragsbeendigung vorgesehen. Danach sollte es unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein, auf Antrag des Schuldners durch gerichtlichen Beschluss Verträge zu beenden. Damit wären den §§ 103 ff. InsO entsprechende operative Sanierungsmöglichkeiten in den vorinsolvenzlichen Rahmen aufgenommen worden. Diese Regelungen haben zu erheblicher Kritik und Diskussion geführt (siehe unten Rz. 134 ff.). Letztlich sind sie nicht in das StaRUG aufgenommen worden, was dessen Anwendungsbereich praktisch deutlich verengt (siehe oben Rz. 11).

131

Zur Frage, ob bei der Prüfung des Vorliegens von Insolvenzgründen die Wirkungen des Restrukturierungsplans berücksichtigt werden können, enthielt der RefE in § 32 Abs. 3 Satz 3 und 4 RefE noch die verwirrende Formulierung, dass die Wirkungen des Plans nach der Anzeige berücksichtigt werden können, wenn die Planannahme überwiegend wahrscheinlich ist oder ein hinreichend wahrscheinlich umsetzbares Restrukturierungskonzept vorgelegt wurde. Daraus wurde teilweise im Umkehrschluss geschlossen, dass die Wirkungen des Restrukturierungsplans vor Anzeige des Restrukturierungsvorhabens nicht zu berücksichtigen seien. Bei dieser Auslegung hätte sich der Anwendungsbereich des Rahmens aufgrund der geänderten Prognosezeiträume bei drohender Zahlungsunfähigkeit (24 Monate) und Überschuldung (zwölf Monate) auf den Zeitraum von 13 – 24 Monate beschränkt. Der Rahmen hätte wegen Eintritts der Überschuldung bei drohender _____________ 142) Morgen, INDat Report 9/2020.

84

Morgen

Einleitung Zahlungsunfähigkeit in den kommenden zwölf Monaten nicht mehr zur Verfügung gestanden, auch wenn die Restrukturierung über einen Plan überwiegend wahrscheinlich gewesen wäre. Durch die Streichung des § 32 Abs. 3 Satz 3 und 4 RefE ist nunmehr klar, dass der Rahmen bis zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit genutzt werden kann, solange die Überwindung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und damit der Überschuldung mit Mitteln des Rahmens überwiegend wahrscheinlich ist.143) Noch nicht im StaRUG-RefE enthalten war die Regelung des § 54 Abs. 2, wonach bei der Verwendung revolvierender Sicherungsgüter (Forderungen, Warenlager) durch den Schuldner eine Separierung der Erlöse vorzunehmen ist. Diese ist erst im RegE erstmalig enthalten (§ 61 Abs. 2 RegE).

132

Schließlich enthielt der RefE Regelungen zu öffentlichen Restrukturierungssachen (§§ 91 – 95), die nach dem StaRUG (dort §§ 84 – 88) erst am 17.7.2022 in Kraft treten werden. Dies führt bis dahin zu schwierigen Fragen der internationalen Anerkennung des Rahmens, da die EuInsVO an „öffentliche“ Restrukturierungssachen anknüpft.

133

bb) Stellungnahmen Mit der Vorlage des 247-seitigen Gesetzesentwurfs am 18.9.2020 hat das BMJV diverse Verbände um eine Stellungnahme bis zum 2.10.2020 gebeten. Trotz der angesichts des Gesetzesumfangs sehr knapp bemessenen Stellungnahmefrist haben eine Vielzahl von Verbänden Stellungnahmen abgegeben.144) Von diesen werden nachfolgend – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – Kernpositionen einzelner Verbände dargestellt, um einen Überblick über das Meinungsspektrum zu geben.

134

Der BAKinso hat in seiner Stellungnahme vom 30.9.2020 „systematische Bedenken“ geäußert. Der Gesetzesentwurf arbeite mit einer gesetzestechnischen Systematik, die versuche, nahezu jedes Regelungsproblem mittels Ausnahmen, Unterausnahmen und Rückausnahmen zu regeln.145) Die Ausnametatbestände enthielten außerdem viele unbestimmte Rechtsbegriffe, bei denen sich auch aus der Gesetzesbegründung nicht ergebe, wie diese auszulegen seien.146) Es sei daher eine Fülle rechtlicher Streitigkeiten zu erwarten. Der Gesetzesentwurf schaffe keine Rechtssicherheit.147) Neben dieser generellen Kritik nimmt der BAKinso zu vielen Punkten im Detail Stellung. Erwähnenswert ist, dass er sich gegen die Aufnahme der Möglichkeit der Vertragsbeendigung ausgesprochen hat, da sonst das Abstandsgebot zur Insolvenz nicht gewahrt werde.148)

135

In der Gemeinsamen Stellungnahme von DIHK, BDI, BGA, ZDH, bdew und ZGV vom 2.10.2020 wird die Einführung des StaRUG grundsätzlich begrüßt, aber eine besserer Schutz von Weiterbelieferungsgläubigern während des Rahmens

136

_____________ 143) 144) 145) 146) 147) 148)

Morgen, INDat Report 9/2020. S. Auflistung oben nach dem Literaturverzeichnis. BAKinso, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 30.9.2020, A. Nr. 2. BAKinso, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 30.9.2020, A. Nr. 2. BAKinso, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 30.9.2020, A. Nr. 2. BAKinso, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 30.9.2020, B. IX.

Morgen

85

Einleitung gefordert, indem deren Forderungen, sollte es noch zu einer Insolvenz kommen, automatisch den Rang einer Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 2 InsO bekommen.149) Außerdem sollten vorleistungspflichtige Gläubiger eindeutiger geschützt werden, in dem klargestellt wird, dass diesen weiterhin die Unsicherheiteneinrede nach § 321 Abs. 2 BGB und das Kündigungsrecht nach § 490 Abs. 1 BGB zusteht. Außerdem sollten Inhaber revolvierender Sicherheiten besser geschützt werden.150) Die Möglichkeit zur Vertragsbeendigung wurde kritisch gesehen und ein weitergehender Schutz der Betroffenen gefordert.151) Insgesamt zeigt sich damit, dass die Spitzenverbände der Industrie den Schutz gesunder Unternehmen für wichtiger halten, als die Sanierungsmöglichkeiten von Schuldnern zulasten gesunder Unternehmen. 137

Auch die BRAK hat die Einführung des StaRUG grundsätzlich begrüßt, aber davor gewarnt, Regelungen, die erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft haben können, überstürzt einzuführen.152) Die BRAK empfahl die ersatzlose Streichung der Vertragsbeendigung. Im Hinblick auf den Restrukturierungsbeauftragten wurde angeregt, § 78 Abs. 2 RefE, der einen weiteren Restrukturierungsbeauftragten vorsieht, zu streichen. Das Vorschlagsrecht solle Planbarkeit und Attraktivität des Rahmens erhöhen und nicht durch einen weiteren Beauftragten unterlaufen werden.153)

138

Die DK äußerte sich mit einer Stellungnahme ebenfalls zum RefE. Dort wurden nicht nur das hohe Tempo und die fehlende Möglichkeit der intensiven Diskussion beklagt.154) Die vorgesehenen Möglichkeiten des Eingriffs in Finanzverträge seien mit dem Prinzip der Vertragsfreiheit nicht vereinbar. Der Entwurf erzeuge in der Pandemie und der damit einhergehenden wirtschaftlichen Ausnahmesituation Unsicherheit, obgleich man auf den weltweit anerkannten, etablierten Rechtsrahmen den die InsO biete vertrauen könne.155) Auch die DK empfahl die ersatzlose Streichung der Vertragsbeendigung.

139

Ähnlich äußerte sich der Gravenbrucher Kreis in seiner Stellungnahme vom 30.9.2020. Auch er beklagte das hohe Tempo der Umsetzung156) und forderten die ersatzlose Streichung der Möglichkeit der Vertragsbeendigung.157)

140

Interessenverbände von Restrukturierungsberatern wie die TMA Deutschland äußerten sich dagegen deutlich positiver zum Gesetzesentwurf. Der Gesetzesentwurf stelle eine dringend gebotene Modernisierung des deutschen Unternehmens_____________ 149) DIHK/BDI/BGA/ZDH/bdew/ZGV, Gemeinsame Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 1. 150) DIHK/BDI/BGA/ZDH/bdew/ZGV, Gemeinsame Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 2. 151) DIHK/BDI/BGA/ZDH/bdew/ZGV, Gemeinsame Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 3. 152) BRAK, Stellungnahme Nr. 61/2020 z. RefE SanInsFoG, v. 10/2020, b), S. 3. 153) BRAK, Stellungnahme Nr. 61/2020 z. RefE SanInsFoG, v. 10/2020, b), S. 6. 154) DK, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 3. 155) DK, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 3. 156) Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 30.9.2020, S. 1. 157) Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 30.9.2020, S. 1.

86

Morgen

Einleitung sanierungsrechts dar.158) Der Entwurf stelle eine kluge Umsetzung der Richtlinie dar.159) Die Kritik, das StaRUG sei überregulierend, teile die TMA nicht.160) Das Institut der Vertragsbeendigung sei zu begrüßen.161) Auch die Möglichkeit der Durchbrechung der absoluten Prioritätsregel i. R. des Minderheitenschutzes wird im Interesse der Erleichterung von Sanierungen begrüßt.162) b) Regierungsentwurf Am 14.10.2020, also nur knapp zwei Wochen nach Ablauf der Frist für Stellungnahmen zum RefE, hat die Bundesregierung dann den RegE für das SanInsFoG und damit das StaRUG vorgelegt.

141

aa) Inhalte Der RegE hat gegenüber dem RefE – nunmehr unter grammatikalisch richtiger Verwendung des generischen Maskulinums – insbesondere die Vorschriften –

zu gestaltbaren Rechtsverhältnissen (siehe dazu i. E. unten § 2),



zu klassenübergreifenden Mehrheitsentscheidungen (siehe dazu i. E. unten § 26),



zu den Pflichten der Schuldnerin (siehe dazu unten § 32),



zur Separierungspflicht bei Inanspruchnahme revolvierender Sicherheiten (siehe dazu i. E. unten § 54) und



zu erlaubten Zahlungen im normalen Geschäftsgang (siehe dazu i. E. unten § 89)

142

angepasst. Im RegE noch enthalten war der „shift of fiduciary duties“ der Geschäftsleiter ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§§ 2 und 3 RegE) und die Möglichkeit der Vertragsbeendigung (§§ 51 – 55 RegE). bb) Stellungnahmen Zum RegE sind noch vereinzelte Stellungnahmen von Verbänden und eine wahre Flut an Veröffentlichungen von Autoren aus der Rechtsprechung, Wissenschaft und Praxis erschienen. Das Meinungsspektrum deckt sich mit dem der Verbände. Es reicht von vollumfänglicher Zustimmung und großem Lob für das Gesetz, über grundsätzliches Lob mit Kritik an einzelnen Themen, wie z. B. der im RegE weiterhin vorgesehenen Möglichkeit der Vertragsbeendigung, bis hin zu umfassender Kritik. Wegen der Inhalte wird auf die obigen Ausführungen verwiesen (siehe oben Rz. 19 ff.).

_____________ 158) 159) 160) 161) 162)

TMA, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 1. TMA, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 1. TMA, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 1. TMA, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 6. TMA, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 4.

Morgen

87

143

Teil 1 Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement §1 Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement bei haftungsbeschränkten Unternehmensträgern Gerig

(1) 1Die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs einer juristischen Person (Geschäftsleiter) wachen fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können. 1Erkennen sie solche Entwicklungen, ergreifen sie geeignete Gegenmaßnahmen und erstatten den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (Überwachungsorganen) unverzüglich Bericht. 3Berühren die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeiten anderer Organe, wirken die Geschäftsleiter unverzüglich auf deren Befassung hin. (2) Bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit im Sinne von § 15a Absatz 1 Satz 3 und Absatz 2 der Insolvenzordnung gilt Absatz 1 entsprechend für die Geschäftsleiter der zur Geschäftsführung berufenen Gesellschafter.*) (3) Weitergehende Pflichten, die sich aus anderen Gesetzen ergeben, bleiben unberührt. Literatur: Behringer, Neue Perspektiven für Frühwarnsysteme zur Krisenerkennung – Erkenntnismöglichkeiten mittels Predictive Analytics, KSI 2017, 197; Beissenhirtz, Der Blick hinter die Glaskugel – Gedanken zur Risiko- und Krisenfrüherkennung in mittelständischen Unternehmen, ZInsO 2020, 1673; Cranshaw/Portisch, Paradigmen des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) nach dem Regierungsentwurf aus Gläubigersicht – Teil 2, ZInsO 2020, 2617; Deppenkemper, Der präventive Restrukturierungsrahmen: Schweizer Taschenmesser oder zahnloser Tiger?, ZIP 2020, 595; Exter/Pitschuch/Situm, Präventiver Restrukturierungsrahmen ante portas, Studienergebnisse zur finalen Ausgestaltung KSI 2019, 12; Groß, Zur Beurteilung der „handelsrechtlichen Fortführungsprognose“ durch den Abschlussprüfer, WPg 2010, 119; Krystek/ Evertz, Betriebswirtschaftliche Aspekte der präventiven Restrukturierung in DB 2020, 2361; Küting/Strauß, „Coronomics“: Krise(n) und (potenzielle) Krisenbewältigung im betriebswirtschaftlichen Spiegel der Vorgaben des IDW S 6 (2018), DB 2020, 2193; Neuberger, Antragsgrund und Frühwarnsysteme im Sinne des Richtlinienvorschlags der EU-Kommission über einen präventiven Restrukturierungsrahmen, ZInsO 2018, 2053; Paulus, Frühwarnsysteme, NZI 2020, 659; Poertzgen, Insolvenzverschleppung in Zeiten von COVInsAG, StaRUG und SanInsFoG – Anmerkungen aus der Perspektive von Geschäftsführern und Vorständen, ZInsO 2020, 2509; Rosenzweig, Strategische Frühwarnung: Umfeldveränderungen rechtzeitig erkennen und nutzen, KSI 2008, 12; Seibt/Bulgrin, Entwurf zum Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) – Kritische Analyse aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, DB 2020, 2226; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985.

_____________ *)

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 1 Abs. 2 die Wörter „Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaften“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft.

Gerig

89

§1

Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement

Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: DIAI, Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, v. 2.10.2020 (zit.: DIAI, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG), ZInsO 2020, 2368, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/ Downloads/100220_Stellungnahme_DIAI_RefE_Fortenwicklung_Insolvenzrecht.pdf?__ blob=publicationFile&v=2; IDW, Stellungnahme des Instituts der Wirtschaftsprüfer zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts, v. 2.10.2020 (zit.: IDW, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020), abrufbar unter https://www.idw.de/blob/126248/53d68c73c6a1168f7f18ea7aa3cc7931/down-bmjv-saninsfog-data.pdf; Niering (VID), Stellungnahme im Rahmen der Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 25.11.2020 zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) BT-Drucksache 19/24181, v. 23.11.2020 (zit.: Niering (VID), Stellungnahme z. RegE SanInsFoG, v. 23.11.2020), abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/ uploads/2020/11/Stellungnahme-v.-Dr.-Christoph-Niering-VID-zur-Sachverstaendigenanhoerung-zum-RegE-des-SanInsFoG.pdf; VID, Stellungnahme des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), v. 2.10.2020 (zit.: VID, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020), abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/ 2020/10/VID-Stellungnahme-zum-RefE-SanInsFoG.pdf. (Abrufdatum jeweils 20.8.2021). Übersicht I. II. III. IV.

Normzweck ........................................... 1 Normhistorie ........................................ 5 Krisenfrüherkennung ........................ 11 Krisenmanagement ............................ 17

I.

Normzweck

V. Anwendbarkeit auf Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit ............... 22 VI. Spezialgesetzliche Regelungen ......... 24 VII. Rechtsfolge ......................................... 28

1

Ein wesentliches Ziel des StaRUG besteht in der Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Durchführung frühzeitig eingeleiteter und gut vorbereiteter Sanierungen. Dadurch sollen die Kosten der Restrukturierung vermindert, die Erfolgschancen einer Sanierung gesteigert und ggf. drohende, wahrscheinliche Insolvenzverfahren abgewendet werden.

2

Ausgangspunkt eines Restrukturierungsverfahrens nach StaRUG ist die sich abzeichnende Krise eines Unternehmens, die mittels des in § 1 verankerten Risikofrüherkennungssystems identifiziert werden soll. Gemäß Art. 3 der Richtlinie sollen dabei u. a. öffentliche Stellen durch die Bereitstellung von Früherkennungssystemen unterstützen, die in Teil 4, §§ 101, 102, geregelt ist.

3

Dabei bestimmt § 1 ganz unabhängig von dem in Teil 2 (§§ 2 bis 93) geregelten neuen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen allgemeine Pflichten der Geschäftsleitung zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement. Neben der Pflicht zur laufenden Risikoüberwachung und zur Ergreifung geeigneter Gegenmaßnahmen haben die Geschäftsleiter nach Maßgabe der jeweiligen Organisationsverfassung des Unternehmensträgers auch die Aufsichts- und Überwachungsorgane sowie die Gesellschafter in die Krisenbewältigung einzubeziehen.

90

Gerig

Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement

§1

Insgesamt kommt der Regelung des § 1 eine überwiegend deklaratorische Bedeutung zu, ohne den bestehenden Pflichtenkanon zu verschärfen.1)

4

II. Normhistorie Teil 1 des StaRUG nimmt – mit § 1 als einzigem Paragraphen in diesem Teil des neuen Gesetzes – teilweise die Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie2) (Art. 3) im Bereich der Frühwarnung zum Anlass zur Schaffung rechtsformübergreifender Pflichten der Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Unternehmensträger zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement. In Teil 4 des StaRUG finden sich zwei weitere Paragraphen im Bereich Frühwarnung und Bereitstellung von Informationen.

5

In Art. 19 der Restrukturierungsrichtlinie wird den Mitgliedstaaten vorgegeben, dass die Geschäftsleiter bei einer „wahrscheinlichen Insolvenz“3) Maßnahmen zur Abwendung der Insolvenz gebührend abwägen sollen, wobei vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten, das die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gefährdet, unter Berücksichtigung der Interessen aller Stakeholder vermieden werden soll. Dabei sollen die Geschäftsleiter ausweislich der Gesetzesbegründung einerseits ermutigt werden, wirtschaftlich vertretbare Sanierungsentscheidungen zu treffen, andererseits sollen die Unternehmensbeteiligten vor den Folgen von Leitungsentscheidungen bewahrt werden, mit denen die Krisenbewältigung verschleppt oder die Krise verschärft wird (in Anlehnung an ErwG 70 und 71 der Restrukturierungsrichtlinie).

6

Auf entsprechende Vorgaben für die Leitung von Unternehmen nicht haftungsbeschränkter Unternehmensträger wird im StaRUG verzichtet; der Grund hierfür liegt in der Abgrenzung haftungsbeschränkter und von nicht haftungsbeschränkten Unternehmensträgern im geltenden Recht, die sich auf die Steuerungs- und Anreizwirkung der persönlichen Haftung stützt. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist dies mit den Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie vereinbar, weil Art. 1 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie die Möglichkeit eröffnet, die Richtlinienvorgaben zum präventiven Restrukturierungsrahmen auf juristische Personen zu beschränken und Art. 19 systematisch im Teil 2 über präventive Restrukturierungsrahmen verortet ist.

7

In der Fassung des § 1 Abs. 2 RefE4) war die Regelung noch insoweit missverständlich formuliert, als sie nur auf die Haftung der natürlichen Person als Gesellschafter

8

_____________ 1) 2)

3)

4)

Vgl. Thole, ZIP 2020, 1985 f., und Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2229. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist der Begriff der „wahrscheinlichen Insolvenz“ derjenige aus Art. 1 Abs. 1 lit. a und Art. 4 der Restrukturierungsrichtlinie, sodass die Frühwarnsysteme bereits auf die Vorphase des Restrukturierungszeitraums abzielen und ein frühestmögliches Ergreifen von Maßnahmen zur Beseitigung finanzieller Schwierigkeiten ermöglichen müssen. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021).

Gerig

91

§1

Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement

abstellt, obwohl nur die volle persönliche Haftung gemeint war, so dass die beschränkte und begrenzbare Haftung der Kommanditisten einer KG, insbesondere bei der GmbH & Co. KG, die Anwendung von § 1 Abs. 2 RefE nicht ausschließt.5) In der Fassung des § 1 RegE wurden die sprachlichen Unterschiede, die Absatz 2 zu den Vorbildern in § 15a Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 InsO-E aufwies, i. S. einer Harmonisierung mit dem Anwendungsbereich von § 15a InsO-E aufgegeben. 9

§ 1 (also Teil 1) betrifft den Zeitraum vor der Krise, so dass die Positionierung vor den Regelungen zur Krisenbeseitigung i. R. des (präventiven) Stabilisierungs- und Restrukturierungsverfahrens in Teil 2 des StaRUG systematisch nachvollziehbar ist. Innerhalb des neuen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens finden sich insbesondere in den §§ 32 und 43 Pflichten- und Haftungsregelungen des Schuldners und der Geschäftsleitung.

10

Der RegE sah zusätzlich mit den Regelungen in §§ 2 und 3 RegE vor, dass mit Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit in einem Prognosezeitraum von bis zu 24 Monaten eine Verschiebung von der Wahrung der Interessen der Gesellschafter zu denen der Gläubiger durch die Geschäftsleiter erfolgen soll („shift of fiduciary duties“). Diese Regelungen waren vielfältiger Kritik insbesondere von Unternehmerverbänden und Insolvenzrechtlern ausgesetzt, da sie als zu weitreichend beurteilt wurden.6) Die im BGBl. veröffentlichte Fassung sieht nun diese Verschiebung erst ab dem konkreten Zeitpunkt der Einleitung eines StaRUG-Verfahrens vor. III. Krisenfrüherkennung

11

§ 1 gibt eine allgemeine und rechtsformübergreifende Regelung zu Krisenfrüherkennungs- und -reaktionspflichten der Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Rechtsträger vor. Diese Pflichten entsprechen bereits der aktuellen Rechtslage, waren aber vor der Verabschiedung des StaRUG nur punktuell im Gesetz geregelt.

12

Bereits mit der Einführung des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) am 27.4.1998 wurde eine Pflicht zur Risikoüberwachung für den Vorstand einer Aktiengesellschaft in § 91 Abs. 2 AktG normiert. Gemäß der Begründung des Regierungsentwurfs zum KonTraG ist diese Pflicht infolge einer „Ausstrahlungswirkung“ dieser Vorschrift auch für die Geschäftsleitungsorgane von Unternehmensträgern anderer Rechtsformen anzunehmen.7) Die Annahme einer solchen Krisenpflicht für die Geschäftsleiter – und nachgelagert auch für Überwachungsorgane – entspricht seit je her gesellschaftsrechtlicher Lehre.8)

13

Insofern beschränkt sich die Vorschrift des § 1 ausweislich der Gesetzesbegründung darauf, das geltende Recht im Interesse an Rechtsklarheit für die Rechtsanwender einer positiven Regelung zuzuführen. _____________ 5) 6)

7) 8)

92

Vgl. Thole, ZIP 2020, 1985, 1986 (und dort Fn. 1). Vgl. auch die Stellungnahmen des DIAI, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, ZInsO 2020, 2368, 2369, sowie des VID, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 4 ff., und Niering (VID), Stellungnahme z. RegE SanInsFoG, v. 23.11.2020, S. 2 f. Vgl. Begr. ReGE z. KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 15. Vgl. Poertzgen, ZInsO 2020, 2509, 2510, m. Verweis auf BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, NJW-RR 1995, 669 ff.

Gerig

Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement

§1

§ 1 Abs. 1 gibt die Pflichten der Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs (legaldefiniert als „Geschäftsleiter“) einer juristischen Person vor. Sofern neben dem vertretungsberechtigten Organ auch weitere Organe zu Geschäftsführungsentscheidungen berufen sind (wie im Fall der Gesellschaft mit beschränkter Haftung die Gesellschafterversammlung), nimmt Absatz 1 Satz 1 mit dem Begriff der Geschäftsleiter allein auf die Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs Bezug.

14

Ausweislich der Gesetzesbegründung ist die konkrete Ausformung und Reichweite der Pflicht zur Krisenfrüherkennung von der Größe, Branche, Struktur und auch der Rechtsform des jeweiligen Unternehmens abhängig (mit Verweis auf die Ausführungen in der Begründung des KonTraG-RegE). Ferner wird darauf hingewiesen, dass § 1 mit der Statuierung einer allgemeinen, rechtsformübergreifenden Pflicht zur Risikoüberwachung daher nicht verkennt, dass es sich insbesondere bei kleineren Unternehmen verbietet, übermäßige Organisationspflichten zur Krisenfrüherkennung zu statuieren, um diese nicht zu überfordern.

15

In jedem Fall aber sollen die Geschäftsleiter gemäß der Gesetzesbegründung gehalten sein, die Verhältnisse des Unternehmensträgers und die Entwicklungen, die für die Tätigkeit des Unternehmensträgers relevant sind, laufend daraufhin zu beobachten und zu überprüfen, ob sie das Potenzial haben, bei ungehindertem Fortgang den Fortbestand des Unternehmens zu gefährden. Auf dieser Basis ist davon auszugehen, dass den Geschäftsleitern zwar bei der konkreten Ausgestaltung („Wie“), nicht jedoch bezüglich des Bestehens („Ob“) eines derartigen Überwachungssystems ein unternehmerischer Ermessensspielraum zukommt (analog § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG).9)

16

IV. Krisenmanagement Erkennen Geschäftsleiter krisenhafte Entwicklungen ihres Unternehmens, dann müssen sie –

Gegenmaßnahmen ergreifen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Habs. 1),



den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen unverzüglich Bericht erstatten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2) und



auf die Befassung anderer Organe hinwirken (§ 1 Abs. 1 Satz 3).

17

§ 1 Abs. 1 Satz 2 erlegt den Geschäftsleitern rechtsformübergreifend die Pflicht zur Ergreifung von geeigneten Gegenmaßnahmen zur Bewältigung der Krise auf. Hinsichtlich der Frage, welche Gegenmaßnahmen auszuwählen und wie diese zu implementieren sind, steht den Geschäftsleitern ausweislich der Gesetzesbegründung der Beurteilungsspielraum zu, der ihnen nach Maßgabe der spezialgesetzlichen Regelungen für Maßnahmen der Geschäftsführung zuzubilligen ist (siehe hierzu unten Rz. 24 ff.).

18

Ob überhaupt etwaige Gegenmaßnahmen im Fall einer erkannten, bestandsgefährdenden Krise durch die Geschäftsleiter zu ergreifen sind, wird regelmäßig zu bejahen sein (sog. Sanierungspflicht): Bei der AG ergibt sich die Krisenbewältigungspflicht zwar nicht aus § 91 Abs. 2 AktG, allerdings aus der allgemeinen Leitungs-

19

_____________ 9)

Vgl. Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2229.

Gerig

93

§1

Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement

verantwortung des Vorstands (§ 76 Abs. 1 AktG) und orientiert sich an den Sorgfaltsanforderungen des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG (und für GmbH-Geschäftsführer an den Sorgfaltsanforderungen gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG).10) 20

§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 regelt nunmehr auch eine explizite unverzügliche Berichterstattungspflicht gegenüber den Überwachungsorganen. Darüber hinaus sollen gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 auch andere Organe, wie etwa die Gesellschafterversammlung, unverzüglich befasst werden, sofern die zu ergreifenden Maßnahmen deren Zuständigkeiten berühren. Auch diese Berichts- und Einbindungspflichten dürften überwiegend klarstellenden Charakter haben, da die Geschäftsleiter schon bisher zur Übermittlung derartiger Informationen (vgl. etwa § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 AktG) bzw. zur Einbindung anderer Organe (etwa gem. § 92 Abs. 1 AktG und § 49 Abs. 3 GmbHG) verpflichtet waren.11)

21

Von der Einbeziehung der Überwachungsorgane zu unterscheiden ist insbesondere die Frage, ob die Einleitung bestimmter Restrukturierungsmaßnahmen zur Krisenbewältigung zustimmender Beschlüsse dieser Organe bedarf; diese Frage regelt § 1 nicht explizit.12) V. Anwendbarkeit auf Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit

22

Ausweislich der Gesetzesbegründung erstreckt § 1 Abs. 2 die auf die Geschäftsleiter juristischer Personen zugeschnittene Regelung auf die Geschäftsleiter juristischer Personen, die die Geschäfte einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit aufgrund ihrer unmittelbaren oder mittelbaren Gesellschaftereigenschaft führen, sofern für die Verbindlichkeiten dieser Gesellschaft keine natürliche Person als unmittelbarer oder mittelbarer Gesellschafter persönlich haftet. Auch bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, für deren Verbindlichkeiten keine natürliche Person als unmittelbarer oder mittelbarer Gesellschafter haftet, wird durch einen Verweis auf die neugefassten Vorschriften in § 15a Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 InsOE sichergestellt, dass die Regelungen des § 1 Abs. 1 zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement zur Anwendung kommen.

23

Hierbei geht der Gesetzgeber davon aus, dass der Schutz der Gläubiger bei den Kapitalgesellschaften, sonstigen juristischen Personen und der GmbH & Co. KG nur durch die Beachtung von Krisenpflichten i. S. des § 1 gewährleistet werden kann; der Grund hierfür liegt in dem Fehlen der unbeschränkten persönlichen Haftung wenigstens einer natürlichen Person bei Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften ohne natürliche Person als unbeschränkt haftenden Gesellschafter. Haftet dagegen mindestens eine natürliche Person unbeschränkt mit ihrem Privatvermögen, so sind die Gläubiger nach der Grundsatzwertung des Gesetzgebers bereits hinreichend geschützt.13)

_____________ 10) 11) 12) 13)

94

Vgl. Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2229, m. w. N. Vgl. Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2229 f. Vgl. Thole, ZIP 2020, 1985, 1986. Vgl. Poertzgen, ZInsO 2020, 2509, 2510 f.

Gerig

Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement

§1

VI. Spezialgesetzliche Regelungen § 1 stellt ausweislich der Gesetzesbegründung lediglich Mindestanforderungen an die Überwachung von und den Umgang mit Risiken auf, die den Fortbestand haftungsbeschränkter Unternehmensträger gefährden können. Soweit sich aus spezialgesetzlichen Regelungen, wie sie z. B. in § 91 Abs. 2 AktG oder § 25a Abs. 1 Satz 3 KWG zu erblicken sind, weitergehende Anforderungen ergeben, bleiben diese gemäß § 1 Abs. 3 unberührt.

24

Ausweislich der Gesetzesbegründung stellt § 1 Abs. 3 klar, dass die gesellschaftsrechtlichen Sorgfaltspflichten und Verantwortlichkeiten der Geschäftsleiter nach anderen Bestimmungen unberührt bleiben; dies gilt z. B. für die Pflicht zur Einberufung einer Versammlung der Anteilsinhaber bei Verlust der Hälfte des gezeichneten Kapitals (§ 49 Abs. 3 GmbHG, § 92 Abs. 1 AktG) sowie für die Pflichten der Geschäftsleiter bei Vorliegen einer Insolvenzreife (§§ 15a f InsO-E).

25

Inhalt und Umfang der Instrumente zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement bei Unternehmen, die umfangreichen aufsichtsrechtlichen Vorgaben zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement unterliegen, richten sich vorrangig nach diesen aufsichtsrechtlichen Regelungen; zu diesen Unternehmen zählen z. B. Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute nach § 25a KWG, Versicherungsunternehmen nach § 23 VAG sowie Kapitalverwaltungsgesellschaften nach § 28 KAGB.

26

Die Regelung des § 1 Abs. 3 stellt sich ausweislich der Gesetzesbegründung als Ausformung der Pflichten der Leitungsorgane aus spezialgesetzlichen Bestimmungen dar, so dass es bei Einzelfragen insbesondere hinsichtlich der Folgen von Pflichtverletzungen bei den rechtsformspezifischen Regelungen und Grundsätzen bleibt.

27

VII. Rechtsfolge Ein (Prognose-) Verfahren – oder eine Hilfestellung –, wie ein Unternehmen ein systematisches und funktionierendes Risikofrüherkennungssystem etablieren soll, wird im § 1 nicht vorgegeben; es bleibt somit in der Verantwortung des Geschäftsleiters, ein solches System konkret unter Berücksichtigung der Größe, Branche, Struktur und auch der Rechtsform des jeweiligen Unternehmens auszugestalten und dabei insbesondere die Fähigkeit zu entwickeln, eigene belastbare Prognosen abzugeben.14)

28

Für eine möglichst frühe Erkennung eintretender Negativtrends eignen sich dynamische Analyseinstrumente, die die Unternehmensentwicklung anhand von aussagekräftigen Kennzahlen zur Erfolgs- und Finanzlage über mehrere Perioden hinweg betrachten (z. B. Renditemaße, Kapitalstrukturquoten und Liquiditätskennziffern). Daneben können auch modernere (KI-)Ansätze zur Prognose der Unternehmensentwicklung und frühen Erkennung von Krisen im Unternehmen genutzt werden.15)

29

Darüber hinaus gibt es eine Anzahl weiterer, unternehmensinterner wie externer Risikofrühindikatoren, die laufend von den Geschäftsleitern zur Krisenfrüherken-

30

_____________ 14) Vgl. Beissenhirtz, ZInsO 2020, 1673, 1675. 15) Vgl. Küting/Strauß, 2020, 2193, 2200.

Gerig

95

§1

Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement

nung genutzt werden sollten; diese sollten so konkret wie nur möglich eine hohe Aussagekraft für das jeweilige Geschäftsmodell aufweisen, wie z. B. der Entwicklung der Wettbewerbssituation, der Wegfall bedeutender Kunden, Lieferanten oder Leistungsträgern im Unternehmen oder die Verminderung der Auftragseingänge.16) 31

Insgesamt bleibt jedoch zu befürchten, dass unternehmensinterne Frühwarnsysteme nur einen begrenzten Beitrag zur frühzeitigen Aufdeckung von Unternehmenskrisen leisten können. Die Sanierungspraxis in Deutschland zeigt, dass trotz einer Vielzahl von Frühwarninstrumenten, die im deutschen Recht bereits vorgesehen sind, viele Sanierungen zu spät eingeleitet werden. Der wesentliche Grund hierfür liegt wohl darin, dass Geschäftsleitungen den Erkenntnissen ihrer Frühwarninstrumente entweder nicht Glauben schenken können (z. B. mangels ordnungsgemäßer Erfüllung der laufenden Buchführungs- und Bilanzierungspflichten oder eines aussagekräftigen Controllings) oder wollen (weil z. B. die Hoffnung auf eine rettende Markterholung der Ergreifung von harten Restrukturierungsmaßnahmen vorgezogen wird).17) Darüber hinaus entspricht in der Praxis die Nutzung von Frühwarnsystemen selbst bei mittleren und großen Unternehmen nicht flächendeckend der Realität.18)

32

Vor diesem Hintergrund wäre die Einführung einer expliziten Pflicht zur Erstellung einer Unternehmensplanung im deutschen Recht wünschenswert gewesen, um bestandsgefährdende Risiken erkennen zu können. Aus den Neuregelungen und den bestehenden Regelungen (z. B. § 252 Abs. 1 Nr. 2, § 264 Abs. 1, § 289 Abs. 1 Satz 4 HGB, §§ 90 und 91 AktG, § 15a InsO) ergibt sich lediglich implizit eine Planungspflicht – mit der Gefahr, dass diese in der notwendigen Klarheit von vielen Geschäftsleitern nicht erkannt wird.19)

33

Ebenso wenig wie bei der Risikofrüherkennung wird im § 1 vorgegeben, wie ein Unternehmen ein systematisches und funktionierendes Krisenmanagement etablieren soll. Nach aktueller Rechtslage haben die Geschäftsleiter i. R. des Krisenmanagements –

Krisenursachen zu analysieren,



Handlungsoptionen und insbesondere die Möglichkeiten einer betrieblich operativen und/oder finanziellen Sanierung zu überprüfen,



entsprechende Sanierungskonzepte auszuarbeiten sowie



konkrete Sanierungsmaßnahmen zur Krisenbewältigung einzuleiten; sofern sich abzeichnet, dass das verfolgte Sanierungskonzept nicht umsetzbar ist, z. B. weil Verhandlungen mit Gläubigern scheitern, ist eine anderweitige Sanierungsstrategie auszuarbeiten und ggf. mit den betroffenen Interessengruppen abzustimmen.20)

_____________ 16) Vgl. Paulus, NZI 2020, 659, sowie Behringer, KSI 2017, 197 ff., zu den neueren Entwicklungen von Frühwarnsystemen, sowie Rosenzweig, KSI 2008, 12 ff. 17) Vgl. auch Neuberger, ZInsO 2018, 2053, 2061 f., Exter/Pitschuch/Situm, KSI 2019, 12, 15, und Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2619. 18) Vgl. Krystek/Evertz, DB 2020, 2361, 2363. 19) Vgl. IDW, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 2, sowie Deppenkemper, ZIP 2020, 595, 596. 20) Vgl. Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2229.

96

Gerig

Teil 2 Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen Kapitel 1 Restrukturierungsplan Abschnitt 1 Gestaltung von Rechtsverhältnissen §2 Gestaltbare Rechtsverhältnisse Knapp/Wilde/Tresselt

(1) Auf der Grundlage eines Restrukturierungsplans können gestaltet werden: 1.

Forderungen, die gegen eine restrukturierungsfähige Person (Schuldner) begründet sind (Restrukturierungsforderungen), und

2.

die an Gegenständen des schuldnerischen Vermögens bestehenden Rechte, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Absonderung berechtigen würden, es sei denn, es handelt sich bei ihnen um Finanzsicherheiten im Sinne des § 1 Absatz 17 des Kreditwesengesetzes oder um Sicherheiten, die dem Betreiber eines Systems nach § 1 Absatz 16 des Kreditwesengesetzes zur Absicherung seiner Ansprüche aus dem System oder der Zentralbank eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder der Europäischen Zentralbank gestellt wurden (Absonderungsanwartschaften).

(2) 1Beruhen Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften auf einem mehrseitigen Rechtsverhältnis zwischen dem Schuldner und mehreren Gläubigern, so sind auch Einzelbestimmungen in diesem Rechtsverhältnis durch den Restrukturierungsplan gestaltbar. 2Satz 1 gilt auch für die Bedingungen von Schuldtiteln im Sinne des § 2 Absatz 1 Nummer 3 des Wertpapierhandelsgesetzes und von Verträgen, die zu gleichlautenden Bedingungen mit einer Vielzahl von Gläubigern geschlossen wurden. 3Beruhen Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften auf unterschiedlichen Rechtsverhältnissen und haben die Inhaber der Forderungen oder Anwartschaften untereinander und mit dem Schuldner Vereinbarungen über die Durchsetzung der gegenüber diesem bestehenden Forderungen oder Anwartschaften und das relative Rangverhältnis der aus der Durchsetzung resultierenden Erlöse getroffen, so sind auch die Bedingungen dieser Vereinbarung durch den Plan gestaltbar. (3) Ist der Schuldner eine juristische Person oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, können auch die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der an dem Schuldner beteiligten Personen durch den Restrukturierungsplan gestaltet,

Knapp/Wilde/Tresselt

97

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

sonstige gesellschaftsrechtlich zulässige Regelungen getroffen sowie Anteilsund Mitgliedschaftsrechte übertragen werden.*) (4) 1Der Restrukturierungsplan kann auch die Rechte der Inhaber von Restrukturierungsforderungen gestalten, die diesen aus einer von einem verbundenen Unternehmen im Sinne des § 15 des Aktiengesetzes als Bürge, Mitschuldner oder aufgrund einer anderweitig übernommenen Haftung oder an Gegenständen des Vermögens dieses Unternehmens zustehen (gruppeninterne Drittsicherheit); der Eingriff ist durch eine angemessene Entschädigung zu kompensieren. 2Satz 1 Halbsatz 2 gilt entsprechend für eine Beschränkung der persönlichen Haftung eines persönlich haftenden Gesellschafters eines als Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit verfassten Schuldners.*) (5) 1Maßgeblich für die Absätze 1 bis 4 sind die Rechtsverhältnisse zum Zeitpunkt der Unterbreitung des Planangebots (§ 17), im Fall einer Abstimmung im gerichtlichen Planabstimmungsverfahren zum Zeitpunkt der Antragstellung (§ 45). 2Erwirkt der Schuldner vorher eine Stabilisierungsanordnung (§ 49), tritt an die Stelle des Planangebots oder des Antrags der Zeitpunkt der Erstanordnung. Literatur: Albrecht, Die EU-Kommission ebnet den Einstieg in die vorinsolvenzliche Sanierung, ZInsO 2016, 2415; Bea/Dressler, Business Judgement Rule versus Gläubigerschutz? – Praktische Erwägungen zur Organhaftung im Kontext des StaRUG, NZI 2021, 67; Bitter, Geschäftsleiterhaftung in der Insolvenz – Alles neu durch SanInsFoG und StaRUG?, ZIP 2021, 321; Bitter, Reform des Insolvenz- und Restrukturierungsrechts zum 1.1.2021 in Kraft getreten, GmbHR 2021, R16; Bork, Erstreckung der §§ 103 ff. InsO auf die präventive Restrukturierung?, ZRI 2020, 457; Brinkmann, Die Haftung der Geschäftsleiter in der Krise nach dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), ZIP 2020, 2361; Brünkmans, Geschäftsleiterpflichten und Geschäftsleiterhaftung nach dem StaRUG und SanInsFoG – Nachtrag zu ZInsO 2021, 1 ff., ZInsO 2021, 125; Commandeur/Utsch, Aktuelle Entwicklungen im Insolvenzrecht – Der vorinsolvenzliche Restrukturierungsrahmen, NZG 2020, 1338; Cranshaw/Portisch, Paradigmen des Unternehmensrestrukturierungs- und Stabilisierungsgesetzes nach dem Regierungsentwurf aus Gläubigersicht (Teil 2), ZInsO 2020, 2617; Cranshaw/Portisch, Präventiver Restrukturierungsrahmen in Konkurrenz zu bisherigen „Verfahrensweisen“ der Sanierung, ZInsO 2020, 226; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Freitag, Grundfragen der Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen und ihrer Umsetzung in das deutsche Recht, ZIP 2019, 541; Frind, Überreguliert statt saniert? Zum RefE eines „StaRUG“, ZInsO 2020, 2241; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Guntermann, StaRUG: Neuausrichtung der Geschäftsleiterpflichten bei drohender Zahlungsunfähigkeit?, WM 2021, 214; Hofmann, Vertragsbeendigung nach §§ 49 ff. StaRUG-E – praktisches Sanierungstool oder untaugliches Ungetüm?, NZI 2020, 871; Hölzle, Zur Umsetzung des präventiven Restrukturierungsrahmens in Deutschland, ZIP 2020, 585; Korch, Restrukturierungsgesellschaftsrecht – Zur Überformung des Gesellschaftsrechts durch den StaRUG-Regierungsentwurf, NZG 2020, 1299; Korch, Die Rolle der Gesellschafter im künftigen Restrukturierungs-

_____________ *)

98

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 2 Abs. 3, Abs. 4 Satz 2 die Wörter „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft.

Knapp/Wilde/Tresselt

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

verfahren, ZIP 2020, 446; Kuntz, Geschäftsleiterhaftung bei drohender Zahlungsunfähigkeit nach StaRUG, ZIP 2021, 597; Lau/Schwartz, Richtlinie für ein präventives Restrukturierungsverfahren – Analyse und Umsetzungsempfehlungen, NZG 2020, 450; Leinekugel/Skauradszun, Geschäftsführerhaftung bei eigenmächtig gestelltem Insolvenzantrag wegen bloß drohender Zahlungsunfähigkeit – Das Spannungsfeld zwischen Sanierungspflicht und Insolvenzantragspflicht, GmbHR 2011, 1121; Lürken, Das StaRUG aus schuldverschreibungsrechtlicher Sicht, ZIP 2021, 1305; Madaus, Möglichkeiten und Grenzen von Insolvenzplanregelungen, ZIP 2016, 1141; Meyer, Der Plan ist umgesetzt, doch manche Frage offen – Zwischenfazit zum Suhrkamp-Insolvenzverfahren, DB 2015, 538; Müller, H.-F., Die Umsetzung der EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen – Kritische Anmerkungen zum StaRUG-RegE, ZIP 2020, 2253; Müller, H.-F., Sanierung nach der geplanten EU-Restrukturierungs-Richtlinie, ZGR 2018, 56; Naujocks/ Schönen, Die Anpassung von Einzelbestimmungen in Finanzierungsverträgen nach dem StaRUG, ZRI 2021, 437; Proske/Streit, Rettende Restrukturierung durch Rechtsrahmen? Lob und Kritik zum Regierungsentwurf des StaRUG, NZI 2020, 969; Rauhut, Die Gesellschafter unter dem StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 52; Ringelspacher/Ruch, Der Restrukturierungsplan – Das Herzstück des StaRUG-Entwurfs im Überblick, ZRI 2020, 636; Sax/Ponseck/Swierczok, Ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren für europäische Unternehmen, BB 2017, 323; Schäfer, Zur Einbeziehung der Gesellschafter in ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren nach dem Regierungsentwurf eines „StaRUG“, ZIP 2020, 2164; Schäfer, Einbeziehung der Gesellschafter in ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren? ZIP 2019, 1645; Schäfer, Zur Einbeziehung der Anteilsinhaber in den Insolvenzplan, ZIP 2016, 1911; Schäfer, Insolvenzplan als Lösungsmittel für Mehrheits-/Minderheitskonflikte? – Lehren aus dem Fall Suhrkamp, ZIP 2013, 2237; Scholz, Die Krisenpflichten von Geschäftsleitern nach Inkrafttreten des StaRUG, ZIP 2021, 219; Seibt/Bulgrin, Entwurf zum Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) – Kritische Analyse aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, DB 2020, 2226; Seibt/Bulgrin, Strategische Insolvenz: Insolvenzplanverfahren als Gestaltungsinstrument zur Überwindung bestandsgefährdender Umstände, ZIP 2017, 353; Seibt./v. Treuenfeld, Gesellschafts- und kapitalmarktrechtliche Aspekte der EU-Restrukturierungsrichtlinie, DB 2019, 1191; Skauradszun, Grundfragen zum StaRUG – Ziele, Rechtsnatur, Rechtfertigung, Schutzmechanismen, KTS 2021, 1; Skauradszun, Neuralgische Punkte der Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG, ZRI 2020, 625; Skauradszun, Ein Umsetzungskonzept für den präventiven Restrukturierungsrahmen (An Implementation Concept for the Preventive Restructuring Framework), KTS 2019, 161; Skauradszun/Kümpel, Restrukturierungen von Schuldverschreibungen und weiteren Finanzierungsarrangements nach § 2 Abs. 2 StaRUG, WM 2021, 1122; Spahlinger, Gruppen, Stimmrechte und erforderliche Mehrheiten NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32; Spahlinger, Die Rolle der Gesellschafter im Restrukturierungsverfahren – Gestaltungsspielräume des deutschen Gesetzgebers, Einflussmöglichkeiten, Chancen und Risiken für die Gesellschafter, NZI Beilage Heft 16 – 17/2019, S. 69; Stöber, Strukturmaßnahmen im Insolvenzplanverfahren und gesellschaftsrechtliche Treuepflicht – der Fall Suhrkamp, ZInsO 2013, 2457; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Thole, Lehren aus der ESUG-Evaluation für die Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie, NZI Beilage Heft 16 – 17/2019, S. 61; Thole, Der Richtlinienvorschlag zum präventiven Restrukturierungsrahmen, ZIP 2017, 101; Thole, Die Restrukturierung von Schuldverschreibungen im Insolvenzverfahren, ZIP 2014, 293; Thole, TreuepflichtTorpedo? Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht im Insolvenzverfahren, ZIP 2013, 1937; Tresselt/Glöckler, Gesellschafterrechte und Geschäftsführerpflichten – Kollision von Restrukturierungs- und Gesellschaftsrecht im Präventiven Restrukturierungsrahmen (Teil 1), NWB Sanieren 2021, 80, (Teil 2) NWB Sanieren 2021, 109; Tresselt/Müller, M.J., Die „Insolvency Judgement Rule“ bei Stellung der Sanierungsanträge – Geschäftsführerpflichten und Gesellschafterrechte bei Beantragung der vorläufigen Eigenverwaltung und des „Schutzschirms“, KSzW 2015, 198; Westermann, Der „Suhrkamp“-Gesellschafter

Knapp/Wilde/Tresselt

99

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

unter dem Schutzschirm der Gesellschaftsinsolvenz, NZG 2015, 134; Westpfahl, Wesentliche Elemente eines vorinsolvenzlichen Sanierungsregimes für Deutschland, ZRI 2020, 157; Westpfahl/Dittmar, Die Behandlung gruppeninterner Sicherheiten im StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 46; Westpfahl/Knapp, Die Sanierung deutscher Gesellschaften über ein englisches Scheme of Arrangement, ZIP 2011, 2033; Westpfahl/Kresser, Rangrücktrittsvereinbarungen in der Beratungspraxis, DB 2016, 33; Wilkens, Der präventive Restrukturierungsrahmen – Eine Bestandsaufnahme aus Sicht der Finanzgläubiger, WM 2021, 573. Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: Niering (VID), Stellungnahme im Rahmen der Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 25.11.2020 zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) BT-Drucksache 19/24181 vom 23.11.2020 (zit.: Niering (VID), Stellungnahme z. RegE SanInsFoG, v. 23.11.2020), abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/2020/11/Stellungnahme-v.-Dr.-ChristophNiering-VID-zur-Sachverstaendigenanhoerung-zum-RegE-des-SanInsFoG.pdf; Thole, Stellungnahme als Sachverständiger zur öffentlichen Anhörung am 25.11.2020 im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags zu dem Gesetzentwurf des SanInsFoG (BR-Drucks.619/20) und dem Antrag der FDP-Fraktion (BTDrucks. 19/20560) sowie zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BTDrucks. 19/24379), v. 18.11.2020 (zit.: Thole, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung am 25.11.2020), abrufbar unter https://www.bundestag.de/ausschuesse/a06_Recht/ anhoerungen#url=L2F1c3NjaHVlc3NlL2EwNl9SZWNodC9hbmhvZXJ1bmdlbi9zYW5 pbnNmb2ctODA5MDI0&mod=mod554370; TMA Deutschland, Stellungnahme zum Referentenentwurf v. 18.9.2020 eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), v. 2.10.2020 (zit.: TMA, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020), abrufbar unter https://www.tma-deutschland.org/presse-nf-leser/tma-stellungnahme-zum-referentenentwurf-v-18-9-2020-eines-gesetzes-zur-fortentwicklung-dessanierungs-und-insolvenzrechts-sanier.html; VID, Stellungnahme des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), v. 2.10.2020 (zit.: VID, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020), abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/ 2020/10/VID-Stellungnahme-zum-RefE-SanInsFoG.pdf. (Abrufdatum jeweils: 31.8.2021). Übersicht I. Einführung ........................................... 1 II. Gestaltbare Forderungen und Rechte (Abs. 1) ..................................... 6 1. Restrukturierungsforderungen (Abs. 1 Nr. 1) ........................................ 8 a) Persönlicher Vermögensanspruch ......................................... 9 b) Begründetheit des Anspruchs ..... 11 c) Besondere Forderungsarten ........ 13 aa) Miet- und Pachtforderungen ....... 14 bb) Öffentlich-rechtliche Forderungen ........................................... 15 cc) Schadensersatzansprüche ............ 16 dd) Steuerforderungen ....................... 17 ee) Rückforderung staatlicher Beihilfen ........................................ 18 ff) Nachrangige Forderungen .......... 20 gg) Besserungsscheine ........................ 21 d) Gestaltungsmöglichkeiten ........... 22 aa) (Teil-)Erlass .................................. 23 bb) Stundungen .................................. 24 cc) Rangrücktritt ................................ 25

100

dd) Forderungstausch (sog. Debt Debt Swap) ................ 26 ee) Umwandlung in Anteilsoder Mitgliedschaftsrechte (sog. Debt Equity Swap) ............. 29 III. Absonderungsanwartschaften .......... 33 1. Begründetheit der Absonderungsanwartschaft ......................................... 36 2. Gestaltungsspielraum .......................... 37 IV. Gestaltbarkeit von Vertragsbedingungen (Abs. 2) ............................ 41 1. Einführung ........................................... 41 2. Mehrseitige Finanzierungsarrangements (Abs. 2 Satz 1) .......................... 47 3. Schuldtitel und Schuldscheindarlehen (Abs. 2 Satz 2) ...................... 53 a) Schuldtitel (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG) ........................................ 54 b) Schuldscheindarlehen ................... 58 4. Interkreditorenvereinbarungen (Abs. 2 Satz 3) ..................................... 59

Knapp/Wilde/Tresselt

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse Grenzen der Gestaltbarkeit von Nebenbestimmungen .......................... V. Gestaltung von Anteilsund Mitgliedschaftsrechten (Abs. 3) ................................................ 1. Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie ............................................... 2. Meinungsstand zur Ausübung des Umsetzungsspielraums ................ a) Keine Einbeziehung der Anteilsinhaber .............................. b) Einbeziehung der Anteilsinhaber ............................................. 3. Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie in nationales Recht .............. 4. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit ....................................................... a) Meinungsstand ............................. b) Stellungnahme .............................. c) Zusammenfassung ....................... 5. Verbleibende Spannungsfelder zum Gesellschaftsrecht ....................... a) Vorkrisen-Phase ........................... b) Stabilisierungsphase ..................... c) Umsetzungsphase ........................ d) Krisenphase .................................. aa) Lehre von den Vorwirkungen der §§ 32, 43 ................................. bb) Anwendung der Restructuring Judgement Rule ............................ 6. Zweck des § 2 Abs. 3 ..........................

7.

5.

I.

62 63 63 66 67 68 69 73 75 77 84 86 87 88 89 90 93 95 97

Tatbestand des § 2 Abs. 3 ................... 99 a) Persönlicher Anwendungsbereich ........................................... 99 b) Anteils- und Mitgliedschaftsrechte des Schuldners ................. 100 8. Rechtsfolge ........................................ 104 a) Reichweite der „gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahmen“ ...................................... 105 b) Überblick über die gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahmen ................................ 110 VI. Gestaltung der Rechte der Inhaber von Restrukturierungsforderungen aus gruppeninternen Drittsicherheiten (Abs. 4) ............... 114 1. Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie ............................................. 114 2. Aufnahme der Regelung in nationales Recht ................................ 115 3. Zweck der Einbeziehung von gruppeninternen Drittsicherheiten ..... 119 4. Tatbestand des § 2 Abs. 4 ................. 121 5. Rechtsfolge ........................................ 125 a) Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten ........................ 125 b) Entschädigung des Sicherungsnehmers ...................................... 127 VII. Maßgeblicher Zeitpunkt (Abs. 5) ................................................... 137

Einführung Knapp/Wilde

§ 2 regelt, welche Rechte und Rechtsverhältnisse durch einen Restrukturierungsplan gestaltet werden können und legt damit die Reichweite der möglichen Eingriffe in die Rechtspositionen der Planbetroffenen fest.

1

Die Vorschrift trägt wesentlich zur Umsetzung von Art. 4 und Art. 8 der Restrukturierungsrichtlinie1) bei, nach denen ein präventiver Restrukturierungsrahmen einzuführen ist, der die Vorlage eines Restrukturierungsplans ermöglicht. Der Richtliniengeber hat den Mitgliedstaaten insoweit anheimgestellt, den Umfang der Restrukturierung über rein finanzielle Maßnahmen hinaus auf operative Sanierungsmaßnahmen zu erstrecken.2) Von dieser Möglichkeit hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. Die im RefE noch vorgesehenen Regelungen zur Vertragsbeendigung (§ 51 RefE) haben nach erheblicher Kritik aus Wissenschaft

2

_____________ 1)

2)

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Vgl. die Begriffsbestimmung in Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 der Restrukturierungsrichtlinie, wonach der Begriff Restrukturierung auch „alle erforderlichen operativen Maßnahmen“ umschließt.

Knapp/Wilde

101

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

und Praxis sowie vor dem Hintergrund verfassungsrechtlicher Bedenken3) letzten Endes keinen Eingang in das StaRUG gefunden.4) Der Fokus des deutschen Restrukturierungsverfahrens liegt demnach auf den möglichen finanziellen Sanierungsmaßnahmen, wenngleich die Eingriffsmöglichkeiten nicht zwingend auf die Finanzverbindlichkeiten des Schuldners beschränkt sind. Eingriffe in sonstige Forderungen, insbesondere in Handelsforderungen, sind jedoch aufgrund der Regelung in § 3 Abs. 2 erheblich eingeschränkt. 3

§ 2 Abs. 1 orientiert sich eng an den insolvenzplanrechtlichen Regelungen zur passivseitigen Restrukturierung.5) Möglich sind demnach zum einen Eingriffe in Restrukturierungsforderungen und zum anderen in Absonderungsanwartschaften, d. h. in Sicherungsrechte, die für den Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über den Planschuldner ein Absonderungsrecht gewähren würden.6) Gleiches gilt gemäß § 2 Abs. 3 für die Einbeziehung von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten. Der Restrukturierungsplan geht über die Gestaltungsmöglichkeiten eines Insolvenzplans insoweit hinaus, als er bei kollektiven bzw. teil-kollektiven Finanzierungsarrangements (z. B. Konsortialkrediten, Schuldverschreibungen oder Schuldscheindarlehen)7) die Gestaltung der zugrunde liegenden Vertragsbeziehungen und Nebenbestimmungen ermöglicht (§ 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2). Daran anknüpfend können i. R. eines Restrukturierungsplans auch die bspw. in Interkreditorenvereinbarungen getroffenen Abreden zwischen den Gläubigern gestaltet werden (§ 2 Abs. 2 Satz 3).8) § 2 Abs. 4 schafft – wie nunmehr auch das Insolvenzplanrecht (§ 223a InsO) – die Möglichkeit, auch Personal- und Sachsicherheiten, die von verbundenen Unternehmen für Restrukturierungsforderungen gewährt wurden (legaldefiniert als gruppeninterne Drittsicherheiten), in den Plan einzubeziehen.9)

4

§ 3 Abs. 1 erweitert die gestaltbaren Restrukturierungsforderungen um bedingte und noch nicht fällige Forderungen, während § 3 Abs. 2 Forderungen aus gegenseitigen Verträgen nur insoweit für gestaltbar erklärt, als die dem anderen Teil obliegende Leistung bereits erbracht worden ist. § 4 nimmt Forderungen von Arbeitnehmern aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen und Forderungen nach § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 InsO demgegenüber von vorneherein vom Anwendungsbereich aus.

5

Die Gestaltung der Forderungen und Rechte muss zur Erreichung des Restrukturierungsziels geeignet sein,10) was durch die Verknüpfung mit dem zugrunde _____________ S. etwa Bork, ZRI 2020, 457; Hofmann, NZI 2020, 871, 873 ff.; Thole, ZIP 2020, 1985, 1995. Näher zur Streichung Bitter, GmbHR 2021, R 16 f. Gehrlein, BB 2021, 66. Begr. RegE SanInsFoG z. § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 111. Begr. RegE SanInsFoG z. § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 111. Insoweit geht § 2 Abs. 2 über die insolvenzplanrechtlichen Eingriffsmöglichkeiten hinaus, ausführlich dazu Flöther-Westpfahl/Dittmar, StaRUG, § 2 Rz. 3. 9) Für einen Überblick zur Behandlung gruppeninterner Sicherheiten im StaRUG vgl. Westpfahl/ Dittmar, NZI Beilage 1 Heft 5/2021, S. 46 ff. 10) Nach Begr. RegE SanInsFoG z. § 70 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 162, ist „sicherzustellen, dass das Restrukturierungsgericht die Bestätigung des Restrukturierungsplans ablehnen kann, wenn keine vernünftige Aussicht besteht, dass der Plan die Insolvenz des Schuldners verhindern oder die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gewährleisten würde“. 3) 4) 5) 6) 7) 8)

102

Knapp/Wilde

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

liegenden Sanierungskonzept belegt werden kann. Der Gestaltungsspielraum ist aber überdies nicht auf das zwingend erforderliche Maß beschränkt. Eine solche Beschränkung ist im Gesetz nicht angelegt und lässt sich auch aus der Gesetzesbegründung nicht ableiten.11) Eine derartige Hürde für die Gestaltbarkeit wäre angesichts der Vielfältigkeit alternativer Gestaltungsmöglichkeiten kaum sinnvoll justiziabel und drohte unnötiges Obstruktionspotential zu eröffnen. II. Gestaltbare Forderungen und Rechte (Abs. 1) Der Gestaltung i. R. eines Restrukturierungsplans zugänglich sind nach § 2 Abs. 1 gegen den Schuldner begründete Forderungen (Restrukturierungsforderungen) und Rechte an Gegenständen des schuldnerischen Vermögens, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners zur Absonderung berechtigen würden (Absonderungsanwartschaften).

6

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, ob eine Forderung gegen den Schuldner begründet ist oder ein Recht an dessen Vermögen besteht, ist gemäß Abs. 5 der Zeitpunkt der Unterbreitung des Planangebots (§ 17) und, für den Fall einer Abstimmung im gerichtlichen Planabstimmungsverfahren, der Zeitpunkt der Antragstellung des Planschuldners auf Anberaumung eines Erörterungs- und Abstimmungstermins (§ 45). Erwirkt der Schuldner bereits zuvor eine Stabilisierungsanordnung nach § 49, tritt der Zeitpunkt der ersten Anordnung (§ 2 Abs. 5 Satz 2) an die Stelle des Planangebots bzw. des Antrags.

7

1.

Restrukturierungsforderungen (Abs. 1 Nr. 1)

§ 2 Abs. 1 Nr. 1 erklärt Restrukturierungsforderungen für gestaltbar, die zum maßgeblichen Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5) begründet sind. Erfasst sind demnach grundsätzlich sämtliche Forderungen, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden könnten.12) Es kann auf die insolvenzrechtlichen Grundsätze zur Frage der Begründetheit einer Insolvenzforderung (§ 38 InsO) zurückgegriffen werden.13)

8

a) Persönlicher Vermögensanspruch Unter Verweis auf § 38 InsO werden von § 2 Abs. 1 Nr. 1 nur persönliche Vermögensansprüche erfasst, d. h. Ansprüche, für die der Schuldner mit seinem gesamten Vermögen, zumindest aber mit einem Sondervermögen und nicht nur mit einem bestimmten Vermögensgegenstand haftet.14) In Abgrenzung zu den dinglichen Gläubigern stehen die persönlichen Ansprüche in Befriedigungskonkurrenz zu den Ansprüchen der übrigen Restrukturierungsgläubiger.15) Es muss sich um einen Vermögensanspruch, mithin um einen Anspruch handeln, der auf Zahlung einer Geldsumme gerichtet ist oder sich zumindest dahingehend _____________ 11) Zutreffend für die Anpassung von Nebenbestimmung nach § 2 Abs. 2 AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZIP 2021, 806, 807 = ZRI 2021, 377. 12) Begr. RegE SanInsFoG z. § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 111. 13) Begr. RegE SanInsFoG z. § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 111. 14) Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 38 Rz. 5 m. w. N. 15) Jaeger-Henckel, InsO, § 38 Rz. 19; Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 38 Rz. 5.

Knapp/Wilde

103

9

10

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

umrechnen lässt (§ 45 InsO).16) Anders gewendet muss die Forderung im Wege der Einzelzwangsvollstreckung theoretisch aus dem Vermögen des Schuldners beigetrieben werden können.17) Höchstpersönliche Ansprüche gegen den Schuldner, Unterlassungsansprüche und Ansprüche auf Vornahme nicht vertretbarer Handlungen18) kommen deshalb ebenso wenig als gestaltbare Restrukturierungsforderungen in Betracht wie nicht durchsetzbare, unvollkommene Verbindlichkeiten.19) Schadensersatzforderungen, die auf der Nichterfüllung nicht-vermögensrechtlicher Ansprüche beruhen, können dagegen in den Plan einbezogen werden, weil sie originär oder jedenfalls umrechenbar auf Zahlung eines Geldbetrags gerichtet sind.20) b) Begründetheit des Anspruchs 11

12

Der Vermögensanspruch muss zum relevanten Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5) begründet, der Anspruchstatbestand mithin abschließend erfüllt sein.21) Nicht erforderlich ist es dagegen, dass die Forderung bereits entstanden oder fällig ist; es genügt, dass ihre schuldrechtliche Grundlage im maßgeblichen Zeitpunkt gelegt ist.22) Bei Dauerschuldverhältnissen ist zu unterscheiden, ob die Ansprüche auf einem einheitlichen Rechtsverhältnis beruhen oder es sich um immer wieder neu zu begründende Einzelansprüche handelt.23) Hat der andere Teil seine Gegenleistung bereits vollständig erbracht, sodass seine aus dem Dauerschuldverhältnis herrührenden Ansprüche gegen den Schuldner nur noch vom Zeitablauf abhängen, sind diese begründet und stellen eine gestaltbare Restrukturierungsforderung dar.24) Hängt die Forderung des Gläubigers hingegen noch davon ab, dass er die ihm obliegende Gegenleistung erbringt, kann sie nicht als Restrukturierungsforderung in den Plan einbezogen werden (§ 3 Abs. 2). In diesem Sinne entstehen etwa Mietforderungen jeweils nur für den relevanten abzurechnenden Mietzeitraum und stellen insofern lediglich für den vor Planangebot bzw. Antrag auf Abstimmung liegenden Leistungszeitraum gestaltbare Restrukturierungsforderungen dar (siehe dazu Rz. 14).25) c) Besondere Forderungsarten

13

Im Folgenden sollen einige Forderungsarten, die für die Umsetzung eines präventiven Restrukturierungsrahmens besondere praktische Relevanz haben, kurz dargestellt werden. _____________ 16) Ehricke/Behme in: MünchKomm-InsO, § 38 Rz. 18; Jaeger-Henckel, InsO, § 38 Rz. 63; Ries in: HK-InsO, § 38 Rz. 14; Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 38 Rz. 10; anders Braun-Esser, StaRUG, § 2 Rz. 10. 17) Flöther-Westpfahl/Dittmar, StaRUG, § 2 Rz. 9. 18) K. Schmidt-Büteröwe, InsO, § 38 Rz. 6 ff.; Ehricke/Behme in: MünchKomm-InsO, § 38 Rz. 43 ff.; Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, § 38 Rz. 15 ff. 19) Für die InsO Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, § 38 Rz. 24. 20) Ehricke/Behme in: MünchKomm-InsO, § 38 Rz. 43 ff. 21) Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 38 Rz. 26. 22) S. BGH, Beschl. v. 6.2.2014 • IX ZB 57/12, Rz. 10, ZVI 2014, 185 = NZI 2014, 310; BGH, Beschl. v. 22.9.2011 • IX ZB 121/11, Rz. 3, ZVI 2011, 408 = NZI 2011, 953; BVerwG, Urt. v. 11.3.2020 – 8 C 17.19, Rz. 20, NZI 2020, 749; Ehricke/Behme in: MünchKomm-InsO, § 38 Rz. 21; Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 38 Rz. 26. 23) Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 38 Rz. 58. 24) Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 38 Rz. 58. 25) Vgl. Ehricke/Behme in: MünchKomm-InsO, § 38 Rz. 27; Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, § 38 Rz. 26; Wilkens, WM 2021, 573, 576.

104

Knapp/Wilde

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

aa) Miet- und Pachtforderungen Miet- und Pachtforderungen können Restrukturierungsforderungen nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 darstellen, allerdings nur im Hinblick auf die im maßgeblichen Zeitpunkt bereits zurückliegenden Leistungszeiträume (§ 3 Abs. 2). Forderungen aus dem Dauerschuldverhältnis, die erst nach diesem Zeitpunkt entstehen, sind angesichts der noch beiderseitig ausstehenden Leistungspflichten noch nicht begründet i. S. des § 2. Sie können nicht vorwegnehmend gestaltet werden. Dasselbe gilt grundsätzlich für Leasingforderungen, die in aller Regel nur in der bis zum maßgeblichen Zeitpunkt entstandenen Höhe gestaltet werden können. Beim Finanzierungsleasing ist indes regelmäßig zu differenzieren: So kann etwa der Anspruch des Leasinggebers auf eine Abschlusszahlung des Restrukturierungsschuldners, auch ohne bereits fällig zu sein, durchaus insoweit gestaltet werden, als die Abschlusszahlung – üblicherweise – auch die bereits erfolgte Nutzungsüberlassung zeitanteilig vergütet.26) Ansprüche des Leasinggebers aus einer erst künftigen Kaufoption oder mitunter sogar -pflicht des Leasingnehmers sind dagegen nicht gestaltbar, da sie im maßgeblichen Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5) entweder noch nicht begründet sind oder jedenfalls die Gegenleistung des anderen Teils, konkret die Übereignung des Leasinggegenstands an den Restrukturierungsschuldner, noch aussteht (§ 3 Abs. 2).

14

bb) Öffentlich-rechtliche Forderungen Auch öffentlich-rechtliche Forderungen können gestaltbare Restrukturierungsforderungen darstellen und damit in einen Restrukturierungsplan einbezogen werden, wenn der der Beitragspflicht zugrunde liegende Sachverhalt vor dem maßgeblichen Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5) abgeschlossen worden ist und die rechtlichen Voraussetzungen für die Beitragserhebung vorlagen.27)

15

cc) Schadensersatzansprüche Sofern das zugrunde liegende vertragliche oder gesetzliche Schuldverhältnis bereits begründet war und die schadensbegründende Pflicht- oder Rechtsverletzung vor dem maßgeblichen Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5) erfolgt ist, sind hieraus resultierende Schadensersatzansprüche Restrukturierungsforderungen und zwar unabhängig davon, wann der Schaden letztlich tatsächlich eingetreten ist.28) Auch zivilrechtliche Schadensersatzansprüche aus kartellrechtlichen Verstößen sind dementsprechend – vorbehaltlich § 4 Satz 1 Nr. 2 – grundsätzlich einer Gestaltung zugänglich und können damit in den Plan einbezogen werden. Auf Grund von Kartellverstößen verhängte Geldbußen sind hingegen nicht gestaltungsfähig (§ 4 Satz 1 Nr. 3).

16

dd) Steuerforderungen Steuerforderungen sind Restrukturierungsforderungen i. S. von § 2 Abs. 1 Nr. 1, soweit der Steuertatbestand im maßgeblichen Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5) vollständig _____________ 26) Ausführlich zum Leasingvertrag in der Insolvenz des Leasingnehmers Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 108 Rz. 95. 27) Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 38 Rz. 28. 28) Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 38 Rz. 41.

Knapp/Wilde

105

17

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

erfüllt und abgeschlossen ist,29) was im Hinblick auf die unterschiedlichen Besteuerungsarten (Körperschaftssteuer, Umsatzsteuer, Lohnsteuer, Gewerbesteuer etc.) zu teils unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Maßgeblich sind insofern die steuerrechtlichen Regelungen. Auf die im Insolvenzrecht besonders relevante Unterscheidung zwischen Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten kommt es im präventiven Restrukturierungsrahmen dagegen nicht an, da das StaRUG keine eigens zu behandelnden „Masseverbindlichkeiten“ kennt. ee) Rückforderung staatlicher Beihilfen 18

Ansprüche auf Rückgewähr staatlicher Beihilfen sind grundsätzlich ebenso Restrukturierungsforderungen.30) Auch hier kommt es in zeitlicher Hinsicht nicht auf das Wirksamwerden des Rückforderungsbescheids, sondern vielmehr auf den Zeitpunkt an, in dem der Anspruch dem Grunde nach begründet ist, d. h. in aller Regel auf den Zeitpunkt der Beihilfegewährung selbst. Gleichwohl dürfte einer Gestaltung der Rückgewährforderung im teilkollektiven Restrukturierungsverfahren der europarechtliche Grundsatz des effet utile entgegenstehen. Danach sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, europarechtswidrige Beihilfen in effektiver Weise zurückzufordern, dadurch Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden bzw. rückgängig zu machen und letztlich dem europäischen Recht Geltung zu verschaffen. Im Insolvenzverfahren soll dieser Umstand gleichwohl keinen Vorrang etwaiger Rückforderungsansprüche begründen,31) weil eine vorrangige Rückführung im Ergebnis lediglich zulasten der Quotenerwartung der übrigen Gläubiger gehen würde, ohne aber die mögliche Wettbewerbsverzerrung tatsächlich rückgängig zu machen oder fortan zu verhindern.32)

19

Auf den präventiven Restrukturierungsrahmen lassen sich diese Erwägungen nicht übertragen: Weder handelt es sich um ein Gesamtvollstreckungsverfahren noch erfolgt aufgrund von Vermögensinsuffizienz zwingend eine lediglich quotale Befriedigung sämtlicher Gläubiger. Dass ein Schuldner sich allein unter Verweis auf seine drohende (künftige) Zahlungsunfähigkeit in einem teilkollektiven Verfahren seiner Pflicht zur vollumfänglichen Rückgewähr der rechtswidrigen Beihilfe entziehen könnte, lässt sich daher kaum mit dem Gedanken des effet utile vereinbaren. ff) Nachrangige Forderungen

20

Forderungen, die in einem Insolvenzverfahren gemäß § 39 Abs. 1 oder Abs. 2 InsO nachrangig gegenüber den sonstigen gegen den Schuldner gerichteten Forderungen zu befriedigen wären, können ebenfalls i. R. eines Restrukturierungsplans gestaltet werden. Hiervon ausgenommen sind Forderungen nach § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 InsO (§ 4 Satz 1 Nr. 3). Besonderheiten gelten i. R. der Gruppenbildung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 für nachrangige Forderungen nach § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 5 und Abs. 2 InsO sowie ggf. i. R. der Vergleichsrechnung nach § 64. _____________ 29) Zu § 38 InsO BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, Rz. 18, BFHE 232, 301 = NJW 2011, 1998. 30) Für die InsO Ehricke/Behme in: MünchKomm-InsO, § 38 Rz. 123. 31) Vgl. Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, § 38 Rz. 41e. 32) Eingehend Ehricke/Behme in: MünchKomm-InsO, § 38 Rz. 123.

106

Knapp/Wilde

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

gg) Besserungsscheine Besserungsabreden können ebenfalls gestaltbare Restrukturierungsforderungen zugrunde liegen. Sofern mit einem auflösend bedingten Forderungsverzicht ein aufschiebend bedingtes Schuldanerkenntnis verbunden ist oder in sonstiger Weise eine aufschiebend bedingte Forderungsposition begründet wird, liegt ein persönlicher Vermögensanspruch vor, der einer Gestaltung zugänglich ist (§ 3 Abs. 1). Sofern die Besserungsabrede als auflösend bedingter Forderungsverzicht ausgestaltet ist, besteht im Ausgangspunkt zum relevanten Zeitpunkt keine Restrukturierungsforderung, die in den Plan einbezogen werden könnte. Gleichwohl spricht der Zweck des StaRUG dafür, dass die Gestaltung von Besserungsscheinen, etwa durch eine Anpassung der Bedingungen des auflösend bedingten Verzichts, generell durch einen Restrukturierungsplan ermöglicht wird (siehe dazu § 3 Rz. 9).

21

d) Gestaltungsmöglichkeiten Zur Reichweite des Gestaltungsspielraums lässt sich der Norm selbst nichts entnehmen. Einen Anhaltspunkt bietet indes auch hier das Insolvenzplanrecht. Ist im gestaltenden Teil des Insolvenzplans anzugeben, um welchen Bruchteil die Forderungen gekürzt, für welchen Zeitraum sie gestundet, wie sie gesichert oder welchen sonstigen Regelungen sie unterworfen werden (§ 224 InsO), gilt für den Restrukturierungsplan im Grunde dasselbe. Im Einzelnen können die Gestaltungsmöglichkeiten des Restrukturierungsplans gleichwohl über die Möglichkeiten i. R. eines Insolvenzplans hinausgehen.

22

aa) (Teil-)Erlass Zunächst kann im Restrukturierungsplan – wie im Insolvenzplan – bestimmt werden, inwieweit die einbezogenen Restrukturierungsforderungen – vollständig oder teilweise – erlassen, d. h. ihr Nominalbetrag herabgesetzt wird. Dies gilt nicht nur für Haupt-, sondern auch für Nebenforderungen, insbesondere auf Zahlung von Darlehenszinsen. Gestaltbar nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, und nicht lediglich unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2, sind nicht nur bereits fällige Forderungen auf Zahlung von Zinsen, sondern auch künftig fällig werdende Zinsforderungen, sofern der zugrunde liegende Darlehensvertrag vor dem relevanten Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5) abgeschlossen wurde. Ein solcher Erlass kann dabei auch auflösend bedingt auf die Verbesserung der schuldnerischen Vermögenslage sein (Besserungsschein).33)

23

bb) Stundungen Anstelle oder zusätzlich zu einem (Teil-)Erlass kann eine Restrukturierungsforderung gestundet, d. h. ihre Fälligkeit aufgeschoben werden. Das betrifft sowohl Haupt- als auch Nebenforderungen, soweit diese zum relevanten Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5) begründet sind. Stundungen werden insbesondre erforderlich sein, wenn der Schuldner absehbar nicht in der Lage sein wird, die Restrukturierungsforderun_____________ 33) Besondere Bedeutung kommt dabei einer möglichst präzisen Definition des Besserungsfalls zu, wenn der Gläubiger einerseits an der verbesserten Vermögenslage partizipieren, der Schuldner andererseits durch das Wiederaufleben der Forderung nicht unmittelbar wieder in finanzielle Schwierigkeiten geraten soll, vgl. dazu Brünkmans in: Brünkmans/ Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 8 Rz. 35 f.

Knapp/Wilde

107

24

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

gen zum vereinbarten Fälligkeitstermin zu bedienen. Gegenstand eines Restrukturierungsplans kann in diesem Fall bspw. ein vom ursprünglichen Vertrag abweichender Tilgungsplan sein, auf dessen Grundlage die Fälligkeiten von Haupt- und Nebenforderungen entsprechend der erwarteten Leistungsfähigkeit des Schuldners neugeordnet werden. Hauptforderungen und Zinsverpflichtungen, die vertraglich in regelmäßigen Abständen geschuldet werden, können im Plan als endfällig festgelegt werden.34) Zinsen können dabei in den Schranken des Zinseszinsverbots kapitalisiert werden (sog. PIK-Zinsen).35) cc) Rangrücktritt 25

Eine weitere Gestaltungsmöglichkeit besteht in der Vereinbarung eines Rangrücktritts. Während der Rangrücktritt den Bestand der Forderung im Grunde unberührt lässt, führt er dazu, dass die jeweilige Restrukturierungsforderung in einem späteren Insolvenzverfahren lediglich im Rang des § 39 Abs. 2 InsO zu befriedigen wäre und daher bei der Feststellung der insolvenzrechtlichen Überschuldungsbilanz und des zur Bewertung der Zahlungsfähigkeit erforderlichen Liquiditätsstatus außer Acht bleiben kann.36) Ein Rangrücktritt kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die einschlägige Restrukturierungsforderung auf Grundlage des Sanierungskonzepts auf absehbare Zeit vom Schuldner nicht bedient werden kann und ohne den Rangrücktritt eine Insolvenz ausgelöst würde. Rangrücktrittsvereinbarungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als Vertrag zugunsten der übrigen Gläubiger des Forderungsschuldners zu verstehen; sie können daher grundsätzlich auch nur mit Mitwirkung der begünstigten übrigen Gläubiger wieder aufgehoben werden.37) Der Rangrücktrittsvereinbarung kommt in Krisensituationen insofern eine weitreichende, u. U. erlassähnliche Wirkung zu, wenngleich eine Befriedigung der Forderung zumindest aus dem freien Vermögen unverändert erfolgen kann.38) dd) Forderungstausch (sog. Debt Debt Swap)

26

Ebenso möglich ist ein Austausch der Restrukturierungsforderung gegen eine andere Forderung mit anderem Rechtsgrund (sog. Debt Debt Swap). Im Restrukturierungsplan kann bspw. vorgesehen werden, dass ein Finanzgläubiger gegen den Erlass seiner ursprünglichen Darlehensforderung oder an deren Erfüllung statt eine neue Darlehens- oder sonstige Finanzforderung erhält, die auf einem anderen Vertragsverhältnis beruht. Einwenden ließe sich gegen eine derartige Maßnahme u. U., dass es sich beim Austausch der Forderung (zumindest terminologisch) nicht mehr um eine Gestaltung der Restrukturierungsforderung i. S. von § 2 Abs. 1 Nr. 1 handelt. Tatsächlich ist der Begriff der Gestaltung jedoch weit zu verstehen: Können Re_____________ 34) S. hierzu Flöther-Westpfahl/Dittmar, StaRUG, § 2 Rz. 16. 35) Zu PIK-Klauseln Gleske/Laudenklos in: Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, Kap. D Rz. 35. 36) Näher zu den Anforderungen an einen insolvenzvermeidenden Rangrücktritt BGH, Urt. v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, Rz. 15 ff., NJW 2015, 1672; eingehend dazu Westpfahl/ Kresser, DB 2016, 33. 37) BGH, Urt. v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, Rz. 42, NJW 2015, 1672. 38) Vgl. BGH, Urt. v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, Rz. 32, 42, NJW 2015, 1672.

108

Knapp/Wilde

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

strukturierungsforderungen ausweislich § 7 Abs. 4 Satz 1 in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte, d. h. in Eigenkapital, umgewandelt werden, müssen sie erst recht gegen eine andere, neue Forderung ausgetauscht werden können. In der Praxis kommt ein Austausch des Schuldmittels insbesondere i. R. von Anleiherestrukturierungen in Form sog. Exchange Offer vor. Oftmals wird es darum gehen, ein vorrangiges in ein nachrangiges Schuldinstrument umzuwandeln und dem Schuldner dadurch mehr Flexibilität zu verschaffen. Dieses Ergebnis kann jedoch bei kollektiven bzw. teilkollektiven Finanzierungsarrangements bereits durch eine Anpassung der Finanzierungsbedingungen (§ 2 Abs. 2) erreicht werden.

27

Daneben kommt als Mittel der Entschuldung operativer Konzerngesellschaften auch eine Schuldübernahme durch eine andere Gruppengesellschaft in Betracht, die im Konzernverbund vom operativen Geschäftsbetrieb weiter entfernt, näher an den Gesellschaftern angesiedelt und dadurch in der Insolvenz des Restrukturierungsschuldners strukturell nachrangig ist (sog. Debt Push-up). Die Schuldübernahme kann insoweit – in der Regel abhängig von steuerrechtlichen Erwägungen – mit oder ohne Regressmöglichkeit der schuldübernehmenden Gesellschaft gegen den Restrukturierungsschuldner ausgestaltet werden. Aus Sicht des Forderungsinhabers ändern sich mit der Schuldübernahme in jedem Fall Forderungsschuldner und zivilrechtlicher Schuldgrund, sodass es sich rechtstechnisch gesehen um einen Austausch der zugrunde liegenden Verbindlichkeit handelt.

28

ee) Umwandlung in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte (sog. Debt Equity Swap) Überdies können Restrukturierungsforderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner umgewandelt werden. Beim sog. Debt Equity Swap handelt es sich um ein gängiges Sanierungsinstrument zur Entschuldung der betroffenen Schuldnergesellschaft. In Betracht kommt er insbesondere, wenn im Sanierungskonzept ein Verzicht auf (wertlose) Restrukturierungsforderungen vorgesehen ist, die Fremdkapitalgeber als Gegenleistung ihrerseits aber verlangen, über eine Eigenkapitalbeteiligung zumindest an einer potentiellen künftigen Wertsteigerung des Schuldnerunternehmens zu partizipieren. Andernfalls würde allein der bereits existierende (Alt-)Gesellschafter vom Forderungsverzicht der Gläubiger profitieren und sämtliche Sanierungserfolge und einhergehende Wertsteigerungen mehr oder weniger gegenleistungslos für sich vereinnahmen können.

29

Wenngleich ein solcher Debt Equity Swap über den Restrukturierungsplan gegen den Willen der Gesellschafter umgesetzt werden kann, kann er nur mit Zustimmung der betroffenen Gläubiger erfolgen (§ 7 Abs. 4 Satz 1, 2).39)

30

Technisch kann ein Debt Equity Swap im Wesentlichen auf zwei Arten umgesetzt werden: zum einen i. R. einer Kapitalmaßnahme auf Ebene des Schuldners (in der Regel im Wege einer Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung

31

_____________ 39) Allgemein zum Debt Equity Swap als Sanierungsmaßnahme Westpfahl/Wilde in: Eilers/ Koffka/Mackensen/Paul, Private Equity, Kap. III. 1 Debt Equity Swap, S. 211 ff.

Knapp/Wilde

109

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

unter Ausschluss der Bezugsrechte der Altgesellschafter),40) zum anderen durch Übertragung vom Schuldner gehaltener Geschäftsanteile jeweils im Gegenzug für einen von den Gläubigern erklärten Forderungsverzicht. Als Gegenleistung für die Übertragung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte kann anstelle eines Forderungsverzichts im Restrukturierungsplan auch die Übertragung der Forderungen an andere Gruppengesellschaften vorgesehen werden, wodurch die entsprechenden Verbindlichkeiten von externen in gruppeninterne Verbindlichkeiten umgewandelt werden. Auf diese Weise bleibt das Bilanzbild des Schuldners unverändert und es kann ein ansonsten ggf. zu versteuernder außerordentlicher Ertrag vermieden werden. 32

Nach der gesetzlichen Konzeption kann ein Anteilseignerwechsel i. R. des Debt Equity Swaps sowohl im Wege einer Kapitalmaßnahme als auch durch eine Übertragung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte nur am Schuldner selbst vollzogen werden. Sofern Restrukturierungsforderungen nicht vollumfänglich in Eigenkapital umgewandelt werden, sind die übrigen Forderungen der Gläubiger und nunmehr Neuanteilseigner in einer späteren Insolvenz des Schuldners – vorbehaltlich des Kleinbeteiligtenprivilegs des § 39 Abs. 5 InsO – nachrangig gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO, soweit nicht das Sanierungsprivileg nach § 39 Abs. 4 Satz 2,41) dessen Reichweite und Schutzwirkung allerdings nach wie vor nicht eindeutig geklärt sind, greift.42) III. Absonderungsanwartschaften

33

§ 2 Abs. 1 Nr. 2 ermöglicht die Gestaltung von Rechten an Gegenständen des schuldnerischen Vermögens, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Absonderung berechtigen würden (§§ 49 ff. InsO). Abzugrenzen sind die insolvenzrechtlichen Absonderungsrechte von Aussonderungsrechten, die einem Dritten das Recht einräumen, einen Gegenstand, der nicht zur Insolvenzmasse gehört, aus dieser auszusondern. Dingliche oder persönliche Rechte, die in der Insolvenz zur Aussonderung berechtigen würden, unterliegen nicht der Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan.

34

Eine Absonderungsanwartschaft wird durch Rechte begründet, die nach §§ 49 ff. InsO im Insolvenzverfahren zur abgesonderten Befriedigung berechtigen würden. Hierzu gehören Sicherungsrechte an Immobilien (§ 49 InsO), rechtsgeschäftliche oder gesetzliche Pfandrechte an beweglichen Gegenständen (§ 50 InsO) sowie sonstige Absonderungsrechte, insbesondere in Form von Sicherungseigentum oder Zurückbehaltungsrechten (§ 51 InsO). Während der einfache Eigentumsvorbehalt nach h. M. zur Aussonderung berechtigt, steht dem Verkäufer z. B. beim verlängerten Eigentumsvorbehalt hingegen nur ein Absonderungsrecht hinsichtlich der sicherungszedierten Forderung zu.

35

Von der Gestaltung ausgenommen sind – in Umsetzung der Vorgaben der Finanzsicherheitenrichtlinie 2002/47/EG und der Finalitätsrichtlinie 199826/EG – Finanz_____________ 40) Der Verzicht auf die Restrukturierungsforderungen stellt dann i. R. der Kapitalerhöhung die Sacheinlage der Restrukturierungsgläubiger dar. 41) Thole, ZIP 2014, 293, 300; Westpfahl/Wilde in: Eilers/Koffka/Mackensen/Paul, Private Equity, Kap. III. 1 Debt Equity Swap, S. 218 f., Rz. 13 f. 42) Vgl. nur Ehricke/Behme in: MünchKomm-InsO, § 39 Rz. 91.

110

Knapp/Wilde

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

sicherheiten i. S. von § 1 Abs. 17 KWG sowie Sicherheiten i. R. von Zahlungs- und Abwicklungssystemen nach § 1 Abs. 16 KWG. Dies entspricht der Regelung in § 223 Abs. 1 Satz 2 InsO. Die insolvenzrechtlichen Beschränkungen der Absonderungsrechte (bspw. § 50 Abs. 2 Satz 1 InsO) finden hingegen im präventiven Restrukturierungsverfahren keine Anwendung.43) 1.

Begründetheit der Absonderungsanwartschaft

Wie die Restrukturierungsforderung (siehe Rz. 11 f.) muss auch die Absonderungsanwartschaft zum relevanten Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5) begründet sein. Unproblematisch sind die Fälle, in denen die Absonderungsanwartschaft vor dem maßgeblichen Zeitpunkt rechtlich vollständig entstanden ist, mit anderen Worten eine entsprechende Sicherungsabrede getroffen wurde und der Sicherungsgegenstand bereits entstanden ist. Schwieriger gestaltet es sich, wenn zwar die Sicherungsabrede bereits getroffen wurde, die bspw. sicherungsabgetretene Forderung jedoch erst später (nach dem insofern maßgeblichen Zeitpunkt) entsteht, fällig wird oder die mit ihr verbundene Bedingung eintritt. Der Rückgriff auf den Gedanken des § 91 InsO läge hier nahe, kann im Ergebnis aber nicht überzeugen. § 91 InsO regelt, bis zu welchem Zeitpunkt Rechte an Gegenständen der Insolvenzmasse begründet werden können. Dadurch schafft die Vorschrift in erster Linie eine klare zeitliche Zäsur, nach der an Gegenständen der Insolvenzmasse keine Rechte mehr begründet werden können und schützt damit die Masse vor dem fortgesetzten Vermögensabfluss. Um eine solche Abgrenzung geht es i. R. von Abs. 1 jedoch nicht. Im Sinne einer effektiven Gestaltbarkeit scheint es vielmehr angezeigt, Absonderungsanwartschaften bereits dann in den Restrukturierungsplan einbeziehen zu können, wenn die relevante Sicherungsabrede vor dem relevanten Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5) geschlossen wurde, ohne dass es auf das ggf. spätere Entstehen des Sicherungsrechts ankommt. Eines Rückgriffs auf die Möglichkeit der Gestaltung von Nebenbestimmungen eines Sicherheitenvertrages gemäß über § 2 Abs. 2 Satz 1 bedarf es insofern nicht (siehe unter Rz. 52) 2.

36

Gestaltungsspielraum

Auch hinsichtlich der Gestaltung etwaiger Absonderungsanwartschaften lassen sich weder dem Gesetz noch der Gesetzesbegründung konkrete Vorgaben entnehmen. Fest steht jedoch, dass in Absonderungsanwartschaften jedenfalls durch eine vollständige oder teilweise Freigabe der dinglichen Sicherheit eingegriffen werden kann. Ein solcher Eingriff kann bspw. erforderlich sein, um mithilfe der freiwerdenden Sicherheiten eine im Sanierungskonzept vorgesehene neue Finanzierung zu besichern.

37

Die Gestaltung der Absonderungsanwartschaft muss allerdings nicht zwangsläufig durch einen unmittelbaren Eingriff in das dingliche Sicherungsrecht erfolgen. Wie im Insolvenzplanrecht wird die Anwartschaft auch dann in relevanter Weise beeinträchtigt, wenn und soweit die gesicherte Restrukturierungsforderung auf einen

38

_____________ 43) Skauradszun/Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 2 Rz. 60.

Knapp/Wilde

111

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

Betrag herabgesetzt wird, der geringer ist, als der Wert des Sicherungsrechts.44) Im Restrukturierungsplan kann auch der Umfang einer Sicherheit, etwa bei revolvierenden Sicherheiten, mit Wirkung für die Zukunft geändert werden. Durch Anpassung des Sicherheitenvertrages können etwa bestimmte Gegenstände oder Forderungen, die erst künftig entstehen bzw. erst künftig mit der Sicherheit belegt würden, aus dem Sicherungsumfang ausgenommen werden. 39

Sofern nach der Art des Sicherungsrechts die Gewährung mehrrangiger Sicherungsrechte an demselben Gegenstand möglich ist (so bei Grundschulden, Hypotheken, Pfandrechten), kann der Restrukturierungsplan vorsehen, dass ein bestehendes Sicherungsrecht zugunsten einer neu zu bestellenden Sicherheit im Rang zurückgesetzt wird.

40

In Sanierungssituationen wird häufig ein zusätzlicher Finanzierungsbedarf bestehen, der nur durch eine hinreichende Besicherung abgedeckt werden kann. Sofern die wesentlichen Vermögenswerte eines Unternehmens bereits Gegenstand von Besicherungen zugunsten der existierenden Finanzierer sind, kommt entweder eine Freigabe dieser Sicherheiten oder eine Erweiterung des Sicherungszwecks der bestehenden Sicherheiten auf die Verbindlichkeiten aus der neuen Finanzierung in Betracht. Das Rangverhältnis zwischen den alten und neuen Finanzierern wird in diesen Fällen üblicherweise über eine Interkreditorenvereinbarung geregelt. Die Erweiterung des Sicherungszwecks dürfte ebenso einen Eingriff in die Absonderungsanwartschaft darstellen, unabhängig von der Frage, ob der Wert der Sicherheit für die Abdeckung sowohl der Alt- als auch der Neufinanzierung ausreichend ist. Diese Frage dürfte erst i. R. des Schlechterstellungsverbots relevant werden. Wie auch die Kürzung der gesicherten Forderung (siehe oben Rz. 23) ist eine Erweiterung des Sicherungszwecks auf der Grundlage von § 2 Abs. 1 Nr. 2 möglich und nicht unter den weiteren Voraussetzungen des § 2 Abs. 2, da es sich um einen Eingriff in das Sicherungsrecht handelt und nicht um eine Änderung von Nebenbestimmungen. IV. Gestaltbarkeit von Vertragsbedingungen (Abs. 2) 1.

41

Einführung

Während § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 die Gestaltung von Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften in Form eines isolierten Eingriffs in diese Rechtspositionen ermöglichen, geht § 2 Abs. 2 darüber hinaus und ermöglicht eine Gestaltung der den Restrukturierungsforderungen bzw. Absonderungsanwartschaften zugrunde liegenden vertraglichen Bestimmungen auch mit Wirkung für die Zukunft. Damit ermöglicht der präventive Restrukturierungsrahmen im Vergleich zum Insolvenzplan eine weitergehende Gestaltung von Rechtsverhältnissen. Denn nach überwiegender, wenngleich nicht überzeugender, Auffassung sind Eingriffe in Vertragsverhältnisse mit Wirkung für die Zukunft im Insolvenzplan nicht zulässig.45) _____________ 44) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 223 Rz. 7; ferner Haas in: HK-InsO, § 223 Rz. 5. 45) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 39; s. hierzu auch Knapp in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 8 Rz. 45 ff.; Flöther-Westpfahl/Dittmar, StaRUG, § 2 Rz. 37.

112

Knapp/Wilde

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

Die Anpassung von Finanzierungsverträgen wie Konsortialkreditverträgen, Schuldverschreibungen, Schuldscheinen oder Interkreditorenvereinbarungen sind in Finanzrestrukturierungen von enormer Bedeutung. Oftmals bedarf es zur Umsetzung eines Sanierungskonzepts nicht zwingend einer Reduzierung des Nominalbetrags einer Finanzierung, sondern lediglich einer Verlängerung der Laufzeit bzw. Stundung. Letztere geht jedoch regelmäßig mit einer Anpassung der vertraglichen Bedingungen an die aktuelle finanzielle Situation des Darlehensnehmers bzw. Schuldners einher. Die Gestaltung von Nebenbestimmungen kann in einer Restrukturierungssituation daher insbesondere i. R. einer Verlängerung einer Finanzierung erforderlich werden, zu der die Kreditgeber oftmals nur bei gleichzeitiger Anpassung der vertraglichen Bedingungen bereit sind. Sofern auch ein teilweiser Forderungserlass im Raum steht, ist es zudem regelmäßig erforderlich, die zugrunde liegenden Finanzierungsverträge im Hinblick auf die verbleibenden Forderungen anzupassen. Oftmals erfordert ein Restrukturierungsplan auch die Bereitstellung einer zusätzlichen Finanzierung, die unter der bestehenden Finanzierungsdokumentation nicht zulässig ist und daher freigeschaltet werden muss.

42

Voraussetzung für die Gestaltbarkeit von Nebenbestimmungen ist, dass es sich bei dem zugrunde liegenden Vertrag um ein mehrseitiges Rechtsverhältnis zwischen dem Schuldner und mehreren Gläubigern handelt (§ 2 Abs. 2). Diese Voraussetzung wird typischerweise nur im Kontext von Finanzierungsvereinbarungen erfüllt sein, so dass derartige Vertragsanpassungen auf Finanzrestrukturierungen beschränkt sein dürften. Die Vertragsanpassungen sind nicht auf das zur Erreichung des Sanierungsziels zwingend erforderliche Maß beschränkt (siehe allgemein hierzu bereits oben Rz. 5). Eine solche Beschränkung ist im Gesetz nicht angelegt und lässt sich auch aus der Gesetzesbegründung nicht ableiten.46)

43

Waren derartige Anpassungen bislang oftmals nur auf vertraglicher Grundlage und mit Zustimmung sämtlicher oder zumindest einer großen Mehrheit der Finanzierer möglich, sahen sich deutsche Gesellschaften in der Vergangenheit nicht selten gezwungen, auf ausländische Majorisierungsverfahren, insbesondere das englische Scheme of Arrangement (Part 26a des UK Companies Act 2006), auszuweichen. Hierauf hat der Gesetzgeber nunmehr reagiert und mit § 2 Abs. 2 die Möglichkeit geschaffen, erforderliche Anpassungen bestimmter Finanzierungsverträge mit der in § 25 vorgesehenen Mehrheit umzusetzen.

44

Mit dem Verweis auf ein mehrseitiges Rechtsverhältnis zwischen dem Schuldner und mehreren Gläubigern zielt § 2 Abs. 2 Satz 1 insbesondere auf Konsortialkreditverträge ab.47) Der sachliche Anwendungsbereich ist aber keineswegs auf Konsortialkreditverträge beschränkt.48) Daneben können auch Sanierungs- bzw. Restrukturierungsvereinbarungen oder Sicherheitenpoolverträge der Gestaltung unterliegen. § 2 Abs. 2 Satz 2 ermöglicht die Gestaltung von Schuldtiteln i. S. von § 2 Abs. 1

45

_____________ 46) Zutreffend AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZIP 2021, 806, 807 = ZRI 2021, 377, wonach Regelungen mit einer „überschießenden Tendenz“ zulässig sind; so auch: Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 444 47) Braun-Esser, StaRUG, § 2 Rz. 17. 48) Zutreffend AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZIP 2021, 806, 807 = ZRI 2021, 377.

Knapp/Wilde

113

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

Nr. 3 WpHG sowie von Verträgen, die zu gleichlautenden Bedingungen mit einer Vielzahl von Gläubigern geschlossen wurden, insbesondere also Schuldverschreibungsemissionen und Schuldscheindarlehen. § 2 Abs. 2 Satz 3 erfasst schließlich Interkreditorenvereinbarungen, in denen unter Einbeziehung des Schuldners im Wesentlichen die Rechtsbeziehungen der Gläubiger untereinander sowie die Durchsetzung ihrer bestehenden Forderungen und Absonderungsanwartschaften geregelt werden. 46

§ 2 Abs. 2 Satz 1 ermöglicht darüber hinaus die Gestaltung von Verträgen, die Absonderungsanwartschaften begründen. Unabhängig von der Frage, ob es sich hierbei überhaupt um mehrseitige Rechtsverhältnisse handelt, werden die gängigen Eingriffe in Absonderungsanwartschaften regelmäßig bereits nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 möglich sein. 2.

Mehrseitige Finanzierungsarrangements (Abs. 2 Satz 1)

47

§ 2 Abs. 2 Satz 1 verweist auf Restrukturierungsforderungen, die auf einem mehrseitigen Rechtsverhältnis zwischen dem Schuldner und mehreren Gläubigern beruhen. Während der Wortlaut hinsichtlich der Natur des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses offen ist, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung49) und dem Zusammenspiel mit § 2 Abs. 2 Satz 2, dass sich die Gestaltungsmöglichkeit in erster Linie auf mehrseitige Finanzinstrumente bezieht.

48

§ 2 Abs. 2 Satz 1 zielt damit in erster Linie auf Konsortialkredite ab, die entweder von einem oder wenigen Kreditgebern ausgereicht und anschließend zum Zwecke der Risikostreuung syndiziert oder von vorneherein von mehreren Kreditgebern, die sich zur gemeinschaftlichen Kreditvergabe zusammenschließen, ausgereicht werden (sog. Club Deal). Typischerweise kommen unter einem Konsortialkreditvertrag einzelne, voneinander grundsätzlich unabhängige Kreditverhältnisse zwischen dem Darlehensnehmer und dem jeweiligen Konsorten zustande. Für die Auszahlung des jeweiligen Engagements haftet allein der betroffene Kreditgeber; eine gesamtschuldnerische Haftung ist ausgeschlossen (sog. unechter Konsortialkreditvertrag).50) Gleichwohl handelt es sich um ein mehrseitiges Rechtsverhältnis i. S. von § 2 Abs. 2 Satz 1, weil die Einzelkredite durch die Konsortialabrede miteinander verknüpft und entsprechend gebündelt werden. Syndizierte Konsortialkredite kommen vor allem bei Akquisitionsfinanzierungen zum Einsatz und bestehen regelmäßig aus Laufzeitkrediten (Term Loans) sowie einer revolvierenden Betriebsmittelkreditlinie (Revolving Credit Facility) zur Deckung des fortlaufenden Liquiditätsbedarfs des Darlehensnehmers.51) Üblicherweise richten sie sich nach dem von der Loan Market Association vorgegebenen Standard und enthalten eine Vielzahl an standardisierten Regelungen, die zum einen das Kreditverhältnis zwischen den einzelnen Konsorten und dem Darlehensgeber, zum anderen das Verhältnis der Konsorten untereinander regeln. Im Gegensatz dazu können die Bestimmungen rein bilateraler Kreditverträ_____________ 49) Begr. RegE SanInsFoG z. § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 111. 50) S. hierzu Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, § 30 Rz. 13. 51) Darüber hinaus wird innerhalb eines Konsortialkredits häufig nochmal zwischen erstrangigen Senior-Krediten und nachrangigen, höher verzinsten Second Lien- oder MezzanineKrediten unterschieden.

114

Knapp/Wilde

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

ge zwischen einem Kreditgeber und dem Schuldner nicht i. R. des StaRUG angepasst werden, da es sich hierbei nicht um ein mehrseitiges Rechtsverhältnis handelt und solchen Vereinbarungen üblicherweise auch keine gleichlautenden Bedingungen zugrunde liegen. Fraglich erscheint vor diesem Hintergrund die Qualifizierung von Abzweiglinien (sog. Ancillary Facilities) unter einem Konsortialkreditvertrag. Diese sind zwar grundsätzlich als bilaterale Kreditlinien zwischen einem Kreditgeber und einem Kreditnehmer einzuordnen, so dass der Schluss nahezuliegen scheint, dass es sich bei solchen nicht um mehrseige Rechtsverhältnisse i. S. von § 2 Abs. 2 Satz 1 handelt und die Nebenbestimmungen demzufolge nicht der Anpassung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 unterliegen.52) Hinsichtlich ihrer wesentlichen Bestimmungen sind Abzweiglinien indes regelmäßig an die Bedingungen des Konsortialkreditvertrages gebunden, was jedenfalls insoweit für die Möglichkeit der Anpassung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 spricht.

49

Besonders restrukturierungsrelevant sind im Konsortialkreditvertrag enthaltene Auflagen, die über die gesamte Laufzeit des Kredits Geltung beanspruchen. Dazu zählen insbesondere Informationsauflagen (Information Undertakings), in der Praxis zuletzt rückläufige Pflichten zur Einhaltung bestimmter Finanzkennzahlen (Financial Covenants)53) sowie etwaige Verhaltensauflagen, durch die sichergestellt werden soll, dass der Schuldner das Kreditrisiko nach Ausreichung der Finanzmittel nicht mehr übermäßig zulasten der Kreditgeber erhöht (sog. General Undertakings)54). Verstöße gegen die Verhaltensauflagen sowie die festgelegten Finanzkennzahlen berechtigen die Kreditgeber insoweit in aller Regel zur Kündigung des Konsortialkredits, sofern eine bestimmte Mehrheit die Kündigung unterstützt. Eben dieses Auflagenkorsett erweist sich insbesondere im Zusammenhang mit dem in einer Sanierungssituation entstehenden Finanzierungsbedarf nicht selten als zu eng und kann nunmehr – soweit notwendig – unter dem Restrukturierungsplan angepasst werden. Hierdurch wird sichergestellt, dass die den Restrukturierungsplan tragende Mehrheit nicht nur die Kreditverbindlichkeiten an sich, sondern gerade auch das die Kreditverbindlichkeiten umschließende Korsett an Anforderungen und Beschränkungen der Kreditdokumentation anpassen kann, um dem Restrukturierungskonzept und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Schuldners gerecht zu werden. Nur so kann verhindert werden, dass bereits kurze Zeit nach Abschluss des Verfahrens formal aus den unangepassten Altverträgen stammende Kündigungsrechte erwachsen, die das Ergebnis der Restrukturierung konterkarieren

50

_____________ 52) Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 439. 53) Die Finanzkennzahlen können bspw. das Verhältnis von den Finanzverbindlichkeiten zum EBITDA (Leverage Ratio), das Verhältnis vom Cashflow zum Nettoschuldendienst (Cashflow Cover Ratio) oder den Zinsdeckungsgrad, d. h. das Verhältnis von EBITDA zu den Nettozinsaufwendungen (Interest Cover Ratio) abbilden. 54) Üblich ist etwa die Verpflichtung des Darlehensnehmers – vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen oder einer Zustimmung der Kreditgeber –, keine weitere Verschuldung einzugehen, keine weiteren Sicherheiten zu gewähren, keine Verschmelzungen oder sonstigen Reorganisationen in der Gruppe umzusetzen oder keine allgemein unüblichen Zahlungen zu leisten.

Knapp/Wilde

115

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

würden.55) Auch wenn entsprechende kreditvertragliche Anpassungen rechtstechnisch regelmäßig auch über die in den Konsortialkreditverträgen vorgesehenen Mehrheitsklauseln erzielt werden könnten (regelmäßig ist lediglich eine Mehrheit von 66 2/3 % der Kreditzusagen (sog, Majority Lenders) für die Anpassung von Nebenbestimmungen erforderlich), wäre diese alternative Konstruktion zum einen einer gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung nach §§ 26 ff. nicht zugänglich. Zum anderen würde sie die technische Komplexität der Umsetzung von Restrukturierungen (und damit einhergehend auch die Transaktionskosten) steigern; es besteht durchaus ein Vorteil, sämtliche Anpassungen der Finanzierungsdokumentation i. R. des Restrukturierungsplans umsetzen zu können. Mit der Ermöglichung der Anpassungen über den Restrukturierungsplan wird das Verfahren dem Anspruch an ein geschlossenes und funktionales Sanierungsinstrument gerecht.56) 51

Sofern neben dem Restrukturierungsschuldner weitere Kreditnehmer Partei des mehrseitigen Finanzierungsvertrags sind, muss eine mitunter auch im Verhältnis zu diesen erforderliche Vertragsanpassung i. R. eines eigenständigen, je nach Sitz bzw. COMI der Gesellschaften in- oder ausländischen Restrukturierungsverfahrens umgesetzt werden. § 2 Abs. 2 Satz 1 ermöglicht lediglich die Gestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen den Finanzierern und dem Restrukturierungsschuldner selbst. Sofern eine Finanzierung neben deutschen Kreditnehmern auch von ausländischen Kreditnehmern in Anspruch genommen wurde, kann dies die Komplexität einer finanziellen Restrukturierung erheblich erhöhen. Gerade in diesen Konstellationen kann bei englischen Finanzierungen die Anwendung eines englischen Scheme of Arrangement vorteilhaft sein, das nicht am Satzungssitz bzw. COMI, sondern am Vertragsrecht anknüpft, was grundsätzlich ein einheitliches Verfahren für sämtliche Kreditnehmer in unterschiedlichen Jurisdiktionen ermöglicht.57)

52

§ 2 Abs. 2 Satz 1 ermöglicht daneben die Gestaltung mehrseitiger Rechtsverhältnisse zwischen dem Schuldner und einigen seiner Gläubiger, die etwaige Absonderungsanwartschaften zum Gegenstand haben. Angepasst werden können damit bspw. Sicherheitenpoolvereinbarungen, aber auch gewöhnliche Sicherheitenverträge zwischen mehreren besicherten Gläubigern oder einem Sicherheitentreuhänder58) und dem Schuldner. Während § 2 Abs. 1 Nr. 2 den isolierten Eingriff in die Absonderungsanwartschaft bzw. das Sicherungsrecht ermöglicht, schafft § 2 Abs. 2 Satz 1 darüber hinaus Raum für eine gezielte Anpassung der jeweiligen Vertragsbedingungen der Sicherheitenverträge. Der praktische Anwendungsbereich dürfte jedenfalls bei Sicherheitenverträgen gering sein, denn die maßgeblichen Gestaltungsspielräume werden bereits durch § 2 Abs. 1 Nr. 2 eröffnet. So ermöglicht § 2 Abs. 1 Nr. 2 auch die Gestaltung von Sicherungsrechten, die im maßgeblichen Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5) _____________ 55) 56) 57) 58)

116

Wilkens, WM 2021, 573, 577. Wilkens, WM 2021, 573, 577. S. zum Scheme of Arrangement Westpfahl/Knapp, ZIP 2011, 2033, 2045 f. Die Bündelung der Sicherheiten in den Händen eines Sicherheitentreuhänders ändert insofern nichts an der erforderlichen Mehrseitigkeit des Rechtsverhältnisses; wirtschaftlich berechtigt und damit ausschlaggebend bleibt die Mehrzahl der in der Sicherheitentreuhand involvierten Gläubiger.

Knapp/Wilde

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

noch nicht entstanden sind und erfasst damit insbesondere revolvierende Sicherheiten (siehe unter Rz. 137). 3.

Schuldtitel und Schuldscheindarlehen (Abs. 2 Satz 2)

§ 2 Abs. 2 Satz 2 erstreckt die Gestaltbarkeit auf Finanzierungsinstrumente, die zwar von einer Vielzahl von Finanzierern gewährt werden, aber nicht auf einem mehrseitigen Rechtsverhältnis i. S. des § 2 Abs. 2 Satz 1 beruhen, namentlich und v. a. also auf Schuldtitel i. S. von § 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG und Schuldscheindarlehen.

53

a) Schuldtitel (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG) Als Schuldtitel sind laut § 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG insbesondere Genussscheine, Inhaber- und Orderschuldverschreibungen sowie Hinterlegungsscheine, die Schuldtitel vertreten, und Optionsscheine (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. b WpHG) zu verstehen. In der Praxis am häufigsten anzutreffen sind derzeit Anleihen in Form von Inhaberschuldverschreibungen, High-Yield-Anleihen und Wandelschuldverschreibungen. Zugrunde liegen ihnen in aller Regel die der jeweiligen Emission zuzuordnenden Bedingungen (Terms and Conditions bzw. Indenture), die Inhalt und Geltendmachung der Rechte aus dem Wertpapier regeln.

54

Wie der Konsortialkreditvertrag (siehe oben Rz. 48 ff.) enthalten auch Anleihebedingungen neben den Hauptleistungspflichten (Rückzahlung des Kapitals und Zinszahlung) in aller Regel eine Reihe sonstiger Nebenpflichten, die im Wesentlichen darauf abzielen, Handlungen des Emittenten zu untersagen, die seine Kreditwürdigkeit negativ beeinflussen können. Eingeschränkt werden können bspw. die Möglichkeit zur Aufnahme zusätzlichen Fremdkapitals, die weitere Beleihung von Vermögenswerten, die Zahlungen von Dividenden, das Auslösen von sonstigen Zahlungen oder die Veräußerung von Vermögenswerten.

55

Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 können dahingehende Bestimmungen in den Anleihebedingungen oder in den Bedingungen der sonstigen Schuldtitel (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG) mit Wirkung für die Zukunft gestaltet und angepasst werden. Tiefgreifende Änderungen der bisherigen Rechtslage sind hiermit gleichwohl nicht verbunden. Sowohl Änderungen der meisten Nebenbestimmungen einer High-Yield-Anleihe nach New Yorker Recht59) als auch von Schuldverschreibungen, die nach dem deutschen Schuldverschreibungsrecht begeben wurden, legen mit einer einfachen bzw. teilweise qualifizierten Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Anleihegläubiger60) eine oftmals geringere Zustimmungsschwelle zugrunde, als sie § 25 Abs. 1 nunmehr für die Gestaltung unter dem Restrukturierungsplan erfordert. So erfordert bspw. eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung nach § 25 Abs. 1 eine Mehrheit von 75 % der Stimmrechte und damit des gesamten Forderungsvolumens innerhalb der betreffenden Gruppe, während das SchuldVG lediglich eine Mehrheit von 75 % der an der Abstimmung teilnehmenden Gläubiger erfordert, _____________

56

59) Lediglich Entscheidungen, die das Forderungsrecht selbst betreffen oder von ähnlicher Tragweite sind, bedürfen hier regelmäßig einer Mehrheit von mindestens 90 % des ausstehenden Anleihevolumens. Da das Forderungsrecht selbst allerdings schon über § 2 Abs. 1 Nr. 1 gestaltet werden kann, ist das erhöhte Quorum i. R. der für Absatz 2 relevanten Nebenbestimmungen in wenigen Fällen von Bedeutung. 60) § 5 Abs. 3 und 4 SchuldVG.

Knapp/Wilde

117

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

sofern das erforderliche Quorum von 50 % in der ersten und 25 % in der zweiten Versammlung erreicht wurde. Für eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung unter dem SchuldVG kann damit bereits die effektive Zustimmung von lediglich 18,75 % des Anleihevolumens ausreichen. Nach dem SchuldVG besteht die Möglichkeit der Anpassung der Anleihebedingungen jedoch nur dann, wenn sie in den Bedingungen ausdrücklich vorgesehen ist oder zumindest auf § 5 SchuldVG verwiesen wird.61) Für Anleihen, die einen solchen Verweis nicht enthalten und bei denen ein sog. Optin nach § 24 Abs. 2 SchuldVG nicht in Betracht kommt, kommt § 2 Abs. 2 demnach schon aus diesem Grund ein eigenständiger Anwendungsbereich zu.62) 57

Abseits davon verringert die Gestaltung unter dem Restrukturierungsplan die Risiken einer späteren Anfechtung der getroffenen Anpassungen (§ 90 Abs. 1) und kann sich damit auch rechtsfolgenseitig als vorteilhaft erweisen. Darüber hinaus ermöglicht der Restrukturierungsplan im Gegensatz zum SchuldVG die Anwendung einer gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung und damit die Ersetzung der Zustimmung der Anleihegläubiger. Letztlich bringt die einheitliche Anpassung von Hauptleistungspflichten (§ 2 Abs. 1 Nr. 1) und Nebenbestimmungen i. R. eines Restrukturierungplans einen erheblichen Effizienzgewinn (siehe oben Rz. 50), so dass die Möglichkeit der Gestaltung von Nebenbedingungen auch für den Fall zu begrüßen ist, in dem die zugrunde liegenden vertraglichen Bedingungen im Einzelfall ein geringeres Mehrheitserfordernis vorsehen. b) Schuldscheindarlehen

58

Ferner können Verträge gestaltet werden, die zu gleich lautenden Bedingungen mit einer Vielzahl von Gläubigern geschlossen wurden. Hierunter fallen insbesondere Schuldscheindarlehen,63) die sich im deutschen Markt seit einigen Jahren zunehmender Beliebtheit erfreuen. Im Gegensatz zu Anleihen handelt es sich beim Schuldscheindarlehen nicht um ein verbrieftes Forderungsrecht und damit nicht um einen Schuldtitel i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG, sondern vielmehr um einen selbstständigen, bilateralen Darlehensvertrag i. S. des § 488 BGB, über den nach den Bestimmungen des Schuldscheindarlehensvertrags ein Schuldschein ausgestellt und dem Darlehensgeber übergeben werden kann, aber nicht muss.64) Die Bedingungen von Schuldscheindarlehen können daher nach Übertragung an den jeweiligen Investor auch nur individuell im Verhältnis zu diesem angepasst werden. Sie enthalten zudem – anders als der Konsortialkreditvertrag und die Anleihe (siehe oben Rz. 48 ff., Rz. 55 ff.) und von seltenen Ausnahmen abgesehen – weder Mehrheitserfordernisse noch sonstige Mechanismen zur Abstimmung unter den Schuldscheindarlehensgebern, so dass die Bedingungen von Schuldscheindarlehen nicht auf Grundlage einer Mehrheitsentscheidung allgemeinverbindlich geändert werden können.65) § 2 Abs. 2 _____________ 61) Röh in: BeckOGK-SchVG, § 5 Rz. 9; Bliesener/Schneider in: Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 5 Rz. 8. 62) Begr. RegE SanInsFoG z § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 112. 63) Begr. RegE SanInsFoG z § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 111. 64) Zum Schuldscheindarlehen Hüther in: Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, Kap. C Rz. 225 ff. 65) Hüther in: Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, Kap. C Rz. 247; das SchuldVG findet auf Schuldscheinemissionen insoweit keine, auch keine analoge Anwendung.

118

Knapp/Wilde

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

Satz 2 schließt diese Lücke und erleichtert dadurch in nicht unerheblichem Maße die Anpassung und Restrukturierung zunehmend auf Schuldscheindarlehen aufbauender Finanzierungsstrukturen.66) 4.

Interkreditorenvereinbarungen (Abs. 2 Satz 3)

Sofern ein Unternehmen parallel durch mehrere Finanzinstrumente finanziert ist,67) wird das relative Rangverhältnis der verschiedenen Instrumente üblicherweise i. R. einer sog. Interkreditorenvereinbarung geregelt. Gegenstand einer solchen Vereinbarung sind neben dem relativen Rangverhältnis vor allem die aus diesem resultierenden Rechte der Finanzierer, insbesondere im Hinblick auf die Berücksichtigung bei der Verteilung etwaiger Erlöse einer Sicherheitenverwertung, die Befugnis zur Geltendmachung etwaiger vertraglicher Rechte (bspw. Fälligstellung der Kredite, die jeweilige Sicherheitenverwertung und mögliche Verpflichtungen zur Auskehr bzw. Weiterleitung mitunter unberechtigt vereinnahmter Erlöse zur Durchsetzung der vereinbarten Wasserfallregelung, sog. waterfall).68) Konzerngesellschaften werden typischerweise als Partei in die Vereinbarung mit einbezogen um sicherzustellen, dass sie sich mit etwaigen gruppeninternen Darlehensforderungen gegenüber der externen Finanzierung in den Nachrang begeben. Gewährleistet wird zudem, dass die jeweiligen Finanzierer den ihrem Engagement zugrunde liegenden Finanzierungsvertrag nicht zulasten der anderen Finanzierungsinstrumente abändern können. Weitere übliche Beschränkungen beziehen sich auf etwaige Zahlungen an und Bestellung von Sicherheiten zugunsten nachrangiger Finanzierer vor vollständiger Befriedigung der vorrangigen Finanzierer.

59

Änderungen der Interkreditorenvereinbarung bedürfen aufgrund ihrer in der Regel grundlegenden Bedeutung für das Risikoprofil und die Struktur der Finanzierung grundsätzlich der Zustimmung sämtlicher Parteien. Das barg bislang ein nicht unerhebliches Obstruktionsrisiko, insbesondere, wenn der Schuldner auf eine neue Finanzierung angewiesen ist, die realistischerweise nur mit einem Vorrang gegenüber den bestehenden Finanzierungen und damit oftmals einer Anpassung der Interkreditorenvereinbarung erreicht werden kann. § 2 Abs. 2 Satz 3 überwindet diese Hürde und ersetzt die im Vertragsregime erforderliche Einstimmigkeit durch die qualifizierte Mehrheitsentscheidung des § 25 Abs. 1. Solange die Planlösung alle Beteiligten einschließlich der (potentiell) opponierenden Betroffenen besserstellt, als sie ohne den Restrukturierungsplan stünden, sollen einzelne Gläubiger überstimmt und etwaige Interkreditorenvereinbarungen – soweit notwendig – im Interesse einer erfolgversprechenden Restrukturierung entsprechend angepasst werden können.69) Die Anpassung der Interkreditorenvereinbarungen ist dabei keineswegs auf diejenigen Regelungskomplexe der Interkreditorenvereinbarung beschränkt, die sich mit der _____________

60

66) Wilkens, WM 2021, 573, 577; Braun-Esser, StaRUG, § 2 Rz. 24; Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 442. 67) Z. B. über eine Senior-, eine Second-Lien- und eine Mezzanine-Finanzierung oder über eine Kombination aus Senior-Bankenfinanzierung und High-Yield-Anleihe. 68) In großen Finanzierungen sind derartige Interkreditorenvereinbarungen weitgehend standardisiert und setzen mitunter unmittelbar auf der von der Loan Market Association zur Verfügung gestellten Mustervorlage auf. 69) Begr. RegE SanInsFoG z § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 112.

Knapp/Wilde

119

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

Durchsetzung der gegenüber dem Schuldner bestehenden Forderungen und Anwartschaften oder dem relativen Rangverhältnis der aus der Durchsetzung resultierenden Erlöse befassen. Vielmehr ist die gesamte Interkreditorenvereinbarung der Anpassung zugänglich.70) 61

Allerdings könnte § 2 Abs. 2 Satz 3 gerade in Konzernkonstellationen zu kurz greifen. Nach dem Gesetzeswortlaut hilft die Gestaltung unter dem Restrukturierungsplan nämlich lediglich im Verhältnis zum Restrukturierungsschuldner über eine einstimmige Anpassung der Interkreditorenvereinbarung hinweg. Mit Blick auf die anderen Gruppengesellschaften, die zwar Partei der Vereinbarung sind, ihrerseits aber kein Restrukturierungsverfahren durchlaufen, bleibt es dagegen grundsätzlich bei der erforderlichen einstimmigen Zustimmung sämtlicher Finanzierer. Einzelne Gläubiger könnten dadurch unverändert erforderliche Restrukturierungsbeiträge der Gruppengesellschaften (etwa die Stellung gruppeninterner Drittsicherheiten bzw. Einräumung eines Vorrangs an diesen) blockieren und dadurch die neue Finanzierung mittelbar torpedieren. Die prozessuale Erleichterung, die § 2 Abs. 4 durch die Möglichkeit des Eingriffs in Drittsicherheiten schafft, setzt sich bei der Interkreditorenvereinbarung insofern jedenfalls rechtstechnisch nicht fort. Diese Schwäche des § 2 Abs. 2 Satz 3 könnte dadurch überwunden werden, dass eine im Verhältnis zum Schuldner getroffene Mehrheitsentscheidung in Anlehnung an § 2 Abs. 4 auch hinsichtlich verbundener Unternehmen i. S. von § 15 AktG, die Partei der Interkreditorenvereinbarung sind, Geltung entfaltet. Diese Problematik ist i. Ü. nicht auf Interkreditorenvereinbarungen beschränkt, sondern kann bspw. auch bei Konsortialkreditverträgen relevant werden, sofern auf der Unternehmensseite mehrere Gesellschaften Partei sind (siehe oben Rz. 51). 5.

62

Grenzen der Gestaltbarkeit von Nebenbestimmungen

Die Gestaltbarkeit von Nebenbedingungen kann nicht dazu führen, dass den Planbetroffenen neue oder weitergehende Verpflichtungen auferlegt werden. Einer besonderen Betrachtung bedarf bspw. die Verlängerung von nicht vollständig gezogenen Kontokorrentlinien, jedenfalls sofern diese bspw. aufgrund von Kündigungsrechten nicht mehr verfügbar sind. Darüber hinaus wird die Frage aufgeworfen, ob die Gestaltbarkeit von Nebenbestimmungen auf solche Änderungen begrenzt ist, die für die Erreichung des Restrukturierungsziels zwingend erforderlich oder für den jeweiligen zugrunde liegenden Vertrag typisch sind.71) Eine solche Beschränkung findet keine Grundlage im Gesetzestext oder der Gesetzesbegründung und ist abzulehnen.72) Dem Risiko überschießender Regelungen ist durch den Minderheitenschutz nach § 64 zu begegnen. Die Anpassung von Nebenbestimmungen ermöglicht auch die Einführung neuer Nebenbestimmungen in einen Finanzierungsvertrag. Die Beschränkung auf Nebenbestimmungen, die im Vertrag bereits angelegt sind,73) erscheint in diesem Zusammenhang nicht zwingend. Zwar referenziert die _____________ 70) Zutreffend unter Verweis auf den Gesetzeswortlaut AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZIP 2021, 806, 807 = ZRI 2021, 377. 71) S. hierzu AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZIP 2021, 806 = ZRI 2021, 377. 72) So auch Thole, NZI 2021, 433, 436 (Urteilsanm.); Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 444. 73) Skauradszun/Kümpel, WM 2021, 1122, 1125.

120

Knapp/Wilde

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

Gesetzesbegründung abweichend vom Gesetzeswortlaut „Gestaltung“ auf die Anpassung von Nebenbestimmungen, was eine Beschränkung auf die Gestaltung bereits existierender Nebenbestimmungen nahelegt. Die Grenze zwischen der Gestaltung neuer und der Anpassung existierender Nebenbestimmungen wird in der Praxis jedoch nicht trennscharf zu ziehen sein und erscheint vor dem Hintergrund von § 64 auch nicht erforderlich. Im Übrigen werden unter Finanzierungsverträgen Nebenbestimmungen in erster Linie den Kreditnehmer belasten, was das Problem in faktischer Hinsicht relativiert. V. Gestaltung von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten (Abs. 3) 1.

Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie Tresselt

Die Stellung der Anteilsinhaber im Zusammenhang mit dem Restrukturierungsplan ist vor allem Gegenstand von Art. 12 der Restrukturierungsrichtlinie. In Art. 12 Abs. 1 hat die Restrukturierungsrichtlinie den Mitgliedstaaten die Wahl gelassen, ob sie die Gesellschafter lediglich einem Obstruktionsverbot unterwerfen oder als Partei in den Restrukturierungsplan einbeziehen. Jedenfalls haben die Mitgliedstaaten aber sicherzustellen, dass die Anteilsinhaber die Annahme und Bestätigung eines Restrukturierungsplans nicht grundlos verhindern oder erschweren. Ebenso haben die Mitgliedstaaten nach Art. 12 Abs. 2 der Restrukturierungsrichtlinie sicherzustellen, dass Anteilsinhaber auch die Umsetzung eines Restrukturierungsplans nicht grundlos verhindern oder erschweren. Zudem können die Mitgliedstaaten bei der Bedeutung des Begriffs des „grundlosen Verhinderns oder Erschwerens“ nach Art. 12 Abs. 3 u. a. berücksichtigen, ob es sich bei dem Schuldner um ein KMU oder ein großes Unternehmen handelt, wie sich die vorgeschlagenen Restrukturierungsmaßnahmen auf die Rechte der Anteilsinhaber auswirken, um welche Art von Anteilsinhabern es sich handelt, ob der Schuldner eine juristische oder eine natürliche Person ist und ob die Partner in einem Unternehmen beschränkt oder unbeschränkt haften.

63

Im Übrigen weist die Restrukturierungsrichtlinie auch in ErwG 57 darauf hin, dass die berechtigten Interessen der Anteilsinhaber zwar geschützt werden sollen, die Anteilsinhaber aber nicht grundlos die Annahme von Restrukturierungsplänen verhindern dürfen. Um dies zu erreichen, können sich die Mitgliedstaaten verschiedener Mittel bedienen (z. B. die Versagung eines Stimmrechts, wenn die Anteilsinhaber auf ihre Anteile keine Zahlungen mehr erwarten können oder einen klassenübergreifenden Cram-down). Die Richtlinie gestattet also ausdrücklich auch die Einbeziehung der Anteilsinhaber in die Mechanismen der Planabstimmung und Planbestätigung.74) Zudem deutet der ErwG 58 die Möglichkeit an, die Anteilsinhaber in mehrere Gruppen (bzw. in der Terminologie der Richtlinie in mehrere Klassen) einzuteilen, wenn unterschiedliche Beteiligungen mit unterschiedlichen Rechten vorliegen. Darüber hinaus weist die Richtlinie in ihren ErwG 58 und 59 darauf hin, dass der klassenübergreifende Cram-down für Schuldner, bei denen es sich um KMU handelt, fakultativ bleiben sollte und die Anteilsinhaber von KMU die Möglichkeit haben sollten, mit Sachleistungen zur Restrukturierung beizutragen (z. B. indem sie

64

_____________ 74) Begr. RegE SanInsFoG z. § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 113.

Tresselt

121

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

auf ihre Erfahrung, ihren guten Ruf oder ihre Geschäftsbeziehungen zurückgreifen). Letzteres wurde (ohne Beschränkung auf KMU) teilweise von § 28 Abs. 2 Nr. 1 aufgenommen. 65

Schließlich erlaubt die Restrukturierungsrichtlinie dem nationalen Gesetzgeber in Art. 32 Abs. 1 (und ErwG 96) eine Abweichung von der EU-Gesellschaftsrechtsrichtlinie,75) welche u. a. bestimmte Anforderungen an die Einberufung und Durchführung von Hauptversammlungen und die Beschlussfassung über Kapitalmaßnahmen vorsieht. Die Abweichung soll erlaubt sein, soweit dies notwendig ist, um sicherzustellen, dass die Aktionäre Restrukturierungsmaßnahmen nicht in missbräuchlicher Ausübung ihrer Rechte nach der Gesellschaftsrechtsrichtlinie vereiteln. Auch dies zeigt, dass dem nationalen Gesetzgeber in Bezug auf den Umgang mit den Anteilsinhabern ein weiter Spielraum eingeräumt werden sollte.76) 2.

66

Meinungsstand zur Ausübung des Umsetzungsspielraums

Auch vor dem Hintergrund des in Art. 12 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie vorgesehenen Wahlrechts der Mitgliedstaaten wurde die Einbeziehung der Anteilsrechte sowie das Spannungsfeld zum nationalen Gesellschaftsrecht im Vorfeld des StaRUG lebhaft diskutiert. In der Literatur war umstritten, ob der deutsche Gesetzgeber die Gesellschafter lediglich einem Obstruktionsverbot unterwerfen oder sie in den Restrukturierungsplan einbeziehen sollte.77) a) Keine Einbeziehung der Anteilsinhaber

67

Ein Teil der Literatur hat dafür plädiert, die Anteilseigner nicht gegen ihren Willen in den Restrukturierungsplan einzubeziehen und insbesondere keinem klassenübergreifenden Cram-down zu unterwerfen. Diese Auffassung hat insbesondere auf verfassungsrechtliche Bedenken bei einer Einbeziehung der Gesellschafter hingewiesen und bezweifelt, ob entsprechende Eingriffe in die Anteilsrechte vor Art. 9 und 14 GG Bestand haben würden. Um den Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie zu entsprechen und eine Obstruktion der Anteilsinhaber zu verhindern, sei es daher vorzugswürdiger, das Gesellschaftsrecht zum Zwecke von Sanierungsmaßnahmen punktuell anzupassen. In diesem Zusammenhang hat diese Auffassung u. a. auf mögliche Verkürzungen von Ladungsfristen für Gesellschafterversammlungen, ein Absenken von Mehrheitserfordernissen und die Treuepflicht der Gesellschafter zur Sanierung verwiesen.78) Ein Eingriff in die Gesellschafterrechte sollte letztlich jedoch nur auf freiwilliger Basis und unter Beachtung der gesellschaftsrechtlichen (Zustimmungs-) Erfordernisse vorgenommen werden dürfen.79) Im Übrigen sollte nach teilweise vertretener Auffassung die Vorgabe, dass „An_____________ 75) Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, ABl. (EU) L 169/46 v. 30.6.2017. 76) Vgl. auch Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2234. 77) Vgl. zur Diskussion etwa Müller, ZGR 2018, 56, 76 f.; Korch, ZGR 2019, 1050, 1077 f.; Spahlinger, NZI Beilage Heft 16 – 17/2019, S. 69 ff.; Madaus, DB 2019, 592, 597 f. 78) Vgl. Seibt/v. Treuenfeld, DB 2019, 1191, 1197. 79) Vgl. Korch, ZIP 2020, 446, 452; H.-F. Müller, ZGR 2018, 56, 73 f.; Schäfer, ZIP 2019, 1645, 1646 f.: kein Cram-down zulasten der Gesellschafter; Seibt/v. Treuenfeld, DB 2019, 1191, 1197.

122

Tresselt

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

teilsinhaber die Umsetzung eines Restrukturierungsplans nicht grundlos verhindern oder erschweren dürfen“, eng ausgelegt und auf Ausnahmefälle beschränkt werden, da bei einem StaRUG-Verfahren gerade noch kein Insolvenzgrund vorläge.80) b) Einbeziehung der Anteilsinhaber Die wohl überwiegende und zutreffende Auffassung hat sich dagegen für eine Einbeziehung der Anteilsinhaber in den Restrukturierungsplan und das entsprechende Abstimmungsverfahren nach dem Vorbild des Insolvenzplanverfahrens ausgesprochen.81) Durch die Einbeziehung der Anteilsrechte könne nach dieser Auffassung ein gewisser Gleichlauf zu § 225a InsO hergestellt werden, der durch Rechtsprechung und Literatur bereits ausgeprägt wurde und sich in der Praxis bewährt hat. Zudem könne den Anteilsinhabern durch eine Einbeziehung in den Restrukturierungsplan der verfahrensrechtliche Schutz des Restrukturierungsverfahrens eingeräumt werden. Dieser Weg hat sich im Insolvenzplanverfahren ebenfalls als hinreichend erwiesen und zudem zu einer erheblichen Vereinfachung des gesamten Prozesses geführt. Im Übrigen ist auch fraglich, ob eine (punktuelle) Anpassung des Gesellschaftsrechts tatsächlich ausreichend wäre, um das Obstruktionspotential der Gesellschafter zurückzudrängen und eine erfolgversprechende Sanierung zu gewährleisten. Schließlich greifen auch die verfassungsrechtlichen Bedenken der erstgenannten Auffassung gegen eine Einbeziehung der Gesellschafterrechte nicht durch (siehe dazu noch unten Rz. 73 ff.). 3.

68

Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie in nationales Recht

Mit der Regelung des § 2 Abs. 3 hat sich der Gesetzgeber richtigerweise für eine Einbeziehung der Gesellschafter in den Restrukturierungsplan entschieden. Handelt es sich bei einem Schuldner um eine juristische Person oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, können nach § 2 Abs. 3 auch die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der an dem Schuldner beteiligten Personen durch den Restrukturierungsplan gestaltet, sonstige gesellschaftsrechtlich zulässige Regelungen getroffen sowie Anteils- und Mitgliedschaftsrechte übertragen werden. Diese Bestimmung wird in § 7 Abs. 4 insbesondere in Bezug auf den Debt Equity Swap ergänzt, wobei es regelungstechnisch etwas unglücklich erscheint, dass § 2 Abs. 3 und § 7 Abs. 4 die Einbeziehung der Anteilsinhaber an zwei verschiedenen Stellen mit teilweise identischem Regelungsgehalt vorsehen.82)

_____________ 80) Lau/Schwartz, NZG 2020, 450, 456. 81) Vgl. Sax/Ponseck/Swierczok, BB 2017, 323, 327; Spahlinger, NZI Beilage 1 z. Heft 16 – 17/2019, S. 69, 70; Thole, NZI Beilage 1 z. Heft 16 – 17/2019, S. 61, 64; Westpfahl/Knapp in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 263; Tresselt in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 12 Rz. 8 m. Bsp. für mögliche Maßnahmen. 82) Vgl. auch Thole, ZIP 2020, 1985, 1988. Etwas stimmiger wäre es daher gewesen, in § 2 Abs. 3 – wie in § 217 Abs. 1 Satz 2 InsO – nur allgemein darauf hinzuweisen, dass auch die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte in den Restrukturierungsplan einbezogen werden können und die Präzisierung ausschließlich dem § 7 Abs. 4 zu überlassen.

Tresselt

123

69

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

70

Die Regelungen der §§ 2 Abs. 3, 7 Abs. 4 sind der insolvenzplanrechtlichen Regelung des § 225a InsO nachgebildet,83) da sich das Regelungskonzept der insolvenzplanrechtlichen Bestimmungen zur Einbeziehung der Gesellschafter in einen Insolvenzplan in der Praxis vielfach bewährt hat.84) Abweichungen soll es daher auch nur dort geben, wo es die Besonderheiten eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens gebieten, um die Entscheidung des Schuldners zwischen einer Sanierung durch einen Insolvenzplan oder einen Restrukturierungsplan nicht durch solche Abweichungen zu beeinflussen, die in der Sache nicht erforderlich sind.85)

71

Die nunmehr ins Gesetz übernommene Fassung des § 2 Abs. 3 ist mit den Fassungen aus dem Referentenentwurf und Regierungsentwurf identisch (mit der Ausnahme, dass sich die Bestimmung in diesen Entwürfen noch in § 4 Abs. 3 befunden hatte).

72

Schließlich werden die §§ 2 Abs. 3, 7 Abs. 4 durch die Regelungen zur Einbeziehung der Anteilsinhaber in den Abstimmungsprozess flankiert. Relevant sind hierfür u. a. § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 für die Gruppenbildung, § 10 für die Gleichbehandlung, § 24 Abs. 1 Nr. 3 für das Stimmrecht, die §§ 25 ff. für die erforderlichen Mehrheiten und eine etwaige gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung sowie die §§ 64 ff. zum Minderheitenschutz und den möglichen Rechtsmitteln. 4.

Verfassungsrechtliche Zulässigkeit

73

Gegen den Eingriff in die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte im Wege eines Insolvenzplans wurden mit Blick auf Art. 9 GG und Art. 14 GG teilweise verfassungsrechtliche Bedenken geäußert. Vor allem im Zusammenhang mit dem Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalmaßnahmen wird die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des § 225a InsO nach wie vor diskutiert.86) Nach richtiger Auffassung sind gesellschaftsrechtliche Maßnahmen nach § 225a InsO einschließlich des Bezugsrechtsausschlusses verfassungsrechtlich zulässig.87)

74

Eine ähnliche Diskussion – in teilweise noch verschärfter Form – wird naheliegender Weise auch zu den in §§ 2 Abs. 3, 7 Abs. 4 vorgesehenen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen geführt. In diesem Zusammenhang ist allerdings auch zu beachten, dass der deutsche Gesetzgeber die Restrukturierungsrichtlinie verfassungskonform umzusetzen hat, soweit die Richtlinie dem nationalen Gesetzgeber Umsetzungsspielräume einräumt.88) Auf der anderen Seite ist bei der Diskussion zu berücksichtigen, dass – anders als bei § 225a InsO – eine materielle Insolvenz grundsätzlich noch nicht vorliegt. _____________ 83) S. nur Schäfer, ZIP 2020, 2164, 2165; H.-F. Müller, ZIP 2020, 2253, 2255. 84) Begr. RegE SanInsFoG z. § 2 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 109; Gehrlein, BB 2021, 66, 67. 85) Begr. RegE SanInsFoG z. § 2 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 109; Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2233. 86) Vgl. zum Meinungsstand Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 99 ff.; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 225a Rz. 4. 87) S. nur Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 101 ff. m. w. N. 88) Vgl. auch Tresselt in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 12 Rz. 6; Spahlinger, NZI Beilage 1 z. Heft 16 – 17/2019, S. 69, 70.

124

Tresselt

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

a) Meinungsstand Nach teilweise vertretener Auffassung seien Eingriffe in die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in einem vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren (erst Recht) nicht zulässig und verstießen gegen Art. 9 und 14 GG. Mangels einer materiellen Insolvenz seien die Anteile gerade noch nicht in ihrer Werthaltigkeit beeinträchtigt bzw. es könne – anders als in einem Insolvenzverfahren – eine Wertlosigkeit der Anteile jedenfalls nicht ohne Weiteres unterstellt werden.89) Vielmehr könne die Frage, ob den Anteilen trotz einer drohenden Zahlungsunfähigkeit noch ein Wert zukommt, letztlich nur durch eine Unternehmensbewertung beantwortet werden. Eine drohende Zahlungsunfähigkeit habe dabei aber gerade nicht zwingend Auswirkungen auf den Ertragswert (sondern lediglich auf den anzuwendenden Diskontierungsfaktor), zumal das StaRUG selbst im Grundsatz von einer Fortführung des Unternehmens ausgehe.90) Eine drohende Zahlungsunfähigkeit reiche daher vor allem dann nicht als Legitimation aus, wenn die fehlende Zustimmung der Gruppe der Anteilsinhaber durch die Zustimmung der anderen Gruppen ersetzt werden kann und den Anteilsinhabern dadurch u. U. sogar ihre Anteile entzogen werden könnten (Cross-Class Cram-down gemäß § 26).91) Zudem könnten missbräuchliche Gestaltungen drohen, z. B. indem der Restrukturierungsplan nur geringfügig in die Rechte bestimmter Gläubigergruppen eingreift und zugleich die Altgesellschafter aus der Gesellschaft hinausdrängt (z. B. im Wege eines Debt Equity Swaps). Jedenfalls der Cross-Class Cram-down in Bezug auf die Gruppe der Anteilsinhaber sollte nach dieser Auffassung daher grundsätzlich gestrichen92) oder jedenfalls an eine Zustimmung der Gruppe der Anteilsinhaber zum Restrukturierungsplan mit einfacher Mehrheit geknüpft werden.93)

75

Nach der Gegenauffassung sei die Einbeziehung der Anteilsrechte in einen Restrukturierungsplan auch gegen den Willen der Gesellschafter verfassungsrechtlich zulässig.94) Diese Auffassung verweist in Übereinstimmung mit der Gesetzesbegründung95) darauf, dass der Eingriff in Anteilsrechte eine drohende Zahlungsunfähigkeit i. S. von § 18 InsO voraussetzt, die ihrerseits in ein Insolvenzverfahren mit den Eingriffsmöglichkeiten des § 225a InsO führen könne.96) Auch schon bei einer nur drohenden Zahlungsunfähigkeit sei zudem die vollständige Befriedigung

76

_____________ 89) H.-F. Müller, ZGR 2018, 56, 72 ff.; H.-F. Müller., ZIP 2020, 2253, 2255; Schäfer, ZIP 2019, 1645, 1646; Schäfer, ZIP 2020, 2164, 2166 f.; Korch, NZG 2020, 1299, 1300. Zurückhaltend auch Seibt/v. Treuenfeld, DB 2019, 1191, 1197, und Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2233, die die Zulässigkeit im Ergebnis aber unter Verweis auf das Erfordernis eines qualifizierten Gesellschafterbeschlusses als Eingangsvoraussetzung für ein StaRUGVerfahren bejahen. 90) Schäfer, ZIP 2020, 2164, 2166 ff. 91) Proske/Streit, NZI 2020, 969, 970. 92) Schäfer, ZIP 2020, 2164, 2168; H.-F. Müller, ZIP 2020, 2253, 2255. 93) Proske/Streit, NZI 2020, 969, 970. 94) Gehrlein, BB 2021, 66, 68; Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2362; im Ergebnis auch Desch, BB 2020, 2498, 2502; Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2621 f. 95) Begr. RegE SanInsFoG z. § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 113. 96) Gehrlein, BB 2021, 66, 68.

Tresselt

125

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

der Gläubiger gefährdet.97) Darüber hinaus seien die Gesellschafter für den Fall, dass ihren Anteilen doch ein wirtschaftlicher Wert zukäme, durch das Schlechterstellungsverbot (§§ 26 Abs. 1, 64) hinreichend geschützt.98) Schließlich sehe auch der § 28 Abs. 2 einen ausgewogenen Mechanismus für einen möglichen Verbleib der Anteilsinhaber in der Gesellschaft vor. Teilweise wird als maßgebliche Rechtfertigung für die zwangsweise Einbeziehung der Gesellschafter allerdings verlangt, dass diese der Einleitung eines präventiven Restrukturierungsverfahrens durch (qualifizierten) Mehrheitsbeschluss vorab zustimmen.99) b) Stellungnahme 77

Der zweitgenannten Auffassung ist zuzustimmen, jedoch mit anderer Begründung: Die Einbeziehung der Anteilsinhaber in den Restrukturierungsplan auch gegen deren Willen ist verfassungsrechtlich zulässig und geboten.

78

Ein Restrukturierungsplan, der möglicherweise auch einen Eingriff in die Anteilsoder Mitgliedschaftsrechte vorsieht, knüpft nicht abstrakt an eine wirtschaftliche Krise, sondern an den (fakultativen) Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Statt eines StaRUG-Verfahrens könnte die Geschäftsleitung grundsätzlich auch einen Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) stellen, der den Anwendungsbereich der insolvenzplanrechtlichen Bestimmungen (einschließlich des § 225a InsO) eröffnen würde.100) Zwar muss die Geschäftsführung für die Stellung eines Insolvenzantrags wegen drohender Zahlungsunfähigkeit nach ganz h. M. zum Schutz der Gesellschafter und aufgrund seines Charakters als Grundlagengeschäft im Innenverhältnis zuvor einen (qualifizierten) Gesellschafterbeschluss einholen.101) Ein solcher Gesellschafterbeschluss ist für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines StaRUG-Verfahrens aber nicht entscheidend und unter bestimmten Voraussetzungen auch nicht erforderlich (siehe dazu noch unten Rz. 92 ff.).

79

Auf diese Eingangskontrolle kommt es für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit letztlich jedoch gar nicht an. Viel entscheidender ist nämlich, dass die Gesellschafter durch die Instrumente des StaRUG ausreichend geschützt sind. Durch die verfahrensrechtlichen Teilhaberechte des StaRUG ist gewährleistet, dass die Gesellschafter ausreichend beteiligt sind und ihnen der Rechtsschutz offensteht (§§ 17 ff., 60 ff.). Durch das Schlechterstellungsverbot (§§ 26 Abs. 1 Nr. 1, 64 Abs. 1) wird zudem verhindert, dass die Gesellschafter durch den Restrukturierungsplan schlechtergestellt werden als sie ohne den Plan stünden.102) Dadurch hat der Gesetzgeber das in Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 der Restrukturierungsrichtlinie vorgesehene Kriterium zum _____________ 97) Gehrlein, BB 2021, 66, 71; Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2621 f.; Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 85. 98) Gehrlein, BB 2021, 66, 68; Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2621 f. 99) Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2233. 100) Vgl. auch Begr. RegE SanInsFoG z. § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 113. 101) Vgl. nur OLG München, Urt. v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121; Leinekugel/ Skauradszun, GmbHR 2011, 1121, 1123 ff.; H.-F. Müller in: MünchKomm-GmbHG, § 64 Rz. 51; Tresselt in: A. Schmidt, Sanierungsrecht, Teil 1 Abschn. 2 Rz. 50. 102) Begr. RegE SanInsFoG z. § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 113; Gehrlein, BB 2021, 66, 68.

126

Tresselt

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

Schutz der Gläubiger auf die Anteilsinhaber erweitert.103) In diesem Zusammenhang sieht § 6 Abs. 2 vor, dass i. R. der Vergleichsrechnung (und somit auch für die Prüfung des Schlechterstellungsverbots) von einer Fortführung des Unternehmens auszugehen ist (es sei denn, ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung ist aussichtslos).104) Allerdings ist zu beachten, dass das maßgebliche Vergleichsszenario für das Schlechterstellungsverbot immer nur das sog. nächstbeste Alternativszenario sein kann.105) Als nächstbestes Alternativszenario kommen nur solche Szenarien in Betracht, die der Schuldner im Falle eines Scheiterns des Restrukturierungsplans mit überwiegender Wahrscheinlichkeit umsetzen kann. Daher sind hierfür auch nur tatsächlich realisierbare Konzepte und nicht durch Gutachten ermittelte theoretische Werte relevant, welche sich nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit realisieren lassen.106) Somit kann auch i. R. des § 6 Abs. 2 die Fortführung nur dann ein geeignetes Alternativszenario sein, wenn eine Fortführung überwiegend wahrscheinlich ist, da ein solches Szenario anderenfalls gerade nicht zeigen würde, wie die Planbetroffenen bei einem Scheitern des Restrukturierungsplans stünden. § 6 Abs. 2 ist insofern einschränkend auszulegen.107) Aufgrund dieses Schlechterstellungsverbots und der verfahrensrechtlichen Teilhaberechte für die Anteilsinhaber sowie der drohenden Zahlungsunfähigkeit bzw. „wahrscheinlichen Insolvenz“108) und der damit verbundenen Gefährdungslage für die Gläubiger sind letztlich auch Eingriffe in die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte gegen den Willen der Anteilsinhaber gerechtfertigt und verfassungsrechtlich zulässig.109) Im Übrigen mag es zwar durchaus sein, dass den Anteilen innerhalb eines StaRUGVerfahrens noch ein positiver Wert zukommt.110) Dies dürfte aber häufig nur aufgrund des StaRUG-Verfahrens und der darin vorgesehenen Sanierungsmöglichkeiten (einschließlich eines etwaigen Eingriffs in die Gesellschafterrechte) der Fall sein. Das StaRUG-Verfahren hinweggedacht, würde dagegen in spätestens 24 Monaten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Zahlungsunfähigkeit und in spätestens zwölf Monaten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine insolvenzrechtliche Überschuldung (eine negative Überschuldungsbilanz vorausgesetzt) und damit eine Insolvenz der Gesellschaft eintreten, in welcher die Anteile ebenfalls regelmäßig wertlos sind. Auch vor diesem Hintergrund ist der Eingriff in die Anteilsrechte gegen den Willen der Gesellschafter zulässig, zumal sie im Falle einer teilweisen Werthaltigkeit ihrer Anteile im Wege des Schlechterstellungsverbots genau die Kompensation erhalten, die sie auch im „nächstbesten Alternativszena_____________ 103) Vgl. dazu auch Skauradszun, KTS 2019, 161, 188; Spahlinger, NZI Beilage 1 z. Heft 16 – 17/2019, S. 69, 71; Tresselt in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 12 Rz. 76; Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2238. 104) Vgl. auch Korch, NZG 2020, 1299, 1300; s. ausführlich zur Vergleichsrechnung auch Skauradszun, KTS 2021, 1, 49 ff. 105) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 28 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 128. 106) Spahlinger, NZI Beilage 1 z. Heft 5/2021, S. 32, 33 f. 107) Spahlinger, NZI Beilage 1 z. Heft 5/2021, S. 32, 34. 108) S. nur Art. 1 Abs. 1 lit. a Restrukturierungsrichtlinie. 109) So auch Skauradszun, KTS 2021, 1, 40 ff. 110) Vgl. Schäfer, ZIP 2020, 2164, 2166 ff.

Tresselt

127

80

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

rio“ (Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 Restrukturierungsrichtlinie) erhalten hätten, also voraussichtlich in einem ohne das StaRUG-Verfahren eingetretenen Insolvenz-Szenario. 81

Die Zulässigkeit von Eingriffen in die Anteilsrechte lässt sich schließlich auch nicht dadurch in Frage stellen, dass eine drohende Zahlungsunfähigkeit – abhängig von der drohenden Liquiditätslücke – auch in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten bestehen kann.111) Diese Umstände dürften regelmäßig schon i. R. der Prüfung der Liquiditätsplanung zu berücksichtigen sein und können u. U. dazu führen, dass schon keine drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Wenn z. B. ein im Grundsatz ertragsfähiges Unternehmen gegen Ende des Prognosezeitraums eine überschaubare Liquiditätslücke hätte, dürfte es überwiegend wahrscheinlich sein, dass diese auch geschlossen werden kann (entweder durch weitere Mittel des Gesellschafters, durch externe Finanzierer oder ggf. einen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einzuwerbenden Investor). Dann liegt aber schon keine drohende Zahlungsunfähigkeit vor. Ist die Liquiditätslücke dagegen so groß und/oder das Geschäftsmodell nicht attraktiv genug, dass der Gesellschafter oder externe Fremd- oder Eigenkapitalgeber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu weiteren Beiträgen bereit sein wird, wird die drohende Zahlungsunfähigkeit zeitnah zu einer insolvenzrechtlichen Überschuldung führen und damit ohnehin zwangsläufig ein Insolvenzverfahren auslösen. Zudem steht es den Altgesellschaftern selbstverständlich frei, durch ein eigenes erfolgversprechendes Restrukturierungskonzept sowie durch (werthaltige) Finanzierungszusagen oder andere Beiträge eine drohende Zahlungsunfähigkeit zu verhindern oder jederzeit zu beseitigen und damit i. Ü. auch ein bereits laufendes StaRUG-Verfahren wieder zu beenden (jedenfalls wird das Gericht dem Restrukturierungsplan dann nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 die Bestätigung versagen). Wenn ihnen dies nicht gelingt oder sie dazu nicht bereit sind und daher mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wenige Monate später zwingende Insolvenzgründe eintreten, ist nicht einzusehen, warum eine vorinsolvenzliche Sanierung dennoch an einer Blockade der Anteilsinhaber scheitern sollte.

82

Zudem ist zu berücksichtigen, dass das StaRUG auf der Restrukturierungsrichtlinie basiert. Die Richtlinie enthält auch mit Blick auf die Gesellschafterrechte klare Vorgaben und Zielsetzungen (siehe dazu bereits oben Rz. 63 ff.), an denen sich der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung zu orientieren hatte und die bei der Auslegung der Regelungen des StaRUG zu beachten sind. Der Umsetzungsspielraum des nationalen Gesetzgebers begrenzt sich daher auf eine verfassungskonforme Ausgestaltung der Einbeziehung von Gesellschafterrechten.

83

Hinzu kommt schließlich, dass der Plan neben einem Eingriff in die Gesellschafterrechte regelmäßig auch einen Eingriff in die vorrangigen Positionen der Gläubiger vorsehen wird. Diese Positionen sind ebenfalls verfassungsrechtlich geschützt, so dass auch dieser Eingriff verfassungsrechtlich zu rechtfertigen ist (insbesondere für solche Gläubiger, deren fehlende Zustimmung ersetzt werden muss). Ein solcher Eingriff in Gläubigerrechte dürfte verfassungsrechtlich jedoch kaum zu rechtfertigen sein, wenn die Anteilsinhaber ihre Anteile ohne eigenen Beitrag behalten dürfen (ihnen also ohne eigene Leistung die durch die Restrukturierung entstehenden _____________ 111) So aber Schäfer, ZIP 2020, 2164, 2167.

128

Tresselt

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

Planwerte zufließen). Diese konkurrierenden Grundrechtspositionen sind daher in einen Ausgleich zu bringen. Eine Ausprägung dieses Ausgleichs findet sich in der absoluten Prioritätsregel, wonach für den Fall, dass die fehlende Zustimmung einer Gläubigergruppe ersetzt werden muss, die Anteilsinhaber ihre Anteile nur dann behalten dürfen, wenn sie den ihnen zufließenden Planmehrwert kompensieren (§ 27 Abs. 1 Nr. 2). Dies entspricht dem Grundsatz der „praktischen Konkordanz“ im Verfassungsrecht und zudem auch dem Vorbild des § 245 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO sowie den Grundsätzen der Unternehmensfinanzierung. c) Zusammenfassung Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass für die Rechtfertigung von Eingriffen in die Anteilsrechte mehrere Gesichtspunkte ganz entscheidend sind. Aus der drohenden Zahlungsunfähigkeit folgt zunächst das „Ob“ von Eingriffen in die Gesellschafterrechte, da diese die Eingangsvoraussetzung in ein StaRUG-Verfahren ist (und das Gericht den Restrukturierungsplan aufgrund von § 63 Abs. 1 Nr. 1 anderenfalls auch nicht bestätigen wird). Nach den verfahrensrechtlichen Teilhaberechten des StaRUG und dem Schlechterstellungsverbot richtet sich dagegen letztlich das „Wie“ und die „Höhe“ von Eingriffen, da das Schlechterstellungsverbot die wirtschaftliche Obergrenze für kompensationslose Eingriffe darstellt. Hinzu kommt, dass das StaRUG auf der Restrukturierungsrichtlinie basiert und in ihr die Einbeziehung der Anteilsrechte vorgesehen ist. In diesem Lichte muss das StaRUG ausgelegt und angewandt werden. Schließlich ist eine Einbeziehung der Anteilsrechte erforderlich, um einen Eingriff in Gläubigerrechte gegen den Willen einzelner Gläubiger rechtfertigen zu können.

84

Um die Anteilsinhaber aber auch vor ungerechtfertigten Eingriffen hinreichend zu schützen und missbräuchliche Gestaltungen von Gläubigern zu verhindern (z. B. durch eine missbräuchliche Ausnutzung des Restrukturierungsrahmens zur „Übernahme“ der Gesellschaft),112) wird den Gerichten eine wichtige Rolle bei der Prüfung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der Anwendung der verfahrensrechtlichen Teilhaberechte und des Schlechterstellungsverbots (und in diesem Zusammenhang auch der Ermittlung des richtigen Vergleichsszenarios gemäß § 6 Abs. 2) zukommen, die sie sorgfältig ausfüllen sollten. Zugleich ist zu hoffen, dass die Gerichte in diesem Zusammenhang keine übertrieben hohen und praxisfernen Maßstäbe anlegen werden, um eine erfolgversprechende Sanierung nicht zu erschweren.

85

5.

Verbleibende Spannungsfelder zum Gesellschaftsrecht

Auch wenn sich der Gesetzgeber explizit für eine Einbeziehung der Anteilsinhaber in den Restrukturierungsplan entschieden hat, verbleiben in verschiedener Hinsicht Spannungsfelder zwischen dem StaRUG und dem Gesellschaftsrecht. Diese Spannungsfelder betreffen vor allem die Frage, welchen Einfluss die Gesellschafter auf die Prüfung, Vorbereitung und Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens gemäß § 29, die Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens gemäß § 31, den Inhalt eines Restrukturierungsplans und dessen _____________ 112) Vgl. zu dieser Aufgabe der Gerichte im Kontext des Insolvenzplanverfahrens Seibt/Bulgrin, ZIP 2017, 353, 361.

Tresselt

129

86

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

Angebot gemäß § 17 sowie eine (außergerichtliche) Abstimmung über einen Restrukturierungsplan („StaRUG-Restrukturierungsmöglichkeiten“) haben. Richtigerweise ist bei der Beantwortung dieser Frage danach zu differenzieren, in welcher Phase StaRUG-Restrukturierungsmöglichkeiten geprüft, vorbereitet und/oder in Anspruch genommen werden.113) a) Vorkrisen-Phase 87

Vor dem Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit („Vorkrisen-Phase“) bleiben die auch sonst für die Einflussmöglichkeiten der Gesellschafter geltenden Vorschriften anwendbar. Zum Beispiel wird etwa für die Ausarbeitung und das Angebot eines Restrukturierungsplans grundsätzlich die Zustimmung der Gesellschafter bzw. – im Falle einer AG – die Zustimmung des Aufsichtsrats erforderlich sein, wenn durch den Plan gemäß §§ 2 Abs. 3, 7 Abs. 4 Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte gestaltet werden sollen. Weisungen, die mit der Sanierungspflicht der Geschäftsleiter kollidieren, können allerdings im Einzelfall auch schon vor Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit analog § 241 Nr. 3 und 4 AktG unverbindlich sein.114) b) Stabilisierungsphase

88

Für die Phase nach der Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens gemäß § 31 („Stabilisierungsphase“) sind die Teilnahme- und Mitwirkungsrechte der Anteilsinhaber umfassend und grundsätzlich abschließend durch die Bestimmungen des StaRUG geregelt und verdrängen insoweit das Gesellschaftsrecht. Dies gilt für die Teilnahme u. a. mit Blick auf §§ 17 ff. und für die Abstimmung nach §§ 24 ff. Ebenso ergeben sich die Rechtsmittel gegen einen Restrukturierungsplan abschließend aus den §§ 60 ff. Den Anteilsinhabern ist also verwehrt, nach dem Gesellschaftsrecht Maßnahmen zu ergreifen (also u. a. Beschlüsse zu fassen, Weisungen an die Geschäftsführung zu erteilen oder andere Handlungen vorzunehmen), die einer Abstimmung über den Restrukturierungsplan und anschließenden Bestätigung nach Maßgabe der Bestimmungen des StaRUG entgegenstehen oder sonst im Widerspruch zum angezeigten Restrukturierungsvorhaben stehen.115) Entsprechende Weisungen oder Beschlüsse sind für die Geschäftsleitung unbeachtlich.116) Dies folgt mittelbar auch aus § 32 Abs. 1 und § 43 Abs. 1, wonach die Geschäftsleitung bei der Restrukturierungssache die Interessen der Gläubiger zu wahren und alle Maßnahmen zu unterlassen hat, die sich mit dem Restrukturierungsziel nicht _____________ 113) S. zum Folgenden auch Tresselt/Glöckler, NWB Sanieren 2021, 80 ff., und NWB Sanieren 2021, 109 ff. 114) Vgl. Scholz, ZIP 2021, 219, 229 f. (allerdings im Zusammenhang mit §§ 32 Abs. 1, 43 Abs. 1 StaRUG); gegen die Möglichkeit der Geschäftsleiter, Weisungen der Gesellschafterversammlung mit Verweis auf die Sanierungspflicht aus § 1 StaRUG zu verweigern Brünkmans, ZInsO 2021, 125 f. 115) Tresselt in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 12 Rz. 51 ff.; Spahlinger, NZI Beilage 1 z. Heft 16 – 17/2019, S. 69. 116) Ähnlich Scholz, ZIP 2021, 219, 223 f.; Bitter, ZIP 2021, 321, 334, wohl auch Rauhut, NZI Beilage 1 z. Heft 5/2021, S. 52, 54; a. A. Kuntz, ZIP 2021, 597, 609; Guntermann, WM 2021, 214, 220, die jedoch auch konstatiert, dass die Rechtslage bei der GmbH damit hinter den Anforderungen der Restrukturierungsrichtlinie zurückbleibt.

130

Tresselt

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

vereinbaren lassen oder die Erfolgsaussichten der in Aussicht genommenen Restrukturierung gefährden. c) Umsetzungsphase Diese Erwägungen gelten grundsätzlich in gleichem Maße für die Umsetzungsphase, in der es den Anteilsinhabern ebenfalls versagt ist, mit Mitteln des Gesellschaftsrechts die Umsetzung eines rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplans zu behindern.117) Allerdings dürfte sich diese Problematik in der Umsetzungsphase häufig nicht oder nur in geringerem Ausmaß stellen (v. a. dann, wenn durch den Restrukturierungsplan die Anteile vollständig auf einen neuen Gesellschafter übertragen wurden).

89

d) Krisenphase Schwieriger ist die Frage nach dem Verhältnis von Gesellschaftsrecht und einem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren dagegen für die Phase zwischen dem Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens gemäß § 31 („Krisenphase“) zu beantworten. Vor allem hier besteht ein Spannungsfeld zwischen den verschiedenen Interessen, dessen Auflösung letztlich mit über die Effektivität eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens entscheiden wird. Konkret geht es hier v. a. um die Frage, ob und welche Einwirkungsmöglichkeiten die Gesellschafter in der Krisenphase haben, ob es also z. B. für die Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens oder der Vorlage eines Restrukturierungsplans im Innenverhältnis eines (qualifizierten) Gesellschafterbeschlusses bedarf oder die Gesellschafter der Geschäftsführung mit einer Weisung die Vorbereitung eines StaRUG-Verfahrens (und insbesondere eines Restrukturierungsplans) untersagen können.

90

Teilweise wird für die Einleitung eines präventiven Restrukturierungsverfahrens insbesondere aus verfassungsrechtlichen Gründen bei der GmbH ein qualifizierter Gesellschafterbeschluss (bzw. bei der AG ein qualifizierter Hauptversammlungsbeschluss verlangt).118) Diese Auffassung zieht zudem eine Parallele zur Stellung eines Insolvenzantrags wegen drohender Zahlungsunfähigkeit, bei dem nach ganz h. A. im Innenverhältnis ebenfalls ein qualifizierter Gesellschafterbeschluss verlangt wird.119)

91

Dem ist jedoch zunächst entgegenzuhalten, dass ein solcher zustimmender Gesellschafterbeschluss zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit gerade nicht zwingend erforderlich ist, da sich die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Eingriffen in die Anteilsrechte im Grundsatz schon aus den im StaRUG vorgesehenen Schutzinstrumenten (insbesondere den verfahrensrechtlichen Teilhaberechten und dem Schlechterstellungsverbot) ergibt (siehe dazu bereits oben Rz. 79). Zudem stünde eine solche gesellschaftsrechtliche Eingangskontrolle auch mit wesentlichen Grundge-

92

_____________ 117) Tresselt in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 12 Rz. 92 ff.; Spahlinger, NZI Beilage 1 z. Heft 16 – 17/2019, S. 69; Rauhut, NZI Beilage 1 z. Heft 5/2021, S. 52, 54. 118) Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2235 f. 119) Vgl. nur OLG München, Urt. v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121; Leinekugel/ Skauradszun, GmbHR 2011, 1121, 1123 ff.; H.-F. Müller in: MünchKomm-GmbHG, § 64 Rz. 51; Tresselt in: A. Schmidt, Sanierungsrecht, Teil 1 Abschn. 2 Rz. 50.

Tresselt

131

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

danken der Richtlinie nicht in Einklang.120) Art. 19 lit. a der Restrukturierungsrichtlinie verlangt ausdrücklich, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Unternehmensleitung bei einer wahrscheinlichen Insolvenz (auch) die Interessen der Gläubiger angemessen berücksichtigen. Außerdem ist richtigerweise – in Ergänzung zu Art. 19 der Richtlinie – der Rechtsgedanke von Art. 12 Abs. 1 und 2 der Richtlinie auch schon vor Beginn des Planabstimmungsverfahrens anzuwenden.121) Mithin lässt sich der Restrukturierungrichtlinie entnehmen, dass die Gesellschafter in der Krisenphase nicht zu einem grundlosen Verhindern oder Erschweren eines Restrukturierungsplans berechtigt sein dürfen, dass die Interessen sämtlicher Stakeholder gebührend berücksichtigt werden müssen und dass die Geschäftsleiter durch die gesetzlichen Vorgaben grundsätzlich nicht von sinnvollen Restrukturierungsmaßnahmen abgehalten werden sollten.122) aa) Lehre von den Vorwirkungen der §§ 32, 43 93

Zwar wurden die §§ 2, 3 RegE und die darin gesetzlich vorgesehene Berücksichtigung von Gläubigerinteressen nicht in die Gesetzesfassung übernommen. Die Bestimmungen der §§ 32 Abs. 1, 43 Abs. 1 sehen jedoch ausdrücklich vor, dass die Geschäftsleiter die Interessen der Gläubiger zu wahren und Maßnahmen zu unterlassen haben, welche sich mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbaren lassen oder welche die Erfolgsaussichten der in Aussicht genommenen Restrukturierung gefährden.123) Es ist aber widersprüchlich, wenn die Geschäftsleitung ab der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens (auch) im Interesse der Gläubiger zu handeln hat und daher in einem Restrukturierungsplan konsequenterweise auch einen Eingriff in die Anteilsrechte vorsehen könnte, sich bis dahin aber ausschließlich am Interesse der Anteilsinhaber zu orientieren hätte und es deshalb u. U. gar nicht zu einer Anzeige des Restrukturierungsvorhabens (und einem Restrukturierungsplan) käme. Dadurch könnte ein wesentlicher Zweck der Richtlinie, nämlich Blockadepotential der Anteilsinhaber bei der Restrukturierung abzubauen, zu weiten Teilen nicht erreicht werden.124) Es ist daher anzunehmen, dass in der Krisenphase eine Vorwirkung der Richtlinie125) bzw. des StaRUG (v. a. §§ 32 Abs. 1, 43 Abs. 1) gegeben ist und daher auch in der Krisenphase nicht ausschließlich die Interessen der Anteilsinhaber zu beachten sind126) und die Gesellschafter ein Restrukturierungsvorhaben nicht grundlos verhindern oder erschweren dürfen.127) Schließlich _____________ 120) Skauradszun, KTS 2021, 1, 38 f.; vgl. auch Hölzle, ZIP 2020, 585, 591; Freitag, ZIP 2019, 541, 544. 121) S. dazu Tresselt in Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 12 Rz. 102; Spahlinger, NZI Beilage 1 z. Heft 16 – 17/2019, S. 69, 71. 122) Tresselt/Glöckler, NWB Sanieren 2021, 109, 110. 123) Vgl. auch Gehrlein, BB 2021, 66, 67. 124) Vgl. auch Hölzle, ZIP 2020, 585, 591; Freitag, ZIP 2019, 541, 544. 125) Dieser Vorwirkung ist durch eine richtlinienkonforme Auslegung des mitgliedstaatlichen Rechts Rechnung zu tragen; s. zum Gebot der richtlinienkonformen Auslegung EuGH, NJW 2006, 2465 Rz. 108 ff.; BGH, NJW 2009, 427 Rz. 19 ff.; BGH, NJW 2012, 1073 Rz. 24; Grabitz/Hilf/Nettesheim-Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rz. 133 ff. 126) Hölzle, ZIP 2020, 585, 591; Tresselt in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 12 Rz. 92 ff.; Spahlinger, NZI Beilage 1 z. Heft 16 – 17/2019, S. 69; Kuntz, ZIP 2021, 597, 610. 127) Tresselt/Glöckler, NWB Sanieren 2021, 109, 111.

132

Tresselt

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

ist an dieser Stelle auch der in der Literatur teilweise bemühte Hinweis auf die Parallele zu § 18 InsO nicht zwingend, da ein Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und ein präventives Restrukturierungsverfahren auf unterschiedliche Ziele ausgerichtet sind und gesellschaftsrechtlich unterschiedliche Konsequenzen haben (z. B. wird die Gesellschaft nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG nur bei einem Insolvenzantrag und nicht durch die Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens aufgelöst).128) Mithin haben der Schuldner und dessen Geschäftsführung auch schon in der Krisenphase (und bei der Entscheidung über die Einleitung eines StaRUG-Verfahrens) die Interessen der Gläubiger angemessen zu berücksichtigen129) und die Gesellschafter dürfen ein Restrukturierungsvorhaben auch in der Krisenphase nicht grundlos verhindern oder erschweren.130)

94

bb) Anwendung der Restructuring Judgement Rule Jenseits solcher Fälle folgt aus einer richtlinienkonformen Auslegung der bestehenden Regelungen zu den Pflichten der Geschäftsleiter und den Einflussmöglichkeiten der Gesellschafter (z. B. §§ 37, 43 GmbHG) sowie der Vorwirkung von §§ 32 Abs. 1, 43 Abs. 1, dass Geschäftsleiter pflichtgemäß handeln, wenn sie bei einem grundlosen Verhindern oder Erschweren seitens der (oder eines) Gesellschafter(s), ungeachtet interner gesellschaftsrechtlicher Vorgaben: –

Handlungsoptionen und verfügbare gerichtliche und außergerichtliche Umsetzungsmöglichkeiten eigenständig prüfen und bewerten;



Gespräche mit den für die Restrukturierung relevanten Stakeholdern führen;



Sanierungsvorhaben innerhalb oder außerhalb eines StaRUG-Verfahrens, die geeignet sind, die Krise nachhaltig abzuwenden, prüfen, aushandeln und ggf. umsetzen und dabei auf eine (konsensuale) Lösung hinarbeiten und versuchen, etwaige verschiedene Interessen der Stakeholder (einschließlich Gläubiger, Arbeitnehmer, Gesellschafter) zu moderieren;



StaRUG-Restrukturierungsmöglichkeiten eigenständig prüfen, vorbereiten und im Namen des Schuldners in Anspruch nehmen oder nach Prüfung ablehnen.

Zudem sind Weisungen der Gesellschafter, Zustimmungserfordernisse, einem Sanierungsvorhaben entgegenstehende gesellschaftsinterne Regelungen oder sonstige Maßnahmen der Gesellschafter, durch welche die Prüfung, Vorbereitung und Inanspruchnahme von Sanierungsvorhaben oder StaRUG-Restrukturierungsmöglichkeiten grundlos verhindert oder erschwert werden, als sanierungszweckwidrige

_____________ 128) So auch Skaurasdzun, KTS 2021, 1, 38 ff. 129) Gehrlein, BB 2021, 66, 67; Tresselt in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 12 Rz. 92 ff.; Spahlinger, NZI Beilage 1 z. Heft 16 – 17/2019, S. 69; Skaurasdzun, KTS 2021, 1, 38 ff., der ein Zustimmungserfordernis der Anteilsinhaber für ein StaRUG-Verfahren grundsätzlich ablehnt; vgl. auch Hölzle, ZIP 2020, 585, 591; Freitag, ZIP 2019, 541, 544. 130) Tresselt/Glöckler, NWB Sanieren 2021, 109, 111.

Tresselt

133

95

96

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

Vorgaben anzusehen und damit im Ergebnis unbeachtlich.131) Mangels klarer gesetzlicher Vorgaben lässt sich die Frage, wann in der Krisenphase unter Berücksichtigung der Interessen sämtlicher Stakeholder ein grundloses Verhindern oder Erschweren seitens der Gesellschafter vorliegt, nur im Wege einer Abwägung im Einzelfall beantworten.132) Als „Faustregel“ gilt, dass gesellschaftsrechtliche Einflussnahmen dann als „grundlos blockierend“ anzusehen sind, wenn sie zu einer Insolvenz des Unternehmens führen, obwohl ein Insolvenzverfahren durch andere Szenarien abwendbar wäre, und ein solches im Vergleich zu den anderen Szenarien nicht wirtschaftlich vorteilhaft ist.133) Weitere Abwägungskriterien sind z. B. die Frage, ob die Gesellschafter bereit sind, eigene (neue) Sanierungsbeiträge zu leisten, um die Krise nachhaltig zu beseitigen oder ob eine (ggf. von den Gesellschaftern entwickelte) wirtschaftlich belastbare, rechtlich und tatsächlich durchführbare sowie „wirkungsgleiche“ Alternative zur Verfügung steht und Aussicht auf Erfolg hat.134) Um den mit dieser Abwägung verbundenen Unsicherheiten gerecht zu werden, ist den Geschäftsleitern bei der Prüfung, Vorbereitung, Vorlage oder Inanspruchnahme eines Sanierungsvorhabens oder von StaRUG-Restrukturierungsmöglichkeiten ein Entscheidungsspielraum i. S. der Business Judgement Rule (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) einzuräumen. Die Geschäftsleiter handeln deshalb pflichtgemäß, wenn sie bei der Prüfung, Vorbereitung, Vorlage oder (Nicht-)Inanspruchnahme eines Sanierungsvorhabens oder von StaRUG-Restrukturierungsmöglichkeiten vernünftigerweise, auf der Grundlage angemessener Informationen, annehmen durften, dass die Gesellschafter ein Restrukturierungsvorhaben grundlos verhindern oder erschweren und das Handeln der Geschäftsleitung im überwiegenden Interesse sämtlicher Stakeholder liegt (Restructuring Judgement Rule).135) 6. 97

Zweck des § 2 Abs. 3

Sinn und Zweck des § 2 Abs. 3 ist es, Unternehmenssanierungen notfalls auch gegen den Willen der Anteilsinhaber umzusetzen.136) Bei einer Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens hatten die Anteilsinhaber bisher regelmäßig ein hohes Obstruktionspotential. Gläubiger sind häufig nur dann zu Sanierungsbeiträgen (wie _____________ 131) Ähnlich Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 69. Dogmatisch lässt sich die Unbeachtlichkeit sanierungszweckwidriger Weisungen neben der richtlinienkonformen Auslegung des § 37 Abs. 1 GmbHG auch mit einer Analogie zu § 241 Nr. 3 und 4 AktG begründen. Sofern ein StaRUG-Verfahren die einzige realistische Möglichkeit zur Vermeidung einer Insolvenz und der dort drohenden schlechteren Befriedigungsaussichten für die Gläubiger ist, folgt dies auch daraus, dass existenzvernichtende Weisungen unbeachtlich sind, vgl. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 7.2.1997 – 24 U 88/95, ZIP 1997, 450; Scholz-Uwe H. Schneider/ Sven H. Schneider, GmbHG, § 37 Rz. 61, § 43 Rz. 127; Lutter/Hommelhoff-Kleindiek, GmbHG, § 37 Rz. 18, § 43 Rz. 42; Saenger/Inhester-Lücke/Simon, GmbHG, § 37 Rz. 17. 132) Vgl. Tresselt in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 12 Rz. 107; vgl. auch Begr. RegE SanInsFoG z. § 2 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 106 und S. 108. 133) Tresselt/Glöckler, NWB Sanieren 2021, 109, 112. 134) Vgl. zu weiteren Abwägungskriterien auch Tresselt in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 12 Rz. 112 ff., sowie Tresselt/Glöckler, NWB Sanieren 2021, 109, 112 f. 135) Tresselt/Glöckler, NWB Sanieren 2021, 109, 112; ähnlich Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 68 f.; a. A. Jungmann, ZRI 2021, 209, 229; Kuntz, ZIP 2021, 597, 609. 136) Allgemein zu dieser Zielsetzung des StaRUG Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 86.

134

Tresselt

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

z. B. Forderungsverzichten) bereit, wenn auch die Anteilsinhaber als diejenigen, die eine Krise u. U. mit zu verantworten haben, entsprechende Beiträge erbringen oder aus der Gesellschaft ausscheiden. Sind die Anteilsinhaber dazu nicht bereit, können sie eine erfolgversprechende Sanierung durch eine Blockadeposition entweder verhindern oder erhalten eine ungerechtfertigte Aufwertung ihrer Anteile, wenn die Gläubiger dennoch zu Sanierungsbeiträgen bereit sind.137) Wenn den Anteilen daher kein oder nur noch ein geringer wirtschaftlicher Wert zukommt, sollten die Anteilsinhaber auch nicht in der Lage sein, einen erfolgversprechenden Sanierungsversuch der Gläubiger zu obstruieren. In solchen Szenarien sollten Eingriffe in die Anteilsund Mitgliedschaftsrechte daher auch gegen den Willen der Anteilsinhaber möglich sein.138) Dieser Zweck orientiert sich daher auch an dem Vorbild des Insolvenzplanverfahrens (§ 225a InsO) und den darin vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten.139) 7.

98

Tatbestand des § 2 Abs. 3

a) Persönlicher Anwendungsbereich § 2 Abs. 3 richtet sich an Schuldner, die eine juristische Person oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit sind und ist damit ähnlich weit gefasst wie die Richtlinie, die ebenfalls grundsätzlich jede Gesellschaftsform erfasst.140)

99

b) Anteils- und Mitgliedschaftsrechte des Schuldners Als Anteilsinhaber definiert Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 der Restrukturierungsrichtlinie „eine Person, die eine Beteiligung an einem Schuldner oder an einem Unternehmen des Schuldners hält; dazu gehört auch ein Aktionär, soweit diese Person kein Gläubiger ist.“ Die Richtlinie knüpft für den Begriff des Anteilsinhabers somit vor allem daran an, ob der Betroffene am Eigenkapital des Schuldners beteiligt ist, unabhängig von der gesellschaftsrechtlichen Qualifikation.141) Der Wortlaut des § 2 Abs. 3 hat dagegen wiederum die Formulierung des § 225a Abs. 1 InsO übernommen, ohne dass sich daraus gegenüber den Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie im Ergebnis Abweichungen ergeben dürften. Für die Definition der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte kann daher auf den Meinungsstand zu § 225a Abs. 1 InsO zurückgegriffen werden.

100

Unter dem Anteilsrecht eines Gesellschafters sind demnach die gesellschaftsrechtliche Beteiligung am Rechtsträger und die (vermögensmäßige) Beteiligung am Unternehmen bzw. Eigenkapital zu verstehen.142) Die Mitgliedschaftsrechte umfassen dagegen die mitgliedschaftsrechtliche Beteiligung an einem Rechtsträger ohne Gesell-

101

_____________ 137) Zu diesem Blockadepotenzial am Beispiel des Insolvenzplans etwa Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 2. 138) Ringelspacher/Ruch, ZRI 2020, 636, 638; Westpfahl, ZRI 2020, 157, 160. 139) Begr. RegE SanInsFoG z. § 2 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 117. 140) Tresselt in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 12 Rz. 11; Albrecht, ZInsO 2016, 2415, 2417; Thole, ZIP 2017, 101, 102. 141) Tresselt in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 12 Rz. 12 m. w. N. 142) Thies in: HambKomm-InsO, § 225a Rz. 5.

Tresselt

135

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

schaftsanteile wie z. B. einen Verein oder eine Genossenschaft.143) Planunterworfene Anteils- und Mitgliedschaftsrechte sind daher letztlich alle Rechtspositionen, die aus der Beteiligung an einem Verband folgen.144) 102

Gläubigerpositionen fallen dagegen nicht unter § 2 Abs. 3, wie sich auch schon aus der Definition der Anteilsinhaber in Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 der Restrukturierungsrichtlinie ergibt. Das entscheidende Kriterium zur Abgrenzung ist, ob sich ein Anspruch von der Mitgliedschaft auch trennen lässt und es sich daher um eine Gläubigerposition handelt oder ob das Recht untrennbar mit der Mitgliedschaft verbunden ist.145)

103

Zu den Anteilsrechten gehören daher auch Vorzugsaktien ohne Stimmrecht und die Komplementärin ohne Kapitalanteil.146) Um Gläubigerpositionen handelt es sich dagegen bei erfolgsabhängigen schuldrechtlichen Ansprüche wie z. B. Gewinnschuldverschreibungen, Genussrechten, oder stillen Beteiligungen.147) Im Falle einer Treuhand ist der Treuhänder und nicht der Treugeber Anteilsinhaber i. S. des § 2 Abs. 3.148) 8.

104

Rechtsfolge

Nach § 2 Abs. 3 können die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der an dem Schuldner beteiligten Personen durch den Restrukturierungsplan gestaltet, sonstige gesellschaftsrechtlich zulässige Regelungen getroffen sowie Anteils- und Mitgliedschaftsrechte übertragen werden. Im Restrukturierungsplan kann somit grundsätzlich jede Regelung getroffen werden, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist. a) Reichweite der „gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahmen“

105

Aufgrund des Vorbildcharakters des § 225a Abs. 3 InsO wird für das Kriterium der gesellschaftsrechtlichen Zulässigkeit einer Maßnahme von einem Gleichlauf auszugehen sein, sofern die Besonderheiten eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens keine Abweichungen erfordern. Dieser Gleichlauf ist auch gerechtfertigt, da nach dem StaRUG aufgrund seiner Anknüpfung an eine drohende Zahlungsunfähigkeit und den durch das StaRUG gewährleisteten verfahrens- und vermögensrechtlichen Absicherungen der Anteilsinhaber im Grundsatz die gleichen Eingriffe in Gesellschafterrechte vorgenommen werden dürfen wie in einem Insolvenzverfahren (siehe dazu bereits oben).149)

106

Nach dem ErwG 2 der Restrukturierungsrichtlinie gehören zu den möglichen Restrukturierungsmaßnahmen eine Änderung der „Struktur der Vermögenswerte“ oder anderer Teile der „Kapitalstruktur“. Daraus sowie aus dem Willen des Richtlinien_____________ 143) So auch Jaeger-Muench, InsO, § 217 Rz. 75 („personalistisch strukturierte Zusammenschlüsse“). 144) K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 225a Rz. 15; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 20 f. 145) K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 225a Rz. 18. 146) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 225a Rz. 7 f.; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 225a Rz. 15 f.; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 6. 147) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 21; Haas in: HK-InsO, § 225a Rz. 4; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 225a Rz. 7; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 225a Rz. 15. 148) Haas in: HK-InsO, § 225a Rz. 4; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 225a Rz. 6; K. SchmidtSpliedt, InsO, § 225a Rz. 15; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 6. 149) So auch Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2234.

136

Tresselt

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

gebers, alle Maßnahmen für eine möglichst effektive Restrukturierung zur Verfügung zu stellen, lässt sich ableiten, dass alle gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen möglich sein sollen, die auch das nationale Gesellschaftsrecht erlaubt.150) Damit ist jedoch noch nicht gesagt, wie das Verhältnis zum nationalen Gesellschaftsrecht konkret aufzulösen ist. Hierfür kann auf die Grundsätze zu § 225a Abs. 3 InsO zurückgegriffen werden. Auch dort stellt sich aber die noch nicht abschließend geklärte Frage, wie das Kriterium der „gesellschaftsrechtlichen Zulässigkeit“ in der Praxis konkret anzuwenden und wie in diesem Zusammenhang mögliche Kollisionen zwischen Insolvenz- und Gesellschaftsrecht aufzulösen sind.151) Ein ähnlicher Meinungsstreit – aufgrund der Anknüpfung des StaRUG „nur“ an eine drohende Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlich noch in verschärfter Form – ist daher auch für §§ 2 Abs. 3, 7 Abs. 4 Satz 5 zu erwarten.

107

Zu § 225a Abs. 3 InsO wird teilweise vertreten, um gesellschaftsrechtlich zulässige Regelungen handele es sich nur dann (und nur solche Regelungen dürften daher in einen Insolvenzplan aufgenommen werden), wenn solche Maßnahmen auch nach den allgemeinen Kriterien und Voraussetzungen des Gesellschaftsrechts auch außerhalb eines Plans zulässig wären und wenn in diesem Zusammenhang z. B. auch die gesellschaftsrechtlichen Minderheitenrechte gewahrt werden.152)

108

Dies greift jedoch für § 225a Abs. 3 InsO zu kurz und würde auch für §§ 2 Abs. 3, 7 Abs. 4 zu kurz greifen und diesen Bestimmungen zu weiten Teilen ihre Geeignetheit als Sanierungsinstrument nehmen. Vielmehr sind die §§ 2 Abs. 3, 7 Abs. 4 (wie nach richtiger Auffassung auch § 225a Abs. 3 InsO) sehr weit zu verstehen.153) Gesellschaftsrechtlich zulässig sind demnach alle Maßnahmen, die sich i. R. des zwingenden gesellschaftsrechtlichen Typenzwangs bzw. des Numerus clausus gesellschaftsrechtlicher Regelungen bewegen und damit im Grundsatz der Disposition der Gesellschafter unterliegen.154) Zulässig sind daher insbesondere gesellschaftsrechtliche Beschlüsse und Willenserklärungen der Gesellschafter sowie Regelungen in Bezug auf andere Organe des Schuldners.155) Innerhalb des Rahmens des gesellschaftsrechtlichen Numerus clausus sind die Regelungen des StaRUG gegenüber dem Gesellschaftsrecht zudem lex specialis. Soweit daher bestimmte Gegenstände durch das StaRUG spezieller geregelt werden, wird das Gesellschaftsrecht durch diese Regelungen überlagert.156) Dazu zählen insbesondere die Regelungen zur Versamm-

109

_____________ 150) Skauradszun, KTS 2019, 161, 180 f.; Tresselt in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 12 Rz. 7. 151) Vgl. auch Thole, ZIP 2020, 1985, 1988; H.-F. Müller, ZIP 2020, 2253, 2255; Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2234. 152) Schäfer, ZIP 2016, 1911, 1914; Meyer, DB 2015, 538, 540; ähnlich auch Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 225a Rz. 41. 153) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 76 ff.; Haas in: HK-InsO, § 225a Rz. 8. 154) Haas in: HK-InsO, § 225a Rz. 9; Hölzle in: Kübler, HRI, § 31 Rz. 31; Seibt/Westpfahl in: A. Schmidt, Sanierungsrecht, § 225a InsO Rz. 83 f. 155) Ebenso Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 241; a. A. Madaus, ZIP 2016, 1141, 1143 f. 156) Skauradszun, ZRI 2020, 625, 631; Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2233 f., die auch darauf hinweisen, dass dadurch das verbandsrechtliche Mitgliedschaftsrecht (im Grundsatz bestehend aus einem Vermögens- und Mitverwaltungselement) in einem StaRUG-Verfahren allein auf die Vermögenskomponente beschränkt wird.

Tresselt

137

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

lung und Abstimmung der Beteiligten über den Restrukturierungsplan (§§ 17 ff.). Der gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz wird überlagert durch die spezielleren Bestimmungen des StaRUG zur Gleichbehandlung (§§ 9 Abs. 1 Satz 2 und 10) sowie die Regelung zur absoluten Priorität in § 27 Abs. 2 Nr. 2 (die in § 28 Abs. 2 Nr. 1 durchbrochen wird). Ebenso wird auch die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht durch die Bestimmungen durch das StaRUG überlagert.157) Besonders praxisrelevant ist in diesem Zusammenhang auch die Zulässigkeit eines Bezugsrechtsausschlusses bei Kapitalmaßnahmen des Schuldners (siehe dazu i. E. die Kommentierung zu § 7 Abs. 4). Schließlich sind die Regelungen des StaRUG auch in Bezug auf den Minderheitenschutz (und Rechtsschutz) gegenüber den gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen vorrangig und verdrängen diese.158) Die Personalkompetenz verbleibt dagegen bei den Anteilsinhabern.159) b) Überblick über die gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahmen 110

§ 2 Abs. 3 (und § 7 Abs. 4) zählen – nahezu in Übereinstimmung mit § 225a Abs. 2 und 3 InsO – beispielhaft die folgenden gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen auf, die in einem Restrukturierungsplan vorgesehen werden können: –

Debt Equity Swap,



Kapitalherabsetzung,



Kapitalerhöhung,



Ausschluss von Bezugsrechten,



Leistung von Sacheinlagen,



Zahlung von Abfindungen an ausscheidende Gesellschafter,



Übertragung von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten.

111

Neben diesen explizit aufgezählten Maßnahmen sind jedoch – wie bei § 225a InsO – alle weiteren gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen zulässig, wie insbesondere auch Maßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz.

112

Die einzige Maßnahme, die im Unterschied zu § 225a Abs. 3 InsO nicht aufgezählt wird, ist die Fortsetzung einer aufgelösten Gesellschaft. Dies ergibt sich aber daraus, dass eine Gesellschaft nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG bzw. § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst wird, es daran in einem StaRUG-Verfahren aber gerade fehlt.

113

Für eine nähere Erläuterung dieser Maßnahmen wird auf die Kommentierung zu § 7 Abs. 4 verwiesen. _____________ 157) So in Bezug auf das StaRUG auch Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2234, sowie zu § 225a Abs. 3 InsO auch Thole, ZIP 2013, 1937 ff.; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 79; Hölzle in: Kübler, HRI, § 31 Rz. 52; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 225a Rz. 35, m. zahlr. Nachw. zum Streitstand; Tresselt/Müller, M.-J., KSzW 2015, 198, 199; a. A. Schäfer, ZIP 2013, 2237 ff.; Stöber, ZInsO 2013, 2457, 2462 ff.; Westermann, NZG 2015, 134, 138. 158) Haas in: HK-InsO, § 225a Rz. 10. 159) Vgl. auch Tresselt in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 12 Rz. 61 ff.; Spahlinger, NZI Beilage 1 z. Heft 16 – 17/2019, S. 69, 70.

138

Tresselt

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

VI. Gestaltung der Rechte der Inhaber von Restrukturierungsforderungen aus gruppeninternen Drittsicherheiten (Abs. 4) 1.

Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie

Den Umgang mit Sicherheiten spricht die Richtlinie nur vereinzelt an. Die Einbeziehung von gruppeninternen Drittsicherheiten in Restrukturierungspläne hat die Richtlinie zudem nicht vorgegeben. Insofern ist der deutsche Gesetzgeber hier über die Regelungsgegenstände der Richtlinie hinausgegangen. 2.

114

Aufnahme der Regelung in nationales Recht

Nach dem RegE sollten von den „gruppeninternen Drittsicherheit“, in die ein Restrukturierungsplan eingreifen kann, lediglich die von Tochterunternehmen i. S. von § 290 HGB gestellten Sicherheiten erfasst werden.160) Dies ist im Schrifttum jedoch berechtigterweise auf Kritik gestoßen. Tatsächlich ist nicht einzusehen, warum nur die Sicherheiten von Tochtergesellschaften einbezogen, aber Sicherheiten von Mutteroder Schwestergesellschaften nicht gestaltet werden können, obwohl dies für die Restrukturierung von Konzernen ebenso relevant ist.161) In Konzernstrukturen fungiert die Mutter häufig als reine Holding von operativ tätigen Tochtergesellschaften. Besteht der Restrukturierungsbedarf nur auf Ebene einer operativen Gesellschaft, könnten anderenfalls die von der Obergesellschaft und von Schwestergesellschaften gestellten Sicherheiten nicht einbezogen werden.162) Dies könnte den Restrukturierungserfolg v. a. dann gefährden, wenn den (obstruierenden) Gläubigern nach Abschluss der Restrukturierung Pfandrechte an den Anteilen der (restrukturierten) Schuldnerin oder Garantien von weiteren Konzerngesellschaften verbleiben würden.163) Daher wurde in § 2 Abs. 4 aufgrund der Empfehlungen des Rechtsausschusses nun der Verweis auf verbundene Unternehmen i. S. von § 15 AktG aufgenommen.164)

115

Die Möglichkeit der Einbeziehung gruppeninterner Drittsicherheiten durch den Restrukturierungsplan ist in der Literatur unter Verweis auf die Bedeutung bei Konzernrestrukturierungen ganz überwiegend auf Zustimmung gestoßen.165) Vereinzelt wurde jedoch eingewandt, dass die Prüfung der Frage, ob die Entschädigung tatsächlich angemessen ist, das Restrukturierungsverfahren sprengen könnte.166) Teilweise wurde auch zu Bedenken gegeben, dass diese Regelung bewährte Formen der Konzernfinanzierung in Frage stellen und im Ergebnis die Kreditaufnahme ver-

116

_____________ 160) So noch die Formulierung des damaligen § 4 Abs. 4, vgl. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/ 24181, S. 15. 161) So auch TMA, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 3; Gehrlein, BB 2021, 66, 68; Frind, ZInsO 2020, 2241; Desch, BB 2020, 2498, 2502; Thole, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung am 25.11.2020, S. 5; Niering (VID), Stellungnahme z. RegE SanInsFoG, v. 23.11.2020, S. 5. 162) Vgl. VID, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 8. 163) TMA, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 3; Desch, BB 2020, 2498, 2502. 164) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 7. 165) Gehrlein, BB 2021, 66, 68; Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2621; Ringelspacher/ Ruch, ZRI 2020, 636, 639; Desch, BB 2020, 2498, 2502; Thole, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung am 25.11.2020, S. 5. 166) Proske/Streit, NZI 2020, 969, 970.

Tresselt

139

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

bundener Unternehmen erschweren würde.167) Entgegen dieser kritischen Stimmen ist die Einbeziehung von gruppeninternen Drittsicherheiten in den Restrukturierungsplan grundsätzlich zu begrüßen. Dennoch wird sich in der Praxis erst noch zeigen müssen, ob und inwieweit die Einbeziehung solcher Sicherheiten durch eine möglicherweise aufwendige Ermittlung der Werthaltigkeit der Sicherheiten erschwert wird.168) 117

Erst im Zuge des RegE wurde zudem § 2 Abs. 4 Satz 2 ergänzt, wonach auch im Falle des Ausschlusses der Haftung der persönlich haftenden Gesellschafter einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit eine den Eingriff in das Recht der betroffenen Gläubiger kompensierende Entschädigung vorzusehen ist.

118

Parallel zu der Regelung des § 2 Abs. 4 wurde auch in den Regelungen zum Insolvenzplan die Möglichkeit vorgesehen, durch einen Insolvenzplan in gruppeninterne Drittsicherheiten einzugreifen (vgl. §§ 217 Abs. 2, 223a, 238b InsO). 3.

Zweck der Einbeziehung von gruppeninternen Drittsicherheiten

119

Die Einbeziehung gruppeninterner Drittsicherheiten soll der Erleichterung von Konzernrestrukturierungen dienen. Auf diese Weise soll die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder die Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmens auf der Ebene des Sicherungsgebers vermieden werden. Zugleich sollen durch den Anspruch auf eine angemessene Entschädigung auch die berechtigten Interessen des Sicherungsnehmers geschützt werden.169) Da vor allem Finanzverbindlichkeiten in der Regel durch Sicherheiten zahlreicher wesentlicher Gruppengesellschaften gesichert sind, ist es für eine erfolgversprechende Restrukturierung der Unternehmensgruppe sinnvoll, auch die Sicherheiten der Gruppengesellschaften in den Restrukturierungsplan einzubeziehen.170)

120

Die Ergänzung in § 2 Abs. 4 Satz 2 erklärt sich damit, dass bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit auch der persönliche haftende Gesellschafter als Schuldner zur Verfügung steht (was in erster Linie bei natürlichen Personen als persönlich haftendem Gesellschafter relevant sein kann). Nach § 11 wird der persönlich haftende Gesellschafter aber nach Maßgabe der Regelungen des Restrukturierungsplans für die einbezogenen Restrukturierungsforderungen von seiner Haftung befreit. Daher könnte der Restrukturierungsplan die Gläubiger unangemessen benachteiligen (bzw. gegen das Schlechterstellungsverbot verstoßen), wenn er die Haftung des persönlich haftenden Gesellschafters kompensationslos ausschließen würde.171) 4.

121

Tatbestand des § 2 Abs. 4

Nach § 2 Abs. 4 kann der Restrukturierungsplan die Rechte der Inhaber von Restrukturierungsforderungen gestalten, die diesen aus einer von einem verbundenen Unternehmen i. S. des § 15 AktG als Bürge, Mitschuldner oder aufgrund einer _____________ 167) H.-F. Müller, ZIP 2020, 2253, 2256. 168) Vgl. auch Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2622 f. 169) Begr. RegE SanInsFoG z. § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 113; Gehrlein, BB 2021, 66, 68; Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2621. 170) Ringelspacher/Ruch, ZRI 2020, 636, 639. 171) Begr. RegE SanInsFoG z. § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 114.

140

Tresselt

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

anderweitig übernommenen Haftung oder an Gegenständen des Vermögens dieses Unternehmens zustehen. Erforderlich ist also, dass es sich bei der besicherten Forderung um eine Restrukturierungsforderung i. S. von § 2 Abs. 1 Nr. 1 handelt. Zudem muss die Sicherheit durch ein mit dem Schuldner der Restrukturierungsforderung i. S. von § 15 AktG verbundenes Unternehmen bestellt worden sein.

122

Erfasst sind aufgrund des sehr weiten und nicht abschließenden Wortlauts des § 2 Abs. 4 sämtliche Sicherheiten, also alle Personalsicherheiten (wie z. B. Bürgschaften, Mitschuldnerschaften, Garantien und externe Patronatserklärungen) und Realsicherheiten (wie z. B. Grundpfandrechte, Pfandrechte an beweglichen Sachen und Rechten, Sicherungsübereignungen und Sicherungsabtretungen). Erfasst sind zudem Garantien für Restrukturierungsforderungen, die von Tochtergesellschaften (Upstream-Garantien) oder Schwestergesellschaften (Crossstream-Garantien) gestellt wurden. Ebenfalls erfasst sind Garantien von Muttergesellschaften (Downstream-Garantien), was sich aus der Bezugnahme auf § 15 AktG und aus dem Bericht des Rechtsausschusses ergibt.172)

123

Weitere Voraussetzung für den Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten ist nach § 15 Abs. 4 schließlich, dass die Konzerngesellschaft, die die entsprechende Sicherheit bestellt hat, der Gestaltung auch zustimmt (was sie aufgrund des im Konzerninteresse liegenden Sanierungszwecks in aller Regel machen wird) und dem Plan die entsprechende Zustimmung beigefügt wird.173)

124

5.

Rechtsfolge

a) Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten Der Restrukturierungsplan kann die Rechte der Inhaber von Restrukturierungsforderungen an gruppeninternen Drittsicherheiten gestalten. Denkbar sind daher alle Maßnahmen, die die Sicherheit verändern. Hierzu zählen u. a. die folgenden Gestaltungen: –

Vollständige oder teilweise Freigabe der Sicherheit,



Tausch gegen eine andere Sicherheit,



Verwertungsbeschränkungen,



abweichende Regelungen zur Verwertungsart (einschließlich der Verwertungsbefugnis) und zum Verwertungszeitpunkt,



abweichende Regelungen zur Verteilung der Verwertungserlöse (einschließlich der Reihenfolge),



Stundung der besicherten Forderung,



vollständiger oder teilweiser Erlass der Forderung (da in der Folge bei akzessorischen Sicherheiten die Sicherheit i. H. des Erlasses entfällt bzw. nichtakzessorische Sicherheiten in dieser Höhe zurückgewährt werden müssen).

_____________ 172) Bericht des Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 7. 173) Vgl. auch Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2623.

Tresselt

141

125

§2 126

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

Sieht der Restrukturierungsplan Eingriffe in die Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten vor, sind nach § 6 Abs. 3 in den darstellenden Teil auch die Verhältnisse des die Sicherheit gewährenden verbundenen Unternehmens und die Auswirkungen des Plans auf dieses Unternehmen einzubeziehen. Zudem ist dann nach § 7 Abs. 2 im gestaltenden Teil zu bestimmen, um welchen Bruchteil diese gekürzt, für welchen Zeitraum sie gestundet, wie sie gesichert und welchen sonstigen Regelungen sie unterworfen werden sollen. Aufgrund ihrer Gestaltungswirkung für gruppeninterne Drittsicherheiten müssen diese Angaben möglichst bestimmt oder jedenfalls hinreichend bestimmbar sein. b) Entschädigung des Sicherungsnehmers

127

Der Eingriff in das Sicherungsrecht ist durch eine angemessene Entschädigung zu kompensieren. Zur Prüfung der Angemessenheit der Entschädigung kann das Gericht nach § 73 Abs. 3 Nr. 2 einen Restrukturierungsbeauftragten bestellen.174) Wie die angemessene Entschädigung zu ermitteln ist, ergibt sich aus dem Wortlaut dagegen nicht. Nicht ganz eindeutig ist auch, ob und inwiefern sich die angemessene Entschädigung von dem Schlechterstellungsverbot unterscheidet.

128

Ein denkbarer Ansatz wäre, dass die Entschädigung nicht hinter dem Vergleichsszenario ohne Restrukturierungsplan zurückbleiben darf und die Befriedigungsaussichten in dem Alternativszenario, das der Vergleichsrechnung zugrunde liegt, die Untergrenze für die angemessene Entschädigung darstellt.175) Auch nach der Gesetzesbegründung sind die betroffenen Gläubiger (mindestens) in dem Umfang zu entschädigen, in dem die Sicherheit in dem Alternativszenario werthaltig ist. Die angemessene Entschädigung dürfte dann in der Praxis regelmäßig dem Schlechterstellungsverbot entsprechen.

129

Dagegen spricht jedoch, dass es systematisch der Verwendung des eigenen Begriffs der angemessenen Entschädigung in § 2 Abs. 4 nicht bedurft hätte, wenn damit nur der Minderheitenschutz gemeint gewesen wäre. In diesem Fall wäre in § 2 Abs. 4 (und § 223a InsO) keine eigenständige Regelung erforderlich gewesen. Dies spricht dafür, dass mit der angemessenen Entschädigung etwas anderes gemeint sein soll als mit dem Schlechterstellungsverbot.

130

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass das Gesetz und die Gesetzesbegründung mehrere verschiedene Wertkonzepte verwenden. Die Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 2 spricht von einem „Vergleich mit der Insolvenz und deren Folgekosten“. Für die Vergleichsrechnung nach § 6 Abs. 2 und somit den Minderheitenschutz soll grundsätzlich auf Fortführungswerte abzustellen sein (was jedoch ebenfalls einschränkend auszulegen ist, siehe dazu bereits oben). § 7 Abs. 4 (i. V. m. § 225a Abs. 5 InsO) sieht für den Abfindungsanspruch eines ausscheidenden Gesellschafters Zerschlagungswerte vor. Schließlich verlangt § 2 Abs. 4 eine angemessene Entschädigung. _____________ 174) Commandeur/Utsch, NZG 2020, 1338, 1339; Desch, BB 2020, 2498, 2502; Thole, ZIP 2020, 1985, 1988 f. 175) Thole, ZIP 2020, 1985, 1988 f.

142

Tresselt

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

Die Bedeutung der angemessenen Entschädigung ist daher im Wege der Auslegung zu ermitteln. Die bestehenden Spielräume bei der Auslegung haben sich nach dem Willen der Restrukturierungsrichtlinie und des deutschen Gesetzgebers zu richten und sollten sanierungsfreundlich genutzt werden. Dies spricht dafür, dass für die Ermittlung einer angemessenen Entschädigung grundsätzlich auf Liquidationswerte zurückgegriffen werden sollte. Falls das nächstbeste Alternativszenario (Vergleichsrechnung) zur Liquidation führen würde, macht dieser Ansatz keinen Unterschied zu den anderen Auffassungen bzw. gegenüber der „normalen“ Vergleichsrechnung. Sollte das Alternativszenario dagegen zu einer Fortführung für den Sicherungsgeber (verbundenes Unternehmen) führen, kann dies zu erheblichen Unterschieden zu den anderen Auffassungen bzw. gegenüber der „normalen“ Vergleichsrechnung führen. Wäre nämlich die Entschädigung bei einem Fortführungsszenario nach Fortführungswerten zu ermitteln, wäre damit keine wirtschaftliche Entlastung für den Schuldner und die Unternehmensgruppe verbunden und die Bestimmung des § 2 Abs. 4 für die Sanierung weitgehend ohne Bedeutung. „Entschädigung“ meint in diesem Zusammenhang daher im Ergebnis „Abfindung“. „Angemessenheit“ bedeutet Schutz des Liquidationswerts. Gerade wenn der Plan dazu dient, eine neue Finanzierungsstruktur mit einem Investor aufzubauen, ist dieser Ansatz aus Unternehmenssicht sanierungsfreundlich und wahrt gleichzeitig den grundrechtlich geschützten Liquidationswert des Gläubigers.

131

Schließlich steht dieser Ansatz auch nicht im Widerspruch zu anderen Vorschriften, sondern ist umgekehrt eine Analogie zu § 7 Abs. 4 (i. V. m. § 225a Abs. 5 InsO). Für die Bestimmung der Höhe der Entschädigung ist daher „die Vermögenslage maßgeblich, die sich bei der Abwicklung des Schuldners eingestellt hätte“. Dieser Ansatz, der konsequent in allen Szenarien auf Liquidationswerte abstellt, schützt Vermögen und Liquidität des Unternehmens (und lässt auch Ratenzahlungsvereinbarungen über die Entschädigung zu), wahrt den Liquidationswert der Sicherheit und steht im Einklang mit anderen Abfindungsregeln des StaRUG und der Insolvenzordnung.

132

Im Übrigen wird für die Werthaltigkeit häufig zwischen Personalsicherheiten und Realsicherheiten zu unterscheiden sein. Bei Personalsicherheiten entscheidet im Wesentlichen die Bonität des Sicherungsgebers über die Werthaltigkeit. Insbesondere dann, wenn der Sicherungsgeber über keinen eigenen Geschäftsbetrieb verfügt und innerhalb der Gruppe nur die Funktion als Garantiegeber übernommen hat, wird die Verwendung von Liquidationswerten regelmäßig zu erheblichen Wertminderungen führen. Aber auch dann, wenn für den Schuldner im „nächstbesten Alternativszenario“ von einer Fortführung auszugehen wäre, würde dies – sofern man für die Ermittlung der angemessenen Entschädigung entgegen der hier vertretenen Ansicht das nächstbeste Alternativszenario für maßgeblich hält – nicht zwingend auch für die entsprechenden Konzernunternehmen gelten (v. a. wenn diese selbst keinen operativen Geschäftsbetrieb haben). Anders kann dies bei Realsicherheiten sein. Vor allem dann, wenn die Sicherheit nicht zwingend an den Geschäftsbetrieb des Schuldners gebunden ist, sondern der Gläubiger diese ohne wesentlichen Wertverlust auch selbst verwerten könnte, dürfte man bei der Ermittlung der angemessenen Entschädigung nach Liquidationswerten häufig zu ähnlichen Ergebnissen kommen,

133

Tresselt

143

§2

Gestaltbare Rechtsverhältnisse

wie bei einem Abstellen auf einen Verkehrswert. Allerdings dürfte es in der Praxis auch dann häufig nicht ganz einfach sein, den maßgeblichen Liquidationswert hinreichend rechtssicher zu ermitteln. In der Regel wird der Schuldner hierfür ein entsprechendes Bewertungsgutachten einholen müssen. 134

Schließlich kann die Werthaltigkeit der Sicherheit im Einzelfall aber auch durch andere Umstände beeinträchtigt sein, wie z. B. durch sog. Limitation Languages. Bei Konzernfinanzierungen enthalten die Sicherheitenverträge häufig solche Limitation Languages, durch die der Gläubiger die Sicherheit nicht verwerten kann, wenn dadurch das geschützte Eigenkapital des Sicherungsgebers angegriffen und dies zu einem Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsgrundsätze (§ 30 GmbHG, § 57 AktG) führen würde. In diesem Falle hat der Sicherungsgeber eine Einrede gegen die Inanspruchnahme.176) Wenn und soweit eine solche Einrede in dem der Vergleichsrechnung zugrunde liegenden Alternativszenario bestünde, ist sie grundsätzlich auch bei der Ermittlung der angemessenen Entschädigung zu berücksichtigen.177)

135

Ähnliche Grundsätze gelten auch für die Ermittlung der angemessenen Entschädigung bei einem Ausschluss der Haftung des persönlich haftenden Gesellschafters. Auch hier ist die zu erbringende Entschädigung letztlich angemessen, wenn sie der Höhe entspricht, in der der Anspruch der Gläubiger gegen den persönlich haftenden Gesellschafter werthaltig ist.178) Allerdings ist zu berücksichtigen, dass diese Haftung bei einer GmbH & Co. KG mit einer persönlich haftenden Gesellschafterin, die nur über 25.000 € Stammkapital und i. Ü. über kein Vermögen verfügt, grundsätzlich nur in sehr geringem Maße werthaltig ist. Anders kann dies bei natürlichen Personen als persönlich haftenden Gesellschaftern sein. Allerdings dürfte es hier zur Prüfung der Werthaltigkeit einer u. U. nicht ganz leichten Ermittlung der persönlichen Vermögensverhältnisse bedürfen.

136

Schließlich enthält der Wortlaut des § 2 Abs. 4 auch keine Aussage dazu, wer die angemessene Entschädigung zu leisten hat und in welcher Form diese zu leisten ist. Schuldner der Entschädigung dürfte primär das Unternehmen sein, welches Gegenstand des StaRUG-Verfahrens ist. Allerdings kann die Entschädigung ohne Weiteres auch von dem sicherungsgebenden Konzernunternehmen geleistet werden, wenn dieses damit einverstanden ist (und dies in der Zustimmung nach § 15 Abs. 4 erklärt). Die Entschädigung muss keineswegs zwingend in Geld geleistet werden. Vielmehr ist jede Entschädigung denkbar. Im Regelfall dürfte es sich aber um eine Kompensation in Geld handeln. Abhängig vom Umfang der zu leistenden Entschädigungen kann dies die Liquidität des Schuldners aber erheblich belasten.179) Es sollte daher auch die Leistung der Abfindung in Raten erlaubt sein. Insgesamt bleibt aber abzuwarten, ob die Einbeziehung gruppeninterner Drittsicherheiten in der Praxis ein erfolgreiches Element zur Restrukturierung von Konzernen sein kann.

_____________ 176) Vgl. Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2622 f. 177) Begr. RegE SanInsFoG z. § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 113; Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2622 f. 178) Begr. RegE SanInsFoG z. § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 114. 179) Vgl. auch Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2622 f.

144

Tresselt

Bedingte und nicht fällige Restrukturierungsforderungen; gegenseitige Verträge

VII.

§3

Maßgeblicher Zeitpunkt (Abs. 5) Knapp/Wilde

Ob und welche der in § 2 Abs. 1 bis 4 genannten Rechtsverhältnisse in den Restrukturierungsplan einbezogen und entsprechend gestaltet werden können, richtet sich nach dem in Absatz 5 festgelegten maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt. Grundsätzlich ist dies der Zeitpunkt, in dem sich der Restrukturierungsschuldner final dazu entscheidet, eine Planabstimmung durchzuführen, sei es i. R. einer außergerichtlichen Abstimmung – dann Zeitpunkt der Unterbreitung des Planangebots an die Planbetroffenen – oder einer Abstimmung im gerichtlichen Verfahren – dann Zeitpunkt der Antragstellung beim Gericht.180) Im Fall einer (vorherigen) Stabilisierungsanordnung tritt an die Stelle der Planvorlage der Zeitpunkt der Anordnung; erwirkt der Schuldner mehrere Anordnungen oder Folgeanordnungen, kommt es auf den Zeitpunkt der Erstanordnung an, wenngleich diese den maßgeblichen Zeitpunkt nach vorne, nicht aber nach hinten verlagern kann.181)

137

Alle im maßgeblichen Zeitpunkt bestehenden und nach § 2 Abs. 1 bis 4 grundsätzlich gestaltbaren Rechtsverhältnisse können in den Restrukturierungsplan einbezogen werden. Unerheblich ist, ob die jeweiligen Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften (§ 2 Abs. 1) fällig oder überhaupt bereits entstanden sind. Es genügt, dass sie im maßgeblichen Zeitpunkt begründet sind, weil ihre schuldrechtliche Grundlage bereits gelegt ist (klarstellend § 3 Abs. 1). Für die Einbeziehung gruppeninterner Drittsicherheiten kommt es ausweislich § 2 Abs. 4 nicht darauf an, dass die sicherheitengebende Gesellschaft bereits bei Sicherheitenbestellung in den Konzern integriert war, solange sie im maßgeblichen Zeitpunkt als verbundenes Unternehmen i. S. von § 15 AktG einzuordnen ist.

138

_____________ 180) Begr. RegE SanInsFoG z. § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 114. 181) Begr. RegE SanInsFoG z. § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 114.

§3 Bedingte und nicht fällige Restrukturierungsforderungen; Forderungen aus gegenseitigen Verträgen Knapp/Wilde

(1) Restrukturierungsforderungen sind auch dann gestaltbar, wenn sie bedingt oder noch nicht fällig sind. (2) Restrukturierungsforderungen aus gegenseitigen Verträgen sind nur insoweit gestaltbar, als die dem anderen Teil obliegende Leistung bereits erbracht ist. Literatur: Bitter, Nicht fällige, bedingte und betragsmäßig unbestimmte Forderungen in der Insolvenz – Systematische Grundlagen der insolvenzmäßigen Berücksichtigung unverfallbarer Versorgungsanwartschaften, NZI 2000, 399; Briese, Forderungsverzicht gegen Besserungsschein sowie qualifizierter Rangrücktritt in der Handels- und Steuerbilanz, DStR 2017, 799; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Marotzke, Die restrukturierungsrechtliche Plangestaltbarkeit nicht fälliger und nicht auf Geld gerichteter Forderungen, ZInsO 2021, 643; Marotzke, Gegenseitige Verträge im künftigen Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen für Unternehmen, ZInsO 2021, 21; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetzes, ZIP 2020, 1985.

Knapp/Wilde

145

§3

Bedingte und nicht fällige Restrukturierungsforderungen; gegenseitige Verträge Übersicht

I. II. III. 1.

I.

Normzweck ........................................... Normhistorie ........................................ Tatbestand ............................................. Bedingte und nicht fällige Restrukturierungsforderungen ..........................

1 4 5 2. 5

a) Nicht fällige Forderungen ............. 6 b) Bedingte Forderungen ................... 8 c) Befristete Forderungen ................ 10 Forderungen aus gegenseitigen Verträgen ............................................. 11

Normzweck

1

Die Gestaltbarkeit bedingter und nicht fälliger Forderungen dient dem Zweck der nachhaltigen Sanierung des Planschuldners (vgl. § 29 Abs. 1). Denn auch nicht fällige und bedingte Forderungen können die Vermögens- und Finanzlage des Planschuldners belasten, bspw. wenn für aufschiebend bedingte Forderungen Rückstellungen gebildet werden müssen.1) Überdies wird die Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit oft nur unter Einbeziehung bedingter und insbesondere noch nicht fälliger Forderungen möglich sein, weil auch diese (teilweise) i. R. der Überprüfung der drohenden Zahlungsunfähigkeit (vgl. § 18 Abs. 2 InsO) zu berücksichtigen sind.

2

§ 3 Abs. 1 bezweckt anders als §§ 41, 42, 191 InsO naturgemäß nicht die Sicherstellung der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger bzw. deren ordnungsgemäße Beteiligung am Verfahren. Gläubigern bedingter und nicht fälliger Forderungen sollen in gewissem Umfang vielmehr selbst Restrukturierungsbeiträge abverlangt werden können, um insgesamt eine angemessene Beteiligung – unter jedenfalls partieller Beachtung der insolvenzrechtlichen Verteilungsreihenfolge – der Gläubiger i. R. der Restrukturierung des Planschuldners zu gewährleisten. Anders als im Insolvenzrecht kommt aufschiebend bedingten Forderungen (vgl. § 191 InsO) daher im Restrukturierungsverfahren auch keine Sonderrolle zu. Denn es geht im Zusammenhang mit der Gestaltbarkeit (aufschiebend) bedingter Forderungen nicht um eine angemessene (Nachtrags-)Verteilung des Schuldnervermögens und daher nicht um eine sachgerechte Bewertung von Forderungen mit ungewisser Leistungspflicht.2) Die Frage der sachgerechten Bewertung bedingter Forderungen stellt sich allerdings im Hinblick auf die Gewichtung der Stimmrechte (vgl. § 24 Abs. 2 Nr. 1).

3

§ 3 Abs. 2 stellt klar, dass der Restrukturierungsplan grundsätzlich keine Eingriffe in das Gegenseitigkeitsverhältnis von Leistung und Gegenleistung ermöglicht.3) Das vertragliche Synallagma wird durch die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens nämlich grundsätzlich nicht durchbrochen, sondern setzt sich unverändert fort (vgl. auch § 55 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 und 2). § 3 Abs. 2 bestimmt in diesem Sinne, dass Forderungen nicht gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 gestaltbar sind, soweit der Vertragspartner („der andere Teil“) des Planschuldners sich durch Leistungserbringung noch nicht des Schutzes des Synallagmas in Gestalt eines Zurückbehaltungsrechts (§ 320 Abs. 1 BGB) begeben hat. Auch das Insolvenzrecht versagt Gläubigern gegenseitiger Verträge nicht den durch das Synallagma vermittelten funktionalen _____________ 1) 2) 3)

146

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 114. Zur Rechtslage in der Insolvenz Bitter, NZI 2000, 399. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 114.

Knapp/Wilde

Bedingte und nicht fällige Restrukturierungsforderungen; gegenseitige Verträge

§3

Schutz (vgl. §§ 103, 142 InsO).4) Nachdem das im RefE und RegE noch enthaltene Instrument der Vertragsbeendigung gestrichen worden ist, kann i. R. eines Restrukturierungsplans nur unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 in bestimmte Vertragsverhältnisse eingegriffen werden.5) II. Normhistorie § 3 Abs. 1 greift die in ErwG 25 der Restrukturierungsrichtlinie6) erwähnte Einbeziehungsmöglichkeit auf und stellt klar, dass auch bedingte und nicht fällige Forderungen i. R. eines Restrukturierungsplans gestaltet werden können. Die bereits im RefE7) enthaltene Vorschrift hat unverändert Eingang in den RegE gefunden und ist in dieser Form auch in das Gesetz übernommen worden.

4

III. Tatbestand 1.

Bedingte und nicht fällige Restrukturierungsforderungen

Bereits § 2 Abs. 1 Nr. 1 stellt klar, dass im relevanten Zeitpunkt (vgl. § 2 Abs. 5) „begründete“ Forderungen gestaltbare (Restrukturierungs-)Forderungen sind (siehe hierzu § 2 Rz. 11). Der Gesetzgeber nimmt mit dieser Formulierung auf das insolvenzrechtliche Verständnis von „begründet“ i. S. von § 38 InsO Bezug.8) Demgemäß erfasst schon § 2 Abs. 1 Nr. 1 sämtliche Forderungen, bei denen der Rechtsgrund der Entstehung im relevanten Zeitpunkt bereits gelegt ist, der anspruchsbegründende Tatbestand materiell-rechtlich also abgeschlossen ist.9) Denn bereits zu diesem Zeitpunkt besteht die maßgebliche schuldrechtliche Grundlage der betroffenen Forderung.10) Dies trifft auf noch nicht fällige und bedingte Forderungen zu, sofern diese im relevanten Zeitpunkt – nämlich bei Unterbreitung des Planangebots bzw. bei Beantragung des gerichtlichen Abstimmungsverfahrens (vgl. § 2 Abs. 5) – in dieser Form bereits bestanden.11) Daher kommt § 3 Abs. 1 bloß klarstellende Funktion zu.12) Künftige Forderungen, bei denen der anspruchsbegründende Tatbestand

_____________ 4) Dazu Huber in: MünchKomm-InsO, § 103 Rz. 2. 5) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 114. 6) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. 7) Begr. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFo G.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 27.8.2021). 8) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 111; vgl. auch Thole, ZIP 2020, 1985, 1988. 9) Ehricke/Behme in: MünchKomm-InsO, § 38 Rz. 21. 10) Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 38 Rz. 26. 11) Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 38 Rz. 33. 12) Vgl. auch Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 114; Pannen/ Riedemann/Smid-Riedemann, StaRUG, § 3 Rz. 4.

Knapp/Wilde

147

5

§3

Bedingte und nicht fällige Restrukturierungsforderungen; gegenseitige Verträge

anders als bei bedingten oder nicht fälligen Forderungen noch nicht abgeschlossen ist, sind hingegen nicht gestaltbar.13) a) Nicht fällige Forderungen 6

Die Fälligkeit bestimmt den Zeitpunkt, ab dem die Leistung verlangt werden kann.14) Der Schuldner einer nicht fälligen Forderung kann daher in der Regel nicht in Schuldnerverzug geraten.15) Ist eine Zeit für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen, kann der Gläubiger die Leistung sofort verlangen (§ 271 Abs. 1 BGB). Nicht fällige Forderungen werden unabhängig von dem jeweiligen Grund ihrer Entstehung von § 3 Abs. 1 erfasst. Unerheblich ist mithin, ob die noch nicht fällige Forderung etwa durch Rechtsgeschäft entstanden ist oder auf einem gesetzlichen Entstehungstatbestand beruht.16)

7

Bei der Gestaltung noch nicht fälliger Forderungen wird es häufig um gestundete Forderungen gehen. Praxisrelevant sind zudem Forderungen, die Gegenstand von Stillhaltevereinbarungen sind. Wobei eine Stillhaltevereinbarung dem Schuldner allerdings regelmäßig nur eine Einrede gewährt, den Schuldnerverzug aber nicht hindert und somit die Fälligkeit der Leistungspflicht nicht betrifft.17) Eine (insolvenzrechtlich) nicht ernsthaft eingeforderte Forderung ist zwar i. S. von § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht als fällig anzusehen und daher i. R. der dort aufzustellenden Liquiditätsbilanz nicht zu berücksichtigen.18) Für die Zwecke des Restrukturierungsverfahrens ist aber auf den allgemeinen zivilrechtlichen Fälligkeitsbegriff abzustellen, weshalb bloß nicht ernsthaft eingeforderte Forderungen ebenso bereits (eindeutig) von § 2 Abs. 1 Nr. 1 erfasst werden. b) Bedingte Forderungen

8

Ein unter einer Bedingung stehendes Rechtsgeschäft (vgl. § 158 BGB) zeichnet sich dadurch aus, dass die Wirkungen des Rechtsgeschäfts von einem objektiv ungewissen, zukünftigen Ereignis abhängen.19) Die Wirkungen des Rechtsgeschäfts können sowohl aufschiebend (§ 158 Abs. 1 BGB) als auch auflösend (§ 158 Abs. 2 BGB) bedingt sein. Derartige Bedingungen zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass der rechtsgeschäftliche Tatbestand bereits vor Eintritt des ungewissen, zukünftigen Ereignisses vollendet ist und der Eintritt der Wirkungen des Rechtsgeschäfts daher ab diesem Zeitpunkt nicht mehr von dem Willen der Beteiligten abhängt.20) Hängt das Fälligwerden einer Forderung daher von einem solchen Ereignis ab, ist mit anderen Worten unsicher, ob die relevante Forderung überhaupt jemals fällig werden wird, so unterliegt die Forderung einer aufschiebenden Bedingung, ist also _____________ 13) 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20)

148

Thole, ZIP 2020, 1985, 1988; Desch, BB 2020, 2498, 2502. Uhlenbruck-Knof, InsO, § 41 Rz. 3 m. w. N. Lorenz in: BeckOK-BGB, § 271 Rz. 2. Zur InsO: Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, § 41 Rz. 4. Krafka in: BeckOGK-BGB, § 271 Rz. 57. Uhlenbruck-Mock, InsO, § 17 Rz. 123 ff. Westermann in: MünchKomm-BGB, § 158 Rz. 8 m. w. N. Westermann in: MünchKomm-BGB, § 158 Rz. 8.

Knapp/Wilde

Bedingte und nicht fällige Restrukturierungsforderungen; gegenseitige Verträge

§3

nicht bloß noch nicht fällig.21) Steht hingegen nur der Zeitpunkt des Eintritts der Fälligkeit einer Forderung noch nicht fest, handelt es sich um eine noch nicht fällige Forderung.22) Ein Beispielsfall für bedingte Forderungen sind Personalsicherheiten, die vom Schuldner für Drittverbindlichkeiten gewährt wurden. Ob auch Forderungen aus in der Restrukturierungspraxis häufig anzutreffenden Besserungsscheinen zum Gegenstand eines Restrukturierungsplans gemacht werden können, erscheint fraglich. Im Rahmen einer Besserungsabrede wird die betroffene Forderung entweder auflösend bedingt erlassen23) oder die Forderung wird unbedingt erlassen verbunden mit der Vereinbarung, dass die Forderung aufschiebend bedingt auf den Besserungsfall wieder auflebt.24) Während im zweiten Fall eine gestaltbare, aufschiebend bedingte Forderung existiert, ist die Forderung im ersten Fall bereits erloschen und nur der dieses Erlöschen bewirkende Erlassvertrag (§ 397 BGB) ist auflösend bedingt, weshalb die Forderung selbst als nicht gestaltbar angesehen werden könnte. Zu diesem Ergebnis könnte auch vor dem Hintergrund gelangt werden, dass einer Besserungsabrede unterliegende Forderungen, bei denen der Erlassvertrag auflösend bedingt entfällt, sofern z. B. Jahresüberschüsse oder Bilanzgewinne auftreten, in der Handelsbilanz vollständig und ohne Rückstellungen auszubuchen sind.25) Bei wirtschaftlicher Betrachtung lebt die der Besserungsabrede zugrundeliegende Forderung aber auch im Fall des auflösend bedingten Erlasses im Besserungsfall wieder auf, weshalb es gerechtfertigt erscheint, § 3 Abs. 1 auf diesen Fall zu erstrecken. Dafür spricht auch die Überlegung, dass die Planbetroffenen durch ihre Beiträge andernfalls den (wirtschaftlich nachrangigen) Besserungsschein zugunsten des nicht beteiligten Inhabers aufwerteten.

9

c) Befristete Forderungen Befristete Forderungen (§ 163 BGB; Zeitbestimmung) zeichnen sich dadurch aus, dass deren Erfüllung, anders als bei nicht fälligen Forderungen, nicht nur noch nicht verlangt werden kann, sondern das Schuldverhältnis überhaupt erst zu dem durch die Fristsetzung festgelegten Zeitpunkt entsteht.26) Der im Insolvenzrecht geführte Streit zur Einordnung (aufschiebend) befristeter Forderungen als aufschiebend bedingt (§ 191 InsO) oder materiell-rechtlich nicht fällig (§ 41 InsO analog), stellt sich für die Frage der Gestaltbarkeit der Forderungen vor dem Hintergrund der Gleichbehandlung fälliger und (aufschiebend) bedingter Forderungen allerdings nicht.27) Die Einordnung ist aber für die Frage des Stimmrechts relevant (siehe hierzu § 24 Rz. 8).

_____________ 21) 22) 23) 24)

Uhlenbruck-Knof, InsO, § 41 Rz. 6. Uhlenbruck-Knof, InsO, § 41 Rz. 6. Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 8 Rz. 34. Arnold/Spahlinger/Maske-Reiche in: Theiselmann, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, Kap. 1 Rz. 132. 25) Briese, DStR 2017, 799 f. 26) Krüger in: MünchKomm-BGB, § 271 Rz. 13; Lorenz in: BeckOK-BGB, § 271 Rz. 7. 27) Vgl. zum insolvenzrechtlichen Streit Bitter in: MünchKomm-InsO, § 41 Rz. 9 ff.

Knapp/Wilde

149

10

§3 2.

Bedingte und nicht fällige Restrukturierungsforderungen; gegenseitige Verträge

Forderungen aus gegenseitigen Verträgen

11

Hat sich der Vertragspartner des Planschuldners durch (teilweise) Erbringung der ihm obliegenden Leistungspflicht seines Leistungsverweigerungsrechts (vgl. § 320 Abs. 1 BGB) bereits begeben, gibt es keinen Grund, das Gegenseitigkeitsverhältnis durch Nichtgestaltbarkeit der betroffenen Forderung weiterhin zu schützen; bei gegenseitigen Verträgen in Vorleistung tretende Gläubiger kommen daher nicht in den Genuss des durch § 3 Abs. 2 vermittelten Schutzes (vgl. auch § 105 Satz 1 InsO).28) Entscheidend ist ausweislich des Wortlauts des § 3 Abs. 2 allein, ob der andere Teil die ihm obliegende Leistung tatsächlich bereits erbracht hat. Durch die Verwendung des Begriffs „soweit“ wird deutlich, dass die (Gegen)Forderung des anderen Teils im Umfang einer ggf. durch diesen bereits erbrachten Teilleistung gestaltbar ist.29) Zur Frage der Teilbarkeit geschuldeter Leistungen könnte auf die i. R. von § 105 InsO entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden.30)

12

(Gegen-)Forderungen bereits vertraglich zur Vorleistung verpflichteter Gläubiger gegen den Planschuldner können ausweislich des Wortlauts nicht gestaltet werden, soweit die Vertragserfüllung durch die im Einzelfall erforderliche Leistungshandlung noch nicht erbracht worden ist. Dies mag zunächst verwunderlich erscheinen, da dadurch solche Gläubiger, die im Vorfeld der Leistungsbewirkung bereits durch vertragliche Gestaltung auf ein Zurückbehaltungsrecht verzichten (§ 320 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbs. BGB), geschützt werden. Der bereits im Ausgangspunkt auf den Schutz des Synallagmas verzichtende, vertragswidrig nicht leistende Gläubiger wird damit bessergestellt als derjenige, der (ggf. sogar vertragsgemäß) in Vorleistung tritt.31) Es bleibt dem Planschuldner allerdings unbenommen, seine vorleistungspflichtigen Vertragspartner (vor Einleitung des Restrukturierungsverfahrens) auf Vorleistung in Anspruch zu nehmen und so die Gestaltbarkeit der relevanten Forderungen zu gewährleisten. Den vorleistungspflichtigen Vertragspartnern des Planschuldners bliebe dann aber u. U. noch die Unsicherheitseinrede des § 321 Abs. 1 Satz 1 BGB, um die Gestaltbarkeit ihrer Forderung durch Nichtleistung zu verhindern. Auch die Forderungen (bloß) vorleistungspflichtiger Gläubiger entgegen des eindeutigen Wortlauts des § 3 Abs. 2 der Gestaltbarkeit zu unterwerfen, würde daher bedeuten, diesen Gläubigern (auch) den Schutz des § 321 Abs. 1 Satz 1 BGB vorzuenthalten. Dies wäre aber nicht sachgerecht, da auch § 321 BGB eine Ausprägung des Synallagmas ist32) und in dieses ausweislich der Regierungsbegründung nur i. R. von § 2 Abs. 2 eingegriffen werden können soll.33)

_____________ Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 3 Rz. 13 ff. Vgl. auch Thole, ZIP 2020, 1985, 1988. So auch Braun-Esser, StaRUG, § 3 Rz. 9; dazu Uhlenbruck-Knof, InsO, § 105 Rz. 7 ff. Auch aufgrund dieser vermeintlichen „Bestrafung“ der Vertragstreue insgesamt sehr krit. Marotzke, ZInsO 2021, 21, 28 f. 32) Dazu Emmerich in: MünchKomm-BGB, § 321 Rz. 2. 33) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 114. 28) 29) 30) 31)

150

Knapp/Wilde

§4

Ausgenommene Rechtsverhältnisse

§4 Ausgenommene Rechtsverhältnisse Röger

1

Einer Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan sind unzugänglich:

1.

Forderungen von Arbeitnehmern aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, einschließlich der Rechte aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung,

2.

Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen und

3.

Forderungen nach § § 39 Absatz 1 Nummer 3 der Insolvenzordnung.

2

Handelt es sich bei dem Schuldner um eine natürliche Person, gilt dies auch für Forderungen und Absonderungsanwartschaften, die mit dessen unternehmerischer Tätigkeit in keinem Zusammenhang stehen.

Literatur: Giese/Jungbauer, Arbeitsrechtliche Implikationen des vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens nach der Restrukturierungsrichtlinie und dem StaRUG-Regierungsentwurf, BB 2020, 2679; Göpfert/Giese, Der Arbeitnehmer im Gefüge des StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 55; Henssler/Pant, Europäisierter Arbeitnehmerbegriff – Regulierung der typischen und atypischen Beschäftigung in Deutschland und der Union, RdA 2019, 321; Lau/Schwartz, Richtlinie für ein präventives Restrukturierungsverfahren – Analyse und Umsetzungsempfehlungen, NZG 2020, 450; Salamon/Krimm, Arbeitsrechtliche Aspekte und Herausforderungen im außerinsolvenzlichen Sanierungsverfahren, NZA 2021, 235; Wank, Neues zum Arbeitnehmerbegriff des EuGH, EuZW 2018, 21. Übersicht I. 1.

Normzweck ........................................... 1 Arbeitnehmerforderungen (Satz 1 Nr. 1) ......................................... 4 2. Deliktische Forderungen (Satz 1 Nr. 2) ......................................... 7 3. Geldsanktionen (Satz 1 Nr. 3) ............. 8 4. Privatforderungen (Satz 2) ................... 9 II. Normhistorie ...................................... 10 III. Arbeitnehmerforderungen (Satz 1 Nr. 1) ....................................... 13 1. Sachlicher Anwendungsbereich .......... 14 2. Persönlicher Anwendungsbereich ...... 17

I.

IV. Deliktische Forderungen (Satz 1 Nr. 2) ....................................... 20 V. Geldsanktionen (Satz 1 Nr. 3) .......... 22 VI. Privatforderungen (Satz 2) ............... 23 VII. Rechtsfolge ......................................... 24 1. Erhalt der Forderung und Rechte ...... 24 2. Hinweis in Vorprüfung und Versagung der Planbestätigung .......... 28 3. Zulässige Gestaltungsmöglichkeiten, insbesondere personalwirtschaftliche Restrukturierungsmaßnahmen ......................................... 30

Normzweck

§ 4 gehört zu den Vorschriften, die im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (Teil 2) das zentrale Kernelement, den Restrukturierungsplan (Kapitel 1), regeln. Die Norm ergänzt § 2 und § 3, die die durch einen Restrukturierungsplan gestaltbaren Rechtsverhältnisse (Restrukturierungsforderungen Absonderungsanwartschaften) bestimmen, um eine Negativabgrenzung und nimmt ausdrücklich bestimmte Rechtsverhältnisse von der Gestaltbarkeit durch einen Restrukturierungsplan aus. Die in § 4 genannten Rechte von Gläubigern gegenüber dem Schuldner genießen im vorinsolvenzlichen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen damit einen Vorrang gegenüber anderen Gläubigern.

1

§ 4 Satz 1 schirmt besonders schutzwürdige Gläubigergruppen davor ab, dass ein Restrukturierungsplan ihre Forderungen beeinträchtigt. Indem § 4 Satz 1 Forde-

2

Röger

151

§4

Ausgenommene Rechtsverhältnisse

rungen von Arbeitnehmern und deren Rechte aus betrieblicher Altersversorgung (Satz 1 Nr. 1), von Gläubigern aus vorsätzlichen deliktischen Handlungen des Schuldners (Satz 1 Nr. 2) und von Gläubigern von Geldstrafen und Geldbußen (Satz 1 Nr. 3) ausdrücklich von Restrukturierungsforderungen bzw. Absonderungsanwartschaften i. S. von § 2 Abs. 1 abgrenzt, entzieht die Norm diese Forderungsgruppen bereits von Grund auf den Zwangswirkungen eines Restrukturierungsplans. 3

§ 4 Satz 2 bewahrt schließlich Gläubiger aus einer privaten Beziehung mit dem Schuldner vor den Auswirkungen einer Restrukturierung dessen unternehmerischen Bereichs, indem es die der Privatsphäre zuzuordnenden Forderungen vor den Gestaltungswirkungen des Restrukturierungsplans schützt. 1.

Arbeitnehmerforderungen (Satz 1 Nr. 1)

4

Die weitreichende Ausnahme von Arbeitnehmerforderungen in § 4 Satz 1 Nr. 1 ist eine Ausprägung des in der Restrukturierungsrichtlinie angelegten1) und im StaRUG zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Willens, im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen gegenüber dem regulären Arbeitsrecht keine zusätzlichen arbeitsrechtlichen Sanierungswerkzeuge zu bieten, sondern Arbeitsplätze und bestehende Arbeitnehmer- und Arbeitnehmervertreterrechte (Art. 4 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 sowie ErwG 1 und ErwG 60 Restrukturierungsrichtlinie [„Arbeitnehmer sollten während der gesamten Dauer der präventiven Restrukturierungsverfahren den vollen arbeitsrechtlichen Schutz genießen“]) umfassend zu schützen.2) Im Gegensatz zur InsO stellt das StaRUG keine erweiterten Möglichkeiten zur Beendigung von Dienst- und Arbeitsverträgen (§ 113 InsO) und von Betriebsvereinbarungen (§ 120 InsO), zur Reduzierung und Neuordnung bestehender Pensionsverbindlichkeiten (über einen Insolvenzplan gemäß §§ 217 ff. InsO im Zusammenspiel mit § 7 Abs. 4 BetrAVG) und zum erleichterten, beschleunigten und kostenreduzierten Arbeitsplatzabbau (§§ 121 bis 126 InsO) zur Verfügung.3)

5

Dieses gesetzgeberische Ziel wird nicht nur durch § 4 Satz 1 Nr. 1 verwirklicht, sondern im StaRUG durch weitere arbeitnehmer- und arbeitsplatzschützende Normen flankiert: § 92 stellt klar, dass die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen unberührt bleiben (siehe § 92 Rz. 1). § 93 Abs. 1 ermöglicht über den Verweis auf § 21a Abs. 2 Nr. 1a, § 67 Abs. 2 InsO eine Beteiligung von Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsvertretern im Gläubigerbeirat (siehe § 93 Rz. 11 f.). § 49 Abs. 2 ergänzt § 4 Satz 1 Nr. 1, wonach Forderungen der Arbeitnehmer auch von Vollstreckungsund Verwertungssperren ausgenommen sind (siehe § 49 Rz. 49).

6

Weil der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen keine unmittelbaren personalwirtschaftlichen Restrukturierungsmaßnahmen zulässt, büßt er für Schuldner, die ein Insolvenzverfahren vermeiden wollen, aber um operative Sanierungsmaßnahmen, _____________ 1) 2) 3)

152

Röger in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 13 Rz. 1, 4 ff. Salamon/Krimm, NZA 2021, 235, 237. Giese/Jungbauer, BB 2020, 2679, 2680; ausführlich zu den insolvenzarbeitsrechtlichen Sanierungsvorschriften Hützen in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 5 Rz. 31 ff.

Röger

§4

Ausgenommene Rechtsverhältnisse

insbesondere auch im Personalbereich, nicht umhinkommen, erheblich an Bedeutung und Attraktivität ein. Das gesetzgeberische Motiv zur umfassenden Abschirmung von Arbeitnehmern und ihrer vertraglichen Forderungen und Rechte liegt jedoch darin, den Erfolg des vorinsolvenzlichen Restrukturierungsvorhabens dadurch zu fördern, dass Motivation und Mitwirkung der Arbeitnehmer während der Restrukturierung gewahrt bleiben. Indem Arbeitnehmerforderungen vom Restrukturierungsplan ausgenommen bleiben, soll damit die fortwährende operative Funktionsfähigkeit des schuldnerischen Unternehmens gewährleistet bleiben.4) Da betroffene Arbeitnehmer bei einer vorinsolvenzlichen Restrukturierung keine Kompensation für ihre durch den Restrukturierungsplan beeinträchtigten Forderungen bekommen, da sie in diesem Stadium weder einen Anspruch auf Insolvenzgeld (§§ 165 ff. SGB III)5) haben, noch ihre Rechte aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung über den Pensionssicherungsverein (§§ 7 ff. BetrAVG)6) geschützt sind, fördert § 4 Satz 1 Nr. 1 die fortwährende Mitwirkungsbereitschaft der Arbeitnehmer während der Restrukturierung, indem die Arbeitnehmer ihre Forderungen vor dem Restrukturierungsplan abgeschirmt wissen.7) 2.

Deliktische Forderungen (Satz 1 Nr. 2)

Die Ausnahme von Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen verfolgt den Zweck, die steuernde Wirkung einer Haftung für vorsätzliches Handeln zu erhalten. Wenn dem Schuldner vorsätzliches Handeln vorzuwerfen ist, soll er nicht durch eine Sanierung über einen Restrukturierungsplan entlastet werden können. Das ist derselbe Gedanke, mit dem § 302 Nr. 1 InsO diese Forderungen von der Restschuldbefreiung ausnimmt, während unter einem Insolvenzplan Forderungen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung nach § 227 Abs. 1 InsO erlassen sein können.8) 3.

Geldsanktionen (Satz 1 Nr. 3)

In dem § 4 Satz 1 Nr. 3 über § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO bestimmte Forderungen auf Zahlung von Geldstrafen oder Geldbußen von der Gestaltungswirkung des Restrukturierungsplans ausnimmt, bewahrt die Norm die steuernde Wirkung und den pönalen Charakter dieser Zahlungspflichten. Die genannten Forderungen sollen _____________ 4)

5)

6) 7) 8)

7

Nach Braun-Esser, StaRUG, § 4 Rz. 2, 12, beschränkt sich der Sanierungs- und Restrukturierungsrahmen wegen des Ausschlusses der personalwirtschaftlichen Wirkungen im Ergebnis auf ein auf die Finanzierung des Schuldners zugeschnittenes kollektives Sanierungswerkzeug. Zu den Voraussetzungen zum Bezug von Insolvenzgeld s. Röger in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 4 Rz. 56 ff.; ein Anspruch auf Insolvenzgeld kann zwar gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III auch ohne Stellung eines Insolvenzantrags bestehen (insoweit verkürzt Salamon/Krimm, NZA 2021, 235, 237), aber kommt bei dem auf die Fortführung des Unternehmens gerichteten vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren nicht in Betracht. Zum Insolvenzschutz von Rechten aus betrieblicher Altersversorgung vgl. Hinrichs in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 675 ff. Schon § 12 Abs. 3 KredReorgG verfolgte denselben Zweck, s. Boos/Fischer/Schulte-MattlerFridgen, KredReorgG, § 12 Rz. 13. Breuer in MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 9; nach Pannen/Riedemann/Smid-Riedemann, StaRUG, § 4 Rz. 30 soll der Restrukturierungsrahmen durch die Ausnahme der deliktischen Forderungen für selbständige Einzelunternehmen erheblich an Attraktivität einbüßen.

Röger

153

8

§4

Ausgenommene Rechtsverhältnisse

den Schuldner persönlich belasten und nicht durch die Beiträge der anderen Gläubiger ausgeglichen werden. Mit dieser Erwägung sind auch im Insolvenzverfahren diese Forderungen von den Sanierungswirkungen eines Insolvenzplans (§ 225 Abs. 3 InsO) bzw. von der Restschuldbefreiung (§ 302 Nr. 2 InsO) ausgenommen.9) 4. 9

Privatforderungen (Satz 2)

Der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen hat die Restrukturierung von Unternehmen im Blick und gilt nicht für die Entschuldung rein privat tätiger natürlicher Personen. Diese in Art. 1 Abs. 2 lit. h Restrukturierungsrichtlinie vorgegebene klare Trennung der Unternehmens- von der Privatsphäre nimmt § 4 Satz 2 nicht nur klarstellend auf, sondern verwirklicht sie konsequent und zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen auch für die Fälle, in denen der Schuldner zwar eine natürliche Person, aber zugleich unternehmerisch tätig ist. Denn wenn gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. h Restrukturierungsrichtlinie nur rein privat tätige natürliche Personen vom Restrukturierungsrahmen ausgenommen sind, würde schon eine gewisse unternehmerische Tätigkeit einer natürlichen Person die Eintrittskarte für eine Gestaltung (auch) ihrer Privatverbindlichkeiten über einen Restrukturierungsplan in die Hand geben. In diesem Fall käme es zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung gegenüber rein privat tätigen Schuldnern, denen der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen von vornherein verschlossen ist. II. Normhistorie

10

Die im RefE10) und RegE11) noch in § 6 verortete Norm fand erst aufgrund der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 15.12.202012) seinen endgültigen Platz in § 4.

11

Die Norm setzt Vorgaben aus Art. 1 der Restrukturierungsrichtlinie13) um. Indem Forderungen von Arbeitnehmern in § 4 Satz 1 Nr. 1 für einen Restrukturierungsplan weitgehend gesperrt werden, hat der Gesetzgeber die von Art. 1 Abs. 5 lit. a der Restrukturierungsrichtlinie eröffnete Möglichkeit gewählt, Arbeitnehmerforderungen vom präventiven Restrukturierungsrahmen auszunehmen. § 4 Satz 1 Nr. 1 a. E. (betriebliche Altersversorgung) setzt Art. 1 Abs. 6 Restrukturierungsrichtlinie um und stellt sicher, dass präventive Restrukturierungsrahmen keine Auswirkungen _____________ 9) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 225 Rz. 12, m. Hinw. zur teleologischen Reduzierung bei Sanktionen gegen juristische Personen; Breuer in MünchKomm-InsO, § 225 Rz. 18; Uhlenbruck-Sternal, InsO, § 302 Rz. 45 ff. 10) RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 2.8.2021). 11) RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. 12) Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. 13) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

154

Röger

§4

Ausgenommene Rechtsverhältnisse

auf erworbene Rechte aus einer betrieblichen Altersversorgung haben dürfen.14) § 4 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 setzen auf der durch Art. 1 Abs. 5 lit. c der Restrukturierungsrichtlinie eröffneten Möglichkeit auf und entziehen bestimmte Forderungen aus einer deliktischen Haftung des Schuldners den Sanierungswirkungen des Restrukturierungsplan. § 4 Satz 2 nimmt schließlich den Ausschluss gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. h der Restrukturierungsrichtlinie auf. Die Vorschrift hat im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens nur eine geringfügige Änderung erfahren. Während bereits im RefE15) die später Gesetz gewordene Fassung enthalten war, sah der RegE16) in § 4 Satz 1 Nr. 1 a. E. zur speziellen Ausnahme der betrieblichen Altersversorgung den Begriff „Forderungen“ statt „Rechte“ vor. Auf die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 15.12.202017) hin fand schließlich wieder der Begriff „Rechte“ Eingang ins Gesetz, um klarzustellen, dass nicht nur Forderungen im engeren Sinne, sondern auch Rechte wie Anwartschaften aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung ausgenommen sein sollen.18)

12

III. Arbeitnehmerforderungen (Satz 1 Nr. 1) Einer Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan unzugänglich sind gemäß § 4 Satz 1 Nr. 1 Forderungen von Arbeitnehmern aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, einschließlich der Rechte aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung. 1.

13

Sachlicher Anwendungsbereich

Ausgehend vom weiten Schutzzweck des § 4 Satz 1 Nr. 1 und seinem Wortlaut, der Rechte aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung als Forderung im weiteren Sinne („einschließlich“) umfasst, ist der Begriff „Forderung von Arbeitnehmern“ ebenfalls weit zu verstehen.19) Unmaßgeblich ist, ob die Forderung aus einer individualrechtlichen oder einer kollektivrechtlichen Quelle stammt.20) Der Forderungsbegriff schließt neben Forderungen im engeren Sinn (Ansprüche aus dem arbeitsvertraglichen Schuldverhältnis gemäß §§ 241, 611a BGB), insbesondere Forderungen auf Entgelt, Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld), Überlassung eines Dienstwagens, Erstattungen von Aufwendungen, Urlaubsansprüche und Schadensersatzansprüche, auch Forderungen von Arbeitnehmern ein, die aus Kollektivvereinbarungen wie Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen/Regelungsabreden, Interessenausgleichsvereinbarungen oder Sozialplänen resultieren (wie bspw. Forderungen _____________ 14) § 4 Satz 1 ähnelt dem vormaligen § 12 Abs. 3 KredReorgG zu Reorganisationsverfahren bei Kreditinstituten. 15) RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021). 16) RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. 17) Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. 18) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 16.12.2020, BT-Drucks. 19/25353, S. 7. 19) Giese/Jungbauer, BB 2020, 2679, 2681; Braun-Esser, StaRUG, § 4 Rz. 6. 20) Salamon/Krimm, NZA 2021, 235, 237.

Röger

155

14

§4

Ausgenommene Rechtsverhältnisse

auf Zahlung von Abfindungen, Zuschüssen und tarifliche Urlaubsansprüche). Andere aus gesetzlichen Vorschriften oder Kollektivvereinbarungen den Arbeitnehmern zustehende Rechte, wie etwa das Recht zu Arbeitskämpfen, tarifliche Kündigungsschutzrechte, verlängerte Kündigungsfristen oder betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte, sind schon keine Rechtsverhältnisse i. S. der §§ 2 bis 4.21) Zu den gemäß § 4 von den Gestaltungswirkungen eines Restrukturierungsplans ausgeschlossenen Forderungen von Arbeitnehmern gehören auch Ansprüche von Arbeitnehmern auf Gewinnansprüche oder Dividenden, die sie aus einer durch ihre Arbeitnehmerstellung vermittelten Mitgliedschaft am Schuldner erworben haben.22) Stehen den in einem Anstellungsverhältnis mit dem Schuldner stehenden Arbeitnehmern gleichzeitig Anteils- und Mitgliedschaftsrechte am Schuldner zu, bleiben diese Stammrechte einer Gestaltung nach § 2 Abs. 3 zugänglich. 15

Vor der Gestaltungswirkung des Restrukturierungsplans geschützt sind sowohl bestehende Forderungen, wie auch künftige Forderungen aus und im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis. Damit sind nicht nur solche Forderungen von Arbeitnehmern dem Restrukturierungsplan entzogen, deren Entstehensgrund bereits gelegt ist,23) sondern § 4 Satz 1 Nr. 1 versagt dem Restrukturierungsplan auch die Wirkung, die Begründung von Forderungen von Arbeitnehmern für die Zukunft zu unterbinden (etwa Entgelterhöhungen auszuschließen).

16

Mit Rechten aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG) sind ebenso Ansprüche ehemaliger Arbeitnehmer und heutiger Betriebsrentner auf laufende Versorgungsleistungen, wie auch (unverfallbare und verfallbare) Versorgungsanwartschaften aktiver oder ausgeschiedener Arbeitnehmer erfasst (siehe unten Rz. 19 zum zulässigen Einschluss von Hinterbliebenen). Der umfassende Wortlaut erfasst, über den zwingenden Ausschluss von Art. 1 Abs. 6 Restrukturierungsrichtlinie hinausgehend, nicht nur zum Zeitpunkt der Gestaltung durch den Restrukturierungsplan bereits erworbene Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung, sondern auch künftige, noch zu erdienende Ansprüche auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. § 4 Satz 1 Nr. 1 schließt demnach auch eine für die Zukunft wirkende Gestaltung einer beim Schuldner bestehenden betrieblichen Altersversorgungsordnung durch einen Restrukturierungsplan aus (zu verbleibenden Gestaltungsmöglichkeiten siehe unten Rz. 30 ff.). 2.

17

Persönlicher Anwendungsbereich

Vom Anwendungsbereich des § 4 Satz 1. Nr. 1 erfasst sind zunächst die Forderungen der derzeitigen Arbeitnehmer, die aktuell in einem Arbeitsverhältnis mit dem Schuldner (§ 2 Abs. 1 Nr. 1) stehen. Daneben findet § 4 Satz 1 Nr. 1 auch auf ehemalige Arbeitnehmern Anwendung, die nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis mit dem Schuldner stehen, aber noch nachwirkende Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis haben, insbesondere als ausgeschiedene Arbeitnehmer Ansprüche aus einer Zusage auf betriebliche Altersversorgung erworben haben. _____________ 21) Giese/Jungbauer, BB 2020, 2679, 2681. 22) A. A. Braun-Esser, StaRUG, § 4 Rz. 6. 23) Zum Begriff der „Begründung“ einer Forderung vgl. jüngst BAG, Beschl. v. 11.12.2019 – 7 ABR 4/18, Rz. 32, ZIP 2020, 674.

156

Röger

§4

Ausgenommene Rechtsverhältnisse

Welche Personengruppen unter den Arbeitnehmerbegriff fallen, definiert das StaRUG nicht. Da das Gesetz seine Rechtsgrundlage in einer europäischen Richtlinie hat und die Restrukturierungsrichtlinie ebenfalls den Begriff nicht definiert, unterliegt die Bildung und Konturierung des Arbeitnehmerbegriffs in § 4 Satz 1 Nr. 1 der autonomen Beurteilung des EuGH anhand von Sinn und Zweck der Richtlinie.24) Unter Berücksichtigung des in der Restrukturierungsrichtlinie breit angelegten Arbeitnehmerschutzes wie er in ErwG 60, Art. 13 Restrukturierungsrichtlinie und den dort in Bezug genommenen Richtlinien mit ihren unterschiedlichen Arbeitnehmerbegriffen25) zum Ausdruck kommt, wird auch der Arbeitnehmerbegriff von § 4 Satz 1 Nr. 1 weit zu verstehen sein und alle Personen erfassen, die während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhalten.26) Auch die Forderungen von Fremdgeschäftsführern des in einer GmbH verfassten Schuldners oder die Forderungen von für einen Verein gegen eine Vergütung tätigen Mitglieder können demnach nicht durch einen Restrukturierungsplan gestaltet werden.27)

18

Nicht anwendbar ist § 4 Satz 1 Nr. 1 auf Hinterbliebene ehemaliger Arbeitnehmer, deren Versorgungsansprüche (etwa Witwen- oder Waisenrenten) damit durch einen Restrukturierungsplan gestaltet werden können.

19

IV. Deliktische Forderungen (Satz 1 Nr. 2) Während die Restrukturierungsrichtlinie in Art. 1 Abs. 5 lit. c den Mitgliedstaaten weitgehend die Ausnahme von „Forderungen aus einer deliktischen Haftung des Schuldners“ offenstellt, hat der Gesetzgeber von dieser Option nur für Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen Gebrauch gemacht. Dies sind typischerweise in der Krise des Schuldners insolvenznahe Vorsatzdelikte wie § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a Abs. 1 StGB (Vorenthalten von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung), § 283 ff. StGB (Insolvenzstraftaten).28)

20

Durch einen Restrukturierungsplan gestaltbar bleiben Steuerforderungen des Fiskus. Die Steuerforderung ist selbst dann eine alleine an die Erfüllung eines gesetzlichen Steuertatbestands anknüpfende Forderung (§ 38 AO) und keine Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung i. S. von § 4 Satz 1 Nr. 2, wenn der Schuldner in diesem Zusammenhang wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 oder § 374 AO rechtskräftig verurteilt worden ist.29) § 4 Satz 1 Nr. 2 InsO bleibt demnach hinter § 302 Nr. 1 InsO zurück, der die Ausnahmen für die Restschuldbefreiung restriktiver regelt.

21

_____________ S. Henssler/Pant, RdA 2019, 321; Wank, EuZW 2018, 21. S. Preis in: ErfK-ArbR, § 611a Rz. 18 ff. S. EuGH, Urt. v. 17.11.2016 – Rs. C-216/15, Rz. 27, NZA 2017, 41. A. A. Braun-Esser, StaRUG, § 4 Rz. 5, der GmbH-Fremdgeschäftsführer grundsätzlich nicht als Arbeitnehmer i. S. des Gesetzes ansieht. 28) Ausführlich zur Parallelvorschrift des § 302 InsO Uhlenbruck-Sternal, InsO, § 302 Rz. 9 ff. 29) S. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 132, 133; zust. auch BraunEsser, StaRUG, § 4 Rz. 8. 24) 25) 26) 27)

Röger

157

§4

Ausgenommene Rechtsverhältnisse

V. Geldsanktionen (Satz 1 Nr. 3) 22

§ 4 Satz 1 Nr. 3 nimmt über § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO Forderungen von Gläubigern auf Zahlung von Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgeldern und Zwangsgeldern,30) sowie solche Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldzahlung verpflichten (Verfallanordnung bzw. Einziehungsanordnung des Wertersatzes gemäß § 73a StGB bzw. § 74c StGB), aus. VI. Privatforderungen (Satz 2)

23

Ausgehend vom Normzweck (siehe oben unter Rz. 9) ist bei Forderungen von Gläubigern gegen eine sich einem Restrukturierungsplan unterziehende unternehmerisch tätige natürliche Person nach der Forderungssphäre zu differenzieren: Der Ausschluss des § 4 Satz 2 bezieht sich nur auf Forderungen, die dem privaten Handeln des Schuldners zuzuordnen sind; die der unternehmerischen Tätigkeit zuzuordnenden Forderungen des Schuldners sind von § 4 Satz 2 nicht erfasst und einer Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan zugänglich.31) VII. 1.

Rechtsfolge

Erhalt der Forderung und Rechte

24

Die in § 4 geregelten Forderungen und Rechte sind einer Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan unzugänglich; die Gläubiger dieser Forderungen sind keine Planbetroffenen i. S. von § 7 Abs. 1 (vgl. ErwG 43 Restrukturierungsrichtlinie). Nach § 49 Abs. 2 Satz 1 können für die Forderungen und Rechte keine Stabilisierungsanordnungen (Vollstreckungs- und Verwertungssperren) angeordnet werden.

25

Eine unmittelbare, gestaltende Einwirkung auf den Bestand von Arbeitsverhältnissen oder auf Arbeitsplätze ist einem Restrukturierungsplan ebenso wenig möglich wie einem Insolvenzplan.32) Die missverständliche Begründung zu § 74 Abs. 1 des RegE33), „Restrukturierungspläne, die zum Verlust von mehr als 25 % der Arbeitsplätze führen (Art. 10 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie), werden nicht zugelassen“, stellt bloß klar, dass das StaRUG auch mit Hinblick auf Art. 10 Abs. 1 lit. c Restrukturierungsrichtlinie keine unmittelbar Wirkung eines Restrukturierungsplans über dessen gestaltenden Teil auf Arbeitsplätze zulässt und zwar unabhängig von der Zahl der entfallenden Arbeitsplätze.34) Zu zulässigen personalwirtschaft_____________ 30) Details bei Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 39 Rz. 23. 31) Pannen/Riedemann/Smid-Riedemann, StaRUG, § 4 Rz. 33, zweifelt die Richtlinienkonformität von § 4 Satz 2 insoweit an, als der drohend zahlungsunfähigen natürlichen Person über den Ausschluss von § 4 Satz 2 die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung für ihre Forderungen aus privatem Handeln versagt bleibt. 32) Vgl. – auch zum Verbot der Loslösung – § 44 Abs. 1 Nr. 1. Für Insolvenzpläne s. Krings in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 37 Rz. 2, 36; a. A. Eidenmüller in: MünchKommInsO, § 221 Rz. 102. 33) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 165; die Vorschrift findet sich heute in § 67. 34) S. Röger in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 13 Rz. 31 ff. Die Missverständlichkeit der Gesetzesbegründung sprechen auch Salamon/Krimm, NZA 2021, 235, 240, und Giese/Jungbauer, BB 2020, 2679, 2682, an.

158

Röger

§4

Ausgenommene Rechtsverhältnisse

lichen Restrukturierungsmaßnahmen im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen siehe unten Rz. 30 ff. Regelungen im Restrukturierungsplan, die gegen § 4 verstoßen, sind gemäß § 134 BGB nichtig.35) Die über den Restrukturierungsplan gewollte Änderung einer Forderung oder eines Rechts findet nicht statt; die Forderung oder das Recht bleibt entgegen § 67 Abs. 1 unverändert erhalten.

26

§ 4 verbietet jedoch keine individuellen Vereinbarungen zwischen Schuldner und Gläubigern von Forderungen gemäß § 4 Satz 1, mit denen Gläubiger zur Förderung der vorinsolvenzlichen Restrukturierung auf ihre bestehenden Forderungen ganz oder teilweise verzichten können (§§ 311 Abs. 1, 397 BGB).

27

2.

Hinweis in Vorprüfung und Versagung der Planbestätigung

In einer Vorprüfung des Restrukturierungsplans nach § 46 (gerichtliche Planabstimmung) bzw. § 47 (ohne gerichtliche Planabstimmung) ist ein Verstoß gegen § 4 i. R. der Vorprüfung in den Hinweisbeschluss nach § 46 Abs. 2 bzw. § 48 Abs. 2 aufzunehmen.

28

Ein Restrukturierungsplan, der Forderungen i. S. von § 4 zu gestalten sucht, verletzt zudem mit § 4 eine Vorschrift über den Inhalt des Restrukturierungsplans in einem wesentlichen Punkt, so dass seine Bestätigung gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2 von Amts wegen zu versagen ist, soweit der Schuldner den Mangel nicht innerhalb der vom Restrukturierungsgericht gesetzten Frist behebt (siehe § 63 Rz. 33, 44).36)

29

3.

Zulässige Gestaltungsmöglichkeiten, insbesondere personalwirtschaftliche Restrukturierungsmaßnahmen

Eine mittelbare Gestaltung der in § 4 geregelten Forderungen, die also nicht durch die unmittelbar gestaltende Wirkung des Restrukturierungsplans erfolgt, ist durch die Vorschrift nicht ausgeschlossen. Das wird vor allem aus § 6 Abs. 1 deutlich, der von Restrukturierungsmaßnahmen ausgeht, die zwar nicht über den gestaltenden Teil des Plans umgesetzt, aber als begleitende Restrukturierungsmaßnahme in den darstellenden Teil des Restrukturierungsplans aufgenommen werden können. Auch Nr. 7 der Anlage zu § 5 Satz 2 zu notwendigen Angaben im Restrukturierungsplan setzt voraus, dass ein Restrukturierungsplan Teil eines größeren Restrukturierungsvorhabens sein kann, das letztlich mittelbare Auswirkungen auf Arbeitnehmer hat, wie bspw. Entlassungen und Kurzarbeit.

30

Zulässig bleiben im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen demnach mit Blick auf Arbeitnehmer insbesondere arbeitsvertragliche, betriebsverfassungsrechtliche oder tarifvertragliche Vereinbarungen und Restrukturierungsmaßnahmen, die im Ergebnis zu einer Gestaltung von Forderungen und Rechten von Arbeitnehmern führen.37) Dies schließt insbesondere personalwirtschaftliche Restrukturie_____________

31

35) Zur vergleichbaren Vorschrift des § 225 Abs. 3 InsO s. Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225 Rz. 15. 36) Braun-Esser, StaRUG, § 4 Rz. 3. 37) Das bestätigt auch die Begr. zu § 8 RegE (heute § 6), Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116, mit der ausdrücklichen Nennung einer „personalwirtschaftlichen Restrukturierung“. S. a. Salamon/Krimm, NZA 2021, 235, 238.

Röger

159

§4

Ausgenommene Rechtsverhältnisse

rungsmaßnahmen wie Sanierungstarifverträge,38) Betriebsvereinbarungen zur Absenkung bestimmter betrieblicher Leistungen, die Einführung oder Verlängerung von Kurzarbeit, Vereinbarungen über einen Interessenausgleich (insbesondere einen Interessenausgleich mit Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG) und einen Sozialplan (ohne die Begrenzungen des § 123 InsO) zu Betriebsänderungen,39) insbesondere zu einem Personalabbau,40) individuelle Verzichtsvereinbarungen, die einseitige Gestaltung von Arbeitsverhältnissen durch Beendigungs- oder Änderungskündigungen des Schuldners, übertragende Sanierungen41) und den außergerichtlichen Vergleich nach § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG42) ein. Die in vorinsolvenzlichen Sanierungen oftmals notwendige Modifizierung bestehender betrieblicher Altersversorgungsordnungen des Schuldners lässt sich demnach unter Beachtung des Rechtsprechung des BAG („Drei-Stufen-Theorie“)43) auch im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen etwa über ablösende Kollektivvereinbarungen umsetzen. 32

Alle vorgenannten personalwirtschaftlichen Restrukturierungsmaßnahmen kann der Restrukturierungsplan wegen der Sperrwirkung des § 4 zwar nicht direkt bewirken, sie können aber vergleichbar wie bei einem Insolvenzplan44) als nicht unmittelbar gestaltende Maßnahmen in den Restrukturierungsplan eingebettet sein und sind dann in dessen darstellenden Teil gesondert hervorgehoben darzustellen, § 6 Abs. 1 Satz 3. Um eine Verzahnung der Sanierungswirkungen des Restrukturierungsplans mit erforderlichen Personalmaßnahmen zu erreichen und so die Sanierung des Unternehmens zu ermöglichen, kann die Vereinbarung von Personalmaßnahmen mit Arbeitnehmern oder Arbeitnehmervertretungsorganen sowie ihr erfolgreicher Abschluss zur Voraussetzung (Planbedingung gemäß § 62; siehe § 62 Rz. 17) für die Gestaltungswirkung des Restrukturierungsplans erhoben werden.45)

33

Ist Gegenstand der personalwirtschaftlichen Restrukturierungsmaßnahmen eine übertragende Sanierung, findet die durch die Rechtsprechung des BAG bei einer übertragenden Sanierung aus der Insolvenz begründete Haftungsbeschränkung für _____________ 38) Dazu Hoffmann-Remy in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 480 ff. 39) Salamon/Krimm, NZA 2021, 235, 238; bejahend auf Grundlage der Richtlinie auch Lau/ Schwartz, NZG 2020, 450, 452. 40) Auch der Abbau von mehr als 25 % der Arbeitsplätze ist im Zusammenhang mit einem Restrukturierungsplan (mit Erwähnung im darstellenden Teil des Restrukturierungsplans, § 6 Abs. 1 Satz 3) zulässig, so auch Salamon/Krimm, NZA 2021, 235 239 f., und Giese/ Jungbauer, BB 2020, 2679, 2682. 41) Dazu Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 29 ff. 42) S. dazu und zur Eintrittspflicht des PSV dessen Merkblatt 110/M 1, abrufbar unter www.psvag.de (Abrufdatum: 2.8.2021). 43) St. Rspr. seit BAG, Urt. v. 17.4.1985 – 3 AZR 72/83, BAGE 49, 57; BAG, Urt. v. 9.12.2014 – 3 AZR 323/13, BAGE 150, 147; ausführlich Höfer/de Groot/Küpper/ReichHöfer/Küpper, Betriebsrentenrecht (BetrAVG), Bd. I, Kap. 5 Nr. 8.2, Rz. 301 ff. 44) Salamon/Krimm, NZA 2021, 235,238 f.; Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 220 Rz. 9 ff. 45) S. Giese/Jungbauer, BB 2020, 2679, 2684. Auch die Bestätigung eines Insolvenzplans kann u. a. unter die Bedingung gestellt werden, dass bestimmte Personalmaßnahmen verwirklicht sein müssen, s. § 249 Satz 1 InsO und Krings in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 38 Rz. 55 ff.; Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 249 Rz. 1.

160

Röger

§5

Gliederung des Restrukturierungsplans

den neuen Betriebsinhaber46) bei einer übertragenden Sanierung aus einem Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen keine Anwendung.47) _____________ 46) Zuletzt grundlegend BAG, Urt. v. 26.1.2021 – 3 AZR 139/17, ZRI 2021, 423; EuGH, Urt. v. 9.9.2020 – Rs. C-674/18, ZIP 2020, 1930. 47) So auch Giese/Jungbauer, BB 2020, 2679, 2680. ErwG 62 Restrukturierungsrichtlinie erwähnt die Möglichkeit von Art. 5 Abs. 2 Betriebsübergangsrichtlinie, wonach auch bei einer übertragenden Sanierung aus einem präventiven Restrukturierungsrahmen unter bestimmten Voraussetzungen eine Haftungsbeschränkung zulässig wäre (Richtlinie 2001/23/EG des Rates v. 12.3.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen [Betriebsübergangsrichtlinie], ABl. (EG) L 82/16 v. 22.3.2001).

Abschnitt 2 Anforderungen an den Restrukturierungsplan §5 Gliederung des Restrukturierungsplans Knapp/Wilde

1

Der Restrukturierungsplan besteht aus einem darstellenden und einem gestaltenden Teil. 2Er enthält mindestens die nach der Anlage zu diesem Gesetz erforderlichen Angaben. 3Dem Restrukturierungsplan sind die nach den §§ 14 und 15 erforderlichen Anlagen beizufügen. Literatur: Cranshaw/Portisch, Paradigmen des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) nach dem Regierungsentwurf aus Gläubigersicht (Teil 2), ZInsO 2020, 2617; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66, Hofmann, Der Restrukturierungsplan im künftigen deutschen Restrukturierungsverfahren – Restrukturierungs- vs. Insolvenzplan? – Zur Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019, NZI Beilage Heft 16 – 17/2019, S. 22; Ringelspacher/Ruch, Der Restrukturierungsplan – Das Herzstück des StaRUG-Entwurfs im Überblick, ZRI 2020, 636; Schluck-Amend/Hefner, Das StaRUG und seine Auswirkungen auf die Geschäftsleiterhaftung, ZRI 2020, 570; Spahlinger, Neues Zeitalter für die Restrukturierung und Insolvenz von Unternehmen, DB 2020, M 4. Übersicht I. II. III. 1. 2.

Normzweck ........................................... 1 Normhistorie ........................................ 3 Tatbestand ............................................. 5 Zwingende Gliederung (Satz 1) ........... 5 Mindestangaben (Satz 2) ...................... 7 a) Identität des Schuldners (Nr. 1 der Anlage zu § 5 Satz 2) ............... 8 b) Die wirtschaftliche Lage des Schuldners (Nr. 2 der Anlage zu § 5 Satz 2) ................................ 10

aa) Vermögenswerte und Verbindlichkeiten ...................................... 11 bb) Beschreibung der wirtschaftlichen Situation des Schuldners ... 13 cc) Position der Arbeitnehmer .......... 14 dd) Beschreibung der Ursachen und des Umfangs der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners .............................. 16

Knapp/Wilde

161

§5

Gliederung des Restrukturierungsplans c) Die Planbetroffenen (Nr. 3 der Anlage zu § 5 Satz 2) ............. d) Die Gruppen (Nr. 4 der Anlage zu § 5 Satz 2) ................................ e) Die Nicht-Betroffenen (Nr. 5 der Anlage zu § 5 Satz 2) ............. f) Der Restrukturierungsbeauftragte (Nr. 6 der Anlage zu § 5 Satz 2) .....................................

I.

17 20 23 25

g) Auswirkungen auf Arbeitnehmer und Kommunikation mit Arbeitnehmervertretern (Nr. 7 der Anlage zu § 5 Satz 2) ............. 27 h) Neue Finanzierung (Nr. 8 der Anlage zu § 5 Satz 2) ............. 29 3. Zwingende Anlagen (Satz 3) .............. 31 4. Mustergliederung ................................ 32 IV. Rechtsfolge ......................................... 33

Normzweck

1

Der Restrukturierungsplan bildet das Kernstück des StaRUG.1) § 5 soll sicherstellen, dass die in Art. 8 Abs. 1 der Restrukturierungsrichtlinie2) vorgegebenen umfangreichen Mindestinhalte offengelegt werden, und dadurch zugleich eine gewisse Standardisierung des Restrukturierungsplans ermöglichen (Mindeststandard). Die zwingende Aufteilung in einen darstellenden und einen gestaltenden Teil folgt den zwei wesentlichen Funktionen des Restrukturierungsplans: Während den Planbetroffenen und dem Gericht im darstellenden Teil eine zuverlässige und aussagekräftige Informationsgrundlage für die Entscheidung über die Planzustimmung bzw. -bestätigung zur Verfügung gestellt werden soll,3) sollen im gestaltenden Teil die Rechtswirkungen festgelegt werden.4) Mit anderen Worten sind im darstellenden Teil zunächst umfassende Angaben über die Grundlagen, den Gegenstand, die Regelungen sowie die Auswirkungen des Restrukturierungsplans zu machen,5) bevor im eigenständigen und in sich geschlossenen gestaltenden Abschnitt sämtliche Planregelungen bestimmt werden.6) Informationsfunktion und Bindungswirkung des Restrukturierungsplans werden damit zum Zwecke der Übersichtlichkeit separiert.

2

Die Unterscheidung zwischen darstellendem und gestaltendem Teil dient der Transparenz, Verständlichkeit und Rechtsklarheit der planerischen Rechtswirkungen als zentralem Mittel zur Erreichung des Restrukturierungsziels.7) Ohne eine derartige formale Trennung wäre schließlich stets zu interpretieren, ob einzelnen Passagen lediglich eine erläuternde Funktion zukommen soll oder vielmehr eine Regelungswirkung bezweckt ist.8) Hinsichtlich des Mindestinhalts des Plans wird i. Ü. auf die detaillierten, in der Anlage zum StaRUG enthaltenen Angaben sowie _____________ 1) 2)

3) 4) 5) 6) 7) 8)

162

Knapp in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 8 Rz. 1; Schluck-Amend/Hefner, ZRI 2020, 570, 573; Spahlinger, DB 2020, M 4, M 5; Gehrlein, BB 2021, 66, 67. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 5 Rz. 6; vgl. zum Insolvenzplan Eilenberger in: MünchKomm-InsO, § 219 Rz. 6; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 219 Rz. 1. Zum Insolvenzplan Thies in: HambKomm-InsO, § 219 Rz. 2. S. zum Insolvenzplan Eilenberger in: MünchKomm-InsO, § 220 Rz. 1. Vgl. zum Insolvenzplan Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 219 Rz. 2. Desch, BB 2020, 2498; Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 5 Rz. 5. Vgl. zum Insolvenzplan Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 219 Rz. 2.

Knapp/Wilde

§5

Gliederung des Restrukturierungsplans

die nach §§ 14, 15 erforderlichen Anlagen verwiesen. Dadurch soll zusätzlich zur Entlastung und besseren Lesbarkeit des Gesetzestextes beigetragen werden.9) Der zwingende Charakter der Norm und des in Bezug genommenen Inhalts wird durch die angewandte Verweistechnik nicht in Frage gestellt. II. Normhistorie Mit den Vorschriften zur Gliederung und zum Mindestinhalt des Restrukturierungsplans in den §§ 5 ff. wird Art. 8 der Restrukturierungsrichtlinie umgesetzt, der sich mit dem Inhalt von Restrukturierungsplänen befasst.10) Bereits die Richtlinienvorgaben lehnen sich an die Regelungen zum deutschen Insolvenzplan an, was nicht zuletzt darin begründet liegt, dass diese ihrerseits insbesondere von deutscher Seite in die Verhandlungen eingebracht wurden.11) Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich der deutsche Gesetzgeber i. R. des § 5 am bestehenden Regelungsrahmen der InsO orientiert hat.12)

3

Für die nationale Umsetzung legt die Norm, die weitgehend der Regelung des § 219 InsO entspricht,13) Gliederung, Aufbau und Mindestinhalt des Restrukturierungsplans fest. Die systematische Anlehnung an den Insolvenzplan darf gleichwohl nicht über die unterschiedliche Zielsetzung der Instrumente hinwegtäuschen. Denn während ein Insolvenzplan in erster Linie die bestmögliche Gläubigerbefriedigung und lediglich zweitrangig den Erhalt des Unternehmens bezweckt,14) dient der Restrukturierungsplan gerade der Verhinderung der materiellen Insolvenz und damit der Vermeidung eines Insolvenzverfahrens.15) Dieser Unterschied macht sich etwa dadurch bemerkbar, dass dem Restrukturierungsplan eine begründete Erklärung zur Sicherstellung bzw. Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit des Schuldners beizufügen ist (§ 14 Abs. 1).16)

4

III. Tatbestand 1.

Zwingende Gliederung (Satz 1)

Nach § 5 Satz 1 ist der Restrukturierungsplan zwingend in einen darstellenden und einen gestaltenden Teil zu unterteilen.17) Beide Teile müssen als solche erkennbar und voneinander unterscheidbar sein, weshalb sich eine entsprechende _____________ 9) Begr. RegE SanInsFoG z. § 7 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 115. 10) Zu Art. 8 Restrukturierungsrichtlinie Knapp in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 8. 11) Thole, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 2. 12) Zur Anlehnung an die InsO vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 7 StaRUG, BT-Drucks. 19/ 24181, S. 115. 13) Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2621. 14) Jaffé in: FK-InsO, § 217 Rz. 5. 15) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 44 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 145; Hofmann, NZI Beilage Heft 16 – 17/2019, S. 22, 23. 16) Vgl. auch bereits zur Restrukturierungsrichtlinie Hofmann, NZI Beilage Heft 16 – 17/2019, S. 22, 23. 17) Vgl. zum Insolvenzplan Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 219 Rz. 2; K. SchmidtSpliedt, InsO, § 219 Rz. 1.

Knapp/Wilde

163

5

§5

Gliederung des Restrukturierungsplans

Bezeichnung gebietet.18) Der gestaltende folgt auf den darstellenden Teil. Der Restrukturierungsplan ist um die in der Anlage zum StaRUG genannten Angaben sowie die Anlagen in §§ 14, 15 zu ergänzen. Weiterer Teile und Ergänzungen bedarf es daneben grundsätzlich nicht.19) 6

In der Praxis dürfte indes regelmäßig ein Sanierungskonzept nach Maßgabe oder zumindest in Anlehnung an den IDW S 620) die Basis für den Restrukturierungsplan darstellen.21) Als Nachweis der Bestandsfähigkeit (§ 14 Abs. 1) ist das Konzept dann ebenfalls dem Plan beizulegen. 2.

7

Mindestangaben (Satz 2)

§ 5 Satz 2 verweist hinsichtlich der erforderlichen Mindestangaben im Restrukturierungsplan auf die detaillierten Vorgaben im Anhang zum StaRUG.22) Im Einzelnen aufzunehmen sind folgende zwingenden Angaben: a) Identität des Schuldners (Nr. 1 der Anlage zu § 5 Satz 2)

8

Nach Nr. 1 der Anlage zu § 5 Satz 2 hat der Plan Angaben über die Firma oder Namen und Vornamen, Geburtsdatum, Registergericht und Registernummer, unter der der Schuldner in das Handelsregister eingetragen ist, Geschäftszweig oder Beschäftigung, gewerbliche Niederlassungen oder Wohnung des Schuldners und bei mehreren Niederlassungen die Hauptniederlassung zu enthalten.

9

Die Angaben dienen der eindeutigen und unmissverständlichen Identifizierung des Rechtsträgers. Ein Bedürfnis hierfür erklärt sich vor dem Hintergrund, dass die Rechtsverhältnisse, in die durch den Restrukturierungsplan eingegriffen wird, gerade an den Rechtsträger anknüpfen.23) Bei eingetragenen Schuldnern wird dies regelmäßig durch eine Bezugnahme auf die Firma und die Handelsregisternummer der jeweiligen Gesellschaft erfolgen. Sofern es sich bei dem Schuldner hingegen um eine nicht eintragungsfähige Gesellschaft handelt, hat die Individualisierung durch Nennung von Namen und Sitz zu erfolgen.24) b) Die wirtschaftliche Lage des Schuldners (Nr. 2 der Anlage zu § 5 Satz 2)

10

Gemäß Nr. 2 der Anlage zu § 5 Satz 2 hat der Plan Angaben über die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Schuldners zum Zeitpunkt der Vorlage des Restrukturierungsplans, einschließlich einer Bewertung der Vermögenswerte, eine Beschreibung der wirtschaftlichen Situation des Schuldners und der Position der Arbeitnehmer sowie eine Beschreibung der Ursachen und des Umfangs der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners zu enthalten. Sofern ein Sanierungsgutachten nach oder angelehnt an den Standard IDW S 6 erstellt wird, werden diese _____________ 18) Vgl. für den Insolvenzplan Haas, in: HK-InsO, § 219 Rz. 2; Kübler/Prütting/BorkSpahlinger, InsO, § 219 Rz. 4. 19) Vgl. zum Insolvenzplan Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 219 Rz. 4. 20) IDW, Anforderungen an Sanierungskonzepte (IDW S 6) i. d. F. v. 16.5.2018, IDW Life 8/2018, S. 813. 21) So auch Ringelspacher/Ruch, ZRI 2020, 636, 637. 22) Anlage (zu § 5 Satz 2) „Notwendige Angaben im Restrukturierungsplan“ s. oben S. 47 f. 23) Vgl. Knapp in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 8 Rz. 6. 24) Vgl. Knapp in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 8 Rz. 6.

164

Knapp/Wilde

§5

Gliederung des Restrukturierungsplans

Informationen weitgehend in einem solchen Gutachten enthalten sein, das dem Restrukturierungsplan als Anlage beigefügt werden kann. Den Informationsanforderungen ist in diesem Fall hinreichend Genüge getan. aa) Vermögenswerte und Verbindlichkeiten Die Darstellung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten soll es den Planbetroffenen und dem Restrukturierungsgericht ermöglichen, sich einen Überblick über die aktuelle Vermögenslage des Schuldners zu verschaffen. Um einen möglichst umfassenden Überblick über die wirtschaftliche und finanzielle Situation zu gewährleisten, sind Beschränkungen i. R. der Darstellung zu vermeiden. Der Restrukturierungsplan sollte vielmehr alle begründeten schuldnerischen (Eventual-)Verbindlichkeiten unabhängig von ihrer Fälligkeit enthalten.25) Darüber hinaus sollten die Gesellschafter- und Kapitalstruktur des schuldnerischen Unternehmens ebenso wie sämtliche Beteiligungen dargestellt werden.

11

Die Darstellung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten ist regelmäßig Ausgangspunkt für die Aufstellung der Vergleichsrechnung und damit erforderlich, um den Planbetroffenen eine erste grobe und indikative Einschätzung über den Restrukturierungsbedarf und die eigenen Befriedigungsaussichten zu ermöglichen.

12

bb) Beschreibung der wirtschaftlichen Situation des Schuldners Zur Beschreibung der wirtschaftlichen Situation zählt neben der Darstellung der Vermögenslage insbesondere die Ertrags- und Liquiditätslage des Schuldners. Neben den je nach Einzelfall relevanten Angaben sollten im Restrukturierungsplan stets sowohl die aktuelle Gewinn- und Verlustrechnung als auch die kurz- und mittelfristige Liquiditätsplanung des Schuldners sowie ein Liquiditätsplan für die i. R. der Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit relevanten nächsten 24 Monate enthalten sein.26) Darüber hinaus sind sämtliche weiteren Angaben zu machen, die für die wirtschaftliche Situation des Schuldners von Bedeutung sind. Dazu zählt bspw. die Fähigkeit des Schuldners, seinen vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen (insbesondere die Einhaltung von Finanzkennzahlen in den maßgeblichen Kreditverträgen). Dies gilt jedenfalls, soweit eine Nichteinhaltung vertraglicher Verpflichtungen Kündigungsrechte begründen und sich damit nachteilig auf die Stabilität des Schuldners auswirken könnte.

13

cc) Position der Arbeitnehmer Angaben zur Position der Arbeitnehmer im Restrukturierungsplan sind in Art. 8 Abs. 1 Satz 1 lit. b Restrukturierungsrichtlinie zwingend vorgesehen, und zwar unabhängig davon, ob der Plan einen Eingriff in Arbeitnehmerrechte vorsieht oder nicht. Im deutschen Restrukturierungsverfahren wird es sich indes vor allem um eine klarstellende Angabe handeln, da Arbeitnehmerforderungen und -rechte im StaRUG ohnehin der Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan entzogen sind (vgl. § 4 Satz 1 Nr. 1). _____________ 25) Knapp in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 8 Rz. 9. 26) Vgl. Knapp in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 8 Rz. 15.

Knapp/Wilde

165

14

§5 15

Gliederung des Restrukturierungsplans

Auch wenn unmittelbare Gestaltungen der Arbeitnehmerrechte ausgeschlossen sind und Arbeitnehmer daher keine Planbetroffenen sein können, dienen die aufzunehmenden Angaben jedoch zumindest den anderen Planbetroffenen dazu, die mittelbaren Auswirkungen einer Zustimmung bzw. Ablehnung des Plans auf die Arbeitnehmer einordnen zu können und dementsprechend ggf. in ihre Entscheidungsfindung einfließen zu lassen. dd) Beschreibung der Ursachen und des Umfangs der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners

16

Schließlich sind auch die Krisenursachen und der Umfang und das Ausmaß der Krise im Plan zu beschreiben. Die Darstellung soll den Planbetroffenen eine angemessene Einschätzung über die Erfolgsaussichten der Plandurchführung ermöglichen.27) c) Die Planbetroffenen (Nr. 3 der Anlage zu § 5 Satz 2)

17

Darüber hinaus hat der Plan nach Nr. 3 der Anlage zu § 5 Satz 2 Angaben über die Planbetroffenen, die entweder namentlich zu benennen oder unter hinreichend konkreter Bezeichnung der Forderungen oder Rechte zu beschreiben sind, zu enthalten.

18

Der Begriff der Planbetroffenen ist in § 7 Abs. 1 legaldefiniert. Aufgrund der Rechtsbezogenheit von Eingriffen des Restrukturierungsplans sind auch die betroffenen Forderungen oder Rechte zu benennen.28) Um eine zutreffende Identifizierung derselben sicherzustellen, sind die Planbetroffenen so konkret wie möglich zu beschreiben. Bei anonym gehandelten Wertpapieren sind die Betroffenen dem Schuldner in der Regel nicht bekannt, sodass sich eine kategorische Beschreibung nicht nur gebietet, sondern vielmehr unvermeidbar ist.29) Insoweit kann auf die Kriterien zur Gruppenbildung nach § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO verwiesen werden.30)

19

Zu beachten ist, dass sich der Restrukturierungsplan auch auf einzelne Gläubiger(-gruppen) beschränken kann und ihm nicht zwingend eine gruppenübergreifende kollektive Wirkung zukommen muss.31) d) Die Gruppen (Nr. 4 der Anlage zu § 5 Satz 2)

20

Außerdem hat der Plan gemäß Nr. 4 der Anlage zu § 5 Satz 2 Angaben über die Gruppen, in welche die Planbetroffenen für die Zwecke der Annahme des Restrukturierungsplans unterteilt wurden, und die auf deren Forderungen und Rechte entfallenden Stimmrechte zu enthalten.

21

Die Abstimmung über den Restrukturierungsplan erfolgt in Gruppen (vgl. § 25 Abs. 1). Der Restrukturierungsplan hat Angaben zu den individuell gebildeten Gruppen zu enthalten und muss offenlegen, nach welchen Kriterien die Gruppenbildung erfolgt und auf welcher Grundlage die Planbetroffenen bestimmten Gruppen _____________ Knapp in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 8 Rz. 20. S. auch Madaus in: Flöther, Sanierungsrecht, Rz. 173. Vgl. Knapp in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 8 Rz. 22. Vgl. Madaus in: Flöther, Sanierungsrecht, Rz. 171; Knapp in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 8 Rz. 22. 31) Vgl. Knapp in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 8 Rz. 21; Madaus in: Flöther, Sanierungsrecht, Rz. 171.

27) 28) 29) 30)

166

Knapp/Wilde

§5

Gliederung des Restrukturierungsplans

zugeteilt werden. Durch die systematische Anlehnung des Restrukturierungsplans an den Insolvenzplan haben die Anforderungen an die Gruppenbildung der Maßgabe des § 222 Abs. 2 Satz 2, 3 InsO zu entsprechen. Danach sind insbesondere die gruppenspezifischen Abgrenzungskriterien im Plan anzugeben. Darüber hinaus sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die für die Gruppenbildung maßgeblichen Erwägungen zu erläutern.32) Hinsichtlich der Einzelheiten zur Gruppenbildung wird auf die Kommentierung zu § 9 verwiesen. Die Angabe der auf die Forderungen und Rechte entfallenden Stimmrechte ist i. R. der Planabstimmung von Relevanz. Denn gemäß § 25 Abs. 1 ist es zur Annahme des Restrukturierungsplans erforderlich, dass in jeder Gruppe auf die dem Plan zustimmenden Mitglieder mindestens drei Viertel der Stimmrechte in dieser Gruppe entfallen. Das Stimmrecht richtet sich dabei gemäß § 24 nach dem Umfang der Forderung bzw. des Rechts.

22

e) Die Nicht-Betroffenen (Nr. 5 der Anlage zu § 5 Satz 2) Nr. 5 der Anlage zu § 5 Satz 2 bestimmt, dass der Plan Angaben über die Gläubiger, Inhaber von Absonderungsanwartschaften sowie Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten, die nicht in den Restrukturierungsplan einbezogen wurden, zusammen mit einer Erläuterung der Gründe für die unterbliebene Einbeziehung, zu enthalten hat. Dabei genügt eine Beschreibung unter Bezugnahme auf Kategorien gleichartiger Gläubiger, Inhaber von Absonderungsanwartschaften sowie Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten, wenn dadurch die Überprüfung der sachgerechten Abgrenzung nach § 8 nicht erschwert wird.

23

Freilich ergibt sich schon aus Nr. 3 (Nennung bzw. Beschreibung der Planbetroffenen), welche Parteien i. E. vom Restrukturierungsplan betroffen sind und welche umgekehrt eben nicht.33) Die nach Nr. 5 der Anlage zu § 5 Satz 2 zu tätigenden Angaben dienen demnach vor allem dem Interesse der Planbetroffenen, zu erfahren und letztlich nachvollziehen zu können, welche Partei aus welchem Grund gerade nicht am Restrukturierungsplan partizipiert.

24

f)

Der Restrukturierungsbeauftragte (Nr. 6 der Anlage zu § 5 Satz 2)

Sofern ein (fakultativer) Restrukturierungsbeauftragter bestellt ist, sind dessen Name und Anschrift im Plan anzugeben (Nr. 6 der Anlage zu § 5 Satz 2). Dasselbe gilt für einen ggf. zusätzlich bestellten weiteren Restrukturierungsbeauftragten (§ 74 Abs. 3). Es soll sichergestellt werden, dass der Restrukturierungsbeauftragte zum einen zweifelsfrei identifiziert und zum anderen durch die Planbetroffenen ggf. kontaktiert werden kann.

25

Die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten richtet sich im Grundsatz nach § 74 (bzw. § 78 beim fakultativen Restrukturierungsbeauftragten). In den Fällen des § 73 Abs. 1 Satz 1 hat sie grundsätzlich zwingend zu erfolgen, in den Fällen des §§ 73 Abs. 3, 74 Abs. 3 liegt die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten im

26

_____________ 32) BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 10, NZI 2015, 697. 33) Vgl. Madaus in: Flöther, Sanierungsrecht, Rz. 172.

Knapp/Wilde

167

§5

Gliederung des Restrukturierungsplans

Ermessen des Gerichts. Bezüglich der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen siehe § 73 Rz. 19 ff. g) Auswirkungen auf Arbeitnehmer und Kommunikation mit Arbeitnehmervertretern (Nr. 7 der Anlage zu § 5 Satz 2) 27

Nach Nr. 7 der Anlage zu § 5 Satz 2 hat der Plan Angaben über die Auswirkungen des Restrukturierungsvorhabens auf die Beschäftigungsverhältnisse sowie Entlassungen und Kurzarbeiterregelungen und die Modalitäten der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertretung zu enthalten.

28

Die arbeitsrechtlichen Auswirkungen sind aus Transparenzaspekten offenzulegen. Hinsichtlich der gestalterischen Möglichkeiten arbeitsrechtlicher Maßnahmen wird auf die Kommentierung zu § 4 Satz 1 Nr. 1 verwiesen. Die Regelung in Nr. 7 trägt ferner dem Umstand Rechnung, dass Restrukturierungen grundsätzlich auf der Basis eines hinreichenden Dialogs mit den Beteiligten erfolgen sollen.34) h) Neue Finanzierung (Nr. 8 der Anlage zu § 5 Satz 2)

29

Für den Fall, dass der Plan eine neue Finanzierung vorsieht, hat er gemäß Nr. 8 der Anlage zu § 5 Satz 2 die Gründe für die Erforderlichkeit dieser Finanzierung zu enthalten.

30

Die Begründung der Erforderlichkeit dürfte regelmäßig auf das Sanierungskonzept abstellen. Vor dem Hintergrund, dass die Bestätigung des Restrukturierungsplans im Falle einer neuen Finanzierung gemäß § 63 Abs. 2 zu versagen ist, wenn das dem Plan zugrundeliegende Restrukturierungskonzept unschlüssig ist, sollte die Begründung möglichst detailliert gefasst werden. Zu beachten ist ferner, dass als neue Finanzierung gemäß § 12 Satz 2 auch deren Besicherung gilt. Es erscheint dabei sachgerecht, das Begründungserfordernis auch auf eine Besicherung zu erstrecken. 3.

31

Zwingende Anlagen (Satz 3)

§ 5 Satz 3 erweitert den zwingenden Mindestinhalt des Restrukturierungsplans um die in den §§ 14 und 15 benannten Anlagen. Besondere Bedeutung kommt insofern der begründeten Erklärung über die Sanierungseignung des Schuldners, d. h. der Erklärung über die Aussichten, die drohende Zahlungsunfähigkeit durch den Plan zu beseitigen und die Bestandsfähigkeit des Schuldners sicher- oder wiederherzustellen (integrierte Planungsrechnung, § 14 Abs. 1), zu. Diesen Anforderungen dürfte durch die Beifügung eines Sanierungsgutachtens nach oder in Anlehnung an den Standard IDW S 6 Genüge getan sein. Im Übrigen ist dem Plan eine Vermögensübersicht beizufügen, § 14 Abs. 2. § 15 führt im Einzelfall erforderliche, weiter beizufügende Erklärungen auf.

_____________ 34) Vgl. ErwG 10 der Restrukturierungsrichtlinie.

168

Knapp/Wilde

§5

Gliederung des Restrukturierungsplans

4.

Mustergliederung

Die Gliederung eines Restrukturierungsplans könnte wie folgt aussehen:35)

32

A. Vorbemerkungen B. Darstellender Teil 1.

Rechtliche Verhältnisse des Schuldners a) Identität des Schuldners (vgl. Nr. 1 der Anlage zu § 5 Satz 2) b) Eingliederung in den Konzern c) Geschäftsführungs- und Vertretungsverhältnisse d) Einlage, Haftkapital und Haftungsverhältnisse

2.

Die wirtschaftliche Lage des Schuldners (vgl. Nr. 2 der Anlage zu § 5 Satz 2) a) Wirtschaftliche Situation des Schuldners b) Ursachen und Umfang der wirtschaftlichen Schwierigkeiten (1) Feststellung des Krisenstadiums (2) Analyse der Krisenursache(n) c) Position der Arbeitnehmer d) Vermögen und Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt der Planvorlage (1) Vermögen des Schuldners; einschließlich Bewertung der Vermögenswerte (2) Verbindlichkeiten des Schuldners (Finanzverbindlichkeiten und sonstige Verbindlichkeiten)

3.

Maßnahmen zur Bewältigung der Krise a) Leistungswirtschaftliche Maßnahmen (außerhalb des Plans) b) Finanzwirtschaftliche Maßnahmen (nach Maßgabe des Plans)

4.

Die Planbetroffenen (vgl. Nr. 3 der Anlage zu § 5 Satz 2) a) Planbetroffene Gläubiger b) Planbetroffene Gesellschafter

5.

Darstellung der Gruppen (einschließlich der Stimmrechte) und Kriterien für die Gruppeneinteilung (vgl. Nr. 4 der Anlage zu § 5 Satz 2)

6.

Nicht einbezogene Gläubiger/Gesellschafter (vgl. Nr. 5 der Anlage zu § 5 Satz 2)

7.

Der Restrukturierungsbeauftragte, sofern bestellt (vgl. Nr. 6 der Anlage zu § 5 Satz 2)

8.

Kommunikation mit Arbeitnehmervertretern und Auswirkungen für Arbeitnehmer (vgl. Nr. 7 der Anlage zu § 5 Satz 2)

_____________ 35) S. auch die Mustergliederung bei Hofmann, NZI Beilage Heft 16 – 17/2019, S. 22, 23; Braun-Böhm, StaRUG, § 5 Rz. 5; für Mustergliederungen eines Insolvenzplans s. etwa Rendels/Zabel in: Kübler, HRI, § 52; Breuer, Insolvenzrechts-Formularbuch, D. 1., Rz. 1 – 35; Frege/Keller/Riedel, InsR, Kap. 1 Rz. 1946; ferner ErwG 10 der Restrukturierungsrichtlinie.

Knapp/Wilde

169

§5 9.

Gliederung des Restrukturierungsplans

Ggf. Eingriffe in Drittsicherheiten (§ 2 Abs. 4) a) Wirtschaftliche Lage des verbundenen Unternehmens b) Planauswirkungen auf das verbundene Unternehmen

10. Ggf. neue Finanzierung (vgl. Nr. 8 der Anlage zu § 5 Satz 2) 11. Vergleichsrechnung 12. Ggf. Benennung des Abstimmungstermins C. Gestaltender Teil (§ 7) 1.

Allgemeine Regelungen und Definitionen

2.

Gruppenbildung

3.

Restrukturierungsmaßnahmen (einschließlich Laufzeit) a) Maßnahmen hinsichtlich bestehender Vermögenswerte b) Maßnahmen betreffend die planbetroffenen Gläubigergruppen c) Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen (§ 7 Abs. 1, § 2 Abs. 3) d) Eingriffe in Drittsicherheiten (§ 7 Abs. 2 Satz 2, § 2 Abs. 4)

4.

Darstellung der Finanzströme (§ 14 Abs. 2 Satz 2)

5.

Besondere schuldnerische Haftung (§ 11)

6.

Neue Finanzierung (§ 12)

7.

Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse (§ 13)

D. Plananlagen 1.

Erklärung zur Bestandsfähigkeit (§ 14 Abs. 1)

2.

Vermögensübersicht (§ 14 Abs. 2)

3.

Fortführungserklärung der persönlich haftenden Gesellschafter (§ 15 Abs. 1)

4.

Zustimmungserklärung (§ 15 Abs. 2)

5.

Erklärung von verpflichteten Dritten (§ 15 Abs. 3)

6.

Zustimmung des verbundenen Unternehmens i. S. von § 2 Abs. 4

E. Bestätigung des Restrukturierungsbeauftragten IV. Rechtsfolge 33

Die Vorschriften über den Aufbau, die Gliederung und den Mindestinhalt eines Restrukturierungsplans sind zwingend. Die Einhaltung der Vorschrift wird i. R. des gerichtlichen Bestätigungsverfahrens gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2 von Amts wegen geprüft. Indessen führt nicht jeder Verstoß zwangsläufig zu einer Versagung der Bestätigung. Letztere kommt nur dann in Betracht, wenn es sich um einen Mangel im Hinblick auf eine wesentliche Bestimmung handelt und der Schuldner den Mangel nicht beheben kann oder innerhalb einer angemessenen Frist nicht behebt.

170

Knapp/Wilde

§6

Darstellender Teil

§6 Darstellender Teil Knapp/Wilde

(1) 1Der darstellende Teil beschreibt die Grundlagen und die Auswirkungen des Restrukturierungsplans. 2Der darstellende Teil enthält alle Angaben, die für die Entscheidung der von dem Plan Betroffenen über die Zustimmung zum Plan und für dessen gerichtliche Bestätigung erheblich sind, einschließlich der Krisenursachen und der zur Krisenbewältigung vorzunehmenden Maßnahmen. 3Soweit Restrukturierungsmaßnahmen vorgesehen sind, die nicht über den gestaltenden Teil des Plans umgesetzt werden können oder sollen, sind sie im darstellenden Teil gesondert hervorzuheben. (2) 1Der darstellende Teil enthält insbesondere eine Vergleichsrechnung, in der die Auswirkungen des Restrukturierungsplans auf die Befriedigungsaussichten der Planbetroffenen dargestellt werden. 2Sieht der Plan eine Fortführung des Unternehmens vor, ist für die Ermittlung der Befriedigungsaussichten ohne Plan zu unterstellen, dass das Unternehmen fortgeführt wird. 3Dies gilt nicht, wenn ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist. (3) Sieht der Restrukturierungsplan Eingriffe in die Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 2 Absatz 4) vor, sind in die Darstellung auch die Verhältnisse des die Sicherheit gewährenden verbundenen Unternehmens und die Auswirkungen des Plans auf dieses Unternehmen einzubeziehen. Literatur: Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Fröhlich/Eckhart, Bewertung insolventer Unternehmen (in Eigenverwaltungsverfahren), ZInsO 2015, 925; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Girotto/Czernay, Externer Sachverstand und betriebswirtschaftliche Expertise im Kontext des StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 66; Haas, Mehr Gesellschaftsrecht im Insolvenzplanverfahren – Die Einbeziehung der Anteilsrechte in das Insolvenzverfahren, NZG 2012, 961; Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt, H./ Thole, Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/ News/Artikel/101018_Gesamtbericht_Evaluierung_ESUG.pdf;jsessionid=04B8E7AD 62976431818359D1040319E8.2_cid289?__blob=publicationFile&v=2; Reus/Höfer/Harig, Voraussetzungen und Ablauf eines Eigenverwaltungsverfahrens, NZI 2019, 57; Ringelspacher/ Ruch, Der Restrukturierungsplan – Das Herzstück des StaRUG-Entwurfs im Überblick, ZRI 2020, 636; Spahlinger, Gruppen, Stimmrechte und erforderliche Mehrheiten, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32; Spliedt, Debt-Equity-Swap und weitere Strukturänderungen nach dem ESUG, GmbHR 2012, 462; Thole, Der Entwurf eines Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Westpfahl/Dittmar, Die Behandlung gruppeninterner Sicherheiten im StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 46. Übersicht I. II. III. 1. 2.

Normzweck ........................................... 1 Normhistorie ........................................ 4 Tatbestand ............................................. 5 Grundlagen und Auswirkungen des Restrukturierungsplans (Abs. 1) .................................................. 5 Vergleichsrechnung (Abs. 2) .............. 11

a) Allgemeines .................................. 11 b) Vergleichsrechnung auf der Grundlage von Fortführungswerten (Abs. 2 Satz 2) ................. 13 aa) Relevantes Alternativszenario ..... 15 bb) Bestimmung des Fortführungswerts ............................... 19

Knapp/Wilde

171

§6

Darstellender Teil c) Vergleichsrechnung auf Grundlage von Liquidationswerten (Abs. 2 Satz 3) .............................. 21 d) Ermittlung der Befriedigungserwartung der Planbetroffenen ... 22

I.

e) Maßgeblicher Zeitpunkt .............. 24 Darstellung bei Eingriff in Drittsicherheiten ................................. 25 IV. Rechtsfolge ......................................... 28 3.

Normzweck

1

Im darstellenden Teil des Restrukturierungsplans sind das Restrukturierungskonzept, die ihm zugrunde liegenden Erwägungen und seine beabsichtigten (Rechts-)Folgen zu beschreiben und zu erläutern.1) Ziel ist es, den Beteiligten, vor allem den Planbetroffenen und dem Restrukturierungsgericht, eine hinreichende Informationsgrundlage für eine sachgerechte Entscheidung über die Planannahme bzw. Planbestätigung zur Verfügung zu stellen.2) § 6 Abs. 1 gibt insoweit den Mindestinhalt des darstellenden Teils vor.3) Aufzunehmen sind demnach die für die Zustimmung und Bestätigung erforderlichen Angaben, einschließlich der Ausführungen zu den Krisenursachen und den Maßnahmen zur Bewältigung der Krise. Etwaige Maßnahmen außerhalb des gestaltenden Teils, bspw. im Bereich der personalwirtschaftlichen Restrukturierung, sind gleichermaßen in den darstellenden Teil aufzunehmen und gesondert hervorzuheben.

2

Besondere Bedeutung kommt der in § 6 Abs. 2 vorgesehenen Vergleichsrechnung zu,4) i. R. derer der Schuldner die Auswirkungen der Planregelungen auf die Befriedigungsaussichten der Planbetroffenen darstellen und begründen soll.5) Relevant wird sie vor allem bei einer gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung (§ 26 Abs. 1 Nr. 1) sowie allgemein im Minderheitenschutz (§ 64), und zwar jeweils bei der Frage, ob (einzelne) Planbetroffene durch den Plan schlechtergestellt werden, als sie ohne ihn stünden.6) Die Vergleichsrechnung soll in diesem Zusammenhang sicherstellen, dass sich die Planbetroffenen und das Gericht ein zutreffendes Bild über eine mögliche Schlechterstellung durch den Restrukturierungsplan machen können.7)

3

Sofern der Plan Eingriffe in gruppeninterne Drittsicherheiten vorsieht, erstreckt § 6 Abs. 3 den Mindestinhalt des darstellenden Teils auf Angaben über die Verhältnisse der gruppeninternen Sicherungsgeber. Dadurch soll dem Gericht und den Planbetroffenen die Möglichkeit verschafft werden, die Werthaltigkeit der Drittsicherheit und die Auswirkungen des Plans auf die Stellung des Sicherungsnehmers zu beurteilen.8) _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

172

Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116. Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116; Gehrlein, BB 2021, 66, 69; Braun-Böhm, StaRUG, § 6 Rz. 1. Vgl. für den Insolvenzplan K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 220 Rz. 1. S. auch Braun-Böhm, StaRUG, § 6 Rz. 10. Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116. Eingehend dazu Flöther-Knapp, StaRUG, § 26 Rz. 8 ff. Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116. Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116; ferner Desch, BB 2020, 2498, 2502.

Knapp/Wilde

§6

Darstellender Teil

II. Normhistorie Die verbindlichen Mindestinhalte sind durch Art. 8 Abs. 1 der Restrukturierungsrichtlinie9) vorgegeben. Im Übrigen orientiert sich § 6 an § 220 Abs. 2 InsO.10) Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in Ausübung seines durch die Richtlinie eingeräumten Gestaltungsspielraums11) die Vorlage einer Vergleichsrechnung zwingend vorgegeben (§ 6 Abs. 2). Dadurch wird sichergestellt, dass der Restrukturierungsplan, wenn es obstruierende Gläubiger gibt, das Kriterium des Gläubigerinteresses erfüllt, anders gewendet die Gläubiger nicht schlechter stellt, als sie ohne ihn stünden (Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. d i. V. m. Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 Restrukturierungsrichtlinie).

4

III. Tatbestand 1.

Grundlagen und Auswirkungen des Restrukturierungsplans (Abs. 1)

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 hat der darstellende Teil die Grundlagen und Auswirkungen des Restrukturierungsplans zu beschreiben. Dementsprechend muss im darstellenden Teil verständlich und umfassend dargelegt werden, welches Ziel mit dem Restrukturierungsplan verfolgt wird, auf welcher Grundlage und auf welche Art und Weise dieses Ziel erreicht werden soll und wie sich der Restrukturierungsplan auf die Rechtsposition der Planbetroffenen auswirkt.

5

Diese Anforderungen werden in § 6 Abs. 1 Satz 2 konkretisiert. Danach muss der darstellende Teil alle Angaben enthalten, die für die Zustimmungsentscheidung der Planbetroffenen und für dessen gerichtliche Bestätigung erheblich sind. Hierzu gehören grundsätzlich all jene Informationen, die die Planbetroffenen bzw. das Gericht, gemessen an ihren eigenen Interessen, vernünftigerweise für ein sachgerechtes Urteil über den Restrukturierungsplan benötigen und erwarten dürfen.12)

6

Ergänzt wird § 6 Abs. 1 Satz 2 durch die Anlage zum StaRUG, in der weitere im Restrukturierungsplan notwendige Angaben aufgeführt werden. Über die reinen Krisenursachen (Nr. 2 der Anlage) hinaus verlangt § 6 Abs. 1 Satz 2 nach einer Ursachenanalyse und Darstellung der zum Zwecke der Krisenbewältigung geplanten Sanierungsmaßnahmen.13) Wurden schon im Vorfeld des Restrukturierungsverfahrens erste Sanierungs- bzw. Restrukturierungsmaßnahmen in die Wege

7

_____________ 9) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. 10) Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116. 11) Vgl. ErwG 49 Restrukturierungsrichtlinie. 12) Vgl. BGH, Beschl. v. 13.10.2011 – IX ZB 37/08, Rz. 9, NZI 2012, 139; BGH, Beschl. v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, Rz. 9, WM 2012, 1640. 13) Vgl. zum Insolvenzplan Eilenberger in: MünchKomm-InsO, § 220 Rz. 7; Nerlich/ Römermann-Rühle, InsO, § 220 Rz. 12.

Knapp/Wilde

173

§6

Darstellender Teil

geleitet, bietet es sich an, das bereits zugrunde gelegte Konzept aufzugreifen und die ermittelten Krisenursachen auf ihre Schlüssigkeit hin zu untersuchen.14) 8

Die erforderliche Informationsdichte und der Umfang der Erläuterungen sind einzelfallabhängig und orientieren sich an den zu ergreifenden Sanierungsmaßnahmen, dem Unternehmensgegenstand des Schuldners, dem Vermögen des Schuldners und der Zusammensetzung der Planbetroffenen.15) Darzustellen sind auch das Leitbild des sanierten Unternehmens sowie ein integrierter Unternehmensplan für die kommenden Jahre. Die jeweiligen Ausführungen im Sanierungskonzept sollten das Ziel verfolgen, die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens bestmöglich beurteilen zu können. Im Fokus stehen müssen mithin die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der Wettbewerbs-, Rendite- und damit letztlich Fortführungsfähigkeit des Unternehmens.16) Eine unmissverständliche Darstellung des Ziels ist dabei für eine transparente Verfolgbarkeit der Planumsetzung und Zielerreichung unverzichtbar.17) Es dürfte sich grundsätzlich anbieten, dass sich der Schuldner bei der Erstellung des Restrukturierungsplans am Aufbau von Sanierungskonzepten gemäß IDW S 6 orientiert.18)

9

Dem Planersteller ist ein gewisser Ermessensspielraum einzuräumen.19) Eine Beschränkung auf diejenigen Informationen, die dem konkreten Plan zum Erfolg verhelfen sollen, ist jedoch unzulässig.20) Vielmehr gilt, dass der darstellende Teil sämtliche für die Entscheidungsfindung benötigten Informationen vollständig und nachvollziehbar enthalten muss, sodass neben den Vorteilen auch etwaige dem Plan immanente Risiken aufzuzeigen sind.21) Da die Zustimmung zu einem Restrukturierungsplan im weitesten Sinne eine Investitionsentscheidung der Betroffenen ist, können im Einzelfall die Anforderungen, die an die Vollständigkeit von Informationen über Kapitalanlagen gestellt werden, ergänzend herangezogen werden.22)

10

Schließlich sind gemäß § 6 Abs. 1 Satz 3 Restrukturierungsmaßnahmen, die nicht über den gestaltenden Teil umgesetzt werden können oder sollen, im darstellenden Teil gesondert hervorzuheben. Die Angabe der entsprechenden Informationen ist zwingend, um den Planbetroffenen ein umfassendes Gesamtbild der beabsichtigten Restrukturierung zu vermitteln und ihnen damit eine sachgerechte Bewertung des Restrukturierungsplans zu ermöglichen.23) Die nicht im gestaltenden Teil umsetzbaren Maßnahmen beziehen sich dabei insbesondere auf personalwirtschaftliche _____________ 14) Für den Insolvenzplan Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 220 Rz. 29. 15) Vgl. zum Insolvenzplan BGH, Beschl. v. 3.12.2009 – IX ZB 30/09, Rz. 3, NZI 2010, 101; BGH, Beschl. v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, Rz. 43, NZI 2010, 734; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 220 Rz. 4. 16) Vgl. zum Insolvenzplan Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 220 Rz. 3. 17) Für den Insolvenzplan Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 220 Rz. 17; UhlenbruckLüer/Streit, InsO, § 220 Rz. 3. 18) Braun-Böhm, StaRUG, § 6 Rz. 5. 19) So zum Insolvenzplan Haas in: HK-InsO, § 220 Rz. 2; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 220 Rz. 5 ff. 20) Vgl. für den Insolvenzplan K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 220 Rz. 4. 21) Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 220 Rz. 7. 22) Vgl. zum Insolvenzplan K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 220 Rz. 4. 23) Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116.

174

Knapp/Wilde

§6

Darstellender Teil

Restrukturierungsmaßnahmen (Arbeitnehmerbeiträge etc.)24) oder sonstige operative Sanierungsmaßnahmen, von denen der Erfolg der Sanierung abhängt, die aber gerade nicht über den Restrukturierungsplan umgesetzt werden können. Gerade in Fällen, in denen die Bestätigung des Restrukturierungsplans von der Umsetzung derartiger operativer bzw. personeller Restrukturierungsmaßnahmen abhängig gemacht wird (vgl. § 62), hat der darstellende Teil eine umfassende Beschreibung dieser Maßnahmen und ihrer Umsetzungsaussichten zu enthalten. 2.

Vergleichsrechnung (Abs. 2)

a) Allgemeines Nachdem sich die Erforderlichkeit einer Vergleichsrechnung im Insolvenzplanverfahren bislang lediglich aus dem systematischen Zusammenspiel der §§ 245 Abs. 1 Nr. 1, 247 Abs. 2 Nr. 1, 251 Abs. 1 Nr. 2 und § 253 Abs. 3 Nr. 3 InsO und dem darin zum Ausdruck kommenden Schlechterstellungsverbot ergeben hat,25) ist sie inzwischen sowohl in § 220 Abs. 2 Satz 2 InsO als auch in § 6 Abs. 2 StaRUG gesetzlich verankert. Auch im Restrukturierungsverfahren sollen die Planbetroffenen durch den Restrukturierungsplan nicht schlechtergestellt werden, als sie ohne diesen stünden (vgl. §§ 26 Abs. 1 Nr. 1, 64 Abs. 1 Satz 1, 66 Abs. 2 Nr. 3). Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 muss der darstellende Teil des Restrukturierungsplans daher eine Vergleichsrechnung enthalten, in der die Auswirkungen der Planregelungen auf die Rechtsposition und Befriedigungsaussichten der Planbetroffenen dargestellt und begründet werden. Die Vergleichsrechnung sichert insoweit das Schlechterstellungsverbot ab26) und rechtfertigt damit zugleich eine (mitunter gruppenübergreifende) Mehrheitsentscheidung über den Restrukturierungsplan.

11

Maßstab der Vergleichsrechnung soll das nächstbeste Alternativszenario sein (§ 6 Abs. 2 Satz 2). Dies soll in aller Regel ein Fortführungsszenario sein,27) wenn ein Verkauf oder eine sonstige Fortführung des Unternehmens nicht ausnahmsweise von vornherein aussichtslos erscheint. Im Grundsatz sind daher Fortführungswerte zu unterstellen, die die Liquidationswerte typischerweise erheblich übersteigen (siehe dazu Rz. 14). Auf letztere kann der Planersteller hingegen nur ausnahmsweise und bei fundierter Begründung zurückgreifen,28) wodurch sein Spielraum für Eingriffe in die Rechtspositionen der Planbetroffenen nicht unerheblich verengt wird.

12

b) Vergleichsrechnung auf der Grundlage von Fortführungswerten (Abs. 2 Satz 2) Der Vergleichsrechnung könnten theoretisch unterschiedliche Vergleichsmaßstäbe zugrunde gelegt werden. Wie sich bereits aus ErwG 49 der Restrukturierungsricht_____________ 24) Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116. 25) Vgl. auch Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116; Girotto/ Czernay, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 66, 68; J. Schmidt in: Kübler, HRI, § 34 Rz. 5. 26) J. Schmidt in: Kübler, HRI, § 34 Rz. 9; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 220 Rz. 20. 27) Begr. RegE SanInsFoG z. § 28 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 128; Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 6 Rz. 29. 28) Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116.

Knapp/Wilde

175

13

§6

Darstellender Teil

linie ergibt, ist sowohl die Gegenüberstellung des Restrukturierungsplans mit einer Liquidation des Unternehmens als auch mit dem nächstbesten Alternativszenario denkbar.29) Was das nächstbeste Alternativszenario ist, lässt sich nicht pauschal beantworten.30) Die Richtlinie lässt dies offen.31) Im StaRUG soll grundsätzlich auf die Fortführung des Unternehmens und damit auf Fortführungswerte abzustellen sein, während Liquidationswerte allenfalls dann in Betracht gezogen werden sollen, wenn ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung, etwa aufgrund rechtlicher Hindernisse, aussichtslos ist (§ 6 Abs. 2 Satz 3). Mögliche Fortführungsszenarien können dabei sowohl außer- als auch innerhalb eines Insolvenzverfahrens liegen und u. a. den (Teil-)Verkauf des Unternehmens oder die Verwertung verpfändeter Geschäftsanteile durch die besicherten Gläubiger umfassen.32) 14

Sofern auf der Grundlage des Restrukturierungsplans die Fortführung des Unternehmens angestrebt wird, ist grundsätzlich auf Fortführungswerte abzustellen (§ 6 Abs. 2 Satz 2). Der Schuldner soll nicht ohne fundierte Begründung eine Liquidation unterstellen und sich damit größere Spielräume für Eingriffe in die Rechte der Planbetroffenen verschaffen können.33) „Alles oder Nichts“-Pläne, die schlichtweg auf die Zerschlagungsquote verweisen bzw. im Umkehrschluss auf die Beträge, um die Forderungen gekürzt werden sollen, dürften daher die absolute Ausnahme darstellen (zur Vergleichsrechnung auf Grundlage von Liquidationswerten siehe Rz. 21).34) Damit verankert der Gesetzgeber die vom BGH zum Insolvenzplanrecht ergangene Rechtsprechung, nach der die pauschale Annahme einer Betriebseinstellung nicht den Anforderungen im darstellenden Teil genügt.35) Entgegen einer zum Insolvenzplan teilweise vertretenen Literaturansicht bedarf es damit zugleich keiner „doppelten Absicherung“, d. h. keiner gleichzeitigen Betrachtung von Liquidationsund Fortführungsszenario (sog. Dualismus).36) aa) Relevantes Alternativszenario

15

Eine der wesentlichen Fragen in der praktischen Umsetzung des StaRUG dürfte die Frage sein, wie das relevante Alternativszenario zu bestimmen ist. Wie bereits beschrieben, ist im Ausgangspunkt auf ein Fortführungsszenario abzustellen. Welches von mehreren Fortführungsszenarien als Vergleichsmaßstab heranzuziehen ist, ist jedoch im Ausgangspunkt gleichermaßen offen. In Betracht kommen sowohl die Fortführung außerhalb eines Insolvenzverfahrens, z. B. durch einen Verkauf des Unternehmens und Refinanzierung durch den Käufer, als auch die Fortführung des Unternehmens in der Insolvenz – bspw. mittels eines Insolvenzplans oder einer _____________ 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36)

176

Vgl. zur Vergleichsrechnung im Insolvenzplan auch: J. Schmidt in: Kübler, HRI, § 34 Rz. 88 f. Thole in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 34. Backes/Blankenburg in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 10 Rz. 37. S. auch Flöther-Knapp, StaRUG, § 26 Rz. 13. Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116. Ringelspacher/Ruch, ZRI 2020, 636, 637; Thole, ZIP 2020, 1985, 1989. BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 30, NZI 2015, 697. Vgl. zu § 151 InsO Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 151 Rz. 10; K. Schmidt-Jungmann, InsO, § 151 Rz. 13.

Knapp/Wilde

§6

Darstellender Teil

übertragenden Sanierung.37) Entscheidend ist das „nächstbeste“ Alternativszenario, mithin dasjenige Szenario, das ohne den Restrukturierungsplan überwiegend wahrscheinlich eintreten würde.38) Damit steht zugleich fest, dass es in aller Regel nur „ein“ nächstbestes Alternativszenario geben kann und somit auch nur eine Vergleichsrechnung eben für dieses Szenario erstellt werden muss.39) Da verschiedenste hypothetische Alternativszenarien in Betracht kommen können, kommt der Bestimmung des für die Vergleichsrechnung maßgeblichen, d. h. des nächstbesten, Alternativszenarios entscheidende Bedeutung zu. Zunächst muss es sich bei dem nächstbesten Alternativszenario um ein realistisch umsetzbares Szenario handeln. Umsetzbar ist ein Alternativszenario dann, wenn davon ausgegangen werden kann, dass die zur Umsetzung des betreffenden Alternativszenarios etwaig notwendigen Zustimmungen anderer Stakeholder (insbesondere Gesellschafter, Gläubiger und Vertragspartner) – ein wirtschaftlich rationales Verhalten der Beteiligten unterstellt – erteilt werden. Dabei ist freilich die Möglichkeit zur Nutzung der Majorisierungsinstrumente des StaRUG und des Insolvenzplanverfahrens in die Betrachtung mit einzubeziehen. Alternativszenarien, die nach Einschätzung des Planerstellers nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit realisierbar sind, sind bei der Auswahl und Bestimmung des nächstbesten Alternativszenarios außer Betracht zu lassen. Weiterhin außer Betracht bleiben müssen solche Alternativpläne, die nicht der Umsetzung eines strukturell anderen Sanierungskonzepts, sondern lediglich der Umsetzung des vom Planersteller vorgeschlagenen Sanierungsszenarios zu abweichenden Konditionen dienen.40)

16

Von den mit überwiegender Wahrscheinlichkeit realisierbaren Alternativszenarien ist sodann im Regelfall dasjenige maßgeblich, das den Planbetroffenen die beste Befriedigungsaussicht bietet bzw. für diese mit dem geringsten Eingriff in ihre Forderungen und Rechte verbunden ist. Für die Bestimmung der Befriedigungsaussichten bildet der Unternehmenswert in einem Fortführungsszenario typischerweise den Ausgangspunkt. Nach Abzug der zu erwartenden Kosten (u. a. die Kosten des Verfahrens einschließlich des Vergütungsanspruchs des Insolvenzverwalters oder Sachwalters) sowie etwaiger mit dem Alternativszenario einhergehender (insolvenzbedingter) Wertverluste lässt sich die Befriedigungserwartung der Planbetroffenen ermitteln.

17

Bei der Bestimmung des nächstbesten (und realisierbaren) Alternativszenarios kommt dem Planersteller ein Beurteilungsspielraum zu. Die Umsetzbarkeit des ausgewählten Szenarios muss vom Planersteller nicht dargelegt werden, weil die auf diesem Szenario basierende Vergleichsrechnung gerade als Vergleichsmaßstab im Interesse der Planbetroffenen wirkt. Umgekehrt muss der Planersteller aber grundsätzlich auch nicht darlegen, welche weiteren Alternativszenarien betrachtet wurden

18

_____________ 37) Vgl. Thole in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 34. 38) S. auch Flöther-Knapp, StaRUG, § 26 Rz. 11; Spahlinger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32, 33. 39) Flöther-Knapp, StaRUG, § 26 Rz. 11; a. A. Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 6 Rz. 59 f. Anders scheinbar auch AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZIP 2021, 806, 807 = ZRI 2021, 377; zu Recht krit. Thole, NZI 2021, 436, 437 (Urteilsanm.). 40) Überzeugend AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, Rz. 32, ZIP 2021, 806 = ZRI 2021, 377; Thole, NZI 2021, 436, 437 (Urteilsanm.).

Knapp/Wilde

177

§6

Darstellender Teil

und aus welchen Gründen diese nach Einschätzung des Planerstellers nicht umsetzbar wären oder mit geringeren Befriedigungsaussichten für die Planbetroffenen einhergingen. Da die Bestimmung des maßgeblichen Alternativszenarios allerdings vom Gericht zumindest auf Plausibilität zu überprüfen ist, kann es sich im Einzelfall anbieten, die Auswahl des maßgeblichen Alternativszenarios zu begründen und ggf. darzulegen, weshalb andere augenscheinliche oder von Planbetroffenen im Verlauf substantiiert angetragene Alternativszenarien nach Einschätzung des Planerstellers nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit realisierbar oder aber wirtschaftlich für die Planbetroffenen nachteilig wären. bb) Bestimmung des Fortführungswerts 19

Der Fortführungswert ist auf Grundlage des relevanten Alternativszenarios im Grundsatz durch anerkannte betriebswirtschaftliche Bewertungsmethoden zu ermitteln (siehe insoweit bereits Rz. 17).41) Sofern der Verkauf des Unternehmens als relevantes Alternativszenario erachtet wird, kann zur Bestimmung des Marktwerts des schuldnerischen Unternehmens auch ein M&A-Prozess durchgeführt werden, bei dem potentielle Investoren mittels einer Marktansprache eingeladen werden, sich an einem Bieterprozess zu beteiligen.42) Eine wie teils in der Literatur43) zum Insolvenzplanverfahren vertretene verpflichtende parallele Investorensuche (sog. Dual-Track) ist jedoch abzulehnen.44) Der M&A-Prozess mag zwar ein effektives Verfahren zur Wertermittlung darstellen, ist jedoch zugleich oftmals kostenträchtig und aufwendig und zudem öffentlichkeitswirksam; eine solche Öffentlichkeit soll i. R. des präventiven Restrukturierungsverfahrens u. U. gerade vermieden werden.

20

Falls ein Planbetroffener die ermittelten Bewertungen für zu gering erachtet, kann er in den Grenzen des Minderheitenschutzes gegen den Restrukturierungsplan eine Schlechterstellung auf Grundlage einer eigenen Bewertung glaubhaft machen (§§ 64 Abs. 1, 66 Abs. 1).45) Dabei können sich im Einzelfall jedoch Schwierigkeiten aus möglicherweise bestehenden Informationsasymmetrien ergeben. c) Vergleichsrechnung auf Grundlage von Liquidationswerten (Abs. 2 Satz 3)

21

Nach § 6 Abs. 2 Satz 3 dürfen Liquidationswerte lediglich dann angesetzt werden, wenn eine anderweitige Fortführung oder ein Verkauf des Unternehmens aussichtslos ist. Für etwaig anzusetzende Fortführungswerte besteht in diesem Fall schlicht kein Raum. Allerdings ist der Rückgriff auf Liquidationswerte ausführlich _____________ 41) Vgl. für weitere Methoden zur Ermittlung des Fortführungswertes im Insolvenzrecht Kübler/Prütting/Bork-Wipperfürth, InsO, § 151 Rz. 25 f. 42) Vgl. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 220 Rz. 16; Reus/Höfer/Harig, NZI 2019, 57, 60. 43) J. Schmidt in: Kübler, HRI, § 34 Rz. 132 f.; Fröhlich/Eckhart, ZInsO 2015, 925 f.; Reus/ Höfer/Harig, NZI 2019, 57, 60. 44) S. auch Flöther-Knapp, StaRUG, § 26 Rz. 19; die Zumutbarkeit der Durchführung eines solchen Prozesses für den Schuldner abl. Braun-Böhm, StaRUG, § 6 Rz. 24. 45) Desch, BB 2020, 2498, 2504; in diesem Sinne auch Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011, S. 190.

178

Knapp/Wilde

§6

Darstellender Teil

im Restrukturierungsplan zu begründen.46) Es ist insbesondere zu erläutern, warum alternative Sanierungsszenarien erfolglos geblieben oder hierauf abzielende Aktivitäten des Planerstellers unterblieben sind.47) In komplexeren Verfahren kann mitunter auf die Expertise professioneller Berater (bspw. von Investmentbanken oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften) zurückzugreifen sein. Der Schuldner soll sich jedenfalls durch das (vorschnelle) Unterstellen einer anderweitig vermeintlich unausweichlichen Zerschlagung des Unternehmens keinen größeren Spielraum zum Eingriff in die Gläubigerrechte verschaffen können.48) Ist berechtigterweise auf Liquidationswerte abzustellen, bedarf es daneben keiner zusätzlichen Angabe hypothetischer Fortführungswerte (siehe zum Dualismus von Liquidations- und Fortführungswerten bereits Rz. 14). Die Liquidationswerte sind entsprechend dem zur insolvenzplanrechtlichen Vergleichsrechnung entwickelten Vorgehen festzustellen.49) d) Ermittlung der Befriedigungserwartung der Planbetroffenen Ist auf Basis des maßgeblichen Alternativszenarios der Fortführungs- bzw. Liquidationswert festgestellt, kann die konkrete Befriedigungserwartung der Planbetroffenen ermittelt werden.50) Außerhalb der Insolvenz sind dabei insbesondere Sicherungsrechte und damit die Zugriffsmöglichkeiten der Planbetroffenen auf etwaige Verkaufserlöse, innerhalb der Insolvenz zusätzlich die insolvenzrechtlichen Rangverhältnisse zu berücksichtigen. Bei Konzernsachverhalten ist zu untersuchen, welche Unternehmensteile voraussichtlich aus einem Insolvenzverfahren herausgehalten werden können. Entscheidend ist, wie sich die Verwertung i. R. eines Fortführungsverkaufs bzw. i. R. einer Liquidation konkret auswirkt, d. h. welche Gläubiger auf welcher Ebene im Konzernverbund über Absonderungsrechte vorrangig befriedigt werden, wie sich Anfechtungsmöglichkeiten auf die Befriedigungsaussichten im Einzelnen auswirken und welche sonstigen Effekte ein Insolvenzverfahren auf die Befriedigung haben kann. An dieser Stelle wird i. R. einer Liquidationsanalyse ein realistisches Liquidationsszenario simuliert werden müssen.51) In der Praxis ist die Ermittlung der Befriedigungsaussichten im Konzernverbund in der Insolvenz mit einer äußerst aufwendigen Prüfung verbunden, da auf der Ebene jeder einzelnen insolventen Gesellschaft die Befriedigungsreihenfolge konkurrierender Forderungen externer Gläubiger und anderer Gruppengesellschaften simuliert werden muss (im angelsächsischen Raum als Entity Priority Model bekannt).52)

22

Nur in Ausnahmefällen wird der Restrukturierungsplan Zahlungen an die Gläubiger unmittelbar zur oder nach Planbestätigung vorsehen. Künftige Zahlungen sind

23

_____________ 46) Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116. 47) Einen weniger strengen Maßstab ansetzend wohl AG Hamburg, Beschl. v. 12.4.2021 – 61a RES 1/21, ZRI 2021, 473. 48) Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116. 49) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 220 Rz. 13 ff.; Flöther-Knapp, StaRUG, § 26 Rz. 19. 50) Zur Ermittlung der Befriedigungserwartung der Planbetroffenen ebenso Flöther-Knapp, StaRUG, § 26 Rz. 21. 51) Ausführlich zur insolvenzrechtlichen Vergleichsrechnung Becker in: Kübler, HRI, § 34 Rz. 90 – 120. 52) Ebenso zur Ermittlung der Befriedigungserwartung der Planbetroffenen auch FlötherKnapp, StaRUG, § 26 Rz. 21.

Knapp/Wilde

179

§6

Darstellender Teil

auf den Zeitpunkt einer hypothetischen Auszahlung im nächstbesten Alternativszenario zu diskontieren.53) Ein möglicherweise fortbestehendes Ausfallrisiko des Schuldners (insbesondere bei Verlängerungen der Kreditlinien oder Stundungen sonstiger Forderungen) ist bei der Bewertung entsprechend zu berücksichtigen.54) e) Maßgeblicher Zeitpunkt 24

Der für die Vergleichsrechnung maßgebliche Zeitpunkt ist im Gesetz selbst nicht festgelegt. Ein möglicher Anknüpfungspunkt könnte sich aus dem in § 2 Abs. 5 normierten Zeitpunkt des Planangebots ergeben. Zu beachten ist jedoch, dass die Vorschrift allein den Zeitpunkt regelt, an den die nach § 2 Abs. 1 – 4 gestaltbaren Rechtsverhältnisse anzuknüpfen sind. Es würde den Wertungen des Gläubigerschutzes zuwiderlaufen, wenn dieser Zeitpunkt für die Vergleichsrechnung maßgeblich wäre. Ein derartiges Vorgehen hätte zur Folge, dass während des Restrukturierungsverfahrens auftretende Entwicklungen, die auf die Vergleichsrechnung Einfluss nehmen, nicht mehr zugunsten der Planbetroffenen durch den Planersteller berücksichtigt werden müssten. Erneut sollte daher auf die Wertungen aus dem Insolvenzplanrecht zurückgegriffen werden, wonach der Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Insolvenzplans für die Vergleichsrechnung maßgeblich ist.55) Es kommt demnach auf das Wirksamwerden des Restrukturierungsplans an. Dadurch kann der Planersteller am flexibelsten auf spätere Entwicklungen reagieren, die zu einer Besserstellung der Planbetroffenen führen würden, und diese im Rahmen der Vergleichsrechnung berücksichtigen. 3.

Darstellung bei Eingriff in Drittsicherheiten

25

Über § 2 Abs. 4 wird die Möglichkeit der Gestaltung von gruppeninternen Drittsicherheiten eröffnet.56) Sofern der Restrukturierungsplan entsprechende Eingriffe vorsieht, sind gemäß § 6 Abs. 3 im darstellenden Teil auch die Verhältnisse des Sicherungsgebers wiederzugeben. Diese Angaben sind zwingend, denn erst die Aufnahme dieser Informationen ermöglicht dem Drittsicherheitennehmer die Beurteilung der Werthaltigkeit der gewährten Sicherheit. Insoweit kommt dem Sicherheitennehmer ein berechtigtes Interesse an der Offenlegung entsprechender Angaben zu, die er für seine Entscheidung über die Planabstimmung benötigt.

26

Die Reichweite der offenzulegenden Angaben ist einzelfallabhängig. Es ist allerdings sicherzustellen, dass der Drittsicherheitennehmer abschätzen kann, welche (un-)mittelbaren Auswirkungen der Planerfolg oder ein Scheitern des Planvorhabens auf die Situation des Drittsicherheitengebers und ggf. den Wert der Drittsicherheit haben kann. Relevant sein kann insofern insbesondere, ob das sicherheitengebende Unternehmen operativ und wirtschaftlich unabhängig von dem planerstellenden Schuldnerunternehmen fortbestehen kann oder ob es wirtschaftlich und operativ so _____________ 53) Ähnlich für § 245 InsO Braun-Frank, InsO, § 245 Rz. 3. 54) Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 245 Rz. 24. 55) Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 220 Rz. 20; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 220 Rz. 14. 56) Für einen Überblick zur Behandlung gruppeninterner Sicherheiten im StaRUG, vgl. Westpfahl/Dittmar, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 46.

180

Knapp/Wilde

§6

Darstellender Teil

eng mit dem Planersteller verflochten ist, dass sein Schicksal untrennbar mit dessen Schicksal verbunden ist. Etwaige, berechtigte Geheimhaltungsinteressen der verbundenen Unternehmen können der Aufnahme bestimmter Angaben entgegenstehen. Bei Interessenkollisionen hat der Planersteller die Belange beider Seiten hinreichend zu würdigen und sorgfältig abzuwägen. Hängt der Erfolg der Restrukturierung von einer möglichst umfassenden Information des Drittsicherheitennehmers ab, kann die Angabe grundsätzlich geheimhaltungsbedürftiger Angaben dabei durchaus auch im Interesse des Sicherungsgebers liegen. Das gilt umso mehr, wenn ein mögliches Scheitern des Plans sich auch für den Sicherungsgeber nachteilig auswirken würde.

27

IV. Rechtsfolge Ein Verstoß gegen § 6 kann gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2 eine Versagung der Planbestätigung zur Folge haben. Danach hat das Restrukturierungsgericht die Bestätigung des Restrukturierungsplans von Amts wegen insbesondere zu versagen, wenn die Vorschriften über den Inhalt des Restrukturierungsplans in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet worden sind und der Schuldner den Mangel nicht beheben kann oder innerhalb einer angemessenen, vom Restrukturierungsgericht gesetzten Frist nicht behebt (siehe hierzu § 63 Rz. 30 ff.).

28

Hinsichtlich der Frage, ob die Auswirkungen und Grundlagen des Restrukturierungsplans verständlich, richtig und umfassend dargestellt sind, ist das Gericht auf eine Schlüssigkeitsprüfung sowie die Berücksichtigung offensichtlicher Mängel beschränkt.57) Es prüft insoweit, ob die Angaben im darstellenden Teil für eine Zustimmungs- bzw. Bestätigungsentscheidung ausreichen.58) Die prognostischen Elemente der Vergleichsrechnung beruhen naturgemäß auf subjektiven Einschätzungen des Planerstellers und unterliegen daher lediglich einer gerichtlichen Plausibilitäts- und Schlüssigkeitskontrolle.59) Eine vertiefte Überprüfung der dargestellten Auswirkungen des Plans auf einzelne Planbetroffene erfolgt allenfalls i. R. eines Minderheitenschutzantrags nach § 64 oder i. R. einer gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung nach § 26 Abs. 1 Nr. 1. Gänzlich verwehrt sein dürfte dem Restrukturierungsgericht schließlich die Prüfung, ob der Restrukturierungsplan aus wirtschaftlicher Sicht zweckmäßig gestaltet ist und ob er voraussichtlich Erfolg haben wird.60)

29

Insgesamt erfolgt eine Versagung der Bestätigung lediglich dann, wenn es sich um einen wesentlichen Mangel handelt und der Schuldner diesen nicht beheben kann bzw. innerhalb einer angemessenen Frist nicht behebt. Um einen wesentlichen Mangel handelt es sich insofern, wenn wesentliche Tatsachen nicht oder nicht vollständig oder richtig angegeben sind und der Mangel geeignet war, die Abstimmung

30

_____________ 57) Begr. RegE SanInsFoG z. § 70 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 162. 58) BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 8 f., NZI 2015, 697. 59) So zum Insolvenzplan AG Hamburg, Beschl. v. 20.5.2014 – 67c IN 232/13, ZIP 2014, 1601; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 231 Rz. 6. 60) Vgl. zum Insolvenzplan BSG, Urt. v. 21.11.2002 – B 11 AL 35/02 R, NZI 2003, 337, 338.

Knapp/Wilde

181

§7

Gestaltender Teil

zu beeinflussen.61) Dass der Mangel tatsächlich Einfluss auf die Planannahme hatte, ist dagegen nicht zwingend erforderlich; vielmehr reicht es aus, dass eine tatsächliche Einflussnahme auf die Annahme ernsthaft in Betracht kommt.62) 31

Wesentliche Mängel sind bspw. die unrichtige Angabe über das Vermögen oder die Ertragslage des Schuldners63) oder fehlende bzw. unrichtige Angaben über bedeutende Werte i. R. der Vergleichsrechnung64) sowie die nicht lediglich unerhebliche Überbewertung von Forderungen, die im Wege des Debt Equity Swaps eingelegt werden sollen.65) _____________ 61) Für den Insolvenzplan BGH, Beschl. v. 3.12.2009 – IX ZB 30/09, NZI 2010, 101; LG Berlin, Beschl. v. 20.10.2004 – 86 T 578/04, NZI 2005, 335, 337; Kübler/Prütting/BorkSpahlinger, InsO, § 220 Rz. 27. 62) Vgl. für den Insolvenzplan BGH, Beschl. v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, Rz. 54, NZI 2018, 691; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 250 Rz. 5; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 250 Rz. 5. 63) Vgl. zum Insolvenzplan BGH, Beschl. v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, Rz. 9, WM 2012, 1640. 64) Vgl. BGH, Beschl. v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, Rz. 45, NZI 2010, 734; Nerlich/ Römermann-Rühle, InsO, § 250 Rz. 10. 65) Vgl. Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 250 Rz. 11; Spliedt, GmbHR 2012, 462, 467; Haas, NZG 2012, 961, 967.

§7 Gestaltender Teil Knapp/Wilde/Tresselt

(1) Der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans legt fest, wie die Rechtsstellung der Inhaber der Restrukturierungsforderungen, der Absonderungsanwartschaften, der Rechte aus gruppeninternen Drittsicherheiten und der Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte (Planbetroffenen) durch den Plan geändert werden soll. (2) 1Soweit Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften gestaltet werden, ist zu bestimmen, um welchen Bruchteil diese gekürzt, für welchen Zeitraum sie gestundet, wie sie gesichert und welchen sonstigen Regelungen sie unterworfen werden sollen. 2Satz 1 gilt entsprechend für die Gestaltung der Rechte aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 2 Absatz 4). (3) Soweit vertragliche Nebenbestimmungen oder Vereinbarungen nach § 2 Absatz 2 gestaltet werden, legt der gestaltende Teil fest, wie diese abgeändert werden sollen. (4) 1Restrukturierungsforderungen können auch in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte an dem Schuldner umgewandelt werden. 2Eine Umwandlung gegen den Willen der betroffenen Gläubiger ist ausgeschlossen. 3Insbesondere kann der Plan eine Kapitalherabsetzung oder -erhöhung, die Leistung von Sacheinlagen, den Ausschluss von Bezugsrechten oder die Zahlung von Abfindungen an ausscheidende an dem Schuldner beteiligte Personen vorsehen. 4Der Plan kann vorsehen, dass Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte übertragen werden. 5Im Übrigen kann jede Regelung getroffen werden, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist. 6 § 225a Absatz 4 und 5 der Insolvenzordnung ist entsprechend anzuwenden.

182

Knapp/Wilde/Tresselt

§7

Gestaltender Teil

Literatur: Brinkmann, Wege aus der Insolvenz eines Unternehmens – oder: Die Gesellschafter als Sanierungshindernis, WM 2011, 97; Brünkmans, Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen von Umwandlungen im Insolvenzplanverfahren, ZInsO 2014, 2533; Brünkmans, Die Unternehmensakquisition über einen Kapitalschnitt im Insolvenzplanverfahren, ZIP 2014, 1857; Commandeur/Utsch, Der vorinsolvenzliche Restrukturierungsrahmen, NZG 2020, 1338; Decher/Voland, Kapitalschnitt und Bezugsrechtsausschluss im Insolvenzplan – Kalte Enteignung oder Konsequenz des ESUG? ZIP 2013, 103; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Ekkenga, Neuerliche Vorschläge zur Nennwertanrechnung beim Debt-Equity-Swap – Erkenntnisfortschritt oder Wiederbelebungsversuche am untauglichen Objekt? DB 2012, 331; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Kahlert/Gehrke, ESUG macht es möglich: Ausgliederung statt Asset Deal im Insolvenzplanverfahren, DStR 2013, 975; Korch, Restrukturierungsgesellschaftsrecht – Zur Überformung des Gesellschaftsrechts durch den StaRUG-Regierungsentwurf, NZG 2020, 1299; Korch, Die Rolle der Gesellschafter im künftigen Restrukturierungsverfahren, ZIP 2020, 446; Landfermann, Das neue Unternehmenssanierungsgesetz (ESUG) – Überblick und Schwerpunkte – Teil 1, WM 2012, 821; Madaus, Umwandlungen als Gegenstand eines Insolvenzplans nach dem ESUG, ZIP 2012, 2133; Pleister, Restrukturierung nach dem ESUG: Die wichtigsten Praxisfälle, GWR 2013, 220; Schluck-Amend/Hefner, Das StaRUG und seine Auswirkung auf die Geschäftsleiterhaftung, ZRI 2020, 570; Seibt/Bulgrin, Entwurf zum Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) – Kritische Analyse aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, DB 2020, 2226; Simon/ Merkelbach, Gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, NZG 2012, 121; Skauradszun, Grundfragen zum StaRUG – Ziele, Rechtsnatur, Rechtfertigung, Schutzmechanismen, KTS 2021, 1; Skauradszun, Neuralgische Punkte der Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG, ZRI 2020, 625; Spahlinger, NZI 2021, 32; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985. Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 2 III. Änderung der Rechtsstellung der Planbetroffenen, Legaldefinition (Abs. 1) .................................................. 3 IV. Gestaltung durch den Restrukturierungsplan (Abs. 2, Abs. 3) .......... 9 1. Gestaltung von Restrukturierungsforderungen (Abs. 2 Satz 1 Alt. 1) ..... 10 2. Gestaltung von Absonderungsanwartschaften (Abs. 2 Satz 1 Alt. 2) .... 11 3. Gestaltung von Drittsicherheiten (Abs. 2 Satz 2) ..................................... 13 4. Gestaltung von Nebenbestimmungen (Abs. 3) ................................................ 14 V. Umwandlung von Restrukturierungsforderungen (Abs. 4) ............... 16 1. Vorgaben der Richtlinie ...................... 16 2. Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht .................................. 17 3. Zweck der Regelung ............................ 19 4. Überblick ............................................. 20 5. Debt Equity Swap ............................... 23 a) Hintergrund und Bedeutung für die Sanierung .......................... 23

b) aa) bb) cc) dd) ee)

6. 7. 8.

Ablauf des Debt Equity Swaps .... 27 Kapitalherabsetzung .................... 28 Kapitalerhöhung ........................... 30 Bezugsrechtsausschluss ............... 36 Zustimmung der Gläubiger ......... 44 Abfindung der Altgesellschafter ......................................... 46 c) Weitere Themenkreise ................. 47 aa) Ausschluss der Differenzhaftung .......................................... 47 bb) Zuständigkeit für die Prüfung der Werthaltigkeit der Forderungen ........................................... 49 cc) Anwendung des Sanierungsprivilegs ......................................... 51 dd) Kapitalmarktrechtliche Besonderheiten ............................. 53 Übertragung der Anteilsrechte .......... 56 Kapitalmaßnahmen ............................. 59 a) Kapitalherabsetzung .................... 60 b) Kapitalerhöhung ........................... 61 Umwandlungsrechtliche Maßnahmen ................................................. 63 a) Formwechsel ................................ 64 b) Verschmelzung und Spaltung ...... 67

Knapp/Wilde/Tresselt

183

§7

Gestaltender Teil aa) Zulässigkeit von Verschmelzungen und Spaltungen im Restrukturierungsplan ..................... bb) Anspruch auf Sicherheitsleistung (§ 22 UmwG) ...................... cc) Nachhaftung bei Spaltungen (§ 133 UmwG) ............................. dd) Abfindungsangebote bei Verschmelzungen ...............................

I.

9. 67 72 73

Änderung des Gesellschaftsvertrags; Bestellung und Abberufung .......................................... 76 10. Prüfungskompetenz der Gerichte ...... 78 11. Ausschluss von Change-ofControl-Klauseln ................................ 80 12. Regelungen zu Abfindungsansprüchen ............................................... 84

75

Normzweck Knapp/Wilde

1

Wie im Insolvenzplanrecht1) stellt der gestaltende Teil das Kernstück des Restrukturierungsplans dar. Er regelt konstitutiv, auf welche Art und in welchem Umfang in welche der nach § 2 gestaltbaren Rechtsverhältnisse eingegriffen wird. Die Regelungen des gestaltenden Teils werden im Falle der Zustimmung sämtlicher Planbetroffener auf Grundlage einer privatautonomen Vereinbarung, andernfalls durch gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans (§ 67 Abs. 1) allgemeinverbindlich wirksam.2) § 7 Abs. 1 enthält die Legaldefinition des Begriffs der Planbetroffenen, d. h. derjenigen Parteien, in deren Rechte durch den Restrukturierungsplan eingegriffen werden soll und die daher zwingend am Verfahren zu beteiligen sind. II. Normhistorie

2

Die Norm beruht auf Art. 8 Abs. 1 der Restrukturierungsrichtlinie3), der den zwingenden Inhalt von Restrukturierungsplänen vorschreibt, und orientiert sich eng an § 221 Satz 1 InsO.4) § 7 Abs. 2 ist hinsichtlich der Einbeziehung von Restrukturierungsforderungen § 224 InsO, hinsichtlich der Absonderungsanwartschaften § 223 Abs. 2 InsO nachgebildet. Den klarstellenden Hinweis des § 223 Abs. 1 Satz 1 InsO hat der Gesetzgeber ins StaRUG nicht übernommen, da im Restrukturierungsplan ohnehin nur die einbezogenen, zur Absonderung berechtigenden Rechte gestaltet werden können.5) Angesichts der Anlehnung an die §§ 221 ff. InsO kann weitgehend auf die zum Insolvenzplanrecht entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. III. Änderung der Rechtsstellung der Planbetroffenen, Legaldefinition (Abs. 1)

3

§ 7 Abs. 1 definiert den Begriff der Planbetroffenen und bezeichnet damit die Inhaber der nach § 2 gestaltbaren Rechte, in die durch den Restrukturierungsplan eingegriffen werden soll.6) In Betracht kommen damit die Inhaber von Restruktu_____________ 1) 2) 3)

4) 5) 6)

184

Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 4; Thies in: HambKomm-InsO, § 221 Rz. 1. Begr. RegE SanInsFoG z. § 18 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 121. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 9 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 117. Begr. RegE SanInsFoG z. § 9 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 117. Flöther-Tasma, StaRUG, § 7 Rz. 3; Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 7 Rz. 99.

Knapp/Wilde

§7

Gestaltender Teil

rierungsforderungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1) bzw. Absonderungsanwartschaften (§ 2 Abs. 1 Nr. 2), die am Schuldner beteiligten Personen (§ 2 Abs. 3) sowie die Inhaber von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 2 Abs. 4). Da es sich beim Restrukturierungsverfahren um ein teilkollektives Verfahren handelt,7) obliegt die Auswahl der Planbetroffenen dem Schuldner. Seine Auswahl hat nach sachgerechten Kriterien zu erfolgen (§ 8). Die Planbetroffenheit, d. h. der Eingriff i. R. des Restrukturierungsplans, knüpft nicht an den Inhaber des Rechts, sondern an das Recht selbst an.8) Ein und dieselbe Person kann demnach mit einem Teil ihrer Rechte vom Plan betroffen sein, während sie mit einem anderen Teil von diesem unberührt bleibt. Die Planbetroffenen sind daher immer unter Angabe des konkreten Rechtseingriffs im gestaltenden Teil zu nennen.

4

Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 der Restrukturierungsrichtlinie beschränkt den Umfang der betroffenen Parteien zudem auf Gläubiger und ggf. Anteilseigner, deren Forderungen bzw. Beteiligungen von dem Restrukturierungsplan unmittelbar betroffen sind. Eine lediglich mittelbare Betroffenheit genügt dagegen grundsätzlich nicht. Von einer unmittelbaren Betroffenheit ist auszugehen, wenn die im Restrukturierungsplan vorgesehenen Maßnahmen in das Forderungs- oder Beteiligungsrecht eingreifen, mithin ein Eingriff in die Rechtsposition vorliegt.9)

5

Eine lediglich mittelbare Betroffenheit dürfte demgegenüber anzunehmen sein, wenn zwar nicht in die Rechtsposition selbst eingegriffen wird, wohl aber Maßnahmen auf Ebene des Schuldners ergriffen werden, die Auswirkungen auf die Werthaltigkeit der Restrukturierungsforderung oder des Anteils- und Mitgliedschaftsrechts haben können. Als solche Maßnahme kommt bspw. der Verkauf schuldnerischer Vermögenswerte in Betracht, wenn hierdurch der Unternehmenswert vermindert wird. Eine solche lediglich mittelbare Betroffenheit führt nicht zu einer Planbetroffenheit und einem Erfordernis der Einbeziehung der Betroffenen in den Restrukturierungsplan.

6

Gläubiger von Restrukturierungsforderungen sind i. R. des Verfahrens über die Pflicht der Geschäftsführung zur Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger geschützt (§ 43 Abs. 1 Satz 1).

7

Bei Anteilseignern einer privaten Gesellschaftsform wie der GmbH kommt neben der mittelbaren Betroffenheit durch eine Verminderung des Unternehmenswerts ferner die Beschränkung der Weisungsbefugnis i. R. des von der Gesellschaft betriebenen Restrukturierungsverfahrens als möglicher Eingriff in Betracht. Die Geschäftsführer werden jedoch in aller Regel zur Einleitung des Verfahrens bzw. für die Anzeige der Restrukturierungssache eines legitimierenden Gesellschafterbeschlusses bedürfen.10) Dieser Zustimmungsbeschluss legitimiert Eingriffe in das

8

_____________ 7) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 9 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 117; Gehrlein, BB 2021, 66, 69. 8) Knapp in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 8 Rz. 21; Flöther-Tasma, StaRUG, § 7 Rz. 3. 9) Knapp in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 8 Rz. 31. 10) Seibt/Bulgrin DB 2020, 2226, 2236; Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 31 Rz. 31.

Knapp/Wilde

185

§7

Gestaltender Teil

Direktionsrecht der Anteilseigner i. R. der Durchführung des Restrukturierungsverfahrens im Hinblick auf die Vorlage eines Restrukturierungsplans; ein weiterer Gesellschafterbeschluss ist insoweit nicht erforderlich.11) Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Restrukturierungsplan mit dem Ziel der Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der Sicher-, bzw. Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit des Schuldners eine Steigerung des Unternehmenswertes zur Folge haben sollte, wovon alle Stakeholder und damit auch die Anteilseigner profitieren. IV. Gestaltung durch den Restrukturierungsplan (Abs. 2, Abs. 3) 9

Der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans muss sämtliche Rechtsgestaltungen abschließend regeln. Die Regelungen müssen klar und verständlich sein.12) Der jeweilige Rechtseingriff muss aus Sicht eines durchschnittlichen Planbetroffenen (objektiver Empfängerhorizont) und unter Berücksichtigung der üblichen Gepflogenheiten der schuldnerischen Geschäftsbeziehungen in unmissverständlicher Weise aus dem Restrukturierungsplan hervorgehen. Die Geschäftserfahrenheit des bzw. der Planbetroffenen kann dementsprechend berücksichtigt werden. Soweit dingliche Rechtspositionen gestaltet werden, ist den Anforderungen an das sachenrechtliche Bestimmtheitsgebot Rechnung zu tragen (siehe hierzu § 13 Rz. 7). 1.

10

2. 11

Gestaltung von Restrukturierungsforderungen (Abs. 2 Satz 1 Alt. 1)

Restrukturierungsforderungen unterliegen gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 der Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan. Dem Planersteller kommt ein umfassender Gestaltungsspielraum zu. Forderungen können (teilweise) erlassen, gestundet, mit einem Rangrücktritt versehen oder in sonstiger, zivilrechtlich zulässiger Weise, etwa durch Umwandlung in Eigenkapital (sog. Debt Equity Swap), verändert werden (siehe dazu i. E. § 2 Rz. 22 ff.). Im gestaltenden Teil ist bspw. konkret anzugeben, um welchen Betrag die Forderungen gekürzt werden (und nicht, welche Quote sie erhalten sollen), für welchen Zeitraum sie gestundet werden oder zu welchen Konditionen sie im Rang zurücktreten sollen. Die präzise Angabe der Gestaltungswirkung ist auch deswegen von besonderer Bedeutung, weil der Schuldner auf Grundlage der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung von seiner restlichen Verbindlichkeit aus diesen Restrukturierungsforderungen befreit wird (§ 11 Satz 1). Soweit Restrukturierungsforderungen nicht in den Regelungsbereich des Restrukturierungsplans einbezogen sind, bestehen sie hingegen unverändert fort (argumentum ex § 11 Satz 1). Gestaltung von Absonderungsanwartschaften (Abs. 2 Satz 1 Alt. 2)

Daneben ermöglicht der Restrukturierungsplan den Eingriff in Absonderungsanwartschaften (§ 2 Abs. 1 Nr. 2). Auch hier bestehen diverse Gestaltungsmöglichkeiten (siehe hierzu § 2 Rz. 37 ff.). Möglich ist etwa der unmittelbare Eingriff in das dingliche Recht durch vollständige oder teilweise Freigabe der Sicherheit.13) _____________ 11) Seibt/Bulgrin DB 2020, 2226, 2236. 12) Zum Insolvenzplan BGH, Beschl. v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, Rz. 39 ff., NZI 2018, 691. 13) Diese Möglichkeit des Eingriffs in Absonderungsrechte wohl nicht anerkennend Braun-Böhm, StaRUG, § 7 Rz. 10; ebenso Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 7 Rz. 74.

186

Knapp/Wilde

§7

Gestaltender Teil

Die Absonderungsanwartschaft kann auch in der Weise gestaltet werden, dass die gesicherte Forderung auf einen unter dem Wert der Absonderungsanwartschaft liegenden Betrag gekürzt wird (siehe hierzu § 2 Rz. 38).14) Bei akzessorischen Sicherheiten setzt sich die Forderungskürzung unmittelbar auf Ebene der dinglichen Sicherheit fort. Nicht-akzessorische Sicherheiten sind indessen regelmäßig i. H. des Kürzungsbetrags vom Sicherungsnehmer freizugeben. Auch die Stundung einer gesicherten Forderung kann einen Eingriff in die Absonderungsanwartschaft darstellen, da die Verwertungsmöglichkeit entsprechend der Fälligkeit der gesicherten Forderung aufgeschoben wird.15) Die dinglichen Rechtsänderungen sind im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans präzise und unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgebots zu bezeichnen (siehe hierzu § 13 Rz. 7). 3.

Gestaltung von Drittsicherheiten (Abs. 2 Satz 2)

§ 2 Abs. 4 ermöglicht den Eingriff in Personalsicherheiten und dingliche Sicherheiten, die von gruppeninternen Gesellschaften für Verbindlichkeiten des Planschuldners gewährt wurden (siehe hierzu § 2 Rz. 114 ff.). Dadurch soll insbesondere vermieden werden, dass in Konzernsachverhalten parallel mehrere Restrukturierungsverfahren zur Gestaltung der gruppenweit gewährten Sicherheiten angestrengt werden müssen. Sofern in gruppeninterne Drittsicherheiten eingegriffen wird, ist der konkrete Eingriff gleichermaßen präzise zu bezeichnen und richtigerweise um die Angabe der vorgesehenen Kompensation für den Sicherheitennehmer (§ 2 Abs. 4) zu ergänzen.16) Die vorgeschriebene Entschädigung richtet sich insoweit nach der Werthaltigkeit der betroffenen Sicherheit.17) 4.

12

13

Gestaltung von Nebenbestimmungen (Abs. 3)

Soweit gemäß § 2 Abs. 2 vertragliche Nebenbestimmungen oder Vereinbarungen gestaltet werden, ist im gestaltenden Teil festzulegen, wie diese abgeändert werden sollen. Zu den Gestaltungsmöglichkeiten im Einzelnen siehe § 2 Rz. 41 ff.

14

Insbesondere bei umfangreicheren vertraglichen Regelwerken wie Konsortialkreditverträgen oder den Bedingungen von Schuldverschreibungen liegt es nahe, die geänderten Konditionen in ein eigenes, als Anlage dem Restrukturierungsplan beizufügendes Vertragswerk aufzunehmen, auf das dann im gestaltenden Teil lediglich verwiesen wird. Um die beabsichtigten Anpassungen hervorzuheben, kann es sich dabei anbieten, zusätzlich eine Vergleichsversion beizufügen, aus der die Änderungen der Einzelbestimmungen unmittelbar ersichtlich werden. Ungeachtet dessen sind die Änderungen weiterhin im darstellenden Teil nachvollziehbar zu beschreiben.

15

_____________ 14) Flöther-Tasma, StaRUG, § 7 Rz. 16; Braun-Böhm, StaRUG, § 7 Rz. 10. 15) Dahingehend auch der Wortlaut des § 223 Abs. 2 InsO; dazu Breuer in: MünchKommInsO, § 223 Rz. 23; Flöther-Tasma, StaRUG, § 7 Rz. 17. 16) So auch Flöther-Tasma, StaRUG, § 7 Rz. 20. 17) Begr. RegE SanInsFoG z. § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 114.

Knapp/Wilde

187

§7

Gestaltender Teil

V. Umwandlung von Restrukturierungsforderungen (Abs. 4) 1.

Vorgaben der Richtlinie Tresselt

16

Zu den möglichen gesellschaftsrechtlichen Restrukturierungsmaßnahmen hält sich die Richtlinie eher bedeckt. Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie (und der ErwG 2) weist in diesem Zusammenhang abstrakt auf die Möglichkeit von Änderungen der Zusammensetzung, der Bedingungen oder der Struktur der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten eines Schuldners oder anderer Teile seiner Kapitalstruktur hin (siehe dazu auch schon § 2 Rz. 106). Als Beispiele werden der Verkauf von Vermögenswerten oder Geschäftsbereichen und, wenn im nationalen Recht vorgesehen, der Verkauf des Unternehmens als Ganzes sowie alle erforderlichen operativen Maßnahmen oder eine Kombination dieser Elemente genannt. Der deutsche Gesetzgeber hatte bei der Schaffung von § 7 Abs. 4 daher einen weiten Gestaltungsspielraum. 2.

Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht

17

Die in das Gesetz übernommene Fassung des § 7 Abs. 4 ist mit den Fassungen aus dem RefE und RegE weitgehend identisch (abgesehen davon, dass sich die Bestimmung in diesen Entwürfen noch in § 9 Abs. 4 befunden hatte). Die Beratungen im Rechtsausschuss des Bundestags haben aber zu einer Änderung in Absatz 4 im Vergleich zur Fassung des RegE geführt: Ursprünglich war vorgesehen, dass die Umwandlung von Restrukturierungsforderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte an dem Schuldner auch gegen den Willen der betroffenen Gläubiger erfolgen kann und in diesem Fall für die Gläubiger, die einer solchen Umwandlung widersprechen, eine Barabfindung vorzusehen ist. Um einen Gleichlauf mit der entsprechenden Vorschrift für den Insolvenzplan (vgl. § 225a Abs. 2 Satz 2 InsO) zu erreichen und mögliche Probleme bei der Bestimmung eines Maßstabs zur Ermittlung der Höhe des Abfindungsanspruchs zu vermeiden, ist nun in § 7 Abs. 4 Satz 2 ausdrücklich geregelt, dass eine Umwandlung gegen der Willen der betroffenen Gläubiger ausgeschlossen ist.18) Nicht zuletzt durch diese Anpassung orientiert sich die Bestimmung des § 7 Abs. 4 stark an dem insolvenzrechtlichen Vorbild des § 225a InsO.19)

18

Ergänzt wird § 7 Abs. 4 zudem durch § 67 Abs. 5, wonach der Schuldner bei einer Umwandlung von Restrukturierungsforderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte nach der gerichtlichen Bestätigung des Restrukturierungsplans keine Ansprüche aus Differenzhaftung gegen die bisherigen Gläubiger geltend machen kann. 3.

19

Zweck der Regelung

§ 7 Abs. 4 knüpft an die teilweise noch allgemeiner gehaltene Regelung des § 2 Abs. 3 an und konkretisiert diese vor allem für den Debt Equity Swap.20) § 7 Abs. 4 verfolgt damit auch den gleichen Zweck wie § 2 Abs. 3, so dass auf die dortige Kommentierung verwiesen werden kann (siehe § 2 Rz. 97 f.). _____________ 18) Vgl. dazu Bericht d. RA z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 7. 19) Vgl. auch Thole, ZIP 2020, 1985, 1987; Desch, BB 2020, 2498, 2503. 20) Vgl. auch Skauradszun, ZRI 2020, 625, 631.

188

Tresselt

§7

Gestaltender Teil

4.

Überblick

§ 7 Abs. 4 zählt – nahezu in Übereinstimmung mit § 225a Abs. 2 und 3 InsO – beispielhaft die folgenden gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen auf, die in einem Restrukturierungsplan vorgesehen werden können: –

Debt Equity Swap,



Übertragung von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten,



Kapitalherabsetzung,



Kapitalerhöhung,



Ausschluss von Bezugsrechten,



Zahlung von Abfindungen an ausscheidende Gesellschafter,



Leistung von Sacheinlagen.

20

Neben diesen explizit aufgezählten Maßnahmen sind jedoch – wie bei § 225a InsO – alle weiteren gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen zulässig, wie insbesondere auch Maßnahmen nach dem UmwG.

21

Die einzige Maßnahme, die im Unterschied zu § 225a Abs. 3 InsO nicht aufgezählt wird, ist die Fortsetzung einer aufgelösten Gesellschaft. Dies ergibt sich daraus, dass eine Gesellschaft nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG bzw. § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst wird, es daran in einem StaRUG-Verfahren aber gerade fehlt.

22

5.

Debt Equity Swap

a) Hintergrund und Bedeutung für die Sanierung § 7 Abs. 4 erlaubt – ebenso wie § 225a Abs. 2 InsO – ausdrücklich einen Debt Equity Swap. In diesem Zusammenhang hat der Gesetzgeber zudem in Satz 3 – ebenfalls in Übereinstimmung mit § 225a Abs. 2 InsO – die wesentlichen Schritte des Debt Equity Swaps aufgeführt, nämlich eine Kapitalherabsetzung und Kapitalerhöhung, die Leistung von Sacheinlagen, den Ausschluss von Bezugsrechten und die Zahlung von Abfindungen an ausscheidende Gesellschafter. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber dem Debt Equity Swap als Sanierungsmaßnahme auch für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren eine besondere Bedeutung beigemessen hat.

23

Ein Debt Equity Swap kann für das Unternehmen und die Gläubiger auch bei einer vorinsolvenzlichen Sanierung mehrere Vorteile haben. Für das Unternehmen führt der Debt Equity Swap zu einer Entschuldung und ggf. Beseitigung einer bilanziellen Überschuldung. Zudem muss das Unternehmen zur Tilgung der am Debt Equity Swap teilnehmenden Forderungen im Restrukturierungsplan keine Zahlungen vorsehen, was die Liquidität erheblich entlasten kann.21) Für die Gläubiger hat ein Debt Equity Swap vor allem den Vorteil, dass sie so die Möglichkeit erhalten, an künftigen Gewinnen des Unternehmens zu partizipieren und dadurch langfristig möglicherweise sogar mehr erhalten als den Nennwert ihrer ursprünglichen Forderung. Zudem können sie als neuer Anteilsinhaber Einfluss auf den weiteren Verlauf

24

_____________ 21) Vgl. für § 225a InsO auch A. Schmidt-Seibt/Westpfahl, Sanierungsrecht, § 225a Rz. 11 f.

Tresselt

189

§7

Gestaltender Teil

der Sanierung ausüben.22) Nehmen sie dagegen nicht am Debt Equity Swap teil und bleiben Gläubiger, fallen sie – abhängig von den Regelungen des Restrukturierungsplans und der Vergleichsrechnung – u. U. mit einem Teil ihrer Forderungen aus. Zugleich kann ein Debt Equity Swap aber auch zu Risiken für die teilnehmenden Gläubiger führen. Scheitert die Sanierung und kommt es in der Folge zu einem Insolvenzverfahren, erleiden sie in ihrer Eigenschaft als Anteilsinhaber in aller Regel einen Totalverlust. 25

Insofern wird es regelmäßig eine Frage des Einzelfalls sein, ob Gläubiger zur Teilnahme an einem Debt Equity Swap bereit sind. Die Gläubiger werden hierfür vor allem einbeziehen müssen, ob sie von der Sanierung und künftigen Ertragsfähigkeit des Unternehmens überzeugt sind und den mit der Anteilsinhaberschaft (und ggf. der aktiven Mitgestaltung der Sanierung) verbundenen zusätzlichen Aufwand tragen wollen. Zugleich werden sie auch berücksichtigen, wann und in welcher Höhe sie mit einer Befriedigung ihrer Forderungen ohne einen Debt Equity Swap rechnen könnten. Zudem dürfte aufgrund der nicht ganz geringen Komplexität ein Debt Equity Swap häufig nur bei größeren Unternehmen und für größere oder institutionelle Gläubiger in Betracht kommen. Darüber hinaus sind bestimmte Gläubigergruppen wie Kleingläubiger oder Lieferanten oder öffentlich-rechtliche Gläubiger (z. B. das Finanzamt) an der Teilnahme an einem Debt Equity Swap in der Regel nicht interessiert und möglicherweise auch durch öffentlich-rechtliche Bestimmungen gehindert.

26

Schließlich werden der Verfasser des Restrukturierungsplans und die Gläubiger, die zur Übernahme von Anteilen bereit sind, häufig auch vor der Frage stehen, ob das gleiche Ziel nicht u. U. auch leichter als durch einen Debt Equity Swap erreicht werden kann. Vor allem die (durch § 7 Abs. 4 Satz 4 ebenfalls ausdrücklich zulässige) Übertragung der Anteile auf die Gläubiger, verbunden mit einem Forderungsverzicht (oder anderen steuerlich sinnvollen Entschuldungsmaßnahmen), können häufig eine weniger komplexe Alternative zu einem Debt Equity Swap darstellen. b) Ablauf des Debt Equity Swaps

27

Die für einen Debt Equity Swap typischerweise vorzunehmenden Schritte sind in § 7 Abs. 4 Satz 3 dargestellt. Dies sind: –

eine Kapitalherabsetzung,



eine anschließende Kapitalerhöhung,



die Leistung von Sacheinlagen zum Zwecke der Kapitalerhöhung,



der Ausschluss von Bezugsrechten und



die Zahlung von Abfindungen an ausscheidende Gesellschafter (sofern mit Blick auf das Schlechterstellungsverbot erforderlich).

aa) Kapitalherabsetzung 28

In der Regel wird im Zuge eines Debt Equity Swaps eine Kapitalherabsetzung vorgenommen, um eine Unterbilanz zu beseitigen und dem Umstand Rechnung zu _____________ 22) Vgl. für § 225a InsO auch Thies in: HambKomm-InsO, § 225a Rz. 14.

190

Tresselt

§7

Gestaltender Teil

tragen, dass die Anteile in ihrem Wert jedenfalls gemindert sind. Während die Anteile in einem Insolvenzverfahren jedoch regelmäßig wertlos sein werden und daher in den meisten Fällen eine Kapitalherabsetzung auf Null vorgenommen wird, muss dies bei einem StaRUG-Verfahren mit Blick auf einen möglicherweise verbleibenden Wert der Anteile nicht zwingend so sein (siehe zu einem möglichen Wert der Anteile auch die Kommentierung in Rz. 80 zu § 2 Abs. 3). Daher kann in einem Restrukturierungsplan noch eher als in einem Insolvenzplan ggf. auch nur eine geringere Kapitalherabsetzung vorgesehen werden, vor allem auch dann, wenn die Gesellschafter z. B. aufgrund ihres Know-hows an der Gesellschaft beteiligt bleiben sollen oder eigene Beiträge erbringen. Ebenso kann auch der Erhalt einer Börsenzulassung für eine geringere Kapitalherabsetzung sprechen.23) Allerdings müssen dann mit Blick auf das Gleichbehandlungsgebot des § 10 grundsätzlich alle Altgesellschafter proportional an der Gesellschaft beteiligt bleiben, sofern nicht die Bildung unterschiedlicher Gruppen der Gesellschafter sachlich gerechtfertigt ist oder die Gesellschafter einer unterschiedlichen Behandlung zustimmen.24) Selbst wenn den Anteilen noch ein gewisser Wert zukommt, ist es aber nicht zwingend, nur eine Kapitalherabsetzung in einer geringeren Höhe vorzunehmen und damit den Anteilsinhabern nach der Kapitalherabsetzung eine Beteiligung zu belassen. Vielmehr kann auch in einem solchen Szenario eine Kapitalherabsetzung auf Null und eine Entschädigung der Anteilsinhaber vorgesehen werden, da die drohende Zahlungsunfähigkeit und das Schlechterstellungsverbot eine hinreichende Legitimation für Eingriffe in die Anteilsrechte darstellen (siehe dazu näher § 2 Rz. 84 f.). Die gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen zur Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung sind grundsätzlich auch bei Kapitalmaßnahmen in einem Restrukturierungsplan zu beachten. Durch die Kapitalherabsetzung darf das Mindestgrundkapital bzw. Mindeststammkapital nicht unterschritten werden, es sei denn, dies wird durch eine anschließende Barkapitalerhöhung wieder gedeckt (vgl. § 228 AktG, § 58a Abs. 4 Satz 1 GmbHG).25) Allerdings werden in diesem Zusammenhang grundsätzlich die Bestimmungen zur vereinfachten Kapitalherabsetzung gemäß § 229 AktG bzw. §§ 58a ff. GmbHG zur Anwendung kommen, da die Kapitalherabsetzung regelmäßig zu Sanierungszwecken vorgenommen wird.26) Aber auch hier ist grundsätzlich erforderlich, dass durch die Kapitalherabsetzung eine Unterbilanz beseitigt wird.

29

bb) Kapitalerhöhung Als nächster Schritt folgt bei einem Debt Equity Swap in der Regel eine Sachkapitalerhöhung. Gegenstand der Sacheinlage ist die Restrukturierungsforderung, bei der es sich um einen sacheinlagefähigen Gegenstand handelt.27) Die Sacheinlage wird _____________ 23) Vgl. zu § 225a InsO auch Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 225a Rz. 4 a. E. 24) Vgl. zu § 225a InsO auch Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 14. 25) Vgl., zu § 225a InsO auch Thies in: HambKomm-InsO, § 225a Rz. 20; Braun-Braun/Frank, InsO, § 225a Rz. 18. 26) Vgl. Wimmer-Jaffé, InsO, § 225a Rz. 12. 27) Vgl. zu § 225a InsO auch Haas in: HK-InsO, § 225a Rz. 26; Begr. RegE ESUG, BTDrucks. 17/5712, S. 31.

Tresselt

191

30

§7

Gestaltender Teil

entweder durch einen Forderungserlass oder eine Forderungsabtretung an das Unternehmen (mit anschließender Konfusion) erbracht.28) 31

Im Zusammenhang mit einem Debt Equity Swap in einem Insolvenzplan ist umstritten, ob die einzubringenden Forderungen zum Nennwert oder zum Verkehrswert zu bewerten sind.29) Bei einer Bewertung zum Verkehrswert schließt sich zudem die Frage an, ob der Verkehrswert nach Fortführungs- oder Liquidationswerten zu ermitteln ist. Bei Debt Equity Swaps im Wege eines Restrukturierungsplans ist ein ähnlicher Meinungsstreit zu erwarten.

32

Ebenso wie i. R. des § 225a InsO spräche für eine Nennwertbetrachtung zwar, dass sich keine komplizierten Bewertungsfragen stellen würden. Zudem würde eine Einbringung zum Nennwert mit der bilanziellen Betrachtung übereinstimmen, da das Unternehmen bilanziell i. H. des Nennwerts der einzubringenden Forderung entlastet wird.30) Dennoch sprechen – ebenso wie bei § 225a Abs. 2 InsO – die besseren Gründe für eine Verkehrswertbetrachtung.31) Im Gegensatz zur Regierungsbegründung zu § 225a Abs. 2 InsO, die ausdrücklich auf die Werthaltigkeit der Forderung abstellt (die nach der Regierungsbegründung nicht dem Buchwert entspricht) und betont, dass für die Frage der Werthaltigkeit ggf. ein Wertgutachten eingeholt werden könne,32) schweigt die Regierungsbegründung zum SanInsFoG zwar zu dieser Frage. Dennoch ist nicht ersichtlich, warum diese Frage in einem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren grundsätzlich anders beantwortet und eine Einbringung zum Nennwert auch dann zulässig sein soll, wenn die Forderung nicht mehr voll werthaltig ist. Auch in einem StaRUG-Verfahren würde dies gegen den Kapitalaufbringungsgrundsatz verstoßen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass nach § 67 Abs. 5 die Differenzhaftung ausgeschlossen und schon dadurch der Gläubigerschutz eingeschränkt ist. Auch deshalb müssen die einzubringenden Forderungen realistisch und somit mit ihrem Verkehrswert berücksichtigt werden.

33

Im Rahmen der Verkehrswertbetrachtung wird jedenfalls in einem StaRUG-Verfahren zudem grundsätzlich auf Fortführungswerte und nicht auf Liquidationswerte der Restrukturierungsforderung abzustellen sein.33) Dies ergibt sich schon aus § 6 Abs. 2 Satz 2, wonach auch für die Vergleichsrechnung und die entsprechenden Befriedigungsaussichten der Gläubiger grundsätzlich von einer Fortführung des Unternehmens auszugehen ist. Allerdings muss § 6 Abs. 2 einschränkend ausgelegt werden. Vergleichsmaßstab kann nur das „nächstbeste Alternativszenario“ sein. Als nächstbestes Alternativszenario kommen nur solche Szenarien in Betracht, die der Schuldner im Falle eines Scheiterns des Restrukturierungsplans mit überwiegender Wahrscheinlichkeit umsetzen kann. Daher sind hierfür auch nur _____________ 28) Haas in: HK-InsO, § 225a Rz. 23; Hölzle in: Kübler, HRI, § 31 Rz. 60. 29) S. zum Streitstand Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 16 ff. 30) Thies in: HambKomm-InsO, § 225a Rz. 26; K. Schmidt-Spliedt, § 225a Rz. 23; Hölzle in: Kübler, HRI, § 31 Rz. 77 ff.; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 53. 31) Ekkenga, DB 2012, 331, 332; Haarmeyer/Wutzke/Förster-Wenzel, InsO § 225a Rz. 11; Haas in: HK-InsO, § 225a Rz. 28 ff.; Wimmer-Jaffé, InsO, § 225a Rz. 21. 32) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 32. 33) Vgl. zu dem Streitstand bei § 225a Abs. 2 Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 16 ff.

192

Tresselt

§7

Gestaltender Teil

tatsächlich realisierbare Konzepte und nicht durch Gutachten ermittelte theoretische Werte relevant, welche sich nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit realisieren lassen.34) Somit kann auch i. R. des § 6 Abs. 2 die Fortführung nur dann ein geeignetes Alternativszenario sein, wenn eine Fortführung überwiegend wahrscheinlich ist, da ein solches Szenario anderenfalls gerade nicht zeigen würde, wie die Planbetroffenen bei einem Scheitern des Restrukturierungsplans stünden.35) Es ist daher zu fragen, welchen Wert (Befriedigungsaussicht) die „swapgebenden“ Gläubiger im nächstbesten Alternativszenario für ihre Restrukturierungsforderung erwarten könnten. An einem Debt Equity Swap können auch besicherte Gläubiger teilnehmen. Soweit Gegenstand des Debt Equity Swaps nur der unbesicherte Teil der Forderung sein soll, gelten die obigen Grundsätze zur Verkehrswertbetrachtung entsprechend. Soweit dagegen der besicherte Teil der Forderung und somit die Sicherheit i. R. des Debt Equity Swaps einbezogen werden soll, ist die einzubringende Forderung grundsätzlich unter Berücksichtigung des realisierbaren Werts der Sicherheit zu bewerten. Durch die Umwandlung der Forderungen würden die akzessorischen Sicherheiten erlöschen, und die nichtakzessorischen Sicherheiten wären freizugeben.36) In der Praxis dürfte für die Ermittlung des Werts der Sicherheiten in der Regel ein Wertgutachten erforderlich sein, auch als Korrektiv für den Umstand, dass eine Differenzhaftung ausgeschlossen ist. Das Prinzip ist aber dasselbe: Auch hier stellt sich die Frage, welcher Wert den Absonderungsanwartschaften im nächstbesten Alternativszenario zukommt. Wiederum anders ist es, wenn die Forderung durch eine gruppeninterne Drittsicherheit gesichert ist. In diesem Fall müsste sich der Wert an der „Angemessenheit“ gemäß § 2 Abs. 4 orientieren. Die „angemessene Entschädigung“ ist jedoch anders als bei der Vergleichsrechnung gemäß § 6 Abs. 2 nicht vom „nächstbesten Alternativszenario“ abhängig, sondern hier ist von vornherein grundsätzlich von einer Liquidationsbetrachtung auszugehen (siehe hierzu bei § 2 Rz. 131).

34

Denkbar wäre schließlich auch, dass Forderungen aus Gesellschafterdarlehen an einem Debt Equity Swap teilnehmen. Allerdings ist zu beachten, dass diese Forderungen in dem Alternativszenario einer Insolvenz nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangig und damit in aller Regel wertlos wären. Vor diesem Hintergrund können solche Forderungen grundsätzlich nur dann Gegenstand eines Debt Equity Swaps sein, wenn und soweit sie auch im nächstbesten Alternativszenario, sofern dieses ein Insolvenzszenario ist, ausnahmsweise noch werthaltig wären und damit grundsätzlich auch nur dann, wenn alle im Rang vorgehenden Forderungen in voller Höhe befriedigt werden können. Anderenfalls würde die Ersetzung der fehlenden Zustimmung einer Gläubigergruppe jedenfalls an § 27 Abs. 1 Nr. 2 scheitern.

35

cc) Bezugsrechtsausschluss Bei einer AG haben die Aktionäre im Zuge von Kapitalerhöhungen gemäß § 186 AktG ein Bezugsrecht. Bei der GmbH wird diese Bestimmung analog angewandt.37) _____________ 34) 35) 36) 37)

Spahlinger, NZI 2021, 32, 33 f. Spahlinger, NZI 2021, 32, 34. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 225a Rz. 21; Haas in: HK-InsO, § 225a Rz. 26. So die h. M., vgl. Scholz-Priester/Tebben, GmbHG, § 55 Rz. 42 m. w. N.

Tresselt

193

36

§7

Gestaltender Teil

Die Bestimmung des § 7 Abs. 4 erlaubt jedoch – ebenso wie § 225a Abs. 2 InsO – ausdrücklich auch einen Ausschluss von Bezugsrechten. Der Restrukturierungsplan dürfte daher in der Praxis häufig auch einen Bezugsrechtsausschluss für die bisherigen Anteilsinhaber vorsehen. 37

Außerhalb eines StaRUG-Verfahrens (und eines Insolvenzverfahrens) ist ein Bezugsrechtsausschluss grundsätzlich nur dann zulässig, wenn er sachlich gerechtfertigt ist. Eine sachliche Rechtfertigung liegt grundsätzlich vor, wenn der Bezugsrechtsausschluss dem Interesse der Gesellschaft dient und zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist. Diese Voraussetzungen können vor allem dann gegeben sein, wenn die Kapitalerhöhung Sanierungszwecken dient, es zu der beabsichtigten Kapitalerhöhung keine andere erfolgversprechende Sanierungsmöglichkeit gibt und der Investor nur im Falle eines Bezugsrechtsausschlusses zur Kapitalerhöhung bereit ist.38) Ob und in welcher Form es auch für einen Bezugsrechtsausschluss im Insolvenzplanverfahren nach § 225a Abs. 2 InsO einer sachlichen Rechtfertigung bedarf, ist nach wie vor umstritten.39)

38

Ähnliche Diskussionsansätze finden sich auch zum Bezugsrechtsausschluss in einem Restrukturierungsplan. Auch für das StaRUG-Verfahren wird teilweise vertreten, dass ein Bezugsrechtsausschluss einer sachlichen Rechtfertigung bedarf bzw. ein Bezugsrechtsausschluss ohne sachliche Rechtfertigung gegen Art. 9 GG und Art. 14 GG verstoßen würde (siehe hierzu die Nachweise in der Kommentierung zu § 2 Rz. 75). Nach der Gegenauffassung, die mit der überwiegenden Meinung zu § 225a Abs. 2 InsO40) übereinstimmt, werde das Gesellschaftsrecht durch speziellere Regelungen des StaRUG überlagert. Daher könne auch das Bezugsrecht bei einer Kapitelerhöhung ausgeschlossen werden, da der allgemeine gesellschaftsrechtliche Schutzmechanismus durch die speziellen Schutzmechanismen des StaRUG überlagert werde.41)

39

Der Gegenauffassung ist zuzustimmen. Ein Bezugsrechtsausschluss bedarf aufgrund seiner Wirkung für die Altgesellschafter zwar grundsätzlich einer sachlichen Rechtfertigung. Der Maßstab für diese sachliche Rechtfertigung ist jedoch grundsätzlich nicht das Gesellschaftsrecht, sondern die dem Gesellschaftsrecht vorgehenden Bestimmungen des StaRUG. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die im StaRUG abschließend geregelten Schutzinstrumente (insbesondere die Bestimmungen zur Gruppenbildung, zur Abstimmung über den Restrukturierungsplan, zum Gleichbehandlungsgebot sowie zum Schlechterstellungsverbot). Aufgrund der Schutzinstrumente des StaRUG in Bezug auf die verfahrens- und vermögensrechtliche Absicherung auf der einen Seite und der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der damit verbundenen Gefährdungslage für die Gläubiger auf der anderen Seite, ist auch ein Bezugsrechtsausschluss in der Regel gerechtfertigt und verfassungsrecht_____________ 38) Vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 186 Rz. 31 und 35 mit einer Übersicht zum Streitstand. 39) S. zum Streitstand ausführlich Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 24 f.; gegen das Erfordernis materialer Kriterien Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 50. 40) Vgl. hierzu mit teilweise unterschiedlichen Begründungsansätzen Wimmer-Jaffé, InsO, § 225a Rz. 14; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 225a Rz. 41: Bezugsrechtsausschluss gerechtfertigt, wenn und soweit er zum Zwecke der Sanierung erforderlich ist; Brünkmans, ZIP 2014, 1857, 1862; A. Schmidt-Seibt/Westpfahl, Sanierungsrecht, § 225a Rz. 27 f. 41) Skauradszun, ZRI 2020, 625, 631; Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2234.

194

Tresselt

§7

Gestaltender Teil

lich zulässig (siehe dazu auch die Kommentierung bei § 2 Rz. 77 ff.).42) Wenn sich ein Bezugsrechtsausschluss in diesem Rahmen bewegt, bedarf er in der Regel nicht noch einer zusätzlichen gesellschaftsrechtlichen Legitimation. Selbst wenn man dies anders sehen und eine weitergehende Rechtfertigung verlangen würde, dürfte diese in der Regel zu weitgehend gleichen Ergebnissen führen. Im Einzelnen ist hierfür zwischen einer Sachkapitalerhöhung und einer Barkapitalerhöhung zu unterscheiden.

40

Bei § 225a Abs. 2 InsO hält die überwiegende Auffassung unter Verweis auf den Willen des Gesetzgebers und den verfolgten Sanierungszweck bei der Sachkapitalerhöhung einen Bezugsrechtsausschluss regelmäßig für sachlich gerechtfertigt.43) Zudem folgt bei einer Sachkapitalerhöhung die Zulässigkeit eines Bezugsrechtsausschlusses auch daraus, dass die Altgesellschafter häufig nicht Inhaber von sacheinlagefähigen Forderungen sein dürften. In diesem Zusammenhang ist es sachlich auch gerechtfertigt, Forderungen aus Gesellschafterdarlehen, die im Alternativszenario einer Insolvenz nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nur nachrangig (und damit in aller Regel wertlos) wären, nicht als sacheinlagefähige Forderungen zu berücksichtigen (siehe dazu auch schon oben unter Rz. 35). Wenn die Altgesellschafter dagegen (ausnahmsweise) Inhaber von Forderungen sind, die in einer Insolvenz nicht nachrangig wären, kann die sachliche Rechtfertigung für den Bezugsrechtsausschluss grundsätzlich auch schon darin liegen, dass der Investor bei einem Bezugsrecht für die Altgesellschafter keine Anteile übernehmen würde und der Einstieg des Investors die einzig erfolgversprechende Sanierungsoption ist.

41

Bei einer Barkapitalerhöhung ist dagegen zu unterscheiden. Soll die Barkapitalerhöhung nur dem Zweck dienen, das Grundkapital bzw. Stammkapital nach einer Kapitalherabsetzung wieder auf die Mindestkapitalziffer aufzufüllen, haben die Altgesellschafter dabei auch kein Bezugsrecht (sofern sie auch bei der parallelen Sachkapitalerhöhung kein Bezugsrecht haben). Bei der Barkapitalerhöhung handelt es sich in diesem Fall nur um eine gesetzlich zwingend erforderliche Maßnahme zur Begleitung der Sachkapitalerhöhung. Aber auch bei darüber hinausgehenden Barkapitalerhöhungen ist ein Bezugsrechtsausschluss für die Altgesellschafter grundsätzlich zulässig, wenn der Investor an der Barkapitalerhöhung nur bei einem solchen Bezugsrechtsausschluss teilnehmen würde und der Einstieg des Investors die einzige erfolgversprechende Sanierungsoption ist. Dies ist auch deshalb sachgerecht, weil die Altgesellschafter bis zur Einleitung des StaRUG-Verfahrens und sogar noch während des StaRUG-Verfahrens die Möglichkeit haben, die Sanierungssituation und drohende Zahlungsunfähigkeit durch eigene Kapitalerhöhungen oder andere Sanierungsmaßnahmen zu beseitigen. Tun sie dies nicht, ist ein Bezugsrechtsausschluss mit Blick auf die anders nicht zu beseitigende drohende Zahlungsunfähig-

42

_____________ 42) So auch Skauradszun, KTS 2021, 1, 40 ff. 43) Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 105 f.; Pleister, GWR 2013, 220, 221; Landfermann, WM 2012, 821, 828; A. Schmidt-Seibt/Westpfahl, Sanierungsrecht, § 225a Rz. 28; a. A. Brinkmann, WM 2011, 97, 100; Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 125.; Begr. RegE ESUG, BTDrucks. 17/5712, S. 32.

Tresselt

195

§7

Gestaltender Teil

keit und die durch das StaRUG vorgesehenen Schutzinstrumente auch verfassungsrechtlich unbedenklich.44) 43

Soll schließlich bei einer Sach- oder Barkapitalerhöhung nur einzelnen Altgesellschaftern ein Bezugsrecht eingeräumt werden, bedarf es auch hierfür einer sachlichen Rechtfertigung und einer Aufteilung der Altgesellschafter auf verschiedene Gruppen nach Maßgabe von § 9. Anderenfalls läge ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des § 10 vor. dd) Zustimmung der Gläubiger

44

Nach § 7 Abs. 4 Satz 2 ist eine Umwandlung von Forderungen in Anteilsrechte gegen den Willen der betroffenen Gläubiger ausgeschlossen. Mit Blick auf Art. 9 GG und der daraus folgenden negativen Vereinigungsfreiheit wäre es grundsätzlich bedenklich, wenn ein Gläubiger auch gegen seinen Willen in eine Gesellschafterrolle hineingedrängt werden könnte. Die Zustimmungserklärung der am Debt Equity Swap teilnehmenden Gläubiger ist dem Restrukturierungsplan nach § 15 Abs. 2 als Anlage beizufügen.

45

Eine Ausnahme von § 7 Abs. 4 Satz 2 sieht § 5 Abs. 3 Nr. 5 SchuldVG vor, wonach Anleihegläubiger mit Mehrheitsbeschluss auch der Umwandlung oder dem Umtausch der Schuldverschreibungen in Gesellschaftsanteile zustimmen können. Diese Bestimmung kommt nach Maßgabe von § 19 Abs. 6, 1 SchuldVG grundsätzlich auch in einem StaRUG-Verfahren zur Anwendung. Für Anleihegläubiger ist eine Umwandlung von Forderungen in Anteilsrechte gegen deren Willen auch deshalb zulässig, weil diese sich aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung des § 5 Abs. 3 Nr. 5 SchuldVG und der Anleihebedingungen auf eine solche Möglichkeit einstellen können. ee) Abfindung der Altgesellschafter

46

Nach § 7 Abs. 4 Satz 3 kann der Restrukturierungsplan auch die Zahlung von Abfindungen an ausscheidende Altgesellschafter vorsehen. Eine Abfindung wird jedoch grundsätzlich nur dann in Betracht kommen, wenn und soweit den Anteilen noch ein wirtschaftlicher Wert zukommt. Insofern bestätigt diese Regelung daher letztlich nur das Schlechterstellungsverbot für den speziellen Fall des Debt Equity Swaps. Zugleich wird dadurch noch einmal unterstrichen, dass Eingriffe in die Anteilsrechte mit Blick auf Art. 14 GG nur dann zulässig sind, wenn ein etwaiger verbleibender Wert der Anteile finanziell auch kompensiert wird. Für die Höhe der Abfindung gilt § 225a Abs. 5, d. h. es ist die Höhe zugrunde zu legen, die sich bei Abwicklung der Unternehmung ergeben würde. Auch sind Stundungen der Abfindungsbeträge und Ratenzahlungen möglich (vgl. dazu auch unten Nr. 9).

_____________ 44) Vgl. zu der ähnlichen Diskussion i. R. des § 225a Abs. 2 InsO auch A. Schmidt-Seibt/ Westpfahl, Sanierungsrecht, § 225a Rz. 30; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 26 ff.

196

Tresselt

§7

Gestaltender Teil

c) Weitere Themenkreise aa) Ausschluss der Differenzhaftung Werden Restrukturierungsforderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte an dem Schuldner umgewandelt, kann der Schuldner nach der gerichtlichen Bestätigung des Restrukturierungsplans nach § 67 Abs. 5 keine Ansprüche wegen einer Überbewertung der Forderungen im Plan gegen die bisherigen Gläubiger geltend machen. Eine Differenzhaftung nach §§ 9, 56 Abs. 2 GmbHG ist daher ausgeschlossen.

47

Die Vorschrift entspricht § 254 Abs. 4 InsO. Sie dient der Rechtssicherheit bei der Umsetzung von Debt Equity Swaps und soll zugleich die Bereitschaft der Gläubiger zur Teilnahme an einem Debt Equity Swap erhöhen. Im Rahmen eines StaRUGVerfahrens kommt als Rechtfertigung für diese Bestimmung noch hinzu, dass die Schuldnerin i. R. der Vorgaben des § 10 selbst den Kreis der einbezogenen Forderungen und den Umfang ihrer Einbeziehung bestimmen kann und dass im Unterschied zum Insolvenzverfahren auch keine Forderungsanmeldung und Forderungsfeststellung stattfindet.45)

48

bb) Zuständigkeit für die Prüfung der Werthaltigkeit der Forderungen Gesetzlich ist nicht geregelt, ob die Werthaltigkeit der einzubringenden Forderungen bei der Bestätigung des Restrukturierungsplans nach §§ 60 ff. vom Restrukturierungsgericht oder bei der Eintragung der Kapitalmaßnahmen ins Handelsregister durch das Registergericht (oder durch beide Gerichte) zu prüfen ist.46) Während die Gesetzesbegründung zum StaRUG hierzu schweigt, ging der Gesetzgeber in der Begründung des Gesetzesentwurfs zum ESUG von einer eingeschränkten Prüfungskompetenz des Registergerichts aus, das vor allem eine beurkundende Funktion haben solle, da das Insolvenzgericht das rechtmäßige Zustandekommen des Plans bereits geprüft habe.47)

49

Ähnliche Erwägungen dürften auch für das StaRUG-Verfahren gelten, so dass die Prüfungspflicht für die Werthaltigkeit der einzubringenden Forderungen in erster Linie bei dem Restrukturierungsgericht liegen dürfte. Dafür spricht auch § 67 Abs. 5, wonach der Schuldner nach der gerichtlichen Bestätigung des Restrukturierungsplans keine Ansprüche wegen einer Überbewertung der Forderungen im Plan gegen die bisherigen Gläubiger mehr geltend machen kann. Zudem erscheint es praktikabler, wenn etwaige Bedenken in Bezug auf die Werthaltigkeit noch während des StaRUG-Verfahrens mit dem Restrukturierungsgericht thematisiert werden, welches mit Blick auf die beabsichtigten Restrukturierungsmaßnahmen sachnäher ist. Sollten etwaige Einwände erst durch das Registergericht erhoben werden, wäre es für eine erfolgversprechende Sanierung häufig zu spät. Wenn man dieser Auffassung folgt, ist mit Blick auf den Kapitalaufbringungsgrundsatz und den Ausschluss der Differenzhaftung vom Restrukturierungsgericht bei der Vorprüfung (§§ 47 f.) und der Planbestätigung (§§ 60 ff.) eine sorgfältige Prüfung und Dokumentation der Wert-

50

_____________ 45) Begr. RegE SanInsFoG z. § 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 113. 46) Vgl. zu der parallelen Frage bei § 225a Abs. 2 InsO Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 44 ff. 47) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 37.

Tresselt

197

§7

Gestaltender Teil

haltigkeit zu verlangen. Die Prüfungspflicht des Registergerichts würde sich darauf beschränken, ob die Prüfung durch das Restrukturierungsgericht plausibel und eine etwaige fehlerhafte Bewertung offensichtlich ist.48) Für die Praxis ist aber zu empfehlen, auch mit dem Registergericht frühzeitig eine Vorabstimmung zu dieser Frage zu suchen. cc) Anwendung des Sanierungsprivilegs 51

Wenn ein Gläubiger nach dem Debt Equity Swap noch einen Teil seiner Forderungen behält oder nach dem Debt Equity Swap neue Darlehen gewährt, könnten bei einem Scheitern der Sanierung und einer anschließenden Insolvenz diese Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangig sein. Allerdings wird in diesem Fall in aller Regel das Sanierungsprivileg des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO zur Anwendung kommen. Wenn die Anteile im Wege eines Restrukturierungsplans übernommen werden, wird dies grundsätzlich auch zum Zwecke der Sanierung geschehen. Für die Darlegung des Sanierungszwecks muss nicht zusätzlich geprüft werden, ob die Gesellschaft nach der Einschätzung eines objektiven Dritten sanierungsfähig ist und die für die Sanierung ergriffenen Maßnahmen für eine nachhaltige Sanierung objektiv geeignet sind.49) Allerdings ist zu erwarten und empfehlenswert, diese Voraussetzungen zu prüfen und zu dokumentieren. Dies kann, muss aber nicht, unter Zuhilfenahme eines fachkundigen Dritten erfolgen. Zudem ist für die Dokumentation nicht zwingend ein Sanierungsgutachten nach Maßgabe des IDW S 6 erforderlich, häufig aber empfehlenswert.

52

Zudem ist zu beachten, dass das Sanierungsprivileg nur bis zum Zeitpunkt der nachhaltigen Sanierung der Gesellschaft zur Anwendung kommt. Auch bei einem Debt Equity Swap in einem Restrukturierungsplan wird sich daher häufig die von der Rechtsprechung noch ungeklärte und in der Literatur umstrittene Frage stellen, wann eine nachhaltige Sanierung eingetreten ist.50) dd) Kapitalmarktrechtliche Besonderheiten

53

Wenn ein Gläubiger einer börsennotierten Aktiengesellschaft durch den Debt Equity Swap die Schwelle von 30 % überschreitet, stellt sich die Frage, ob er nach § 35 Abs. 1 WpÜG zur Abgabe eines Pflichtangebots verpflichtet ist. Das Erfordernis eines Pflichtangebots findet im Grundsatz auch bei einem Anteilserwerb im Wege eines StaRUG-Verfahrens Anwendung. Zwar ist nach § 35 Abs. 3 WpÜG ein Pflichtangebot entbehrlich, wenn vorher ein Übernahmeangebot gemacht wurde. Dies dürfte bei einem Debt Equity Swap in einem Restrukturierungsplan aber unwahrscheinlich sein. Sollte der Restrukturierungsplan jedoch eine Kapitalherabsetzung

_____________ 48) So zu § 225a Abs. 2 InsO im Ergebnis auch Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 47. 49) Vgl. dazu BGH, Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 277/03, Rz. 14, ZIP 2006, 279 = NJW 2006, 1283; Baunbach/Hueck-Haas, GmbHG, Anh. § 64 Rz. 120; Eidenmüller in: MünchKommInsO, § 225a Rz. 62; Haas in: HK-InsO, § 225a Rz. 34; a. A. Scholz-Bitter, GmbHG, Anh. § 64 Rz. 125. 50) Vgl. zu dem Diskussionsstand etwa Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 225a Rz. 46 f.

198

Tresselt

§7

Gestaltender Teil

auf null vorsehen, stellt sich diese Frage nicht, da in diesem Fall die Börsenzulassung ohnehin erlischt.51) Zudem dürfte bei einem Debt Equity Swap in einem StaRUG-Verfahren in der Regel der Befreiungstatbestand des § 37 Abs. 2 WpÜG i. V. m. § 9 Satz 1 Nr. 3 der WpÜG-AngebotsVO zur Anwendung kommen. Danach kann die BaFin eine Befreiung von der Angebotspflicht erteilen, wenn der Kontrollerwerb (Überschreitung der 30 %-Schwelle) im Zusammenhang mit der Sanierung der Zielgesellschaft erfolgt ist. Da die BaFin hierbei jedoch einen Ermessensspielraum hat, ist in der Praxis zu empfehlen, frühzeitig eine Abstimmung mit ihr zu suchen.

54

Wenn es sich bei dem Schuldner um eine Aktiengesellschaft handelt, sind schließlich auch die durch den Debt Equity Swap ausgelösten aktienrechtlichen Mitteilungsund Bekanntmachungspflichten zu beachten (vgl. § 20 AktG). Bei börsennotierten Aktiengesellschaften gilt dies außerdem für die Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten gemäß §§ 21 ff., 30b WpHG.

55

6.

Übertragung der Anteilsrechte

Als weitere gesellschaftsrechtliche Maßnahme kann der Restrukturierungsplan bspw. die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte übertragen. Dies kann gegenüber einer Veräußerung des Unternehmens im Wege eines Asset Deals mehrere Vorteile haben. Insbesondere müssen so bestehende Verträge, Lizenzen oder andere Rechtsverhältnisse nicht auf einen neuen Rechtsträger übertragen werden, wofür grundsätzlich eine Zustimmung des Vertragspartners erforderlich wäre. Zudem können die an den Rechtsträger gebundenen öffentlich-rechtlichen Genehmigungen erhalten werden.

56

Fraglich ist, ob auch Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte durch einen Restrukturierungsplan übertragen werden können, wenn sie mit Rechten Dritter (z. B. mit Pfandrechten) belastet sind. Eine Übertragung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte zusammen mit der Belastung durch das Pfandrecht ist zwar stets möglich, dürfte aber selten im Interesse des Erwerbers sein (sofern dieser nicht identisch mit dem Pfandrechtsgläubiger ist). Jedenfalls bei GmbH-Anteilen ist dagegen auch bei Gutgläubigkeit ein lastenfreier Erwerb nicht möglich.52) Es stellt sich daher die Frage, ob der Restrukturierungsplan in ein bestehendes Pfandrecht eingreifen kann. Steht das Pfandrecht einem Dritten zu, der kein Gläubiger des schuldnerischen Unternehmens ist und dessen Pfandrecht sich somit nicht auf eine Restrukturierungsforderung bezieht, kann der Dritte auch nicht dem Restrukturierungsplan unterworfen werden. Eine lastenfreie Übertragung dürfte in diesem Fall nicht möglich sein.53) Wenn durch das Pfandrecht dagegen Restrukturierungsforderungen besichert sind, welche nach § 2 Abs. 1 durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden können, können die entsprechenden Gläubiger als Beteiligte in den Restrukturierungsplan einbezogen werden. Der Restrukturierungsplan kann auch gemäß § 2 Abs. 4 (der auf Downstream-Sicherheiten Anwendung findet) in das Pfandrecht eingreifen. Außer_____________

57

51) Braun-Braun/Frank, InsO, § 225a Rz. 17; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 62; Haas in: HK-InsO, § 225a Rz. 35. 52) Reichert/Weller in: MünchKomm-GmbHG, § 15 Rz. 314 m. w. N. 53) So zu dem parallelen Problem i. R. des § 225a InsO auch Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 225a Rz. 43.

Tresselt

199

§7

Gestaltender Teil

dem kann eine Freigabe des Pfandrechts als Planbedingung vorgesehen werden. Praktischer dürfte es sein, das Pfandrecht zum Erlöschen zu bringen, indem die Anteile am Schuldner in den Plan einbezogen werden und z. B. durch Einziehung oder Kapitalschnitt oder vergleichbare gesellschaftsrechtliche Maßnahmen untergehen. In diesem Fall erlischt das Pfandrecht ipso iure als Konsequenz der gesellschaftsrechtlichen Maßnahme. Die Frage der Angemessenheit der Entschädigung stellt sich in diesem Fall nicht. 58

Sollen nur die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte einzelner Gesellschafter übertragen werden, ist das Gleichbehandlungsgebot des § 10 zu beachten. Wenn eine Zustimmung derjenigen Gesellschafter, die ihre Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte übertragen sollen, daher nicht vorliegt, wird der Restrukturierungsplan für die Gesellschafter nach Maßgabe von § 9 verschiedene Gruppen bilden müssen. Eine Ersetzung der fehlenden Zustimmung einer Gruppe wird dann nur nach §§ 27 Abs. 2 Nr. 2, 28 Abs. 2 Nr. 1 möglich sein. 7.

59

Kapitalmaßnahmen

Der Restrukturierungsplan kann auch unabhängig von einem Debt Equity Swap alle gesellschaftsrechtlich zulässigen Kapitalmaßnahmen vorsehen (einzeln oder kombiniert mit anderen Kapitalmaßnahmen). Hierzu zählen vor allem die Kapitalherabsetzung und die Kapitalerhöhung, ggf. kombiniert mit einem Bezugsrechtsausschluss. a) Kapitalherabsetzung

60

Für die Kapitalherabsetzung und deren Vorteile für eine Sanierung kann im Wesentlichen auf die obigen Ausführungen verwiesen werden (siehe dazu unter Rz. 28 f.). Auch ohne einen Debt Equity Swap wird eine Kapitalherabsetzung zur Beseitigung einer Überschuldung häufig Voraussetzung dafür sein, dass Investoren anschließend (ggf. im Wege einer Kapitalerhöhung) Anteile an der Gesellschaft übernehmen. b) Kapitalerhöhung

61

Für die Kapitalerhöhung kann ebenfalls im Wesentlichen auf die obigen Ausführungen verwiesen werden (siehe dazu unter Rz. 30 ff.). Sie kann als Sachkapitalerhöhung oder Barkapitalerhöhung durchgeführt und nach Maßgabe der obigen Ausführungen mit einem Bezugsrechtsausschluss verbunden werden.

62

Bei Sachkapitalerhöhungen, die nicht in Form eines Debt Equity Swaps, sondern durch die Erbringung anderer Sacheinlagen durchgeführt werden, stellt sich die Frage, ob auch hierfür nach § 67 Abs. 5 die Differenzhaftung ausgeschlossen ist. Der Wortlaut des § 67 Abs. 5 gilt jedoch nur für den Debt Equity Swap. Für eine analoge Anwendung würde zwar sprechen, das Haftungsrisiko zum Zwecke einer bestmöglichen Sanierung auch bei anderen Sacheinlagen zu beschränken. Dagegen spricht jedoch, dass es sich bei § 67 Abs. 5 um eine Ausnahmevorschrift zum Prinzip der Differenzhaftung handelt.54) Es bleibt abzuwarten, wie sich die Diskussion entwickelt. _____________ 54) Gegen eine analoge Anwendung der parallelen Regelung in § 254 Abs. 4 InsO K. SchmidtSpliedt, InsO, § 225a Rz. 16; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 70.

200

Tresselt

§7

Gestaltender Teil

8.

Umwandlungsrechtliche Maßnahmen

Nach § 7 Abs. 4 sind auch Maßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz zulässig. Hierzu zählen vor allem Maßnahmen in Form eines Formwechsels, einer Spaltung oder einer Verschmelzung.55)

63

a) Formwechsel Der Restrukturierungsplan kann einen Formwechsel i. S. des §§ 190 ff. UmwG vorsehen. Ein Formwechsel kann z. B. dann sinnvoll sein, wenn die neue Rechtsform für die weitere Sanierung etwa steuerliche Vorteile bietet. Zudem kann Ziel eines Formwechsels eine Veränderung der Corporate Governance-Struktur und damit auch des Einflusspotentials der Gesellschafter auf den operativen Geschäftsbetrieb sein. Wenn z. B. Streitigkeiten auf Gesellschafterebene den operativen Geschäftsbetrieb und den Fortgang der Sanierung negativ beeinträchtigen, kann ein Formwechsel in eine AG sinnvoll sein, um den Einfluss der Gesellschafter auf den operativen Geschäftsbereich zu beschränken (sofern die Altgesellschafter überhaupt weiterhin an der Schuldnerin beteiligt sein sollen). Schließlich kann eine Umwandlung in eine AG durch den Restrukturierungsplan auch dann sinnvoll sein, wenn mittelfristig ein Börsengang angestrebt wird. Umgekehrt kann sich auch eine Umwandlung einer (ehemals börsennotierten) AG in eine GmbH empfehlen, wenn es nach der Umsetzung des Restrukturierungsplans nur noch einen oder einige wenige Gesellschafter geben soll.

64

§ 207 Abs. 1 UmwG kommt zwar auch bei einem Formwechsel in einem Restrukturierungsplan grundsätzlich zur Anwendung, wird aber durch die Bestimmungen des StaRUG modifiziert. Wenn demnach ein Anteilsinhaber Widerspruch gegen den Formwechsel erklärt, muss die Schuldnerin ihm den Erwerb seiner umgewandelten Anteile oder Mitgliedschaften gegen eine angemessene Barabfindung anbieten. Die Höhe der Abfindung richtet sich nach § 7 Abs. 4 Satz 6 i. V. m. § 225a Abs. 5 Satz 1 InsO. Zudem kann die Abfindung nach Maßgabe von § 7 Abs. 4 Satz 6 i. V. m. § 225a Abs. 5 Satz 2 und 3 InsO auch gestundet werden (siehe dazu noch unter Rz. 84).

65

Der Umwandlungsbericht nach § 192 UmwG kann als Anlage zum Restrukturierungsplan genommen werden. Wenn der Restrukturierungsplan selbst alle Angaben enthält, die üblicherweise in einen Umwandlungsbericht aufzunehmen sind, ist ein separater Umwandlungsbericht zudem entbehrlich.

66

b) Verschmelzung und Spaltung aa) Zulässigkeit von Verschmelzungen und Spaltungen im Restrukturierungsplan Fraglich ist, ob ein Restrukturierungsplan auch eine Verschmelzung des Schuldners mit einem anderen Rechtsträger (§§ 2 ff. UmwG) oder eine Übertragung einzelner Assets oder Geschäftsbereiche des Schuldners im Wege der Spaltung (Aufspaltung, Abspaltung, Ausgliederung, §§ 123 ff. UmwG) auf einen anderen Rechtsträger vorsehen kann. In einem Insolvenzplan sind solche Maßnahmen grundsätzlich _____________ 55) S. zu solchen Maßnahmen im Insolvenzplan u. a. die Kommentierung bei Kübler/Prütting/ Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 74 ff.

Tresselt

201

67

§7

Gestaltender Teil

möglich.56) Ein Insolvenzverfahren ist jedoch nicht zwingend auf den Erhalt des insolventen Rechtsträgers gerichtet und bezieht alle Gläubiger in das Verfahren ein. Durch ein StaRUG-Verfahren soll dagegen die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners beseitigt und dessen Bestandskraft sicher- oder wiederhergestellt werden (vgl. nur § 14 Abs. 1). Da zudem nicht zwingend alle Gläubiger in den Restrukturierungsplan einbezogen werden müssen, sieht § 90 Abs. 2 für den Fall einer Übertragung des gesamten schuldnerischen Vermögens oder wesentlicher Teile davon vor, dass die Einschränkungen der Insolvenzanfechtung nach § 90 Abs. 1 nur dann gelten, soweit sichergestellt wird, dass die Gläubiger, die nicht planbetroffen sind, sich gegenüber den Planbetroffenen vorrangig aus der Gegenleistung für die Übertragung befriedigen können. Wenn durch eine umwandlungsrechtliche Maßnahme das gesamte schuldnerische Vermögen oder wesentliche Teile übertragen werden sollen, dürfte eine solche Maßnahme mit Blick auf das anderenfalls möglicherweise bestehende Anfechtungsrisiko grundsätzlich nur dann sinnvoll sein, wenn auch die Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 erfüllt werden. Zudem muss durch eine solche Maßnahme auch beim schuldnerischen Unternehmen die drohende Zahlungsunfähigkeit beseitigt und dessen Bestandskraft sicher- bzw. wiederhergestellt werden (vgl. § 14 Abs. 1). 68

Dies bedeutet, dass Verschmelzungen eines anderen Rechtsträgers auf den Schuldner ohne weiteres zulässig sind, soweit dadurch die Zwecke des Restrukturierungsverfahrens erfüllt werden (also insbesondere die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners beseitigt und dessen Bestandskraft sicher- bzw. wiederhergestellt wird). Ebenso dürfte aber auch eine Verschmelzung des Schuldners auf einen anderen Rechtsträger im Wege eines Restrukturierungsplans zulässig sein. Zwar gehen das Vermögen und die Verbindlichkeiten des Schuldners im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den anderen Rechtsträger über und der Schuldner erlischt. Sofern der übernehmende Rechtsträger aber nicht drohend zahlungsunfähig ist (bzw. durch die Verschmelzung auch nicht drohend zahlungsunfähig wird), ist der Sanierungszweck des StaRUG grundsätzlich erfüllt und eine Befriedigung der Gläubiger nach Maßgabe des Restrukturierungsplans gewährleistet.

69

Differenzierter dürfte die Frage für Spaltungen zu beantworten sein. Ob eine Aufspaltung des Schuldners (§ 123 Abs. 1 UmwG) in einem Restrukturierungsplan zulässig wäre, erscheint zweifelhaft, da der Schuldner als übertragender Rechtsträger dadurch aufgelöst wird. Eine Abspaltung von einzelnen Geschäftsbereichen des Schuldners (§ 123 Abs. 2 UmwG) dürfte zudem nur dann zulässig sein, wenn in diesem Zuge auch die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners beseitigt wird. Der Schuldner müsste also im Zuge der Abspaltung eine hinreichende und die drohende Zahlungsunfähigkeit beseitigende Gegenleistung erhalten. Diese Gegenleistung müsste zudem nach § 90 Abs. 2 vorrangig den nicht planbetroffenen Gläubigern zukommen, um Anfechtungsrisiken im Zusammenhang mit der Abspaltung zu reduzieren. Am Relevantesten erscheint für die Praxis daher die Ausgliederung (§ 123 Abs. 3 UmwG), da der Schuldner dort selbst Anteile an dem übernehmenden Rechtsträger erhält. Diese Anteile könnten anschließend z. B. gegen einen ent_____________ 56) S. hierzu z. B. Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 78 ff.

202

Tresselt

§7

Gestaltender Teil

sprechenden Kaufpreis an einen Investor veräußert werden, soweit dadurch zugleich die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners beseitigt wird. Soweit Maßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz in diesem Rahmen zulässig sind, haben sie allerdings gegenüber einer Einzelübertragung im Wege des Asset-Deals den Vorteil, dass im Hinblick auf den ausgegliederten bzw. abgespaltenen Geschäftsbereich eine Gesamtrechtsnachfolge stattfindet. Dadurch müssen Verträge und Lizenzen nicht einzeln übertragen werden, was grundsätzlich eine Zustimmung des Vertragspartners erfordert. Auch steuerliche Vorteile lassen sich durch solche Maßnahmen u. U. erzielen. Schließlich können dadurch ggf. auch Subventionen oder Beihilfen erhalten werden.

70

Wenn die Umwandlungsmaßnahmen Gegenstand des Restrukturierungsplans sind, wird hierdurch der Umwandlungsbeschluss ersetzt (vgl. § 68). Soweit an der Umwandlungsmaßnahme auch Dritte mitwirken müssen (z. B. bei einer Verschmelzung der andere Rechtsträger bzw. dessen Gesellschafter), sind die entsprechenden Verpflichtungserklärungen dem Restrukturierungsplan nach § 15 Abs. 3 beizufügen. Werden diese Beschlüsse und sonstigen Willenserklärungen in den Restrukturierungsplan aufgenommen, gelten auch sie als in der vorgeschriebenen Form abgegeben (§ 68 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3). Ebenso können auch der Verschmelzungsbericht (§ 8 UmwG) und der Spaltungsbericht (§ 127 UmwG) als Anlage zum Restrukturierungsplan genommen werden. Enthält der Restrukturierungsplan selbst die in den Verschmelzungsbericht bzw. Spaltungsbericht aufzunehmenden Angaben, sind diese separaten Berichte entbehrlich.

71

bb) Anspruch auf Sicherheitsleistung (§ 22 UmwG) Fraglich ist auch, ob bei Verschmelzungen in einem Restrukturierungsplan die Gläubiger der an der Verschmelzung beteiligten Rechtsträger nach § 22 UmwG einen Anspruch auf Sicherheitsleistung haben. Praktisch relevant dürfte dies wohl nur für die Gläubiger der Gesellschaft sein, welche nicht Gegenstand des Restrukturierungsplans ist, da bei der Schuldnerin durch den Restrukturierungsplan die drohende Zahlungsunfähigkeit gerade beseitigt werden soll und die Befriedigungsaussichten der Gläubiger durch die Verschmelzung in der Regel gerade nicht gefährdet sind, sondern sich sogar verbessern dürften. Aber auch für die Gläubiger der nicht dem Restrukturierungsplan unterliegenden Gesellschaft dürfte es aufgrund der Sanierung in der Regel nicht gelingen, eine Gefährdung ihrer Befriedigungsaussichten glaubhaft zu machen. Sollte dies ausnahmsweise doch anders sein, dürften sie grundsätzlich auch einen Anspruch auf Sicherheitsleistung aus § 22 UmwG haben. Für die Gläubiger der Gesellschaft, welche Gegenstand des Restrukturierungsplans ist, spricht dagegen mehr dafür, dass die spezielleren Regeln des StaRUG (u. a. das Schlechterstellungsverbot) dem § 22 UmwG vorgehen und diesen verdrängen, soweit diese Gläubiger auch planunterworfen sind. Soweit die Gläubiger dagegen nicht planunterworfen sind, dürften diese grundsätzlich auch einen Anspruch auf Sicherheitsleistung geltend machen können, soweit die Voraussetzungen dafür ausnahmsweise vorliegen sollten.

Tresselt

203

72

§7

Gestaltender Teil

cc) Nachhaftung bei Spaltungen (§ 133 UmwG) 73

Nach § 133 Abs. 1 UmwG haften sämtliche an der Spaltung beteiligten Rechtsträger für einen Zeitraum von fünf Jahren für die Verbindlichkeiten des übertragenden Rechtsträgers (bzw. zehn Jahre für Pensionen). Fraglich ist, ob der Nachhaftungsanspruch aus § 133 UmwG auch dann Anwendung findet, wenn die Spaltung Gegenstand eines Restrukturierungsplans ist.

74

Bei Spaltungen in einem Insolvenzplan ist diese Frage umstritten.57) Nach der wohl überwiegenden Auffassung ist § 133 UmwG teleologisch zu reduzieren und daher bei Spaltungen in einem Insolvenzplan nicht anzuwenden. Begründet wird dies u. a. mit einer Parallelen zu § 25 Abs. 1 HGB, der bei einer Veräußerung des Unternehmens durch den Insolvenzverwalter auch nicht zur Anwendung kommt.58) Diese Begründung kann in einem StaRUG-Verfahren zwar nicht herangezogen werden, da es sich bei diesem gerade nicht um ein Insolvenzverfahren handelt (jedenfalls dann, wenn die Anwendung des § 25 Abs. 1 HGB nicht auch bei Veräußerungen im Wege eines StaRUG-Verfahrens entfällt, was ebenfalls denkbar wäre). Dennoch kann eine Nachhaftung des übernehmenden Rechtsträgers nach § 133 UmwG durch den Restrukturierungsplan ausgeschlossen werden, da dadurch auch eine Spaltung erleichtert wird, was sich zugunsten der Gläubiger auswirkt.59) Zudem spricht viel dafür, dass die Forderungen gegen den Schuldner aus der Nachhaftung gemäß § 3 Abs. 1 als (künftige) Restrukturierungsforderungen durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden können. Der Ausschluss der Haftung nach § 133 UmwG muss jedenfalls dann möglich sein, wenn ein Restrukturierungsplan vorsieht, dass alle Gläubigergruppen einbezogen werden. Die Nachhaftung beschränkt sich auch hier auf die Planquote (analog Insolvenzplan). Falls nur eine oder mehrere Gruppen (aber nicht alle denkbaren Gruppen) in den Plan einbezogen werden, kann der Ausschluss der Nachhaftung nur für die Planbetroffenen gelten, nicht aber für die Gläubiger, die dem Plan nicht unterworfen sind. Für diese ausstehenden Gläubiger könnte aber § 90 Abs. 2 (analog) angewendet werden. dd) Abfindungsangebote bei Verschmelzungen

75

Bei Verschmelzungen hat der übernehmende Rechtsträger gemäß § 29 Abs. 1 UmwG im Verschmelzungsvertrag jedem Anteilsinhaber, der gegen den Verschmelzungsbeschluss rechtzeitig formgerecht Widerspruch erhoben hat, den Erwerb seiner Anteile oder Mitgliedschaften gegen eine angemessene Barabfindung anzubieten. Gleiches gilt über den Verweis des § 125 UmwG auch bei Auf- und Abspaltungen. § 29 Abs. 1 UmwG kommt zwar auch bei einer Verschmelzung in einem Restrukturierungsplan grundsätzlich zur Anwendung, wird aber – ebenso wie § 207 Abs. 1 UmwG für den Fall der Verschmelzung – durch die Bestimmungen des StaRUG modifiziert. Wenn daher ein Anteilsinhaber Widerspruch gegen die Verschmelzung _____________ 57) S. zum Diskussionsstand Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 82 ff. 58) Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975, 977 f.; Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2552; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 358 f.; Kübler/Prütting/BorkSpahlinger, InsO, § 225a Rz. 84 – a. A. Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 128 f.; Madaus, ZIP 2012, 2133, 2137; A. Schmidt-Seibt/Westpfahl, Sanierungsrecht, § 225a Rz. 111. 59) S. dazu i. R. des § 225a InsO auch Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 84.

204

Tresselt

§7

Gestaltender Teil

erklärt, muss die Schuldnerin ihm den Erwerb seiner umgewandelten Anteile oder Mitgliedschaften gegen eine angemessene Barabfindung anbieten. Die Höhe der Abfindung richtet sich wiederum nach § 7 Abs. 4 Satz 6 i. V. m. § 225a Abs. 5 Satz 1 InsO. § 225a Abs. 5 Satz 2 und 3 InsO findet über § 7 Abs. 4 Satz 6 ebenfalls Anwendung. 9.

Änderung des Gesellschaftsvertrags; Bestellung und Abberufung

Die Änderung (oder Neufassung) des Gesellschaftsvertrags stellt ebenfalls eine gesellschaftsrechtlich zulässige Regelung i. S. v. § 7 Abs. 4 Satz 5 dar. Dies gilt sowohl für Kapitalgesellschaften wie auch für Personengesellschaften. Bei Personengesellschaften wird dabei das Einstimmigkeitsprinzip des § 119 HGB durch das Mehrheitsprinzip des § 25 überlagert. Allerdings sind von § 7 Abs. 4 Satz 5 nur echte Satzungsbestandteile erfasst. Unechte Satzungsbestandteile oder schuldrechtliche Nebenabreden zwischen den Gesellschaftern bedürfen dagegen die Zustimmung aller Gesellschafter, da es sich bei ihnen nicht um korporative Satzungsbestandteile handelt, sondern sie nur schuldrechtlich zwischen den Gesellschaftern vereinbart und lediglich äußerlich in die Satzung aufgenommen werden.60)

76

Zudem können durch den Restrukturierungsplan auch Organmitglieder abberufen und neue Organmitglieder bestellt werden.61) Dies gilt jedoch nur, soweit diese Kompetenz bei der Gesellschafterversammlung liegt. Daher kann bei einer Aktiengesellschaft der Vorstand nicht durch den Restrukturierungsplan bestellt werden, da diese Kompetenz dem Aufsichtsrat zusteht.

77

10. Prüfungskompetenz der Gerichte Gesetzlich ist nicht geregelt, ob und inwieweit bei gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen, die ins Handelsregister einzutragen sind, das Restrukturierungsgericht oder das Registergericht (oder beide Gerichte) eine Prüfungskompetenz haben (siehe zu dieser Frage speziell für die Werthaltigkeit der Forderung auch schon unter Rz. 49).62) Auch die Gesetzesbegründung zum StaRUG schweigt hierzu. In der Begründung des Gesetzesentwurfs zum ESUG ging der Gesetzgeber jedoch von einer eingeschränkten Prüfungskompetenz des Registergerichts aus, das vor allem eine beurkundende Funktion haben solle, da das Insolvenzgericht das rechtmäßige Zustandekommen des Plans bereits geprüft habe.63)

78

Die besseren Gründe sprechen dafür, die primäre Prüfungskompetenz beim Restrukturierungsgericht zu sehen. Das Restrukturierungsgericht ist in Bezug auf die im Restrukturierungsplan vorgesehenen Maßnahmen deutlich sachnäher als das Registergericht. Wenn zudem Bedenken des Gerichts gegen die Zulässigkeit der

79

_____________ 60) So für § 225a InsO auch Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 88; Haas in: HK-InsO, § 225a Rz. 5; a. A. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 225a Rz. 11. 61) So für § 225a InsO auch Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 235 ff.; Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 225a Rz. 40; Haas in: HK-InsO, § 225a Rz. 39; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 90. 62) Vgl. zu dieser Frage i. R. des § 225a auch die Darstellung des Diskussionsstands bei Kübler/ Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 64. 63) So die Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 37.

Tresselt

205

§7

Gestaltender Teil

gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen bestehen, erscheint es deutlich praktikabler, wenn solche Bedenken bereits frühzeitig und somit durch das Restrukturierungsgericht und nicht erst durch das Registergericht geäußert werden. Die Prüfungspflicht des Registergerichts sollte sich daher grundsätzlich nur darauf beschränken, ob die Maßnahme offensichtlich unzulässig ist.64) Dies würde sich i. Ü. auch weitgehend mit der zu § 225a InsO vertretenen Auffassung decken, wonach das Registergericht grundsätzlich nur solche Maßnahmen nicht eintragen darf, die nach § 241 Nr. 3 oder 4 AktG nichtig sind.65) Für die Praxis ist aber zu empfehlen, auch mit dem Registergericht frühzeitig eine Vorabstimmung zu der Eintragungsfähigkeit der beabsichtigten gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen zu suchen. 11. Ausschluss von Change-of-Control-Klauseln 80

Da § 7 Abs. 4 der insolvenzplanrechtlichen Regelung des § 225a Abs. 2 und 3 InsO nachgebildet ist, ordnet § 7 Abs. 4 Satz 6 konsequenterweise auch eine entsprechende Anwendung des § 225a Abs. 4 und 5 InsO an.

81

Nach § 225a Abs. 4 berechtigen gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in einem Insolvenz- bzw. Restrukturierungsplan nicht zum Rücktritt oder zur Kündigung von Verträgen, an denen der Schuldner beteiligt ist und führen auch nicht zu einer anderweitigen Beendigung der Verträge. Entgegenstehende vertragliche Vereinbarungen sind unwirksam. Ebenso wie für das Insolvenzplanverfahren ist diese Regelung auch für das StaRUG-Verfahren zu begrüßen. Häufig sind in Verträgen sog. Changeof-Control-Klauseln enthalten, die bei einem Gesellschafterwechsel auf Seiten des Schuldners den Vertragspartner zu einer Kündigung des Vertrags berechtigen. Wenn der Vertragspartner von solchen Kündigungsrechten Gebrauch machen könnte und dadurch wichtige Verträge des Schuldners wegfallen würden, würde dies die Sanierungsaussichten erschweren oder vereiteln. Ausgeschlossen sind nach § 225a Abs. 4 InsO daher Rücktritts- und Kündigungsgründe oder andere Vertragsbeendigungen, die aufgrund einer gesellschaftsrechtlichen Maßnahme i. S. v. § 7 Abs. 4 entstehen. Um dies zusätzlich abzusichern, erklärt § 225a Abs. 4 Satz 3 zudem entgegenstehende vertragliche Vereinbarungen für unwirksam. Nicht erfasst sind nach § 225a Abs. 4 Satz 4 dagegen Vereinbarungen, die an eine Pflichtverletzung des Schuldners anknüpfen, sofern sich diese nicht darin erschöpft, dass eine gesellschaftsrechtliche Maßnahme im Plan in Aussicht genommen oder durchgeführt wird.

82

Der Ausschluss von Rücktritts- oder Kündigungsrechten kommt grundsätzlich nur dann zur Anwendung, wenn diese ausschließlich auf dem Change of Control und nicht auf anderen (berechtigten) Gründen beruhen. Wenn es für die Vertragsbeendigung dagegen andere (berechtigte) Gründe gibt (z. B. die Übernahme des Schuldners durch einen Konkurrenten des Vertragspartners und damit ggf. verbundene Geheimhaltungsinteressen), kann die Kündigung auf solche Gründe weiterhin gestützt werden. Um den Kündigungsschutz jedoch nicht leerlaufen zu lassen, ist _____________ 64) So zu § 225a Abs. 2 InsO im Ergebnis auch Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 64. 65) AG Berlin-Charlottenburg, Beschl. v. 9.2.2015 – HRB 153203 B, ZIP 2015, 394 = NZI 2015, 415; A. Schmidt-Seibt/Westpfahl, Sanierungsrecht, § 225a Rz. 38.

206

Tresselt

§7

Gestaltender Teil

kritisch zu hinterfragen, ob es sich tatsächlich um einen berechtigten Grund zur Beendigung des Vertragsverhältnisses handelt. Neben § 7 Abs. 4 Satz 6 i. V. m. § 225a Abs. 4 InsO findet zudem auch das in § 44 geregelte allgemeine Verbot von Lösungsklauseln Anwendung, wonach die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder die Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens durch den Schuldner ohne Weiteres kein Grund für die Beendigung von Vertragsverhältnissen des Schuldners sind. Die Kündigung oder anderweitige Beendigung eines Vertragsverhältnisses durch einen Vertragspartner muss für seine Wirksamkeit also mit § 7 Abs. 4 Satz 6 i. V. m. § 225a Abs. 4 InsO und § 44 in Einklang stehen.

83

12. Regelungen zu Abfindungsansprüchen Über den Verweis in § 7 Abs. 4 Satz 6 findet auch § 225a Abs. 5 InsO Anwendung. Durch § 225a Abs. 5 Satz 1 InsO wird ein etwaiger Abfindungsanspruch der Höhe nach beschränkt, damit etwaige Abfindungsansprüche nicht zu einer die Sanierung gefährdenden Belastung des Schuldners führen.66) Wenn eine im Insolvenz- bzw. Restrukturierungsplan vorgesehene Maßnahme für eine am Schuldner beteiligte Person einen wichtigen Grund zum Austritt darstellt und von dem Austrittsrecht Gebrauch gemacht wird, soll nach dieser Bestimmung für die Höhe eines etwaigen Abfindungsanspruchs die Vermögenslage maßgeblich sein, die sich bei einer Abwicklung des Schuldners eingestellt hätte. Die Auszahlung des Abfindungsanspruches kann zudem zur Vermeidung einer unangemessenen Belastung der Finanzlage des Schuldners über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren gestundet werden, ist dann aber zu verzinsen (§ 225a Abs. 5 Satz 2 und 3).

84

Ob ein wichtiger Grund zum Austritt vorliegt, ist unabhängig von den Bestimmungen des StaRUG nach allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen.67) Zudem ist die Norm insoweit zwingend, dass abweichende Vereinbarungen, die einem Anteilsinhaber eine höhere Abfindung einräumen (z. B. im Gesellschaftsvertrag), unwirksam sind.68) Allerdings steht es dem Verfasser des Restrukturierungsplans und den Planbetroffenen grundsätzlich frei, im Restrukturierungsplan auch eine höhere Abfindung vorzusehen und zu beschließen.

85

Nach § 225a Abs. 5 soll für die Höhe eines etwaigen Abfindungsanspruches die Vermögenslage maßgeblich sein, die bei einer Abwicklung des Schuldners bestünde. Diese Regelung, die an eine Bewertung zu Liquidationswerten anknüpft, ist lex specialis zu § 6 Abs. 2 Satz 2 (analog zum Insolvenzplanrecht).

86

_____________ 66) So der Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 36. 67) So für § 225a Abs. 5 InsO auch K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 225a Rz. 43; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 225a Rz. 51. 68) So für § 225a Abs. 5 InsO auch K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 225a Rz. 58; Kübler/Prütting/ Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 97.

Tresselt

207

§8

Auswahl der Planbetroffenen

§8 Auswahl der Planbetroffenen Knapp/Wilde

1

Die Auswahl der Planbetroffenen hat nach sachgerechten Kriterien zu erfolgen, die im darstellenden Teil des Plans anzugeben und zu erläutern sind. 2Die Auswahl ist sachgerecht, wenn 1.

die nicht einbezogenen Forderungen auch in einem Insolvenzverfahren voraussichtlich vollständig erfüllt würden,

2.

die in der Auswahl angelegte Differenzierung nach der Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners und den Umständen angemessen erscheint, insbesondere, wenn ausschließlich Finanzverbindlichkeiten und die zu deren Sicherung bestellten Sicherheiten gestaltet werden oder die Forderungen von Kleingläubigern, insbesondere Verbrauchern, Kleinund Kleinstunternehmen oder mittleren Unternehmen, unberührt bleiben oder

3.

mit Ausnahme der in § 4 genannten Forderungen sämtliche Forderungen einbezogen werden.

Literatur: Korch, Restrukturierungsgesellschaftsrecht – Zur Überformung des Gesellschaftsrechts durch den StaRUG-Regierungsentwurf, NZG 2020, 1299; Thole, Der Entwurf eines Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRuG-RefE), ZIP 2020, 1985; Wilkens, Der präventive Restrukturierungsrahmen – Eine Bestandsaufnahme aus Sicht der Finanzgläubiger, WM 2021, 573. Übersicht

1

I. II. III. 1. 2.

Normzweck ........................................... 1 Normhistorie ........................................ 4 Tatbestand ............................................. 6 Sachgerechte Auswahl (Satz 1) ............ 7 Fallgruppen (Satz 2) ............................ 10 a) Nichteinbeziehung von Forderungen, die in einem Insolvenzverfahren voraussichtlich vollständig erfüllt würden (Satz 2 Nr. 1) ............................... 11

I.

Normzweck

b) Differenzierung nach Art der wirtschaftlichen Verhältnisse und Umstände des Schuldners (Satz 2 Nr. 2) ................................ 13 c) Einbeziehung sämtlicher Forderungen mit Ausnahme der in § 4 genannten Forderungen ........ 22 3. Angaben und Erläuterungen im Plan ....................................................... 23 IV. Rechtsfolge ......................................... 25

Wie von Art. 8 Abs. 1 lit. e der Restrukturierungsrichtlinie1) implizit vorausgesetzt, gewährt § 8 dem Schuldner das Auswahlermessen, eigenständig zu bestimmen, welche Gläubiger unter dem Restrukturierungsplan Beiträge zur Erreichung des Restrukturierungsziels leisten sollen und folglich vom Plan betroffen sein werden. Der Schuldner hat somit die Wahl, nicht nur „wie“, sondern auch „ob“ bestimmte _____________ 1)

208

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

Knapp/Wilde

§8

Auswahl der Planbetroffenen

Stakeholder-Gruppen einbezogen werden.2) Das Restrukturierungsverfahren unter dem StaRUG stellt sich damit – anders als das Insolvenzverfahren – als teilkollektiv dar, sodass die Wirkungen auf bestimmte Gläubiger oder Gläubigergruppen beschränkt werden können.3) Diese Flexibilität ermöglicht eine Beschränkung der Einbeziehung von Gläubigern und deren Rechtspositionen sowie deren Sanierungsbeiträgen auf ein Maß, das in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit einer Restrukturierung einhergehenden Aufwand und Ertrag steht. Dies ist nach Ansicht des Gesetzgebers insbesondere bei einer Einbeziehung von Kleingläubigern regelmäßig nicht der Fall, sodass deren Forderungen gemäß Satz 2 Nr. 2 grundsätzlich unberührt bleiben sollen.4) Im Einklang mit ErwG 46 Satz 3 der Restrukturierungsrichtlinie hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, den Maßstab einer gerichtlichen Überprüfung der Planbetroffenen eigenständig festzulegen und damit einem weitreichenden Auswahlermessen des Schuldners Einhalt zu gebieten. Nach Satz 1 hat die Auswahl der Planbetroffenen nach sachgerechten Kriterien zu erfolgen, die zur Gewährleistung voller Transparenz sodann im darstellenden Teil des Plans (§ 6) anzugeben und zu erläutern sind.5)

2

Zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Sachgerechtigkeit nennt der StaRUG-Gesetzgeber in Satz 2 Fallgruppen, in denen die Auswahl des Schuldners als sachgerecht zu erachten ist. Die Sachgerechtigkeit der Auswahlentscheidung kann auf Antrag des Schuldners i. R. des gerichtlichen Vorprüfungstermins (vgl. § 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Alt. 1), bei der Vorprüfung gemäß § 47 oder jedenfalls i. R. der Planbestätigung nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 gerichtlich überprüft werden.

3

II. Normhistorie § 8 gewährt dem Planersteller ein Auswahlermessen bei der Bestimmung der in den Restrukturierungsplan einzubeziehenden Planbetroffenen. Dieses Auswahlermessen folgt aus dem Umstand, dass es sich bei dem Restrukturierungsrahmen im Gegensatz zum Insolvenzverfahren um teilkollektive Verfahrenshilfen handelt.6) Die Restrukturierungsrichtlinie setzt ein Ermessen des Schuldners mit Blick auf die Auswahl über die Planbetroffenen in Art. 8 Abs. 1 lit. e voraus. Danach müssen Restrukturierungspläne Informationen über die Personen enthalten, die vom Restrukturierungsplan nicht betroffen sind, sowie die Gründe dafür erläutern, dass diese Personen nicht einbezogen sein sollen.7)

_____________ 2) 3)

4) 5) 6) 7)

Wilkens, WM 2021, 573, 576. Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 117; die Teilkollektivität des Verfahrens folgt bereits zwingend aus dem Umstand, dass die in § 6 genannten Forderungen nicht in den Restrukturierungsplan einbezogen werden können. In § 8 kommt eine Präferenz für rein finanzielle Restrukturierung zum Ausdruck, vgl. Thole, ZIP 2020, 1985, 1989. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 117. Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 117. S. hierzu i. E. Knapp in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 8 Rz. 21 ff.

Knapp/Wilde

209

4

§8 5

Auswahl der Planbetroffenen

Weiterhin stellt es die Restrukturierungsrichtlinie den nationalen Gesetzgebern frei, die Ausübung des Auswahlermessens durch den Planersteller einer gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen (vgl. ErwG 46 Restrukturierungsrichtlinie). Die Maßstäbe und Wertungsgesichtspunkte, anhand derer die gerichtliche Kontrolle erfolgen soll, kann der nationale Gesetzgeber entwickeln. Der deutsche Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die Ermessensentscheidung des Planerstellers an das Kriterium der Sachgerechtigkeit zu binden und hat damit die Einhaltung des Ermessensspielraums der gerichtlichen Kontrolle zugänglich gemacht.8) III. Tatbestand

6

Der in Satz 1 normierte Maßstab der Sachgerechtigkeit wird durch die Vorschrift selbst nicht erläutert. Der unbestimmte Rechtsbegriff der Sachgerechtigkeit wird jedoch durch die in Satz 2 aufgeführten Fallgruppen näher spezifiziert. Die vom Schuldner angelegten Kriterien sind ausweislich Satz 1 im darstellenden Teil des Plans (§ 6) anzugeben und zu erläutern. 1.

Sachgerechte Auswahl (Satz 1)

7

Die Kriterien, anhand derer der Schuldner die Auswahl über die Planbetroffenen trifft, können vielfältig und von unterschiedlichsten Faktoren beeinflusst sein.9) Hierzu zählen bspw. die Erfolgsaussichten von Sanierungsbeiträgen oder die Unterscheidung nach Größenordnung und Rechtsgrund der Forderung oder spezifischen Leistungsrisiken.10) Damit geht jedoch die Gefahr einher, dass der Schuldner das ihm durch das Gesetz eingeräumte Auswahlermessen missbräuchlich und manipulativ einsetzt, um gezielt Gläubigermehrheiten herbeizuführen und so die Erfolgsaussichten seines Restrukturierungsvorhabens zu steigern.11) Gemäß Satz 1 muss die Auswahl der Planbetroffenen daher auf Grundlage sachgerechter Kriterien erfolgen. Das Erfordernis gilt sowohl in Fällen, in denen der Schuldner lediglich ein einzelnes Kriterium bei der Auswahl ansetzt, als auch in solchen, in denen die Entscheidung von mehreren Kriterien beeinflusst wird. Jedes der die Auswahl leitenden Kriterien muss für sich genommen sachgerecht sein.

8

Was unter dem Begriff der Sachgerechtigkeit zu verstehen ist, definiert das Gesetz nicht. Gleichzeitig findet sich der Begriff aber auch in § 9 Abs. 2 Satz 2, der eine sachgerechte Gruppenbildung verlangt, sowie in § 28 Abs. 1, der eine Durchbrechung der absoluten Prioritätsregel aus sachgerechten Umständen als zulässig erachtet. Auch diese Vorschriften enthalten allerdings keine weiterführenden Definitionen der Sachgerechtigkeit. Erste Erkenntnisse lassen sich indes aus § 9 Abs. 2 Satz 2 ziehen, der die Parallelregelung zu § 222 Abs. 2 Satz 2 InsO darstellt.12) Im Rahmen von § 222 Abs. 2 Satz 2 InsO wird die Gruppenbildung zumindest dann als sachge_____________ 8) Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 117. 9) Vgl. zur sachgerechten Gruppenbildung i. R. des § 222 Abs. 2 InsO: Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 93, wonach sich „[d]ie zulässigen Differenzierungskriterien … nicht abschließend normieren [lassen]“, sowie Jaffé in: FK-InsO, § 222 Rz. 21. 10) Vgl. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 222 Rz. 24. 11) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 117. 12) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 118.

210

Knapp/Wilde

§8

Auswahl der Planbetroffenen

recht erachtet, wenn im konkreten Einzelfall ein objektiv sachlich gerechtfertigter Grund zur Unterscheidung von zwei oder mehreren Gruppen vorliegt.13) Im Sinne einer systematisch einheitlichen Auslegung kann daher davon ausgegangen werden, dass eine sachgerechte Auswahl der Planbetroffenen immer dann vorliegt, wenn die Entscheidung anhand eines sachlich gerechtfertigten Grundes erfolgt. Doch auch mit dieser näheren Konkretisierung gehen rechtliche Unsicherheiten für den Rechtsanwender einher. Es sollten daher keine überhöhten Anforderungen an das Kriterium der Sachgerechtigkeit gestellt werden, um das dem Schuldner eingeräumte Auswahlermessen nicht über die Gebühr einzugrenzen. Dafür lässt sich zum einen anführen, dass im Grundsatz davon ausgegangen werden kann, dass rational agierende Planbetroffene einer Planlösung nicht zustimmen würden, die ihnen im Verhältnis zu anderen unangemessene und als ungerechtfertigt erscheinende Opfer abverlangt.14) Zum anderen sind Planbetroffene über den Minderheitenschutz nach § 64 (und im Falle einer gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung nach den §§ 26 ff.) vor missbräuchlichen Entscheidungen des Schuldners geschützt. 2.

9

Fallgruppen (Satz 2)

Die Aufnahme von Fallgruppen in Satz 2 lässt das Bemühen des Gesetzgebers erkennen, den rechtlichen Unsicherheiten bei der Auslegung des Kriteriums der Sachgerechtigkeit zu begegnen. Die Vorschrift normiert Beispielsfälle, in denen die Auswahl der Planbetroffenen nach sachgerechten Kriterien erfolgt. In systematischer Hinsicht sind Satz 2 Nr. 1 und Nr. 3 von Satz 2 Nr. 2 abzugrenzen. Satz 2 Nr. 1 und Nr. 3 stellen Fallgestaltungen dar, in denen die Auswahl der Planbetroffenen in erster Linie anhand objektiver Kriterien erfolgt. Hierbei kann stets und ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der Schuldner sachgerecht von seinem Auswahlermessen Gebrauch gemacht hat.15) Bei Satz 2 Nr. 2 handelt es sich hingegen um das Einfallstor streitiger Fallgestaltungen: Die Vorschrift ersetzt den unbestimmten Rechtsbegriff der Sachgerechtigkeit durch den (letztlich ebenfalls unbestimmten) Begriff der Angemessenheit und knüpft die Sachgerechtigkeit im Kern an die jeweiligen Umstände des Einzelfalls.

10

a) Nichteinbeziehung von Forderungen, die in einem Insolvenzverfahren voraussichtlich vollständig erfüllt würden (Satz 2 Nr. 1) Gemäß Satz 2 Nr. 1 ist es sachgerecht, Forderungen, die in einem Insolvenzverfahren voraussichtlich vollständig erfüllt würden, nicht in den Plan einzubeziehen. Der Wertung der Vorschrift liegt folgender Gedanke zugrunde: Gläubigern von Forderungen, die auch im Insolvenzverfahren keine Wertverluste hinnehmen müssten,

_____________ 13) Vgl. BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 9, NZI 2015, 697, 698 = ZIP 2015, 1346; Graf-Schlicker-Kebekus/Wehler, InsO, § 222 Rz. 6; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 101. 14) Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 117. 15) Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 118.

Knapp/Wilde

211

11

§8

Auswahl der Planbetroffenen

müssen die Lasten und der Aufwand eines Restrukturierungsverfahrens nicht zwangsweise auferlegt werden.16) 12

In der Regel wird es sich bei der Frage, ob die Forderung im Insolvenzverfahren voraussichtlich vollständig erfüllt würde, um eine Entscheidung mit einer Prognoseunsicherheit handeln. Satz 2 Nr. 1 konkretisiert den Begriff „voraussichtlich“ nicht. Weiterführende Erkenntnisse lassen sich auch nicht aus den Gesetzesbegründungen zu den § 26 Abs. 1 Nr. 1 oder § 64 Abs. 1 ableiten, die beide an die Frage anknüpfen, ob Planbetroffene durch den Plan voraussichtlich schlechter gestellt werden als ohne. Es kann aber insoweit erneut auf das zur Insolvenzordnung entwickelte Begriffsverständnis zurückgegriffen werden. Einen Anknüpfungspunkt kann dabei das dem § 26 Abs. 1 Nr. 1 entsprechende Schlechterstellungsverbot i. R. des Insolvenzplans gemäß § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO bieten, wonach die Zustimmung einer dissentierenden Gruppe als erteilt gilt, wenn die Angehörigen dieser Gruppe durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechtergestellt werden, als sie ohne Plan stünden. Eine voraussichtliche Schlechterstellung soll vorliegen, wenn diese wahrscheinlicher als die Nichtschlechterstellung der Gläubiger ist, mithinein von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit auszugehen ist.17) Als Grenzwert wird hierbei eine Wahrscheinlichkeit von mindestens 50 % angeführt.18) Überträgt man diese Wertung auf Satz 2 Nr. 1, ist die Nichteinbeziehung solcher Forderungen sachgerecht, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in einem Insolvenzverfahren vollständig erfüllt werden.19) b) Differenzierung nach Art der wirtschaftlichen Verhältnisse und Umstände des Schuldners (Satz 2 Nr. 2)

13

Die Regelung des Satz 2 Nr. 2 ist stufenartig aufgebaut. Eine sachgerechte Auswahl der Planbetroffenen soll zunächst dann vorliegen, wenn die in ihr angelegte Differenzierung nach der Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners und den Umständen angemessen erscheint. Die Art der zu bewältigenden Schwierigkeiten ist maßgeblich mit der Frage verknüpft, welche Verbindlichkeiten des Schuldners restrukturierungsbedürftig sind und beurteilt sich bspw. danach, ob sich das Restrukturierungsvorhaben lediglich auf Finanzverbindlichkeiten oder solche aus dem operativen Geschäftsbetrieb des Schuldners bezieht. Die Abgrenzung zu der Frage, ob die Auswahl nach den Umständen angemessen erscheint, kann nicht trennscharf gezogen werden. Grundsätzlich handelt es sich hierbei um alle für das Restrukturierungsvorhaben relevanten Tatsachen des Einzelfalls, die nicht bereits zu der Art der zu bewältigenden Schwierigkeiten des Schuldners gehören. _____________ 16) So auch Tasma in: Flöther, StaRUG, § 8 Rz. 9. 17) Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 42; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 245 Rz. 9; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 245 Rz. 7. 18) Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 42; vgl. auch zur Wahrscheinlichkeit der drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 Abs. 2 InsO: Kuleisa in: A. Schmidt, Sanierungsrecht, § 18 Rz. 71; Gundlach in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-Hdb., § 6 Rz. 20. 19) Tasma in: Flöther, StaRUG, § 8 Rz. 10; zu § 26 Abs. 1 Nr. 1 s. Knapp in: Flöther, StaRUG, § 26 Rz. 8 ff.; a. A. Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 8 Rz. 13, der eine voraussichtliche vollständige Erfüllung allenfalls im Falle von unechten Masseverbindlichkeiten wie namentlich dem § 55 Abs. 4 InsO annehmen will.

212

Knapp/Wilde

§8

Auswahl der Planbetroffenen

Umfasst sind bspw. die Professionalität der Gläubiger oder das Volumen der Forderungen. Zwecks Konkretisierung der vorherigen Wertungsfragen nennt Satz 2 Nr. 2 sodann Beispielsfälle, in denen die Angemessenheit nach der Vorstellung des Gesetzgebers gegeben sein soll. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn entweder ausschließlich Finanzverbindlichkeiten und die zu deren Sicherung bestellten Sicherheiten einbezogen werden oder aber Forderungen von Kleingläubigern, insbesondere Verbrauchern, Klein- oder Kleinstunternehmen oder mittleren Unternehmen nicht in den Plan einbezogen werden.

14

Durch Satz 2 Nr. 2 wird zunächst eine Beschränkung auf Finanzverbindlichkeiten als grundsätzlich zulässig hervorgehoben, die aus mehreren Gründen angemessen sein kann.20) Eine solche Beschränkung entspricht auch der Praxis vorinsolvenzlicher Restrukturierungen, die sich regelmäßig auf die Gruppen der Finanzgläubiger beschränken.21)

15

Finanzverbindlichkeiten sind insbesondere solche, die aus einem Kreditgeschäft resultieren. Eine Legaldefinition findet sich in § 1 KWG nicht; nach dem allgemeinen Sprachgebrauch umfasst der Begriff jedoch alle verzinslichen Verpflichtungen. Maßgeblich für die Einordnung der Forderung als Finanzverbindlichkeit ist lediglich die Qualifikation der Forderung selbst, sodass ein Gläubigerwechsel, bspw. infolge eines Factoring, hierfür unerheblich ist. Die typischerweise in diesen Gläubigergruppen vorhandene Expertise und Erfahrung helfen, die im Plan bereitgestellten Informationen umfassend auszuwerten und zu interpretieren und ihren Interessen im Restrukturierungsprozess wirkungsvoll Geltung zu verschaffen.22) Eine Beschränkung auf Finanzverbindlichkeiten liegt überdies gerade dann nahe, wenn ein Unternehmen mit funktionierendem operativen Geschäftsmodell allein aufgrund seines hohen Verschuldungsgrades in Schieflage gerät.23)

16

Für die Erfolgsaussichten der Restrukturierung kann es aus Schuldnersicht vorteilhaft und wünschenswert sein, den operativen Geschäftsbetrieb von jedweden Friktionen freizuhalten, die mit der Einbeziehung von Forderungen von z. B. Kunden und Lieferanten einhergehen.24) Eine Einbeziehung würde nicht zuletzt auch mit einer längeren Verhandlungsdauer, einem erhöhten Beratungsbedarf und zusätzlichen Transaktionskosten einhergehen.25) Die Einbeziehung von Kunden, Lieferanten und anderen Geschäftspartnern hingegen droht das operative Geschäft des Unternehmens zu beeinträchtigen und sich potenziell wertvernichtend auszuwirken.26) Wenn überdies der Beitrag der Nicht-Finanzgläubiger in Relation zu den Finanz-

17

_____________ 20) Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 118. 21) Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 118. 22) Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 118; Braun-Böhm, StaRUG, § 8 Rz. 8. 23) Vgl. auch Tasma in: Flöther, StaRUG, § 8 Rz. 13. 24) Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 118. 25) Zutreffend Tasma in: Flöther, StaRUG, § 8 Rz. 14. 26) Vgl. für den Insolvenzplan Schmittmann in: Henning/Lackmann/Rein, Privatinsolvenzen, § 222 Rz. 19, wonach „[v]on Kleingläubigern … oftmals ein besonders hohes Störpotenzial [ausgeht]“.

Knapp/Wilde

213

§8

Auswahl der Planbetroffenen

verbindlichkeiten verhältnismäßig gering erscheint, würde sich eine Einbeziehung häufig zum Nachteil aller auswirken. 18

Fraglich ist, ob der Gesellschafter zwingend in den Restrukturierungsplan einbezogen werden muss. Sofern in das Mitgliedschafts- bzw. Anteilsrecht nicht unmittelbar eingegriffen wird, könnte sich eine Betroffenheit bspw. bei GmbH-Gesellschaftern aus der Weisungsgebundenheit und Abberufungsmöglichkeit der verhandelnden Geschäftsleiter ergeben.27) Ob bereits aus dem Gesellschaftsverhältnis stets eine Planbetroffenheit resultiert, ist eine grundsätzliche, bei § 7 Abs. 1 zu verortenden Frage (siehe § 7 Rz. 8). Im Rahmen des § 8 stellt sich aber die Frage, ob die Nichteinbeziehung der Gesellschafter stets zu einer nicht sachgerechten Auswahl führt. Man könnte sich durchaus auf den Standpunkt stellen, dass eine Einbeziehung von Finanzgläubigern ohne gleichzeitige Einbeziehung der (nachrangigen) Gesellschafter nicht sachgerecht ist, weil hiermit den vorrangigen Finanzgläubigern Opfer abverlangt würden, während die Gesellschafter von Eingriffen verschont bleiben, obwohl sie von den Beiträgen der Finanzgläubiger profitieren.28) Diese Überlegung zeigt zwar, dass eine Einbeziehung der Gesellschafter regelmäßig nicht unsachgerecht sein sollte. Umgekehrt setzt § 8 die Einbeziehung der Gesellschafter aber auch nicht zwingend voraus. Vielmehr stellt § 8 fest, dass die ausschließliche Einbeziehung von Finanzgläubigern stets sachgerecht ist. Gegen eine zwingende Einbeziehung der Gesellschafter spricht neben der mangelnden gesetzlichen Anordnung, dass die Gläubiger bereits ausreichend allgemein über § 64 und im Fall einer gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung über die absolute Prioritätsregel in § 26 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 27 Abs. 1 Nr. 2 vor Wertzuweisungen zugunsten der Gesellschafter geschützt sind. Darüber hinaus werden rational agierende Gläubiger keinen Restrukturierungsplan mit den erforderlichen Mehrheiten unterstützen, der eine nicht zu rechtfertigende Besserstellung der Gesellschafter vorsieht. Insgesamt bleibt somit zu konstatieren, dass weder die Einbeziehung der Gesellschafter noch deren Nichteinbeziehung die Auswahl zwingend unsachgerecht macht.29)

19

Neben der Einbeziehung sämtlicher Finanzgläubiger hebt der Gesetzgeber die Nichteinbeziehung der Kleingläubiger explizit als angemessen hervor. Bei Kleingläubigern handelt es sich in der Regel um kleine und mittlere Unternehmen, Freiberufler oder gar Verbraucher, die mit verhältnismäßig niedrigem Forderungsvolumen an einer Restrukturierung des Schuldners teilnehmen. Restrukturierungsbeiträge, die von derartigen Gläubigern erwartet werden können, bleiben häufig hinter denjenigen zurück, die Großgläubiger leisten.30) Ihnen fehlt nicht selten die Expertise und Erfahrung in Restrukturierungs- und Finanzangelegenheiten, die für die wirtschaftliche Einordnung des Planangebots notwendig sind. Der Ertrag, der mit einer Restrukturierung einhergeht, steht häufig in einem groben Missverhältnis zu dem von _____________ 27) Korch, NZG 2020, 1299, 1300. 28) Diesen Gedanken ebenfalls aufgreifend Korch, NZG 2020, 1299, 1301. 29) Ebenso AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZIP 2021, 806, 807, nach dem § 8 StaRUG eine Planbetroffenheit von Anteilseignern bzw. Eingriffe in Anteilsrechte oder nachrangige Gesellschafterdarlehen nicht erfordert. 30) Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 118.

214

Knapp/Wilde

§8

Auswahl der Planbetroffenen

diesen Gläubigern getätigten Aufwand.31) Sollten Nichtfinanzgläubiger durch den Plan betroffen sein, wird von Amts wegen daher regelmäßig ein Restrukturierungsbeauftragter zu bestellen sein (§ 73 Abs. 2), der als vermittelnde und koordinierende Instanz den Interessen und Rechten der betroffenen Gläubiger Geltung und der möglichweise unzureichenden Expertise Abhilfe verschafft.32) Gleichzeitig führen diese Erwägungen aber nicht dazu, dass die Einbeziehung von Kleingläubigern in den Plan stets unsachgemäß ist. So wäre durchaus denkbar, dass es sich bei dem Schuldner selbst um ein Kleinunternehmen handelt. Unter dessen Gläubigern befinden sich sodann naturgemäß andere Kleinunternehmer oder gar Verbraucher, deren Sanierungsbeiträge essenziell zum Erfolg der Restrukturierung beitragen können.33) Überdies kann nicht ausnahmslos davon ausgegangen werden, dass insbesondere Kleingläubigern die Professionalität fehlt, einen verkraftbaren und produktiven Beitrag zur Restrukturierung zu leisten. Die Professionalität eines Gläubigers bestimmt sich nicht nach dem Forderungstyp oder Forderungsvolumen, sondern nach den Kenntnissen, Erfahrungen und Eigenschaften des Forderungsinhabers und nach dessen Geschäftsbetrieb. Denkbar wäre so z. B. auch, dass Lieferantenforderungen von professionellen Gläubigern aufgekauft wurden.34)

20

Zudem sollte aber auch größeren Schuldnern nicht in jedem Fall die Möglichkeit verwehrt bleiben, Forderungen kleineren Umfangs den Planwirkungen zu unterwerfen. Hier greifen durchaus dieselben Erwägungen: Sieht sich der Schuldner mehrheitlich mit Forderungen von Kleingläubigern konfrontiert, so wird die Höhe des Entschuldungspotenzials und damit der Ausgang der Restrukturierung maßgeblich von deren Mitwirkung beeinflusst. Wie von Satz 2 Nr. 2 vorausgesetzt, sind bei der Frage der sachgerechten Auswahl der Planbetroffenen daher stets die Umstände des Einzelfalls zu begutachten. Ob diese ausreichend Berücksichtigung gefunden haben, unterliegt gerichtlicher Prüfung (siehe Rz. 25 ff.).

21

c) Einbeziehung sämtlicher Forderungen mit Ausnahme der in § 4 genannten Forderungen Gemäß Satz 2 Nr. 3 ist die Auswahl der Planbetroffenen sachgerecht, wenn sämtliche Forderungen des Schuldners in den Plan einbezogen werden. Das Auswahlermessen kann sich damit auf alle nach § 2 gestaltbaren Rechtsverhältnisse beziehen. Ausgenommen sind hingegen die in § 4 genannten Forderungen und damit solche von Arbeitnehmern aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, deliktische Forderungen sowie die aus § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Eine missbräuchliche Auswahl der Planbetroffenen ist ausgeschlossen, wenn alle gestaltbaren Forderungen in den Plan einbezogen werden. Zu einer unangemessenen Ungleichbehandlung der Gläubiger wird es sodann nicht kommen.35) Die Einbeziehung sämtlicher Forderungen dürfte in der Praxis hingegen nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen. _____________ 31) 32) 33) 34) 35)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 118. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 73 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 170 f. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 118. Vgl. Tasma in: Flöther, StaRUG, § 8 Rz. 16. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 118.

Knapp/Wilde

215

22

§8 3.

Auswahl der Planbetroffenen

Angaben und Erläuterungen im Plan

23

Die mit dem Plan verbundenen Eingriffe in Gläubigerrechte werden regelmäßig auf Widerstand stoßen. Eine mögliche Ablehnung des Plans resultiert nicht nur aus der fehlenden Akzeptanz für Eingriffe in ihre Rechtspositionen. Planbetroffene werden insbesondere dann Skepsis hegen, wenn andere, ggf. ähnlich gestellte Beteiligte unter dem Plan verschont bleiben.36) Der Schuldner hat daher gemäß Satz 1 die Kriterien, anhand derer er sein Ermessen ausgeübt hat, im darstellenden Teil des Plans (§ 6) anzugeben und zu erläutern. Zu beachten sind hierbei die konkretisierenden Vorgaben aus Nr. 3 und 5 der Anlage zum Gesetz. Nähere Erläuterungen können zwar durchaus entbehrlich sein, wenn die Auswahlkriterien auf der Hand liegen,37) dem Schuldner ist aber dennoch dazu zu raten, nicht auf konkrete und nachvollziehbare Erläuterungen zu verzichten.

24

Das Erfordernis, die Kriterien im Plan anzugeben, trägt maßgeblich zur Transparenz i. R. der Auswahl der Planbetroffenen bei.38) Überdies fungiert die schriftlich verfestigte Transparenz als Hemmnis für den Schuldner, entsprechende Mehrheiten für die Planzustimmung in missbräuchlicher und manipulativer Weise herbeizuführen.39) Den betroffenen Gläubigern wird durch die Regelung ermöglicht, die Konsequenzen des Plans zu erkennen und zu bewerten und auf dieser Grundlage ihre Entscheidung zur Zustimmung oder Ablehnung des Plans zu treffen. Die Angaben dienen in gleichem Maße dem Gericht dazu, über die Bestätigung oder Versagung des Plans i. R. des § 63 Abs. 1 Nr. 2 zu urteilen. IV. Rechtsfolge

25

Vor der gerichtlichen Planbestätigung i. S. der §§ 60 ff. ist eine gerichtliche Prüfung der Auswahl der Planbetroffenen nur auf Antrag des Schuldners möglich. Diese erfolgt entweder i. R. des Vorprüfungstermins (vgl. § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1) oder bei der Vorprüfung i. S. des § 47. Die Auswahlentscheidung des Schuldners wird spätestens aber bei der gerichtlichen Planbestätigung gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2 von Amts wegen überprüft.

26

Die gerichtliche Überprüfung erfolgt anhand des von § 8 festgesetzten Maßstabs der Sachgerechtigkeit. Naturgemäß wird die Auswahl der Planbetroffenen durch den Schuldner sowohl durch objektive als auch subjektive Einschätzungen geprägt sein. In den Fällen des Satz 2 Nr. 1 und 3 erfolgt die sachgerechte Auswahl der Planbetroffenen zunächst anhand objektiver Abgrenzungskriterien, welche von dem Gericht in vollem Umfang überprüfbar sind. Im Fall des Satz 2 Nr. 1 impliziert die Ermessensentscheidung zusätzlich aber auch subjektive Bewertungen des Planerstellers, indem die Vorschrift an eine Prognoseentscheidung des Schuldners _____________ 36) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 117. 37) Vgl. beispielhaft zu einer Gruppenbildung im Insolvenzplan, bei der sämtliche Arbeitnehmerforderungen der Arbeitnehmer und der Bundesagentur für Arbeit zusammengefasst wurden: BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 20, NZI 2015, 697, 699 f. = ZIP 2015, 1346. 38) Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 117. 39) Vgl. zum Transparenzgebot des § 222 Abs. 2 Satz 3 InsO: Jaeger-Jaeger, InsO, § 222 Rz. 117.

216

Knapp/Wilde

§8

Auswahl der Planbetroffenen

anknüpft (siehe Rz. 12). Im Fall des Satzes 2 Nr. 2 basiert die Auswahl der Planbetroffenen hingegen ganz überwiegend auf einer subjektiven Einschätzung. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die Norm den unbestimmten Rechtsbegriff der Sachgerechtigkeit durch den (ebenfalls unbestimmten) Begriff der Angemessenheit ersetzt (siehe Rz. 10). Inwieweit das Gericht bei der Überprüfung der Sachgerechtigkeit an die subjektiven Einschätzungen des Schuldners i. R. der Fälle des Satzes 2 Nr. 1 oder Nr. 2 gebunden ist oder eigene Erwägungen heranziehen darf oder gar muss, erscheint fraglich. Die gerichtliche Kontrolle steht im Konflikt mit dem von § 8 grundsätzlich eingeräumten Auswahlermessen des Schuldners. Würden zu hohe Anforderungen an das Kriterium der Sachgerechtigkeit gestellt, drohte das dem Schuldner eingeräumte Ermessen unterlaufen zu werden. Vor diesem Hintergrund spricht viel dafür, dass die subjektiven Erwägungen und Schlüsse des Schuldners vom Gericht lediglich auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen sind. Aus dieser Überlegung lassen sich für die gerichtliche Überprüfbarkeit folgende Rückschlüsse ziehen:

27

Nach Satz 2 Nr. 1 ist die Auswahl der Planbetroffenen immer dann sachgerecht, wenn die nicht einbezogenen Forderungen auch in einem Insolvenzverfahren voraussichtlich vollständig erfüllt würden. Die Frage nach der voraussichtlich vollständigen Erfüllung stellt sich letztlich immer als eine Prognoseentscheidung des Schuldners dar. Dieser Prognose liegen zunächst zwar unweigerlich objektive Erwägungen zugrunde. Ob diese vom Schuldner richtig angesetzt wurden oder nicht, ist in vollem Umfang von dem Gericht überprüfbar. Gleichzeitig impliziert die Entscheidung im Fall des Satzes 2 Nr. 1 aber, dass der Schuldner auch subjektive Kriterien bei der Auswahl der Planbetroffenen angesetzt hat. Die Frage nach der voraussichtlich vollständigen Erfüllung knüpft maßgeblich an die Bewertung der Eintrittswahrscheinlichkeit zukünftiger (ungewisser) Ereignisse an und ist Ausdruck der persönlichen Erwartungen des Schuldners hinsichtlich der Entwicklung seines Geschäftsbetriebs. Das Gericht wird sich in gewissem Umfang auf die im Zuge der Auswahlentscheidung getroffenen Annahmen und Prognosen des Planerstellers verlassen müssen. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich bei der Überprüfung der subjektiven Kriterien daher auf die Plausibilität anhand der ihm vorliegenden Erkenntnisse und objektiven Fakten.

28

Im Fall von Satz 2 Nr. 2 wird die Bedeutung subjektiver Erwägungen des Schuldners einmal mehr ersichtlich. Die Vorschrift knüpft daran an, dass die in der Auswahl der Planbetroffenen angelegte Differenzierung nach Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners und den Umständen angemessen erscheint. Satz 2 Nr. 2 billigt dem Schuldner demnach ausdrücklich zu, die Auswahl der Planbetroffen einer subjektiven Bewertung zu unterziehen und die Angemessenheit der Auswahl eigenständig zu beurteilen. Die gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit beschränkt sich auch hierbei auf die Plausibilität der Annahmen des Schuldners.

29

Die unter Satz 2 Nr. 3 getroffene Auswahl des Schuldners ist rein objektiver Natur. Indem die Vorschrift daran anknüpft, dass sämtliche gestaltbare Rechtsverhältnisse mit Ausnahme der in § 4 genannten Forderungen in den Plan einbezogen werden, wird die Entscheidung des Schuldners nicht durch weitere subjektive

30

Knapp/Wilde

217

§9

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

Erwägungen und Kriterien beeinflusst. Das Gericht kann in diesem Fall vollumfänglich überprüfen, ob sämtliche gestaltbare Forderungen in den Plan einbezogen sind. Nur wenn dies (objektiv) der Fall ist, ist die Fallgruppe nach Satz 2 Nr. 3 einschlägig und somit die Auswahl als sachgerecht anzusehen. 31

Nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 hat das Gericht die Bestätigung des Plans zu versagen, wenn dieser wesentliche Mängel aufweist. Zur Frage der Wesentlichkeit des Mangels kann auf das insolvenzrechtliche Begriffsverständnis i. R. der parallel ausgestalteten Regelung des § 250 Nr. 1 InsO zurückgegriffen werden. Hiernach ist der Mangel immer dann wesentlich, wenn er auf die Annahme des Plans durch die Planbetroffenen Einfluss gehabt haben könnte.40) Es wird davon auszugehen sein, dass Verstöße gegen die Auswahl der Planbetroffenen schon bereits deshalb als wesentlich erachtet werden müssen, weil im Falle einer nicht sachgerechten Einbeziehung von Gläubigern immer zugleich andere Gläubiger über den Plan abgestimmt hätten. § 63 Abs. 1 Nr. 2 eröffnet dem Schuldner aber gleichzeitig die Möglichkeit, den Mangel innerhalb einer angemessenen, vom Gericht gesetzten Frist zu beheben. Dies ist dann möglich, wenn eine Wiederholung der Auswahl der Planbetroffenen durch eine Neuvornahme oder Nachbesserung erfolgen kann, ohne dass hierbei ein vorgelagerter Verfahrensabschnitt wiederholt werden müsste.41) Stellt das Gericht i. R. einer Vorprüfung einen wesentlichen Mangel fest, kann der Schuldner grundsätzlich nachträglich die Einbeziehung anpassen. Stellt das Gericht einen solchen Mangel hingegen erst im Zuge der Planbestätigung nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 fest, ist eine Behebung des Mangels innerhalb einer gesetzten Frist demgegenüber aussichtslos, da infolge der Neuauswahl auch eine neue Abstimmung über den Plan zu erfolgen hätte. _____________ 40) Vgl. BGH, Beschl. v. 13.10.2011 – IX ZB 37/08, Rz. 11, ZIP 2012, 187, 188; Kübler/ Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 250 Rz. 10. 41) Vgl. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 39.

§9 Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen Kowalewski/Praß

(1) 1Bei der Festlegung der Rechte der Planbetroffenen im Restrukturierungsplan sind Gruppen zu bilden, soweit Planbetroffene mit unterschiedlicher Rechtsstellung betroffen sind. 2Es ist zu unterscheiden zwischen 1.

den Inhabern von Absonderungsanwartschaften,

2.

den Inhabern von Forderungen, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als nicht nachrangige Insolvenzforderungen geltend zu machen wären, nebst darauf entfallender Zinsen und Säumniszuschläge (einfache Restrukturierungsgläubiger),

3.

den Inhabern von Forderungen, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach § 39 Absatz 1 Nummer 4, 5 oder Absatz 2 der Insolvenzordnung als nachrangige Insolvenzforderungen anzumelden wären (nachrangige Restrukturierungsgläubiger), wobei für jede Rangklasse eine Gruppe zu bilden ist, und

4.

den Inhabern von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten.

218

Kowalewski/Praß

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

§9

3

Sieht der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans Eingriffe in die Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten vor, bilden die davon betroffenen Gläubiger eigenständige Gruppen.

(2) 1Die Gruppen können nach Maßgabe wirtschaftlicher Interessen in weitere Gruppen unterteilt werden. 2Sie müssen sachgerecht voneinander abgegrenzt werden. 3Die Kriterien für die Abgrenzung sind im Plan anzugeben. 4Kleingläubiger sind im Rahmen der nach Absatz 1 zu bildenden Gruppen zu eigenständigen Gruppen zusammenzufassen. Literatur: Bork, Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nach § 29 StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 38; Bork, Präventive Restrukturierungsrahmen: „Komödie der Irrungen“ oder „Ende gut, alles gut“?, ZIP 2017, 1441; Carli/Weissinger, Das Scheme of Arrangement: Neue Einsatzmöglichkeiten für deutsche Kreditnehmer, DB 2014, 1474; Dammann, Der Vorschlag der Kommission für vorinsolvenzliche Restrukturierung und Auswirkung auf den Gläubigerschutz (Stufie auf Antrag des Rechtsausschusses (JURI), v. 10.9.2016, abrufbar unter https://www.europarl.europa.eu/ thinktank/de/document.html?reference=IPOL_STU%282017%29583155 (Abrufdatum: 25.8.2021); de Bruyn/Ehmke, StaRUG & InsO: Sanierungswerkzeuge des Restrukturierungs- und Insolvenzverfahrens, NZG 2021, 661; Eidenmüller, Contracting for a European Insolvency Regime, EBOR Vol. 18/2017, Issue 2, S. 273; Epeoglou, Comments on Commission’s Proposal for a Directive on Preventive Restructuring Frameworks and Second Chance for Entrepreneurs: The Third Step to the European Cross-border Insolvency Saga, Int. Corp. Rescue, Vol. 14/2017, Issue 1, S. 4; Fischer, Steuerrechtliche Implikationen des StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 69; Freitag, Grundfragen der Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen und ihre Umsetzung in das deutsche Recht, ZIP 2019, 541; Fritz, Die Restrukturierungsrichtlinie – vom Mut, die Möglichkeit der Sanierung rechtzeitig zu nutzen, BB Heft 10/2019, I; Göpfert/Giese, Die Arbeitnehmer im Gefüge des StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 55; Grau/Pohlmann/Radunz, Erste Praxiserfahrungen mit dem StaRUG, NZI 2021, 522; Hölzle, Präventiver Restrukturierungsrahmen – Beitrag zu einer Verbesserung der Restrukturierungskultur in Europa und ergänzende Sanierungsoption oder „Schlachtbank“ für die Motive des ESUG?, ZIP 2017, 1307; Kaltmeyer, Der Insolvenzplan als Sanierungsmittel des Schuldners – Unter Berücksichtigung des EGInsOÄndG v. 19.12.1998 (Teil I), ZInsO 1999, 255; Keller, Der Gesellschafter im Insolvenzplanverfahren, BB 2020, 2435; Krohn, Rethinking Priority: The dawn of the relative priority rule and the new „best interests of creditors“ test in the European Union, Stand: 24.6.2020 (zit.: Krohn, Rethinking Priority), abrufbar unter https://ssrn.com/abstract=3554349 (Abrufdatum: 25.8.2021); Lange/Swierczok, Neues aus Brüssel: Der finale Text der Restrukturierungsrichtlinie lässt grüßen!, BB 2019, 514; Lauscher/Weßling/Bange, Muster-Insolvenzplan, ZInsO 1995, 5; Lupi, The Proposed EU Directive on Preventive Restructuring Frameworks, Int. Corp. Rescue, Vol. 14/2017, Issue 5, S. 356; Lürken, Das StaRUG aus schuldverschreibungsrechtlicher Sicht, ZIP 2021, 1305; Madaus, Die Vorgaben der EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen an den deutschen Gesetzgeber – Handlungsspielräume und – grenzen, DB 2019, 592; Sax/Ponsek/Swierczok, Ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren für europäische Unternehmen, BB 2017, 323; Schluck-Amend, Vorinsolvenzliche Unternehmenssanierung – Richtlinienentwurf der EU-Kommission als Chance, ZRP 2017, 6; Schmidt, K., Debt-to-Equity-Swap bei der (GmbH & Co.-)Kommanditgesellschaft – ESUG, „Sanieren oder Ausscheiden“ und vor allem: Fragen über Fragen!, ZGR 2012, 566; Schmidt, K., Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen durch Mamahmen der Unternehmen-, Arbeits-, Sozial- und Isolvenzrechts, in: Verhadlungen zum 54. DJT, Bd. I, 1982, Teil D 98; Smid, Zugang von KMU zum StaRUG?, NZG Beilage Heft 5/2021, S. 64; Smid, Kontrolle der sachgerechten Abgrenzung von Gläubigergruppen im Insolvenzplanverfahren (§§ 231 Abs. 1 Nr. 1, 222 Abs. 2 InsO), InVo 1997, 169; Spahlinger,

Kowalewski/Praß

219

§9

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

Gruppen, Stimmrechte und erforderliche Mehrheiten, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32; Stahlschmidt, Die Möglichkeiten des neuen Sanierungsrechts anhand eines Fallbeispiels, ZInsO 2021, 205; Thole, Der Richtlinienentwurf zum präventiven Restrukturierungsrahmen, ZIP 2017, 101; Vallender, Zwingt Brüssel Deutschland zum Handeln? Richtlinienentwurf der EU-Kommission für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren, IWRZ 2017, 51; Westpfahl, Die Risiken der Banken im vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 49; Westpfahl, Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren, ZGR 2010, 385; Westpfahl/Dittmar, Die Behandlung gruppeninterner Sicherheiten im StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 46. Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017 zum EU-Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 4/2017, ZIP 2017, 789 (zit.: BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017, v. 4/2017), abrufbar unter https:// www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2017/ april/stellungnahme-der-brak-2017-21.pdf; DK, Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, COM(2016) 723 final v. 22.11.2016, v. 14.11.2018, abrufbar unter https://die-dk.de/media/files/181114_DK_SN-Restrukturierungsrahmen.pdf; Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme des Gravenbrucher Kreises zu den Regelungen der Europäischen Kommission vom 22. November 2016 über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 28.2.2017 (zit.: Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 28.2.2017), abrufbar unter https:// www.gravenbrucher-kreis.de/2017/03/01/gravenbrucher-kreis-reicht-stellungnahme-zumrichtlinienvorschlag-%C3%BCber-pr%C3%A4ventive-restrukturierung-bei-der-europ%C3%A4ischen-kommission-ein/. (Abrufdatum jeweils 25.8.2021). Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 4 1. Entstehungsgeschichte von Art. 9 der Restrukturierungsrichtlinie ............ 5 2. Vorgaben zur Gruppeneinteilung durch die Restrukturierungsrichtlinie ..... 8 a) Kriterium des gemeinsamen Interesses ........................................ 9 b) Durch die Richtlinie verbindlich vorgegebene Klassen ............. 11 c) Überprüfbare Kriterien ............... 17 d) Einklang mit nationalem Recht .... 18 3. Entstehungsgeschichte der deutschen Umsetzung ........................ 20 III. Rechtsvergleich mit Großbritannien und den Niederlanden .............. 22 IV. Überblick zumTatbestand ................. 27 V. Gesetzessystematik und allgemeine Grundsätze .............................. 28 VI. Pflichtgruppen (Abs. 1) ..................... 31 1. Inhaber von Absonderungsanwartschaften (Abs. 1 Satz 2 Nr. 1) ............ 32 2. Einfache Restrukturierungsgläubiger (Abs. 1 Satz 2 Nr. 2) ..................... 39 3. Nachrangige Restrukturierungsgläubiger (Abs. 1 Satz 2 Nr. 3) ........... 42 4. Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten (Abs. 1 Satz 2 Nr. 4) ........................................ 43

220

5.

Abschließende Aufzählung von Gläubigern mit unterschiedlicher Rechtsstellung ..................................... 47 VII. Sonstige Vorgaben zur Gruppenbildung ................................................ 48 1. Eingriff in Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten (Abs. 1 Satz 3) .......................... 49 2. Eigenständige Gruppe für Kleingläubiger (Abs. 2 Satz 4) ..................... 51 3. Keine Einteilung aufgrund des Zusammenhangs mit staatlichen Leistungen aufgrund der COVID-19 Pandemie (§ 7 S. 1 COVInsAG) ......... 56 VIII. Möglichkeit der Unterteilung in weitere Gruppen (Abs. 2 Satz 1 – 3) ............................................. 58 1. Kriterien der Gruppenbildung (Abs. 2 Satz 1 und 2) ........................... 62 a) Gleichartige wirtschaftliche Interessen (Abs. 2 Satz 1) ........... 63 b) Sachgerechte Abgrenzung (Abs. 2 Satz 2) .............................. 67 2. Verpflichtung zur Untergruppenbildung? ............................................... 69 3. Einzelfälle und Beispiele ..................... 70 a) Finanzierungsstrukturen ............. 71 b) Beispiele für fakultative Gruppen auf Gläubigerseite ........ 73

Kowalewski/Praß

§9

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen c) Fakultative Gruppen auf Anteilseignerseite ......................... d) Arbeitnehmer ............................... e) Ermessensspielraum und gerichtliche Überprüfbarkeit ...... f) Erwägungen zur Anzahl der Gruppen ........................................

I.

4. 75 78 81 85

Dokumentation der relevanten Abgrenzungskriterien (Abs. 2 Satz 3) ....... 88 IX. Rechtsschutz ....................................... 91 1. Vorprüfung .......................................... 92 2. Überprüfung auf Ebene der Planfeststellung ................................... 93 3. Rechtsschutz nach Bestätigung des Restrukturierungsplans ....................... 95

Normzweck

Der Zweck des § 9 erschließt sich durch den Kontext der Vorschriften über die Annahme eines Restrukturierungsplans gemäß der §§ 25 ff. Die Gruppenbildung ist aus Sicht des Planerstellers zuvorderst Gestaltungsmittel, in der gegebenen Situation für das von ihm entwickelte Restrukturierungskonzept Mehrheiten zu erreichen und Gläubigergruppen zu finden, die mit qualifizierter Mehrheit bereit sind, Sanierungsbeiträge zu leisten. Der Gruppenbildung liegen daher oft auch taktische Erwägungen zur Erlangung der notwendigen Mehrheiten zugrunde.1) Dies ist im Grundsatz durchaus i. S. der Restrukturierungsrichtlinie, die gerade auch vor dem Hintergrund geschaffen wurde, dass ein Restrukturierungskonzept zuweilen ohne 100 %-ige Zustimmung implementiert werden muss.2) Die in Art. 9 Restrukturierungsrichtlinie enthaltenen Regelungen zur Planvorlage und -annahme dienen der Schaffung einer Mehrheitsmacht (vgl. auch ErwG 47 Restrukturierungsrichtlinie).3) Diese Mehrheitsmacht soll im Idealfall zu wirtschaftlich optimalen (also pareto-effizienten) Restrukturierungsmaßnahmen führen. Damit besteht also grundsätzlich ein mutmaßlich gemeinsames Ziel der Planbetroffenen, nämlich eine Wertschöpfung im Interesse der Gesamtheit der (potentiellen) Gläubiger. Dem gegenüber stehen bekanntlich regelmäßig einzelne Beteiligte, die bestrebt sind, ihren persönlichen Vorteil zu maximieren.

1

Deshalb dürfen der Flexibilität Grenzen gesetzt werden, wo berechtigte Interessen von Gläubigern und Anteilsinhabern in Gefahr geraten und der Gestaltungsrahmen missbraucht wird. Aus diesem Grund darf die Gruppenbildung nicht willkürlich erfolgen und muss für eine gerichtliche Überprüfung nachvollziehbar sein (s. ErwG 44 Restrukturierungsrichtlinie).

2

Wie Art. 9 Restrukturierungsrichtlinie klar verdeutlicht, stehen Gruppenbildung und Planannahmeverfahren in gegenseitiger Abhängigkeit: Je freier ein Planersteller bei der Gruppenbildung sein kann, desto eher muss der Beteiligtenschutz durch ein „starkes“ (i. S. von gläubigerschützend) Verfahren ausgestaltet sein. Aufgrund der vergleichsweise weiten Spielräume, welche Art. 9 Restrukturierungsrichtlinie den nationalen Gesetzgebern hinsichtlich der angemessenen Balance dieser beiden Eckpfeiler lässt, bildet Art. 9 Restrukturierungsrichtlinie diesbezüglich eher einen Programmsatz. Es ist vom Grundansatz her richtig, dem Planersteller bei der Gruppenbildung eher weitere Spielräume einzuräumen, gleichzeitig müssen aber als Korrelat im Verfahren andere Schutzmechanismen greifen, um Gestaltungsmissbrauch zu verhindern. Deshalb liegt der Zweck dieser Norm im Zusammenspiel mit

3

_____________ 1) 2) 3)

Vgl. auch Braun-Böhm, StaRUG, § 9 Rz. 1. S. statt vieler Fritz, BB 10/2019, I; Schluck-Amend, ZRP 2017, 6, 8 f. S. a. Madaus in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 197.

Kowalewski/Praß

221

§9

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

den weiteren Verfahrensvorschriften (insbesondere § 10 und den §§ 25 ff.) darin, die Legitimität der Mehrheitsentscheidungen zu gewährleisten.4) II. Normhistorie 4

§ 9 setzt die Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie5) zur Gruppenbildung um, die insbesondere in Art. 9 Abs. 4 der Restrukturierungsrichtlinie enthalten sind. Die Richtlinie hat den Mitgliedstaaten insoweit einige Umsetzungsspielräume gelassen und nur bestimmte Mindestanforderungen vorgegeben. 1.

5

Entstehungsgeschichte von Art. 9 der Restrukturierungsrichtlinie

Art. 9 der Richtlinie unterlag im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zahlreichen Änderungen. Dabei war stets erkennbar, dass das deutsche Insolvenzplanverfahren – als „deutscher Ansatz“ – vergleichsweise viel Einfluss auf die Diskussion hatte.6) Die Diskussion bestimmte vor allem, ob einzelne Gläubiger(-klassen) vom Anwendungsbereich der Restrukturierungsrichtlinie generell ausgenommen werden sollten. Einer recht stark vertretenen Ansicht nach sollte der Anwendungsbereich auf „Finanzgläubiger“ beschränkt werden, um den Vorrang des durch das ESUG gestärkten Insolvenzplanverfahrens in der operativen Sanierung zu bewahren.7) So argumentierte etwa die BRAK, die Richtlinie solle nur die Gläubiger betreffen, deren Beitrag zur Sanierung von Unternehmen unerlässlich sei, also Geldkreditgeber.8) Ebenso argumentierte der Gravenbrucher Kreis, der das Ziel der Richtlinie allein in der Bewältigung von Non-Performing Loans sah.9) Andere vermuteten, dass sich die fiskalischen Gläubiger aus dem Anwendungsbereich von Restrukturierungsplänen „entziehen“ würden, um die negativen Folgen eines gruppenübergreifenden Cram-down zulasten des Fiskus zu verhindern.10) Diese Überlegungen sind letztlich nicht in die Restrukturierungsrichtlinie eingeflossen. Eine solche Reduzierung auf nationaler Ebene wäre mit dem Harmonisierungsziel der verabschie_____________ 4) So auch Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 9 Rz. 17 ff.; für die Gruppeneinteilung gemäß § 222 InsO: Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 222 Rz. 1; Eidenmüller in: MünchKommInsO, § 222 Rz. 4; Bierbach in: Kübler, HRI, § 28 Rz. 6. 5) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. 6) Vgl. Thole, ZIP 2017, 101, 107; Vallender, IWRZ 2017, 51, 55; schon vor dem Kommissionsentwurf vorschlagend Westpfahl, ZGR 2010, 385, 430. 7) Bork, ZIP 2017, 1441, 1450; Hölzle, ZIP 2017, 1307, 1308 ff.; Thole, ZIP 2017, 101, 107; Vallender, IWRZ 2017, 51, 55 f.; a. A. DK, Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 14.11.2018, S. 10; Sax/Ponsek/Swierczok, BB 2017, 323, 326. 8) BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017, v. 4/2017, ZIP 2017, 789, 791. 9) Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 28.2.2017, S. 2 f. und 8 f.; a. A. Dammann, Der Vorschlag der Kommission für vorinsolvenzliche Restrukturierung und Auswirkung auf den Gläubigerschutz, S. 34, mit Verweis darauf, dass sich das effizienteste Verfahren auf dem Markt durchsetzen wird. 10) Thole, ZIP 2017, 101, 107.

222

Kowalewski/Praß

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

§9

deten Richtlinie daher nicht vereinbar.11) Folgerichtig findet sich dieser Ansatz im deutschen Umsetzungsgesetz nicht wieder. Kritisch diskutiert wurde außerdem, dass sich ein Restrukturierungsplan zunächst auf bestimmte Gläubigergruppen beschränken kann und man damit von einer einheitlichen „Gesamtlösung“ wie im Insolvenzplanverfahren abrückt.12) Der Richtliniengeber hat aber zu keinem Zeitpunkt während des Gesetzgebungsverfahrens von dem Prinzip Abstand genommen, dass der Schuldner bzw. der Planersteller grundsätzlich flexibel sein soll, wen er in den Plan einbezieht und wen nicht. Dies ermöglicht eine gesamthafte Sanierung, andererseits aber auch einen „chirurgischen“ Eingriff im Hinblick auf einzelne Problemfelder. Im Sinne der Verfahrensökonomie und des Grundsatzes, dass ein Sanierungsprozess idealerweise „früh, still und schnell“13) erfolgt, ist es durchaus sinnvoll, dass auch Letzteres durch die Richtlinie ermöglicht und dementsprechend national umgesetzt wurde.

6

Die Entstehungsgeschichte der relevanten Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie zeigt damit, dass es dem Unionsgesetzgeber daran gelegen war, dem Schuldner bzw. Planersteller hohe Flexibilität einzuräumen. Dies gilt auch in Bezug auf die Gruppeneinteilung.

7

2.

Vorgaben zur Gruppeneinteilung durch die Restrukturierungsrichtlinie

Die Restrukturierungsrichtlinie macht zur Bildung der Gruppen, die in der Richtlinie als „Klassen“ bezeichnet werden, nur sehr rudimentäre Vorgaben.

8

a) Kriterium des gemeinsamen Interesses Klassen sind laut der Restrukturierungsrichtlinie (von dem Planersteller)14) so zu bilden, dass deren Mitglieder gemeinsame Interessen aufweisen. Wie die ErwG ausführen, sollen bei der Klassenbildung die Rechte und der Rang der betroffenen Forderungen und Beteiligungen zum Tragen kommen.15)

9

Die gesetzgeberische Idee ähnelt dem Grundgedanken des § 222 InsO. Praktische Unterschiede zwischen der Gruppenbildung im Insolvenzplan und Restrukturierungsplan wurden aufgrund dieser Vorgaben deshalb nicht erwartet.16) Tatsächlich hat sich der Gesetzgeber bei der Neuschaffung von § 9 StaRUG an § 222 InsO „angelehnt“.17)

10

_____________ Ebenso Madaus, DB 2019, 592, 596. Thole, ZIP 2017, 101, 107 f. K. Schmidt, Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen, in: 54. DJT, Bd. I, D 98. Madaus in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 176. ErwG 44 Restrukturierungsrichtlinie: „Klassenbildung bedeutet die Gruppierung der betroffenen Parteien mit dem Zweck, einen Plan in der Weise anzunehmen, dass ihre Rechte und der Rang ihrer Forderungen beziehungsweise Beteiligungen zum Tragen kommen.“ 16) S. dazu ausführlicher Kowalewski/Praß in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 9 Rz. 27; wohl ebenso Vallender, IWZR 2017, 51, 55. 17) Begr. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, S. 127, abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 25.8.2021). 11) 12) 13) 14) 15)

Kowalewski/Praß

223

§9

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

b) Durch die Richtlinie verbindlich vorgegebene Klassen 11

Nach Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 2 der Richtlinie sind zumindest gesicherte und ungesicherte Forderungen in unterschiedliche Klassen zu trennen. Mischgruppen aus den in Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 2 Restrukturierungsrichtlinie genannten, zu trennenden Rechtsstellungen als gesicherte oder ungesicherte Gläubiger sind unzulässig,18) was – wie im deutschen Insolvenzplanverfahren19) – zur Aufteilung von gesicherten Forderungen in den von den Sicherheiten abgedeckten Teil und den Ausfall-Teil führen kann (ErwG 44 Restrukturierungsrichtlinie).

12

Dem deutschen Gesetzgeber war es durch die Richtlinie freigestellt, ob er darüber hinaus weitere zwingende Unterscheidungen vornehmen möchte, nach ErwG 44 Restrukturierungsrichtlinie z. B. die obligatorische Bildung einer Klasse „ohne ausreichende gemeinsame“ Interessen aus Steuerbehörden und Sozialversicherungsträgern. Außerdem sollte sich der nationale Gesetzgeber nach ErwG 46 Restrukturierungsrichtlinie zumindest damit auseinandersetzen, wie er mit besonderen Parteiverhältnissen (z. B. Forderungen verbundener Parteien), Eventualforderungen und streitigen Forderungen umgehen will.

13

Forderungen von Arbeitnehmern können nach der Richtlinie von den Mitgliedstaaten als zwingend in eine eigene Klasse aufzunehmende Forderungen vorgesehen werden (Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 2 Restrukturierungsrichtlinie). Für die Auslegung von § 9 ist dies allerdings nicht mehr relevant, da sich der deutsche Gesetzgeber dazu entschieden hat, Eingriffe in Arbeitnehmerforderungen durch einen Restrukturierungsplan generell nicht zuzulassen.

14

Erhöhte Rücksicht soll gemäß Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 4 Restrukturierungsrichtlinie auch auf besonders schutzwürdige („vulnerable“) Gläubiger wie z. B. „kleine Lieferanten“ genommen werden. Wie deren Interessen in besonderer Weise zu berücksichtigen sind, lässt die Richtlinie jedoch offen.20) Die Regelung scheint auf das Problem zu zielen, dass Lieferanten gegenüber Kreditgläubigern in der Regel einen nur geringen Anteil der Forderungen ausmachen und typischerweise nicht über dieselben umfassenden Informationen verfügen wie die Großgläubiger (z. B. aufgrund von Information Covenants unter den Finanzierungsverträgen). Der deutsche Gesetzgeber will dieser Vorgabe der Richtlinie durch § 9 Abs. 2 Satz4 Rechnung tragen.

15

Da jede Klasse gemeinsame Interessen abbilden soll, ist eine „Reste-Klasse“ nach dem Wortlaut der Restrukturierungsrichtlinie unzulässig. Es läge damit näher, die nicht zueinander passenden Gläubiger aus der Restrukturierungsplanung auszuklammern oder jeweils als gesonderte Ein-Gläubiger-Klasse zu behandeln (siehe näher zur Klasseneinteilung ab Rz. 31 ff.). _____________ 18) Vgl. zum Insolvenzplan Jaffé in: FK-InsO, § 222 Rz. 12. 19) BGH, Beschl. v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, BGHZ 163, 344 = ZIP 2005, 1648. 20) ErwG 44 Restrukturierungsrichtlinie sagt insoweit nur: „Die Mitgliedstaaten sollten auch besondere Vorschriften festlegen können, mit denen eine Klassenbildung unterstützt wird, wenn Gläubiger, die wie Arbeitnehmer oder kleine Lieferanten ihre Engagements nicht diversifizieren können oder aus anderen Gründen besonders schutzbedürftig sind, von der Klassenbildung profitieren würden.“

224

Kowalewski/Praß

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

§9

Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)21) kann nach der Richtlinie geregelt werden, dass auf eine Klasseneinteilung gänzlich verzichtet werden kann (Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 3 Restrukturierungsrichtlinie).22) Nach ErwG 45 Restrukturierungsrichtlinie sollen in Fällen, in denen KMU sich dafür entschieden haben, nur eine Abstimmungsklasse zu bilden und diese Klasse gegen den Plan stimmt, die Schuldner im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen dieser Richtlinie die Möglichkeit haben, einen anderen Plan vorzulegen. Der deutsche Gesetzgeber hat indes keinen Gebrauch von dieser Sonderregelung für KMU gemacht (siehe zur Gesetzgebungsgeschichte in Deutschland Rz. 20 ff.).

16

c) Überprüfbare Kriterien Die Planparteien und ggf. das Gericht sollen gemäß Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 1 der Richtlinie die Klassenbildung überprüfen können. Daher ist es erforderlich, dass sich die Klassen überhaupt anhand überprüfbarer Kriterien voneinander abgrenzen lassen. Diese Voraussetzung wurde im Richtliniengesetzgebungsverfahren quasi als „last-minute-Änderung“ eingeführt. Welche konkreten Anforderungen an die Überprüfbarkeit zu stellen sind, lässt die Restrukturierungsrichtlinie jedoch offen.

17

d) Einklang mit nationalem Recht Die Klassenbildung hat gemäß Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 1 Restrukturierungsrichtlinie „im Einklang mit nationalem Recht“ zu erfolgen. Da das Tatbestandsmerkmal durch die Richtlinie nicht weiter konkretisiert ist, könnte dies nach einer denkbaren Auslegung bedeuten, dass sämtliche nationale Rechtsvorschriften, die in irgendeiner Form etwas zu Interessengruppierungen und einer insolvenzplangerechten Gruppenbildung sagen, auch im Restrukturierungsplanverfahren gelten sollen.

18

Die Parlamentsfassung, die erstmals auf das nationale Recht verwies, sah vor, dass die Parteien in Klassen zu behandeln seien, „die den Kriterien für die Klassenbildung nach nationalem Recht entsprechen.“23) Dies sollte jedoch nicht so verstanden werden, dass „im Einklang mit nationalem Recht“ als Anerkennung der im Insolvenzplanverfahren zwingenden Gruppen im Restrukturierungsplanverfahren zu sehen ist.24) Naheliegender ist die Interpretation, dass der Richtliniengeber bloß keine Entscheidung über eine harmonisierte Rangordnung von Gläubigern treffen wollte.25) So sollte bspw. durch die Restrukturierungsrichtlinie nicht abweichend definiert werden, wer vorrangige oder nachrangige Gläubiger sind, da in den Mitgliedstaaten diesbezüglich unterschiedliche Auffassungen herrschen. Der deutsche Gesetzgeber hat sich bei der Gestaltung von § 9 vornehmlich an der insolvenzrechtlichen Rangordnung von Gläubigern orientiert, was mit den Vorgaben der Richtlinie durchaus im Einklang steht. Zwingend ist dies jedoch nicht gewesen.

19

_____________ 21) Hierzu Smid, NZG Beilage Heft 5/2021, S. 64, 64 ff. 22) Dagegen jedoch DK, Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 14.11.2018, S. 14. 23) So auch noch ErwG 44 der Restrukturierungsrichtlinie. 24) So aber wohl Madaus in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 175. 25) Krit. Epeoglou, Int. Corporate Rescue, Vol. 14/2017, S. 4, 8 ff.; krit. und optionales, voll harmonisiertes Verfahren vorstellend Eidenmüller, EBOR Vol. 18/2017, S. 273, 297.

Kowalewski/Praß

225

§9

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

Es ist nach der Richtlinie auch zulässig, z. B. schuldrechtliche Rangfolgen mit zu berücksichtigen. 3.

Entstehungsgeschichte der deutschen Umsetzung

20

Der Wortlaut der Norm hat sich während des Gesetzgebungsverfahrens nicht geändert. Der ursprüngliche Wortlaut des RefE zum StaRUG vom 19.9.202026) und des RegE vom 16.10.202027) findet sich auch im RegE vom 9.11.2020 wieder.28) Lediglich die Paragraphennummer hat sich zum Ende des Gesetzgebungsprozesses wegen der Streichung von §§ 2, 3 RefE von § 11 zu § 9 verschoben. Auch in den sonstigen Gesetzgebungsunterlagen, insbesondere in der Stellungnahme des Bundesrates vom 27.11.2020,29) gibt es keine Anträge zur Änderung dieser Vorschrift.

21

Während des Gesetzgebungsverfahrens wurde von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ein erleichtertes Verfahren für die vorinsolvenzliche Sanierung und Restrukturierung für von der Corona-Pandemie betroffenen KMU unter Einhaltung der gesetzlichen Mindestanforderungen gefordert.30) Der Vorschlag, es (im Einklang mit der Richtlinie) KMU zu ermöglichen, auf eine Gruppeneinteilung gänzlich zu verzichten, wurde nicht umgesetzt. Auch die FDP-Fraktion forderte einen vereinfachten Zugang für KMU.31) Die Gesetzesbegründung erklärt die Entscheidung gegen die Nutzung der Möglichkeit aus Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 3 Restrukturierungsrichtlinie damit, dass sich aus der Bildung der von § 9 Abs. 1 vorgegebenen Pflichtgruppen keine besonderen Schwierigkeiten ergeben. Zudem sei die Unterscheidung wenigstens der dort genannten Pflichtgruppen im Interesse der transparenten Darstellung der unterschiedlichen wirtschaftlichen Situation der betroffenen Gläubiger und Anteilsinhaber auch bei solchen Schuldnern geboten.32) III. Rechtsvergleich mit Großbritannien und den Niederlanden

22

In Großbritannien ist zwischen dem Scheme of Arrangement und dem UK Restructuring Plan zu unterscheiden: Wie § 9 sieht auch das britische Scheme of Arrangement eine Gruppenbildung nach Gemeinsamkeiten vor.33) Wann die Gemeinsamkeiten hinreichend sind, ergibt sich aus einer ausgeprägten Einzelfallrechtsprechung: Da verschiedene Gläubigergruppen über den Plan in getrennten Treffen zu beraten und abzustimmen haben, sind Gläubiger, deren Rechte so unterschied_____________ 26) Begr. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, S. 17, abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 25.8.2021). 27) RegE SanInsFoG, v. 16.10.2020, BR-Drucks. 619/20, S. 12 f. 28) RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181, S. 17 f. 29) Stellungnahme des BRat z. SanInsFoG, v. 27.11.2020, BR-Drucks. 619/20, S. 1 ff. 30) Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN/u. a. z. RegE SanInsFoG, v. 17.11.2020, BT-Drucks. 19/24379, S. 3. 31) Antrag der Fraktion der FDP/u. a. z. Umsetzung d. Restrukturierungsrichtlinie, v. 30.6.2020, BT-Drucks. 19/20560, S. 3. 32) RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 118; vgl. hierzu auch Smid, NZG Beilage Heft 5/2021, S. 64, 64 f. 33) Auf die Überschneidungen zwischen der Richtlinie und des Scheme of Arrangement hinweisend Epeoglou, Int. Corporate Rescue, Vol. 14/2017, Issue 1, S. 4, 10; Lupi, Int. Corp. Rescue, 14 (2017), Issue 5, S. 356, 357.

226

Kowalewski/Praß

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

§9

lich sind, dass sie nicht sinnvollerweise in einem gemeinsamen Treffen beraten können, in verschiedene Gruppen zu unterteilen.34) Demnach sind Parteien mit verschiedenen Rechten – nicht Interessen – in unterschiedlichen Gruppen zu behandeln.35) Im Regelfall empfiehlt sich eine Gruppenbildung nach der gesetzlich vorgesehenen Rangfolge der Befriedigung. Eine Unterscheidung nach folgenden Kriterien wurde von der Rechtsprechung hingegen abgelehnt: –

Unterschiedliche Zinssätze und Fälligkeitsdaten;36)



die Tatsache, dass bestimmte Parteien im Vorfeld eine Lock-up-Vereinbarung abgeschlossen hatten;37)



die Tatsache, dass bestimmte Parteien eine Zustimmungsgebühr erhalten hatten;38)



die Tatsache, dass manche Gläubiger nicht an einer neuen Finanzierungslinie teilnehmen möchten.39)

23

Festgestellt wurde außerdem, dass revolvierende Kreditlinien (RCF) allein aufgrund dieser Tatsache nicht zwingend als eigene Klasse zu behandeln sind.40)

24

Seit dem 26.6.2020 gibt es mit dem neuen UK Restructuring Plan im Vereinigten Königreich eine weitere Restrukturierungsoption. Der Corporate Insolvency and Governance Act 2020 hat diese neue Restrukturierungsoption durch Einfügung von Abschnitt 26a in den Companies Act 2006 geschaffen.41) Diese als „Super Scheme“ bezeichnete neue Möglichkeit wurde bei der finanziellen Restrukturierung von Virgin Atlantic Airways das erste Mal eingesetzt. In diesem Verfahren urteilte das entscheidende Gericht, dass die Rechtsprechung und Praxis zur Klassenzusammensetzung im Zusammenhang mit dem Scheme of Arrangement übertragen werden kann.42)

25

In den Niederlanden wurde seit 2017 bereits über ein außerinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren beraten. Da parallel dazu bereits die Restrukturierungsrichtlinie entworfen wurde, hat auch bereits ein niederländischer Gesetzesentwurf vor Verabschiedung der Richtlinie die möglichen Vorgaben berücksichtigt.43) Mittlerweile

26

_____________ 34) Re Hawk Insurance Company Ltd, [2001] EWCA Civ 241, 23 February 2001; Überblick zur Funktionsweise Carli/Weissinger, DB 2014, 1474. 35) Re Telewest Communications plc, [2004] EWHC 924 (Ch), 26 April 2004. 36) Re PrimaCom Holding, [2012] EWHC 164 (Ch), 20 January 2012 = ZIP 2012, 440. 37) Re PrimaCom Holding, [2012] EWHC 164 (Ch), 20 January 2012 = ZIP 2012, 440. 38) Re PrimaCom Holding, [2012] EWHC 164 (Ch), 20 January 2012 = ZIP 2012, 440. 39) Re PrimaCom Holding, [2012] EWHC 164 (Ch), 20 January 2012 = ZIP 2012, 440; Re Metrovacesa SA, [2011] EWHC 1014 (Ch); Re Apcoa Parking Holdings GmbH, [2014] EWHC 3849 (Ch), 19 November 2014. 40) Re CortefiƝl SA [2012]. 41) Vgl. Krohn, Rethinking Priority, S. 7. 42) Re Virgin Atlantic Airways limited [2020] EWHC 2376 (Ch), Rz. 37 ff. 43) Vgl. Krohn, Rethinking Priority, S. 6 f.; eine deutsche Übersetzung des damaligen Entwurfs ist in der ZInsO 2018, 2289 abgedruckt.

Kowalewski/Praß

227

§9

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

wurde der an die Vorgaben der Richtlinie angepasste Entwurf verabschiedet.44) Nach Art. 374 Abs. 1 des durch das Umsetzungsgesetz geänderten niederländischen Insolvenzgesetzes sind Parteien, deren Belange oder Rechte oder auf Grundlage des Vergleichs gewährten Rechte so unterschiedlich sind, dass von einer vergleichbaren Position nicht die Rede sein kann, in verschiedene Gruppen einzuteilen. Jedenfalls sollen verschiedene Gläubiger oder Gesellschafter, die in der Insolvenz einen unterschiedlichen Rang hätten, unterschiedliche Gruppen bilden. IV. Überblick zumTatbestand 27

Die Norm des § 9 hat sich ausweislich der Gesetzesbegründung § 222 InsO als Vorbild genommen.45) Der europäische Gesetzgeber hat, wie oben dargestellt (siehe Rz. 8 ff.), wenige Vorgaben zur Klasseneinteilung gemacht. Allerdings war auch im europäischen Gesetzgebungsprozess häufig die Parallele zum deutschen Insolvenzplanverfahren gezogen worden.46) Deshalb kann man sich bei der Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale an der zu § 222 InsO ergangenen Rechtsprechung und Literatur orientieren. V. Gesetzessystematik und allgemeine Grundsätze

28

§ 9 regelt i. E. die Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen. Dabei macht § 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 zwingende Vorgaben dazu, welche Planbetroffenen eigenständige Gruppen bilden. § 9 Abs. 2 eröffnet die Möglichkeit einer weiteren Unterteilung der zwingenden Gruppen und stellt hierfür Voraussetzungen auf. Diese beiden Vorschriften regeln insoweit die allgemeinen Grundsätze. Daneben bestehen bestimmte Sonderregelungen: Sofern der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans Eingriffe in die Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten vorsieht, müssen die davon betroffenen Gläubiger nach § 9 Abs. 1 Satz 3 zwingend eine eigenständige Gruppe bilden. § 9 Abs. 2 Satz 4 sieht vor, dass zudem für Kleingläubiger eine gesonderte Klasse zu bilden ist (ähnlich wie die Parallelvorschrift des § 222 InsO). Darüber hinaus findet sich (versteckt) in § 7 Satz 1 COVInsAG eine Vorgabe, die für die Klasseneinteilung im Zusammenhang mit staatlichen Leistungen aufgrund der COVID-19-Pandemie von Bedeutung ist. Änderungen der Gruppeneinteilung können vom Schuldner bis zum Zeitpunkt des Planangebots bzw. der Einberufung der Planbetroffenenversammlung gemacht werden.47)

29

Im Kontext der Gruppeneinteilung spricht § 9 von Inhabern bestimmter Rechte sowie von Kleingläubigern. Dies suggeriert eine Personenbezogenheit der Regelungen zur Gruppenbildung. Wie auch in § 222 InsO sind diese Regeln jedoch tatsächlich

_____________ 44) Das Gesetz ist in niederländischer Sprache abrufbar unter https://wetten.overheid.nl/ BWBR0001860/2021-01-01#AfdelingTweede (Abrufdatum: 25.8.2021). 45) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 181. 46) Vgl. Thole, ZIP 2017, 101, 107; Vallender, IWRZ 2017, 51, 55; schon vor dem Kommissionsentwurf vorschlagend Westpfahl, ZGR 2010, 385, 430. 47) Zu Änderungen noch im gerichtlichen bzw. außergerichtlichen Abstimmungstermin vgl. Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 9 Rz. 8 ff.

228

Kowalewski/Praß

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

§9

rechtsbezogen.48) Das bedeutet, dass ein und dieselbe Person etwa Inhaber einer Absonderungsanwartschaft, einer nicht nachrangigen Restrukturierungsforderung sowie einer nachrangigen Restrukturierungsforderung sein kann. In diesem Fall sind die Rechte der betreffenden Person in drei verschiedene Gruppen einzuordnen. § 9 spricht (wie auch § 222 InsO) stets von der Einteilung in „Gruppen“. Dieser Wortlaut könnte damit so verstanden werden, dass jede Gruppe zwingend mehr als ein Recht oder einen Betroffenen enthalten muss. Das ist jedoch nicht der Fall.49) Das zeigt sich bereits an den zwingenden Gruppen. Es ist immer eine Gruppe mit Absonderungsanwartschaften zu bilden, auch wenn es im Einzelfall vielleicht nur einen Inhaber einer Absonderungsanwartschaft gibt. Für die Möglichkeit einer Gruppe mit nur einem Recht spricht aus teleologischer Sicht auch, dass gemäß § 9 nur solche Rechte von Planbetroffenen in einer Gruppe zusammengefasst werden sollen, bei denen aufgrund der Gleichartigkeit der Rechtsstellung bzw. der wirtschaftlichen Interessenlage Mehrheitsentscheidungen auch im Interesse der überstimmten Minderheit liegen.50)

30

VI. Pflichtgruppen (Abs. 1) § 9 Abs. 1 Satz 1 schreibt (wie auch § 222 Abs. 1 Satz 1 InsO) zunächst nur grundsätzlich fest, dass bei der Festlegung der Rechte der Planbetroffenen im Restrukturierungsplan Gruppen zu bilden sind, soweit Planbetroffene mit unterschiedlichen Rechtsstellungen betroffen sind. Im Anschluss an diesen Grundsatz macht der Gesetzgeber in verschiedenen Nummern in § 9 Abs. 1 Satz 2 deutlich, was unter Planbetroffenen mit unterschiedlicher Rechtsstellung zu verstehen ist. Der Gesetzgeber hat sich wie beim Vorbild des § 222 InsO an der Rechtstellung im Insolvenzverfahren, genauer gesagt: an der Rangfolge der Befriedigungsrechte, orientiert. 1.

31

Inhaber von Absonderungsanwartschaften (Abs. 1 Satz 2 Nr. 1)

Die erste Pflichtgruppe umfasst die Inhaber von Absonderungsanwartschaften und entspricht insoweit der Einteilung im Insolvenzplanverfahren gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO. Mit dieser Vorschrift wird zugleich die Vorgabe der Restrukturierungsrichtlinie aus Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 2 umgesetzt. Der Begriff der Absonderungsanwartschaft ist in § 2 Abs. 1 Nr. 2 legal definiert. Es handelt sich demnach um Rechte an Gegenständen des schuldnerischen Vermögens, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Absonderung berechtigen würden. Es geht damit um solche Gläubiger, die gemäß der §§ 49 – 51 InsO ein Absonderungsrecht im Falle eines Insolvenzverfahrens hätten. Nach der Legaldefinition sind Finanzsicherheiten i. S. des § 1 Abs. 17 KWG sowie Sicherheiten, die dem Betreiber eines Systems nach § 1 Abs. 16 KWG zur Absicherung seiner Ansprüche aus _____________ 48) Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 9 Rz. 42 f.; vgl. auch LG Berlin, Beschl. v. 20.10.2004 – 86 T 578/04, NZI 2005, 335, 337; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 222 Rz. 11; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 28. 49) So auch Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 9 Rz. 41; Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 9 Rz. 33 f. 50) Für die Gruppeneinteilung beim Insolvenzplan: LG Hamburg, Beschl. v. 15.1.2018 – 326 T 40/17, ZIP 2018, 389, 391; Andres/Leithaus-Andres, InsO, § 222 Rz. 9; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 31.

Kowalewski/Praß

229

32

§9

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

dem System oder der Zentralbank eines Mitgliedstaats der EU oder der Europäischen Zentralbank gestellt wurden, ausgenommen. Hervorzuheben ist in dieser Definition auch, dass es sich um schuldnerisches Vermögen handeln muss. Damit sind Drittsicherheiten wie auch im Insolvenzplanverfahren nicht umfasst.51) Darauf ist in der Praxis bei Konzernsachverhalten zwingend zu achten: Nur die Sicherheiten, welche der Restrukturierungsschuldner (häufig, aber nicht zwingend die Obergesellschaft) bestellt hat, sind bei § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 zu berücksichtigen, nicht z. B. Sicherheiten, welche von Tochtergesellschaften des Restrukturierungsschuldners gestellt sind. Forderungen, welche durch Dritte gesichert sind, qualifizieren zunächst nur als einfache Restrukturierungsforderungen und fallen damit unter § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2; allerdings wird es möglich sein, auf der Ebene eine Unterteilung in eine Gruppe (vollständig) unbesicherter und eine Gruppe durch Dritte besicherter Restrukturierungsgläubiger vorzunehmen. 33

Eine gesonderte Gruppe für Inhaber von Absonderungsanwartschaften ist ausweislich des Wortlauts nur zu bilden, wenn diese Inhaber auch vom Restrukturierungsplan betroffen sind. In § 2, wo die gestaltbaren Rechtsverhältnisse und damit auch die Absonderungsanwartschaften aufgelistet sind, findet sich keine Legaldefinition dazu, wann ein solches Recht gestaltet wird und somit die betreffenden Gläubiger Planbetroffene sind. In Anlehnung an § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO – der von Eingriff spricht – kann zunächst dann von einer Gestaltung gesprochen werden, wenn durch den Restrukturierungsplan die Absonderungsanwartschaften Regelungen unterworfen werden, die von denjenigen des Regelinsolvenzverfahrens zulasten des Absonderungsberechtigten abweichen.52) Eine solche negative Abweichung liegt etwa dann vor, wenn das aus § 173 Abs. 1 InsO folgende Verwertungsrecht oder der Vorrang der Erlösverteilung (§ 170 Abs. 1 InsO) beschnitten wird, Verzinsungsoder Wertersatzansprüche (§§ 169, 172 InsO) gekürzt oder ausgeschlossen werden. Ein (mittelbarer) Eingriff in ein Absonderungsrecht liegt vor allem auch dann vor, wenn durch den Plan in eine vom dem Schuldner selbst gesicherte persönliche Forderung eingriffen wird mit der Folge, dass Bestand, Höhe oder Durchsetzbarkeit eines Absonderungsanwartschaftsrechts beeinträchtigt werden. Dies kann etwa aufgrund des akzessorischen Charakters (vgl. dazu die §§ 1137, 1163, 1211, 1252 BGB) oder wegen der Verknüpfung durch eine Sicherungsabrede der Fall sein.53)

34

Daran ändert sich grundsätzlich nichts, wenn die Sicherheiten von einem Sicherheitentreuhänder gehalten werden, der im Auftrag des Gläubigers der persönlichen Forderung die Sicherheit für diesen Gläubiger hält. Auch in diesem Fall ist der Gläubiger i. H. der durch die vom Sicherheitentreuhänder für ihn gehaltene Sicherheit abgesicherten Forderung in die Gruppe der Absonderungsanwartschaftsberechtigten aufzunehmen. Allerdings sind in dieser Konstellation möglicherweise kreditvertragsinterne Vorgaben für die Abstimmung zu beachten, so dass die Stimm_____________ 51) So auch herausgehoben für den Insolvenzplan: Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 222 Rz. 13. 52) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 53; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 222 Rz. 13; Braun-Braun/Frank, InsO, § 222 Rz. 5. 53) Andres/Leithaus-Andres, InsO, § 222 Rz. 3; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 53.

230

Kowalewski/Praß

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

§9

abgabe z. B. nur durch den Sicherheitentreuhänder erfolgen darf (siehe dazu § 25 Rz. 47 ff.), was jedoch für die Gruppenbildung zunächst keine Rolle spielt. Wie auch im Insolvenzplanverfahren ist es bei der zwingenden Gruppenbildung unerheblich, um welche Art von Absonderungsrecht es sich handelt. Die Möglichkeit der weiteren Unterteilung in § 9 Abs. 2 Satz 1 macht deutlich, dass die Art des Absonderungsrechts, etwa aufgrund Sicherungseigentums, Grund- oder Mobiliarpfandrecht, nur dann zu einer weiteren Unterteilung führen kann, wenn dies nach Maßgabe wirtschaftlicher Interessen geboten ist und es einen sachlichen Grund für die Abgrenzung gibt.

35

Bei der Gruppeneinteilung gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO ist umstritten, in welcher Forderungshöhe solche absonderungsberechtigten Gläubiger auch in der Gruppe der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger zu berücksichtigen sind, wenn ihnen der Schuldner auch persönlich haftet. Nach der überwiegenden Auffassung werden diese Gläubiger nur in der Höhe ihres geschätzten Ausfalls auch in der Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO berücksichtigt.54) Andere wollen die absonderungsberechtigten Gläubiger dagegen in voller Höhe ihrer Forderung dieser Gruppe zuordnen. Allerdings soll ihr Stimmrecht bei der Abstimmung über den Insolvenzplan nach § 237 Abs. 1 Satz 2 InsO auf den Ausfall beschränkt werden.55) Der BGH hat die Frage ausdrücklich offengelassen.56)

36

Auch im Falle eines Restrukturierungsplans sprechen hinsichtlich dieser Streitfrage aus unserer Sicht die besseren Argumente für die überwiegende Ansicht zu § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO.57) Der Gesetzgeber hat in § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG den Begriff der Absonderungsanwartschaften mit Blick auf die Behandlung dieses Rechts in der Insolvenz abgestellt. Aus § 52 Satz 2 InsO ergibt sich gerade, dass die absonderungsberechtigten Gläubiger, denen der Schuldner auch persönlich haftet, grundsätzlich eben nicht in voller Höhe Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO sind, sondern nur in der Höhe des Ausfalls oder Verzichts. Dann muss aber die Schätzung des Ausfalls schon die Ebene der Höhe der Forderung in dieser Gruppe betreffen. Andernfalls würden die Absonderungsberechtigten dieser Gruppe über die Maße hinaus bevorzugt.58) Das Argument greift für die Gruppenbildung i. R. von § 9 gleichermaßen.

37

Die Höhe des Ausfalls wird man im Restrukturierungsverfahren generell durch die Ermittlung der Fortführungswerte der Sachsicherheit (mit Ausnahme der Garantie) ermitteln müssen, da eine Liquidation – wie sich insbesondere auch an den Vorgaben für die Vergleichsrechnung zeigt (§ 6 Abs. 2) – nicht der gesetzliche Regelfall ist.

38

_____________ 54) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 222 Rz. 16; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 222 Rz. 6; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 222 Rz. 17; Thies in: HambKomm-InsO, § 222 Rz. 9; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 222 Rz. 9. 55) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 57; Andres/Leithaus-Andres, InsO, § 222 Rz. 3; Bierbach in: Kübler, HRI, § 28 Rz. 52 ff. 56) BGH, Beschl. v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, NZI 2005, 619, 621. 57) Im Ergebnis so auch für das StaRUG Braun-Böhm, StaRUG, § 9 Rz. 4; Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 9 Rz. 55; Wolgast/Grauer-Kirchner, StaRUG, § 9 Rz. 4. 58) Für § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO auch: Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 222 Rz. 16.

Kowalewski/Praß

231

§9

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

Wie im Insolvenzplanverfahren wären für die Ermittlung des Ausfalls allerdings Liquidationswerte anzusetzen, wenn das Unternehmen nicht fortgeführt wird.59) 2.

Einfache Restrukturierungsgläubiger (Abs. 1 Satz 2 Nr. 2)

39

Inhaber von Forderungen, die im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als nicht nachrangige Insolvenzforderungen geltend zu machen wären, nebst darauf entfallender Zinsen und Säumniszuschläge, bilden als sog. einfache Restrukturierungsgläubiger gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 eine eigenständige Gruppe. Hier weicht die Norm somit teilweise von ihrem Vorbild in § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO ab. Nach § 38 InsO ist auf die Begründetheit im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung abzustellen. Im Restrukturierungsrahmen tritt an Stelle dieses Zeitpunkts gemäß § 2 Abs. 5 die Unterbreitung des Planangebots (§ 17), im Falle einer Abstimmung im gerichtlichen Planabstimmungsverfahren der Zeitpunkt der Antragsstellung (§ 45) oder, beim Erwirken einer Stabilisierungsanordnung (§ 49), der Zeitpunkt der Anordnung. Allerdings gehören in der Insolvenz Zinsen und Säumniszuschläge im Insolvenzverfahren, soweit sie auf den Zeitraum nach der Verfahrenseröffnung entfallen, nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu den nachrangigen Insolvenzforderungen. In der Regierungsbegründung wird diese Abweichung damit erklärt, dass für die Verankerung eines solchen Nachrangs im Restrukturierungsrahmen kein Anlass besteht. Dies folge daraus, dass künftige Zinsansprüche i. R. des § 2 Abs. 2 gestaltbar sind. Damit bestehe kein Grund, die Zinsansprüche insoweit anders zu behandeln als die Hauptforderung.60)

40

Wie auch bei der Gruppenbildung i. R. des § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO spielt es zunächst keine Rolle, ob der Grund einer nicht nachrangigen Insolvenzforderung etwa in einem Kauf-, Werk- oder Mietvertrag liegt. Der Grund kann nur unter den Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 zu einer weiteren Unterteilung der Gruppe der einfachen Restrukturierungsgläubiger führen.

41

In den Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 fällt auch, wenn der Schuldner Garantien für Dritte (z. B. verbundene Unternehmen) übernommen hat. Aus Sicht des Gesetzes handelt es sich dabei auf Ebene des Schuldners um eine einfache Restrukturierungsforderung, die insoweit nur in der Höhe angesetzt werden kann wie eine Inanspruchnahme wahrscheinlich ist. Ist eine Inanspruchnahme unwahrscheinlich, nehmen die Begünstigten grundsätzlich nicht am Plan teil, so dass sie auch keiner Gruppe zuzuordnen wären. Anders wäre dies, wenn durch den Plan nicht in die (bedingte) Garantieforderung, sondern in die zugunsten des Gläubiger bestehende Garantiezusage an sich eingegriffen werden soll, z. B. indem sie aufgehoben wird. Lässt man derartige Eingriffe zu – wobei man demgegenüber auch vertreten könnte, dass es sich technisch betrachtet bei dem reinen Bestand einer Garantie nicht um eine „Restrukturierungsforderung“ i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 handelt, so dass dieses Rechtsverhältnis durch den Plan gar nicht gestaltbar ist – sollte Einig_____________ 59) S. dazu BGH, Beschl. v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, NZI 2005, 619, 621; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 222 Rz. 7; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 222 Rz. 18; UhlenbruckLüer/Streit, InsO, § 222 Rz. 16; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 222 Rz. 9. 60) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 119.

232

Kowalewski/Praß

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

§9

keit bestehen, dass die betroffenen Gläubiger dann auch hierüber mitstimmen dürfen und daher einer Gruppe zuzuordnen sind. 3.

Nachrangige Restrukturierungsgläubiger (Abs. 1 Satz 2 Nr. 3)

§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 bestimmt, dass für Inhaber von Forderungen, die im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach § 39 Abs. 1 Nr. 4, 5 oder Abs. 2 InsO als nachrangige Insolvenzforderungen anzumelden wären, eigene Klassen zu bilden sind. Dabei ist für jede Rangklasse eine eigene Gruppe zu erstellen.61) Auch in der Bestimmung von Gruppen im Insolvenzplanverfahren bildet jede Rangklasse eine eigenständige Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO. Dadurch, dass die im Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO stehenden Strafen und sonstigen Sanktionen einer Gestaltung durch den Restrukturierungsplan gemäß § 4 Satz 1 Nr. 3 nicht zugänglich sind, verbleiben als nachrangige Restrukturierungsforderungen damit die Forderungen auf unentgeltliche Leistungen (§ 39 Abs. 1 Nr. 4 InsO), Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen und aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO), sowie Forderungen mit vereinbartem Rangrücktritt (§ 39 Abs. 2 InsO). Bei Gesellschafterdarlehen ist § 2 Abs. 1 Nr. 2, ggf. i. v. M. Abs. 2, COVInsAG zu beachten, wonach Gesellschafterdarlehen unter den dort genannten Voraussetzungen keine Nachrangigkeit gem. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO erhalten.62) Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Gruppeneinteilung, sondern auch auf einen möglichen gruppenübergreifenden Cram-down (so z. B. auf die Anwendung des § 27 Abs. 1 Nr. 2, 3).63) 4.

42

Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten (Abs. 1 Satz 2 Nr. 4)

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 bilden Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten eine eigenständige Gruppe. Dies entspricht der Regelung in § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 InsO.

43

Der Begriff „Anteils- und Mitgliedschaftsrechte“ ist nicht legaldefiniert. Aufgrund des identischen Wortlauts in § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 InsO sowie der Verwendung dieses Begriffes in § 225a Abs. 1 InsO (als Parallelnorm zu § 2 Abs. 3 StaRUG) lässt sich zur Begriffsbestimmung auf das Auslegungsverständnis in der InsO zurückgreifen. Zwar beinhaltet auch das Insolvenzrecht keine Legaldefinition; insoweit wird allerdings zu Recht das Gesellschaftsrecht herangezogen. Im GmbH-Recht versteht man unter dem Begriff „Geschäftsanteil“ die Gesamtheit der Rechte und Pflichten aus der Mitgliedschaft in einer GmbH.64) Auch im Aktienrecht umfasst der Begriff der Aktie die Gesamtheit der Rechte und Pflichten des Aktionärs aus der Mitgliedschaft in der AG.65) Auch im Insolvenzplanverfahren sollten alle Rechts-

44

_____________ 61) So auch Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 9 Rz. 64; unklar insoweit Braun-Böhm, StaRUG, § 9 Rz. 7. 62) So auch bereits das AG Dresden, Beschl. v. 7.6.2021 – 574 RES 2/21, ZInsO 2021, 1398, 1399. 63) Vgl. zur Anwendung i. R. des § 27 Abs. 1 Nr. 2 AG Dresden, Beschl. v. 7.6.2021 – 574 RES 2/21, ZInsO 2021, 1398, 1399. 64) Vgl. dazu insbesondere die §§ 14 ff. GmbHG. 65) Selbstverständlich umfasst der Begriff auch das umlauffähige Wertpapier.

Kowalewski/Praß

233

§9

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

positionen erfasst sein, die aus der Mitgliedschaft in einem Verband resultieren.66) Dies erfasst auch Beteiligungen an Personengesellschaften, und zwar auch dann, wenn bei der Komplementärin keine vermögensmäßige Beteiligung besteht.67) Demgegenüber nicht erfasst ist der atypische stille Gesellschafter, auch wenn ihm wie einem Kommanditisten Mitverwaltungs- und Vermögensrechte eingeräumt werden. Solange diese Rechte nicht mit Außenwirkung ergänzt wurden, handelt es sich nicht um ein Anteils- oder Mitgliedschaftsrecht.68) 45

Zu den Anteils- und Mitgliedschaftsrechten zählen somit alle Verwaltungs- und Vermögensrechte, die mit der Mitgliedschaft in einem Verband verknüpft sind. Wie im Insolvenzplan können auch solche Verwaltungs- und Vermögensrechte betroffen sein, die aus einer nur mittelbaren Beteiligung, wie bspw. über eine Treuhand, eine Innengesellschaft oder durch Nießbrauch bestehen.69) Demgegenüber unterfallen Ansprüche, die zwar aus der Mitgliedschaft entstehen, allerdings von dieser getrennt werden können (etwa aus § 110 HGB), nicht dem Begriff der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte.70) Dies gilt ebenfalls für erfolgsabhängige schuldrechtliche Ansprüche, wie etwa Genussrechte oder Gewinnschuldverschreibungen.71)

46

Gemäß § 2 Abs. 3 ist die Gestaltung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte, das Treffen sonstiger gesellschaftsrechtlich zulässiger Regelungen sowie die Übertragung der Rechte möglich. In diesen Fällen und allen weiteren, die unter den Begriff der Gestaltung fallen, ist demnach eine eigenständige Gruppe für Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten zu bilden. Auch bei den Anteilsinhabern gilt, dass die Gruppeneinteilung rechts- und nicht personenbezogen ist (siehe dazu oben Rz. 29). 5.

47

Abschließende Aufzählung von Gläubigern mit unterschiedlicher Rechtsstellung

§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 – 3 deuten ihrem Wortlaut nach darauf hin, dass die Aufzählung der dort genannten Gläubigerränge abschließend ist. Im Gegensatz zur Regelung im Insolvenzplanverfahren ließe sich das Gegenteil auch nicht mit Verweis auf die Normen zur Masseunzulänglichkeit begründen. Bei Masseunzulänglichkeit wird im Insolvenzverfahren die Befriedigungsreihenfolge abweichend durch § 210a InsO vorgegeben. Auch in den Regelungen der §§ 264 – 266 InsO besteht eine besondere _____________ 66) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225 Rz. 20; teilweise wird auch zwischen Mitgliedschafts- und Anteilsrechten unterschieden. Anteilsrecht soll bei einer gesellschaftsrechtlichen und damit vermögensmäßigen Beteiligung am Rechtsträger vorliegen. Mitgliedschaftsrecht meint danach eine Beteiligung an einem Rechtsträger, an dem es keine Gesellschaftsanteile gibt (vgl. dazu Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 6 und Rz. 7). 67) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 225a Rz. 8 f.; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 225a Rz. 16; Kübler/ Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 6. 68) K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 225a Rz. 16; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 6. 69) K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 225a Rz. 15; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 55; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 225a Rz. 6; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 6. 70) K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 225a Rz. 18; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225 Rz. 21. 71) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 225a Rz. 7; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225 Rz. 21 und § 230 Rz. 56; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 225a Rz. 15; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 6.

234

Kowalewski/Praß

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

§9

Vor- und Nachrangregelung im Falle eines Folgeinsolvenzverfahrens, nachdem in dem vorangegangenen Insolvenzplanverfahren im gestaltenden Teil eine Regelung in Bezug auf Kreditrahmengläubiger getroffen worden war. Diese beiden Fälle sollen im Insolvenzplanverfahren zeigen, dass es insolvenzrechtliche Regelungen gibt, die eine unterschiedliche rangmäßige Befriedigung von Rechten begründen, die jedoch in § 222 InsO nicht erwähnt ist.72) Dadurch, dass sich im StaRUG allerdings keine weiteren Differenzierungen hinsichtlich einer anderen Rangfolge finden lassen, kann davon ausgegangen werden, dass § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 – 3 in diesem Sinne abschließend ist.73) VII. Sonstige Vorgaben zur Gruppenbildung Sowohl in § 9 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 Satz 4 StaRUG als auch in § 7 Satz 1 COVInsAG sind weitere Vorgaben zur Gruppeneinteilung enthalten. 1.

48

Eingriff in Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten (Abs. 1 Satz 3)

Sofern der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans Eingriffe in die Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten vorsieht, bilden die davon betroffenen Gläubiger zwingend eine eigenständige Gruppe. Nach dem weiten Begriffsverständnis der Legaldefinition in § 2 Abs. 4 sind – anders als noch im RegE – sowohl Upstream-Sicherheiten74) als auch Downstream-Sicherheiten erfasst.75) Etwas unklar ist, warum das Gesetz davon spricht, dass für diese Gläubiger eigene „Gruppen“ (Plural) zu bilden sind. Aus dieser Formulierung wird man nicht folgern können, dass für jedes Sicherungsmittel oder gar jeden Gläubiger eine eigene Gruppe zu bilden ist. Gläubiger, die bei einer Gesamtbetrachtung durch die Eingriffe in diese Sicherheiten gleich intensiv betroffen sind und daher die gleiche Kompensation erhalten sollen, sollten in eine gemeinsame Gruppe eingeordnet werden können.76) Wenn alle diese Sicherungsinhaber gleich betroffen sind, kann es daher auch nur eine solche Gruppe geben. Davon wird man gerade bei Konsortialstrukturen ausgehen können, wenn allen Konsortialbanken dieselben Sicherungsrechte zustehen.

49

Die Zuordnung zu einer eigenen Gruppe spiegelt die unterschiedliche Wirkungsweise von Dritt- und Eigensicherheiten und die unterschiedliche wirtschaftliche Stellung der durch sie begünstigten Gläubiger.77) Durch das SanInsFoG wurde auch § 222 Abs. 1 Satz 2 InsO um eine weitere Nr. 5 ergänzt, die eine entsprechen-

50

_____________ 72) Bierbach in: Kübler, HRI, § 28 Rz. 37; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 50. 73) A. A. Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 9 Rz. 24, 50; für § 222 Abs. 1 InsO wird auch überwiegend von einer abschließenden Aufzählung ausgegangen: Kübler/Prütting/BorkSpahlinger, InsO, § 222 Rz. 11; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 222 Rz. 12; K. SchmidtSpliedt, InsO, § 222 Rz. 5; Thies in: HambKomm-InsO, § 222 Rz. 7. 74) Der Begriff meint Sicherheiten, die von Tochterunternehmen gewährt werden. Demgegenüber hat der Begriff der Downstream-Sicherheit den umgekehrten Fall vor Augen. 75) RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 15. 76) Zwar grundsätzlich das Erfordernis von mehreren Gruppen betonend, im Ergebnis aber so wie hier Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 9 Rz. 78; wohl auch Braun-Böhm, StaRUG, § 9 Rz. 8. 77) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 119; vgl. auch Braun-Böhm, StaRUG, § 9 Rz. 8; Westpfahl/Dittmar, NZG Beilage Heft 5/2021, S. 46, 47.

Kowalewski/Praß

235

§9

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

de zwingende Gruppeneinteilung auch im Insolvenzplanverfahren vorsieht. Damit wurde der Gleichlauf in der Gruppeneinteilung im neuen Restrukturierungs- und Insolvenzplanverfahren wiederhergestellt.78) 2.

Eigenständige Gruppe für Kleingläubiger (Abs. 2 Satz 4)

51

Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 4 sind Kleingläubiger zwingend in eigenen Gruppen zusammenzufassen. Die Vorschrift dient der Umsetzung von Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 4 Restrukturierungsrichtlinie, wonach die Mitgliedstaaten durch geeignete Maßnahmen sicherstellen müssen, dass bei der Klassenbildung dem Schutz „vulnerabler“ Gläubiger Rechnung getragen wird. Der deutsche Gesetzgeber hat diesen Schutz ausweislich der Regierungsbegründung dadurch gewährleistet, dass er stets eine eigenständige Gruppe für Kleingläubiger in § 9 Abs. 2 Satz 4 vorschreibt.79) Zusätzlich wurde diese Entscheidung damit begründet, dass es im Vergleich zum Insolvenzplanrecht gemäß § 244 Abs. 1 InsO keiner kumulativen Kopf- und Summenmehrheit bedarf, sondern gemäß § 27 Abs. 1 StaRUG eine Summenmehrheit von 75 % ausreicht. Dies vermag zwar das Risiko einer Majorisierung von Kleingläubigern durch Großgläubiger zu verringern, nicht jedoch gänzlich auszuschließen. Um dem durch die Richtlinie geforderten Schutzumfang gerecht zu werden, sei deshalb zwingend eine eigene Gruppe zu bilden.80)

52

Zentrale Frage ist damit, wen man als „Kleingläubiger“ versteht. Im Gegensatz zur Regelung im Insolvenzplanverfahren in § 222 Abs. 3 Satz 2 Var. 2 InsO, wonach eine eigene Gruppe für geringfügig beteiligte Anteilsinhaber mit einer Beteiligung am Haftkapital von weniger als 1 % oder weniger als 1.000 € möglich ist,81) macht das StaRUG keine expliziten Vorgaben bzw. definiert den Begriff der Kleingläubiger nicht.

53

Es besteht daher eine gewisse Unsicherheit für den Planersteller, die Person des Kleingläubigers zu identifizieren. Wenn man allein auf die Höhe der Forderung abstellen würde, muss beachtet werden, dass Kleinstforderungen gegen den Schuldner sowohl von schutzbedürftigen „Klein“-Gläubigern, aber auch von großen Unternehmen bzw. Finanzinstituten gehalten werden können. Hinter vermeintlich „schwachen“ Lieferanten können „starke“ Warenkreditversicherer stehen, sodass fraglich ist, inwieweit überhaupt ein „besonderer Schutz“ erforderlich ist. Die Regierungsbegründung führt dazu aus, dass der Kreis der Kleingläubiger nicht nach solchen Kriterien zu bilden sei, die für alle Arten von Unternehmen gleich sind. Vielmehr soll es auf die Gläubigerstruktur des Unternehmens im Einzelfall ankommen. Dabei sollen sowohl relative Kriterien (Anteil der Verbindlichkeiten gegenüber den betreffenden Gläubigern an der Gesamtmasse aller Verbindlichkeiten des Schuldners) als auch absolute Kriterien (Höhe der Forderungen) herangezogen werden können.82) _____________ 78) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 200. 79) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 119. 80) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 119; vgl. auch Spahlinger, NZG Beilage Heft 5/2021, S. 32, 33. 81) Aufgrund des Wortlautes „Gläubiger“ ist eine separate Gruppenbildung für Kleinbeteiligte nicht erforderlich, gleichsam aber auch nicht verboten, s. a. Rz. 76; vgl. auch Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 9 Rz. 72, 86. 82) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 119.

236

Kowalewski/Praß

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

§9

Insoweit können die Grundsätze zum Insolvenzplanverfahren (§ 222 Abs. 3 Satz 2 InsO) einen ersten (allerdings nur ersten) Anhaltspunkt bieten. Welche Gläubiger Kleingläubiger i. S. des Insolvenzplanverfahrens sind, ist allerdings umstritten. Teilweise wird vorgeschlagen, als Kleingläubiger alle Einzelforderungen bis zum Erreichen von 10 % des gegen den Schuldner insgesamt gerichteten Forderungsvolumens zu verstehen.83) Demgegenüber werden teilweise absolute84) und relative85) Grenzen vertreten. Andere wollen mit Verweis auf die Vielfalt der möglichen Insolvenzsituationen ganz auf die Umstände des Einzelfalls abstellen.86)

54

Festzuhalten ist, dass die Gesetzesbegründung zum StaRUG keiner der oben dargestellten Ansichten zu § 222 Abs. 3 Satz 2 InsO eine ausdrückliche Absage erteilt. Am Ende muss daher tatsächlich eine Einzelfallbetrachtung angestellt werden, was freilich für den Planersteller gewisse Risiken birgt, die aber z. B. über eine Vorprüfung abgefedert werden könnten.87) Als Grundsatz dürfte man vor dem Hintergrund des Schutzzwecks und der Vorgaben der Richtlinie jedenfalls davon ausgehen können, dass Finanzinstitute generell selbst dann keine Kleingläubiger sind, wenn sie nur eine sehr geringe Forderung halten. Im Kern geht es um eine wertende Entscheidung, ob bestimmte Gläubiger gegenüber den anderen Gläubigern besonders schutzwürdig sind. Über die in der Regierungsbegründung aufgeführten Kriterien hinaus wird man daher i. R. der Gesamtabwägung auch berücksichtigen können, in welcher persönlichen Relation die in den Plan einbezogene Forderung zum Gesamtengagement des Gläubigers steht, wie persönlich betroffenen ein Gläubiger also wäre.

55

3.

Keine Einteilung aufgrund des Zusammenhangs mit staatlichen Leistungen aufgrund der COVID-19 Pandemie (§ 7 S. 1 COVInsAG)

§ 7 Satz 1 COVInsAG untersagt eine (Unter-)Gruppenbildung gemäß § 9 StaRUG allein wegen des Kriteriums, dass die Forderungen im Zusammenhang mit staatlichen Leistungen i. R. von Programmen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie gewährt wurden. Staatliche Leistungen werden in § 7 Satz 2 COVInsAG definiert als sämtliche Finanzhilfen, die durch öffentliche Anstalten, Körperschaften oder Rechtsträger öffentlicher Sondervermögen sowie im Mehrheitsbesitz des Bundes, der Länder oder Kommunen stehenden Rechtsträger gewährt werden. Gemäß § 7 Satz 3 COVInsAG ist eine Forderung, deren Ausfallrisiko durch staatliche Leistung übernommen worden ist, eine Forderung, die nach § 7 Satz 1 COVInsAG im Zusammenhang mit diesen staatlichen Leistungen steht. Unter Finanzhilfen fallen somit die _____________ 83) LG Neuruppin, Beschl. v. 19.4.2013 – 2 T 33/13, ZIP 2013, 1541, 1542; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 139. 84) 500 €, vgl. Nerlich/Römermann-Braun, InsO, 37. EL, § 222 Rz. 87; heute vertritt Nerlich/ Römermann-Rühle, InsO, § 222 Rz. 26, dass es auf den Einzelfall ankommt. 85) Reduzierung der Zahl der Gläubiger um mindestens 10 % vgl. Nerlich/Römermann-Braun, 37. EL, InsO, § 222 Rz. 87. 86) Andres/Leithaus-Andres, InsO, § 222 Rz. 10; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 222 Rz. 37; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 222 Rz. 26; Thies in: HambKomm-InsO, § 222 Rz. 27. 87) So auch Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 9 Rz. 39 ff.; Fridgen in: BeckOKStaRUG, StaRUG, § 9 Rz. 85.

Kowalewski/Praß

237

56

§9

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

Gewährung von Darlehen, die Übernahme einer Bürgschaft, Garantien oder eine sonstige Übernahme des Ausfallrisikos bezüglich Forderungen von Dritten. 57

Die Norm dient ausschließlich dem Schutz des Fiskus, damit sich Schuldner (unter Mitwirkung anderer Gläubiger) nicht zulasten der Steuerzahler über einen gruppenübergreifenden Cram-down der Verpflichtung zur Rückzahlung von PandemieFinanzhilfen entledigen können. Daraus folgt dann aber auch, dass sich nur der Fiskus (bzw. der durch ihn gesicherte Gläubiger) auf die Einhaltung dieser Vorschrift berufen darf. Andere (ggf. überstimmte) Planbetroffene können den Plan nicht mit diesem Argument angreifen. Herauszustellen ist außerdem, dass die Vorschrift nicht pauschal die Gruppierung von Staatskrediten in eine eigene Gruppe untersagt. Soweit andere sachliche Abgrenzungskriterien gegeben sind als die reine Tatsache, dass es sich um einen Staatskredit handelt, ist dies zulässig. VIII. Möglichkeit der Unterteilung in weitere Gruppen (Abs. 2 Satz 1 – 3)

58

§ 9 Abs. 2 Satz 1 ermöglicht es dem Planersteller, eine weitere Unterteilung von Gruppen vorzunehmen („fakultative Gruppen“). Voraussetzungen dafür sind – wie auch im Insolvenzplanverfahren88) – kumulativ, dass die fakultativen Gruppen –

über gemeinsame wirtschaftliche Interessen verfügen (§ 9 Abs. 2 Satz 1) sowie



sachgerecht voneinander abgegrenzt werden (§ 9 Abs. 2 Satz 2).

59

Die Kriterien für die Klassenbildung sind gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 zwingend im Restrukturierungplan anzugeben.

60

Aus dem Wortlaut der Vorschrift („können“) ergibt sich, dass eine Unterteilung der Pflichtgruppen für den Planersteller möglich, aber nicht zwingend ist (siehe dazu auch unten Rz. 69). Im Allgemeinen besteht aufgrund der recht sparsamen Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie89) sowie des nationalen Gesetzgebers vergleichsweise hohe Flexibilität, die Klassenbildung an den jeweiligen Planzielen auszurichten. Dies ist im Grundsatz richtig und entspricht auch dem Ansatz des Insolvenzplanverfahrens.90) Es ist zu Beginn des Prozesses oftmals schwer herauszuarbeiten, welche konkreten Interessen die einzelnen Parteien verfolgen. Die Ziele der Parteien unterliegen einem stetigen Wandeln, auch während des Restrukturierungsplanverfahrens selbst können sich diese ständig verändern. Vom Grundansatz her ist der Gläubigerschutz primär durch die weiteren Voraussetzungen für einen wirksamen Plan sicherzustellen (insbesondere das Kriterium des Gläubigerinteresses, die Voraussetzungen des gruppenübergreifenden Cram-down und die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen eine Bestätigungsentscheidung des Gerichts). _____________ 88) Die ganz h. M. geht i. R. des § 222 Abs. 2 von einer kumulativen Anwendung beider Kriterien aus: BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346 f.; Kübler/Prütting/BorkSpahlinger, InsO, § 222 Rz. 32; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 222 Rz. 14; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 82; Thies in: HambKomm-InsO, § 222 Rz. 18. 89) Wohl ebenso Westpfahl, NZG Beilage Heft 5/2021, S. 49, 50. 90) Im Insolvenzplanverfahren ist bei gleichem Wortlaut („können“) ein weites Ermessen des Planerstellers Konsens: Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 222 Rz. 30; K. SchmidtSpliedt, InsO, § 225a Rz. 14; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 222 Rz. 14; Kaltmeyer ZInsO 1999, 255, 263 f.

238

Kowalewski/Praß

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

§9

Der RefE zum StaRUG führt aus, dass sich die Vorschrift des § 9 „an ihr insolvenzplanrechtliches Vorbild in § 222 Absatz 1 InsO anlehnt“.91) Hier wie dort seien bei der Abgrenzung „unterschiedliche wirtschaftliche Interessen maßgeblich, und die Gruppenbildung unterliegt einer Sachgerechtigkeitskontrolle“.92) Für die Suche nach geeigneten Kriterien zur Bildung fakultativer Gruppen lässt sich daher zunächst auf die bereits entwickelten Maßstäbe im Insolvenzplanverfahren zurückgreifen. 1.

61

Kriterien der Gruppenbildung (Abs. 2 Satz 1 und 2)

Dadurch, dass die Richtlinie in Bezug auf die konkrete Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen keine Vollharmonisierung anstrebt, hatte der deutsche Gesetzgeber auch bei den Vorgaben zur weiteren Gruppenunterteilung einen großen Umsetzungsspielraum. Selbstredend müssen die deutschen Regelungen allerdings immer anhand der verfassungsrechtlichen Vorgaben ausgelegt werden. Dabei ist insbesondere der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG von Bedeutung. Die Vorgaben, dass die Gruppen nach Maßgabe wirtschaftlicher Interessen und anhand von sachgerechten Kriterien abzugrenzen sind, sind Ausdruck des Verfassungsauftrags aus Art. 3 Abs. 1 GG.93)

62

a) Gleichartige wirtschaftliche Interessen (Abs. 2 Satz 1) Die Auslegung des Kriteriums des wirtschaftlichen Interesses eröffnet einen Gestaltungsfreiraum des Planerstellers bei der Gruppenbildung. Der Begriff wird allerdings gesetzlich weder im StaRUG noch in der InsO legaldefiniert. Unter gleichartigen „wirtschaftlichen Interessen“ i. S. des § 222 Abs. 2 InsO versteht der BGH „insolvenzbezogene wirtschaftliche Interessen“, die nachweislich bei allen Parteien der Gruppe übereinstimmend oberste Priorität haben.94) In der insolvenzrechtlichen Literatur wird zudem darauf verwiesen, dass wirtschaftliche Interessen die mit dem Planziel einhergehenden Erwartungen, Handlungsspielräume, Konsequenzen und Befriedigungsaussichten des jeweiligen Beteiligten seien. Hierunter sollen sowohl kurz- als auch mittel- oder langfristig gerichtete Interessen an einer bestimmten Planwirkung fallen.95)

63

Entsprechend wird man bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Interessen bei der Klassenbildung im Restrukturierungsplan auf die restrukturierungsbezogenen wirtschaftlichen Interessen abstellen können.96) Regelmäßig lässt sich mit Blick auf

64

_____________ 91) Begr. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, S. 127, abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 25.8.2021). 92) Begr. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, S. 128, abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 25.8.2021). 93) Hierzu auch Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 9 Rz. 34 ff. 94) BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 9 f., ZIP 2015, 1346. 95) Vgl. K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 222 Rz. 15; Beck/Pechartscheck in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 9 Rz. 44, S. 329. 96) Für die Richtlinie wohl zu eng Madaus in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 180, der allein auf ähnliche Ansprüche oder Beteiligungen schauen will.

Kowalewski/Praß

239

§9

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

die aktuelle wirtschaftliche Situation des Schuldners an folgende (generelle) Kriterien anknüpfen: –

Unterschiedliche Werthaltigkeit der eigenen Rechte,97)



unterschiedliche Vertragsregelungen und darin festgehaltene Rangverhältnisse hinsichtlich bestimmter Gegenstände und Rechte,



Eingriffsintensität aufgrund des konkreten Restrukturierungskonzepts,



unterschiedliches Interesse verschiedener Gläubiger an der langfristigen Fortführung des Unternehmens,



unterschiedliche Durchsetzbarkeit der eigenen Rechte,



unterschiedliches Gesamtinteresse im Hinblick auf die bestehenden Restrukturierungsoptionen.

65

Gerade hinsichtlich des letztgenannten Punkts gehen die Vorstellungen der betroffenen Parteien oftmals weit auseinander. Für einige Gläubiger mag die Insolvenz und Abwicklung des Schuldners eine akzeptable Option sein, etwa weil ihre Forderung vollständig besichert ist und sie kein Interesse an weiteren Geschäftsbeziehungen zum Schuldner haben oder ein Marktaustritt des Schuldners sogar dem eigenen Geschäft helfen mag. Für andere Gläubiger mag mit der Insolvenz des Schuldners die eigene Insolvenz besiegelt werden, weil das eigene Geschäftsmodell von dem Fortbestand des Schuldners abhängig ist. Wiederum andere Gläubiger mögen ein Interesse daran haben, das Unternehmen zu erwerben und sich nicht allein mit einer Planquote zufriedenzugeben. Bei Finanzgläubigern hängt die Interessenlage u. a. ganz maßgeblich davon ab, ob die ursprünglichen Finanzierer ihre Tranchen noch halten oder ob über den Sekundärmarkt neue Investoren mit deutlichem Abschlag auf den Nominalwert der erworbenen Forderung eingestiegen sind. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass selbst die Workout-Abteilungen der deutschen Geschäftsbanken untereinander teilweise sehr unterschiedliche Grundansätze in Restrukturierungssituationen haben.98)

66

Zusätzlich müssen diese wirtschaftlichen Interessen auch gleichartig sein, d. h. die Interessen müssen sich im Wesentlichen gleichen ohne dabei zwingend vollständig identisch sein zu müssen. Sofern man zu dem begründeten Ergebnis kommt, dass durch die Gruppenmehrheit auch die Interessen von überstimmten Gruppenmitgliedern gleichsam repräsentiert würden, kann man von insgesamt gleichartigen wirtschaftlichen Interessen ausgehen.99) b) Sachgerechte Abgrenzung (Abs. 2 Satz 2)

67

Die Gruppenabgrenzung muss ferner sachgerecht sein. Dieses Kriterium spielt mit dem Erfordernis eines gleichartigen wirtschaftlichen Interesses zwingend zusam_____________ 97) A. A. wohl Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 9 Rz. 32 f., der die wirtschaftliche Werthaltigkeit allein nicht als Kriterium zulassen will. 98) So auch die Beobachtung von Westpfahl, NZG Beilage Heft 5/2021, S. 49. 99) So auch für das Insolvenzplanverfahren: Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 88; Beck/Pechartscheck in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 9 Rz. 46 ff., S. 330.

240

Kowalewski/Praß

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

§9

men:100) Will man ordnungsgemäß Gruppen mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen bilden, geht damit zwingend einher, dass die Abgrenzung sachgerecht erfolgt. Erforderlich ist, dass es für die Differenzierung zwischen verschiedenen Gruppen einen sachlich gerechtfertigten Grund geben muss.101) Ob ein solcher Grund gefunden werden kann, wird regelmäßig eine Frage des Einzelfalls sein. Es lässt sich insoweit kein für alle Fälle einheitlich geltender Kriterienkatalog abarbeiten. Jedoch lässt sich durch eine negative Abgrenzung festhalten, dass ein solcher Grund jedenfalls dann nicht vorliegt, wenn die wichtigsten wirtschaftlichen Interessen derjenigen, deren Rechte in unterschiedliche Gruppen eingeordnet wurden, gleichartig sind. Das bedeutet: Wenn sich der Planersteller für eine Unterteilung der Pflichtgruppen entscheidet, dürfen in einer Gruppe nicht nur Personen mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen aufgenommen werden, sondern sie müssen es auch.102) 2.

Verpflichtung zur Untergruppenbildung?

Zur Parallelvorschrift in § 222 Abs. 2 InsO wird teilweise vertreten, dass es in Ausnahmefällen auch eine Pflicht des Planerstellers zur Bildung bestimmter Gruppen geben kann. Eine solche Pflicht soll sich in Einzelfällen aus einer verfassungskonformen Auslegung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG ergeben.103) Es sprechen aber schon i. R. des § 222 Abs. 2 InsO die besseren Argumente dagegen, eine Pflicht zur Untergruppenbildung anzunehmen. Ohne einen Insolvenzplan, also im Regelinsolvenzverfahren, würden Beteiligte mit gleicher Rechtsstellung gleichbehandelt werden. Nur im Falle von absonderungsberechtigten Gläubigern könnte dies aufgrund verschiedener Absonderungsrechte anders sein. Dann kann es aber im Planverfahren keine Pflicht zur Einteilung in verschiedene Gruppen mit potenziell unterschiedlicher Behandlung geben.104) Anderes kann auch nicht für das Restrukturierungsplanverfahren gelten – gerade vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber bei der Abgrenzung der Gruppen systematisch auf die insolvenzrechtlichen Rangfolgen abstellt. Zudem spricht der Wortlaut von § 9 Abs. 2 Satz 1 („können“) klar gegen eine solche Verpflichtung. 3.

68

69

Einzelfälle und Beispiele

Im Folgenden soll auf konkrete Einzelfälle und Beispiele für eine ordnungsgemäße Gruppenbildung eingegangen werden.

_____________ 100) Bierbach in: Kübler, HRI, § 28 Rz. 65; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 82; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 222 Rz. 38. 101) Für § 222 Abs. 2 Satz 2 InsO: BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, 1347. 102) AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377 = ZIP 2021, 806; für § 222 Abs. 2 Satz 2 InsO: LG Neuruppin, Beschl. v. 19.4.2013 – 2 T 33/13, NZI 2013, 646, 647; AG Köln, Beschl. v. 14.1.2017 – 73 IN 173/15, ZIP 2018, 1405, 1408; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 101. 103) LG Berlin, Beschl. v. 20.10.2004 – 86 T 578/04, NZI 2005, 335, 337; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 35 und Rz. 119 ff. 104) Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 222 Rz. 31; Bierbach in: Kübler, HRI, § 28 Rz. 38.

Kowalewski/Praß

241

70

§9

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

a) Finanzierungsstrukturen 71

Der Richtliniengeber hatte bei der Schaffung der Restrukturierungsrichtlinie insbesondere auch die Leveraged-Buyout-Finanzierungen (LBO) im Blick. Bei komplexen Finanzierungsstrukturen, die z. B. aus einem Zusammenspiel von syndizierten – auch mehrstufigen – Konsortialdarlehen, Anleihen, Schuldscheindarlehen, Genussrechten, Factoring- oder Asset-Backed-Securities-Programmen (ABS), bilateralen Kreditlinien, Avallinien etc. bestehen können, kann sich eine separate Gruppenbildung aufgrund von unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen vor allem aus folgenden Kriterien ergeben: –

Vertraglicher Vorrang: Die Gläubiger können untereinander auf Basis vertraglicher Regelungen Rangverhältnisse begründen. Die typischerweise geschlossenen Interkreditorenvereinbarungen (Intercreditor Agreements) können z. B. Regelungen zur Erlösverteilung vorsehen („Wasserfall“), worunter bestimmte Gläubiger vorrangig zurückgeführt werden sollen. Denkbar (und durchaus typisch) sind aber auch Regelungen dazu, welche Gläubigergruppen darüber entscheiden können, ob die Forderungen gegen den Schuldner vollstreckt und die Sicherheiten verwertet werden. Selbst bei bereits fälligen gesicherten Forderungen mag es z. B. sein, dass „stärkere“ Gläubiger die Vollstreckung von vertraglich nachrangigen „Junior-Ranking“-Gläubigern verhindern können.



Struktureller Vorrang: Ein Vor- oder Nachrang kann sich auch aufgrund der unterschiedlichen Stellung der Gläubiger bezogen auf die Konzernstruktur ergeben. Die Hauptverbindlichkeiten (Senior-Debt) sitzen meist auf Ebene der operativen Konzernmutter (z. B. Konsortialdarlehen), während weiter oben in der Struktur die strukturell nachrangigen Forderungen (Junior-Debt) sitzen, d. h. weiter von den operativ tätigen Gesellschaften entfernt sind. Während diese Rangfolge in konsensualen außerinsolvenzlichen Restrukturierungen meist eine ganz entscheidende Rolle bei der Interessenbestimmung und der Verhandlungsposition spielt, wird es hierauf bei der Frage nach der Gruppenbildung in geringerem Umfang ankommen. Insoweit lässt sich jedoch noch weiter unterscheiden:

242



Gläubiger einer im Verhältnis zum Schuldner in der Struktur oberhalb sitzenden Gesellschaft werden grundsätzlich nicht in den Plan einbezogen, da auch der Restrukturierungsplan nach dem präventiven Restrukturierungsverfahren wie das Insolvenzplanverfahren nur den einzelnen Schuldner und nicht den gesamten Konzern betrachtet. Soweit also nicht durch besondere Maßnahmen, wie etwa durch Garantien oder Sachsicherheiten, eine Bündelung von Verbindlichkeiten auf einer Ebene einer Konzerngesellschaft erfolgt, lässt sich (allein) aufgrund eines strukturellen Nachrangs keine Gruppenbildung vornehmen.



Gläubiger von Tochtergesellschaften des Schuldners sind im Grundsatz ebenfalls nicht in den Plan mit einzubeziehen, soweit sich Verflechtungen nicht auf vertraglicher Basis ergeben. Eine Lösung wäre dann voraussichtlich über die Taktung mehrerer Pläne zu suchen, wobei sich praktisch das Problem stellen kann, dass die Eingangsvoraussetzungen ggf. nicht bei allen

Kowalewski/Praß

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

§9

Gesellschaften erfüllt sind.105) Verknüpfungen könnten sich aber etwa in dem Fall ergeben, dass der Plan den Einstieg eines Inverstors bei der Konzernmutter vorsieht und dadurch auf Ebene der Tochtergesellschaften vertragliche Kündigungsgründe (etwa durch sog. Change-of-Control-Klauseln) entstehen. Hinsichtlich des dadurch entstehenden Störpotentials von Gläubigern der Tochtergesellschaften können sich Interessen bilden, die bei der Gruppenbildung in den jeweiligen Plänen berücksichtigungsfähig sind. –

Insolvenzrechtlicher Vorrang: Auch wenn mit dem Restrukturierungsplan gerade ein Insolvenzverfahren verhindert werden soll, ist für die Interessenbestimmung gleichwohl stets zu beachten, welche Rechtsposition die Gläubiger in einem potentiellen Insolvenzverfahren hätten. Maßgebend sind insoweit insbesondere die §§ 38, 39, 49 und 199 InsO. Das zeigt sich etwa in dem in § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG in Bezug genommenen Kriterium des Gläubigerinteresses (Best-Interest-of-Creditors-Test).

Gerade bei komplexen Finanzierungsstrukturen wird sich der Planersteller regelmäßig überlegen, wo in der vorhandenen Finanzierungsstruktur der Wert des Unternehmens bricht („where does the value break in the structure?“) und der sachlichen Begründung hierfür – ggf. unter Nennung einer Bandbreite – viel Platz einräumen. Übersteigen die vorhandenen Verbindlichkeiten den so ermittelten Unternehmenswert, kann auf diese Weise ermittelt werden, ab welchem Rang die Finanzgläubiger (bzw. auch die Anteilsinhaber) „aus dem Geld sind“. Gläubiger, die aus dem Geld sind, sind in ihren wirtschaftlichen Interessen anders zu bewerten als Gläubiger, die noch „im Geld“ sind. Die Restrukturierungsbemühungen von Finanziererseite werden meist vordergründig von Gläubigern getrieben werden, die nur teilweise „aus dem Geld“ sind bzw. denen dies akut droht. Dies ist bei der Gruppenbildung zu berücksichtigen.

72

b) Beispiele für fakultative Gruppen auf Gläubigerseite Die i. E. zulässigen fakultativen Gruppen werden sich in der Praxis herausbilden. In Anlehnung an das Insolvenzplanverfahren sind folgende Kriterien denkbar:106) –

Person des Berechtigten und seine Beziehung zum Schuldner oder anderen Berechtigten (z. B. langjährige Geschäftspartner des Insolvenzschuldners wie Lieferanten oder Hauptabnehmer; Privatanleger, institutionelle Investoren etc.; Gläubiger, die durch Konsortialverträge untereinander verbunden sind; Gläubiger, die zugleich Gesellschafter sind, also ein Gesellschafterdarlehen halten);107)



die geschäftlichen Erwartungen oder Nichterwartungen an die weitere Zusammenarbeit des betroffenen Gläubigers mit dem Schuldner, bzw. an dessen Erhalt;108)

_____________ 105) Fraglich wird sein, ob zumindest eine gewisse Verfahrenskonzentration dadurch erreicht werden kann, dass für präventive Restrukturierungsplanverfahren (i) das EU-Konzerninsolvenzrecht (Art. 56 – 77 EuInsVO) durch Eintragung der nationalen Restrukturierungsverfahren im Anhang A der EuInsVO bzw. (ii) das deutsche Konzerninsolvenzrecht (insbesondere das Koordinationsverfahren in den §§ 269 ff. InsO) Anwendung findet. 106) Zu weiteren Beispielen aus einem der ersten Praxisfälle vgl. Grau/Pohlmann/Radunz, NZI 2021, 522, 524. 107) Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 93; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 97. 108) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 93.

Kowalewski/Praß

243

73

§9

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen



Vertragstyp: Liefer-, Kredit-, Versorgungs-, Dienstleistungsvertrag etc.;109) Vermieter des Schuldners, mit denen für die Geschäftsräume Langzeitmietverträge bestehen;



Differenzierung nach der Causa (vertragliche vs. gesetzliche Ansprüche (z. B. Forderungen aus ungerechtfertigter Bereicherung, Produkthaftung etc.);110)



bei Verfahrensbeginn höhenmäßig bekannte Forderungen im Unterschied zu solchen, die nur dem Grunde nach feststehen;111)



Forderungen, die durch Sicherheiten an Nichtmassevermögen oder an Vermögen eines Dritten (z. B. eines Gesellschafters) gesichert sind;112)



Sanierungsinteresse bzw. Bereitschaft, eigene Sanierungsbeiträge zu leisten;113) was jedoch klarstellend – und wie vom AG Köln114) entschieden – nicht bedeutet, dass ein unterschiedliches wirtschaftliches Interesse schlicht daraus abgeleitet werden kann, ob ein Betroffener dem intendierten Sanierungsweg widersprochen hat oder voraussichtlich dem Plan zustimmt oder nicht; es geht bei dieser Unterteilung um die Differenzierung von Betroffenen, die gemäß dem Restrukturierungskonzept willentlich andere (zusätzliche) Sanierungsbeiträge leisten als andere Betroffene;



Werthaltigkeit115) oder Fälligkeitszeitpunkt116) des Rechts bzw. der Forderung (dies umfasst auch eingeräumte Sonderrechte wie „last in first out“);



Gläubiger, die mit dem Schuldner konzernrechtlich verbunden sind,117) weil sie nämlich ein eigenes Interesse am Fortbestand haben;



hinsichtlich Dauerschuldverhältnissen: Unterteilung in zu beendende und fortzuführende Dauerschuldverhältnisse (mit sachlichen Unterscheidungskriterien wie Profitabilität des Standorts);



Anleihegläubiger als eigene Gruppe;118) und Unterteilung in die verschiedenen Rangklassen von Anleihegläubigern gemäß § 19 Abs. 4 SchVG;119)

_____________ 109) Jaffé in: FK-InsO, § 222 Rz. 22; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 90; Thies in: HambKomm-InsO, § 222 Rz. 17. 110) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 93; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 90. 111) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 93. 112) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 93; zur Differenzierung nach Art der Sicherheiten vgl. Hess/Obermüller, Insolvenzplanverfahren, S. 57 f. 113) Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 222 Rz. 36. 114) AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377 = ZIP 2021, 806. 115) Besonders relevant bei Absonderungsanwartschaften, vgl. Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 9 Rz. 8 ff.; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 92; Beck/Pechartscheck in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 9 Rz. 76, S. 336 f. 116) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 93; Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 9 Rz. 31. 117) Madaus in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 182. 118) Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 9 Rz. 39; de Bruyn/Ehmke, NZG 2021, 661, 669; Geiwitz/ v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 222 Rz. 19 ff., K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 222 Rz. 19. 119) Zur Frage, ob § 19 Abs. 4 SchuldVG eine Einteilung der Anleihegläubiger mit anderen Gläubigern verbietet vgl. Lürken, ZIP 2021, 1305, 1311; zum Insolvenzrecht Langenbucher/ Bliesener/Spindler-Bliesener/Schneider, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 19 SchVG Rz. 42; Knof in: HambKomm-InsO, Anh. II SchVG Rz. 121 ff.

244

Kowalewski/Praß

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

§9



Gläubiger von Forderungen aus Insolvenzanfechtung in Drittinsolvenzverfahren (oder Anfechtungsgläubiger nach dem AnfG);



der Fiskus:120) Differenzierung nach privat- oder öffentlich-rechtlichem Rechtsgrund (z. B. Steuerforderungen, Forderungen von Sozialversicherungsträgern, Forderungen der Bundesagentur für Arbeit);121)



Gläubiger von Kartellschadenersatzansprüchen;122)



Für die nachrangigen Restrukturierungsgläubiger kann nach den verschiedenen (gedachten) Rangklassen des § 39 InsO unterschieden werden, wobei im StaRUG nur eine Differenzierung relevant ist zwischen unentgeltlichen Leistungen (§ 39 Abs. 1 Nr. 4) und Gesellschafterdarlehen oder Forderungen aus wirtschaftlich entsprechenden Rechtshandlungen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5).123)

Ob diese Kriterien jeweils für sich genommen bereits geeignet sind, um eine eigene fakultative Gruppe begründen zu können, ist stets eine Frage des Einzelfalls, wobei es für eine sachgerechte Abgrenzung durchaus reichen kann, wenn nur ein Unterscheidungskriterium erfüllt ist. Bei der Gruppeneinteilung hat der Planersteller einen weiträumigen Ermessensspielraum, der auch im Planbestätigungsverfahren durch das Restrukturierungsgericht nur eingeschränkt überprüfbar ist (siehe hierzu Rz. 83 ff.).124) Für die Plansicherheit wird es allerdings natürlich vorteilhaft sein, bei der Unterteilung der einzelnen Gruppen auf möglichst viele der vorstehenden Kriterien zurückzugreifen und so i. R. der Planrechtfertigung auf ein breites Argumentationsfundament zurückgreifen zu können.

74

c) Fakultative Gruppen auf Anteilseignerseite Anteilseigner stellen eine eigene Pflichtgruppe gem § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 dar. Dennoch kann es im Einzelfall angezeigt sein, eine weitergehende Unterteilung auf Anteilseignerseite vorzunehmen. Das betrifft gerade (börsennotierte) Großgesellschaften mit einem weit gestreuten Gesellschafterkreis – regelmäßig (aber nicht zwingend) in der Rechtsform der AG. Eine solche Unterscheidung erweist sich vor allem in solchen Situationen als zweckmäßig, in denen ein Investor neue Geschäfts_____________ 120) Fischer, NZG Beilage Heft 5/2021, S. 69, 71; eine solche Einteilung scheint auch der Richtliniengesetzgeber vor Augen gehabt zu haben: vgl. ErwG 44: „Die Mitgliedstaaten sollten auch gesonderte Klassen für andere Arten von Gläubigern ohne ausreichende gemeinsame Interessen schaffen können, wie Steuerbehörden oder Sozialversicherungsträger.“ 121) Vgl. ErwG 44 Restrukturierungsrichtlinie; vgl. auch zum Insolvenzplan BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 21, NZI 2015, 697; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 222 Rz. 28; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 222 Rz. 18; krit. Jaffé in: FK-InsO, § 222 Rz. 21; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 90; Braun-Braun/Frank, InsO, § 222 Rz. 8. 122) Dieses Thema wird gerade in der Automobilbrache immer relevanter werden, vgl. dazu jüngst EuGH, Urt. v. 14.3.2019 – Rs. C-724/17 (Skanska), ZIP 2019, 1087, dazu EWiR 2019, 415 (Dreher). Aus den Urteilsgründen folgt mit einiger Wahrscheinlichkeit, dass der EuGH die bereits aus dem Kartellbußgeldrecht bekannte Konzernhaftung für Kartellverstöße auf das Kartellschadensersatzrecht überträgt. Dann haften Muttergesellschaften auch zivilrechtlich grundsätzlich für die Kartellverstöße ihrer Tochtergesellschaften. 123) Für den Insolvenzplan: Beck/Pechartscheck in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 9 Rz. 46, S. 338. 124) AG Hamburg, Beschl. v. 12.4.2021 – 61a RES 1/21, ZRI 2021, 473 = BeckRS 2021, 7959.

Kowalewski/Praß

245

75

§9

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

anteile übernehmen will, die zuvor durch Kapitalschnitt, (Bar-)Kapitalerhöhung, Debt-Equity-Swap etc. geschaffen wurden. 76

77

Auch auf Anteilseignerseite hängt die Bildung fakultativer Gruppen jeweils vom konkreten Einzelfall ab. Zum Insolvenzplan haben sich auch hier einzelne Kriterien herausgebildet, die ein wirtschaftliches Interesse einzelner Gruppen begründen und so eine sachgerechte Gruppenbildung rechtfertigen: –

Kleingesellschafter. Während im Insolvenzplanverfahren gemäß § 222 Abs. 3 Satz 2 InsO auch für Anteilsinhaber eine eigene Gruppe gebildet werden kann, sofern diese mit weniger als 1 % am Haftkapital oder mit weniger als 1.000 € beteiligt sind, existiert eine vergleichbare Regelung für den Restrukturierungsplan nicht.125) Dennoch dürfte diese Größenordnung einen Anhaltspunkt dafür bieten, wann ein Kleingesellschafter die Bildung einer eigenen Gruppe rechtfertigen könnte;



Unterscheidung nach Arten der Beteiligung (Sonderrechte, z. B. Vorzugsaktionäre);126)



unterschiedliche Haftungspflichten (z. B. Nachschüsse oder Verlust eines Gesellschafterdarlehens);127)



Differenzieren nach sanierungswilligen und -unwilligen Gesellschaftern bzw. nach der jeweiligen Beteiligungsbereitschaft an einem Sanierungskonzept;128)



Sstrategische Interessen (z. B. Beteiligungen an Wettbewerbern);129)



Gesellschafter, die zugleich Inhaber einer nachrangigen Insolvenzforderung sind bzw. Gläubiger, die gleichzeitig Gesellschafter des Schuldners sind;130)



Gesellschafter ist ein vom Schuldner abhängiges oder mit diesem im Wettbewerb stehendes Unternehmen131) sowie Konzernverflechtungen;132)



das Vorhandensein von persönlichen Sicherheiten oder von dinglichen Sicherungsrechten am Nichtmassevermögen oder am Vermögen eines Dritten.133)

Die Abgrenzung zwischen Eigen- und Fremdkapital kann im Einzelfall bei der Gruppenbildung schwierig sein. Grenzfälle sind z. B. Genussscheininhaber und stille _____________ 125) Hierzu Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 222 Rz. 22; Frege/Nicht in: Keller, Hdb. Zwangsvollstreckungsrecht, Kap. E, D. II. 5. b), Rz. 387; Beck/Pechartscheck in: Brünkmans/ Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 9 Rz. 56, S. 332; vgl. auch Keller, BB 2020, 2435, 2440; BraunBraun/Frank, InsO, § 222 Rz. 9; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 98. 126) K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 222 Rz. 19; Keller, BB 2020, 2435, 2440; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 98. 127) K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 222 Rz. 19. 128) K. Schmidt, ZGR 2012, 566, 579; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 222 Rz. 19; Kübler/Prütting/ Bork-Spahlinger, InsO, § 222 Rz. 37; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 98. 129) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 98. 130) Keller, BB 2020, 2435, 2440; ähnlich Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 93, li. Sp.: „die Doppelrolle eines Gläubigers als Eigentümer (soweit nicht bereits der Fall des § 32a GmbHG vorliegt und zur zwingenden Bildung einer nachrangigen Gruppe führt)“. 131) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 93, li. Sp. 132) Braun-Braun/Frank, InsO, § 222 Rz. 9. 133) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 93, li. Sp.

246

Kowalewski/Praß

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

§9

Beteiligungen. Diese können je nach Einzelfall ebenfalls eine eigene Gruppe bilden. Wichtig ist insoweit: In der Gruppe zählen nur die betroffene Forderung bzw. Position (Anteilsrecht), aber bei Ermittlung der Interessen sind gerade auch die besonderen (Doppel-)Interessen zu berücksichtigen. d) Arbeitnehmer § 4 Satz 1 Nr. 1 nimmt Forderungen von Arbeitnehmern aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, einschließlich der Rechte aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung, von einer Gestaltung durch den Restrukturierungsplan aus. In dieser Hinsicht weicht der Restrukturierungsrahmen vom Insolvenzplanverfahren ab, wonach Arbeitnehmer nach § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO im Insolvenzplan eine besondere Gruppe bilden sollen, wenn sie als Insolvenzgläubiger mit nicht nur unerheblichen Forderungen beteiligt sind. Arbeitnehmer sind daher schon mangels Einbeziehungsfähigkeit keine eigene Gruppe aufgrund ihrer Stellung als Arbeitnehmer.134)

78

Auch arbeitsrechtliche Kollektivvereinbarungen können durch den Restrukturierungsplan nicht verändert werden. Im Ausgangspunkt werden – wie im Insolvenzverfahren135) – die §§ 111 ff. BetrVG durch § 92 StaRUG nicht verdrängt, mit anderen Worten kann der Abschluss eines Sozialplans nicht durch einen Restrukturierungsplan ersetzt werden.136) Für die Gruppenbildung ist dies daher ebenfalls irrelevant.

79

Soweit das Rechtsverhältnis nicht als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist, können jedoch z. B. Forderungen von Geschäftsführern und Managementbeteiligungen in den Plan einbezogen werden.

80

e) Ermessensspielraum und gerichtliche Überprüfbarkeit Die Verantwortlichkeit der Bildung fakultativer Gruppen trägt der Planersteller. Wie auch im Insolvenzplanverfahren steht dem Planersteller bei der Gruppenbildung ein weiter Gestaltungs- und Ermessensspielraum zu.137) Das Ermessen des Planerstellers ist im Restrukturierungsplanverfahren sogar noch weitreichender als beim Insolvenzplan,138) denn dem Planersteller steht ferner ein – durch § 8 konkretisiertes – Auswahlermessen in der Frage zu, von welchen Gläubigern Sanierungsbeiträge eingefordert und in das Verfahren einbezogen werden sollen.139)

_____________ 134) Etwas offener, insbesondere aufgrund der mittelbaren Auswirkungen auf Arbeitnehmer, formuliert dies Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 9 Rz. 44 f. 135) St. Rspr., vgl. nur BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 1 AZR 30/03, ZIP 2004, 235. 136) Dies entspricht den Vorgaben von Art. 13 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie, vgl. Göpfert/ Giese, NZG Beilage Heft 5/2021, S. 55, 56. 137) Allg. M. zum Insolvenzplan, vgl. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 115 m. w. N.; Kaltmeyer, ZInsO 1999, 255, 263 f.; zum Restrukturierungsplan vgl. Spahlinger, NZG Beilage Heft 5/2021, S. 32, 32. 138) Vgl. auch AG Hamburg, Beschl. v. 12.4.2021 – 61a RES 1/21, ZRI 2021, 473 = BeckRS 2021, 7959: „gegenüber § 222 InsO wesentlich weiteres Ermessen“ und Stahlschmidt, ZInsO 2021, 205, 207. 139) Begr. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, S. 96 und 102, abrufbar unter https:// www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf? __blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 25.8.2021).

Kowalewski/Praß

247

81

§9

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

82

Zwingend vom Planersteller einzuhalten sind insbesondere die gesetzlichen Mindestvoraussetzungen wie z. B. die Bildung der Pflichtgruppen gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2. Ebenfalls nicht zur Disposition des Planerstellers stehen die Tatbestandsvoraussetzungen für eine fakultative Gruppenbildung (wirtschaftliches Interesse, Sachgerechtigkeit). Innerhalb dieser Grenzen kann der Planersteller jedoch i. R. eines freien Gruppenbildungsermessens entscheiden, ob und wie er zwischen Beteiligten mit gleicher Rechtsstellung, aber unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen eine weitere Unterteilung vornimmt. Dies bedeutet allerdings im Umkehrschluss nicht, dass er bei unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen einzelner Beteiligter innerhalb einer Gruppe dazu verpflichtet ist, diese in unterschiedliche Gruppen aufzuteilen. Denn die einzelnen Planbetroffenen haben im Gegenzug auch keinen Anspruch auf eine weitergehende, fakultative Gruppenbildung (siehe hierzu Rz. 69). Im Rahmen dieses weiten Ermessens- und Gestaltungsspielraums darf sich der Planersteller insbesondere auch von strategischen und taktischen Erwägungen leiten lassen.140) Vor diesem Hintergrund bietet sich für ihn die Chance, durch eine geschickte Gruppengestaltung bestimmte Mehrheiten für die nachgelagerte Planabstimmung abzusichern und ggf. widersprechende Gruppen mit einem gruppenübergreifenden Cram-down zu überstimmen.

83

Dieses Ermessen unterliegt im StaRUG-Verfahren nur einer eingeschränkten Kontrolle des Restrukturierungsgerichts wie auch der Planbeteiligten. Im Rahmen der gerichtlichen Vorprüfungs- oder Planbestätigungsverfahren (siehe hierzu Rz. 93 ff.) kann das Restrukturierungsgericht nur überprüfen, ob die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen – (1) Einhaltung der Pflichtgruppen, (2) unterscheidbares wirtschaftliches Interesse, (3) Sachgerechtigkeit – eingehalten sind. Wegen der Grundkonzeption des Gesetzes liegt jedenfalls kein Ermessensfehler vor, wenn sich der Planarchitekt von Erwägungen hat leiten lassen, den Restrukturierungsplan im Wege des gruppenübergreifenden Cram-down gegen den Widerstand einzelner Gruppen durchzusetzen.

84

Das StaRUG sieht zudem kein allgemeines Missbrauchsverbot vor. Angesichts potentieller Manipulationsmöglichkeiten wurde in Deutschland mit Blick auf das Insolvenzplanverfahren immer wieder gefordert, die Zahl der zwingenden Gruppen zu erhöhen und die Flexibilität einzuschränken. Dies hat jedoch keinen Einzug in die Gesetzgebung gefunden.141) Die fakultative Gruppenbildung im Insolvenzplan – und das sollte beim Restrukturierungsplan ebenfalls gelten – hat vielmehr stets anhand des konkreten Einzelfalls zu erfolgen, und zwar unter Berücksichtigung der jeweils einbezogenen Planbeteiligten und der Krisensituation der Gesellschaft. Gleichwohl wird hinsichtlich des Insolvenzplanverfahrens vorgeschlagen, die taktische Gruppenbildung durch ein ungeschriebenes Missbrauchsverbot einzuschränken. So wird vertreten, das Gericht müsse i. R. des § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO prüfen, ob Verfahrensrechte der Gläubiger durch die Gruppenbildung gezielt umgangen werden sollen, und den Plan u. U. zurückweisen.142) Die h. L. hält die ge_____________ 140) Spahlinger, NZG Beilage Heft 5/2021, S. 32, 32. 141) Historischer Überblick bei Jaffé in: FK-InsO, § 222 Rz. 14. 142) Smid, InVo 1997, 169, 175 ff.; zust. Jaffé in: FK-InsO, § 222 Rz. 27 ff.

248

Kowalewski/Praß

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

§9

schriebenen Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 und 2 InsO dagegen zu Recht für ausreichend, um dem Zweck der Gruppierung gerecht zu werden.143) Auch die Restrukturierungsrichtlinie lässt hinsichtlich der Gruppenbildung kein allgemeines Missbrauchsverbot erkennen. Es ist daher kein überzeugendes Argument dafür erkennbar, dass das Gericht hinsichtlich der Gruppenbildung eine ungeschriebene allgemeine Missbrauchskontrolle durchführen dürfte. f)

Erwägungen zur Anzahl der Gruppen

Wie auch bei der weiteren Aufteilung von Gruppen im Insolvenzplanverfahren, können strategische Erwägungen für eine höhere oder geringere Anzahl von Gruppen sprechen. Dabei darf aber nicht in den Hintergrund geraten, dass sich die Gruppeneinteilung zuvorderst stets am Kriterium des gemeinsamen wirtschaftlichen Interesses zu orientieren hat und eine sachgerechte Abgrenzung gegeben sein muss. Es ist also nicht möglich, über die Pflichtgruppen hinaus144) künstlich Gruppen zu schaffen, nur um eine Mehrheit der abstimmenden Gruppen nach § 26 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu erreichen, indem Planbetroffene mit im Wesentlichen gleichartigen wirtschaftlichen Interessen offenkundig nur zu diesem Zweck auf verschiedene Gruppen aufgeteilt werden.145)

85

Generelle Handlungsempfehlungen zur Anzahl von Gruppen lassen sich aufgrund der Vielschichtigkeit möglicher Konstellationen kaum geben. Generell werden die Planersteller versuchen, die Gruppen möglichst so zu bilden, dass in allen Gruppen die erforderliche Mehrheit erreicht wird, um sich nicht mit den höheren Anforderungen für einen gruppenübergreifenden Cram-down auseinandersetzen zu müssen. Das mag dazu führen, dass es vorteilhaft ist, keine weiteren Unterteilungen durchzuführen. Zudem birgt eine Unterteilung stets das Risiko einer erhöhten Angreifbarkeit. Auf der anderen Seite ist es für die Durchführung eines gruppenübergreifenden Cram-down erforderlich, dass in der Mehrheit der Gruppen die Zustimmungsquote erreicht wird. Im Einzelfall mag es deshalb vorteilhaft erscheinen, die Zahl der zustimmenden Gruppen durch eine gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 vorgenommene Teilung einer Gruppe, deren Zustimmung sicher erwartet wird, in zwei Gruppen zu erhöhen.146) Das setzt selbstverständlich voraus, dass eine entsprechende Abgrenzung sachgerecht vorgenommen werden kann.147) Es mag zudem sein, dass sich das Abstimmungsverhalten kleinerer Gruppen, als Konsequenz einer höheren Gruppenanzahl, leichter vorhersagen lässt, als dasjenige größerer.148)

86

_____________ 143) Bierbach in: Kübler, HRI, § 28 Rz. 83; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 110 ff. m. w. N.; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 222 Rz. 4; Kaltmeyer, ZInsO 1999, 255, 263. 144) Im Fall von Pflichtgruppen muss differenziert werden, selbst bei Personenidentität; insoweit unklar AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377 = ZIP 2021, 806. 145) Vgl. zum Insolvenzplan AG Köln, Beschl. v. 6.4.2016 – 74 IN 45/15, NZI 2016, 537, 539. 146) Für die Gruppeneinteilung im Insolvenzplanverfahren: Eidenmüller in: MünchKommInsO, § 222 Rz. 7; Kaltmeyer, ZInsO 1999, 255, 265. 147) Vgl. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 100. 148) Für die Gruppeneinteilung im Insolvenzplanverfahren: Eidenmüller in: MünchKommInsO, § 222 Rz. 7; Kaltmeyer, ZInsO 1999, 255, 265; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 222 Rz. 64.

Kowalewski/Praß

249

§9 87

Zu beachten ist auch, dass die Stimme nur einzelner dissentierender Gläubiger in kleinen Gruppen gewichtiger ist als in größeren Gruppen. Dies kann dann zu dem Ergebnis führen, dass tendenziell mehr Gruppen widersprechen, wenn es dem Planersteller nicht möglich ist, die Opponenten in einigen wenigen Gruppen zusammenzufassen.149) 4.

88

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

Dokumentation der relevanten Abgrenzungskriterien (Abs. 2 Satz 3)

Notwendige Folge des weiten Ermessenspielraums (siehe dazu oben Rz. 81 ff.) ist, dass die Einteilung transparent und anhand der wirtschaftlichen Interessen nachvollziehbar sein muss.150) Nach § 9 Abs. 2 Satz 3 sind daher die Kriterien für die Abgrenzung der fakultativen Gruppen im Restrukturierungsplan anzugeben. Aufgrund der Parallele zum Insolvenzplan kann für die weitere Auslegung der Norm auf die Rechtsprechung und Literatur zu § 222 Abs. 2 Sätze 2 und 3 InsO aufgebaut werden. Im Grundsatz umfasst die Dokumentationspflicht i. R. des § 222 Abs. 2 Satz 3 InsO –

erstens, die wirtschaftlichen, restrukturierungsbezogenen Interessen der betroffenen Gläubiger darzustellen und



zweitens darzulegen, dass alle Beteiligten, deren genannte Interessen übereinstimmen, auch tatsächlich in einer Gruppe zusammengefasst sind und worin genau die Unterscheidungskriterien begründet sind.151)

89

Es ist empfehlenswert, im Plan die fakultative Gruppenbildung umfassend und sorgfältig zu begründen und idealerweise auf möglichst viele der oben dargestellten Kriterien zu stützen. Hierdurch wird der Plan nicht nur weniger angreifbar, vielmehr kann dadurch auch die Akzeptanz bei den Planbetroffenen gesteigert werden.

90

Der Begründungsaufwand wird höher, wenn Gläubiger mit ähnlichen wirtschaftlichen Interessen im Plan unterschiedlich behandelt werden sollen. Eine erhöhter Begründungsaufwand ergibt sich etwa regelmäßig bei einem Debt-Equity-Swap, der nur ausgewählten Gläubigern angeboten werden soll. Etwas anderes gilt allerdings, wenn vorher im Wege eines sog. „Chinese-Menue“ Gläubigern gleicher Interessen verschiedene Wahlmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, wie sie teilnehmen wollen, und die Auswahl durch die Gläubiger erfolgt (siehe dazu noch ausführlich § 10 Rz. 17 ff.). In diesem Fall entfällt in der Regel weiterer Begründungsaufwand hinsichtlich der Interessen und es reicht der Hinweis auf das Abstimmungsergebnis. IX. Rechtsschutz

91

Rechtliche Konsequenz der erfolgten Gruppeneinteilung ist zunächst, dass es im weiteren Verlauf auf die Mehrheiten i. R. der Planabstimmung in der jeweiligen Gruppe ankommt (§ 25) oder eine Zustimmungsersetzung gemäß der §§ 26 – 28 erfolgen kann. Dadurch zeigt sich, dass die Gruppeneinteilung entscheidenden Einfluss darauf hat, ob ein Restrukturierungsplan überhaupt angenommen wird. _____________ 149) Für die Gruppeneinteilung im Insolvenzplanverfahren: Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 222 Rz. 65; Bierbach in: Kübler, HRI, § 28 Rz. 81 f.; Eidenmüller in: MünchKommInsO § 222 Rz. 7; Lauscher/Weßling/Bange, ZInsO 1999, 5, 7; Kaltmeyer, ZInsO 1999, 255, 265. 150) Vgl. Beck/Pechartscheck in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 9 Rz. 73, S. 336. 151) Vgl. zu § 222 Abs. 2 InsO Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 107.

250

Kowalewski/Praß

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

§9

Die ordnungsgemäße Gruppenbildung wird daher ein zentraler Meilenstein auf dem Weg zum Restrukturierungsplan sein, der für und gegen sämtliche Planbetroffenen wirkt. Die rechtliche Absicherung hinsichtlich der Gruppenbildung einerseits und die Rechtsschutzmöglichkeiten andererseits sind daher von wesentlicher Bedeutung. 1.

Vorprüfung

Wenn die Abstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren durchgeführt wird, kann der Schuldner gemäß § 47 Satz 1 eine Vorprüfung durch das Restrukturierungsgericht beantragen. Gegenstand einer solchen Vorprüfung kann nach den §§ 47 Satz 2, 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 jede Frage sein, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich ist, und damit insbesondere auch, ob die Auswahl und Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen ordnungsgemäß vorgenommen wurde. Im Fall eines Gesetzesverstoßes erteilt das Gericht zwar gemäß § 46 Abs. 2 lediglich einen Hinweisbeschluss, der keine Bindungswirkung entfaltet.152) Dieser wird aber in der Praxis regelmäßig dazu führen, dass der Planersteller entsprechende Anpassungen an der Zusammensetzung der Gruppen vornimmt, damit die Umsetzung des Restrukturierungsplans nicht in Gefahr gerät. Sollte eine Anpassung entgegen eines klaren Hinweises des Gerichts nicht vorgenommen werden, muss das Gericht das Verfahren letztlich nach § 33 Abs. 2 Nr. 2 aufheben. 2.

92

Überprüfung auf Ebene der Planfeststellung

Wird der Plan gerichtlich überprüft, wird das Restrukturierungsgericht die Bestätigung gemäß § 63 Abs 1 Nr. 2 versagen, wenn die Gruppeneinteilung nicht entsprechend der Vorgaben des § 9 geschehen ist und der Planersteller den Mangel der Gruppeneinteilung und die sich daran anknüpfende Abstimmung nicht innerhalb angemessener Frist beheben kann.153) Nach dem AG Köln154) soll eine nicht sachgerechte Einteilung in Gruppen jedoch dann nicht zur Versagung der Planbestätigung führen, wenn die fehlerhafte Einteilung letztlich unschädlich ist, weil bei einer richtigen Einteilung die Planbetroffenen nicht einfacher oder schwieriger überstimmt werden können, als dies bei der sachgerechten Bildung der Gruppen der Fall wäre.

93

Gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 besteht zudem die Möglichkeit, dass ein Planbetroffener, der gegen den Restrukturierungsplan gestimmt hat, einen Antrag auf Versagung der Planbestätigung stellt. Die Bestätigung wird dann versagt, wenn der Antragsteller durch den Restrukturierungsplan voraussichtlich schlechtergestellt wird als er ohne den Plan stünde. Eine solche Schlechterstellung kann generell auch dadurch geschehen, dass ein Planbetroffener entgegen der gesetzlichen Vorgaben des § 9 einer Gruppe zugewiesen wurde, allerdings nur dann, wenn dies seine Rechtsposition im Vergleich zum Szenario „ohne Plan“ tatsächlich verschlechtert. Ein solcher

94

_____________ 152) Vgl. Bork, NZG Beilage Heft 5/2021, S. 38, 38 f.; vgl. krit. zu diesem (antizipierten) Ansatz bereits Kowalewski/Praß in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 9 Rz. 108. 153) So wird das einhellig für die Parallelvorschrift des § 250 Nr. 1 InsO gesehen: Kübler/ Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 222 Rz. 70; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 167. 154) AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377 = ZIP 2021, 806.

Kowalewski/Praß

251

§ 10

Gleichbehandlung von Planbetroffenen

Antrag ist gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 nur zulässig, wenn der Antragsteller bereits im Abstimmungsverfahren dem Plan widersprochen und geltend gemacht hat, dass er durch den Plan voraussichtlich schlechtergestellt wird als ohne Plan. Sofern die Abstimmung in einem gerichtlichen Abstimmungs- oder Erörterungstermin erfolgt ist, muss der Antragsteller diesen Umstand gemäß § 64 Abs. 2 Satz 2 spätestens dann glaubhaft machen. 3. 95

Rechtsschutz nach Bestätigung des Restrukturierungsplans

Gemäß § 66 Satz 1 steht jedem Planbetroffenen sofortige Beschwerde gegen den Beschluss zur Planbestätigung zu. Sie ist gemäß § 66 Abs. 2 allerdings nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer kumulativ (1) dem Plan im Abstimmungsverfahren gemäß § 64 Abs. 2 widersprochen, (2) gegen den Plan gestimmt und (3) glaubhaft gemacht hat, dass er durch den Plan wesentlich schlechtergestellt wird als er ohne den Plan stünde sowie dass dieser Nachteil nicht durch eine Zahlung aus den in § 64 Abs. 3 genannten Mitteln ausgeglichen werden kann. Wenn ein Planbetroffener nicht entsprechend der Vorgaben des § 9 in eine Gruppe eingeteilt wurde, kann daraus ggf. folgen, dass er durch den Plan schlechtergestellt wird als ohne. In diesem Fall könnte erfolgreich sofortige Beschwerde gegen den Restrukturierungsplan erhoben werden. Gemäß § 66 Abs. 4 ist es darüber hinaus möglich, dass das Restrukturierungsgericht die aufschiebende Wirkung der Beschwerde anordnet. Damit besteht auch die Option, einstweiligen Rechtsschutz zu erlangen. Dies geschieht dann, wenn der Vollzug des Restrukturierungsplans mit schwerwiegenden, insbesondere nicht rückgängig zu machenden Nachteilen für den Beschwerdeführer einhergeht und diese außer Verhältnis zu den Vorteilen des sofortigen Planvollzugs stehen.

§ 10 Gleichbehandlung von Planbetroffenen Kowalewski/Praß

(1) Innerhalb jeder Gruppe sind allen Planbetroffenen gleiche Rechte anzubieten. (2) 1Eine unterschiedliche Behandlung der Planbetroffenen in einer Gruppe ist nur mit Zustimmung aller Planbetroffenen, zu deren Lasten die unterschiedliche Behandlung geht, zulässig. 2In diesem Fall ist dem Restrukturierungsplan die zustimmende Erklärung eines jeden Planbetroffenen, zu dessen Lasten die unterschiedliche Behandlung geht, beizufügen. (3) Jedes Abkommen des Schuldners oder Dritter mit einzelnen Planbetroffenen, durch das diesen für ihr Verhalten bei Abstimmungen oder sonst im Zusammenhang mit dem Restrukturierungsverfahren ein nicht im Plan vorgesehener Vorteil gewährt wird, ist nichtig. Literatur: Eidenmüller, Der Insolvenzplan als gesellschaftsrechtliches Universalwerkzeug, NJW 2014, 17; Haas, Mehr Gesellschaftsrecht im Insolvenzplanverfahren: Die Einbeziehung der Anteilsrechte in das Insolvenzverfahren, NZG 2012, 961; Lange/Swierczok, Neues aus Brüssel: Der finale Text der Restrukturierungsrichtlinie lässt grüßen!, BB 2019, 514; Leuering, Das neue Schuldverschreibungsgesetz, NZI 2009, 638; Thole, Der Richtlinienentwurf zum präventiven Restrukturierungsrahmen, ZIP 2017, 101; Westpfahl, Die Risiken

252

Kowalewski/Praß

§ 10

Gleichbehandlung von Planbetroffenen

der Banken im vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 49. Übersicht I. Normzweck und Normsystematik ..... 1 II. Normhistorie ........................................ 6 1. Entstehungsgeschichte der relevanten Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie ................................... 6 2. Entstehungsgeschichte der deutschen Umsetzung .......................... 7 III. Gruppeninternes Gleichbehandlungsgebot (Abs. 1) .............................. 8 1. Materielles Verständnis der Gleichbehandlung ................................. 9 2. Zulässige Gestaltungen ....................... 13 3. Gruppenübergreifender Geltungsbereich? ................................................ 15

I.

4.

Verhältnis zu anderen Gleichbehandlungsgrundsätzen ........................ 16 5. Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgebot ............................................ 18 IV. Zulässige Ungleichbehandlung (Abs. 2) ................................................ 22 V. Nichtigkeit einer nicht im Plan vorgesehenen Vorteilsgewährung (Abs. 3) ................................................ 24 VI. Rechtsfolge ......................................... 27 1. Folgen einer unzulässigen Ungleichbehandlung (Abs. 1) .................. 27 2. Folgen einer nichtigen Vorteilsgewährung (Abs. 3) ................................. 29

Normzweck und Normsystematik

§ 10 normiert für das Restrukturierungsplanrecht den auch im Insolvenzplanrecht in § 226 InsO enthaltenen gruppeninternen Gleichbehandlungsgrundsatz.

1

§ 10 ist nahezu wie § 226 InsO aufgebaut, in der Gesetzesbegründung wird ausdrücklich auf diese Vorschrift als Vorbild Bezug genommen.1) Die Vorschrift verfolgt auch denselben Zweck wie § 226 InsO für das Insolvenzplanverfahren.

2

Durch das gruppeninterne Gleichbehandlungsgebot aus § 10 Abs. 1 wird das gemeinsame Interesse der Planbetroffenen an der Planverwirklichung abgesichert. Die festgeschriebene Gleichbehandlung der Beteiligten innerhalb der Gruppe rechtfertigt den Eingriff in die Rechtspositionen der Gruppenmitglieder. Diese und die Regelungen der Absätze 2 und 3, die diesen Grundsatz flankieren, sollen damit die Gruppeneinteilung durch § 9 absichern und rechtfertigen.

3

Die Vorschrift ist so aufgebaut, dass in § 10 Abs. 1 zunächst der allgemeine Grundsatz der gruppeninternen Gleichbehandlung aufgestellt wird. § 10 Abs. 2 stellt hierzu sogleich die einzige Ausnahme für den Fall auf, dass alle Planbetroffenen, zu deren Lasten eine unterschiedliche Behandlung geht, zustimmen. § 10 Abs. 3 flankiert das allgemeine Gleichbehandlungsgebot aus § 10 Abs. 1, indem Abkommen des Schuldners oder Dritten mit einzelnen Planbetroffenen, durch welche Letzteren für ihr Verhalten bei Abstimmungen oder sonst im Zusammenhang mit dem Restrukturierungsverfahren ein nicht im Plan vorgesehener Vorteil gewährt wird, nichtig sind.

4

Gesamtsystematisch ist § 10 insbesondere im Zusammenhang mit § 27 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 Nr. 2 zu sehen, wonach für den Fall eines gruppenübergreifenden Cram-down neben den gruppeninternen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 10 auch ein gruppenübergreifendes Gleichbehandlungsgebot (bzw. genauer: Schlechterstellungsverbot) tritt. § 27 stellt die Voraussetzungen dafür auf, wann eine Gruppe i. S. von § 26 Abs. 1 Nr. 2 angemessen am Planwert beteiligt ist. Dabei ist Voraussetzung für eine angemessene Beteiligung am Planwert gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 3,

5

_____________ 1)

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 119 f.

Kowalewski/Praß

253

§ 10

Gleichbehandlung von Planbetroffenen

dass kein planbetroffener Gläubiger, der in einem Insolvenzverfahren gleichrangig mit den Gläubigern der Gruppe zu befriedigen wäre, bessergestellt werden darf als diese Gläubiger. Für Personen, die am Schuldner beteiligt sind, stellt § 27 Abs. 2 Nr. 2 die vergleichbare Regel auf, dass keine an dem Schuldner beteiligte Person, die ohne Plan den Mitgliedern der Gruppe gleichgestellt wäre, einen wirtschaftlichen Wert behält. II. Normhistorie 1. 6

Ein explizites Gleichbehandlungsgebot der Beteiligten innerhalb einer Klasse wurde von der Restrukturierungsrichtlinie2) nicht vorgegeben. ErwG 44 der Restrukturierungsrichtlinie spricht lediglich von der Gewährleistung einer „fairen“ Behandlung von im Wesentlichen ähnlichen Rechten (vgl. auch Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 2 Restrukturierungsrichtlinie). Werden Parteien in einer Klasse nicht gleichbehandelt, lässt sich indes der Sinn einer Klassenbildung generell anzweifeln. Die nun durch den deutschen Gesetzgeber in § 10 erfolgte Klarstellung ist deshalb breit gefordert worden3) und generell begrüßenswert. 2.

7

Entstehungsgeschichte der relevanten Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie

Entstehungsgeschichte der deutschen Umsetzung

Der Wortlaut der Norm hat sich während des Gesetzgebungsverfahrens nicht geändert. Der ursprüngliche Wortlaut des RefE zum StaRUG vom 19.9.20204) und des RegE vom 16.10.20205) findet sich auch im RegE vom 9.11.2020 wieder.6) Auch in den sonstigen Gesetzgebungsunterlagen, insbesondere auch in der Stellungnahme des Bundesrates vom 27.11.2020,7) gibt es keine Anträge zur Änderung dieser Vorschrift. III. Gruppeninternes Gleichbehandlungsgebot (Abs. 1)

8

Der Wortlaut von § 10 Abs. 1 StaRUG entspricht § 226 Abs. 1 InsO. Danach sind innerhalb jeder Gruppe allen Planbetroffenen gleiche Rechte anzubieten. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass eine unterschiedliche Behandlung (1) von Planbe_____________ 2)

3)

4)

5) 6) 7)

254

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Gefordert wurde dies u. a. von: Thole, ZIP 2017, 101, 108 f.; für ein explizites Gleichbehandlungsgebot Westpfahl, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 49, 51; Lange/Swierczok, BB 2019, 514, 519, sehen den Gedanken des § 226 Abs. 1 InsO von Art. 10 Abs. 2 lit. b abgedeckt. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, S. 17 f., abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 25.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 16.10.2020, BR-Drucks. 619/20, S. 13. RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181, S. 17 f. Stellungnahme des BRat z. SanInsFoG, v. 27.11.2020, BR-Drucks. 619/20, S. 1 ff.

Kowalewski/Praß

Gleichbehandlung von Planbetroffenen

§ 10

troffenen, die unterschiedlichen Gruppen angehören,8) sowie (2) der Planbetroffenen zu den nicht in den Plan einbezogenen Personen im Grundsatz – jedenfalls nach § 10 – zulässig ist. Der Grundsatz der Gleichbehandlung findet zudem lediglich im Verhältnis der Gruppenbeteiligten, nicht jedoch gegenüber mithaftenden Dritten Anwendung.9) 1.

Materielles Verständnis der Gleichbehandlung

Zentrale Frage – gerade mit Blick auf eine mögliche Zustimmungspflicht nach § 10 Abs. 2 – ist, wie der Begriff der Gleichbehandlung zu verstehen ist. Mit Blick auf die Parallelvorschrift in § 226 InsO lassen sich im Ausgangspunkt zwei Auffassungen vertreten: Einerseits könnte man den Begriff formal verstehen. Demnach liegt eine Gleichbehandlung vor, wenn für alle Beteiligten der Gruppe formal dieselbe Regelung getroffen wird. Unerheblich ist demnach die wirtschaftliche Gleichwertigkeit der angebotenen Rechte für die einzelnen Beteiligten.10) Andererseits lässt sich vertreten, dass der Begriff eine wirtschaftliche Gleichstellung meint. Eine faktisch unterschiedliche Behandlung würde demnach spiegelbildlich auch eine materielle Ungleichbehandlung voraussetzen.11)

9

Für eine formale Betrachtungsweise lässt sich der Wortlaut des § 10 Abs. 1 („gleiche Rechte“) ins Feld führen. Von möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen, welche die Gewährung dieser Rechte auf die Beteiligten haben, ist im Normtext nicht die Rede.12) Gleichwohl ist eine solche Auslegung des Wortlauts keineswegs zwingend. Denn mit einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist nicht gemeint, dass bloße Rechtsreflexe, wie z. B. die individuelle Steuerlast, berücksichtigt werden sollen.13) Es geht vielmehr um eine wirtschaftliche Bewertung der angebotenen Rechte.14) Sind diese gleichwertig, so ist der Grundsatz aus § 10 Abs. 1 gewahrt.

10

Die von der Gegenauffassung genannte Befürchtung, es könnten so bloße individuelle Rechtsreflexe berücksichtigt werden,15) trifft nicht zu. Eine wirtschaftliche Gleichstellung ist bei Auslegung nach Sinn und Zweck am Ende das, was zählt, damit die jeweiligen Interessen der Planbetroffenen angemessen berücksichtigt werden. Immerhin geht es im Restrukturierungsplanverfahren um vermögensrechtliche Eingriffe

11

_____________ 8) So sieht das auch die Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 119. 9) Vgl. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 226 Rz. 10. 10) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 226 Rz. 3; Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 226 Rz. 3; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 226 Rz. 2; Thies in: HambKomm-InsO, § 226 Rz. 2; Andres/ Leithaus-Andres, InsO, § 226 Rz. 2; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 226 Rz. 6; Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 226 Rz. 2. 11) Breuer in: MünchKomm-InsO, § 226 Rz. 8; Braun-Braun/Frank, InsO, § 226 Rz. 6; Ahrens/ Gehrlein/Ringstmeier-Silcher, InsR, § 226 InsO Rz. 5. 12) Vgl. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 226 Rz. 3; Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 226 Rz. 3. 13) Dies wird zurecht i. R. von § 226 Abs. 1 InsO als kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot gesehen: LG Berlin, Beschl. v. 20.10.2014 – 51 T 696/14, ZInsO 2014, 2232, 2238; Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 226 Rz. 3; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 226 Rz. 2; GrafSchlicker-Kebekus/Wehler, InsO, § 226 Rz. 2. 14) So wird das auch bei Graf-Schlicker-Kebekus/Wehler, InsO, § 226 Rz. 2 verdeutlicht. 15) So z. B. für § 226 Abs. 1 InsO: Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 226 Rz. 3.

Kowalewski/Praß

255

§ 10

Gleichbehandlung von Planbetroffenen

und auch bei formal ungleichen Rechten kann eine wirtschaftliche Gleichstellung gegeben sein. 12

Gegen eine wirtschaftliche Betrachtungsweise wird zwar immer wieder eingewandt, dass eine Feststellung der wirtschaftlichen Gleichbehandlung der Beteiligten sowohl durch den Planersteller als auch für das Restrukturierungsgericht regelmäßig kaum durchführbar sein wird.16) Dies ist allerdings kein geeignetes Argument, eine solche wirtschaftliche Bewertung der Gruppenmitglieder im Vorhinein zu unterlassen. Es ist durchaus möglich, die wirtschaftliche Gleichwertigkeit rechnerisch zu ermitteln. Denkbar ist z. B., den Barwert späterer Zahlungen im Vergleich zu früheren durch eine entsprechende Abzinsung zu ermitteln.17) Und im Restrukturierungsplanverfahren wird es regelmäßig notwendig sein, den Wert von Forderungen, Absonderungsrechten und Mitgliedschaftsrechten unter Zugrundelegung von Bewertungsmethoden im Going Concern zu ermitteln, die zukünftige erwartete Zahlungsströme risikoadäquat und auf der Zeitschiene gewichten. Gerade dadurch wird eine Gleichbehandlung erreicht, denn es kommt nicht mehr auf den absoluten Betrag der Forderung an, sondern auf den Wert im Moment der Planvorlage. Damit sprechen die besseren Argumente für ein wirtschaftlich materielles Verständnis der Gleichbehandlung.18) In der Rechtspraxis mag der Planersteller sich gleichwohl dafür entscheiden, den Planbetroffenen formal gleiche Rechte anzubieten, um die Angriffspunkte gegen seinen Plan möglichst zu reduzieren. Dies sollte nicht angreifbar sein, auch wenn bei wirtschaftlicher Betrachtung auch eine differenziertere Betrachtungsweise möglich wäre. 2.

13

Zulässige Gestaltungen

§ 10 Abs. 1 besagt, dass den Planbetroffenen gleiche Rechte anzubieten sind. Es ist nicht die Rede davon, dass alle Planbetroffenen am Ende auch die gleichen Rechte erhalten müssen. Aus diesem Grund ist ein sog. „Chinese Menue“ stets zulässig, mit dem allen Mitgliedern einer Gruppe dieselben, aber mehrere Optionen angeboten werden, aus denen alle Gruppenmitglieder wählen können.19) Entscheiden sich dann die Gruppenmitglieder unterschiedlich, liegt darin keine unzulässige Ungleichbehandlung.20) Dies ist gemäß einer ersten Entscheidung des AG Köln selbst dann nicht anders zu beurteilen, wenn die zustimmenden Planbetroffenen am Ende mehr erhalten sollen als die nicht zustimmenden Planbetroffenen.21) Dies wird allerdings immer auch vom Einzelfall – und dabei insbesondere von Inhalt und Unterschied der verschiedenen Optionen – abhängig sein. _____________ 16) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 226 Rz. 3; Thies in: HambKomm-InsO, § 226 Rz. 2; Andres/Leithaus-Andres, InsO, § 226 Rz. 2; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 226 Rz. 5 f.; Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 226 Rz. 3. 17) Braun-Braun/Frank, InsO, § 226 Rz. 6. 18) Im Ergebnis so auch für das StaRUG Braun-Böhm, StaRUG, § 10 Rz. 3. 19) So auch Braun-Böhm, StaRUG, § 10 Rz. 3; Wolgast/Grauer-Kirchner, StaRUG, § 10 Rz. 3. 20) AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377 = ZIP 2021, 806; so auch für den Insolvenzplan: Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 31 Rz. 81; BraunBraun/Frank, InsO, § 226 Rz. 8; Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 226 Rz. 7. 21) AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377 = ZIP 2021, 806.

256

Kowalewski/Praß

Gleichbehandlung von Planbetroffenen

§ 10

Genauso liegt keine Ungleichbehandlung i. S. dieses Absatz 1 vor, wenn den Planbetroffenen die gleichen Rechte angeboten werden, der damit verbundene Eingriff sich jedoch für die Planbetroffenen mittelbar aufgrund anderer Umstände unterschiedlich stark auswirkt.22) Wenn z. B. drei Banken mit unterschiedlichen Kreditvertragsbedingungen, die zulässigerweise in einer Gruppe sind, gleiche neue Kreditbedingungen angeboten werden, so ist der Gleichbehandlungsgrundsatz eingehalten. Für die eine Bank mag der Eingriff – etwa aufgrund der Auflage, dass andere Kredite erst zurückgeführt werden dürfen, wenn der Kredit der Bank vollständig zurückgezahlt wurde – im Vergleich zu einer Bank, die eine vergleichbare Klausel nicht hat, einschneidendere Auswirkungen haben. Allerdings nimmt der Wortlaut von § 10 Abs. 1 gerade das Ergebnis in den Blick, dass am Ende alle die gleichen Rechte angeboten bekommen. Wie schwer der damit mittelbar verbundene Eingriff für den individuellen Planbetroffenen ist, ist deshalb ohne Belang. Dies muss schon deshalb gelten, weil es ansonsten kaum durchführbar ist, jegliche Eingriffe nach ihrer Schwere zu ordnen. Dies würde anderenfalls die Frage aufwerfen, ob für Gläubiger mit unterschiedlicher (schuldrechtlicher) Ausgangsrechtsstellung zwingend eigene Gruppen zu bilden sind, da anderenfalls das Gleichbehandlungsgebot nicht eingehalten werden könnte. Dies kann – auch von der Restrukturierungsrichtlinie – nicht gewollt sein und führt auch bei den Wertungen des § 27 in die Irre. 3.

Gruppenübergreifender Geltungsbereich?

Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 schließt nicht aus, dass auch verschiedenen Gruppen gleiche Rechte angeboten werden. Für die Parallelvorschrift im Insolvenzplanverfahren ist allerdings umstritten, ob unterschiedlichen Gruppen zwingend auch unterschiedliche Rechte angeboten werden müssen.23) Dies könnte aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG geboten sein („Wesentlich Ungleiches ist ungleich zu behandeln“).24) Dagegen spricht jedoch, dass zum einen dem Planersteller, andererseits aber auch den Betroffenen bei der Ausarbeitung des Sanierungskonzepts und des Restrukturierungsplans großer Spielraum zustehen soll. Die Angebote gegenüber den Gruppen sind letztlich nur Ausfluss des Sanierungskonzepts. Wenn sich die erforderliche Mehrheit dahinter stellt, besteht kein Grund, formalistisch eine Regelung zu fordern, dass Ungleichen Ungleiches angeboten werden müsste. Es sprechen vielmehr die besseren Argumente dafür, dass keine Pflicht besteht, unterschiedlichen Gruppen unterschiedliche Rechte anzubieten. 4.

14

15

Verhältnis zu anderen Gleichbehandlungsgrundsätzen

§ 10 ist u. U. nicht der einzige Gleichbehandlungsgrundsatz, den der Planersteller berücksichtigen muss. Noch ungeklärt ist bislang das Verhältnis von § 10 zu den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsätzen. Im Aktienrecht ist dieser explizit _____________ 22) So auch Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 9 Rz. 8. 23) Wohl für eine solche Pflicht: AG Köln, Beschl. v. 6.4.2016 – 74 IN 45/15, NZI 2016, 537, 538; AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377 = ZIP 2021, 806; offengelassen durch BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 22, NZI 2015, 697; gegen eine solche Pflicht etwa: Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 222 Rz. 25. 24) Wobei freilich nicht zwingend aus einer unterschiedlichen Gruppenzuteilung folgen muss, dass es sich um wesentlich Ungleiche i. S. der Rechtsprechung des BVerfG handelt.

Kowalewski/Praß

257

16

§ 10

Gleichbehandlung von Planbetroffenen

in § 53a AktG normiert.25) Im GmbH-Recht wird dieser aus den §§ 19 Abs. 2, 24, 26 Abs. 2 und Abs. 3, §§ 29 Abs. 3, 31 Abs. 3 und 47 Abs. 2 GmbHG hergeleitet.26) Dadurch, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz in § 10 gegenüber dem allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz einerseits spezifischer und andererseits enger ist, spricht viel dafür, dass der allgemeine gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz durch § 10 verdrängt wird.27) Insoweit dürfte das Restrukturierungsrecht dem allgemeinen Gesellschaftsrecht als lex specialis vorgehen. 17

Bei der Einbeziehung von Schuldverschreibungsgläubigern in den Restrukturierungsplan ist zusätzlich § 19 Abs. 6 i. V. m. Abs. 4 SchuldVG zu beachten. Hiernach sind den Gläubigern einer Schuldverschreibung dieselben Rechte anzubieten. Soweit sich die Schuldverschreibungsgläubiger in einer Abstimmungsgruppe befinden, kommt dem § 19 Abs. 6 i. V. m. Abs. 4 SchuldVG nur klarstellende Wirkung zu, er hat keinen über den § 10 hinausgehenden Regelungsgehalt.28) Soweit allerdings die Gläubiger einer Schuldverschreibung in mehr als eine Gruppe eingeteilt sind, müssen den Anleihegläubigern auch gruppenübergreifend dieselben Rechte angeboten werden.29) Insoweit wird § 10 um einen nur für die Schuldverschreibungsgläubiger geltenden gruppenübergreifenden Gleichbehandlungsgrundsatz ergänzt. Der Planersteller hat darauf zu achten, dass gemäß § 10 die anderen Gläubiger in den Gruppen der Schuldverschreibungsgläubiger mit diesen wiederum gleichzubehandeln sind. Für § 19 Abs. 6 i. V. m. Abs. 4 SchuldVG genügt es wie bei § 10, wenn den Schuldverschreibungsgläubigern dieselben Rechte angeboten werden, sie müssen sich nicht für dieselbe Option entscheiden.30) 5.

18

Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgebot

Umgekehrt stellt sich aber zugleich die Frage, ob in Anlehnung an anerkannte Ausnahmen zum gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz solche auch auf den restrukturierungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu übertragen sind, z. B. beim Vorliegen sachlicher Gründe. Zur Erreichung des sachlichen Grundes muss nach gesellschaftsrechtlichen Maßstäben die Ungleichbehandlung einem legitimen Zweck dienen sowie geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein.31) Insbesondere wird als ein solcher sachlicher Grund das Interesse der Gesellschaft genannt.32) _____________ 25) Ausführlich zum aktienrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz bei: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 53a Rz. 1 ff.; Götze in: MünchKomm-AktG, § 53a Rz. 1 ff. 26) Ausführlich zum Gleichbehandlungsgrundsatz im GmbH-Recht bei: Michalski/Heidinger/ Leible/J. Schmidt-Lieder, GmbHG, § 13 Rz. 108 ff. 27) So für § 226 Abs. 1 InsO: Eidenmüller, NJW 2014, 17, 18; Haas, NZG 2012, 961, 965; Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 31 Rz. 77. 28) Verannemann-Rattunde, SchVG, § 19 Rz. 109; Langenbucher/Bliesener/Spindler-Bliesener/ Schneider, Bankrechts-Kommentar, § 19 SchVG Rz. 42; Leuering, NZI 2009, 638, 640. 29) Langenbucher/Bliesener/Spindler-Bliesener/Schneider, Bankrechts-Kommentar, § 19 SchVG Rz. 42; Westpfahl/Seibt in: A. Schmidt, Sanierungsrecht, Anh. § 39 InsO Rz. 127. 30) Westpfahl/Seibt in: A. Schmidt, Sanierungsrecht, Anh. § 39 InsO Rz. 130. 31) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 35; Heidel-Janssen, AktG, § 53a Rz. 16; Cahn/v. Spannenberg in: BeckOGK-AktG, § 53a Rz. 20. 32) BGH, Urt. v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, BGHZ 83, 319, 321; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 35; Götze in: MünchKomm-AktG, § 53a Rz. 15 f.; Cahn/v. Spannenberg BeckOGK-AktG, § 53a Rz. 20.

258

Kowalewski/Praß

Gleichbehandlung von Planbetroffenen

§ 10

Dies dürfte grundsätzlich – vielleicht sogar mit Blick auf die insolvenznahe Situation: verstärkt – auch für das Restrukturierungsverfahren gelten: Hier wird das Interesse der Gesellschaft unter Berücksichtigung der verschiedenen Stakeholder-Interessen regelmäßig in der erfolgreichen Sanierung liegen und der Vermeidung eines noch schlechteren Alternativszenarios. Dieses Interesse trägt jedenfalls ein erstes Stück und kann grundsätzlich auch Ungleichbehandlung rechtfertigen. Allerdings ist zu empfehlen, möglichst zusätzliche Ziele und Motive herauszuarbeiten, die eine Ungleichbehandlung in dem konkreten Einzelfall nach einer Verhältnismäßigkeitsprüfung rechtfertigen können. Eine solche Ausnahme vom restrukturierungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot käme etwa dann in Betracht, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass dessen pauschale Befolgung zum sicheren Scheitern der kompletten Sanierung führen könnte. Gehören der Gesellschaft z. B. Aktionäre an, welche die Gesellschaft „vernichten“ wollen, kann nach der Rechtsprechung des BGH ein Bezugsrechtsausschluss zulasten dieser einzelnen Aktionäre als sachlich gerechtfertigt eingestuft werden.33) Einen ähnlichen Vorwurf kann man solchen Aktionären (und Stakeholdern einschließlich Gläubigern im Allgemeinen) machen, die mit ihrem Verhalten eine erfolgreiche Sanierung verhindern, z. B. indem sie formale Blockadepositionen versuchen einzunehmen anstatt aktiv die Sanierung mitzugestalten.

19

Besonders praxisrelevant dürfte in diesem Zusammenhang werden, dass § 27 Abs. 1 Nr. 2 in bestimmten Konstellationen eine Ungleichbehandlung zwingend fordern könnte. Kernaussage des § 27 Abs. 1 Nr. 2 ist, dass ein gruppenübergreifender Cramdown einer Gläubigergruppe nur möglich ist, wenn die Altgesellschafter entweder austreten oder sich den durch den Plan gesteigerten Wert ihrer Anteile neu erkaufen (es sei denn es greift eine der engen Ausnahmen nach § 28 Abs. 2); siehe dazu ausführlich § 27 Rz. 35 ff. Es mag die Situation eintreten, dass nicht alle Altgesellschafter die erforderlichen Mittel zum Neu-Erkaufen der Anteile aufbringen wollen oder können. Finden sich dann einzelne Gesellschafter, die bereit sind, eigene erforderliche Sanierungsbeiträge zu leisten, allerdings unter der Voraussetzung, dass auch nur sie (bzw. diejenigen, die bereit sind mitzuziehen) in Zukunft Gesellschafter sind, können sich das Ziel von § 10 und das Ziel von § 27 Abs. 1 Nr. 2 beißen. Muss für die Anteilseigner in dem Fall nämlich eine einheitliche Gruppe gebildet werden, müsste der Plan vorsehen, dass einige Gesellschafter austreten (und zwar unabhängig davon, ob sie generell mitmachen wollten oder nicht) und andere (ggf. nach einer Kapitalherabsetzung) allein an der Kapitalerhöhung teilnehmen. Es mag sein, dass diese Regelung die (einzige) erfolgsversprechende Sanierungslösung bietet. Dann darf nicht der formale Gleichbehandlungsgrundsatz des § 10 dazu führen, dass solch ein Plan nicht verabschiedet werden kann und stattdessen in das Insolvenzverfahren abgebogen werden muss. Dies widerspräche dem Grundgedanken des gesamten Gesetzes – zumal zu berücksichtigen ist, dass die Restrukturierungsrichtlinie keine Norm wie § 10 forderte.

20

Die vorgenannten Überlegungen zu dem gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und die hierzu entwickelten Grundsätze lassen sich grundsätzlich auch

21

_____________ 33) BGH, Beschl. v. 6.10.1960 – II ZR 150/58, BGHZ 33, 175, 186 f.

Kowalewski/Praß

259

§ 10

Gleichbehandlung von Planbetroffenen

auf andere Gruppen von Gläubigern übertragen – immer natürlich unter der Voraussetzung, dass im Einzelfall eine Ungleichbehandlung innerhalb einer Gruppe sachlich gerechtfertigt sein kann. IV. Zulässige Ungleichbehandlung (Abs. 2) 22

Sofern durch den Restrukturierungsplan eine unterschiedliche Behandlung der Planbetroffenen in einer Gruppe vorgesehen ist, bedarf es hierfür gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 der Zustimmung aller Planbetroffenen, zu deren Lasten die unterschiedliche Behandlung geht. Entgegen dem etwas missverständlichen Wortlaut von § 226 Abs. 2 InsO34) hat der Gesetzgeber in § 9 Abs. 2 StaRUG nun klargestellt, dass nicht alle, sondern nur diejenigen Planbetroffenen zustimmen müssen, zu deren Lasten die unterschiedliche Behandlung geht. Dazu gehören alle Gruppenmitglieder, die innerhalb einer Gruppe im Verhältnis zu anderen Gruppenmitgliedern durch den Restrukturierungsplan schlechtergestellt werden. Sofern die Regelungen zwar unterschiedlich, aber nicht offensichtlich ungleichwertig sind, müssen alle Gruppenbeteiligte als diejenigen, zu deren Lasten die Regelung geht, zustimmen. In diesem Fall muss somit allen Gruppenmitgliedern die Regelung zur Zustimmung vorgelegt werden.35) Der Planersteller kann diesem unvorteilhaften Szenario dadurch entgehen, dass er zwei Gruppen bildet, die später unterschiedlich behandelt werden, vorausgesetzt, es liegen die Voraussetzungen der weiteren Gruppenunterteilung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 und 2 vor.

23

In formaler Hinsicht setzt § 10 Abs. 2 Satz 2 voraus, dass für den Fall der unterschiedlichen Behandlung die zustimmende Erklärung jedes Planbetroffenen, zu dessen Lasten die unterschiedliche Behandlung geht, dem Restrukturierungsplan beizufügen ist. Wie auch bei § 226 Abs. 2 Satz 2 InsO ist davon auszugehen, dass es einer schriftlichen Zustimmungserklärung bedarf.36) Eine mündliche Zustimmung reicht nicht aus. Eine Heilung, wie sie im Insolvenzplanverfahren wegen § 250 InsO dabei für möglich gehalten wird,37) dürfte wegen der Parallelvorschrift in § 63 Abs. 1 StaRUG auch im Restrukturierungsplanverfahren möglich sein. V. Nichtigkeit einer nicht im Plan vorgesehenen Vorteilsgewährung (Abs. 3)

24

§ 10 Abs. 3 sieht die Nichtigkeit von jedem Abkommen des Schuldners oder Dritten mit einzelnen Planbetroffenen vor, durch das den Planbetroffenen für ihr Verhalten bei Abstimmungen oder sonst im Zusammenhang mit dem Restrukturierungsverfahren ein nicht im Plan vorgesehener Vorteil gewährt wird. Mit Abkommen ist dabei jede einvernehmliche Besserstellung, auch durch zweckgerichtete Gewäh_____________ 34) Für die generelle Zustimmung aller etwa Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 226 Rz. 6; wenn dies nicht eindeutig feststellbar ist: Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 226 Rz. 6. Nur derjenigen, die schlechterbehandelt wurden dagegen etwa: K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 226 Rz. 5; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 226 Rz. 10. 35) So wird dies auch für § 226 Abs. 2 Satz 1 InsO gesehen: Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 226 Rz. 7; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 226 Rz. 10. 36) K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 226 Rz. 5; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 226 Rz. 7; Nerlich/ Römermann-Ober, InsO, § 226 Rz. 6. 37) K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 226 Rz. 5; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 226 Rz. 7; Nerlich/ Römermann-Ober, InsO, § 226 Rz. 6.

260

Kowalewski/Praß

Gleichbehandlung von Planbetroffenen

§ 10

rung eines wie auch immer gearteten Vorteils, gemeint.38) Die Tatbestandsvariante des Verhaltens bei Abstimmungen ist seinem Wortlaut nach eindeutig und umfasst Vorteile konkret für ein bestimmtes, abgesprochenes Abstimmungsverhalten. Schwieriger ist die Auslegung des weiten Begriffs des sonstigen Zusammenhangs mit dem Restrukturierungsverfahren. Für § 226 Abs. 3 InsO geht der BGH davon aus, dass dieses Merkmal erfüllt ist, wenn die Vereinbarung ausschließlich dem Zweck dient, die Annahme des Insolvenzplans sicherzustellen.39) Für § 10 Abs. 3 dürfte deshalb ein vergleichbar enges Verständnis gelten, dass der Zweck ausschließlich in dem Stimmenkauf zugunsten des Restrukturierungsplans liegen darf. § 10 Abs. 3 dient gleichwohl letztlich auch dazu sicherzustellen, dass alle Planbetroffenen die vollständige Reichweite ihres Abstimmverhaltens bewerten können. Wird das Abkommen offengelegt, dass es Teil des Restrukturierungsplans wird und können die Planbetroffenen so darüber abstimmen, fällt es nicht unter Abs. 3.40) Klarzustellen ist insoweit aber, dass das Tatbestandsmerkmal „nicht im Plan vorgesehener Vorteil“ nicht zu weitgehend aufgefasst werden darf. Selbstverständlich mögen sich für die Planbetroffenen mittelbar auch bestimmte Vorteile ergeben können, die nicht ausdrücklich im Plan aufgeführt sind. Das mag z. B. bestimmte Geschäftschancen beinhalten. Aus der Gesamtbetrachtung des § 10 Abs. 3 folgt aber, dass es der Vorschrift konkret darum geht, einen nicht offengelegten Stimmenkauf zu verhindern und nicht darum, pauschal alles für nichtig zu erklären, das sich als – ungeschriebene – Folge des Restrukturierungsplans ergibt.

25

Umstritten ist bereits i. R. der insolvenzrechtlichen Parallelnorm die Behandlung von Forderungskäufen. Die hierzu ergangene Entscheidung des BGH,41) dass Forderungskäufe mit einem Kaufpreis, der über den nach dem Plan zu erwartenden Leistungen liegt, pauschal ein unzulässiges Abkommen i. S. des § 10 Abs. 3 sind, ist zu Recht auf breite Kritik gestoßen.42) In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall verkaufte der Forderungsinhaber die Forderung unter der Voraussetzung der Annahme und Bestätigung des Plans und bevollmächtigte im gleichen Zug bereits vorab den Käufer zur Stimmabgabe für die gegenständliche Forderung. Das Ergebnis des BGH, dass in einer solchen faktischen Abgabe des Stimmrechts an einen anderen Abstimmenden auch ein unzulässiger Stimmenkauf gesehen werden kann, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Es trifft dann aber auch nur auf Fälle

26

_____________ 38) Auf einen Vertragsschluss im Rechtssinne kommt es dabei nicht an, vgl. Fridgen in: BeckOKStaRUG, § 9 Rz. 17; vgl. dazu auch die gleichlautende Definition für § 226 Abs. 3 InsO: K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 226 Rz. 6; Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 226 Rz. 9; Thies in: HambKomm-InsO, § 226 Rz. 7; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 226 Rz. 14. 39) BGH, Beschl. v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, BGHZ 162, 283, 293. 40) So auch für das StaRUG Braun-Böhm, StaRUG, § 10 Rz. 6; Pannen/Riedemann/SmidSmid, StaRUG, § 10 Rz. 6; für die InsO BGH, Beschl. v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, BGHZ 162, 283, 286; Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 226 Rz. 9; Breuer in: MünchKommInsO, § 226 Rz. 18; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 226 Rz. 9. 41) BGH, Beschl. v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, BGHZ 162, 283. 42) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 266 Rz. 9; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 226 Rz. 14; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 226 Rz. 11; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 226 Rz. 8; Westpfahl in: Kübler, HRI, § 42 Rz. 46 ff.; Thole in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 19 Rz. 44; Koch/de Bra in: Gottwald/Haas, InsR-Hdb., § 66 Rz. 104.

Kowalewski/Praß

261

§ 10

Gleichbehandlung von Planbetroffenen

zu, in denen es erkennbar nur um die Einwirkung auf das Stimmverhalten anderer durch die Gewährung verdeckter Vorteile geht, was nicht allein schon deshalb der Fall sein muss, wenn der Kaufpreis für die Forderung höher ist als die vorgesehene Planquote. Bei unabhängig von der Planabstimmung wirksamen Forderungskäufen kann es sich nicht um unzulässige Abkommen i. S. von § 10 Abs. 3 handeln.43) Das ergibt sich schon daraus, dass sowohl § 10 Abs. 3 StaRUG als auch § 226 Abs. 3 InsO kein generelles Abtretungsverbot oder eine Vinkulierung statuieren, sondern nur die Redlichkeit des Abstimmungsprozesses im Blick haben.44) Diese für das Insolvenzrecht vorgetragenen Argumente können ebenso für den Restrukturierungsrahmen Geltung beanspruchen. VI. Rechtsfolge 1.

Folgen einer unzulässigen Ungleichbehandlung (Abs. 1)

27

Der Schuldner kann zur Frage, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt ist, gemäß § 47 Satz 1 eine Vorprüfung durch das Restrukturierungsgericht beantragen, wenn die Abstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren durchgeführt wird. Gegenstand einer solchen Vorprüfung kann nach §§ 47 Satz 2, 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 jede Frage sein, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich ist, insbesondere auch, ob die Auswahl und Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen ordnungsgemäß verlaufen ist. Dadurch, dass das Gleichbehandlungsgebot und eine unzulässige Ungleichbehandlung in engem rechtlichen Zusammenhang mit der Einteilung der Gruppen steht, wird man davon ausgehen dürfen, dass eine unzulässige Ungleichbehandlung Gegenstand der Vorprüfung sein kann. Sofern das Gericht im Vorprüfungsverfahren schon absehen kann, dass es zu einer Ungleichbehandlung ohne Zustimmung gemäß § 10 Abs. 2 kommt, kann es den Schuldner gemäß § 46 Abs. 2 darauf hinweisen.

28

Sofern eine Planbestätigung stattfindet, führt eine unzulässige Ungleichbehandlung zur Versagung der Bestätigung gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2, wenn der Mangel nicht oder nicht innerhalb angemessener Frist behoben werden kann.45) 2.

29

Folgen einer nichtigen Vorteilsgewährung (Abs. 3)

§ 10 Abs. 3 ordnet seinem Wortlaut nach die Nichtigkeit des Abkommens an. Es handelt sich – wie bei der Parallelnorm des § 226 Abs. 3 InsO – um ein Verbotsgesetz i. S. von § 134 BGB.46) Die Nichtigkeit gilt damit absolut und kann von jeder_____________ 43) So wohl auch Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 10 Rz. 19; zum Insolvenzrecht schon Kübler/ Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 226 Rz. 11; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 226 Rz. 8; Nerlich/ Römermann-Ober, InsO, § 226 Rz. 13; Thole in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 19 Rz. 44. 44) Vgl. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 120; so auch Thole in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 19 Rz. 44; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 226 Rz. 11. 45) Thies in: HambKomm-InsO, § 226 Rz. 3; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 226 Rz. 12; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 226 Rz. 12. 46) Zum Insolvenzrecht Martini in: A. Schmidt, Sanierungsrecht, § 226 InsO Rz. 14; Jaffé in: FK-InsO, § 226 Rz. 15; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 226 Rz. 15; Thies in: HambKommInsO, § 226 Rz. 6; Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 226 Rz. 10.

262

Kowalewski/Praß

§ 11

Haftung des Schuldners

mann, nicht nur von den Benachteiligten, geltend gemacht werden.47) Ist das Abkommen ein Vertrag, so spricht der Wortlaut dafür, dass jedenfalls das Verpflichtungsgeschäft davon erfasst ist. Nach dem Zweck von § 10 Abs. 3 sollte jedoch auch der dingliche Vollzug erfasst sein, weil ansonsten der Schutz vor solchen Abkommen nicht weitreichend genug ist und unterlaufen werden könnte.48) Etwaigen auf Rückgewährung des Vorteils gerichteten Kondiktionsansprüchen nach §§ 812 ff. BGB können sowohl § 814 BGB als auch § 817 BGB entgegenstehen.49) Für die Regelung im Insolvenzplanverfahren nimmt der BGH an, dass die Nichtigkeit gemäß § 226 Abs. 3 InsO erst mit der Planbestätigung eintritt, zuvor ist das Abkommen schwebend unwirksam.50) Nach der Auffassung einiger Stimmen in der Literatur soll es wirksam werden, wenn die Planannahme nicht auf der Vorteilsgewährung beruht.51) Dadurch, dass im präventiven Restrukturierungsrahmen – anders als im Insolvenzplanverfahren – nicht zwingend eine Planbestätigung erfolgt, erscheint es zweifelhaft, die Nichtigkeit an den Zeitpunkt der Planbestätigung zu knüpfen. Zwar ist in § 63 Abs. 4 explizit angeordnet, dass die Planbestätigung von Amts wegen zu versagen ist, wenn die Annahme des Restrukturierungsplans unlauter herbeigeführt worden ist.52) Insbesondere soll dies der Fall sein, wenn dies durch Begünstigung eines Planbetroffenen geschehen ist.53) Damit ist jedoch noch keine Aussage dazu getroffen, zu welchem Zeitpunkt eine Nichtigkeit eintritt und ob zuvor eine schwebende Unwirksamkeit besteht. Auch scheint es schwer mit dem Gleichbehandlungsgebot aus § 10 Abs. 1 und der Ausnahme nach Absatz 2 vereinbar zu sein, dass eine Heilung erst dann eintreten soll, wenn die Vorteilsgewährung keinen Einfluss auf die Planannahme hatte. Denn ein bereits gewährter Vorteil kann dennoch zu einer Ungleichbehandlung führen. Deswegen ist es überzeugend, dass die Nichtigkeitswirkung bereits unmittelbar mit dem Abschluss des Abkommens eintritt. _____________ 47) Zum Insolvenzrecht InsO Jaffé in: FK-InsO, § 226 Rz. 15; Martini in: A. Schmidt, Sanierungsrecht, § 226 InsO Rz. 14. 48) K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 226 Rz. 6; Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 226 Rz. 10. 49) Für das Insolvenzrecht so auch Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 226 Rz. 5; Flöther/Wehner/Paul in: BK-InsO, § 226 Rz. 15. 50) BGH, Beschl. v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, BGHZ 162, 283, 286. 51) K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 226 Rz. 6; Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 226 Rz. 10. 52) Vgl. auch Braun-Böhm, StaRUG, § 10 Rz. 5; Wolgast/Grauer-Heidrich, StaRUG, § 63 Rz. 15. 53) S. dazu für das Insolvenzplanrecht auch BGH, Beschl. v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, BGHZ 162, 283, 285: „Wird das Abkommen vorher bekannt, darf das Insolvenzgericht den Plan nicht bestätigen, wenn dieser auf dem Abkommen beruhen kann.“

§ 11 Haftung des Schuldners Knapp/Wilde

1

Ist im Restrukturierungsplan nichts anderes bestimmt, wird der Schuldner mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Gläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen aus den in den Plan einbezogenen Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften befreit. 2 Handelt es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft ohne RechtspersönKnapp/Wilde

263

30

§ 11

Haftung des Schuldners

lichkeit oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, so gilt Satz 1 entsprechend für die persönliche Haftung der unbeschränkt haftenden Gesellschafter.*) Literatur: Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Thole, Stabilisierung und vertragsrechtliche Wirkungen des StaRUG, ZRI 2021, 231. Übersicht I. II. III. 1.

I. 1

Normzweck ........................................... Normhistorie ........................................ Norminhalt ........................................... Haftungsbefreiung des Schuldners (Satz 1) ................................................... a) Einbezogene Restrukturierungsforderungen .......................... b) Absonderungsanwartschaften ....... c) Wirkung der Haftungsbefreiung .....

1 2 3 4 4 5 7

2.

aa) Fortbestand als Naturalobligation ............................................ 8 bb) Sicherheiten .................................. 12 d) Zeitpunkt der Befreiung .............. 14 e) Abweichende Bestimmungen im Restrukturierungsplan ............ 15 Haftungsbefreiung der persönlich haftenden Gesellschafter (Satz 2) ...... 16

Normzweck*)

Die Norm regelt die Nachhaftung des Schuldners nach Abschluss des Restrukturierungsverfahrens für den Fall, dass im Restrukturierungsplan keine eigenen Regelungen zu dieser Frage getroffen sind (Auslegungsregel).1) Sie ist im Zusammenhang mit den §§ 67, 69 zu sehen. Angelehnt an § 227 InsO2) soll der Schuldner mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Gläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten aus den einbezogenen Restrukturierungsforderungen befreit werden. Im Gegensatz zu den §§ 227, 254b InsO gilt die Haftungsbefreiung nicht für sämtliche, sondern lediglich für die in den Plan einbezogenen Forderungen, was aus der Teilkollektivität des Verfahrens folgt.3) Die anteilige Befreiung von Verbindlichkeiten wird in vielen Fällen Hauptziel des Restrukturierungsverfahrens sein und soll die vorinsolvenzliche, (finanz-)wirtschaftliche Sanierung des Schuldners ermöglichen.4) II. Normhistorie

2

Der Regelungsgehalt der Norm ist zwar nicht unmittelbar durch die Restrukturierungsrichtlinie5) vorgegeben, folgt aber aus dem Sinn und Zweck des Restrukturie_____________ *)

1) 2) 3) 4) 5)

264

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 11 die Wörter „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft. Begr. RegE SanInsFoG z. § 13 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 120. Begr. RegE SanInsFoG z. § 13 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 120; Fridgen in: BeckOKStaRUG, § 11 Rz. 1; Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 11 Rz. 3. Gehrlein, BB 2021, 66, 70. Ähnlich im Insolvenzplanverfahren, vgl. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 1; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 227 Rz. 1. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

Knapp/Wilde

§ 11

Haftung des Schuldners

rungsverfahrens.6) Die Vorschrift orientiert sich insoweit an den Regelungen des Insolvenzplanverfahrens in den §§ 201, 225, 227, 254, 254b InsO. Satz 2 wurde nachträglich in den RegE aufgenommen und ergänzt § 67 Abs. 2.7) III. Norminhalt Sofern im Restrukturierungsplan nichts anderes vereinbart ist, wird der Schuldner durch die im Restrukturierungsplan vereinbarte Befriedigung von den über die Befriedigung hinausgehenden, im Restrukturierungsplan einbezogenen Forderungen und Absonderungsanwartschaften befreit (Satz 1). Dasselbe gilt für den unbeschränkt persönlich haftenden Gesellschafter einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder einer KGaA (Satz 2). 1.

3

Haftungsbefreiung des Schuldners (Satz 1)

a) Einbezogene Restrukturierungsforderungen Die Haftungsbefreiung des Schuldners umfasst sämtliche in den Restrukturierungsplan einbezogenen Restrukturierungsforderungen, und zwar sowohl die einfachen als auch die nachrangigen Forderungen.8) Nicht in den Plan einbezogene Forderungen bleiben dagegen – anders als im Insolvenzplanverfahren (§ 254b InsO) – unberührt und bestehen auch nach Bestätigung des Plans unverändert fort.

4

b) Absonderungsanwartschaften § 11 Satz 1 erstreckt sich zudem auf Absonderungsanwartschaften an Rechten und Gegenständen des Schuldners. Gruppeninterne Drittsicherheiten sind gleichermaßen umfasst, allerdings nur, wenn sie wie die vom Schuldner bestellten Sicherheiten in den Restrukturierungsplan einbezogen und gestaltet werden (§§ 2 Abs. 4, 67 Abs. 3 Satz 1). Die Gläubiger, denen nach Planbestätigung nur ein Teil ihrer Forderungen noch vollstreckbar zur Verfügung stehen soll, sollen nicht im Wege der Sicherheitenverwertung weitergehende Befriedigung erlangen können als ihnen im Plan zugebilligt wurde. Vom Schuldner oder Gruppengesellschaften gewährte Sicherheiten können daher nach Planbestätigung nur bis zur Höhe der für sie vorgesehenen Befriedigung verwertet werden. Von der Restverbindlichkeit wird der Schuldner bzw. Sicherheitengeber befreit.

5

(Gruppenexterne) Drittsicherheiten bleiben von den Wirkungen des § 11 unberührt.9) Planbetroffene Gläubiger können sich danach ungeachtet der im Verhältnis zwischen ihnen und dem Schuldner greifenden Wirkungen des Restrukturierungsplans weiterhin in vollem Umfang aus der Drittsicherheit befriedigen (§ 67 Abs. 3 Satz 1).10) Allerdings kann der Sicherungsgeber den Schuldner seinerseits, sofern er _____________

6

6) Ähnlich mit Verweis auf ErwG 1 der Restrukturierungsrichtlinie Fridgen in: BeckOKStaRUG, § 11 Rz. 5. 7) S. noch Begr. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, S. 124, abrufbar unter https:// www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf? __blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 27.8.2021). 8) Von einer separaten Regelung für nachrangige Forderungen, wie sie § 225 Abs. 1 InsO statuiert, wurde im StaRUG abgesehen. 9) Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 11 Rz. 20 ff. 10) Begr. RegE SanInsFoG z. § 13 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 166.

Knapp/Wilde

265

§ 11

Haftung des Schuldners

in Anspruch genommen wird, nur bis zur Höhe der vorgesehenen Befriedigung der gesicherten Restrukturierungsforderung in Regress nehmen (§ 67 Abs. 3 Satz 2). Die (anteilige) Befreiung von etwaigen Regressforderungen sichert in diesem Zusammenhang das Entschuldungsziel des § 11 ab und schafft dem Schuldner die Möglichkeit eines nachhaltigen „fresh starts“.11) c) Wirkung der Haftungsbefreiung 7

Die materiell-rechtliche Wirkung der Haftungsbefreiung tritt mit der Bestätigung des Restrukturierungsplans ein (§ 67 Abs. 1).12) Unerheblich ist dabei, ob die einzelnen Planbetroffenen dem Plan zugestimmt, ihn abgelehnt oder sich ihrer Stimme enthalten haben oder schon überhaupt nicht zur Abstimmung erschienen sind, solange sie ordnungsgemäß am Abstimmungsverfahren beteiligt worden sind (§ 67 Abs. 1 Satz 2).13) aa) Fortbestand als Naturalobligation

8

Die im Restrukturierungsplan nicht gedeckten Restrukturierungsforderungen gelten i. R. des § 11 nicht als erloschen, sondern bestehen als nicht erzwingbare Naturalobligation fort.14) Sie können dementsprechend erfüllt, aber nicht durchgesetzt werden. Vollstreckungsversuche der Gläubiger aus bereits titulierten, nunmehr nur noch als Naturalobligation fortbestehenden Forderungen sind unzulässig (§ 71 Abs. 4). Ihnen kann der Schuldner mit dem materiell-rechtlichen Einwand der unvollkommenen Verbindlichkeit sowohl über die Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO)15) als auch – mit Blick auf § 71 Abs. 4 – im Wege der Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO) entgegentreten. Überobligatorisch erbrachte Leistungen auf die unvollkommene Restverbindlichkeit kann er indessen nicht zurückverlangen (§ 67 Abs. 4).16)

9

Fraglich ist, ob einzelne Gläubiger ihre vom Plan erfassten Forderungen auch nach Planbestätigung unter Umständen noch gegen Forderungen des Schuldners zur Aufrechnung stellen können. Grundsätzlich kann mit einer unvollkommenen, rechtlich nicht durchsetzbaren Aktivforderung nämlich nicht aufgerechnet werden, §§ 387, 390 BGB.17) Für vom Insolvenzplan erfasste Steuerforderungen hält der BGH eine _____________ 11) Ähnlich für das Insolvenzplanverfahren und mit Blick auf das US-amerikanische Chapter 11 Breuer in: MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 3. 12) Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 11 Rz. 25. 13) Umgekehrt ist damit sichergestellt, dass die Wirkungen des bestätigten Restrukturierungsplans – entsprechend der Vorgabe in Art. 15 der Restrukturierungsrichtlinie und im Gegensatz zu § 254b InsO – tatsächlich auch nur die am Planverfahren Beteiligten betreffen. 14) Begr. RegE SanInsFoG z. § 74 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 166; Braun-Böhm, StaRUG, § 11 Rz. 3; Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 11 Rz. 13; Pannen/Riedemann/SmidSmid, StaRUG, § 11 Rz. 9; so schon für § 227 InsO BGH, Urt. v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, Rz. 8, ZIP 2011, 1271 = NZI 2011, 538 m. w. N.; anders als im Insolvenzplanverfahren gilt das auch für nachrangige Forderungen, vgl. zum vollständigen Erlöschen der nachrangigen Forderung i. R. des § 225 Abs. 1 InsO Breuer in: MünchKomm-InsO, § 225 Rz. 13; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 225 Rz. 5. 15) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 227 Rz. 5. 16) Für eine einzelfallabhängige Prüfung am Maßstab des § 814 BGB indes Fridgen in: BeckOKStaRUG, § 11 Rz. 14. 17) BGH, Urt. v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, Rz. 6, ZIP 2011, 1271 = NZI 2011, 538; ausführlich Schlüter in: MünchKomm-BGB, § 387 Rz. 38.

266

Knapp/Wilde

§ 11

Haftung des Schuldners

Aufrechnung jedoch für zulässig, wenn die Aufrechnungslage bereits bei Verfahrenseröffnung bestanden hat und damit dem (Vertrauens-)Schutz des § 94 InsO unterfällt.18) Richtigerweise stellt sich diese Frage daher auch im StaRUG nur und ausnahmsweise in den Konstellationen, in denen der Restrukturierungsgläubiger schon vor Planbestätigung hätte aufrechnen können und erst durch deren Wirkung seiner Aufrechnungsmöglichkeit verlustig werden würde.19) Eine dem § 94 InsO vergleichbare Vorschrift kennt das StaRUG allerdings nicht.20) Für eine analoge Anwendung der Norm besteht insofern kein Raum, zumal der BGH in der besagten Entscheidung auch nur ausnahmsweise den Schutzgedanken des § 94 InsO herangezogen hat. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen hat, bestehende Aufrechnungslagen im und über das Restrukturierungsverfahren hinaus zu schützen. Anders als im Insolvenzplanverfahren (§ 254b InsO) erlangt der Restrukturierungsgläubiger zudem zwingend Kenntnis vom Restrukturierungsverfahren und hat dementsprechend ausreichend Gelegenheit, von seinen Rechten, insbesondere einer Aufrechnung, rechtzeitig vor Planbestätigung Gebrauch zu machen.21) Eine Aufrechnung mit in den Plan einbezogenen Forderungen ist demnach nach Planbestätigung nicht mehr möglich. In der Praxis dürfte es sich gleichwohl um ein eher theoretisches Problem handeln, wenn im Restrukturierungsplan ein materiell-rechtlicher Erlass der Restverbindlichkeiten festgelegt wird und es damit von vorneherein an einer fortbestehenden, potentiell aufrechenbaren (Rest-)Forderung fehlt.

10

Gerät der Schuldner mit der Erfüllung des Restrukturierungsplans gegenüber einem Gläubiger erheblich in Rückstand, leben dessen im Plan gestundete oder erlassene Forderungen (§ 11 Satz 1) wieder auf und können in voller Höhe vollstreckt oder aufgerechnet werden (§ 69 Abs. 1 Satz 1). Dasselbe gilt für die Forderungen aller planbetroffenen Gläubiger, wenn noch vor vollständiger Erfüllung des Restrukturierungsplans ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet wird (§ 69 Abs. 2). Auch sie leben wieder auf und können in voller Höhe zur Insolvenztabelle angemeldet werden.

11

bb) Sicherheiten Akzessorische Sicherungsrechte, die an Gegenständen des Schuldners bestellt wurden, sind mit der Befreiung von der Hauptforderung im selben Umfang wie diese nicht mehr durchsetzbar.22) Hieran ändert auch nichts, dass die Hauptforde_____________ 18) BGH, Urt. v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, Rz. 9 ff., ZIP 2011, 1271 = NZI 2011, 538. 19) Wohl a. A. Braun-Böhm, StaRUG, § 11 Rz. 3; wird der Gläubiger dem Schuldner erst im späteren Verlauf der Geschäftsbeziehung (erneut) etwas schuldig, kann er in diesem Zusammnenhang offenkundig nicht mehr mit seiner unvollkommenen Aktivforderung aufrechnen und dadurch nachträgliche Befriedigung erlangen. 20) Vgl. auch Braun-Böhm, StaRUG, § 11 Rz. 3; Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 11 Rz. 32; ferner Thole, ZRI 2021, 231, 234. 21) Ähnlich Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 11 Rz. 32; krit. dagegen Thole, ZRI 2021, 231, 234, nach dem eine Aufrechnung wohl nur dann zulässig sein dürfte, wenn die Aufrechnungslage bereits bei Anzeige des Restrukturierungsvorhabens bestanden hat. 22) Unklar hingegen Braun-Braun/Frank, InsO, § 227 Rz. 6; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 227 Rz. 7.

Knapp/Wilde

267

12

§ 11

Haftung des Schuldners

rung materiell-rechtlich nicht erlischt, sondern lediglich nicht mehr durchsetzbar ist. Die gegenüber der gesicherten Forderung bestehenden Einreden kann der Schuldner auch einer Verwertung der Sicherheit entgegenhalten (vgl. bspw. §§ 1211 Abs. 1, 1137 Abs. 1 BGB). Nicht-akzessorische Sicherungsrechte an Gegenständen oder Rechten des Schuldners führen in der Regel zu einem Rückübertragungs- bzw. Freigabeanspruch aus dem Sicherungsvertrag, wenn der Sicherungsnehmer durch die Gestaltung der gesicherten Forderung übersichert ist. 13

Akzessorische und nicht-akzessorische Drittsicherheiten bleiben von den Wirkungen des § 11 grundsätzlich unberührt. Sie sind ungeachtet des Fortbestands der gesicherten Forderung als Naturalobligation unverändert verwertbar. Für akzessorische Drittsicherheiten (bspw. Bürgschaft, Schuldbeitritt, Hypothek an Grundstück eines Dritten), die eine in den Plan einbezogene Forderung sichern, enthält § 67 Abs. 3 Satz 1 eine partielle Durchbrechung des Akzessorietätsprinzips. Die Drittsicherheitengeber sollen sich in dieser Konstellation nicht unmittelbar (bspw. § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB) oder mittelbar auf die aus den Wirkungen des Plans resultierenden Einreden des Restrukturierungsschuldners berufen können. Dasselbe gilt für gruppeninterne Drittsicherheiten, es sei denn, der Restrukturierungsplan sieht eine Gestaltung dieser Sicherheiten vor (§ 2 Abs. 4). d) Zeitpunkt der Befreiung

14

Der Wortlaut der Norm legt ähnlich wie § 227 InsO den Schluss nahe, die befreiende Wirkung trete erst „mit der … Befriedigung“ der Gläubiger ein.23) Richtigerweise wird der Schuldner von seinen Restverbindlichkeiten jedoch nicht erst mit der tatsächlichen Befriedigung, sondern bereits mit der Bestätigung des Restrukturierungsplans befreit.24) Das folgt unmittelbar aus § 67 Abs. 1 Satz 1 und dem in § 69 vorgesehenen Wiederaufleben der Forderungen bei erheblichem Rückstand des Restrukturierungsschuldners. e) Abweichende Bestimmungen im Restrukturierungsplan

15

Im Restrukturierungsplan können abweichende Regelungen getroffen werden („ist … nichts anderes bestimmt“). Unter anderem können die Restrukturierungsgläubiger hinsichtlich ihrer Restforderungen einen Verzicht erklären,25) womit die Forderungen in der verbleibenden Höhe auch materiell-rechtlich erlassen sind, oder auf spätere Aufrechnungen verzichten. Seltener wird auf ein Wiederaufleben nach § 69 verzichtet werden. Andererseits kann der Schuldner, der immerhin den Antrag auf Planbestätigung stellt (§ 60 Abs. 1 Satz 1), durch den Restrukturierungsplan auch schlechtergestellt werden, als es § 11 vorsieht. Anders als im Insolvenzplanverfahren kann theoretisch auch eine weitergehende Nachhaftung im Plan bestimmt werden.26)

_____________ 23) Vgl. Haas in: HK-InsO, § 227 Rz. 3 – „Wortlaut missverständlich“. 24) So auch Braun-Böhm, StaRUG, § 11 Rz. 5; im Insolvenzplanverfahren ist dagegen der Zeitpunkt maßgeblich, in dem der Insolvenzplan Rechtskraft erlangt (§ 254 Abs. 1 InsO). 25) S. auch Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 11 Rz. 12. 26) Zum Schlechterstellungsverbot im Insolvenzplanverfahren, das sich gleichwohl in aller Regel nur bei natürlichen Personen auswirkt Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 227 Rz. 4.

268

Knapp/Wilde

§ 11

Haftung des Schuldners

2.

Haftungsbefreiung der persönlich haftenden Gesellschafter (Satz 2)

Satz 2 erstreckt die Wirkungen von Satz 1 im Verbund mit § 67 Abs. 2 notwendigerweise auf die persönlich unbeschränkt haftenden Gesellschafter einer Schuldnergesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (insbesondere GbR, oHG, KG)27) oder einer KGaA. Müssten die Gesellschafter infolge des gestaltenden Restrukturierungsplans eine unbeschränkte Inanspruchnahme – jedenfalls i. H. der verbleibenden Restverbindlichkeiten des Schuldners – fürchten, würden sie in aller Regel gegen die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens opponieren und dadurch einen rechtzeitigen finanziellen Neustart gefährden.28)

16

Soweit die genannten Gesellschaften gemäß § 11 von der Nachhaftung befreit sind, können ihre persönlich haftenden Gesellschafter daher ebenfalls nicht mehr in Anspruch genommen werden. Für GbR, oHG und KG ergibt sich diese Rechtsfolge bereits aus der Akzessorietät der Haftung (§§ 128, 161 HGB).29) § 11 Satz 2 kommt insoweit lediglich deklaratorische Wirkung zu.30) Abweichungen im Restrukturierungsplan sind jedoch möglich.

17

Grundsätzlich anders verhält es sich indes, wenn der Gesellschafter abseits seiner akzessorischen Gesellschafterhaftung für Verbindlichkeiten des Restrukturierungsschuldners einzustehen hat, etwa weil er sich für diesen verbürgt hat, eine Sicherungsgrundschuld zu dessen Gunsten hat eintragen lassen, eine Garantie übernommen hat oder allgemein aus einem besonderen, von der gesellschaftsrechtlichen Haftung unabhängigen Schuldgrund in Anspruch genommen werden kann. In diesem Fall greift die Haftungsbefreiung des Satz 2 nicht ein.31) Der Gesellschafter ist dann vielmehr wie ein Drittsicherheitengeber nach Maßgabe des § 67 Abs. 3 zu behandeln.32)

18

Fraglich ist, ob sich die Haftungsbefreiung der §§ 11 Satz 2, 67 Abs. 2 auch auf bereits ausgeschiedene Gesellschafter des Restrukturierungsschuldners erstreckt. Im Insolvenzplanverfahren wird dem teilweise entgegengehalten, dass eine Haftungsbefreiung der ausgeschiedenen Gesellschafter weder unter Anreizgesichtspunkten noch zur Entschuldung des „Unternehmens im weiteren Sinne“ erforderlich sei.33) Zum einen habe der ausgeschiedene Gesellschafter in der Regel keinen Einfluss mehr auf die Unternehmensentscheidung, zum anderen sei er auch wirtschaftlich häufig nicht mehr entscheidend mit diesem verbunden.

19

_____________ 27) 28) 29) 30)

Vgl. § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO. S. a. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 3. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 12; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 227 Rz. 16. So auch für § 227 InsO BGH, Urt. v. 17.12.2015 – IX ZR 143/13, Rz. 26, ZIP 2016, 274 = NZI 2016, 445, unter Verweis auf Breuer in: MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 13; ferner Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 227 Rz. 16. Sofern man die gesellschaftsrechtlich vermittelte akzessorische Haftung als Unterfall der „Mitschuld“ i. S. des § 67 Abs. 3 Satz 1 versteht, wirken die §§ 11 Satz 2, 67 Abs. 2 hingegen konstitutiv, vgl. zum Insolvenzplanrecht Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254 Rz. 27. 31) Vgl. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 12; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 227 Rz. 18; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 227 Rz. 6; Thies in: HambKomm-InsO, § 227 Rz. 10. 32) S. auch Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 11 Rz. 29. 33) Breuer in: MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 13; Thies in: HambKomm-InsO, § 227 Rz. 8.

Knapp/Wilde

269

§ 12 20

Neue Finanzierung

Der Wortlaut des § 11 Satz 2 gibt für eine Unterscheidung zwischen aktuellen und ausgeschiedenen Gesellschaftern indessen keinen Anhaltspunkt.34) Zudem nähme der Restrukturierungsplan Züge eines unzulässigen Vertrags zulasten Dritter an, wenn der Schuldner und seine aktuellen Gesellschafter von der Haftung befreit würden, während der ausgeschiedene Gesellschafter fortan allein für die Restverbindlichkeiten einstehen sollte. Dieser Eindruck verfestigt sich, wenn man bedenkt, dass der ausgeschiedene Gesellschafter seinerseits keine Möglichkeit hat, auf das Verfahren und den Restrukturierungsplan Einfluss zu nehmen. Jedenfalls aber folgt die Haftungsbefreiung der ausgeschiedenen Gesellschafter aus der Akzessorietät ihrer Haftung (vgl. etwa § 129 Abs. 1 HGB).35) Eine Durchbrechung dieser Regel, wie sie § 67 Abs. 3 Satz 1 für die Bürgschaft und ähnliche akzessorische Sicherheiten statuiert, ist i. R. der Gesellschafterhaftung nicht vorgesehen.36) Insoweit kommt die Haftungsbefreiung des § 11 Satz 2 auch den ausgeschiedenen, persönlich unbeschränkt haftenden Gesellschaftern zugute. _____________ 34) Braun-Braun/Frank, InsO, § 227 Rz. 8; Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 227 Rz. 9. 35) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 227 Rz. 19. 36) S. aber die bereits die Anmerkung in Fn. 30.

§ 12 Neue Finanzierung Knapp/Wilde

1

In den Restrukturierungsplan können Regelungen zur Zusage von Darlehen oder sonstigen Krediten aufgenommen werden, die zur Finanzierung der Restrukturierung auf der Grundlage des Plans erforderlich sind (neue Finanzierung). 2 Als neue Finanzierung gilt auch deren Besicherung. Literatur: Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Heß, Die Restrukturierung des Insolvenzrechts, Baden-Baden, 2018 (Diss.); Hoegen, Schutz für Sanierungsfinanzierungen, NZI Beilage 1/2017, S. 30; Krafczyk, Stundung und Prolongation als neue Finanzierung gem. § 12 StaRUG, ZRI 2021, 313; Thole, Der Entwurf eines Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRuG-RefE), ZIP 2020, 1985. Übersicht

1

I. 1. 2. II. 1.

Einführung ........................................... 1 Normzweck ........................................... 3 Normhistorie ......................................... 4 Tatbestand ............................................. 5 Darlehen oder sonstiger Kredit ............ 6 a) Anpassungen bestehender Finanzierungen .............................. 7

I.

Einführung

b) Person des Kreditgebers ................ 9 c) Qualifikation als Fremdkapital ..... 10 2. Zur Finanzierung der Restrukturierung ...................................................... 11 3. Erforderlichkeit ................................... 12 4. Sicherheiten (Satz 2) ........................... 15 III. Rechtsfolgen ....................................... 16

§ 12 stellt klar, dass Bestimmungen über die Finanzierung des Restrukturierungsvorhabens unter gewissen Voraussetzungen als „neue Finanzierung“ in den Restrukturierungsplan aufgenommen werden können.1) Die Vorschrift ist im Zusammen_____________ 1)

270

Begr. RegE SanInsFoG z. § 14 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 120.

Knapp/Wilde

§ 12

Neue Finanzierung

hang mit den §§ 63 Abs. 2, 89 f. und Nr. 8 der Anlage zu § 5 Satz 2 zu sehen, die weitere Rechtsfolgen an das Vorliegen einer neuen Finanzierung knüpfen. Für den Erfolg des Restrukturierungsvorhabens ist es oftmals von zentraler Bedeutung, dass dem Schuldner für die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs weitere finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden.2) Indem § 90 Abs. 1 im bestätigten Plan enthaltene neue Finanzierungen – mit Ausnahme von Gesellschafterdarlehen – zu einem nicht unerheblichen Teil anfechtungsfest stellt, sollen mögliche Kreditgeber dazu bewegt werden, sich i. R. der Restrukturierung des Schuldners (weiterhin) zu engagieren. Da eine neue Finanzierung im Fall des Scheiterns der Restrukturierung umgekehrt jedoch auch die Insolvenzquote verwässern und dadurch letztlich die Befriedigungsaussichten der Gläubiger verschlechtern kann, unterliegt sie zugleich einer strengeren Kontrolle. So hat der Restrukturierungsplan die Gründe für die Erforderlichkeit der konkreten Finanzierung anzugeben (Nr. 8 der Anlage zu § 5 Satz 2) und wird vom Gericht auch nur dann bestätigt, wenn das zugrunde liegende Restrukturierungskonzept schlüssig ist, von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht und zugleich begründete Erfolgsaussichten bietet (§ 63 Abs. 2).3) 1.

Normzweck

Verankert in den vorgelagerten, allgemeinen Regelungen zum Umfang des und den Anforderungen an den Restrukturierungsplan, erschöpft sich der Zweck des § 12 zunächst in der Legaldefinition der „neuen Finanzierung“ und der Feststellung, dass eine solche in den Plan aufgenommen werden kann.4) 2.

_____________

3) 4) 5)

6)

3

Normhistorie

§ 12 beruht auf Art. 2 Abs. 1 Nr. 7, 8 Abs. 1 lit. g Ziff. vi der Restrukturierungsrichtlinie5). Danach muss der Restrukturierungsplan für neue Finanzierungen offen sein. Der Begriff der „neuen Finanzierung“ sei, so der Richtliniengeber, grundsätzlich weit zu verstehen und sollte jedenfalls die Bereitstellung von finanziellen Mitteln, aber auch Bürgschaften Dritter oder die Bereitstellung von Waren, Vorräten oder Rohstoffen, etwa durch Gewährung eines verlängerten Zahlungszeitraums, umfassen.6) Von diesem weiten Verständnis ist der Gesetzgeber im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens in Teilen abgewichen: Die Klarstellung, dass auch die Prolongation oder Stundung von Forderungen, die Übernahme von Bürgschaften, die Abgabe von Garantien oder die Eingehung einer Mithaftung als neue Finanzierung gälten, war

2)

2

ErwG 66 Restrukturierungsrichtlinie; Bork in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 17 Rz. 1; Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 12 Rz. 1. Begr. RegE SanInsFoG z. § 14 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 120. Begr. RegE SanInsFoG z. § 14 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 120. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. ErwG 66 Restrukturierungsrichtlinie; dazu Bork in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 17 Rz. 11.

Knapp/Wilde

271

4

§ 12

Neue Finanzierung

im Referentenentwurf zwar enthalten,7) wurde jedoch nachträglich gestrichen.8) Insoweit bestehe offenbar kein Umsetzungsbedarf,9) da bereits entstandene Kreditforderungen über den Restrukturierungsplan als Forderungen gestaltet und damit bereits auf diesem Wege entsprechend angepasst werden könnten.10) Später hinzugefügt wurde indessen § 12 Satz 2, demzufolge auch die Besicherung der Darlehen oder Kredite selbst als „neue Finanzierung“ gelten soll. II. Tatbestand 5

Die Legaldefinition des § 12 Satz 1 hat im Wesentlichen drei Merkmale: Es muss sich um ein Darlehen oder einen sonstigen Kredit handeln (1.), der zur Finanzierung der Restrukturierung (2.) auf der Grundlage des Plans erforderlich ist (3.). Ferner miterfasst sind die Besicherungen derartiger Finanzierungen (§ 12 Satz 2). 1.

6

Darlehen oder sonstiger Kredit

Unter Darlehen sind typischerweise zunächst Gelddarlehen nach Maßgabe des § 488 BGB zu verstehen. Theoretisch kann es sich allerdings auch um Sachdarlehen handeln (§ 607 BGB), die in der Praxis insbesondere im Zusammenhang mit sog. Wertpapierleihgeschäften eine Rolle spielen. Weiter gefasst ist der „sonstige Kredit“, den der Gesetzgeber nicht näher präzisiert und der dadurch eine Art Auffangfunktion wahrnimmt. Vor dem Hintergrund des weiten Begriffsverständnisses des Richtliniengebers11) ist insofern davon auszugehen, dass grundsätzlich sämtliche Unterstützungen als „neue Finanzierung“ in Betracht kommen sollen, die dem Schuldner unmittelbar oder mittelbar Liquidität verschaffen.12) Jedenfalls als „sonstiger Kredit“ erfasst sind damit auch Waren- und Lieferantenkredite, Aval- und Akkreditivkredite sowie weitere Finanzierungsmodelle in Form von Anleihen, Factoring oder Leasing.13) a) Anpassungen bestehender Finanzierungen

7

Die Prolongation einer Kreditlinie oder Stundung einer Forderung ist indessen ebenso wenig ein Darlehen bzw. sonstiger Kredit i. S. des § 12 wie die Übernahme einer Bürgschaft oder Abgabe einer Garantie für Altfinanzierungen. Das folgt zum _____________ 7) In diese Richtung bereits Thole, ZIP 2020, 1985, 1989. 8) Zumindest die Eingehung einer Mithaftung soll jedoch als Sicherheit i. S. des § 12 Satz 2 angesehen werden und damit gleichermaßen als neue Finanzierung in Betracht kommen können, vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 14 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 120; s. näher unter Rz. 15; Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 12 Rz. 7 sieht darüber hinaus auch Prolongationen und Stundungen weiterhin von § 12 Satz 2 erfasst. 9) Eine Umsetzungspflicht besteht in diesem Punkt ohnehin nicht, da die ErwGe – anders als der Normtext selbst – für den nationalen Gesetzgeber nicht verbindlich sind, vgl. EuGH, Urt. v. 28.6.2012 – Rs. C-7/11 (Fabio Caronna), Rz. 40, ECLI:EU:C:2012:396 = EuZW 2012, 746; Gundel in: FK-EUV/GRC/AEUV, Art. 288 AEUV Rz. 7. 10) Vgl. RefE z. § 14 StaRUG, v. 19.9.2020, S. 124, abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 27.8.2021). 11) ErwG 66 der Restrukturierungsrichtlinie. 12) Bork in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 17 Rz. 12. 13) Hoegen/Wolf in: Flöther, Sanierungsrecht, Kap. F Rz. 469 f., 507; Gehrlein, BB 2021, 66, 69.

272

Knapp/Wilde

§ 12

Neue Finanzierung

einen daraus, dass der Gesetzgeber die entsprechende Passage, die derartige Finanzierungsformen den Darlehen und sonstigen Krediten gleichgestellt hat, im Gesetzgebungsverfahren bewusst gestrichen hat (siehe oben Rz. 4).14) Zum anderen stellen derartige Unterstützungshandlungen schon dem Wortsinn nach keine „neue Finanzierung“ dar, knüpfen sie in der Regel doch allein an bereits bestehende Finanzierungen an. Wohlgemerkt heißt das nicht, dass Prolongationen, Stundungen und ähnliche Anpassungen bestehender Finanzierungen, solange sie selbst in den gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans aufgenommen werden, keinen Schutz erführen.15) Der Anfechtungsausschluss des § 90 Abs. 1 unterscheidet nicht danach, ob es sich um die Anpassung einer alten oder die Vereinbarung einer neuen Finanzierung handelt (näher unter § 90). Findet § 63 Abs. 2 (siehe oben Rz. 2) zudem nur auf neue Finanzierungen, nicht aber auf die Anpassung bestehender Finanzierungen Anwendung,16) unterliegen Letztere (vermeintlich) gar geringeren Prüfungsanforderungen.17) Das erscheint grundsätzlich auch sachgerecht, weil die Begründung und Besicherung neuer Verbindlichkeiten die Befriedigungsaussichten der Gläubigergesamtheit potentiell stärker beeinträchtigt und daher zu Recht nur auf der Grundlage eines schlüssigen und erfolgversprechenden Restrukturierungskonzepts erfolgen darf. Die Unterschiede zur allgemeinen gerichtlichen Prüfung des Restrukturierungsplans halten sich jedoch in Grenzen, wenn man bedenkt, dass das Gericht auch ohne Zusage einer neuen Finanzierung gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 14 Abs. 1 das Vorhaben auf seine Schlüssigkeit und Erfolgsaussichten hin überprüft. Ein gesondertes Begründungserfordernis, wie es Nr. 8 der Anlage zu § 5 Satz 2 für neue Finanzierungen vorschreibt, besteht für Anpassungen alter Finanzierungen demgegenüber nicht, wenngleich es in der Praxis oftmals ratsam sein dürfte, auch hierzu erläuternde Ausführungen in den darstellenden Teil des Plans aufzunehmen.

8

b) Person des Kreditgebers Unerheblich ist – zumindest i. R. des § 12 –, von wem das Darlehen oder der sonstige Kredit zugesagt wird.18) Gesellschafterdarlehen kommen angesichts des weiten Wortlauts der Norm genauso als neue Finanzierungen in Betracht wie Kredite der angestammten Hausbank oder anderweitiger Finanzierer.19) Maßgeblich ist allein, dass die Finanzierung in der schuldnerischen Krise zur Umsetzung der Restrukturierung zugesagt wird und sich insoweit als „neu“ erweist.20) Anders verhält es sich beim nachgelagerten Schutz der Finanzierung: § 90 Abs. 1 erstreckt seinen weitreichenden Anfechtungsausschluss ausdrücklich nicht auf Gesellschafterdarlehen und

_____________ Eingehend und krit. Krafczyk, ZRI 2021, 313 ff. S. dazu Krafczyk, ZRI 2021, 313, 316 f. Begr. RegE SanInsFoG z. § 14 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 120. S. auch Thole, ZIP 2020, 1985, 1989. Eingehend zum Richtlinienvorschlag der Kommission bereits Heß, Restrukturierung des Insolvenzrechts, S. 212. 19) Bork in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 17 Rz. 13. 20) Bork in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 17 Rz. 13. 14) 15) 16) 17) 18)

Knapp/Wilde

273

9

§ 12

Neue Finanzierung

ihre nach § 135 InsO anfechtbaren Besicherungen (näher zu dieser Rückausnahme siehe § 90 Rz. 14 f.).21) c) Qualifikation als Fremdkapital 10

In bilanzieller Hinsicht muss sich die Finanzierung als Fremdkapital erweisen.22) Die Zufuhr von Eigenkapital stellt keine Finanzierung i. S. des § 12 dar. Vom Gesellschafter als Eigenkapital zur Verfügung gestellte Mittel sind weder Darlehen noch Kredit. Zudem setzt Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 der Restrukturierungsrichtlinie ausdrücklich voraus, dass der Finanzierer „Gläubiger“ des Schuldners sein bzw. werden muss; auf den Eigenkapital zur Verfügung stellenden Gesellschafter trifft dies gerade nicht zu.23) 2.

11

Zur Finanzierung der Restrukturierung

Das Darlehen oder der sonstige Kredit müssen der Finanzierung der Restrukturierung dienen. Abzugrenzen sind die „neuen Finanzierungen“ in diesem Punkt von den Zwischen- und Überbrückungsfinanzierungen, die in der Restrukturierungsrichtlinie gleichermaßen erwähnt und geschützt werden,24) in § 12 jedoch keinen Niederschlag gefunden haben. Während die Zwischenfinanzierung dem Schuldner in erster Linie die kurzfristig notwendigen Mittel verschaffen soll, um den Betrieb des Unternehmens aufrechterhalten und währenddessen einen Restrukturierungsplan ausarbeiten zu können, soll die neue Finanzierung hieran anknüpfen und mittelfristig die erfolgreiche Umsetzung des Restrukturierungsplans ermöglichen, d. h. zur Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit des Schuldners beitragen (§ 14).25) Anders als die Zwischenfinanzierung26) wird die neue Finanzierung daher üblicherweise erst nach Planbestätigung gewährt und ist dementsprechend in diesen aufzunehmen und zu erläutern (siehe Nr. 8 der Anlage zu § 5 Satz 2). Nicht zwingend erforderlich ist, dass die Finanzierung den gesamten im Plan vorgesehenen Restrukturierungszeitraum abdeckt. Es genügt die Finanzierung einzelner Zeitabschnitte bzw. Restrukturierungsetappen innerhalb des Gesamtkonstrukts der Planumsetzung.27)

_____________ 21) Hiervon wiederum nicht betroffen sind Gesellschafter, die sich auf das Sanierungs- und Kleinbeteiligtenprivileg des § 39 Abs. 4 und 5 InsO berufen können; s. näher § 90 Rz. 15. 22) Bork in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 17 Rz. 12; Hoegen/Wolf in: Flöther, Sanierungsrecht, Kap. F. Rz. 470. 23) Bork in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 17 Rz. 12; Hoegen/Wolf in: Flöther, Sanierungsrecht, Kap. F Rz. 470; Hoegen, NZI Beilage 1/2017, S. 30. 24) Vgl. Art. 2 Abs. 1 Nr. 8, 17 der Restrukturierungsrichtlinie. 25) Bork in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 17 Rz. 17 f. 26) Da die Zwischenfinanzierung hingegen schon vor Ausarbeitung des Plans gewährt wird, ist sie weder in diesen aufzunehmen noch bedarf es hier eines schlüssigen Restrukturierungskonzepts oder näherer Ausführungen zur Erforderlichkeit der Finanzierung. Allerdings unterfallen Überbrückungs- und Zwischenfinanzierungen in der Regel nicht unmittelbar dem Anfechtungs- und Haftungsprivileg der §§ 89 ff., s. näher dazu § 90 Rz. 13. 27) Bork in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 17 Rz. 14; skeptisch dagegen Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 12 Rz. 23.

274

Knapp/Wilde

§ 12

Neue Finanzierung

3.

Erforderlichkeit

Abschließend müssen das Darlehen oder der sonstige Kredit auf der Grundlage des Plans zur Finanzierung der Restrukturierung erforderlich sein. Die Darlehens- bzw. Kreditaufnahme muss sich für das konkrete Restrukturierungsvorhaben mithin als notwendig und zugleich als das relativ mildeste Mittel darstellen. Maßgeblich ist, ob die Restrukturierung – aus der Sicht eines verständigen und mit den erforderlichen Informationen vertrauten Fachmanns – ex ante auf die Finanzierung in ihrer konkreten Form angewiesen war und zudem keine andere, die Schuldner- und Gläubigerinteressen potentiell geringfügiger beschneidende Finanzierungsmöglichkeit bestand.28)

12

Die Finanzierung ist demnach eng an die Vorgaben und Vorstellungen des Restrukturierungsplans gebunden, was nicht nur den Umfang, sondern auch die Dauer der Finanzierung beschränkt.29) Allzu umfangreiche Finanzierungen sind ebenso wenig erforderlich wie auf übermäßig lange Zeit ausgelegte Unterstützungen. Geringfügige Sicherheitspuffer sind gleichwohl zu tolerieren.30) Orientierung bieten die allgemeinen Geschäftsleiterpflichten gemäß § 93 Abs. 1 AktG, § 43 Abs. 1 GmbHG. Danach haben die Geschäftsleitungsorgane Dauer und Umfang der Fremdkapitalaufnahme am Gesellschaftsinteresse auszurichten, wenngleich es sich um eine unternehmerische Entscheidung mit entsprechender Einschätzungsprärogative zugunsten der Geschäftsleiter handelt.

13

Die Gründe, warum die konkrete Finanzierung für erforderlich gehalten wird, sind gemäß Nr. 8 der Anlage zu § 5 Satz 2 im darstellenden Teil des Restrukturierungsplans aufzuführen und zu erläutern.31) Das Gericht überprüft den Plan insoweit lediglich auf seine Schlüssigkeit, die Erfolgsaussichten des Vorhabens und ggf. offensichtliche Mängel (§ 63 Abs. 2). Soweit die Finanzierung den Markttest besteht, indem die Planbetroffenen dem Restrukturierungsplan zustimmen, ist zu vermuten, dass sie auch erforderlich ist i. S. des § 12.

14

4.

Sicherheiten (Satz 2)

Nach § 12 Satz 2 gilt auch die Besicherung einer neuen Finanzierung selbst als „neue Finanzierung“.32) Rechtstechnisch gesehen handelt es sich um eine Fiktion, die insbesondere i. R. des § 90 Abs. 1 Bedeutung erlangt. Schließlich erfasst dessen Anfechtungsausschluss die Besicherung der neuen Finanzierung, nicht aber die Kreditrückführung oder etwaige Zinsleistungen hierauf (siehe dazu § 90 Rz. 12). Eine anfechtungsfeste Besicherung lässt sich allerdings in aller Regel bereits durch eine bargeschäftliche Bestellung (§ 142 Abs. 1 InsO) erreichen, sodass sich die Rechtsfolge des § 12 Satz 2 letztlich darauf beschränkt, dass auch die Besicherung als neue _____________ 28) Zurückhaltender Hoegen/Wolf in: Flöther, Sanierungsrecht, Kap. F Rz. 470 – keine Alternativlosigkeit zu fordern. 29) Nach Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 12 Rz. 21 ist die Finanzierung nur erforderlich, soweit der Schuldner ohne sie zahlungsunfähig würde. 30) So auch Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 12 Rz. 24. 31) Begr. RegE SanInsFoG z. § 14 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 120. 32) Begr. RegE SanInsFoG z. § 14 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 120.

Knapp/Wilde

275

15

§ 13

Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse

Finanzierung einer Erläuterung und Begründung im Plan bedarf (Nr. 8 der Anlage zu § 5 Satz 2) und dem Prüfungsmaßstab des § 63 Abs. 2 unterliegt. III. Rechtsfolgen 16

Liegen die genannten Merkmale einer neuen Finanzierung vor, kann diese gemäß § 12 Satz 1 in den Restrukturierungsplan aufgenommen werden. Der Gesetzeswortlaut ist insoweit ungenau. Sofern es sich in der Sache um eine „neue Finanzierung“ handelt, ist diese nämlich zwingend in den darstellenden Teil des Plans aufzunehmen, zumindest insoweit, als es um die Erläuterung und Begründung ihrer Erforderlichkeit geht (Nr. 8 der Anlage zu § 5 Satz 2).33) Die Terminologie des § 12 Satz 1 ist daher vielmehr so zu verstehen, dass Gegenstand des Restrukturierungsverfahrens und -plans eben auch die Vereinbarung und Besicherung neuer Finanzierungen sein kann.34)

17

Im Hinblick auf den erforderlichen Detailgrad der Ausführungen zur neuen Finanzierung ist sicherzustellen, dass sich die Planbetroffenen hinreichend über ihre Umstände und Auswirkungen informieren können, um anschließend eine sachgerechte Entscheidung über die Planannahme treffen zu können. Ausreichen dürfte hierzu in aller Regel eine Darstellung der wesentlichen Grundzüge der Finanzierung, d. h. ihres Umfangs und ihrer Dauer, des allgemeinen Finanzierungsbedarfs des Unternehmens, ihrer Zweckbindung sowie des Zins- und Tilgungsplans.35)

18

Soweit die neue Finanzierung in den Restrukturierungsplan aufgenommen wird, greift grundsätzlich der Anfechtungsausschluss des § 90 Abs. 1 (siehe näher dazu § 90). Ferner von Relevanz ist das Anfechtungs- und Haftungsprivileg des § 89 Abs. 1, das insbesondere auch die Kreditgeberhaftung aus §§ 826, 138 BGB in den Blick nimmt (siehe dazu § 89). Abseits davon unterliegen Restrukturierungspläne, die eine neue Finanzierung i. S. des § 12 vorsehen, dem besonderen gerichtlichen Prüfungsmaßstab des § 63 Abs. 2 (siehe dazu § 63). _____________ 33) Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 12 Rz. 5. 34) Begr. RegE SanInsFoG z. § 14 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 120 – klarstellende Funktion. 35) Hoegen/Wolf in: Flöther, Sanierungsrecht, Kap. F Rz. 481.

§ 13 Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse Knapp/Wilde

1

Sollen Rechte an Gegenständen begründet, geändert, übertragen oder aufgehoben werden, so können die erforderlichen Willenserklärungen der Beteiligten in den gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans aufgenommen werden. 2Sind im Grundbuch eingetragene Rechte an einem Grundstück oder an eingetragenen Rechten betroffen, so sind diese Rechte unter Beachtung des § 28 der Grundbuchordnung genau zu bezeichnen. 3Für Rechte, die im Schiffsregister, im Schiffsbauregister oder im Register für Pfandrechte an Luftfahrzeugen eingetragen sind, gilt Satz 2 entsprechend.

276

Knapp/Wilde

§ 13

Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse

Literatur: Smid, Sanierungsverfahren nach dem neuen Insolvenzrecht, WM 1998, 2489. Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 2 III. Tatbestand ............................................. 4

I.

1. Eingriff in Rechte an Gegenständen ....... 4 2. Erforderliche Willenserklärungen ........ 7 IV. Rechtsfolge ........................................... 9

Normzweck

Die Vorschrift des § 13 dient in erster Linie der beschleunigten Verfahrensabwicklung.1) Sie ist Ausdruck des im deutschen Zivilrecht geltenden Trennungs- und Abstraktionsprinzips.2) Durch die Möglichkeit der Gestaltung sachenrechtlicher Verhältnisse auf Grundlage des Restrukturierungsplans wird gewährleistet, dass dem Restrukturierungsplan auch dingliche Wirkung zukommen kann.3) In diesem Zusammenhang sollen die Formerleichterungen des § 68 gegenüber einem Vollzug außerhalb des Plans neben Zeit- auch Kostenersparnisse ermöglichen,4) da den Beteiligten bspw. etwaig anfallende Beurkundungskosten erspart bleiben.5) Schließlich ist auch eine Absicherung der Betroffenen bezweckt, da die Wirksamkeit der abgegebenen Erklärungen und des Restrukturierungsplans voneinander abhängig gemacht werden.6)

1

II. Normhistorie Die Vorschrift des § 13 lässt sich als Ausprägung des im deutschen Recht geltenden sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes ansehen. Eine diesbezügliche Vorgabe findet sich in der Restrukturierungsrichtlinie nicht. § 13 steht aber im weiteren Sinne im Zusammenhang mit Art. 15 der Restrukturierungsrichtlinie7), nach dem die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass die von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde bestätigten Restrukturierungspläne für alle nach Art. 8 Abs. 1 lit. c der Restrukturierungsrichtlinie benannten oder beschriebenen betroffenen Parteien verbindlich sind. Über diese Vorgaben geht die Bestimmung hinaus, indem der Plan nicht nur verbindlich ist, sondern es das Gesetz vielmehr ermöglicht, sachenrechtliche Verhältnisse unmittelbar durch den Restrukturierungsplan zu verändern.

2

§ 13 ist i. V. m. § 68 Abs. 1 zu sehen, wonach die in den Restrukturierungsplan aufgenommenen Willenserklärungen der Planbetroffenen und des Schuldners als in der vorgeschriebenen Form abgegeben gelten, sofern über Rechte an Gegenständen oder Geschäftsanteile verfügt werden soll. Der deutsche Gesetzgeber hat sich i. R.

3

_____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)

Vgl. zum Insolvenzplan Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 228 Rz. 1. Vgl. zum Insolvenzplan Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 228 Rz. 1. Vgl. zum Insolvenzplan Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 228 Rz. 1. Begr. RegE SanInsFoG z. § 15 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 120. Vgl. zum Insolvenzplan Breuer in: MünchKomm, InsO, § 228 Rz. 1. Vgl. zum Insolvenzplan Andres/Leithaus-Andres, InsO, § 228 Rz. 1. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

Knapp/Wilde

277

§ 13

Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse

des Gesetzgebungsverfahrens an die Vorschrift des § 228 InsO angelehnt.8) Genau genommen entspricht der Wortlaut des § 13 bis auf den Ausdruck Insolvenzplan vollständig und unverändert dem Pendant in der InsO. III. Tatbestand 1.

Eingriff in Rechte an Gegenständen

4

Gemäß § 13 Satz 1 können, sofern Rechte an Gegenständen begründet, geändert, übertragen oder aufgehoben werden sollen, die erforderlichen Willenserklärungen der Beteiligten in den gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans aufgenommen werden. Entsprechende Eingriffe in Rechte an Gegenständen orientieren sich an der grundsätzlich weit zu verstehenden Eingriffsdefinition des Bereicherungsrechts in § 812 BGB.9)

5

Für den Begriff des Gegenstandes folgt aus einem Umkehrschluss zu § 90 BGB, nach welchem Sachen lediglich körperliche Gegenstände sind, dass der Gegenstandsbegriff i. S. des § 13 Satz 1 weit auszulegen ist.10) Hierunter ist alles zu subsumieren, was ein Objekt von Rechten sein kann.11) Erfasst werden somit die unterschiedlichsten Regelungen in Bezug auf Sachen i. S. des §§ 90 ff. BGB und sonstige Rechten im materiellen Sinne.12) Neben beweglichen Sachen (§§ 929 ff. BGB) und Grundstücken (§§ 873 ff. BGB) können mithin auch Geschäftsanteile, immaterielle Rechte, Forderungen und sonstige Vermögensrechte einer Regelung im Restrukturierungsplan unmittelbar unterworfen werden.13) Der Restrukturierungsplan kann dementsprechend unmittelbar insbesondere den Verzicht auf Pfandrechte an Gesellschaftsanteilen, die Bestellung von Grundschulden, die Sicherungsübereignung von beweglichen Sachen oder die Übereignung von Gesellschaftsanteilen vorsehen und bewirken.

6

Die Rechte an Gegenständen, die einer sachenrechtlichen Änderung unterliegen sollen, müssen nicht zwingend dem Schuldner zuzuordnen sein.14) Vielmehr können auch schuldnerfremde Rechte an Gegenständen einer entsprechenden Änderung aufgrund des Restrukturierungsplans zugeführt werden.15) Dabei ist die Willenserklärung des jeweiligen Rechtsinhabers aber immer dann erforderlich, wenn er nicht selbst Planbetroffener ist bzw. ein im Insolvenzfalle der Aussonderung unterliegender/ massefremder Gegenstand betroffen ist.16) Um in diesen Fällen die Rechtsänderung unmittelbar herbeizuführen, muss gemäß § 15 Abs. 3 die entsprechende Erklärung _____________ 8) Begr. RefE SanInsFoG z. § 13 StaRUG v. 19.9.2020, S. 129, abrufbar unter https:// www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__ blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 27.8.2021). 9) Vgl. zum Insolvenzplan Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 228 Rz. 3. 10) Vgl. zum Insolvenzplan Breuer in: MünchKomm, InsO, § 228 Rz. 2. 11) Vgl. zum Insolvenzplan Haas in: HK-InsO, § 228 Rz. 2; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 228 Rz. 2; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 228 Rz. 1; Smid, WM 1998, 2489, 2495. 12) Vgl. zum Insolvenzplan Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckO-InsO, § 228 Rz. 3. 13) Vgl. zum Insolvenzplan Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 228 Rz. 1; Breuer in: MünchKommInsO, § 228 Rz. 2; Andres/Leithaus-Andres, InsO, § 228 Rz. 2. 14) Vgl. zum Insolvenzplan Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 228 Rz. 5. 15) Vgl. zum Insolvenzplan Thies in: HambKomm-InsO, § 228 Rz. 2. 16) Vgl. zum Insolvenzplan Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 228 Rz. 5.

278

Knapp/Wilde

Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse

§ 13

des Dritten (dem Rechtsinhaber) dem Plan beigefügt werden.17) Sofern das betreffende Recht hingegen Gegenstand des Restrukturierungsplans ist, kann auch ohne die Willenserklärung des planbetroffenen Rechtsinhabers unmittelbar eine Rechtsänderung herbeigeführt werden. Der insoweit missverständliche Wortlaut des § 13 wird in diesen Fällen durch die Fiktionswirkung des § 68 überlagert.18) Dies ist vor allem mit Blick auf Eingriffe in Absonderungsanwartschaften relevant. 2.

Erforderliche Willenserklärungen

Falls auf der Grundlage des Plans sachenrechtliche Verhältnisse unmittelbar gestaltet werden sollen, hat der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans die Willenserklärungen der Beteiligten zu enthalten. Denkbar ist jedoch auch, dass der Plan lediglich die schuldrechtliche Verpflichtung zur Abgabe dinglicher Erklärungen zu einem späteren Zeitpunkt enthält.19) Wegen des allgemeingültigen sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz sind die betroffenen Gegenstände so genau wie möglich zu benennen und individualisieren.20) Satz 2 und 3 schreiben die Einhaltung sachenrechtlicher Anforderungen zwar explizit nur für die im Grundbuch und anderen Registern eingetragenen Rechte vor. Dies gilt aber über den Wortlaut hinaus für jede Rechtsänderung, die durch den Plan vollzogen werden soll.21)

7

Der Normzweck – Verfahrensbeschleunigung – spricht dafür, dass nicht nur Willenserklärungen, sondern auch Verfahrenserklärungen (insbesondere der Antrag nach § 13 GBO) im Restrukturierungsplan aufgenommen werden können.22) Sind für die Rechtsänderung allerdings zusätzlich anderweitige tatsächliche Vollzugsakte, wie insbesondere ein Besitzübergang, eine Übergabe oder eine Registereintragung erforderlich, werden diese nicht obsolet, sondern sind nach allgemeinen Regeln außerhalb des Restrukturierungsplans herbeizuführen.23)

8

IV. Rechtsfolge Durch die Aufnahme der Erklärungen in den gestaltenden Planabschnitt gelten diese nach § 68 als in der gehörigen Form abgegeben.24) Sollte es sich hingegen ausnahmsweise um einen nicht gerichtlich bestätigten Restrukturierungsplan handeln, entfällt die Wirkung des § 68 und der Schuldner muss sicherstellen, dass die Erklärun_____________ 17) Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 13 Rz. 8; vgl. zum Insolvenzplan Thies in: HambKommInsO, § 228 Rz. 3; Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 228 Rz. 3. 18) Vgl. zum Insolvenzplan Breuer in: MünchKomm-InsO, § 228 Rz. 5; Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 228 Rz. 6. 19) Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 13 Rz. 9; Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 13 Rz. 1. 20) Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 13 Rz. 20; vgl. zum Insolvenzplan Kübler/Prütting/BorkSpahlinger, InsO, § 228 Rz. 2; Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 228 Rz. 7. 21) Zum Insolvenzplan K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 228 Rz. 6. 22) Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 13 Rz. 16; vgl. zum Insolvenzplan K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 228 Rz. 7; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 228 Rz. 6; Thies in: HambKomm-InsO, § 228 Rz. 4; a. A. Braun-Braun/Frank, InsO, § 228 Rz. 4. 23) Vgl. zum Insolvenzplan Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 228 Rz. 1; Pannen/Riedemann/ Smid-Smid, StaRUG, § 13 Rz. 6. 24) Vgl. zum Insolvenzplan Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 228 Rz. 5.

Knapp/Wilde

279

9

§ 14

Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht; Ergebnis- und Finanzplan

gen formgerecht abgegeben werden.25) Wird die Erklärung den sachenrechtlichen Anforderungen (insbesondere dem Bestimmtheitsgrundsatz) nicht gerecht, bleibt diese Erklärung indessen unwirksam.26) Ist dieser Mangel wesentlich und wird er nicht innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist behoben, versagt das Gericht dem Restrukturierungsplan die Bestätigung (§ 63 Abs. 1). 10

Sofern zur Rechtsänderung Eintragungen im Grundbuch oder anderen Registern erforderlich werden, hat das Restrukturierungsgericht den Restrukturierungsplan nach rechtskräftiger Bestätigung an das betreffende Registergericht zu übermitteln.27) _____________ 25) Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 13 Rz. 27. 26) Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 13 Rz. 20. 27) Anders Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 13 Rz. 29; vgl. zum Streitstand zu § 228 InsO: eine Übemittlungspflicht des Insolvenzgerichts befürwortend Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 228 Rz. 10; Thies in: HambKomm-InsO, § 228 Rz. 6; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 228 Rz. 13; eine solche Übermittlung durch das Insolvenzgericht zwecks Verfahrensbeschleunigung begrüßend, eine Pflicht aber abl. Nerlich/RömermannOber, InsO, § 228 Rz. 5; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 228 Rz. 5.

§ 14 Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht; Ergebnis- und Finanzplan Wolf

(1) Dem Restrukturierungsplan ist eine begründete Erklärung zu den Aussichten darauf beizufügen, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners durch den Plan beseitigt wird und dass die Bestandsfähigkeit des Schuldners sicher- oder wiederhergestellt wird. (2) 1Dem Restrukturierungsplan ist eine Vermögensübersicht beizufügen, in der die Vermögensgegenstände und die Verbindlichkeiten, die sich bei Wirksamwerden des Plans gegenüberstünden, mit ihren Werten aufgeführt sind. 2Zudem ist aufzuführen, welche Aufwendungen und Erträge für den Zeitraum, während dessen die Gläubiger befriedigt werden sollen, zu erwarten sind und durch welche Abfolge von Einnahmen und Ausgaben die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens während dieses Zeitraums gewährleistet werden soll. 3Dabei sind neben den Restrukturierungsforderungen auch die vom Plan unberührt bleibenden Forderungen sowie die künftig nach dem Plan zu begründenden Forderungen zu berücksichtigen. Literatur: Blankenburg, Umsetzungsbedarf aufgrund des Entwurfs zur Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 241; Philipp/Hudersch/Henn, Der präventive Restrukturierungsrahmen: Geeignete Einstiegsvoraussetzungen aus Beratersicht, INDat-Report 3/2019, S. 30; Schmidt, H., Der Richtlinienvorschlag für präventive Restrukturierungsrahmen aus Bankensicht, WM 2017, 1735. Übersicht I. II. III. IV. V. 1. 2.

280

Normzweck ........................................... 1 Normhistorie ........................................ 5 Einordnung in Plandokumentation ..... 7 Adressaten ............................................. 9 Erklärung zur Bestandsfähigkeit (Abs. 1) ................................................ 11 Verwendungszweck ............................ 11 Aufbau und Inhalt ............................... 14

3. 4.

Dokumentation ................................... 18 Stellungnahme durch Restrukturierungsbeauftragten ................................ 20 5. Bezug zur Bescheinigung nach § 270d Abs. 1 InsO ............................. 23 VI. Vermögensübersicht, Ergebnisund Finanzplan (Abs. 2), Vermögensübersicht (Abs. 2 Satz 1) ...... 25

Wolf

Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht; Ergebnis- und Finanzplan 1. Verwendungszweck ............................ 2. Aufbau und Inhalt ............................... 3. Dokumentation ................................... VII. Ergebnis- und Finanzplan (Abs. 2 Satz 2) ..................................... 1. Verwendungszweck ............................ 2. Aufbau und Inhalt ...............................

I.

25 30 38 41 41 45

§ 14

3. Inhaltliche Umsetzung ....................... 59 4. Dokumentation ................................... 66 5. Prüfung durch das Gericht ................. 70 VIII. Bezug zum deutschen Insolvenzplanrecht ..................................... 71 IX. Praxishinweise zum Zeitpunkt und zur Priorisierung der Erstellung ......... 74

Normzweck

In § 14 werden die dem Restrukturierungsplan gemäß § 5 beizufügenden erforderlichen Anlagen definiert. Diese umfassen –

eine begründete Erklärung zu den Aussichten darauf, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit durch den Plan beseitigt und die Bestandsfähigkeit gesichert- oder wiederhergestellt wird (Abs. 1),



eine Vermögensübersicht zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Restrukturierungsplans (Abs. 2 Satz 1) sowie



ein Ergebnis- und Finanzplan für den Zeitraum, in dem die Gläubiger aus den Überschüssen des Unternehmens befriedigt werden (Abs. 2 Satz 2).

1

Die Erklärung zur Bestandsfähigkeit hat die Zweckdienlichkeit des Restrukturierungsplans argumentativ zu belegen. Aus der Erklärung soll hervorgehen, dass die existenzielle Gefährdung des Unternehmens im Zielbild nach erfolgter Restrukturierung nicht mehr vorliegt. Sie dient damit als Nachweis für die Sinnhaftigkeit und Effektivität des Restrukturierungsvorhabens, nicht jedoch als Bestätigungsvermerk für die Richtigkeit der getroffenen Annahmen oder die Vorteilhaftigkeit der vorgeschlagenen Lösung.

2

Mit der Vermögensübersicht und den Planungsrechnungen nach § 14 Abs. 2 Satz 1 und 2 soll Gläubigern notwendiges Entscheidungsmaterial an die Hand gegeben werden, anhand dessen sie zu einem Urteil darüber kommen können, ob sie die Restrukturierung für unterstützungswürdig halten und dem Restrukturierungsplan folglich zustimmen werden. § 14 soll somit dem Schutz der vom Plan betroffenen Gläubiger dienen, indem der Schuldner die Zielführung der Restrukturierung dargelegt und sich die Gläubiger zudem anhand einer einheitlichen Informationsbasis eine eigene Meinung über die betriebswirtschaftliche Belastbarkeit des Vorhabens bilden können.

3

4

II. Normhistorie § 14 als Erklärung zur Bestandsfähigkeit, Vermögensübersicht und Ergebnis- und Finanzplan ist die stringente Umsetzung des Art. 8 Abs. 1 lit. b, lit. g Ziff. v und lit. h Restrukturierungsrichtlinie.1) Die Fassung des § 14 im RefE vom 19.9.20202) _____________ 1)

2)

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. RefE SanInsFoG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 25.8.2021).

Wolf

281

5

§ 14

Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht; Ergebnis- und Finanzplan

ist unverändert in das Gesetz übernommen worden. Aufgrund der weitreichenden Parallelen des Restrukturierungsplans zum Insolvenzplan ist § 14 in enger Anlehnung an § 229 Satz 1 bis 2 InsO geschaffen worden, zu welchen der Wortlaut des § 14 nahezu identisch ist. 6

Nicht umgesetzt wurde die in der Restrukturierungsrichtlinie angebotene Möglichkeit, die Begründung zur Bestandsfähigkeit von einer Bestätigung durch einen externen Experten oder den Restrukturierungsbeauftragten abhängig zu machen. Dies ist vor dem Hintergrund des Ziels der Autonomie und eigenständigen Gestaltung des Restrukturierungsvorhabens durch das Unternehmen sowie einer möglichst gering zu haltenden Publizität zu begrüßen. III. Einordnung in Plandokumentation

7

§ 5 stellt klar, dass es sich bei den in § 14 genannten Unterlagen um zwingend erforderliche Anlagen des Restrukturierungsplans handelt. In der Sache geht es hierbei um Bestandteile des darstellenden Teils des Restrukturierungsplans, der nach § 6 „die Grundlagen und die Auswirkungen des Restrukturierungsplans“ darzulegen hat.3) So enthalten die Anlagen des § 14 Informationen, welche nach § 6 Abs. 1 Satz 2 „für die Entscheidung der von dem Plan Betroffenen über die Zustimmung zum Plan und für dessen gerichtliche Bestätigung erheblich sind“. Dem engen Wortlaut des Gesetzes folgend und aus Gründen der Transparenz ist es angeraten, die Erklärung zur Bestandsfähigkeit, die Vermögensübersicht sowie den Ergebnisund Finanzplan dem Restrukturierungsplan als separate Anlagen beizufügen und sie nicht im darstellenden Teil aufgehen zu lassen.

8

§ 17 Abs. 1 macht deutlich, dass die Anlagen dem Restrukturierungsplan im Planangebot beizufügen sind. Damit ist offensichtlich, dass sich die Anlagen nahtlos in die qualitative und quantitative Konsistenz des übrigen Restrukturierungsplans einzufügen haben. Die Überleitbarkeit und Identität zu den im Restrukturierungsplan getroffenen Aussagen, Annahmen und betriebswirtschaftlichen Kennzahlen müssen durchgängig gegeben sein. Die Anlagen sind demnach stets gemeinsam mit dem Restrukturierungsplan zu lesen und stellen keine eigene, hiervon teilweise oder gänzlich losgelöste Dokumentation dar. Insbesondere die deskriptiven Ausführungen der Erklärung zur Bestandsfähigkeit müssen anhand des Restrukturierungsplans auch im Detail nachvollziehbar und zum darstellenden Teil leicht abstimmbar sein. IV. Adressaten

9

Adressaten der Anlagen des Restrukturierungsplans sind – dem Restrukturierungsplan als solchem folgend – die planbetroffenen Gläubiger des Unternehmens. Die Anlagen dienen ihnen als Entscheidungshilfe und damit zum Schutz vor Entscheidungen, welche auf einer unzureichenden Informationsbasis gefällt werden müssten.

10

Neben den Gläubigern zählt zudem ein gemäß § 73 von Amts wegen bestellter Restrukturierungsbeauftragter zu den Empfängern der Erklärung zur Bestandsfähigkeit. _____________ 3)

282

Haas in: HK-InsO, § 229 Rz. 5.

Wolf

Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht; Ergebnis- und Finanzplan

§ 14

V. Erklärung zur Bestandsfähigkeit (Abs. 1) 1.

Verwendungszweck

Die Erklärung zur Bestandsfähigkeit dient der rationalen, zusammenfassenden Darstellung des Restrukturierungsvorhabens. Sie umfasst damit die Gesamtheit der zu absolvierenden Schritte von der Ausgangslage, in welcher das Unternehmen in seiner Existenz bedroht ist, über die vorgeschlagene Restrukturierungslösung bis hin zum Zielbild des restrukturierten und in seiner Bestandsfähigkeit wiedererstarkten Unternehmens. Weiter hat die Erklärung zur Bestandsfähigkeit zu belegen, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit, welche eine Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Regelungen des StaRUG darstellt, durch Umsetzung der Restrukturierungslösung beseitigt werden kann und das Vorhaben somit seinen Zweck erfüllt. An dieser Formalie scheitern solche Restrukturierungsvorhaben, die nur Teile einer Lösung, jedoch keine ganzheitliche Lösung darstellen. Die Erklärung soll den Leser also in aggregierter Form durch die detaillierten Ausführungen des Restrukturierungsplans leiten.

11

Die Begründung der Erklärung darf sich nicht darauf beschränken, dass das angestrebte Restrukturierungskonzept betriebswirtschaftlich tragfähig ist. Es ist auch zu begründen, dass der Plan auch mit den erforderlichen Mehrheiten im Planabstimmungsprozess umsetzungsfähig ist. Neben den betriebswirtschaftlichen, eher quantitativen Ausführungen des Restrukturierungsplans können hier auch qualitative Argumente angeführt werden. Diese können bspw. den Fortschritt eventuell erfolgter Vorgespräche, positive Signale wesentlicher Planbetroffener, ggf. erzielte Sanierungsvereinbarungen, die Darstellung des Umgangs mit zu erwartendem Widerstand einzelner Planbetroffener und nicht zuletzt die Unterstützung des Vorhabens durch die Unternehmensleitung betreffen.

12

Schlussendlich dient die Erklärung auch als wesentlicher Prüfpunkt des Restrukturierungsplans durch eine unabhängige Instanz, indem der Restrukturierungsbeauftragte dazu Stellung nimmt.

13

2.

Aufbau und Inhalt

Wesentlicher Inhalt der Erklärung zur Bestandsfähigkeit ist die Darstellung des Zielzustandes des sanierten Unternehmens sowie des Weges (d. h. des Restrukturierungsplans), auf dem dieser Zustand planerisch erreicht wird. Die Erklärung bindet die detaillierten Ausführungen des darstellenden Teils des Restrukturierungsplans in ein nachvollziehbares Narrativ ein. Dafür verweist sie auf Informationen und Detaillierungen, welche im darstellenden Teil zu finden sind.

14

Der Gesetzgeber gibt keine Vorschriften zu Form und Umfang der Erklärung; jedoch ähnelt diese in ihrem zusammenfassenden und dennoch ganzheitlichen Charakter der abschließenden gutachterlichen Stellungnahme zu Sanierungskonzepten (Sanierungsfähigkeitsbestätigung).4) Im Unterschied zu dieser ist sie aber von den vertretungsberechtigten Organen des Unternehmens zu erstellen.

15

_____________ 4)

BGH, Urt. v. 14.6.2018 – IX ZR 22/15, Rz. 10 ff., ZIP 2018, 1794 = NZI 2018, 840, dazu EWiR 2018, 755 (Egerlandt); BGH, Urt. v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, Rz. 18 f., ZIP 2016, 1235 = NZI 2016, 636, dazu EWiR 2016, 403 (Jacoby); s. hierzu auch H. Schmidt, WM 2017, 1735, 1740.

Wolf

283

§ 14 16

Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht; Ergebnis- und Finanzplan

Eine geeignete Gliederung der Erklärung zur Bestandsfähigkeit kann sich daher an den Mindestanforderungen des BGH an Sanierungskonzepte orientieren:5) 1.

Darstellung des Unternehmens und (falls einschlägig) der wirtschaftlich zusammenhängenden Unternehmensgruppe (Konzern) a) Organisationsstruktur b) Gesellschafterstruktur c) Unternehmensverträge, Organschaften d) Unternehmenshistorie

2.

Wirtschaftliche Ausgangslage a) Geschäftsmodell b) Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage c) Finanzierungsstruktur

3.

Darstellung des Unternehmens in seinem Wettbewerbs- und Marktumfeld a) Darstellung der Markt- und Branchenentwicklung b) Strategische und operative Positionierung des Unternehmens

4.

Krisenursachen des Unternehmens und Stadium der Krise

5.

Leitbild des restrukturierten Unternehmens (Zielzustand)

6.

Erforderliche Maßnahmen a) Strategische Maßnahmen b) Operative Maßnahmen c) Finanzielle Maßnahmen aa) Davon außerhalb des StaRUG restrukturiert bb) Davon i. R. des StaRUG restrukturiert

17

7.

Darstellung der integrierten Sanierungsplanung

8.

Szenario- und Sensitivitätsbetrachtungen

Die notwendige Gliederungs- und Detaillierungstiefe ist hierbei abhängig vom Einzelfall zu bestimmen. Als Maßgabe sollte dienen, dass die Erklärung zur Bestandsfähigkeit als für sich selbst sprechendes und daher umfassendes Dokument gelesen werden kann, welches auch ohne Einblick in den Restrukturierungsplan einen eingehenden Eindruck von dem Unternehmen und der angestrebten Restrukturierung vermittelt. 3.

Dokumentation

18

Die Erklärung zur Bestandsfähigkeit ist von den vertretungsberechtigten Organen des Unternehmens zu erstellen. Insofern unterscheidet sie sich von gutachterlichen Stellungnahmen zu Sanierungskonzepten oder Bescheinigungen nach § 270d InsO.

19

Hinsichtlich der Form der Dokumentation bestehen keine spezifischen Anforderungen. Praxistauglich erscheint auch hier eine Dokumentation analog der bei gut_____________ 5)

284

BGH, Urt. v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, ZIP 2016, 1235 = NZI 2016, 636.

Wolf

Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht; Ergebnis- und Finanzplan

§ 14

achterlichen Stellungnahmen zu Sanierungskonzepten oder Bescheinigungen nach § 270d InsO geübten Praxis, also in zusammenhängender, in sich schlüssiger und für sich selbst sprechender Textform. 4.

Stellungnahme durch Restrukturierungsbeauftragten

Gemäß § 76 Abs. 4 StaRUG nimmt ein von Amts wegen bestellter Restrukturierungsbeauftragte zu der Erklärung zur Bestandsfähigkeit Stellung. Auch hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer ganzheitlichen, aussagekräftigen, für sich selbst sprechenden und damit beurteilungsfähigen Erklärung zur Bestandsfähigkeit.

20

Ist der Restrukturierungsbeauftrage erst nach der Planabstimmung bestellt worden, so erfolgt die Stellungnahme bei Vorlage des bereits angenommenen Restrukturierungsplans zur gerichtlichen Bestätigung; die Stellungnahme ist in diesem Fall nur noch für das Restrukturierungsgericht von praktischer Relevanz.

21

Wurde der Restrukturierungsbeauftragte hingegen vor der Planabstimmung bestellt, so ist seine Stellungnahme dem Restrukturierungsplan als weitere Anlage beizufügen und dient damit den Planbetroffenen in der Entscheidungsfindung über die Annahme des Plans.

22

5.

Bezug zur Bescheinigung nach § 270d Abs. 1 InsO

Die Anforderungen an die Erklärung zur Bestandsfähigkeit gehen über die an eine Bescheinigung nach § 270d Abs. 1 InsO hinaus. Die Bescheinigung nach § 270d InsO hat lediglich darzulegen, dass die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist und dementsprechend die Zugangsvoraussetzungen zum Schutzschirmverfahren gegeben sind. Da das Schutzschirmverfahren erst der Ausarbeitung eines Sanierungsplans dient, kann die Bescheinigung hierfür nicht auf einem derart umfangreichen Konzept beruhen wie die Erklärung zur Bestandsfähigkeit, die sich auf einen bereits vollständig ausgearbeiteten Restrukturierungsplan stützt.

23

Weil die Bescheinigung nach § 270d Abs. 1 InsO demnach nur auf einem Grobkonzept basieren kann, sieht der Gesetzgeber hier die Begutachtung durch einen unabhängigen Dritten in Gestalt eines in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers, Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation vor. Die deutlich höhere inhaltliche Hürde an das zugrunde liegende Konzept des Restrukturierungsplans erlaubt es, bei der Erklärung zur Bestandsfähigkeit auf die externe Begutachtung zu verzichten.6)

24

VI. Vermögensübersicht, Ergebnis- und Finanzplan (Abs. 2), Vermögensübersicht (Abs. 2 Satz 1) 1.

Verwendungszweck

Die Vermögensübersicht gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 ist grundsätzlich unabhängig von den Planungsrechnungen des Absatzes 2 Satz 2 und 3 zu erstellen. Inhaltlich sind Vermögensübersicht und Planungsrechnungen jedoch miteinander verbunden. So gibt die Vermögensübersicht, welche die planerischen Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten des Unternehmens einmalig zum Zeitpunkt des Wirksam_____________ 6)

Blankenburg, ZInsO 2017, 241, 248.

Wolf

285

25

§ 14

Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht; Ergebnis- und Finanzplan

werdens des Restrukturierungsplans darstellt, faktisch die Eröffnungsbilanz des Unternehmens für den anschließenden Sanierungszeitraum wieder. Die Vermögensübersicht ist damit Absprungspunkt für die gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 und 3 zu erstellenden Planungsrechnungen.7) 26

Bei der Vermögensübersicht handelt es sich also um eine einmalige Gegenüberstellung der Vermögensgegenstände und der Verbindlichkeiten. Der Gesetzgeber verlangt weder eine Aktualisierung der Übersicht noch deren Fortschreibung in den Planungs- und Sanierungszeitraum.

27

Zweck der Vermögensübersicht ist es, die Effekte des Restrukturierungsplans auf die Kapital- und Finanzierungsstruktur zu einem bestimmten Zeitpunkt darzustellen. Planbetroffene sollen dadurch in die Lage versetzt werden, sich ein unabhängiges Bild über das Vermögen und die resultierende Kapitalstruktur zu machen. Aus der Vermögensübersicht gehen damit auch die Forderungssummen der Planbetroffenen hervor, die während des Sanierungszeitraums befriedigt werden sollen. Sie dient zudem als Vergleichsbasis für erwartete Befriedigungsquoten aus Vergleichsrechnungen, welche gemäß § 6 Abs. 2 ebenfalls Teil des Restrukturierungsplans sind. Den Vergleichsrechnungen ist dabei derselbe Stichtag (d. h. der prognostizierte Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Restrukturierungsplans) zugrunde zu legen wie der Vermögensübersicht. Lediglich die Prämissen, insbesondere zum Wertansatz (bspw. Liquidations- vs. Fortführungswerte), ändern sich. Die Vermögensübersicht stellt damit eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für die planbetroffenen Gläubiger und Anteilseigner dar.8)

28

Hinsichtlich der Vermögensgegenstände hat die Vermögensübersicht zudem den Zweck, den Planbetroffenen eine Beurteilung der Vermögensstruktur zu ermöglichen. Diese sollen sich auf dieser Grundlage ein Bild über potenzielle zusätzliche Sicherheiten, eventuell nicht betriebsnotwendiges Vermögen und die Gesamtheit der Haftungsmasse des Unternehmens machen können.

29

Da es sich bei einer Restrukturierung unter StaRUG, anders als beim kollektiven Vollstreckungsansatz eines Insolvenzplans, um ein teilkollektives Verfahren handelt, kommt der Vermögensübersicht gemäß § 14 StaRUG im Vergleich zu § 229 InsO eine besondere Stellung zu (siehe dazu auch Rz. 25). Damit wirkt der Plan nicht gleichermaßen symmetrisch und synchron für alle Gläubiger, sondern nur auf die ausgewählten Restrukturierungsforderungen. Die Vermögensübersicht hat die daraus resultierenden Verschiebeeffekte auf der Passivseite der Bilanz darzustellen. So dient die Vermögensübersicht den Planbetroffenen auch zur Bewertung der sich neu ergebenden Kapitalstruktur, der Finanzierungs- und Beteiligungsquoten, der veränderten potenziellen Befriedigungsquoten und der ggf. neuen Haftungsverhältnisse. 2.

30

Aufbau und Inhalt

Aufbau und Inhalt der Vermögensübersicht müssen sicherstellen, dass die beschriebenen Zwecke erfüllt werden. Unstrittig ist, dass es sich bei der Vermögensübersicht um eine geplante Bilanz zu einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt handelt. Die _____________ 7) 8)

286

Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 229 Rz. 2. Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 229 Rz. 3 – 7.

Wolf

Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht; Ergebnis- und Finanzplan

§ 14

Vermögensübersicht setzt somit eine Bilanzplanung voraus. Dafür sind Vermögensgegenstände, Finanzierungsstruktur, Liquidität sowie Working Capital auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Plans zu transponieren.9) Eine verlässliche PlanBilanz setzt zudem eine Plan-Gewinn- und Verlustrechnung voraus, um den bis zum zukünftigen Stichtag planerisch auflaufenden Gewinn/Verlust abbilden zu können. Auch wenn die Vermögensübersicht und die Ergebnis- und Finanzplanung des § 14 formell voneinander getrennt sind, so sind sie inhaltlich doch eng miteinander verbunden und leiten sich sogar aus demselben Rechenwerk ab. Angesichts der weiten Spanne von aggregierten HGB-Bilanzen bis hin zu detaillierten Summen- und Saldenlisten stellt sich die Frage, welche Detaillierungstiefe für die Vermögensübersicht zweckdienlich ist. Aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzungen der Verfahren lassen sich Bezüge zum Insolvenzplan nur bedingt anwenden. So steht im Insolvenzplan die Verwertung des Unternehmens und damit die Aktivseite der Bilanz im Fokus. Im Restrukturierungsplan steht hingegen die Strukturierung der Passivseite – und damit gerade nicht die Verwertung der Vermögensgegenstände – im Mittelpunkt. Folglich verschiebt sich im Vergleich zum § 229 InsO das Detaillierungserfordernis von der Aktiv- auf die Passivseite der Bilanz.

31

Unter Berücksichtigung dieses Punktes bietet sich für die Aktivseite der Vermögensübersicht eine Orientierung an der Struktur der HGB- oder IFRS-Bilanz an. In Anbetracht des zu erfüllenden Zwecks ist diese Aggregationsebene für die Vermögensgegenstände des Unternehmens aller Wahrscheinlichkeit nach ausreichend. Sie genügt, um ein Bild von der Vermögenssituation und -struktur, potenziellen neuen Sicherheiten und eventuell nicht betriebsnotwendigem Vermögen sowie Gesamtheit der Haftungsmasse zu vermitteln.

32

Für die Passivseite ist das Informationsbedürfnis der Planbetroffenen deutlich ausgeprägter. Hier hat die Vermögensübersicht sicherzustellen, dass jede/-r Planbetroffene

33



sich in der Übersicht inhaltlich und betragsmäßig wiederfindet und



die Wirkung des Restrukturierungsplans auf die jeweils eigene und auf die übrigen Forderungspositionen (sowohl der planbetroffenen als auch der nicht planbetroffenen Gläubiger) transparent nachvollziehen kann.

Des Weiteren sollte aus der Vermögensübersicht die Strukturierung der Abstimmungsgruppen sowie deren Behandlung im Plan hervorgehen. Entsprechend ist eine Unterteilung je nach Art und Rang der Besicherung sowie der sonstigen Verbindlichkeiten angeraten. Damit ergibt sich folgende Grobstruktur: –

Grundschulden,



absonderungsberechtigte Forderungen,



aussonderungsberechtigte Forderungen,



sonstige besicherte Forderungen,



unbesicherte Forderungen,

_____________ 9)

Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 229 Rz. 4a.

Wolf

287

34

§ 14

Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht; Ergebnis- und Finanzplan



nachrangige Forderungen,



Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung.

35

Eine weitere Unterteilung nach Finanzverbindlichkeiten und operativen Verbindlichkeiten (insbesondere aus Lieferung und Leistung) kann in Einzelfällen und je nach Auswahl der Restrukturierungsforderungen, Planbetroffenen sowie Plangruppen sinnvoll sein.

36

Beim Wertansatz wird es sich im Regelfall um Fortführungswerte handeln. Sieht der Restrukturierungsplan die Liquidation von Vermögensgegenständen oder Unternehmensteilen vor, so sind Liquidationswerte anzusetzen.10)

37

Maßgeblich sind grundsätzlich die Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten der betroffenen Legaleinheit. Handelt es sich bei dem zu restrukturierenden Unternehmen um die Muttergesellschaft eines Konzerns und sollen die Gläubiger aus den Überschüssen dieses Konzerns befriedigt werden, so sind die entsprechenden Konzernzahlen anzusetzen. 3.

Dokumentation

38

Zur Dokumentation bietet sich eine tabellarische, an die Bilanz angelehnte Darstellungsweise an. Die Struktur der Vermögensübersicht sollte mit der Struktur der Vergleichsrechnung harmonisiert sein, sodass sich Vergleiche leicht anstellen lassen.

39

Die getroffenen Annahmen sind i. S. der Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu dokumentieren. Dies betrifft sowohl die Annahmen der Plan-Bilanz bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Plans als auch die angewendeten Prämissen zum Wertansatz, insbesondere zu Liquidationswerten. Annahmen, welche gleichermaßen auf die Plan-Bilanz als auch auf die Vergleichsrechnung angewendet werden können, sind entsprechend auch gleichermaßen anzuwenden.

40

Aus der Dokumentation sollten die jeweils aktuellen Ist-Finanzzahlen hervorgehen, an welche die Plan-Rechnung bis zum Wirksamwerden des Plans anknüpft und aus denen sich getroffene Planannahmen, bspw. zu Umsatzniveau, Kostenquoten sowie zu bilanziellen Kenn- und Verhältniszahlen, inhaltlich ableiten lassen. VII. 1.

41

Ergebnis- und Finanzplan (Abs. 2 Satz 2)

Verwendungszweck

Die Ergebnis- und Finanzplanung soll die Gläubiger in die Lage versetzen, die betriebswirtschaftliche Belastbarkeit der Restrukturierung und die Eintrittswahrscheinlichkeit der vorgesehenen Befriedigung seriös einzuschätzen. Entsprechend hat das Planwerk die wesentlichen Informationen bereitzustellen, welche Investoren üblicherweise für Investitionsentscheidungen zurate ziehen:11) –

Welche Rückzahlungen sind zu erwarten (Höhe)?



Wann ist mit Rückzahlungen zu rechnen (Zeitpunkt)?



Wie sicher sind die Rückzahlungen?

_____________ 10) Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 229 Rz. 7. 11) Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 229 Rz. 1.

288

Wolf

Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht; Ergebnis- und Finanzplan

§ 14



Wie sensitiv reagiert die Planung auf Planabweichungen?



Was sind die zentralen Ereignisse, die eintreten müssen, damit die Planung erreicht wird (bspw. zentrale Maßnahmen)?



Welche sonstigen Risiken bestehen?



Ist die Partizipation an dem gesamten Wertzuwachs angemessen, und sind Chancen und Risiken gleichmäßig verteilt?

Zudem muss aus der Finanzplanung hervorgehen, dass das Unternehmen während des gesamten Sanierungszeitraums durchfinanziert ist.

42

Anhand der Finanzplanung können planbetroffene Gläubiger zudem retrograd eine Schuldentragfähigkeit ableiten, indem sie die zukünftig erwarteten Liquiditätsüberschüsse („Free Cashflow“) abzinsen. Dies dient der Bewertung ggf. vorgesehener Schuldenschnitte („Haircuts“).

43

Darüber hinaus wird im Regelfall anhand der Planung nachzuweisen sein, dass das Unternehmen i. S. des IDW S 612) die Rendite- und Wettbewerbsfähigkeit bei umgesetzter Restrukturierung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wiedererlangen wird (Sanierungsfähigkeit).

44

2.

Aufbau und Inhalt

In § 14 Abs. 2 Satz 2 und 3 des Gesetzes werden lediglich rudimentäre Anforderungen an das Planungswerk formuliert. So sind dem engen Wortlaut folgend nur Aufwendungen und Erträge (Ergebnisplanung) sowie Einnahmen und Ausgaben (Finanzplanung) aufzuführen. Einzig das für die Finanzplanung erforderliche Ziel nimmt der Absatz vorweg: Aus der Planung hat hervorzugehen, dass Zahlungsfähigkeit während des Planungszeitraums gewährleistet ist. Somit gibt das Gesetz zumindest einen Hinweis darauf, dass eine reine Cashflow-Betrachtung, bspw. nur bis zum Free Cashflow, für die Finanzplanung nicht ausreicht. Vielmehr muss sich aus der Planung auch der Cash-Bestand ergeben, was eine vollständige CashflowRechnung (inkl. Finanzierungscashflow) voraussetzt.

45

Mit dem Blick auf die Praxis lässt sich konstatieren, dass es kaum möglich ist, eine seriöse Ergebnis- und Finanzplanung ohne eine vollständige Bilanzplanung zu erstellen. Insofern kann das geforderte Rechenwerk nur auf einer integrierten Business-Planung basieren, welche ausgehend von einer GuV-Planung und einer Bilanzplanung über die indirekte Methode zu einer Liquiditätsplanung gelangt.13)

46

Alle drei Rechenwerke (aufgrund der indirekten Cashflow-Berechnung sind es genau genommen nur zwei Rechenwerke und ein zusätzlicher Ausweis) hängen miteinander zusammen. Keines der drei Werke lässt sich vollständig ohne die anderen beiden erstellen. So ergibt sich nur anhand einer Planung der Finanzverbindlichkeiten das in der GuV-Planung zu berücksichtigende Finanzergebnis, und nur mit Hilfe der detaillierten Planung des Anlagevermögens und der Investitionen ist eine verlässliche Planung der Abschreibungen möglich.

47

_____________ 12) IDW, Anforderungen an Sanierungskonzepte (IDW S 6) i. d. F. v. 16.5.2018, IDW Life 8/2018, S. 813. 13) Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 229 Rz. 3.

Wolf

289

§ 14

Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht; Ergebnis- und Finanzplan

48

Die Bilanzplanung beruht hingegen auf Input-Größen aus der GuV-Planung. So wird bspw. auch das für die Liquiditätsplanung in der Regel besonders ausschlaggebende Working Capital in den seltensten Fällen direkt geplant, sondern zumeist indirekt aus historischen Key Performance Indicators (KPIs) und der zugrunde liegenden GuV-Planung abgeleitet.14)

49

Als weiteres Beispiel für die notwendige Integrität kann die Planung von Rückstellungen dienen. Diesen kommt im Restrukturierungskontext aufgrund in der Regel signifikanter Restrukturierungskosten eine hohe Bedeutung zu. Auch hier ist durch Bildung, Inanspruchnahme und Auflösung der Rückstellungen eine direkte Verknüpfung von GuV- und Bilanzplanung in die Liquiditätsplanung erforderlich.

50

Letztlich kann nur anhand einer vollständigen Bilanzplanung sichergestellt werden, dass sämtliche Liquiditätseffekte erfasst und Doppelzählungen ausgeschlossen sind. Ein nur teilweise – bspw. bis zum Free Cashflow – gerechneter Cashflow ließe diesen „Qualitätscheck“ nicht zu.15)

51

In Abhängigkeit vom Einzelfall kann zudem eine direkte Liquiditätsplanung, in der Regel wochenbasiert, notwendig sein. Insbesondere in Fällen sehr knapper Liquidität lässt sich anhand der kurzfristig präziseren direkten Liquiditätsplanung detaillierter aufzeigen, wie sich die Liquiditätsentwicklung in den nächsten Wochen (in der Regel 13 Wochen/drei Monate) darstellt und ob das Unternehmen in diesem Zeitraum durchfinanziert ist. Die per Monatsultimo ausgewiesene Liquidität sollte dabei grob zum geplanten Liquiditätsbestand aus der indirekten Planung überleitbar sein.

52

Für den inhaltlichen Aufbau der GuV-, Bilanz- und Finanzplanung bietet sich die Orientierung an der Struktur des HGB/IFRS-Berichtswesens an. Dies erleichtert zum einen die Erstellung der Planungen und erlaubt zum anderen Vergleiche der Ist-Perioden mit den Plan-Perioden. Der Übergang von Ist zu Plan sollte hierbei ohne größere nicht erklärbare Versätze erfolgen (bspw. Umsatzsprünge, abweichende Kostenquote, nicht erklärte Bilanzbewegungen).

53

Die zu empfehlende Bilanzplanung, aus der sich der Finanzplan ableitet, kann entsprechend deutlich aggregierter erfolgen, als dies für die Vermögensübersicht der Fall war. Inhaltlich sollten sich die dort ausgewiesenen Werte zu den entsprechenden Zeitpunkten jedoch in der Plan-Bilanz wiederfinden lassen. Die Vermögensübersicht dient inhaltlich als Startpunkt für die Bilanzplanung.

54

Für die Finanzplanung ist der Cashflow üblicherweise in operativen Cashflow, Cashflow aus Investitionstätigkeiten und Cashflow aus Finanzierungstätigkeiten zu unterteilen. Der Free Cashflow, welcher die Summe des operativen Cashflows und des Cashflows aus Investitionstätigkeiten darstellt, eignet sich für Gläubiger zur Berechnung der o. g. Schuldentragfähigkeit. Zudem gibt er Aufschluss darüber, wie hoch die für den Kapitaldienst zur Verfügung stehenden Überschüsse sind bzw. ab welchem Zeitpunkt wieder Überschüsse erwartet werden können. _____________ 14) Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 229 Rz. 3. 15) Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 229 Rz. 3.

290

Wolf

Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht; Ergebnis- und Finanzplan

§ 14

Als zeitliche Dimension für den Planungshorizont gibt das Gesetz den Zeitraum, während dessen die Gläubiger befriedigt werden sollen, vor. Insbesondere bei Tilgungsdarlehen, deren Rückzahlung sich über viele Jahre erstreckt, würde hieraus ein sehr langer Planungszeitraum resultieren. Planungsgenauigkeit und zusätzlicher Informationsgehalt würden dabei in den späteren Perioden erfahrungsgemäß abnehmen. In der Restrukturierungspraxis angewandt wird daher in der Regel ein Planungszeitraum, der die gesamte Restrukturierungsphase sowie den eingeschwungenen Zustand des restrukturierten Unternehmens ausreichend dokumentiert.

55

Die Restrukturierungsphase umfasst hierbei die Periode, in der die Umsetzung der Restrukturierungsmaßnahmen zu einer Verbesserung der Profitabilität führt. Anschließend an die Restrukturierungsphase sollte die Planung zumindest ein volles Geschäftsjahr zeigen, in welchem alle Restrukturierungsmaßnahmen planerisch volle Wirksamkeit entfaltet haben. Das heißt, der Zustand des restrukturierten Unternehmens sollte anhand eines vollen Geschäftsjahres dokumentiert werden können.

56

Auf Basis des letzten Planjahres kann nun

57



die Refinanzierbarkeit des Unternehmens am Kapitalmarkt zu gängigen Konditionen dargelegt werden (bei Erreichung entsprechender KPIs),



die Planung vereinfacht in einer Nebenrechnung weiterentwickelt werden oder



der verfügbare Free Cashflow als ewige Rente unterstellt werden.

In der Restrukturierungspraxis umfasst der Planungshorizont in der Regel und abhängig von der Umsetzungsgeschwindigkeit der Restrukturierungsmaßnahmen drei bis fünf Jahre. 3.

58

Inhaltliche Umsetzung

Aufsatzpunkt für die GuV-, Bilanz- und Liquiditätsplanung ist der jeweils aktuelle Monatsabschluss. Im ersten Schritt ist die Planung bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Restrukturierungsplans zu entwickeln, um aus der resultierenden Plan-Bilanz zu diesem Zeitpunkt die Vermögensübersicht gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 abzuleiten. Im zweiten Schritt wird die Planung bis zum Ende des Planungshorizonts weiterentwickelt.

59

Die wesentliche Prämisse der GuV-Planung stellt dabei die Umsatzplanung dar. Hier sind plausible Annahmen zu treffen, welche sich im Einklang mit den Ausführungen zum Markt- und Wettbewerbsumfeld im darstellenden Teil des Restrukturierungsplans befinden. Eine überproportional zum Markt verlaufende Umsatzentwicklung hat den Gewinn von Marktanteilen zur Folge, was argumentativ oder durch konkrete Maßnahmen zu hinterlegen wäre. Die „Grundplanung“ muss neben den Annahmen zur Umsatzentwicklung auch Kostensteigerungen der Inputfaktoren berücksichtigen (insbesondere Material und Personal).

60

Eine bspw. anhand von historischen Kostenquoten und angenommenen Kostensteigerungen entwickelte operative Ergebnisplanung ist anschließend um die Maßnahmeneffekte aus dem Restrukturierungskonzept zu erweitern. Hierbei sind sowohl die Maßnahmen zu berücksichtigen, die i. R. des StaRUG vereinbart werden, als auch Maßnahmen, die außerhalb des StaRUG umgesetzt werden (bspw. Personalmaßnahmen sowie sonstige operative und strategische Maßnahmen). Die um

61

Wolf

291

§ 14

Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht; Ergebnis- und Finanzplan

diese Maßnahmeneffekte erweiterte „Grundplanung“ ergibt die maßgebende Sanierungsplanung. Anhand der Sanierungsplanung ist die erfolgreiche Sanierung des Unternehmens planerisch zu belegen. 62

Zur genauen Abbildung von geschäftsbedingten Umsatz- und Working-CapitalSaisonalitäten empfiehlt es sich, die Planung bis zum Ende des Planungshorizonts auf Monatsbasis zu erstellen. Andernfalls könnten unterjährige Spitzenliquiditätsbedarfe, bspw. durch Working-Capital-Spitzen, unerkannt bleiben.

63

Kennzahlen zur Planung des Working Capital sollten aus der Historie ableitbar oder, falls sie hiervon abweichen, über Maßnahmen begründet sein. Bei der Planung des Working Capital im Restrukturierungskontext große Sorgfalt geboten. So drohen bei Restrukturierungsfällen oftmals die Verkürzung von Zahlungszielen, eine Verringerung der geleisteten Anzahlungen und eine Reduzierung der Deckungslimite der Warenkreditversicherer. Die daraus resultierenden Effekte sind aufgrund ihrer großen Tragweite für die Liquiditätsplanung sorgfältig und konservativ-realistisch abzuschätzen.

64

In § 14 Abs. 2 Satz 3 wird zuletzt betont, dass die Planung alle Forderungen zu berücksichtigen hat. Das schließt auch solche Forderungen ein, die von der Restrukturierung unberührt bleiben, und solche, die erst zukünftig begründet werden. Dies sollte sich im Grunde von selbst verstehen und keiner separaten Betonung bedürfen – eine Planung, die nicht sämtliche Forderungen beinhaltet, ist schlicht unvollständig.

65

Das Gesetz lässt offen, ob bei der Restrukturierung von Gruppengesellschaften die jeweils betroffene Einzelgesellschaft zu planen ist oder ob auf eine Gruppenplanung abgestellt werden kann. In der Praxis wird in den meisten Fällen zumindest die Planung der Einzelgesellschaft notwendig sein, da bei diesen der Zahlungsanspruch der planbetroffenen Gläubiger verortet ist. Zum Verständnis des wirtschaftlichen Gesamtkonstrukts ist diese Planung u. U. um eine Gruppenplanung zu erweitern. Letztere dient auch der Überleitung zum darstellenden Teil, welcher in der Regel auf der Entwicklung des wirtschaftlichen Gesamtkonstrukts, also der Gruppe, basiert. Die Planung weiterer Gruppengesellschaften wird nur in Einzelfällen erforderlich sein, bspw. wenn der Restrukturierungsplan umfangreiche Beiträge dieser Gesellschaften vorsieht. 4.

Dokumentation

66

An die Dokumentation der Planung i. R. des Restrukturierungsplans sind keine speziellen Anforderungen zu stellen. Die wesentlichen inhaltlichen Informationen werden im darstellenden Teil dargelegt. Deshalb ist eine schlichte tabellarische Darstellung der Ergebnis-, Bilanz- und Finanzplanung ausreichend.

67

Sowohl für das laufende Geschäftsjahr als auch den Zeitraum bis zum Wirksamwerden des Restrukturierungsplans bis zum Zeitpunkt des planerischen Spitzenliquiditätsbedarfs sind Tabellen mit Ausweis auf Monatsbasis angeraten. Für die darauffolgenden Planjahre kann auf eine aggregierte Darstellung umgestellt werden.

68

Die wesentlichen Planannahmen der Planung sind zudem detailliert zu erläutern, wobei auf den darstellenden Teil verwiesen werden kann (bspw. für die Umsatzpla292

Wolf

Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht; Ergebnis- und Finanzplan

§ 14

nung auf die dortigen Ausführungen zur Markt- und Wettbewerbsentwicklung). Die Dokumentation der Planannahmen sollte so erfolgen, dass ein sachkundiger Dritter die Planergebnisse inhaltlich nachvollziehen kann. Die Unterscheidung zwischen „Grundplanung“, Maßnahmen und Sanierungsplanung erleichtert dabei das Verständnis und macht wesentliche Plantreiber sowie das zu restrukturierende „Gesamtproblem“ (vor der Restrukturierung) transparent. Aus der Dokumentation der Planannahmen muss zudem hervorgehen, dass das Eintreten der getroffenen Planannahmen i. E. und damit das Erreichen der Planung im Ganzen überwiegend wahrscheinlich ist. 5.

69

Prüfung durch das Gericht

Die Ergebnis- und Finanzplanung gemäß § 14 Abs. 2 ist nicht Gegenstand einer expliziten Prüfung durch das Gericht oder den Restrukturierungsbeauftragten. Lediglich bei formalen, nicht behebbaren Mängeln kann das Gericht gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2 die Planbestätigung verweigern. Eine inhaltliche Würdigung analog zur Stellungnahme des Restrukturierungsbeauftragten zur Bestätigung gemäß § 14 Abs. 1 ist im Gesetz nicht vorgesehen.

70

VIII. Bezug zum deutschen Insolvenzplanrecht Der Wortlaut des § 14 Abs. 2 entspricht in weiten Teilen § 229 Satz 1 – 2 InsO. In der praktischen Relevanz unterscheiden sich die beiden Regelungen jedoch deutlich voneinander. So sind die Vermögensübersicht und die Ergebnis- und Finanzplanung gemäß § 229 Satz 1 Halbs. 1 InsO nur zu erstellen, wenn die Gläubiger i. R. des Insolvenzplans „aus den [laufenden] Erträgen des vom Schuldner oder von einem Dritten fortgeführten Unternehmens befriedigt werden“ sollen. Dies ist in der Praxis von geringer Relevanz. In der Regel bestehen Gläubiger i. R. von Insolvenzplänen aus Gründen der Planungs- und Rechtssicherheit auf Einmalzahlungen, welche durch Investoren, neue Kreditgeber oder Garanten in zeitlicher Nähe zur rechtskräftigen Planbestätigung zu leisten sind. Die Befriedigung aus laufenden Erträgen eines Unternehmens stellt die Ausnahme dar.16)

71

Im Rahmen des StaRUG wird diese Ausnahme zum Regelfall. Grund dafür ist die Zielsetzung des StaRUG, das Unternehmen in seinem Fortbestand zu stärken. Der Dokumentation des Sanierungserfolgs sowie der Möglichkeit, die Belastbarkeit des Plans kritisch zu analysieren, kommt daher eine hohe Bedeutung zu.

72

Jedoch kann auch ein Restrukturierungsplan i. R. des StaRUG die mit einer Refinanzierung verbundene Ablösung von Altverbindlichkeiten vorsehen. In solchen Fällen dürften die planbetroffenen Altgläubiger keinen gesteigerten Nutzen aus der Vermögensübersicht und der Ergebnis- und Finanzplanung ziehen, da ihre Befriedigung unabhängig von der prognostizierten Entwicklung des Unternehmens im Sanierungszeitraum ist. Dennoch sieht das StaRUG für diese Fälle keine der InsO entsprechende Entbindung von der Pflicht zur Erstellung der Vermögensübersicht und Ergebnis- und Finanzplanung vor.

73

_____________ 16) Thies in: HambKomm-InsO, § 229 Rz. 1.

Wolf

293

§ 14

Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht; Ergebnis- und Finanzplan

IX. Praxishinweise zum Zeitpunkt und zur Priorisierung der Erstellung 74

Auch wenn es sich bei den i. R. des § 14 genannten Unterlagen um Anlagen des Restrukturierungsplans handelt, sollte diesen während der Planerstellung eine hohe Priorität zugewiesen werden. Dies gilt vor allem für die in § 14 Abs. 2 geregelte Vermögensübersicht und Planungsrechnung. So werden die Gläubiger diese Informationen während den Sondierungen und konkreten Verhandlung diese Informationen frühzeitig einfordern. Entsprechend rechtzeitig und priorisiert sollte die Erstellung angegangen werden.17)

75

Insbesondere die für die Vergleichsrechnung zurate zu ziehende Vermögensübersicht ermöglicht den Gläubigern einen ersten Einblick in die Vorteilhaftigkeit der angestrebten Restrukturierungslösung. Die daran anknüpfende Planungsrechnung gibt überdies Aufschluss darüber, wie betriebswirtschaftlich belastbar diese Lösung ist. Auf quantitativer Ebene umfasst § 14 Abs. 2 damit die wohl wichtigsten Entscheidungsgrundlagen für die Planbetroffenen.

76

Die Erstellung der Business-Planung ist für Unternehmen, welche sich in wirtschaftlich unruhigem Fahrwasser befinden, in der Regel sowohl inhaltlich als auch zeitlich herausfordernd. Gegenüber der üblichen Budget- und Forecast-Erstellung sind die Anforderungen an die Sanierungsplanung zudem deutlich erhöht.

77

So muss die Sanierungsplanung in der Regel folgende Kriterien erfüllen: –

Inhaltlich klar abtrennbare Grundplanung vor Maßnahmeneffekten und inkl. Markt- und Kostenentwicklungen („Base Case“);



transparente operative und strategische Maßnahmeneffekte;



entsprechend betriebswirtschaftlich robuste Planung vor Finanzierungsmaßnahmen;



transparente finanzwirtschaftliche Maßnahmen inkl. Darstellung der Effekte aus Gläubigersicht;



Szenariofähigkeit und schnelle Anpassungsfähigkeit der Planung;



Abdeckung des gesamten Sanierungszeitraums, idealerweise inkl. unterjähriger (d. h. monatlicher) Liquiditätsentwicklung bis zum Ende des Planungshorizonts;



insbesondere bei langwierigen Verhandlungen oder volatilem Marktumfeld: Regelmäßige Aktualisierung des Ist-Aufsatzpunktes der Planung.

78

Aufgrund der zeitlichen und inhaltlichen Herausforderungen ist bei größeren Restrukturierungsfällen in der Regel das Einholen externer Unterstützung in Form erfahrener Restrukturierungsberater anzuraten.

79

Damit die Verhandlungen nicht ins Stocken geraten, sollten die entsprechenden Unterlagen sowie ein belastbares Restrukturierungskonzept bereits bei ersten Sondierungsgesprächen mit den beteiligten Finanzierern und Anteilseignern vorliegen. Bei Gericht ist der Entwurf des Restrukturierungsplans bzw. ein entsprechendes Grobkonzept frühestens bei der Anzeige der Restrukturierungssache _____________ 17) S. Philipp/Hudersch/Henn, INDat Report 3/2019, S. 30, 33, die die frühzeitigen Informationsbedarfe aus Sicht unterschiedlicher Stakeholder darlegen.

294

Wolf

§ 15

Weitere beizufügende Erklärungen

einzureichen (§ 31 Abs. 2). Das Gesetz lässt hierbei offen, ob der Entwurf bzw. das Grobkonzept auch die Anlagen des § 14 einschließt. Die dahingehende Entscheidung wird wohl im jeweiligen Einzelfall individuell zu treffen sein, bspw. anhand der Liquiditätslage.

§ 15 Weitere beizufügende Erklärungen Knapp/Wilde

(1) Handelt es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, so ist dem Restrukturierungsplan eine Erklärung der Personen beizufügen, die nach dem Plan persönlich haftende Gesellschafter des Unternehmens sein sollen, dass sie zur Fortführung des Unternehmens auf der Grundlage des Plans bereit sind.*) (2) Sollen Gläubiger Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte oder Beteiligungen an einer juristischen Person, einem nicht rechtsfähigen Verein oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit übernehmen, so ist dem Restrukturierungsplan die Zustimmungserklärung eines jeden dieser Gläubiger beizufügen.*) (3) Hat ein Dritter für den Fall der Bestätigung des Restrukturierungsplans Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern übernommen, so ist dem Plan die Erklärung des Dritten beizufügen. (4) Sieht der Restrukturierungsplan Eingriffe in die Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten vor, so ist dem Plan die Zustimmung des verbundenen Unternehmens beizufügen, das die Sicherheit gestellt hat. Literatur: Cranshaw/Portisch, Paradigmen des Unternehmensrestrukturierungs- und Stabilisierungsgesetzes nach dem Regierungsentwurf aus Gläubigersicht (Teil 2), ZInsO 2020, 2617; Müller, Gesellschaftsrechtliche Regelungen im Insolvenzplan, KTS 2002, 209. Übersicht I. II. III. 1.

I.

Normzweck ........................................... Normhistorie ........................................ Tatbestand ............................................. Fortführungserklärung des Schuldners ..............................................

1 7 8 8

2.

Zustimmungserklärung von Gläubigern ........................................... 11 3. Erklärungen von Dritten .................... 16 4. Eingriffe in Drittsicherheiten ............. 20 5. Wirksamkeit der Erklärungen ............ 22 IV. Rechtsfolge ......................................... 24

Normzweck*)

Die Vorschrift des § 15 dient insgesamt der Spezifizierung der einem Restrukturierungsplan beizufügenden Anlagen.1) _____________ *)

1)

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 15 Abs. 1, Abs. 2 die Wörter „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft. Vgl. zum Insolvenzplan Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 230 Rz. 1.

Knapp/Wilde

295

1

§ 15

Weitere beizufügende Erklärungen

2

Über § 15 Abs. 1 wird die Beifügung einer Fortführungserklärung persönlich haftender Gesellschafter gewährleistet, durch welche sichergestellt werden soll, dass diese zur Unternehmensfortführung auf Grundlage des Restrukturierungsplans bereit ist.2) Gleichwohl enthält die Fortführungserklärung auch Haftungsaspekte, da mit ihr sichergestellt werden soll, dass die persönlich haftenden Gesellschafter auch die sich aus der Unternehmensfortführung ergebenden persönlichen und unbeschränkten Haftungsrisiken übernimmt.3) Durch die Anlehnung an die Vorschrift des § 230 Abs. 1 Satz 2 InsO sollen insbesondere jene Fälle erfasst werden, bei denen eine persönliche Haftung gerade erst durch den Wechsel bei den schuldnerischen Anteilsinhabern eintritt.4)

3

Die nach § 15 Abs. 2 erforderliche Zustimmungserklärung der Gläubiger bezweckt einen ausreichenden Schutz derselben – die Gläubiger sollen insbesondere nicht gegen ihren Willen in eine Gesellschafterstellung gedrängt werden.5) Die Regelung gewährleistet mithin die Einhaltung des Verfassungsgebots der negativen Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG.6) Außerdem sollen die Gläubiger durch die Vorschrift des § 15 Abs. 2 vor Nichtbargeboten, sprich von Befriedigungen durch andere Leistungen als Geldzahlung, geschützt werden.7)

4

Die Verpflichtungserklärung des § 15 Abs. 3 verfolgt neben dem Erfordernis der schriftlichen Erklärung des Dritten insbesondere die Ausräumung von Informationsasymmetrien zugunsten der Gläubiger.8) Diese sollen über Verpflichtungen von Dritten, die diese für den Fall der Bestätigung des Restrukturierungsplans ihnen gegenüber übernommen haben, vollständig unterrichtet sein, sodass ihre Tragweite von jedem interessierten Gläubiger beurteilt werden kann.9)

5

Die Zustimmungserklärung des § 15 Abs. 4 dient wie die Erklärung nach § 15 Abs. 2 der Sicherstellung eines hinreichenden Gläubigerschutzes. Gleichwohl ist sie Ausdruck der planerischen Gestaltungsfreiheit – falls der Sicherungsgeber zustimmt, den schuldnerischen Gläubiger aufgrund der gestellten Sicherheit voll zu befriedigen, so ist er hieran nicht zu hindern.10)

6

Die Einbeziehung der Sicherungsrechte in den Restrukturierungsplan bewirkt auch eine Erleichterung der Restrukturierung von Konzernen. Neben dem Schutz des _____________ 2) Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 15 Rz. 4; vgl. zum Insolvenzplan. Zabel in: Kübler, HRI, § 27 Rz. 172. 3) Vgl. für den Insolvenzplan Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 230 Rz. 2; Andres/Leithaus-Andres, InsO, § 230 Rz. 2. 4) Vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 32. 5) Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 15 Rz 16; vgl. zum Insolvenzplan Begr. RegE z. § 274 InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 203; Uhlenbruck, Insolvenzrecht, S. 612; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 2; Braun-Braun/Frank, InsO, § 230 Rz. 2. 6) Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 15 Rz. 17; vgl. für den Insolvenzplan Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 48; s. a. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, S. 670 ff. 7) Vgl. zum Insolvenzplan Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 203; Nerlich/RömermannOber, InsO, § 230 Rz. 7. 8) Vgl. zum Insolvenzplan Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 230 Rz. 10; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 2; Zabel in: Kübler, HRI, § 27 Rz. 202. 9) Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 204. 10) Begr. RegE SanInsFoG z. § 17 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 121.

296

Knapp/Wilde

§ 15

Weitere beizufügende Erklärungen

Sicherungsnehmers soll hierdurch die Insolvenz einer sicherungsgebundenen Konzerngesellschaft vermieden werden können.11) II. Normhistorie Im Gleichlauf zu den übrigen inhaltsbezogenen Vorschriften zum Restrukturierungsplan findet auch § 15 seine Grundlage in Art. 8 Abs. 1 der Restrukturierungsrichtlinie12). Leitbild des § 15 Abs. 1 bis 3 StaRUG war § 230 InsO, der weitestgehend inhaltsgleich ist. In die finale Fassung des § 15 Abs. 1 wurde indes lediglich der § 230 Abs. 1 Satz 2 InsO übernommen. Eine Parallelregelung zu § 230 Abs. 1 Satz 1 und 3 InsO wurde i. R. des Gesetzgebungsverfahren für entbehrlich erachtet, da lediglich der Schuldner berechtigt ist, einen Restrukturierungsplan zur gerichtlichen Bestätigung vorzulegen.13) § 15 Abs. 4 StaRUG und § 230 Abs. 4 InsO wurden parallel durch das SanInsFoG eingeführt.

7

III. Tatbestand 1.

Fortführungserklärung des Schuldners

Sofern es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder eine KGaA handelt, ist dem Plan nach § 15 Abs. 1 eine Erklärung zur Unternehmensfortführung jener Personen beizufügen, die nach dem Plan persönlich haftende Gesellschafter des Unternehmens sein sollen. Die Fortführungserklärung stellt sodann eine Pflichtanlage dar.14) Zustimmungserklärungen der aufgrund des Restrukturierungsplans ausscheidenden Altgesellschafter sind nicht beizubringen.15)

8

Für den Begriff der Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit kann auf die InsO Bezug genommen werden. Gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO zählen zu den Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit die oHG, die KG, die PartG, die GbR, die Partenreederei als auch die EWIV. Die Erstreckung des § 15 Abs. 1 auf KGaA ergibt sich aus § 278 Abs. 1 AktG, wonach mindestens ein Gesellschafter den Gesellschaftsgläubigern unbeschränkt haftet.

9

Im Umkehrschluss zu § 15 Abs. 1 haben sonstige juristische Personen keine Fortführungserklärung abzugeben.16) Ferner sind vom Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 ausnahmsweise jene Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit bzw. KGaA nicht erfasst, deren persönlich haftende Gesellschafter keine natürlichen Personen oder

10

_____________ 11) Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2621. 12) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. 13) Begr. RefE SanInsFoG z. § 15 StaRUG, v. 19.9.2020, S. 130, abrufbar unter https:// www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf? __blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 27.8.2021). 14) Vgl. zum Insolvenzplan Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 21; Pannen/ Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 15 Rz. 3. 15) Vgl. für den Insolvenzplan Thies in: HambKomm-InsO, § 230 Rz. 3. 16) Vgl. für den Insolvenzplan Zabel in: Kübler, HRI, § 27 Rz. 183.

Knapp/Wilde

297

§ 15

Weitere beizufügende Erklärungen

keine Gesellschaften sind, für deren Verbindlichkeiten im Ergebnis eine natürliche Person haftet.17) Dies wird in der Literatur teilweise mit dem Hinweis darauf abgelehnt, dass auch juristische Personen den Verlust ihres Gesellschaftskapitals riskieren.18) Dagegen lässt sich anführen, dass der Zweck der Vorschrift in dem Schutz der Personen liegt, die eine persönliche Haftung bei Fortführung des Restrukturierungsschuldners übernehmen.19) Um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden, sollte in der Praxis eine entsprechende Erklärung des Gesellschafters beigefügt werden, unabhängig davon ob es sich um eine natürliche oder eine juristische Person handelt.20) 2.

Zustimmungserklärung von Gläubigern

11

Soweit Gläubiger Anteils-, Mitgliedschaftsrechte oder Beteiligungen an einer juristischen Person, einem nicht rechtsfähigen Verein oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit übernehmen sollen, ist dem Plan gemäß § 15 Abs. 2 die Zustimmungserklärung der jeweiligen Gläubiger beizufügen. Die Regelung gilt unabhängig davon, in welchem Rang die Gläubiger in einem etwaigen Insolvenzverfahren stünden.21) Darüber hinaus findet die Vorschrift auch unabhängig davon Anwendung, ob es sich um Anteils-/Mitgliedschaftsrechte oder Beteiligungen an dem Rechtsträger des sich in der Krise befindenden Unternehmens oder um solche eines Dritten handelt, wobei in letzterem Fall neben der Zustimmungserklärung des Gläubigers auch die des Dritten beizufügen ist.22)

12

Zu beachten ist, dass § 15 Abs. 2 lediglich dann Anwendung findet, wenn ein Gläubiger eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung übernehmen soll.23) Daraus folgt, dass sowohl die Option auf eine Beteiligung als auch die Gewährung eines Wahlrechts zwischen einer Nicht-Beteiligung und einer Beteiligung nicht erfasst werden.24) Bei Leistungen an Erfüllungs statt ist eine analoge Anwendung des § 15 Abs. 2 in Betracht zu ziehen.25) Keine Anwendung findet Absatz 2 bei der Übernahme von stillen Beteiligungen am Unternehmen des Schuldners, da hierbei keine Anteilsrechte am Unternehmen selbst übernommen werden.26) Ähnlich gelagert ist der Fall, in dem ein Treuhänder für den Gläubiger die Gesellschafterstellung erlangt. Hier wird der Gläubiger nicht selbst Gesellschafter, sondern erwirbt lediglich Rechte _____________ 17) Vgl. zum Insolvenzplan Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 230 Rz. 6; LG Potsdam, Beschl. v. 14.11.2013 – 2 T 62/13, NZI 2014, 221, 222 = ZIP 2014, 641. 18) Vgl. für den Insolvenzplan Uhlenbruck Sinz, InsO, § 230 Rz. 2. 19) Braun-Böhm, StaRUG, § 15 Rz. 3; vgl. für den Insolvenzplan Eidenmüller in: MünchKommInsO, § 230 Rz. 24; LG Potsdam, Beschl. v. 14.11.2013 – 2 T 62/13, NZI 2014, 221, 222; so auch Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 230 Rz. 6. 20) Flöther-Tasma, StaRUG, § 15 Rz. 4. 21) Vgl. zum Insolvenzplan Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 230 Rz. 7; Zabel in: Kübler, HRI, § 27 Rz. 194. 22) Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 15 Rz. 30; vgl. für den Insolvenzplan Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 53. 23) Vgl. zum Insolvenzplan Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 57. 24) Braun-Böhm, StaRUG, § 15 Rz. 5; vgl. für den Insolvenzplan Müller, KTS 2002, 209, 223 f.; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 57. 25) Vgl. zum Insolvenzplan K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 230 Rz. 6; Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 230 Rz. 4. 26) I. E. Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 15 Rz. 29.

298

Knapp/Wilde

§ 15

Weitere beizufügende Erklärungen

gegen den Gesellschafter. In diesem Fall ist der Schutzbereich der negativen Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG nicht eröffnet, was gegen das Erfordernis einer Zustimmungserklärung des Gläubigers spricht.27) Der Erwerb von Anteilsrechten durch Dritte ist nicht vom Anwendungsbereich der Norm umfasst und bedarf keiner Zustimmungserklärung.28) In Bezug auf Anleihen, die dem SchuldVG unterliegen, sind die dort geregelten Besonderheiten zu beachten. So kann nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SchuldVG die Umwandlung oder der Umtausch von Schuldverschreibungen in Gesellschaftsanteile durch Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger erreicht werden. Der Beschluss nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SchuldVG entfaltet mithin auch Wirkung gegenüber Anleihegläubigern, die ihm nicht zugestimmt haben.29) Hinsichtlich § 15 Abs. 2 ist zu berücksichtigen, dass nicht die zustimmende Erklärung der betroffenen Gläubiger dem Restrukturierungsplan beizufügen ist, sondern vielmehr der nach dem SchuldVG gefasste Mehrheitsbeschluss.30) Im Falle einer Anfechtung des entsprechenden Beschlusses darf er vor einer rechtskräftigen Entscheidung des zuständigen Gerichts lediglich dann vollzogen werden, wenn ein Senat des zuständigen OLG den Vollzug gemäß § 20 Abs. 3 SchuldVG, § 264a AktG freigibt. Die Freigabe ist auch notwendig, um den Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 zu genügen.31)

13

Bei der Zustimmungserklärung der Gläubiger handelt es sich um eine materiellrechtliche Willenserklärung.32) Daher hat der Restrukturierungsplan im gestaltenden Teil eine entsprechende gesellschaftsrechtlich erforderliche Willenserklärung (Beitrittserklärung) zu enthalten,33) welche gemäß §§ 67 Abs. 1 Satz 1, 68 Abs. 2 mit der Planbestätigung als formwirksam abgegeben gilt.

14

Da letztlich die Zustimmung zu einem Rechtsgeschäft – die Anteilsübernahme – erfolgt, kann die Erklärung der betroffenen Gläubiger nach § 158 Abs. 1 BGB mit beachtlichen Bedingungen abgegeben werden.34)

15

3.

Erklärungen von Dritten

Falls ein Dritter für den Fall der Planbestätigung Verpflichtungen gegenüber Gläubigern übernommen hat, so ist die Erklärung des Dritten gemäß § 15 Abs. 3 ebenfalls beizufügen. Der Begriff des Dritten ist dem Informationszweck der Vorschrift entsprechend weit auszulegen – lediglich der Schuldner selbst hat als Dritter im Normsinne auszuscheiden.35) Dritter können dabei auch Gläubiger oder Gesellschafter sein, falls sie Verpflichtungen übernommen haben, die die gruppenspezifi_____________ 27) So im Ergebnis auch Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 15 Rz. 31; a. A. im Kontext der InsO Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 55. 28) Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 15 Rz. 27. 29) S. für den Insolvenzplan etwa Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 58. 30) Vgl für den Insolvenzplan Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 31; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 58. 31) So für den Insolvenzplan Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 230 Rz. 8; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 58. 32) Vgl. zum Insolvenzplan Zabel in: Kübler, HRI, § 27 Rz. 196. 33) Vgl. zum Insolvenzplan Zabel in: Kübler, HRI, § 27 Rz. 196. 34) Vgl. für den Insolvenzplan Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 230 Rz. 12. 35) Vgl. für den Insolvenzplan Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 75.

Knapp/Wilde

299

16

§ 15

Weitere beizufügende Erklärungen

schen Planregelungen übersteigen.36) Ebenso wie der Begriff des Dritten ist auch der Begriff der Verpflichtungserklärung weit auszulegen.37) Hierzu zählen alle Erklärungen, die im Falle der Planbestätigung allein oder zusammen mit weiteren Tatbeständen Gläubigeransprüche begründen können und Bezug – jeglicher Form – zu etwaigen Planregelungen haben.38) 17

§ 15 Abs. 3 betrifft im Grundsatz ausschließlich Verpflichtungsübernahmen gegenüber Gläubigern, wobei ausgehend vom Zweck der Vorschrift neben Gläubigern von Restrukturierungsforderungen auch Inhaber von Absonderungsanwartschaften erfasst sind.39) Sofern Dritte im Restrukturierungsplan Verpflichtungen gegenüber anderen Personen als den Planbetroffenen übernehmen und diese Verpflichtungen für den Erfolg des Plans von Bedeutung sind, ist § 15 Abs. 3 analog anzuwenden.40)

18

Da sich aus der Erklärung die Leistungsfähigkeit des Dritten nicht ableiten lässt, gebietet sich im Interesse eines zügigen Verfahrens sowie des Informationszwecks der Vorschrift die Beifügung entsprechender Bonitätsnachweise.41)

19

Die Verpflichtungserklärung ist in Anlehnung an § 230 Abs. 3 InsO nur dann Pflichtanlage, wenn für den Fall der Planbestätigung ein Verpflichtungstatbestand gesetzt wurde.42) Infolgedessen hat sich die Verpflichtungserklärung auf einen bestimmten Plan zu beziehen und muss gemäß § 158 Abs. 1 BGB unter der aufschiebenden Bedingung der Planbestätigung stehen.43) 4.

Eingriffe in Drittsicherheiten

20

Falls der Restrukturierungsplan Eingriffe in Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten vorsieht, so ist dem Plan nach § 15 Abs. 4 die Zustimmung des verbundenen Unternehmens beizufügen, welches die Sicherheit gestellt hat. § 2 Abs. 4 eröffnet den Weg für entsprechende Eingriffe. Für Einzelheiten wird auf die Kommentierung zu § 2 Abs. 4 verwiesen.

21

Da auch insoweit vergleichbar zu § 15 Abs. 2 im Ergebnis die Zustimmung zu einem Rechtsgeschäft erfolgt, kann die Erklärung des verbundenen Unternehmens nach § 158 Abs. 1 BGB unter Bedingungen abgegeben werden. 5.

22

Wirksamkeit der Erklärungen

Die Wirksamkeit der Erklärungen des § 15 richtet sich jeweils nach den §§ 104 ff. BGB.44) _____________ 36) Vgl. zum Insolvenzplan Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 230 Rz. 10; Haas in: HK-InsO, § 230 Rz. 7; Wienberg/Dellit in: Bork/Hölzle, Hdb. Insolvenzrecht, Kap. 13 Rz. 174. 37) Vgl. zum Insolvenzplan Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 76. 38) Vgl. zum Insolvenzplan Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 76. 39) Vgl. für den Insolvenzplan Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 80. 40) So für den Insolvenzplan K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 230 Rz. 8; Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 230 Rz. 6. 41) Vgl. zum Insolvenzplan Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 230 Rz. 9; s. a. Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 230 Rz. 5. 42) Vgl. für den Insolvenzplan Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 74. 43) Vgl. zum Insolvenzplan Zabel in: Kübler, HRI, § 27 Rz. 202. 44) Vgl. zum Insolvenzplan Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 230 Rz. 12; diff. Zabel in: Kübler, HRI, § 27 Rz. 200.

300

Knapp/Wilde

§ 16

Checkliste für Restrukturierungspläne

Im Zweifel ist davon auszugehen, dass sich der Erklärende bis zum Beginn der Planabstimmung einen Widerruf oder Rücktritt vorbehalten wollte, sodass entsprechende Rechte bis dahin wirksam ausübbar sind.45)

23

IV. Rechtsfolge Falls eine Erklärung insgesamt fehlt, nicht wirksam beigefügt worden ist, oder ihr Inhalt nicht den Anforderungen des § 15 Abs. 1 bis 3 entspricht, leidet der Plan an einem (behebbaren) inhaltlichen Mangel.46) Sofern der Mangel nicht innerhalb einer vom Gericht bestimmten angemessenen Frist behoben wird, hat dies die Versagung der Planbestätigung von Amts wegen nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 zur Folge.47)

24

_____________ 45) Anders Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 15 Rz. 41; vgl. für den Insolvenzplan Nerlich/ Römermann-Ober, InsO, § 230 Rz. 12: Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 89 f.; Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 230 Rz. 1; a. A. K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 230 Rz. 9. 46) Vgl. zum Insolvenzplan Zabel in: Kübler, HRI, § 27 Rz. 192, 199, 214. 47) Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 15 Rz. 36; vgl. für den Insolvenzplan LG Hamburg, Beschl. v. 18.11.2015 – 326 T 109/15, ZVI 2016, 155 = NZI 2016, 34; Nerlich/Römermann-Ober, InsO, § 230 Rz. 14.

§ 16 Checkliste für Restrukturierungspläne Knapp/Wilde

1

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz macht eine Checkliste für Restrukturierungspläne bekannt, welche an die Bedürfnisse von kleinen und mittleren Unternehmen angepasst ist. 2Die Checkliste wird auf der Internetseite www.bmjv.bund.de veröffentlicht. Literatur: Römermann, Fortentwicklung des Insolvenz- und Sanierungsrechts 2020/2021, Stbg 2020, 463. Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 3

I.

III. Tatbestand ............................................. 4 IV. Rechtsfolge ........................................... 6

Normzweck

Mit der Standardisierung durch die Vorgabe von Mindestinhalten bezweckt die Vorschrift die Vereinfachung des Restrukturierungsverfahrens, die Vereinheitlichung von Restrukturierungsplänen und eine Kostensenkung durch Verringerung des damit verbundenen Beratungsbedarfs. Gerade KMU sollen dadurch einen besseren Zugang zu kosteneffizienten Sanierungslösungen erhalten.1)

1

Gleichwohl bestehen Zweifel, ob es gelingt mithilfe einer Checkliste eine signifikante Kostenersparnis zu erzielen. Es bleibt zu hoffen, dass die Checkliste ein Baustein wird, das Restrukturierungsverfahren zu vereinfachen und zu standardisieren, allerdings darf nicht verkannt werden, dass nicht zuletzt angesichts der für die geschäftsleitenden Organe bestehenden und i. E. nicht unbeachtlichen Haftungsrisiken die

2

_____________ 1)

Vgl. Knapp in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 8 Rz. 66.

Knapp/Wilde

301

§ 17

Planangebot

Hinzuziehung eines fachkundigen Dritten auch bei KMU der Regelfalls sein wird.2) Die Durchführung einer Restrukturierung ohne Zuhilfenahme externer Berater dürfte in der Praxis im Regelfall ausgeschlossen sein. II. Normhistorie 3

Mit § 16 hat der deutsche Gesetzgeber Art. 8 Abs. 2 Restrukturierungsrichtlinie3) umgesetzt. Die Einführung einer Checkliste wurde vom Richtliniengeber verlangt, um die Nutzung des Restrukturierungsplans durch Kleinstunternehmen sowie kleinen und mittleren Unternehmen (KMU, Art. 2 Abs. 2 lit. c Restrukturierungsrichtlinie) zu fördern und diesen einen Zugang zu einem kostengünstigen Restrukturierungsinstrument zu gewähren.4) III. Tatbestand

4

Gemäß § 16 Satz 1 macht das BMJV eine Checkliste für Restrukturierungspläne bekannt, welche auf die Bedürfnisse von kleinen und mittleren Unternehmen angepasst ist. Bereitgestellt wird diese Checkliste nach § 16 Satz 2 unter www.bmjv.bund.de. Unter Beachtung der unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 8 Abs. 2 Satz 2 Restrukturierungsrichtlinie hat die Checkliste praktische Leitlinien für die Erstellung von Restrukturierungsplänen nach dem StaRUG zu enthalten.5)

5

Bislang hat das BMJV die Checkliste noch nicht bekannt gemacht. IV. Rechtsfolge

6

Sofern die aufgrund der veröffentlichten Checkliste bestimmten Vorgaben eingehalten werden, wird der Vorwurf einer unzureichenden Planerstellung keinen Bestand haben. _____________ 2) 3)

4) 5)

Römermann, Stbg 2020, 463, 468. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Vgl. ErwG 17 Restrukturierungsrichtlinie. Vgl. Knapp in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 8 Rz. 66.

Abschnitt 3 Planabstimmung Unterabschnitt 1 Planangebot und Planannahme § 17 Planangebot Tresselt

(1) 1Das an die Planbetroffenen gerichtete Angebot des Schuldners, den Restrukturierungsplan anzunehmen (Planangebot), hat den deutlichen Hinweis darauf zu enthalten, dass der Plan im Fall seiner mehrheitlichen Annahme und 302

Tresselt

§ 17

Planangebot

gerichtlichen Bestätigung auch gegenüber Planbetroffenen wirksam wird, die das Angebot nicht annehmen. 2Dem Planangebot ist der vollständige Restrukturierungsplan nebst Anlagen sowie eine Darstellung der bereits angefallenen und der noch zu erwartenden Kosten des Restrukturierungsverfahrens einschließlich der Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten beizufügen. (2) Aus dem Planangebot muss hervorgehen, mit welchen Forderungen oder Rechten der jeweilige Planbetroffene in den Restrukturierungsplan einbezogen ist, welchen Gruppen der Planbetroffene zugeordnet ist und welche Stimmrechte die ihm zustehenden Forderungen und Rechte gewähren. (3) Hat der Schuldner vor Abgabe des Planangebots nicht allen Planbetroffenen Gelegenheit zur gemeinschaftlichen Erörterung des Plans oder des Restrukturierungskonzepts gegeben, das durch den Plan umgesetzt werden soll, hat das Planangebot den Hinweis darauf zu enthalten, dass auf Verlangen eines Planbetroffenen oder mehrerer Planbetroffener eine Versammlung der Planbetroffenen zwecks Erörterung des Plans abgehalten wird. (4) 1Sofern im Verhältnis zu einzelnen Planbetroffenen nichts anderes vereinbart ist, unterliegt das Planangebot der Schriftform. 2Bestimmt der Schuldner im Planangebot keine andere Form, unterliegt auch die Planannahme der Schriftform. Literatur: Bea/Dressler, Business Judgement Rule versus Gläubigerschutz? – Praktische Erwägungen zur Organhaftung im Kontext des StaRUG, NZI 2021, 67; Brünkmans, Geschäftsleiterpflichten & Geschäftsleiterhaftung nach dem StaRUG und SanInsFoG – Nachtrag zu ZInsO 2021, S. 1, ZInsO 2021, 125; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Eckert/Holze/Ippen, StaRUG aus dem Gleichgewicht? – Verfehlung des Ziels der rechtzeitigen Einleitung von Sanierungsmaßnahmen, NZI 2021, 153; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Guntermann, StaRUG: Neuausrichtung der Geschäftsleiterpflichten bei drohender Zahlungsunfähigkeit?, WM 2021, 214; Hofmann, Der Restrukturierungsplan im künftigen deutschen Restrukturierungsverfahren – Restrukturierungsvs. Insolvenzplan?, NZI Beilage Heft 16 – 17/2019, S. 22; Jungmann, Die Ausrichtung der Pflichten von Gesellschaftsorganen an den Interessen der Residualberechtigten, ZRI 2021, 209; Kuntz, Geschäftsleiterhaftung bei drohender Zahlungsunfähigkeit nach StaRUG, ZIP 2021, 597; Madaus/Wessels, Business Rescue in Insolvency Law – A Challenge for Private Law?, ZEuP 2020, 800; Punte/Stefanink, Die Nutzung eines virtuellen Datenraums als Medium zum Austausch von Informationen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, ZIP 2019, 2096; Rauhut, Die Gesellschafter unter dem StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 52; Ringelspacher/Ruch, Der Restrukturierungsplan – das Herzstück des StaRUG, ZRI 2020, 636; Schäfer, Zur Einbeziehung der Gesellschafter in ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren nach dem Regierungsentwurf eines „StaRUG“, ZIP 2020, 2164; Scholz, Die Krisenpflichten von Geschäftsleitern nach Inkrafttreten des StaRUG, ZIP 2021, 219; Seibt/Bulgrin, Entwurf zum Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) – Kritische Analyse aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, DB 2020, 2226; Seibt/v. Treuenfeld, Gesellschafts- und kapitalmarktrechtliche Aspekte der EU-Restrukturierungsrichtlinie, DB 2019, 1190; Skauradszun, Grundfragen zum StaRUG – Ziele, Rechtsnatur, Rechtfertigung, Schutzinstrumente, KTS 2021, 1; Skauradszun, Ein Umsetzungskonzept für den präventiven Restrukturierungsrahmen, KTS 2019, 161; Smid, Anforderungen an das außergerichtliche Planangebot und seine Annahme – Essentialia der §§ 17 ff. StaRUG, DZWIR 2021, 119; Thole, Der Entwurf des Unternehmenssta-

Tresselt

303

§ 17

Planangebot

bilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRuG-RefE), ZIP 2020, 1985; Tresselt/ Glöckler, Gesellschafterrechte und Geschäftsführerpflichten – Kollision von Restrukturierungs- und Gesellschaftsrecht im Präventiven Restrukturierungsrahmen, (Teil 1) NWB Sanieren 2021, 80, (Teil 2) NWB Sanieren 2021, 109. Übersicht

1

I. II. III. IV. V.

Normzweck ........................................... 1 Normhistorie ........................................ 2 Einführung ........................................... 4 Planangebot (Abs. 1) ........................... 5 Übersicht über die Planbetroffenen (Abs. 2) ............................... 12

I.

Normzweck

VI. Gemeinschaftliche Erörterung; Versammlung (Abs. 3) ...................... 13 VII. Formerfordernisse für das Planangebot (Abs. 4) ......................... 15 VIII. Rechtsfolgen ..................................... 20

In dem Unterabschnitt zu Planangebot und Planannahme, an dessen Spitze § 17 steht, regelt der Gesetzgeber den Ablauf des außergerichtlichen Abstimmungsverfahrens (zum Vergleich zwischen außergerichtlicher und gerichtlicher Abstimmung siehe noch § 23 Rz. 3 ff.). § 17 enthält Bestimmungen für die Gestaltung des Planangebots. Die Vorschrift macht zusätzliche Vorgaben, die neben den Regelungen für die Gestaltung des Restrukturierungsplans (§§ 5 ff.) zu beachten sind. Sie dient dem Betroffenenschutz und möchte sicherstellen, dass den Planbetroffenen eine vollständige und transparente Entscheidungsgrundlage zur Verfügung steht. II. Normhistorie

2

Die Restrukturierungsrichtlinie1) macht kaum Vorgaben für die Ausgestaltung des Planangebots und das Annahmeverfahren. Neben einem „förmlichen Abstimmungsverfahren“ soll es den Parteien auch möglich sein, einen Restrukturierungsplan durch eine „Vereinbarung“ anzunehmen (Art. 9 Abs. 7; vgl. auch ErwG 43 Restrukturierungsrichtlinie). Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 Restrukturierungsrichtlinie schreibt vor, dass Schuldner das Recht haben müssen, den betroffenen Parteien Restrukturierungspläne zur Annahme vorzulegen. Von der in Art. 4 Abs. 8 Restrukturierungsrichtlinie eingeräumten Option, ein Restrukturierungsverfahren nach der Richtlinie auch aufgrund eines Antrags von Gläubigern oder Arbeitnehmervertretern einleiten zu können, hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. Konsequenterweise können Gläubiger auch keinen Restrukturierungsplan vorlegen. Das wäre, ebenso wie die Vorlage eines Restrukturierungsplans durch den Restrukturierungsbeauftragten, nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie möglich gewesen.

3

Im nationalen Gesetzgebungsverfahren ist die Vorschrift des § 17 weitgehend unverändert geblieben. Die Beratungen im Rechtsausschuss des Bundestages haben lediglich zu einer nennenswerten Ergänzung geführt: Bereits angefallene und noch zu erwartende Kosten des Restrukturierungsverfahrens, einschließlich der etwaigen _____________ 1)

304

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

Tresselt

§ 17

Planangebot

Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten, sind ebenfalls im Planangebot aufzuführen. III. Einführung § 17 regelt Inhalt und Form des Planangebots und enthält – anders als die Überschrift vermuten lässt – auch eine Formvorschrift für die Planannahme, soweit diese Annahme im schriftlichen Verfahren erfolgt.

4

IV. Planangebot (Abs. 1) In § 17 Abs. 1 wird zunächst der Begriff des Planangebots legal definiert: Dabei handelt es sich um das an die Planbetroffenen gerichtete Angebot des Schuldners, den Restrukturierungsplan anzunehmen. Das Planangebot hat nach § 17 Abs. 1 Satz 1 einen deutlichen Hinweis darauf zu enthalten, dass der Plan im Falle seiner mehrheitlichen Annahme und gerichtlichen Bestätigung auch gegenüber den Planbetroffenen wirksam wird, die das Angebot nicht annehmen. Durch diesen Hinweis wird sichergestellt, dass Planbetroffene das Planangebot nicht lediglich als unverbindliche Einladung zur Beteiligung an Verhandlungen über eine außergerichtliche Unternehmenssanierung verstehen.

5

Zudem ist dem Planangebot der vollständige Restrukturierungsplan nebst Anlagen beizufügen. Damit statuiert die Norm eine klare Notwendigkeit: Trotz der Angaben, die im Planangebot selbst zu machen sind (§ 17 Abs. 2; siehe Rz. 12), ist für den Planbetroffenen eine eingehende Prüfung des Planangebots und das Treffen einer informierten Entscheidung nur auf Grundlage der vollständigen Unterlagen möglich.

6

Ebenfalls sinnvoll ist das Erfordernis, dem Planangebot eine Übersicht über die bereits angefallenen und noch zu erwartenden Kosten des Restrukturierungsverfahrens, einschließlich der Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten, beizufügen. Es soll dem Umstand Rechnung tragen, dass die Kosten der Restrukturierungssache bei der Beurteilung des Plans eine wichtige Rolle spielen, weil der Liquiditätsbedarf des Schuldnerunternehmens um eben diese Kosten steigt und die Kosten somit letztlich von den Planbetroffenen zu tragen sind.2)

7

Der Wortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 1 macht deutlich, dass allein der Schuldner berechtigt ist, ein Planangebot vorzulegen („Angebot des Schuldners“). Sofern es sich beim Schuldner nicht um eine natürliche Person handelt, stellt sich die Frage, wer auf Schuldnerseite zur Vorlage des Planangebots befugt ist. Mangels spezieller Regelungen im StaRUG gelten im Außenverhältnis die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Vertretungsregeln. Komplizierter liegen die Dinge im Innenverhältnis. Im bisher zum StaRUG erschienenen Schrifttum wird bereits intensiv die Frage diskutiert, ob für die Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens gemäß § 31 im

8

_____________ 2)

Bericht des Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 7; anders beim Insolvenzplan, wo die Verfahrenskosten als Masseverbindlichkeiten von vornherein außer Acht bleiben, vgl. BGH, Beschl. v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, Rz. 21, ZVI 2017, 208 = ZIP 2017, 482.

Tresselt

305

§ 17

Planangebot

Innenverhältnis die Zustimmung der Gesellschafter oder eines anderen Gesellschaftsorgans (z. B. Aufsichtsrat) erforderlich ist.3) 9

Freilich stellt sich ganz generell die Frage, welchen Einfluss die Gesellschafter auf die Prüfung, Vorbereitung und Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens gemäß § 29, die Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens gemäß § 31, den Inhalt eines Restrukturierungsplans und dessen Angebot gemäß § 17 sowie eine (außergerichtliche) Abstimmung über einen Restrukturierungsplan („StaRUG-Restrukturierungsmöglichkeiten“) haben. Richtigerweise ist bei der Beantwortung dieser Frage, danach zu differenzieren, in welcher Phase StaRUG-Restrukturierungsmöglichkeiten geprüft, vorbereitet und/oder in Anspruch genommen werden.4)

10

Vor dem Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit („Vorkrisen-Phase“) bleiben die auch sonst für die Einflussmöglichkeiten der Gesellschafter geltenden Vorschriften anwendbar. Zum Beispiel wird für die Ausarbeitung und das Angebot eines Restrukturierungsplans grundsätzlich die Zustimmung der Gesellschafter bzw. – im Falle einer AG – die Zustimmung des Aufsichtsrats erforderlich sein, wenn durch den Plan gemäß §§ 2 Abs. 3, 7 Abs. 4 Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte gestaltet werden sollen. Weisungen, die mit der Sanierungspflicht der Geschäftsleiter kollidieren, können allerdings im Einzelfall auch schon vor Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit analog § 241 Nr. 3 und 4 AktG unverbindlich sein.5)

11

Für die Phase ab dem Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit („Krisenphase“) lässt sich ein Umsetzungsdefizit hinsichtlich Art. 12 und Art. 19 lit. a der Restrukturierungsrichtlinie konstatieren, weil de lege lata nicht hinreichend klar ist, an wessen Interessen die Geschäftsleitung ihr Handeln in der Krisenphase auszurichten hat und weil das nicht richtlinienkonform ausgelegte deutsche Recht den Gesellschaftern einer GmbH ermöglicht, durch Weisungen in der Krisenphase die Umsetzung eines Restrukturierungsplans von vornherein „grundlos“ zu verhindern oder zu erschweren.6) Deshalb sind die bestehenden Regelungen (z. B. § 43 Abs. 1 GmbHG und § 93 AktG) im Lichte von Art. 12 und Art. 19 lit. a Restrukturie_____________ 3)

4) 5)

6)

306

Gegen ein Zustimmungserfordernis Skauradszun, KTS 2021, 1, 49; Gehrlein, BB 2021, 66, 71 f.; ein Zustimmungserfordernis bejahend demgegenüber Jungmann, ZRI 2021, 209, 213; Scholz, ZIP 2021, 219, 226; Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2236; Schäfer, ZIP 2020, 2164, 2168; Rauhut, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 52, 54; vgl. auch Eckert/Holze/Ippen, NZI 2021, 153, 157 (Weisung, eine präventive Restrukturierung zu unterlassen, beachtlich); differenzierend Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 127 (Gesellschafterbeschluss bei der GmbH erforderlich, bei der AG hingegen entbehrlich). Zur Diskussion zu den Zustimmungserfordernissen bei einem allein auf drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) gestützten Insolvenzantrag s. statt vieler Skauradszun, KTS 2021, 1, 48. S. zum Folgenden auch Tresselt/Glöckler, NWB Sanieren 2021, 80 und NWB Sanieren 2021, 109. Vgl. Scholz, ZIP 2021, 219, 229 f. (allerdings im Zusammenhang mit §§ 32 Abs. 1, 43 Abs. 1); gegen die Möglichkeit der Geschäftsleiter, Weisungen der Gesellschafterversammlung mit Verweis auf die Sanierungspflicht aus § 1 zu verweigern, Brünkmans, ZInsO 2021, 125 f. Vgl. Jungmann, ZRI 2021, 209, 212 f.; Guntermann, WM 2021, 214, 221; Eckert/Holze/ Ippen, NZI 2021, 153, 156 f.; Kuntz, ZIP 2021, 597, 610; a. A. Scholz, ZIP 2021, 219, 220 ff., der kein Umsetzungsdefizit hinsichtlich Art. 19 lit. a Restrukturierungsrichtlinie sieht und die Rechtslage mit Blick auf Art. 19 lit. c Restrukturierungsrichtlinie für unklar hält.

Tresselt

§ 17

Planangebot

rungsrichtlinie richtlinienkonform auszulegen7) und die „Vorwirkungen“ der §§ 32, 43 StaRUG zu beachten.8) Geschäftsleiter handeln danach pflichtgemäß, wenn sie im Interesse sämtlicher Stakeholder (Gläubiger, Arbeitnehmer, Gesellschafter, usw.) StaRUG-Restrukturierungsmöglichkeiten – einschließlich eines Planangebots – eigenständig prüfen, vorbereiten und im Namen des Schuldners in Anspruch nehmen. Weisungen der Gesellschafter, Zustimmungserfordernisse, einem Sanierungsvorhaben entgegenstehende gesellschaftsinterne Regelungen oder sonstige Maßnahmen der Gesellschafter, durch welche StaRUG-Restrukturierungsmöglichkeiten – einschließlich eines Planangebots – grundlos verhindert oder erschwert werden, sind als sanierungszweckwidrige Vorgaben anzusehen und damit im Ergebnis unbeachtlich.9) V. Übersicht über die Planbetroffenen (Abs. 2) § 17 Abs. 2 verlangt, den Planbetroffenen eine individualisierte Übersicht über ihre jeweilige Einbeziehung in den Restrukturierungsplan zur Verfügung zu stellen. Dies kann, gerade wenn Planangebote für eine Vielzahl von Planbetroffenen zu erstellen sind, zu erheblichem Aufwand führen. Angesichts des Wortlauts der Vorschrift dürfte es dennoch ausgeschlossen sein, die Darstellung durch Verweisungen auf die entsprechenden Passagen im Restrukturierungsplan zu ersetzen.

12

VI. Gemeinschaftliche Erörterung; Versammlung (Abs. 3) Auch § 17 Abs. 3 dient dem Schutz der Planbetroffenen vor übereilten oder auf Grundlage unzureichender Informationen getroffenen Entscheidungen. Eine Abstimmung über den Restrukturierungsplan ohne Durchführung einer gemeinschaftlichen Erörterung ist demnach nur möglich, wenn alle Planbetroffenen einverstanden sind oder jedenfalls nicht verlangen, dass eine Betroffenenversammlung abgehalten wird, um den Plan zu erörtern. Es genügt das Verlangen eines Planbetroffenen, um den Schuldner zur Abhaltung einer solchen Versammlung zu verpflichten (vgl. auch die Klarstellung in § 21 Abs. 1).

13

Mit der Einberufung einer Planbetroffenenversammlung nach Vorlage des Planangebots kann angesichts der Ladungsfrist von mindestens 14 Tagen bzw. sieben Tagen, wenn die Möglichkeit der elektronischen Teilnahme eingeräumt wird (§ 21 Abs. 2), eine erhebliche Verzögerung des Abstimmungsverfahrens einhergehen. Wenn nicht auszuschließen ist, dass ein Planbetroffener auf die Durchführung eines Erörterungstermins besteht, dürfte es daher empfehlenswert sein, diesen Termin von vornherein einzuplanen. In der Literatur wird teilweise empfohlen, je nach Größe und Anzahl der planbetroffenen Gruppen proaktiv eine Planbetroffenenversammlung ein-

14

_____________ 7)

8) 9)

S. zum Gebot der richtlinienkonformen Auslegung EuGH, Urt. v. 4.7.2006 – Rs. C-212/04, Rz. 108 ff., NJW 2006, 2465; BGH, Urt. v. 26.11.2008 – VIII ZR 200/05 (1), Rz. 19 ff.; NJW 2009, 427; BGH, Urt. v. 21.12.2011 – VIII ZR 70/08, Rz. 24, NJW 2012, 1073; Grabitz/ Hilf/Nettesheim-Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 133 ff. Vgl. auch Kuntz, ZIP 2021, 597, 610, der für eine analoge Anwendung von § 43 plädiert. Ähnlich Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 69. Dogmatisch lässt sich die Unbeachtlichkeit sanierungszweckwidriger Weisungen neben der richtlinienkonformen Auslegung des § 37 Abs. 1 GmbHG auch mit einer Analogie zu § 241 Nr. 3 und 4 AktG begründen.

Tresselt

307

§ 17

Planangebot

zuberufen.10) Eine Planbetroffenenversammlung durchzuführen, ist jedoch aufwändig und verzögert den Fortgang des Verfahrens. Auch in größeren Verfahren kann daher nicht pauschal dazu geraten werden, eine Versammlung anzuberaumen. VII.

Formerfordernisse für das Planangebot (Abs. 4)

15

Das Planangebot unterliegt grundsätzlich der Schriftform. Insoweit gilt § 126 Abs. 1 BGB, wonach die Urkunde vom Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet werden muss. § 126 Abs. 3 BGB eröffnet zudem die Möglichkeit, die schriftliche Form durch die elektronische Form (§ 126a BGB) zu ersetzen. Die Verwendung der nach § 126a Abs. 1 BGB erforderlichen qualifizierten elektronischen Signatur hat sich jedoch bisher nicht durchgesetzt, so dass sie kaum Anwendung finden dürfte. Die in § 127 Abs. 2 Satz 1 BGB vorgesehene telekommunikative Übermittlung genügt nicht, weil die Schriftform hier gerade nicht durch Rechtsgeschäft bestimmt, sondern im Gesetz vorgesehen ist.

16

In § 17 Abs. 4 Satz 1 ist die Möglichkeit angelegt, eine andere Form als die Schriftform zu vereinbaren. Praktische Relevanz dürfte allein die Textform (§ 126b BGB) haben, deren Vereinbarung zusätzliche Möglichkeiten eröffnet, das Planangebot zu unterbreiten. Der Versand des Planangebots etwa per E-Mail spart Zeit (gerade bei eventuell erforderlichen Übermittlungen ins Ausland) und dürfte auch aufgrund der Möglichkeit, selbst umfangreiche Dokumente ohne Mehrkosten zu versenden, in der Praxis der Normalfall sein. Angesichts des klaren Wortlauts der Form muss der Schuldner allerdings in jedem Fall Vereinbarungen mit den einzelnen Planbetroffenen abschließen, um hiervon Gebrauch machen zu können.11)

17

Wird telekommunikative Übermittlung (E-Mail) vereinbart, ist es grundsätzlich ebenso denkbar, das Planangebot den Planbetroffenen über einen virtuellen Datenraum zur Verfügung zu stellen. Der Schuldner kann bspw. eine E-Mail versenden, die einen Link und Zugangsdaten zu dem Datenraum mit den entsprechenden Dokumenten enthält. Insbesondere bei umfangreichen Dokumenten mit zahlreichen Anlagen erleichtert diese Vorgehensweise die Abwicklung. Aus dem Textformerfordernis ergeben sich jedoch Beschränkungen: Das Planangebot muss in Textform erstellt und den Planbetroffenen in einem lesbaren Format, etwa .doc oder .pdf, zugänglich gemacht werden und der Empfänger muss das Dokument speichern und ausdrucken können.12) Gegenüber Verbrauchern ist zudem erforderlich, dass diese die jeweilige Erklärung tatsächlich speichern oder ausdrucken, die bloße Möglichkeit reicht nicht aus.13) Diese Anforderung gehört zum gesetzlichen Formerfordernis.14) Die Zugänglichmachung des Planangebots über einen virtuellen Datenraum wird man vor diesem Hintergrund nur im Verkehr mit Unternehmern empfehlen können, da ansonsten regelmäßig unklar bliebe, ob die Formvorschrift tatsächlich eingehalten wurde. _____________ 10) 11) 12) 13)

Etwa von Braun-Pehl, StaRUG, § 21 Rz. 6. So im Ergebnis auch Thole, ZIP 2020, 1985, 1989. Staudinger-Hertel, BGB, § 126b Rz. 28. BGH, Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 66/08, Rz. 18 ff., ZIP 2010, 2249; Staudinger-Hertel, BGB, § 126b Rz. 34; Punte/Stefanink, ZIP 2019, 2096, 2098. 14) Einsele in: MünchKomm-BGB, § 126b Rz. 11; Punte/Stefanink, ZIP 2019, 2096, 2098, jew. m. w. N.

308

Tresselt

§ 17

Planangebot

Für die Planannahme gilt ein anderer Maßstab: Um die grundsätzlich erforderliche schriftliche Annahme des Planangebots durch die Betroffenen durch eine weniger strenge Form zu ersetzen, bedarf es keiner Vereinbarung der Beteiligten. Es genügt vielmehr eine entsprechende Bestimmung durch den Schuldner im Planangebot.

18

Aussagen zur Zustellung finden sich im gesamten Abschnitt nicht. Dies überrascht angesichts der privatautonomen Ausgestaltung des außergerichtlichen Abstimmungsverfahrens nicht. Die Auswahl der Zustellungsweise obliegt damit dem Schuldner. Diesem wird zu raten sein – unabhängig davon, ob ein schriftliches Planangebot übermittelt werden soll oder auf die Textform, etwa beim Versand per E-Mail, zurückgegriffen wird – einen Rückmeldungsmechanismus vorzusehen, um sicherzustellen, dass das Planangebot die Betroffenen erreicht hat (zum Problem der Fristberechnung siehe § 19 Rz. 6 ff.).

19

VIII. Rechtsfolgen Die Rechtsfolgen der in § 17 geregelten Handlungen hängen maßgeblich von der Rechtsnatur von Planangebot und Planannahme ab. Danach bemisst sich etwa, welche Folgen etwaige Willensmängel bei der Abstimmung über den Plan haben.

20

Die Frage nach der Rechtsnatur von Planangebot und Planannahme wurde bereits im Zusammenhang mit der Richtlinie diskutiert.15) Bei privatautonom abgestimmten und nicht gerichtlich bestätigten Plänen ging die h. M. in der Literatur von einer vertraglichen Beziehung zwischen Schuldner und Planbetroffenen aus.16)

21

Bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht hat der Gesetzgeber die Frage nach der Rechtsnatur des Plans ausdrücklich offengelassen. Die Begründung stellt verschiedene Deutungen vor, deren unterschiedliche praktische Bedeutung gering sein dürfte.17) Der Gesetzgeber geht jedenfalls davon aus, dass auf Planangebot und Planannahme, unabhängig von der Art der Abstimmung, die Regelungen über Willenserklärungen einschließlich der Vorschriften über Willensmängel anzuwenden sind.18) Dies gilt jedoch nur für den Zeitraum zwischen der Abstimmung über den Plan und der rechtskräftigen gerichtlichen Planbestätigung nach §§ 60 ff. Denn nach § 67 Abs. 6 gelten Mängel im Verfahren der Planabstimmung sowie Willensmängel von Planangebot und Planannahme mit der rechtskräftigen Bestätigung des Plans als geheilt. Um diese Rechtsfolge herbeizuführen und dem Plan eine größtmögliche Umsetzungssicherheit zu verschaffen, ist es daher empfehlenswert, auch bei einstimmiger Annahme des Planangebots durch die Betroffenen eine gerichtliche Bestätigung zu beantragen.

22

_____________ 15) Vgl. die Nachweise bei Skauradszun, KTS 2021, 1, 30 f. 16) Seibt/v. Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1191, sprechen von einem „spezifischen Restrukturierungsvertrag, dessen inter-partes-Vertragswirkung durch Bestätigung auf dissentierende Parteien (erga omnes) erweitert werden kann“; Skauradszun, KTS 2019, 161, 164, ordnet den Vorgang plausibel als Verhandlung von Änderungsverträgen zwischen den Parteien ein; ebenso Madaus/Wessels, ZEuP 2020, 800, 827. 17) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 121; vgl. zur parallelen Diskussion beim Insolvenzplan Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 217 Rz. 59 ff. 18) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 121; zust. Desch, BB 2020, 2498, 2503; Smid, DZWIR 2021, 119, 122.

Tresselt

309

§ 17

Planangebot

23

Die Anfechtung einer Stimmabgabe gemäß §§ 119 ff. BGB nach Abschluss der Planabstimmung kann u. U. Einfluss darauf haben, ob es überhaupt zu einer Planbestätigung kommt: Eine Anwendung von § 139 BGB kommt nicht in Betracht. Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist, dass es sich bei dem betrachteten Rechtsgeschäft um ein einheitliches Rechtsgeschäft handelt, was nach überwiegender Ansicht davon abhängt, ob die Beteiligten einen darauf gerichteten Einheitlichkeitswillen haben.19) Dieser Einheitlichkeitswille fehlt bei der Stimmabgabe regelmäßig, da es für die Planbetroffenen untereinander nicht darauf ankommt, wie andere Planbetroffene abgestimmt haben, sondern ob die erforderliche Mehrheit erreicht wurde. Die übrigen abgegebenen Stimmen sind von der Anfechtung einer Stimme daher nicht betroffen (zu salvatorischen Klauseln siehe § 18 Rz. 5 f.). Gemäß § 27 Abs. 1 ist zur Annahme des Restrukturierungsplans allerdings erforderlich, dass in jeder Gruppe auf die dem Plan zustimmenden Gruppenmitglieder mindestens drei Viertel der Stimmrechte in dieser Gruppe entfallen. Die Anfechtung, die wie eine Enthaltung wirkt und somit als Nein-Stimme zu werten ist, kann deshalb dazu führen, dass die Mehrheit nicht mehr erreicht wird. Ist die erforderliche Mehrheit auch ohne Zählung der angefochtenen Stimme noch gewahrt, dürfte die Anfechtung ohne Auswirkungen auf den Plan bleiben.

24

Im Zusammenhang mit der Rechtsnatur von Planangebot und Planannahme ist zudem der Frage nachzugehen, ob es sich bei einem Teil der Inhalte des Planangebots um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) i. S. von § 305 BGB handelt. Gemäß § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB sind AGB alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt. Geht man davon aus, dass es sich bei dem noch nicht gerichtlich bestätigten Restrukturierungsplan um einen Vertrag handelt und Planangebot und Planannahme als Angebot und Annahme i. S. des Bürgerlichen Rechts fungieren, könnte man argumentieren, dass das Planangebot der AGB-Kontrolle unterliegt. Dies gilt jedenfalls für den Teil des Planangebots, der nicht die „Hauptleistungspflichten“ beschreibt, da diese ohnehin von der Inhaltskontrolle des § 307 BGB ausgenommen sind.20)

25

Im Ergebnis wird man die Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB jedoch ablehnen müssen. Geht man vom vertraglichen Charakter des Restrukturierungsplans bis zu dessen gerichtlicher Bestätigung aus, dürfte der Vertrag zwischen dem Schuldner und den zustimmenden Planbetroffenen zustande kommen.21) Das Planangebot ist damit nicht für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert, sondern für den Abschluss eines einzigen Vertrags mit (in aller Regel, aber auch das ist nicht zwingend) einer Vielzahl von Vertragspartnern. Dies steht der Behandlung als AGB entgegen. Dieses Ergebnis ist auch interessengerecht, da vor dem Hintergrund der §§ 63 Abs. 1 Nr. 2, 64 nicht erkennbar ist, dass die Planbetroffenen des Schutzes der §§ 305 ff. BGB bedürfen. Damit liegt von vornherein eine Bereichsausnahme vor, sodass die Regeln im StaRUG stets abschließend sind. _____________ 19) Vgl. die Nachw. bei Busche in: MünchKomm-BGB, § 139 Rz. 15. 20) Vgl. statt aller Wurmnest in: MünchKomm-BGB, § 307 Rz. 13 m. w. N. 21) Zur vergleichbaren Situation beim Insolvenzplan etwa Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 25; sowie ausführlich Fritzsche, Die juristische Konstruktion des Insolvenzplans als Vertrag, S. 247 ff.

310

Tresselt

§ 18

Auslegung des Planangebots

§ 18 Auslegung des Planangebots Tresselt

Im Zweifel ist anzunehmen, dass das Planangebot unter der Bedingung steht, dass sämtliche Planbetroffene zustimmen oder dass der Plan gerichtlich bestätigt wird. Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: VID, Stellungnahme des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), v. 2.10.2020 (zit.: VID, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020), abrufbar unter https://www.vid.de/ wp-content/uploads/2020/10/VID-Stellungnahme-zum-RefE-SanInsFoG.pdf (Abrufdatum: 20.8.2021). Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 2

I.

III. Tatbestand ............................................. 3 IV. Rechtsfolge ........................................... 7

Normzweck

Der Gesetzgeber beabsichtigt mit der in § 18 enthaltenen Auslegungsregel, den Schuldner vor einer isolierten Bindung an sein Angebot im Verhältnis zu einzelnen Planbetroffenen zu bewahren, wenn es weder zu einer Verbindlichkeit des Plans für alle Beteiligten aufgrund einstimmiger Annahme noch zur gerichtlichen Planbestätigung kommt.1) Damit bringt der Gesetzgeber seine Auffassung zum Ausdruck, dass eine Bindung nur eines Teils der Betroffenen an den Restrukturierungsplan dem Ziel des Gesetzes nicht dienlich ist. Dem ist zuzustimmen, weil in dieser Konstellation – also unter ausschließlicher Heranziehung von Beteiligten, die freiwillig Sanierungsbeiträge leisten – eine Restrukturierung außerhalb jeglicher gesetzlicher Formen bisher möglich war und weiterhin möglich sein wird. Eine Restrukturierung nach dem StaRUG ist i. Ü. nicht nur zum Schutz des Schuldners, sondern auch aus Sicht eines Gläubigers nur dann akzeptabel, wenn die getroffenen Regelungen für alle Beteiligten verbindlich werden und der einzelne Gläubiger eben nicht isoliert an seiner Zusage festgehalten werden kann.

1

II. Normhistorie Die Vorschrift hat keine unmittelbare Grundlage in der Restrukturierungsrichtlinie2). Der RefE3) (dort noch § 20), ist hinsichtlich der Auslegung des Planangebots unverändert Gesetz geworden.

2

III. Tatbestand Vor dem Hintergrund des rechtsgeschäftlichen Charakters des Planangebots (siehe dazu § 17 Rz. 21 f.) statuiert die Vorschrift eine gesetzliche Ausnahme von § 145 _____________ 1) 2)

3)

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 122. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. RefE SanInsFoG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 22.8.2021)

Tresselt

311

3

§ 18

Auslegung des Planangebots

BGB, wonach die Gebundenheit an den Antrag die Regel darstellt. Für den Fall, dass der Schuldner im Planangebot nicht ausdrücklich darauf hinweist, dass das Angebot nur unter der Bedingung der einstimmigen Annahme oder gerichtlichen Bestätigung steht (das wäre ebenfalls möglich, vgl. § 145 Halbs. 2 BGB), steht ihm die Auslegungsregel des § 18 zur Seite. § 158 Abs. 1 BGB hingegen ist nicht anwendbar, da diese Vorschrift ein Rechtsgeschäft voraussetzt.4) Das Planangebot ist jedoch gerade noch kein Rechtsgeschäft, sondern wie gezeigt ein Antrag i. S. von § 147 BGB.5) 4

Die Auslegungsregel lässt offen, auf welche Weise der Plan für alle Planbetroffenen verbindlich wird. Sowohl die einstimmige Annahme als auch die gerichtliche Planbestätigung führen diese Rechtsfolge herbei, so dass allein Gegenstimmen bei der Abstimmung nicht dazu führen, dass das Angebot als zurückgezogen gilt.6)

5

Andere Auslegungsregeln oder -vermutungen für den Restrukturierungsplan enthält § 18 nicht. Auch sonst findet sich dazu nichts im Gesetz. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit von salvatorischen Klauseln in Restrukturierungsplänen. Beim Insolvenzplan hat sich der BGH in einem nicht unwidersprochen gebliebenen Beschluss für die Unzulässigkeit solcher Klauseln entschieden.7)

6

Unabhängig davon, wie man zur Zulässigkeit von salvatorischen Klauseln in Insolvenzplänen steht, lassen sich die Argumente in der zitierten Entscheidung nicht unbesehen auf den Restrukturierungsplan übertragen. Der Senat hat in der Entscheidung maßgeblich auf § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO abgestellt, wonach das Insolvenzgericht den Plan von Amts wegen zurückweist, wenn die Vorschriften über das Recht zur Vorlage und den Inhalt des Plans nicht beachtet wurden und eine Behebung des Mangels nicht erfolgen kann bzw. erfolgt. Eine solche Vorschrift kennt das StaRUG nicht. Das Gericht prüft den Plan erst i. R. der Bestätigung (§ 63, der hinsichtlich des Prüfungsmaßstabs – „Vorschriften … in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet“ – mit § 250 InsO vergleichbar ist). Wollen der Schuldner und die Planbetroffenen in einem Restrukturierungsplan regeln, dass die Unwirksamkeit einzelner Bestimmungen die Annahme des Planangebots nicht gefährden soll, ist dies zulässig. IV. Rechtsfolge

7

§ 18 ist eine Zweifelsregelung: Das Planangebot ist nur verbindlich, wenn der Restrukturierungsplan für alle Planbetroffenen verbindlich wird. Will der Schuldner hiervon abweichend auch an sein Planangebot gebunden sein, wenn der Plan weder aufgrund allseitiger Zustimmung noch durch gerichtliche Bestätigung für alle Beteiligten verbindlich wird, muss er dies explizit im Planangebot vorsehen. Demgegenüber regelt § 18 nicht, welche Auswirkungen die nachträgliche Anfechtung der durch einen Planbetroffenen erklärten Planannahme hat (siehe dazu § 17 Rz. 23 ff.). _____________ 4) 5) 6) 7)

312

Zu aufschiebenden und auflösenden Bedingungen beim Insolvenzplan Kübler/Prütting/ Bork-Spahlinger, InsO, § 217 Rz. 61a. S. dazu, dass ein Antrag kein (einseitiges) Rechtsgeschäft ist, Palandt-Ellenberger, BGB § 145 Rz. 1. A. A. VID, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 20. BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 23, ZIP 2015, 1346; die Begr. abl. etwa Madaus, NZI 2015, 702, 703 (Urteilsanm.); für die Zulässigkeit Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 217 Rz. 50a.

Tresselt

§ 19

Annahmefrist

§ 19 Annahmefrist Tresselt

1

Für die Annahme des Restrukturierungsplans setzt der Schuldner eine Frist. Die Frist beträgt mindestens 14 Tage. 3Sie kann kürzer sein, wenn dem Plan ein Restrukturierungskonzept zugrunde liegt, das allen Planbetroffenen seit mindestens 14 Tagen in Textform zugänglich gemacht ist. 2

Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: DK, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts, v. 2.10.2020 (zit.: DK, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020), abrufbar unter https:// die-dk.de/themen/stellungnahmen/stellungnahme-zum-referentenentwurf-eines-gesetzeszur-fortentwicklung-des-sanierungs-und-insolvenzrechts/ (Abrufdatum: 22.8.2021). Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 2

I.

III. Tatbestand ............................................. 3 IV. Rechtsfolge ......................................... 11

Normzweck

Die Norm dient in erster Linie dem Überholungsschutz: Mit einer Annahmefrist von mindestens 14 Tagen wird dem Planbetroffenen die Möglichkeit eingeräumt, das Planangebot eingehend zu prüfen und eine informierte Entscheidung zu treffen.1) Jedoch weist der Gesetzgeber zu Recht darauf hin, dass eine gewisse Bedenkzeit auch im Interesse des Schuldners ist: Weil es nach § 25 für die Bestimmung der Dreiviertel-Mehrheit nicht – wie beim Insolvenzplan, vgl. § 244 InsO – auf den Anteil der Ja-Stimmen an den abgegebenen Stimmen ankommt, sondern auf den Anteil der Ja-Stimmen an den Stimmrechten in der jeweiligen Gruppe, wirkt eine Enthaltung wie eine Ablehnung des Restrukturierungsplans.2) Die hinreichende Auseinandersetzung mit dem Planangebot dient folglich den Belangen beider Parteien.

1

II. Normhistorie Zu Fristen für die Abstimmung über Restrukturierungspläne trifft die Restrukturierungsrichtlinie3) keine Aussage. Hier hatte der nationale Gesetzgeber also einen weitreichenden Spielraum, der lediglich durch das von der Richtlinie verfolgte Ziel, ein zügiges Verfahren zur Verfügung zu stellen,4) begrenzt war. Der RefE5) zu § 21 hat durch den RegE6) nur eine redaktionelle Änderung erfahren (ursprünglich war _____________ 1) 2) 3)

4) 5)

6)

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S 122 f. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 123. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Dies wird u. a. deutlich in ErwG 86, Art. 10 Abs. 4 und Art. 25 lit. b der Restrukturierungsrichtlinie. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 22.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181.

Tresselt

313

2

§ 19

Annahmefrist

in Satz 3 die Rede davon, dass Satz 2 nicht gilt, wenn das Restrukturierungskonzept allen Planbetroffenen seit mindestens 14 Tagen in Textform zugänglich gemacht ist). III. Tatbestand 3

Im Grundsatz hat der Schuldner den Planbetroffenen mindestens 14 Tage Bedenkzeit einzuräumen. Eine Ausnahme gilt, wenn allen Planbetroffenen das Restrukturierungskonzept, das dem Plan zugrunde liegt, vor Übermittlung des Planangebots bereits für eine Dauer von mindestens 14 Tagen in Textform zugänglich war. Der Begriff des Restrukturierungskonzepts ist im StaRUG zwar nicht legal definiert. Anhaltspunkte für die Anforderungen an ein Restrukturierungskonzept bietet aber § 31 Abs. 2 Nr. 1: Nach dieser Vorschrift beschreibt ein „Konzept für die Restrukturierung“ auf Grundlage einer Darstellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise das Ziel der Restrukturierung sowie die Maßnahmen, die zur Erreichung des Restrukturierungsziels in Aussicht genommen werden. In Anbetracht des Normzwecks – Überholungsschutz – wird man nur bei Vorlage eines bereits in weiten Teilen vollständigen Restrukturierungskonzepts annehmen können, dass dieses für die Überprüfung durch die Planbetroffenen einen hinreichenden Ersatz für einen fertiggestellten Restrukturierungsplan darstellt.7)

4

Das Gesetz enthält keine ausdrückliche Regelung, wieviel kürzer die Frist sein kann, wenn der Schuldner das Restrukturierungskonzepts vorher zugänglich macht. Auch die Gesetzesbegründung nimmt dazu nicht Stellung. Wenn das Restrukturierungskonzept in seinem Inhalt bereits weitgehend dem späteren Restrukturierungsplan entspricht, dürfte auch eine Vorlage des Plans recht kurz vor Ende der Annahmefrist ausreichend sein. Das Konzept muss ohnehin bereits die wesentlichen Informationen enthalten, um sich für die Ausnahme des § 19 Satz 3 zu qualifizieren.

5

Den Ablauf der Annahmefrist ohne Vorlage des Restrukturierungsplans und damit die Abstimmung auf Basis des Restrukturierungskonzepts schließt die Vorschrift jedoch aus.

6

Auch die Berechnung der 14-Tages-Frist selbst (und der übrigen Fristen in diesem Unterabschnitt) regelt das Gesetz nicht eindeutig. Ebenso wenig finden sich in der Gesetzesbegründung hierzu Aussagen. In Betracht kommen zwei Möglichkeiten:

7



Man könnte einerseits auf den Zugang des Planangebots bei den Planbetroffenen abstellen.



Es könnte jedoch auch der Zeitpunkt maßgeblich sein, zu dem der Schuldner das Planangebot versendet.

Für die erstgenannte Lösung spricht, dass damit den Bedürfnissen der Planbetroffenen und dem Bestreben des Gesetzgebers, ihnen eine hinreichende Bedenkzeit einzuräumen, Rechnung getragen würde. Andererseits macht das Abstellen auf den _____________ 7)

314

Das hat auch der Gesetzgeber gesehen, der verlangt, dass das Restrukturierungskonzept alle wesentlichen Planinhalte enthält und sich aus den Bestimmungen und deren Erläuterungen ergibt, wie die Rechtsstellung der Betroffenen durch den Plan gestaltet werden soll (Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG BT-Drucks. 19/24181, S. 123); Kritik an der unbestimmten Formulierung der Anforderungen an das Restrukturierungskonzept bei DK, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 7 f.

Tresselt

§ 19

Annahmefrist

Zugang bei den einzelnen Planbetroffenen die Annahmefrist zu einer wenig planbaren Angelegenheit: Da das Gesetz, anders als etwa § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO, der bei öffentlicher Bekanntmachung im Internet gilt, keine Zugangsfiktionen oder sonstige Zustellungsvorschriften enthält, müsste der Schuldner auf § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zurückgreifen. Damit wäre der Zugang bei jedem einzelnen Planbetroffenen maßgeblich. Das würde zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen, da stets einzelne Betroffene argumentieren könnten, die Mindestfrist sei bei ihnen nicht gewahrt worden. Zudem macht der Gesetzgeber es regelmäßig kenntlich, wenn es auf den Zugang von Erklärungen beim Empfänger ankommt, etwa bei § 4 Satz 1 KSchG. Das ist hier jedoch gerade nicht der Fall. Vielmehr geht aus der Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 5 hervor, dass der Gesetzgeber eine „Unterbreitung des Planangebots“ in dem Zeitpunkt annimmt, zu dem sich der Schuldner des Plans „entäußert“.8) Überdies könnten Einladungsfristen nicht einheitlich berechnet werden, falls es auf den individuellen Zugang bei den jeweiligen Planbetroffenen ankäme. Insgesamt sprechen damit die besseren Gründen dafür, auf den Versand des Planangebots durch den Schuldner abzustellen. Bei Zugrundelegung üblicher Postlaufzeiten und in Anbetracht der praxisrelevanten Möglichkeit, das Planangebot per E-Mail zu versenden, bleibt den Planbetroffenen auch ausreichend Zeit, um sich hinreichend mit dem Planangebot, dem Restrukturierungsplan und den Anlagen auseinanderzusetzen und zu einer informierten Entscheidung zu gelangen.

8

Außerdem erleidet dadurch kein Beteiligter Nachteile: Für die Annahme des Plans ist gemäß § 25 Abs. 1 eine Mehrheit von 75 % der Stimmrechte in der jeweiligen Gruppe erforderlich. Eine nicht rechtzeitig abgegebene Stimme wirkt daher wie eine Nein-Stimme. So muss kein Planbetroffener fürchten, bei nicht rechtzeitiger Kenntnisnahme vom Plan übervorteilt zu werden. Gleiches gilt für den Schuldner. Dieser ist – wenn zum Zeitpunkt des Fristablaufs noch nicht geügend Ja-Stimmen eingegangen sind – nach dem Gesetz nicht gehindert, weitere, nach Fristablauf eingehende, Stimmen zu berücksichtigen, wenn dies dazu führt, dass die erforderliche Mehrheit erreicht wird.

9

Gleichwohl ist es empfehlenswert, eine großzügigere Frist zu wählen und beim Versand des Planangebots um die Abgabe von Empfangsbekenntnissen zu bitten, sei es per Post oder per E-Mail. Der Nachweis der Übermittlung an alle Planbetroffenen, der nach § 63 Abs. 3 Satz 1 dem Schuldner obliegt, ist nach Art. 10 Abs. 2 lit. c Restrukturierungsrichtlinie für die gerichtliche Planbestätigung erforderlich.9) Dies gilt insbesondere für den Fall, dass eine Erörterungsversammlung (vgl. § 20) stattfinden soll. Zwar macht das Gesetz bezüglich der Einberufung der Versammlung keine strengeren Vorgaben. Es ist jedoch besondere Vorsicht geboten, da Planbetroffene argumentieren könnten, dass bei rechtzeitigem Zugang der Einberufung bei allen Beteiligten und deren Teilnahme die Versammlung einen anderen Verlauf genomen hätte und auf diese Weise ein anderes Abstimmungsergebnis hätte herbeigeführt werden können.

10

_____________ 8) 9)

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG BT-Drucks. 19/24181, S. 114. Darauf weist Braun-Pehl, StaRUG, § 17 Rz. 3, zu Recht hin.

Tresselt

315

§ 20

Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen

IV. Rechtsfolge 11

Die 14-tägige Annahmefrist führt zu einer zwingend einzuhaltenden Mindestdauer des Abstimmungsverfahrens, die sich jedoch durch die rechtzeitige Vorlage eines Restrukturierungskonzepts verkürzen lässt. Hält der Schuldner die Mindestfristen in seinem Planangebot nicht ein, dürfte das als Nichtbeachtung von Verfahrensvorschriften in einem wesentlichen Punkt (§ 63 Abs. 1 Nr. 2) dazu führen, dass das Gericht die Planbestätigung versagt.

§ 20 Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen Tresselt

(1) 1Der Schuldner kann den Restrukturierungsplan im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen zur Abstimmung stellen. 2Die Einberufung erfolgt schriftlich. 3Die Einberufungsfrist beträgt 14 Tage. 4Räumt der Schuldner die Möglichkeit einer elektronischen Teilnahme ein, beträgt die Frist sieben Tage. 5 Der Einberufung ist der vollständige Restrukturierungsplan nebst Anlagen beizufügen. (2) Das Planangebot kann vorsehen, dass Planbetroffene auch ohne Anwesenheit an dem Versammlungsort teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können (elektronische Teilnahme). (3) 1Den Vorsitz der Versammlung führt der Schuldner. 2Er hat jedem Planbetroffenen auf Verlangen Auskunft über den Restrukturierungsplan und die für die sachgemäße Beurteilung des Plans relevanten Verhältnisse sowie im Fall des § 2 Absatz 4 Satz 1 jeder betroffenen Tochtergesellschaft zu erteilen. 3Planbetroffene haben das Recht, Vorschläge zur Abänderung des Plans zu unterbreiten. 4 Die Vorschläge sind dem Schuldner mindestens einen Tag vor dem Beginn der Versammlung in Textform zugänglich zu machen. (4) In der Versammlung kann auch dann über den Plan abgestimmt werden, wenn dieser aufgrund der Erörterungen in der Versammlung inhaltlich in einzelnen Punkten abgeändert wird. (5) 1Jede Gruppe der Planbetroffenen stimmt gesondert ab. 2Im Übrigen legt der Schuldner die Modalitäten der Abstimmung fest. 3Üben Planbetroffene ihr Stimmrecht elektronisch aus, ist diesen der Zugang der elektronisch abgegebenen Stimme elektronisch zu bestätigen. 4Die Stimmabgabe ist auch ohne Teilnahme an der Versammlung bis zum Ende der Abstimmung möglich. Literatur: Smid, Anforderungen an das außergerichtliche Planangebot und seine Annahme – Essentialia der §§ 17 ff. StaRUG, DZWIR 2021, 119. Übersicht V. Vorsitz der Versammlung (Abs. 3) ..... 11 VI. Abstimmung bei Planänderungen (Abs. 4) ................................................ 13 VII. Abstimmungsverfahren (Abs. 5) ..... 16 VIII. Rechtsfolge ....................................... 18

I. Normzweck ........................................... II. Normhistorie ........................................ III. Einberufung der Versammlung der Planbetroffenen (Abs. 1) .............. IV. Elektronische Teilnahme (Abs. 2) .....

1 2

316

Tresselt

3 8

Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen

I.

§ 20

Normzweck

Mit § 20 stellt das Gesetz eine Alternative zum Abstimmungsverfahren ohne Durchführung einer Planbetroffenenversammlung zur Verfügung. Der Gesetzgeber weist zutreffend auf einen wichtigen Anwendungsbereich dieser Variante der Planabstimmung hin: Konstellationen, in denen bei Abstimmung ohne vorheriger Versammlung mit dem Verlangen eines Planbetroffenen zu rechnen ist, eine solche Versammlung nach § 17 Abs. 3 i. V. m. § 21 Abs. 1 abzuhalten.1)

1

II. Normhistorie Die Restrukturierungsrichtlinie2) trifft keine detaillierten Aussagen zum Ablauf der außergerichtlichen Abstimmung über einen Restrukturierungsplan. Das in § 20 geregelte Prozedere entspricht aber dem in der Restrukturierungsrichtlinie vorgesehenen Leitbild: Aus Art. 9 Abs. 7 Restrukturierungsrichtlinie lässt sich schlussfolgern, dass der Unionsgesetzgeber die „förmliche Abstimmung“ über einen Restrukturierungsplan als Regelfall ansieht, der durch eine Vereinbarung mit der erforderlichen Mehrheit – nach nationalem Recht also die Abstimmung ohne Planbetroffenenversammlung – lediglich „ersetzt werden kann“. Im Vergleich zum RefE3) kam im RegE4) in Absatz 3 Satz 2 die Verpflichtung des Schuldners hinzu, bei der Gestaltung von gruppeninternen Drittsicherheiten auch über die relevanten Verhältnisse der Tochtergesellschaften Auskunft zu erteilen.

2

III. Einberufung der Versammlung der Planbetroffenen (Abs. 1) Die Entscheidung, die Abstimmung statt im schriftlichen Verfahren i. R. einer Planbetroffenenversammlung durchzuführen, obliegt grundsätzlich dem Schuldner. Ist aufgrund des Vorliegens der Voraussetzungen von § 73 Abs. 1 Nr 1 oder 2 oder Abs. 2 ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, steht ihm diese Entscheidung zu (§ 76 Abs. 2 Nr. 1).

3

Die Einberufung einer Planbetroffenenversammlung hat schriftlich und mit einer Einberufungsfrist von 14 Tagen zu erfolgen (§ 20 Abs. 1 Satz 2, 3). Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 4 beträgt die Frist sieben Tage, wenn der Schuldner die Möglichkeit einer elektronischen Teilnahme an der Versammlung einräumt (siehe dazu noch Rz. 8 ff.). Auch an dieser Stelle regelt das Gesetz weder, wie die Zustellung zu erfolgen hat, noch welches Ereignis den Lauf der Einberufungsfrist beginnen lässt (siehe dazu bei § 19 Rz. 6 ff.). Nach § 20 Abs. 1 Satz 5 ist der Einberufung der vollständige Restrukturierungsplan nebst Anlagen beizufügen.

4

_____________ 1) 2)

3)

4)

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 123. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 22.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181.

Tresselt

317

§ 20

Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen

5

Das Verhältnis zwischen der Einberufung der Planbetroffenenversammlung und dem in § 17 geregelten Planangebot sowie der Frist für die Planannahme, die § 19 festlegt, ist nicht ganz klar. Der Gesetzgeber scheint die Einberufung der Planbetroffenenversammlung als eine Maßnahme zu verstehen, die – wenn der Schuldner die Durchführung einer solchen Versammlung wünscht – zusätzlich zu erfolgen hat. Dafür spricht insbesondere der Hinweis in der Gesetzesbegründung, dass auch bei der Möglichkeit einer elektronischen Teilnahme den Planbetroffenen gemäß § 19 Satz 2 und 3 der vollständige Restrukturierungsplan oder das Restrukturierungskonzept mindestens 14 Tage vor dem Termin zur Verfügung stehen muss.5) Unter dieser Prämisse macht die Regelung in § 20 Abs. 1 Satz 5, wonach der vollständige Restrukturierungsplan nebst Anlagen der Einberufung beizufügen ist, nur wenig Sinn. Das Planangebot selbst wäre nach dem Wortlaut jedoch nicht beizufügen, was wiederum für die Annahme spricht, dass die Einberufung der Planbetroffenenversammlung zusätzlich zur Übermittlung des Planangebots zu erfolgen hat.

6

Der Schuldner wird sich für die Abstimmung i. R. einer Planbetroffenenversammlung entscheiden, wenn er erwartet oder jedenfalls vermutet, dass einer der Planbetroffenen bei Abstimmung im schriftlichen Verfahren auf die Einberufung einer Erörterungsversammlung nach §§ 17 Abs. 3, 21 bestehen würde. Das dürfte vor allem dann in Betracht kommen, wenn Verbraucher oder Kleinunternehmen beteiligt sind, denen das Prozedere unbekannt ist, oder Planbetroffene bereits ihren Widerstand angekündigt haben bzw. dieser zu erwarten ist.

7

Eine vollständige inhaltliche Abstimmung der beabsichtigten Restrukturierung mit den Planbetroffenen vor Vorlage des Planangebots kann dazu beitragen, Überraschungen zu vermeiden. Erscheint es absehbar, dass Erörterungsbedarf bestehen wird, dürfte es vorzugswürdig sein, die Abstimmung i. R. einer Planbetroffenenversammlung durchzuführen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass ein Planbetroffener die Einberufung einer Erörterungsversammlung beantragt und damit die Abstimmung verzögert. IV. Elektronische Teilnahme (Abs. 2)

8

§ 20 Abs. 2 enthält eine Legaldefinition des in Absatz 1 verwendeten Begriffs der elektronischen Teilnahme. Darunter versteht der Gesetzgeber die Möglichkeit der Planbetroffenen, auch ohne Anwesenheit am Versammlungsort teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben zu können. Die Gesetzesbegründung stellt klar, dass die elektronische Teilnahme lediglich „auch“ erfolgen kann. Eine vollständig im Wege elektronischer Kommunikation stattfindende Versammlung ist folglich nicht möglich.6) Das macht deutlich, dass die Möglichkeit der elektronischen Teilnahme keine Reaktion auf die Herausforderungen bei der Durchführung derartiger Veranstaltungen durch die COVID-19-Pandemie ist. Wäre dies der Fall, hätte der Gesetzgeber vernünftigerweise vollständig virtuelle Versammlungen ermöglicht. _____________ 5) 6)

318

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 123. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 123; so auch Braun-Pehl, StaRUG, § 20 Rz. 5.

Tresselt

Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen

§ 20

Die Möglichkeit der elektronischen Teilnahme ist vielmehr im Kontext der Mehrheitsregel des § 25 Abs. 1 zu sehen. Die Annahme des Plans erfordert in jeder Gruppe eine Mehrheit von 75 % der Stimmrechte in der jeweiligen Gruppe. Die Mehrheit der Anwesenden genügt nicht. Daher ist es im Interesse des Schuldners, eine Teilnahme an der Planbetroffenenversammlung möglichst mit wenig Aufwand für die Betroffenen zu ermöglichen.7) Als Beispiel für in Betracht kommende Wege elektronischer Kommunikation nennt die Gesetzesbegründung insbesondere das Format der Videokonferenz.8) Die Verantwortung, die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass auch die auf elektronischem Wege zugeschalteten Teilnehmer alle wesentlichen Vorgänge wahrnehmen, sich wie Anwesende äußern und mit den übrigen Teilnehmern kommunizieren können, obliegt dem Schuldner.9)

9

Zudem stellt die Gesetzesbegründung ausdrücklich klar, dass die Beweislastregel des § 63 Abs. 3 Satz 1, wonach bei außergerichtlicher Planabstimmung Zweifel an der ordnungsgemäßen Annahme des Restrukturierungsplans zulasten des Schuldners gehen, auch gilt, wenn Planbetroffene behaupten, durch technische Probleme an der durchgängigen Teilnahme an der Versammlung gehindert worden zu sein.10) Der Nachweis des Schuldners, dass die Gründe hierfür nicht in seiner Verantwortungssphäre liegen, dürfte gerade bei einer größeren Zahl an Teilnehmern kaum zu führen sein. Es ist nicht auszuschließen, dass Schuldner von der Option, eine elektronische Teilnahme zu ermöglichen, aufgrund des Risikos, nach zunächst scheinbar erfolgreich durchgeführter Abstimmung beim Antrag auf Planbestätigung zu unterliegen, nur zurückhaltend Gebrauch machen werden.

10

V. Vorsitz der Versammlung (Abs. 3) Die zentrale Rolle des Schuldners bei der Abstimmung im außergerichtlichen Verfahren bestätigt auch § 20 Abs. 3: Der Schuldner führt den Vorsitz der Versammlung. Das gilt jedenfalls in der vom Gesetz als Regelfall vorgesehenen Konstellation, in der nicht wegen des Vorliegens der Voraussetzungen von § 73 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 oder Abs. 2 ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt wurde. In diesem Fall – der in der Praxis freilich keine Ausnahme sein dürfte – leitet der Restrukturierungsbeauftragte die Versammlung (§ 76 Abs. 2 Nr. 1).

11

Neben dem Recht, vom Schuldner Auskunft zu verlangen, können Planbetroffene auch Vorschläge zur Abänderung des Plans unterbreiten, wenn diese dem Schuldner mindestens einen Tag vor Beginn der Versammlung in Textform übermittelt werden. Spontane Vorschläge kann der Schuldner ebenfalls zulassen, ist aber dazu nicht verpflichtet.11) Gleiches gilt für die Übernahme von Vorschlägen der Planbetroffenen – hierzu ist der Schuldner berechtigt, aber nicht verpflichtet, so dass im Ergebnis der Plan ausschließlich in der vom Schuldner gewünschten Fassung zur Abstimmung gestellt wird.12) Der Kompromiss, rechtzeitig eingereichte Änderungs-

12

_____________ 7) 8) 9) 10) 11) 12)

Smid, DZWIR 2021, 119, 128. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 123. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 123. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 123. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 123. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 123.

Tresselt

319

§ 20

Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen

vorschläge zu erörtern, sie jedoch nicht übernehmen zu müssen, ist Ausdruck der zentralen Position des Schuldners im StaRUG-Verfahren. VI. Abstimmung bei Planänderungen (Abs. 4) 13

In Anknüpfung an die Regelung in § 20 Abs. 3 ermöglicht § 20 Abs. 4 die Abstimmung über einen Restrukturierungsplan, der aufgrund der Erörterungen in der Versammlung inhaltlich in einzelnen Punkten abgeändert wurde. Beschränken sich die Änderungen nicht auf einzelne Punkte, muss ein neues Planangebot vorgelegt werden; für die Abgrenzung verweist der Gesetzgeber ausdrücklich auf die zu § 240 InsO ergangene Rechtsprechung.13)

14

Im Hinlick auf § 240 InsO ist anerkannt, dass der Kern des ursprünglichen Insolvenzplans erhalten bleiben muss.14) Die Definition des „Kernbereichs“ eines Insolvenzplans ist allerdings umstritten.15) In der Literatur wird vor dem Hintergrund, dass Zustimmungshindernisse möglichst ausgeräumt werden sollen, mitunter eine weite Auslegung vorgeschlagen.16) Die vorgenommenen Änderungen sollen demnach durchaus weitreichend sein können und sowohl die Befriedigungsquote als auch Fälligkeiten von Forderungen und die Gruppenstruktur umfassen.17) Die jüngste Rechtsprechung hingegen ist vor allem hinsichlich der Frage, ob eine Änderung der Gruppenstruktur zulässig ist, deutlich zurückhaltender.18)

15

Beim Restrukturierungsplan wird man im Vergleich zum Insolvenzplan einen eher großzügigen Maßstab anzulegen haben. Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Planbetroffene, die der Versammlung fernbleiben, der geänderten Fassung des Plans bei Kenntnis zugestimmt hätten. Weil nicht abgegebene Stimmen jedoch als Ablehnung des Plans gewertet werden, sind nachteilige Auswirkungen auf abwesende Planbetroffene nur dann möglich, wenn ohne sie die 75 %-Mehrheit in der Gruppe erreicht wird (oder bei gruppenübergreifender Mehrheitsentscheidung). Da die Änderungsmöglichkeit zudem im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist, ist insoweit keine Seite schutzbedürftig. VII.

16

Abstimmungsverfahren (Abs. 5)

Der Gesetzgeber hat das außergerichtliche Abstimmungsverfahren als weitgehend nach den Vorstellungen und in der Verantwortung des Schuldners durchgeführte Entscheidung über die Annahme des Restrukturierungsplans ausgestaltet. Dem verleiht _____________ 13) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 124. 14) AG Köln, Urt. v. 15.5.2019 – 72 IN 269/17, Rz. 26, juris = ZIP 2019, 1182; AG Düsseldorf, Beschl. v. 8.10.2019 – 513 IK 220/17, Rz. 10, juris = NZI 2020, 435; AG Hamburg, Beschl. v. 19.4.2016 – 67c IN 232/13, Rz. 25, juris = ZIP 2016, 2492; UhlenbruckLüer/Streit, InsO, § 240 Rz. 4; Hintzen: in MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 8. 15) AG Hamburg, Beschl. v. 19.4.2016 – 67c IN 232/13, Rz. 25, juris = ZIP 2016, 2492; AG Düsseldorf, Beschl. v. 8.10.2019 – 513 IK 220/17, Rz. 10 ff., juris = NZI 2020, 435, jew. m. w. N. 16) Etwa von Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 240 Rz. 4. 17) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 240 Rz. 4; ähnlich Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 9, jew. m. w. N. 18) Dagegen etwa AG Düsseldorf, Beschl. v. 8.10.2019 – 513 IK 220/17, Rz. 12, juris = NZI 2020, 435; AG Hamburg, Beschl. v. 19.4.2016 – 67c IN 232/13, Rz. 26, juris = ZIP 2016, 2492.

320

Tresselt

§ 21

Erörterung des Restrukturierungsplans

§ 20 Abs. 5 Ausdruck. In § 20 Abs. 5 Satz 1 regelt das Gesetz eine Selbstverständlichkeit, nämlich, dass die Gruppen gesondert abstimmen. Dass, wie von § 20 Abs. 5 Satz 2 vorgesehen, bei elektronischer Ausübung des Stimmrechts der Zugang der elektronisch abgegebenen Stimmen gegenüber den Teilnehmern elektronisch zu bestätigen ist, ist eine sinnvolle Regelung. Die Regelung in § 20 Abs. 5 Satz 3, wonach die Stimmabgabe auch ohne Teilnahme an der Versammlung bis zum Ende der Abstimmung möglich ist, trägt den Bedürfnissen von Planbetroffenen Rechnung, die die Entscheidung über ihr Stimmverhalten bereits vor der Versammlung getroffen haben und daher nur an der Abstimmung teilnehmen wollen. Abgesehen von diesen Vorgaben liegt die Gestaltung der Abstimmung in den Händen des Schuldners. Dies betrifft, das erkennt der Gesetzgeber ausdrücklich an, auch Kernfragen der Planabstimmung wie die Entscheidung für die Abstimmung per Akklamation oder ein schriftliches Verfahren.19)

17

VIII. Rechtsfolge § 20 ermöglicht eine Abstimmung i. R. einer Versammlung. Erreicht der Schuldner für den von ihm vorgelegten Restrukturierungsplan bei der Abstimmung i. R. einer Planbetroffenenversammlung nach § 20 die erforderliche Mehrheit, kann er beim Restrukturierungsgericht die Planbestätigung beantragen (§ 60 Abs. 1 Satz 1). Werden die Vorschriften des § 20 in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet, droht die Versagung der Planbestätigung (§ 63 Abs. 1 Nr. 2). _____________ 19) RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 120.

§ 21 Erörterung des Restrukturierungsplans Tresselt

(1) Findet eine Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen nicht statt, ist unter den Voraussetzungen des § 17 Absatz 3 auf Verlangen eines Planbetroffenen eine Versammlung der Planbetroffenen zur Erörterung des Plans abzuhalten. (2) 1Die Einberufung erfolgt schriftlich. 2Die Frist zur Einberufung beträgt mindestens 14 Tage. 3Räumt der Schuldner die Möglichkeit einer elektronischen Teilnahme ein, beträgt die Frist sieben Tage. (3) § 20 Absatz 3 gilt entsprechend. (4) 1Findet die Versammlung nach Ablauf einer zur Planannahme gesetzten Frist statt, verlängert sich diese bis zum Ablauf des Tags der Versammlung oder bis zu dem Termin, den der Schuldner bis zum Ende der Versammlung bestimmt. 2Hatte sich ein Planbetroffener bereits zum Planangebot erklärt, entfällt die Bindung an diese Erklärung, wenn er sich binnen der verlängerten Frist erneut erklärt. Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 2 III. Erörterung des Plans (Abs. 1) ............. 3

IV. Einberufung der Versammlung (Abs. 2) .................................................. 4 V. Ablauf der Versammlung (Abs. 3) ..... 5

Tresselt

321

18

§ 21

Erörterung des Restrukturierungsplans

VI. Verlangen einer Erörterungsversammlung; Änderung des Abstimmungsverhaltens (Abs. 4) ............ 6

I. 1

VII. Rechtsfolge ........................................... 9

Normzweck

Der Gesetzgeber möchte mit der in § 21 enthaltenen Regelung sicherstellen, dass die Planbetroffenen auch bei Abstimmung über den Restrukturierungsplan außerhalb einer Versammlung nach § 20, also im schriftlichen Verfahren, Gelegenheit zur Teilnahme an einer Erörterungsversammlung haben.1) Die Regelung in § 21 Abs. 4 zeugt vom Bestreben des Gesetzgebers, einen Verfahrensabschluss zu ermöglichen, ohne dass der Schuldner erneut ein Planangebot vorlegen muss. Damit dient die Vorschrift jedenfalls in Teilen – und trotz der ansonsten bei ihrer Anwendung verursachten erheblichen Verzögerung – der Beschleunigung des Restrukturierungsvorhabens. II. Normhistorie

2

Gemäß Art. 9 Abs. 7 Restrukturierungsrichtlinie2) können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die förmliche Annahme eines Restrukturierungsplans durch eine Vereinbarung mit der erforderlichen Mehrheit ersetzt werden kann (siehe dazu schon § 17 Rz. 18). Die Richtlinie schreibt jedoch nicht vor, dass i. R. einer außergerichtlichen Planabstimmung ohne Versammlung, wie von § 21 vorgesehen, ein Erörterungstermin stattfinden können muss. Die Vorschrift hat das nationale Gesetzgebungsverfahren seit dem RefE3) unverändert durchlaufen. III. Erörterung des Plans (Abs. 1)

3

§ 21 Abs. 1 wiederholt den Inhalt von § 17 Abs. 3; einen darüber hinausgehenden, eigenen Regelungsgehalt hat die Vorschrift nicht (siehe daher § 17 Rz. 13 f.). IV. Einberufung der Versammlung (Abs. 2)

4

Die Regelung in § 21 Abs. 2 entspricht nahezu wortgleich der in § 20 Abs. 1 Satz 2 – 4. Zur Erläuterung kann auf die dortige Kommentierung (siehe § 20 Rz. 4 ff.) verwiesen werden. V. Ablauf der Versammlung (Abs. 3)

5

Die Anordnung der entsprechenden Geltung von § 20 Abs. 3 stellt klar, dass die Erörterungsversammlung mit Blick auf den Vorsitz, die Auskunftspflichten des Schuldners und die Vorschlagsrechte der Planbetroffenen der Planbetroffenenversammlung entspricht, in der auch über den Restrukturierungsplan abgestimmt wird (siehe dazu § 20 Rz. 11 f.). _____________ 1) 2)

3)

322

Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 124. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021).

Tresselt

§ 21

Erörterung des Restrukturierungsplans

VI. Verlangen einer Erörterungsversammlung; Änderung des Abstimmungsverhaltens (Abs. 4) § 21 Abs. 4 stellt sicher, dass die Vorschrift überhaupt einen sinnvollen Anwendungsbereich hat: Aufgrund der Ladungsfrist von mindestens 14 Tagen wird es, wenn der Schuldner für die Planannahme die gesetzliche Mindestfrist des § 19 von 14 Tagen heranzieht, regelmäßig dazu kommen, dass die Versammlung nach Ablauf der Frist zur Planannahme stattfindet. Nach § 21 Abs. 4 Satz 1 verlängert sich diese Frist bis zum Ablauf des Tages der Versammlung oder bis zu einem Termin, den der Schuldner bis zum Ende der Versammlung bestimmt. § 21 Abs. 4 Satz 2 bestimmt, dass Planbetroffene, die sich bereits zum Planangebot erklärt hatten, an diese Erklärung nicht mehr gebunden sind. Damit können Planbetroffene eine von ihrer vorherigen Erklärung abweichende Meinung, zu der sie aufgrund der Erörterung in der Versammlung gelangen, in ihre Abstimmungsentscheidung einfließen lassen.4)

6

Nach diesem Sinn und Zweck der Regelung wird man sie analog auf den Fall anwenden können, in dem die Frist nicht verlängert werden muss, weil der Schuldner bereits im Planangebot eine längere Frist vorgesehen hatte und die Erörterung innerhalb dieser Frist stattfinden kann. Auch in dieser Konstellation ist es erforderlich, den Planbetroffenen zu ermöglichen, sich aufgrund etwaiger neuer Erkenntnisse aus der Versammlung neu entscheiden zu können.

7

Auch wenn die Vorschrift in sich schlüssig und im Zusammenspiel mit § 17 Abs. 3 folgerichtig ist, kann dem vom Gesetzgeber verfolgten Konzept nicht uneingeschränkt zugestimmt werden: Das Verlangen nach Einberufung einer Versammlung nach § 17 Abs. 3 i. V. m. § 21 Abs. 4 kennt keine zusätzlichen Voraussetzungen, etwa, dass der Planbetroffene ein besonderes Interesse an einer Erörterung geltend macht. Die Möglichkeit, die in weiten Teilen bereits erfolgte Abstimmung nach in § 21 Abs. 4 wieder „aufzumachen“, haben nicht nur diejenigen Planbetroffenen, die die Einberufung der Versammlung verlangt haben, sondern alle Planbetroffenen. Daher ist das Verlangen nach einer Erörterungsversammlung ein vergleichsweise einfacher Weg, die Bindung an zuvor aus freien Stücken abgegebene Willenserklärungen aufzuheben. Das ist ein sehr weitreichender Eingriff in die Privatautonomie. Dennoch wird man den Planbetroffenen diese Möglichkeit auf Basis von § 21 kaum verwehren können. Der Wortlaut von § 17 Abs. 3 i. V. m. § 21 Abs. 4 ist eindeutig und wäre allenfalls einer einschränkenden verfassungsrechtlichen Auslegung zugänglich.

8

VII.

Rechtsfolge

Wird auf Verlangen eine Erörterungsversammlung nach § 21 durchgeführt, ist der Weg für eine wirksame Abstimmung und anschließende Planbestätigung frei. Hält der Schuldner trotz Verlangen eines Planbetroffenen keine Versammlung nach § 21 Abs. 1 ab, wurden nach Auffassung des Gesetzgebers die Vorschriften über die verfahrensmäßige Behandlung des Restrukturierungsplans in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet (§ 63 Abs. 1 Nr. 2). Das Gericht hätte in diesem Fall die Bestätigung des Restrukturierungsplans von Amts wegen zu versagen.5) _____________ 4) 5)

Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 124. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 124.

Tresselt

323

9

§ 22

Dokumentation der Abstimmung

§ 22 Dokumentation der Abstimmung Tresselt

(1) 1Der Schuldner dokumentiert den Ablauf des Planannahmeverfahrens und hält das Ergebnis der Abstimmung nach Ablauf der Annahmefrist oder nach Durchführung der Abstimmung unverzüglich schriftlich fest. 2Ist die Auswahl der Planbetroffenen, deren Einteilung in Gruppen oder die Zuweisung von Stimmrechten streitig geworden, ist dies in der Dokumentation zu vermerken. (2) Die Dokumentation ist den Planbetroffenen unverzüglich zugänglich zu machen. Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 2

1

III. Dokumentation des Annahmeverfahrens (Abs. 1) ............................... 3 IV. Zugänglichmachung (Abs. 2) ............. 7

I. Normzweck Die vom Schuldner zu fertigende Dokumentation des Annahme- und Abstimmungsverfahrens (§ 22 Abs. 1) und die Verpflichtung zur unverzüglichen Zugänglichmachung der Dokumentation (§ 22 Abs. 2) dienen der Information der Planbetroffenen und eröffnen ihnen Kontrollmöglichkeiten.1) Zudem ist sie gemäß § 60 Abs. 1 Satz 3 nebst sämtlicher Urkunden und sonstiger Nachweise, aus denen sich ergibt, wie die Abstimmung durchgeführt wurde und zu welchem Ergebnis sie geführt hat, dem Antrag auf gerichtliche Planbestätigung beizufügen. Die Dokumentation dient daher auch dazu, das Gericht in die Lage zu versetzen, die Einhaltung der Vorschriften über die verfahrensmäßige Behandlung des Restrukturierungsplans sowie die Annahme des Plans zu prüfen (vgl. dazu § 63 Abs. 1 Nr. 2).2) II. Normhistorie

2

Die Restrukturierungsrichtlinie3) enthält keine Vorgaben für die Dokumentation der außergerichtlichen Planabstimmung; der deutsche Gesetzgeber war bei der Gestaltung der Vorschrift folglich frei. Im StaRUG-RegE4) ist im Vergleich zum RefE5) das Erfordernis der unverzüglichen schriftlichen Dokumentation des Abstimmungsergebnisses in § 22 Abs. 1 Satz 1 hinzugekommen. III. Dokumentation des Annahmeverfahrens (Abs. 1)

3

§ 22 Abs. 1 Satz 1 verpflichtet den Schuldner, den Ablauf des Planannahmeverfahrens und das Ergebnis der Abstimmung unverzüglich schriftlich festzuhalten. Die _____________ 1) 2) 3)

4) 5)

324

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 124. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 124. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 22.8.2021)

Tresselt

§ 23

Gerichtliches Planabstimmungsverfahren

Dokumentation stellt nach der Konzeption des Gesetzgebers eine reine Wissenserklärung dar und entfaltet keine besondere Beweiskraft.6) Konstitutive Wirkung hat sie damit nicht. Eine eingehende und umfassende Dokumentation des gesamten Verfahrensgeschehens ist aus Sicht des Schuldners zwingend erforderlich. Nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 versagt das Gericht die Planbestätigung von Amts wegen, wenn die Vorschriften über die Annahme des Plans in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet worden sind und der Schuldner den Mangel nicht beheben kann oder innerhalb einer angemessenen, vom Restrukturierungsgericht gesetzten Frist nicht behebt. Dabei gehen, wenn die Planabstimmung im außergerichtlichen Verfahren erfolgte, Zweifel an der ordnungsgemäßen Annahme des Restrukturierungsplans durch die Planbetroffenen zulasten des Schuldners (§ 63 Abs. 3 Satz 1).

4

Gesondert zu vermerken ist nach § 22 Abs. 1 Satz 2 ein etwaiger Streit über die Auswahl der Planbetroffenen, deren Einteilung in Gruppen oder die Zuweisung von Stimmrechten. Das versetzt das Gericht in die Lage, die Erwägungen des Schuldners i. R. der Planbestätigung eingehend zu prüfen. Hinsichtlich der Zuweisung von Stimmrechten ist jedoch zu beachten, dass das Gericht diese gemäß § 63 Abs. 3 Satz 2 im Streitfall selbst bestimmt.

5

Sofern gemäß § 73 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 oder Abs. 2 ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt wurde, dokumentiert dieser die Abstimmung (§ 76 Abs. 2 Nr. 1).

6

IV. Zugänglichmachung (Abs. 2) Gemäß § 22 Abs. 2 ist die Dokumentation den Planbetroffenen unverzüglich zugänglich zu machen. Man wird dem Schuldner jedenfalls einige Werktage nach Durchführung der Abstimmung zuzugestehen haben, bevor man von schuldhaftem Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) sprechen kann.

7

Das Gesetz lässt offen, wie die Dokumentation den Planbetroffenen zugänglich zu machen ist. Sachgerecht dürfte es sein, einen Gleichlauf mit § 17 Abs. 4 anzunehmen: Wenn den Planbetroffenen das Planangebot in Schriftform übermittelt wird, sollte dies auch für die Dokumentation gelten. Gleichermaßen kann von der Übermittlung der Dokumentation in Schriftform abgesehen werden, wenn schon das Planangebot – das Herzstück des gesamten Abstimmungsverfahrens – aufgrund einer Vereinbarung mit den Planbetroffenen nach § 17 Abs. 4 nicht in schriftlicher Form zur Verfügung gestellt wurde.

8

_____________ 6)

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 124.

§ 23 Gerichtliches Planabstimmungsverfahren Tresselt

Der Schuldner kann den Restrukturierungsplan in einem gerichtlichen Verfahren zur Abstimmung stellen, welches nach den §§ 45 und 46 durchzuführen ist; die §§ 17 bis 22 finden in diesem Fall keine Anwendung.

Tresselt

325

§ 23

Gerichtliches Planabstimmungsverfahren Übersicht

I. Normzweck ........................................... II. Normhistorie ........................................ III. Vergleich der Abstimmungsverfahren ............................................... 1. Wahlfreiheit ........................................... 2. Überblick über die Abstimmungsverfahren ................................................

I. 1

1 2 3 3

a) Argumente für die außergerichtliche Planabstimmung ............ 5 b) Argumente für die gerichtliche Planabstimmung ........................... 10 c) Übersicht über den Ablauf der verschiedenen Verfahren ............. 12

5

Normzweck

Die Vorschrift verweist auf die §§ 45 f., in denen sich die Regelungen für das gerichtliche Abstimmungsverfahren befinden, und legt fest, dass die §§ 17 – 22 auf das gerichtliche Abstimmungsverfahren nicht anzuwenden sind. Ausweislich der Gesetzesbegründung kann die Abstimmung in einem gerichtlichen Verfahren sinnvoll sein, um Streitigkeiten über den ordnungsgemäßen Ablauf des Abstimmungsverfahrens zu vermeinden, die nach § 63 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 zur Versagung der Planbestätigung führen können.1) II. Normhistorie

2

Für die Vorschrift, die lediglich einen internen Verweis enthält und das nationale Gesetzgebungsverfahren unverändert durchlaufen hat, gibt es keine Vorgabe in der Restrukturierungsrichtlinie2). III. Vergleich der Abstimmungsverfahren 1.

Wahlfreiheit

3

Der Schuldner kann grundsätzlich zwischen gerichtlicher und außergerichtlicher Abstimmung frei wählen; entscheidet er sich für die Durchführung einer außergerichtlichen Abstimmung, gilt diese Wahlfreiheit auch für die Überlegung, ob die Abstimmung schriftlich oder i. R. einer Planbetroffenenversammlung durchgeführt werden soll.

4

Die Entscheidung obliegt dem Schuldner jedoch nur, solange nicht aus den in § 73 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder Abs. 2 genannten Gründen von Amts wegen ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt wurde. Falls ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt wird, ist dieser nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 für die Entscheidung zuständig, wie der Restrukturierungsplan zur Abstimmung gebracht werden soll. Insbesondere § 73 Abs. 1 Nr. 1 könnte regelmäßig zur verpflichtenden Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten führen, weil die Rechte von Verbrauchern oder KMU in einer Vielzahl von Konstellationen betroffen sein werden. Die Restrukturierung ohne Restrukturierungsbeauftragten dürfte damit – abgesehen von Fällen, in denen eine rein finanzielle Restrukturierung erstrebt wird – die Ausnahme sein. _____________ 1) 2)

326

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 125. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

Tresselt

§ 23

Gerichtliches Planabstimmungsverfahren

2.

Überblick über die Abstimmungsverfahren

a) Argumente für die außergerichtliche Planabstimmung Für die außergerichtliche Planabstimmung spricht zunächst, dass der Eintritt in das förmliche Verfahren relativ spät erfolgen kann. Die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens ist erst erforderlich, wenn der Schuldner eine Verfahrenshilfe beantragen möchte, z. B. die Planbestätigung (vgl. § 31 Abs. 1). Vor der Anzeige kann ein Restrukturierungsplan ausverhandelt und angenommen werden, mit dem Ziel, das sich anschließende gerichtliche Verfahren möglichst kurz zu gestalten (Grundidee eines Fast-Track-Verfahrens). Auch scheint es denkbar, dass das außergerichtliche Abstimmungsverfahren aufgrund der Bearbeitungsdauer entsprechender Vorgänge beim Restrukturierungsgericht zeitliche Vorteile bietet.

5

Welcher Weg der schnellste ist, dürfte dabei von der Wahrscheinlichkeit abhängen, mit der Planbetroffene auf die Einberufung einer Erörterungsversammlung (§ 17 Abs. 3 i. V. m. § 21) bestehen. Droht diese Gefahr, ist der Schuldner gut beraten, mit der 14-Tages-Frist des § 20 Abs. 1 eine Planbetroffenenversammlung einzuberufen und die Abstimmung in diesem Rahmen durchzuführen.

6

Entscheidet der Schuldner sich für eine Abstimmung im schriftlichen Verfahren und verlangt dann während der Annahmefrist ein Planbetroffener die Einberufung einer Erörterungsversammlung, beginnt eine neue Frist von mindestens 14 Tagen zu laufen (vgl. § 21 Abs. 2 S. 2). Wurde der Plan bereits vorab mit allen Betroffenen besprochen und ist kein weiterer Erörterungsbedarf ersichtlich, kann der Schuldner die 14-Tages-Frist noch weiter verkürzen, wenn bei Abstimmung im schriftlichen Verfahren das Restrukturierungskonzept den Planbetroffenen bereits seit mindestens 14 Tagen vorgelegen hat (§ 19 Satz 3, siehe dazu § 19 Rz. 3 f.).

7

Der angenommene zeitliche Vorteil der Durchführung einer außergerichtlichen Abstimmung wird jedoch dadurch konterkariert, dass § 61 Satz 2 die Anhörung der Planbetroffenen vorschreibt. Vom Leitbild einer zügig und kostengünstig abzuwickelnden Restrukturierung, bei der das Gericht nur für die Planbestätigung eingebunden wird, entfernt sich das StaRUG in Anbetracht des häufig notwendig zu bestellenden Restrukturierungsbeauftragten und der Pflichtanhörung bei außergerichtlicher Planabstimmung denkbar weit.

8

Einen theoretischen Vorteil hat das außergerichtliche Abstimmungsverfahren, wenn eine einstimmige Annahme des Restrukturierungsplans absehbar ist. Dann bedarf es keiner Planbestätigung, um eine Verbindlichkeit der im Plan vorgesehenen Maßnahmen gegenüber allen Betroffenen herbeizuführen. Allerdings ließen sich diese Fälle im Grundsatz auch gänzlich ohne Anwendung des StaRUG bewältigen. Zudem ist die gerichtliche Planbestätigung auch bei einstimmiger Annahme empfehlenswert, um etwaige Willensmängel zu heilen (vgl. § 67 Abs. 6, siehe dazu bereits § 17 Rz. 20 ff.) und den Anfechtungsschutz des § 90 zu aktivieren.

9

b) Argumente für die gerichtliche Planabstimmung Die Gesetzesbegründung nennt als mögliches Motiv für die Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens das sich aus § 63 Abs. 3 Satz 1 ergebende

Tresselt

327

10

§ 23

Gerichtliches Planabstimmungsverfahren

Nachweisrisiko hinsichtlich der Einhaltung der Verfahrensvorschriften.3) Dem kommt eine gesteigerte Bedeutung zu, wenn absehbar ist, dass Planbetroffene etwa aufgrund vorbestehender Differenzen Zweifel am ordnungsgemäßen Ablauf des Abstimmungsverfahren äußern könnten.4) Dieses Risiko und der Ausschluss der damit verbundenen Gefahr, dass der Plan nicht bestätigt werden kann (vgl. § 63 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1), dürften die wichtigsten Argumente dafür sein, die Planabstimmung unter gerichtlicher Aufsicht stattfinden zu lassen. 11

Ein gerichtliches Verfahren kann auch dann Sinn machen, wenn der Schuldner Zweifel hat, ob er das Planangebot an alle Planbetroffenen übermitteln kann. Mangels Anwendbarkeit der Vorschriften der ZPO über die öffentliche Zustellung (§§ 185 ff. ZPO) im außergerichtlichen Verfahren hat der Schuldner keine Möglichkeit, bei unbekannter Erreichbarkeit von Planbetroffenen den Lauf der Annahmefrist beginnen zu lassen. Stellt die Organisation des schriftlichen Abstimmungsverfahrens oder der Planbetroffenenversammlung den Schuldner vor Herausforderungen, kann es auch aus diesem Grund geboten sein, auf das gerichtliche Verfahren zurückzugreifen. c) Übersicht über den Ablauf der verschiedenen Verfahren

12

Ablauf verschiedener Varianten der Planabstimmung Anzeige Antrag auf Vorhaben Termin

Plan- Antrag annahme

Planbestätigung

min. 14 Tage ggf. Vorprüfung Gerichtliches Planabstimmungsverfahren PlanEinberufung angebot Versammlung

Planannahme Anzeige Planbein Versammlung Antrag stätigung min. 14 Tage

Verkürzung auf 7 Tage möglich wenn Gelegenheit zur elektronischen Teilnahme besteht; ggf. Vorprüfung Außergerichtliches Planabstimmungsverfahren (mit Versammlung)

schriftliche Anzeige PlanbePlanannahme Antrag stätigung

Planangebot min. 14 Tage

Verkürzung möglich wenn Restrukturierungskonzept 14 Tage zuvor in Textform vorlag, ggf. Vorprüfung, ggf. Erörterungsversammlung Außergerichtliches Planabstimmungsverfahren (schriftlich)

gerichtlicher Teil

_____________ 3) 4)

328

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 125. Braun-Herzig, StaRUG, § 23 Rz. 2.

Tresselt

§ 24

Stimmrecht

Unterabschnitt 2 Stimmrecht und erforderliche Mehrheiten § 24 Stimmrecht Tresselt

(1) Das Stimmrecht richtet sich 1.

bei Restrukturierungsforderungen nach deren Betrag, soweit sich aus Absatz 2 nichts anders ergibt,

2.

bei Absonderungsanwartschaften und gruppeninternen Drittsicherheiten nach deren Wert und

3.

bei Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten nach dem Anteil am gezeichneten Kapital oder Vermögen des Schuldners; Stimmrechtsbeschränkungen, Sonder- oder Mehrstimmrechte bleiben außer Betracht.

(2) Für Zwecke der Bestimmung des Stimmrechts, das Restrukturierungsforderungen gewähren, werden angesetzt: 1.

bedingte Forderungen mit dem ihnen unter Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit des Bedingungseintritts zukommenden Wert;

2.

unverzinsliche Forderungen mit dem Betrag, der sich in Anwendung des § 41 Absatz 2 der Insolvenzordnung durch Abzinsung auf den Tag der Planvorlage ergibt;

3.

Forderungen, die auf Geldbeträge unbestimmter Höhe gerichtet oder in ausländischer Währung oder einer Rechnungseinheit ausgedrückt sind, mit dem nach § 45 der Insolvenzordnung zu bestimmenden Wert;

4.

auf wiederkehrende Leistungen gerichtete Forderungen mit dem nach Maßgabe des § 46 der Insolvenzordnung bestimmten Wert.

(3) 1Durch Absonderungsanwartschaften oder gruppeninterne Drittsicherheiten gesicherte Forderungen vermitteln in einer Gruppe von Restrukturierungsgläubigern nur insoweit ein Stimmrecht, wie der Schuldner für die gesicherten Forderungen auch persönlich haftet und der Inhaber der Absonderungsanwartschaft auf diese verzichtet oder mit einer abgesonderten Befriedigung ausfallen würde. 2 Solange der Ausfall nicht feststeht, ist die Forderung mit dem mutmaßlichen Ausfall zu berücksichtigen. (4) 1Ist das auf eine Forderung oder ein Recht entfallende Stimmrecht streitig, kann der Schuldner der Abstimmung das Stimmrecht zugrunde legen, das er den Planbetroffenen zugewiesen hat. 2In der Dokumentation der Abstimmung vermerkt er, dass, inwieweit und aus welchem Grund das Stimmrecht streitig ist. Literatur: Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Seibt/Bulgrin, Entwurf zum Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) – Kritische Analyse aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, DB 2020, 2226; Spahlinger, Gruppen, Stimmrechte und erforderliche Mehrheiten, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; v. Wilmowsky, Darlehensnehmer in Insolvenz (Teil 1), WM 2008, 1189.

Tresselt

329

§ 24

Stimmrecht Übersicht

I. II. III. IV. V.

I. 1

Normzweck ........................................... Normhistorie ........................................ Einführung ........................................... Stimmrecht (Abs. 1) ............................ Wertansatz von Restrukturierungsforderungen (Abs. 2) .................

1 2 3 4 7

VI. Stimmrecht bei Absonderungsanwartschaften und gruppeninternen Drittsicherheiten (Abs. 3) ......... 12 VII. Streitigkeiten über Stimmrechte (Abs. 4) ................................................ 13 VIII. Rechtsfolgen ..................................... 24

Normzweck

§ 24 ist eine der zentralen Vorschriften des StaRUG. Die Zuweisung der Stimmrechte an die verschiedenen Planbetroffenen bestimmt ihren Einfluss auf die Annahme oder Ablehnung des vom Schuldner vorgelegten Restrukturierungsplans. Der Gesetzgeber hat sich ausdrücklich dafür entschieden, die insolvenzrechtlichen Vorschriften weitgehend zu übernehmen.1) II. Normhistorie

2

Die Vorschrift dient der Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 der Restrukturierungsrichtlinie2), der vorsieht, dass sämtliche betroffenen Parteien, aber auch nur diese, das Recht haben, über die Annahme eines Restrukturierungsplans zu entscheiden. Von der in Art. 9 Abs. 3 Restrukturierungsrichtlinie eingeräumten Möglichkeit, Anteilsinhaber, nachrangige Gläubiger oder dem Schuldner nahestehende Parteien vom Abstimmungsrecht auszuschließen, hat der nationale Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. Neben redaktionellen Änderungen während des nationalen Gesetzgebungsverfahrens wurde erstmals im RegE3) in § 24 Abs. 3 Satz 1 die Anwendbarkeit der Berechnungsvorschrift auf gruppeninterne Drittsicherheiten ausgedehnt. III. Einführung

3

Die Regelungen zum Stimmrecht ähneln denen im Insolvenzplanverfahren.4) Anders als in §§ 237 ff. InsO sind sie im StaRUG jedoch in einer Norm zusammengefasst, die dadurch relativ komplex ist. Ein Stimmrecht haben nur die Planbetroffenen. Das ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 24, folgt aber aus der Gesetzessystematik (Regelung im Abschnitt zur Planabstimmung) und entspricht Art. 9 Abs. 2 Restrukturierungsrichtlinie.5) IV. Stimmrecht (Abs. 1)

4

§ 24 Abs. 1 beschreibt die Standardfälle der Stimmrechte, die der Abstimmung zugrunde zu legen sind. Nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 richtet sich das Stimmrecht bei Restruk_____________ 1) 2)

3) 4) 5)

330

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 125. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Desch, BB 2020, 2498, 2304. Spahlinger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32, 33.

Tresselt

§ 24

Stimmrecht

turierungsforderungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1) vorbehaltlich der besonderen Bestimmungen des § 24 Abs. 2 nach deren Betrag. Resultieren Restrukurierungsforderungen aus zinstragenden Verbindlichkeiten, ist der Stimmrechtsfestsetzung die Gesamthöhe der Verbindlichkeit, also Hauptforderung und entstandene Zinsansprüche, zum nach § 2 Abs. 5 für die Gestaltung der Rechtsverhältnisse maßgeblichen Zeitpunkt zugrunde zu legen.6) Der nach § 2 Abs. 5 maßgebliche Zeitpunkt entspricht dem in § 24 Abs. 2 Nr. 2 genannten Tag der Planvorlage.7) Bei Absonderungsanwartschaften und gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 4) ist gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 2 im Grundsatz jeweils deren Wert maßgeblich (siehe zum Sonderproblem der Aufspaltung des Stimmrechts noch Rz. 12). Für die Wertermittlung ist auf den gemäß § 2 Abs. 5 maßgeblichen Zeitpunkt abzustellen.

5

Sollen Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte (§ 2 Abs. 3) in den Restrukturierungsplan einbezogen werden, richtet sich das Stimmrecht ihrer Inhaber nach dem Anteil am gezeichneten Kapital oder Vermögen des Schuldners (§ 24 Abs. 1 Nr. 3). Dabei kommt es auf die Verhältnsse zu dem nach § 2 Abs. 5 maßgeblichen Zeitpunkt an. Stimmrechtsbeschränkungen, Sonder- oder Mehrstimmrechte bleiben außer Betracht. Die Regelung ist § 238a Abs. 1 InsO nachgebildet.8) Die Außerachtlassung von Stimmrechtsbeschränkungen und gesellschaftsrechtlichen Sonderregelungen führt dazu, dass das Stimmrecht allein kapitalbezogen ermittelt wird und die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, die eine Stimmrechtsbeschränkung darstellt, überlagert wird.9) Diese Entscheidung des Gesetzgebers war nicht zwingend: Die Rechtfertigung in der InsO, die darauf beruht, dass die Anteilsinhaber nur im Hinblick auf ihre Überschussrechte (§ 199 Satz 2 InsO) an der Abstimmung teilnehmen, besteht im Restrukturierungsrahmen nicht gleichermaßen.10)

6

V. Wertansatz von Restrukturierungsforderungen (Abs. 2) In § 24 Abs. 2 werden Regelungen für Sonderkonstellationen beim Wertansatz von Restrukturierungsforderungen getroffen.

7

§ 24 Abs. 2 Nr. 1 trägt dem Umstand Rechnung, dass die Werthaltigkeit bedingter Forderungen (die in einem Restrukturierungsplan gemäß § 3 Abs. 1 gestaltet werden können) vor Bedingungseintritt durch die Wahrscheinlichkeit des Bedingungseintritts beeinflusst wird. Der Nominalwert ist daher mit der Wahrscheinlichkeit zu gewichten, mit der im Fall der auflösenden Bedingung das Fortbestehen der Forderung bzw. im Fall der aufschiebenden Bedingung das Entstehen der Forderung angenommen werden kann.11)

8

_____________ 6) So auch Spahlinger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32, 33; Braun-Herzig, StaRUG, § 24 Rz. 5. 7) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 147. 8) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 126. 9) Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2234. 10) Vgl. dazu bereits Tresselt in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 12 Rz. 70. 11) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 126; die ausdrückliche Regelung begrüßend Thole, ZIP 2020, 1985, 1990.

Tresselt

331

§ 24

Stimmrecht

9

Unverzinsliche Forderungen werden nach § 24 Abs. 2 Nr. 2 mit dem Betrag angesetzt, der sich in Anwendung von § 41 Abs. 2 InsO durch Abzinsung auf den Tag der Planvorlage ergibt. Dabei entspricht der Zeitpunkt der Planvorlage dem nach § 2 Abs. 5 Satz 1 maßgeblichen Zeitpunkt (siehe oben Rz. 4). Hintergrund der Regelung in § 24 Abs. 2 Nr. 2 ist das Bestreben, die Werterhöhung, die unverzinsliche Forderungen dadurch erfahren, dass sie vor dem vereinbarten Fälligkeitszeitpunkt als fällig behandelt werden, durch Abzinsung auszugleichen.12) Der gesetzliche Zinssatz beträgt bei beiderseitigen Handelsgeschäften gemäß § 352 Abs. 1 Satz 1 HGB 5 %, i. Ü. gemäß § 246 BGB 4 %.13) Die Berechnung erfolgt wie im direkten Anwendungsbereich des § 41 Abs. 2 InsO nach der sog. Hoffmann’schen Methode.14)

10

§ 24 Abs. 2 Nr. 3 verweist für Forderungen, die auf Geldbeträge unbestimmter Höhe gerichtet oder in ausländischer Währung oder einer Rechnungseinheit ausgedrückt sind, auf § 45 InsO. Bei Forderungen, die auf Geldbeträge in unbestimmter Höhe gerichtet sind, hat demnach gemäß § 45 Satz 1 InsO eine Schätzung zu erfolgen. Sind Forderungen in ausländischer Währung oder in einer Rechnungseinheit ausgedrückt, erfolgt die Bewertung auf Grundlage einer Umrechnung in Euro nach dem Kurswert, der zum maßgeblichen Zeitpunkt am Zahlungsort gilt (§ 45 Satz 2 InsO). Maßgeblich ist auch hier der Tag der Planvorlage, der dem gemäß § 2 Abs. 5 maßgeblichen Zeitpunkt entspricht (siehe dazu Rz. 4).

11

Gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 4 gilt für auf wiederkehrende Leistungen gerichtete Forderungen § 46 InsO entsprechend. Demnach sind Forderungen auf wiederkehrende Leistungen, deren Betrag und Dauer bestimmt sind, mit dem Betrag anzusetzen, der sich ergibt, wenn die noch ausstehenden Leistungen unter Abzug des in § 41 InsO bezeichneten Zwischenzinses zusammengerechnet werden. Die einzelnen künftigen Forderungen eines Gläubigers sind folglich nach der bereits erwähnten Hoffmann’schen Formel abzuzinsen und erst dann zu addieren.15) VI. Stimmrecht bei Absonderungsanwartschaften und gruppeninternen Drittsicherheiten (Abs. 3)

12

Auch § 24 Abs. 3 knüpft an Regelungen über das Stimmrecht im Insolvenzplanverfahren an (§ 237 Abs. 1 Satz 2 InsO). Die Vorschrift soll sicherstellen, dass Inhabern von Absonderungsanwartschaften und gruppeninternen Drittsicherheiten nicht doppelte Stimmgewichte zugewiesen werden.16) Wie im Insolvenzplanverfahren vermitteln Absonderungsanwartschaften oder gruppeninterne Drittsicherheiten nach § 24 Abs. 3 Satz 1 in einer Gruppe von Inhabern von Restrukturierungsforderungen nur insoweit ein Stimmrecht, als das Absonderungsrecht die gesicherte Forderung _____________ 12) Vgl. BGH, Urt. v. 12.1.2017 – IX ZR 130/16, Rz. 6, ZVI 2017, 160 = ZIP 2017, 489; aus der Literatur statt aller Bitter in: MünchKomm-InsO, § 41 Rz. 17. 13) Zur berechtigten Kritik am Abstellen auf den gesetzlichen Zinssatz ausführlich v. Wilmowsky, WM 2008, 1189, 1193. 14) S. dazu Bitter in: MünchKomm-InsO, § 41 Rz. 21 ff.; Uhlenbruck-Knof, InsO, § 41 Rz. 13 ff., jew. m. w. N. und detaillierter Erläuterung der Berechnungsmethode. 15) Bitter in: MünchKomm-InsO, § 46 Rz. 7. 16) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 126.

332

Tresselt

§ 24

Stimmrecht

(wertmäßig oder nominal) nicht deckt.17) In beiden Gruppen zusammen kann das Stimmgewicht höchstens dem Nominalbetrag der Forderung entsprechen.18) VII. Streitigkeiten über Stimmrechte (Abs. 4) Mit der Regelung in § 24 Abs. 4 beabsichtigt der Gesetzgeber, Verzögerungen der Planabstimmung durch Streitigkeiten über Grund oder Höhe des Stimmrechts eines Planbetroffenen zu vermeiden.19) Nach Auffassung des Gesetzgebers soll sowohl auf das vom Schuldner ursprünglich für zutreffend erachtete Stimmrecht abgestellt werden können, als auch auf ein hiervon abweichendes Stimmgewicht, soweit der Schuldner dies im Zuge der Abstimmung den Planbetroffenen offenlegt.20) Denkbar wäre etwa, dass der Schuldner sich i. R. einer Planbetroffenenversammlung von einzelnen Betroffenen überzeugen lässt, dass das zunächst angenommene Stimmgewicht nicht korrekt ist, und in der Folge der Abstimmung ein abweichendes Stimmgewicht zugrunde legt.

13

Die Zuweisung des Stimmrechts kann i. R. der Planbestätigung durch das Restrukturierungsgericht nachgeprüft werden (vgl. § 63 Abs. 3 Satz 2). Daher ist es unerlässlich, Streitigkeiten über das Stimmrecht – wie von § 24 Abs. 4 Satz 2 gefordert – zu dokumentieren.

14

Die gerichtliche Nachprüfung des Stimmrechts kann zu Folgeproblemen führen: Gemäß § 63 Abs. 3 Satz 2 legt das Gericht seiner Entscheidung über die Planbestätigung das „nach Maßgabe des § 24 zu bestimmende Stimmrecht zugrunde“. Damit wird deutlich, dass das Gericht bei der Bestimmung des Stimmrechts nicht an die vorläufige Festlegung durch den Schuldner gebunden ist.21) Bei erheblichen Diskrepanzen und einem knappen Abstimmungsergebnis besteht somit das Risiko, dass einem auf Grundlage einer fehlerhaft berechneten Stimmrechtsverteilung angenommenen Restrukturierungsplan die Bestätigung versagt wird, weil sich die Mehrheitsverhältnisse tatsächlich anders darstellen als zunächst angenommen.

15

Dieser Gefahr kann der Schuldner begegnen, indem er in Zweifelsfällen – unter Inkaufnahme einer entsprechenden Verzögerung des Abstimmungsverfahrens – gemäß § 47 einen Antrag auf Vorprüfung stellt. Gegenstand einer Vorprüfung, die auch bei außergerichtlicher Planabstimmung in Betracht kommt, kann nach § 47 i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 insbesondere die Frage sein, welches Stimmrecht eine Restrukturierungsforderung, eine Absonderungsanwartschaft oder ein Anteils- oder Mitgliedschaftsrecht gewährt. Ein denkbarer Anwendungsbereich für diese Prüfung ist die Zuweisung des Stimmrechts für streitige Forderungen i. S. von § 70 Abs. 1. Dabei geht es um Konstellationen, in denen zwischen dem Schuldner und einem

16

_____________ 17) Für den Insolvenzplan Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 238 Rz. 3. 18) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 126; ausführlich, inklusive Darstellung der Berechnung anhand eines Beispiels, Hintzen in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 15 ff. 19) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 126; ebenso Desch, BB 2020, 2498, 2504. 20) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 126. 21) Spahlinger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32, 33; vgl. auch Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 162.

Tresselt

333

§ 24

17

18

19

20

Stimmrecht

Gläubiger Streit über die Höhe einer Forderung besteht. In diesem Zusammenhang beantwortet § 70 Abs. 1 die Frage, in welcher Höhe eine solche Forderung der Gestaltung durch den Restrukturierungsplan unterliegt. Selbst wenn durch eine spätere zivilgerichtliche Entscheidung eine größere Summe zugesprochen wird als für Zwecke des Plans angenommen wurde, unterliegt die Forderung nur in der Höhe der Gestaltung, in der sie dem Plan zugrunde gelegt wurde. Die Frage, welches Stimmrecht eine streitige Forderung gewährt, ist davon losgelöst22) und kann i. R. einer Vorprüfung geklärt werden, wenn das Risiko einer nachträglichen abweichenden Festlegung nach § 63 Abs. 3 Satz 2 reduziert werden soll. Ausschließen lässt sich dieses Risiko aufgrund der fehlenden Bindungswirkung des infolge der Vorprüfung gemäß § 48 Abs. 2 zu erlassenden Hinweisbeschlusses23) allerdings nicht. § 70 Abs. 1 a. E. birgt noch ein zusätzliches Risiko: Gläubiger können Forderungen jeweils auch über den Betrag hinaus geltend machen, der dem Stimmrecht zugrunde gelegt wurde. In diesem Punkt unterscheidet sich das StaRUG-Verfahren maßgeblich vom Insolvenzverfahren, in dem die §§ 254 ff. InsO für die verbindliche Feststellung sorgen, dass alle Insolvenzforderungen durch den Insolvenzplan umgestaltet werden. Das StaRUG führt dagegen zu Rechtsunsicherheit beim Schuldner, der trotz eines rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplans zum einen damit rechnen muss, aus einer Forderung mit einem höheren Betrag in Anspruch genommen zu werden als dem, der der Abstimmung über den Restrukturierungsplan zugrunde gelegt wurde.24) Zum anderen, noch wichtiger und sicherlich falsch (!), muss er damit rechnen, dass er den übersteigenden Betrag ungekürzt (bzw. ohne die Gestaltungswirkung des Plans), d. h. im Ergebnis voll bezahlen muss. Dieser Aspekt in § 70 Abs. 1 a. E. verdient daher keine Zustimmung. In der Begründung zum RegE verwendet der Gesetzgeber zur Erläuterung der umstrittenen Konstellation ein sehr zweifelhaftes Beispiel für Forderungen der Finanzverwaltung.25) Es soll angeblichen „Manipulationen“ durch den Schuldner vorgebeugt werden, durch einen „bewusst zu niedrigen Ansatz“ einer Steuerforderung. Das Finanzamt könne so zunächst überstimmt werden, wobei es dann später bei höher festgesetzten Steuerforderungen eine „entsprechend erhöhte Forderungskürzung“ hinnehmen müsse. Warum ein Schuldner solche „Manipulationen“ vornehmen sollte (und warum nur gegenüber dem Finanzamt), wird nicht erklärt. Auch der Umstand, dass das Gericht ein anderes Stimmrecht festsetzen kann als der Schuldner, und damit korrigierend eingreifen darf, bleibt unerwähnt. Nicht erkannt wird, noch grundsätzlicher, dass es sich bei der verfahrensrechtlichen Frage der Stimmrechtsfestsetzung um einen ganz anderen Themenkomplex handelt, als bei der materiell-rechtlichen Frage der Forderungshöhe. Diese Themen sind strikt voneinander zu trennen, wie im Insolvenzplanverfahren und in den Planverfahren anderer Jurisdiktionen. Im Übrigen ist auch aus dem Insolvenzplanverfahren _____________ 22) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 168. 23) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 149. 24) Die dem Plan i. S. von § 70 Abs. 1 zugrunde gelegte Forderung entspricht dem Umfang des vom Schuldner bzw. vom Gericht zugewiesenen Stimmrechts. 25) So die Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 167.

334

Tresselt

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

nicht bekannt, dass es dort zu „Manipulationen“ des Stimmrechts (gegenüber dem Finanzamt oder anderen Gläubigern) gekommen wäre. Und selbst wenn es einen theoretisch denkbaren Missbrauchsfall, trotz gerichtlicher Überprüfung des Stimmrechts, geben könnte, würde dieser Befund wohl kaum ausreichen, um eine allgemeine Regelung zu rechtfertigen, die auf alle denkbaren Konstellationen und sämtliche Arten von Restrukturierungsforderungen Anwendung findet (und damit vor allem für die 99 % aller Fälle, in denen keine „Manipulation“ vorliegt). § 70 Abs. 1 a. E. sollte daher, aufgrund seines überschießenden Charakters, nur ganz ausnahmsweise angewendet werden, falls tatsächlich einmal ein Missbrauchsfall vom Gläubiger nachgewiesen werden kann. Wendet man die Norm trotzdem an, wäre die einzig ersichtliche Möglichkeit, das gesetzgeberisch geschaffene Problem zu umgehen, als Schuldner bei streitigen Forderungen stets einen möglichst hohen Betrag bei der Abstimmung zugrunde zu legen, um so zu erreichen, dass die materiellrechtlichen Wirkungen des Plans auch die gesamte Forderung umfassen. Das birgt aber Risiken und schafft falsche Anreize, die nicht gewollt sein können: Denn ein möglichst hohes zugesprochenes Stimmrecht würde einzelnen Planbetroffenen ggf. ein Übergewicht bei der Abstimmung gewähren. Außerdem würden Planbetroffene dazu ermutigt, möglichst hohe Forderungen zu behaupten. Hier müsste dann das Gericht beim Stimmrecht korrigierend eingreifen. Tut es dies, und stellt sich später – im Rechtsstreit über die Höhe die Forderung – letztlich heraus, dass das Restrukturierungsgericht das Stimmrecht zu weit herabgesetzt hatte, sieht sich der Schuldner wieder (mit ungekürzten) Nachforderungen des Gläubigers konfrontiert.

21

Auch das zeigt nochmals, dass die Schwankungen beim Stimmrecht keinen Einfluss haben dürfen auf die materiell-rechtliche Reichweite der Planwirkungen. Spätestens i. R. einer Evaluation des Gesetzes sollte die Vorschrift – klarstellend – dahingehend überarbeitet werden, dass die gestaltende Wirkung des Restrukturierungsplans stets die gesamte Forderung umfasst und von der Frage der Stimmrechtshöhe strikt zu trennen ist.

22

Da es sich bei der Vorprüfung um ein Instrument des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens i. S. von § 29 Abs. 2 Nr. 2 handelt, müsste der Schuldner – will er darauf zurückgreifen – zuvor das Restrukturierungsvorhaben bei Gericht anzeigen (§ 31 Abs. 1).

23

VIII. Rechtsfolgen § 24 bildet die Grundlage für die Zuweisung des Stimmrechts durch den Schuldner (§§ 17 Abs. 2, 24 Abs. 4 Satz 1) bzw. das Gericht (§§ 45 Abs. 4 Satz 2, 63 Abs. 3 Satz 2).

§ 25 Erforderliche Mehrheiten Kowalewski/Praß

(1) Zur Annahme des Restrukturierungsplans ist erforderlich, dass in jeder Gruppe auf die dem Plan zustimmenden Gruppenmitglieder mindestens drei Viertel der Stimmrechte in dieser Gruppe entfallen. Kowalewski/Praß

335

24

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

(2) 1Planbetroffene, denen eine Forderung oder ein Recht gemeinschaftlich zusteht, werden bei der Abstimmung als ein Planbetroffener behandelt. 2Entsprechendes gilt, wenn an einem Recht ein Pfandrecht oder ein Nießbrauch besteht. Literatur: Blaufuß/Braun, Erfüllung der Berichtspflicht aus § 7 II 4 SchVG über das Internet und Anmeldung zur Insolvenztabelle, NZI 2016, 5; Bork, Neue Grundfragen des Restrukturierungsrechts, ZRI 2021, 345; Bork, Grundfragen des Restrukturierungsrechts, ZIP 2010, 397; Bourgeois, Die Sicherheitentreuhandvereinbarung unter besonderer Berücksichtigung der Stellung der Sicherheitentreuhänderin, BKR 2011, 103; Danielewsky/ Dettmar, Instrumente der Vertragsgestaltung zur Übertragung akzessorischer Sicherheiten im Rahmen von Konsortialkreditverträgen, WM 2008, 713; Fischer, Die Rechtsstellung der Anleihegläubiger in Krise und Insolvenz des Emittenten, WM 2018, 1529; Flöther, Die weitere prozessuale Umsetzung der Richtlinie in Deutschland und Europa, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 4; Gloeckner/Banken, Etablierung und Aufgaben des Gemeinsamen Vertreters nach dem Schuldverschreibungsgesetz, ZIP 2015, 2393; Hofmann, Der Restrukturierungsplan im künftigen deutschen Restrukturierungsverfahren – Restrukturierungsvs. Insolvenzplan?, NZI Beilage Heft 16-17/2019, S. 22; Josenhans/Danzmann, Das Future-Pledgee- und das Parallel-Debt-Konzept in der Kreditfinanzierung – Theoretische und praktische Aspekte, WM 2017, 1588; Kessler/Rühle, Die Restrukturierung von Anleihen in Zeiten des SchVG 2009, BB 2014, 907; Korch, Insolvenzrecht und Marktgesetze, ZHR 182 (2018), 440; Lange/Swierczok, Neues aus Brüssel: Der finale Text der Restrukturierungsrichtlinie lässt grüßen!, BB 2019, 514; Lürken, Das StaRUG aus schuldverschreibungsrechtlicher Sicht, ZIP 2021, 1305; Madaus, Die Vorgaben der EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen an den deutschen Gesetzgeber – Handlungsspielräume und –grenzen, DB 2019, 592; Madaus/Wessels, Business Rescue in Insolvency Law – A Challenge for Private Law?, ZEUP 2020, 800; Müller, Sanierung nach der geplanten EU-Restrukturierungs-Richtlinie, ZGR 2018, 56; Paulus, Ziele und EU-rechtliche Rahmenbedingungen, Zu Nr. 1 des Richtlinienvorschlags der Europäischen Kommission vom 22.11.2016, COM(2016) 723 final, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 5; Proske/Streit, Rettende Restrukturierung durch Rechtsrahmen? Lob und Kritik zum Regierungsentwurf des StaRUG, NZI 2020, 969; Schelo, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG), WM 2021, 515; Schluck-Amend/ Hacker, Revolution der vorinsolvenzlichen Unternehmenssanierung? Das Europäische Parlament hat die Restrukturierungsrichtlinie verabschiedet, Wpg 2019, 737; Skauradszun, Grundfragen zum StaRUG – Ziele, Rechtsnatur, Rechtfertigung, Schutzinstrumente, KTS 2021, 1; Skauradszun/Kümpel, Restrukturierungen von Schuldverschreibungen und weiteren Finanzierungsarrangements nach § 2 Abs. 2 StaRUG, WM 2021, 1122; Spahlinger, Gruppen, Stimmrechte und erforderliche Mehrheiten, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32; Specovius/v. Wilcken, Erstellung, Gruppenbildung und Annahme des Restrukturierungsplans, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 24; Stohrer, Der Gläubigerschutz im präventiven Restrukturierungsrahmen, ZInsO 2018, 660; Thole, Die Restrukturierung von Schuldverschreibungen im Insolvenzverfahren, ZIP 2014, 293; Vogelmann/Käppler, Beschlüsse der Anleihegläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ZInsO 2018, 2169; Westpfahl, Die Risiken der Banken im vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren Banken im Richtlinienvorschlag der Europäische Kommission vom 22.11.2016, COM(2016) 723 final, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 49. Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017 zum EU-Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 4/2017 (zit.: BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017, v. 4/2017), ZIP 2017, 789; DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Insolvenzrecht in Zusammenarbeit mit Mitgliedern des Geschäftsführenden Ausschusses sowie der Europagruppe der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im DAV zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und der Rates über präventive Restruk-

336

Kowalewski/Praß

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

turierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU v. 22.11.2016 (COM(2016) 723 final, v. 1.3.2017 (zit.: DAV, Stellungnahme Nr. 17/17, v. 1.3.2017), abrufbar unter https://anwaltverein.de/de/newsroom/ sn-17-17-zweite-chance-fuer-unternehmen-neuer-vorschlag-fuer-eu-richtlinie; DK, Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, COM(2016) 723 final v. 22.11.2016, v. 14.11.2018 (zit.: DK, Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 14.11.2018), abrufbar unter https://die-dk.de/media/files/181114_DK_SN-Restrukturierungsrahmen.pdf; Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme des Gravenbrucher Kreises zu den Regelungen der Europäischen Kommission vom 22. November 2016 über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 28.2.2017 (zit.: Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 28.2.2017), abrufbar unter https://www.gravenbrucher-kreis.de/ 2017/03/01/gravenbrucher-kreis-reicht-stellungnahme-zum-richtlinienvorschlag-%C3% BCber-pr%C3%A4ventive-restrukturierung-bei-der-europ%C3%A4ischen-kommissionein/. (Abrufdatum jeweils 25.8.2021). Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 3 1. Entstehungsgeschichte der relevanten Vorgaben der Richtlinie ...... 4 2. Entstehungsgeschichte der deutschen Umsetzung .......................... 6 III. Überblick zum Tatbestand ................ 13 IV. Mehrheitserfordernis von 75 % Summenmehrheit (Abs. 1) ............... 14 1. Grundsätze .......................................... 14 2. Besonderheiten bei Schuldverschreibungsgläubigern ........................ 20 V. Gemeinschaftlich gehaltene Forderungen und Rechte (Abs. 2) ... 31 1. Gemeinsame Stimmabgabe bei Gläubigermehrheiten (Abs. 2 Satz 1) ..................................... 31

I.

a) Unklarer Anwendungsbereich der Vorschrift ............................... 32 b) Voraussetzungen .......................... 37 2. Behandlung von Pfandrecht und Nießbrauch (Abs. 2 Satz 2) ................ 39 VI. Praxisrelevante Sonderkonstellationen ................................................... 43 1. Konsortialfinanzierungen ................... 44 2. Einheitliche Sicherheit zugunsten mehrerer Gläubiger ............................. 49 3. „Parallel-Debt“-Besicherungen .......... 51 a) Besicherung nur des Parallel Debt .............................................. 53 b) Besicherung von Parallel Debt und Hauptforderung .................... 57 4. Sicherheitenpools ................................ 59 VII. Rechtsfolge ......................................... 60

Normzweck

§ 25 legt fest, welche Mehrheiten in einer Abstimmungsgruppe erreicht werden müssen, damit diese Gruppe insgesamt die Annahme des Restrukturierungsplans ausspricht. § 25 Abs. 2 enthält Vorgaben zur Berechnung des Stimmrechts in bestimmten Sonderkonstellationen, wobei der genaue Anwendungsbereich des § 25 Abs. 2 unklar ist.

1

Wie die nachstehend dargestellte Diskussion zur Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie zeigt (siehe dazu Rz. 4 ff.), geht es bei der Festsetzung der erforderlichen Mehrheiten in einer Abstimmungsgruppe um eine Auflösung des Spannungsfelds zwischen der Ermöglichung einer Mehrheitsentscheidung und Minderheitenschutz. Auf der einen Seite soll es möglich sein, dissentierende Planbetroffene innerhalb einer Gruppe zu überstimmen. Insoweit dient § 25, in Ergänzung zum gruppenübergreifenden Cram-down in §§ 26 ff., der Lösung des Hold-out-Problems der vorinsol-

2

Kowalewski/Praß

337

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

venzlichen Sanierung.1) Auf der anderen Seite bedarf es auch eines gewissen Schutzstandards der jeweils überstimmten Planbetroffenen. Dieser darf jedoch nicht so weit führen, dass er letztlich zulasten der Mehrheit einer Klasse geht.2) Um hier eine Balance zwischen diesen beiden Seiten herzustellen und damit letztlich die Legitimität der Abstimmung zu erhöhen, hat der Gesetzgeber sich für ein hohes Mehrheitserfordernis entschieden (siehe dazu Rz. 4 ff.). II. Normhistorie 3

Da auch in Bezug auf die Mehrheiten gewisse Mindestanforderungen durch den europäischen Gesetzgeber aufgestellt wurden, lohnt sich zunächst ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der relevanten Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie3). 1.

Entstehungsgeschichte der relevanten Vorgaben der Richtlinie

4

Die Restrukturierungsrichtlinie enthält in Art. 9 einige Vorgaben zu den erforderlichen Mehrheiten bei der Abstimmung über einen Restrukturierungsplan. Allerdings wurden den nationalen Gesetzgebern diesbezüglich auch gewisse Umsetzungsspielräume gelassen.4) In Bezug auf die konkret zu fordernden Mehrheiten innerhalb der Klassen gibt die Restrukturierungsrichtlinie in Art. 9 Abs. 6 Unterabs. 2 Satz 2 lediglich vor, dass nicht mehr als eine 75 %ige Mehrheit von den Mitgliedstaaten gefordert werden darf. Dabei soll, wie die ErwG noch einmal klar betonen, gewährleistet werden, dass eine Minderheit die Annahme eines für sie unliebsamen Restrukturierungsplans nicht vereiteln kann (ErwG 47 Restrukturierungsrichtlinie). Die Annahme des Plans erfordert mindestens jedoch eine einfache Summenmehrheit in jeder Klasse. Somit obliegt es den Mitgliedstaaten gemäß Art. 9 Abs. 6 Unterabs. 2 Satz 1, die konkret zu fordernde Mehrheit festzulegen. Vorgegeben ist lediglich ein Korridor zwischen 50 %+x und 75 % Zustimmungsquote. Die nationalen Gesetzgeber können zusätzlich zu der Summenmehrheit eine Kopfmehrheit vorsehen (Art. 9 Abs. 6 Unterabs. 1 Satz 2).5)

5

Die Restrukturierungsrichtlinie verhält sich nicht eindeutig dazu, wie die Mehrheit zu bestimmen ist, wenn Planbetroffene schlicht nicht abstimmen. Die Formulierung in Art. 9 Abs. 6 Satz 1 „wenn bezogen auf den Betrag ihrer Forderungen … eine Mehrheit erreicht wird“ spricht wohl eher dafür, dass es einer Mehrheit bezogen auf sämtliche Forderungen bzw. Personen bedarf, Stimmenthaltungen also den Effekt einer Neinstimme haben. Es sollte den nationalen Gesetzgebern allerdings frei stehen, eine Beteiligungsschwelle für die Abstimmung festzulegen (ErwG 47 _____________ 1) 2) 3)

4) 5)

338

Hierzu ausführlich Skauradszun, KTS 2021, 1, 60 f. So auch ErwG 47 Restrukturierungsrichtlinie. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Vgl. auch Braun-Herzig, StaRUG, § 25 Rz. 2. Für die Aufnahme einer solchen Kopfmehrheit: Hofmann, NZI Beilage Heft 16 – 17/2019, S. 22, 26.

Kowalewski/Praß

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

Restrukturierungsrichtlinie). Außerdem können Stimmrechtsausschlüsse bestehen (Art. 9 Abs. 3 Restrukturierungsrichtlinie). Aus diesen Vorgaben dürfte der Schluss zu ziehen sein, dass es den Mitgliedstaaten auch freistehen sollte, wie sie Enthaltungen bei der Mehrheitsberechnung berücksichtigen. 2.

Entstehungsgeschichte der deutschen Umsetzung

Der Wortlaut der nunmehr Gesetz gewordenen Regelung hat sich im Gesetzgebungsverfahren seit dem RefE nicht verändert.6) Lediglich die Paragraphennummer hat sich zum Ende des Gesetzgebungsprozesses wegen der Streichung der §§ 2 und 3 RefE von § 27 zu § 25 verschoben. Auch in den sonstigen Gesetzgebungsunterlagen, insbesondere in der Stellungnahme des Bundesrates vom 27.11.20207), gibt es keine Anträge zur Änderung dieser Vorschrift.

6

So klar wie es der RefE und der RegE vermuten lassen, war es jedoch nicht, wie der deutsche Gesetzgeber seinen Umsetzungsspielraum ausnutzen würde. Das zeigt sich an der im Vorfeld in der Literatur geführten Diskussion um die bestmögliche Umsetzung.

7

Hinsichtlich der Mehrheiten hatten sich aus Sicht des deutschen Gesetzgebers zwei wesentliche Fragen gestellt: Erstens musste eine Entscheidung getroffen werden, ob neben der Summenmehrheit zusätzlich eine Kopfmehrheit festgelegt werden soll. Mit Blick auf das entsprechende doppelte Mehrheitserfordernis des § 244 Abs. 1 InsO wäre es nicht gänzlich überraschend gewesen, wenn der deutsche Gesetzgeber für das Restrukturierungsplanverfahren und Insolvenzplanverfahren gleichlaufende Regelungen vorgesehen hätte.8) Dagegen sprach jedoch, dass die Richtlinienumsetzung möglichst den wirtschaftlichen Gegebenheiten folgen sollte, die sie zu regeln versucht, was nahelegt, jedenfalls hinsichtlich der Finanzgläubiger allein eine Summenmehrheit zu implementieren.9) Erwägenswert wäre gewesen, solche Fälle anders zu beurteilen, in denen alle Gläubiger von der Restrukturierung betroffen sind und kleineren Gläubigern ohne Kopfmehrheit keinerlei Stimmgewicht zukäme.10) Dieser Zweck einer Kopfmehrheit – Vorbeugen einer Dominanz der Groß- gegenüber der Kleingläubigern – soll stattdessen mit der zwingenden Gruppenbildung für Kleingläubiger gemäß § 9 Abs. 2 Satz 4 erfüllt werden (näher zur Auslegung des Begriffs der Kleingläubiger siehe § 9 Rz. 51 ff.).Umgekehrt wäre eine Kopfmehrheit nicht angemessen bei Klassen, die aus Gesellschaftern von Kapitalgesellschaften bestehen, denn es sollte dort beim gesellschaftsrechtlichen Grundsatz: „one Share –

8

_____________ 6) RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, S. 23, abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 25.8.2021); RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 22. 7) Vgl. RegE SanInsFoG, v. 16.10.2020, BR-Drucks. 619/20, S. 1 ff. 8) Dafür Lange/Swierczok, BB 2019, 514, 518; gegen eine Kopfmehrheit Schluck-Amend/ Hacker, Wpg 2019, 737, 741, und offenbar Stohrer, ZInsO 2018, 660, 666. 9) So auch bereits Kowalewski/Praß in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 9 Rz. 125 und Westpfahl, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 49, 51; wohl ebenso Specovius/v. Wilcken, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 24, 26. 10) Wohl ebenso Specovius/v. Wilcken, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 24, 26.

Kowalewski/Praß

339

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

one Vote“ bleiben.11) Schon diese Überlegungen zeigen, dass es nicht zu beanstanden gewesen wäre, wenn sich der Gesetzgeber für eine differenzierte Regelung entschieden hätte. 9

Laut der Regierungsbegründung wurde letztlich von der Einführung einer Kopfmehrheit abgesehen, um darauf bezogenen „Umgehungsstrategien“ vorzubeugen.12) Die Regierungsbegründung sieht zwar die Möglichkeit, missbräuchlichen Aufspaltungen von Forderungen durch die Festlegung eines Stichtages in gewisser Weise vorbeugen zu können. Allerdings würde dadurch das Abstimmungs- und insbesondere das Planbestätigungsverfahren mit einer streitanfälligen Frage belastet werden. Daher solle vielmehr das qualifizierte Summenmehrheitserfordernis von 75 % den Zweck erfüllen, dem ein zusätzliches Kopfmehrheitserfordernis diene. Offen lässt der Gesetzgeber allerdings, warum diese Überlegungen nicht dazu geführt haben, auch das Insolvenzplanrecht dementsprechend anzupassen.

10

Die zweite Frage ist die nach der Höhe der erforderlichen Mehrheit: Eine Stimmenmehrheit bei nur 50 %+x ist im internationalen Vergleich ein geringer Wert. Da Kleingläubiger im Regelfall nur sehr geringe Anteile halten, wurde befürwortet, die Summengrenze auf 75 % der anwesenden13) Gläubiger zu setzen, weil man so dem Zweck, Blockaden von Akkordstörern einzudämmen (ErwG 47 Restrukturierungsrichtlinie), genügen würde. Gleichzeitig wurde proklamiert, dass eine größtmögliche Akzeptanz die Umsetzungswahrscheinlichkeit fördern würde.14) Zudem wurde vertreten, dass die hohe Zustimmungsbasis in jeder Klasse die verfassungsrechtlichen Bedenken, ablehnende Gläubiger zu überstimmen, verringern würde.15) Aufgrund der genannten Argumente haben sich viele Autoren dafür ausgesprochen, die erforderliche Mehrheit in der deutschen Richtlinienumsetzung auf 75 % festzusetzen.16)

11

Die Verfasser haben in der Kommentierung der Restrukturierungsrichtlinie erwogen, begründete Ausnahmen von diesem Grundsatz zu machen.17) So könnte ein niedrigeres Quorum für ausreichend erachtet werden, wenn die betroffenen Gläubiger – etwa in Intercreditor Agreements – bereits auf vertraglicher Basis eine niedrigere Zustimmungsschwelle für die in Rede stehende Maßnahme akzeptiert haben. Zudem könnte man auch mit Blick auf das Krisenstadium Einschränkungen des Grund_____________ 11) Kowalewski/Praß in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 9 Rz. 124. 12) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 127. 13) Bork, ZIP 2010, 397, 409 f. (noch allgemein vor dem ersten Richtlinienentwurf); Paulus, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 5, 7. 14) DAV, Stellungnahme Nr. 17/17, v. 1.3.2017, S. 18; Korch, ZHR 182 (2018), 440, 477; Westpfahl, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 49, 51; für eine Grenze von mindestens 75 % (zur Kommissionsfassung) BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017, v. 4/2017, ZIP 2017, 789, 791; Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 28.2.2017, S. 9; mindestens 90 % forderte die DK, Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 14.11.2018, S. 14. 15) Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 28.2.2017, S. 9. 16) Ebenso neben den vorgenannten Stimmen Flöther, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 4, 5; Müller, ZGR 2018, 56, 75; Madaus, DB 2019, 592, 595; Madaus in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 209; wohl auch Hofmann, NZI Beilage Heft 16-17/2019, S. 22, 26. 17) Kowalewski/Praß in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 9 Rz. 126.

340

Kowalewski/Praß

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

satzes für sinnvoll erachten. Je weiter das Unternehmen, das sich einem präventiven Restrukturierungsrahmen unterwirft, noch von der eigentlichen Insolvenz entfernt ist, desto überzeugender ist der Ruf nach hohen Mehrheiten zum Schutz vor Missbrauch und zur Verbesserung der Akzeptanz des Verfahrens. Je dichter aber das Unternehmen an der eigentlichen Insolvenz dran ist, desto mehr rückt die 50 %Mehrheit des Insolvenzplanverfahrens in den Fokus und es ist nicht ersichtlich, warum die Option des präventiven Restrukturierungsverfahrens dadurch entwertet wird, dass nicht dieselben Mehrheiten ausreichend sein sollen wie im Insolvenzplan. Der Gesetzgeber hat am Ende die Finger von jeder Form einer differenzierten Lösung gelassen und sich auf Ebene der Summenmehrheit schlicht für den strengsten denkbaren Ansatz entschieden (75 % sämtlicher Planbetroffener innerhalb der Gruppe) und dabei auf die Kopfmehrheit vollständig verzichtet. Damit hat er (jedenfalls im Hinblick auf die erforderliche Summenmehrheit) eine Chance für sachlich gerechtfertigte Differenzierungen vertan, bewegt sich aber im Einklang mit der Restrukturierungsrichtlinie.

12

III. Überblick zum Tatbestand § 25 Abs. 1 legt fest, welche Mehrheiten jeweils in einer Gruppe erreicht werden müssen. § 25 Abs. 2 regelt das Stimmrecht, wenn eine Forderung oder ein Recht mehreren Planbetroffenen gemeinschaftlich zusteht.

13

IV. Mehrheitserfordernis von 75 % Summenmehrheit (Abs. 1) 1.

Grundsätze

Wie in Art. 9 Abs. 6 Unterabs. 2 Satz 1 der Restrukturierungsrichtlinie vorgesehen, hat der Gesetzgeber in § 25 Abs. 1 festgelegt, welche Mehrheiten für eine Entscheidung innerhalb der Gruppen erforderlich sind. Er hat sich für das maximal mögliche Mehrheitserfordernis von 75 % entschieden (vgl. Art. 9 Abs. 6 Unterabs. 2 Satz 2 Restrukturierungsrichtlinie). Allerdings wurde nicht von der Möglichkeit des Art. 9 Abs. 6 Unterabs. 1 Satz 2 Restrukturierungsrichtlinie Gebrauch gemacht, zusätzlich zur Summenmehrheit auch eine Kopfmehrheit zu verlangen. § 25 sieht lediglich eine Summen- und keine kumulative Summen- und Kopfmehrheit vor.

14

Insgesamt scheint sich die Regelung des § 25 Abs. 1 am besten durch einen Vergleich mit der Parallelnorm des § 244 Abs. 1 InsO für den Insolvenzplan zu erschließen. Für die Annahme des Restrukturierungsplans wird im Unterschied zur Regelung für den Insolvenzplan keine Mehrheit von 50 %+x, sondern eine 75 %ige Mehrheit verlangt. Es reicht nach dem aus, wenn genau 75 % zustimmen. Wichtig und für die Praxis schon bei Planung der Gruppenbildung von zentraler Bedeutung ist dabei, dass für die Berechnung der Zustimmungsquote im Restrukturierungsplan ausweislich der Regierungsbegründung sämtliche Stimmen der Stimmberechtigten zählen.18) Das bedeutet, dass tatsächlich 75 % sämtlicher Stimmberechtigten

15

_____________ 18) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 127.

Kowalewski/Praß

341

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

der Gruppe zustimmen müssen und es nicht wie im Insolvenzplan19) nur auf die abstimmenden („present and voting“) Stimmen ankommt.20) Daraus ergeben sich zusammengefasst folgende Unterschiede zwischen Restrukturierungs- und Insolvenzplan: Übersicht

16

17

Restrukturierungsplan

Insolvenzplan

Erforderliche Summenmehrheit

75 %

50 %+x

Zählende Stimmen für die Mehrheitsberechnung

Stimmrechte sämtlicher Stimmberechtigten

Nur abgegebene Stimmen

Zusätzliche Kopfmehrheit?

Nicht erforderlich

Erforderlich

Insbesondere das im Vergleich zum Insolvenzplan sehr hohe Mehrheitserfordernis21) wird bei den Beteiligten bzw. zuvorderst dem Schuldner bei Überlegungen zu der Option einer Restrukturierung über einen Restrukturierungsplan eine große Rolle spielen. Enthaltungen und nicht abgegebene Stimmen – und vor allem auch „no shows“ – wirken wie Ablehnungen.22) Nimmt in einer Gruppe also kein Stimmberechtigter an der Abstimmung teil, ist die gesamte Gruppe wie eine ablehnende Gruppe zu werten.23) Grundsätzlich muss der Planersteller daher dafür Sorge tragen, mindestens 75 % der Planbetroffenen in jeder Gruppe (i) überhaupt zur Teilnahme an der Abstimmung und dann auch (ii) zur Zustimmung zu bewegen. Gelingt ihm dies nicht, kann ein Restrukturierungsplan nur über einen gruppenübergreifenden Cram-down durchgesetzt werden – mit den damit einhergehenden verschärften Voraussetzungen und Hürden (§§ 26 ff.), insbesondere auch der Zustimmung der Mehrheit der abstimmenden Gruppen und der schärferen Behandlung der Gruppe der Anteilsinhaber (zu den konkreten Voraussetzungen dieser Grundregel und den Ausnahmen siehe § 26 Rz. 24 ff.). Bemerkenswert ist, dass der Gesetzgeber bei den Anforderungen für den gruppenübergreifenden Cram-down wiederum auf die Mehrheit der „abstimmenden“ Gruppen abstellt (§ 26 Abs. 1 Nr. 3). Denn dies dürfte in der Praxis nur eine geringe Entlastung für den Planersteller darstellen, da entweder ohnehin schon jede Gruppe als „abstimmende Gruppe“ zu verstehen ist oder zumindest bei Abstimmung nur eines Betroffenen einer Gruppe die Gruppe als abstimmende Gruppe zu werten sein dürfte (siehe dazu § 26 Rz. 65 ff.). Ein Planersteller wird sich bei seiner Planung kaum darauf verlassen können, dass nicht

_____________ 19) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 244 Rz. 9; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 244 Rz. 2; Braun-Braun/Frank, InsO, § 244 Rz. 4; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 244 Rz. 4. 20) So auch Braun-Herzig, StaRUG, § 25 Rz. 4. 21) Vgl. auch Skauradszun, KTS 2021, 1, 26, 61; Braun-Herzig, StaRUG, § 25 Rz. 10; dadurch wird nach Bork, ZRI 2021, 345, 355 f. ein höheres Schutzniveau erreicht als beim Insolvenzplan. 22) Spahlinger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32, 33; Schelo, WM 2021, 513, 515. 23) Braun-Herzig, StaRUG, § 25 Rz. 4.

342

Kowalewski/Praß

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

wenigstens ein Betroffener pro Gruppe eine Stimme abgibt – insbesondere bei Gruppen, die im Zweifel überstimmt werden müssen. Dass bei § 25 Abs. 1 nicht allein auf die Mehrheit der abstimmenden Planbetroffenen abgestellt wird, wird insbesondere bei großen „Publikums-Gruppen“ zu praktischen Schwierigkeiten führen, etwa bei Aktionären einer börsennotierten AG oder bei Schuldverschreibungsgläubigern, da es hier häufig sehr schwierig sein kann, die stimmberechtigten Personen überhaupt zu erreichen. Durch die freie Handelbarkeit kann sich die Gruppe der zu überzeugenden Personen zudem sehr schnell und laufend ändern. Es bleibt jedoch nichts anderes übrig als per heute diese gesetzgeberische Entscheidung zu akzeptieren. Wie dargestellt (siehe oben Rz. 6 ff.) ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber damit über die Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie hinausgegangen ist. Der offenbar hinter § 25 Abs. 1 stehende Gedanke ist auch nicht abwegig, wenn auch in den genannten Konstellationen schlicht fern der Praxis: Der Schuldner soll – auch aus verfassungsrechtlichen Gründen – einen Eingriff in die Rechtspositionen der Planbetroffenen außerhalb eines gerichtlichen Vollstreckungsverfahrens (wie dem Insolvenzverfahren) nur dann mit den (durchaus einschneidenden) Mitteln des StaRUG durchsetzen können, wenn er dafür zumindest „echte“ 75 % Zustimmung in jeder Gruppe erhält oder, sofern dies nicht gelingt, die Zustimmung über die (wiederum stark schützenden) Regelungen des gruppenübergreifenden Cram-down erreichen können.24) Bei Zustimmung einer Drei-ViertelSummenmehrheit aller stimmberechtigten Gruppenmitglieder ist jedenfalls dem insoweit erhöhten Rechtfertigungsbedürfnis für einen gruppeninternen Cram-down außerhalb der Insolvenz Genüge getan.25)

18

Dass in vielen Fällen dieser Gedanke nicht verfängt, zeigt sich daran, dass der Schuldner in der Regel bei Durchführung eines StaRUG-Verfahrens nur zwei Alternativen haben wird: Eine Restrukturierung nur einzelner Forderungen über einen Restrukturierungsplan oder die Insolvenz, die eine Gesamtkonsolidierung bedeuten würde. In diesen Fällen fragt man sich schon, woraus die Rechtfertigung für das im Vergleich zum Insolvenzverfahren deutlich höhere Mehrheitserfordernis eigentlich folgt. Im Rahmen der Evaluation sollte daher die gesamte Regelung auf den Prüfstand kommen.

19

2.

Besonderheiten bei Schuldverschreibungsgläubigern

Für Schuldverschreibungsgläubiger wurden die zuvor nur im Insolvenzverfahren des Schuldners geltenden Regelungen des § 19 SchuldVG in Bezug auf Abstimmung und Vertretung im Insolvenzverfahren durch den mit dem SanInsFoG neu geschaffenen § 19 Abs. 6 SchuldVG auf den Restrukturierungsrahmen übertragen. Die Regierungsbegründung zur Änderung des § 19 SchuldVG führt diesbezüglich aus, dass für die Beschlüsse der Gläubiger die Bestimmungen des StaRUG gelten, soweit sich aus der lediglich entsprechenden Anwendung der Absätze 2 bis 5 des § 19 SchuldVG nichts anderes ergibt.26) _____________ 24) In diese Richtung auch Proske/Streit, NZI 2020, 969, 970 f. 25) Vgl. insoweit auch Skauradszun, KTS 2021, 1, 61; Madaus/Wessels, ZEuP 2020, 800, 814. 26) Begr. RegE SanInsFoG z. SchuldVG, BT-Drucks. 19/24181, S. 222.

Kowalewski/Praß

343

20

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

21

Für die Abstimmung über den Restrukturierungsplan und damit auch für die Mehrheitsbildung nach § 25 Abs. 1 ist in diesem Zusammenhang die Möglichkeit der Schuldverschreibungsgläubiger von großer Bedeutung, einen gemeinsamen Vertreter zur kollektiven Wahrnehmung ihrer Rechte bestellen zu können. Auch für das Insolvenzverfahren sieht § 19 Abs. 2 Satz 1 SchuldVG eine solche Möglichkeit vor. Die Bestellung hat gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 SchuldVG in einer eigens vom Insolvenzgericht zwingend hierzu einzuberufenden Gläubigerversammlung stattzufinden. Ob für die Abstimmung über die Bestellung eines Vertreters die Vorschriften des SchuldVG oder die der InsO gelten sollten, ist seit jeher in den Details unklar.27) Das liegt insbesondere an § 19 Abs. 1 Satz 1 SchuldVG, wonach für die Beschlüsse der Gläubiger grundsätzlich die InsO Vorrang haben soll, jedoch nur soweit nicht die § 19 Abs. 2 bis 5 SchuldVG etwas anderes bestimmen. Im § 19 Abs. 2 Satz 1 SchuldVG heißt es allerdings, dass die Gläubiger „durch Mehrheitsbeschluss“ den gemeinsamen Vertreter wählen können. Während in Bezug auf die übrigen Durchführungs- und Abstimmungsfragen – bspw. die Mehrheitsberechnung und das Beschlussfähigkeitsquorum – eindeutig die insolvenzrechtlichen Normen Anwendung finden,28) stellt sich bezüglich des konkreten Mehrheitserfordernisses für die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters die Frage, ob nicht § 19 Abs. 2 Satz 1 SchuldVG eine „anderweitige Bestimmung“ i. S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 SchuldVG darstellt. Wäre dies der Fall, ergäbe sich das einfache Mehrheitserfordernis direkt aus § 19 Abs. 2 Satz 1 SchuldVG;29) wäre dies nicht der Fall, ergäbe sich das einfache Mehrheitserfordernis über die Verweisung auf die insolvenzrechtlichen Normen über § 19 Abs. 1 Satz 1 SchuldVG i. V. m. § 76 Abs. 2 InsO.30) Für den Insolvenzplan war diese Diskussion daher bislang nur von dogmatischer Relevanz, am Ende stand immer das Erfordernis einer einfachen Summenmehrheit der Anleihengläubiger.

22

Für den Restrukturierungsplan hat sich der Gesetzgeber mit dem SanInsFoG darauf beschränkt, in § 19 Abs. 6 SchuldVG die anderen Absätze des § 19 SchuldVG schlicht für entsprechend anwendbar zu erklären, wenn der Schuldner Instrumente des StaRUG in Anspruch nimmt. Damit kommt der eben angesprochenen Frage nach dem Verhältnis zwischen § 19 Abs. 2 SchuldVG und § 19 Abs. 1 SchuldVG neue Relevanz zu. Würde man § 19 Abs. 2 Satz 1 SchuldVG nicht als Sondervorschrift auffassen, dann müssten gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 SchuldVG nun die Regeln des StaRUG für die Bestellung des gemeinsamen Vertreters herangezogen werden.

23

Während im Insolvenzrecht in dieser Hinsicht Klarheit herrschte, dass in diesem Fall die Vorschriften zur Gläubigerversammlung (§§ 74 ff. InsO) herangezogen werden _____________ 27) Vgl. nur Vogelmann/Käppler, ZInsO 2018, 2169; Borowski, NK-SchuldVG, § 19 Rz. 19 ff. 28) So die h. M., der sich auch der BGH angeschlossen hat, BGH, Urt. v. 16.11.2017 – IX ZR 260/15, Rz. 12, ZIP 2017, 2312. 29) So Müller in: Heidel, AktR, § 19 SchVG Rz. 4; Langenbucher/Bliesener/SpindlerBliesener/Schneider, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 19 SchVG Rz. 20; Fischer, WM 2018, 1529, 1534; Gloeckner/Banken, ZIP 2015, 2393, 2396; Knapp in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 19 SchVG Rz. 49. 30) Sich auf § 19 Abs. 2 Satz 1 SchVG berufend Thole, ZIP 2014, 293, 297; Westpfahl/Seibt in: A. Schmidt, Sanierungsrecht, Anh. § 39, § 19 SchVG Rz. 48; Vogelmann/Käppler, ZInsO 2018, 2169, 2172; Martini in: Bork/Hölzle, Hdb. InsR, Kap. C Rz. 64; Knof in: HambKomm-InsO, Anh. II SchVG Rz. 46; Blaufuß/Braun, NZI 2016, 5, 7; Kessler/Rühle, BB 2014, 907, 911.

344

Kowalewski/Praß

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

mussten, ist dies im StaRUG keineswegs eindeutig, denn das StaRUG kennt schlicht kein der Gläubigerversammlung ähnliches Organ. Im Restrukturierungsrahmen sind überhaupt nur zwei geregelte Abstimmungsprozesse vorhanden: die Abstimmung über den Restrukturierungsplan mit dem Erfordernis einer 75 %-Summenmehrheit gemäß § 25 Abs. 1 und die Abstimmung innerhalb des Gläubigerbeirats, bei der gemäß der Verweisungskette der § 93 Abs. 2 Satz 2 StaRUG i. V. m. §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, 72 InsO eine einfache Kopfmehrheit erreicht werden muss. Damit sind im Ergebnis drei verschiedene Mehrheitserfordernisse für die Bestellung des gemeinsamen Vertreters denkbar: die einfache Summenmehrheit (§ 19 Abs. 2 Satz 1 SchuldVG), die 75 %-Summenmehrheit (§ 25 Abs. 1 StaRUG) und die einfache Kopfmehrheit (§ 93 Abs. 2 Satz 2 StaRUG i. V. m. §§ 21 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1a, 72 InsO). In einem ersten Schritt kann zunächst die Geltung der im Gläubigerbeirat geltenden Kopfmehrheit ausgeschlossen werden. Einerseits dürfte das Gremium im Restrukturierungsrahmen nur eine Randerscheinung darstellen,31) andererseits passt die Kopfmehrheit für die vorliegende Situation nicht.32) Darüber hinaus kann eine Verweisung auf den § 93 StaRUG schon nicht gewollt gewesen sein, denn der § 93 ist auf Empfehlung des Rechtsausschusses erst zu einem Zeitpunkt in das Gesetz eingefügt worden, zu dem es die Verweisung des § 19 Abs. 6 i. V. m. Abs. 1 SchuldVG bereits gegeben hat.33) Damit wird die Frage auf eine Entscheidung zwischen einer Drei-Viertel-Summenmehrheit und einer einfachen Summenmehrheit reduziert. Gegen das Erfordernis einer 75 %-Mehrheit spricht zunächst, dass eine solche bei den Anleihegläubigern in der Praxis schwer einzuholen ist.34) Das entspricht auch der Vorstellung des Gesetzgebers, der eine gemeinsame Vertretung der Anleihegläubiger für „wünschenswert“ hält.35) Zudem passt das Mehrheitserfordernis des § 25 Abs. 1 schon inhaltlich nicht, denn es geht nicht um die Abstimmung über den Restrukturierungsplan, sondern lediglich um die Bestellung des gemeinsamen Vertreters. Auch in der Situation des Insolvenzverfahrens wird nicht auf § 244 InsO abgestellt, sondern auf die Vorschriften zur Gläubigerversammlung. Es kann daher nur überzeugen, für die Bestellung des gemeinsamen Vertreters eine einfache Summenmehrheit in der ersten Gläubigerversammlung ausreichen zu lassen.36) § 19 Abs. 2 Satz 1 SchuldVG stellt insoweit eine anderweitige Bestimmung i. S. von § 19 Abs. 1 Satz 1 SchuldVG dar. Ansonsten wäre die Formulierung „durch Mehrheits_____________ 31) Zu den Voraussetzungen einer Einsetzung und der praktischen Bedeutung Ahrens, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 57. 32) Im SchuldVG gilt generell eine Summenmehrheit (§§ 5, 6 SchuldVG) und auch in der parallelen Situation der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wird auf eine Summenmehrheit abgestellt, s. oben Rz. 23. 33) Vgl. hierzu bereits den Begr. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, S. 243, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFo G.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 10.8.2021), und später die Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/25303, S. 86. 34) So auch Lürken, ZIP 2021, 1305, 1309. 35) Begr. RegE SchuldVG, BT-Drucks. 16/12814, S. 25. 36) Im Ergebnis so auch Lürken, ZIP 2021, 1305, 1309; Skauradszun/Kümpel, WM 2021, 1122, 1124.

Kowalewski/Praß

345

24

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

beschluss“ im § 19 Abs. 2 Satz 1 SchuldVG auch schlicht bedeutungslos.37) Damit wird ein Gleichlauf der Mehrheitserfordernisse in Insolvenzverfahren und Restrukturierungsrahmen hergestellt, in beiden Fällen gilt die einfache Summenmehrheit. 25

Abseits der erforderlichen Zustimmungsquote für die Bestellung des gemeinsamen Vertreters stellt sich die Frage, ob für die Durchführung der zur Bestellung des gemeinsamen Vertreters einberufenen Gläubigerversammlung die Regeln des StaRUG entsprechend gelten – die Regeln des SchuldVG sind nach § 19 Abs. 2 Satz 2 expressis verbis nur für die Einberufung der Versammlung anzuwenden. Darauf deutet – wie oben (siehe Rz. 20) erwähnt – die Regierungsbegründung hin. Mangels Alternativen könnte insoweit nur auf die Vorschriften zur gerichtlichen Abstimmung über den Restrukturierungsplan zurückgegriffen werden (§ 45). Es gäbe damit u. a. kein Beschlussfähigkeitsquorum und es käme bei der Mehrheitsberechnung auf die Zahl sämtlicher Stimmberechtigter an. Dieses „Zusammenpflücken“ einzelner – aus verschiedenen Normen folgender – Bausteine wäre jedoch ersichtlich wenig konsistent und es fragt sich, ob dies vom Gesetzgeber tatsächlich so intendiert wäre. Bei einer Gesamtschau der zahlreichen Unklarheiten des pauschalen Verweises in § 19 Abs. 6 SchuldVG spricht viel dafür, dass der Verweis insgesamt nicht für die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters gilt, sondern insoweit allein die allgemeinen Vorschriften des SchuldVG gelten.38) Davon zu unterscheiden ist die Frage, wie weitreichend die Handlungsbefugnisse des gemeinsamen Vertreters dann i. R. der Planabstimmung sind:

26

Ist ein Vertreter der Schuldverschreibungsgläubiger gewählt, geht im Insolvenzverfahren die Verfügungsbefugnis über die einzelnen Forderungen gemäß § 19 Abs. 3 SchuldVG auf ihn über. Um den gesetzlichen Zweck einer effizienten und zügigen Abwicklung in der Insolvenz zu erreichen wird vertreten, dass der gemeinsame Vertreter den Gesamtnennbetrag der Schuldverschreibungen global anmelden kann, ohne die einzelnen Gläubiger in persona zu kennen.39) Sofern kein gemeinsamer Vertreter bestellt ist, müssen hingegen die Individualgläubiger ihre Rechte selbständig wahrnehmen.40)

27

Obwohl die Verfügungsmacht auf den gemeinsamen Vertreter übergeht, ist er gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 SchuldVG im Innenverhältnis an die Weisungen der Schuldverschreibungsgläubiger gebunden. Für das Insolvenzplanrecht hat sich insoweit folgender Meinungsstand herausgebildet: Im Außenverhältnis ist die Vertretungsmacht des Vertreters grundsätzlich unbeschränkt; die von diesem für die einzelnen Schuldverschreibungsgläubiger abgegebene Stimme ist also in jedem Falle wirksam.41) Eine Ausnahme soll nur für die Zustimmung zu einem Debt Equity Swap _____________ 37) So bereits Vogelmann/Käppler, ZInsO 2018, 2169, 2172. 38) Im Ergebnis so auch Skauradszun/Kümpel, WM 2021, 1122, 1124. 39) Knapp in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 19 SchVG Rz. 101; Müller in: Heidel, AktR, § 19 SchVG Rz. 6. 40) Langenbucher/Bliesener/Spindler-Bliesener/Schneider, Bankrechts-Kommentar, § 19 SchVG Rz. 26; Knapp in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 19 SchVG Rz. 104; VerannemanRattunde, SchVG, § 19 Rz. 72. 41) Langenbucher/Bliesener/Spindler-Bliesener/Schneider, Bankrechts-Kommentar, § 19 SchVG Rz. 26 ff.; Knof in: HambKomm-InsO, Anh. II SchVG Rz. 84.

346

Kowalewski/Praß

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

aufgrund des speziellen Zustimmungserfordernisses aus § 225a Abs. 2 Satz 2 InsO gelten. Hierfür hat der Vertreter zwingend vorher einen Bestätigungsbeschluss der betroffenen Anleihengläubiger einzuholen.42) Im Innenverhältnis ist der Vertreter nach wie vor an den Gläubigerwillen gebunden, § 7 Abs. 2 Satz 2 SchuldVG. Handelt der Vertreter gegen entsprechende interne Weisungsbeschlüsse, setzt er sich einem Haftungsrisiko aus, § 7 Abs. 3 Satz 1 SchuldVG.43) Ob das bloße Abstimmen ohne die Einholung eines vorherigen Beschlusses der Anleihegläubiger auch zu einer Haftung führen kann, wird dabei unterschiedlich beurteilt.44) Diese Grundsätze lassen sich auf das Restrukturierungsplanverfahren übertragen: Im Außenverhältnis bleibt der gemeinsame Vertreter gemäß § 19 Abs. 3 SchuldVG mit unbeschränkbarer Vertretungsmacht ausgestattet.45) Das trägt auch zu einem effizienten und rechtssicheren Abstimmungsprozess bei.46) Ein zwingend vor der Abstimmung über den Restrukturierungsplan einzuholender Beschluss der Anleihegläubiger wird im Insolvenzerfahren nicht für erforderlich gehalten und er ist auch weder in § 19 Abs. 3 SchuldVG noch im neuen § 19 Abs. 6 SchuldVG vorgesehen, so dass eine Stimmenabgabe des gemeinsamen Vertreters im Außenverhältnis auch ohne internen, spezifischen Zustimmungsbeschluss wirksam wäre (§ 19 Abs. 3 SchuldVG). Gleichwohl können die Anleihegläubiger jederzeit, auch nach der ersten Gläubigerversammlung, weitere Versammlungen durchführen. In diesen – oder auch direkt in der ersten Versammlung – können sie dem gemeinsamen Vertreter Weisungen für die Abstimmung über den Restrukturierungsplan erteilen. Für die Einberufung und Durchführung dieser weiteren Versammlungen sowie für die maßgeblichen Quoren gelten nach der für das Insolvenzrecht ganz h. M. die Bestimmungen des SchuldVG.47) Für einen Weisungsbeschluss reicht daher grundsätzlich einfache Mehrheit.48)

28

Entscheiden sich die Anleihegläubiger in der ersten Gläubigerversammlung gegen die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters und holen sie dies auch nicht in späteren Versammlungen nach, sind sie jeweils einzeln zur Teilnahme an der Abstimmung über den Restrukturierungsplan berechtigt. Für diesen Fall sind gemäß §§ 19 Abs. 6 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 SchuldVG die Vorschriften des StaRUG maßgeb-

29

_____________ 42) Thole, ZIP 2014, 293, 300; Westpfahl/Seibt in: A. Schmidt, Sanierungsrecht, Anh. § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 67, 54; Veranneman-Rattunde, SchVG, § 19 Rz. 78; Knapp in: Hopt/ Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 19 Rz. 75. 43) Thole, ZIP 2014, 293, 298; Knapp in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 19 SchVG Rz. 78; Langenbucher/Bliesener/Spindler-Bliesener/Schneider, Bankrechts-Kommentar, § 19 SchVG Rz. 31; Veranneman-Rattunde, SchVG, § 19 Rz. 80. 44) Vgl. Knapp in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 19 SchVG Rz. 79 m. w. N. 45) So auch Skauradszun/Kümpel, WM 2021, 1122, 1124. 46) Vgl. insoweit Begr. RegE SchuldVG, BT-Drucks. 16/12814, S. 25. 47) Hopt/Seibt-Knapp, Schuldverschreibungsrecht, § 19 SchVG Rz. 61 ff.; Langenbucher/ Bliesener/Spindler-Bliesener/Schneider, Bankrechts-Kommentar, § 19 SchVG Rz. 36; Veranneman-Rattunde, SchVG, § 19 Rz. 65 ff.; Müller in: Heidel, AktR, § 19 SchVG Rz. 7; Lürken/Ruf in: Theiselmann, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, Kap. 5 Rz. 184 ff.; diff. Knof in: HambKomm-InsO, Anh. II SchVG Rz. 64. 48) Im Ergebnis so auch Lürken, ZIP 2021, 1305, 1310.

Kowalewski/Praß

347

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

lich mit der Folge, dass in der Gruppe bzw. den Gruppen der Schuldverschreibungsgläubiger eine Zustimmung von 75 % erreicht werden muss.49) 30

Insgesamt ergibt sich damit folgender Ablauf: Wenn Forderungen von Schuldverschreibungsgläubigern gestaltet werden sollen, so ist die Einberufung der ersten Gläubigerversammlung zunächst über den Bundesanzeiger und evtl. über weitere Medien bekannt zu machen (§ 19 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 12 Abs. 2 SchuldVG).50) Im Anschluss steht es den Gläubigern frei, in der Versammlung einen gemeinsamen Vertreter zu bestellen. Dafür reicht grundsätzlich51) ein Mehrheitsbeschluss von 50 %+x der teilnehmenden Schuldverschreibungsgläubiger, es sei denn die Anleihebedingungen sehen etwas anderes vor (§ 19 Abs. 2 SchuldVG). Der gemeinsame Vertreter ist dann zur einheitlichen Stimmabgabe bei der Planabstimmung ermächtigt (§ 19 Abs. 3 i. V. m. Abs. 6 SchuldVG), wäre jedoch an interne Weisungen gebunden (§ 7 Abs. 2 Satz 2 SchuldVG), die es im untersagen können, für den Plan zu stimmen. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass der gemeinsame Vertreter die Stimmen stets nur einheitlich abgeben kann.52) Entscheiden sich die Schuldverschreibungsgläubiger gegen einen gemeinsamen Vertreter, können sie einzeln an der Abstimmung teilnehmen; es gilt für sie bei der Planabstimmung das allgemeine 75 %-Mehrheitserfordernis des § 25 Abs. 1 StaRUG (§ 19 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 6 SchuldVG). V. Gemeinschaftlich gehaltene Forderungen und Rechte (Abs. 2) 1.

31

Gemeinsame Stimmabgabe bei Gläubigermehrheiten (Abs. 2 Satz 1)

§ 25 Abs. 2 Satz 1 bestimmt, dass Planbetroffene, denen eine Forderung oder ein Recht gemeinschaftlich zusteht, bei der Abstimmung als ein Planbetroffener behandelt werden. a) Unklarer Anwendungsbereich der Vorschrift

32

Die Norm hat sich auch ausweislich der Regierungsbegründung an ihrem Vorbild im Insolvenzplan in § 244 Abs. 2 InsO orientiert.53) Bei näherer Betrachtung der insolvenzrechtlichen Literatur und der Gesetzesbegründung zur InsO wird jedoch deutlich, dass sich die Ausgangsbedingungen zur Regelung im StaRUG deutlich unterscheiden. In der InsO ist der Hintergrund, dass zur Annahme des Insolvenzplans zusätzlich zur Summenmehrheit eine Kopfmehrheit erforderlich ist, § 244 Abs. 1 InsO. Das galt in gleicher Weise auch schon in der Vorgängernorm des § 72 Abs. 2 VerglO zur Annahme des Vergleichsvorschlags. Die Vorschrift des § 244 Abs. 2 Satz 1 InsO war dementsprechend vor allem notwendig, um zu verhindern, dass eine einzige Forderung – dann, wenn auf Gläubigerseite mehrere Personen _____________ 49) Zum prinzipiellen Vorrang des StaRUG in seinem Anwendungsbereich vgl. Langenbucher/ Bliesener/Spindler-Bliesener/Schneider, Bankrechts-Kommentar, § 19 SchVG Rz. 1. 50) Vgl. Lürken, ZIP 2021, 1305, 1308 f. 51) Zu Ausnahmen s. Langenbucher/Bliesener/Spindler-Bliesener/Schneider, BankrechtsKommentar, § 7 SchVG Rz. 8, 9. 52) Vgl. zum Insolvenzplan Langenbucher/Bliesener/Spindler-Bliesener/Schneider, BankrechtsKommentar, § 19 SchVG Rz. 28; Verannemann-Rattunde, SchVG, § 19 Rz. 79; Knapp in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 19 SchVG Rz. 111. 53) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 127.

348

Kowalewski/Praß

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

stehen – auch mehrere Kopfstimmen gewährt.54) Es ist also so, dass sich die Regelung in § 244 Abs. 2 Satz 1 InsO eigentlich nur auf die Kopfmehrheit bezieht.55) Gläubiger, denen gemeinschaftlich ein Recht zusteht, werden i. R. der Kopfmehrheitszählung als ein Gläubiger gezählt, sie müssen diesbezüglich einheitlich abstimmen. Auf die Summenmehrheit hat die Norm erst einmal keine Auswirkungen, denn hier droht nicht die beschriebene Doppelung. Dies zeigt sich auch daran, dass dann, wenn lediglich einer der gemeinschaftlich Berechtigten abstimmt – und die anderen bspw. nicht an der Abstimmung teilnehmen – diese eine Stimmabgabe in der Höhe der jeweiligen Forderung des Abstimmenden bei der Summenmehrheit berücksichtigt werden soll.56) Damit wird die klare Abgrenzung deutlich: § 244 Abs. 2 InsO hat im Ergebnis nur eine Auswirkung auf die Kopfmehrheit, nicht jedoch auf die Summenmehrheit. In der Abstimmung zum Restrukturierungsplan im StaRUG gibt es jedoch kein Erfordernis einer Kopfmehrheit, es kommt vielmehr ausschließlich auf die Summenmehrheit an. Aus der Regierungsbegründung, die darauf verweist, dass „Stimmabgaben aus gemeinschaftlich gehaltenen Forderungen und Rechten nur einmal berücksichtigt werden“ wird nicht klar, ob sich der Gesetzgeber dieses Unterschieds bewusst war. Denn das Problem, dass für eine Forderung mehrere Stimmen gewährt werden, ist wie gezeigt gerade ein Problem der Kopfmehrheit, nicht der Summenmehrheit.57)

33

Damit § 25 Abs. 2 Satz 1 im Kontext des Restrukturierungsplans überhaupt eine Funktion hat, müsste er folglich so ausgelegt werden, dass er das Erfordernis einer einheitlichen Stimmabgabe – und eine dementsprechende Zählung i. R. der Summenmehrheit – für gemeinschaftlich Berechtigte festlegt.58) Dafür könnte auch der Wortlaut des § 25 Abs. 2 StaRUG sprechen, der von „werden bei der Abstimmung als ein Planbetroffener behandelt“ spricht, während § 244 Abs. 2 InsO sagt „werden bei der Abstimmung als ein Gläubiger gerechnet“. Somit hätte § 25 Abs. 2 Satz 1 StaRUG genau die gegensätzliche Folge seiner Parallelnorm: Während § 244 Abs. 2 InsO Auswirkungen auf die Kopfmehrheit, nicht jedoch auf die Summenmehrheit hat, hat § 25 Abs. 2 Satz 1 keine Auswirkungen auf die (nicht existente) Kopfmehrheit, aber auf die Summenmehrheit.

34

Ob dieses Ergebnis, das der Norm zunächst einmal zu einem Anwendungsbereich verhelfen soll, tatsächlich sachgerecht erscheint, ist indes mehr als fraglich. Soweit man § 25 Abs. 2 vollständig auf die Summenmehrheit anwendet, führt dies zunächst dazu, dass die betroffenen Gläubiger nur abstimmen können, wenn sie vorher im

35

_____________ 54) Jaffè in: FK-InsO, § 244 Rz. 15 f.; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 244 Rz. 15. 55) So schon die Begr RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 208; ausdrücklich noch einmal Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 244 Rz. 7; Braun-Braun/Frank, InsO, § 244 Rz. 6; Jaffè in: FK-InsO, § 244 Rz. 15; Flöther in: BK-InsO, § 244 Rz. 9 f.; Nerlich/ Römermann-Braun, InsO, § 244 Rz. 15 f. 56) Flöther in: BK-InsO, § 244 Rz. 9 f.; Nerlich/Römermann-Braun, InsO, § 244 Rz. 15 f.; Braun-Braun/Frank, InsO, § 244 Rz. 10. 57) Das übersieht wohl Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 25 Rz. 12. 58) Zu dieser Problematik und zu dieser Auslegung auch Spahlinger in: BeckOK-StaRUG, § 25 Rz. 14 f.

Kowalewski/Praß

349

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

Innenverhältnis die erforderliche Einigung über die Stimmabgabe erzielt haben.59) Sollte es diesbezüglich für das Innenverhältnis keine abweichenden vertraglichen oder gesetzlichen Regelungen geben, gilt im Zweifel, dass sämtliche Berechtigten zustimmen müssen (100 %-Erfordernis). Werden die internen Mehrheitserfordernisse für die einheitliche Stimmabgabe nicht erreicht, kann die Stimme der gemeinschaftlich Berechtigten nicht gezählt werden. Im Insolvenzrecht ist die Lösung damit offensichtlich, bei uneinheitlicher Stimmabgabe wird die Stimme als Enthaltung gewertet.60) Da dort bei der Mehrheitsberechnung nur die Zahl der abgegebenen Stimmen maßgeblich ist, wirkt die Enthaltung aber letztlich ergebnisneutral. Hier offenbart sich das nächste Problem, das sich aus der strukturellen Verschiedenheit der Abstimmungsmechanismen in InsO und StaRUG ergibt. Wie oben dargestellt, kommt es bei der Bestimmung der Summenmehrheit im StaRUG auf sämtliche Stimmberechtigte an (siehe Rz. 15). Damit würde eine Enthaltung faktisch wie eine Ablehnung wirken. Ergebnis wäre bei einem 100 %-Erfordernis im Innenverhältnis, dass selbst bei 99 % Zustimmung der Berechtigten faktisch gegen den Plan gestimmt wird. Das verleiht den ablehnenden Stimmen ein deutlich zu großes Gewicht. 36

Dieses Problem könnte dadurch aufgelöst werden, dass wegen des durch die Restrukturierungsrichtlinie eingeführten Maximalmehrheitsquorums von 75 % im Wege einer europarechtskonformen Auslegung für das Innenverhältnis ein Mehrheitserfordernis von maximal 75 % gilt, selbst wenn (gesetzlich oder vertraglich) eine höhere Quote besteht.61) Vor dem Hintergrund des (eigentlichen) Schutzzwecks der Vorschrift (Vermeidung von Stimmdoppelungen) muss aber darüber hinaus generell der Anwendungsbereich der Vorschrift auf ein absolutes Minimum beschränkt werden, wenn man der Vorschrift überhaupt einen Anwendungsbereich zugesteht: Nur soweit aus Beweisgründen nicht feststellbar ist, welcher verhältnismäßige Anteil einem Gläubiger an einer Forderung oder einem Recht zusteht (was auch aus Vereinbarungen im Innenverhältnis folgen kann), darf durch die Betroffenen nur eine gemeinsame Stimmabgabe erfolgen. Anders gewendet: Ist der verhältnismäßige Anteil feststellbar, können die Beteiligten in der Höhe ihres Anteils an der Forderung oder ihres Rechts selbständig an der Planabstimmung teilnehmen. b) Voraussetzungen

37

Der Tatbestand des gemeinschaftlichen Zustehens eines Rechts ist wiederum identisch mit der insolvenzrechtlichen Parallelnorm. Wie dort sind auch hier von der Regelung Gesamtgläubiger gemäß § 428 BGB, Gläubiger einer unteilbaren Leistung gemäß § 432 BGB, Bruchteilsgemeinschaften (siehe zur Ausnahme Rz. 49 ff.) und Gesamthandsgemeinschaften, darunter etwa Erben- oder Gütergemeinschaften, sowie Personenge-

_____________ 59) Wolgast/Grauer-Hansen, StaRUG, § 25 Rz. 8. 60) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 244 Rz. 18; Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 244 Rz. 7; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 244 Rz. 9; Thies in: HambKomm-InsO, § 244 Rz. 9; Flöther in: BK-InsO, § 244 Rz. 11. 61) Eine Lösung über eine erlaubte Auflösung der Gemeinschaft sucht Wolgast/GrauerHansen, StaRUG, § 25 Rz. 8.

350

Kowalewski/Praß

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

sellschaften umfasst.62) Für rechtsfähige Gesellschaften ist diese Klarstellung indes an sich unnötig. Sie halten das Recht selbst und sind daher allein (nicht zusammen mit ihren Gesellschaftern) Planbetroffener und Abstimmungsberechtigter.63) Wie schon dargestellt, kann aus der Festlegung der einheitlichen Stimmabgabe noch kein Rückschluss auf die im Innenverhältnis zu erreichenden Mehrheiten der gemeinschaftlich Berechtigten gezogen werden. § 25 Abs. 2 Satz 1 enthält hierzu keine Aussagen. Dies richtet sich daher nach den für das Innenverhältnis der Betreffenden geltenden Vorschriften, was generell auch der Handhabung im Insolvenzplanrecht entspricht.64) Gemäß den obigen Ausführungen (siehe Rz. 35 ff.) sind die internen Mehrheitserfordernisse bei der Einigung auf ein maximales Quorum von 75 % zu reduzieren. Nach hier vertretener Auffassung wird dies jedoch nur dann relevant, wenn nicht festgestellt werden kann, in welchem internen Verhältnis den Berechtigten die Forderung oder das Recht gemeinschaftlich zusteht, da ansonsten § 25 Abs. 2 keine Anwendung findet (siehe oben Rz. 32 ff.). 2.

38

Behandlung von Pfandrecht und Nießbrauch (Abs. 2 Satz 2)

Gemäß § 25 Abs. 2 Satz 2 gilt Abs. 2 Satz 1 entsprechend, wenn an einem Recht ein Pfandrecht oder ein Nießbrauch besteht. Das Gesetz erblickt in diesen Fällen also eine dem § 25 Abs. 2 Satz 1 ähnliche gemeinschaftliche Berechtigung.

39

Auch hier besteht die oben bereits erläuterte Problematik, dass das insolvenzrechtliche Pendant auf die Kopfmehrheit abzielt, auf die es i. R. des StaRUG nicht ankommt. Aus diesem Grund ist parallel zu § 25 Abs. 2 Satz 1 davon auszugehen, dass sich die einheitliche Stimmabgabe auf die allein maßgebliche Summenmehrheit bezieht.

40

Anders als § 25 Abs. 2 Satz 1 hat Abs. 2 Satz 2 nicht zwingend eine Personenmehrheit auf Gläubigerseite zum Gegenstand. Erfasst werden soll eine besondere Dreieckskonstellation, die dadurch entsteht, dass sowohl das Pfandrecht an Rechten als auch der Nießbrauch an Rechten (i) eine besicherte Forderung und (ii) eine Sicherungsforderung voraussetzen: Gläubiger 1 ist Inhaber der Sicherungsforderung (also des „Rechts“, an dem das Pfandrecht bzw. der Nießbrauch besteht) gegen den (Restrukturierungs-)Schuldner. Gläubiger 2 hat eine (andere) Forderung gegen den (Restrukturierungs-)Schuldner (oder einen Dritten), die durch ein Pfandrecht oder Nießbrauch an der Sicherungsforderung des Gläubigers 1 besichert wird. Soll die Sicherungsforderung (bzw. das „Recht“) durch den Plan gestaltet werden, nehmen Gläubiger 1 und Gläubiger 2 an der Abstimmung teil, da ihre beiden Rechtspositionen betroffen werden, gemäß § 25 Abs. 2 Satz 2 jedoch nur gemeinsam. Sie müssen sich bezüglich der Stimmabgabe also grundsätzlich einigen.

41

_____________ 62) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 244 Rz. 6; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 244 Rz. 15; Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 244 Rz. 7; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 244 Rz. 8; Braun-Braun/Frank, InsO, § 244 Rz. 8; Andres/Leithaus-Andres, InsO, § 244 Rz. 3. 63) Offenbar a. A. Braun-Herzig, StaRUG, § 25 Rz. 7, der bei BGB-Gesellschaften darauf abstellt, dass sich die Gesellschafter vorher über die Stimmabgabe einigen müssten, da ihnen das Recht gemeinsam zustehe (Fall des § 25 Abs. 2 Satz 1). 64) Vgl. K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 244 Rz. 9; Braun-Braun/Frank, InsO, § 244 Rz. 10; unklar Jaffè in: FK-InsO, § 244 Rz. 16.

Kowalewski/Praß

351

§ 25 42

Erforderliche Mehrheiten

Dies gilt freilich nur solange, wie auch eine hinreichende gemeinschaftliche Berechtigung vorliegt. Hier ist an § 1281 BGB und § 1077 BGB anzuknüpfen, die vorsehen, dass bei Nichtvorliegen der Pfandreife der Schuldner der Sicherungsforderung nur an den Forderungsinhaber und den Pfandrechtsgläubiger bzw. Nießbrauchberechtigen gemeinsam leisten kann. Liegt Pfandreife vor und hat sich der Pfandrechtsgläubiger bzw. Nießbrauchberechtigte das Recht gemäß § 835 Abs. 2 ZPO an Zahlungs statt überweisen lassen, steht es ihm allein zu. Er nimmt daher allein an der Abstimmung teil.65) Ist die Forderung gemäß § 836 Abs. 1 ZPO zur Einziehung überwiesen, bleibt es bei der gemeinschaftlichen Berechtigung, sodass die Berechtigten weiterhin gemeinsam abstimmen müssen. Bei Teilpfändungen gilt § 25 Abs. 2 Satz 2 nur für den jeweils verpfändeten Teil der Forderung. Für das StaRUG dürften dies theoretische Fälle bleiben. VI. Praxisrelevante Sonderkonstellationen

43

Vor dem Hintergrund, dass ein Restrukturierungsplan vor allem bei finanziellen Restrukturierungen in Betracht kommen dürfte, sollen im Folgenden einige praxisrelevante Konstellationen dahingehend näher beleuchtet werden, inwieweit sich die Vorschrift des § 25 auf die Mehrheitsfindung auswirkt. 1.

Konsortialfinanzierungen

44

Die meisten Konsortialkreditverträge sind heutzutage derart ausgestaltet, dass es sich rechtlich nicht um einen einheitlichen Kreditvertrag, sondern um ein – über den Konsortialkreditvertrag verbundenes – Bündel selbständiger Kreditverträge handelt, unter dem jede Konsortialbank dem Kreditnehmer einen Kredit bis zur Höhe ihrer jeweiligen Konsortialquote zur Verfügung stellt. Die Banken sind meist ausdrücklich weder Gesamtschuldner noch Gesamtgläubiger.66)

45

In diesem Fall liegt aus Sicht der Verfasser keine Konstellation des § 25 Abs. 2 Satz 1 vor. Es fehlt in diesen Fällen an einer gemeinsamen Berechtigung. Jeder Kreditgeber ist vielmehr allein berechtigt und stimmt mit seiner eigenen Forderung ab.

46

Daran ändert sich generell nichts, wenn durch sog. Agency-Klauseln ein Agent mit Vertretungsmacht für die Kreditgeber bestellt ist. Diese Regeln gelten typischerweise ohnehin nicht für die Vertretung bei Abstimmungen in Insolvenz- oder Restrukturierungsverfahren (was jedoch im Einzelfall geprüft werden müsste). LMAMuster-basierte Finanzierungen enthalten im Kreditvertrag etwa eine Klausel, die sagt: „The Agent is not authorised to act on behalf of a Lender (without first obtaining that Lender's consent) in any legal or arbitration proceedings relating to any Finance Document“.67) Auch wenn das Restrukturierungsplanverfahren in dieser Klausel nicht ausdrücklich genannt wird, wird es nach Sinn und Zweck der Klausel unter den Begriff „legal proceedings“ fallen, da es auch hier um Angriffe auf _____________ 65) So auch Spahlinger in: BeckOK-StaRUG, § 25 Rz. 18; zum Insolvenzplanrecht UhlenbruckLüer/Streit, InsO, § 244 Rz. 7; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 244 Rz. 17; Jaffé in: FKInsO, § 244 Rz. 27; Flöther in: BK-InsO, § 244 Rz. 19. 66) S. zu den einzelnen Gestaltungsformen Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierung, § 30. 67) S. z. B. Klausel 26.2(f) im LMA-Muster für ein „Multicurrency Term and Revolving Facilities Agreement“ (Bearbeitungsstand: 20.3.2020).

352

Kowalewski/Praß

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

die Sicherheiten geht. Und selbst wenn diese Klausel im konkreten Vertrag fehlt (oder unklarer formuliert sein sollte), kann – aus Sicht des StaRUG – jeder Kreditgeber grundsätzlich immer selbst abstimmen (er muss sich also nicht vertreten lassen), so dass auf Basis der individuellen Forderungen die erforderliche Mehrheit erreicht werden könnte. Ungeachtet dieser Frage wird der Planarchitekt genau schauen, ob sich die Kreditgeber im Innenverhältnis bestimmten Vorgaben zu Handlungen im Außenverhältnis unterworfen haben, so dass faktisch eine höhere oder niedrigere Abstimmungsquote als die 75 % des Absatz 1 erreicht werden müsste. So können bestimmte Vertragsanpassungen bereits mit einer 2/3-Mehrheit, andere hingegen nur mit Zustimmung von 80 % oder 100 % der Kreditgeber (berechnet nach Summenmehrheit) durchgesetzt werden; im Einzelfall können diesbezüglich Sonderregelungen wie z. B. „snooze-you-lose“ oder „disenfranchisement“ nach Debt Buy-back gelten. Insoweit stellt sich die Frage, ob diese Regelungen im Innenverhältnis von den Banken bei der Abstimmung zum Plan zu beachten sind, so dass eine Bank dem Plan z. B. überhaupt nur zustimmen dürfte, wenn vorher eine 100 %-Zustimmung im Innenverhältnis eingeholt wurde. Im ersten Schritt wäre zu schauen, ob diese Mehrheitsklauseln dem Wortlaut nach überhaupt für Abstimmungen im Restrukturierungsplanverfahren gelten. Sollte dies der Fall sein, ist zu sehen, dass es auch zulässig sein dürfte, wenn der Restrukturierungsplan ebenfalls in diese internen Mehrheitsregelungen eingreift.68) Zwar gelten nach dem Kreditvertrag typischerweise gerade für die Änderungen der Mehrheiten hohe Zustimmungsquoren (meist Einstimmigkeit), im Außenverhältnis bei der Planabstimmung gelten aber auch diese internen Vorschriften nicht. Insoweit lässt sich insgesamt schwer begründen, dass sich der einzelne Kreditgeber gegenüber Mitkonsorten schadenersatzpflichtig macht, wenn er die internen Änderungsvorschriften bei der Abstimmung zum Plan nicht beachtet. Das StaRUG ist ein gesetzliches Instrumentarium, das gerade auch auf solche Kreditformen zielt und für Änderungen eine 75 %-Mehrheit vorsieht. Es kann im Innenverhältnis nicht pflichtwidrig sein, wenn ein Konsorte im Außenverhältnis diese Restrukturierungsoption wahrnimmt.

47

Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass eine Klausel, die es dem Agenten erlauben würde, die Vertragsänderungen nach Einholung der internen Zustimmung mit Wirkung für alle Kreditgeber selbst zu bewirken, wegen des beschränkten Umfangs der Vertretungsmacht bei der Planabstimmung (siehe vorstehend Rz. 46) regelmäßig keine Anwendung finden wird.

48

2.

Einheitliche Sicherheit zugunsten mehrerer Gläubiger

Wird zugunsten mehrerer Gläubiger eine einheitliche Sicherheit bestellt, bilden diese grundsätzlich eine Bruchteilsgemeinschaft i. S. von §§ 741 ff. BGB.69) Als solche fallen die beteiligten Sicherungsgläubiger grundsätzlich unter die gemeinschaftlich Berechtigten in § 25 Abs. 2 Satz 1 und müssten also – wenn man Absatz 2 einen _____________ 68) So offenbar auch AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377 = BeckRS 2021, 5571. 69) Fehrenbacher in: BeckOGK-BGB, § 741 Rz. 28; K. Schmidt in: MünchKomm-BGB, § 741 Rz. 12.

Kowalewski/Praß

353

49

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

Anwendungsbereich zubilligt (siehe oben Rz. 32 ff.) – einheitlich abstimmen. Dies führt zu dem oben dargestellten Problem (siehe unter Rz. 35 ff.), dass die grundsätzliche 75 %-Mehrheit auf eine 100 %-Mehrheit angehoben werden könnte: Das Problem ist nach Auffassung der Verfasser wie oben (siehe unter Rz. 38) dergestalt aufzulösen, dass im absoluten Regelfall eine separate Abstimmung der Gläubiger erfolgt. 50

Halten mehrere Gläubiger zusammen an einem Gegenstand ein akzessorisches Sicherungsrecht (z. B. ein Pfandrecht an einem Bankkonto des Schuldners, das mehreren Gläubigern parallel bestellt wird), wird aufgrund des Akzessorietätsprinzips deutlich, dass durch das Pfandrecht jeweils nur die dem jeweiligen Gläubiger zugewiesene Forderung besichert wird. Denn wird diese befriedigt, reduziert sich automatisch auch die akzessorische Sicherheit.70) Damit handelt es sich in dieser Konstellation auch bei genauer Betrachtung nicht um ein gemeinsam gehaltenes Pfandrecht, sondern um rechtlich separate, individuelle, aber (meist) parallele Pfandrechte. Dementsprechend liegt kein Fall des Abs. 2 vor, die Sicherungsgläubiger nehmen in diesem Fall vielmehr einzeln hinsichtlich ihres jeweiligen akzessorischen Sicherungsrechts an der Abstimmung teil. 3.

„Parallel-Debt“-Besicherungen

51

Eine andere Fallgruppe betrifft die der sog. „Parallelschuld“ (Parallel Debt). Im Rahmen von Konsortialfinanzierungen stellt sich für die Beteiligten in der Regel die Frage, wie sie auf der einen Seite die freie Handelbarkeit der einzelnen Kreditengagements und die konsolidierte Vollstreckung der Sicherheiten, auf der anderen Seite aber auch eine rechtlich zulässige Besicherung mit akzessorischen Sicherungsrechten gewährleisten können. Die Lösung wird vielfach über einen Sicherheitentreuhänder gesucht, der die Sicherheiten für die Konsortialkreditgeber hält, sie im Sicherungsfall für sie verwertet und die Erlöse an sie ausschüttet. Aufgrund der Akzessorietät bestimmter Sicherungsrechte ist es für eine solche Konstruktion allerdings erforderlich, dass der Sicherheitentreuhänder eine eigene Forderung in der Höhe erhält, wie sie auch die Konsortialkreditgeber kumulativ innehaben. Daher verschafft der Kreditnehmer dem Sicherheitentreuhänder im Wege eines abstrakten Schuldversprechens i. S. von § 780 BGB eine eigene, in der Höhe und im Bestand jedoch an den Konsortialkredit gekoppelte (auch „gespiegelte“) Forderung.71) Diese wird mit dem jeweiligen akzessorischen Sicherungsrecht besichert.

52

In der Praxis gibt es sowohl Strukturen, bei denen allein das Parallel Debt besichert wird, als auch Strukturen – gerade bei kleineren Konsortien bzw. sog. „Club Deals“ –, in denen sowohl das Parallel Debt als auch die individuelle Kreditforderung der Kreditgeber besichert werden. Daher soll im Folgenden entsprechend unterschieden werden: _____________ 70) Für das Pfandrecht bspw. Damrau in: MünchKomm-BGB, § 1252 Rz. 2. 71) Zur Zulässigkeit einer solchen Lösung und auch zu den anderen Gestaltungsmöglichkeiten vgl. Weber in: BeckOGK-BGB, § 488 Rz. 360 ff.; Danielewsky/Dettmar, WM 2008, 713, 717 f.; Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierung, § 42; Bourgeois, BKR 2011, 103, 104; Josenhans/Danzmann, WM 2017, 1588, 1592 f.

354

Kowalewski/Praß

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

a) Besicherung nur des Parallel Debt Wird nur die (Parallel-)Forderung des Sicherheitentreuhänders besichert, ist der Sicherheitentreuhänder hinsichtlich der Sicherheiten dinglich alleiniger Berechtigter. Typischerweise werden im Plan gleichwohl die einzelnen Gläubiger und nicht der Sicherheitentreuhänder das volle Stimmrecht als Absonderungsanwartschaftsinhaber erhalten, da ihre Hauptforderung abgesichert ist und der Sicherheitentreuhänder die Sicherheit letztlich nur für die Gläubiger hält (siehe dazu auch § 9 Rz. 34).

53

Zu beachten ist, dass in der Regel im Sicherheitentreuhandvertrag oder Intercreditor Agreement Mehrheitserfordernisse für bestimmte Handlungen vorgesehen sind. So wird in aller Regel für die Freigabe der Sicherheit ein Einstimmigkeitserfordernis oder zumindest ein 85 %-Mehrheitserfordernis bestehen. Auch hier stellt sich die Frage, ob jeder besicherte Kreditgeber bzw. der Sicherheitentreuhänder nur abstimmen darf, wenn er vorher einen entsprechenden internen (Anweisungs-)Beschluss eingeholt hat. Das LMA Intercreditor Agreement (Bearbeitungsstand: 20.3.2020) sieht in Klausel 12.4 als Option72) eine Regelung vor, die spezifisch auf die interne Mehrheitsfindung hinsichtlich der Abstimmungen in vorinsolvenzlichen Verfahren abzielt. Nach der Musterklausel wären sämtliche Gläubiger zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten verpflichtet, wenn zuvor intern eine 66 2/3-Mehrheit dafür gefunden wird. Im Außenverhältnis stimmen die Gläubiger in diesem Fall also immer einheitlich ab, im Innenverhältnis wäre eine geringere Zustimmungsquote als nach § 25 Abs. 1 erforderlich. Nach Erfahrung der Verfasser ist diese Klausel – bewusst oder unbewusst und teilweise mit inhaltlichen Beschränkungen, insbesondere auf bestimmte Gläubigergruppen – in mehreren deutsch-rechtlichen Intercreditor Agreements enthalten. Gelegentlich wird klargestellt, dass die Klausel beschränkt sein soll auf Eingriffe in die Sicherheiten, also nicht gilt für Entscheidungen über Prolongationen, Hair Cuts etc.

54

Fehlt es an einer solchen ausdrücklichen vertraglichen Regelung und ist nach dem Intercreditor Agreement für bestimmte Vertragsänderungen (z. B. eine Sicherheitenfreigabe) eine interne Abstimmung mit einer über die Mehrheitserfordernisse des StaRUG hinausgehenden Zustimmungsquote erforderlich, müssen sich die Kreditgläubiger und der Sicherheitentreuhänder fragen, ob das Mehrheitserfordernis des StaRUG die internen Regelungen überlagert und eine interne Abstimmung entweder gar nicht erforderlich ist oder sie auch mit einer „nur“ dem StaRUG, nicht aber den internen Vorgaben genügenden Mehrheit dem Plan zustimmen dürfen. Bei LMA-Muster-basierten Finanzierungen spricht viel dafür, dass die Vorgaben des StaRUG die internen Vorgaben allgemein überlagern (jedenfalls wenn die internen Vorgaben höher sind) und eine vorherige interne Abstimmung gar nicht erst erforderlich ist. Selbst wenn im konkreten Vertrag keine der Klausel 12.4 des LMA-Musters entsprechende Regelung vorgesehen ist, dürfte es der Logik des (i. Ü. auf dem Muster basierenden) Vertrages entsprechen, dass jeder Kreditgeber _____________

55

72) Eine erläuternde Fn. der LMA an der in eckigen Klammern stehenden Klausel sagt insoweit: „This Clause is intended to operate so as to allow the Majority Senior Creditors to control how the other Creditors vote on a court sanctioned restructuring or similar arrangement. Consideration should be given, on a transaction-by-transaction basis, as to whether the Majority Senior Creditors should have this power.“

Kowalewski/Praß

355

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

in solch einem Verfahren frei von den allgemeinen Mehrheitsklauseln darüber entscheiden kann, wie er abstimmt. Das LMA-Muster scheint davon in Klausel 12.4 auszugehen; die Vorschrift regelt letztlich nur über den Grundsatz hinaus als spezielle Einschränkung, dass die einzelnen (über den Sicherheitentreuhänder besicherten) Kreditgläubiger schon durch eine interne Mehrheit von 66 2/3 zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten (ja/nein) verpflichtet werden können (zur Klarstellung: Dies ist alles keine Frage von § 25 Abs. 2). 56

Davon noch einmal unabhängig zu prüfen ist die Frage, ob sich die einzelnen Konsortialbanken im Sicherheitentreuhandvertrag oder Intercreditor Agreement dazu verpflichtet haben, Rechte aus ihren individuellen Sicherheiten – auch bei der Planabstimmung(!) – nicht selbst, sondern nur durch den Sicherheitentreuhänder wahrzunehmen. Bei LMA-Muster-basierten Finanzierungen spricht dagegen grundsätzlich wieder Klausel 12.4 des LMA-Musters für Intercreditor Agreements, selbst wenn die Klausel in den konkreten Vertrag selbst nicht aufgenommen wurde. Denn diese Klausel scheint (wie auch der zugehörige Randkommentar – vgl. dort Fn. 73 – zeigt) davon auszugehen, dass jeder (über den Sicherheitentreuhänder) besicherte Gläubiger selbst abstimmt. Dies steht auf den ersten Blick in einem gewissen Widerspruch zu der allgemeinen Klausel in 12.7 des LMA-Musters (Bearbeitungsstand: 20.3.2020): „The Secured Parties shall not have any independent power to enforce, or have recourse to, any of the Transaction Security or to exercise any right, power, authority or discretion arising under the Security Documents (other than the Facility Agreements) except through the Security Agent.” Diese Klausel erstreckt sich jedoch nach der Systematik des Vertrages auf Vollstreckungshandlungen, nicht auf die Abstimmung über Eingriffe in die Sicherungsrechte. b) Besicherung von Parallel Debt und Hauptforderung

57

Werden sowohl das Parallel Debt, also die „gespiegelte“ Forderung des Sicherheitentreuhänders, als auch die Forderungen der einzelnen Kreditgeber mit einem akzessorischen Sicherungsrecht besichert, handelt sich aufgrund des Akzessorietätsprinzips generell um eigenständige Sicherungsrechte, so dass sowohl der Sicherheitentreuhänder als auch die jeweiligen Kreditgeber separat an der Abstimmung teilnehmen könnten. Wie oben bereits unter Rz. 53 erwähnt, werden im Plan jedoch typischerweise nur die einzelnen Gläubiger das volle Stimmrecht als Absonderungsanwartschaftsinhaber erhalten. Das dürfte auch für diese Konstellation gelten.

58

Zu beachten ist zudem, dass es durch die zusätzliche Besicherung der Parallelschuld nicht zu einer Verdoppelung der Stimmgewalt (individuelle Pfandgläubiger einerseits, Sicherheitentreuhänder über das Parallel Debt (zusätzlich) andererseits) kommen kann. § 24 Abs. 1 Nr. 2 sieht vor, dass sich das Stimmrecht bei Absonderungsanwartschaften grundsätzlich nach deren Wert richtet. Der Wert kann nur einmal verteilt werden und nach den Verträgen schuldet der Schuldner die Kreditsumme wegen der Parallelschuld auch nicht zweimal.

356

Kowalewski/Praß

§ 25

Erforderliche Mehrheiten

4.

Sicherheitenpools

Werden die Sicherheiten nicht auf einen Treuhänder übertragen, sondern schließen die Sicherheitengläubiger eine sog. Poolvereinbarung73) zur gemeinsamen Verwaltung, Durchsetzung und Verwertung ihrer Rechte, ist zu differenzieren: –

Übertragen die Gläubiger ihre Rechte in den Pool und entsteht so eine GbR, vertritt die allgemeine Meinung zu § 244 Abs. 2 InsO, dass die Gläubiger (bzw. Absonderungsberechtigten) nur gemeinsam abstimmen können, also ein Fall von § 244 Abs. 2 Satz 1 vorliegt.74) Handelt es sich dabei allerdings um eine AußenGbR, wird diese (allein) der Planbetroffene sein, so dass genau genommen kein Fall von § 244 Abs. 2 Satz 1 InsO bzw. § 25 Abs. 2 Satz 1 StaRUG vorliegt.75) Hier ist wieder darauf zu achten, welche Zustimmungsquoren im Innenverhältnis gelten (siehe dazu oben Rz. 37 ff.).



Regeln die Gläubiger – was deutlich typischer ist – dagegen in der Vereinbarung nur auf schuldrechtlicher Ebene das Verfahren der Verwertung der weiterhin individuell gehaltenen Sicherheiten, z. B. die Verteilung der Erlöse, und entsteht keine GbR, bleiben die einzelnen Sicherheitengläubiger selbstständig berechtigt. In diesem Fall stimmen sie auch eigenständig ab.

59

VII. Rechtsfolge Eine direkte Rechtsfolge wird an das Erreichen der erforderlichen Mehrheit in einer Klasse von 75 % nicht geknüpft. Ob der Restrukturierungsplan angenommen wird, hängt auch von der Zustimmung der anderen Gruppen ab. Für diejenigen Gläubiger, die gegen die Annahme des Restrukturierungsplans gestimmt haben, allerdings innerhalb ihrer Gruppe überstimmt wurden, kommt es aber zu einem „gruppeninternen Cram-down“. Diese gruppeninterne Überstimmung ist – anders als der gruppenübergreifende Cram-down – generell an keine weiteren Voraussetzungen als das schlichte „Überstimmtwerden“ geknüpft.

60

Dies scheint auf den ersten Blick etwas zu überraschen, da es teilweise zufällig sein kann, ob die Zustimmung eines ablehnenden Gläubiger über das schlichte Überstimmen innerhalb der Gruppe oder einen gruppenübergreifenden Cram-down ersetzt wird und insoweit nicht ganz klar ist, warum die Voraussetzungen dafür so unterschiedlich hoch sind. Gesehen werden muss allerdings, dass auch der schlicht überstimmte Gläubiger am Ende keineswegs schutzlos dasteht:

61



Er hat zunächst (und zuvorderst) einen Anspruch darauf, durch den Plan nicht schlechtergestellt zu werden als im bestmöglichen Alternativszenario: Die Möglichkeit, einen Antrag auf Versagung der gerichtlichen Bestätigung gemäß § 64 zu stellen, steht nach dem Wortlaut des § 64 Abs. 1 Satz 1 jedem Planbe_____________ 73) Zur Grundstruktur und den verschiedenen Arten solcher Pools vgl. Schaffelhuber/Sölch in: Münch-Hdb. GesR, § 31 Rz. 8 ff.; Adolphsen in: Gottwald/Haas, InsR-Hdb., § 44 Rz. 1 ff. 74) So zu § 244 Abs. 2 Satz 1 InsO bereits die allg. M.: Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 244 Rz. 6; Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 244 Rz. 7; Nerlich/Römermann-Braun, InsO, § 244 Rz. 16; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 244 Rz. 8; Andres/Leithaus-Andres, InsO, § 244 Rz. 3; Jaffé in: FK-InsO, § 244 Rz. 21; Braun-Braun/Frank, InsO, § 244 Rz. 8. 75) Abweichend und insoweit die genannte Auffassung zu § 244 Abs. 2 InsO für das StaRUG übernehmend Braun-Herzig, StaRUG, § 25 Rz. 7.

Kowalewski/Praß

357

§ 26

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

troffenen zu, der gegen den Restrukturierungsplan gestimmt hat.76) Anders als die i. R. des § 63 beim gruppenübergreifenden Cram-down der §§ 26 ff. von Amts wegen zu prüfende kollektive Schlechterstellung der gesamten überstimmten Gruppe ist beim gruppeninternen Cram-down allerdings nur ein Antrag auf Prüfung der individuellen Schlechterstellung des einzelnen Planbetroffenen möglich. Zudem muss der Planbetroffene seine Schlechterstellung selbst glaubhaft machen. –

Des Weiteren ist der schlicht innerhalb einer Gruppe überstimmte Planbetroffene über den (beim gruppenübergreifenden Cram-down so nicht geltenden77)) gruppeninternen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 10 Abs. 1) und die Vorgaben zur Gruppenbildung (§ 9) geschützt.



Nach der gerichtlichen Bestätigung steht dem jeweiligen Planbetroffenen die sofortige Beschwerde gemäß § 66 zu.

_____________ 76) Vgl. auch Westpfahl/Dittmar, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 46, 48. 77) Beim gruppenübergreifenden Cram-down gilt hingegen das Schlechterstellungsverbot des § 27 Abs. 1 Nr. 3.

§ 26 Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung Kowalewski/Praß

(1) Wird in einer Gruppe die nach § 25 erforderliche Mehrheit nicht erreicht, gilt die Zustimmung dieser Gruppe als erteilt, wenn 1.

die Mitglieder dieser Gruppe durch den Restrukturierungsplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden als sie ohne einen Plan stünden,

2.

die Mitglieder dieser Gruppe angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der auf der Grundlage des Plans den Planbetroffenen zufließen soll (Planwert), und

3.

die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt hat; wurden lediglich zwei Gruppen gebildet, genügt die Zustimmung der anderen Gruppe; die zustimmenden Gruppen dürfen nicht ausschließlich durch Anteilsinhaber oder nachrangige Restrukturierungsgläubiger gebildet sein.

(2) Wird die nach § 25 erforderliche Mehrheit in einer Gruppe nicht erreicht, die nach § 9 Absatz 1 Satz 3 zu bilden ist, so gelten Absatz 1, § 27 Absatz 1 und § 28 für diese Gruppe nur, wenn die vorgesehene Entschädigung die Inhaber der Rechte aus der gruppeninternen Drittsicherheit für den zu erleidenden Rechtsverlust oder den Verlust der Haftung des persönlich haftenden Gesellschafters angemessen entschädigt. Literatur: Arnold/Slawik, „La boîte à outils française“ und seine Einflüsse auf das StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 79; Berner/Köster/Lambrecht, Fallstricke der vorläufigen Eigenverwaltung und des Schutzschirmverfahrens – Zugleich Plädoyer für einen differenzierten Umgang mit dem „vorgeschlagenen“ Sachwalter, NZI 2018, 425; Bochè-Robinet, Restructuring & Insolvency Guide, abrufbar unter https://www.mondaq.com/france/in-

358

Kowalewski/Praß

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

§ 26

solvencybankruptcyre-structuring/939076/restructuring-insolvency-comparative-guide (Abrufdatum: 25.8.2021); Bork, Neue Grundfragen des Restrukturierungsrechts, ZRI 2021, 345; Bork, Grundfragen des Restrukturierungsrechts, ZIP 2010, 397; Brinkmann, Der präventive Restrukturierungsrahmen als trojanisches Pferd für Finanzinvestoren, NZI Beilage Heft 16 – 17/2019, S. 27; Brinkmann, Wege aus der Insolvenz eines Unternehmens – oder: Die Gesellschafter als Sanierungshindernis, WM 2011, 97; Buchalik/ Schröder, Kann der eigenverwaltende Schuldner auch gegen seinen Willen verpflichtet werden einen M&A-Prozess einzuleiten und zu finanzieren?, ZInsO 2016, 189; Cadic, Réforme du droit des entreprises en difficulté: report de la publication de la future ordonnance, abrufbar unter https://www.editions-legislatives.fr/actualite/reforme-du-droit-desentreprises-en-difficulte%E2%80%89-report-de-la-publication-de-la-future-ordonnance (Abrufdatum 25.8.2021); Carli/Weissinger, Das Scheme of Arrangement: Neue Einsatzmöglichkeiten für deutsche Kreditnehmer, DB 2014, 1474; Decher/Voland, Kapitalschnitt und Bezugsrechtsausschluss im Insolvenzplan – Kalte Enteignung oder Konsequenz des ESUG?, ZIP 2013, 103; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Distler, Das Schlechterstellungsverbot gem. § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG in Theorie und Praxis, ZIP 2021, 1033; Eidenmüller/Engert, Reformperspektiven einer Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital (Debt-Equity-Swap) im Insolvenzplanverfahren, ZIP 2009, 541; Epeoglou, Comments on Commission’s Proposal for a Directive on Preventive Restructuring Frameworks and Second Chance for Entrepreneurs: The Third Step to the European Cross-border Insolvency Saga, Int. Corp. Rescue, Vol. 14/2017, Issue 1, S. 4; Freitag, Grundfragen der Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen und ihre Umsetzung in das deutsche Recht, ZIP 2019, 541; Fritz, Die Restrukturierungsrichtlinie – vom Mut, die Möglichkeit der Sanierung rechtzeitig zu nutzen, BB Heft 10/2019, S. I; Fröhlich/Eckhardt, Bewertung insolventer Unternehmen (in Eigenverwaltungsverfahren): Rahmenbedingungen, Herausforderungen, Lösungsansätze, Würdigung, ZInsO 2015, 925; Hofmann, Der Restrukturierungsplan im künftigen deutschen Restrukturierungsverfahren – Restrukturierungsvs. Insolvenzplan?, NZI Beilage Heft 16-17/2019, S. 22; Jacobi, Das Präventive Restrukturierungsverfahren, ZInsO 2017, 1; Jacoby, Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren, ZGR 2010, 359; Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011, S. 188 ff., abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/101018_ Gesamtbericht_Evaluierung_ESUG.pdf;jsessionid=04B8E7AD62976431818359D1040 319E8.2_cid289?__blob=publicationFile&v=2 (Abrufdatum: 25.8.2021); Jungmann, Schlechterstellungsverbote im Insolvenzplanverfahren, KTS 2006, 135; Kern, Ein Wettbewerb der Rechtsordnungen? Vergleich des niederländischen und des deutschen Umsetzungsgesetzes zur Restrukturierungsrichtlinie, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 74; Korch, Insolvenzrecht und Marktgesetze: Eine Standortbestimmung im Angesicht des EUKommissionsvorschlags für einen präventiven Restrukturierungsrahmen, ZHR 182 (2018), 440; Krohn, Rethinking Priority: The dawn of the relative priority rule and the new „best interests of creditors“ test in the European Union, Stand: 24.6.2020 (zit.: Krohn, Rethinking Priority), abrufbar unter https://ssrn.com/abstract=3554349 (Abrufdatum 25.8.2021); Lupi, The Proposed EU Directive on Preventive Restructuring Frameworks, Int. Corp. Rescue, Vol. 14/2017, Issue 5, S. 356; Mulert/Steiner, Gesellschaftsrechtlich zulässige Regelungen im Insolvenz- und Restrukturierungsplan, NZG 2021, 673; Paterson, Winds of Change: Corporate Insolvency and Proposed Reform, Corp. Rescue & Insolvency 2018, S. 17; Paulus; Der Wandel von einem gläubigerzentrierten zum einem schuldnerzentrierten Sanierungsansatz unter dem StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 9; Piekenbrock, Das ESUG – fit für Europa?, NZI 2012, 905; Proske/Streit, Rettende Restrukturierung durch Rechtsrahmen? Lob und Kritik zum Regierungsentwurf des StaRUG, NZI 2020, 969; Reus/Höfer/Harig, Voraussetzungen und Ablauf eines Eigenverwaltungsverfahrens, NZI 2019, 57; Sax/Ponsek/Swierczok, Ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren für europäische Unternehmen, BB 2017, 323; Schäfer, Zur Einbeziehung der Gesellschafter

Kowalewski/Praß

359

§ 26

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

in ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren nach dem Regierungsentwurf eines „StaRUG“, ZIP 2020, 2164; Schluck-Amend/Hacker, Revolution der vorinsolvenzlichen Unternehmenssanierung? – Das Europäische Parlament hat die Restrukturierungsrichtlinie verabschiedet, WPg 2019, 737; Skauradszun, Die Vergleichsrechnung nach § 220 Abs. 2 InsO n. F., ZIP 2021, 1091; Skauradszun, Grundfragen zum StaRUG – Ziele, Rechtsnatur, Rechtfertigung, Schutzinstrumente, KTS 2021, 1; Smid, Strukturvorgaben der Restrukturierungsrichtlinie für den „Bestätigten Restrukturierungsplan“ und seine Umsetzung im deutschen Recht, ZInsO 2020, 266; Spahlinger, Gruppen, Stimmrechte und erforderliche Mehrheiten, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32; Stohrer, Der Gläubigerschutz im präventiven Restrukturierungsrahmen, ZInsO 2018, 660; Teboul, Projet d’ordonnance de transposition de la directive Restructuration et insolvabilité, abrufbar unter https:// www.dalloz-actualite.fr/flash/projet-d-ordonnance-de-transposition-de-directive-restructuration-et-insolvabilite#.YR-Ej8Tis95 (Abrufdatum 25.8.2021); Westpfahl, Die Risiken der Banken im vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 49; Westpfahl, Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren, ZGR 2010, 385; Westpfahl/ Dittmar, Die Behandlung gruppeninterner Sicherheiten im StaRUG, NZI Beilage Heft 5/ 2021, S. 46; Zipperer, Der präventive Restrukturierungsrahmen – ein flankierendes Projekt der Kommission zur Effektivierung der EuInsVO, ZInsO 2016, 831. Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Insolvenzrecht in Zusammenarbeit mit Mitgliedern des Geschäftsführenden Ausschusses sowie der Europagruppe der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im DAV zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und der Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU v. 22.11.2016 (COM(2016) 723 final, v. 1.3.2017 (zit.: DAV, Stellungnahme Nr. 17/17, v. 1.3.2017), abrufbar unter https://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-17-17-zweite-chancefuer-unternehmen-neuer-vorschlag-fuer-eu-richtlinie; DK, Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, COM(2016) 723 final v. 22.11.2016, v. 14.11.2018 (zit.: DK, Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 14.11.2018), abrufbar unter https://die-dk.de/media/files/181114_DK_ SN-Restrukturierungsrahmen.pdf; Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme des Gravenbrucher Kreises zu den Regelungen der Europäischen Kommission vom 22. November 2016 über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 28.2.2017 (zit.: Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 28.2.2017), abrufbar unter https://www.gravenbrucher-kreis.de/2017/03/01/gravenbrucher-kreis-reicht-stellungnahme-zum-richtlinienvorschlag-%C3%BCber-pr%C3%A4ventive-restrukturierungbei-der-europ%C3%A4ischen-kommission-ein/. (Abrufdatum jeweils 25.8.2021). Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 3 1. Entstehungsgeschichte der relevanten Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie ................................... 3 2. Entstehungsgeschichte der deutschen Umsetzung ........................ 11 III. Europa- und Verfassungskonformität der §§ 26 – 28 ....................... 12 IV. Rechtsvergleich .................................. 18 V. Voraussetzungen des gruppenübergreifenden Cram-down (Abs. 1) ......... 24

360

1.

Schlechterstellungsverbot (Best-Interest-of-Creditors-Test) (Abs. 1 Nr. 1) ...................................... 25 a) Geschützter Personenkreis ......... 26 b) Grundsätzliches zur Vergleichsbetrachtung ....................... 27 c) Konkret denkbare Alternativszenarien ....................................... 41 aa) Denkbares Alternativszenario: Insolvenz(plan)verfahren ............ 41 bb) Denkbares Alternativszenario: Liquidation ................................... 44

Kowalewski/Praß

§ 26

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

2.

I.

cc) Denkbares Alternativszenario: Distressed M&A (Dual Track) ... 46 dd) Denkbares Alternativszenario: Kapitalmaßnahmen ...................... 56 d) Resümee und Handlungsempfehlungen ............................... 58 Angemessene Beteiligung am Planwert (Abs. 1 Nr. 2) ...................... 64

3.

Erforderliche Mehrheit der abstimmenden Gruppen (Abs. 1 Nr. 3) .......... 65 VI. Sonderregelung für Eingriffe in gruppeninterne Drittsicherheiten (Abs. 2) ................................................ 69 VII. Rechtsfolge ......................................... 71 1. Zustimmungsfiktion ........................... 71 2. Folge des Verstoßes gegen die Vorgaben ........................................ 72

Normzweck

§ 26 dient – im Zusammenspiel mit §§ 27, 28 – dem Zweck, einen angemessenen Ausgleich zwischen Mehrheitsentscheidung, Minderheitenschutz und Verbot des missbräuchlichen Abstimmungsverhaltens zu finden.1) Im Fall einer außergerichtlichen Sanierung sind die Gläubiger nicht verpflichtet, auf Rechte zu verzichten und sich einer Mehrheitsentscheidung zu fügen.2) Zentrale Herausforderung des Planarchitekten ist es daher, ein Restrukturierungskonzept zu entwickeln, das den vielen Einzelinteressen gleichermaßen gerecht wird,3) zugleich aber auch eine faktische Durchsetzung des Sanierungsplans sicherstellt. Gläubiger nutzen das außergerichtliche 100 %-Erfordernis teilweise als Druckmittel in der Verhandlung, um sich nach Möglichkeit individuelle Sondervorteile zu verschaffen, die aus Sicht der Gesamtheit der Gläubiger sachlich unangemessen sind. Daran kann ein außergerichtlicher Sanierungsversuch durchaus scheitern: Denn eine erfolgreiche Sanierung setzt in aller Regel voraus, die Nutzen und Lasten aller Beteiligten in angemessener Weise zu allozieren. Als wesentlicher Baustein des präventiven Restrukturierungsrahmens hilft § 26 darüber hinweg, dass sog. Akkordstörer die Unternehmenssanierung durch Restrukturierungsplan verhindern, der unter objektiven Gesichtspunkten alle Betroffenen gleichwertig oder besser stellt als es im nächstbesten Alternativszenario der Fall wäre. Durch den gruppenübergreifenden Cram-down, wie ihn § 26 i. V. m. §§ 27, 28 vorsieht, wird missbräuchlichem Abstimmungsverhalten Einhalt geboten.

1

Da die Privatautonomie der dissentierenden Parteien bei einem gruppenübergreifenden Cram-down erheblich beschränkt wird und in ihre Rechtspositionen durch die Entscheidungen Dritter eingegriffen wird, bedarf es einer detaillierten Prüfung, ob der Restrukturierungsplan tatsächlich objektiv vorteilhaft ist und dissentierende Parteien nicht unangemessen benachteiligt. Aus diesem Schutzgedanken heraus ist der gruppenübergreifende Cram-down nach der Richtlinie an hohe materielle Voraussetzungen geknüpft. Diese hohen Voraussetzungen gelten indes nur für den gruppenübergreifenden Cram-down, nicht für den „gruppeninternen Cram-down“, bei dem Planbetroffene innerhalb einer Gruppe schlicht überstimmt werden können

2

_____________ 1)

2) 3)

Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 1; vgl. auch zum Zweck des § 245 InsO auch Jaffé in: FK-InsO, § 245 Rz. 10; Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 245 Rz. 4; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 245 Rz. 1. BGH, Urt. v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, BGHZ 116, 319 = ZIP 1992, 191; vgl. hierzu auch Westpfahl, ZGR 2010, 385, 395 ff. m. w. N. Vgl. Fritz, BB Heft 10/2019, S. I, mit dem Grundsatz „Gemeinsam sanieren statt alle gegen einen vollstrecken“.

Kowalewski/Praß

361

§ 26

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

und auf diese Weise ihre Zustimmungen ersetzt werden (siehe hierzu ausführlicher § 25 Rz. 60 ff.). II. Normhistorie 1.

Entstehungsgeschichte der relevanten Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie

3

Die in § 26 aufgestellten Voraussetzungen für die gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung (auch: Cross-Class Cram-down oder gruppenübergreifender Cramdown) sind im Zusammenspiel mit den §§ 27, 28 zu betrachten. Diese Vorschriften gehen auf Art. 11 der Restrukturierungsrichtlinie4) zurück.5) Der in § 26 Abs. 1 Nr. 1 geregelte sog. Best-Interest-of-Creditors-Test entstammt Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. a i. V. m. Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. d i. V. m. Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 der Restrukturierungsrichtlinie. Die Voraussetzung einer angemessenen Beteiligung am Planwert in § 26 Abs. 1 Nr. 2 folgt in der Form keiner direkten Vorgabe der Richtlinie; in ihr sind allerdings die Regel des absoluten Vorrangs und das Verbot der Überkompensation enthalten, sodass damit den Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. d und Abs. 2 Restrukturierungsrichtlinie entsprochen wird. Das Erfordernis der Zustimmung der Mehrheit der abstimmenden Gruppen nach § 26 Abs. 1 Nr. 3 geht auf Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b Restrukturierungsrichtlinie zurück.

4

Während bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Richtliniensetzungsverfahrens klar war, dass generell die Möglichkeit eines gruppenübergreifenden Cram-down geschaffen werden sollte,6) war bis zur Verabschiedung der Restrukturierungsrichtlinie intensiv diskutiert worden, wie dem Schutz dissentierender Parteien Rechnung getragen werden soll.

5

Nach dem in der finalen Fassung der Restrukturierungsrichtlinie in Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. a i. V. m. Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. d geregelten Best-Interestof-Creditors-Test sollen die Mitgliedstaaten eine Zustimmungsersetzung allgemein nur vorsehen können, wenn das „Kriterium des Gläubigerinteresses“ gewahrt worden ist. Die ursprüngliche Fassung der Kommission sah dieses Erfordernis noch für sämtliche zu bestätigende Restrukturierungspläne vor. Mit der Ratsfassung wurde dies auf Pläne mit dissentierenden Gläubigern beschränkt. Diese Beschränkung wurde in der verabschiedeten Fassung beibehalten.

6

Das „Kriterium des Gläubigerinteresses“ ist nach der Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 6 Restrukturierungsrichtlinie erfüllt, „wenn kein ablehnender Gläubiger durch einen Restrukturierungsplan schlechter gestellt würde als bei Anwendung der normalen Rangfolge der Liquidationsprioritäten nach nationalem Recht, sei es _____________ 4)

5) 6)

362

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Vgl. auch Spahlinger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32, 33; Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 2. Zum generellen Widerstand von einigen Interessenverbänden und Autoren s. Morgen in: Morgen, Präventive Restrukturierung Einl. Rz. 65, 72, 76, 79, 88, 98, 103.

Kowalewski/Praß

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

§ 26

im Falle der Liquidation, unabhängig davon, ob diese stückweise oder in Form eines Verkaufs als fortgeführtes Unternehmen erfolgt, oder im Falle des nächstbesten Alternativszenarios, wenn der Restrukturierungsplan nicht bestätigt würde“. Während der ursprüngliche Kommissionsvorschlag nur einen Vergleich mit dem Liquidationsszenario – dies umfasste sowohl die stückweise als auch die „Sale-as-a-GoingConcern“-Liquidation – vorgesehen hatte, erweiterte die Ratsfassung diesen auf das nächstbeste Alternativszenario. Die endgültige Fassung übernahm die Version des Rates, sodass der Best-Interest-of-Creditors-Test auf alle im Gesetzgebungsverfahren diskutierten Formen eines Alternativszenarios gestützt werden kann.7) Die Frage, welche Mehrheiten dem Restrukturierungsplan zugestimmt haben müssen, um einen gruppenübergreifenden Cram-down zu ermöglichen, unterlag im Laufe des europäischen Gesetzgebungsverfahrens einem stetigen Wandel. Während die Kommissionsfassung noch voraussetzte, dass nur eine Klasse betroffener, nicht nachrangiger Gläubiger dem Restrukturierungsplan zustimmen müsste, sah die Parlamentsfassung vor, dass die Mehrheit der (nicht allein nachrangigen) Klassen ihre Zustimmung erteilen müsste. Damit wurden die Anforderungen erheblich verschärft.

7

Die Ratsfassung und ihr folgend die letztendlich verabschiedete Fassung der Restrukturierungsrichtlinie kombinierten beide Ansätze und überließen den nationalen Gesetzgebern die Wahl, ob

8



entweder die Mehrheit der Klassen (vorausgesetzt, dass es sich bei mindestens einer Klasse um gesicherte Gläubiger oder jedenfalls über den ungesicherten Gläubigern rangierende Gläubiger handelt)



oder eine Klasse betroffener oder beeinträchtigter Parteien (wobei diese Klasse nicht bestehen darf aus (1) Anteilsinhabern oder (2) Gläubigern, die bei Bewertung des Unternehmens unter Fortführungsgesichtspunkten keine Zahlung oder Beteiligung erhielten, oder (3) Gläubigern, bei denen unter Anwendung der im Liquidationsverfahren nach nationalem Recht bestehenden Rangfolge voraussichtlich keine Zahlung oder Beteiligung erhielten)

für die Zustimmungsersetzung genügen soll (Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b Restrukturierungsrichtlinie). In Fällen, in denen die Zustimmung nur einer Klasse ausreicht, stand es den Mitgliedstaaten offen, eine Mindestanzahl zustimmender Klassen festzulegen (Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 3 Restrukturierungsrichtlinie). Nach ErwG 54 Restrukturierungsrichtlinie sollte aber (was sich eigentlich von selbst versteht) nicht die Zustimmung sämtlicher Klassen erforderlich sein.

9

Die vergleichbare Regelung im deutschen Insolvenzplanverfahren, § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO, erfordert für die Überwindung einer obstruierenden Gläubigerminderheit die Zustimmung von zumindest der Mehrheit der abstimmenden Gläubigergruppen.8) Die Restrukturierungsrichtlinie unterscheidet sich insofern von dem in

10

_____________ 7) 8)

Hierzu Krohn, Rethinking Priority, S. 13 ff. Eine Gruppe hat i. S. der Vorschrift nicht zugestimmt, wenn ihre Zustimmung, etwa nach §§ 246 f. InsO, fingiert wird, Braun-Braun/Frank, InsO, § 245 Rz. 23; Uhlenbruck-Lüer/ Streit, InsO, § 245 Rz. 40.

Kowalewski/Praß

363

§ 26

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

Deutschland schon vor Verabschiedung der Richtlinie vorherrschenden Ansatz dadurch, dass nach der Richtlinie nicht nur eine Mehrheit der abstimmenden betroffenen Klassen, sondern aller betroffenen Klassen erforderlich ist. Der Einführung des „deutschen Ansatzes“ aus § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO, dem der Gesetzgeber auch bei Schaffung des StaRUG gefolgt ist, ist aber dadurch die Tür geöffnet, dass die Mindestzahl der zustimmenden Klassen nach Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 2 (u. a.) Restrukturierungsrichtlinie auf die Mehrheit der abstimmenden Klassen angehoben werden darf. Für das Erfordernis einer Zustimmung der Mehrheit der abstimmenden Klassen hatten sich im Vorfeld des StaRUG der Bundesrat9) und eine breite Literaturmeinung10) ausgesprochen. 2. 11

Entstehungsgeschichte der deutschen Umsetzung

Der RefE des StaRUG vom 19.9.2020 sah noch vor, sämtliche Regelungen zum gruppenübergreifenden Cram-down in einer Norm zu bündeln. Der RegE vom 16.10.2020 entzerrte diese mit fünf Absätzen überladene Vorschrift in der Weise, dass aus § 28 des RefE die §§ 28 – 30 des RegE wurden. Durch die Streichung der §§ 2, 3 RegE fanden die Bestimmungen ihren finalen Platz in den §§ 26 – 28. Inhaltliche Änderungen für die nun in § 26 kodifizierten Regelungen ergaben sich (im Gegensatz zu den weiteren Vorschriften des Normkomplexes der §§ 26 – 28) während des Gesetzgebungsverfahrens keine. III. Europa- und Verfassungskonformität der §§ 26 – 28

12

Die Entstehungsgeschichte des Art. 11 der Restrukturierungsrichtlinie zeigt, wie umstritten die Einführung und Ausgestaltung eines gruppenübergreifenden Cramdown bis zuletzt waren. Dies ist auch nicht verwunderlich. Da hier bereits vorinsolvenzlich in Rechte der dissertierenden Personen eingegriffen werden kann, ist ein durchgreifendes Schutzniveau dieser Personen erforderlich, sofern sie aufgrund berechtigter Interessen dem Plan nicht zustimmen wollen.

13

Aus diesem Grund war bereits vor Verabschiedung der Restrukturierungsrichtlinie diskutiert worden, ob die Richtlinie mit europäischem Primär- und Sekundärrecht vereinbar sei.11) Der Fokus liegt hier vor allem auf der Europäischen Kapitalrichtlinie12), der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1 EUV) sowie der Europäischen Grundrechte-Charta (z. B. die negative Vereinigungsfreiheit, Art. 12 GrCh, und

_____________ 9) BRat, Beschluss zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, Ratsdok. 14875/16, v. 10.3.2017, BR-Drucks. 1/17(B), S. 16 f. 10) DAV, Stellungnahme Nr. 17/17, v. 1.3.2017, S. 23; EBF, Position Paper On the Commission’s Proposal for a Directive on preventive restructuring frameworks and second chance of 22 November 2016 – COM(2016) 723 final (EBF_025900), v. 21.2.2017, S. 3, abrufbar unter https://www.ebf.eu/wp-content/uploads/2017/02/EBF_025900-EBF-position-on-theEC-proposal-for-a-Directive-on-preventive-restructuring-frameworks.pdf (Abrufdatum: 25.8.2021); Stohrer, ZInsO 2018, 660, 667; Westpfahl, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 49, 51; für eine Zwei-Drittel-Mehrheit Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 28.2.2017, S. 9 f. 11) Dazu ausführlich Kowalewski/Praß in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 11 Rz. 14 ff. 12) Zweite Richtlinie 77/91/EWG v. 13.12.1976, ABl. (EG) L 26/1 v. 31.1.1977.

364

Kowalewski/Praß

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

§ 26

das Eigentumsrecht, Art. 17 Abs. 1 GrCh).13) Aufgrund der weiten Ermessenspielräume, die die Restrukturierungsrichtlinie den Mitgliedstaaten hinsichtlich der konkreten Umsetzung des gruppenübergreifenden Cram-down lässt, ist im Ergebnis von einer Europarechtskonformität der Restrukturierungsrichtlinie auszugehen. Insoweit stellt sich allerdings die Frage nach der Vereinbarkeit mit Europarecht angesichts der konkreten Ausgestaltung durch den deutschen Gesetzgeber von neuem. Die Diskussion, die bereits bei Einführung des § 245 InsO im Zusammenhang mit dem ESUG14) intensiv geführt wurde, kann dafür eine erste Orientierung geben.15) Mit Aufnahme gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen in den Planumfang (vgl. § 225a InsO)16) war die Frage zu beantworten, ob dadurch die verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsrechte der Gesellschafter (Art. 14 Abs. 1 GG) und ggf. sogar der Gläubiger verletzt werden.17) Dabei stand im Vordergrund, ob die Aufnahme von Gläubigern in den Gesellschafterkreis (z. B. durch Debt Equity Swap) gegen den Eigentumsschutz der Alt-Gesellschafter (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) und die negative Vereinigungsfreiheit der Neu-Gesellschafter (Art. 9 Abs. 1 GG) verstößt.18) Erhalten Gläubiger gegen den Willen der Anteilsinhaber Gesellschaftsanteile, werden die Geschäftsanteile der Altgläubiger verwässert, insbesondere wenn das Bezugsrecht ausgeschlossen wird. Werden hingegen Gläubiger durch Zustimmungsersetzung in einen Debt Equity Swap gezwungen, besteht die Gefahr, ihnen die Mitgliedschaft in einer Kapitalgesellschaft aufzuzwingen. Darin liegt eine Einschränkung der negativen Vereinigungsfreiheit der Gläubiger. Im Insolvenzplanverfahren wurde dieser Eingriff durch einen Zustimmungsvorbehalt verhindert (§ 230 Abs. 2 InsO).19) Ein solcher ist auch für den Restrukturierungsrahmen in § 7 Abs. 4 Satz 2 vorgesehen, sodass insoweit keine Verletzung von Art. 9 Abs. 1 GG vorliegt.

14

In der Diskussion um das ESUG war die besondere Interessenlage in der Insolvenz das zentrale Argument, um Beschränkungen der Gläubiger- und Gesellschafterrechte zu rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund wurde mit Spannung erwartet, für welchen Anknüpfungspunkt sich der Gesetzgeber als Zugangsvoraussetzungen für den präventiven Restrukturierungsrahmen entscheiden würde. Je größer die Nähe des präventiven Restrukturierungsrahmens zum Insolvenzverfahren ausfallen würde, desto einfacher gelänge die Rechtfertigung der Rechtsverkürzungen der Beteiligten. Der deutsche Gesetzgeber hat die drohende Zahlungsunfähigkeit als Anknüpfungspunkt für die gerichtliche Planbestätigung gewählt (§ 63 Abs. 1 Nr. 1), die damit auch

15

_____________ 13) Piekenbrock, NZI 2012, 905, 907 f.; Westpfahl, ZGR 2010, 385 429; im Ansatz auch Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 547 f. 14) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582. 15) Vgl. ausführlich Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 15.6 ff.; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 225a Rz. 6 ff. 16) Hierzu s. Mulert/Steiner, NZG 2021, 673. 17) Vgl. ausführlich zum Folgenden Brinkmann, WM 2011, 97; Westpfahl, ZGR 2010, 385, 428 f. 18) Vgl. ausführlich Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 546 f. 19) Teilweise wurde dies wegen der mit der Gesellschafterstellung einhergehenden Mitverwaltungsrechte aber auch für gerechtfertigt gehalten: Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 546 f., mit Verweis zur Rechteerweiterung auf BGH, Urt. v. 12.7.2006 – XII ZR 39/04, Rz. 12, NJW 2006, 3057.

Kowalewski/Praß

365

§ 26

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

für einen gruppenübergreifenden Cram-down stets Voraussetzung ist. Dadurch wird ein Gleichlauf mit dem Zugang zu insolvenzrechtlichen Verfahren wie dem Schutzschirmverfahren oder der Eigenverwaltung erzielt. Berücksichtigt man die vielfältigen Optionen, die es für einen Zugang zum Restrukturierungsrahmen gegeben hätte,20) ist mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit letztlich ein stark insolvenznahes Tatbestandsmerkmal gewählt worden, so dass die Problematik der Rechtsbeschränkungen deutlich entschärft ist.21) 16

Der Gesetzgeber hat zudem bei der Ausgestaltung der §§ 26 ff. versucht, das Schutzniveau möglichst an das des Insolvenzplans anzupassen. Parallel zum Obstruktionsverbot des § 245 InsO werden den Plan ablehnende Parteien nunmehr kumulativ über (1) den Best-Interest-of-Creditors-Test, (2) das Verbot der Überbefriedigung, (3) die absolute Prioritätsregel und (4) die Zustimmung der Mehrheit der abstimmenden Gruppen geschützt. In diesem Zusammenhang ist zu begrüßen, dass der Gesetzgeber von der in der Restrukturierungsrichtlinie in Art. 9 Abs. 3 lit. a eröffneten Möglichkeit Abstand genommen hat, Anteilsinhaber von der Abstimmung auszuschließen.22) Dennoch ist es weiterhin möglich, im Wege des gruppenübergreifenden Cram-down gesellschaftsrechtliche Maßnahmen gegen den Willen der Anteilsinhaber zu beschließen.23) Dies ist trotz der geschilderten Nähe zur Insolvenz und den Schutzmechanismen deswegen grundsätzlich problematisch, weil die Anteile in der Phase der drohenden Zahlungsunfähigkeit (Prognosezeitraum 24 Monate, § 18 Abs. 2 Satz 2 InsO) durchaus noch werthaltig sein können – auch wenn dies in der echten Liquiditätskrise, die der drohenden Zahlungsunfähigkeit in aller Regel zugrunde liegt, eher selten der Fall sein wird. Daher dürfte gerade im Fall eines zwangsweisen Gesellschafterausschlusses im Wege des gruppenübergreifenden Cram-down im Restrukturierungsrahmen zukünftig die Frage aufgeworfen werden müssen (und dies sollte durch entsprechende Gutachten unabhängiger Experten belegt werden), ob, und wenn ja, in welcher Höhe das Eigenkapital noch im Geld ist und deshalb dem ausscheidenden Gesellschafter – ggf. unter Einpreisung der konkreten Sanierungssituation – eine Abfindung gezahlt werden muss.24)

17

Zu berücksichtigen ist auch, dass den ablehnenden Planbetroffenen nach § 64 Rechtsschutz gegen die Überstimmung gewährt wird, so dass sie einen Antrag auf Versagung der gerichtlichen Bestätigung stellen können, wenn sie glaubhaft machen, dass sie durch den Plan schlechterstehen als sie ohne den Plan stünden. Aus einer Gesamtschau dieser Regelungen ergibt sich dann das Ergebnis, dass gegen die Vorschriften der §§ 26 – 28 keine europa- oder verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, _____________ 20) Vgl. nur die Vorschläge bei Zipperer, ZInsO 2016, 831, 834; Jacobi, ZInsO 2017, 1, 6; Bork, ZIP 2010, 397, 403; Jacoby, ZGR 2010, 359, 367 f. 21) Freitag, ZIP 2019, 541, 546 ff. 22) Krit. in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit eines solches Vorhabens bereits Schluck-Amend/ Hacker, WPg 2019, 737, 741; Smid, ZInsO 2020, 266, 274. 23) An dieser Stelle stellt sich insbesondere die Frage, ob ein vorheriger Gesellschafterbeschluss erforderlich ist, s. hierzu § 27 Rz. 35 ff. 24) Mulert/Steiner, NZG 2021, 673, 679; zum Insolvenzplan vgl. Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 107 f. (auch zur Frage nach der Berücksichtigung des Börsenwertes); Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 87; s. dazu auch noch die Kommentierung zu § 27 Rz. 54].

366

Kowalewski/Praß

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

§ 26

wenngleich darauf zu achten ist, dass bei einigen Auslegungsfragen der Weg gewählt werden muss, der der Restrukturierungsrichtlinie entspricht. IV. Rechtsvergleich Die Idee der Zustimmungsersetzung findet ihren Ursprung in der US-amerikanischen Cram-down-Rule des Chapter 11 Reorganisationsverfahrens.25) Im Unterschied zu Chapter 9, das auf die Liquidation eines Unternehmens zielt, hat das Verfahren nach Chapter 11 zum Ziel, dass Gläubiger aus den zukünftigen Erträgen eines reorganisierten Unternehmens befriedigt werden. Die Zustimmung einzelner Gläubiger(-gruppen) kann nach US-Recht gerichtlich ersetzt werden, wenn der Plan alle Gläubiger „fair and equitable“ behandelt:

18

“… the plan does not discriminate unfairly, and is fair and equitable, with respect to each class of claims or interests that is impaired under …” (11 US. C § 1129 (b) (1)).

Was „fair and equitable“ bedeutet, hat die Rechtsprechung über die Jahre kasuistisch entwickelt. Parallel zum amerikanischen Chapter 11-Verfahren wird auch im deutschen Restrukturierungsrecht gem. § 60 Abs. 1 Satz 1 der gruppenübergreifende Cram-down26) nur auf Antrag des Schuldners geprüft. Insoweit ergibt sich ein Unterschied zum Insolvenzplanverfahren, in dem nach § 248 InsO die gerichtliche Bestätigung von Amts wegen erfolgt.

19

Das ebenfalls als Inspiration für die Restrukturierungsrichtlinie herangezogene Scheme of Arrangement aus dem englisch-walisischen Recht sieht zwar Mehrheitsentscheidungen innerhalb von Gläubigergruppen vor. Sec. 899 des Companies Act 2006 regelt aber keinen gruppenübergreifenden Cram-down.27) Anders ist dies in dem seit dem 26.6.2020 geltenden UK Restructuring Plan Verfahren, der mit dem Corporate Insolvency and Governance Act 2020 als neuer Abschnitt 26a in den Companies Act 2006 eingefügt wurde. In Sec. 901G subsec. 1 Companies Act 2006 ist für die Annahme des Plans eine Summenmehrheit von mindestens 75 % in jeder Klasse vorgesehen. Kommt eine solche Mehrheit nicht zustande, kann das Gericht die Zustimmung ersetzen, wenn zumindest eine Klasse, die im jeweiligen Alternativszenario eine Zahlung erhalten würde – also „in the money“ ist – oder ein eigenes wirtschaftliches Interesse an dem Unternehmen hat, zugestimmt hat. Darüber hinaus dürfen die ablehnenden Gläubiger nicht schlechterstehen als im relevanten Alternativszenario, der UK Restructuring Plan enthält also auch einen Best-Interestof-Creditors-Test. Aussagen zu den anzuwenden Verteilungsregeln (absolute/relative Prioritätsregel) enthält das Gesetz nicht, diese könnten jedoch von den Gerichten im Rahmen des Bestätigungsverfahrens etabliert werden.

20

Im französischen Restrukturierungsrecht kann einem Insolvenzverfahren durch das Sauvegarde-Verfahren vorgebeugt werden, welches ebenfalls als Planverfahren

21

_____________ 25) Paulus, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 9; hierzu auch Krohn, Rethinking Priority, S. 2 ff. 26) Vgl. zum Überblick über den Cram-down-Begriff des Chapter 11 Grauke/Horwitz in: MünchKomm-InsO, Länderbericht USA, Rz. 59; Jaffé in: FK-InsO, § 245 Rz. 11 ff. 27) Carli/Weissinger, DB 2014, 1474; Epeoglou, Int. Corporate Rescue, Vol. 14/2017, Issue 1, S. 4, 10; Lupi, Int. Corp. Rescue, Vol. 14/2017, S. 356, 358; Paterson, Corp. Rescue Insolvency 2018, S. 17, 18; Sax/Ponsek/Swierczok, BB 2017, 323, 327.

Kowalewski/Praß

367

§ 26

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

ausgestaltet ist und die Abstimmung über einen „Plan de Sauvegarde“ vorsieht.28) Der Planinhalt ist in erster Linie Verhandlungssache, wird aber später vom Gericht bestätigt und dadurch rechtsverbindlich. Die gerichtliche Entscheidung darf nicht über das hinausgehen, worauf sich die Interessenvertreter in der Vorbereitung des Plans geeinigt haben (Art. 626-10 Abs. 3 Code de Commerce). Das Gericht kann damit keinen Forderungs- oder Anteilsverzicht gegen den Willen der Parteien anordnen.29) Hingegen können Forderungen faktisch entwertet werden, wenn sie gestundet und mit Ausnahme bestimmter Darlehensforderungen (Art. 622-28 Abs. 1 Code de Commerce) nicht verzinst werden. Weist das Schuldnerunternehmen eine gewisse Größe auf, werden zwei – bei Beteiligung von Schuldverschreibungsgläubigern auch drei – Gläubigerausschüsse („comités de créanciers“) gebildet. Diese müssen den Plan jeweils mit einer Zwei-Drittel-Summenmehrheit der abgegebenen Stimmen bestätigen. Wird eine solche Zustimmung erreicht, werden nur die Mitglieder der Gläubigerausschüsse gebunden. Bei den anderen Gläubigern – und auch in einem Verfahren ohne Gläubigerausschüsse – muss eine individuelle Zustimmung eingeholt werden (Art. 626-5 – 626-7 Code de Commerce).30) Eine Abstimmung in Gruppen wie im deutschen Insolvenzverfahren und dementsprechend auch ein gruppenübergreifender Cram-down sind dem französischen Recht bislang fremd.31) 22

Die Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie sollte in Frankreich über eine von der Exekutive stammende Verordnung („ordonnance“) ursprünglich bis spätestens zum 22.5.2021 erfolgen. Die entsprechende Ermächtigung dazu hatte das Parlament der Regierung in einem Gesetz vom 22.5.2019 (Loi PACTE) erteilt.32) Nachdem am 25.9.2020 eine Expertengruppe bereits Umsetzungsvorschläge vorgestellt hatte,33) veröffentlichte das französische Justizministerium am 4.1.2021 einen ersten Verordnungsentwurf und rief die Bevölkerung auf, zu dem Entwurf bis zum 15.2.2021 Stellung zu nehmen.34) Die endgültige Verabschiedung des Entwurfs ist verschoben worden und soll nach aktuellem Stand erst am 8.9.2021 dem Ministerrat vorgelegt werden und im Oktober 2021 in Kraft treten.35) In dem noch sehr vorläufigen36) _____________ 28) Arnold/Slawik, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 79, 80 f.; zum Überblick vgl. Westpfahl, ZGR 2010, 385, 410 f. 29) Niggemann in: MünchKomm-InsO, Länderbericht Frankreich, Rz. 48. 30) Näher zu den Abstimmungsmechanismen Jobst in: Kindler/Nachmann/Bitzer, Hdb. InsR, Länderberichte, Frankreich, Rz. 196 ff.; Dammann in: BeckOK-InsO, Länderbericht Frankreich, Rz. 234 ff.; Arnold/Slawik, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 79, 80 f. 31) Instruktiv insoweit Bochè-Robinet, Restructuring & Insolvency Guide. 32) Vgl. dazu Jobst in: Kindler/Nachmann/Bitzer, Hdb. InsR, Länderberichte, Frankreich, Rz. 18 f. 33) Die Empfehlungen der Haut Comité Juridique de la Place financière de Paris (HCJP) können unter https://www.banque-france.fr/sites/default/files/rapport_36_f.pdf (Abrufdatum: 25.8.2021) abgerufen werden. 34) Dieser erste Entwurf und der entsprechende Aufruf zu Stellungnahmen können abgerufen werden unter http://www.textes.justice.gouv.fr/textes-soumis-a-concertation-10179/restructuration-et-insolvabilite-des-entreprises-33684.html (Abrufdatum: 25.8.2021). 35) Vgl. Cadic, Réforme du droit des entreprises en difficulté•: report de la publication de la future ordonnance; Teboul, Projet d’ordonnance de transposition de la directive Restructuration et insolvabilité. 36) Einige wesentliche Aspekte bedürfen laut Dammann in: BeckOK-InsO, Länderbericht Frankreich, Rz. 15, noch einer Konkretisierung.

368

Kowalewski/Praß

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

§ 26

Entwurf ist vorgesehen, dass die Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie nicht in dem dargestellten Sauvegarde-Verfahren (siehe in Rz. 21) umgesetzt werden, sondern in den „Sauvegarde accelèrè-„ und „Sauvegarde financière accèlèrèe“-Verfahren, die beide zu einem einheitlichen Verfahren zusammengeführt werden sollen.37) Zukünftig sollen die Gläubigerausschüsse durch mit der Restrukturierungsrichtlinie konforme38) abstimmende Gläubigergruppen ersetzt werden. Es wird erwartet, dass es in den Gläubigergruppen beim Zustimmungserfordernis der Zwei-Drittel-Summenmehrheit bleiben wird.39) Bemerkenswert ist, dass in Punkt 7 des Ministeriumsentwurfs, in dem die Einführung einer absoluten Prioritätsregel mit der Möglichkeit, im Einzelfall davon abzuweichen, vorgeschlagen wird, explizit auf die deutsche Umsetzung im StaRUG verwiesen wird. Es bahnt sich also nach jetzigem Verfahrensstand eine der deutschen Umsetzung ähnliche „relativierte“ absolute Prioritätsregel an. Zwecks Einführung eines vorinsolvenzlichen Restrukturierungsplanverfahrens wurde in den Niederlanden bereits 2017 ein neuer Gesetzesentwurf mit dem Titel „Wet homologatie onderhands akkoord“ beraten, der anders als das deutsche StaRUG kein eigenständiges Regelwerk, sondern eine Ergänzung zum niederländischen Insolvenzgesetz „Faillissementswet“ werden sollte.40) Da er mit dem Richtlinienvorhaben zusammenfiel, nahm der Entwurf bereits ausdrücklich auf die europäische Regelung Bezug. Wie das deutsche Umsetzungsgesetz ist auch er am 1.1.2021 in Kraft getreten.41) In Anlehnung an die Restrukturierungsrichtlinie ist ein Restrukturierungsplanverfahren vorgesehen, das auf einem Vergleich der betroffenen Parteien aufbaut.42) Wird der Vergleich nicht von allen Parteikategorien angenommen, kann die Zustimmung im Rahmen der gerichtlichen Planbestätigung ersetzt werden (Art. 384 Abs. 4 Faillissementswet). Dem Gläubiger- und Gesellschafterschutz wird der niederländische Gesetzgeber durch eine ausdifferenzierte Regelung gerecht, die u. a. einen absoluten Vorrang höherrangiger Gläubiger, ein Verbot der Überbevorteilung durch den Vergleichsplan sowie ein klassenübergreifendes Gleichbehandlungsgebot enthält.

23

V. Voraussetzungen des gruppenübergreifenden Cram-down (Abs. 1) Der Gesetzgeber hat sich bei der Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie an der bereits existierenden Parallelvorschrift im Insolvenzplanverfahren in § 245 InsO orientiert, der die Begründung des RegE bescheinigt, den Anforderungen der Richtlinie „weitgehend gerecht“ zu werden.43) Die drei Voraussetzungen des gruppen_____________ 37) Dammann in: BeckOK-InsO, Länderbericht Frankreich, Rz. 15. 38) Hierzu bereits Arnold/Slawik, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 79, 80. 39) So auch die Empfehlung des HCJP, Rz. 36, abrufbar unter https://www.banque-france.fr/ sites/default/files/rapport_36_f.pdf (Abrufdatum: 25.8.2021); Dammann in: BeckOK-InsO, Länderbericht Frankreich, Rz. 15c. 40) Rechtsvergleichend Kern, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 74, 74 ff.; hierzu auch Krohn, Rethinking Priority, S. 6 f. 41) Das Gesetz ist in niederländischer Sprache abrufbar unter https://wetten.overheid.nl/ BWBR0001860/2021-01-01#AfdelingTweede (Abrufdatum: 25.8.2021). 42) Hierzu s. Kowalewski/Praß in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 9 Rz. 17 ff. 43) Vgl. RegE SanInsFoG, v. 16.10.2020, BR-Drucks. 619/20, S. 144.

Kowalewski/Praß

369

24

§ 26

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

übergreifenden Cram-down in § 26 entsprechen deshalb auch im Wesentlichen denen des § 245 InsO und müssen – wie bei der Parallelvorschrift auch – kumulativ vorliegen:

25



Schlechterstellungsverbot (Best-Interest-of-Creditors-Test),



angemessene Beteiligung am Planwert und



erforderliche Mehrheit der abstimmenden Gruppen.44)

1.

Schlechterstellungsverbot (Best-Interest-of-Creditors-Test) (Abs. 1 Nr. 1)

Nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 dürfen die Mitglieder der überstimmten Gruppe durch den Restrukturierungsplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden als sie ohne einen Plan stünden (Best-Interest-of-Creditors-Test). Diese Voraussetzung ist wohl das zentralste und streitbarste Kriterium für die Durchführung eines gruppenübergreifenden Cram-down. a) Geschützter Personenkreis

26

Der Gesetzgeber setzt mit § 26 Abs. 1 Nr. 1 das in der Restrukturierungsrichtlinie in Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. a i. V. m. Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. d i. V. m. Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 aufgestellte „Kriterium des Gläubigerinteresses“ um. In der Restrukturierungsrichtlinie war lediglich vorgesehen, die Schlechterstellung von „Gläubigern“ zu verhindern. § 26 Abs. 1 Nr. 1 gewährt diesen Schutz nun jedem „Mitglied“ einer überstimmten Gruppe, so dass sich auch Anteilsinhaber auf dieses Kriterium berufen dürfen. Der Gesetzgeber setzt damit die Vorgaben der Richtlinie überschießend um, wofür sich die Verfasser allerdings auch bereits bei der Kommentierung der Richtlinie ausgesprochen hatten.45) Angesichts der vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten im Restrukturierungsplan (siehe hierzu § 7 Rz. 9 ff.), die zulässigerweise auch die Rechte der Anteilsinhaber beschneiden können, ist die Erweiterung des Schutzniveaus angemessen, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass die Anteile in der Restrukturierungssituation – wie geschildert – nicht pauschal wertlos sein müssen.46) Da die drohende Zahlungsunfähigkeit den Zugang sowohl zum StaRUG als auch zum Insolvenzplanverfahren eröffnet und auch die Anteilsinhaber in § 245 InsO geschützt werden, ist der Gleichlauf in der personellen Reichweite auch mit Blick auf die Bereitschaft der Anteilsinhaber gerechtfertigt, den Restrukturierungsrahmen in Anspruch zu nehmen. b) Grundsätzliches zur Vergleichsbetrachtung

27

Grundlage des nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 anzustellenden Vergleichs zwischen den Leistungen im Planszenario („durch den Restrukturierungsplan“) und den Leistungen im Alternativszenario („ohne einen Plan“) ist die Vergleichsrechnung im Restruk_____________ 44) Spahlinger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32, 33; zu § 245 InsO OLG Köln v. 5.1.2001 – 2 W 228/00, NZI 2001, 660; LG Göttingen v. 7.9.2004 – 10 T 78/04, ZInsO 2004, 1318, 1320; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 245 Rz. 4; krit. dazu Hölzle in: Kübler, HRI, § 30 Rz. 45 ff. 45) Kowalewski/Praß in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 11 Rz. 93; vgl. auch Skauradszun, KTS 2019, 161, 187 f.; Spahlinger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 69, 71. 46) Schäfer, ZIP 2020, 2164, 2166 f.; Proske/Streit, NZI 2020, 969, 970.

370

Kowalewski/Praß

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

§ 26

turierungsplan nach Maßgabe des § 6 Abs. 2 (siehe hierzu § 6 Rz. 11 ff.).47) Die Verantwortlichkeit für eine gelungene Vergleichsrechnung liegt beim Schuldner, da er – wie auch bei der Parallelvorschrift des § 220 InsO48) – die notwendige Tatsachengrundlage schaffen muss und auch die beste Informationsbasis hat. Ziel der Vergleichsrechnung ist damit einerseits Transparenz und Ausgleich von Informationsasymmetrien, andererseits aber vor allem die Wertabsicherung von bestehenden Vermögenspositionen der überstimmten Planbetroffenen.49) Ausgangspunkt für den am Ende vom Gericht anzustellenden Vergleich ist der Plan und die sich aus ihm ergebenden Leistungen an die dissentierende Gruppe. Eine mangelnde Durchführbarkeit der Planmaßnahmen geht zulasten des Planerstellers, wenn das Gericht aufgrund konkreter Anhaltspunkte die Machbarkeit bezweifeln muss.50) Maßgeblich ist ein Vergleich zu einem Szenario „ohne einen Plan“. Von der Vergleichsrechnung nicht erfasst ist demnach dem Wortlaut nach schon nicht ein Vergleich zu einem anderen Planszenario mit einem anderen Restrukturierungsplan.51) Denn dies würde anderenfalls dazu führen, dass insbesondere im späteren Planbestätigungsverfahren das Gericht eine Überprüfung jeder Regelung im Restrukturierungsplan auf seine Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit hin vornehmen müsste, was der Gesetzgeber offenbar nicht wollte. Diskussionspunkt der Vergleichsrechnung ist somit jedenfalls nicht, was in dem Restrukturierungsplan ggf. noch hätte (anders) geregelt werden können. Anders gewendet bedeutet das, dass die Planbetroffenen keinen Anspruch auf einen für sie (noch) „besseren“ Plan haben.52)

28

Kernfrage des Schlechterstellungsverbots ist vielmehr, wie das für den Vergleich mit dem Planszenario relevante nächstbeste Alternativszenario zu ermitteln ist.53) Die Bestimmung dieses Alternativszenarios ist für das Restrukturierungsplanverfahren von zentraler Bedeutung, da sie die wesentliche Stellschraube für den Schutz der überstimmten Planbetroffenen darstellt. Wie das nächstbeste Alternativszenario konkret bestimmt werden soll, beschreibt der Gesetzgeber gleichwohl nicht ausdrücklich54) und ist deshalb durch Auslegung zu ermitteln.

29

Maßgeblich für die Suche nach dem besten Alternativszenario ist richtigerweise eine wirtschaftliche Betrachtungsweise:55) Maßgeblicher Vergleichsmaßstab ist

30

_____________ 47) Spahlinger in: BeckOK-StaRUG, § 26 Rz. 12, schreibt der Vergleichsrechnung eine „Hilfsfunktion“ für das Schlechterstellungsverbot und den Minderheitenschutzantrag zu. 48) Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 220 InsO Rz. 24 ff., 34; Uhlenbruck-Lüer/ Streit, InsO, § 220 Rz. 9 f.; Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 5 Rz. 5 f. 49) Vgl. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011, S. 188 ff. 50) So auch Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 12; Wolgast/Grauer-Münzel, StaRUG, § 26 Rz. 22; A. A. Distler, ZIP 2021, 1033, 1035 f.; für das Insolvenzrecht zur hier vertretenen Auffassung schon Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 245 Rz. 14 ff.; Thies in: HambKomm-InsO, § 245 Rz. 8; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 245 Rz. 10. 51) Wohl auch AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377 = NZI 2021, 433; so auch Spahlinger in: BeckOK-StaRUG, § 26 Rz. 14 f. 52) So auch Spahlinger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32, 33. 53) Vgl. auch Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 5. 54) Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 7. 55) Vgl. Spahlinger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32, 33; Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 11; Spahlinger in: BeckOK-StaRUG, § 26 Rz. 17.

Kowalewski/Praß

371

§ 26

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

das Alternativszenario mit dem für die überstimmten Planbetroffenen größten Wertzufluss (was nicht zwingend gleichzusetzen ist mit dem größten unmittelbaren Liquiditätszufluss). Je geringer die erwarteten Leistungen im Alternativszenario ausfallen, desto niedriger sind auch die Anforderungen an die Leistungen im Planszenario und damit auch das Schutzniveau für die Überstimmten. 31

Im Hinblick auf die Bewertung der sowohl im Planszenario als auch im Alternativszenario erwarteten Leistungen ist bereits beim Insolvenzplan umstritten, ob und inwieweit zeitliche und risikobezogene Differenzen berücksichtigt werden müssen. Im Kern geht es hier darum, auch bei Ungewissheit hinsichtlich einzelner Tatsachen und Faktoren eine Vergleichbarkeit der beiden Szenarien herzustellen. Enthält der Plan beispielsweise Zahlungen aus der Fortführung des Unternehmens über die nächsten sechs Jahre, während das Alternativszenario die einmalige Zahlung aus einem zeitnahen Gesamtverkauf des Unternehmens vorsieht, stellt sich die Frage, ob die Leistungen der beiden Szenarien in irgendeiner Form angeglichen werden müssen. Überwiegend wird hierzu vertreten, dass die zeitliche Komponente durch Ansatz eines risikolosen Zinssatzes auszugleichen ist,56) wobei im genannten Beispiel richtigerweise nicht der Erlös im Alternativ-Szenario risikolos zu verzinsen wäre, sondern die im Plan-Szenario zukünftig in Aussicht gestellten Zahlungen risikoadäquat auf ihren Nettobarwert diskontiert werden sollten. Gegen die Berücksichtigung eines alternativen Anlagezinses wird zwar vorgebracht, es sei realitätsfern, dass sämtliche überstimmte Planbetroffene die Zahlungen zu marktüblichen Zinsen wieder anlegen.57) Darauf kommt es aber für die Vergleichsrechnung an diesem Punkt auch nicht an, da sämtliche Planbetroffenen jedenfalls die Möglichkeit hätten, dies zu tun. Zu Recht wird insoweit auch darauf hingewiesen, dass bei der Vergleichsrechnung nicht auf die individuelle Verwendung der Zahlungen eingegangen werden kann.58)

32

Auch bei der sich spiegelbildlich stellenden Frage nach der Berücksichtigung von Unsicherheitsfaktoren herrscht kein einheitliches Bild in der (insolvenzrechtlichen) Literatur. Im vorgenannten Beispiel können und werden in aller Regel die aufgrund der Fortführung antizipierten Zahlungen zahlreichen Annahmen und Prognosen unterliegen. Im Einzelfall kann das für die betroffenen Gläubiger bedeuten, dass sie sich – würde man diese Risikofaktoren bei der Bewertung nicht berücksichtigen – auf ein Szenario einlassen müssen, in dem die vorgesehenen Zahlungen deutlich wahrscheinlicher ausbleiben werden. Aus diesem Grund ist – wie schon ausgeführt

_____________ 56) Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 51 ff.; Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 245 Rz. 4; Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 245 Rz. 13; Nerlich/ Römermann-Rühle, InsO, § 245 Rz. 11; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 245 Rz. 12; GrafSchlicker-Kebekus/Wehler, InsO, § 245 Rz. 4; Braun-Braun/Frank, InsO, § 245 Rz. 3; Thies in: HambKomm-InsO, § 220 Rz. 7; Becker in: Kübler, HRI, § 41 Rz. 28; a. A. Uhlenbruck-Lüer/ Streit, InsO, § 245 Rz. 18. 57) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 245 Rz. 18. 58) So auch Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 54.

372

Kowalewski/Praß

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

§ 26

– eine Einpreisung der zugrunde liegenden Risikofaktoren vorzunehmen.59) Die Quantifizierung des Risikos und der richtigen Höhe des anzusetzenden Risikoabschlags kann aber natürlich im Einzelfall schwierig sein.60) Es kann denklogisch nur ein nächstbestes Alternativszenario geben.61) Die Auswahl des nächstbesten Alternativszenarios ist von dem Planersteller in dem darstellenden Teil des Restrukturierungsplans hinreichend zu begründen. Denn es wird in der Praxis nicht ausreichen, dass der Planersteller lediglich ein mögliches Alternativszenario aufzeigt, vielmehr muss er im Restrukturierungsplan dezidiert darstellen, warum er dieses (von diversen denkbaren Szenarien) für das beste Alternativszenario hält.

33

Zwar erschöpft sich der gerichtliche Prüfungsumfang hinsichtlich der Vergleichsrechnung und damit der Prüfung des nächstbesten Alternativszenarios in einer reinen Schlüssigkeitsprüfung62) (siehe hierzu auch Rz. 72 ff.). Das Gericht kann jedoch die Planbestätigung mit dem Argument versagen, dass das vom Planersteller vorgesehene bestmögliche Alternativszenario nicht schlüssig gewählt wurde, weil es jedenfalls (nach dem Restrukturierungsplan selbst oder nach dem Sachvortrag dissertierender Gläubiger) plausibel klingt, dass es noch (mindestens) ein anderes Szenario gibt, das für den Planbetroffenen besser ausgehen könnte.63)

34

Die überstimmten Planbetroffenen haben somit die Möglichkeit, die Vergleichsrechnung dadurch anzugreifen, dass sie die Schlüssigkeit der Auswahl des vom Planersteller gewählten Alternativszenarios in Frage stellen. Insoweit empfiehlt es sich, dass der Planersteller dem durch eine stichfeste Begründung seiner Auswahl im Restrukturierungsplan vorbeugt. Dies schließt nach dem Vorgesagten gerade auch ein, ordentlich negativ abzugrenzen und zu begründen, warum vermeintlich noch bessere Alternativszenarien (z. B. wegen einer nicht überwiegenden Wahrscheinlichkeit ihrer Umsetzung) nicht zugrunde gelegt werden.

35

Eine nicht zwingend im Wortlaut von § 26 oder § 6 Abs. 2 angelegte Einschränkung ist die Umsetzbarkeit des gewählten Alternativszenarios. Dem Zweck der genannten Vorschriften – nämlich einen möglichst umfassenden Gläubigerschutz zu gewährleisten – würde es widersprechen, wenn der Schuldner Alternativszena-

36

_____________ 59) Im Ergebnis so auch das AG Dresden, Beschl. v. 7.6.2021 – 574 RES 2/21, ZInsO 2021, 1398, 1399, das i. R. des Besserstellungsverbots des § 27 Abs. 1 Nr. 3 sowohl zeit- als auch risikobezogene Differenzen berücksichtigt hat. Es ist nur konsequent, diese Angleichungen auch i. R. des Schlechterstellungsverbots vorzunehmen; Distler, ZIP 2021, 1033, 1038, vgl. zum Insolvenzrecht auch Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 55 ff.; Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 245 Rz. 13; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 245 Rz. 11; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 245 Rz. 12; Graf-Schlicker-Kebekus/Wehler, InsO, § 245 Rz. 4; a. A. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 245 Rz. 18; Becker in: Kübler, HRI, § 41 Rz. 28. 60) Vgl. Becker in: Kübler, HRI, § 41, Rz. 34. 61) Ebenso Spahlinger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32, 33. 62) Vgl. AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377 = NZI 2021, 433; vgl. auch RegE, BT-Drucks. 19/24181, S. 162 – zu Abs. 2. 63) Vgl. AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377 = NZI 2021, 433; wohl im Ergebnis auch AG Hamburg, Beschl. v. 12.4.2021 – 61a RES 1/21, ZRI 2021, 473 = BeckRS 2021, 7959, das allerdings darauf abstellt, ein sich wehrender Planbetroffener müsse selbst „belegen“, dass es ein besseres Alternativszenario gebe.

Kowalewski/Praß

373

§ 26

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

rien zugrunde legen könnte, die nur höchst unwahrscheinlich durchgesetzt werden könnten. Folge wäre nämlich, dass die Planbetroffenen bei (dem dann überwiegend wahrscheinlichen) Scheitern des Alternativszenarios am Ende auf das zweit- oder drittbeste Alternativszenario zurückgeworfen wären. Um eine solche Verschiebung des Vergleichsmaßstabs zu verhindern, muss die rechtliche und faktische Umsetzbarkeit des nächstbesten Alternativszenarios mindestens wahrscheinlicher sein als sein Scheitern (siehe dazu auch unten Rz. 52 ff.).64) 37

Offen lässt das Gesetz, welche Anstrengungen der Schuldner zu unternehmen hat, um das Szenario mit dem größten Wertzufluss zu ermitteln und vor allem welchen Konkretisierungsgrad dieses Szenario haben muss. Da die Gesetzesbegründung auf das „nächstbeste Alternativszenario“ abstellt, könnte daraus geschlossen werden, dass der Schuldner jeden erdenklich anderen Weg umfassend zu prüfen und voranzutreiben hat, sodass eine hinreichende Gewissheit herrscht, ob der jeweilige Weg ein gangbares Alternativszenario darstellen kann und, falls ja, mit welchem Ergebnis.65)

38

Was in der Theorie aus Gläubigerschutzgesichtspunkten noch einleuchtend erscheinen mag, wirft in der Praxis aber direkt die nächste Frage auf, mit welchem Härtegrad die Erfolgsaussichten dieses Alternativszenarios bereits vom Schuldner plausibilisiert und damit gegebenenfalls in der Realität getestet sein müssen. Zu hohe Anforderungen daran dürften nicht i. S. des Gesetzgebers sein: Wenn eine nachhaltige Sanierung erfolgen soll, sollte der Schuldner – idealerweise bereits vor oder während des Planverfahrens (das im Wesentlichen die finanzielle Restrukturierung betreffen wird) – vordergründig an der Wiederherstellung oder Optimierung der operativen Leistungsfähigkeit arbeiten. Wenn ihm zwingend – also ohne Wertung im Einzelfall, ob ein solches Alternativszenario Aussicht auf Erfolg hat und überhaupt genügend Zeit und Ressourcen dafür vorhanden sind – aufgegeben wird, parallel diverse weitere Prozesse – insbesondere einen Distressed M&AProzess (siehe hierzu Rz. 46 ff.) – aufzugleisen, kann nicht nur die Akzeptanz des entwickelten Sanierungskonzepts und damit die operative Restrukturierung als solche leiden. Vielmehr werden dadurch in vielen Fällen auch unnötige Ressourcen gebunden, die gerade in einer Sanierungssituation knapp sind. Vergessen werden darf nicht, dass eine durch einen Restrukturierungsplan durchgesetzte finanzielle Restrukturierung am Ende nur so viel wert ist, wie es parallel gelingt, das Unternehmen operativ wieder wettbewerbsfähig zu machen, indem das entwickelte operative Restrukturierungskonzept konsequent verfolgt und umgesetzt wird. Umgekehrt steigt der Druck, denkbare Alternativszenarien auch tatsächlich zu verproben (ggf. inklusive der von den dissentierenden Gläubigergruppen verfolgten Lösungsansätze, wenn es denn dort konstruktive Vorstellungen gibt), nicht nur mit _____________ 64) Im Ergebnis so auch Spahlinger in: BeckOK-StaRUG, § 26 Rz. 20 ff.; Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 7; Skauradszun, ZIP 2021, 1091, 1093; Distler, ZIP 2021, 1033, 1037; vgl. auch Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 163; Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 64 Rz. 18; Doebert/Krüger, NZI 2021, 614, 617 f. 65) Vgl. auch zu den Kriterien, die erforderlich sind, um eine übertragende Sanierung in den Vergleich nach § 245 Abs. 1 Satz 1 InsO einzubeziehen, Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 245 Rz. 13.

374

Kowalewski/Praß

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

§ 26

der Eingriffsintensität, sondern auch wenn genügend Zeit, Ressourcen und Mittel noch zur Verfügung stehen bzw. zumutbar sind. Bei der Suche nach Antworten wird es keinen wirklichen Mehrwert bringen, auf die entsprechenden Überlegungen zum Insolvenzplanverfahren zurückzugreifen.66) Die wohl h. M. zum Insolvenzrecht vertrat die Auffassung, es solle vorrangig auf eine Regelabwicklung nach den Vorschriften der Insolvenzordnung zurückgegriffen werden.67) Das wäre für das Restrukturierungsverfahren (wie auch der Wortlaut der Restrukturierungsrichtlinie zeigt) ersichtlich nicht in dieser Generalität intendiert. Vor allem ist diese Auffassung aber bereits für das Insolvenzverfahren nicht überzeugend: Auch § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO stellt als Alternativszenario auf ein Verfahren „ohne Plan“ ab. Daraus ergibt sich beim Insolvenzplanverfahren ein Interpretationsspielraum, der – bei entsprechenden konkreten Anhaltspunkten – von der Berücksichtigung eines etwaigen Zweitplans68) über eine hinreichende konkrete Möglichkeit einer übertragenden Sanierung69) bis hin zu einer GoingConcern-Lösung70) reicht, weswegen auch im Insolvenzverfahren richtigerweise eine Vielzahl theoretischer Alternativ-Szenarien besteht. Auch der BGH hat mittlerweile festgestellt, dass bei der Vergleichsrechnung nicht einfach vom Zerschlagungswert ausgegangen werden kann.71)

39

Als Zwischenergebnis scheint es damit (auf Basis der Gesetzgebungsgeschichte) nicht angezeigt, für alle praktischen Fälle auf ein typisiertes Vergleichsszenario abzustellen. Auch wenn damit eine Einzelfallbetrachtung erforderlich wird, schließt dies allerdings nicht aus, dass allgemeine Grundsätze für die Auswahl des nächstbesten Alternativszenarios entwickelt werden können. Dafür scheint es lohnenswert, sich zunächst die auf abstrakter Ebene typischen denkbaren Alternativszenarien genauer anzusehen (siehe nachfolgend unter Rz. 41 ff.), um daraus allgemeine Grundsätze und Handlungsempfehlungen abzuleiten (siehe nachfolgend Rz. 58 ff.).

40

c) Konkret denkbare Alternativszenarien aa) Denkbares Alternativszenario: Insolvenz(plan)verfahren Ein bei Nutzung der Instrumente des StaRUG wohl stets in Betracht kommendes Alternativszenario ist ein Insolvenz(plan)verfahren.72) Gerade weil (auch) für ein StaRUG-Verfahren der Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit Zugangsvoraussetzung ist, wird der Schuldner vor jedem StaRUG-Verfahren zumindest gedanklich ein Insolvenzplanverfahren als Alternativverfahren erwägen. Dies beantwortet allerdings noch nicht die Frage, ob es sich dabei auch um das nächstbeste Szenario handelt. _____________ 66) So auch Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 5. 67) BGH, Beschl. v. 29.3.2007 – IX ZB 204/05, ZIP 2007, 923 = NZI 2007, 409, 410; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 245 Rz. 7; Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 245 Rz. 10. 68) Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 245 Rz. 4. 69) Graf-Schlicker-Kebekus/Wehler, InsO, § 245 Rz. 4. 70) Braun-Braun/Frank, InsO, § 245 Rz. 3. 71) BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 30, NZI 2015, 697, 700; s. a. LG Stade, Beschl. v. 29.12.2017 – 7 T 151/17, ZInsO 2018, 614, 615. 72) So auch Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 10, insbesondere für den Fall, dass ein verlässliches Alternativszenario unter Ansatz von Fortführungswerten nicht besteht.

Kowalewski/Praß

375

41

§ 26

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

42

In vielen Fällen dürfte der Schuldner versucht sein, direkt auf dieses Szenario als nächstbestes Vergleichsszenario abzustellen. Denn der Schuldner muss für das StaRUG drohend zahlungsunfähig sein und in aller Regel steht er damit auch am Rande des Überschuldungstatbestands des § 19 InsO:73) In aller Regel wird er in dem Moment der Vergleichsbetrachtung eine positive Fortführungsprognose (und damit das [Noch-]Nicht-Vorliegen der Überschuldung) nur noch damit begründen können, dass die erfolgreiche Nutzung der Instrumente des StaRUG voraussichtlich (was aus Sicht der Verfasser bedeutet: mit überwiegender Wahrscheinlichkeit) zur Verwirklichung des Restrukturierungsziels führt.74) Damit steht er letztlich nur noch vor der Wahl zwischen zwei Wegen: StaRUG oder InsO. Verstärkt wird diese Einengung auf nur diese beiden Optionen dadurch, dass der Schuldner (bzw. dessen Geschäftsleiter) bereits vor dem Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 1 einer allgemeinen Sanierungspflicht unterliegt, die auch mit sich bringen dürfte, dass vor Nutzung der Restrukturierungsinstrumente im Sinne des § 29 Abs. 2 andere außerinsolvenzliche Restrukturierungsgestaltungen erwägt und geprüft werden müssen. Für die Gläubiger im Vergleich zu den Instrumenten des StaRUG weniger einschneidende Maßnahmen, die ebenfalls zum (nachhaltigen) Sanierungserfolg führen, dürften vorrangig genutzt werden müssen. Das bedeutet: Wenn der Schuldner die Instrumente das StaRUG nutzt (und folglich die Vergleichsrechnung nach § 6 Abs. 2 relevant wird) muss er damit – in der Theorie – eigentlich gedanklich bereits andere außerinsolvenzliche Restrukturierungsmöglichkeiten als nicht erfolgsversprechend bewertet haben, so dass sich die Optionen nur noch auf die Wahl zwischen StaRUG und InsO reduzieren.

43

Genau aus diesem Befund kann jedoch auch das Gegenargument gegen ein pauschales Abstellen auf die Insolvenz als Vergleichsszenario abgeleitet werden: Von den denkbaren weiteren Restrukturierungslösungen, die der Schuldner geprüft haben muss, mag es Lösungen geben, die eine höhere Befriedigung versprechen als die Insolvenz. Dann handelt es sich dabei um das im Vergleich zum Insolvenzverfahren bessere Alternativszenario. bb) Denkbares Alternativszenario: Liquidation

44

Ein außerdem generell denkbares – in der Entwurfsfassung der Restrukturierungsrichtlinie noch einzig vorgesehenes – Alternativszenario ist die Liquidation der Gesellschaft.75) Dieses kommt jedoch nach den Regelungen des StaRUG nur dann als bestmögliches Alternativszenario in Betracht, wenn –

ausnahmsweise die Planbetroffenen durch ein Liquidationsszenario besser als durch eine Unternehmensfortführung gestellt werden76) oder

_____________ 73) Die Verfasser verkennen nicht, dass der Schuldner dafür auch bilanziell überschuldet sein muss. Gerade bei LBO-Strukturen wird dies aber regelmäßig der Fall sein. 74) S. Begr. RegE SanInsFoG z. § 34 Abs. 3 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 137; (mit nicht überzeugenden Argumenten) an diesem Ergebnis zweifelnd: Pieckenbrock, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 82, 84. 75) So auch Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 10. Nur der Klarstellung halber sei erwähnt, dass die Liquidation als Alternativszenario nicht zwingend gleichzusetzen ist mit der Insolvenz des Unternehmens, da ein Unternehmen auch im Insolvenzverfahren fortgeführt werden kann; vgl. insoweit auch Desch, BB 2020, 2498, 2504; Skauradszun, KTS 2021, 1, 66. 76) Vgl. Spahlinger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32, 34.

376

Kowalewski/Praß

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung



§ 26

die Unternehmensfortführung – einschließlich der in § 6 Abs. 2 genannten Fortführungsalternativen – „aussichtslos“ ist.77)

Nach § 6 Abs. 2 Satz 3 dürfen bei der Vergleichsrechnung Liquidationswerte nur angesetzt werden, wenn ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung „aussichtslos“ ist. Dies ist keine zwingende Vorgabe der Restrukturierungsrichtlinie gewesen, sondern dürfte auf die Vorschläge der ESUG-Evaluation zurückgehen.78) Im Vorfeld der deutschen Umsetzung wurde auch von anderer Seite zu Recht vermehrt für eine solche Lösung plädiert.79) Wann ein Fortführungsszenario aussichtslos ist, lässt die Gesetzesbegründung allerdings offen.80) Einen ersten Anknüpfungspunkt kann der Begriff der offensichtlichen Aussichtslosigkeit im Rahmen der Eigenverwaltung (§ 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO) geben. Eine solche liegt vor, wenn die Sanierung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit scheitern wird.81) Auf den vorliegenden vorinsolvenzlichen Kontext übertragen, muss also darauf abgestellt werden, ob die Fortführung des Unternehmens in absehbarer Zeit scheitern würde, weil (1) sich klar abzeichnet, dass ein Verkaufsszenario (Distressed M&A-Szenario, siehe hierzu Rz. 46 ff.) nicht durchführbar ist und (2) zudem aufgrund objektiver Tatsachen absehbar ist, dass das Unternehmen (selbst bei Nutzung der Instrumente der InsO) nicht aus eigener Kraft wieder ertragfähig wird.82)

_____________ 77) So auch Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 6. Unklar insoweit AG Hamburg, Beschl. v. 12.4.2021 – 61a RES 1/21, ZRI 2021, 473 = BeckRS 2021, 7959: „Sofern sich kein konkretes und verlässliches Alternativszenario unter Ansatz von Fortführungswerten darstellen lässt – ein solches wird weder von der Schuldnerin noch den Planbetroffenen, die den Restrukturierungsplan abgelehnt haben, dargelegt – ist die Insolvenz des Schuldners Vergleichsmaßstab“. Richtigerweise müsste der Schuldner fundiert begründen, warum eine Fortführung nicht möglich ist (Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116). 78) S. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011, S. 189 („Option 2“), abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/101018_Gesamtbericht_Evaluierung_ESUG.pdf;jsessionid=04B8E7AD62976431818359D1040319E8.2_ cid289?__blob=publicationFile&v=2 (Abrufdatum: 25.8.2021). 79) Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 28.2.2017, S. 11; BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017, v. 4/2017, ZIP 2017, 789, 790; hierzu auch Bork, ZIP 2017, 1441, 1448; DK, DK, Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 14.11.2018, S. 7; EBF, Position Paper On the Commission’s Proposal for a Directive on preventive restructuring frameworks and second chance of 22 November 2016 – COM(2016) 723 final (EBF_025900), v. 21.2.2017, S. 3 f., abrufbar unter https://www.ebf.eu/wp-content/uploads/2017/02/ EBF_025900-EBF-position-on-the-EC-proposal-for-a-Directive-on-preventiverestructuring-frameworks.pdf (Abrufdatum: 25.8.2021). Ob genau dies in der Praxis dazu führen wird, dass Planersteller die Eingriffe in Gläubigerrechte so gering wie möglich halten (so etwa Skauradszun, KTS 2021, 1, 24), darf allerdings eher bezweifelt werden. 80) Die Begründung ersetzt nur das Wort „aussichtslos“ durch „nicht möglich“ (Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116). 81) Kern in: MünchKomm-InsO, § 270b Rz. 40; Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rz. 14. 82) Einen anderen Ansatz wählt wohl Distler, ZIP 2021, 1033, 1038, der nach Fälligkeiten der Forderungen differenziert.

Kowalewski/Praß

377

45

§ 26

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

cc) Denkbares Alternativszenario: Distressed M&A (Dual Track) 46

Das praktisch vermutlich am stärksten zu plausibilisierende Alternativszenario ist der Unternehmensverkauf bzw. eine Distressed M&A-Transaktion. § 6 Abs. 2 Satz 3 nennt diese Variante ausdrücklich und auch die Entwurfsbegründung zu § 26 führt den Unternehmensverkauf als mögliches Alternativszenario auf.83) Die Prüfung eines Unternehmensverkaufs als Restrukturierungsalternative entspricht zudem schon bisher der Best Practice bei außerinsolvenzlichen Restrukturierungen genauso wie bei Insolvenzplänen, die dem Altgesellschafter oder einzelnen Hauptgläubigern (im Wege des Debt Equity Swap) die Gesellschafterstellung belassen bzw. einräumen.

47

Grundsätzlich kann dieses Alternativszenario in zweierlei Weise ermittelt werden: Entweder kann das Unternehmen am Markt tatsächlich zum Verkauf angeboten werden (echter Dual Track) oder man überlegt sich allein auf Basis von Unternehmensbewertungen und einer allgemeinen Marktanalyse für Verkäufe dieser Art, was ein realistischer Verkaufserlös für dieses Unternehmen im Fall eines echten Verkaufsprozesses wäre (hypothetischer Dual Track).84)

48

Bei einem echten Dual Track bieten die tatsächlich gebotenen Kaufpreise naturgemäß eine deutlich bessere und belastbarere Orientierung als jede theoretische Unternehmensbewertung. Auch bei einem echten Dual Track ist aber natürlich sehr genau darauf zu achten, die verschiedenen Angebote „vergleichsfähig“ zu machen, insbesondere wenn – sei es beim Plan oder beim Kaufangebot – kein sofort fälliger Ablösebetrag bzw. Barkaufpreis geboten wird, sondern die Zahlungen an Gläubiger erst später bei entsprechend erfolgreicher Restrukturierung fließen und deshalb auch für die Zwecke der Vergleichbarkeit mit einem Alternativangebot mit dem risikoadjustierten – im Zweifel: hohen – Zinssatz auf ihren Nettobarwert abzuzinsen sind. Der klare Nachteil des hypothetischen Dual Track ist hingegen, dass die Spannbreite der gutachterlichen Wertermittlungen mit der Anzahl der eingesetzten Gutachter steigen wird und er deutlich weniger Belastbarkeit bietet (wobei insoweit darauf verwiesen werden kann, dass das Gericht bei der Vergleichsrechnung allein eine Schlüssigkeitsprüfung vornimmt), siehe dazu unten Rz. 72 ff. Zudem bringt die ausführlichste theoretische Unternehmensbewertung am Ende nichts, wenn der echte Verkauf schlicht nicht realistisch durchführbar ist.

49

Auf der anderen Seite kann die Durchführung eines echten Dual Track zu erheblichen Nachteilen führen. Immerhin befindet sich das Unternehmen vor Nutzung des StaRUG in einem (stark fortgeschrittenen) Krisenzustand. Die erwartbaren Erlöse sind in diesem Stadium regelmäßig deutlich geringer als beim Verkauf nach Sanierung. Und ein späterer Verkauf als saniertes Unternehmen kann stark belastet (wenn nicht sogar undurchführbar) werden, wenn das Unternehmen in dem Krisenzustand kurz vorher schon einmal „durch’s Dorf getragen“ wurde. Daneben belastet ein M&A-Prozess in der Krisensituation die operative Ebene des Unternehmens zumeist recht stark und bindet ggf. Ressourcen, die nötiger für die operative Restrukturierung des Unternehmens gebraucht werden.85) Zu berücksichtigen ist _____________ 83) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 128. 84) Dies generell abl. Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 8. 85) Vgl. Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 8.

378

Kowalewski/Praß

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

§ 26

auch, dass ein M&A-Prozess nicht mal eben schnell durchgeführt werden kann86) bzw. wenn, dann typischerweise nur mit weiteren erheblichen Abschlägen i. R. eines „Fire Sale“. Für eine saubere Durchführung eines M&A-Prozesses in der Krisensituation „vor StaRUG“ fehlt oftmals die Zeit. Insoweit war mit Spannung erwartet worden, ob sich der Gesetzgeber zu diesem Thema näher verhalten wird und z. B. Vorgaben zur Durchführung eines Dual Track machen würde.87) Auf Basis des Gesetzestextes dürfte jedenfalls feststehen, dass keine generelle Pflicht zur tatsächlichen Durchführung eines Dual Track besteht.88) Weder der Gesetzestext des StaRUG noch die Gesetzesbegründung sehen einen Dual Track als Zugangsvoraussetzung explizit vor. Die ESUG-Evaluation, auf die auch die Regelung in § 6 Abs. 2 wohl letztlich zurückgeht, hatte von einer pauschalen Pflicht zur Durchführung eines M&A-Prozesses bei jedem Plan auch abgeraten.89) Dies entspricht dem wohl herrschenden Meinungsstand in der Literatur.90) Ob ein Dual-Track-Szenario überhaupt zielführend ist bzw. einen maßgeblichen Beitrag zur Unternehmenssanierung gewährt, muss vielmehr in jedem konkreten Einzelfall positiv festgestellt werden. Das schließt freilich keinesfalls aus, dass er sich in der Praxis in vielen Fällen empfehlen wird.91)

50

Jedenfalls in Fällen mit einer Größe, die den Aufwand rechtfertigt, dürfte es aber lege artis sein, zumindest auf Basis eines hypothetischen Dual Track zu prüfen, ob dieser eine höhere Befriedigungschance bietet als die Nutzung der Instrumente des StaRUG. Ob dies dann als bestmögliches Alternativszenario anzusetzen ist, steht auf einem anderen Blatt.

51

Bei der Frage, ob ein – echtes oder hypothetisches – Alternativszenario für Zwecke der Vergleichsrechnung bzw. Vergleichsbetrachtung nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 ansetzungsfähig ist, wird man auch berücksichtigen müssen, ob dieser Prozess in der Praxis überhaupt mit überwiegender Wahrscheinlich realistisch ist. Das ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn der Verkaufsprozess aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht durchführbar wäre.92) Theoretische Alternativszenarien, die bei realistischer Betrachtungsweise nicht umgesetzt werden könnten, können kein geeignetes Alternativszenario darstellen.93) Denn ansonsten läuft der Streit um

52

_____________ 86) Krit. insoweit Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 8. 87) Zu Gedanken hinsichtlich eines typisierten Alternativszenarios im Sinne einer an gesetzliche Vorgaben geknüpften Unternehmensbewertung s. bereits Kowalewski/Praß in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 11 Rz. 48. 88) So auch Skauradszun, ZIP 2021, 1091, 1093. 89) Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011, S. 188 ff. („Die zwingende Vorgabe eines M&A-Prozesses scheint … zu weitgehend“), abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/101018_Gesamtbericht_Evaluierung_ESUG.pdf; jsessionid=04B8E7AD62976431818359D1040319E8.2_cid289?__blob=publicationFile&v=2 (Abrufdatum: 25.8.2021). 90) Gegen ein solches Erfordernis zuletzt Hofmann NZI Beilage Heft 16-17/2019, S. 22, 24; Brinkmann, NZI Beilage Heft 16-17/2019, S. 27, 28. 91) In eine ähnliche Richtung Skauradszun, KTS 2021, 1, 68; s. dazu auch noch Rz. 58 ff. 92) In die Richtung im Allgemeinen auch Spahlinger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32, 33 f. 93) So auch Spahlinger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32, 34.

Kowalewski/Praß

379

§ 26

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

das nächstbeste Alternativszenario am Ende auf eine „Gutachten-Schlacht“ hinaus, bei der jeder Betroffene schlicht auf Basis von theoretischen Werten und eigenen Erfolgswahrscheinlichkeitsannahmen versucht, den Plan zu Fall zu bringen. 53

Ein rechtliches Hindernis für einen M&A-Prozess kann grundsätzlich aus gesetzlichen (z. B. kartellrechtlichen) Gründen folgen, vor allem aber auch aus vertraglichen, etwa wenn die Kreditgeber des Schuldners bereits im Vorfeld klargestellt haben, einem nach den Kreditverträgen zustimmungsbedürftigen Verkaufsprozess bzw. einem für die Abwicklung eines denkbaren Verkaufes notwendigen Teilforderungsverzichts nicht mit der nötigen Mehrheit (im Zweifel: 100 %) zuzustimmen. Kreditverträge enthalten in der Praxis regelmäßig Change-of-Control-Klauseln (relevant für Share Deals) und Beschränkungen zur Veräußerung von Vermögenswerten (relevant für Asset Deals). Erfährt ein M&A-Szenario aller Voraussicht nach nicht die erforderliche Zustimmung der Kreditgeber, kann es grundsätzlich nicht als Alternativszenario angesetzt werden, es sei denn es führt zur Vollablösung der Kreditgeber.

54

Dieses (vorläufige) Ergebnis bedarf jedoch aus zwei Gründen einer Korrektur:

55



Hängt das anzusetzende Vergleichsszenario allein von der finanziererseitigen Zustimmung ab, haben die Kreditgeber darauf maßgeblichen, wenn nicht sogar alleinigen Einfluss.



Hierin liegt zugleich die Gefahr eines missbräuchlichen Verhaltens durch die Finanzierer, indem sie allein aus eigennützigen Gründen (z. B. bessere Chancen der Durchsetzung des eigenen Rückzahlungsanspruches; Zinsmargen-Erhöhung im StaRUG-Verfahren, Durchsetzung von Risiko-Zuschlägen etc.) dem hypothetischen Verkaufsprozess die Zustimmung verweigern, um es als berücksichtigungsfähiges Alternativszenario auszuschließen.

Deswegen ist richtigerweise im Ausnahmefall trotz der Zustimmungsverweigerung der Kreditgeber ein M&A-Prozess als Vergleichsszenario berücksichtigungsfähig, wenn die Zustimmungsverweigerung (1) willkürlich oder (2) aus sachfremden Gründen bzw. Erwägungen erfolgt ist. Denn die Kreditgeber dürfen nicht alleine und vor allem ohne etwaige Drittkontrolle über die maßgeblichen Vergleichsszenarien bestimmen. Das materielle Argument für diese Auffassung folgt letztlich aus den Grundgedanken der Restrukturierungsrichtlinie und von § 26 Abs. 1 Nr. 1: Am Ende geht es bei § 26 Abs. 1 Nr. 1 um eine allgemeine Missbrauchskontrolle, die eine allseitige Besserstellung durch den Restrukturierungsplan sicherstellen soll. Zur Vermeidung von Missverständnissen: Braucht es zur Umsetzung des alternativ überlegten M&A-Szenarios mehr als den Verzicht auf die Change-of-ControlRechte (z. B. eine Kreditvertragsprolongation, einen Forderungsverzicht oder eine Sicherheitenfreigabe ohne adäquate Gegenleistung), dürfte immer ein sachlicher Grund für eine Verweigerung vorliegen. dd) Denkbares Alternativszenario: Kapitalmaßnahmen

56

Als weitere Alternative nicht vergessen werden darf die Durchführung von Kapitalmaßnahmen, insbesondere in Form einer Kapitalerhöhung.

57

Die Suche nach einem potentiellen Investor, der gewillt ist, frisches Geld in das Unternehmen zu investieren (sei es als Barkapitalerhöhung oder durch Umwand380

Kowalewski/Praß

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

§ 26

lung von Fremd- in Eigenkapital durch einen Debt Equity Swap), hat nicht nur den (offensichtlichen) Vorteil, dass durch diese Lösung auf Eigenkapitalseite Eingriffe auf Gläubigerseite abgemildert oder sogar gänzlich unnötig werden können. Die Suche hat gerade bei börsennotierten Gesellschaften auch einen – für die Frage nach realistischen Vergleichsszenarien durchaus wichtigen – markttestähnlichen Charakter, da das Ergebnis der Suche zumindest eine Indikation geben kann, ob sich Investoren generell für das Unternehmen interessieren. Gleichzeitig hat diese Maßnahme aber nicht dieselben nachteiligen Effekte wie die Vorbereitung eines Gesamtverkaufs. Sie ist – in einer Phase, in der neben der finanziellen Restrukturierung in der Regel auch das operative Geschäft umstrukturiert werden muss – finanziell und zeitlich nicht so aufwendig und könnte ggf., wenn die Erhöhung unter Ausnutzung eines genehmigten Kapitals geschieht, auch ohne Beschluss der bestehenden Gesellschafter durchgeführt werden. Gleichzeitig darf ein fortbestehend positiver Aktienkurs auch nicht überinterpretiert werden, z. B. wenn gleichzeitig Fremdkapitaltranchen mit deutlichen Abschlägen am Sekundärmarkt gehandelt werden. Denn dann kann auch nicht erwartet werden, dass eine Bezugsrechtsemission nahe dem Börsenkurs platziert werden kann. d) Resümee und Handlungsempfehlungen Aus Sicht der Verfasser zeigen die vorstehenden Überlegungen eines ganz deutlich: Das StaRUG kann nicht – wie gelegentlich aufgrund des Wortes „Restrukturierungsrahmen“ formalistisch behauptet – schlicht als ein Baukasten verstanden werden, aus dem man sich z. B. einfach die gerichtliche Planbestätigung mit gruppenübergreifendem Cram-down bei Bedarf im Sinne eines minimal-invasiven chirurgischen Eingriffs herauspickt, wie man es gerade gerne hätte. Das StaRUG ist am Ende nur dafür da, bestimmte rechtliche Instrumentarien zu gewähren, auf die man im Rahmen eines notwendigen Gesamtrestrukturierungsprozesses zugreifen kann. Jeder Nutzung eines gesetzlichen Restrukturierungsinstruments des StaRUG muss für seine innere Legitimität konsequenterweise letztlich ein außergerichtlicher Transaktionsprozess mit den Stakeholdern vorgeschaltet sein, was typischerweise zunächst zu einem außergerichtlichen Einigungsversuch mit den wesentlichen Stakeholdern führt. Zwar weist das AG Hamburg94) (insoweit richtig) darauf hin, dass es keine generelle Bedingung für die Planbestätigung sei, das Restrukturierungsvorhaben den Planbetroffenen vorab angekündigt zu haben und/oder mit diesen zuvor (erfolglos) Alternativlösungen gesucht zu haben, da sich eine solche Anforderung weder dem Gesetz selbst noch der Gesetzesbegründung entnehmen lasse. Ohne einen solchen Prozess läuft der Schuldner allerdings große Gefahr, dass die Zugangsvoraussetzung der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht ordentlich nachweisbar ist,95) und vor allem läuft er auch Gefahr, die zentrale Frage nach dem bestmöglichen Alternativszenario gegenüber den Planbetroffenen und insbesonde-

_____________ 94) AG Hamburg, Beschl. v. 12.4.2021 – 61a RES 1/21, ZRI 2021, 473 = BeckRS 2021, 7959. 95) Vgl. AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377 = NZI 2021, 433.

Kowalewski/Praß

381

58

§ 26

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

re auch vor Gericht nicht hinreichend valide beantworten zu können.96) Um sein im Plan angesetztes nächstbestes Alternativszenario rechtfertigen und schlüssig vortragen zu können, muss er es vorher als das tatsächlich nächstbeste Alternativszenario plausibilisiert haben. Das geht in der Regel nur im Rahmen eines tatsächlich aufgesetzten, ernsthaft betriebenen Gesamtprozesses. 59

Geordnet dargestellt wird die vom Schuldner aufzustellende Behauptung, der Plan sei für alle Betroffenen das Beste, auf zwei Ebenen potentielle Angriffspunkte bieten, die hier zur Systematisierung als Aktiv- und Passivseite bezeichnet werden sollen: –

Die überstimmten Planbetroffenen können einerseits vorbringen, dass der Schuldner auf Aktivseite zu niedrige zu verteilende Werte angesetzt hat, z. B. weil er fälschlicherweise Zerschlagungswerte ansetzt (siehe dazu oben Rz. 44 ff.) oder weil die angesetzten Fortführungswerte nicht ein (bestimmtes) M&ASzenario berücksichtigen, das zu einem höheren Wertzufluss führt (siehe dazu oben Rz. 46 ff.).



Andererseits kann der Einwand vorgebracht werden, der Wert der Aktivseite sei auf Passivseite, also unter den Planbetroffenen Gläubigern und Anteilsinhabern, nicht „fair“ alloziert worden, z. B. weil das verteilungsfähige Vermögen einzelnen Betroffenen über Gebühr zufließt oder weil den überstimmten Betroffenen in einem anderen Szenario mehr Werte zufließen würden.

60

Hinsichtlich der Vorwürfe zur Aktivseite kommt es entscheidend darauf an, dass das vom Planarchitekten ausgewählte nächstbeste Alternativszenario schlüssig dargelegt werden kann, wofür ihm der hier jedenfalls für größere Restrukturierungen geforderte vorgeschaltete Gesamtprozess helfen wird. Für die Fragen der Aktivseite ist zudem der zum M&A-Prozess dargestellte Grundsatz verallgemeinerungsfähig, dass generell unrealistische Alternativszenarien nicht angesetzt werden müssen, wobei es eine Missbrauchskontrolle zu geben hat, wenn die wesentlichen, den Plan bestimmenden Gläubiger die rechtliche Möglichkeit haben, andere Alternativszenarien durch Versagung der dafür notwendigen Zustimmung als unrealistisch auszuschließen (siehe dazu oben Rz. 46 ff.).

61

Zu den Vorwürfen auf Passivseite ist zunächst zu wiederholen, dass das Gericht keine Zweckmäßigkeitsprüfung vornimmt und insbesondere nicht prüft, ob der Plan für einzelne noch optimiert werden könnte.97) Das Gericht wird diese Vorwürfe daher in aller Regel nicht bei der Bewertung des Alternativszenarios im Rahmen von § 26 Abs. 1 Nr. 1 prüfen. Völlig frei ist der Schuldner bei der Allozierung der Werte gleichwohl nicht. Der gesetzliche Rahmen dafür wird gesteckt durch: –

Das Verbot der Überkompensation (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 2);



Die Voraussetzung der angemessenen Beteiligung am Planwert (§ 26 Abs. 1 Nr. 2), also insbesondere die Beachtung der Regel des absoluten Vorrangs (§ 27 Abs. 1 Nr. 2); _____________ 96) Daneben dürfte dieser vorgeschaltete Prozess auch erforderlich sein, um der Geschäftsleitung einerseits gegenüber den Anteilsinhabern und andererseits vor dem Hintergrund der Sanierungspflicht aus § 1 StaRUG Argumentationsfutter zu geben, dass die Nutzung der Instrumente des StaRUG überhaupt geboten ist. 97) AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377 = NZI 2021, 433.

382

Kowalewski/Praß

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

§ 26



den gruppeninternen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 10 Abs. 1); und



das gruppenübergreifende Schlechterstellungsverbot (§ 27 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 Nr. 2).

Abschließend kann zudem nur noch einmal vorsorglich wiederholt werden, dass der Schuldner nicht drum herum kommen wird, seine Ansätze in der Vergleichsrechnung „fundiert“98) zu begründen. Insoweit muss stets geprüft werden, ob ein Markttest (sei es über einen Verkaufsprozess oder einen Eigenkapitaleinwerbungsprozess) nicht tatsächlich durchgeführt werden sollte. Die dabei eine Rolle spielenden Abwägungskriterien wurden oben bereits dargestellt (siehe Rz. 46 ff.).

62

Ebenfalls mag es Einzelfall zweckmäßig sein, die Vergleichsrechnung mit den wesentlichen Planbetroffenen im Vorfeld des Planangebots abzusprechen,99) wenngleich dies in aller Regel nicht zur vollständigen Verfahrenssicherheit führen wird, da sich dem Plan widersprechende Betroffene auch im Vorfeld nicht auf solche Absprachen einlassen dürften.

63

2.

Angemessene Beteiligung am Planwert (Abs. 1 Nr. 2)

Nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 müssen die Mitglieder der überstimmten Gruppe angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der auf der Grundlage des Plans den Planbetroffenen zufließen soll (sog. Planwert). Während das Schlechterstellungsverbot in § 26 Abs. 1 Nr. 1 die Sicherung von bestehenden Positionen bezweckt, zielt § 26 Abs. 1 Nr. 2 auf die angemessene Verteilung des so generierten Planmehrwerts. Wann ein Planbetroffener angemessen beteiligt ist, wird durch § 27 konkretisiert (siehe hierzu umfassend § 27 Rz. 23 ff.). § 27 basiert auf der sog. absoluten Prioritätsregel, die durch § 28 wieder eine Einschränkung erfährt.100) 3.

64

Erforderliche Mehrheit der abstimmenden Gruppen (Abs. 1 Nr. 3)

Als dritte kumulative Voraussetzung für den gruppenübergreifenden Cram-down fordert § 26 Abs. 1 Nr. 3, dass die Mehrheit der abstimmenden Gruppen, die nicht ausschließlich aus Anteilsinhabern oder nachrangigen Gläubigern bestehen darf, zugestimmt haben muss. Der Entscheidungsspielraum, den der europäische Gesetzgeber den Mitgliedstaaten bei dieser Frage zugestanden hatte (siehe hierzu Rz. 3 ff.), eröffnete dem deutschen Gesetzgeber die Möglichkeit, sich auch diesbezüglich an § 245 InsO zu orientieren, der in § 26 Abs. 1 Nr. 3 ebenfalls die Mehrheit der abstimmenden Gruppen verlangt.101)

_____________ 98) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116; s. dazu auch Jacoby/ Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011, S. 188 ff., abrufbar unter https:// www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/101018_Gesamtbericht_Evaluierung_ESUG.pdf;jsessionid=04B8E7AD62976431818359D1040319E8.2_cid289?__blob= publicationFile&v=2 (Abrufdatum: 25.8.2021). 99) Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 27. 100) Vgl. Spahlinger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32, 34. 101) Krit. hierzu Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 24 ff.; Nerlich/ Römermann-Braun, InsO, Vorbem. §§ 217 – 269 Rz. 126 f.

Kowalewski/Praß

383

65

§ 26

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

66

Der Gesetzgeber hat sich somit auch für das Restrukturierungsplanverfahren für ein hohes Schutzniveau entschieden. Zwar wird der tatsächliche Schutz der ablehnenden Gläubiger maßgeblich über die weiteren Voraussetzungen des gruppenübergreifenden Cram-down (insbesondere das Schlechterstellungsverbot und die Regel des absoluten Vorrangs) sichergestellt, weswegen der Gesetzgeber an dieser Stelle weniger streng hätte sein können. Dennoch sind diese hohen Anforderungen gerechtfertigt: Wenn nicht einmal die Mehrheit der abstimmenden Klassen dem Restrukturierungsplan zustimmt, fällt es schwer, eine Legitimationsgrundlage für eine überstimmende Macht einzelner Gläubiger zu finden, gerade auch bei systematischer Betrachtung im Verhältnis zur Regelung des § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO.102) Vor diesem Hintergrund überzeugt der grundsätzliche Gleichlauf beider Sanierungsplanverfahren an dieser Stelle.103)

67

Die Norm weist allerdings in zweifacher Hinsicht Unterschiede zu § 245 InsO auf: –

Werden nur zwei Gruppen gebildet, genügt die Zustimmung einer Gruppe, § 26 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2. Diese Abweichung vom Insolvenzplanverfahren geht auf den Vorschlag des Unionsgesetzgebers in ErwG 54 der Restrukturierungsrichtlinie zurück, um in keinem Szenario die Zustimmung sämtlicher Gruppen zu fordern. Zudem wird es dadurch dem Planarchitekten erleichtert, die Mehrheiten für den Restrukturierungsplan abzusichern, wenn anderweitige Unterscheidungsmerkmale für eine weitere Gruppenunterteilung gem. § 9 Abs. 2 fehlen (siehe hierzu § 9 Rz. 58 ff.).104) Anders als § 245 InsO ist § 26 damit auch bereits bei zwei Gruppen anwendbar.105) Vor dem Hintergrund der in § 9 vorgesehenen Pflichtgruppen wird dies nur für Restrukturierungspläne relevant, die lediglich einzelne oder wenige Stakeholdergruppen in den Plan einbeziehen.



Des Weiteren fordert § 26 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 3, dass die zustimmenden Gruppen nicht ausschließlich durch Anteilsinhaber und nachrangige Gläubiger zusammengesetzt sein dürfen. Diese Formulierung ist – im Vergleich mit der klaren Regelung der Restrukturierungsrichtlinie – aus unverständlichen

_____________ 102) Vgl. auch Korch, ZHR 182 (2018), 440, 479, der darauf hinweist, dass durch die Zustimmung nur einer Klasse zum Ausdruck komme, dass die Mehrheit der Gläubiger nicht damit rechne, dass die Sanierung nach dem vorgeschlagenen Plan sinnvoll ist. Dies ist gleichwohl etwas verkürzt dargestellt, da es durchaus andere Motive geben kann, gegen einen Plan zu stimmen als Zweifel daran, dass durch den Plan die Sanierung gelingt; Vgl. auch Brinkmann, NZI Beilage Heft 16-17/2019, S. 27, 28, im Fall von Investoren könnte eine erhebliche Ausnutzung des Zustimmungserfordernis durch nur eine Klasse entstehen. Die (Zwischen)Finanzierer könnten sich aufgrund derer insolvenzrechtlichen Privilegierung eine gesonderte Klasse zuweisen lassen und den Plan dahingehend lenken, um ein für sie bestmögliches Ergebnis zu erzielen. Vor allem im Hinblick darauf eine teilentschuldete Gesellschaft zu übernehmen, indem Forderungen durch einen Debt Equity Swap verringert werden. 103) Vgl. hierzu schon Kowalewski/Praß in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 11 Rz. 91, sowie Westpfahl, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 49, 51. 104) Ob diese Regelung „erhebliches Missbrauchspotential“ birgt, ist vor dem Hintergrund des begrenzten Anwendungsbereich eher zu bezweifeln, so aber Bork, ZRI 2021, 345, 358. 105) Das insolvenzrechtliche Obstruktionsverbot wird erst ab drei gebildeten Gruppen für anwendbar gehalten, vgl. AG Göttingen, Beschl. v. 7.6.2019 – 74 IK 271/17, NZI 2019, 673; Braun-Braun/Frank, InsO, § 245 Rz. 24; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 245 Rz. 18.

384

Kowalewski/Praß

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

§ 26

Gründen missverständlich.106) Vorausgesetzt wird nämlich nicht, wie man die Vorschrift auch lesen könnte, dass Gruppen aus Anteilsinhabern und nachrangigen Gläubigern nicht zu den zustimmenden Gruppen gehören dürfen, die die Mehrheit der Gruppen bilden. Gefordert wird nur, dass mindestens eine Gruppe zustimmen muss, die nicht zu diesen nachrangigen Gruppen zählt.107) Mit anderen Worten muss für den gruppenübergreifenden Cram-down zumindest eine Gruppe von Absonderungsanwartschaftsinhabern oder nicht nachrangigen Gläubigern zustimmen. Damit wird die denkbare problematische Situation verhindert, dass Stakeholder, die bei einer Liquidation sowieso keine Werte erhalten hätten (also „out of the money“ wären), andere Stakeholder überstimmen können, die im Falle einer Liquidation noch voll befriedigt werden könnten. Es ist nicht eindeutig, ab wann eine Gruppe als „abstimmende Gruppe“ zu qualifizieren ist. Mit der entsprechenden Formulierung in § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO hatte der Gesetzgeber vor allem darauf abgezielt, dass bei der Berechnung der Mehrheit der Gruppen keine Gruppen gezählt werden, deren Zustimmung schon qua Gesetz (also nicht über einen beantragten Cram-down) fingiert wird (§§ 246, 246a InsO).108) Dieser Zweck läuft im StaRUG leer, da es keine den §§ 246, 246a InsO entsprechenden Regelungen kennt. Vor diesem Hintergrund könnte man das Merkmal entweder so auslegen, dass jede Gruppe, die zur Abstimmung zugelassen ist (ergo: jede Gruppe), eine abstimmende Gruppe ist, oder so, dass eine Gruppe erst dann als abstimmende Gruppe gilt, wenn es bei der Abstimmung zumindest eine (wie auch immer lautende) Stimmabgabe in der Gruppe gegeben hat. Gerade mit Blick auf die Regelung des § 246a InsO spricht viel dafür, dass die zweite Auslegungsvariante richtig ist.109) Anderenfalls hätte der ausdrückliche Bezug auf „abstimmende“ Gruppen keinen Regelungsgehalt.

68

VI. Sonderregelung für Eingriffe in gruppeninterne Drittsicherheiten (Abs. 2) Auch gruppeninterne Drittsicherheiten (zur Definition siehe § 2 Abs. 4) können gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 im Restrukturierungsplan gestaltet werden – jedoch nur mit der Zustimmung der jeweiligen Sicherungsgeber, vgl. § 15 Abs. 4. Die entsprechende Parallelregelung für den Insolvenzplan findet sich in § 245 Abs. 2a InsO. Für die Inhaber dieser Sicherheiten ist nach § 9 Abs. 1 Satz 3 eine eigene Abstimmungsgruppe zu bilden, die auch gemäß der §§ 26 ff. überstimmt werden kann. Für diesen Fall wiederholt § 26 Abs. 2 letztlich nur noch einmal die bereits in § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 statuierte Notwendigkeit einer Entschädigung für die entsprechenden Gläubiger. Zusätzlich sind die Sicherungsnehmer gegen Eingriffe in ihre Sicherungsrechte gegenüber den verbundenen Unternehmen durch die Minderheitenschutzregelung in § 64 Abs. 1 geschützt.110) Darüber hinaus stellt § 26 Abs. 2 zusätzlich klar, dass die Frage der angemessenen Entschädigung der betroffenen Gläubiger keiner Überstimmung im Rahmen der §§ 26 ff. zugänglich ist. Über den Wortlaut _____________ 106) 107) 108) 109) 110)

Vgl. die Vorgabe in Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b Ziff. i. Klarer ist insoweit die Formulierung der entsprechenden Entwurfsbegründung. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 209. A. A. Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 19, wonach die Wertung des § 25 durchgreife. Vgl. Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 22.

Kowalewski/Praß

385

69

§ 26

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

findet § 26 Abs. 2 auch auf andere Gruppen Anwendung, wenn im Restrukturierungsplan die Haftung eines persönlich haftenden Gesellschafters beschränkt wird (vgl. § 2 Abs. 4 Satz 2),111) und zwar in der Höhe der Werthaltigkeit der Forderung gegenüber dem persönlich haftenden Gesellschafter.112) Insoweit ist die Vorschrift nach richtiger Lesart aber rein klarstellend und an sich unnötig.113) 70

Nach der Gesetzesbegründung soll die Entschädigung dann angemessen sein, wenn sie der Höhe entspricht, in der die jeweilige Drittsicherheit noch werthaltig ist.114) Die Angemessenheit dieser Entschädigung kann durch den Restrukturierungsbeauftragen als Sachverständiger überprüft werden, § 73 Abs. 3 Nr. 2. VII. Rechtsfolge 1.

71

2. 72

Zustimmungsfiktion

Nach dem Wortlaut des § 26 Abs. 1 („gilt die Zustimmung dieser Gruppe als erteilt“) wird die Zustimmung der ablehnenden Gruppe bei Vorliegen der Voraussetzungen aus § 26 Abs. 1 fingiert. Dieselbe Rechtsfolge sieht auch die Parallelnorm des § 245 InsO zum Insolvenzplanverfahren vor. Die Zustimmungsfiktion wirkt jedoch nicht unmittelbar mit dem Vorliegen der Voraussetzungen nach der Planabstimmung, sondern tritt erst durch die gerichtliche Planbestätigung gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 ein (siehe hierzu § 67 Rz. 20 ff.). Folge des Verstoßes gegen die Vorgaben

Das Verfahren zur Überprüfung der Voraussetzungen ist vom Gesetzgeber bewusst an die insolvenzrechtlichen Parallelnormen der §§ 250 ff. InsO angelehnt worden.115) Gemäß § 63 hat das Gericht die Planbestätigung von Amts wegen zu versagen, wenn die Vorschriften zur Annahme des Plans „in einem wesentlichen Punkt“ nicht beachtet worden sind. Hierzu zählen unter anderem auch die Vorgaben für einen gruppenübergreifenden Cram-down. Verstöße gegen die §§ 26 ff. sind stets „wesentlich“ im Sinne von § 63 Abs. 1 Nr. 2. Aus technischer Sicht problematisch ist insoweit, dass eigentlich erst die Planbestätigung selbst zu der Zustimmungsfiktion führt. Vor der Planbestätigung kann es also keine Verletzung der §§ 26 ff. geben. Das Gericht kann vielmehr erst selbst mit seiner Entscheidung einen Verfahrensverstoß verursachen. Daher wird bereits bei den im Wesentlichen deckungsgleichen Regelungen im Insolvenzrecht angenommen, dass das Gericht (nur) die Einhaltung der Voraussetzungen der §§ 26 ff. und nicht zugleich auch deren Verstoß prüft.116) Bei der Planbestätigung kommt der Aufnahme der „Vorschriften über die Annahme des Plans“ somit keine eigenständige Bedeutung zu. Relevant _____________ 111) Vgl. Spahlinger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32, 34 f., unter Bezugnahme auf den RegE: Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 128; Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 24. 112) Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 24. 113) So auch Westpfahl/Dittmar, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 46, 47. 114) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 113. 115) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 162. 116) Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 245 Rz. 12; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 245 Rz. 1; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 245 Rz. 27; Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 245 Rz. 9; Westpfahl in: Kübler, HRI, § 42 Rz. 41.

386

Kowalewski/Praß

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

§ 26

wird diese Passage im Rechtsmittelverfahren des § 66, da dort derselbe Prüfungsumfang wie bei der Planbestätigung gilt.117) Hinsichtlich des gerichtlichen Prüfungsumfangs bei der Planbestätigung ist – insbesondere mit Blick auf die Vergleichsbetrachtung nach Abs. 1 Nr. 1 – zu differenzieren: –

Die wirtschaftlichen Annahmen, die der Erstellung des Restrukturierungsplans zugrunde liegen, prüft das Gericht von Amts wegen.118)



Die Prüfung der nächstbesten Alternativszenarien – und damit der Vergleichsrechnung insgesamt – ist eine reine Schlüssigkeitsprüfung des Restrukturierungsgerichts.119)



Die Frage, ob eine „voraussichtliche“ Schlechterstellung einzelner Planbetroffene vorliegt, ist letztlich eine „Einschätzung“ des Gerichts selbst, nicht eines Sachverständigen.120)



Dem Gericht ist die Entscheidung darüber entzogen, ob ein objektiv besseres Restrukturierungskonzept hätte umgesetzt werden können.

73

Dies spiegelt die gesetzgeberische Wertung, dass dem Planersteller bei der Ausgestaltung des Restrukturierungsplans ein weitgehender Ermessensspielraum zusteht. Zur Substanziierung des Parteivortrages wird es oftmals geboten sein, für die Bewertung des Alternativszenarios ein Gutachten eines unabhängigen Dritten (z. B. Sanierungsgutachter) vorzulegen. Im Rahmen der Planüberprüfung wird es oftmals dazu kommen, dass der sich wehrende Planbetroffene ein Gegengutachten vorlegt, jedenfalls um die Schlüssigkeit des Schuldnergutachtens in Frage zu stellen. Dies ist letztlich Konsequenz des Schutzsystems, das bereits in der Restrukturierungsrichtlinie angelegt ist. Insoweit ist aber an die Gerichte zu appellieren, die Kosten für eine solche „Bewertungs-Schlacht“ nicht noch durch umfassende eigene Beauftragungen von Sachverständigen in die Höhe zu treiben.121)

74

Ungeachtet der Tatsache, dass die Voraussetzungen der Zustimmungsersetzung von Amts wegen zu prüfen ist, gewährt § 64 den Betroffenen zusätzlichen individuellen Rechtsschutz, der § 251 InsO nachgebildet ist.122) In Abgrenzung zur gerichtlichen Planbestätigung nach § 63, in der das Gericht von Amts wegen die Schlechterstellung der ganzen ablehnenden Gruppe nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 prüft, erfolgt auf Antrag im Rahmen des § 64 eine Prüfung der individuellen Schlechterstellung des

75

_____________ 117) Zu den parallelen insolvenzrechtlichen Vorschriften § 254 InsO BGH, Urt. v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, Rz. 35, NZI 2014, 751. 118) AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377 = NZI 2021, 433. 119) Vgl. AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377 = NZI 2021, 433; vgl. auch RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 162 – zu Abs. 2. 120) Vgl. Braun-Herzig, StaRUG, § 26 Rz. 13; zum Insolvenzrecht vgl. Braun-Braun/Frank, InsO, § 245 Rz. 5. 121) S. dazu bereits Kowalewski/Praß in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 11 Rz. 94 ff. 122) Insoweit auch die Intention des Gesetzgebers, vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 619/20, S. 187 f.

Kowalewski/Praß

387

§ 27

Absolute Priorität

antragstellenden Planbetroffenen.123) Damit das Gericht dies prüft, ist grundsätzlich erforderlich, dass der jeweilige Planbetroffene bereits bei der Planabstimmung widersprochen und eine Schlechterstellung geltend gemacht hat, zur Sondervorschrift des § 64 Abs. 4 (siehe hierzu § 64 Rz. 37 ff.). Anders als in § 251 InsO wird hier nicht der Begriff der Glaubhaftmachung benutzt. In der Sache hat dies aber keine Auswirkungen (siehe hierzu § 64 Rz. 38 ff.). Das Gericht kann sich bei der Entscheidung auch eines externen Sachverständigen bedienen, um die Einhaltung der – in einem vorinsolvenzlichen Verfahren besonders wichtigen – Gläubigerschutzvorschriften überprüfen zu können.124) Mit Blick auf die in einem ähnlichen Maße wichtige Verfahrensbeschleunigung sollte von dieser Möglichkeit jedoch nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht werden. 76

Sollte das Gericht trotz des Antrags nach § 64 oder ohne, dass ein solcher gestellt wurde, den Plan bestätigen, steht den Planbetroffenen gegen diese Entscheidung die sofortige Beschwerde zu, § 66. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für dieses Rechtsmittel sind jedoch ungleich höher als bei § 64 (siehe hierzu § 66 Rz. 6 ff.). _____________ 123) So ausdrücklich Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 37; Flöther in: BK-InsO, § 245 Rz. 11; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 251 Rz. 3; Jungmann, KTS 2006, 135, 144; anders hingegen LG Göttingen, Beschl. v. 7.9.2004 – 10 T 78/04, NZI 2005, 41. 124) In diese Richtung auch im Insolvenzrecht Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 50; Thies in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 24.

§ 27 Absolute Priorität Kowalewski/Praß

(1) Eine Gruppe von Gläubigern ist angemessen am Planwert beteiligt, wenn 1.

kein anderer planbetroffener Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen,

2.

weder ein planbetroffener Gläubiger, der ohne einen Plan in einem Insolvenzverfahren mit Nachrang gegenüber den Gläubigern der Gruppe zu befriedigen wäre, noch der Schuldner oder eine an dem Schuldner beteiligte Person einen nicht durch Leistung in das Vermögen des Schuldners vollständig ausgeglichenen wirtschaftlichen Wert erhält und

3.

kein planbetroffener Gläubiger, der in einem Insolvenzverfahren gleichrangig mit den Gläubigern der Gruppe zu befriedigen wäre, bessergestellt wird als diese Gläubiger.

(2) Für eine Gruppe der an dem Schuldner beteiligten Personen liegt eine angemessene Beteiligung am Planwert vor, wenn nach dem Plan 1.

kein planbetroffener Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen, und

2.

vorbehaltlich des § 28 Absatz 2 Nummer 1 keine an dem Schuldner beteiligte Person, die ohne Plan den Mitgliedern der Gruppe gleichgestellt wäre, einen wirtschaftlichen Wert behält.

388

Kowalewski/Praß

§ 27

Absolute Priorität

Literatur: Brünkmans/Greif-Werner, Die Prüfung gesellschaftsrechtlicher Regelungen im Insolvenzplan durch Insolvenzgericht und Registergericht, ZInsO 2015, 1585; Decher/ Voland, Kapitalschnitt und Bezugsrechtsausschluss im Insolvenzplan – Kalte Enteignung oder Konsequenz des ESUG?, ZIP 2013, 103; Eidenmüller, Der Insolvenzplan als gesellschaftsrechtliches Universalwerkzeug, NJW 2014, 17; Fischer, Der ÜbernahmeSwap durch Insolvenzplan – Investitionsentscheidung im Wettbewerb, NZI 2013, 823; Freitag, Grundfragen der Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen und ihre Umsetzung in das deutsche Recht, ZIP 2019, 541; Haas, Mehr Gesellschaftsrecht im Insolvenzplanverfahren: Die Einbeziehung der Anteilsrechte in das Insolvenzverfahren, NZG 2012, 961; Hölzle/Beyß, Gesellschaftsrechtliche Zweifelsfragen im Insolvenzplanverfahren, ZIP 2016, 1461; Horstkotte/Martini, Die Einbeziehung der Anteilseigner in den Insolvenzplan nach ESUG, ZInsO 2012, 557; Klausmann, Gesellschaftsrechtlich zulässige Regelungen im Insolvenzplan im Sinne von § 225a III InsO, NZG 2015, 1300; Korch, Die Rolle der Gesellschafter im künftigen Restrukturierungsverfahren, ZIP 2020, 446; Krohn, Rethinking Priority: The dawn of the relative priority rule and the new „best interests of creditors“ test in the European Union, Stand: 24.6.2020 (zit.: Krohn, Rethinking Priority), abrufbar unter https://ssrn.com/abstract=3554349 (Abrufdatum 25.8.2021); Madaus, Die neue European Relative Priority Rule der Restrukturierungsrichtlinie – Das Ende des europäischen Insolvenzrechts?, abrufbar unter https://stephanmadaus.de/ 2019/03/12/die-neue-european-relative-priority-rule-der-restrukturierungsrichtlinie-dasende-des-europaeischen-insolvenzrechts/ (Abrufdaum: 25.8.2021); Madaus, Leaving the Shadows of US Bankruptcy Law: A Proposal to Divide the Realms of Insolvency and Restructuring Law, EBOR Vol. 19/2018, Issue 3, S. 615; Mulert/Steiner, Gesellschaftsrechtlich zulässige Regelungen im Insolvenz- und Restrukturierungsplanverfahren, NZG 2021, 673; Müller, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen im Insolvenzplan, KTS 2012, 419; Noack/Schneiders, „Gesellschaftsrechtlich zulässige“ Regelungen im Insolvenzplan (§ 225a III InsO), DB 2016, 1619; Paulus, Die Entdämonisierung des Scheiterns: Ein EU-Richtlinienentwurf greift Schuldnern unter die Arme, GmbHR 2017, R 257; Rodloff, Zum Kontrollmaßstab des Bezugsrechtsausschlusses, ZIP 2003, 1076; Schmidt, H., Der Richtlinienvorschlag für präventive Restrukturierungsrahmen aus Bankensicht, WM 2017, 1735; Seibt/v. Treuenfeld, Gesellschafts- und kapitalmarktrechtliche Aspekte der EU-Restrukturierungsrichtlinie, DB 2019, 1190; Simon/Merkelbach, Gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, NZG 2012, 121; Skauradszun, Grundfragen zum StaRUG – Ziele, Rechtsnatur, Rechtfertigung, Schutzinstrumente, KTS 2021, 1; Thole, Der Richtlinienentwurf zum präventiven Restrukturierungsrahmen, ZIP 2017, 101; de Weijs/Jonkers/Malakotipour, The Imminent Distortion of European Insolvency Law, Centre for the Study of European Contract Law Working Paper No. 2019-05, S. 12, abrufbar unter https://pure.uva.nl/ws/files/47304690/SSRN_id3350375.pdf (Abrufdatum: 25.8.2021); Wessels, A reply to professor De Weijs et al., abrufbar unter https:// bobwessels.nl/blog/2019-03-doc10-the-full-version-of-my-reply-to-professor-de-weijset-al/ (Abrufdatum: 25.8.2021); Wieneke/Hoffmann, Der Erhalt der Börsennotierung beim echten und unechten Debt Equity Swap in der Insolvenz der börsennotierten AG, ZIP 2013, 697. Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: DK, Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, COM(2016) 723 final v. 22.11.2016, v. 14.11.2018 (zit.: DK, Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 14.11.2018), abrufbar unter https://die-dk.de/media/files/ 181114_DK_SN-Restrukturierungsrahmen.pdf; Madaus, Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) sowie zum diesbezüglichen Antrag der Fraktion der FDP, v. 12.11.2020, S. 11, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/806302/5235168ddc676b9436c8540322e53865/ madaus-data.pdf. (Abrufdatum jeweils 25.8.2021).

Kowalewski/Praß

389

§ 27

Absolute Priorität Übersicht

I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 3 1. Entstehungsgeschichte der relevanten Vorgaben der Richtlinie ................................................ 4 2. Entstehungsgeschichte der deutschen Umsetzung .......................... 9 3. Kritik .................................................... 12 III. Rechtsvergleich .................................. 19 IV. Überblick zum Tatbestand ................ 22 V. Voraussetzungen der Zustimmungsersetzung bei Gläubigergruppen (Abs. 1) ................................ 23 1. Verbot der Überkompensation (Abs. 1 Nr. 1) ...................................... 25 a) Debt Equity Swap ........................ 28 b) Erhöhte Zinsen für Kreditverlängerungen .................................. 29 c) Restructuring Fees ....................... 30 2. „Relativierte“ Regel des absoluten Vorrangs (Abs. 1 Nr. 2) ...................... 31 a) Bestimmung der „Nachrangigen“ ...................................... 33 b) Verbot des Erhalts eines wirtschaftlichen Werts außer bei Gegenleistung ......................... 35 aa) Umsetzung der Anteilsaufgabe .......................................... 40 bb) Anteilsaufgabe durch Kapitalschnitt ........................................... 42 cc) Anteilsaufgabe durch Einziehung ......................................... 47 dd) Anteilsaufgabe durch zwangsweise Übertragung ....................... 52 ee) Sonderproblem: Abfindung der Anteilsinhaber? ...................... 54

I. 1

ff) Alternativ: Leistung zum Ausgleich des Mehrwertes ........... 58 gg) Abschöpfen des Planmehrwerts als weitere Alternative? ................ 59 hh) Relativierung des Regel des absoluten Vorrangs durch § 28 Abs. 2 .................................... 60 ii) Gestaltungsermessen des Planarchitekten ............................ 61 3. Gruppenübergreifender Diskriminierungsschutz (Abs. 1 Nr. 3) ............ 62 VI. Zustimmungsersetzung bei Anteilsinhabergruppen (Abs. 2) ...... 66 1. Verbot der Überkompensation (Abs. 2 Nr. 1) ...................................... 67 2. Verbot des Behaltens eines wirtschaftlichen Werts durch gleichgestellte Anteilsinhaber (Abs. 2 Nr. 2) ...................................... 68 a) Zwingender Ausschluss der Anteilsinhaber? ............................ 70 aa) Problem: Anteil hat noch einen Wert .............................................. 71 bb) Problem: Anteilsinhaber verhält sich konform mit Abs. 1 Nr. 2 .............................................. 74 cc) Keine Anwendung der Ausnahme nach § 28 Abs. 2 Nr. 2? ............................................ 75 b) Gruppenübergreifender Cram-down zulasten einer Gläubiger- und einer Anteilsinhabergruppe ............................... 76 VII. Rechtsfolgen ...................................... 77

Normzweck

§ 27 reiht sich zusammen mit § 26 und § 28 in die Reihe der Vorschriften ein, die Regeln für die Zulässigkeit einer gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung festlegen. Als Legitimation für einen solchen gruppenübergreifenden Cram-down in einem vorinsolvenzlichen Stadium legen die §§ 26 ff. umfangreiche Schutzvorschriften für die überstimmten Planbetroffenen fest. Durch diese soll zudem eine ausreichende Legitimität für die Zustimmungsersetzung der Überstimmten sichergestellt werden. § 27 bestimmt, wann Planbetroffene „angemessen am Planwert beteiligt“ sind, und konkretisiert damit die Voraussetzung aus § 26 Abs. 1 Nr. 2. Die Vorschrift stellt damit letztlich einen Verteilungsmechanismus für den durch den Plan generierten Mehrwert auf.

390

Kowalewski/Praß

§ 27

Absolute Priorität

Auch wenn der Gesetzgeber die § 26 ff. erkennbar an das Vorbild zum Insolvenzplanverfahren in § 245 InsO angelehnt hat,1) unterscheiden sich die Normen in ihrer Regelungssystematik. § 245 InsO adressiert unter der Überschrift „Obstruktionsverbot“ zunächst die Voraussetzungen für ein unzulässiges Obstruktionsverhalten der Planbetroffenen. Liegen diese vor, sieht das Gesetz gewissermaßen als Sanktion für dieses missbräuchliche Verhalten eine Zustimmungsfiktion dieser Gruppe vor.2) Die §§ 26 ff. gehen diesen Umweg über die Voraussetzung eines missbräuchlichen Verhaltens nicht und legen direkt Regeln für eine Zustimmungsersetzung fest. Letztlich führen diese unterschiedlichen Herangehensweisen jedoch zu keinem nennenswerten konzeptionellen Unterschied. Auch den §§ 26 ff. liegt der Gedanke zugrunde, dass die Ablehnung eines Plans, der den Voraussetzungen der §§ 26 ff. entspricht, irrational und damit unzulässig ist. Soweit also i. R. des § 245 InsO von Missbrauchsschutz gesprochen wird,3) gilt dies in gleicher Weise für die §§ 26 ff.

2

II. Normhistorie § 27 dient im Zusammenspiel mit § 26 und § 28 im Wesentlichen der Umsetzung von Art. 11 der Restrukturierungsrichtlinie4). Für die gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung (engl. Cross-Class Cram-down) statuieren die §§ 26 – 28 das Schutzniveau für die Planbetroffenen der überstimmten Gruppe (in der Richtlinie „Klasse“ genannt). § 27 konkretisiert § 26 Abs. 1 Nr. 2, wonach die Mitglieder der überstimmten Gruppe als Voraussetzung für einen gruppenübergreifenden Cramdown angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden müssen, der auf der Grundlage des Plans den Planbetroffenen zufließen soll („Planwert“). Gleichzeitig wird mit § 27 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 den Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. d und Abs. 2 Rechnung getragen, indem das Verbot der Überkompensation (§ 27 Abs. 1 Nr. 1) und die sog. Regel des absoluten Vorrangs (§ 27 Abs. 1 Nr. 2) etabliert werden. Mit der Festlegung der Regel des absoluten Vorrangs hat der Gesetzgeber von einer Wahlmöglichkeit Gebrauch gemacht, die ihm die Richtlinie an dieser Stelle gewährt. Insoweit lohnt im Folgenden noch einmal ein Rückblick auf die Entstehung der relevanten Vorgaben der Richtlinie.

_____________ 1) 2) 3) 4)

So auch die Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 127 ff. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 245 Rz. 1; Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 2. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 208; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 245 Rz. 1; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 245 Rz. 1. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

Kowalewski/Praß

391

3

§ 27 1.

Absolute Priorität

Entstehungsgeschichte der relevanten Vorgaben der Richtlinie

4

Der Kommissionsvorschlag vom 21.11.20165) und die Parlamentsfassung vom 21.8.20186) sahen jeweils in Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. c i. V. m. Art. 2 Nr. 10 der Restrukturierungsrichtlinie allein die sog. Regel des absoluten Vorrangs („Absolute Priority Rule“) vor.7) Danach sollte die Zustimmung einer ablehnenden Gläubigerklasse nur dann ersetzt werden, wenn sie nach dem Restrukturierungsplan in vollem Umfang befriedigt wird, bevor eine nachrangige Klasse eine Auszahlung erhalten oder eine Beteiligung behalten kann. Dieser Richtlinienvorschlag war erheblicher Kritik ausgesetzt, gerade in der deutschsprachigen Literatur. Mitunter wurde kritisiert, dass ein allein rangübergreifender Schutz praktisch kaum relevant sein dürfte, da im deutschen Insolvenzplanverfahren typischerweise nachrangige Klassen nicht gegenüber vorrangigen privilegiert würden; wichtiger sei ein Gleichbehandlungsgebot, wie es § 245 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 InsO vorsehen.8)

5

Erstmalig in der Ratsfassung vom 1.10.20189) wurde die absolute Vorrangregel unter dem Oberbegriff „Kriterium der Fairness“ um die sog. Regel des relativen Vorrangs („Relative Priority Rule“) ergänzt; deren Regelung sollte eine zulässige Abweichung von der Absolute Priority Rule darstellen (vgl. Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. c, Abs. 2a der Ratsfassung).10) Die Relative Priority Rule besagte, dass ablehnende Abstimmungsklassen betroffener Gläubiger mindestens ebenso wie andere gleichrangige Klassen und besser als alle nachrangigen Klassen gestellt werden müssen. Um dieses „Kriterium der Fairness“ im nationalen Recht zu implementieren, oblag es nunmehr den Mitgliedstaaten, sich i. R. der Richtlinienumsetzung entweder für _____________ 5)

6)

7) 8) 9)

10)

392

Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, v. 22.11.2016, COM(2016) 723 final [2016/0359 (COD)], abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/ ?uri=CELEX:52016PC0723&from=RO (Abrufdatum: 25.8.2021). Europäisches Parlament, Bericht des Rechtsausschusses über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU (COM(2016)0723 – C8-0475/2016 [2016/0359(COD)), (A8-0269/2018), v. 21.8.2018 (Niebler-Bericht), abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-82018-0269_DE.pdf (Abrufdatum: 25.8.2021). Hierzu Krohn, Rethinking Priority, S. 4 ff. Thole, ZIP 2017, 101, 109. Rat der Europäischen Union, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, Allgemeine Ausrichtung v. 1.10.2018, abrufbar unter https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-125362018-INIT/de/pdf (Abrufdatum: 25.8.2021). Rat der Europäischen Union, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, Allgemeine Ausrichtung v. 1.10.2018, S. 68, abrufbar unter https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-12536-2018-INIT/de/pdf (Abrufdatum: 25.8.2021); hierzu auch Krohn, Rethinking Priority, S. 3 ff.

Kowalewski/Praß

§ 27

Absolute Priorität

die Absolute Priority Rule oder für die Relative Priority Rule zu entscheiden. In der darauffolgenden Entwurfsfassung vom 17.12.2018 wurde das Verhältnis der beiden Regelungsmodelle dann noch einmal dahingehend umgekehrt, dass die Relative Priority Rule bei der Richtlinienumsetzung den Grundfall und die Absolute Priority Rule eine hierzu zulässige Alternative darstellen sollte.11) Die Relative Priority Rule geht maßgeblich auf den sog. Codire-Report12) zurück, ein von der EU gefördertes Forschungsprojekt aus dem Jahr 2018. Ihre Einführung erfolgte vor dem Hintergrund, insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) einen Anreiz zu schaffen, öfter und zu einem früheren Zeitpunkt ein Restrukturierungsverfahren einzuleiten, da Restrukturierungspläne, die eine weitere Beteiligung der Anteilsinhaber an der Gesellschaft vorsehen, unter Geltung der Relative Priority Rule besser durchsetzbar seien.13) Ferner sei die Relative Priority Rule ein besseres Schutzinstrument gegen aggressive Investoren, die das Unternehmen mittels Debt Equity Swap übernehmen wollen.14) Die Einführung der Relative Priority Rule trug zudem den Bedenken vieler Mitgliedstaaten Rechnung, dass eine absolute Vorrangregel das Verfahren kostspieliger und die präventive Restrukturierung restriktiver oder gar unmöglich machen würde.15)

6

Die verabschiedete Richtlinie behielt die Wahlmöglichkeit für den nationalen Gesetzgeber bei:16) In Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. c der Restrukturierungsrichtlinie ist als „Grundfall“ die Relative Priority Rule normiert. Nach Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 Restrukturierungsrichtlinie kann der nationale Gesetzgeber aber auch die Absolute Priority Rule wählen und diese Regel sogar noch nach eigenem Ermessen verändern, soweit (1) dies zur Erreichung der Ziele des Restrukturierungsplans erforderlich ist und (2) der Restrukturierungsplan nicht „unfair“ die Rechte oder Interessen betroffener Parteien beeinträchtigt (Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 2). Damit wird den nationalen Gesetzgebern im Ergebnis ein erheblicher Spielraum eingeräumt, um im nationalen Recht für ein ausreichendes Schutzniveau bei den dissentierenden Gläubigern zu sorgen. Das hat bereits und wird zukünftig zu deutlich abweichenden Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten führen.17) Zum Rechtsvergleich siehe auch Rz. 19 ff.

7

_____________ 11) Council of the European Union, Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on preventive restructuring frameworks, second chance and measures to increase the efficiency of restructuring, insolvency and discharge procedures and amending Directive 2012/30, Confirmation of the final compromise text with a view to agreement v. 17.12.2018, S. 72 f., abrufbar unter https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-15556-2018-INIT/ en/pdf (Abrufdatum: 25.8.2021). 12) Stanghellini/Mokal/Paulus/Tirado, Best Practices in European Restructuring. Contractualised Distress Resolution in the Shadow of the Law, S. 45 ff. 13) Stanghellini/Mokal/Paulus/Tirado, Best Practices in European Restructuring. Contractualised Distress Resolution in the Shadow of the Law, S. 46 f. 14) Stanghellini/Mokal/Paulus/Tirado, Best Practices in European Restructuring. Contractualised Distress Resolution in the Shadow of the Law, S. 42 Fn. 8. 15) Rat der Europäischen Union, Allgemeine Ausrichtung v. 1.10.2018, S. 5 f. 16) Offenbar bloß aus redaktionellen Gründen spricht die Richtlinie nun aber nicht mehr ausdrücklich von dem Kriterium der Fairness. 17) Insoweit insgesamt krit. Freitag, ZIP 2019, 541, 542.

Kowalewski/Praß

393

§ 27 8

Absolute Priorität

Nicht ganz klar ist, wie streng die Voraussetzung der Relative Priority Rule zu verstehen ist, dass ablehnende Klassen durch den Restrukturierungsplan mindestens ebenso wie gleichrangige Klassen gestellt werden müssen (Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. c). Hierzu sind zwei Auslegungsvarianten denkbar: Entweder sind gleichrangige Klassen streng nach derselben Quote zu befriedigen oder es reicht allein eine wirtschaftlich vergleichbare Befriedigung aus. Eine vergleichbare Diskussion wird beim StaRUG zum gruppeninternen Gleichbehandlungsgrundsatz geführt.18) 2.

Entstehungsgeschichte der deutschen Umsetzung

9

Der RefE19) des BMJV vom 19.9.2020 sah bereits die Regel des absoluten Vorrangs als Kriterium für einen gruppenübergreifenden Cram-down vor. Nähere Begründungen zur Entscheidung gegen die Relative Priority Rule, abseits des Verweises auf die Parallelnorm des § 245 InsO, enthielt der Entwurf nicht.20) Die Vorschriften zur Absolute Priority Rule waren zu diesem Zeitpunkt noch in den Absätzen 2 und 5 des § 28 RefE enthalten.

10

Der RegE21) entzerrte die in § 28 RefE komprimierten Regeln zum gruppenübergreifenden Cram-down und verteilte sie auf drei Paragraphen (nunmehr §§ 26 – 28). Darüber hinaus wurden bestimmte Klarstellungen vorgenommen, insbesondere:

11



Das Überkompensationsverbot des § 28 Abs. 2 Nr. 1 RefE wurde auf „planbetroffene“ Gläubiger beschränkt,



Das Schlechterstellungsverbot des § 28 Abs. 2 Nr. 3 RefE wurde statt auf „ohne einen Plan gleichrangige“ Gläubiger auf „in einem Insolvenzverfahren gleichrangige“ Gläubiger bezogen, und



die unsaubere Begrifflichkeit der angemessenen Beteiligung „am wirtschaftlichen Wert“ in § 28 Abs. 5 RefE wurde durch die Anforderung einer angemessenen Beteiligung am „Planwert“ ersetzt.

Die endgültige Fassung des Gesetzes entspricht – mit Ausnahme der Verschiebung der Paragraphennummer – dem Wortlaut des RegE. 3.

12

Kritik

Die Verfasser verhehlen nicht, dass sie für die Richtlinienumsetzung in Deutschland die Festlegung auf die Regel des relativen Vorrangs empfohlen haben.22) Zentraler Kritikpunkt an der Regel des absoluten Vorrangs ist, dass jede vorrangige Gläubigerklasse einen im Grundsatz für sämtliche Parteien wertschöpfenden Plan verhindern kann, sofern sie selbst nicht vollständig befriedigt wird.23) Die meisten _____________ 18) S. dazu oben § 10 Rz. 8 ff. 19) RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 25.8.2021). 20) Zum Verweis auf § 245 InsO die Begründung des RefE, S. 140. 21) RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. 22) Ausführliche Bewertung der Modelle bei Kowalewski/Praß in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 11 Rz. 50 ff. 23) So auch: Flöther, ZInsO 2019, 1582, 1585, grundsätzlich zur Hold-out-Problematik bei: Madaus/Wessels, ZEuP 2020, 800, 814 f.

394

Kowalewski/Praß

§ 27

Absolute Priorität

Mitgliedstaaten kennen nicht nur eine Klassifizierung von gesicherten und ungesicherten Gläubigern,24) sondern – wie auch in Deutschland – weit ausdifferenziertere Vorrechte für Gläubiger.25) Die Einführung der absoluten Vorrangregel lässt befürchten, dass vorrangige Gläubigerklassen incentiviert werden, sich destruktiv zu verhalten, um eine möglichst hohe eigene Befriedigungsquote auf Kosten anderer Gläubigerklassen zu erreichen.26) Von ihren Befürwortern wird die Absolute Priority Rule als Kehrseite der beschränkten Haftung verstanden, die nicht zuletzt den allgemeinen Grundsatz des Gesellschafts- und Insolvenzrechts schütze, dass etwaige Verluste zuerst das Eigenkapital treffen sollen. Unrichtig ist jedoch der daraus zum Teil gezogene Schluss, dass deswegen ausschließlich die Absolute Priority Rule für einen angemessenen Ausgleich aller Interessen in der konkreten Restrukturierungssituation sorgen könne.27) Das gilt gerade in den Fällen eines „redlichen Gesellschafters“, der auch von weiten Gläubigergruppen als der richtige Gesellschafter „nach vorne raus“ betrachtet wird, z. B. weil er (1) einen eigenen Sanierungsbeitrag in Form von Fresh Money leistet (in der Regel im Gegenzug zu Zugeständnissen der Gläubiger) oder aber (2) strategisch als wichtiger Gesellschafter an der Gesellschaft beteiligt bleiben muss.

13

Relevant wird dies außerdem in Konstellationen, in denen die Gläubiger dem Gesellschafter einen Restrukturierungsmehrwert zugestehen, soweit die Gläubiger nur am Ende der Restrukturierung vor dem Gesellschafter bedient werden. In diesen Fällen muss es, ebenso wie bei restrukturierungsfördernden nachrangigen Gläubigern, möglich sein, einen gruppenübergreifenden Cram-down auch hinsichtlich einzelner dissentierender vorrangiger Gläubiger vornehmen zu können, ohne dass der Gesellschafter zwingend sofort ausscheiden muss. Auch die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) hatte sich vor Umsetzung der Richtlinie auf den Standpunkt gestellt, dass die Relative Priority Rule eher zum Schutz der Gläubigerrechte geeignet sei.28)

14

Der deutsche Gesetzgeber hat sich mit den §§ 26 ff. hingegen von der präferierten Lösung des europäischen Gesetzgebers – nämlich der Relative Priority Rule – distanziert und stattdessen die Absolute Priority Rule als Grundfall im StaRUG implementiert. Diese Entscheidung ist letztlich zu akzeptieren. Gleichwohl wird diese Kommentierung versuchen, die sich in der Praxis an vielen Stellen auswirkenden strukturellen Schwächen der Regel des absoluten Vorrangs aufzuzeigen.

15

_____________ 24) Diese Prämisse liegt aber z. B. dem Working Paper zugrunde, vgl. de Weijs/Jonkers/ Malakotipour, Centre for the Study of European Contract Law Working Paper No. 201905, S. 12. 25) Madaus, Die neue European Relative Priority Rule der Restrukturierungsrichtlinie – Das Ende des europäischen Insolvenzrechts. 26) So auch Wessels, A reply to professor De Weijs et al. 27) So ebenfalls, wenn auch ohne Begründung Wessels, A reply to professor De Weijs et al.; zur Einbeziehung von Geselschaftern i. R. der Richtlinienumsetzung vgl. Korch, ZIP 2020, 446 ff. 28) DK, Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 14.11.2018, S. 8; zust. z. B. H. Schmidt, WM 2017, 1735, 1742; Paulus, GmbHR 2017, R 257, R 258.

Kowalewski/Praß

395

§ 27

Absolute Priorität

16

Anzuerkennen ist, dass der deutsche Gesetzgeber versucht hat, den strukturellen Schwächen der „reinen“ Regel des absoluten Vorrangs mit einer „Relativierung“ durch die in § 28 geregelten Ausnahmen entgegenzuwirken, so dass sich die beiden Systemansätze angenähert haben. Ähnliche – jedoch nicht identische (siehe hierzu § 28 Rz. 12 ff.)29) – Durchbrechungen sind nun auch im Insolvenzplanrecht in § 245 InsO eingeführt. Dies ist im Grundsatz zu begrüßen, führt jedoch weiterhin nicht zu einem ausgewogenen Konzept. Es wird nicht zu erwarten sein, dass die Ausnahmen des § 28 am Ende in der Praxis signifikante Auswirkungen haben werden. Der Gesetzgeber hat im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens die Durchbrechungsvorschriften zur Absolute Priority Rule immer weiter eingeengt und die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 fortlaufend erhöht. Dass sich Gläubiger nach dem Scheitern der außergerichtlichen Sanierungslösung, die in aller Regel auch kontrovers mit den Gesellschaftern verhandelt wird, hinstellen und die für § 28 notwendige Argumentation mittragen, dass der Gesellschafter für die Fortführung „unerlässlich“ sei (§ 28 Abs. 2 Nr. 1), dürfte nicht sehr häufig stattfinden. Typischerweise fordern Gläubiger gerade umgekehrt, dass der Gesellschafter seine Anteile in eine doppelnützige Treuhand zu geben hat, wenn er sich nicht selbst an der Restrukturierung beteiligt. Durch die Treuhand-Konstruktion erkennen sie zwar an, dass der Gesellschafter auch ohne eigene Beiträge am Planmehrwert partizipieren kann, wenn der Fall positiv ausgeht (was § 27 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 28 Abs. 2 Nr. 1 hingegen nicht zulässt), sie sagen aber letztlich gleichzeitig, dass die Beibehaltung der Gesellschafterstellung für die Phase der Restrukturierung nicht notwendig (bzw. sogar restrukturierungshinderlich) ist.

17

Auch der in § 28 Abs. 2 Nr. 2 angelegte „reine Prolongationsfall“ von weniger als 18 Monaten dürfte kein wirklicher Fall für die Nutzung der Instrumente des StaRUG sein, da es sich nur für diese Maßnahme zumeist nicht lohnen wird, den mit dem StaRUG verbundenen Aufwand auf sich zu nehmen und die dafür zwingend anfallenden Kosten zu tragen. Die Ausnahme in § 28 Abs. 1 könnte zwar durchaus Anwendungsbereiche in der Praxis haben, hier wird jedoch zunächst abzuwarten sein, wie eng oder weitreichend die Gerichte diese Ausnahme auslegen werden.

18

Gerade vor dem Hintergrund, dass der europäische Gesetzgeber es den Mitgliedstaaten überlassen hat, zwischen der Absolute Priority Rule und der Relative Priority Rule zu wählen, wird spannend bleiben, wie sich die anderen Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie entscheiden (zum Rechtsvergleich siehe sogleich Rz. 19 ff.). Die vom europäischen Gesetzgeber zugestandene Wahlmöglichkeit bietet letztendlich das Potential, (erneut) einen Regulierungswettbewerb entstehen zu lassen.30) Das ist gerade vor dem Hintergrund misslich, dass mit der Richtlinie ein „Forum Shopping“ eigentlich vermieden werden sollte. Für Deutschland ist jedenfalls festzustellen, dass die Regel des absoluten Vorrangs im Einzelfall eine zu hohe (und zu formalistische) Hürde darstellen kann, die dazu führen mag, dass intensiv über eine _____________ 29) Krit. Madaus, Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) sowie zum diesbezüglichen Antrag der Fraktion der FDP, v. 12.11.2020, S. 11. 30) So auch Wessels, A reply to professor De Weijs et al.; Skauradszun, KTS 2019, 161, 189.

396

Kowalewski/Praß

§ 27

Absolute Priorität

Restrukturierung in einem anderen Mitgliedstaat nachgedacht werden muss, wenn dort die Sanierungschancen in einem konkreten Fall höher sind. III. Rechtsvergleich Der am 26.6.2020 neu eingeführte UK Restructuring Plan hat mit dem Corporate Insolvency and Governance Act 2020 den neuen Abschnitt 26a in den Companies Act 2006 eingefügt.31) Dieses als „Super Scheme“ bezeichnete und das Scheme of Arrangement ergänzende Verfahren sieht keine Vorgaben zu den anzuwendenden Verteilungsregeln vor. Damit ist gesetzlich keine Aussage dazu getroffen, ob etwa eine absolute oder relative Prioritätsregel anzuwenden ist. Allerdings könnten solche Regeln von den Gerichten in den Bestätigungsverfahren implementiert werden.

19

In Österreich soll die Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie in einem neuem Gesetz – der sog. Restrukturierungsordnung – geregelt werden. Im bisherigen Entwurfsstand ist vorgesehen, dass der Gläubigerschutz bei einer gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung durch die Relative Priority Rule umgesetzt werden soll. Demnach sollen zukünftig ablehnende Gläubigerklassen zumindest wie Klassen mit gleichem Rang im Insolvenzverfahren und besser als Klassen mit nachgeordnetem Rang behandelt werden.32)

20

Zwecks Einführung eines vorinsolvenzlichen Restrukturierungsplanverfahrens wurde in den Niederlanden bereits seit 2017 ein neuer Gesetzesentwurf mit dem Titel „Wet homologatie onderhands akkoord“ beraten, der – anders als das deutsche StaRUG – kein eigenständiges Regelwerk, sondern eine Ergänzung zum niederländischen Insolvenzgesetz („Faillissementswet“) ist.33) Da der Gesetzesentwurf mit dem Richtlinienvorhaben zusammenfiel, nahm er bereits ausdrücklich auf die europäische Regelung Bezug. Wie das deutsche Umsetzungsgesetz ist auch das niederländische Änderungsgesetz am 1.1.2021 in Kraft getreten.34) Voraussetzung für eine Zustimmungsersetzung ist gemäß Art. 384 Abs. 4 Faillissementswet, dass der Plan die Absolute Priority Rule beachtet. Diese erfordert eine volle Befriedigung ablehnender Gläubigerklassen, bevor eine Gruppe mit nachgeordnetem Rang einen Wert erhalten darf. Abweichungen von der Regel sind zulässig, wenn dies notwendig und angemessen erscheint. Das niederländische Umsetzungsgesetz folgt damit weder der vom Richtliniengeber präferierten Relative Priority Rule noch einer zuvor im niederländischen Gesetzgebungsverfahren vorgeschlagenen strengen Absolute Priority Rule. Vielmehr hat sich der niederländische Gesetzgeber für eine in Ausnahmefällen aufgeweichte Regel des absoluten Vorrangs entschieden.

21

_____________ 31) Zum Scheme of Arrangement s. Thoma, Insolvenzrechtliche Gläubigerautonomie im Gläubigerausschuss, S. 56 ff. 32) Einen offiziellen RegE gibt es noch nicht. Allerdings wird über den Inhalt des politischen Abstimmungsprozesses dahingehend bereits berichtet: Schimka/Spiegel, Neue Restrukturierungs- und Insolvenzordnung: Ein großer Wurf?, trend. v. 24.2.2021, abrufbar unter: https://www.trend.at/branchen/rechtsschutz/neue-restrukturierungs-insolvenzordnungwurf-11908221 (Abrufdatum: 25.8.2021). 33) Vgl. hierzu auch Krohn, Rethinking Priority, S. 6 f. 34) Das Gesetz ist in niederländischer Sprache abrufbar unter https://wetten.overheid.nl/ BWBR0001860/2021-01-01#AfdelingTweede (Abrufdatum: 25.8.2021).

Kowalewski/Praß

397

§ 27

Absolute Priorität

IV. Überblick zum Tatbestand 22

Die Norm gliedert sich in zwei Absätze, die zwei unterschiedliche Fälle adressieren: In § 27 Abs. 1 wird festgelegt, wann eine Gruppe von Gläubigern angemessen am Planwert beteiligt ist. § 27 Abs. 2 legt dies für Gruppen von Anteilsinhabern fest. V. Voraussetzungen der Zustimmungsersetzung bei Gläubigergruppen (Abs. 1)

23

24

Die Zustimmungsersetzung bei Gläubigergruppen kennt drei Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen. Eine angemessene Beteiligung überstimmter Gläubigergruppen liegt vor, wenn –

das Überkompensationsverbot (§ 27 Abs. 1 Nr. 1),



die absolute Prioritätsregel (Absolute Priority Rule) (§ 27 Abs. 1 Nr. 2) sowie



das gruppenübergreifende Schlechterstellungsverbot (§ 27 Abs. 1 Nr. 3) gewahrt sind.

Der Wortlaut der Vorschrift entspricht im Wesentlichen seinem Vorbild in § 245 Abs. 2 Satz 1 InsO,35) wobei es durchaus relevante Detailabweichungen gibt. 1.

Verbot der Überkompensation (Abs. 1 Nr. 1)

25

Das Verbot der Überkompensation in § 27 Abs. 1 Nr. 1 besagt, dass ein gruppenübergreifender Cram-down nur möglich ist, wenn durch den Plan betroffene Gläubiger maximal bis zur vollen Höhe (100 %) ihrer einbezogenen Forderungen befriedigt werden dürfen. Überobligatorische Leistungen sind unzulässig. Wenn der Restrukturierungsplan eine Befriedigung aus zukünftigen Erträgen vorsieht, ist bei der Berechnung dieser Beträge daher eine Abzinsung mit dem risikoadäquaten Zins – der ggf. höher als die periodisch zu zahlende Zinsmarge sein mag – vorzunehmen.36) Mit dem Verbot der Überkompensation wird verhindert, dass ein Restrukturierungsplan entgegen dem Restrukturierungszweck als Mittel zur Bevorteilung einzelner Gläubiger missbraucht wird (vgl. dazu auch die Vorgaben der Richtlinie in Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. d).

26

Die Regelung leuchtet in der pauschalen Aussage zunächst unmittelbar ein. Gleichwohl gibt es einige praxisrelevante Fallkonstellationen, die hinsichtlich des Verbots der Überkompensation nicht einfach zu bewerten sind. Drei typische Fragen sollen nachfolgend näher betrachtet werden: a) Debt Equity Swap

27

Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 können im Restrukturierungsplan Umwandlungen von Gläubigerforderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte vorgesehen werden

_____________ 35) Ausweislich der Begr. RegE war § 245 Abs. 2 InsO Vorbild für die Regelung: Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 129. 36) Für das StaRUG so auch Braun-Herzig, StaRUG, § 27 Rz. 4; vgl. hierzu die gleiche Argumentation für § 245 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO: Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 245 Rz. 23; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 245 Rz. 15; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 245 Rz. 12; Thies in: HambKomm-InsO, § 245 Rz. 11.

398

Kowalewski/Praß

§ 27

Absolute Priorität

(sog. Debt Equity Swap). In diesen Fällen stellt der Nominalbetrag37) der Restrukturierungsforderung grundsätzlich den Maximalbetrag dar, der dem jeweiligen Gläubiger durch den Restrukturierungsplan zufließen kann. Der Gläubiger erhält mit dem Debt Equity Swap – in der Regel durch genehmigtes Kapital oder durch Kapitalschnitt in Kombination mit Kapitalerhöhung neu geschaffene – Eigenkapitalanteile am Schuldnerunternehmen.38) Für diese Anteile sind unterschiedliche Bewertungsmethoden denkbar, die sich i. E. mitunter erheblich auf den anzusetzenden Wert der Anteile auswirken können. Infolge dessen stellt sich die Frage, ob Wertsteigerungen der Anteile im Laufe des fortschreitenden Sanierungsprozesses zu einer Überkompensation führen können. Dies wird in ähnlicher Weise im Insolvenzplanverfahren diskutiert.39) Die dort zur Entschärfung des Problems zum Teil vorgeschlagene Ansetzung der Anteile zum Liquidationswert wird im Restrukturierungsrahmen schon aufgrund der bloß drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners jedoch nicht in Betracht kommen.40) Als Lösung des Problems wird diskutiert, für die Frage nach einer Überkompensation auf den Wert der Anteile ohne die Planmaßnahmen abzustellen.41) Die besseren Argumente sprechen allerdings dafür, dass grundsätzlich auch der durch die Sanierungsmaßnahmen generierte Mehrwert bei der Bewertung mit einbezogen werden muss.42) Maßgeblicher Zeitpunkt der Bewertung ist allerdings der der gerichtlichen Planbestätigungsentscheidung und es geht auch um den aktuellen Unternehmenswert und nicht um den rechnerisch sich am Ende des prognostizierten Sanierungszeitraums ergebenden Unternehmenswert. Konsequent ist es daher, bei der Bewertung, ob den Vorgaben des § 27 Abs. 1 Nr. 1 genügt wird, zukünftige, im Moment der Planbestätigung nicht überwiegend wahrscheinliche Wertsteigerungen oder -verluste unberücksichtigt zu lassen.43) Ein Debt Equity Swap verstößt damit nicht gegen das Verbot der Überkompensation, wenn der aktuelle Wert des Unternehmens – errechnet auf Basis des Sanierungsplans („Sanierungs-Base-Case“) – nicht zur Abdeckung des Nominalbetrages der geswapten Forderung ausreicht, mit anderen Worten diese in Eigenkapital umzuwandelnde Forderung (teilweise) „out of the money“ ist. Dies ist interessengerecht: Eine potenzielle spätere Wertsteigerung ist bei erfolgreicher Sanierung im Zeitpunkt des Vollzugs eines Debt Equity _____________ 37) Dies legt der Wortlaut „Betrag seines Anspruchs“ nahe, so auch Braun-Herzig, StaRUG, § 27 Rz. 4; Spahlinger in: BeckOK-StaRUG, § 27 Rz. 12; zum Insolvenzplanrecht Nerlich/ Römermann-Rühle, InsO, § 245 Rz. 16; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 245 Rz. 20. 38) Zur Aufnahme von gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahmen in den Insolvenz- und Restrukturierungsplan s. Mulert/Steiner, NZG 2021, 673. 39) Vgl. K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 245 Rz. 31; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 245 Rz. 16. 40) Vgl. auch Braun-Braun/Frank, InsO, § 245 Rz. 20 f. 41) Vgl. zu vergleichbaren Überlegungen zum Insolvenzplan K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 245 Rz. 31. 42) Im Ergebnis so wohl auch Braun-Herzig, StaRUG, § 27 Rz. 9, 14; Spahlinger in: BeckOKStaRUG, § 27 Rz. 11, weist zurecht darauf hin, dass besondere und nur durch den Gläubiger zu erreichende Wertsteigerungen außer Betracht bleiben müssen; für das Insolvenzplanverfahren K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 245 Rz. 31; wohl auch Nerlich/RömermannRühle, InsO, § 245 Rz. 16. 43) So auch Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 245 Rz. 27; Wieneke/Hoffmann, ZIP 2013, 697, 701; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 245 Rz. 27.

Kowalewski/Praß

399

28

§ 27

Absolute Priorität

Swap unsicher und ihr steht korrespondierend das Risiko eines vollständigen Verlusts aufgrund einer gescheiterten Restrukturierung gegenüber.44) b) Erhöhte Zinsen für Kreditverlängerungen 29

Ferner stellt sich die Frage, ob es gegen das Verbot der Überkompensation verstößt, wenn ein Finanzgläubiger für eine durch den Restrukturierungsplan gestundete bzw. prolongierte Forderung erhöhte Zinsen erhält. Im Grundsatz ist es bei außergerichtlichen Restrukturierungen marktüblich, dass ein kriselndes Unternehmen für eine Prolongation höhere Zinsen zu zahlen hat. Dies folgt aus einer risikoadäquaten Neubewertung der Rückzahlungsansprüche. Hiermit ist jedoch gleichzeitig auch die Grenze für mögliche Zinserhöhungen gezogen: Übersteigt die Höhe der vorgesehenen Zinsen den für die konkrete Risikoerhöhung als risikoadäquat anzusehenden Betrag, wird man darin eine Überkompensation sehen müssen.45) Damit stellen erhöhte Zinsmargen keineswegs pauschal einen Verstoß gegen das Überkompensationsverbot dar, vielmehr kommt es auf den sachlich angemessenen Zins an, der sich bei erhöhtem Risiko naturgemäß dem (höheren) Erwartungswert für eine Eigenkapitalverzinsung annähert. Gleichzeitig ist dieser Gedanke auch für thesaurierte Zinsen oder andere endfällig gestellte Zinsinstrumente anwendbar: Liegt der periodisch zu zahlende (ggf. bereits erhöhte) Zinssatz unterhalb des risikoadäquaten Zinssatzes, dann rechtfertigt dies auch endfällig gestellte Zinszahlungen – aber eben auch nur bis zur (ggf. abzuzinsenden) Höhe des gesamthaft zahlbaren risikoadäquaten Zinsbetrages. c) Restructuring Fees

30

Anders dürfte der Fall bei der Regelung sog. Restructuring Fees liegen, die Finanzgläubiger in der Praxis nicht selten als Gegenleistung für einen erhöhten Verwaltungs- und Neustrukturierungsaufwand aufgrund einer Restrukturierung verlangen. Aktuell wird eine solche Gebühr für die Mitwirkung an der Restrukturierung abhängig von Größe, Umfang und Komplexität in Höhe von 0,25 bis 1,0 % der Gesamtkreditzusage verlangt. Die Vereinbarung dieser Gebühren stellt grundsätzlich eine die einbezogene Forderung übersteigende Leistung des Schuldners dar und kann daher einen Cram-down verhindern, wenn ihr keine gleich zu gewichtende Gegenleistung der Kreditgeber gegenübersteht (was im Falle des Erhebens einer im genannten Rahmen angemessenen Restructuring Fee anzunehmen sein dürfte) oder die Gebühr sämtlichen Planbetroffenen angeboten wird. Letzteres folgt zwar nicht aus dem Wortlaut von § 27 Abs. 1 Nr. 1, jedoch spricht der Sinn und Zweck der Vorschrift dafür, da es § 27 insgesamt darum geht, dass Werte nicht „unlauter“ nur einzelnen Betroffenen zufließen. 2.

31

„Relativierte“ Regel des absoluten Vorrangs (Abs. 1 Nr. 2)

In § 27 Abs. 1 Nr. 2 wird die eigentliche Regel des absoluten Vorrangs statuiert; die Überschrift des § 27 ist insoweit etwas irreführend. Trotz des leicht abweichen_____________ 44) Wieneke/Hoffmann, ZIP 2013, 697, 701; Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 245 Rz. 27; Becker in: Kübler, HRI, § 41 Rz. 51. 45) In diese Richtung für § 245 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO auch: K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 245 Rz. 20.

400

Kowalewski/Praß

§ 27

Absolute Priorität

den Wortlauts zu § 245 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO entspricht die Regel des absoluten Vorrangs im Ausgangspunkt der aus dem Insolvenzplan. Nach beiden Normen werden dissentierende Gläubiger angemessen beteiligt, wenn kein Gläubiger, der ohne den Insolvenz- bzw. Restrukturierungsplan gegenüber den dissentierenden Gläubigern nachrangig zu befriedigen wäre, noch der Schuldner oder eine an ihm beteiligte Person einen Wert erhalten. § 27 Abs. 1 Nr. 2 ermöglicht es in Abweichung zur alten Fassung von § 245 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO, dass Schuldner und Anteilsinhaber dann beteiligt bleiben können, wenn sie den durch den Behalt ihrer Beteiligung erhaltenen Plan(mehr)wert durch eigene Leistung in das Vermögen des Schuldners kompensieren (so jetzt auch § 245 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO n. F.). In diesem Zusammenhang darf die in § 27 Abs. 1 Nr. 2 genauso wie in § 28 Abs. 2 verwendete Formulierung „Schuldner oder eine an dem Schuldner beteiligte Person“ nicht weiter irritieren. Der Schuldner dürfte nur für den Sonderfall aufgenommen sein, dass – wie nach § 30 Abs. 1 zulässig – eine unternehmerisch tätige natürliche Person Gegenstand des Restrukturierungsplanes ist. Geht es hingegen um eine juristische Person (oder um andere insolvenzfähige Schulder, die keine natürliche Person sind), dann geht es nicht um den Schuldner (denn das läge gerade auch mit Blick auf die Systematik des § 28 Abs. 2 Nr. 1 neben der Sache), sondern allein um die an dem Schuldner beteiligten Personen. Die Regel des absoluten Vorrangs enthält damit im Ausgangspunkt eine simple Aussage: Eine Zustimmungsersetzung einer ablehnenden Gläubigergruppe ist nur möglich, wenn zu dieser Gruppe Nachrangige nach Implementierung des Plans nichts über den Status quo hinaus erhalten. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Nachrangigen sich den Planwert durch entsprechende Gegenleistung erkaufen.

32

a) Bestimmung der „Nachrangigen“ Wer nachrangig i. S. des § 27 Abs. 1 Nr. 2 ist, richtet sich nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift nach dem Rang im Insolvenzverfahren. Damit ist die Rangbestimmung identisch mit der in § 245 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO. Schuldrechtliche Rangvereinbarungen, etwa in sogenannten Intercreditor Agreements (ICAs) zwischen verschiedenen Finanzierungs-Tranchen, sind hingegen unbeachtlich. Während sich im Insolvenzplanverfahren der Bezug zu den insolvenzrechtlichen Rangvorschriften der §§ 38 ff. InsO schon aus der gemeinsamen Regelung in der InsO herstellen lässt, ist diese Bezugnahme in einem vorinsolvenzlichen Verfahren keineswegs zwingend. Es hätten durchaus gute Argumente dafür gesprochen, für das StaRUG nicht streng an die insolvenzrechtliche Rangfolge anzuknüpfen, sondern die stärker vertragsrechtlich geprägte46) Situation vor der Insolvenz zu berücksichtigen.47) Gleichwohl hat sich der Gesetzgeber ausdrücklich für eine Bezugnahme auf die insolvenzrechtlichen Ränge entschieden. Das hat freilich den Vorteil, dass ansonsten i. R. der gerichtlichen Bestätigung sämtliche schuldrechtlichen Rangvereinba_____________ 46) Vgl. Madaus, EBOR Vol. 19/2018, Issue 3, S. 615, 626; Skauradszun, KTS 2021, 1, 26, 30 ff.; Seibt/v. Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1191. 47) S. dazu auf Basis der Richtlinie Kowalewski/Praß in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 11 Rz. 70 ff.

Kowalewski/Praß

401

33

§ 27

Absolute Priorität

rungen nachgewiesen und deren Wirksamkeit und Umfang vom Gericht geprüft werden müssten. 34

Die Bestimmung des Gläubigerrangs richtet sich damit auch im Restrukturierungsplanverfahren nach den §§ 38 ff. InsO. Sehr formalistisch wirkt der Ansatz, dass die Absonderungsanwartschaftsinhaber außerhalb dieser Rangbetrachtung stehen sollen und die Frage nach der Nachrangigkeit daher nur bei einfachen und nachrangigen Restrukturierungsforderungen auftreten kann.48) Ein solches Verständnis dürfte nicht i. S. der Richtlinie sein, die vielmehr – losgelöst von jeder nationalen Dogmatik – davon auszugehen scheint, dass besicherte Gläubiger mit ihrem Sicherungsrecht vorrangig zu unbesicherten Gläubigern stehen.49) Darüber hinaus würde bei einer solchen Betrachtung das gruppenübergreifende Diskriminierungsverbot des § 27 Abs. 1 Nr. 3 nicht zwischen Gruppen von Absonderungsanwartschaftsinhabern gelten, da auch dort ein „gleicher Rang“ vorausgesetzt wird. Entsprechend besteht nicht nur zu Gruppen von Absonderungsanwartschaftsinhabern ein für § 27 Abs. 1 Nr. 2 relevantes Rangverhältnis, sondern auch zu den Anteilsinhabern (die formalistisch betrachtet auch keine „Rangigen“ nach §§ 38, 39 InsO darstellen). b) Verbot des Erhalts eines wirtschaftlichen Werts außer bei Gegenleistung

35

Zur ablehnenden Gruppe Nachrangige dürfen durch den Plan keinen wirtschaftlichen Wert erhalten, es sei denn sie gleichen dies durch entsprechende Leistung aus.50) Gemeint sein dürfte damit, dass nachrangige Gläubiger keinerlei Befriedigung durch den Plan erhalten dürfen und unternehmerisch tätige Schuldner bzw. Anteilsinhaber – und das scheint in dieser Konsequenz nicht allen klar zu sein – grundsätzlich ihr Unternehmen aufgeben bzw. aus der Gesellschaft als Gesellschafter ausscheiden müssen, es sei denn, der Plan führt zu keiner Wertsteigerung auf Seiten des Schuldners oder der Anteilsinhaber bzw. diese Wertsteigerung wird durch einen eigenen Sanierungsbeitrag des Schuldners oder der Anteilsinhaber vollständig ausgeglichen. Dieser Gedanke des Zurückkaufens des Werts scheint auf eine Äußerung des Bundesrats zurückzugehen. Der Bundesrat befürwortete seinerzeit (als von der Regel des relativen Vorrangs auf europäischer Ebene noch nicht die Rede war), die Regel des absoluten Vorrangs insoweit einzuschränken, als ein eigentlich verbotener Erhalt der Rechte nachrangiger Gläubiger oder von Eigenkapitalgebern dann zulässig sein solle, wenn sie dem Unternehmen neue Vermögenswerte zuführen und ihre Stellung praktisch neu erkauft wird (New-Value Exception). Das gebe inhabergeführten Unternehmen die erforderliche Flexibilität, Unternehmerpersönlichkeiten nachhaltig angemessen am Unternehmen zu beteiligen.51) _____________ 48) Braun-Herzig, StaRUG, § 27 Rz. 6; Spahlinger in: BeckOK-StaRUG, § 23 Rz. 19 f. – auch m. Nachw. zur gegenteiligen Auffassung im Insolvenzrecht. 49) S. z. B. ErwG 55 Restrukturierungsrichtlinie. 50) Krit. zu dieser Voraussetzung aufgrund der Blockadeposition absonderungsberechtigter Gläubiger Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 27 Rz. 19 f. 51) BRat, Beschluss zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, Ratsdok. 14875/16, v. 10.3.2017, BR-Drucks. 1/17(B), S. 17; zum Meinungsstand im US-amerikanischen Recht Drukarczyk in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 78.

402

Kowalewski/Praß

§ 27

Absolute Priorität

Während für planbetroffene Gläubiger recht eindeutig festgestellt werden kann, ob ihnen Leistungen durch den Plan zugewiesen werden, ist für Schuldner bzw. die Anteilsinhaber die Bestimmung, wann sie durch den Plan einen „wirtschaftlichen Wert erhalten“, erheblich schwieriger. Sieht der Plan eine Fortführung des Unternehmens mit dem Schuldner bzw. den Anteilsinhabern vor, ist ihnen dadurch alleine noch nicht zwingend ein Wert zugeflossen.52) Es kommt vielmehr auf eine tatsächliche – bilanziell zu bestimmende – Wertsteigerung an,53) unter Einbeziehung zukünftiger Erträge.54) Umstritten ist bereits i. R. des § 245 InsO, inwiefern dabei die Bereitschaft eines Dritten, das Unternehmen fortzuführen, berücksichtigt werden muss. Ausgangspunkt der Diskussion ist die Regierungsbegründung zur InsO, nach der „im Zweifel“ nicht angenommen werden kann, dass der Schuldner (bzw. der Anteilsinhaber) einen wirtschaftlichen Wert erhält, wenn kein Dritter bereit ist, anstelle des Schuldners (bzw. des Anteilsinhabers) das Unternehmen zu den im Plan vorgesehenen Bedingungen fortzuführen.55) Einzelne Stimmen in der Literatur folgern daraus, dass bei Fehlen eines übernahmebereiten Dritten keine Wertzuweisung an Schuldner bzw. Anteilsinhaber vorliegen könne.56) Das führte in der Vergangenheit dazu, dass zwei LG eine Verletzung des § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO nur mit Verweis auf das Fehlen eines Kaufangebots für das Unternehmen ablehnten.57) In diese Richtung ist wohl auch der Beschluss des AG Dresden vom 7.6.2021 zu verstehen, der i. R. des § 27 Abs. 1 Nr. 2 auch nur auf fehlende Kaufinteressenten abstellt.58) Die Überlegung dahinter scheint zu sein, dass das Fehlen eines Kaufangebots indiziere, dass die Fortführung des Unternehmens, die dem Schuldner bzw. den Anteilsinhabern durch den Plan ermöglicht wird, dann per se keinen Wert darstellen könne, wenn sich außer dem bisherigen Eigentümer des Unternehmens niemand anderes für eine Fortführung finden lasse.59) _____________ 52) Braun-Herzig, StaRUG, § 27 Rz. 9; zu § 245 InsO auch schon die Begr. RegE InsO, BTDrucks. 12/2443, S. 209; vgl. auch Braun-Braun/Frank, InsO, § 245 Rz. 13; Geiwitz/ v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 245 Rz. 12; Thole in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 17 Rz. 29; a. A. wohl Korch, NZG 2020, 1299, 1300, der allein im Behaltendürfen von werthaltigen Anteilen eine Wertzuweisung erblickt. 53) Braun-Herzig, StaRUG, § 27 Rz. 9; Wolgast/Grauer-Hansen, StaRUG, § 27 Rz. 13 f.; zur InsO so bereits schon Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 245 Rz. 27; Thies in: HambKommInsO, § 245 Rz. 14; Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 245 Rz. 12; Nerlich/ Römermann-Rühle, InsO, § 245 Rz. 21; Braun-Braun/Frank, InsO, § 245 Rz. 13; Becker in: Kübler, HRI, § 41 Rz. 62 ff. 54) So auch Bork, ZRI 2021, 345, 357 f.; Wolgast/Grauer-Hansen, StaRUG, § 27 Rz. 13 f.; zur InsO Thies in: HambKomm-InsO, § 245 Rz. 14; Braun-Braun/Frank, InsO, § 245 Rz. 13; a. A. (für eine statische Gegenüberstellung) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 245 Rz. 27 ff.; Becker in: Kübler, HRI, § 41 Rz. 68. 55) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 209. 56) Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 245 Rz. 24; Graf-Schlicker-Kebekus/Wehler, InsO, § 245 Rz. 5. 57) LG Mühlhausen, Beschl. v. 17.9.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724; LG Traunstein, Beschl. v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461. 58) AG Dresden, Beschl. v. 7.6.2021 – 574 RES 2/21, ZInsO 2021, 1398, 1399. 59) So die Erklärung bei LG Mühlhausen, Beschl. v. 17.9.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724, 726; LG Traunstein, Beschl. v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, 464.

Kowalewski/Praß

403

36

§ 27

Absolute Priorität

37

Diese Betrachtungsweise lässt jedoch den Zustand nach Durchführung der Restrukturierungsmaßnahmen, auf den es maßgeblich ankommt, außer Betracht. Richtiger wäre, auf das Fortführungsinteresse nach Umsetzung des zu bestätigenden Plans abzustellen. Das ist auch bereits in der Begründung zur InsO angelegt, indem auf die Übernahme „zu den im Plan vorgesehenen Bedingungen“ rekurriert wird. Kaufangebote, die auf eine Übernahme vor Implementierung der Maßnahmen im Restrukturierungsplan abgegeben werden, enthalten keine Aussage über eine zukünftige Wertsteigerung durch den Plan und werden auch bereits im Schlechterstellungsverbot des § 26 Abs. 1 Nr. 1 berücksichtigt.60) Ungeachtet dessen ist zu berücksichtigen, dass die Entwurfsbegründung zur InsO eindeutig eine Einzelfallbetrachtung für maßgeblich hält und nur „im Zweifel“ das Fortführungsinteresse Dritter heranziehen möchte. Aus diesen Gründen wird teilweise vertreten, dass Kaufangebote Dritter in diesem Zusammenhang gar keine Bedeutung61) haben oder – wenn überhaupt – nur als Anhaltspunkt für eine Wertzuweisung dienen können.62) Insgesamt scheint die Hinzuziehung von Übernahmeangeboten Dritter in diesem Zusammenhang jedenfalls „wenig hilfreich“63) zu sein. Es dürfte eher umgekeht sein, dass ein restrukturiertes und somit prinzipiell ertragsfähiges Unternehmen in aller Regel auch von einem Dritten fortgeführt werden würde. Sollte sich ausnahmsweise doch kein Käufer finden lassen, kann das ein Indiz sein, dass dem Schuldner bzw. den Anteilsinhabern kein Wert zugeflossen ist. In keinem Fall aber entbindet das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Kaufangeboten von einer sorgfältigen Prüfung, ob dem Schuldner oder den Anteilsinhabern durch den Plan ein Wert zufließt.64)

38

Folge des § 27 Abs. 1 Nr. 2 ist daher, dass – Wertzuwächse beim Schuldner oder den Anteilsinhabern vorausgesetzt – nunmehr eine gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung zulasten einer Gläubigergruppe nur dann möglich ist, wenn –

im Falle der Restrukturierung einer unternehmerisch tätigen natürlichen Person, dieser Schuldner sein Unternehmen aufgibt (z. B. im Wege des Asset Deals oder der Ausgliederung)65) oder sich den durch den Plan gesteigerten bzw. wiederhergestellten Wert des Unternehmens zurückerkauft (es sei denn, es gibt ausnahmsweise keinen) und



im Falle der Restrukturierung eines anderen Schuldners die Anteilsinhaber in den Restrukturierungsplan einbezogen werden und geregelt wird, dass die Anteilsinhaber ihre Anteile aufgeben müssen, außer sie erkaufen sich den Wert neu (oder müssen es nicht, da es ausnahmsweise keinen Wertzuwachs gibt). _____________ 60) Zum Insolvenzrecht so bereits Thole in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 17 Rz. 26 ff.; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 245 Rz. 21. 61) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 245 Rz. 30. 62) Thies in: HambKomm-InsO, § 245 Rz. 14; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 245 Rz. 21; Braun-Braun/Frank, InsO, § 245 Rz. 12; Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 245 Rz. 12; dieses Kriterium insgesamt als „wenig hilfreich“ beschreibend Thole in: Brünkmans/ Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 17 Rz. 26. 63) So die Wortwahl von Thole in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 17 Rz. 26. 64) So auch Bork, ZRI 2021, 345, 357 f.; Braun-Herzig, StaRUG, § 27 Rz. 8 f.; in Ansätzen auch LG Mühlhausen, Beschl. v. 17.9.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724, 726. 65) Vgl. dazu K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 245 Rz. 24 ff. m. w. N.

404

Kowalewski/Praß

§ 27

Absolute Priorität

Das ist nur dann anders, wenn ausnahmsweise ein Fall des § 28 Abs. 2 greift oder die bestehende Beteiligung ausnahmsweise anderweitig gerettet werden kann (siehe dazu unten Rz. 59 ff.: „Abschöpfen des Planmehrwerts als weitere Variante?“). So einfach wie diese Formel zunächst klingen mag, ist die Umsetzung in der Praxis jedoch nicht. Der Planarchitekt wird sich zu diesem Punkt zwingend vertiefte Gedanken machen müssen, wenn ein gruppenübergreifender Cram-down voraussichtlich erforderlich wird. Im Folgenden sollen dazu einige allgemeine Erwägungen aufgestellt werden, die sich auf den praktisch wohl deutlich relevanteren Fall beschränken, dass eine Gesellschaft bzw. juristische Person restrukturiert wird und es zu einem Wertzuwachs durch den Plan kommt.

39

aa) Umsetzung der Anteilsaufgabe Wie die in § 27 Abs. 1 Nr. 2 angelegte Anteilsaufgabe rechtstechnisch umzusetzen ist, ist – soweit ersichtlich – bislang nicht vertieft diskutiert worden. Das StaRUG verhält sich dazu ebenfalls nicht, was gewissermaßen konsequent ist, da das StaRUG sich allgemein nicht wirklich zu den gesellschaftsrechtlichen Implikationen seiner Regelungen verhält.

40

Rechtstechnisch kann die Anteilsaufgabe im Wesentlichen auf zwei unterschiedliche Weisen umgesetzt werden, nämlich

41



durch „Vernichtung“ der bestehenden Anteile – z. B. durch Kapitalschnitt oder Einziehung der Aktien – oder aber



durch Zwangsübertragung an einen Investor, Treuhänder oder verbleibende Gesellschafter.

bb) Anteilsaufgabe durch Kapitalschnitt Ein Kapitalschnitt ist im Restrukturierungsplan gemäß §§ 2 Abs. 3, 7 Abs. 4 als gesellschaftsrechtliche Maßnahme zulässig (siehe hierzu auch § 7 Rz. 59 ff.) und daher grundsätzlich geeignet, die Anteilsinhaber aus ihrer Gesellschafter- und Mitgliedschaftsstellung zu drängen. Dies stellt damit ein geeignetes Mittel dar, die Absolute Priority Rule zu erfüllen. Ein Kapitalschnitt ist insbesondere auch dann zulässig, wenn eine solche Regelung in der Satzung bzw. im Gesellschaftsvertrag entgegen § 237 AktG nicht als zulässig geregelt ist. Wie auch bei § 225a Abs. 3 InsO als Parallelvorschrift zu §§ 2 Abs. 3, 7 Abs. 4 StaRUG ist der Begriff der gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahme weit auszulegen,66) weswegen gesellschaftsrechtlich vorgesehene, formelle Voraussetzungen einer Kapitalherabsetzung im Allgemeinen und damit auch die Voraussetzung einer entsprechenden Satzungsermächtigung i. S. des § 237 AktG unbeachtlich sind, denn eine Gesellschaft im StaRUG-Verfahren ist verfahrenstechnisch primär den einschlägigen restrukturierungsrechtlichen Normen unterworfen.67) Zudem würden Sinn und Zweck von §§ 2 Abs. 3, 7 Abs. 4 unterlaufen werden, würde eine solche Satzungsregelung gefordert werden. _____________ 66) Wie hier Mulert/Steiner, NZG 2021, 673, 676; zum Insolvenzplan h. M., vgl. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 76 f.; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 225a Rz. 35, jeweils auch m. w. N.; a. A. zum Insolvenzplan z. B. Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 125. 67) Wie hier Mulert/Steiner, NZG 2021, 673, 676; zum Insolvenzplan vgl. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 77 a. E.; Eidenmüller, NJW 2014, 17, 18.

Kowalewski/Praß

405

42

§ 27

Absolute Priorität

Ziel des Restrukturierungsplans ist einzig die erfolgreiche Unternehmenssanierung, ggf. auch ohne oder sogar gegen den Willen der Anteilsinhaber.68) Die Dispositivität eines Kapitalschnitts ist damit in der Sanierungssituation den Anteilsinhabern (allein) entzogen und steht insgesamt sämtlichen Planbetroffenen zu. 43

Zwingender Bestandteil eines Kapitalschnitts auf Null ist eine nachfolgende Kapitalerhöhung (durch Bar- oder Sacheinlage), die – um dem Zweck des Gesellschafterausschlusses gerecht zu werden – unter Bezugsrechtsausschluss erfolgen muss. Dessen (gesellschaftsrechtliche) Zulässigkeit ist an § 186 Abs. 3, 4 AktG und dem allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen. Gesellschaftsrechtlich stellt § 186 Abs. 3, 4 AktG im Wesentlichen zwei Voraussetzungen auf: –

Formell ist ein zustimmender Hauptversammlungsbeschluss mit mindestens drei Vierteln des vertretenen Grundkapitals erforderlich.69) Ein solches Beschlusserfordernis ist bei einem Bezugsrechtsausschluss im Restrukturierungsplan – wie es zum Insolvenzplanverfahren der herrschenden Meinung entspricht70) – allerdings richtigerweise nicht erforderlich, weil (a) die formalen Voraussetzungen durch die Vorrangstellung des StaRUG als spezialgesetzliche Regelung zur Sanierung eines Unternehmens in der Krise die formellen Voraussetzungen des § 186 Abs. 3, 4 AktG überlagern und verdrängen sowie (b) eine Unternehmenssanierung durch Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss leerzulaufen droht, wenn die Hauptversammlung zustimmen müsste, zumal die Anteilsinhaber im StaRUG-Verfahren gerade durch einen gruppenübergreifenden Cram-down überstimmt werden können.



In materieller Hinsicht muss der Bezugsrechtsausschluss aus sachlichen Gründen im Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt sein,71) einschließlich Abwägung mit den Interessen der betroffenen Anteilsinhaber und Verhältnismäßigkeitsprüfung.72) Auch hier sprechen gute Gründe dafür, dass das Erfordernis eines sachlichen Grundes und einer Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die wesentlichen Schutzvorschriften der §§ 26 ff., 64, 66 – insbesondere der Best-Interestof-Creditors-Test, die absolute Vorrangregel und die Regeln zum Minderheitenschutz – verdrängt werden. Jedenfalls dürfte ein sachlicher Grund für den Bezugsrechtsausschluss – wie auch nach herrschender Meinung zum Insolvenz-

_____________ 68) So auch zum Insolvenzplanverfahren Haas, NZG 2012, 961, 963. 69) Zu den Voraussetzungen i. E. Grigoleit-Rieder/Holzmann, AktG, § 186 Rz. 44 ff.; Schürnbrand/Verse in: MünchKomm-AktG, § 186 Rz. 73 ff.; Rodloff, ZIP 2003, 1076. 70) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 49 f.; Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOKInsO, § 225a Rz. 22c ff.; Thies in: HambKomm-InsO, § 225a Rz. 28 ff.; Nerlich/RömermannRühle/Ober, InsO, § 225a Rz. 39 ff.; im Ergebnis auch Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 23 ff.; Fischer, NZI 2013, 823, 827; Haas, NZG 2012, 961, 965; Decher/ Voland, ZIP 2013, 103, 106 ff. m. w. N.; a. A: Jaffé in: FK-InsO, § 225a Rz. 13; Simon/ Merkelbach, NZG 2012, 121, 125; Müller, KTS 2012, 419, 442 ff. 71) Die Einzelheiten sind hier umstritten, vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 186 Rz. 25 ff.; Schürnbrand/Verse in: MünchKomm-AktG, § 186 Rz. 92 ff. 72) BGH, Urt. v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, NJW 1978, 1316; Servatius in: BeckOGK-AktG, § 186 Rz. 49 ff.

406

Kowalewski/Praß

§ 27

Absolute Priorität

planverfahren73) – generell in dem Erfordernis der Umsetzung einer (alternativlosen) Sanierungslösung für die Gesellschaft liegen. Alles andere führte zu einem Zirkelschluss und zur Unmöglichkeit, die in § 27 Abs. 1 Nr. 2 postulierte Anforderung an eine Anteilsaufgabe zu erfüllen. Als weitere materielle Schranke ist nach gesellschaftsrechtlichen Vorgaben der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. Das wird vor allem dann relevant, wenn sich unter den bereits bestehenden Anteilsinhabern einige sanierungsunwillige und einige sanierungswillige (i. S. von leistungsbereite) Anteilsinhaber befinden. Aus Sicht des StaRUG müssten die Bezugsrechte der sanierungsunwilligen Anteilsinhaber ausgeschlossen werden, während den sanierungswilligen Anteilsinhabern die Bezugsrechte vollständig zugeteilt werden. Damit wird eine Ungleichbehandlung der Anteilsinhaber erforderlich. Wie schon in der Kommentierung von § 10 begründet, ist insoweit zunächst festzuhalten, dass der gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz (für AG in § 53a AktG ausdrücklich normiert) durch die speziellen restrukturierungsrechtlichen (gruppeninternen und gruppenübergreifenden) Gleichbehandlungsgrundsätze verdrängt wird (siehe bereits § 10 Rz. 16 ff.).74) Der Planersteller muss jedoch insbesondere den gruppeninternen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 10 Abs. 1 beachten, der grundsätzlich auch für die Frage nach der Zuteilung von Bezugsrechten gilt. Umgehen kann der Planersteller das Problem zunächst dadurch, dass er im Plan sämtlichen Altgesellschaftern die Wahl lässt, ob sie an der Kapitalerhöhung teilnehmen oder ausscheiden (zur Zulässigkeit dieses „Chinese Menue“ siehe § 10 Rz. 13 ff.). Das wird jedoch dann in der Praxis nicht möglich sein, wenn es grundsätzlich mehrere sanierungswillige Anteilsinhaber gibt, aber bestimmte sanierungswillige Anteilsinhaber erklären, nur dann ihre (für die Sanierung zwingend erforderlichen) Sanierungsbeiträge zu leisten, wenn feststeht, dass nur sie nach Bestätigung des Plans Gesellschaftsanteile halten.

44

In diesem Fall dürften sich generell drei Lösungswege eröffnen:

45



Es gelingt in zulässiger Weise, die Anteilsinhaber in unterschiedliche Gruppen einzuteilen mit der Folge, dass § 10 Abs. 1 keine Anwendung findet, wobei insoweit als Abgrenzungskriterium wohl nicht reichen dürfte, dass einige Anteilsinhaber einfach mitgeteilt haben, ihre Sanierungsbeiträge anderenfalls nicht leisten zu wollen. Anders wäre dies aus Sicht der Verfasser z. B., wenn Vorgespräche dazu geführt haben, dass doch nur die Anteilsinhaber zeichnen werden, die verlangen, nach Bestätigung des Plans alleinige Anteilsinhaber des Schuldners zu bleiben (siehe dazu § 9 Rz. 75 ff.).



Das Gericht muss davon überzeugt werden, dass der gruppeninterne Gleichbehandlungsgrundsatz eine teleologische Einschränkung erfährt in den Fällen, in

_____________ 73) Nerlich/Römermann-Rühle/Ober, InsO, § 225a Rz. 39; Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 105 f.; Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 563. 74) Dies entspricht der h. M. zur Parallelnorm des Insolvenzplans (§ 226 InsO), vgl. Kübler/ Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 63; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 78; Eidenmüller, NJW 2014, 17, 18; Haas, NZG 2012, 961, 965; Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 31 Rz. 77; Brünkmans/Greif-Werner, ZInsO 2015, 1585, 1588; Noack/Schneiders, DB 2016, 1619, 1623.

Kowalewski/Praß

407

§ 27

Absolute Priorität

denen er wegen seiner formalistischen Anordnung einer Insolvenzvermeidung entgegensteht (siehe dazu bereits ausführlicher § 10 Rz. 20). –

46

Das Zeichnungsrecht wird sämtlichen Altgesellschaftern zugestanden, wobei aber die Zeichnungszustimmung der sanierungswilligen Anteilsinhaber (siehe § 9 Rz. 76) unter die Bedingung gestellt wird, dass neben ihnen kein anderer Altgesellschafter zeichnet. Diese Lösung hat erkennbar den Nachteil, dass Gesellschafter, die den Plan blockieren wollen, dies schlicht dadurch erreichen können, dass sie eine eigene Zeichnungserklärung abgeben.

Ein letztes – aber zentrales – Hindernis für eine Anteilsaufgabe über den Kapitalschnitt ist, dass ein (vollständiger) Kapitalschnitt nur möglich ist, wenn das bilanzielle Eigenkapital zu diesem Zeitpunkt vollständig aufgebraucht ist. Das ist bei Vorliegen von drohender Zahlungsunfähigkeit als Zugangsvoraussetzung für die Instrumente des StaRUG nicht zwingend der Fall und daher im Einzelfall genau zu prüfen. Ist eine vollständige Kapitalherabsetzung danach nicht möglich, bleiben nur die anderen Ausschlussmöglichkeiten (dazu nachfolgend), ggf. kombiniert mit einem Kapitalschnitt auf den Betrag des vorhandenen bilanziellen Eigenkapitals. cc) Anteilsaufgabe durch Einziehung

47

Grundsätzlich zulässig ist zudem eine Anteilsaufgabe durch Einziehung der Anteile, selbst wenn die Satzung diese Möglichkeit nicht vorsieht.75) Haben diese zum Zeitpunkt der Einziehung noch einen Wert, ist allerdings eine Abfindung zu zahlen (siehe dazu noch Rz. 54 ff.). Rechtstechnisch stellt die Einziehung neben der ordentlichen und der vereinfachten Kapitalherabsetzung eine dritte Möglichkeit zur Kapitalherabsetzung dar.76) Während bei einer (ordentlichen oder vereinfachten) Kapitalherabsetzung durch bloße Herabsetzung des Grund- bzw. Stammkapitals alle Anteile gleichmäßig betroffen sind und somit die Beteiligungsquoten der einzelnen Anteile unverändert bleiben, führt die Einziehung dazu, dass einzelne Anteile untergehen und sich das Grund- bzw. Stammkapital um den Betrag der eingezogenen Anteile vermindert.

48

Zu beachten ist, dass über die Einziehung nicht sämtliche Mitgliedschaftsrechte vernichtet werden können, weil darin eine Form der (unzulässigen) Selbstauflösung liegt.77) Ebenfalls im Grundsatz unzulässig ist eine Unterschreitung des Mindestnennbetrags, sofern dieser nicht zugleich im Wege einer Kapitalerhöhung wieder erreicht wird.78) Die Einziehung bietet sich daher im Wesentlichen als Gestaltungsalternative an, wenn durch den Restrukturierungsplan der Ausschluss einzelner Gesellschafter geregelt werden soll.79)

_____________ 75) Für den Insolvenzplan s. nur Klausmann, NZG 2015, 1300 ff. zu Recht gegen AG Charlottenburg, Beschl. v. 9.2.2015 – HRB 153203 B, NZG 2015, 1326; zum Restrukturierungsplan wie hier vgl. Mulert/Steiner, NZG 2021, 673, 678. 76) Vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 222 Rz. 2. 77) Statt aller Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 237 Rz. 5. 78) Scholz in: Münch-Hdb. GesR, Bd. 4, § 63 Rz. 4. 79) Scholz in: Münch-Hdb. GesR, Bd. 4, § 63 Rz. 2.

408

Kowalewski/Praß

§ 27

Absolute Priorität

Die Einziehung von Anteilen kann – vor dem Hintergrund, dass nach der Einziehung das Grund- bzw. Stammkapital mit den in der Satzung genannten Anteilen übereinstimmen muss – rechtstechnisch unterschiedlich ausgestaltet werden,80) nämlich –

als ordentliches Einziehungsverfahren (§ 237 Abs. 1 und 2 AktG; § 34 GmbHG), welches den Regelungen der ordentlichen Kapitalherabsetzung folgt;81)



durch Anpassung des Nennwertes der Anteile, indem der Nennwert der verbleibenden Gesellschafter prozentual (pro rata) durch eine entsprechende Änderung der Satzung erhöht wird;82) oder



durch Zwangsübertragung der eingezogenen Anteile an andere verbleibende Gesellschafter oder an einen Dritten (vgl. dazu auch noch nachstehend unter (4)).83)

Die Durchführung einer Einziehung erfolgt gesellschaftsrechtlich generell zweistufig: –

Es muss ein im Handelsregister mit konstitutiver Wirkung einzutragender Gesellschafterbeschluss gefasst werden (oder eine entsprechende Regelung in der Satzung als antizipierter Willensbildungsakt der Gesellschafter vorgesehen sein) und es bedarf



einer Durchführungshandlung in Form einer Einziehungserklärung durch die Geschäftsführung84) als empfangsbedürftige Willenserklärung (vgl. § 130 BGB).85)

Im Restrukturierungsplan dürfte dies alles in der Planregelung und dem Akt der gerichtlichen Planbestätigung zusammenfallen. Dies folgt aus § 67 Abs. 1 Satz 1, wonach mit der Planbestätigung die Wirkungen – sprich: Rechtsfolgen – der im gestaltenden Planteil vorgesehenen Maßnahme eintreten. Eine gesonderte Einziehungserklärung muss das Geschäftsführungsorgan gegenüber dem Einziehungsadressaten daher nicht abgeben.

49

50

51

dd) Anteilsaufgabe durch zwangsweise Übertragung Alternativ zum „Vernichten“ der alten Anteile können die Anteilsinhaber zur Aufgabe ihrer Anteile durch eine zwangsweise Anteilsübertragung auf einen Investor oder Treuhänder gebracht werden. Eine solche Regelung ist im Restrukturierungsplan als gesellschaftsrechtliche Maßnahme gemäß § 7 Abs. 4 Satz 4 zulässig (siehe hierzu § 7 Rz. 56 ff.). Hierfür stehen rechtstechnisch zwei unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung: Die Anteile können an einen externen Investor übertragen werden. Die Alt-Aktionäre verlieren dadurch ihre Gesellschafterstellung. Der Investor _____________ 80) Zur AG i. E. vgl. auch Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 237 Rz. 8 ff. 81) Bei der AG ist theoretisch auch ein vereinfachtes Einziegungsverfahren nach § 237 Abs. 3 AktG denkbar, wobei wegen der allgemeinen Planzulässigkeit der ordentlichen Einziehung ein solches vereinfachtes Verfahren voraussichtlich in der Praxis nicht erforderlich wird. 82) Vgl. Fleischer in: Henssler/Strohn, GesR, § 34 GmbHG Rz. 23. 83) Vgl. Strohn in: MünchKomm-GmbHG, § 34 Rz. 117. 84) Vgl. h. M. Marsch-Barner/Maul in: BeckOGK-AktG, § 238 Rz. 7 m. w. N. in Fn. 15; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 238 Rz. 7. 85) Ausnahme: Einziehung richtet sich nicht gezielt gegen einzelne Aktionäre, hierzu vgl. Marsch-Barner/Maul in: BeckOGK-AktG, § 238 Rz. 8.

Kowalewski/Praß

409

52

§ 27

Absolute Priorität

muss jedoch zusätzlich einen eigenen Restrukturierungsbeitrag leisten, da ansonsten wiederum ein Verstoß gegen § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG vorliegt. Ebenfalls denkbar ist eine Anteilsübertragung an einen von dem Schuldner ausgewählten und beauftragten Treuhänder. Diese Konstellation bietet sich insbesondere in den Fällen an, in denen kein externer Investor gefunden werden kann. Der Schuldner bzw. seine Hauptgläubiger können sich in dieser Konstellation mit der Suche nach einem geeigneten Investor Zeit lassen und diesem erst zu einem späteren Zeitpunkt, ggf. auch erst nach Abschluss der Restrukturierung, die Anteile übertragen. 53

Wie bei den vorstehenden Lösungen, kann sich das oben (siehe Rz. 44 f.) beschriebene Problem des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch bei der Zwangsübertragung ergeben, wenn die Anteile an einen bereits investierten Investor übertragen werden sollen. Das Problem ist entsprechend aufzulösen. ee) Sonderproblem: Abfindung der Anteilsinhaber?

54

55

Müssen die Anteilsinhaber wegen § 27 Abs. 1 Nr. 2 ihre Anteile aufgeben, stellt sich nach allgemeinen Regeln und auch mit Blick auf die Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in das Eigentumsrecht die Frage, ob ihnen dafür eine Abfindung gezahlt werden muss. Eine Abfindungspflicht ist in einer Sanierungssituation bei Anwendung der Regel des absoluten Vorrangs zunächst erst einmal kontraintuitiv, allerdings muss gesehen werden, dass das Eigenkapital der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Restrukturierung – genauer: stichtagsbezogen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Planbestätigung – nicht zwingend vollständig aufgebraucht sein muss – wobei die bilanzielle Eigenkapitalposition nur erster Anhalt sein kann und es bei Wertkompensation letztlich auf den eigentlichen Wert des Eigenkapitals ankommt. Daher ist zu differenzieren: –

Ist das Eigenkapital zum Zeitpunkt der gerichtlichen Planbestätigung zur Gänze aufgebraucht, ist der Gesellschaftsanteil bei der anzustellenden bilanziellen Betrachtung wertlos. In diesem Fall kann der Anteilsinhaber, der seinen (wertlosen) Anteil verliert, auch keine Abfindung verlangen.



Weitaus komplizierter ist der Fall, in dem das Eigenkapital zum Zeitpunkt der gerichtlichen Planbestätigung noch nicht vollständig aufgebraucht ist. Zwar steht den Anteilen bei der zunächst erforderlichen bilanziellen Betrachtung noch ein wirtschaftlicher Wert zu. Letztlich wird man aber darauf abstellen müssen, ob tatsächlich noch das Eigenkapital wirtschaftlich „im Geld“ ist.

Hier liegt zunächst nahe, diesbezüglich auf den Zeitpunkt der Planbestätigung abzustellen und den dann aktuellen, auf Basis des entwickelten Sanierungskonzepts („Sanierungs-Base-Case“) – freilich ohne die im Restrukturierungsplan vorgesehenen Restrukturierungsbeiträge der Stakeholder – ermittelten Unternehmenswert „per heute“ zugrunde zu legen. Ergibt sich auf dieser Basis ein positiver Wert des Eigenkapitals, wäre davon auszugehen, dass generell eine Pflicht des Schuldners besteht, die (Alt-)Gesellschafter bei Ausschluss angemessen – also in Höhe des „per Stichtag heute“ (und nicht „per Ende des Sanierungszeitraums“) ermittelten Wertes des Eigenkapitals – abzufinden.86) Dies ist allerdings nur dann richtig, wenn die dem _____________ 86) Vgl. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 225a Rz. 48 f.; Hölzle/Beyß, ZIP 2016, 1461, 1463 ff.

410

Kowalewski/Praß

§ 27

Absolute Priorität

Sanierungs-Base-Case zugrunde liegenden Maßnahmen in einem Restrukturierungsplan umsetzbar sind. Wenn die Umsetzung des Sanierungs-Base-Case – wie in der Regel zu erwarten – über den Restrukturierungsplan zu erreichende signifikante Sanierungsbeiträge der Stakeholder benötigt, ohne die die Sanierung nicht erreichbar wäre, kann bei Ermittlung der Abfindung der Gesellschafter nicht ein Mehrwert berücksichtigt werden, der erst durch vertraglich nicht geschuldete Sanierungsbeiträge der Stakeholder geschaffen wird. Entsprechend ist dann nicht auf den SanierungsBase-Case abzustellen, sondern auf den Wert des Eigenkapitals auf Basis des aktuellen Unternehmenswertes noch vor Sanierungsmaßnahmen, also vor Sanierungs-BaseCase. Die Höhe der Abfindung ist im Einzelfall anhand der konkret relevanten Umstände zu bemessen. Dabei ist zunächst einmal eine bilanzielle Betrachtung unter Berücksichtigung der Eigenkapitalquote anzustellen. Diese Betrachtung ist dann – wie vorstehend erläutert – ggf. durch eine aktuelle Unternehmensbewertung auf Basis Sanierungs-Base-Case bzw. – je nach geschilderter Fallkonstellation – auf Basis des aktuellen Unternehmenswertes zu ergänzen. Ist zum Zeitpunkt der gerichtlichen Planbestätigung noch bei bilanzieller Betrachtung Eigenkapital vorhanden, so ist die Abfindung gleichwohl mit Null anzusetzen, wenn der so ermittelte Unternehmenswert im Fremdkapital „bricht“. Für die Höhe der Abfindung gilt zudem allein der Stichtagswert; potenzielle durch die Restrukturierung später eventuell noch generierte Wertzuwächse bleiben – solange nicht in die Unternehmensbewertung eingeflossen, da nicht überwiegend wahrscheinlich – außer Betracht.

56

Die Abfindung muss i. Ü. angemessen sein; hierbei ist nicht nur die akute Restrukturierungssituation des Schuldners zu berücksichtigen. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung ist vielmehr auch die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht und das Unternehmensinteresse an einer erfolgreichen Sanierung andererseits zu berücksichtigen. Dies schließt insbesondere auch die Berücksichtigung der insolvenzrechtlichen Rangordnung ein. Vor diesem Hintergrund dürfte zwingend sein, dass ein auf Basis der Vorüberlegungen ggf. ermittelter Abfindungswert nicht unmittelbar zu Beginn der Sanierung – also mit Rechtskraft des Restrukturierungsplanes – ausgeschüttet werden darf. Denn dies wäre ein klarer Verstoß gegen die Rangfolge der §§ 38, 39 InsO. Vielmehr ist die Abfindungszahlung im Wasserfall hinter die Forderungen nach § 38 InsO zu stellen und erst nach erfolgreicher Sanierung und Rückführung der Vorrangforderungen auszuschütten.

57

ff) Alternativ: Leistung zum Ausgleich des Mehrwertes § 27 Abs. 1 Nr. 2 gewährt zudem die Alternative, dass die Anteilsinhaber an dem Schuldner beteiligt bleiben können, wenn sie den durch den Restrukturierungsplan erlangten Mehrwert durch Leistung in das Vermögen des Schuldners vollständig ausgleichen. Hintergrund dieser Regelungsvariante ist, dass die Anteilsinhaber nicht als Profiteure aus einer Restrukturierung hervorgehen sollen, die allein durch Beiträge der Gläubiger bewerkstelligt wurde. Hierbei stellen sich im Wesentlichen zwei Probleme: –

Zum einen stellt sich die Frage, wie die von den Anteilsinhabern auszugleichende Wertsteigerung berechnet werden kann. Ob die Anteilsinhaber überKowalewski/Praß

411

58

§ 27

Absolute Priorität

haupt einen wirtschaftlichen Mehrwert erhalten haben, ist im Grundsatz – ebenso wie im Insolvenzplanverfahren – bilanziell zu bestimmen.87) Für die Gegenleistung muss auf den Wert abgestellt werden, der mit den im Plan beschlossenen Sanierungsmaßnahmen generiert wird.88) Wenn die Bilanz nach Plandurchführung allein aufgrund des Restrukturierungsplans einen positiven Kapitalsaldo aufweist, ist dem Schuldner bzw. den Anteilsinhabern ein planbedingter Mehrwert zugeflossen.89) Dabei ist der Tag der gerichtlichen Planbestätigung als Stichtag maßgeblich, denn nur dieser Zeitpunkt bietet einen verlässlichen Zeitpunkt für eine stichtagbezogene Feststellung der Kompensationsleistung. Das bedeutet zugleich auch, dass spätere Wertsteigerungen oder -verluste unbeachtlich sein müssen, weil diese zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung rein hypothetischer Natur und daher bilanziell nicht feststellbar sind. Während bei kleineren Gesellschaften oder Holding-Strukturen wohl meist einzelne konkrete Beiträge pro Kopf festgesetzt werden können, bietet es sich bei Publikumsgesellschaften in den Rechtsformen der AG, KGaA oder SE an, einen konkreten Wert pro Anteil zu bestimmen. Ist die Gesellschaft börsennotiert (und bleibt sie das infolge der Restrukturierung), kann der Börsenkurs bzw. die Kurssteigerung ein maßgebliches Kriterium zur Bemessung des Mehrwertes darstellen – allerdings ist davor zu warnen, die Aktienkurse zu ernst zu nehmen, wenn gleichzeitig Fremdkapital-Tranchen mit größerem Abschlag am Sekundärmarkt gehandelt werden. –

Ebenfalls gänzlich ungeklärt ist bislang, wie technisch der Ausgleich der Wertsteigerung erfolgen soll. Das Gesetz spricht von „Leistung in das Vermögen des Schuldners“. Naheliegendes Auslegungsergebnis dürfte sein, dass die Leistung faktisch im Wege einer (spätestens mit Planbestätigung zu leistenden)90) Barzahlung zu erfolgen hat. Da die Anteilsinhaber dafür dem Sinn und Zweck der Regelung nach keine Gegenleistung neben dem Planmehrwert erhalten dürfen, wird dies mangels Alternativen wohl als Bareinlage in die freie Kapitalrücklage zu gestalten sein und nicht als Kapitalerhöhung gegen Ausgabe neuer Anteile oder als Anteilsinhaberdarlehen (mit dem ein Rückzahlungsanspruch einhergeht). Sachleistungen dürften nur im Ausnahmefall zulässig sein, wenn die Bewertung zweifelsfrei gelingt und die Sachleistung auch der Sanierung dienlich ist. Zu sehen ist allerdings, dass die Leistung der Anteilsinhaber an die Gesellschaft bilanziell wiederum erneut zu einem Wertzuwachs bei den Anteilsinhabern führt. Einlagen können zudem grundsätzlich später auch wieder an die Anteilsinhaber ausgeschüttet werden. Selbst wenn man versucht, dies

_____________ 87) Für das StaRUG Braun-Herzig, StaRUG, § 27 Rz. 9; Wolgast/Grauer-Hansen, StaRUG, § 27 Rz. 13; für das Insolvenzrecht Braun-Braun/Frank, InsO, § 245 Rz. 13; UhlenbruckLüer/Streit, InsO, § 245 Rz. 27. 88) Für das StaRUG so auch Wolgast/Grauer-Hansen, StaRUG, § 27 Rz. 14 f.; für den Insolvenzplan K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 245 Rz. 31; wohl auch Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 245 Rz. 16. 89) Vgl. Braun-Braun/Frank, InsO, § 245 Rz. 13; Thies in: HambKomm-InsO, § 245 Rz. 14. 90) A. A. Wolgast/Grauer-Hansen, StaRUG, § 27 Rz. 16, nach der auch eine zum Zeitpunkt der gerichtlichen Bestätigung vorliegende Verpflichtung des Anteilsinhabers zur späteren Leistung der Kompensation genügt.

412

Kowalewski/Praß

§ 27

Absolute Priorität

dadurch aufzulösen, dass die Barmittel genutzt werden, um an die Gläubiger eine (Teil-)Rückzahlung zu leisten, wird dieses Problem nicht beseitigt, da auch damit der Wert der Anteile aufgrund der entsprechenden Befreiung von der Verbindlichkeit steigt. Es würde keinen Sinn machen, dieses Problem dadurch aufzulösen, dass der Gesellschafter auch diesen durch sich selbst geschaffenen Mehrwert wieder (und wieder) ausgleichen muss (was zu komplexen Infinitesimalrechnungen führen könnte). Vielmehr wird es dem Gedanken des Gesetzes am nächsten kommen, wenn der Gesellschafter den durch den Plan (ohne Berücksichtigung seiner Ausgleichsleistung) geschaffenen Planmehrwert nur einmal vollständig ausgleicht. Seine Leistung besteht dann vor allem darin, dass sein Beitrag in das wirtschaftliche Risiko geht und in einer späteren Krise oder Insolvenz als Masse den Gläubigern zur Verfügung steht. gg) Abschöpfen des Planmehrwerts als weitere Alternative? Vor dem Hintergrund der vorstehend aufgezeigten Schwierigkeiten, die Regelung des § 27 Abs. 1 Nr. 2 in der Praxis umzusetzen, stellt sich die Frage, ob sich die Vorgaben des § 27 Abs. 1 Nr. 2 nicht auch dadurch umsetzen lassen, dass die Anteilsinhaber beteiligt bleiben und der ihnen durch die Restrukturierung im ersten Schritt an sich zufließende Planmehrwert im zweiten Schritt zugunsten der Gläubiger abgeschöpft wird. Immerhin will die Vorschrift des § 27 Abs. 1 Nr. 2 nur sicherstellen, dass den Anteilsinhabern dieser (durch Beiträge anderer geschaffene) Mehrwert nicht zufließt. Technisch ließe sich dies z. B. durch Verpflichtungen zur Herausgabe eines jeden auf den Plan zurückzuführenden Gewinns (z. B. im Fall der Veräußerung des Anteils oder bei Dividendenzahlungen), eine entsprechend berechnete Verwässerung der Alt-Anteile oder (im Fall eines Forderungsverzichts der Gläubiger durch den Plan) durch einen Besserungsschein erreichen. Praktisch wird dies die Zustimmung der Gläubigermehrheit erfordern, denen jedoch ggf. eine klare „Sanieren oder Ausscheiden“-Lösung lieber sein wird. Auch wenn es sicherlich herausfordernd sein wird, die Abschöpfung rechtssicher auszugestalten, ist dies aus Sicht der Verfasser eine generell denkbare Option. Dafür spricht auch § 28 Abs. 2 Nr. 1, wonach Anteilsinhaber, die nach den Vorgaben des § 28 Abs. 2 Nr. 1 beteiligt bleiben können, sich „zur Übertragung der wirtschaftlichen Werte“ verpflichten müssen, wenn ihre Mitwirkung vorzeitig endet (siehe dazu § 28 Rz. 29 ff.). Der Abschöpfungsgedanke ist also generell bereits im Gesetz angelegt.

59

hh) Relativierung des Regel des absoluten Vorrangs durch § 28 Abs. 2 Der Vollständigkeit halber sei erneut erwähnt, dass die Absolute Priority Rule des § 27 Abs. 1 Nr. 2 allgemein durch die Ausnahmeregelung in § 28 Abs. 2 relativiert wird. Danach kann in Ausnahmefällen der Schuldner oder eine an dem Schuldner beteiligte Person am Unternehmensvermögen beteiligt bleibt, sofern alternativ –

die Mitwirkung des Schuldners oder der an dem Schuldner beteiligten Person an der Fortführung des Unternehmens infolge besonderer, in seiner Person liegender Umstände unerlässlich ist, um den Planwert zu verwirklichen, und sich der Schuldner oder die an dem Schuldner beteiligte Person im Plan zu der erforderlichen Mitwirkung sowie zur Übertragung der wirtschaftlichen Werte für den Fall verpflichtet, dass seine Mitwirkung aus von ihm zu vertretenen Kowalewski/Praß

413

60

§ 27

Absolute Priorität

Gründen vor dem Ablauf von fünf Jahren oder einer kürzeren, für den Planvollzug vorgesehenen Frist endet oder –

die Eingriffe in die Rechte der Gläubiger geringfügig sind, insbesondere, weil die Rechte nicht gekürzt werden und deren Fälligkeiten um nicht mehr als 18 Monate verschoben werden (siehe Einzelheiten bei § 28 Rz. 34 ff.).

ii) Gestaltungsermessen des Planarchitekten 61

Welche der vorstehenden Gestaltungsoptionen zum Tragen kommt, entscheidet im ersten Schritt der Planarchitekt nach pflichtgemäßen Ermessen. Praktisch betrachtet wird er dies aber vorher freilich mit der erwarteten Abstimmungsmehrheit vorbesprochen haben und berücksichtigen, welche Option eine Chance hat, angenommen zu werden. 3.

Gruppenübergreifender Diskriminierungsschutz (Abs. 1 Nr. 3)

62

Weitere Voraussetzung für eine angemessene Beteiligung am Planwert ist nach § 27 Abs. 1 Nr. 3, dass kein planbetroffener Gläubiger, der in einem Insolvenzverfahren gleichrangig mit den Gläubigern der Gruppe zu befriedigen wäre, besser als diese Gläubiger gestellt werden darf. Für am Schuldner beteiligte Personen stellt § 27 Abs. 2 Nr. 2 die vergleichbare Regel auf, dass keine an dem Schuldner beteiligte Person, die ohne Plan den Mitgliedern der Gruppe gleichgestellt wäre, einen wirtschaftlichen Wert behält (näher zu Abs. 2 Nr. 2 siehe Rz. 68 ff.). Damit erfordert § 27 Abs. 1 Nr. 3 – im Unterschied, aber auch als Ergänzung zur gruppeninternen Gleichbehandlung (§ 10 Abs. 1) – ein gruppenübergreifendes Diskriminierungsverbot.

63

Der gruppenübergreifende Diskriminierungsschutz orientiert sich ausweislich der Regierungsbegründung an § 245 Abs. 2 Nr. 3 InsO. Abweichend von der Vorschrift im Insolvenzplanverfahren sind in den Vergleich aber nur planbetroffene Gläubiger einzubeziehen. Damit ist eine Schlechterstellung gegenüber den Inhabern nicht einbezogener Forderungen ausdrücklich möglich und zulässig. Die Regierungsbegründung begründet dies mit dem teilkollektiven Charakter des Restrukturierungsplans. Eventuell missbräuchlichen Gestaltungsvorgängen bei der Auswahl der Planbetroffenen soll ausreichend durch die Sachgerechtigkeitskontrolle gemäß § 8 vorgebeugt werden.91)

64

Die Feststellung einer (wirtschaftlichen) Schlechterstellung macht richterliche Bewertungsentscheidungen erforderlich, wenn verschiedenen Gruppen von Gläubigern mit gleichem Rang nicht einheitlich ein bestimmter Geldbetrag/Planquote bzw. eine gleiche Anpassung der Verträge (Prolongation etc.) geboten wird. Im Kern wird es dabei wieder um einen Vergleich der zu erwartenden Befriedigungschancen gehen (siehe dazu allgemein Rz. 26 ff.).92) Eine Schlechterstellung liegt nicht vor, wenn den gleichrangigen Gläubigergruppen mehrere Optionen im Rahmen eines sog. Chinese Menue (siehe hierzu § 10 Rz. 13 ff.) angeboten werden, z. B. bei einem _____________ 91) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 129. 92) So explizit i. R. des § 27 Abs. 1 Nr. 3 auch das AG Dresden, Beschl. v. 7.6.2021 – 574 RES 2/21, ZInsO 2021, 1398, 1399.

414

Kowalewski/Praß

§ 27

Absolute Priorität

Debt Equity Swap.93) Entscheiden sich einzelne Gläubiger freiwillig für die wirtschaftlich schlechtere Option, kann das einer Planbestätigung nicht entgegenstehen, solange den Betroffenen dieselben Optionen angeboten wurden. § 28 Abs. 1 Satz 1 sieht eine Ausnahme vom gruppenübergreifenden Diskriminierungsschutz vor, wenn eine Abweichung nach der Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und nach den Umständen sachgerecht ist. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 ist eine Abweichung von § 27 Abs. 1 Nr. 3 nicht sachgerecht, wenn auf die überstimmte Gruppe mehr als die Hälfte der Stimmrechte der Gläubiger der betroffenen Rangklasse entfällt (siehe hierzu ausführlich § 28 Rz. 13 ff.).

65

VI. Zustimmungsersetzung bei Anteilsinhabergruppen (Abs. 2) Die Voraussetzungen der Zustimmungsersetzung bei Anteilsinhabern orientieren sich ebenfalls am insolvenzrechtlichen Vorbild des § 245 Abs. 3 InsO.94) Eine überstimmte Gruppe von Anteilsinhabern ist am wirtschaftlichen (Mehr-)Wert des Restrukturierungsplans angemessen beteiligt, wenn – kumulativ – –

kein Gläubiger den Betrag seiner Forderung übersteigende Werte erhält (Abs. 2 Nr. 1) und



kein ohne den Plan gleichgestellter Anteilsinhaber nach dem Plan besserbehandelt wird (Abs. 2 Nr. 2).

1.

Verbot der Überkompensation (Abs. 2 Nr. 1)

Für die angemessene Beteiligung der Anteilsinhaber gilt das Verbot der Überkompensation entsprechend der Regelung bei der Überstimmung einer Gläubigergruppe nach § 27 Abs. 1 Nr. 1. Danach darf kein planbetroffener Gläubiger wirtschaftliche Werte erhalten, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen (siehe hierzu oben Rz. 26 ff.). 2.

66

67

Verbot des Behaltens eines wirtschaftlichen Werts durch gleichgestellte Anteilsinhaber (Abs. 2 Nr. 2)

Die Regelung des § 27 Abs. 2 Nr. 2 stellt im Ausgangspunkt die Gleichbehandlung der Anteilsinhaber untereinander sicher, wenn im Wege eines gruppenübergreifenden Cram-down andere Anteilsinhaber überstimmt werden. Dies folgt generell dem im Gesellschaftsrecht verankerten Gleichbehandlungsgebot (§ 53a AktG).95)

68

Auf den ersten Blick verwundert, warum das Gesetz ersichtlich davon ausgeht, dass auch innerhalb des Gesellschafterkreises nicht zwingend alle Anteilsinhaber gleichgestellt sein müssen. Zwischen den Anteilsinhabern besteht kein dem § 39 InsO vergleichbares Rangverhältnis, sie sind vielmehr grundsätzlich gleichzubehandeln. Gleichwohl können sich die Rechtsstellungen einzelner Anteilsinhaber unterschei-

69

_____________ 93) So auch Spahlinger in: BeckOK-StaRUG, § 27 Rz. 22. 94) Ausweislich der Begr. RegE war § 245 Abs. 3 InsO Vorbild für die Regelung, vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 129. 95) Hierzu vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 53a Rz. 1 ff.; Götze in: MünchKomm-AktG, § 53a Rz. 1 ff. Im GmbH-Recht wird dieser aus den §§ 19 Abs. 2, 24, 26 Abs. 2 und Abs. 3, 29 Abs. 3, 31 Abs. 3 und 47 Abs. 2 GmbHG hergeleitet. Näher dazu bei Michalski/ Heidinger/Leible/J. Schmidt-Lieder, GmbHG, § 13 Rz. 108 ff.

Kowalewski/Praß

415

§ 27

Absolute Priorität

den und dadurch eine Ungleichbehandlung i. S. des Absatz 2 Nr. 2 rechtfertigen, z. B. bei unterschiedlicher Gewinn- und Überschussverteilung96) und weiteren Sonderoder Statusrechten. a) Zwingender Ausschluss der Anteilsinhaber? 70

Nach § 27 Abs. 2 Nr. 2 ist ein gruppenübergreifender Cram-down zulasten einer Anteilsinhabergruppe nur zulässig, wenn kein Anteilsinhaber derselben Rangklasse einen wirtschaftlichen Wert behält. § 27 Abs. 2 Nr. 2 sieht somit eine drastischere Voraussetzung vor, als dies bei einem gruppenübergreifenden Cram-down zulasten der Gläubiger gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 2 der Fall ist, weil nach Abs. 1 Nr. 2 die Anteilsinhaber nur keinen (Mehr-)Wert „erhalten“ dürfen. Dieser auf den ersten Blick bloß semantische Unterschied hat auf Rechtsfolgenebene erhebliche Auswirkungen: Dem reinen Gesetzeswortlaut des § 27 Abs. 2 Nr. 2 zufolge ist damit bei einem gruppenübergreifenden Cram-down einer Anteilsinhabergruppe zwingend ein Ausscheiden der Anteilsinhaber erforderlich (sie dürfen schließlich nichts mehr behalten), selbst wenn die Anteile noch einen Wert haben und nach dem Wortlaut genaugenommen sogar selbst dann, wenn von der in § 27 Abs. 1 Nr. 2 vorgesehen Variante Gebrauch gemacht wird, dass die beteiligt bleibenden Anteilsinhaber eine Leistung zur Kompensation des durch die Restrukturierung erlangten Wertvorteils erbringen. Beides kann nicht richtig sein. aa) Problem: Anteil hat noch einen Wert

71

Wenn das Eigenkapital zumindest zum Teil noch vorhanden und ein positiver EK-Wert ermittelt ist, entsteht ein klarer Widerspruch zu §§ 64, 66, wonach kein Betroffener (inkl. Anteilsinhaber) durch den Plan schlechter als ohne einen Plan gestellt werden darf. Scheiden die Anteilsinhaber bei konsequenter Anwendung des § 27 Abs. 2 Nr. 2 (ohne Abfindung) aus der Gesellschaft aus, obwohl der Anteil werthaltig ist, stünden sie schlechter als ohne Plan, da sie in diesem Fall zumindest noch Inhaber der (wenn auch nur noch geringfügig) werthaltigen Anteile wären. Die zwangsweise ausgeschiedenen Anteilsinhaber könnten sich dann aber, da insoweit keine Einschränkungen erkennbar sind, auf den Minderheitenschutz der §§ 64, 66 berufen.

72

Um diesen Widerspruch aufzulösen, sind theoretisch drei Auslegungsergebnisse denkbar: 1.

Denkbar wäre einerseits, den Minderheitenschutz gem. §§ 64, 66 in diesem Fall für unanwendbar zu erklären und der Regel der absoluten Priorität gem. § 27 Abs. 2 Nr. 2 uneingeschränkten Geltungsvorrang einzuräumen. Begründet werden könnte dies damit, dass die Richtlinie nur einen „Best-Interest-of-Creditors“Test vorsieht, die Anteilsinhaber also nach der Richtlinie nicht zwingend auch die Rechtsschutzmöglichkeiten der §§ 64, 66 erhalten müssen.

2.

Eine andere Möglichkeit wäre, § 27 Abs. 2 Nr. 2 dahingehend aus systematischen Gründen einzuschränken, dass der „andere“ (nicht vom Cram-down betroffene)

_____________ 96) So auch für § 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO: Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO § 245 Rz. 37; Kübler/ Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 245 Rz. 29.

416

Kowalewski/Praß

§ 27

Absolute Priorität

Anteilsinhaber auch im Fall eines gruppenübergreifenden Cram-down einer Anteilsinhabergruppe eine Beteiligung behalten darf, wenn er anderenfalls schlechter als ohne Plan gestellt wird. 3.

Eine dritte Lösungsmöglichkeit ist, dass den Anteilsinhabern beim von § 27 Abs. 2 Nr. 2 verlangten Ausscheiden im Fall der Werthaltigkeit ihres Anteils eine angemessene Abfindung gezahlt werden muss (siehe dazu allgemein oben Rz. 54 ff.).

Richtigerweise dürften sowohl der unter 2. als auch der 3. aufgezeigte Lösungsweg zum angemessenen Ergebnis führen, so dass es am Ende dem Planersteller überlassen bleibt, welchen dieser Wege er wählt. Der Lösungsweg unter 1. vermag hingegen auch vor dem Hintergrund von Art. 14 GG nicht zu überzeugen. Vorgeschlagen wird außerdem eine teleologische Reduktion des § 27 Abs. 2 Nr. 2 nur auf Fälle der zwangsweisen Übertragung von Anteilsrechten.97) Der Gedanke ist nachvollziehbar, weil dann die in § 27 Abs. 2 Nr. 2 geregelte Rechtsfolge verständlich ist. Diese Einschränkung löst allerdings nicht das Kollisionsproblem, das bei werthaltigen Anteilen mit den §§ 64, 66 entsteht.

73

bb) Problem: Anteilsinhaber verhält sich konform mit Abs. 1 Nr. 2 Es ist zudem kein Grund erkennbar, warum ein Anteilsinhaber wegen der Regelung des § 27 Abs. 2 Nr. 2 im Fall eines Cram-down einer Anteilsinhabergruppe zwingend aus der Gesellschaft ausscheiden muss, wenn er sich konform mit § 27 Abs. 1 Nr. 2 verhält und den für ihn geschaffenen Planmehrwert durch eigene Leistung ausgleicht. Es dürfte sich insoweit um ein Redaktionsversehen handeln, dass diese Möglichkeit nicht auch ausdrücklich bei § 27 Abs. 2 Nr. 2 vorgesehen ist. Dafür spricht klar die Entstehungsgeschichte des gesamten § 27. Entsprechend ist die pauschale Aussage des § 27 Abs. 2 Nr. 2 nicht derart streng am Wortlaut auszulegen, dass im Fall eines Cram-down einer Anteilsinhabergruppe tatsächlich kein Anteilsinhaber (nicht einmal ein sanierungswilliger Anteilsinhaber) einen Anteil behalten darf.98)

74

cc) Keine Anwendung der Ausnahme nach § 28 Abs. 2 Nr. 2? Zu beachten ist außerdem, dass die Ausnahmeregelung des § 28 Abs. 2 Nr. 2 dem Wortlaut nach nicht für § 27 Abs. 2 Nr. 2 gilt, sondern nur für § 27 Abs. 1 Nr. 2. Das heißt, sollte nur die Zustimmung einer Anteilsinhabergruppe über einen gruppenübergreifenden Cram-down nach § 27 Abs. 2 ersetzt werden müssen,99) müssen – bei strenger Lesart des § 27 Abs. 2 Nr. 2 – eigentlich sämtliche Anteilsinhaber ihre Gesellschafterstellung vollständig aufgeben, selbst wenn für die Gläubiger nur eine Prolongation von unter 18 Monaten geregelt wird. Auch hier erschließt sich dieses Ergebnis bei Betrachtung der Entstehungsgeschichte der Vorschriften nicht. Es sprechen vielmehr die besseren Argumente dafür, dass es sich auch insoweit um ein Redaktionsversehen handelt und richtigerweise auch die Ausnahme nach § 28 Abs. 2 Nr. 2 auf § 27 Abs. 2 Nr. 2 Anwendung findet. _____________ 97) So bei Wolgast/Grauer-Hansen, StaRUG, § 27 Rz. 22. 98) So auch Wolgast/Grauer-Hansen, StaRUG, § 27 Rz. 23. 99) Das ist z. B. denkbar, wenn der Plan einerseits auf Gläubigerseite eine Prolongation vorsieht (und sämtliche Gläubiger zustimmen) und zudem ein Debt Equity Swap erfolgen soll, dem eine Anteilseignergruppe nicht zustimmt.

Kowalewski/Praß

417

75

§ 28

Durchbrechung der absoluten Priorität

b) Gruppenübergreifender Cram-down zulasten einer Gläubiger- und einer Anteilsinhabergruppe 76

Denkbar ist, dass sowohl die Zustimmung einer Gläubiger- als auch einer Anteilsinhabergruppe im Wege des gruppenübergreifenden Cram-down ersetzt werden muss. In diesem Fall greift die Regel der absoluten Priorität zulasten der Anteilsinhaber gewissermaßen gleich zweimal, nämlich (1) gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 2 soweit die Gläubigergruppe bzw. (2) gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 2 soweit die Anteilsinhabergruppe überstimmt werden soll. Das sich in diesem Fall aufdrängende Konkurrenzverhältnis der beiden Vorschriften besteht jedoch nur auf den ersten Blick. Das Gericht muss für die Zustimmungsersetzung der jeweiligen ablehnenden Gruppe die dafür jeweils geltenden Vorschriften (also für die Gläubiger nach § 27 Abs. 1 und für die Anteilsinhaber nach § 27 Abs. 2) prüfen. Wie die Ausführungen oben (siehe unter Rz. 70 ff.) gezeigt haben, unterscheiden sich beide Vorschriften – bei verständiger Auslegung des § 27 Abs. 2 Nr. 2 – nicht signifikant. VII.

Rechtsfolgen

77

Ein Verstoß gegen die Vorgaben des § 27 – unter Berücksichtigung der Ausnahmen nach § 28 – führt dazu, dass die Voraussetzungen einer gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 2 nicht eingehalten sind und der Plan damit nicht die erforderliche Zustimmung erreicht hat. In der Konsequenz wird das Restrukturierungsgericht die Bestätigung des Restrukturierungsplans von Amts wegen versagen.

78

Rechtsschutz allein gegen die Nichtbeachtung der Regeln zur angemessenen Beteiligung nach § 27 besteht technisch betrachtet nach dem StaRUG – ebenso wie in der InsO – nicht.100) Das Gericht wird die Betroffenen vor der Entscheidung jedoch in aller Regel anhören, so dass die Betroffenen auf diesem Weg über das Vorliegen der Voraussetzungen streiten können. Zudem können die Voraussetzungen nach Vornahme der Bestätigungsentscheidung des Restrukturierungsgerichts über die sofortige Beschwerde nach § 66 überprüft werden. _____________ 100) So auch Braun-Herzig, StaRUG, § 27 Rz. 16.

§ 28 Durchbrechung der absoluten Priorität Kowalewski/Praß

(1) 1Der angemessenen Beteiligung einer Gruppe von planbetroffenen Gläubigern am Planwert steht es nicht entgegen, wenn eine von § 27 Absatz 1 Nummer 3 abweichende Regelung nach der Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und nach den Umständen sachgerecht ist. 2Eine von § 27 Absatz 1 Nummer 3 abweichende Regelung ist nicht sachgerecht, wenn auf die überstimmte Gruppe mehr als die Hälfte der Stimmrechte der Gläubiger der betroffenen Rangklasse entfällt. (2) Einer angemessenen Beteiligung einer Gruppe von planbetroffenen Gläubigern am Planwert steht es nicht entgegen, wenn der Schuldner oder eine an 418

Kowalewski/Praß

Durchbrechung der absoluten Priorität

§ 28

dem Schuldner beteiligte Person entgegen § 27 Absatz 1 Nummer 2 am Unternehmensvermögen beteiligt bleibt, sofern 1.

die Mitwirkung des Schuldners oder der an dem Schuldner beteiligten Person an der Fortführung des Unternehmens infolge besonderer, in seiner Person liegender Umstände unerlässlich ist, um den Planwert zu verwirklichen, und sich der Schuldner oder die an dem Schuldner beteiligte Person im Plan zu der erforderlichen Mitwirkung sowie zur Übertragung der wirtschaftlichen Werte für den Fall verpflichtet, dass seine Mitwirkung aus von ihm zu vertretenden Gründen vor dem Ablauf von fünf Jahren oder einer kürzeren, für den Planvollzug vorgesehenen Frist endet oder

2.

die Eingriffe in die Rechte der Gläubiger geringfügig sind, insbesondere, weil die Rechte nicht gekürzt werden und deren Fälligkeiten um nicht mehr als 18 Monate verschoben werden.

Literatur: Bork, Neue Grundfragen des Restrukturierungsrechts, ZRI 2021, 345; Brinkmann, Die relative Vorrangregel aus Art. 11 (1) (c) der Insolvenzrichtlinie: nicht nur untauglich, sondern brandgefährlich!, European Insolvency & Restructuring, TLE-009-2019; Budde, Die doppelnützige Treuhand in der Restrukturierungspraxis, ZInsO 2011, 1369; Flöther, Anregungen zur Umsetzung der EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, ZInsO 2019, 1582, 1585; Hacker/Weber, Das StaRUG (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz) ist in Kraft! – Ablauf und praktische Anwendungsfälle des neuen Restrukturierungsverfahrens, WPg 2021, 258; Hofmann, Der Restrukturierungsplan im künftigen deutschen Restrukturierungsverfahren – Restrukturierungs- vs. Insolvenzplan?: Zur Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019, NZI Beilage Heft 16-17/2019, S. 22; Laier, Die doppelnützige Treuhand als Sanierungsinstrument, GWR 2010, 184; Madaus, Die neue European Relative Priority Rule der Restrukturierungsrichtlinie – Das Ende des europäischen Insolvenzrechts?, abrufbar unter https://stephanmadaus.de/2019/03/12/die-neue-europeanrelative-priority-rule-der-restrukturierungsrichtlinie-das-ende-des-europaeischen-insolvenzrechts/ (Abrufdaum: 25.8.2021); Madaus/Wessels, Business Rescue in Insolvency Law – A Challenge for Private Law?, ZEuP 2020, 800; Paulus, Die Entdämonisierung des Scheiterns: Ein EU-Richtlinienentwurf greift Schuldnern unter die Arme, GmbHR 2017, R 257; Proske/Streit, Rettende Restrukturierung durch Rechtsrahmen? Lob und Kritik zum Regierungsentwurf des StaRUG, NZI 2020, 969; Riggert/Baumert, Doppelnützige Treuhand – Treuhand trifft auf Berufsrecht, NZI 2012, 785; Schmidt, H., Der Richtlinienvorschlag für präventive Restrukturierungsrahmen aus Bankensicht, WM 2017, 1735; Skauradszun, Ein Umsetzungskonzept für den präventiven Restrukturierungsrahmen, KTS 2019, 161; Spahlinger, Gruppen, Stimmrechte und erforderliche Mehrheiten, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; de Weijs/Jonkers/Malakotipour, The Imminent Distortion of European Insolvency Law, Centre for the Study of European Contract Law Working Paper No. 2019-05, abrufbar unter https://pure.uva.nl/ws/files/ 47304690/SSRN_id3350375.pdf (Abrufdatum: 25.8.2021); Wessels, A reply to professor De Weijs et al., abrufbar unter http://www.bobwessels.nl/blog/2019-03-doc10-the-fullversion-of-my-reply-to-professor-de-weijs-et-al/ (Abrufdatum 25.8.2021). Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: Madaus, Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) sowie zum diesbezüglichen Antrag der Fraktion der FDP, v. 12.11.2020, S. 11, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/806302/5235168ddc676b 9436c8540322e53865/madaus-data.pdf. (Abrufdatum jeweils: 25.8.2021).

Kowalewski/Praß

419

§ 28

Durchbrechung der absoluten Priorität Übersicht

I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 3 1. Entstehungsgeschichte der relevanten Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie ................................ 3 2. Entstehungsgeschichte der deutschen Umsetzung .......................... 5 a) Referentenentwurf ......................... 5 b) Fassung im Regierungsentwurf ..... 7 c) Kein Gleichlauf mit dem Insolvenzplanrecht ................................. 9 III. Überblick zum Tatbestand ................ 12 IV. Ausnahme vom starren Diskriminierungsschutz des § 27 Abs. 1 Nr. 3 (Abs. 1) ...................................... 13

I.

1.

Das Kriterium der Sachgerechtigkeit (Abs. 1 Satz 1) .............................. 14 2. Ausnahme der Sachgerechtigkeit (Abs. 1 Satz 2) ..................................... 18 V. Ausnahme zu § 27 Abs. 1 Nr. 2 (Abs. 2) ................................................ 21 1. Tatbestand des Absatz 2 Nr. 1 ........... 21 a) Unerlässliche Schuldner- oder Anteilsinhabermitwirkung .......... 24 b) Verpflichtung zur Mitwirkung .... 28 c) Verpflichtung zur Übertragung der wirtschaftlichen Werte .......... 29 2. Tatbestand des Absatz 2 Nr. 2 ........... 34 VI. Rechtsfolge ......................................... 38

Normzweck

1

§ 28 ist im Normzusammenhang mit den §§ 26, 27 zu lesen. Während § 26 zur Durchsetzung des Restrukturierungsplans eine gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung (engl. Cross-Class Cram-down) grundsätzlich für zulässig erklärt, statuiert § 27 die (hohen) Anforderungen für eine angemessene Beteiligung der ablehnenden Gruppe als Konkretisierung von § 26 Abs. 1 Nr. 2. Als Durchbrechung der Vorgaben des § 27 enthält Absatz 1 eine Einschränkung des § 27 Abs. 1 Nr. 3 und enthält Absatz 2 eine Einschränkung des § 27 Abs. 1 Nr. 2.

2

Die Einführung des § 28 zeigt, dass der Gesetzgeber durchaus Schwächen einer „starren“ Regel der absoluten Priorität (siehe hierzu § 27 Rz. 12 ff.) erkannt hat. § 28 bezweckt damit, einen sachgerechten Ausgleich der bei einer Anwendung der „reinen“ absoluten Vorrangregel in der Praxis entstehenden unangemessenen Ergebnisse zu schaffen.1) II. Normhistorie 1.

3

Entstehungsgeschichte der relevanten Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie

Die Restrukturierungsrichtlinie2) kennt sowohl die Regel des relativen Vorrangs (Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. c Restrukturierungsrichtlinie) als auch die des absoluten Vorrangs (Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1). Die Regel der relativen Priorität (sog. Relative Priority Rule) besagt, dass ablehnende Abstimmungsklassen betroffener Gläubiger mindestens ebenso wie gleichrangige und (nur) besser als nachrangige Klassen zu behandeln sind. Nach der Regel der Absoluten Priorität (Absolute Priority _____________ 1) 2)

420

Ob dies vollständig gelungen ist, ist eine andere Frage. S. dazu auch § 27 Rz. 12 ff. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

Kowalewski/Praß

Durchbrechung der absoluten Priorität

§ 28

Rule) ist eine ablehnende Klasse betroffener Gläubiger vollumfänglich zu befriedigen, bevor eine nachrangige Klasse eine Zahlung oder Beteiligung erhält. Der europäische Gesetzgeber priorisiert die Regel des relativen Vorrangs und erklärt sie in Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. c Restrukturierungsrichtlinie zum Standardkonzept. Dies war jedoch für die Mitgliedstaaten keinesfalls bindend, vielmehr gewährt die Restrukturierungsrichtlinie den Mitgliedstaaten an dieser Stelle im Allgemeinen ein weites Maß an Flexibilität. Nach Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 2 der Restrukturierungsrichtlinie können die Mitgliedstaaten u. a. Ausnahmen von der Regel des absoluten Vorrangs vorsehen, wenn es zur Verwirklichung der Ziele des Restrukturierungsplans notwendig ist und Rechte oder Interessen betroffener Parteien nicht gefährdet werden. Dies hat der Europäische Gesetzgeber in den ErwG konkretisiert: Danach können z. B. als Ausnahmen zugelassen werden, dass (1) Anteilsinhaber in bestimmten Fällen ihre Anteile behalten dürfen, obwohl die Forderungen der vorrangigen Klasse durch den Plan teilweise erlassen werden sollen, oder (2) wesentliche Lieferanten vor vorrangigen Gläubigerklassen befriedigt werden dürfen, ErwG 56 der Restrukturierungsrichtlinie (zur Entstehungsgeschichte der durch die Richtlinie ermöglichten unterschiedlichen Vorrangregelungen siehe bei § 27 Rz. 4 ff.). § 28 ist als deutsche Umsetzung dieses Gestaltungsspielraums zu betrachten. 2.

4

Entstehungsgeschichte der deutschen Umsetzung

a) Referentenentwurf Schon der RefE3) des BMJV vom 19.9.2020 sah eine Durchbrechung der absoluten Prioritätsregel vor.4) Die entsprechende Regelung war zu diesem Zeitpunkt noch in § 28 Abs. 5 RefE vorgesehen, der seinerzeit sämtliche Vorgaben zur gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung enthielt.

5

In dem RefE waren die Voraussetzungen, unter denen der Schuldner oder Anteilsinhaber Werte behalten dürfen, noch leicht anders geregelt: Danach stand es der angemessenen Beteiligung einer Gruppe von Gläubigerinnen nicht entgegen, wenn die Schuldnerin oder eine Inhaberin von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten wirtschaftliche Werte behält, (1) sofern deren Mitwirkung für die Fortführung des Unternehmens erforderlich ist, um den Planmehrwert zu verwirklichen, und sie sich zur Fortführung des Unternehmens verpflichtet hat (§ 28 Abs. 3 Nr. 1 RefE) oder (2) die Eingriffe in die Rechte der Gläubigerinnen geringfügig sind, insbesondere weil die Rechte nicht gekürzt werden und deren Fälligkeiten um nicht mehr als zwölf Monate verschoben werden (§ 28 Abs. 3 Nr. 2 RefE). Während § 28 Abs. 2 Nr. 1 nunmehr drei kumulative Voraussetzungen vorsieht (siehe i. E. Rz. 21 ff.) und damit die Anforderungen für diese Ausnahme von der Absolute Priority Rule durch den RegE (siehe dazu sogleich) angezogen wurden, war für den sog. „reinen Prolonga-

6

_____________ 3)

4)

RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 25.8.2021). RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, S. 24, abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 25.8.2021).

Kowalewski/Praß

421

§ 28

Durchbrechung der absoluten Priorität

tionsfall“ nur noch eine Fälligkeitsverschiebung von maximal zwölf Monaten vorgesehen.5) Der RefE kannte hingegen noch nicht die nunmehr in § 28 Abs. 1 enthaltene Ausnahmeregelung. b) Fassung im Regierungsentwurf 7

Mit dem RegE6) sind die Regelungen zum gruppenübergreifenden Cram-down auf drei Normen verteilt worden.7) Der RegE verschärfte zudem die Voraussetzungen des heutigen § 28 Abs. 2 Nr. 1. Nunmehr musste das Behalten der Beteiligung aufgrund in der Person des Gesellschafters liegender Umstände unerlässlich (vorher: erforderlich) sein, um den Planwert zu verwirklichen. Zusätzlich wurde das Erfordernis der Anteilsübertragung bei fehlender Mitwirkung aufgenommen. Damit entspricht der RegE bereits im Wesentlichen der verabschiedeten Fassung des § 28. Lediglich die Klarstellung, dass die Mitwirkungsperiode des Gesellschafters von fünf Jahren gekürzt ist, wenn für den Planvollzug eine kürzere Frist geregelt ist, fand sich noch nicht im RegE, war jedoch in der Gesetzesbegründung bereits erwähnt.8) Ihre Aufnahme ins Gesetz wurde durch den Rechtsausschuss des Bundestages vorgeschlagen und sodann im Gesetz implementiert.9) Der RegE erweiterte zudem die Voraussetzungen für den „reinen Prolongationsfall“ in § 28 Abs. 2 Nr. 2, indem nunmehr die Gesellschafter am Planwert ohne eigene Beiträge partizipieren können sollen, wenn eine Prolongation von maximal 18 Monaten (vorher: zwölf) geregelt wird.10) Die Forderung des Bundesrates, den § 28 Abs. 2 vollständig zu streichen, da Anteilsinhaber „zu Eigenbeiträgen nicht erst motiviert werden“ müssten, hat sich in der finalen Beschlussfassung nicht durchsetzen können.11)

8

Der RegE enthielt zudem erstmals die nun in § 28 Abs. 1 genannte Ausnahme von § 27 Abs. 1 Nr. 3 für den Fall, dass eine Ungleichbehandlung von gleichrangigen Gläubigern nach Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und nach den Umständen sachgerecht ist. Aufgrund der Empfehlungen des Rechtsausschusses (s. o.) wurde dies kurz vor Verabschiedung des Gesetzes noch dahingehend eingeschränkt, dass von einer Sachgerechtigkeit der Ungleichbehandlung nicht ausgegangen werden kann, wenn auf die überstimmte Gruppe mehr als die Hälfte der Stimmrechte der Gläubiger in der betroffenen Rangklasse entfällt. c) Kein Gleichlauf mit dem Insolvenzplanrecht

9

Die in § 28 Abs. 1 Satz 1 geregelte Ausnahme der Absolute Priority Rule ist ein Novum im deutschen Sanierungs- und Insolvenzrecht und findet insbesondere

_____________ 5) RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, S. 24, abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 25.8.2021). 6) RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. 7) RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 23 f. 8) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 130. 9) Bericht des Rechtsausschusses BT-Drucks. 19/25353, S. 8. 10) RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 24. 11) Stellungnahme des BRat z. SanInsFoG, v. 27.11.2020, BR-Drucks. 619/20, S. 6.

422

Kowalewski/Praß

Durchbrechung der absoluten Priorität

§ 28

keine Entsprechung beim – ansonsten in weiten Teilen ja parallel verlaufenden – Insolvenzplanrecht. Das gilt auch mit Blick auf § 28 Abs. 2: –

Eine dem Absatz 2 Nr. 2 vergleichbare Vorschrift fehlt beim Insolvenzplan zur Gänze.



Die mit § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG vergleichbare Vorschrift des § 245 Abs. 2 Satz 2 InsO ist auf natürliche Personen als Schuldner sowie auf solche Gesellschafter beschränkt, die auch an der Geschäftsführung beteiligt sind.12)

Dieser Befund ist verwunderlich, zumal der Gesetzgeber gerade mit § 28 Abs. 1 auf die schon zur Vorschrift des § 245 Abs. 2 Nr. 3 InsO vielfach ergangene Kritik13) reagiert, den Ausnahmetatbestand aber nicht zeitgleich in das Insolvenzrecht übertragen hat. Zumindest in Bezug auf das Diskriminierungsverbot ist damit ein gruppenübergreifender Cram-down im Restrukturierungsrahmen leichter zu erreichen als im Insolvenzplanplanverfahren.14)

10

Nach der Regierungsbegründung sei dieser Unterschied zwischen Insolvenz- und Restrukturierungsplan allerdings geboten, weil der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach § 8 auch teilkollektive Planlösungen erlaube.15) Die Auswahl der einzubeziehenden Stakeholder habe gemäß § 8 Satz 2 Nr. 2 nach der Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners und den Umständen nach angemessen zu sein. Insbesondere solle dies dann der Fall sein, wenn ausschließlich Finanzverbindlichkeiten und die zu deren Sicherung bestellten Sicherheiten gestaltet würden oder die Forderungen von Kleingläubigern, insbesondere Verbrauchern, Klein- und Kleinstunternehmen oder mittleren Unternehmen, unberührt blieben. Dies wird wiederum damit begründet, dass der operative Betrieb aufrechterhalten bleiben solle und die zur Aufrechterhaltung des Betriebs beitragenden Geschäftspartner des Schuldner deshalb von Beeinträchtigungen und Eingriffen verschont werden sollten.16) Der Gesetzesbegründung zufolge sollte mit § 28 Abs. 1 die Möglichkeit geschaffen werden, das strikte Erfordernis der Gleichbehandlung zu relativieren, um der Praxis Raum für flexible Lösungen zu lassen und sie insbesondere vor dem Zwang zu bewahren, rigide Entscheidungen über die Einbeziehung oder Nichteinbeziehung bestimmter Gläubiger treffen zu müssen.17)

11

III. Überblick zum Tatbestand § 28 sieht eine Durchbrechung einiger der in § 27 statuierten Vorgaben für einen gruppenübergreifenden Cram-down vor. § 28 Abs. 1 ermöglicht eine Abweichung _____________ 12) Zum neuen § 245 Abs. 2 Satz 2 InsO Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 245 Rz. 14c f. 13) Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 245 Rz. 14; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 245 Rz. 32 ff.; Thies in: HambKomm-InsO, § 245 Rz. 16. 14) Krit. hierzu und eine parallele Regelung im Insolvenzrecht fordernd Madaus, Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) sowie zum diesbezüglichen Antrag der Fraktion der FDP, v. 12.11.2020, S. 11. 15) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 129. 16) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 129. 17) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 129 f.

Kowalewski/Praß

423

12

§ 28

Durchbrechung der absoluten Priorität

vom starren gruppenübergreifenden Diskriminierungsschutz nach § 27 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 sieht als Ausnahme von § 27 Abs. 1 Nr. 2 und § 27 Abs. 2 Nr. 2 vor, dass die Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten auch wirtschaftliche Werte aus dem Restrukturierungsplan erhalten bzw. richtigerweise: behalten können. IV. Ausnahme vom starren Diskriminierungsschutz des § 27 Abs. 1 Nr. 3 (Abs. 1) 13

Eine Abweichung vom Grundsatz des gruppenübergreifenden (horizontalen) Diskriminierungsschutzes von Gläubigern gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 3 ist nach § 28 Abs. 1 Satz 1 dann zulässig, wenn trotz Gleichrang eine abweichende Regelung nach der Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und nach den Umständen sachgerecht ist. Eine von § 27 Abs. 1 Nr. 3 abweichende Regelung ist indes nicht sachgerecht, wenn auf die überstimmte Gruppe mehr als die Hälfte der Stimmrechte der Gläubiger der betroffenen Rangklasse entfällt (§ 28 Abs. 1 Satz 2). 1.

Das Kriterium der Sachgerechtigkeit (Abs. 1 Satz 1)

14

Der Begriff der Sachgerechtigkeit ist im StaRUG weder legaldefiniert noch gibt es eine vergleichbare Vorschrift zum Insolvenzplan, der erste Anhaltspunkte für das Begriffsverständnis entnommen werden könnten.18) Der Gesetzgeber will jedoch ausweislich der Gesetzesmaterialien im Kern eine Ungleichbehandlung trotz Gleichrang ausnahmsweise in den Fällen für zulässig erachten, in denen schon eine Nichteinbeziehung in den Plan gemäß § 8 möglich gewesen wäre.19) Damit wird deutlich, dass der Gesetzgeber offenbar dieselben Maßstäbe an das Sachgerechtigkeitskriterium bei § 28 und bei § 8 S. 2 Nr. 2 ansetzt. Die jeweiligen Begriffe müssen also in einer Zusammenschau interpretiert werden.20)

15

Teil jeder Sachgerechtigkeitsprüfung ist zunächst, dass der Planarchitekt die Gläubigergruppen nicht grundlos ungleich behandeln darf (Willkürverbot). Vielmehr ist ein sachlicher Grund erforderlich, der geeignet sein muss, eine Ungleichbehandlung zwischen unterschiedlichen Gläubigergruppen zu rechtfertigen. Der Konkretisierung „nach der Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und nach den Umständen sachgerecht“ dürfte insoweit kein wirklicher zusätzlicher Regelungsgehalt zukommen.

16

Von der Gesetzesbegründung als sachlicher Grund vorgegeben ist indes der Fall, dass eine Gläubigergruppe gar nicht erst nach Maßgabe von § 8 in den Plan zwingend hätte einbezogen werden, also auch keine Eingriffe in die eigene Rechtsposition hätte erleiden müssen. Dann dürfen sie im Grundsatz auch besser gestellt werden als gleichrangige Gläubiger, die (im Hinblick auf das ausgearbeitete Sanierungskonzept unter Beachtung von § 8) zwingend einzubeziehen sind.

17

Sachliche Gründe können sich i. Ü aus diversen weiteren Erwägungen ergeben. So scheint es naheliegend, dass ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung _____________ 18) Der Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen in § 28 skeptisch gegenüber steht Bork, ZRI 2021, 345, 357. 19) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 130. 20) So auch Braun-Herzig, StaRUG, § 28 Rz. 7; Spahlinger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 32, 34.

424

Kowalewski/Praß

Durchbrechung der absoluten Priorität

§ 28

auch aus schuldrechtlichen Rangverhältnissen folgen kann, die bereits vor der Restrukturierung – ggf. auch schon vor der konkreten Restrukturierungsbedürftigkeit des Schuldners – abgeschlossen wurden (z. B. Senior-/Junior-Regelungen in Kreditverträgen), auch und gerade weil diese schuldrechtlichen Rangverhältnisse bei § 27 Abs. 1 Nr. 3, der allein auf den insolvenzrechtlichen Nachrang abstellt, unberücksichtigt bleiben. Wenn sich ein Gläubiger bereits auf schuldrechtlicher Basis damit einverstanden erklärt hat, gegenüber anderen Gläubiger eine schwächere Rechtsposition (insb. im Fall der Insolvenz oder Verwertung von Sicherheiten) einzunehmen, ist für das ohnehin eher vertragsrechtlich geprägte Restrukturierungsstadium nicht ersichtlich, warum derartige schuldrechtliche Rangvereinbarung nicht auch für die Restrukturierungsphase fortwirken und eine Ungleichbehandlung im Plan rechtfertigen sollen. Das gilt insbesondere dann, wenn die SeniorGläubiger in der konkreten Situation noch Aussicht auf (quotale) Befriedigung haben, während die Junior-Gläubiger im Fall einer Insolvenz (bzw. dem nächstbesten Alternativszenario) mit einem Vollausfall zu rechnen haben. § 28 Abs. 1 ermöglicht also, für Zwecke der finanziellen Restrukturierung von der starren insolvenzrechtlichen Befriedigungsordnung abzuweichen, wenn im Vorfeld durch Gläubigervereinbarungen bereits schuldrechtliche Abweichungen von den insolvenzrechtlichen Regelungen getroffen wurden. 2.

Ausnahme der Sachgerechtigkeit (Abs. 1 Satz 2)

§ 28 Abs. 1 Satz 2 regelt einen Ausnahmetatbestand für § 28 Abs. 1 Satz 1. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 wird unwiderleglich vermutet, dass eine von § 27 Abs. 1 Nr. 3 abweichende Regelung nicht sachgerecht ist, wenn auf die überstimmte Gruppe mehr als die Hälfte der Stimmrechte der Gläubiger der betroffenen Rangklasse entfällt. Die Rangklasse bestimmt sich wie bei § 27 (siehe dazu § 27 Rz. 34 f.) nach den insolvenzrechtlichen Rängen gemäß §§ 38 ff. InsO.21) Wenn demnach gruppenübergreifend auf die überstimmten Gläubiger mehr als 50 % der in der insolvenzrechtlichen Rangklasse betroffenen Restrukturierungsforderungen entfallen, soll eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu den übrigen Gläubigergruppen derselben Rangklasse im Wege des gruppenübergreifenden Cram-down nicht möglich sein. Einige mag dies zur Meinung verleiten, dass eine Durchbrechung des Gleichbehandlungsgebots im Umkehrschluss zu Abs. 1 Satz 2 im Grundsatz dann als sachgerecht anzusehen ist, wenn auf die überstimmte Gruppe weniger als 50 % der betroffenen Restrukturierungsforderungen der betroffenen Rangklasse entfallen. Eine solches Fehlverständnis hat der Rechtsausschuss jedoch antizipiert und in seinem Bericht darauf hingewiesen, dass aus der Aufnahme dieser Klarstellung kein Umkehrschluss gezogen werden kann.22)

18

Die Einfügung des § 28 Abs. 1 Satz 2 ist insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Rechtsausschuss einen besonderen Schutz von Forderungen im Zusammenhang mit staatlichen Fördermaßnahmen aufgrund der COVID-19-Pandemie vorsehen wollte.23) Der Rechtsausschuss befürchtete offenbar, dass derartige

19

_____________ 21) So auch Spahlinger in: BeckOK-StaRUG, § 27 Rz. 11. 22) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 7. 23) S. Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 7.

Kowalewski/Praß

425

§ 28

Durchbrechung der absoluten Priorität

Forderungen durch geschickte Gruppenbildung in einer Gruppe zusammengefasst,24) durch den Plan über § 28 Abs. 1 Satz 1 schlechter als gleichrangige Gläubiger behandelt und anschließend über einen gruppenübergreifenden Cram-down in einen Plan gezwungen werden. Ob die Regelung des § 28 Abs. 1 Satz 2 ein geeignetes Mittel ist, vor dieser Situation zu schützen, ist indes mehr als fraglich – gerade auch, weil auf die Staatskredite natürlich nicht zwangsläufig mehr als 50 % der Stimmrechte der Rangklasse entfallen und somit Zufallsergebnisse produziert werden, die keiner sachlichen Logik folgen. 20

Der Gesetzeswortlaut des § 28 Abs. 1 Satz 2 ist zudem keineswegs auf CoronaStaatskredite als Anwendungsfall beschränkt. Das könnte sich vor allem in den Konstellationen auswirken, in denen ein Junior-Kredit ein höheres Volumen hat als ein Senior-Kredit, weil damit die soeben erörterte, generell denkbare Ungleichbehandlung der Kredite wieder pauschal verboten wird. Das ist auch deshalb misslich, weil generell daran gezweifelt werden kann, dass die Annahme des Rechtsausschusses überhaupt zutrifft, einer Sachgerechtigkeit stünde pauschal entgegen, dass der Plan von den nicht gleich- (typischerweise schlechter-) behandelten Planbetroffenen nicht angenommen wurde, die die „Hauptlast“ der von der Rangklasse insgesamt zu leistenden Sanierungsbeiträge zu tragen haben.25) Das unterstellt bei diesen Personen generell rationales Verhalten, wobei das ganze StaRUG darauf aufbaut, dass sich einzelne (dissentierende) Personen gerade nicht rational im besten Interesse der Gesamtheit, sondern zur Optimierung einer Hold-out-Position als Akkordstörer verhalten. Zudem ist fraglich, ob diese Gläubiger tatsächlich die „Hauptlast“ tragen. Zu sehen ist insoweit, dass die Mehrheit der Stimmrechte auf diverse einzelne Gläubiger mit einem persönlich nur geringen Verlustrisiko entfallen können. Eine ausgewogenere Ausnahme des § 28 Abs. 1 Satz 1 wäre daher wünschenswert gewesen, wenn es überhaupt einer bedurft hätte.26) V. Ausnahme zu § 27 Abs. 1 Nr. 2 (Abs. 2) 1.

Tatbestand des Absatz 2 Nr. 1

21

§ 28 Abs. 2 Nr. 1 lässt trotz Eingriffen in Gläubigerrechte unter gewissen Voraussetzungen die weitere Beteiligung „des Schuldners oder einer an dem Schuldner beteiligten Person“ zu. Diese Formulierung, die sich so bereits auch in § 27 Abs. 1 Nr. 2 findet, ist etwas irreführend. Denn der Schuldner in Form der juristischen Person kann nie an seinem eigenen Unternehmensvermögen „beteiligt“ bleiben. Soweit des Schuldners Aktiva seine Fremdverbindlichkeiten übersteigen, kann ein positiver Eigenkapitalwert ausgewiesen werden, der den Gesellschaftern zusteht. Damit läuft diese Bezugnahme für juristische Personen als Schuldner ins Leere.

22

Mit „Schuldner“ gemeint sein können nur natürliche Personen, die gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 restrukturierungsfähig sind, da sie unternehmerisch tätig sind. In den praktisch deutlich relevanteren Fällen einer Gesellschaft als Schuldner bezieht sich _____________ 24) S. insoweit auch die Einfügung des § 7 COVInsAG, die in diesem Zusammenhang ebenfalls erfolgte. 25) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 7. 26) S. auch die Kritik bei Braun-Herzig, StaRUG, § 28 Rz. 5 f.

426

Kowalewski/Praß

Durchbrechung der absoluten Priorität

§ 28

die Vorschrift allein auf die Anteilsinhaber. Dem Schuldner und den Anteilsinhabern steht nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 die weitere Beteiligung (und damit die Partizipation am Planmehrwert) dann zu, wenn drei Voraussetzungen kumulativ27) vorliegen: –

Die Mitwirkung des Schuldners oder der an dem Schuldner beteiligten Person an der Fortführung des Unternehmens muss infolge besonderer, in seiner Person liegender Umstände unerlässlich sein, um den Planwert zu verwirklichen. Zudem muss sich die betreffende Person



im Plan zu der erforderlichen Mitwirkung sowie



zur Übertragung der wirtschaftlichen Werte für den Fall verpflichten, dass seine Mitwirkung aus von ihm zu vertretenden Gründen vor dem Ablauf von fünf Jahren oder einer kürzeren, für den Planvollzug vorgesehenen Frist endet.

Diese Ausnahme vom Grundsatz der absoluten Priorität wird letztlich damit gerechtfertigt, dass die Realisierung des Planwerts für alle Planbetroffenen ohne den Schuldner bzw. die Anteilsinhaber nicht möglich ist, so dass die weitere Beteiligung im Interesse sämtlicher Planbetroffenen liegen kann.28)

23

a) Unerlässliche Schuldner- oder Anteilsinhabermitwirkung § 28 Abs. 2 Nr. 1 erfasst – anders als § 245 Abs. 2 Satz 2 InsO zum Insolvenzplanrecht, der sich auf natürliche Personen und an der Geschäftsführung beteiligte Anteilsinhaber bezieht – sämtliche Anteilsinhaber.29) Kurios ist, dass sowohl im RefE als auch im RegE die Entwurfsbegründung des StaRUG davon spricht, dass § 28 Abs. 2 Nr. 1 die Regel des absoluten Vorrangs nur „zugunsten des Schuldners oder eines an ihm beteiligten geschäftsführenden Anteilsinhabers“ durchbricht,30) wobei im Gesetzeswortlaut die weite Formulierung enthalten ist. Bei dieser Einschränkung in den Entwurfsbegründungen dürfte es sich jeweils um einen redaktionellen Fehler in der Gesetzesbegründung handeln, da diese Einschränkung anders als bei der Parallelvorschrift des § 245 Abs. 2 Satz 2 InsO explizit nicht den Weg ins Gesetz gefunden hat.31)

24

Das Tatbestandsmerkmal der Unerlässlichkeit ist ausweislich der Regierungsbegründung negativ abzugrenzen. Demnach dürfen die Beiträge der betreffenden Person nicht durch eine andere Person substituierbar sein. Sofern sie jedoch ersetzbar sind, darf keine Person zur Substituierung in der Lage sein, die auch zur Leistung des Beitrags bereit ist.32) Bezugspunkt ist stets der durch den Restrukturierungsplan generierte Mehrwert.33) Insgesamt ist das Merkmal der Unerlässlichkeit eng auszulegen. Dies ergibt sich neben dem Ausnahmecharakter der Norm (singularia non sunt extendenda) insbesondere aus der im Laufe des Gesetzge-

25

_____________ 27) 28) 29) 30) 31) 32)

So auch Braun-Herzig, StaRUG, § 28 Rz. 9. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 130. Im Ergebnis so auch Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsO, § 245 Rz. 14d. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 130. Im Ergebnis so auch Spahlinger in: BeckOK-StaRUG, § 28 Rz. 18. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 130; krit. zu diesem Kriterium Spahlinger in: BeckOK-StaRUG, § 28 Rz. 17. 33) Thole, ZIP 2020, 1985, 1990.

Kowalewski/Praß

427

§ 28

Durchbrechung der absoluten Priorität

bungsprozesses erfolgten Einengung der Formulierung; und zwar von „Mitwirkung für die Fortführung des Unternehmens erforderlich“ im Referentenentwurf hin zu „Mitwirkung … an der Fortführung des Unternehmens infolge besonderer, in seiner Person liegender Umstände unerlässlich“ in der finalen Fassung. Eine Unerlässlichkeit kann sich z. B.34) ergeben aus –

dem Erfordernis einer Mitwirkung bei bestimmten Kunden- oder Lieferantenbeziehungen, die an einer bestimmten Person hängen, etwa aufgrund einer besonderen Vertrauens- oder Nähebeziehung; oder



einem bestimmten Know-How in einem speziellen Markt.

26

Die Tatsache allein, dass es sich um einen Gesellschafter-Geschäftsführer handelt35) wird hingegen gerade nicht bereits aus sich heraus zur Unerlässlichkeit seiner Mitwirkung führen, gerade wenn man sich ansieht, dass das Management in Sanierungssituationen oftmals ausgetauscht bzw. durch sanierungserfahrene Personen angereichert wird. Für den Planersteller bedeutet dieser enge Ausnahmetatbestand, dass oberflächliche Begründungen nicht genügen dürften. Er hat für die konkreten Personen jeweils dezidiert darzulegen, woraus sich die Unerlässlichkeit ergibt.36)

27

Fraglich ist, ob mit dem Erfordernis der in der Person liegenden Umstände generell auch die Bereitschaft der an dem Schuldner beteiligten Person umfasst sein kann, frisches Geld in die Gesellschaft zu investieren. Zieht man die Gesetzesbegründung heran, scheint eine solche Interpretation jedenfalls nicht ausgeschlossen. Erforderlich ist allerdings, dass die Beiträge des Gesellschafters zur Verwirklichung des Planmehrwerts benötigt werden. Da eine bloße Geldhingabe auch von Dritten erbracht werden könnte, dürfte sich – um den Anforderungen der Gesetzesbegründung zu genügen – keine andere Person finden lassen, die gewillt ist, neues Geld einzubringen. Ließe man eine solche Interpretation des § 28 Abs. 2 Nr. 1 zu, würde sich allerdings eine Überschneidung mit der in § 27 Abs. 1 Nr. 2 enthaltenen Ausnahme ergeben, nach der eine Beteiligung nur fortbestehen kann, wenn der entsprechende Wert durch Leistung vollständig ausgeglichen wird. Liegt der Gesellschafterbeitrag wertmäßig unter einer solchen vollständigen Kompensation, kann die Beibehaltung der Gesellschafterstellung nur damit gerechtfertigt werden, dass ohne seinen Beitrag die Sanierung komplett scheitert. Nach dem Sinn und Zweck dieses Normkomplexes müsste zudem sichergestellt werden, dass der über den eigenen Sanierungsbeitrag hinausgehende, dem Anteilsinhaber zugewachsene Planwert abgeschöpft wird (siehe dazu § 27 Rz. 59). b) Verpflichtung zur Mitwirkung

28

Als zweite Voraussetzung muss sich die „unerlässliche Person“ zur erforderlichen Mitwirkung verpflichten. Diese Verpflichtung muss innerhalb des Restrukturierungsplans festgehalten werden.37) Damit wird im Restrukturierungsrahmen ein – bereits im Bereich von Start-Ups und Joint-Ventures marktübliches bzw. weit _____________ 34) 35) 36) 37)

428

Zu weiteren Beispielen vgl. Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 28 Rz. 5. S. Hacker/Weber, WPg 2021, 258, 263. Braun-Herzig, StaRUG, § 28 Rz. 10, 20. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 130.

Kowalewski/Praß

Durchbrechung der absoluten Priorität

§ 28

verbreitetes – sog. Vesting eingeführt.38) Diese Mitwirkungspflicht ist im Restrukturierungsplan so konkret wie möglich zu bezeichnen.39) Erforderlich sind konkrete Handlungs- oder Zielbeschreibungen. Dies ist auch deswegen erforderlich, um den Eintritt der Rückübertragungspflicht klar festzulegen.40) Die Mitwirkungshandlungen müssen zudem im inneren Sachzusammenhang mit dem Grund der Unerlässlichkeit der Person stehen. An die obigen Beispiele anknüpfend könnten konkrete Handlungsanweisungen z. B. lauten: (1) sich während und nach der Restrukturierung um bestimmte Kunden- oder Lieferantenbeziehungen zu kümmern, (2) sein erlerntes Know-How auch zukünftig zum Wohle der Gesellschaft einzusetzen, (3) konkrete Handlungen zur Vollendung einer an seine Person gebundene Transaktion vorzunehmen oder (4) seinen Liquiditätsbeitrag zu leisten. c) Verpflichtung zur Übertragung der wirtschaftlichen Werte Als dritte Voraussetzung muss sich der Schuldner oder eine an dem Schuldner beteiligte Person zur Übertragung der wirtschaftlichen Werte für den Fall verpflichten, dass seine Mitwirkung aus von ihm zu vertretenden Gründen vor dem Ablauf von fünf Jahren oder einer kürzeren für den Planvollzug vorgesehenen Frist endet. Mit dieser Gesetzesformulierung stellt der Gesetzgeber klar, dass es keine automatische gesetzliche Rückübertragungspflicht gibt, sondern allein die konkrete Verpflichtung im Restrukturierungsplan maßgeblich ist. In diesem Zusammenhang stellen sich zwei konkrete Fragen, nämlich –

wie eine solche Rückübertragungspflicht im Restrukturierungsplan geregelt und



wie die Rückübertragungspflicht zugunsten der anderen Planbetroffenen abgesichert werden kann.

Zur Absicherung der Wertzuordnung wird in der bisherigen außerinsolvenzlichen Restrukturierungspraxis regelmäßig eine sog. doppelnützige Treuhand implementiert:41) In der Grundform der doppelnützigen Treuhand hält der Treuhänder zwar die Anteile für die Gesellschafter, wirtschaftlich gesehen wirkt eine solche Treuhandlösung jedoch vorrangig zugunsten der ja auch im Wasserfall vorrangigen (Finanz)Gläubiger.42) Die doppelnützige Treuhand erlaubt es grundsätzlich, dass der Gesellschafter nach erfolgreicher Sanierung an dem Wertzuwachs ebenfalls partizipiert, gleichzeitig wirkt die Treuhand aber auch wie ein Sicherungsmittel, da der Treuhänder in dem Treuhandvertrag in der Regel verpflichtet wird, die Anteile zu veräußern, wenn bestimmte Trigger Events eintreten, die zeigen, dass der erfolgreiche Sanierungspfad verlassen wird und die Sanierung der Gesellschaft nicht _____________ 38) So schon Proske/Streit, NZI 2020, 969, 971; ähnlich Thole, ZIP 2020, 1985, 1990; generell hierzu Gabrysch in: Drygala/Wächter, Venture Capital, Teil III B. 39) § 28 Abs. 2 Nr. 1 wird von der Regierungsbegründung als eng umgrenzte Ausnahme gesehen: Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 130; vgl. auch Braun-Herzig, StaRUG, § 28 Rz. 11. 40) Befürchtungen, dass § 28 Abs. 2 Nr. 1 „über die Hintertür zum Regelfall“ werden könnte bei Thole, ZIP 2020, 1985, 1990. 41) Vgl. dazu Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 87; Braun-Bäuerle, InsO, § 51 Rz. 39; zum Inhalt und Anwendungsbereich einer doppelnützigen Treuhand s. bei Budde, ZInsO 2011, 1369 ff., und bei Riggert/Baumert, NZI 2012, 785 ff. 42) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 87; Laier, GWR 2010, 184.

Kowalewski/Praß

429

29

30

§ 28

Durchbrechung der absoluten Priorität

gelingt (z. B. Verpassen bestimmter wesentlicher Milestones der Sanierung). Aus dem Erlös des Anteilsverkaufs werden typischerweise vorrangig die Finanzierer befriedigt. In der Praxis wird häufig eine aufschiebend bedingte Treuhand vereinbart, sodass die Anteile erst mit dem Eintritt bestimmter Ereignisse dinglich auf den Treuhänder übergehen. 31

Zur Regelung der Rückübertragungspflicht werden sich die Parteien voraussichtlich an diesem praxisbewährten Konzept orientieren, um eine möglichst rechtssichere Abschöpfungsmöglichkeit zu haben. Die Trigger Events für den Verkaufsfall durch den Treuhänder folgen aus § 28 Abs. 2 Nr. 1 bzw. den notwendigen Konkretisierungen der Mitwirkungspflicht im Plan. Die Rückübertragung des Wertzuwachses erfolgt dann technisch durch die Veräußerung der Anteile. Die Regelung einer aufschiebend bedingten doppelnützigen Treuhand ist auch im Restrukturierungsplanverfahren mit Blick auf § 28 Abs. 2 Nr. 1 zulässig: Nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 muss der Restrukturierungsplan eine Verpflichtung zur Übertragung vorsehen. Dies kann in der Weise gestuft strukturiert werden, dass zunächst die Verpflichtung zur Übertragung auf den Treuhänder und dann – bei Eintritt des negativen Trigger Event – die Berechtigung des Treuhänders zur Veräußerung und Ausschüttung des Betrages an die Gesellschaft vereinbart werden. Dass die Anteile auf einen Treuhänder dinglich übertragen worden sein müssen (Verfügungsgeschäft), ist nach dem Wortlaut gerade nicht erforderlich.

32

Sollte der Gesellschafter bereits vorher laufend Leistungen erhalten haben (was untypisch sein dürfte), wäre auch insoweit zusätzlich eine Rückübertragungspflicht zu regeln.

33

§ 28 Abs. 2 Nr. 1 spricht davon, dass „die wirtschaftlichen Werte“ zu übertragen sind. Nach systematischer Auslegung dürfte damit der „wirtschaftliche Wert“ i. S. des § 27 Abs. 1 Nr. 2 gemeint sein. Dies führt dazu, dass der Anteilsinhaber nach Beendigung seiner Mitwirkung (nur) den Planmehrwert zurückzuübertragen hat, den er an sich – wenn nicht die Ausnahme nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 genutzt worden wäre – nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 durch Leistung in das Vermögen des Schuldners sofort zu Beginn der Restrukturierung, also nach Planbestätigung, hätte ausgleichen müssen. Hatte sein Anteil auch ohne den Plan noch einen Wert (siehe oben zu § 27 Rz. 54 ff.) kann er diesen Wert demnach behalten. Konsequenterweise muss dies auch für einen später nach Bestätigung des Plan über den Planmehrwert erzielten Wertzuwachs der Anteile – jedenfalls bis zum Eintritt der von ihm zu vertretenden Gründe, die eine Rückabwicklung notwendig machen – gelten, da der Anteilsinhaber diesen Teil auch hätte behalten dürfen, wenn er direkt nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 den Planmehrwert ausgeglichen hätte. Denn seine Leistung ist Funktionsäquivalent für die Ausgleichszahlung. Soweit eine Treuhandstruktur zur Absicherung der Übertragung vorgesehen wird, ist dies bei der Wasserfallregelung zu beachten (wobei sich der Gesellschafter freilich dabei auch auf eine für ihn nachteilhaftere Regelung einlassen kann, z. B. weil dies als Gesamtpaket entsprechend verhandelt wird).

430

Kowalewski/Praß

Durchbrechung der absoluten Priorität

2.

§ 28

Tatbestand des Absatz 2 Nr. 2

§ 28 Abs. 2 Nr. 2 sieht vor, dass auch dann eine Ausnahme vom Grundsatz der absoluten Priorität gemacht werden darf, wenn die Eingriffe in die Rechte der Gläubiger geringfügig sind. Auch wenn das Gesetz von „Gläubiger“ spricht, stellt die Entwurfsbegründung klar, dass sich die Vorschrift nur auf die dissentierende Gläubigergruppe bezieht.43) Die Regierungsbegründung stellt zudem klar, dass die Ausnahme vom Grundsatz der absoluten Priorität nicht eingreift, wenn lediglich Gesellschafterdarlehen geschont werden.44)

34

Die Geringfügigkeit des Eingriffs wird im Gesetz mit einem Beispiel konkretisiert: sie soll insbesondere vorliegen, wenn „die Rechte nicht gekürzt werden und deren Fälligkeiten um nicht mehr als 18 Monate verschoben werden“ (sog. „reiner Prolongationsfall“). Die Entwurfsbegründung sieht den Grund für diese Regelung darin, dass in einem solchen Fall die vollständige Verdrängung des Schuldners oder der an ihm beteiligten Personen nicht mehr verhältnismäßig wäre.45) Es wird vertreten, dass ein Zeitraum von 24 Monaten wünschenswert gewesen wäre, damit i. R. einer Unternehmensplanung auf jeden Fall das laufende und das kommende Geschäftsjahr abgedeckt gewesen wäre.46) Dies kann indes de lege lata dahinstehen. Die Gesetz gewordene maximale Prolongationsdauer von 18 Monaten bedeutet im Umkehrschluss, dass bei einer längeren Prolongation stets die Absolute Priority Rule des § 27 Abs. 1 Nr. 2 mitsamt der deutlich schwerwiegenderen Eingriffe in das Mitgliedschaftsrecht der Anteilsinhaber zu beachten ist.

35

Abseits dieses gesetzlich normierten (Regel-)Beispiels stellt sich die Frage, welche weiteren geringfügigen Eingriffe möglich sind, die eine weitere Beteiligung der Gesellschafter zulassen. Ausweislich des Gesetzestexts ist vorausgesetzt, dass die Gläubigerrechte „nicht gekürzt werden“. Hieran kann bei der Bildung weiterer Fallgruppen angeknüpft werden. Voraussetzung muss für diese also sein, dass der Bestand der Hauptforderung unangetastet bleibt. (Teil-)Verzichte (bzw. sog. Hair Cuts) sind ungeachtet ihrer Höhe also stets keine geringfügigen Eingriffe.47) Zudem müssen bei Auslegung nach Sinn und Zweck auch die weiteren Fallgruppen eine ähnliche Eingriffsintensität wie das bereits gesetzlich normierte Beispiel im reinen Prolongationsfall von maximal 18 Monaten haben. Zu denken wäre als etwa an Anpassungen von einzelnen Vertragsbedingungen wie Financial Covenants. Ob die Änderung von Wasserfallregelungen auch einen geringfügigen Eingriff darstellt, kann nicht pauschal, sondern nur bei Betrachtung der konkreten Auswirkungen der Änderungen beantwortet werden.

36

In jedem Einzelfall ist dabei zu fragen, ob die Eingriffe eine Partizipation des Gesellschafters am Planmehrwert unverhältnismäßig erscheinen lassen. Die Eröffnung

37

_____________ 43) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 130. 44) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 130; krit. Spahlinger, NZIBeilage Heft 5/2021, S. 32, 34; Spahlinger in: BeckOK-StaRUG, § 27 Rz. 25 ff. 45) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 130. 46) Hacker/Weber, WPg 2021, 258, 263. 47) A. A. Braun-Herzig, StaRUG, § 28 Rz. 16; wohl auch Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 28 Rz. 8, der auf einen Zinsverlustschaden von maximal 18 Monaten abstellt.

Kowalewski/Praß

431

§ 28

Durchbrechung der absoluten Priorität

dieser Wertungsentscheidung birgt für den Planersteller – bis sich anerkannte Fallgruppen herausgebildet haben – freilich ein nicht unerhebliches Planungsrisiko. Bis sich klare Fallgruppen herausgebildet haben, ist daher generell eine Klärung i. R. einer Vorprüfung gemäß §§ 47 f. zu empfehlen. VI. Rechtsfolge 38

§ 28 bestimmt, wann der Grundsatz der absoluten Priorität gemäß § 27 durchbrochen werden kann. Damit ist aber auch gesagt, dass lediglich in den in § 28 geregelten Fällen eine Ausnahme zu machen ist. Liegen dessen Voraussetzungen also nicht vor und verstößt die Verteilung des Planwerts damit letztlich gegen § 27, so sind auch die Voraussetzungen einer gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 2 nicht eingehalten. In der Konsequenz wird das Restrukturierungsgericht die Bestätigung des Restrukturierungsplans von Amts wegen gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2 versagen.

432

Kowalewski/Praß

Kapitel 2 Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumente Abschnitt 1 Allgemeine Bestimmungen Unterabschnitt 1 Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens; Verfahren § 29 Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens Hirschberger/Siepmann

(1) Zur nachhaltigen Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 18 Absatz 2 der Insolvenzordnung können die in Absatz 2 genannten Verfahrenshilfen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens (Instrumente) in Anspruch genommen werden. (2) Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens im Sinne des Absatzes 1 sind: 1.

die Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens (gerichtliche Planabstimmung),

2.

die gerichtliche Vorprüfung von Fragen, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich sind (Vorprüfung),

3.

die gerichtliche Anordnung von Regelungen zur Einschränkung von Maßnahmen der individuellen Rechtsdurchsetzung (Stabilisierung) und

4.

die gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungsplans (Planbestätigung).

(3) Soweit sich aus den Bestimmungen dieses Gesetzes nichts Abweichendes ergibt, kann der Schuldner die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens unabhängig voneinander in Anspruch nehmen. Literatur: Balthasar, Allgemeine Zugangsvoraussetzungen zu den Restrukturierungsinstrumenten, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 18; Bork, Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nach § 29 StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 38; Bork, Erstreckung der §§ 103 ff. InsO auf die präventive Restrukturierung?, ZRI 2020, 457; Deppenkemper, Ziel erreicht? Außergerichtliche Sanierung bereits ab 1.1.2021!, ZIP 2020, 2432; Deppenkemper, Der präventive Restrukturierungsrahmen: Schweizer Taschenmesser oder zahnloser Tiger?, ZIP 2020, 595; Freitag, Grundfragen der Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen und ihrer Umsetzung in das deutsche Recht, ZIP 2019, 541; Frind, Insolvenzordnung 2021: Überzeugendes Sanierungsrecht oder Stückwerk?, NZI 2020, 865; Fritz/Scholtis, Anregungen für eine mutige und praxistaugliche Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie, BB 2019, 2051; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Müller, Die Umsetzung der EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen – Kritische Anmerkungen zum StaRUG-RegE, ZIP 2020, 2253; Paulus, Der Wandel von einem gläubigerzentrierten zu einem schuldnerzentrierten Sanierungs-

Hirschberger/Siepmann

433

§ 29

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens

ansatz unter dem StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 9; Pluta, Insolvenzgründe im Kontext von StaRUG und InsO, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 22; Schluck-Amend/Hefner, Das StaRUG und seine Auswirkungen auf die Geschäftsleiterhaftung, ZRI 2020, 570; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUGRefE), ZIP 2020, 1985; Thole, Der Richtlinienvorschlag zum präventiven Restrukturierungsrahmen, ZIP 2017, 101; Vallender, Die Zuständigkeit des Restrukturierungsgerichts, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 30; Vallender, Das vorgerichtliche Sanierungsverfahren – muss Deutschland sich bewegen?, ZIP Beilage z. Heft 22/2016, S. 82. Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 5 1. Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie ................................................. 5 a) Bereitstellung der von der Restrukturierungsrichtlinie vorgesehenen Instrumente .................. 6 b) Zugangsvoraussetzungen zum Restrukturierungsrahmen ............. 7 aa) Merkmal der wahrscheinlichen Insolvenz ...................................... 10 bb) Merkmal der Bestandsfähigkeit ... 14 2. Deutsches Gesetzgebungsverfahren .... 16 III. Allgemeine Voraussetzungen (Abs. 1) ................................................ 22 1. Anzeige ................................................ 22 2. Antrag .................................................. 24

I.

3.

Nachhaltige Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit ........ 29 a) Drohende Zahlungsunfähigkeit .... 31 b) Nachhaltige Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit ................................................ 37 IV. Instrumente im Einzelnen (Abs. 2) ................................................ 42 1. Gerichtliche Planabstimmung (Abs. 2 Nr. 1) ...................................... 43 2. Vorprüfung des Restrukturierungsplans (Abs. 2 Nr. 2) ............................ 44 3. Stabilisierungsanordnung (Abs. 2 Nr. 3) ................................................... 47 4. Planbestätigung (Abs. 2 Nr. 4) .......... 50 V. Sonstige Voraussetzungen ................ 51 VI. Rechtsfolge ......................................... 54

Normzweck

1

§ 29 kann als zentrale Programmvorschrift des außerinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens bezeichnet werden.1) Sie definiert nicht nur die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners i. S. des § 18 Abs. 2 InsO als zentrale Eingangsvoraussetzung für die Verfahrenshilfen des StaRUG. Zugleich enthält § 29 mit der nachhaltigen Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit auch die gesetzliche Zielbestimmung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens insgesamt.2) Die drohende Zahlungsunfähigkeit umgrenzt damit nicht nur den sachlichen Anwendungsbereich, sondern legitimiert dabei zugleich auch die potenziellen Eingriffe in die materielle Rechtsposition der Planbetroffenen.3)

2

Der Begriff des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens verdeutlicht in Abgrenzung zum Eigenverwaltungsverfahren der InsO, dass dieser nicht als integriertes Verfahren, sondern als modularer Rahmen von Verfahrenshilfen ohne förmliche Verfahrenseröffnung konzipiert ist.4) Die Strukturierung, Organisation und Durch_____________ 1) 2) 3)

4)

434

Bork, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 38; Thole, ZIP 2020, 1985, 1991 („Programmsatz“). Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 132; Gehrlein, BB 2021, 66, 71; Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 29 Rz. 4. Balthasar, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 18, 19; Schluck-Amend/Hefner, ZRI 2020, 570, 572; Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 90 („Legitimationsgrundlage“); Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 29 Rz. 5. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 91, 93.

Hirschberger/Siepmann

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens

§ 29

führung des Gesamtprozesses obliegt dem Schuldner,5) der hierbei gemäß § 32 die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers anzuwenden und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren hat. § 29 Abs. 1 und Abs. 3 bringen den für die Inanspruchnahme der Instrumente des StaRUG und des Restrukturierungsplans geltenden Grundsatz der Schuldnerautonomie zum Ausdruck: Der Schuldner – und nur er – kann entscheiden, ob, wann und welche Instrumente aus dem Werkzeugkasten6) des Restrukturierungsrahmens er in Anspruch nimmt.7) Dabei ist es möglich, dass ein gemäß § 31 angezeigtes Restrukturierungsvorhaben auch ohne Inanspruchnahme der Instrumente des § 29 erfolgreich abgeschlossen wird, wenn sich alle Beteiligten auf einen einvernehmlichen Vergleich einigen,8) oder dass der Schuldner die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache durch Rücknahme der Anzeige beendet.9) Zu der in § 29 Abs. 3 normierten Verfahrensherrschaft des Schuldners gehört gemäß § 84 Abs. 1 auch die Entscheidung darüber, ob in dem Verfahren über die Restrukturierungssache öffentliche Bekanntmachungen erfolgen.10)

3

Aus Sicht des Restrukturierungsgerichts regelt § 29 Abs. 2 dessen Kernaufgaben.11) Dabei betreffen die in § 29 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 4 genannten Instrumente den Restrukturierungsplan („zweite Stufe“), während Nr. 3 eine „privilegierende Option“ auf der ersten Stufe betrifft.12) Nicht zu den in § 29 Abs. 2 genannten, in Kapitel 2 geregelten Instrumenten bzw. Verfahrenshilfen des Restrukturierungsrahmens gehört die Bestellung eines u. U. gemäß § 73 von Amts wegen oder gemäß § 77 auf Schuldneroder qualifizierten Gläubigerantrag zu bestellenden Restrukturierungsbeauftragten. Bei der in Kapitel 3 geregelten Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten handelt es sich konzeptionell um ein Korrektiv zu der in § 29 normierten Schuldnerautonomie.13) Die Gerichtskosten sind in §§ 1 Abs. 1 Nr. 3a, 3 Abs. 2 i. V. m. Anlage 1 Teil 2 Hauptabschnitt 5 Nr. 2510 ff. Kostenverzeichnis GKG geregelt.

4

II. Normhistorie 1.

Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie

Durch die Bereitstellung der Verfahrenshilfen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens gemäß § 29 hat der deutsche Gesetzgeber den Umsetzungsauftrag

_____________ 5) 6) 7) 8) 9) 10)

Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 91. Bork, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 38. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 132. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 132. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 133. Kapitel 4 (§§ 84 bis 88) tritt gemäß Art. 25 Abs. 3 Nr. 1 SanInsFoG erst am 17.7.2022 in Kraft. Zur beabsichtigten Anerkennung von öffentlichen Restrukturierungssachen i. R. der EuInsVO vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 178 f. 11) Vallender, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 30, 31. 12) So Paulus, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 9, 10. 13) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 169 f. Für den fakultativen Restrukturierungsbeauftragten i. S. von § 77 dürfte dies nur eingeschränkt gelten.

Hirschberger/Siepmann

435

5

§ 29

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens

gemäß Art. 4 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie14) und damit eine zentrale Vorgabe der Restrukturierungsrichtlinie erfüllt. Zugleich konkretisieren die §§ 29 ff. die Zugangsvoraussetzungen und das Zugangsverfahren für den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen, hinsichtlich derer die Restrukturierungsrichtlinie den Mitgliedstaaten einen weiten Ausgestaltungsspielraum gewährt hat.15) a) Bereitstellung der von der Restrukturierungsrichtlinie vorgesehenen Instrumente 6

Als Restrukturierungsrahmen bezeichnet die Restrukturierungsrichtlinie die Gesamtheit der im Einklang mit der Restrukturierungsrichtlinie zur Verfügung gestellten Verfahren, Maßnahmen oder Bestimmungen, gleich ob gerichtlich oder außergerichtlich, durch die Schuldnern eine Restrukturierung zur Abwendung einer Insolvenz und Sicherstellung der Bestandsfähigkeit ermöglicht werden soll. § 29 Abs. 2 konkretisiert die gerichtlichen Maßnahmen, die sog. Instrumente, die einem Schuldner zu diesem Zweck durch das StaRUG zur Verfügung gestellt werden. b) Zugangsvoraussetzungen zum Restrukturierungsrahmen

7

Bei der Umsetzung der Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie hat der Richtliniengeber den Mitgliedstaaten einen weiten Spielraum eingeräumt. Dies betrifft vor allem die Ausgestaltung der positiven Zugangsvoraussetzungen der wahrscheinlichen Insolvenz und der Bestandsfähigkeit des Schuldners und die Frage des Initiativrechts.

8

Zu letzterem hatte Art. 4 Abs. 8 Restrukturierungsrichtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, den Zugang zum Restrukturierungsrahmen nicht nur auf Antrag des Schuldners, sondern ggf. auch auf Antrag der Gläubiger und der Arbeitnehmervertreter – im Falle von KMU allerdings nur mit Zustimmung des Schuldners – zur Verfügung zu stellen. Hiervon hat der deutsche Gesetzgeber jedoch im Hinblick auf die fehlenden Erfolgsaussichten einer Sanierung gegen den Willen des Schuldners keinen Gebrauch gemacht.16)

9

Daneben hat die Restrukturierungsrichtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, den Zugang zum Restrukturierungsrahmen wegen schwerwiegender Verstöße gegen Rechnungslegungs- oder Buchführungspflichten einzuschränken (Art. 4 Abs. 2 Restrukturierungsrichtlinie) oder die Zahl der Zugänge zum präventiven Restrukturierungsrahmen innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu begrenzen (Art. 4 Abs. 4 Restrukturierungsrichtlinie). Beide Möglichkeiten der Zugangsbeschränkung hat der deutsche Gesetzgeber i. R. des StaRUG aufgegriffen: Gemäß § 51 Abs. 2 Nr. 2 darf eine Stabilisierungsanordnung nur unter zusätzlichen Voraussetzungen ergehen, wenn der Schuldner für eines der vorangegangenen drei Geschäftsjahren _____________ 14) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. 15) Siepmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 4 Rz. 3. 16) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 133.

436

Hirschberger/Siepmann

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens

§ 29

seinen Rechnungslegungspflichten nicht nachgekommen ist (siehe hierzu § 51 Rz. 34). Mit Blick auf eine frühere Restrukturierungssache sieht § 33 Abs. 2 Nr. 4 unter bestimmten Voraussetzungen die Aufhebung der Restrukturierungssache vor und knüpft § 51 Abs. 2 Satz 2 eine Stabilisierungsanordnung an zusätzliche Voraussetzungen (siehe hierzu § 51 Rz. 35). aa) Merkmal der wahrscheinlichen Insolvenz Die Restrukturierungsrichtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten einen Restrukturierungsrahmen für den Fall einer „wahrscheinlichen Insolvenz“ bereitstellen. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens war vorübergehend erwogen worden, die entsprechenden Kriterien in der Restrukturierungsrichtlinie selbst oder von der Kommission im Wege delegierter Rechtsakte festzulegen. Aufgrund der fehlenden Harmonisierung der Insolvenztatbestände unter den Mitgliedstaaten wurde jedoch die Ausgestaltung und Spezifizierung des Begriffs der wahrscheinlichen Insolvenz letztlich gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. b Restrukturierungsrichtlinie weitgehend den Mitgliedstaaten überlassen.17)

10

Der deutsche Gesetzgeber hat sich bei der Umsetzung dazu entschlossen, den Zugang zum Restrukturierungsrahmen an das Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit i. S. von § 18 Abs. 2 InsO zu knüpfen. Nach deutschen Maßstäben handelt es sich hierbei um einen vergleichsweise späten Anknüpfungspunkt.18) Wesentliche Erwägung hierfür war, dass es sich bei dem Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit – anders als etwa bei dem für „unbestimmt“ und „konturenlos“19) gehaltenen Krisenbegriff des früheren § 32a Abs. 1 GmbHG – um einen wohletablierten Tatbestand handele.20) Tatsächlich bietet dieser im Insolvenzrecht etablierte Tatbestand sowohl für Zwecke der verfahrensrechtlichen Anknüpfung21) als auch zur sachlichen Rechtfertigung für Eingriffe in die Rechte von Gläubigern erhebliche Vorteile. Zugleich spiegelt sich hierin der weitgehende funktionale Gleichlauf des präventiven Rahmens mit dem eigenverwaltungsbasierten Insolvenzplanverfahren.22)

11

_____________ 17) Freilich finden sich in den ErwG einige Anhaltspunkte für das der Restrukturierungsrichtlinie zugrunde liegende Begriffsverständnis, hierzu Freitag, ZIP 2019, 541, 546. I. E. Siepmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 4 Rz. 10 ff. 18) Dies konzedierend Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 90; diskutiert wurde auch die Anknüpfung an „nichtfinanzielle Schwierigkeiten“ des Schuldners, sofern diese mit der tatsächlichen und erheblichen Gefahr verbunden sind, dass ein Schuldner gegenwärtig oder in Zukunft seine Verbindlichkeiten bei Fälligkeit nicht begleichen kann. Das könne z. B. der Verlust eines Auftrages oder auch die „Nichtzahlung von Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen“ sein. Siepmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 4 Rz. 12 ff. m. w. N. 19) Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 90. 20) Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 90; hierzu auch Siepmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 4 Rz. 12 ff. 21) Ggf. auch im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Anerkennungs- und Zuständigkeitsbestimmungen der EuInsVO. Hierzu Siepmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 4 Rz. 25. 22) Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 90; hierzu auch Siepmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 4 Rz. 12 ff.

Hirschberger/Siepmann

437

§ 29

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens

12

Zwar lässt sich der Restrukturierungsrichtlinie entnehmen, dass die „wahrscheinliche Insolvenz“ i. S. von Art. 4 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie dem Eintritt der Insolvenz nach dem nationalen Recht vorgelagert sein muss.23) Richtigerweise sah sich der Gesetzgeber durch dieses Abstandsgebot jedoch nicht gehindert, für den Zugang zum Restrukturierungsrahmen an dem fakultativen Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit anzuknüpfen, auch wenn dem Schuldner damit eine Wahlmöglichkeit zwischen Restrukturierungsrahmen und Insolvenzverfahren eröffnet wird.24) Bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit handelt es sich um einen der materiellen Insolvenz vorgelagerten Vorfeld-25) bzw. Krisentatbestand26), der sich mit den inhaltlichen Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie zur wahrscheinlichen Insolvenz unschwer in Einklang bringen lässt.27)

13

Eine praktische Notwendigkeit für einen früheren Anknüpfungstatbestand ist i. Ü. angesichts des recht langen Prognosezeitraums des § 18 InsO kaum erkennbar.28) Hinzu kommt, dass zum Zeitpunkt der Anzeige und damit der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache eine Überprüfung der Zugangsvoraussetzungen nicht vorgesehen ist (siehe hierzu unter Rz. 23). Notwendige Voraussetzung für die Anknüpfung an den Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit war freilich dessen stärkere Abgrenzung zum Überschuldungstatbestand.29) Diese hat der Gesetzgeber zeitgleich mit dem StaRUG i. R. des SanInsFoG durch eine Änderung der §§ 18 und 19 InsO umgesetzt (siehe hierzu auch Rz. 32 ff.). bb) Merkmal der Bestandsfähigkeit

14

Die Restrukturierungsrichtlinie sieht als weitere Zugangsvoraussetzung zum Restrukturierungsrahmen die Bestandsfähigkeit des Schuldners vor, ohne diesen Begriff näher zu definieren. Zugleich eröffnet Art. 4 Abs. 3 Restrukturierungsrichtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, eine Bestandsfähigkeitsprüfung einzuführen.

15

In § 29 kommt das Erfordernis der Bestandsfähigkeit insoweit zum Ausdruck, als die Inanspruchnahme der Instrumente des Restrukturierungsrahmens die nachhaltige Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit bezwecken muss (siehe hierzu auch Rz. 37 ff.). Hieran anknüpfend hat der Schuldner seiner Restrukturierungsanzeige gemäß § 31 Abs. 2 einen Restrukturierungsplan im Entwurf bzw. ein Restrukturierungskonzept und gemäß § 14 Abs. 1 dem Restrukturierungsplan eine begründete Erklärung zur Bestandsfähigkeit beizufügen. Auf eine Bestandsfähigkeitsprüfung hat der deutsche Gesetzgeber verzichtet. Mittelbar findet sich die Bestandsfähigkeitsprüfung in Gestalt der (negativen) Fortführungsprognose bei der Über_____________ 23) Vgl. ErwG 22, 24 und 28 Restrukturierungsrichtlinie; hierzu auch Siepmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 4 Rz. 12 ff. 24) Siepmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 4 Rz. 32. 25) Freitag, ZIP 2019, 541, 546 f. 26) Vgl. Vallender, ZIP Beilage Heft 16/2016, S. 82, 84. 27) Siepmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 4 Rz. 18 ff., 31. 28) Siepmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 4 Rz. 35. 29) Thole, ZIP 2017, 101, 104; hierzu auch Siepmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 4 Rz. 33, 34.

438

Hirschberger/Siepmann

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens

§ 29

schuldung: Das Vorliegen einer Überschuldung i. S. von § 19 Abs. 2 InsO schließt eine Restrukturierungssache gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 1 regelmäßig aus.30) 2.

Deutsches Gesetzgebungsverfahren

§ 29 ist im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens weitgehend unverändert geblieben. Die wesentliche Ausnahme bildet die Streichung der Vertragsbeendigung aus dem Katalog der durch das StaRUG bereitgestellten Instrumente. Hierbei handelt es sich um eine Folgeänderung zur Streichung der §§ 51 bis 55 RegE31) gemäß der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz.32) Neben dem Wegfall des „shift of duties“ gemäß § 2 RegE handelt es sich bei der Streichung der Vertragsbeendigung um die folgenreichste Abweichung des StaRUG vom RegE. Das StaRUG stellt hernach keine Instrumente zur operativen Restrukturierung zur Verfügung, so dass der praktische Anwendungsbereich des Restrukturierungsrahmens auf den Bereich der rein finanziellen Restrukturierung beschränkt bleibt.

16

Der RegE hatte in Abschnitt 4 (§§ 51 bis 55 RegE) noch die eng an die §§ 103 ff. InsO angelehnte Möglichkeit einer Beendigung von gegenseitigen, beiderseits noch nicht vollständig erfüllten Verträgen vorgesehen. Als Voraussetzung war vorgesehen, dass der Schuldner drohend zahlungsunfähig ist und der Vertragspartner ein Anpassungs- oder Vertragsbeendigungsverlangen des Schuldners abgelehnt hat (§ 51 Abs. 1 RegE). Eine Vertragsbeendigung sollte hingegen nicht statthaft sein, wenn sie unter Berücksichtigung des Restrukturierungskonzepts, das dem Restrukturierungsplan zugrunde liegt, offensichtlich nicht sachgerecht ist (§ 51 Abs. 2 RegE). Der dem Vertragspartner zustehende Anspruch auf den Nichterfüllungsschaden wäre zugleich der Gestaltung i. R. des Restrukturierungsplans zugänglich gewesen.33)

18

In der Restrukturierungsrichtlinie finden sich zwar Anhaltspunkte, wonach das nationale Recht Eingriffe in bestehende Vertragsverhältnisse i. R. des Restrukturierungsverfahrens vorsehen kann. Art. 2 Nr. 1 Restrukturierungsrichtlinie fasst unter den Begriff der „Restrukturierung“ auch Maßnahmen, die auf die „Änderung der Bedingungen der Verbindlichkeiten eines Schuldners“ abzielen, sowie „alle erforderlichen operativen Maßnahmen“; ErwG 2 Satz 2 Restrukturierungsrichtlinie sieht zugleich für die „Beendigung oder Änderung von Verträgen“ die Geltung der „allgemeinen Vorschriften“ vor, „sofern in den nationalen Rechtsvorschriften nichts anderes im Einzelnen vorgesehen ist“. Für die Beendigung oder gar für die Änderung von Verträgen sieht die Richtlinie selbst jedoch kein Instrument vor. Dem nationalen Gesetzgeber wird hierbei ein weiter Gestaltungsspielraum gelassen.34)

19

_____________ 30) 31) 32) 33) 34)

So Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 139. RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 8. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 149. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 149 f.; hierzu und insbesondere zur Frage der Zulässigkeit von Eingriffen in Vertragsverhältnisse i. R. des Restrukturierungsplans Knapp in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 8 Rz. 44 ff., unter Verweis auf die Möglichkeit vertragsbezogener Maßnahmen unter dem englisch-rechtlichen Scheme of Arrangement.

Hirschberger/Siepmann

439

17

§ 29

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens

20

Eine Vielzahl der Stellungnahmen zur Restrukturierungsrichtlinie und ihrer Umsetzung in das deutsche Recht sprach sich von vornherein gegen die Einführung von vertragsbezogenen Maßnahmen aus.35) Begründet wurde dies einerseits mit einem Abstandsgebot des Restrukturierungsrahmens gegenüber dem Insolvenzverfahren.36) Andererseits wurde eingewandt, dass es an einer mit der Schwere des Eingriffs korrespondierenden Überwachung des Schuldners und persönlichen Verantwortlichkeit der Geschäftsleitung fehle,37) was mit erhöhten Missbrauchsrisiken verbunden sei. Der RegE sah diese Einwände durch die Anknüpfung an den Insolvenzeröffnungstatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO und die vorgesehenen Haftungstatbestände für die Verletzung von gläubigerschützenden Pflichten durch die Geschäftsleiter als ausgeräumt an,38) zumal gemäß § 52 RegE eine gerichtliche Prüfung der Beendigungsvoraussetzung vorgesehen war. Gegenüber dem RegE wurde wiederum eingewandt, dass die Maßstäbe für die Vertragsbeendigung nicht hinreichend eindeutig seien39) und daher eine verfahrensschädliche Komplexität zur Folge haben würden.40)

21

Angesichts der fortwährenden Kritik an den Regelungen zur Vertragsbeendigung wurden die entsprechenden Regelungen auf Empfehlung des Rechtsausschusses schließlich gestrichen.41) Nicht von der Streichung umfasst war das gemäß Art. 7 Abs. 5 Restrukturierungsrichtlinie vorgegebene Verbot von Lösungsklauseln gemäß § 44 (§ 46 RegE). Anders als die insolvenzrechtliche Parallelvorschrift des § 119 InsO, die dem Schutz des Erfüllungswahlrechts gemäß der §§ 103 ff. InsO dient, bezweckte diese von der Restrukturierungsrichtlinie zwingend vorgeschriebene Regelung von vornherein den Schutz der Erfolgsaussichten des Restrukturierungsverfahrens.42) III. Allgemeine Voraussetzungen (Abs. 1) 1.

22

Anzeige

Gemäß § 31 setzt die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens die Anzeige des Sanierungsvorhabens beim Restrukturierungsgericht voraus. Mit dieser Anzeige wird die Restrukturierungssache nach § 31 Abs. 3 rechtshängig, ohne dass dazu eine Prüfung oder Entscheidung durch das Restrukturierungsgericht erforderlich ist.43) § 29 Abs. 1 macht hierbei deutlich, dass die Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens und seiner _____________ 35) Vgl. die Fundstellen in Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 150. Für die Einführung eines entsprechenden Instrumentariums hingegen Knapp in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 8 Rz. 49. 36) Fritz/Scholtis, BB 2019, 2051, 2056; so wohl auch Thole, ZIP 2017, 101, 108. 37) Bork, ZRI 2020, 457, 461. 38) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 150. 39) Thole, ZIP 2020, 1985, 1995; Müller, ZIP 2020, 2253, 2256 f. 40) Müller, ZIP 2020, 2253, 2257. 41) Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303, S. 8 f. 42) Vgl. Boss/Luttmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 7 Rz. 99. 43) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 133.

440

Hirschberger/Siepmann

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens

§ 29

Instrumente freiwillig ist.44) Die Gerichtskosten für die Entgegennahme der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens belaufen sich auf 150 € (Nr. 2510 Kostenverzeichnis GKG). Obwohl zentrale Zugangsvoraussetzung zu den Instrumenten und dem Restrukturierungsplanverfahren die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners ist, setzt die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens nicht ausdrücklich voraus, dass zugleich die drohende Zahlungsunfähigkeit angezeigt oder dargelegt wird. Aus den nach § 31 Abs. 2 der Anzeige beizufügenden Unterlagen und Informationen sollte sich aber mittelbar ergeben, dass dem Schuldner die Zahlungsunfähigkeit droht (siehe dazu i. E. § 31 Rz. 20). Balthasar hält die Darlegungspflichten in § 31 Abs. 2 Nr. 1 ohne Nachweis der drohenden Zahlungsunfähigkeit daher für nicht erfüllbar.45) Ungeachtet dessen ist im Zusammenhang mit der Anzeige keine Prüfung des Vorliegens von Eröffnungsvoraussetzungen durch das Restrukturierungsgericht vorgesehen.46) 2.

23

Antrag

Anders als für die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache bedarf es für die Inanspruchnahme der einzelnen Instrumente jeweils eines Antrags des Schuldners an das Restrukturierungsgericht. Das ergibt sich für die gerichtliche Planabstimmung aus § 45 Abs. 1, für die Vorprüfung aus § 47, für die Stabilisierungsanordnung aus § 50 Abs. 1 und für die Planbestätigung aus § 60 Abs. 1. Planbetroffene sind nicht antragsberechtigt.47) Die Gerichtskosten für das Verfahren über den Antrag auf Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens belaufen sich auf 1.000 € bis 1.500 € (Nr. 2511, 2512 Kostenverzeichnis GKG).

24

§ 45 ordnet nicht ausdrücklich, sondern nur implizit an, dass der Schuldner mit dem Antrag auf eine gerichtliche Planabstimmung auch die ihm drohende Zahlungsunfähigkeit darlegen muss: Dem Antrag ist nach § 45 Abs. 2 der vollständige Restrukturierungsplan nebst Anlagen beizufügen. Dazu gehört nach § 14 Abs. 1 auch eine begründete Erklärung zu den Aussichten darauf, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners durch den Plan beseitigt wird.

25

Keiner Darlegung der drohenden Zahlungsunfähigkeit bedarf es im Zusammenhang mit der Vorprüfung gemäß § 46 bzw. § 47. Allerdings kann die Frage, ob dem Schuldner die Zahlungsunfähigkeit droht, als für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erhebliche Frage Gegenstand der Vorprüfung sein. Das ergibt sich für den Vorprüfungstermin, der der gerichtlichen Planabstimmung vorausgeht, aus § 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und für die Vorprüfung eines Restrukturierungsplans ohne gerichtliche Abstimmung aus § 47 Satz 2.

26

Das Erfordernis der drohenden Zahlungsunfähigkeit für den Antrag auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung findet sich ebenfalls nur mittelbar im Gesetz. Nach § 51

27

_____________ 44) 45) 46) 47)

Bork, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 38. Balthasar, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 18. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. S. 89, 93, 130 f. Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 29 Rz. 61.

Hirschberger/Siepmann

441

§ 29

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens

Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ergeht die Stabilisierungsanordnung nur, wenn keine Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner noch nicht drohend zahlungsunfähig ist. 28

Schließlich muss der Schuldner auch mit dem Antrag einer gerichtlichen Bestätigung des Restrukturierungsplans nicht vortragen, dass er drohend zahlungsunfähig ist. Dass es sich dabei aber auch um eine Voraussetzung der gerichtlichen Planbestätigung handelt, folgt aus § 63 Abs. 1 Nr. 1: Danach ist die Bestätigung des Restrukturierungsplans von Amts wegen zu versagen, wenn eine drohende Zahlungsunfähigkeit nicht vorliegt. 3.

Nachhaltige Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit

29

Nach § 29 Abs. 1 können die in Absatz 2 genannten Verfahrenshilfen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens (Instrumente) zur nachhaltigen Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit i. S. des § 18 Abs. 2 InsO in Anspruch genommen werden.

30

Damit sind zwei voneinander zu trennende Voraussetzungen normiert: Erstens wird damit die dem Schuldner i. S. des § 18 Abs. 2 InsO drohende Zahlungsunfähigkeit als Grundvoraussetzung für die Inanspruchnahme der Instrumente des StaRUG definiert. Zweitens dürfen die Instrumente nur zu dem Zweck in Anspruch genommen werden, den Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit nachhaltig zu beseitigen. a) Drohende Zahlungsunfähigkeit

31

§ 29 Abs. 1 normiert die drohende Zahlungsunfähigkeit als wesentliche Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Instrumente des § 29 Abs. 2. Nur bei drohender Zahlungsunfähigkeit sind die im StaRUG vorgesehenen Eingriffe in die Rechte der betroffenen Gläubiger gerechtfertigt.48) Dementsprechend fordert § 14 Abs. 1, dass dem Restrukturierungsplan eine begründete Erklärung zu den Aussichten darauf beigefügt wird, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners durch den Plan beseitigt wird. Andererseits enthält das StaRUG keine allgemeine Norm, welche die Anwendung des StaRUG insgesamt nur beim Vorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit eröffnet.49) Als Voraussetzung einer Stabilisierungsanordnung findet sich die drohende Zahlungsunfähigkeit nur in Gestalt einer Negativvoraussetzung: Nur wenn Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner noch nicht drohend zahlungsunfähig ist, führt dies zur Versagung der Stabilisierungsanordnung (§ 51 Abs. 1 Halbs. 2 Nr. 3). Hiernach bedarf es erst im Zusammenhang mit der Planbestätigung gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 1 der vollen richterlichen Überzeugung vom Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit, die i. R. der Amtsermittlung nach § 39 Abs. 1 Satz 1 zu bilden ist.50) Für die Planbestätigung maßgeblich ist dabei

_____________ 48) Pluta, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 22, 23. 49) Pluta, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 22, 23. 50) AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377. In diesem Sinne auch Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 92.

442

Hirschberger/Siepmann

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens

§ 29

das Vorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.51) Zur Definition der drohenden Zahlungsunfähigkeit verweist das StaRUG auf § 18 Abs. 2 Satz 1 InsO. Hiernach droht die Zahlungsunfähigkeit, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, seine bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erfüllen. Nach dem zusammen mit dem StaRUG neu eingefügten Satz 2 ist dabei in aller Regel ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde zu legen. Die gesetzliche Festschreibung dieses relativ langen Prognosezeitraumes war wegen der Anknüpfung der Eingangsvoraussetzung des StaRUG erforderlich, um einen frühzeitigen Zugang zum Restrukturierungsrahmen zu ermöglichen. Hierbei hat sich der Gesetzgeber in Abweichung von der bis dahin h. M., die als Prognosezeitraum das laufende und das darauf folgende Geschäftsjahr zugrunde gelegt hat,52) für einen festen Prognosezeitraum entschieden. Besonderheiten des Schuldners oder seines Geschäftsbetriebs soll bei der Frage des im konkreten Fall zugrunde zu legenden Prognosezeitraums Rechnung getragen werden können.53)

32

Das Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit i. S. von § 18 Abs. 2 InsO a. F. fiel aufgrund der weitgehenden Kongruenz von Zahlungsfähigkeitsprognose und Fortbestehensprognose oftmals mit dem Eintritt der Überschuldung i. S. von § 19 Abs. 2 InsO a. F. zusammen.54) Nach den Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie musste der Anknüpfungstatbestand für den Zugang zum Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen jedoch dem Eintritt der Insolvenz nach dem nationalen Recht vorgelagert sein, um das Ziel, frühzeitige Sanierungen zu ermöglichen und die Insolvenz abzuwenden, zu erreichen.55) Vor diesem Hintergrund hat sich der deutsche Gesetzgeber veranlasst gesehen, die Insolvenzgründe der drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 Abs. 2 InsO und der Überschuldung gemäß § 19 Abs. 2 InsO klar voneinander abzugrenzen. Zugleich hat er sich entgegen verschiedener Forderungen aus Praxis und Schrifttum56) gegen eine Abschaffung des Überschuldungstatbestands entschieden.57)

33

Die Abgrenzung zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung erfolgt hierbei vor allem durch Zugrundelegung unterschiedlich langer Prognosezeiträume. Während § 18 Abs. 2 InsO für die Beurteilung der drohenden Zahlungsunfähigkeit nunmehr regelmäßig einen Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde legt, hat der Gesetzgeber den Zeitraum für die Beurteilung der eine Überschuldung

34

_____________ 51) AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377. A. A. Pluta, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 22, 23. 52) Vgl. Drukarczyk in: MünchKomm-InsO, § 18 Rz. 63; IDW, Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11), Stand: 22.8.2016, Rz. 61, IDW Life 3/2017, S. 332. 53) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 196. 54) Eingehend hierzu sowie zu den Schwächen des Überschuldungstatbestands des § 19 Abs. 2 InsO a. F. im Hinblick auf die Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie ins deutsche Recht Janjuah in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 7 Rz. 72 ff., 80. 55) Siepmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 4 Rz. 21. 56) So etwa Janjuah in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 7 Rz. 70 ff.; vgl. die Darstellung des Diskussionsstandes bei Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 19 Rz. 108 ff. 57) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 196 f.

Hirschberger/Siepmann

443

§ 29

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens

ggf. ausschließenden Fortbestehensprognose, einem Vorschlag von Brinkmann folgend,58) nunmehr auf zwölf Monate begrenzt.59) 35

Über die zeitliche Abgrenzung hinaus stellt die Gesetzesbegründung klar, dass eine die Überschuldung ausschließende Fortbestehensprognose auch aus der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Umsetzung eines Sanierungs- oder Restrukturierungsvorhabens resultieren kann.60) Hieraus folgt, dass eine Anzeige des Eintritts der Überschuldung gemäß § 32 Abs. 3 Satz 2 regelmäßig nicht geboten ist, wenn die erfolgreiche Umsetzung des Sanierungs- oder Restrukturierungsvorhabens überwiegend wahrscheinlich ist. Sofern § 33 Abs. 3 Nr. 1 Halbs. 2 Alt. 2 vorsieht, dass das Restrukturierungsgericht von einer Aufhebung der Restrukturierungssache wegen eingetretener bzw. angezeigter Insolvenzreife absehen kann, wenn die Erreichung des Restrukturierungsziels überwiegend wahrscheinlich ist, liegt aufgrund positiver Fortbestehensprognose in aller Regel bereits keine Überschuldung vor.61)

36

Für das Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit haben entsprechende Sanierungsmaßnahmen demgegenüber außer Betracht zu bleiben.62) Letzteres folgt, jedenfalls soweit dessen Umsetzung i. R. der Restrukturierungssache erfolgen soll, im Kontext des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens bereits daraus, dass bei erfolgversprechenden Sanierungsvorhaben andernfalls die Zugangsvoraussetzung der drohenden Zahlungsunfähigkeit in Frage stünde. b) Nachhaltige Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit

37

Die Bedeutung der nachhaltigen Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit lässt sich aus der Stellung des § 29 innerhalb des StaRUG nicht ohne weiteres erkennen63) und geht über ihre Funktion als Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Instrumente weit hinaus. Es handelt sich vielmehr um einen Programmsatz,64) der das Verfahrensziel des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens insgesamt beschreibt.65) Eine gerichtliche Prüfung dieser Zielbestimmung ist grundsätzlich nicht vorgesehen.66) An die Verfehlung dieses Ziel knüpft sich – anders als an die Voraussetzung der drohenden Zahlungsunfähigkeit – keine Rechtsfolge.67)

38

Die Zielbestimmung hat aber eine Bedeutung als Hilfe für die Auslegung wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe wie der Schlüssigkeit der Restrukturierungs_____________ 58) Brinkmann in: Ebke/Seagon/Piekenbrock, Überschuldung, S. 67, 75 f. 59) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 197. Zust. Frind, NZI 2020, 865, 867. 60) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 197. 61) Dies konstatierend Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 139. 62) Der Übergang zwischen ggf. nicht zu berücksichtigender Sanierungsmaßnahme und zu berücksichtigender Finanzierungsmaßnahme kann freilich fließend sein. 63) Das kritisiert zu Recht: Deppenkemper, ZIP 2020, 2432. 64) Thole, ZIP 2020, 1985, 1991. 65) Der RegE spricht von der „Zielbestimmung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens“, Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 132. 66) Balthasar, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 18, 19; Thole, ZIP 2020, 1985, 1991; Wolgast/ Grauer-Wöhren, StaRUG.online, § 29 Rz. 13. 67) Bork, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 38.

444

Hirschberger/Siepmann

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens

§ 29

planung nach § 63 Abs. 2 oder der Aussichtslosigkeit des Restrukturierungsvorhabens nach § 51 Abs. 1, aber auch bei der Prüfung der Bestandsfähigkeitserklärung nach § 14 Abs. 1 i. R. des § 63 Abs. 1 Nr. 2.68) Das StaRUG definiert nicht, was unter der nachhaltigen Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit zu verstehen ist. Für den Fall wiederholter Restrukturierungssachen stellt § 33 Abs. 2 Satz 3 lediglich die Vermutung auf, dass eine nachhaltige Sanierung im Zweifel nicht erfolgt ist, wenn seit dem Ende des Anordnungszeitraums oder der Entscheidung über die Planbestätigung weniger als drei Jahre vergangen sind. Hieran anknüpfend wird teilweise die Auffassung vertreten, dass auch i. R. des § 29 ein Prognosezeitraum von drei Jahren zugrunde zu legen sei,69) teilweise wird ein Zeitraum von mindestens zwei Jahren für maßgeblich erachtet.70) Tatsächlich ist eine derartige Anknüpfung an einen Prognosezeitraum jedoch in aller Regel unergiebig. Gegen einen entsprechend verlängerten Prognosezeitraum spricht nicht nur die zunehmende Prognoseunsicherheit. Diese hat den Gesetzgeber des § 18 Abs. 2 Satz 2 InsO veranlasst, für die drohende Zahlungsunfähigkeit einen Betrachtungszeitraum von in der Regel 24 Monaten zu bestimmen.71) Die Anknüpfung an die Nachhaltigkeitsvermutung gemäß § 33 Abs. 2 Satz 3 würde den Prognosezeitraum demgegenüber zumindest auf drei Jahre verlängern.72) Für die Anwendung dieser Vermutungsregel reicht jedoch aus, dass der Schuldner innerhalb des Drei-Jahres-Zeitraums erneut drohend zahlungsunfähig wird und daraufhin erneut eine Restrukturierungsanzeige stellt. Im Extremfall wären die Prognosezeiträume für die Beurteilung der Nachhaltigkeit und die drohende Zahlungsunfähigkeit daher zu staffeln.

39

Im Ergebnis bedarf es keiner Definition eines festen Zeitraumes, innerhalb dessen die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nach erfolgreicher Umsetzung der Restrukturierung mit den Mitteln des StaRUG nicht erneut drohen darf.73) Denn das Merkmal der Nachhaltigkeit ist in Abgrenzung zu einer absehbar nur vorübergehenden Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu verstehen: Der Schuldner kann die Instrumente nur mit dem Ziel in Anspruch nehmen, die drohende Zahlungsunfähigkeit dauerhaft zu beseitigen. Die Absicht zur nur vorübergehenden Beseitigung reicht nicht aus. Dies wird in der Regel in qualitativer Hinsicht die begründete Aussicht auf eine Wiedererlangung der Ertragskraft des Schuldners nach Umsetzung des Restrukturierungsvorhabens erfordern.74)

40

Ohnehin ist eine gerichtliche Prüfung dieses Merkmals nicht vorgesehen.75) Die Anforderungen an die Tragfähigkeit der mit dem Restrukturierungsvorhaben bezweckten Sanierung konkretisiert das StaRUG im Zusammenhang mit der Stabili-

41

_____________ 68) Bork, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 38; Thole, ZIP 2020, 1985, 1991. 69) Wolgast/Grauer-Wöhren, StaRUG.online, § 29 Rz. 14; Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 29 Rz. 5. 70) Braun-Haffa/Schuster, StaRUG, § 29 Rz. 25. 71) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 196. 72) In diesem Sinne Pannen/Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 29 Rz. 22. 73) Vgl. Thole, ZIP 2020, 1985, 1991. 74) Balthasar, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 18, 19; Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 29 Rz. 5. 75) Balthasar, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 18, 19; Thole, ZIP 2020, 1985, 1991; Wolgast/ Grauer-Wöhren, StaRUG.online, § 29 Rz. 13.

Hirschberger/Siepmann

445

§ 29

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens

sierungsanordnung (§ 51 Abs. 1) und der Planbestätigung (§ 63 Abs. 1 Nr. 3)76): Hiernach setzt eine Stabilisierungsanordnung voraus, dass die Restrukturierungsplanung schlüssig, d. h. für das Restrukturierungsziel nicht offensichtlich ungeeignet ist. Die Bestätigung des Restrukturierungsplans ist von Amts wegen zu versagen, wenn die Ansprüche der Gläubiger offensichtlich nicht erfüllt werden können. IV. Instrumente im Einzelnen (Abs. 2) 42

§ 29 Abs. 2 zählt die Instrumente des Restrukturierungsrahmens abschließend auf. Hieraus folgt, dass die Vertragsbeendigung einschließlich der Möglichkeiten zur erleichterten Restrukturierung von Arbeitsverhältnissen dem Insolvenzverfahren ebenso vorbehalten ist wie das Institut der Insolvenzanfechtung.77) 1.

43

Gerichtliche Planabstimmung (Abs. 2 Nr. 1)

Das Instrument der Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens wird nur durch § 45 mit der amtlichen Überschrift „Erörterungs- und Abstimmungstermin“ geregelt. Danach bestimmt das Restrukturierungsgericht auf Antrag des Schuldners einen Termin, in dem der Restrukturierungsplan und das Stimmrecht der Planbetroffenen erörtert werden und anschließend über den Plan abgestimmt wird. Die gerichtliche Planabstimmung ist – anders als der Erörterungs- und Abstimmungstermin im Insolvenzplanverfahren nach § 235 Abs. 1 Satz 1 InsO – nicht verpflichtend. Alternativ kann der Schuldner den Restrukturierungsplan i. R. einer Versammlung der Planbetroffenen zur Abstimmung stellen (§ 20 Abs. 1 Satz 1). 2.

Vorprüfung des Restrukturierungsplans (Abs. 2 Nr. 2)

44

Das Instrument der gerichtlichen Vorprüfung von Fragen, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich sind, ist in den §§ 46 und 47 f. geregelt. Dieses Instrument steht dem Schuldner unabhängig davon offen, ob er die gerichtliche Planabstimmung nach § 45 beantragt hat. In diesem Fall gilt § 46, anderenfalls gelten die §§ 47 und 48. In beiden Fällen kann Gegenstand der Vorprüfung jede Frage sein, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich ist, insbesondere die Auswahl und Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen, die Stimmrechte oder ob dem Schuldner die Zahlungsunfähigkeit droht. Das Gericht fasst das Ergebnis der Vorprüfung in einem Hinweis zusammen. Dieser entfaltet jedoch keine Bindungswirkung und kann nicht Gegenstand von Rechtsmitteln sein (siehe dazu § 46 Rz. 24 f.)

45

Im Fall der gerichtlichen Planbestätigung bestimmt das Gericht auf Antrag des Schuldners einen gesonderten Termin zur Vorprüfung des Restrukturierungsplans. Dieser muss vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin stattfinden und die Planbetroffenen sind mit einer Frist von mindestens sieben Tagen zu diesem Termin zu laden.

46

Wenn der Restrukturierungsplan nicht im gerichtlichen Verfahren zur Abstimmung gebracht werden soll, findet die gerichtliche Vorprüfung ohne einen Vorprüfungstermin statt. _____________ 76) Bork, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 38; Thole, ZIP 2020, 1985, 1991. 77) Bork, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 38, 40.

446

Hirschberger/Siepmann

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens

3.

§ 29

Stabilisierungsanordnung (Abs. 2 Nr. 3)

Eine Stabilisierungsanordnung erfolgt zum Zwecke der Abwendung von Maßnahmen der individuellen Rechtsdurchsetzung, welche die anvisierte Restrukturierungslösung zu erschweren oder zu vereiteln geeignet sind.78) Bei der Stabilisierungsanordnung durch das Restrukturierungsgericht handelt es sich im Regelfall um eine Eilmaßnahme, für deren Erlass keine Anhörung der betroffenen Gläubiger erforderlich ist.79) Während der Dauer der Stabilisierungsanordnung wird das Verfahren über den Antrag eines Gläubigers, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners zu eröffnen, ausgesetzt (§ 58).

47

Während sich die übrigen Instrumente auf die Prüfung oder die Bestätigung des Plans oder die Abstimmung über den Plan beziehen („zweite Stufe“), ist die Stabilisierungsanordnung nach §§ 49 ff. das einzige Instrument ohne einen solchen unmittelbaren Bezug zum konkreten Restrukturierungsplan („erste Stufe“). Bei der Vollstreckungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 werden Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagt oder einstweilen eingestellt. Durch eine Verwertungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 werden die Gläubiger daran gehindert, ihre Rechte an Gegenständen des beweglichen Schuldnervermögens durchzusetzen, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Ab- oder Aussonderungsrecht geltend gemacht werden könnten.

48

Das Restrukturierungsgericht ordnet diese Sperren nur auf Antrag des Schuldners an und nur, soweit dies zur Wahrung der Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels erforderlich ist.

49

4.

Planbestätigung (Abs. 2 Nr. 4)

Schließlich kann der Schuldner beantragen, den Restrukturierungsplan durch gerichtlichen Beschluss bestätigen zu lassen, §§ 60 ff. Das gilt unabhängig davon, ob er das Instrument der gerichtlichen Planabstimmung in Anspruch genommen hat (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 3).

50

V. Sonstige Voraussetzungen Über die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hinaus enthält § 29 keine weiteren Voraussetzungen. Insbesondere bedarf es für die Wirksamkeit der Anträge zur Inanspruchnahme der Instrumente keiner Zustimmung der Gesellschafter des Schuldners.

51

Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob es sich bei der Inanspruchnahme der Instrumente des StaRUG um eine bloße Geschäftsführungsmaßnahme oder aber um eine Grundlagenentscheidung handelt.80) Nach Balthasar ist die Einleitung eines „StaRUG-Verfahrens“ als Grundlagenentscheidung anzusehen, da dadurch einschneidende Eingriffe in die Gesellschafterstellung ermöglicht werden, die denen des Insolvenzplanverfahrens nach Art und Intensität vergleichbar sind.81) Dem ist nicht zu

52

_____________ 78) 79) 80) 81)

Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 93. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 154. Dazu ausführlich Balthasar, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 18, 20 ff. Balthasar, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 18, 21.

Hirschberger/Siepmann

447

§ 29

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens

folgen. Denn anders als im Insolvenzplanverfahren hat es der Schuldner allein in der Hand, ob er einen Restrukturierungsplan vorlegt, der die Rechte der Gesellschafter überhaupt beeinträchtigt. Weder die Gläubiger noch das Restrukturierungsgericht oder der Restrukturierungsbeauftragte können die Regelungen des schuldnerischen Plans ändern. Planbetroffene haben nur das Recht, Vorschläge zur Abänderung des Plans zu unterbreiten (§ 20 Abs. 3 Satz 3). Selbst wenn der mit der Anzeige vorgelegte Planentwurf oder das Restrukturierungskonzept bereits Eingriffe in Gesellschafterrechte vorsieht, die die Schwelle zum Grundlagengeschäft überschreiten, ist eine vorherige Zustimmung der Gesellschafter nicht erforderlich. Die Vorlage des Planentwurfs dient allein der Information des Restrukturierungsgerichts und hat für den Schuldner keine Bindungswirkung (siehe § 31 Rz. 18 ff.).82) Einer Gesellschafterzustimmung bedarf die Geschäftsführung erst für die Unterbreitung eines Planangebots, welches derart in Gesellschafterrechte eingreift, dass die Schwelle zum Grundlagengeschäft überschritten ist. 53

Die gegenteilige Auffassung hätte eine erhebliche Erschwerung des Zugangs zum Restrukturierungsrahmen und damit auch zum Instrument der Stabilisierungsanordnung zur Folge. Hinzu kommt, dass das Ausmaß des Eingriffs in die Gesellschafterrechte zum Zeitpunkt der Anzeige oftmals noch Gegenstand von Verhandlungen mit den weiteren Planbetroffenen ist. Die Geschäftsführung wäre daher ggf. gezwungen, eine weitere Gesellschafterzustimmung zum Planangebot einzuholen. VI. Rechtsfolge

54

Der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ist nicht als ein integriertes Verfahren konzipiert, sondern als ein Rahmen von Verfahrenshilfen, welche der Schuldner im Zuge eines von ihm verfolgten Restrukturierungsvorhabens in Anspruch nehmen kann.83) Dementsprechend ermöglicht § 29 Abs. 1 als Rechtsfolge dem Schuldner, die in Absatz 2 abschließend aufgeführten Instrumente in Anspruch zu nehmen. Dass ausschließlich Schuldner, nicht aber z. B. ihre Gläubiger, die Instrumente in Anspruch nehmen können, folgt aus Absatz 3 und den die einzelnen Instrumente ausgestaltenden Vorschriften des StaRUG, die nur dem Schuldner die Beantragung der Instrumente (vgl. §§ 45 Abs. 1 Satz 1, 47 Satz 1, 49 Abs. 1, 60 Abs. 1 Satz 1) und die Anzeige der Restrukturierungssache (vgl. § 30 Abs. 1) eröffnen.

55

Eine Ausnahme dazu ergibt sich aus § 76 Abs. 2 Nr. 1. Danach entscheidet der gemäß § 73 von Amts wegen bestellte oder der gemäß § 77 Abs. 2 mit entsprechenden Aufgaben betraute fakultative Restrukturierungsbeauftragte in bestimmten Fällen, wie der Restrukturierungsplan zur Abstimmung gebracht wird.

56

Anders als die Insolvenzantragstellung ist weder die Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens noch die Beantragung von Instrumenten des StaRUG verpflichtend. Die Inanspruchnahme der Instrumente ist freiwillig. § 29 Abs. 3 stellt zudem klar, dass der Schuldner die Instrumente grundsätzlich unabhängig voneinander in An_____________ 82) Allerdings ist der Schuldner gemäß § 32 Abs. 2 verpflichtet, wesentliche Änderungen des Restrukturierungsvorhabens bzw. der Restrukturierungsplanung dem Gericht anzuzeigen. 83) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 130.

448

Hirschberger/Siepmann

§ 30

Restrukturierungsfähigkeit

spruch nehmen kann.84) Ob und in welcher Kombination und Reihenfolge sie in Anspruch genommen werden, hat der Schuldner eigenverantwortlich zu entscheiden; ihm obliegen die Strukturierung, Organisation und Durchführung des Gesamtprozesses.85) Hierbei hat der Schuldner gemäß § 32 Abs. 1 die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers anzuwenden und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren. Zugleich ruht gemäß § 42 während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache die Insolvenzantragspflicht aus § 15a InsO und ist der Schuldner im Gegenzug zur unverzüglichen Anzeige des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung verpflichtet. _____________ 84) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 131. 85) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 131.

§ 30 Restrukturierungsfähigkeit Hirschberger/Siepmann

(1) 1Die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens können vorbehaltlich des Absatzes 2 von jedem insolvenzfähigen Schuldner in Anspruch genommen werden. 2Für natürliche Personen gilt dies nur, soweit sie unternehmerisch tätig sind. (2) Die Bestimmungen dieses Kapitels sind auf Unternehmen der Finanzbranche im Sinne des § 1 Absatz 19 des Kreditwesengesetzes nicht anzuwenden. Übersicht I. Normzweck und -inhalt ...................... 1 II. Normhistorie und Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie ......... 3 III. Persönlicher Anwendungsbereich (Abs. 1) ................................................ 10 1. Grundsatz der Insolvenzfähigkeit des Schuldners ..................................... 11

I.

2.

Ausnahme für Unternehmen der Finanzbranche ............................... 15 3. Ausnahme für natürliche Personen .............................................. 16 4. Rechtsfolge .......................................... 24 IV. Unternehmen der Finanzbranche (Abs. 2) ................................................ 25

Normzweck und -inhalt

§ 30 regelt den persönlichen Anwendungsbereich der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens. Zugleich füllt die Regelung den Begriff des Schuldners i. S. des StaRUG aus. Anders als die InsO definiert § 2 Abs. 1 Nr. 1 den Begriff des Schuldners, und zwar als „restrukturierungsfähige Person“. Aus der amtlichen Überschrift des § 30 geht hervor, dass restrukturierungsfähig in diesem Sinne eine Person ist, die in den persönlichen Anwendungsbereich des § 30 fällt.

1

Im Ausgangpunkt erklärt § 30 Abs. 1 Satz 1 alle insolvenzfähigen Schuldner für restrukturierungsfähig und verweist damit auf § 11 InsO. Ausgenommen sind nach Satz 2 natürliche Personen, soweit sie nicht unternehmerisch tätig sind, und nach § 30 Abs. 2 Unternehmen der Finanzbranche i. S. des § 1 Abs. 19 KWG. Der Schuldnerbegriff i. S. des StaRUG umfasst damit eine Teilmenge des insolvenzrechtlichen Schuldnerbegriffs.

2

Hirschberger/Siepmann

449

§ 30

Restrukturierungsfähigkeit

II. Normhistorie und Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie 3

Art. 4 Abs. 1 der Restrukturierungsrichtlinie1) gibt den nationalen Gesetzgebern vor, Schuldnern einen präventiven Restrukturierungsrahmen zur Verfügung zu stellen. Der hiernach notwendige persönliche Anwendungsbereich des präventiven Restrukturierungsrahmens wird vor allem durch Art. 1 Abs. 2 und Abs. 3 Restrukturierungsrichtlinie bestimmt.2) Art. 1 Abs. 2 Restrukturierungsrichtlinie enthält einen Negativkatalog von Schuldnern, denen die nationalen Gesetzgeber einen präventiven Restrukturierungsrahmen nicht zur Verfügung stellen müssen. Das sind im wesentlichen Unternehmen der Finanzbranche, öffentliche Stellen nach nationalem Recht und natürliche Personen, die keine Unternehmer sind. Art. 1 Abs. 3 und 4 räumt den Mitgliedstaaten verschiedene Wahlmöglichkeiten ein, den persönlichen Anwendungsbereich zu begrenzen bzw. zu erweitern.3)

4

Mit § 30 hat der deutsche Gesetzgeber die zwingenden Vorgaben zum persönlichen Anwendungsbereich des präventiven Restrukturierungsrahmens umgesetzt und zugleich den Umfang festgelegt, in welchem er von den eröffneten Wahlmöglichkeiten Gebrauch macht. Dabei bedient er sich einer ähnlichen Regelungstechnik wie der Richtliniengeber. Vom Anwendungsbereich erfasst, werden grundsätzlich alle insolvenzfähigen Schuldner, es sei denn, sie sind in § 30 Abs. 2 ausdrücklich ausgenommen. Die grundsätzliche Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs auf die Gruppe der insolvenzfähigen Schuldner ist mit Blick auf die Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie zum notwendigen persönlichen Anwendungsbereich unbedenklich, da § 11 InsO die grundsätzliche Insolvenzfähigkeit sämtlicher Rechtssubjekte statuiert.4)

5

Juristische Personen des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht eines Landes unterstehen und ggf. gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 InsO insolvenzunfähig sind, sind gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. g Restrukturierungsrichtlinie auch vom notwendigen persönlichen Anwendungsbereich der Restrukturierungsrichtlinie ausgenommen, da es sich bei diesen um „öffentliche Stellen nach nationalem Recht“5) handelt.

6

Zusammen mit den nur wenigen Ausnahmen gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 besteht insgesamt ein weiter persönlicher Anwendungsbereich der Instrumente _____________ 1)

2) 3) 4)

5)

450

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Siepmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 4 Rz. 2. Morgen in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 1 Rz. 3. Sofern man von der Insolvenzunfähigkeit von Kirchen und Religionsgemeinschaften ausgeht (hierzu Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 12 Rz. 14 f.), bleibt § 30 seinem Wortlaut nach allerdings hinter dem Umsetzungsauftrag der Restrukturierungsrichtlinie zurück, da es sich bei den öffentlich-rechtlich organisierten Religionsgesellschaften wohl nicht um öffentliche Stellen i. S. des Art. 1 Abs. 2 lit. g der Restrukturierungsrichtlinie bzw. des deutschen Rechts handelt. Vgl. die Definition der „öffentlichen Stelle“ gemäß § 2 BDSG.

Hirschberger/Siepmann

§ 30

Restrukturierungsfähigkeit

des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens, der sich mit den Vorgaben der Richtlinie deckt. Eine Option, Verbraucher in den persönlichen Anwendungsbereich des präventiven Restrukturierungsrahmens einzubeziehen, sieht die Richtlinie nicht vor. Art. 1 Abs. 4 Unterabs. 1 Restrukturierungsrichtlinie räumt lediglich die Möglichkeit ein, insolvente natürliche Personen, die keine Unternehmer sind, in den persönlichen Anwendungsbereich der Verfahren zur Entschuldung insolventer Unternehmer gemäß Art. 1 Abs. 1 lit. b, die in Art. 20 ff. Restrukturierungsrichtlinie geregelt sind, einzubeziehen. Verbrauchern steht in Deutschland als Entschuldungsverfahren das Verbraucherinsolvenzverfahren nach §§ 304 ff. InsO offen.

7

Nach Art. 1 Abs. 4 Unterabs. 2 Restrukturierungsrichtlinie können die Mitgliedstaaten den persönlichen Anwendungsbereich für das präventive Restrukturierungsverfahren auf juristische Personen beschränken. Davon hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. Natürliche Personen fallen in den Anwendungsbereich des präventiven Restrukturierungsverfahrens, soweit sie unternehmerisch tätig sind.

8

§ 30 geht auf den wortgleichen § 32 RegE6) zurück. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erfolgten keine Änderungen.

9

III. Persönlicher Anwendungsbereich (Abs. 1) § 30 eröffnet einen weiten persönlichen Anwendungsbereich. Die Norm erfasst im Grundsatz alle natürlichen und juristischen Personen. Ausgenommen sind gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 natürliche Personen ohne unternehmerische Tätigkeit sowie Unternehmen der Finanzbranche i. S. des § 1 Abs. 19 KWG. 1.

10

Grundsatz der Insolvenzfähigkeit des Schuldners

Die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen können grundsätzlich von jedem Schuldner in Anspruch genommen werden, über dessen Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet werden kann.7) Die sog. Insolvenzfähigkeit ist in § 11 InsO geregelt.

11

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 InsO kann ein Insolvenzverfahren über das Vermögen jeder natürlichen und jeder juristischen Person eröffnet werden. Der nicht rechtsfähige Verein wird durch § 11 Abs. 1 Satz 2 InsO gleichgestellt. Ferner kann ein Insolvenzverfahren nach § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO über das Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (oHG, KG, PartG, GbR, Partenreederei, EWIV) eröffnet werden.

12

Nach § 11 Abs. 2 Nr. 2 InsO kann ein Insolvenzverfahren zwar auch über einen Nachlass, über das Gesamtgut einer fortgesetzten Gütergemeinschaft und über das Gesamtgut einer Gütergemeinschaft, das von den Ehegatten oder Lebenspartnern gemeinschaftlich verwaltet wird, eröffnet werden. Diese Sondervermögen sind jedoch nicht restrukturierungsfähig. Dies folgt aus der Ausrichtung des Restrukturierungsverfahrens auf Rechtsträger. Die genannten Vermögensmassen sind trotz

13

_____________ 6) 7)

RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 133.

Hirschberger/Siepmann

451

§ 30

Restrukturierungsfähigkeit

ihrer rechtlichen Verselbstständigung weder eigene Rechtspersönlichkeiten noch kommt ihnen Rechtsfähigkeit zu.8) 14

Zu den juristischen Personen des bürgerlichen Rechts gehören eingetragene rechtsfähige Vereine (§§ 21, 22 BGB), die AG (§ 1 AktG), die KGaA (§ 278 Abs. 1 KGaAG), die GmbH (§ 13 GmbHG), die UG (haftungsbeschränkt) (§ 5a GmbHG), die rechtsfähige Stiftung (§§ 80, 86 Satz 1, 42 BGB), die Genossenschaft (§ 2 GenG), sowie die Societas Europaea (SE)9).10) Ebenfalls erfasst sind ausländische juristische Personen. Juristische Personen des Öffentlichen Rechts sind Körperschaften, Stiftungen und Anstalten (§ 89 BGB). Sie sind nur insolvenzfähig und damit restrukturierungsfähig, soweit § 12 InsO dem nicht entgegensteht.11) 2.

15

Ausnahme für Unternehmen der Finanzbranche

Insolvenzfähige Personen können die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nur vorbehaltlich des § 30 Abs. 2 in Anspruch nehmen. Danach sind die Bestimmungen des Kapitels 2 (Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumente) auf Unternehmen der Finanzbranche i. S. des § 1 Abs. 19 KWG nicht anzuwenden. Zur Finanzbranche i. S. des KWG gehören die Banken- und Wertpapierdienstleistungsbranche sowie die Versicherungsbranche. Dazu gehören Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute12), Kapitalverwaltungsgesellschaften, extern verwaltete Investmentgesellschaften, Finanzunternehmen, Anbieter von Nebendienstleistungen oder entsprechende Unternehmen mit Sitz im Ausland, E-Geld-Institute, Zahlungsinstitute, Erst- und Rückversicherungsunternehmen, Versicherungs-Holdinggesellschaften oder entsprechende Unternehmen mit Sitz im Ausland. Damit sind die vorgenannten Unternehmen aus dem persönlichen Anwendungsbereich des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ausgenommen. 3.

Ausnahme für natürliche Personen

16

Natürliche Personen können die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nur in Anspruch nehmen, soweit sie unternehmerisch tätig sind, § 30 Abs. 1 Satz 2.

17

Das StaRUG selbst definiert nicht, was unter einer unternehmerischen Tätigkeit zu verstehen ist. Es verwendet auch den Begriff des Unternehmers nicht. Für das deutsche Recht definiert § 14 Abs. 1 BGB diesen Begriff als eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit _____________ 8) So zutreffend Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 30 Rz. 63; a. A.: Pannen/Riedemann/SmidPannen, StaRUG, § 30 Rz. 43. 9) Titel I Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates v. 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. (EU) L 294/1 v. 10.11.2001. 10) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 11 Rz. 33. 11) Graf-Schlicker-Kexel, InsO, § 11 Rz. 9. Zu der Frage der Restrukturierungsfähigkeit öffentlich-rechtlich organisierter Religionsgesellschaften s. Fn. 5. 12) Nach der Gesetzesbegründung sind davon auch Finanzholdinggesellschaften und gemischte Finanzholdinggesellschaften erfasst. Für diese Unternehmen bestehen besondere außerinsolvenzliche Regime zur Bewältigung von Krisen (insbesondere § 1 SAG), Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 133.

452

Hirschberger/Siepmann

§ 30

Restrukturierungsfähigkeit

handelt. Diese Definition kann indes nicht ohne weiteres für § 30 Abs. 1 Satz 2 herangezogen werden, weil der Unternehmerbegriff des § 14 Abs. 1 BGB rechtsgeschäftsbezogen ist. Dementsprechend bezweckt er keine allgemeingültige Definition des Unternehmers.13) Der Unternehmerbegriff des StaRUG ist als Umsetzung der europäischen Restrukturierungsrichtlinie vielmehr richtlinienkonform auszulegen.14) Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 der Richtlinie definiert den Unternehmer als natürliche Person, die eine gewerbliche, geschäftliche, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit ausübt.15) Nach dem Wortlaut scheint der Richtlinie damit ein deutlich weiterer Unternehmerbegriff zugrunde zu liegen, da das Merkmal der Selbständigkeit nicht genannt wird. Ein angestellter Dachdecker und ein Fremdgeschäftsführer einer GmbH würden hiernach unter den Unternehmerbegriff der Richtlinie fallen. Das entspricht indes nicht dem Willen des Richtliniengebers, der ausdrücklich erläutert, dass der Begriff des Unternehmers i. S. der Richtlinie sich z. B. nicht auf Geschäftsführer oder Mitglieder einer Unternehmensleitung beziehen sollte – diese sollten vielmehr nach nationalem Recht behandelt werden.16) Dass der Richtliniengeber die nicht selbständig Tätigen vom Unternehmerbegriff i. S. der Richtlinie ausnehmen wollte, zeigt sich auch an anderer Stelle. ErwG 72 führt aus:

18

„Unternehmer, die eine gewerbliche, geschäftliche, handwerkliche oder freiberufliche selbstständige Tätigkeit ausüben, können Gefahr laufen, insolvent zu werden.“

Das dort genannte Merkmal der Selbständigkeit bezieht sich auf alle genannten Tätigkeitsformen und ist konstitutiv für den Unternehmerbegriff. Die vom Richtliniengeber angesprochene besondere Insolvenzgefahr ist auch nur einer selbständigen Tätigkeit zu eigen. Denn nicht-selbstständige Tätigkeiten führen in aller Regel nicht zur Begründung eigener Verbindlichkeiten. Vor diesem Hintergrund gebietet die richtlinienkonforme Auslegung, das Merkmal der Selbständigkeit in den Begriff des „Unternehmers“ in Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 der Richtlinie hinein zu lesen und auch für § 30 Abs. 1 Satz 2 zu verlangen.

19

Diese Definition des Unternehmerbegriffes deckt sich auch mit der Regelung des § 4 Satz 2. Danach sind Forderungen und Absonderungsanwartschaften gegen eine natürliche Person einer Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan unzugänglich, wenn sie mit deren unternehmerischer Tätigkeit in keinem Zusammenhang stehen. In der Regel stehen die Verbindlichkeiten nicht selbständig Tätiger nicht im Zusammenhang mit ihrer gewerblichen, geschäftlichen oder handwerklichen Tätigkeit (z. B. als angestellter Arbeitnehmer). Es wäre sinnlos, den personellen Anwendungsbereich des Restrukturierungsrahmens auf nicht selbstständige Personen zu erstrecken, diesen aber eine Regulierung ihrer Verbindlichkeiten durch die Instrumente der Restrukturierungsrahmens zu verwehren.

20

_____________ 13) Micklitz in: MünchKomm-BGB, § 14 Rz. 1. 14) Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rz. 133. 15) Der deutsche Gesetzgeber beabsichtigte, diese „Vorgabe“ der Richtlinie in § 30 Abs. 1 Satz 2 umzusetzen, Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 151. 16) ErwG 73 Restrukturierungsrichtlinie.

Hirschberger/Siepmann

453

§ 30

Restrukturierungsfähigkeit

21

Im Ergebnis gelten damit für den Unternehmerbegriff der Restrukturierungsrichtlinie dieselben Kriterien, die auch dem Unternehmerbegriff des § 14 BGB zugrunde liegen. Vom Anwendungsbereich des § 30 Abs. 1 Satz 2 ausgeschlossen sind dementsprechend Personen, die keiner selbstständigen Tätigkeit nachgehen.

22

Der Anwendungsbereich ist auch nicht für Personen eröffnet, die früher in diesem Sinne unternehmerisch tätig waren, diese unternehmerische Tätigkeit aber eingestellt oder aufgegeben haben. Eine gegenteilige Auslegung ist vom Wortlaut („sind“) nicht gedeckt und mit dem Zweck der Sanierung der Unternehmung nicht vereinbar.

23

Durch die Formulierung „soweit sie unternehmerisch tätig sind“ beabsichtigte der Gesetzgeber, den persönlichen Anwendungsbereich für die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens zudem auf die unternehmerische Tätigkeit der natürlichen Person zu beschränken.17) Für den Restrukturierungsplan ist das ausdrücklich in § 4 Satz 2 geregelt. Danach können durch einen Restrukturierungsplan Forderungen und Absonderungsanwartschaften gegen eine natürliche Person nur geregelt werden, wenn sie mit deren unternehmerischer Tätigkeit in Zusammenhang stehen. Eine Stabilisierungsanordnung erfasst nach § 49 Abs. 2 Satz 1 nicht Forderungen und Absonderungsanwartschaften, die nicht Gegenstand eines Restrukturierungsplans sein können. Für die übrigen Instrumente i. S. des § 29 fehlt es dagegen an einer solchen ausdrücklichen Regelung. Da sie sich aber alle auf einen Restrukturierungsplan beziehen, der nur im Zusammenhang mit der unternehmerischen Tätigkeit stehende Verbindlichkeiten gestalten kann, verbleibt kaum ein Regelungsgehalt. 4.

24

Rechtsfolge

Juristische und natürliche Personen, die den Tatbestand erfüllen, sind restrukturierungsfähig i. S. des § 30 Abs. 1 und können damit Schuldner i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 sein. Sie können die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Anspruch nehmen. Damit verweist § 30 Abs. 1 Satz 1 auf § 29 Abs. 2, in dem diese Instrumente abschließend aufgezählt sind. Darüber hinaus kann jeder „restrukturierungsfähige Schuldner“18) gemäß § 94 Abs. 1 auch einen Antrag auf Bestellung eines Sanierungsmoderators beim Gericht stellen. IV. Unternehmen der Finanzbranche (Abs. 2)

25

Der Tatbestand des § 30 Abs. 2 beschränkt sich auf das Merkmal Unternehmen der Finanzbranche i. S. des § 1 Abs. 19 KWG (siehe hierzu oben Rz. 15).

26

Durch § 30 Abs. 2 werden diese Unternehmen gemäß über Absatz 1 Satz 1 vom persönlichen Anwendungsbereich der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens und damit auch von der Schuldnereigenschaft i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ausgenommen. Nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 2 sind indes nur die Bestimmungen „dieses Kapitels“, also des Kapitel 2 („Stabilisierungs- und Restruk_____________ 17) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 151. 18) Das Attribut „restrukturierungsfähige“ in § 94 Abs. 1 Satz 1 ist tautologisch. Der Begriff Schuldner wird in § 2 Abs. 1 Nr. 1 schon als „restrukturierungsfähige Person“ definiert.

454

Hirschberger/Siepmann

§ 31

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens

turierungsinstrumente“) des Teil 2 („Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen“) auf Unternehmen der Finanzbranche nicht anzuwenden. Im Umkehrschluss können die Regelungen der anderen Teile und der anderen Kapitel des 2. Teils grundsätzlich auch auf Unternehmen der Finanzbranche Anwendung finden. Allerdings ergibt sich aus den meisten anderen Teilen und Kapiteln des StaRUG, dass diese ebenfalls keine Anwendung auf Unternehmen der Finanzbranche finden. Das folgt daraus, dass sich die jeweiligen Regelungen entweder selbst auf Schuldner i. S. des StaRUG beziehen oder mit solchen Regeln im Zusammenhang stehen. Vom Begriff des Schuldners werden Unternehmen der Finanzbranche nach der Definition in §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 30 jedoch nicht erfasst.

27

Die Regelungen von Kapitel 1 („Restrukturierungsplan“) des 2. Teils beziehen sich nur auf die Gestaltung von Forderungen gegen eine restrukturierungsfähige Person (Schuldner) oder von Rechten an Gegenständen des Vermögens des Schuldners. Da Unternehmen der Finanzbranche nicht zu diesen Schuldnern gehören, können sie nicht durch einen Restrukturierungsplan saniert werden. Auch die Regelungen des Kapitel 3 des 2. Teils über den Restrukturierungsbeauftragten sind für Unternehmen der Finanzbranche nicht einschlägig. Denn nur durch einen Restrukturierungsplan oder Instrumente können Gläubigerrechte beeinträchtigt werden, über die der Restrukturierungsbeauftrage wachen soll. Weder der Plan noch die Instrumente stehen den Unternehmen der Finanzbranche aber offen. Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 könnte ein solches Unternehmen auch keinen Antrag auf Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten stellen, da es nicht die erforderliche Schuldnereigenschaft hat. Die übrigen Kapitel des 2. Teils (Kapitel 5: Anfechtungs- und Haftungsrecht und Kapitel 6: Arbeitnehmerbeteiligung; Gläubigerbeirat) stehen in engem Zusammenhang zu dem Restrukturierungsplan oder den Instrumenten, so dass ihre Anwendung auf Unternehmen der Finanzbranche ebenso ausscheidet, wie die Anwendung der Regelungen der Sanierungsmoderation in Teil 3.

28

Damit bleiben jedoch zwei Teile des StaRUG, die nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 2 auch auf Unternehmen der Finanzbranche anwendbar sind:

29



Teil 1 über „Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement“ und



Teil 4 über „Frühwarnsysteme“.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 richtet sich die dort geregelte Überwachungspflicht an die Organe jeder juristischen Person und nicht etwa nur an die Organe von Schuldnern i. S. des §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 30. Auch die Hinweis- und Warnpflichten des § 102 bei der Erstellung eines Jahresabschlusses für einen Mandanten bestehen nicht nur, wenn es sich bei dem Mandanten um einen Schuldner i. S. des §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 30 handelt.

§ 31 Anzeige des Restrukturierungsvorhabens Hirschberger/Siepmann

(1) Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmens ist die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens bei dem zuständigen Restrukturierungsgericht. Hirschberger/Siepmann

455

30

§ 31

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens

(2) 1Der Anzeige sind beizufügen: 1.

der Entwurf eines Restrukturierungsplans oder, sofern ein solcher nach dem Stand des angezeigten Vorhabens noch nicht ausgearbeitet und ausgehandelt werden konnte, ein Konzept für die Restrukturierung, welches auf Grundlage einer Darstellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise das Ziel der Restrukturierung (Restrukturierungsziel) sowie die Maßnahmen beschreibt, welche zur Erreichung des Restrukturierungsziels in Aussicht genommen werden,

2.

eine Darstellung des Stands von Verhandlungen mit Gläubigern, an dem Schuldner beteiligten Personen und Dritten zu den in Aussicht genommenen Maßnahmen und

3.

eine Darstellung der Vorkehrungen, welche der Schuldner getroffen hat, um seine Fähigkeit sicherzustellen, seine Pflichten nach diesem Gesetz zu erfüllen.

2 Der Schuldner hat bei der Anzeige zudem anzugeben, ob die Rechte von Verbrauchern oder von mittleren, kleinen oder Kleinstunternehmen berührt werden sollen, insbesondere, weil deren Forderungen oder Absonderungsanwartschaften durch einen Restrukturierungsplan gestaltet oder die Durchsetzung dieser Forderungen durch eine Stabilisierungsanordnung vorübergehend gesperrt werden sollen. 3Anzugeben ist auch, ob damit zu rechnen ist, dass das Restrukturierungsziel nur gegen den Widerstand einer nach Maßgabe des § 9 zu bildenden Gruppe durchgesetzt werden kann. 4Des Weiteren sind frühere Restrukturierungssachen unter Angabe des befassten Gerichts und Aktenzeichens anzugeben.

(3) Mit der Anzeige wird die Restrukturierungssache rechtshängig. (4) Die Anzeige verliert ihre Wirkung, wenn 1.

der Schuldner die Anzeige zurücknimmt,

2.

die Entscheidung über die Planbestätigung rechtskräftig wird,

3.

das Gericht die Restrukturierungssache nach § 33 aufhebt oder

4.

seit der Anzeige sechs Monate oder, sofern der Schuldner die Anzeige zuvor erneuert hat, zwölf Monate vergangen sind.

Literatur: Balthasar, Allgemeine Zugangsvoraussetzungen zu den Restrukturierungsinstrumenten, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 18; Bork, Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nach § 29 StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 38; Frind, Überreguliert statt saniert? Zum RefE eines „StaRUG“, ZInsO 2020, 2441; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Ringelspacher/Ruch, Der Restrukturierungsplan – Das Herzstück des StaRUG-Entwurfs im Überblick, ZRI 2020, 636; Vallender, Aufgaben und Befugnisse des Restrukturierungsgerichts nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Teil 1), ZInsO 2020, 2579. Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: IDW, Stellungnahme des Instituts der Wirtschaftsprüfer zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts, v. 2.10.2020 (zit.: IDW, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020), abrufbar unter https://www.idw.de/blob/126248/53d68c73c6a1168f7f18ea7aa3cc7931/ down-bmjv--saninsfog-data.pdf (Abrufdatum: 20.8.2021).

456

Hirschberger/Siepmann

§ 31

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens Übersicht I. Normzweck und -inhalt ...................... 1 II. Normhistorie ........................................ 4 III. Anzeige des Restrukturierungsvorhabens (Abs. 1) ............................... 8 1. Tatbestand ............................................. 9 a) Anzeige ......................................... 10 b) Beim zuständigen Gericht ........... 11 c) Durch den Schuldner ................... 13 d) Form der Anzeige ........................ 14 2. Rechtsfolge des Absatz 1 .................... 16 IV. Anlagen und Angaben zur Anzeige (Abs. 2) ................................. 18 1. Allgemeine Angaben und drohende Zahlungsunfähigkeit ........................... 19 2. Entwurf eines Restrukturierungsplans (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) ................. 22 3. Ersatzweise: Restrukturierungskonzept ................................................ 27 a) Voraussetzungen für das Ausreichen eines Restrukturierungskonzepts .............................. 28 b) Begriff des Restrukturierungskonzepts ....................................... 30 4. Darstellung Verhandlungsstand mit Planbetroffenen (Abs. 2 Satz 1 Nr. 2) ........................... 39 5. Darstellung der Vorkehrungen (Abs. 2 Satz 1 Nr. 3) ........................... 40

I.

6.

Angabe zur Einbeziehung von Rechten von Verbrauchern oder KMU (Abs. 2 Satz 2) .......................... 46 7. Angabe zu erwartetem Widerstand einer Gruppe (Abs. 2 Satz 3) .............. 53 8. Frühere Restrukturierungssache (Abs. 2 Satz 4) ..................................... 55 9. Vorschlag zur Person des Restrukturierungsbeauftragten ........................ 56 10. Erneuerung der Anzeige ..................... 57 V. Rechtsfolge der Anzeige (Abs. 3) ..... 59 1. Tatbestand ........................................... 60 2. Rechtsfolge .......................................... 63 a) Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ............................ 63 b) Ruhen der Insolvenzantragspflicht (§ 42) ................................. 65 c) Frist der Wirkungsdauer beginnt zu laufen .............................. 67 d) Einfluss auf Anfechtungsfristen .... 68 VI. Beendigung der Wirkungen der Anzeige (Abs. 4) .......................... 69 1. Tatbestand ........................................... 70 a) Rücknahme der Anzeige .............. 71 b) Rechtkraft der Entscheidung über die Planbestätigung ............. 72 c) Gerichtliche Aufhebung .............. 73 d) Fristablauf ..................................... 74 2. Rechtsfolge .......................................... 75

Normzweck und -inhalt

Mit der Anzeige der Restrukturierungssache erklärt der Schuldner, voraussichtlich eines oder mehrere Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens zur Verwirklichung eines Restrukturierungsvorhabens in Anspruch nehmen zu wollen.1) Das angezeigte Restrukturierungsvorhaben wird konkretisiert durch den Entwurf eines Restrukturierungsplans oder durch ein Restrukturierungskonzept, die der Anzeige beizufügen sind. Der Restrukturierungsplan selbst ist kein solches Instrument i. S. des § 29. Es ist daher möglich, ein Unternehmen durch einen Restrukturierungsplan zu sanieren, ohne das Restrukturierungsvorhaben beim Restrukturierungsgericht anzuzeigen. Sobald aber das Restrukturierungsgericht mit der Restrukturierungssache befasst werden soll oder muss, ist die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens erforderlich.

1

Die Instrumente, von denen der Schuldner im weiteren Verlauf des Restrukturierungsverfahrens Gebrauch macht, werden verfahrensrechtlich durch die Anzeige über die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache zu einer einheitlichen Sache zusammengefasst. Obgleich es sich bei den einzelnen Instrumenten um je selbständige Verfahren handelt, werden sie durch die infolge der Anzeige des Vorhabens rechtshängig gemachte Restrukturierungssache zu einer, insbesondere auch zu-

2

_____________ 1)

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 134.

Hirschberger/Siepmann

457

§ 31

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens

ständigkeitsrechtlichen Einheit verbunden. Für sie ist stets dasselbe Gericht und bei diesem Gericht dieselbe Abteilung zuständig.2) Die Gerichtskosten für die Entgegennahme der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens belaufen sich auf 150 € (§§ 1 Abs. 1 Nr. 3a, 3 Abs. 2 i. V. m. Anlage 1 Teil 2 Hauptabschn. 5 Nr. 2510 Kostenverzeichnis GKG). 3

Mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens muss nicht zugleich schon ein Instrument i. S. des § 29 Abs. 2 beantragt werden. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll die Anzeige vielmehr möglichst mit Vorlauf vor dem ersten Antrag des Schuldners erfolgen. Dem Gericht soll so ausreichend Zeit verbleiben, sich mit den tatsächlichen Umständen und den Rahmenbedingungen sowie den rechtlichen Fragestellungen vertraut zu machen und ggf. erforderlich werdende organisatorische Vorbereitungen zu treffen. Durch die Anzeige soll auch sichergestellt werden, dass das Gericht über eine hinreichende Informationsgrundlage verfügt, um unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit eine Entscheidung über die beantragten Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens treffen zu können.3) II. Normhistorie

4

Der Regelung des § 31 liegt keine zwingende Umsetzungsvorgabe der Restrukturierungsrichtlinie4) zugrunde. Die Norm ist vielmehr eine verfahrenstechnische Regelung zur Zusammenfassung der frei kombinierbaren „Werkzeuge“ und Verfahren des Sanierungs- und Restrukturierungsrahmens zu einem gerichtlichen Verfahren. Zugleich hat sich der deutsche Gesetzgeber mit der Normierung der Anzeige durch den Schuldner dazu entschieden, von der in Art. 4 Abs. 8 der Restrukturierungsrichtlinie vorgesehenen Option einer Beantragung des Restrukturierungsrahmens durch Gläubiger oder Arbeitnehmervertreter5) keinen Gebrauch zu machen.

5

Die Norm geht auf § 33 des RegE6) zurück und hat im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens keine Änderungen erfahren. Im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens erfolgte nur ein inhaltlicher Änderungsvorschlag zu § 33 Abs. 1 RegE.7) Einzelne Ausschüsse des Bundesrates8) waren der Ansicht, dass die im Gesetzentwurf vorgesehenen Eintrittsvoraussetzungen für ein Sanierungsverfahren deutlich zu niedrig seien. Sie bezweckten mit dem Änderungsvorschlag, die Eintrittsvoraussetzungen deutlich zu erhöhen, um möglichem Missbrauch zulasten der Wirtschaft vorzubeugen. Dazu sollten die in Absatz 1 genannten Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der _____________ 2) 3) 4)

5) 6) 7) 8)

458

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 133. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 134. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Freilich sollte auch hiernach der Restrukturierungsrahmen nur mit Zustimmung des Schuldners zur Verfügung stehen. RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Empfehlungen der Ausschüsse z. RegE SanInsFoG, v. 16.11.2020, BR-Ducks. 619/1/20, S. 8. Empfehlungen der Ausschüsse z. RegE SanInsFoG, BR-Drucks. 619/1/20, S. 1.

Hirschberger/Siepmann

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens

§ 31

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens um den „Nachweis der drohenden Zahlungsunfähigkeit sowie die Vorlage einer positiven Zahlungsfähigkeitsprognose“ erweitert werden, wobei diese Unterlagen „von einem in Sanierungssachen erfahrenen unabhängigen Dritten zu erstellen“ sein sollten. Auf den ersten Blick schließen sich die „drohende Zahlungsunfähigkeit“ und die „positive Zahlungsfähigkeitsprognose“ gegenseitig aus. Gemeint sein dürfte wohl eine Liquiditätsplanung, aus der sich ergibt, dass die Zahlungsunfähigkeit droht, also voraussichtlich innerhalb des Prognosezeitraumes des § 18 Abs. 2 Satz 2 InsO (in der Regel 24 Monate) eintritt, dass aber während des zur Durchführung des Restrukturierungsvorhabens voraussichtlich erforderlichen Zeitraum von der Zahlungsfähigkeit ausgegangen werden kann. In der Stellungnahme des Bundesrates vom 16.11.20209) waren diese Änderungsvorschläge der Ausschüsse nicht mehr enthalten. Der Bundesrat bat darin in Bezug auf § 31 RegE nur noch, im weiteren Gesetzgebungsverfahren dafür Sorge zu tragen, dass zur Erreichung der Sanierungsziele jeweils nur die die Gläubiger am wenigsten belastende Maßnahme gemäß den zur Verfügung stehenden Instrumenten zugelassen ist.

6

Dass die drohende Zahlungsunfähigkeit Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens ist, kommt schon in § 29 Abs. 1 (§ 31 Abs. 1 RegE) zum Ausdruck (siehe dazu § 29 Rz. 31 ff.). Ob eine positive Zahlungsfähigkeitsprognose für den Zeitraum des Restrukturierungsverfahrens gestellt werden kann, soll sich aus dem darstellenden Teil des Restrukturierungsplans oder dem Restrukturierungskonzept ergeben. Eine negative Zahlungsfähigkeitsprognose schon für diesen Zeitraum dürfte regelmäßig einen Umstand darstellen, aus dem sich ergibt, dass das angezeigte Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat. Dies ist vom Schuldner nach § 32 Abs. 4 unverzüglich anzuzeigen und führt nach § 33 Abs. 2 Nr. 2 zur Aufhebung der Restrukturierungssache. Die vom Bundesrat geforderte Erstellung der Liquiditätsplanung durch einen in Sanierungssachen erfahrenen unabhängigen Dritten ist in § 31 Abs. 2 Nr. 3 zumindest angelegt.

7

III. Anzeige des Restrukturierungsvorhabens (Abs. 1) Die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens ist Grundvoraussetzung für die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens. Fehlt es an einer Anzeige oder hat diese ihre Wirkung verloren, können die Instrumente des Rahmens nicht (mehr) in Anspruch genommen werden.10) 1.

8

Tatbestand

Die wesentliche geschriebene Tatbestandsvoraussetzung des § 31 Abs. 1 für die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens ist die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim zuständigen Restrukturierungsgericht. _____________ 9) Stellungnahme d. BRat z. RegE SanInsFoG, BR-Drucks. 619/1/20, S. 7. 10) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 133.

Hirschberger/Siepmann

459

9

§ 31

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens

a) Anzeige 10

Die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens ist die Erklärung gegenüber dem Restrukturierungsgericht, voraussichtlich eines oder mehrere Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens gemäß § 29 Abs. 2 in Anspruch nehmen zu wollen,11) um eine drohende Zahlungsunfähigkeit durch einen Restrukturierungsplan nachhaltig zu beseitigen. b) Beim zuständigen Gericht

11

Die Anzeige ist bei dem zuständigen Restrukturierungsgericht einzureichen. Grundsätzlich ist das AG, in dessen Bezirk ein OLG seinen Sitz hat, als Restrukturierungsgericht für den Bezirk des OLG ausschließlich zuständig (siehe dazu i. E. § 34 Rz. 7 ff.). Die örtliche Zuständigkeit regelt § 35. Wenn der anzeigende Schuldner sich auf einen Gruppengerichtsstand nach § 37 beruft, muss er dessen Voraussetzungen darlegen (siehe dazu i. E. § 37 Rz. 7 ff.).

12

Zeigt der Schuldner das Restrukturierungsvorhaben bei einem unzuständigen Gericht an, so gelten über § 38 Satz 1 die Regeln der ZPO entsprechend. Das sachlich oder örtlich unzuständige Gericht erteilt dem anzeigenden Schuldner einen entsprechenden Hinweis gemäß § 139 ZPO analog. Aus § 33 Abs. 1 Nr. 2 ergibt sich weiter, dass das Restrukturierungsgericht dem Schuldner in diesem Fall eine angemessene Frist setzt, einen Verweisungsantrag nach § 281 ZPO analog zu stellen oder die Anzeige zurückzunehmen. Sofern das zuständige Gericht bestimmt werden kann, verweist das angesprochene Gericht die Restrukturierungssache auf Antrag des Schuldners durch Beschluss an das zuständige Gericht. Nimmt der Schuldner den Antrag innerhalb der gesetzten Frist nicht zurück und stellt auch keinen Verweisungsantrag, hebt das Restrukturierungsgericht die Restrukturierungssache nach § 33 Abs. 1 Nr. 2 auf. Die Anzeige beim unzuständigen Gericht verliert dann nach § 31 Abs. 4 Nr. 3 ihre Wirkung. Zeigt der Schuldner das Restrukturierungsvorhaben sodann bei dem zuständigen Gericht an, muss er die zunächst beim unzuständigen Gericht anhängige Restrukturierungssache als frühere Restrukturierungssache i. S. des § 31 Abs. 2 Satz 4 unter Angabe des zuvor befassten Gerichts und Aktenzeichens angeben. Der neuen Restrukturierungssache steht die vorangegangene Aufhebung nicht entgegen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4). c) Durch den Schuldner

13

Die Anzeige kann nur der Schuldner selbst vornehmen, nicht dagegen ein Gläubiger. Das ergibt sich aus §§ 30 Abs. 1 Satz 1 und 29 Abs. 3. Gläubiger haben kein Initiativrecht.12) d) Form der Anzeige

14

Das StaRUG regelt kein Formerfordernis für die Anzeige. Ein Schriftformerfordernis ergibt sich weder aus dem StaRUG selbst noch aus einer entsprechenden Anwendung der Vorschriften der ZPO nach § 38 StaRUG. Eine analoge Anwendung des _____________ 11) Abweichend Braun-Haffa/Schuster, StaRUG, § 31 Rz. 7, die annehmen, die Anzeige sei (auch) eine Erklärung, ob und welche Instrumente in Anspruch genommen werden. 12) Bork, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 38.

460

Hirschberger/Siepmann

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens

§ 31

Schriftformerfordernisses des § 13 Abs. 1 Satz 1 InsO scheidet mangels Vergleichbarkeit aus, da es sich bei der Anzeige gerade nicht um einen Antrag handelt. Da das Gesetz für die Anzeige keine Form vorschreibt und beim Restrukturierungsgericht (AG) kein Anwaltszwang herrscht, kann die Anzeige daher nach § 129a ZPO, § 38 StaRUG grundsätzlich auch zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden.13) Auch in diesem Fall hat der Schuldner allerdings die gemäß § 30 Abs. 2 erforderlichen Unterlagen einzureichen und Angaben zu machen. Schon aus diesem Grund dürfte die Restrukturierungsanzeige zu Protokoll der Geschäftsstelle in der Praxis kaum in Betracht kommen. Eine Anzeige zu Protokoll der Geschäftsstelle mag im Einzelfall Indiz dafür sein, dass der schuldnerische Restrukturierungswille es an der erforderlichen Ernsthaftigkeit mangeln lässt und dass der Schuldner die Restrukturierungssache nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers betreibt.14) 2.

15

Rechtsfolge des Absatz 1

Sind die Tatbestandsmerkmale des § 31 Abs. 1 erfüllt, ist zunächst nur die Grundvoraussetzung für die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens erfüllt. Diese können sodann einzeln und unabhängig voneinander (§ 29 Abs. 3) vom Schuldner in Anspruch genommen werden. Dies setzt jeweils einen gesonderten Antrag15) und die Erfüllung der zusätzlichen Tatbestandsvoraussetzungen des jeweiligen Instruments voraus.

16

Weitere Rechtsfolgen der Anzeige regelt § 31 Abs. 3 (siehe dazu unten Rz. 59 ff.).

17

IV. Anlagen und Angaben zur Anzeige (Abs. 2) § 31 Abs. 2 normiert die inhaltlichen Anforderungen an die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens und die beizufügenden Informationen. Genügt die Anzeige den in Absatz 2 genannten Anforderungen nicht, so knüpft sich daran keine unmittelbare Rechtsfolge. Insbesondere wird die Restrukturierungssache gemäß Absatz 3 unabhängig davon allein mit der Anzeige rechtshängig (siehe i. E. Rz. 60). Das Gericht wird ohne die geforderten Angaben und Informationen jedoch nicht in die Lage versetzt, sich ein umfassendes Bild über die beabsichtigte Restrukturierung zu machen und einem (späteren) Antrag auf eines der Instrumente stattzugeben. Der Schuldner wird in diesem Fall nachbessern müssen und dem Gericht die tatbestandlichen Voraussetzungen für seinen jeweiligen Antrag nachreichen müssen.

_____________ 13) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 31 Rz. 35; a. A. Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2584, der Schriftform und Unterschrift für erforderlich hält, da die Anzeige bestimmenden Schriftsätzen im Zivilprozess ähnele. 14) Vgl. die Argumentation der Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 135, für den Fall, dass es dem Schuldner nicht gelingt, etwaige Unvollständigkeiten oder sonstige Mängel des Planentwurfs oder Restrukturierungskonzepts zu heilen, die nach dem Stand des Vorhabens behebbar sein sollten. 15) Vgl. §§ 45 Abs. 1, 47, 49 Abs. 1, 50, 60 Abs. 1. Nur im gerichtlichen Planabstimmungsverfahren nach §§ 45 f. kann das Gericht einen Vorprüfungstermin auch von Amts wegen bestimmen, wenn dies zweckmäßig ist, § 46 Abs. 3.

Hirschberger/Siepmann

461

18

§ 31 1.

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens

Allgemeine Angaben und drohende Zahlungsunfähigkeit

19

Die Anzeige muss den Schuldner ggf. mit Firma erkennen lassen, damit das Gericht die Restrukturierungsfähigkeit des Schuldners gemäß § 30 und die richterliche Zuständigkeit prüfen kann. Zur Bestimmung des allgemeinen Gerichtsstands und damit der örtlichen Zuständigkeit nach § 35 muss der Schuldner zudem seinen Sitz bzw. Wohnort oder ggf. den abweichenden Mittelpunkt seiner wirtschaftlichen Tätigkeit angeben. Es empfiehlt sich für juristische Personen, einen aktuellen Handelsregisterauszug und erforderlichenfalls einen Vertretungsnachweis beizufügen.

20

Auch wenn § 29 Abs. 1 die drohende Zahlungsunfähigkeit i. S. von § 18 Abs. 2 InsO als Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Instrumente statuiert (siehe dazu § 29 Rz. 31 ff.), setzt die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens gemäß § 31 nicht ausdrücklich voraus, dass zugleich die drohende Zahlungsunfähigkeit angezeigt oder dargelegt werden muss. Im Gesetzgebungsverfahren ist zu Recht kritisiert worden, dass die Norm ungenügend klarstellt, ob die drohende Zahlungsunfähigkeit dem Gericht gegenüber nachzuweisen ist.16) Die Ausschüsse des Bundesrats interpretierten den Gesetzentwurf dahingehend, dass der Antragsteller „nicht einmal den Nachweis der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu erbringen“ habe.17) Der Gesetzgeber hat sich dagegen entschieden, zugleich mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens einen Nachweis der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu fordern. Die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners dürfte sich allerdings mittelbar entweder aus dem darstellenden Teil des beizufügenden Entwurfs des Restrukturierungsplans (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 2) oder aus der Darstellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise, die Bestandteil des ersatzweise beizufügenden Restrukturierungskonzepts ist,18) ergeben.

21

Einer Darlegung der drohenden Zahlungsunfähigkeit bedarf es zwingend also erst bei Beantragung eines Instruments i. S. des § 29 Abs. 2. Allerdings ist dem Schuldner anzuraten, die ihm drohende Zahlungsunfähigkeit schon mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens klar darzulegen und mit einer Liquiditätsplanung zu unterlegen. Dadurch kann die Prüfung eines späteren Antrages zur Inanspruchnahme eines der Instrumente beschleunigt werden. 2.

22

Entwurf eines Restrukturierungsplans (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1)

Damit stellt die Norm höhere Anforderungen an den Entwurf, als man nach allgemeinem Sprachgebrauch erwarten würde. Hiernach wäre zu erwarten, dass eine schriftliche Darstellung der wesentlichen Punkte des Restrukturierungsplans ausreichend ist. Nur wenn ein solcher Entwurf nach dem Stand des angezeigten Vorhabens noch nicht ausgearbeitet und ausgehandelt werden konnte, kann ersatzweise ein Konzept für die Restrukturierung eingereicht werden. Kern der Anzeige ist der Entwurf eines Restrukturierungsplans. Nach dem Wortlaut der Norm muss der einzureichende Entwurf des Restrukturierungsplans „ausgearbeitet und ausgehandelt“ sein. _____________ 16) Frind, ZInsO 2020, 2441, 2443. 17) Empfehlungen der Ausschüsse z. RegE SanInsFoG, BR-Drucks. 619/1/20, S. 8. 18) Vgl. Balthasar, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 18.; Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 31 Rz. 43.

462

Hirschberger/Siepmann

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens

§ 31

Durch die Regelung kommt die gesetzgeberische Vorstellung zum Ausdruck, dass dem Restrukturierungsgericht mit der Anzeige im Idealfall schon ein ausgearbeiteter und ausgehandelter Entwurf des Restrukturierungsplans vorgelegt werden soll. Nur wenn dies noch nicht möglich ist, reicht die Vorlage eines Restrukturierungskonzepts, dessen Anforderungen i. E. näher definiert werden (siehe dazu Rz. 30 ff.). Das Verhältnis von Restrukturierungsplan und Restrukturierungskonzept kommt an anderer Stelle im Gesetz zum Ausdruck: Das Restrukturierungskonzept ist die Basis für einen Restrukturierungsplan (§ 79) und liegt diesem zugrunde (§ 19). Der Plan setzt das Restrukturierungskonzept um (§§ 17 Abs. 3, 51 Abs. 1 Nr. 2).19) Ohne Restrukturierungskonzept kann es daher keinen Planentwurf geben.20) Oberbegriff von Restrukturierungsplan und Restrukturierungskonzept ist ausweislich des § 50 Abs. 2 die Restrukturierungsplanung, wobei hiervon auch die Finanzplanung über einen Zeitraum von sechs Monaten umfasst wird.

23

Die Regelung des § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 beruht auf dem Gedanken, dem Restrukturierungsgericht möglichst viele Informationen zur Beurteilung des Restrukturierungsvorhabens an die Hand zu geben. Für den Schuldner und dessen anwaltliche Vertreter bietet es sich daher in der Praxis an, das Restrukturierungskonzept miteinzureichen, auch wenn schon ein Planentwurf vorgelegt wird. Umgekehrt sollte bei der Einreichung eines Restrukturierungskonzepts ein schon vorhandener Planentwurf miteingereicht werden, auch wenn dieser noch nicht i. S. des Gesetzgebers ausgearbeitet und ausgehandelt ist.

24

Wenn das Restrukturierungsvorhaben zum Zeitpunkt der Anzeige schon so weit gediehen ist, dass der Anzeigende „nur“ den ausgearbeiteten und ausgehandelten Entwurf des Restrukturierungsplans aber kein Restrukturierungskonzept vorlegt, sollten mit der Anzeige auch die wahrscheinlich erforderlichen Instrumente genannt werden, damit sich das Restrukturierungsgericht frühzeitig eine Meinung zu der Verhältnismäßigkeit der geplanten Maßnahmen bilden kann.

25

Kommt der Schuldner den Anforderungen in § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 nicht nach und fügt der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens noch keinen voll ausgereiften Planentwurf und kein entsprechend ausgereiftes Konzept bei, zeigen sich die Auswirkungen erst im weiteren Verlauf. So scheidet insbesondere der Erlass einer Stabilisierungsanordnung aus, wenn kein nachvollziehbares Konzept vorliegt (§ 51 Abs. 1). Allerdings hat der Schuldner dem Antrag auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung ohnehin einen aktualisierten Planentwurf bzw. aktualisiertes Konzept beizufügen (§ 50 Abs. 2 Nr. 1).21)

26

3.

Ersatzweise: Restrukturierungskonzept

Sofern ein Entwurf des Restrukturierungsplans nach dem Stand des angezeigten Vorhabens noch nicht ausgearbeitet und ausgehandelt werden konnte, kann nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 ein Konzept eingereicht werden. _____________ 19) A. A. wohl Gehrlein, BB 2021, 66, 69; Ringelspacher/Ruch, ZRI 2020, 636, 637, die annehmen, dass das Restrukturierungskonzept auf Grundlage des Plans verwirklicht werden soll. 20) Dem IDW erscheint es sprachlich problematisch, ein „Konzept“ als Vorstufe einer Restrukturierungsplanung zu sehen, IDW, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 6. 21) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 135.

Hirschberger/Siepmann

463

27

§ 31

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens

a) Voraussetzungen für das Ausreichen eines Restrukturierungskonzepts 28

Nach dem Wortlaut der Norm kann (nur) dann darauf verzichtet werden, der Anzeige einen Planentwurf beizufügen, wenn „ein Entwurf des Restrukturierungsplans nach dem Stand des angezeigten Vorhabens noch nicht ausgearbeitet und ausgehandelt werden konnte“. Ob diese Voraussetzung vorliegt, wird das Gericht in den seltensten Fällen beurteilen könne. Letztlich kommt es darauf nicht an, da sich keine unmittelbaren Rechtsfolgen daran knüpfen, ob der Schuldner mit der Anzeige einen Planentwurf oder nur ein Konzept für die Restrukturierung vorlegt, und auch nicht daran, ob dieses den Anforderungen entspricht (siehe dazu unten Rz. 62). Der Norm ist nur zu entnehmen, dass der Schuldner dem Gericht mit der Anzeige möglichst umfassende Informationen zum angezeigten Restrukturierungsvorhaben vorlegen soll. In einer frühen Phase des Restrukturierungsvorhabens liegt typischerweise nur ein Konzept für die Restrukturierung vor. Für die Anzeige ist dies ausreichend.

29

Ein Konzept ist auch für die Beantragung einer Stabilisierungsanordnung ausreichend. Bei der in § 51 Abs. 3 vorgesehenen Möglichkeit, dass das Restrukturierungsgericht eine Frist für die Vorlage eines Planentwurfs setzt, handelt es sich nicht um eine Voraussetzung für die Stabilisierungsanordnung, sondern um eine bloße Auflage. Alle anderen Instrumente (gerichtliche Planabstimmung, Vorprüfung und Planbestätigung) haben unmittelbaren Bezug zu dem Restrukturierungsplan. Ihre Beantragung ist nur sinnvoll, wenn der Restrukturierungsplan zumindest schon im Entwurf vorliegt. b) Begriff des Restrukturierungskonzepts

30

§ 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 sieht die Beifügung „eines Konzepts für die Restrukturierung“ vor, „welches auf Grundlage einer Darstellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise das Ziel der Restrukturierung (Restrukturierungsziel) sowie die Maßnahmen beschreibt, welche zur Erreichung des Restrukturierungsziels in Aussicht genommen werden.“

31

Der Begriff des „Konzepts für die Restrukturierung“ findet daneben nur in § 50 Abs. 2 Nr. 1 Verwendung, der unmittelbar auf § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Bezug nimmt. Ansonsten verwendet das Gesetz durchgängig den Begriff Restrukturierungskonzept (in §§ 17 Abs. 3, 19, 33 Abs. 2 Nr. 1, 51 Abs. 1 Nr. 2, 63 Abs. 2, 79). Dabei ist nicht ersichtlich, dass den Formulierungen eine unterschiedliche Bedeutung beizumessen wäre. Die Begründung des RegE verwendet die Begriffe synonym.22)

32

Die Anforderungen an das zusammen mit der Anzeige gemäß § 31 vorzulegende Restrukturierungskonzept sind gering. Ohnehin hat der Gesetzgeber bewusst auf ein formales Eröffnungsverfahren verzichtet, in dessen Rahmen Eröffnungsvoraussetzungen zu prüfen wären,23) und die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache gemäß § 31 Abs. 3 allein an die erfolgte Anzeige geknüpft (siehe unten Rz. 60).24) Zugleich gesteht der Gesetzgeber dem Schuldner zu, dass er je nach Stand der Sa_____________ 22) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 135. 23) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 89, 93. 24) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 138.

464

Hirschberger/Siepmann

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens

§ 31

nierungsbemühungen zunächst nur ein Grobkonzept vorlegt, das „im Zuge der weiteren Anstrengungen und Verhandlungen zu einem detaillierten und operationalisierbaren Vollkonzept heranwächst, das sich dann seinerseits in eine[n] vollständigen Plan übersetzen lässt.“25) Die Vorlage des Sanierungskonzepts zusammen mit der Anzeige dient, wie die Anzeige selbst, dazu, das Gericht in die Lage zu versetzen, sich mit den tatsächlichen Umständen und den Rahmenbedingungen sowie den rechtlichen Fragestellungen vertraut zu machen.26) Hieraus folgt, dass die Vorlage eines möglichst weit ausgearbeiteten und tragfähigen Restrukturierungskonzepts in aller Regel im eigenen Interesse des Schuldners liegt und damit mehr Obliegenheit denn verbindliche Anzeigevoraussetzung ist. Zugleich schafft der Schuldner mit dem eingereichten Restrukturierungskonzept selbst den Maßstab, an dem er sich im weiteren Verlauf des Restrukturierungsverfahrens messen lassen muss.27)

33

Jenseits dessen lassen sich Anhaltspunkte für die an ein Restrukturierungskonzept i. S. des StaRUG zu stellenden Anforderungen aus der Gesetzessystematik ableiten: Nach der Gesetzeskonzeption handelt es sich bei dem Restrukturierungskonzept um ein „Minus“ zum Restrukturierungsplan. Zwar hat der Restrukturierungsplan primär die Änderung der Rechtsstellung und Rechte der Planbetroffenen zum Gegenstand. Insoweit bildet er möglicherweise nur einen Teil eines umfassenderen Restrukturierungskonzepts ab. § 6 Abs. 1 sieht jedoch ausdrücklich vor, dass die nicht über den gestaltenden Teil des Plans umzusetzenden Restrukturierungsmaßnahmen im darstellenden Teil des Restrukturierungsplans gesondert hervorzuheben sind.

34

Hieraus folgt, dass die Anforderungen an das Restrukturierungskonzept jedenfalls nicht über diejenigen hinausgehen, die an einen Restrukturierungsplan zu stellen sind. So sieht § 63 Abs. 1 eine Versagung der gerichtlichen Bestätigung des Restrukturierungsplans aus inhaltlichen Gründen in zwei Fällen vor:

35



Wenn der Schuldner nicht drohend zahlungsunfähig ist oder



wenn die Ansprüche, die den Planbetroffenen durch den gestaltenden Teil des Plans zugewiesen werden, und die durch den Plan nicht berührten Ansprüche der übrigen Gläubiger offensichtlich nicht erfüllt werden können.

Mit beiden Gesichtspunkten muss sich auch ein Restrukturierungskonzept schon in Grundzügen befassen. Zugleich lässt sich § 51 Abs. 1 Satz 2 das Erfordernis der Schlüssigkeit der Restrukturierungsplanung entnehmen.28) Hiernach dürfen die in _____________ 25) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 135. 26) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 134. 27) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 203 f. (zum Konzept für die Durchführung des Insolvenzverfahrens i. R. des § 270a InsO). 28) A. A. Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 31 Rz. 43 unter Verweis auf Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 135. Daraus ergibt sich indes eher, dass das Restrukturierungskonzept zwar noch „grob“ und „nicht ausgereift“ sein darf, nicht jedoch, dass es nicht schlüssig sein muss. Für die hier vertretene Auffassung spricht auch § 33 Abs. 2 Nr. 2, wonach das Restrukturierungsgericht die Restrukturierungssache aufhebt, wenn Umstände bekannt werden, aus denen sich ergibt, dass das Restrukturierungskonzept keine Aussicht auf Erfolgt hat. Ein unschlüssiges Restrukturierungskonzept hat keine Erfolgsaussichten.

Hirschberger/Siepmann

465

36

§ 31

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens

Aussicht genommenen Restrukturierungsmaßnahmen zur Erreichung des Restrukturierungsziels nicht offensichtlich ungeeignet sein. 37

Die Anforderungen des IDW S 629) und die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an Sanierungskonzepte muss das Restrukturierungskonzept hingegen nicht erfüllen. Ebenso wenig ist eine integrierte Sanierungsplanung samt der zur Erreichung des Leitbildes des sanierten Unternehmens zu ergreifenden Maßnahmen mit Vermögens-, Finanz- und Ertragsplanung erforderlich.

38

Am ehesten dürfte eine Orientierung an den Vorgaben des IDW S 9 betreffend die Bescheinigung nach § 270b InsO (a. F.) sinnvoll erscheinen.30) 4.

39

5. 40

Darstellung Verhandlungsstand mit Planbetroffenen (Abs. 2 Satz 1 Nr. 2)

Der Anzeige ist eine Darstellung des Stands der Verhandlungen mit Gläubigern, an dem Schuldner beteiligten Personen und Dritten zu den in Aussicht genommenen Maßnahmen beizufügen. Diese Informationen sollen dem Restrukturierungsgericht nach der Begründung des RegE eine Einschätzung ermöglichen, ob und welchen Rückhalt das Restrukturierungsvorhaben hat und mit welchen Widerständen zu rechnen ist, die ggf. über die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens zu bewältigen sind.31) Es ist daher für jeden einzelnen Gläubiger, dessen Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen, anzugeben, ob dieser vom Schuldner schon auf den von ihm benötigten Sanierungsbeitrag angesprochen wurde und ob er darauf schon reagiert hat, insbesondere durch eine Zusage oder Ablehnung. Wenn die Verhandlungen mit einem Gläubiger über seinen Beitrag noch laufen, kann der Verhandlungsstand durch die Wiedergabe der aktuellen Verhandlungspositionen dargestellt werden. Gleiches gilt für an dem Schuldner beteiligte Personen, deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte durch den Restrukturierungsplan gestaltet oder übertragen werden sollen (vgl. § 2 Abs. 3) und für Dritte, deren Beitrag nach dem Restrukturierungskonzept für das Erreichen des Sanierungsziels erforderlich ist. Darstellung der Vorkehrungen (Abs. 2 Satz 1 Nr. 3)

Nach § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 muss der Schuldner seiner Anzeige eine Darstellung der Vorkehrungen beifügen, die er getroffen hat, um seine Fähigkeit sicherzustellen, seine Pflichten nach dem StaRUG zu erfüllen. Das Gericht soll anhand dieser Darstellung prüfen können, ob der Schuldner ein ernsthaftes und gewissenhaftes Restrukturierungsvorhaben verfolgt, das er auf Grundlage eines Konzepts vorbereitet hat, und ob er in der Lage ist, den umfangreichen Pflichten des § 32 gerecht zu _____________ 29) IDW, Anforderungen an Sanierungskonzepte (IDW S 6) i. d. F. v. 16.5.2018, IDW Life 8/ 2018, S. 813. 30) So auch die Stellungnahme des IDW, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 6. Dem IDW erschienen die Anforderungen, die an das für die Anzeige erforderliche „Restrukturierungskonzept“ gestellt werden, deutlich weniger umfangreich als an ein Sanierungskonzept und wohl eher mit dem in IDW S 9 definierten Grobkonzept als Vorstufe eines Sanierungskonzepts vergleichbar zu sein. 31) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 135.

466

Hirschberger/Siepmann

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens

§ 31

werden. Denn er soll von den ihm im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen zur Verfügung gestellten Instrumentarien im Interesse der Gläubigerschaft verantwortungsvollen Gebrauch machen.32) Nach der Vorstellung des Gesetzgebers muss der Schuldner in der Lage sein, seinen Pflichtbindungen gegenüber den Gläubigern entsprechend zu handeln. Ist er dazu von sich aus nicht in der Lage, hat er sich der Expertise von Beratern zu bedienen. Diese sollen ihn kraft ihrer Erfahrung und Expertise in den Stand versetzen, insbesondere den gläubigerschützenden Verhaltensanforderungen gerecht zu werden.33) Die vom Gesetzgeber geforderte Expertise wird ein Vorstand oder Geschäftsführer bzw. ein Unternehmer selbst in aller Regel nicht haben.34) Ein Restrukturierungsverfahren wird daher praktisch immer die Beauftragung geeigneter Berater erfordern.

41

Hierfür kommen in erster Linie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Betracht. Diese müssen allerdings über besondere Expertise im Bereich des Restrukturierungsund Insolvenzrechts verfügen,35) da es sich hierbei um eine komplexe Spezialmaterie handelt,36) die nicht Bestandteil der juristischen Grundausbildung ist. Richter in Insolvenz- und Restrukturierungssachen sollen, soweit dies zur Erfüllung der jeweiligen Richtergeschäftsaufgabe erforderlich ist, über belegbare Kenntnisse auf den Gebieten des Insolvenzrechts, des Restrukturierungsrechts, des Handels- und Gesellschaftsrechts sowie über Grundkenntnisse der für das Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren notwendigen Teile des Arbeits-, Sozial- und Steuerrechts und des Rechnungswesens verfügen. Entsprechendes muss erst recht für die anwaltlichen Berater des Restrukturierungsschuldners gelten. Eine Tätigkeit des Beraters als Insolvenzverwalter ist aber ebenso wenig zu fordern, wie ein Fachanwaltstitel.

42

Dies bedeutet nicht, dass der Schuldner einen entsprechend geeigneten Berater als Geschäftsführer oder Vorstand bestellen oder ihn zumindest mit einer Generalvollmacht ausstatten müsste. Ebenso geeignet ist eine Beratung durch externe Berater.

43

Neben der anwaltlichen Beratung des Schuldners bietet sich auch eine Beratung durch einen Wirtschaftsprüfer oder einen Unternehmensberater bei der Erstellung des Restrukturierungskonzepts und der Planungsrechnungen an. Welche Anforderungen hierbei zu stellen sind, hängt im Einzelfall von der Größe des schuldnerischen Unternehmens und der Komplexität des Sanierungsvorhabens ab.

44

Für die Darstellung der getroffenen Vorkehrungen sollten der Anzeige Kopien der Mandatsvereinbarungen mit den jeweiligen Beratern beigefügt werden, die den Gegenstand und Umfang des Mandats beschreiben. Wenn der Schuldner Berater

45

_____________ 32) 33) 34) 35)

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 136. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 136 f. In diesem Sinne auch Braun-Haffa/Schuster, StaRUG, § 31 Rz. 18. Vgl. Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 31 Rz. 49, der auch insolvenzrechtliche Expertise verlangt, da die Vorschriften zum Restrukturierungsplan dem Insolvenzplanrecht nachempfunden sind. 36) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 135,. Gemäß der neuen Regelung des § 22 Abs. 6 GVG darf ein Richter auf Probe im ersten Jahr nach seiner Ernennung Geschäfte in Insolvenz- und Restrukturierungssachen nicht wahrnehmen.

Hirschberger/Siepmann

467

§ 31

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens

auswählt, deren einschlägige Expertise dem Gericht nicht bekannt oder offenkundig ist, sollte auch die fachliche Eignung und Erfahrung der Berater nachvollziehbar dargelegt werden. 6.

Angabe zur Einbeziehung von Rechten von Verbrauchern oder KMU (Abs. 2 Satz 2)

46

Der Schuldner hat bei der Anzeige nach § 31 Abs. 2 Satz 2 auch anzugeben, ob die Rechte von Verbrauchern oder von mittleren, kleinen oder Kleinstunternehmen durch das Restrukturierungsvorhaben berührt werden sollen, insbesondere, weil deren Forderungen oder Absonderungsanwartschaften durch einen Restrukturierungsplan gestaltet oder die Durchsetzung dieser Forderungen durch eine Stabilisierungsanordnung vorübergehend gesperrt werden sollen. Diese Angabe ist erforderlich, weil das Restrukturierungsgericht in diesem Fall nach § 73 Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 grundsätzlich von Amts wegen einen Restrukturierungsbeauftragten bestellen muss.

47

Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Forderungen und Rechte von KMU und erst recht von Verbrauchern durch ein präventives Restrukturierungsverfahren in aller Regel nicht beeinträchtig werden und solche Gläubiger in der Regel keinen Beitrag zur Sanierung des Schuldners leisten sollen. Auf Basis der vorliegenden KMU-Definition werden hiervon die weitaus meisten Unternehmen in Europa erfasst.37) Dies unterstreicht, dass Restrukturierungspläne nach dem StaRUG in erster Linie zur finanziellen Restrukturierung von Unternehmen geeignet sind, indem deren Finanzverbindlichkeiten durch einen Restrukturierungsplan gestaltet werden.

48

Die Begriffe Kleinstunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen (die Restrukturierungsrichtlinie spricht zusammenfassend von „KMU“) sind in Deutschland derzeit nicht gesetzlich definiert. Auch die dem StaRUG zugrunde liegende Restrukturierungsrichtlinie definiert die Begriffe nicht, sondern verweist insoweit auf das nationale Recht (Art. 2 Abs. 2 lit. c Restrukturierungsrichtlinie). Der Richtliniengeber hat in den ErwG38) dazu ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten bei der Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen die Richtlinie 2013/34/EU39) oder die Empfehlung 2003/361/EG der Kommission40) betreffend die Definition gebührend berücksichtigen sollen. Die Definitionen dieser Richtlinie und der Empfehlung unterscheiden sich im Wesentlichen in den Grenzwerten der zur Abgrenzung herangezogenen Jahresumsätze und Bilanzsummen.

_____________ 37) Grabitz/Hilf/Nettesheim-Eikenberg, EUV/AEUV, Art. 179 AEUV Rz. 118, spricht von 99 % der Unternehmen, die unter die KMU Definition fallen. 38) ErwG 18 Restrukturierungsrichtlinie. 39) Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates – Bilanzrichtlinie, ABl. (EU) L 182/19 v. 29.6.2013. 40) Empfehlung der Kommission v. 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, ABl. (EU) L 124/36 v. 20.5.2003.

468

Hirschberger/Siepmann

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens

§ 31

Für die Zwecke des Restrukturierungsvorhabens kommt es nur darauf an, ob durch den Restrukturierungsplan auch Gläubiger betroffen werden, die die Grenze zwischen einem großen Unternehmen und einem mittleren Unternehmen unterschreiten. Nach der Definition der Empfehlung 2003/361/EG ist ein Unternehmen kein KMU, wenn es –

mindestens 250 Personen beschäftigt und



entweder mehr als 50 Mio. € Jahresumsatz erzielt oder



eine Jahresbilanzsumme von mehr als 43 Mio. € aufweist.

Hingegen liegt nach der Empfehlung der Richtlinie 2013/34/EU ein KMU nicht vor, wenn das Unternehmen am Bilanzstichtag mindestens zwei der drei folgenden Größenmerkmale überschreitet: –

Bilanzsumme von 20 Mio. €,



Nettoumsatzerlöse von 40 Mio. € und



durchschnittliche Zahl der Beschäftigten von 250.

49

50

Wenn in der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens angegeben wird, dass die Rechte von mittleren, kleinen und Kleinstunternehmen durch das Restrukturierungsvorhaben nicht berührt werden, es dafür aber auf die Auswahl der Definition der KMU ankommt, sollte der Anzeigende in der Anzeige angeben, welche Definition seiner Angabe dazu zugrunde liegt.

51

Ist diese Angabe zu Eingriffen in die Rechte der typischerweise schutzwürdigen Verbraucher oder KMU unterblieben und wird auf anderem Wege bekannt, dass solche Eingriffe beabsichtigt sind, kommt neben der für diesen Fall ohnehin vorgesehenen Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten nach § 73 Abs. 1 Nr. 1 auch eine Aufhebung der Restrukturierungssache gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 3 in Betracht, wenn das Unterbleiben der Anzeige ohne triftigen Grund erfolgte.41)

52

7.

Angabe zu erwartetem Widerstand einer Gruppe (Abs. 2 Satz 3)

Die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten von Amts wegen erfolgt nach § 73 Abs. 2 Satz 1 auch, wenn absehbar ist, dass das Restrukturierungsziel nur gegen den Willen von Inhabern von Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften erreichbar ist, ohne deren Zustimmung zum Restrukturierungsplan eine Planbestätigung allein durch die Fiktion der Zustimmung einer Gruppe nach § 26 möglich ist (siehe dazu i. E. § 73 Rz. 47 f.). Aus diesem Grunde ist schon mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens bei Gericht anzugeben, ob damit zu rechnen ist, dass das Restrukturierungsziel nur gegen den Widerstand einer nach Maßgabe des § 9 zu bildenden Gruppe durchgesetzt werden kann.

53

Hierbei mag es mit Blick auf den angestrebten Einigungsprozess mit den Gläubigern auch eine taktische Überlegung sein, inwieweit ein bis dahin nur erwarteter Widerstand mit der Anzeige dokumentiert wird. Denn jedenfalls die designierten Planbetroffenen werden gemäß § 299 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 38 StaRUG (siehe dazu i. E. § 38 Rz. 53 ff.) Einsicht in die Restrukturierungsakte nehmen und Kenntnis

54

_____________ 41) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 138 f.

Hirschberger/Siepmann

469

§ 31

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens

von dieser Erwartung erlangen können. Ungeachtet dessen ist die Angabe zu dem erwarteten Widerstand einer Gruppe verpflichtend, wobei die Verletzung dieser Pflicht keinen Einfluss auf die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache und damit die Rechtsfolgen der Anzeige hat (siehe dazu Rz. 59). 8. 55

Schließlich hat der Schuldner nach § 31 Abs. 2 Satz 4 frühere Restrukturierungssachen anzugeben und dabei das befasste Gericht und Aktenzeichen zu benennen. Hintergrund dafür ist die Regelung des § 33 Abs. 2 Nr. 4 lit. a. Danach hebt das Restrukturierungsgericht die Restrukturierungssache grundsätzlich auf, wenn der Schuldner in einer früheren Restrukturierungssache schon eine gerichtliche Stabilisierungsanordnung oder Planbestätigung erwirkt hat. Das gilt nur ausnahmsweise dann nicht, wenn der Anlass für die frühere Restrukturierungssache infolge einer nachhaltigen Sanierung bewältigt wurde (§ 33 Abs. 2 Satz 2). Dann können die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nach erneuter Anzeige wieder in Anspruch genommen werden. Allerdings wird gesetzlich vermutet, dass eine nachhaltige Sanierung nicht erfolgt ist, wenn seit dem Ende des Anordnungszeitraums oder der Entscheidung über den Antrag auf Planbestätigung in der früheren Restrukturierungssache weniger als drei Jahre vergangen sind (§ 33 Abs. 2 Satz 3); siehe dazu i. E. § 33 Rz. 58 f. 9.

56

Frühere Restrukturierungssache (Abs. 2 Satz 4)

Vorschlag zur Person des Restrukturierungsbeauftragten

§ 31 sieht nicht vor, dass der Schuldner sich in oder mit der Anzeige zu einem möglichen Restrukturierungsbeauftragten äußert. Nach § 74 Abs. 2 Satz 1 berücksichtigt das Restrukturierungsgericht jedoch bei der Auswahl eines Restrukturierungsbeauftragten nach § 73 Abs. 1 und 2 Vorschläge des Schuldners. Wenn der Schuldner von seinem Vorschlagsrecht Gebrauch machen möchte, sollte er schon mit der Anzeige einen Vorschlag zur Person des Restrukturierungsbeauftragten machen. Das gilt insbesondere, wenn er Voraussetzungen für die obligatorische Bestellung vorgetragen hat (siehe dazu oben Rz. 46 und Rz. 53). Aber auch, wenn noch nicht ersichtlich ist, ob ein Restrukturierungsbeauftragter zu bestellen ist, bietet es sich an, einen Vorschlag zur Person des Restrukturierungsbeauftragten mit der Anzeige zu verbinden, da dessen Bestellung in einem späteren Verfahrensstadium erforderlich werden kann. 10. Erneuerung der Anzeige

57

Aus § 31 Abs. 4 Nr. 4 ergibt sich, dass der Schuldner seine Anzeige des Restrukturierungsvorhabens erneuern kann. Einer solchen Erneuerung bedarf es, damit die Anzeige nicht nach sechs Monaten automatisch ihre Wirkungen verliert (zu den Wirkungen und Rechtsfolgen der Anzeige siehe sogleich unter Rz. 59 ff. und deren Dauer unter Rz. 67 f.). Mit der rechtzeitigen Anzeige kann der Schuldner die Wirkungsdauer seiner ursprünglichen Anzeige einmalig auf zwölf Monate verlängern. Die Erneuerung der Anzeige dürfte eher die Ausnahme bilden, da es sich bei dem Restrukturierungsverfahren – wie beim Insolvenzplanverfahren – seiner Natur nach um ein eilbedürftiges Verfahren handelt und sechs Monate in der Regel für die Durchführung des Restrukturierungsvorhabens ausreichen sollten. 470

Hirschberger/Siepmann

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens

§ 31

An die Erneuerung sind nicht die gleichen Anforderungen zu stellen, wie an die erstmalige Anzeige. Der Schuldner braucht daher bereits angezeigte und beigefügte Informationen nicht zu wiederholen. Auch wenn das Gesetz es nicht ausdrücklich vorsieht, sollte der Schuldner im Falle der Erneuerung eine Begründung für die Erforderlichkeit der Verlängerung und in Anlehnung an § 50 Abs. 2 Nr. 1 einen auf den Tag der Erneuerung aktualisierten Entwurf des Restrukturierungsplans oder ein auf diesen Tag aktualisiertes Restrukturierungskonzept beifügen. Die Rechtsfolge der Erneuerung der Anzeige (Verlängerung ihrer Wirkungen) tritt freilich auch durch eine schlichte Erneuerung ohne jede Begründung oder Aktualisierung und ohne eine Entscheidung des Gerichts ein. Eine unbegründete und nicht aktualisierte Erneuerung der Anzeige mag aber als sonstiger Umstand i. S. des § 33 Abs. 2 Nr. 2 darauf hindeuten, dass das angezeigte Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung mehr hat. Kommt das Restrukturierungsgericht zu diesem Ergebnis, hebt es die Restrukturierungssache auf.

58

V. Rechtsfolge der Anzeige (Abs. 3) § 31 Abs. 3 regelt die wesentliche Rechtsfolge der Anzeige: Mit der Anzeige wird die angezeigte Restrukturierungssache rechtshängig. Diese Rechtsfolge tritt ein, ohne dass es einer Entscheidung durch das Gericht bedarf.42) An die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache knüpfen sich weitere Rechtsfolgen (siehe dazu unten Rz. 63 ff.). 1.

59

Tatbestand

Tatbestandliche Voraussetzung der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ist allein die Anzeige mit dem oben beschriebenen Inhalt (siehe Rz. 10 ff.).43)

60

Das Tatbestandsmerkmal „bei dem zuständigen Restrukturierungsgericht“ des § 31 Abs. 1 (siehe Rz. 11) ist dagegen nicht Voraussetzung der Rechtshängigkeit. Eine Restrukturierungssache wird also auch rechtshängig, wenn sie bei einem unzuständigen Restrukturierungsgericht angezeigt wird. Das ergibt sich einerseits aus dem Wortlaut des § 33 Abs. 4, der nur von der Anzeige spricht. Andererseits folgt dies auch aus § 33 Abs. 1 Nr. 2, wonach das Restrukturierungsgericht die Restrukturierungssache von Amts wegen aufhebt, wenn es für die Restrukturierungssache unzuständig ist (und der Schuldner innerhalb einer vom Restrukturierungsgericht gesetzten Frist keinen Verweisungsantrag gestellt oder die Anzeige zurückgenommen hat). Diese Aufhebung führt nach § 31 Abs. 4 Nr. 3 wiederum dazu, dass die Anzeige ihre Wirkung verliert. Einer solchen Regelung bedürfte es nicht, wenn die Anzeige beim unzuständigen Gericht schon nicht zur Rechtshängigkeit führen würde.

61

Auch die in § 31 Abs. 2 genannten Anforderungen an die Anzeige sind nicht Tatbestandsvoraussetzungen des Absatzes 3. Es ist für die Rechtsfolge der Rechtshängigkeit daher auch unerheblich, ob der beizufügende Entwurf des Restrukturierungsplans oder das ersatzweise beizufügende Restrukturierungskonzept den in § 31 Abs. 2 definierten Anforderungen genügt.44)

62

_____________ 42) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 133 f. 43) So auch ausdrücklich die Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 134. 44) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 136.

Hirschberger/Siepmann

471

§ 31 2.

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens

Rechtsfolge

a) Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache 63

Die primäre Rechtsfolge der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens ist die Rechtshängigkeit der angezeigten Restrukturierungssache. Die Wirkungen der Rechtshängigkeit definiert die ZPO, die über § 38 entsprechend anwendbar ist. Die Anzeige hat nach § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO, § 38 StaRUG insbesondere zur Folge, dass sich die Zuständigkeit des ursprünglich zuständigen Gerichts nicht durch später eintretende Umstände wie eine Sitzverlegung oder einen Wegzug des Schuldners aus dem Bezirk des Gerichts ändert (perpetuatio fori) und dass die Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens an einem anderen Gericht unzulässig ist.45)

64

Mit Eingang der Anzeige als Anknüpfungspunkt46) wird die einheitliche Zuständigkeit eines Gerichts und derselben Abteilung für die Anträge, mit denen der Schuldner die Verfahrenshilfen für die Umsetzung des angezeigten Restrukturierungsvorhabens in Anspruch nehmen möchte, festgelegt. b) Ruhen der Insolvenzantragspflicht (§ 42)

65

Nach § 42 Abs. 1 ruht die Insolvenzantragspflicht des Schuldners während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache. Stattdessen sind die andernfalls Antragspflichtigen in dieser Zeit verpflichtet, dem Restrukturierungsgericht den Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit i. S. des § 17 Abs. 2 InsO oder einer Überschuldung i. S. des § 19 Abs. 2 InsO ohne schuldhaftes Zögern anzuzeigen (siehe i. E. § 42 Rz. 46 ff.). Wenn die Anzeige der Restrukturierungssache nach § 31 Abs. 4 ihre Wirkung verliert, leben die ruhenden Insolvenzantragspflichten wieder auf, § 42 Abs. 4 (siehe i. E. § 42 Rz. 66).

66

Das Recht der Gläubiger, einen Insolvenzantrag über das Vermögen des Schuldners nach §§ 13 Abs. 1 Satz 1 und 2, 14 InsO zu stellen, wird durch die Anhängigkeit der Restrukturierungssache dagegen nicht ausgesetzt. Nach § 58 wird nur das Verfahren über den Gläubigerantrag für die Anordnungsdauer einer Stabilisierungsanordnung nach § 49 ausgesetzt (siehe i. E. § 58 Rz. 12 f.). c) Frist der Wirkungsdauer beginnt zu laufen

67

Nach § 31 Abs. 4 Nr. 4 verliert die Anzeige ihre Wirkung grundsätzlich sechs Monate nach Eingang der Anzeige (siehe Rz. 64). d) Einfluss auf Anfechtungsfristen

68

Nach § 91 wird die Zeit der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache in die Fristen der §§ 3 bis 6a AnfG sowie der §§ 88, 130 bis 136 InsO nicht eingerechnet. VI. Beendigung der Wirkungen der Anzeige (Abs. 4)

69

§ 31 Abs. 4 regelt, unter welchen tatbestandlichen Voraussetzungen die Rechtsfolgen der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens enden. _____________ 45) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 136; Kramer in: BeckOKStaRUG, § 31 Rz. 64; Pannen/Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 31 Rz. 67. 46) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 136.

472

Hirschberger/Siepmann

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens

1.

§ 31

Tatbestand

Nach § 31 Abs. 4 verliert die Anzeige ihre Wirkung, wenn –

70

der Schuldner die Anzeige zurücknimmt,



die Entscheidung über die Planbestätigung rechtskräftig wird,



das Gericht die Restrukturierungssache nach § 33 aufhebt oder



seit der Anzeige sechs Monate oder, sofern der Schuldner die Anzeige zuvor erneuert hat, zwölf Monate vergangen sind.

a) Rücknahme der Anzeige Aus § 31 Abs. 4 Nr. 1 ergibt sich, dass der Schuldner seine Anzeige der Restrukturierungssache jederzeit zurücknehmen kann.47) Mit Eingang der Rücknahme beim zuständigen Restrukturierungsgericht enden die Wirkungen der Anzeige.

71

b) Rechtkraft der Entscheidung über die Planbestätigung Die Wirkungen der Anzeige enden auch mit der Rechtskraft der Entscheidung des Restrukturierungsgerichts über den Antrag des Schuldners auf Bestätigung seines Restrukturierungsplans. Die Regelung bezieht sich auf das Instrument der gerichtlichen Planbestätigung nach §§ 29 Abs. 2 Nr. 4, 60 ff.

72

c) Gerichtliche Aufhebung Auch wenn das Gericht die Restrukturierungssache nach § 33 aufhebt, verliert die Anzeige ihre Wirkung (§ 31 Abs. 4 Nr. 3).

73

d) Fristablauf Schließlich verliert die Anzeige ihre Wirkung, wenn seit der Anzeige sechs Monate oder, sofern der Schuldner die Anzeige zuvor erneuert hat, zwölf Monate vergangen sind. Zur Erneuerung der Anzeige siehe oben Rz. 57. 2.

74

Rechtsfolge

Die Rechtsfolge der oben genannten, tatbestandlichen Voraussetzungen beschreibt das Gesetz damit, dass die Anzeige ihre Wirkungen verliert.

75

Wenn bereits eine Stabilisierungsanordnung ergangen ist, bevor die Anzeige ihre Wirkung verliert, hebt das Gericht diese nach Beendigung der Wirkungen der Anzeige auf (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1).

76

Soweit schon Termine für die übrigen Instrumente festgesetzt wurden, hebt das Gericht diese nach Beendigung der Wirkungen der Anzeige auf. Denn nach § 31 Abs. 1 ist die Voraussetzung einer Inanspruchnahme die Anzeige.

77

Als mittelbare Folge leben auch die ruhenden Insolvenzantragspflichten wieder auf, § 42 Abs. 4 (siehe Rz. 65).

78

_____________ 47) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 136.

Hirschberger/Siepmann

473

§ 32

Pflichten des Schuldners

§ 32 Pflichten des Schuldners Janjuah/Tangermann

(1) 1Der Schuldner betreibt die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers und wahrt dabei die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger. 2Insbesondere unterlässt er Maßnahmen, welche sich mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbaren lassen oder welche die Erfolgsaussichten der in Aussicht genommenen Restrukturierung gefährden. 3Mit dem Restrukturierungsziel ist es in der Regel nicht vereinbar, Forderungen zu begleichen oder zu besichern, die durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen. (2) 1Der Schuldner teilt dem Gericht jede wesentliche Änderung mit, welche den Gegenstand des angezeigten Restrukturierungsvorhabens und die Darstellung des Verhandlungsstands betrifft. 2Hat der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung nach § 49 erwirkt, teilt er auch unverzüglich wesentliche Änderungen mit, welche die Restrukturierungsplanung betreffen. 3Ist ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, bestehen die Pflichten nach den Sätzen 1 und 2 auch gegenüber dem Restrukturierungsbeauftragten. (3) 1Während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ist der Schuldner verpflichtet, dem Restrukturierungsgericht den Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Absatz 2 der Insolvenzordnung unverzüglich anzuzeigen. 2Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, für deren Verbindlichkeiten keine natürliche Person als unmittelbarer oder mittelbarer Gesellschafter haftet, steht der Zahlungsunfähigkeit eine Überschuldung im Sinne des § 19 Absatz 2 der Insolvenzordnung gleich.*) (4) Der Schuldner ist verpflichtet, dem Gericht unverzüglich anzuzeigen, wenn das Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat, insbesondere, wenn infolge der erkennbar gewordenen ernsthaften und endgültigen Ablehnung des vorgelegten Restrukturierungsplans durch Planbetroffene nicht davon ausgegangen werden kann, dass die für eine Planannahme erforderlichen Mehrheiten erreicht werden können. Literatur: Arens, Das SanInsFoG – Änderungen im Pflichtenregime für Geschäftsleiter, GWR 2021, 64; Bauer, Keine Business Judgment Rule für Insolvenzverwalter, ZIP 2020, 2272; Bea/Dressler, Business Judgement Rule versus Gläubigerschutz? – Praktische Erwägungen zur Organhaftung im Kontext des StaRUG, NZI 2021, 67; Birnbreier, Sorgfaltspflichten der Geschäftsführung während der Vornahme von Restrukturierungsmaßnahmen, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 25; Bitter, Geschäftsleiterhaftung in der Insolvenz – Alles neu durch SanInsFoG und StaRUG?, ZIP 2021, 321; Brinkmann, Die Haftung der Geschäftsleiter in der Krise nach dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungsund Insolvenzrechts (SanInsFoG), ZIP 2020, 2361; Brünkmans, Geschäftsleiterpflichten

_____________ *)

474

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 32 Abs. 3 Satz 2 die Wörter „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft.

Janjuah/Tangermann

§ 32

Pflichten des Schuldners

und Geschäftsleiterhaftung nach dem StaRUG und SanInsFoG – Nachtrag zu ZInsO 2021, 1 ff., ZInsO 2021, 125; Brünkmans, Geschäftsleiterpflichten und Geschäftsleiterhaftung nach dem StaRUG und SanInsFoG, ZInsO 2021, 1; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Göb/Nebel, Aktuelle gesellschaftsrechtliche Fragen in Krise und Insolvenz, NZI 2020, 988; Guntermann, Neuausrichtung der Geschäftsleiterpflichten bei drohender Zahlungsunfähigkeit?, WM 2021, 214; Hoegen/Kranz, Neue Möglichkeiten der Konzernsanierung durch SanInsFoG und StaRUG, NZI 2021, 105; Korch, Restrukturierungsgesellschaftsrecht – Zur Überformung des Gesellschaftsrechts durch den StaRUGRegierungsentwurf, NZG 2020, 1299; Kuntz, Geschäftsleiterhaftung bei drohender Zahlungsunfähigkeit nach StaRUG, ZIP 2021, 597; Paulus, Der Wandel von einem gläubigerzentrierten zum einem schuldnerzentrierten Sanierungsansatz unter dem StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 9; Schluck-Amend/Hefner, Das StaRUG und seine Auswirkungen auf die Geschäftsleiterhaftung, ZRI 2020, 570; Schmidt, J., Gesellschaftsrecht – RestruktRL: StaRUG-Regierungsentwurf zur Umsetzung in Deutschland, EuZW 2020, 955; Scholz, Die Krisenpflichten von Geschäftsleitern nach Inkrafttreten des StaRUG, ZIP 2021, 219; Schulz, Haftungs- und Pflichtenregime für Geschäftsleiter in der Krise – Was bringt das SanInsFoG?, NZI 2020, 1073; Schulz/Rüsing, Haftungs- und Pflichtenregime für Geschäftsleiter in der Krise – Was bringt das SanInsFoG?, NZI 2021, 76; Seibt/Bulgrin, Entwurf zum Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) – Kritische Analyse aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, DB 2020, 2226; Smid, Innen- und Außenhaftung des Geschäftsleiters bei Inanspruchnahme des Restrukturierungsrahmens durch die schuldnerische Gesellschaft nach § 43 StaRUG, ZInsO 2021, 117; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Weber/Dömmecke, Das Haftungsregime des StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 27. Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: Thole, Stellungnahme als Sachverständiger zur öffentlichen Anhörung am 25.11.2020 im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags zu dem Gesetzentwurf des SanInsFoG (BRDrucks. 619/20) und dem Antrag der FDP-Fraktion (BT-Drucks. 19/20560) sowie zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BT-Drucks. 19/24379), v. 18.11.2020, abrufbar unter https://www.bundestag.de/ausschuesse/a06_Recht/anhoerungen#url= L2F1c3NjaHVlc3NlL2EwNl9SZWNodC9hbmhvZXJ1bmdlbi9zYW5pbnNmb2ctODA 5MDI0&mod=mod554370 (Abrufdatum: 23.8.2021). Übersicht I. II. III. IV.

Einführung ........................................... 1 Normzweck ........................................... 2 Normhistorie ...................................... 10 Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ...................................... 19 V. Verhaltenspflichten des Schuldners ....................................................... 22 1. Betreiben der Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (Abs. 1) ..................................... 26 a) Allgemeiner Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers (Abs. 1 Satz 1) ................. 29 b) Unternehmerisches Ermessen (Business Judgement Rule) ......... 33

c) Unterlassen von Maßnahmen, welche sich mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbaren lassen oder welche die Erfolgsaussichten der Restrukturierung gefährden (Abs. 1 Satz 2) ........................................... 37 d) Keine Begleichung oder Besicherung von Forderungen, die durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen ........ 44 e) Weitere Sorgfaltspflichten des Schuldners .................................... 46 aa) Pflicht zur sachgerechten Durchführung des Verfahrens .... 47 bb) Verfahrensförderungspflicht des Schuldners .............................. 48

Janjuah/Tangermann

475

§ 32

2. 3.

I. 1

Pflichten des Schuldners

cc) Pflicht des Schuldners zur Wahrheitsgemäßheit der von ihm abzugebenden Erklärung ...................................... 50 Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit ........................... 53 Anzeigepflichten des Schuldners (Abs. 2 bis 4) ....................................... 59

a) Pflicht zur Anzeige wesentlicher Änderungen (Abs. 2) ........... 60 b) Pflicht zur Anzeige bei Eintritt einer Insolvenzreife (Abs. 3) ....... 63 c) Pflicht zur Anzeige bei fehlender Aussicht auf Erfolg (Abs. 4) ......................................... 68 VI. Rechtsfolge ......................................... 73

Einführung

§ 32 regelt die Grundpflichten des Schuldners nach Anzeige der Restrukturierungssache. Der Schuldner hat die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers zu betreiben und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren (§ 32 Abs. 1). Dabei hat der Schuldner dem Restrukturierungsgericht und ggf. dem Restrukturierungsbeauftragten jede wesentliche Änderung mitzuteilen, die den Gegenstand des angezeigten Restrukturierungsvorhabens, die Darstellung des Verhandlungsstands und/oder die Restrukturierungsplanung betrifft (§ 32 Abs. 2). Der Schuldner ist zudem verpflichtet, dem Restrukturierungsgericht den Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit bzw. einer Überschuldung unverzüglich anzuzeigen (§ 32 Abs. 3). Schließlich ist der Schuldner verpflichtet, dem Restrukturierungsgericht unverzüglich anzuzeigen, wenn das Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung (mehr) hat (§ 32 Abs. 4). II. Normzweck

2

Die Instrumentarien des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens werden zur Verwirklichung ernsthafter, die Interessen der Gläubigerschaft wahrender Restrukturierungsvorhaben bereitgestellt, die folglich auch mit der gebotenen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit betrieben werden müssen.1) Insbesondere soll der Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen nicht zur Verzögerung und Verschleppung des im Interesse der Gläubiger gebotenen Krisenbewältigungsprozesses missbraucht werden dürfen oder gar dazu, gläubigergefährdende oder -benachteiligende Maßnahmen durchzuführen.2) Dieser Pflichtenbindung des Schuldners selbst bedarf es, weil daran die mögliche Aufhebung der Restrukturierungssache gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 3 geknüpft wird.3)

3

Hintergrund dieser besonderen Pflichten ist, dass der Schuldner mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens zum Ausdruck bringt, dass er drohend zahlungsunfähig ist und zur Bewältigung dieser drohenden Zahlungsunfähigkeit die Instrumente des präventiven Restrukturierungsrahmens in Anspruch nehmen möchte.4) Dadurch erfährt die Schutzwürdigkeit der Gläubigerinteressen eine weitere Steigerung im Vergleich zum Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit, denn die

_____________ 1) 2) 3) 4)

476

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 136. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 137. Thole, ZIP 2020, 1985, 1993. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 146 – zu § 45 RegE; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 8.

Janjuah/Tangermann

§ 32

Pflichten des Schuldners

Instrumente des Restrukturierungsrahmens sind auf – zum Teil erhebliche – Eingriffe in Rechtspositionen der Gläubiger5) ausgerichtet.6) Hinzu kommt, dass der Schuldner und dessen Geschäftsleiter mit den neu eingeführten Regelungen (insbesondere zum Restrukturierungsplan und zu den begleitenden Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumenten) – anders als im förmlichen Rahmen des Insolvenzverfahrens – weitergehende Freiheiten bei der eigenverantwortlichen Gestaltung und Organisation des Gesamtprozesses erhalten. So stehen dem Schuldner bspw. weitgehende verfahrensrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Frage zu, welche Gläubiger als Planbetroffene in einen Restrukturierungsplan einbezogen werden (§ 7) und in welche Gruppen diese eingeteilt werden (vgl. § 8) (siehe hierzu i. E. § 7 Rz. 3 ff. und § 8 Rz. 6 ff.).

4

Vor diesem Hintergrund war der Gesetzgeber bei Schaffung des neuen Rechtsrahmens darauf bedacht, die sich neu ergebende Gestaltungs- und Organisationsfreiheit bei der Erwirkung von Rechtsfolgen durch entsprechende Handlungspflichten des Schuldners und entsprechende Haftungsvorschriften zu flankieren. Hierdurch soll die Rückbindung an das Ziel, die Interessen der Gläubiger zu wahren, und deren Vorrang vor Unternehmens- und Gesellschafterinteressen sichergestellt werden.7)

5

Die Vorschrift des § 32 statuiert dabei die Grundpflichten des Schuldners, an deren Verletzung sich insbesondere die Aufhebung der Restrukturierungssache und damit die Versagung des Zugangs zu den Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens knüpfen kann (§ 33 Abs. 2 Nr. 1 – 3). Damit soll ausweislich der RegE ein zweckentsprechender Gebrauch der Instrumente des Rahmens sichergestellt sowie Fehlgebrauch und Missbrauch vermieden werden.8)

6

Die Pflicht des Schuldners gemäß § 32 Abs. 2, dem Gericht jede wesentliche Änderung mitzuteilen, welche den Gegenstand des angezeigten Restrukturierungsvorhabens und die Darstellung des Verhandlungsstands betrifft, versteht sich vor dem Hintergrund, dass es zu Beginn eines Vorhabens nicht immer möglich sein wird, ein voll ausgereiftes und durchverhandeltes Konzept oder gar einen Planentwurf zu präsentieren.9)

7

Die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens stehen insolvenzreifen Unternehmen grundsätzlich nicht zur Verfügung (vgl. § 33 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1). Deshalb ist der Schuldner nach § 32 Abs. 3 verpflichtet, eine eingetretene Insolvenzreife unverzüglich anzuzeigen, um dem Gericht die Möglichkeit der Prüfung zu geben, ob die Restrukturierungssache aufzuheben ist oder ob die Inanspruch-

8

_____________ 5) 6) 7)

8) 9)

S. insbesondere gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidungen (§ 26) oder Stabilisierungsanordnungen (§ 49). Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 8. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 137; vgl. auch Smid, ZInsO 2021, 117, 121: „Auch die sachgerechte Durchführung des Verfahrens ist – gerade vor dem Hintergrund der privatautonomen und stark eigenverantwortlichen Ausgestaltung des StaRuG – wesentliche Geschäftsleiterpflicht“. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 136. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 137, Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 9.

Janjuah/Tangermann

477

§ 32

Pflichten des Schuldners

nahme der Instrumente trotz Insolvenzreife ausnahmsweise weiterhin ermöglicht werden soll.10) 9

Hat das angezeigte Vorhaben keine Aussicht auf Erfolg, insbesondere, weil erkennbar ist, dass ihm die Unterstützung seitens derjenigen fehlt, von deren Zustimmung die Umsetzbarkeit des Vorhabens abhängt, besteht nach der Regierungsbegründung kein Anlass dafür, dem Schuldner weiterhin die Instrumentarien des Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmens zur Verfügung zu stellen.11) Vor diesem Hintergrund ist der Schuldner gemäß § 32 Abs. 4 verpflichtet, dies dem Restrukturierungsgericht unverzüglich anzuzeigen. III. Normhistorie

10

11

12

Bei der Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie12) bestand für den Gesetzgeber eine wesentliche Aufgabe darin, den konkreten Zeitpunkt zu bestimmen, in dem das Gläubigerinteresse die bis dahin geltende Orientierung am Gesellschafterinteresse verdrängt und den Maßstab für die Geschäftsleiterpflichten neu justieren soll (sog. shift of fiduciary duties).13) Die Restrukturierungsrichtlinie führt hierzu aus, dass es bei einer drohenden Insolvenz des Schuldners auch darauf ankommt, die berechtigten Interessen der Gläubiger vor Managemententscheidungen zu schützen, die sich auf die Zusammensetzung des Schuldnervermögens auswirken können, insbesondere wenn diese Entscheidungen eine weitere Wertminderung des Vermögens bewirken könnten, das für Restrukturierungsmaßnahmen oder für die Verteilung an die Gläubiger zur Verfügung steht.14) Darüber hinaus haben die Mitgliedstaaten gemäß Art. 19 Restrukturierungsrichtlinie lediglich sicherzustellen, dass die Geschäftsleitung im Falle einer wahrscheinlichen Insolvenz die Interessen der Gläubiger, Anteilsinhaber und sonstigen Interessenträger gebührend berücksichtigt.15) Die Restrukturierungsrichtlinie gibt dabei nicht vor, wie die Interessen der Unternehmensbeteiligten zu gewichten sind, insbesondere, ob und ab welchem Zeitpunkt der Schuldner bzw. die Geschäftsleiter vorrangig die Interessen der Gläubigergesamtheit zu wahren haben.16) Mit dem RegE17) wurde ein neues Grundkonzept betreffend die Pflichten der Geschäftsleiter bei Eintritt einer drohenden Zahlungsunfähigkeit vorgestellt, das äußerst _____________ 10) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 137; Schulz, NZI 2020, 1073, 1078; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 9. 11) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 138; vgl. auch Smid, ZInsO 2021, 117, 124. 12) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. 13) Birnbreier, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 25, 26; vgl. hierzu auch Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2364; Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 106. 14) ErwG 70 der Restrukturierungsrichtlinie. 15) Vgl. auch ErwG 71 der Restrukturierungsrichtlinie. 16) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 118; Birnbreier, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 25, 26; Guntermann, WM 2021, 214, 221. 17) RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181.

478

Janjuah/Tangermann

§ 32

Pflichten des Schuldners

kontrovers diskutiert wurde. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 RegE sollten die Geschäftsleiter bereits ab dem Eintritt einer drohenden Zahlungsunfähigkeit verpflichtet sein, die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren (sog. shift of fiduciary duties). Dabei sollten die Geschäftsleiter ab diesem Zeitpunkt nicht mehr in erster Linie dem Schuldner, sondern der Gläubigergesamtheit verpflichtet sein.18) Dies sollte unabhängig davon gelten, ob zu diesem Zeitpunkt bereits ein Restrukturierungsverfahren rechtshängig ist. Hintergrund dieser Regelung war, dass die Interessen der Gläubiger materiell bereits mit Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit gefährdet werden, ohne dass diese wie die Geschäftsleitung gegensteuern könnten.19) Im Rahmen der bei unternehmerischen Entscheidungen anzustellenden Interessenabwägung sollten die Gläubigerinteressen in Abhängigkeit von dem jeweiligen Krisenstadium zu gewichten sein und sich zunehmend zu konkreten Handlungspflichten verdichten.20) Im Konfliktfall sollte den Interessen der Gläubigerschaft bereits in diesem Stadium zudem der Vorrang vor den Interessen anderer Stakeholder, insbesondere der Gesellschafter, eingeräumt werden (vgl. § 2 Abs. 4 RegE).21) Die durch die Vorschrift begründete Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen sollte dabei ausweislich der Regierungsbegründung als Korrektiv für die im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit den Geschäftsleitern zukommende Macht dienen, Entscheidungen zu treffen, die sich zulasten der Gläubiger als Residualberechtigte am Unternehmensvermögen auswirken.22) Darüber hinaus sollte die Regelung die Schutzlücke schließen, die sich aus der Einschränkung des Anwendungsbereichs des Überschuldungstatbestands durch die Verkürzung des maßgeblichen Zeitraums für die Fortführungsprognose auf zwölf Monate (§ 19 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 InsO) ergibt.23) In der gesellschaftsrechtlichen Rezeption wurde der „shift of fiduciary duties“ bereits mit dem Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit jedoch als „systembrechender Paradigmenwechsel“ und „gravierender Eingriff in das geltende Recht“ empfunden.24)

13

Die im RegE enthaltene Grundkonzeption hat sich im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz mit Blick auf ihr unklares Verhältnis zu den im Gesellschaftsrecht verankerten Sanierungspflichten nicht durchsetzen können.25) Auf Empfehlung des Rechtsausschusses wurden die Regelungen der §§ 2, 3 RegE vielmehr ersatzlos gestrichen und deren Pflichtenkatalog in § 43 Abs. 1 übernommen.26) Die nahezu

14

_____________ 18) Weber/Dömmecke, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 27, 28; Göb/Nebel, NZI 2020, 988, 989. 19) Vgl. hierzu Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 93 und 95; Schulz, NZI 2020, 1073, 1076. 20) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 106; Korch, NZG 2020, 1299, 1301; Guntermann, WM 2021, 214, 215; Birnbreier, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 25, 26. 21) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 108. 22) Korch, NZG 2020, 1299, 1301; Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 105. 23) Guntermann, WM 2021, 214, 215; Birnbreier, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 25, 26. 24) Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2364; Mülbert/Wilhelm, Börsen-Zeitung v. 23.10.2020, S. 10; J. Schmidt, EuZW 2020, 955; Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2231; a. A. Thole, ZIP 2020, 1985, 1987; Thole, Stellungnahme v. 18.11.2020, S. 4; Bauer, ZIP 2020, 2272, 2277. 25) Birnbreier, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 25, 26. 26) Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 106.

Janjuah/Tangermann

479

§ 32

Pflichten des Schuldners

ersatzlose Streichung begründete der Rechtsausschuss damit, dass etwaige Haftungslücken bereits durch die gesellschaftsrechtlichen Pflichten und Haftungsregelungen aufgefangen würden. Erst ab Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache sei eine ausdrückliche Ausrichtung auf das Gläubigerinteresse erforderlich (§§ 32, 43).27) 15

Der Gesetzgeber hat sich somit dafür entschieden, dass der Schuldner bzw. die Geschäftsleiter erst nach Rechtshängigmachung des Restrukturierungsverfahrens die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren und damit vorrangig zu berücksichtigen haben. Die finale Fassung des Gesetzes hat aus Sicht der Geschäftsleiter den Vorteil, dass der Zeitpunkt, ab dem der Pflichtenumschwung eintritt, besser beherrschbar ist.28) Die entsprechenden, während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache einzuhaltenden Grundpflichten des Schuldners sind dabei in § 32 beschrieben und strahlen (nach Streichung der §§ 2, 3 RegE nunmehr allein) insbesondere über § 43 in die Organpflichten aus.29)

16

Im Zuge der nationalen Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie hat die Vorschrift des § 32 – neben einigen kleineren redaktionellen bzw. klarstellenden Änderungen – lediglich eine größere Streichung im Hinblick auf die in § 32 Abs. 3 geregelte Anzeigepflicht des Schuldners bei Eintritt der Insolvenzreife erfahren. So war im RefE30) in § 32 Abs. 3 in den Sätzen 3 und 4 noch geregelt, dass während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache Forderungen, die durch den Plan gestaltet werden sollen, bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung in der Höhe und mit der Fälligkeit zugrunde zu legen sind, die sie durch den Plan erhalten sollen, wenn hinreichende Aussichten auf die Annahme und Bestätigung des Restrukturierungsplans bestehen.

17

Diese Regelung ist im RegE entfallen. Eine entsprechende Formulierung findet sich nunmehr in der Regierungsbegründung zu § 33 Abs. 2 Nr. 1, der die Aufhebung der Restrukturierungssache durch das Restrukturierungsgericht regelt, wenn der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nach § 32 Abs. 3 angezeigt hat.31) Im Gegenzug ist in der Regierungsbegründung zum jetzigen § 32 jedoch die Ergänzung aufgenommen worden, dass eine Überschuldung nicht vorliegt und die Restrukturierungssache weiterbetrieben werden kann, wenn die Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels eine, wenn auch auf den erfolgreichen Abschluss der Restrukturierungssache bedingte, Fortführungsprognose vermitteln.32) _____________ 27) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 6. 28) Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 106; ob für die Anzeige der Restrukturierungssache die Zustimmung des Gesellschafterorgans erforderlich ist, wird in der Literatur uneinheitlich beantwortet, dafür Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2236; vgl. aber Gehrlein, BB 2021, 66, 71, wonach entgegenstehende Weisungen unbeachtlich sein sollen; ebenso Desch, BB 2020, 2498, 2501; Thole, ZIP 2020 1985, 1986 (die beiden Letztgenannten allerdings jeweils noch zum RefE); s. hierzu ausführlich § 43 Rz. 75 ff. 29) Vgl. Thole, ZIP 2020, 1985, 1993 (allerdings noch zum RefE). 30) RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 31) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 139. 32) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 137.

480

Janjuah/Tangermann

§ 32

Pflichten des Schuldners

In diesem Fall hat demnach auch keine Anzeige an das Restrukturierungsgericht zu erfolgen (siehe dazu i. E. unten Rz. 65). Darüber hinaus ist die Norm des § 32 im Gesetzgebungsprozess im Wesentlichen unverändert geblieben.

18

IV. Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache Als Grundvoraussetzung knüpfen die in § 32 normierten Verhaltenspflichten des Schuldners tatbestandlich an die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache an. Dies spiegelt auch die gesetzgeberische Entscheidung wider, dass der Schuldner bzw. die Geschäftsleiter erst nach Rechtshängigmachung des Restrukturierungsverfahrens die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren und anderen Interessen voranzustellen haben (siehe hierzu bereits Rz. 15).

19

Rechtshängig wird die Restrukturierungssache gemäß § 31 Abs. 3 mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim Restrukturierungsgericht. Dabei setzt die Rechtshängigkeit die formgerechte Anzeige der Restrukturierungssache mit den nach § 31 Abs. 2 erforderlichen Anlagen, insbesondere den Entwurf eines Restrukturierungsplans oder -konzepts (§ 31 Abs. 2 Nr. 1) voraus (siehe hierzu i. E. § 31 Rz. 10 ff., 59 ff.).33)

20

Die Rechtshängigkeit endet, wenn die Anzeige ihre Wirkung verliert (§ 31 Abs. 4). Das ist der Fall, wenn der Schuldner sie zurücknimmt (§ 31 Abs. 4 Nr. 1), die Entscheidung über die Planbestätigung rechtskräftig wird (§ 31 Abs. 4 Nr. 2), das Gericht die Restrukturierungssache nach § 33 aufhebt (§ 31 Abs. 4 Nr. 3) oder seit der Anzeige sechs Monate oder, sofern der Schuldner die Anzeige zuvor erneuert hat, zwölf Monate vergangen sind (§ 31 Abs. 4 Nr. 4).

21

V. Verhaltenspflichten des Schuldners Inhaltlich betrifft § 32 die Verhaltenspflichten des Schuldners nach Anzeige der Restrukturierungssache.34) Mit Anzeige des Restrukturierungsvorhabens werden dem Schuldner gemäß § 32 besondere Pflichten, insbesondere die nachfolgend noch näher zu erörternden Sanierungsbetreibungs- und Anzeigepflichten, auferlegt. Insbesondere hat der Schuldner die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers zu betreiben und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren. Zu den Verpflichtungen des Schuldners respektive der Geschäftsleitung bereits vor Anzeige der Restrukturierungssache und i. Ü. s. die Kommentierung zu § 1 Rz. 1 ff. und § 43 Rz. 43 ff.

22

Mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim Restrukturierungsgericht werden darüber hinaus gemäß § 32 Abs. 2 bis 4 verschiedene Informations- und Anzeigepflichten des Schuldners ausgelöst, deren Einhaltung der Geschäftsleiter zu

23

_____________ 33) Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 10; vgl. auch die Streichung von § 33 Abs. 1 Nr. 3 RefE durch den RegE (dort in § 35 Abs. 1). Im RefE war noch vorgesehen, dass das Gericht dem Schuldner nach Anzeige des Restrukturierungsvorhabens eine Frist zur Vorlage eines Restrukturierungsplanes oder eines ausgereiften und schlüssigen Restrukturierungskonzepts setzen konnte. 34) Paulus spricht insoweit treffend von einem „eigenständigen Pflichtenkorsett“ (Paulus, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 9).

Janjuah/Tangermann

481

§ 32

Pflichten des Schuldners

beachten hat. Hintergrund dieser Informations- und Anzeigepflicht ist, das Restrukturierungsgericht in die Lage zu versetzen, die Restrukturierungssache von Amts wegen aufzuheben, insbesondere wenn die Insolvenzreife eingetreten ist, die Erfolgsaussichten der Restrukturierung geschwunden sind (vgl. § 33 Abs. 1 Nr. 1, 3, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2) oder der Schuldner gegen wesentliche Sanierungspflichten aus § 32 Abs. 1 verstoßen hat (§ 33 Abs. 2 Nr. 3).35) 24

Die nach Anzeige des Restrukturierungsvorhabens dem Schuldner auferlegten Pflichten haben zudem mittelbare Auswirkungen über die gesellschaftsinterne Legalitätspflicht, indem sie über § 43 in die Organpflichten ausstrahlen (siehe dazu § 43 Rz. 8).36) Die aus der allgemeinen Pflicht zur Befolgung rechtlicher Vorschriften folgende Bindung des Geschäftsleiters an die Einhaltung der Pflichten des § 32 Abs. 1 wird dadurch besonders hervorgehoben.37)

25

Unklar bleibt allerdings, ob sich an eine Pflichtverletzung, etwa über § 823 Abs. 2 BGB, auch eigene Schadensersatzansprüche der Gläubiger gegen den Schuldner anschließen können (also nicht nur die Innenhaftung der Organe gegenüber dem Schuldner gemäß § 43).38) Dann könnte sich in einer Folgeinsolvenz die Frage der Einordnung unter § 38 InsO stellen, soweit sich nachrangige Insolvenzgläubiger oder Anteilseigner auf einen derartigen Schadenersatzanspruch berufen.39) 1.

Betreiben der Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (Abs. 1)

26

Zunächst hat der Schuldner – und gemäß § 43 unmittelbar auch der Geschäftsleiter – mit Anzeige des Restrukturierungsvorhabens die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers zu betreiben und dabei die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger (siehe hierzu unten Rz. 53 ff.) zu wahren (§ 32 Abs. 1 Satz 1).

27

Gemeinsam mit der Pflicht zur Unterlassung von Maßnahmen, welche sich mit dem Ziel des angezeigten Restrukturierungskonzepts nicht vereinbaren lassen oder welche die Erfolgsaussichten der in Aussicht genommene Restrukturierung gefährden, statuieren diese die Grundpflichten des Schuldners/Geschäftsleiters nach Anzeige der Restrukturierungssache.40)

28

Vor diesem Hintergrund und da ausweislich der Regierungsbegründung die Instrumentarien des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens zur Verwirklichung _____________ 35) Brünkmans, ZinsO 2021, 1, 8. 36) Gehrlein, BB 2021, 66, 75; Thole, ZIP 2020, 1985, 1987; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 8; SchluckAmend/Hefner, ZRI 2020, 570, 579. 37) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 8 – zu § 43; Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 127. 38) Thole, ZIP 2020, 1985, 1993; dagegen: Scholz, ZIP 2021, 219, 226, nach dem ungeachtet ihres gläubigerschützenden Charakters im Hinblick auf Geschäftsleiter weder § 43 Abs. 1 Satz 1 noch § 32 Abs. 1 als Schutzgesetze i. S. des § 823 Abs. 2 BGB zu qualifizieren sind; abl. auch Braun-Riggert, StaRUG, § 32 Rz. 15, mit der Begründung, § 32 Abs. 1 Satz 1 ziele nicht auf den Schutz der Rechte einzelner Gläubiger. 39) Thole, ZIP 2020, 1985, 1993. 40) Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 8.

482

Janjuah/Tangermann

§ 32

Pflichten des Schuldners

ernsthafter, die Interessen der Gläubigerschaft wahrender Restrukturierungsvorhaben bereitgestellt werden,41) muss die Restrukturierungssache folglich auch mit der gebotenen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit betrieben werden. Dabei handelt es sich bei der damit verbundenen Pflicht zur Wahrung der Interessen der Gläubigerschaft jedoch „weder um eine rigorose Insolvenzantragspflicht noch um ein striktes Zahlungsverbot“.42) a) Allgemeiner Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers (Abs. 1 Satz 1) Die Formulierung in § 32 Abs. 1 Satz 1 („Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers“) entspricht vielmehr derjenigen in § 43 Abs. 1 Satz 1 zur Innenhaftung der Organe gegenüber dem Schuldner (siehe hierzu i. E. § 43 Rz. 18, 42) und ähnelt den Sorgfaltsanforderungen an GmbH-Geschäftsführer und Vorstände in § 43 Abs. 1 GmbHG („Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes“) und § 93 Abs. 1 AktG („Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“), wobei die beiden letztgenannten Begriffe eines „ordentlichen Geschäftsmannes“ und eines „ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ gleichzusetzen sind.43) Dort schuldet der Geschäftsführer die Sorgfalt, die ein ordentlicher Geschäftsmann in verantwortlich leitender Position bei selbstständiger Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen zu beachten hat.44) Dabei sind Art und Größe des Unternehmens und u. U. auch der Unternehmenszweck zu berücksichtigen.45) Übertragen auf die Situation des Schuldners im Verfahren nach dem StaRUG und die Betonung der Gläubigerinteressen lässt sich folgern, der Schuldner habe zu handeln wie ein für die Gläubiger tätiger, selbstständiger, treuhänderischer Verwalter fremden Vermögens.46)

29

Zur Ausfüllung des konkreten Sorgfaltsmaßstabs können dabei zunächst die nachstehend näher beleuchteten (siehe unten Rz. 37 ff. und Rz. 44 ff.), in § 32 Abs. 1 Satz 2, 3 normierten Regelbeispiele herangezogen werden. Welche weiteren Pflichten sich darüber hinaus für den Schuldner aus der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ergeben, ist mit Blick auf den in § 32 Abs. 1 Satz 1 beschriebenen Sorgfaltsmaßstab im Einzelfall zu bestimmen.47) Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass die Sanierungssituationen im Einzelnen zu verschieden

30

_____________ 41) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 136. 42) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 105 – zu § 2 RegE. 43) Baumbach/Hueck-Beurskens, GmbHG, § 43 Rz. 8; Rowedder/Schmidt-Leithoff-Schnorbus, GmbHG, § 43 Rz. 13; OLG Celle, Urt. v. 15.3.2000 – 9 U 209/99, NZG 2000, 1178, 1179; Altmeppen, GmbHG, § 43 Rz. 3. 44) Scholz-Schneider, GmbHG, § 43 Rz. 33; Baumbach/Hueck-Beurskens, GmbHG, § 43 Rz. 8; Altmeppen, GmbHG, § 43 Rz. 3; OLG Celle, Urt. v. 15.3.2000 – 9 U 209/99, NZG 2000, 1178, 1179; OLG Zweibrücken, Urt. v. 22.12.1998 – 8 U 98/98, NZG 1999, 506, 507. 45) Scholz-Schneider, GmbHG, § 43 Rz. 83; OLG Hamm, Beschl. v. 21.6.1985 – 4 Ws 163/85, NStZ 1986, 119; OLG Zweibrücken, Urt. v. 22.12.1998 – 8 U 98/98, NZG 1999, 506, 507. 46) Braun-Riggert, StaRUG, § 32 Rz. 3; Weber/Dömmecke, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 27, 29. 47) Ähnlich Guntermann, WM 2021, 214, 219, und Thole, ZIP 2020, 1985, 1993, die davon sprechen, dass im Wesentlichen offen bleibe, welche Verhaltensweisen vom Schuldner bzw. von der Geschäftsleitung im konkreten Fall verlangt werden.

Janjuah/Tangermann

483

§ 32

Pflichten des Schuldners

sind, als dass abstrakt-generelle Verhaltensanforderungen formuliert werden könnten.48) 31

Dabei ist allgemein zu beachten, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit unterschiedliche Krisenstadien abdeckt. Dessen Spektrum reicht dabei von einem erst in zwei Jahren zu erwartenden Zahlungsausfall bis hin zu einer unmittelbar bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit. Für derart unterschiedliche Sanierungssituationen kommen naturgemäß unterschiedliche Gegenmaßnahmen zur Bewältigung der sich in der drohenden Zahlungsunfähigkeit manifestierenden Krise in Betracht. Während es im erstgenannten Szenario für die Wahrung der Gläubigerinteressen ausreichen kann, verlustträchtige Geschäftstätigkeiten einzustellen oder verlustbringende Unternehmensteile zu veräußern, können im zweitgenannten Szenario strikte Maßnahmen der Massesicherung erforderlich werden.49) Auch könnte eine größere Investition des Schuldners, die sich im Laufe des darauffolgenden Jahres amortisiert und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit perspektivisch als gewinnbringende Geschäftschance zu bewerten ist, im zweitgenannten Szenario als Verletzung der Sorgfaltspflichten des Schuldners zu werten sein, während die gleiche Rechtshandlung im erstgenannten Szenario mit dem hier in Rede stehenden Sorgfaltsmaßstab vereinbar sein könnte.

32

Mit zunehmender Vertiefung der Krise des Schuldners im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit verdichtet sich also auch der Pflichtenkreis der Geschäftsleiter und die Sorgfaltspflichten des Schuldners werden entsprechend an einem strengeren Maßstab zu messen sein. Während zu Beginn des 24-monatigen Prognosezeitraums, auf den sich die drohende Zahlungsunfähigkeit bezieht, entsprechend der zur Verfügung stehenden Vielzahl an Alternativen in aller Regel ein derart breites Ermessen bestehen wird, dass sich die dem Grunde nach bestehende Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen kaum zu konkreten Handlungs- oder Unterlassungspflichten verdichtet, wird sich das Ermessen beim Übergang zur Zahlungsunfähigkeit verengen.50) So werden insbesondere die zu Beginn des Prognosezeitraums bestehenden Unklarheiten über die konkrete Gestalt einer erforderlich werdenden Finanzierung solange keine besonderen Pflichten auslösen, wie kein Anlass besteht, an der Refinanzierungsfähigkeit des Schuldners zu zweifeln.51) Andererseits dürften in der Praxis selten Fälle vorkommen, in denen bereits eine drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt, an einer Refinanzierungsfähigkeit indes keine Zweifel bestehen. b) Unternehmerisches Ermessen (Business Judgement Rule)

33

Bei der Wahrnehmung der gesetzlichen Pflichten gemäß § 32 Abs. 1 steht dem Schuldner bzw. den Geschäftsleitern nach hier vertretener Ansicht52) ein sog. unterneh-

_____________ 48) 49) 50) 51) 52)

484

Guntermann, WM 2021, 214, 219. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 105 – zu § 2 RegE. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 105 – zu § 2 RegE. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 105 – zu § 2 RegE. Ebenso: Scholz, ZIP 2021, 219, 224; Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 68; Guntermann, WM 2021, 214, 219 f.; a. A. Kuntz, ZIP 2021, 597, 607 ff.

Janjuah/Tangermann

§ 32

Pflichten des Schuldners

merisches Ermessen53) zu. Konkretisiert wurde dieser ursprünglich durch die Rechtsprechung entwickelte und als Business Judgement Rule bezeichnete Handlungsspielraum der Geschäftsleiter einer Gesellschaft durch Einfügen des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG.54) Demgemäß liegt eine Pflichtverletzung nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Der Anwendungsbereich der Business Judgement Rule umfasst dabei ebenfalls Geschäftsführer der GmbH.55) Im Ergebnis stellt die Business Judgement Rule eine Haftungsprivilegierung für Organe einer Gesellschaft dar. Auch beim Ob und Wie der Bewältigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit und der ihr zugrunde liegenden Ursachen handelt es sich im Kern um eine unternehmerische Entscheidung.56) Das betont auch die Restrukturierungsrichtlinie in ErwG 70.57) Daher gelten auch hier im Ausgangspunkt die Grundsätze für die Beurteilung der Ausübung des unternehmerischen Ermessens durch die Geschäftsleitung entsprechend. Allerdings bringt es der auf den Schutz der Gläubigerinteressen gerichtete Schutzzweck mit sich, dass spätestens ab Einleitung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens Risiken nicht mehr in demselben Maß eingegangen werden dürfen, wie dies vor Einleitung der Restrukturierungssache der Fall ist.58) Auch bei der Anwendung der Business Judgement Rule verschieben sich daher im Verlauf einer Krise i. R. des Tatbestandsmerkmals „zum Wohle der Gesellschaft“ die Abwägungsparameter zugunsten der Gläubigerinteressen, sodass Maßnahmen zu unterlassen sind, die geeignet sind, die im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit angelegte Gefährdung der Gläubigerinteressen weiter zu vertiefen.59)

34

Insofern modifiziert das StaRUG die Business Judgement Rule. Der zuzubilligende Ermessensspielraum ist überschritten, wenn Kosten oder Risiken in Kauf genommen werden, die mit dem auf die Wahrung der Gläubigerinteressen zugeschnittenen Schutzzweck nicht mehr vereinbar sind.60) Konkret sollen die Geschäftsleiter einerseits ermutigt werden, wirtschaftlich vertretbare Sanierungsentscheidungen zu treffen, andererseits sollen die Unternehmensbeteiligten vor den Folgen von Leitungsentscheidungen bewahrt werden, mit denen die Krisenbewältigung ver-

35

_____________ 53) Für die AG: BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck), ZIP 1997, 883 = NJW 1997, 1926; Scholz-Schneider/Crezelius, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 43 Rz. 53 m. w. N. 54) Gesetz zur Unternehmensintegrität und zur Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), v. 22.9.2005, BGBl. I 2005, 2802. 55) BGH, Urt. v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, ZIP 2002, 2314 = NJW 2003, 358; BGH, Beschl. v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675 = NJW 2008, 3361. 56) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 106 f. 57) ErwG 70 der Restrukturierungsrichtlinie. 58) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 120; Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 68. 59) Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 68; vgl. auch Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/ 24181, S. 106. 60) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 107, unter Verweis auf BGH, Urt. v. 12.3.2020 – IX ZR 125/17, Rz. 27 f., NZI 2020, 671; Schulz, NZI 2020, 1073, 1076.

Janjuah/Tangermann

485

§ 32

Pflichten des Schuldners

schleppt oder die Krise verschärft wird.61) Den legitimen Haftungserwartungen der Gläubigerschaft ist dabei im Zweifel der Vorrang einzuräumen vor den Interessen der Anteilsinhaber.62) Dies gilt umso mehr je konkreter die Insolvenz sich abzeichnet und je stärker die Gläubigeransprüche gefährdet sind.63) 36

Zur Ausfüllung des konkreten Sorgfaltsmaßstabs können zudem die in § 32 Abs. 1 Satz 2, 3 normierten Regelbeispiele herangezogen werden. c) Unterlassen von Maßnahmen, welche sich mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbaren lassen oder welche die Erfolgsaussichten der Restrukturierung gefährden (Abs. 1 Satz 2)

37

Gemäß § 32 Abs. 1 Satz 2 hat die Schuldnerin Maßnahmen zu unterlassen, welche sich mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbaren lassen oder welche die Erfolgsaussichten der Restrukturierung gefährden.

38

Zu unterlassen sind also zunächst Maßnahmen, die sich mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbaren lassen. Nach der Legaldefinition des § 31 Abs. 2 Nr. 1 ist das Restrukturierungsziel definiert als das Ziel des angezeigten Restrukturierungskonzepts bzw. des Restrukturierungsplans. Mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens formuliert der Schuldner somit selbst das Restrukturierungsziel und den Sanierungsfahrplan, an dem sich das unternehmerische Handeln des Schuldners nunmehr auszurichten hat.64) Aus dem Wortlaut ergibt sich zudem, dass es bei § 32 Abs. 1 Satz 2 um die Verwirklichung des konkret im Zuge der Anzeige vorgelegten Restrukturierungskonzepts bzw. Restrukturierungsplans geht. Das ist insofern sachgerecht, als es dem Schuldner nicht möglich sein soll, mit wolkigen Hinweisen auf eine vermeintliche Sanierungsförderlichkeit Maßnahmen vorzunehmen, die zu dem angestrebten Konzept nicht passen.65) Die Abgrenzung, was mit dem konkreten Restrukturierungskonzept vereinbar oder nicht vereinbar ist, wird dennoch nicht einfach zu treffen sein.66) Da sich das vorgelegte Restrukturierungskonzept bzw. der Restrukturierungsplan während des Verfahrens noch ändern kann, etwa weil die Planbetroffenen nur bereit sind, einen angepassten oder alternativen Restrukturierungsplan zu unterstützen, kann sich dies auch auf die Pflichten gemäß § 32 Abs. 1 Satz 2 auswirken.

39

Darüber hinaus sind Maßnahmen zu unterlassen, welche die Erfolgsaussichten der Restrukturierung gefährden. So könnte bspw. der Verkauf eines Geschäftsbereichs zu unterlassen sein, wenn sich eine nachhaltige Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners ohne diesen nicht mehr erreichen lässt. Denkbar wäre auch, dass bestimmte Maßnahmen das Vertrauensverhältnis zu den vom Plan betroffenen Gläubigern derart stark belasten, dass diese die Umsetzung des Restrukturierungsplans nicht mehr unterstützen. Zu denken wäre da z. B. an die Rückführung _____________ 61) 62) 63) 64) 65) 66)

Vgl. ErwG 70 und 71 der Restrukturierungsrichtlinie; Schulz, NZI 2020, 1073, 1076. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 107. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 107. Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 8. So zutreffend Thole, ZIP 2020, 1985, 1993. Thole, ZIP 2020, 1985, 1993.

486

Janjuah/Tangermann

§ 32

Pflichten des Schuldners

eines – nicht vom Restrukturierungsplan betroffenen – Gesellschafterdarlehens, durch die sich die Finanzgläubiger, deren Forderungen im Restrukturierungsplan wiederum gestaltet werden sollen, unangemessen benachteiligt fühlen. Zudem hat der Schuldner bzw. der Geschäftsleiter die Folgen einer Inanspruchnahme eines Instruments des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens (§ 29 Abs. 2) sorgfältig abzuwägen. Führt die Einbeziehung von Lieferantenforderungen in eine Stabilisierungsanordnung etwa zur Kündigung oder zur Kürzung der Linien durch die Warenkreditversicherer, sind die Folgen – etwa die Liquiditätsverluste durch Reduzierung von Zahlungszielen oder ein Umstellen auf Vorkasse – für die Sanierung genau abzuwägen, da in diesem Fall eine Gefährdung der Erfolgsaussichten der Restrukturierung im Raum stehen könnte.67) Bei Ausübung des den Geschäftsleitern zuzubilligenden Entscheidungsermessen (siehe oben Rz. 33) sind also Nutzen, Chancen und Risiken einer bestimmten Maßnahme daraufhin abzuwägen, dass die in Aussicht genommene Restrukturierung nicht gefährdet wird. Eine ordnungsgemäße Abwägung der Risiken der Maßnahme dürfte folglich nicht ergeben, dass das Restrukturierungsziel in Anbetracht der bestehenden Risiken mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht mehr erreichbar wäre. Dabei gilt, dass die Risikoaffinität des Schuldners stetig abzunehmen hat, umso weiter die Krise fortgeschritten ist (siehe oben Rz. 34). Die Gefahr, dass Geschäftsleiter risikoreich zulasten der Gläubiger agieren, existiert vor allem dann, wenn sie selbst an der schuldnerischen Gesellschaft beteiligt sind oder die Interessen einer anderen Partei berücksichtigen. In dieser Situation besteht angesichts des Interessenkonflikts, in dem sie sich befinden, ein Anreiz, zu eigenen Gunsten zu handeln.68)

40

Andererseits ist dies nicht gleichzusetzen mit dem bei Vorliegen einer Insolvenzantragspflicht bestehenden Masseschmälerungsverbot (vgl. § 15b InsO), da sich die Perspektive im Restrukturierungsverfahren (insbesondere nachhaltige Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit) von derjenigen im Insolvenzverfahren (insbesondere bestmögliche Befriedigung der Gläubiger) deutlich unterscheidet. So dürften bspw. Investitionen in die Reparatur von Maschinen oder Anlagen, die Teil des Restrukturierungskonzepts und zur Erreichung des Restrukturierungsziels erforderlich sind, abhängig nach den Umständen des Einzelfalls grundsätzlich keinen Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten des Schuldners gemäß § 32 Abs. 1 darstellen.

41

Dabei bleibt allerdings unklar, wie sich dies zu dem in § 29 allgemein als Ziel ausgegebenen „nachhaltigen Beseitigen der drohenden Zahlungsunfähigkeit“ verhält, denn eine kurzfristig sinnvolle Maßnahme mag der nachhaltigen, längerfristigen Sanierung im Einzelfall auch schaden.69) Wenn sich der Schuldner bspw. dazu entschließt einen gewinnbringenden Geschäftsteil abzustoßen, mag dies zur Schließung einer kurzfristigen Liquiditätslücke sinnvoll erscheinen, könnte aber die Erfolgsaussichten der Restrukturierung insofern gefährden, als dass sich das Restrukturierungsziel ohne diesen Geschäftsteil u. U. nicht mehr erreichen lässt.

42

_____________ 67) Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 8. 68) Kuntz, ZIP 2021, 597, 604. 69) Thole, ZIP 2020, 1985, 1993.

Janjuah/Tangermann

487

§ 32 43

Pflichten des Schuldners

Der offene Wortlaut des § 32 Abs. 1 Satz 2 macht darüber hinaus deutlich, dass davon nicht nur Maßnahmen erfasst werden, die in Ausübung der Möglichkeiten des Restrukturierungsrahmens getroffen werden. Es sollen auch Maßnahmen der Unternehmensführung „bei Gelegenheit“ ausscheiden, die von außen kommend die Restrukturierung gefährden und dadurch die Ernsthaftigkeit und Gewissenhaftigkeit des Restrukturierungsverfahrens70) zu konterkarieren drohen (z. B. Abschluss neuer hochriskanter Geschäfte, bei denen der Verlust so hoch wäre, dass die Erfolgsaussichten der Restrukturierung gefährdet sind).71) d) Keine Begleichung oder Besicherung von Forderungen, die durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen

44

Eine teilweise Konkretisierung, welche Maßnahmen mit dem konkreten Restrukturierungskonzept vereinbar sind, ergibt sich hierbei aus § 32 Abs. 1 Satz 3. Danach ist es in der Regel nicht mit dem Restrukturierungsziel vereinbar, Forderungen zu begleichen oder zu besichern, die durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen. Veranlasst der Schuldner einen solchen Vermögensabfluss oder wirkt ihm nicht ausreichend entgegen, liegt somit ein Verstoß gegen die vorstehenden Sorgfaltspflichten des Schuldners vor. Dies ist insofern sachgerecht, als dass die Gestaltung der betreffenden Forderung zwangsläufig Teil des vom Schuldner vorgelegten jeweiligen Restrukturierungskonzepts bzw. -plans ist und die Bedienung oder Besicherung einer derartigen Forderung eine entsprechende Abweichung zulasten der anderen Gläubiger, mithin eine Gläubigerungleichbehandlung bedeutet. Beispielsweise verstößt eine Nachbesicherung von bestehenden Altverbindlichkeiten, die durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen, gegen die Sorgfaltspflichten des Schuldners gemäß § 32 Abs. 1.

45

Entsprechend wird so auch die Gleichbehandlung der Gläubigergruppe gesichert.72) Umgekehrt folgt daraus allerdings kein Zugriffsverbot für die Gläubiger, solange nicht im Verfahren nach §§ 49 ff. eine Stabilisierung angeordnet ist.73) e) Weitere Sorgfaltspflichten des Schuldners

46

Darüber hinaus treffen den Schuldner weitere konkrete Verhaltenspflichten während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache. aa) Pflicht zur sachgerechten Durchführung des Verfahrens

47

Zunächst ist insbesondere die sachgerechte Durchführung des Verfahrens – gerade vor dem Hintergrund der privatautonomen und stark eigenverantwortlichen Ausgestaltung des StaRUG – wesentliche Schuldner- bzw. Geschäftsleitungspflicht.74) Diese Pflicht folgt aus den allgemeinen Sorgfaltspflichten des Schuldners gemäß § 32. Die sachgerechte Wahrnehmung der Instrumente des Stabilisierungs- und Restruktu_____________ 70) 71) 72) 73) 74)

488

Vgl. zum Regelungszweck: Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 134. Guntermann, WM 2021, 214, 219. Thole, ZIP 2020, 1985, 1993. Thole, ZIP 2020, 1985, 1993. Smid, ZInsO 2021, 117, 122.

Janjuah/Tangermann

§ 32

Pflichten des Schuldners

rierungsrahmens beurteilt sich aufgrund der durch das Gesetz dazu getroffenen Regelungen.75) bb) Verfahrensförderungspflicht des Schuldners Aus der Pflicht zur sachgerechten Durchführung des Verfahrens folgt auch eine allgemeine Verpflichtung des Schuldners, den Gesamtprozess zu fördern. Insbesondere ist der Schuldner gehalten, das Verfahren auch in zeitlicher und organisatorischer Hinsicht mit dem Ziel einer erfolgreichen Bestätigung des Restrukturierungsplans bestmöglich voranzutreiben und zu fördern.76) So ist der Schuldner verpflichtet, durch eine entsprechende Organisation, Vorbereitung und Planung die Voraussetzungen dafür zu schaffen, einen annahmefähigen Restrukturierungsplan vorzulegen und die Restrukturierung in möglichst kurzer Zeit umsetzen zu können.

48

Dies ist auch insofern konsequent, als dass die Insolvenzantragspflichten während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache suspendiert sind (§ 42 Abs. 1). Gelingt dies dem Schuldner erkennbar nicht, etwa, weil er es versäumt einen plausiblen Restrukturierungsplan oder eine schlüssige Finanzplanung vorzulegen, kann dies die Annahme rechtfertigen, dass der schuldnerische Restrukturierungswille es an der erforderlichen Ernsthaftigkeit fehlen lässt, und dass der Schuldner die Restrukturierungssache nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers betreibt.77)

49

cc) Pflicht des Schuldners zur Wahrheitsgemäßheit der von ihm abzugebenden Erklärung Aus der Sorgfaltspflicht, die nach § 32 Abs. 1 Satz 1 die schuldnerische Gesellschaft und damit ihre Geschäftsleiter trifft, folgt unmittelbar, dass die Angaben, die mit der Anzeige der Restrukturierungssache nach § 31 Abs. 2 gegenüber dem Restrukturierungsgericht zu erfolgen haben, wahrheitsgemäß sein müssen.78) Nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 muss der Schuldner sich u. a. mit einer Darstellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise erklären. Das schließt zwingend die Vorlage des entsprechenden Zahlenmaterials zum Beleg dafür ein, dass eine drohende Zahlungsfähigkeit eingetreten ist.79) Dieser Liquiditätsplan muss auf zutreffenden Zahlen beruhen. Dabei verstößt selbstverständlich jede Form von Verschleierung der Verhältnisse gegen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers.80) Die Wahrheitspflicht des Schuldners ergibt sich zudem aus allgemeinen Regelungen (§ 138 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 38).81) _____________ Smid, ZInsO 2021, 117, 122. Braun-Riggert, StaRUG, § 32 Rz. 4. Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 8. Smid, ZInsO 2021, 117, 122. Vgl. Smid, ZInsO 2021, 117, 123, der ebenfalls Nachweise dafür verlangt, dass nicht bereits eine Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO oder eine Überschuldung nach § 19 InsO eingetreten ist. S. dazu Rz. 65. 80) Vgl. auch Begr. RegE SanInsFoG z. § 34 Abs. 1 StaRUG, S. 136 f.; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 8. 81) Smid, ZInsO 2021, 117, 123. 75) 76) 77) 78) 79)

Janjuah/Tangermann

489

50

§ 32

Pflichten des Schuldners

51

Denkbar sind z. B. auch unrichtige und/oder verschleiernde Angaben über die Vermögensverhältnisse des Schuldners i. R. eines Antrags auf Anordnung einer Stabilisierungsmaßnahme gemäß § 50 bspw. im Hinblick auf den Finanzplan für die nächsten sechs Monate (§ 50 Abs. 2 Nr. 2) oder den Umfang der Verbindlichkeiten (§ 50 Abs. 3 Nr. 1) mit dem Zweck, eine die Gläubiger belastende Stabilisierungsanordnung zu erwirken.82)

52

Die Wahrheitspflicht greift zudem auch für die dem Restrukturierungsplan beizufügende Begründung der Erklärung des Schuldners nach § 14 Abs. 1 zu den Aussichten darauf, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners durch den Plan beseitigt wird und dass die Bestandsfähigkeit des Schuldners sicher- oder wiederhergestellt wird.83) Denn die von § 14 Abs. 1 geforderte Begründung fordert die Verität der zugrunde zu legenden Daten über die wirtschaftliche Lage des Schuldners.84) 2.

Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit

53

Gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 hat der Schuldner zudem mit Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim Betreiben der Restrukturierungssache die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren.

54

Dabei ist weitgehend unklar, was konkret unter dem Begriff der „Interessen der Gläubigergesamtheit“ im Kontext des neuen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens zu verstehen ist. Auch die Restrukturierungsrichtlinie verhält sich hierzu nicht weiter. Zwar können die entsprechenden Begrifflichkeiten aus dem Insolvenz- bzw. Eigenverwaltungsverfahren gewisse Anhaltspunkte bieten. Diese sind jedoch vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Blickwinkel im Vergleich zum hier gegenständlichen Stabilisierungs- und Restrukturierungsverfahren entsprechend zu modifizieren.

55

Soweit möglich, dürfte der Schuldner zur Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit grundsätzlich verpflichtet sein, ein Restrukturierungskonzept zu verfolgen, das nur erforderliche Beiträge der betroffenen Gläubiger vorsieht und notwendige Beiträge auf Seiten der Gesellschafter sucht. Wie das Verhältnis zwischen Gesellschafter- und Gläubigerinteressen aufzulösen ist, kann dabei allerdings nur für den Einzelfall entschieden werden. Bei einer ex post-Betrachtung im späteren Haftungsprozess gegen die Geschäftsleiter droht eine Rückschauverzerrung (hindsight bias), sodass es Aufgabe von Rechtsprechung und Lehre sein wird, den Pflichtengehalt fallgruppenartig zu konkretisieren.85)

56

Gemäß den in § 1 InsO formulierten Zielen ist das Gesamtgläubigerinteresse im Insolvenzverfahren grundsätzlich als das Interesse der Gläubiger des Schuldners an einer bestmöglichen und gleichmäßigen Befriedigung ihrer Forderungen unter Wahrung berechtigter Schuldnerinteressen zu qualifizieren.86) Dies lässt sich jedoch _____________ 82) 83) 84) 85) 86)

490

Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 8. Smid, ZInsO 2021, 117, 123. Smid, ZInsO 2021, 117, 123. Thole, ZIP 2020, 1985, 1987. Vgl. Kern in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 1; Braun-Herzig, InsO, § 78 Rz. 2.

Janjuah/Tangermann

§ 32

Pflichten des Schuldners

nicht 1:1 auf den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen übertagen. Zwar spielt die bestmögliche Gläubigerbefriedigung durch den Restrukturierungsplan auch bei der Bestimmung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger eine Rolle. Anders als im Insolvenzverfahren handelt es sich beim Restrukturierungsrahmen allerdings nicht um ein Gesamtvollstreckungsverfahren mit dem Ziel der möglichst hohen, gleichmäßigen Befriedigung aller (unbesicherten) Gläubiger. Vielmehr soll über den Restrukturierungsplan die drohende Zahlungsunfähigkeit nachhaltig beseitigt und das Fortbestehen des schuldnerischen Unternehmens langfristig gesichert werden. Die Geschäftsleiter haben dabei die Aufgabe, den Unternehmenswert im Interesse sämtlicher Interessengruppen in der Summe zu steigern, d. h. insbesondere zugunsten von Anteilseignern und Gläubigern.87) Dabei ist unter mehreren zur Wahl stehenden Varianten diejenige zu wählen, welche die Ansprüche der Gläubiger wahrscheinlich am wenigsten beeinträchtigt.88) Entsprechend stellt die bestmögliche Gläubigerbefriedigung zwar ein wichtiges, nicht aber das entscheidende Kriterium bei der Bestimmung der Gesamtgläubigerinteressen i. S. des § 32 Abs. 1 dar. Anders als im Insolvenzverfahren sind etwa die Rechtspositionen der Absonderungsberechtigten bei der Bestimmung des Gläubigerinteresses im Restrukturierungsrahmen nicht ausgeklammert. Das Gläubigerinteresse betrifft demnach nicht nur diejenigen Gläubiger, die in einem (hypothetischen) Insolvenzverfahren Insolvenzgläubiger (§ 38) wären. Dies folgt insbesondere daraus, dass die Gläubigerrechte im Restrukturierungsrahmen differenzierter zu betrachten sind. Beispielsweise könnte ein Asset, an dem Absonderungsberechtigte besichert sind, für diese einen höheren Wert im Going-Concern-Szenario haben als im relevanten Alternativ- bzw. Liquidationsszenario. Ohne Einbeziehung der Interessen der absonderungsberechtigten Gläubiger in den Begriff des Gesamtgläubigerinteresses könnten Maßnahmen erfolgen, die in Übereinstimmung mit der Betreibenspflicht zwar im Interesse aller unbesicherten Gläubiger aber nicht im Interesse der absonderungsberechtigten Gläubiger wären (bspw. der Abverkauf von Waren und die Besicherung neuer Waren zugunsten eines neuen Gläubigers oder sonstige Maßnahmen, die die Sicherheitenposition der betreffenden Gläubiger aushöhlen). Die Rechtsposition der absonderungsberechtigten Gläubiger wäre bei einem entsprechenden Verständnis zudem auch insofern gefährdet, als es im StaRUG – anders als im Insolvenz(eröffnungs)verfahren – keinen (vorläufigen) Insolvenzverwalter gibt, der dafür sorgt, dass die Rechte der absonderungsberechtigten Gläubiger gewahrt bleiben. Schließlich handelt es sich beim Restrukturierungsrahmen gerade nicht um ein Gesamtvollstreckungsverfahren sondern um ein teilkollektives Verfahren, indem vom Grundsatz her die Interessen aller Gläubiger zu wahren sind. Im Ergebnis hat der Schuldner somit auch die Interessen der absonderungsberechtigten Gläubiger i. R. seiner Betreibenspflichten gemäß § 32 Abs. 1 zu wahren.

57

Allerdings ergibt sich aus dem Zusammenspiel der §§ 27, 28 ein grundsätzliches Rangverhältnis zwischen den Gläubigern und den Gesellschafter(-gläubigern) des Schuldners. Denn nach der Regel der absoluten Priorität gemäß § 27 Abs. 1

58

_____________ 87) Kuntz, ZIP 2021, 597, 607. 88) Kuntz, ZIP 2021, 597, 607.

Janjuah/Tangermann

491

§ 32

Pflichten des Schuldners

Nr. 2 ist eine Gruppe von Gläubigern dann angemessen am Planwert beteiligt, wenn weder ein planbetroffener Gläubiger, der ohne einen Plan in einem Insolvenzverfahren mit Nachrang gegenüber den Gläubigern der Gruppe zu befriedigen wäre, noch der Schuldner oder eine an dem Schuldner beteiligte Person einen nicht durch Leistung in das Vermögen des Schuldners vollständig ausgeglichenen wirtschaftlichen Wert erhält. Zudem ist es gemäß § 28 Abs. 2 nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen möglich,89) den Inhabern von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten entgegen § 27 Abs. 1 Nr. 2 Werte zuzuweisen. Daraus ergibt sich, dass die Interessen der Gesellschafter(-gläubiger) grundsätzlich nur dann gewahrt werden sollen, wenn diese im Einklang mit den Interessen der planbetroffenen Gläubiger stehen (siehe auch oben Rz. 53 ff.). 3. 59

Anzeigepflichten des Schuldners (Abs. 2 bis 4)

§ 32 Abs. 2 – 4 enthält weitere Anzeigepflichten für den Schuldner, die zu einer Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 führen können. a) Pflicht zur Anzeige wesentlicher Änderungen (Abs. 2)

60

Nach § 32 Abs. 2 Satz 1 hat der Schuldner dem Gericht jede wesentliche Änderung im Hinblick auf die angezeigte Restrukturierungssache und der Darstellung des Verhandlungsstands mitzuteilen. Hat der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung nach § 49 erwirkt, hat er gemäß § 32 Abs. 2 Satz 2 auch unverzüglich wesentliche Änderungen mitzuteilen, welche die Restrukturierungsplanung betreffen. Ist ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, bestehen diese Pflichten auch gegenüber dem Restrukturierungsbeauftragten.

61

Die vorstehenden Anzeigepflichten verstehen sich vor dem Hintergrund, dass zu Beginn eines Restrukturierungsvorhabens nicht immer ein voll ausgereiftes und durchverhandeltes Restrukturierungskonzept oder gar ein Entwurf für den fertigen Restrukturierungsplan vorgelegt werden kann, sondern dieses im Prozessverlauf an Konturen gewinnt oder gar wesentlich geändert wird.90)

62

Aus dieser Verpflichtung folgt ausweislich der Regierungsbegründung daher auch, dass der der Anzeige beigefügte Planentwurf oder das ihm beigefügte Konzept dem Fortgang der Restrukturierungssache, insbesondere dem Stand der Verhandlungen mit den Betroffenen bei Fortschritten entsprechend zu konkretisieren und zu aktualisieren ist (§ 32 Abs. 2 Satz 1). Darüber hinaus stellt die Regelung in Satz 2 sicher, dass sich die Verpflichtung des Schuldners nach (§ 32 Abs. 2 Satz 1 in dem besonderen Fall einer bereits erwirkten Stabilisierungsanordnung gemäß §§ 49 ff. auch auf solche Änderungen erstreckt, die die Restrukturierungsplanung betreffen.91) Somit kann das Restrukturierungsgericht i. R. einer in die Rechte der betroffenen _____________ 89) Dies betrifft gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 den Fall, dass die Mitwirkung des geschäftsführenden Gesellschafters an der Fortführung des Unternehmens unerlässlich ist und gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 2 den Fall, dass – wie dort beschrieben – die Eingriffe in die Gläubigerrechte nur geringfügig sind. 90) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 137; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 9. 91) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 137; Smid, ZInsO 2021, 117, 123.

492

Janjuah/Tangermann

§ 32

Pflichten des Schuldners

Gläubiger in besonderem Maße eingreifenden Stabilisierungsanordnung frühzeitig und fortwährend Informationen erlangen, die zur Beurteilung des Fortbestehens der Zahlungsfähigkeit des Schuldners relevant sind. Dies dient dem Zweck das Gericht in die Lage zu versetzen, bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen die Stabilisierungsanordnung gemäß § 59 umgehend beenden zu können.92) b) Pflicht zur Anzeige bei Eintritt einer Insolvenzreife (Abs. 3) Darüber hinaus hat der Schuldner dem Restrukturierungsgericht den Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit i. S. von § 17 Abs. 2 InsO oder Überschuldung i. S. von § 19 Abs. 2 InsO unverzüglich anzuzeigen (§ 32 Abs. 3). Für Geschäftsleitungsorgane, welche der Insolvenzantragspflicht aus § 15a InsO unterliegen, ist diese Anzeigepflicht zusätzlich in § 42 Abs. 1 als ausdrückliche Organpflicht geregelt. § 32 Abs. 3 meint somit eine Pflicht des Schuldners selbst, § 42 Abs. 1 Satz 2 dagegen die Antragspflichtigen, also den Personenkreis des § 15a InsO.93) Im Unterschied zu der in § 42 Abs. 1 normierten Pflicht, die sich an die Geschäftsleiter des Schuldners richtet, handelt es sich bei der in § 32 Abs. 3 normierten Verpflichtung um eine Pflicht des Schuldners, deren Nichteinhaltung die verfahrensrechtliche Folge der Beendigung der Restrukturierungssache und damit des Zugangs zu den Instrumentarien des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens hat.

63

Da während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache die Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 – 3 InsO ruht, soll mit der Anzeige das Restrukturierungsgericht in die Lage versetzt werden, über eine Aufhebung oder ausnahmsweise Fortsetzung der Restrukturierungssache im Interesse der Gläubiger entscheiden zu können. Trotz Insolvenzreife kann das Restrukturierungsgericht nämlich im Einzelfall von einer Aufhebung der Restrukturierungssache absehen (vgl. § 33 Abs. 2 Nr. 1), wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit Blick auf den erreichten Stand in der Restrukturierungssache offensichtlich nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen würde. Von einer Aufhebung kann auch abgesehen werden, wenn die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung aus der Kündigung oder sonstigen Fälligstellung einer Forderung resultiert, die nach dem angezeigten Restrukturierungskonzept einer Gestaltung durch den Plan unterworfen werden soll, sofern die Erreichung des Restrukturierungsziels überwiegend wahrscheinlich ist (§ 33 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 2).

64

Dem Wortlaut „Während der Rechtshängigkeit“ (§§ 32 Abs. 3, 42 Abs. 1) und der Systematik (§ 42 Abs. 1 Satz 2) zufolge besteht die Anzeigepflicht erst für eine während der Restrukturierungssache eintretende Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit.94) Doch muss nach dem Sinn und Zweck eine Anzeigepflicht erst recht gelten, wenn der Schuldner schon bei Anzeige der Restrukturierungssache überschuldet oder zahlungsunfähig ist.95) Da das System des Restrukturierungsrahmens lediglich die Anzeige beim Restrukturierungsgericht und keine Eröffnungsentscheidung erfordert, ist bei Anzeige trotz Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit die Re_____________

65

92) 93) 94) 95)

Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 137. Thole, ZIP 2020, 1985, 1991; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 9. Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 9. S. a. Thole, ZIP 2020, 1985, 1991; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 9.

Janjuah/Tangermann

493

§ 32

Pflichten des Schuldners

strukturierungssache rechtshängig. In diesem Fall wird das Restrukturierungsgericht nach der Anzeige der Restrukturierungssache diese in der Regel unverzüglich aufheben (§ 33 Abs. 2 Nr. 1). Allerdings ist bei der Überschuldung (§ 19 InsO) die Wahrscheinlichkeitsprognose für das Gelingen einer Sanierung bereits bei der Prüfung der Fortbestehensprognose, d. h. bei der Frage, ob die Durchfinanzierung in den nächsten zwölf Monaten nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist, vorzunehmen. Die im Restrukturierungsplan vorgesehenen Maßnahmen können unter diesen Voraussetzungen i. R. der Fortbestehensprognose unterstellt werden.96) Ein die Durchfinanzierung darstellender Restrukturierungsplan oder ein solches Konzept kann daher die positive Fortbestehensprognose bereits vor Abstimmung über den Restrukturierungplan begründen, wenn aufgrund des gegenwärtigen Verhandlungsstands mit den Gläubigern die Annahme des Plans und ggf. dessen gerichtliche Bestätigung überwiegend wahrscheinlich ist.97) 66

Der Geschäftsleiter ist somit gut beraten, wenn er den Stand der Verhandlungen mit den Gläubigern sorgfältig dokumentiert und in regelmäßigen Abständen prüft, warum er von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Annahme und Bestätigung des Restrukturierungsplans ausgeht, um sich gegenüber potenziellen späteren Vorwürfen der Insolvenzverschleppung verteidigen zu können.98) Sollten der Schuldner und die für die Abstimmung relevanten Gläubiger sich i. R. der Verhandlungen im Vorfeld des Restrukturierungsrahmens verständigt haben, ist es für die vorgenannten Zwecke hilfreich – wie auch in der Praxis bei finanziellen Restrukturierungen üblich – eine kommerzielle Einigung in einem Term-Sheet und Abreden in Bezug auf die Abstimmung über den Restrukturierungsplan i. R. eines Lock-up Agreements zu dokumentieren.

67

Um der Anzeigepflicht des § 32 Abs. 3 zu genügen, hat der Schuldner nach richtiger Ansicht i. R. der Anzeige – wie i. R. von § 15a InsO – insbesondere den vorliegenden Insolvenzgrund glaubhaft zu machen. Der Schuldner hat dabei Tatsachen vorzutragen, aus denen sich die Insolvenzreife des Schuldners ergibt. Insbesondere hat der Schuldner nachvollziehbare Angaben zur Vermögens- und Finanzlage zu machen, eine Schlüssigkeit im technischen Sinn ist dagegen – wie i. R. von § 15a InsO – nicht erforderlich99) (siehe hierzu i. E. § 42 Rz. 50 ff.; die dortigen Ausführungen gelten entsprechend auch für die Anzeige des Schuldners gemäß § 32 Abs. 3). _____________ 96) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 137; Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2362; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 9. 97) S. a. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 160: „Eine solche [Überschuldung] kann nur dann vorliegen, wenn auch unter Berücksichtigung der Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels keine positive Fortführungsprognose besteht (§ 19 Absatz 2 Satz 1 InsO). In einem solchen Fall hat die Insolvenzbewältigung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zu erfolgen. Vermitteln die Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels hingegen eine, wenn auch auf den erforderlichen Abschluss der Restrukturierungssache bedingte, Fortführungsprognose, liegt eine Überschuldung nicht vor und die Restrukturierungssache kann weiterbetrieben werden.“; ebenfalls Schluck-Amend/Hefner, ZRI 2020, 570, 573; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 9. 98) Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 9; Schulz, NZI 2020, 1073, 1075; Arens, GWR 2021, 64, 66; Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 68. 99) Vgl. zu § 15a InsO: BGH, Beschl. v. 12.12.2002 – IX ZB 426/02, NJW 2003, 1187; Andres/Leithaus-Leithaus, InsO, § 15a Rz. 8.

494

Janjuah/Tangermann

§ 32

Pflichten des Schuldners

c) Pflicht zur Anzeige bei fehlender Aussicht auf Erfolg (Abs. 4) Schließlich ist der Schuldner verpflichtet, dem Gericht unverzüglich anzuzeigen, wenn das Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat, insbesondere, wenn infolge erkennbar gewordenen ernsthaften und endgültigen Ablehnung des vorgelegten Restrukturierungsplans durch Planbetroffene nicht davon ausgegangen werden kann, dass die für eine Planannahme erforderlichen Mehrheiten erreicht werden können (§ 32 Abs. 4).

68

Die fehlende Aussicht auf Umsetzung ist zu vermuten, wenn die Ablehnung des Vorhabens unter denjenigen, deren Zustimmung als Planbetroffene erforderlich wäre, so verbreitet ist, dass nicht damit gerechnet werden kann, dass ein das Vorhaben abbildender Restrukturierungsplan mit den erforderlichen Mehrheiten angenommen werden kann.100) Die Ablehnung muss dabei allerdings in ernsthafter und endgültiger Weise zum Ausdruck gebracht worden sein. Eine ablehnende Haltung, die sich gegenüber Zugeständnissen im Verhandlungsweg offen zeigt, ist damit zumindest solange unschädlich, wie diese Zugeständnisse die Realisierbarkeit des Restrukturierungsvorhabens nicht infrage stellen.101)

69

An die Annahme einer endgültigen Ablehnung des Restrukturierungsplans durch den Gläubiger sind strenge Anforderungen zu stellen. Erforderlich ist grundsätzlich, dass der Schuldner den Restrukturierungsplan gegenüber dem Schuldner unmissverständlich, endgültig und ernsthaft ablehnt, so dass jenseits vernünftiger Zweifel feststeht, dass er nicht mehr für den Restrukturierungsplan stimmen wird. Die Weigerung muss als das „letzte Wort“ des Gläubigers erscheinen.102) Es genügt nicht, dass der Gläubiger die Annahme des Restrukturierungsplans schlicht ablehnt oder wenn es Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien gibt. Wichtig und entscheidend ist die Endgültigkeit: Es muss feststehen, dass der Gläubiger sich nicht noch einmal für die Annahme des Restrukturierungsplans entscheiden wird. Wann eine Ablehnung des Restrukturierungsplans als endgültig, als „letztes Wort“ des planbetroffenen Gläubigers, anzusehen ist, ist eine Auslegungsfrage des Einzelfalls.103)

70

Die vorstehenden Maßstäbe gelten umso mehr, als dass bei vernünftiger wirtschaftlicher Betrachtungsweise der planbetroffene Gläubiger mit Restrukturierungsplan besserstehen müsste als im nächstbesten Alternativszenario. Entsprechend ist im Grund davon auszugehen, dass der planbetroffene Gläubiger ein grundsätzliches Interesse an weiteren Verhandlungen hat. Die Erfolgsaussichten der Restrukturie-

71

_____________ 100) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 138; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 10. 101) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 138; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 10. 102) Zur insoweit vergleichbaren endgültigen und ernsthaften Verweigerung der Nacherfüllung i. R. des § 323 BGB: BGH, Urt. v. 18.3.2016 – V ZR 89/15, Rz. 37, ZIP 2016, 1733 = NJW 2016, 3235; Ernst in: MünchKomm-BGB, § 323 Rz. 101. 103) Zur insoweit vergleichbaren endgültigen und ernsthaften Verweigerung der Nacherfüllung i. R. des § 323 BGB: BGH, Urt. v. 24.10.1997 – V ZR 187/96, ZIP 1997, 2158 = NJW 1998, 534 m. w. N. – „strenge Anforderungen“; BGH, Urt. v. 12.7.1995 – VIII ZR 219/94, NJW-RR 1995, 1327 m. w. N.

Janjuah/Tangermann

495

§ 32

Pflichten des Schuldners

rungssache entfallen nicht, nur weil die Verhandlungen zwischen den Parteien sich als schwierig erweisen. 72

Denkbar ist auch, dass das Restrukturierungsziel aus anderen Gründen (z. B. äußere Einflüsse wie ein pandemiebedingter Lock-down) nicht (mehr) erreichbar ist, weil die nachhaltige Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit unter den geänderten Parametern nicht mehr (in einem überschaubaren Zeitraum) wiederhergestellt werden kann. VI. Rechtsfolge

73

Hat der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung angezeigt, hebt das Restrukturierungsgericht die Restrukturierungssache regelmäßig auf. Das Gleiche gilt für den Fall, dass andere Umstände bekannt sind, aus denen sich die Insolvenzreife des Schuldners ergibt (jeweils § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1); siehe hierzu ausführlich § 33 Rz. 31 ff.

74

Die Aufhebung kann jedoch unterbleiben, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Hinblick auf den erreichten Stand der Restrukturierungssache offensichtlich nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen würde (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2); siehe hierzu ausführlich § 33 Rz. 41 ff. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 den Ausnahmefall geregelt, dass die Insolvenzreife aus der Kündigung oder sonstigen Fälligstellung einer Forderung resultiert, die nach dem angezeigten Restrukturierungskonzept einer Gestaltung durch den Plan unterworfen werden soll, sofern die Erreichung des Restrukturierungsziels überwiegend wahrscheinlich ist.

75

Das Gericht kann daher bei sog. Akkordstörerlagen trotz Zahlungsunfähigkeit von der Aufhebung absehen. Dies kommt bspw. dann in Betracht, wenn ein Darlehen wegen Nichteinhaltung von Finanzkennzahlen gekündigt wurde, dieses Darlehen aber in einem nachhaltigen Restrukturierungsplan gestaltet werden soll und es nach dem gegenwärtigen Verhandlungsstand auch überwiegend wahrscheinlich ist, dass der angestrebte Restrukturierungsplan in Kraft treten wird.104)

76

Die Möglichkeit des Restrukturierungsgerichts, von der Aufhebung der Restrukturierungssache unter diesen strengen Voraussetzungen abzusehen, dürfte auch dann bestehen, wenn die Zahlungsunfähigkeit durch Fälligstellung bereits vor Anzeige der Restrukturierungssache erfolgte.105) Diese Vorwegnahme des Restrukturierungsplanes und der dort vorgesehenen Maßnahmen i. R. der Aufhebungsentscheidung nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 wird dabei nur für die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) Bedeutung haben, denn bei der Überschuldung (§ 19 InsO) ist die Wahrscheinlichkeitsprognose für das Gelingen einer Sanierung bereits bei der Prüfung der Fortbestehensprognose, d. h. bei der Frage, ob die Durchfinanzierung in den nächsten zwölf Monaten nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist, vorzunehmen (siehe oben Rz. 65).

_____________ 104) So das zutreffende Beispiel bei Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 9. 105) Ebenso Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 9.

496

Janjuah/Tangermann

§ 33

Aufhebung der Restrukturierungssache

In einem solchen Fall wären indes auch die Anforderungen an den Nachweis einer überwiegenden Erfolgswahrscheinlichkeit für die Annahme eines Plans gesteigert und müsste bspw. durch die Vorlage einer kommerziellen Einigung mit den für die Annahme des Plans relevanten Gläubigern i. R. eines Term Sheets und/oder eines Lock-up Agreements nachgewiesen werden können. Unter diesen sehr engen Voraussetzungen ist es nach hier vertretener Auffassung auch gerechtfertigt, dass der an sich zahlungsunfähige Schuldner ein StaRUG-Verfahren mit der Folge einleiten könnte, obwohl ihm der Weg in ein Schutzschirmverfahren gemäß den §§ 270b ff. InsO verwehrt wäre. Denn die Durchführung der Restrukturierungssache kann auch in einem solchen Fall im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen; die Überprüfung der entsprechenden Voraussetzung obliegt gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 1 dem Restrukturierungsgericht.

77

Das Restrukturierungsgericht hebt die Restrukturierungssache zudem auf, wenn sich aufgrund einer Anzeige nach § 32 Abs. 4 oder aus sonstigen Umständen ergibt, dass das angezeigte Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat (§ 33 Abs. 2 Nr. 2); siehe hierzu ausführlich § 33 Rz. 49 f.

78

Verstößt der Schuldner in manifester und schwerwiegender Weise gegen seine Pflichten zur gewissenhaften Betreibung des Vorhabens unter Wahrung der Interessen der Gläubigerschaft, kann sich hieran ebenfalls die Aufhebung der Restrukturierungssache knüpfen (§ 33 Abs. 2 Nr. 3); siehe hierzu ausführlich § 33 Rz. 51 ff.

79

Mit der Aufhebung der Restrukturierungssache verliert die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens nach § 31 Abs. 4 Nr. 3 ihre Wirkung und insbesondere die Insolvenzantragspflichten der Geschäftsleiter nach § 15a Abs. 1 und 2 InsO leben wieder auf.

80

§ 33 Aufhebung der Restrukturierungssache Blankenburg

(1) Das Restrukturierungsgericht hebt die Restrukturierungssache von Amts wegen auf, wenn 1.

der Schuldner einen Insolvenzantrag stellt oder über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren eröffnet ist,

2.

das Restrukturierungsgericht für die Restrukturierungssache unzuständig ist und der Schuldner innerhalb einer vom Restrukturierungsgericht gesetzten Frist keinen Verweisungsantrag gestellt oder die Anzeige zurückgenommen hat oder

3.

der Schuldner in schwerwiegender Weise gegen seine Pflichten zur Mitwirkung und Auskunftserteilung gegenüber dem Gericht oder einem Restrukturierungsbeauftragten verstößt.

(2) 1Das Gericht hebt die Restrukturierungssache ferner auf, wenn 1.

der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nach § 32 Absatz 3 angezeigt hat oder andere Umstände bekannt sind, aus denen sich er-

Blankenburg

497

§ 33

Aufhebung der Restrukturierungssache

gibt, dass der Schuldner insolvenzreif ist; von einer Aufhebung der Restrukturierungssache kann abgesehen werden, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit Blick auf den erreichten Stand in der Restrukturierungssache offensichtlich nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen würde; von einer Aufhebung kann auch abgesehen werden, wenn die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung aus der Kündigung oder sonstigen Fälligstellung einer Forderung resultiert, die nach dem angezeigten Restrukturierungskonzept einer Gestaltung durch den Plan unterworfen werden soll, sofern die Erreichung des Restrukturierungsziels überwiegend wahrscheinlich ist, 2.

sich aufgrund einer Anzeige nach § 32 Absatz 4 oder aus sonstigen Umständen ergibt, dass das angezeigte Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat,

3.

ihm Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner in schwerwiegender Weise gegen die ihm nach § 32 obliegenden Pflichten verstoßen hat, oder

4.

in einer früheren Restrukturierungssache a) der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung oder eine Planbestätigung erwirkt hat oder b) eine Aufhebung nach Nummer 3 oder nach Absatz 1 Nummer 3 erfolgt ist.

2

Satz 1 Nummer 4 ist nicht anwendbar, wenn der Anlass für die frühere Restrukturierungssache infolge einer nachhaltigen Sanierung bewältigt wurde. 3Sind seit dem Ende des Anordnungszeitraums oder der Entscheidung über den Antrag auf Planbestätigung in der früheren Restrukturierungssache weniger als drei Jahre vergangen, ist im Zweifel anzunehmen, dass eine nachhaltige Sanierung nicht erfolgt ist. 4Der Inanspruchnahme von Instrumenten des Restrukturierungsrahmens steht ein in Eigenverwaltung geführtes Insolvenzverfahren gleich. (3) Eine Aufhebung der Restrukturierungssache unterbleibt, solange das Gericht von einer Aufhebung einer Stabilisierungsanordnung gemäß § 59 Absatz 3 abgesehen hat. (4) Gegen die Aufhebung der Restrukturierungssache nach den Absätzen 1 bis 3 steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu. Literatur: Blankenburg, Der betreute Schuldner in der Insolvenz, ZVI 2016, 257; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restruktuierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Vallender, Die Amtsermittlungspflicht nach dem StaRUG, ZRI 2021, 165. Übersicht I. II. III. IV.

498

Normzweck ........................................... Normhistorie ........................................ Einführung ........................................... Voraussetzungen der Aufhebung gemäß § 33 Abs. 1 .................................

1 3 4 5

1.

Stellung eines Insolvenzantrags oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Abs. 1 Nr. 1) ........................... 5 a) Stellung eines Eigenantrags (Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1) ...................... 5

Blankenburg

§ 33

Aufhebung der Restrukturierungssache aa) Insolvenzantrag .............................. 6 bb) Durch den Schuldner ................... 10 b) Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2) ....... 13 aa) Insolvenzverfahren ...................... 14 bb) Eröffnung ..................................... 19 cc) Über das Vermögen des Schuldners .................................... 22 2. Örtliche Unzuständigkeit (Abs. 1 Nr. 2) ................................................... 23 3. Pflichtenverstoß des Schuldners (Abs. 1 Nr. 3) ...................................... 25 a) Verstoß gegen Pflicht zur Mitwirkung und Auskunftserteilung ............................................... 26 b) Verstoß in schwerwiegender Weise ............................................. 29 V. Voraussetzungen der Aufhebung gemäß § 33 Abs. 2 ............................... 31 1. Insolvenzreife (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) ................................................... 31 a) Anzeige der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ............. 33 b) Bekanntwerden der Insolvenzreife ............................................... 34 aa) Insolvenzreife ............................... 35

I.

bb) Bekanntwerden von Umständen ... 38 c) Ausnahmegründe von der Aufhebungspflicht .............................. 40 aa) Nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger ................ 41 bb) Planunterworfene Forderung ...... 44 cc) Vor der Anzeige eingetretene Insolvenzreife ............................... 48 2. Mangelnde Aussicht auf Erfolg (Abs. 2 Satz 1 Nr. 2) ........................... 49 3. Verstoß gegen Pflichten aus § 32 (Abs. 2 Satz 1 Nr. 3) ........................... 51 4. Frühere Restrukturierungssachen (Abs. 2 Satz 1 Nr. 4) ........................... 55 a) Aufhebungsrelevante Entscheidung ...................................... 56 b) Ausschluss der Aufhebung aufgrund nachhaltiger Sanierung ............................................... 58 VI. Rechtsfolgen ....................................... 60 1. Aufhebung von Amts wegen, Vorrang von Stabilisierungsanordnungen (Abs. 3) ......................... 60 2. Form der Aufhebung .......................... 62 3. Kosten .................................................. 65 VII. Rechtsmittel (Abs. 4) ......................... 66

Normzweck

Die Anzeige einer Restrukturierungssache bleibt solange rechtshängig und entfaltet damit ihre Rechtswirkung (z. B. Umwandlung der Insolvenzantragspflicht in eine Anzeigepflicht gemäß § 42), bis sie gemäß § 31 Abs. 4 ihre Wirkung verliert. Der Gesetzgeber hat lediglich zwei Umstände definiert, die unmittelbar zum Verlust der Rechtshängigkeit führen, nämlich die Planbestätigung (§ 31 Abs. 4 Nr. 2) und der Zeitablauf (§ 31 Abs. 4 Nr. 4). Alle übrigen externen Umstände (z. B. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners) führen nur dazu, dass das Gericht die Restrukturierungssache aufheben muss. Der Vorteil dieser Regelungstechnik ist, dass der Gesetzgeber damit einen Automatismus ausschließen kann und das Gericht als regulierende Zwischeninstanz einsetzt. Damit ist ein an den Fall angepasstes Vorgehen möglich. Da sich eine Aufhebung auch auf Umstände beziehen kann, die zum Zeitpunkt der Anzeige vorliegen, kommt der Aufhebungsmöglichkeit auch die Funktion einer nachgelagerten Zugangskontrolle zu.1)

1

Da auch die Stabilisierungsmaßnahmen aufgehoben werden müssen, wenn sie nicht durch Zeitablauf enden (§ 66), bedarf es einer Gewichtung dieser Aufhebungsmöglichkeiten zueinander. Diese Gewichtung hat der Gesetzgeber mit § 59 Abs. 3 vorgenommen, indem er der Aufhebung der Stabilisierungsmaßnahmen den Vorrang einräumt.

2

_____________ 1)

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 138; ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 2.

Blankenburg

499

§ 33

Aufhebung der Restrukturierungssache

II. Normhistorie 3

Die Norm hat ihre Grundstruktur bereits im RefE2) enthalten und war dort als § 33 bezeichnet. Im RegE3) ist sie dann als § 35 bezeichnet worden. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses4) hat die Norm dann die endgültige Nummerierung erhalten. Im Gesetzgebungsverfahren wurden lediglich die Verweise geändert. III. Einführung

4

Die Aufhebung erfolgt jeweils nur von Amts wegen. Der Schuldner kann die Wirkung der Anzeige durch die Rücknahme gemäß § 31 Abs. 4 Nr. 1 beenden und bedarf daher keines Antragsrechts für die Aufhebung. Dritten steht, anders als bei der Aufhebung von Stabilisierungsmaßnahmen gemäߧ 59 Abs. 2, kein Antragsrecht zu.5) Wird dennoch ein Antrag gestellt, sollte das Gericht zunächst nachfragen, ob dieser lediglich als Anregung zur Aufhebung von Amts wegen verstanden werden soll. Hält der Antragsteller seinen Antrag weiterhin aufrecht, ist dieser als unzulässig abzuweisen.6) IV. Voraussetzungen der Aufhebung gemäß § 33 Abs. 1 1.

Stellung eines Insolvenzantrags oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Abs. 1 Nr. 1)

a) Stellung eines Eigenantrags (Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1) 5

Das Gericht hat nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 die Restrukturierungssache aufzuheben, wenn der Schuldner einen Insolvenzantrag stellt. aa) Insolvenzantrag

6

In § 33 Abs. 1 Nr. 1 ist weder die Art des Antrags noch das Gericht, bei dem der Antrag gestellt werden muss, definiert. Als Insolvenzantrag kommen sowohl Anträge nach § 13 InsO im Regelinsolvenzverfahren als auch im Verbraucherinsolvenzverfahren in Betracht. Auch ein Antrag auf Eigenverwaltung, insbesondere im Schutzschirmverfahren, stellt einen Insolvenzantrag dar und ist daher erfasst. Verstirbt der Schuldner, kommt auch ein Nachlassinsolvenzverfahren in Betracht, da das Restrukturierungsverfahren nicht automatisch mit dem Tod des Schuldners endet.

7

Wird im Ausland ein Insolvenzantrag über das Vermögen des Schuldners gestellt, kann auch darauf die Aufhebung gestützt werden, wenn ein solches Verfahren gemäß § 343 InsO anerkennungsfähig ist.

8

Der Antrag ist gestellt, wenn er bei einem Insolvenzgericht eingereicht wird. Dieses muss nicht identisch mit dem Restrukturierungsgericht sein. Da der Schuldner mit _____________ 2)

3) 4) 5) 6)

500

RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. Dazu Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 138. A. A. Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 4, wonach die Anregung keiner förmlichen Bescheidung bedarf.

Blankenburg

§ 33

Aufhebung der Restrukturierungssache

dem Insolvenzantrag zum Ausdruck bringt, dass das Restrukturierungsverfahren gescheitert ist, bedarf es keiner Zulässigkeitsprüfung, wenn der Antrag von sämtlichen vertretungsberechtigten Personen unterzeichnet ist. In diesem Fall ist es unschädlich, wenn er beim örtlich nicht zuständigen Gericht oder unvollständig eingereicht wird. Erfolgt die Stellung des Antrags hingegen nicht durch sämtliche vertretungsberechtigte Personen (siehe dazu Rz. 12), bedarf es zur Vermeidung von Missbrauch einer Schlüssigkeitsprüfung durch das Restrukturierungsgericht.7) Anderenfalls besteht die Gefahr, dass innergesellschaftliche Konflikte sich unmittelbar auf eine im Grundsatz erfolgsversprechende Restrukturierung auswirken. Der Gesetzgeber hat diese Wertung auch in § 15 InsO zum Ausdruck gebracht, indem in § 15 Abs. 2 InsO gefordert wird, dass ein nicht von allen vertretungsberechtigten Personen unterzeichneter Antrag nur dann zulässig ist, wenn der Eröffnungsgrund glaubhaft gemacht wurde. Daher hat das Restrukturierungsgericht in diesen Fällen zu prüfen, ob der Insolvenzantrag beim zuständigen Gericht gestellt wurde, den Formanforderungen des § 13 InsO entspricht und ob der Insolvenzeröffnungsgrund gemäß § 15 Abs. 2 InsO glaubhaft gemacht wurde.

9

bb) Durch den Schuldner Der Antrag muss durch den Schuldner gestellt worden sein. Insoweit ist zwischen natürlichen und nicht natürlichen Personen zu unterscheiden.

10

Als natürliche Person hat der Schuldner grundsätzlich selbst den Antrag zu stellen. Steht dem Schuldner ein gesetzlicher Vertreter zur Seite (z. B. Betreuer), kann auch von diesem ein Antrag gestellt werden.8) Beim Tod des Schuldners stellt auch der Antrag durch die Erben, den Nachlasspfleger oder den Testamentsvollstrecker einen Eigenantrag dar.9)

11

Bei nicht natürlichen Personen, den juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, kann der Eigenantrag von jedem organschaftlichen Vertreter und jedem persönlich haftenden Gesellschafter einzeln gestellt werden (§ 15 Abs. 1 Satz 1 InsO). Es ist daher auch möglich, dass bei Differenzen in der Geschäftsführung ein Teil am Restrukturierungsverfahren festhalten will, während der andere Teil in das Insolvenzverfahren will. In diesem Fall muss das Restrukturierungsgericht eine erweiterte Prüfung der Zulässigkeit des Insolvenzantrags vornehmen (siehe dazu Rz. 9).

12

b) Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2) Das Gericht hat die Restrukturierungssache gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 ferner dann aufzuheben, wenn über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren eröffnet wird.

_____________ 7) 8) 9)

Ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 11. Dazu ausführlich Blankenburg, ZVI 2016, 257 ff. Vuia in: MünchKomm-InsO, § 13 Rz. 15.

Blankenburg

501

13

§ 33

Aufhebung der Restrukturierungssache

aa) Insolvenzverfahren 14

Es muss ein Insolvenzverfahren eröffnet werden. Dies sind zunächst alle Verfahren nach der InsO. Erfasst sind das Regelinsolvenzverfahren, die Eigenverwaltung, das Verbraucherinsolvenzverfahren sowie das Nachlassinsolvenzverfahren.10) Die Eröffnung ist in § 27 InsO geregelt.

15

Kommt es i. R. des Restrukturierungsverfahrens zu einer internationalen Sitzverlegung, wird diese ggf. nicht im Heimatland des Schuldners anerkannt. So kann etwa die Verlagerung des wirtschaftlichen Mittelpunktes unterschiedlich bewertet werden.11) Kommt es dann zu einem „Insolvenz“-verfahren in dem Heimatland, bedarf es der Beurteilung, ob aufgrund dieses Verfahrens das Restrukturierungsverfahren aufzuheben ist. Wird eine Einordnung als Insolvenzverfahren vorgenommen, hat eine Aufhebung von Amts wegen zu erfolgen.12) Ein Ermessensspielraum besteht insoweit nicht.

16

Die Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren richtet sich im Anwendungsbereich der EuInsVO primär nach Art. 19 EuInsVO, der insoweit § 343 InsO verdrängt. Die Anerkennung erfolgt automatisch. Es bedarf daher keiner förmlichen Entscheidung über die Anerkennung.13) Anerkennungsfähig sind die in Anlage A zu Art. 2 Nr. 4 EuInsVO erschöpfend aufgeführten Verfahren.14) Aus dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens ergibt sich, dass den nationalen Gerichten grundsätzlich keine Prüfungskompetenz zukommt, ob die Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtmäßig erfolgt ist.15) Lediglich die internationale Zuständigkeit gemäß Art. 3 EuInsVO kann überprüft werden, wenn diese in der Eröffnungsentscheidung nicht geprüft wurde.16)

17

Ist der Anwendungsbereich des Art. 19 EuInsVO nicht eröffnet,17) erfolgt die Anerkennung über § 343 InsO. Auch bei dieser Form erfolgt die Anerkennung automatisch und bedarf keiner förmlichen Entscheidung.18) Die Anerkennung wird lediglich inzident in darauf aufbauenden Entscheidungen relevant.19) Anders als nach Art. 19 EuInsVO besteht insoweit kein abschließender Katalog, vielmehr muss bei der inzidenten Entscheidung geprüft werden, ob das ausländische Verfahren eine funktionale Vergleichbarkeit zu den nationalen Insolvenzverfahren ausweist.20) Die _____________ 10) So auch für die in Anlage A zu Art. 19 EuInsVO aufgeführten Insolvenzverfahren Skauradszun in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, Art. 19 EuInsVO Rz. 5. 11) Dazu zuletzt LG Bremen, Beschl. v. 5.10.2020 – 6 T 370/20, ZRI 2021, 52 = ZInsO 2020, 2541, m. krit. Anm. Blankenburg, ZInsO 2020, 2523. 12) A. A. Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 13. 13) Uhlenbruck-Knof, InsO, Art. 19 EuInsVO Rz. 9 ff.; Vallender-Sutschet, EuInsVO, Art. 19 Rz. 12. 14) Skauradszun in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, Art. 19 EuInsVO Rz. 4. 15) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood), Rz. 40, ZIP 2006, 907. 16) Uhlenbruck-Knof, InsO, Art. 19 EuInsVO Rz. 7. 17) Dazu Paulus in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 343 Rz. 3. 18) Uhlenbruck-Lüer/Knof, InsO, § 343 Rz. 24; Thole in: MünchKomm-InsO, § 343 Rz. 67; Paulus in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 343 Rz. 22. 19) So auch Paulus in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 343 Rz. 22. 20) Paulus in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 343 Rz. 4.

502

Blankenburg

§ 33

Aufhebung der Restrukturierungssache

inzidente Anerkennung erfolgt, wenn ein international zuständiges Gericht über die Eröffnung entschieden hat und die Anerkennung nicht gegen den deutschen Ordre Public verstößt.21) Es kommt bei sämtlichen Verfahren allein auf das Hauptinsolvenzverfahren an. Etwaige Sekundärinsolvenzverfahren sind unbeachtlich, da diese zwangsläufig ein eröffnetes Hauptinsolvenzverfahren voraussetzen.

18

bb) Eröffnung Nach dem nationalen Recht erfolgt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch einen Beschluss gemäß § 27 InsO. Erst damit wird das eigentliche Insolvenzverfahren formal eingeleitet. Der Zeitraum zwischen der Antragstellung und der Eröffnung wird national als Insolvenzantragsverfahren bezeichnet. Da bereits der Eigenantrag des Schuldners eine Aufhebungspflicht auslöst, wäre allein beim Fremdantrag auf dem im Eröffnungsbeschluss gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 3 InsO angegebenen Zeitpunkt abzustellen. International wird allerdings der Zeitpunkt der Eröffnung anders definiert. Art. 19 Abs. 1 EuInsVO regelt, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens anerkannt wird. Der Eröffnungszeitpunkt wird dabei nicht als die förmliche Eröffnung durch Beschluss angesehen, vielmehr reicht bereits die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, unabhängig davon ob diesem die allgemeine Verfügungsbefugnis übertragen wurde.22)

19

Weder aus dem Wortlaut des § 33 Abs. 1 Nr. 1 noch aus der Gesetzbegründung lässt sich eindeutig entnehmen, auf welchen Zeitpunkt genau abgestellt werden soll. Es ist lediglich ausgeführt, dass die Eröffnung nur dann erfolgt, wenn eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners vorliegt.23) Eine solche Feststellung erfolgt endgültig erst mit dem Eröffnungsbeschluss, so dass der nationale Gesetzgeber auf diesen formellen Akt abzustellen scheint. Würde auf diesen Zeitpunkt abgestellt, könnte es allerdings zu Friktionen bei internationalen Verfahren kommen. Bei internationalen Verfahren müsste wohl entsprechend der EuInsVO bereits die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ausreichen. Es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn dies bei ausländischen Verfahren reichen würde, hingegen nicht bei nationalen Verfahren. Da auch schon vor der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters durch ein Gericht geprüft wird, ob die Insolvenzreife des Schuldners glaubhaft gemacht wurde, sollte bereits die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters als ausreichend angesehen werden.

20

§ 33 Abs. 1 Nr. 1 stellt nach dem Wortlaut nur auf die Eröffnung ab. Aus diesem ergibt sich jedoch nicht, ob bereits der Erlass der Entscheidung ausreicht oder ob die Entscheidung rechtskräftig sein muss. Aus systematischen Gründen ist allein auf den wirksamen Erlass der Entscheidung abzustellen.24) Auch i. R. des Art. 19 Abs. 1 EuInsVO erfolgt die Anerkennung unabhängig davon, ob eine endgültige Entschei_____________

21

21) Dazu ausführlich Paulus in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 343 Rz. 9 ff.; Thole in: MünchKomm-InsO, § 343 Rz. 13 ff. 22) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood), Rz. 54, ZIP 2006, 907; Skauradszun in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, Art. 19 EuInsVO Rz. 6, 8. 23) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 138. 24) Ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 14.

Blankenburg

503

§ 33

Aufhebung der Restrukturierungssache

dung vorliegt. Auf eine formelle und materielle Rechtskraft der Eröffnungsentscheidung kommt es nicht an.25) Gleiches gilt für die Wirkung des Eröffnungsbeschlusses.26) Durch die Eröffnung des Verfahrens hat ein Gericht zum Ausdruck gebracht, dass es die Voraussetzungen für eine materielle Insolvenz als gegeben ansieht. Da das Restrukturierungsverfahren auf eine schnelle Entscheidung ausgelegt ist, wie sich insbesondere aus den kurzen Fristen des § 53 ergibt, darf es zu keinem längeren Schwebezustand zwischen dem Erlass der Eröffnungsentscheidung und der Rechtsmittelentscheidung kommen. Da die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Scheitern der Restrukturierung indiziert, kommt es auch i. R. des § 33 Abs. 1 Nr. 1 allein auf die Wirksamkeit der Entscheidung an. cc) Über das Vermögen des Schuldners 22

Das Insolvenzverfahren muss über das Vermögen des Schuldners eröffnet werden. Nicht ausreichend ist es, wenn über das Vermögen der Konzernmutter oder einer Konzerntochter ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, auch wenn dies ggf. ein Scheitern indizieren könnte. Wie bei der Anerkennung nach Art. 19 EuInsVO ist es unerheblich,27) welchen Einfluss ein anderes Unternehmen auf die Schuldnerin hat. 2.

Örtliche Unzuständigkeit (Abs. 1 Nr. 2)

23

Die Restrukturierungssache ist aufzuheben, wenn die Anzeige bei einem örtlich unzuständigen Gericht eingereicht wurde. Zur örtlichen Zuständigkeit siehe § 35 Rz. 3 ff. Das Gericht muss sich nicht durch eine förmliche Entscheidung für unzuständig erklären, vielmehr reicht der Umstand, dass die Voraussetzungen des § 35 nicht erfüllt sind.

24

Neben der örtlichen Unzuständigkeit erfordert die Aufhebung, dass dem Schuldner eine Frist zur Stellung eines Verweisungsantrags auferlegt wurde (siehe dazu § 35 Rz. 14 f.). Das Restrukturierungsgericht muss daher vor einer Aufhebung gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 2 den Schuldner auf die örtliche Unzuständigkeit hinweisen und ihn auffordern, den Antrag zurückzunehmen oder einen Verweisungsantrag zu stellen. Dies entspricht den Anforderungen im Insolvenzverfahren, bei dem ebenfalls Gelegenheit zur Stellung eines Verweisungsantrags zu geben ist.28) 3.

25

Pflichtenverstoß des Schuldners (Abs. 1 Nr. 3)

Nach § 33 Abs. 1 Nr. 3 ist die Restrukturierungssache aufzuheben, wenn der Schuldner in schwerwiegender Weise gegen die ihm gegenüber dem Gericht oder dem Restrukturierungsbeauftragten obliegenden Pflichten zur Mitwirkung und Auskunftserteilung verstoßen hat.

_____________ 25) Uhlenbruck-Knof, InsO, Art. 19 EuInsVO Rz. 8; Skauradszun in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, Art. 19 EuInsVO Rz. 6; Vallender-Sutschet, EuInsVO, Art. 19 Rz. 11; a. A. Mankowski/ Müller/J. Schmidt-Müller, EuInsVO 2015, Art. 19 Rz. 15. 26) Dazu Wimmer/Amend in: FK-InsO, § 80 Rz. 5. 27) Dazu EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood), Rz. 30, ZIP 2006, 907. 28) Uhlenbruck-Pape, InsO, § 4 Rz. 15; Schmerbach in: FK-InsO, § 3 Rz. 41, 45; Rüther in: HambKomm-InsO, § 3 Rz. 33.

504

Blankenburg

§ 33

Aufhebung der Restrukturierungssache

a) Verstoß gegen Pflicht zur Mitwirkung und Auskunftserteilung Die Mitwirkungs- und Auskunftspflichten des Schuldners ergeben sich primär aus § 32, sekundär aus §§ 39 Abs. 2, 76 Abs. 5. Da Verstöße gegen die primären Pflichten aus § 32 nur nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 – 3 zur Aufhebung führen sollen, sind von § 33 Abs. 1 Nr. 3 nur Verstöße gegen die sekundären Pflichten erfasst.29) Die sekundären Pflichten unterscheiden sich von den Pflichten in § 32 dadurch, dass sich diese erst durch die jeweiligen Aufforderungen des Restrukturierungsgerichts und des Restrukturierungsbeauftragten manifestieren. Weder das Gericht noch der Restrukturierungsbeauftragte sind dazu verpflichtet, proaktiv zu überwachen, dass der Schuldner seinen Pflichten aus § 32 nachkommt.30) Folglich muss das Gericht eine Aufhebung gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 – 3 nur dann prüfen, wenn dem Gericht die entsprechenden Umstände bekannt werden. Es muss die Umstände nicht selbst ermitteln.

26

Nimmt das Gericht hingegen Ermittlungen aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes in § 39 Abs. 1 auf oder geht der Restrukturierungsbeauftragte seinen Verpflichtungen gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 2, 3, Abs. 3 nach, kann dem Schuldner aufgegeben werden, die dafür erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die Handlungen vorzunehmen, die zur Unterstützung erforderlich sind. Kommt der Schuldner dieser Aufforderung nicht nach, kann eine Aufhebung erfolgen.31) Erforderlich ist allerdings, dass der Schuldner entweder vom Restrukturierungsgericht oder dem Restrukturierungsbeauftragten hinreichend bestimmt aufgefordert wurde, konkrete Auskünfte zu erteilen. Eine Aufhebung kommt daher nicht in Betracht, wenn der Schuldner nur allgemein zu Auskunft- und Mitwirkungspflicht belehrt wurde und dann bestimmte Umstände nicht mitgeteilt hat. Unterlassene Anzeigen von Umständen werden nur gemäß § 32 Abs. 2 erfasst. Es wäre systematisch inkonsequent, die Pflicht zunächst in § 32 Abs. 2 zu regeln und ein Unterlassen dann nicht unter § 32 Abs. 2 Nr. 3, sondern unter § 32 Abs. 1 Nr. 3 zu subsumieren.

27

§ 33 Abs. 1 Nr. 3 kann nicht dahin erweitert werden, dass auch falsche Angaben in der Anzeige oder einem Antrag erfasst werden. Die Anzeige kann nicht als Mitwirkungshandlung des Schuldners interpretiert werden, da sie erst das Verfahren einleitet. Zudem wird sie nicht aktiv vom Gericht angefordert. Hinsichtlich der weiteren Anträge gibt es Spezialnormen, die unzutreffende Angaben sanktionieren (§§ 51 Abs. 1 Nr. 1, 59 Abs. 1 Nr. 4 lit. a). Für die Anwendung des § 33 Abs. 1 Nr. 3 ist insoweit kein Raum. Ggfs. kann eine Verletzung von § 32 Abs. 2 Satz 1 angenommen werden, wenn die Korrektur von unrichtigen Angaben als Änderung des Verhandlungsstands angesehen werden. Dem Gericht ist es aber darüber hinaus nicht verwehrt, bei falschen Angaben davon auszugehen, dass insgesamt das Vertrauen in die Tätigkeit des Schuldners bei der Gläubigerschaft nicht mehr besteht und insoweit das angezeigte Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat. Dann kann eine Aufhebung nach § 33 Abs. 2 Nr. 3 erfolgen.

28

_____________ 29) So auch Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 138; Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 17. 30) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 138. 31) So wohl auch Vallender, ZRI 2021, 165, 167.

Blankenburg

505

§ 33

Aufhebung der Restrukturierungssache

b) Verstoß in schwerwiegender Weise 29

Der Schuldner muss in schwerwiegender Weise gegen die Pflichten zur Mitwirkung und Auskunftserteilung verstoßen haben. Da davon auszugehen ist, dass die vom Restrukturierungsgericht und Restrukturierungsbeauftragten ausgebrachten Aufforderungen verfahrensrelevant sind, kommt es in der Regel nicht auf die Qualität des Verlangens an, sondern auf den Grad der Vorwerfbarkeit des Verhaltens des Schuldners.32) Eine schwerwiegende Pflichtverletzung setzt voraus, dass dem Schuldner eine Frist zur Erfüllung gesetzt worden sein muss. Die Frist kann entweder in dem Aufforderungsschreiben selbst oder in einem weiteren Schreiben erfolgen. Die Frist muss so lang gesetzt werden, dass ein objektiv vernünftig handelnder Schuldner innerhalb dieser Zeitspanne die entsprechende Pflicht hätte erfüllen können. Je umfangreicher und komplexer das Auskunftsverlangen ist, umso länger muss dem Schuldner Zeit gegeben werden, um dieses zu erfüllen.

30

Ein Verstoß in schwerwiegender Weise bedarf keiner Belehrung des Schuldners über die Folgen einer Pflichtverletzung. Aufgrund der hohen Anforderung an eine eigenverantwortliche Sanierung kann davon ausgegangen werden, dass dem Schuldner die Konsequenzen der Missachtung des Restrukturierungsgerichts oder des Restrukturierungsbeauftragten bewusst sind. V. Voraussetzungen der Aufhebung gemäß § 33 Abs. 2 1.

Insolvenzreife (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1)

31

Grundsätzlich hat das Restrukturierungsgericht die Restrukturierungssache gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 aufzuheben, wenn der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nach § 32 Abs. 3 angezeigt hat oder andere Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass er insolvenzreif ist. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 und 3 normieren Ausnahmemöglichkeiten von der Aufhebungspflicht.

32

Die Norm ist Teil der Antragspflicht- und Anzeigepflichtsystematik der §§ 32, 42. Danach ist die Antragspflicht gemäß § 15a InsO während der Restrukturierungssache zwar ausgesetzt. Sie wandelt sich jedoch nur in eine Anzeigepflicht gemäß § 32 Abs. 3, deren Verletzung gemäß § 42 Abs. 3 ebenfalls strafbewährt ist. Eine Rückumwandlung der Anzeigepflicht in die Antragspflicht erfolgt gemäß § 42 Abs. 4, wenn die Anzeige der Restrukturierungssache ihre Wirkung verliert. Dies ist gemäß § 31 Abs. 4 Nr. 3 insbesondere dann der Fall, wenn die Anzeige gemäß § 33 aufgehoben wird. Da der Schuldner mit der Anzeige grundsätzlich seine Pflicht erfüllt hat, bedarf es einer zeitnahen Entscheidung des Restrukturierungsgerichts über die Aufhebung, damit der Schuldner umgehend zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet wird. a) Anzeige der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung

33

Das Gericht hat die Möglichkeit eine Aufhebung zu prüfen, wenn der Schuldner eine Anzeige nach § 32 Abs. 3 macht. Er kann die Anzeige schriftlich oder mündlich beim Restrukturierungsgericht erstatten. Er muss nur den Eintritt der Zahlungsun_____________ 32) Ähnlich Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 19, die von der Qualität des Pflichtverstoßes spricht.

506

Blankenburg

§ 33

Aufhebung der Restrukturierungssache

fähigkeit oder der Überschuldung anzeigen. Eine Begründung des Eintritts ist nicht erforderlich (siehe dazu ausführlich § 32 Rz. 63 ff.). Da es sich um eine Verfahrenshandlung handelt, muss der Schuldner ordnungsgemäß vertreten sein. Bei nicht natürlichen Personen ist insoweit zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Gesamtvertretung gewahrt sind. § 15 InsO kann nicht entsprechend angewendet werden.33) Das Gericht muss nicht prüfen, ob tatsächlich eine Insolvenzreife vorliegt.34) b) Bekanntwerden der Insolvenzreife Das Gericht hat ebenfalls zu prüfen, ob eine Aufhebung zu erfolgen hat, wenn Umstände bekannt werden, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner insolvenzreif ist.

34

aa) Insolvenzreife Der Schuldner muss nach den bekannt gewordenen Umständen insolvenzreif sein. Anders als bei der Anzeige durch den Schuldner stellt diese Alternative nicht auf die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ab, sondern auf den Begriff der Insolvenzreife. Im StaRUG ist er nur noch in § 108 ein weiteres Mal normiert. In der InsO war dieser Begriff vor dem SanInsFoG nicht vorhanden, nunmehr ist er jedoch in § 15b Abs. 2 Satz 2 InsO enthalten. Eine Definition des Begriffs findet sich aber in beiden Gesetzen nicht.

35

Die Bestimmung des Begriffs kann jedoch anhand der Gesetzesbegründung zu § 42 Abs. 1 erfolgen. Nach § 42 Abs. 1 hat der Schuldner den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung dem Restrukturierungsgericht anzuzeigen. Die Gesetzesbegründung zu dieser Norm spricht insoweit von der Anzeige der Insolvenzreife.35) Die Insolvenzreife ist daher gleichzusetzen mit denen die Anzeige- oder Antragspflicht auslösenden Umständen, also eingetretene Zahlungsunfähigkeit und bei bestimmten nichtnatürlichen Personen auch die Überschuldung.

36

Ein Problem stellt die Bestimmung der Überschuldung dar. Für diese muss eine Fortführungsprognose getroffen werden. Insoweit ist unklar, ob diese positiv ausfällt, wenn davon auszugehen ist, dass der Schuldner die bilanzielle Überschuldung durch eine Restrukturierung wird beseitigen können. Der Gesetzgeber selbst scheint davon auszugehen, dass die Aussicht auf erfolgreichen Abschluss der Restrukturierungssache zu einer positiven Fortführungsprognose führt, so dass keine Überschuldung vorliegt.36) Unter dieser Prämisse wird die Ausnahme gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 bei der Überschuldung keinen eigenen Anwendungsbereich haben.

37

bb) Bekanntwerden von Umständen Dem Restrukturierungsgericht müssen Umstände bekannt sein, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner insolvenzreif ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll diese _____________ 33) 34) 35) 36)

Ebenfalls Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 25. So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 23. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 144. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 139: „Vermitteln die Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels hingegen eine, wenn auch auf den erfolgreichen Abschluss der Restrukturierungssache bedingte, Fortführungsprognose, liegt eine Überschuldung nicht vor.“; in diesem Sinne auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 23; Thole, ZIP 2020, 1985, 1992; Desch, BB 2020, 2498, 2499.

Blankenburg

507

38

§ 33

Aufhebung der Restrukturierungssache

Kenntnis nicht aus einer aktiven Wahrnehmung des Amtsermittlungsgrundsatzes initialisiert werden. Das Restrukturierungsgericht soll aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes keine anlasslosen Ermittlungen aufnehmen, um die Insolvenzreife zu klären.37) Die Ermittlungspflicht soll erst dann eingreifen, wenn das Restrukturierungsgericht anderweitig Kenntnis von Umständen erhält, die auf eine Insolvenzreife hindeuten. Dies können Berichte und Anzeigen des Restrukturierungsbeauftragten sowie Anträge von Gläubigern auf Aufhebung von Stabilisierungsmaßnahmen sein, wenn diese die Tatsachen glaubhaft gemacht haben (§ 59 Abs. 2).38) 39

Eine Aufhebung kann erfolgen, wenn dem Gericht hinreichende Umstände bekannt sind, aus denen sich die Insolvenzreife ergibt. Unklar bleibt nach dem Wortlaut des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2, welchen Grad an Gewissheit von der Insolvenzreife das Restrukturierungsgericht haben muss, um eine Aufhebung beschließen zu können. Davon hängt auch ab, wie tief die Prüfung des Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 76 Abs. 3 Nr. 1 sein muss. Da die Norm nicht darauf abstellt, dass der Schuldner zahlungsunfähig oder überschuldet ist, sondern es nur auf die Kenntnis von Umständen ankommt, bedarf es keiner endgültigen Feststellung der Insolvenzreife. Vielmehr muss es ähnlich wie im Insolvenzeröffnungsverfahren ausreichen, wenn das Restrukturierungsgericht mit einer großen Wahrscheinlichkeit davon ausgeht, dass die materiellen Insolvenzgründe verwirklicht sind.39) c) Ausnahmegründe von der Aufhebungspflicht

40

Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 und 3 kann von der Aufhebung abgesehen werden, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger ist oder die Insolvenzreife aus einer Forderung resultiert, die überwiegend wahrscheinlich durch den Plan umgestaltet wird. aa) Nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger

41

Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 hat das Restrukturierungsgericht zu prüfen, ob die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens offensichtlich nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegt. Die Entscheidung soll im Hinblick auf den erreichten Stand bei der Restrukturierungssache getroffen werden. Nach der Gesetzesbegründung soll die Fortführung der Restrukturierungssache trotz eingetretener Insolvenzreife nur dann denkbar sein, wenn die angestrebte Restrukturierung kurz vor ihrem Abschluss steht, insbesondere weil die Bestätigung eines bereits angenommenen Restrukturierungsplans unmittelbar bevorsteht, und zu erwarten ist, dass sie auch zur Beseitigung der eingetretenen Insolvenzlage führt.40) In einer solchen Konstellation könne der Übergang in ein Insolvenzverfahren mit den damit verbundenen Nachteilen und zusätzlichen Kosten nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen.41) Zu beachten ist, dass § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 in einem _____________ 37) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 139; so auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 27. 38) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 139. 39) Zu Maßnahmen gemäß § 21 InsO BGH, Beschl. v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, Rz. 10, ZIP 2007, 878; Blankenburg in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 21 Rz. 17 ff. 40) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 139. 41) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 139.

508

Blankenburg

§ 33

Aufhebung der Restrukturierungssache

Spannungsverhältnis zu § 63 Abs. 1 Nr. 1 steht, wonach die Planbestätigung bei Eintritt der Insolvenzreife zu versagen ist. Diese Problematik wurde in der Begründung des RefE noch gesehen,42) jedoch im Folgenden aus den Begründungen gestrichen.43) Wären die Beteiligten trotz einer Zustimmung für den Plan gehalten, diesen nunmehr i. R. eines Insolvenzverfahrens erneut zur Abstimmung zu stellen, da grundsätzlich eine Versagung der Bestätigung gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 1 erfolgen müsste, würden die vom Gesetzgeber gesehenen finanziellen nachteiligen Folgen eintreten, die gerade durch die Ausnahme in § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 vermieden werden sollten. Die Regelung wäre obsolet. Daher ist davon auszugehen, dass § 63 Abs. 1 Nr. 1 dahin einzuschränken ist, dass eine Bestätigung dennoch erfolgen kann, wenn von einer Aufhebung abgesehen werden kann.44) Es muss zudem offensichtlich sein, dass die Eröffnung nicht im kollektiven Gläubigerinteresse liegt. Weder aus dem Wortlaut der Norm noch aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, wann dies offensichtlich sein soll. Aus der Systematik der Norm wird nur dann offensichtlich von einer fehlenden Beeinträchtigung auszugehen sein, wenn sich ein vorgelegter Plan bereits im Abstimmungsverfahren befindet und sich nicht bereits durch im Vorfeld angekündigte Widerstände andeutet, dass es nicht zu einer Bestätigung kommen wird.

42

Zu beachten ist, dass das Restrukturierungsgericht kein Ermessen darüber zusteht, ob ein Insolvenzverfahren durchgeführt wird oder nicht sinnvollerweise das Restrukturierungsverfahren zu Ende geführt wird. Durch die Anzeige der Restrukturierungssache ist weder die Antragsmöglichkeit der Gläubiger noch die Eröffnungskompetenz der Insolvenzgerichte eingeschränkt. Eine Sperre in Form der Aussetzung tritt gemäß § 58 erst dann ein, wenn eine Stabilisierung angeordnet wird. Da aber in diesem Fall eine isolierte Aufhebung der Restrukturierungssache gemäß § 33 Abs. 3 gesperrt ist, stellt § 33 Abs. 2 Nr. 1 keinen wirksamen Schutz vor überholenden Insolvenzverfahren dar. Dies kann nur durch den Erlass einer Stabilisierungsanordnung erreicht werden. Die Bedeutung des § 33 Abs. 2 Nr. 1 ist vielmehr darin zu sehen, dass das Restrukturierungsgericht entscheiden kann, ob der Schuldner seiner Antragspflicht nach § 15a InsO wieder nachkommen muss.

43

bb) Planunterworfene Forderung Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 3 kann von einer Aufhebung auch abgesehen werden, wenn die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung aus der Kündigung oder sonstigen Fälligstellung einer Forderung resultiert, die nach dem angezeigten Restrukturierungskonzept einer Gestaltung durch den Plan unterworfen werden soll, sofern die Erreichung des Restrukturierungsziels überwiegend wahrscheinlich ist. Diese Alternative ist subsidiär zur ersten Alternative. Ist bereits das Planverfahren soweit fortgeschritten, dass die Planbestätigung höchst wahrscheinlich ist, _____________ 42) Begr. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, S. 177, abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021). 43) So finden sich im Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 162, keine Ausführungen mehr dazu, was passiert, wenn der Plan bereits angenommen wurde. 44) So auch § 63 Rz. 21 f.; Braun-Fendel, StaRUG, § 63 Rz. 3.

Blankenburg

509

44

§ 33

Aufhebung der Restrukturierungssache

greift primär Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 ein. Lediglich wenn sich das Planverfahren noch in einem frühen Stadium befindet, kann auf die zweite Alternative zurückgegriffen werden. 45

Die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung muss aus der Fälligstellung bzw. Kündigung einer einzigen Forderung resultieren. Erforderlich ist, dass ohne die Fälligkeit der Forderung der Liquiditätsstatus und die Überschuldungsbilanz positiv ausfallen würden. Die Feststellung dieses Umstandes wird den Restrukturierungsgerichten erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Da es nicht darauf ankommen kann, dass die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nur an einem bestimmten Stichtag auf lediglich einer Forderung beruht, sondern eine Prognose zu erstellen ist, ist das Gericht auf eine gute Zuarbeit des Restrukturierungsbeauftragten angewiesen oder muss beim Fehlen einen Sachverständigen beauftragten. Ob dies i. S. der Gläubigerschaft ist und wie sich dies zeitnah erreichen lässt, erscheint zweifelhaft.

46

Die Forderung muss nach dem angezeigten Restrukturierungskonzept einer Gestaltung durch den Plan unterworfen sein. Liegt bereits ein Planentwurf vor, ist auf diesen abzustellen. Aus dem Konzept oder dem Plan muss sich ergeben, in welchem Umfang die betroffene Forderung umgestaltet werden soll.

47

Schließlich muss die Erreichung des Restrukturierungsziels überwiegend wahrscheinlich sein. Die Norm definiert nicht, was unter dem Restrukturierungsziel zu verstehen ist. Dies ist nicht i. S. einer vom Schuldner in das Verfahren gesteckten Erwartung zu sehen, sondern nach der Systematik abstrakt auf das Restrukturierungsverfahren zu beziehen. Die Ausnahme gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 3 betrifft nur die Fälle, bei denen die Insolvenzreife des Schuldners eingetreten ist. Das Restrukturierungsziel ist in diesen Fällen, die Forderungen so zu restrukturieren, dass die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Schuldners dauerhaft beseitigt wird. Nur wenn dies nach dem vorgelegten Konzept oder Plan zu erwarten ist, darf trotz der Insolvenzreife des Schuldners von der Aufhebung abgesehen werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit ist dann gegeben, wenn das Gericht ebenso wie der Schuldner davon ausgeht, dass es unter realistischer Entwicklung der gesetzten Prämissen zu einer Planbestätigung kommt. Das Gericht braucht aber keine Überzeugung zu bilden, die keinen vernünftigen Zweifel aufkommen lässt. Die überwiegende Wahrscheinlichkeit bleibt insoweit zurück. cc) Vor der Anzeige eingetretene Insolvenzreife

48

Umstritten ist, ob die Fortsetzung des Verfahrens auch dann möglich ist, wenn der Schuldner bereits bei der Anzeige zahlungsunfähig war. Aus dem Wortlaut des StaRUG lässt sich dies nicht genau entnehmen. Allerdings ergibt sich aus der Zusammenschau von § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und § 63 Abs. 1 Nr. 1, dass eine Planbestätigung dann nicht in Betracht kommt, wenn der Schuldner zahlungsunfähig ist. Während nach § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 die Stabilisierungsanordnung nicht zu erlassen ist, wenn der Schuldner noch nicht drohend zahlungsunfähig ist, liegt ein Versagungsgrund nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 vor, wenn der Schuldner im Zeitpunkt der Bestätigung nicht zahlungsunfähig ist. Trotz des etwas unklaren Wortlauts geht die h. M. davon aus, dass eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit grundsätzlich eine Plan-

510

Blankenburg

§ 33

Aufhebung der Restrukturierungssache

bestätigung ausschließt.45) Daraus wird wiederum zutreffend geschlossen, dass das StaRUG insgesamt auf der Annahme basiert, dass ein insolvenzreifer Schuldner den Restrukturierungsrahmen nicht in Anspruch nehmen darf.46) War der Schuldner bereits bei der Anzeige zahlungsunfähig, hat zwingend eine Aufhebung zu erfolgen.47) 2.

Mangelnde Aussicht auf Erfolg (Abs. 2 Satz 1 Nr. 2)

Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 kann eine Aufhebung erfolgen, wenn sich ergibt, dass das Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat. Dies ist zunächst dann der Fall, wenn der Schuldner eine Anzeige gemäß § 32 Abs. 4 abgibt. In diesem Fall bedarf es keiner Prüfung mehr durch das Gericht, vielmehr kann unmittelbar eine Aufhebung erfolgen.48) Die Anzeige ist abzugrenzen von einer Rücknahme gemäß § 31 Abs. 4 Nr. 1.49) Insoweit bedarf es einer Auslegung, ob der Schuldner umgehend die Wirkung der Restrukturierungssache beseitigen möchte oder eine geregelte Abwicklung über das Gericht herbeiführen will.

49

Die Aussichtslosigkeit kann sich auch aus den sonstigen Umständen ergeben. Insoweit kann auf die Regelung des § 32 Abs. 4 zurückgegriffen werden. Danach besteht dann keine Aussicht auf Erfolg, wenn infolge der erkennbar gewordenen ernsthaften und endgültigen Ablehnung des vorgelegten Restrukturierungsplans durch Planbetroffene nicht davon ausgegangen werden kann, dass die für eine Planannahme erforderlichen Mehrheiten erreicht werden können. Die Ablehnung muss ernsthaft erfolgt sein. Insoweit bedarf es einer konkreten Äußerung durch mindestens einen der Planbetroffenen gegenüber dem Schuldner, dem Restrukturierungsbeauftragten oder dem Gericht. Allgemein geäußerter Unmut über das Restrukturierungsvorhaben reicht insoweit nicht aus. Ferner muss die Ablehnung endgültig sein. Dies ist der Fall, wenn auch bei Nachverhandlungen davon auszugehen ist, dass es nicht zu einer Annahme des Restrukturierungsplans kommen wird.50) Schließlich bedarf es nicht nur der Ablehnung einzelner Planbetroffener, sondern einer solchen Anzahl, die die erforderliche Mehrheit in den jeweiligen Gruppen verhindert. Es darf insoweit nicht möglich sein, dass die Zustimmung einer Gruppe ersetzt wird.

50

3.

Verstoß gegen Pflichten aus § 32 (Abs. 2 Satz 1 Nr. 3)

Die Restrukturierungssache ist aufzuheben, wenn der Schuldner in schwerwiegender Weise gegen seine Pflichten aus § 32 verstoßen hat. Dies sind folgende Pflichten (hinsichtlich des Umfangs der einzelnen Pflichten siehe § 32 Rz. 22 ff.): –

Sorgfältige Führung der Restrukturierungssache (§ 32 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1);



Wahrung der Interessen der Gläubiger (§ 32 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2);

_____________ 45) Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 63 Rz. 11; Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 31; a. A. wohl Braun-Fendel, StaRUG, § 63 Rz. 3. 46) Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 31; Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 63 Rz. 11. 47) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 31. 48) Nach Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 34, hat das Gericht den Schuldner bei einer nicht nachvollziehbaren Entscheidung zu motivieren, das Verfahren doch noch zu betreiben. 49) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 34. 50) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 140.

Blankenburg

511

51

§ 33

Aufhebung der Restrukturierungssache



Anzeige von wesentlichen Änderungen beim Gegenstand oder Verhandlungsstand des Restrukturierungsvorhabens (§ 32 Abs. 2 Satz 1);



Anzeige von wesentlichen Änderungen in Bezug auf die Stabilisierungsanordnung (§ 32 Abs. 2 Satz 1);



Anzeige der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung (§ 32 Abs. 3);



Keine Anzeige der mangelnden Aussichten auf Erfolg (§ 32 Abs. 4);

52

Verstöße gegen die Pflichten aus § 32 Abs. 3 und 4 werden bei § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 keine Rolle spielen, da insoweit bereits auf § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 zurückgegriffen werden kann. Da für die Verletzung der Anzeigeobliegenheit entweder die materielle Insolvenzreife oder mangelnde Erfolgsaussicht vorliegen muss, werden insoweit auch die Voraussetzungen von § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 erfüllt sein.

53

Es muss ein schwerwiegender Verstoß gegen eine Pflicht aus § 32 vorliegen. Ein Verstoß ist dann schwerwiegend, wenn durch das Verhalten des Schuldners die Interessen der Gläubigerschaft gefährdet werden. Bei einer unterlassenen Anzeige von wesentlichen Änderungen wird in der Regel davon auszugehen sein, dass ein schwerwiegender Verstoß vorliegt, da insoweit das Vertrauen in den Schuldner erheblich beeinträchtigt ist. Da die Pflicht aus § 32 Abs. 1 sehr weit ist, bedarf es einer genauen Prüfung, inwieweit die Interessen der Gläubigerschaft gefährdet wurden.

54

Aus dem Passus „Umstände bekannt sind“ ausgibt sich, dass das Restrukturierungsgericht auch hinsichtlich von Verstößen gegen die Pflichten aus § 32 nicht verpflichtet ist, amtswegige Ermittlungen vorzunehmen.51) Insbesondere muss es nicht von sich aus ermitteln, ob die Voraussetzungen der § 32 Abs. 2 bis 4 vorliegen, die zu einer Anzeigepflicht des Schuldners geführt hätten. Werden hingegen Umstände bekannt, greift die Amtsermittlungspflicht ein, um den genauen Umfang einer Pflichtverletzung zu ermitteln. 4.

55

Frühere Restrukturierungssachen (Abs. 2 Satz 1 Nr. 4)

Ein Restrukturierungsgericht kann gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 die Restrukturierungssache aufheben, wenn bereits früher eine solche rechtshängig gewesen ist und abschließend bestimmte Entscheidungen erfolgt sind. Es soll damit verhindert werden, dass die Instrumente des Rahmens beliebig, ohne Zielorientierung und unter Umgehung der Höchstdauer für Stabilisierungsanordnungen zulasten der davon betroffenen Gläubiger genutzt werden.52) a) Aufhebungsrelevante Entscheidung

56

Allein der Umstand, dass bereits eine frühere Restrukturierungssache bezüglich des Schuldners rechtshängig war, berechtigt noch nicht zur Aufhebung. Erforderlich ist vielmehr, dass in dieser früheren Sache enumerativ aufgezählte Entscheidungen getroffen wurden. Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 lit. a muss in dieser Sache entweder eine Stabilisierungsanordnung gemäß § 51 oder eine Planbestätigung gemäß _____________ 51) Ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 39. 52) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 140.

512

Blankenburg

§ 33

Aufhebung der Restrukturierungssache

§§ 60 ff. erfolgt sein. Gleichgestellt mit der Inanspruchnahme von Stabilisierungsinstrumenten wird gemäß § 33 Abs. 2 Satz 4 ein in Eigenverwaltung geführtes Insolvenzverfahren.53) Ist ein reguläres Insolvenzverfahren vorher geführt worden, steht dies der Restrukturierungssache nicht entgegen. Da das Insolvenzverfahren erst ab der Eröffnung beginnt, muss auch das Eigenverwaltungsverfahren eröffnet worden sein. Nicht ausreichend ist es, wenn lediglich eine vorläufige Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO angeordnet wurde. Als weitere Entscheidungen kommen bestimmte Aufhebungen in Betracht. Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 lit. b muss die Aufhebung erfolgt sein, weil der Schuldner entweder gegen seine Pflichten zur Mitwirkung und Auskunftserteilung in schwerwiegender Weise oder gegen die aus § 32 ergebenden Pflichten verstoßen hat (siehe dazu Rz. 51 ff.). Sanktioniert werden soll eine frühere Aufhebung daher nur, wenn sie durch ein vorwerfbares Verhalten des Schuldners erfolgt ist. In diesem Fall soll es nicht möglich sein, durch eine schlichte Erneuerung der Anzeige das Fehlverhalten wieder rückgängig zu machen.54)

57

b) Ausschluss der Aufhebung aufgrund nachhaltiger Sanierung Nach § 33 Abs. 2 Satz 2 soll dann keine Aufhebung wegen einer früheren Restrukturierungssache erfolgen, wenn der Anlass für die frühere Restrukturierungssache infolge einer nachhaltigen Sanierung bewältigt wurde. Sanierung bedeutet, dass der damalige Grund für die Unternehmenskrise entfallen ist. Nachhaltig ist insoweit zu verstehen, dass der Sanierungserfolg über einen längeren Zeitraum Bestand gehabt haben muss. Dies ist nur dann der Fall, wenn sich der aktuelle Sanierungsbedarf aus anderen Umständen ergibt als der Frühere. Der damalige Grund muss durch die erfolgte Sanierung behoben worden sein. Diese Beurteilung lässt erheblichen Spielraum für das Gericht.

58

Um den gerichtlichen Spielraum einzugrenzen und die Vorschrift in der Praxis handhabbar zu machen, befindet sich in § 33 Abs. 2 Satz 3 die widerlegbare Vermutung, dass keine nachhaltige Sanierung vorliegt, wenn seit dem Anordnungsende der Stabilisierungsanordnung oder der Planbestätigung weniger als drei Jahre vergangen sind. Die Vermutung wird nur zu widerlegen sein, wenn der neue Sanierungsbedarf aufgrund von exogenen Umständen eingetreten ist, die bei der vorherigen Sanierung nicht berücksichtigt werden konnten (z. B. Folgen einer Pandemie, weltpolitische Entscheidungen wie Zölle oder Handelsbeschränkungen). Auch nach Ablauf der von drei Jahren ist eine Aufhebung möglich.55) In diesem Fall wird es aber erforderlich sein, dass das Gericht konkret darlegt, warum die vorherige Sanierung nicht als nachhaltig angesehen wird. Durch die Vermutungsregelung wird eine flexiblere Handhabung als bei einer starren Fristenregelung ermöglicht.56)

59

_____________ 53) § 33 Abs. 4 Satz 2 bezieht sich dabei nicht nur auf die Regelvermutung, sondern bereits auf den Aufhebungstatbestand gemäß § 33 Abs. 4 Satz 1 lit. a (so auch Kramer in: BeckOKStaRUG, § 33 Rz. 54). 54) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 140. 55) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 51. 56) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 140.

Blankenburg

513

§ 33

Aufhebung der Restrukturierungssache

VI. Rechtsfolgen 1.

Aufhebung von Amts wegen, Vorrang von Stabilisierungsanordnungen (Abs. 3)

60

Das Restrukturierungsgericht hat die Restrukturierungssache grundsätzlich von Amts wegen aufzuheben, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Es handelt sich um eine gebundene Entscheidung.57) Dies gilt sowohl für die Gründe aus § 33 Abs. 1 als auch aus § 33 Abs. 2, auch wenn dies bei letzterem sich nicht direkt aus dem Wortlaut ergibt.58) Bei den Gründen gemäß § 33 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 3 hat zwingend eine Aufhebung zu erfolgen. Bei den Gründen gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 4 muss das Restrukturierungsgericht hingegen eine Wertung vornehmen.

61

Da der Gesetzgeber auch hinsichtlich von Stabilisierungsanordnungen einen Aufhebungstatbestand in § 59 Abs. 1, 2 normiert, bedarf es einer Abstimmung zwischen diesen Aufhebungsmöglichkeiten. Der Aufhebung gemäß § 59 ist insoweit der Vorrang zu gewähren. Wird die Stabilisierungsanordnung nicht aufgehoben, kann die Restrukturierungssache nicht gemäß § 33 Abs. 3 insgesamt aufgehoben werden. Ist daher eine Stabilisierungsanordnung erfolgt, hat das Restrukturierungsgericht diese zunächst aufzuheben, bevor es die Restrukturierungssache insgesamt aufheben kann. Da gemäß § 59 Abs. 1 Nr. 2 die gleichen Voraussetzungen wie in § 33 die Aufhebung der Stabilisierungsanordnung rechtfertigen, kommt es häufig zu einem Gleichlauf der Aufhebungen. In diesen Fällen kann das Restrukturierungsgericht beide Maßnahmen in einer einzigen Entscheidung aufheben. 2.

Form der Aufhebung

62

Die Aufhebung erfolgt durch Beschluss des Restrukturierungsgerichts. Da er rechtsmittelfähig ist (siehe dazu Rz. 66), sollte er eine Begründung enthalten. Der Schluss ist dem Schuldner zuzustellen.59)

63

Bei der Aufhebung bedarf es grundsätzlich keiner Entscheidung über die Kosten.60) Die Kostentragungspflicht ist in § 25a Abs. 1 GKG geregelt, wonach der Schuldner die Kosten zu tragen hat. Die Möglichkeit einer anderweitigen Bestimmung wird sich lediglich auf die Kosten des Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 25a Abs. 2 GKG beziehen. Insoweit hat allerdings bereits eine abweichende Entscheidung zulasten eines Gläubigers im Kostenfestsetzungsbeschluss zu erfolgen (§ 89 Abs. 2 Satz 1).

64

Einer Gegenstandsfestsetzung bedarf es ebenfalls nicht, da sich die Kosten nicht an einem solchen orientieren. Die Kosten des GKG sind in absoluten Beträgen ausgegeben, die Kosten für den Restrukturierungsbeauftragten werden nach Stundensätzen bestimmt, ebenso wie ggfs. anfallende Sachverständigenkosten. Der Gegen_____________ 57) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 5. 58) Auch die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass eine Aufhebung von Amts wegen zu erfolgen hat (Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 138); ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 5; Thole, ZIP 2020, 1985, 1993. 59) Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 69. 60) Ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 70.

514

Blankenburg

Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung

§ 34

standswert für das RVG ist nach § 29a RVG für jeden Auftraggeber gesondert zu bestimmen. 3.

Kosten

Die Kostentragungspflicht ergibt sich aus § 25a GKG. Gemäß § 25 Abs. 1 GKG hat grundsätzlich der Schuldner die Kosten zu tragen, wenn nichts anderes bestimmt ist. Eine solche andere Bestimmung ist in § 25a Abs. 2 GKG legaldefiniert. Danach haben die Gläubiger, die gemäß § 77 einen Antrag auf Einsetzung eines fakultativen Restrukturierungsbeauftragten gestellt haben, die Gerichtskosten i. H. von 500 € (Nr. 2513 des Kostenverzeichnisses des GKG) sowie die Auslagen für diesen zu zahlen. Über diese Kostentragungspflicht ist gemäß § 89 Abs. 2 Satz 1 bereits bei der Kostenfestsetzung zu entscheiden. VII.

65

Rechtsmittel (Abs. 4)

Der Beschluss kann gemäß § 33 Abs. 4 durch den Schuldner mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden. Diese ist innerhalb einer Frist von zwei Wochen beim Restrukturierungsgericht einzulegen (siehe dazu § 40 Rz. 22).

§ 34 Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung Blankenburg

(1) 1Für Entscheidungen in Restrukturierungssachen ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk ein Oberlandesgericht seinen Sitz hat, als Restrukturierungsgericht für den Bezirk des Oberlandesgerichts ausschließlich zuständig. 2Ist dieses Amtsgericht nicht für Regelinsolvenzsachen zuständig, so ist das Amtsgericht zuständig, das für Regelinsolvenzsachen am Sitz des Oberlandesgerichts zuständig ist. (2) 1Die Landesregierungen werden ermächtigt, zur sachdienlichen Förderung oder schnelleren Erledigung von Restrukturierungssachen durch Rechtsverordnung 1.

innerhalb eines Bezirks die Zuständigkeit eines anderen, für Regelinsolvenzsachen zuständigen Amtsgerichts zu bestimmen oder

2.

die Zuständigkeit eines Restrukturierungsgerichts innerhalb eines Landes zusätzlich auf den Bezirk eines oder mehrerer weiterer Oberlandesgerichte zu erstrecken.

2

Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. 3Mehrere Länder können die Errichtung gemeinsamer Abteilungen eines Amtsgerichts für Restrukturierungssachen oder die Ausdehnung von Gerichtsbezirken für Restrukturierungssachen über die Landesgrenzen hinaus vereinbaren. Literatur: Deppenkemper, Ziel erreicht? Außergerichtliche Sanierung bereits ab 1.1.2021!, ZIP 2020, 2432.

Blankenburg

515

66

§ 34

Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung Übersicht

I. II. III. IV.

Normzweck ........................................... 1 Normhistorie ........................................ 3 Anwendungsbereich ............................ 6 Originäre Zuständigkeit der AG am Sitz des OLG (Abs. 1) ................... 7 1. Zuständigkeit der AG ........................... 7 2. Zuständigkeit am Sitz des OLG ........... 8 V. Ermächtigung des Landesgesetzgebers zur anderweitigen Bestimmung (Abs. 2) ..................................... 10 1. Bestimmung eines anderen Gerichts (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) ........................... 12

I.

2.

Weitere Konzentration in einem Bundesland (Abs. 2 Satz 1 Nr. 2) ....... 13 3. Konzentration über Bundeslandgrenzen hinaus (Abs. 2 Satz 3) ........... 14 4. Liste der Restrukturierungsgerichte ................................................. 17 VI. Rechtsfolgen ....................................... 18 1. Ausschließliche Zuständigkeit ........... 18 2. Rechtshilfe ........................................... 19 VII. Exkurs: Funktionelle Zuständigkeit ....................................................... 23

Normzweck

1

Die Norm regelt die sachliche Zuständigkeit, wo hingegen § 35 die örtliche Zuständigkeit regelt. Der Gesetzgeber hat sich anders als bei den Insolvenzverfahren dafür entschieden, eine umfängliche Zentralisierung vorzunehmen. Dazu soll grundsätzlich nur pro OLG-Bezirk ein Restrukturierungsgericht bestehen. Die Landesregierungen werden lediglich ermächtigt, ein anderes als das AG am Ort des OLG zu bestimmen oder einem Gericht die Zuständigkeit für mehrere Bezirke zu übertragen.

2

Diese Zentralisierung soll dazu beitragen, auf Dauer eine sachgerechte, professionelle, effiziente und ihrer rechtlichen sowie wirtschaftlichen Komplexität gerecht werdende Bearbeitung von Restrukturierungssachen zu gewährleisten.1) Die AG wurden ausgewählt, da an Insolvenz- und Restrukturierungsrichter einheitliche Qualifikationsanforderungen zu stellen sind.2) II. Normhistorie

3

§ 34 ist nicht unmittelbarer Ausfluss einer Norm der Restrukturierungsrichtlinie3). Auf Europäischer Ebene wird lediglich die Beteiligung einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde vorausgesetzt, ohne diese näher zu spezifizieren. Nach Art. 4 Abs. 6 Restrukturierungsrichtlinie können die nationalen Gesetzgeber die Beteiligung der Justiz- oder Verwaltungsbehörde auf das Erforderliche und Angemessene beschränken, wobei zugleich sicherzustellen ist, dass die Rechte betroffener Parteien und einschlägiger Interessenträger gewahrt werden.

4

Der Europäische Gesetzgeber hat allerdings zum inneren Aufbau der Justizbehörden Vorgaben gemacht, um eine effektive Handhabung des Verfahrens sicher zu stellen. _____________ 1)

2) 3)

516

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 141; krit. dazu Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2436, der die fehlende Verbindung der Richterschaft mit den örtlichen Gegebenheiten kritisiert. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 141. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

Blankenburg

Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung

§ 34

Nach Art. 25 lit. a Restrukturierungsrichtlinie sollen die Mitglieder eine angemessene Ausbildung und die erforderliche Sachkunde erhalten. Nach Art. 25 lit. b Restrukturierungsrichtlinie soll sichergestellt werden, dass die Restrukturierungsverfahren auf eine effiziente Weise geführt werden. Die Norm hat ihre Grundstruktur bereits im RefE4) erhalten und war dort als § 34 bezeichnet. Im RegE5) ist sie dann als § 36 bezeichnet worden. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses6) hat die Norm dann die endgültige Nummerierung erhalten. In § 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 wurde der Begriff der Insolvenzsachen durch den Begriff der Regelinsolvenzsachen ausgetauscht. Zudem wurde § 34 Abs. 2 durch Satz 3 ergänzt, wonach eine Konzentration über Landesgrenzen hinweg möglich sein soll.

5

III. Anwendungsbereich Da die Norm in Teil 2 des StaRUG enthalten ist, gilt sie unmittelbar nur für die Verfahren des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens. Für die Sanierungsmoderation gilt die Norm nicht unmittelbar. Allerdings ist gemäß § 94 Abs. 3 der Antrag auf Bestellung eines Sanierungsmoderators an das für Restrukturierungssachen zuständige Gerichte zu richten, so dass sich mittelbar auch für die Sanierungsmoderation die gerichtliche Zuständigkeit nach den §§ 34 f. bestimmt.7) Wie sich aus § 97 Abs. 1 Satz 1 ergibt, wird in diesem Fall das Gericht auch weiterhin als Restrukturierungsgericht bezeichnet und nicht als Sanierungsgericht.

6

IV. Originäre Zuständigkeit der AG am Sitz des OLG (Abs. 1) 1.

Zuständigkeit der AG

Für die Restrukturierungssachen sind eigenständige Abteilungen der AG als Restrukturierungsgerichte zu bilden. Im Vorfeld der Richtlinienumsetzung wurde diskutiert, die Zuständigkeit den OLG oder den LG zuzuweisen. Für eine Ansiedlung an diesen Gerichten wurde vorgebracht, dass dort die Kompetenz der Richter höher sei. Dieses Argument mag zwar für das OLG zutreffen, kann jedoch keine allgemeine Gültigkeit für das LG haben, da auch dort Assessoren tätig werden und es weder einer Erprobung noch einer sonstigen gesteigerten Qualifikation bedarf, um am LG tätig zu werden. Eine höhere Sachkompetenz hätte daher allenfalls an den OLG erreicht werden können. Zutreffend hat der Gesetzgeber allerdings darauf abgestellt, dass es nicht allein auf die allgemeine Qualifikation der Richter ankommt, sondern dass hinreichende und konstante Fallzahlen anfallen müssen, damit sich bei den Restrukturierungsgerichten die erforderliche Expertise und Erfahrung bilden kann.8) Durch die Zuweisung an die AG wird es ermöglicht, dass _____________ 4)

5) 6) 7) 8)

RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. Ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 34 Rz. 3. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 141.

Blankenburg

517

7

§ 34

Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung

die Restrukturierungsrichter auch von der bereits bestehenden Kompetenz der Insolvenzgerichte profitieren, insbesondere da der Restrukturierungsplan in vielen Bereichen dem Insolvenzplan angenähert ist. Eine Zuweisung an die OLG hätte bedeutet, dass dort vollständig eine neue Kompetenz hätte aufgebaut werden müssen. 2.

Zuständigkeit am Sitz des OLG

8

Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 ist das AG, in dessen Bezirk ein OLG seinen Sitz hat, als Restrukturierungsgericht für den Bezirk des OLG zuständig. Die Zentrierung erfolgt nach dem Willen des Gesetzgebers, um auf Dauer eine sachgerechte, professionelle, effiziente und ihrer rechtlichen sowie wirtschaftlichen Komplexität gerecht werdende Bearbeitung von Restrukturierungssachen zu gewährleisten.9) Der Schlüssel zum Erfolg für eine hinreichende gerichtliche Kompetenz dürfte in der Tat in der Fallzahl liegen, die die Restrukturierungsrichter jährlich zu bearbeiten haben. Sollten diese nur für wenige Verfahren im Jahr zuständig sein, wird sich kaum Routine einstellen und es werden sich kaum Erfahrungswerte sammeln lassen.10) Während es bei einvernehmlichen Lösungen für den Erfolg des Verfahrens kaum auf die Kompetenz des Gerichts ankommen wird, ändert sich dies, soweit Gläubiger oder Anteilsinhaber gegen das Verfahren arbeiten. In diesen Fällen wird es darauf ankommen, dass die Gerichte den Sachverhalt in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht ausreichend würdigen können. Dies ist nur möglich, wenn der Richter eigene Erfahrung gesammelt hat oder zumindest auf die Erfahrung weiterer Kollegen zurückgreifen kann.

9

Ist das AG am Sitz des OLG nicht für die Regelinsolvenzsachen zuständig, so wird das Gericht zum Restrukturierungsgericht, dass für den Bezirk, in dem das OLG seinen Sitz hat, für die Regelinsolvenzsachen zuständig ist. Durch die Norm soll vermieden werden, dass ein Gericht zum Restrukturierungsgericht wird, ohne dass es bereits eine gewisse Kompetenz in den Insolvenzverfahren aufgebaut hat. Diese Regelung greift bei den OLG Hamm (AG Dortmund), Naumburg (AG Saale), sowie beim Schleswig-Holsteinischen OLG in Schleswig (AG Flensburg), dem brandenburgischen OLG in Brandenburg (AG Potsdam) und dem thüringischen OLG in Jena (AG Gera) ein. V. Ermächtigung des Landesgesetzgebers zur anderweitigen Bestimmung (Abs. 2)

10

Nach § 34 Abs. 2 Satz 1 sind die Landesregierungen ermächtigt, zur sachdienlichen Förderung oder schnelleren Erledigung von Restrukturierungssachen durch Rechtsverordnung anderweitige Bestimmung zu treffen. Anders als bei § 2 Abs. 2 InsO ist es allerdings nicht möglich, von der Zentralisierung abzusehen und bei mehreren Gerichten innerhalb eines OLG-Bezirks eine Restrukturierungsabteilung einzurichten.

11

Gemäß § 34 Abs. 2 Satz 2 kann die Ermächtigung durch eine Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen werden. Davon wird in der Regel in _____________ 9) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 141. 10) In der ersten Hälfte des Jahres 2021 sind lediglich einige wenige Verfahren bei den Restrukturierungsgerichten anhängig gewesen. In Niedersachsen und Bremen ist in diesem Zeitraum keine einzige Anzeige bei den Gerichten eingereicht worden.

518

Blankenburg

Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung

§ 34

den Ländern Gebrauch gemacht, so dass die jeweiligen Justizministerien ermächtigt sind, die Zuständigkeitsbestimmung zu treffen. 1.

Bestimmung eines anderen Gerichts (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1)

Nach § 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 sind die Landesregierungen ermächtigt, innerhalb eines Bezirks ein anderes Insolvenzgericht als Restrukturierungsgericht zu bestimmen. Da anders als in § 34 Abs. 1 für die Zuständigkeit nur generell auf die Insolvenzsachen abgestellt wird, ist es auch möglich, die Zuständigkeit auf ein AG zu übertragen, dass keine Regelinsolvenzverfahren bearbeitet. Dies erscheint jedoch nicht sachgerecht, da es kontraproduktiv wäre, die Restrukturierungssachen von den Regelinsolvenzen abzuspalten. Die Norm wird daher nur bei den OLG eine Relevanz haben, bei denen die originär zuständigen AG nicht die größten im Bezirk sind. In diesen Fällen kann es sich anbieten, die Zuständigkeit dem größten Insolvenzgericht zuzuweisen, damit dort die Fallzahlen erreicht werden können, um die erforderliche Qualifikation der Restrukturierungsrichter zu erreichen. 2.

Weitere Konzentration in einem Bundesland (Abs. 2 Satz 1 Nr. 2)

§ 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ermächtigt die Landesregierungen, innerhalb eines Landes ein Restrukturierungsgericht für mehrere OLG-Bezirke zu schaffen. Eine entsprechende Konzentration kommt nur in den Bundesländern in Betracht, die mehr als ein OLG aufweisen. Dies sind derzeit Baden-Württemberg (OLG Karlsruhe, OLG Stuttgart), Bayern (OLG Bamberg, OLG München, OLG Nürnberg), Niedersachen (OLG Braunschweig, OLG Celle, OLG Oldenburg), Nordrhein-Westfalen (OLG Düsseldorf, OLG Hamm, OLG Köln) sowie Rheinland-Pfalz (OLG Karlsruhe, OLG Zweibrücken). Insbesondere wenn die Gerichtsbezirke der OLG keine hinreichende Größe aufweisen, könnte sich eine weitere Zentralisierung anbieten. Da die Restrukturierungsverfahren primär auf große Insolvenzverfahren zugeschnitten sind, erscheint es auch nicht erforderlich, eine besondere Ortsnähe zu erreichen. Derzeit hat kein Bundesland von der Ermächtigung gebracht gemacht. 3.

12

13

Konzentration über Bundeslandgrenzen hinaus (Abs. 2 Satz 3)

Nach § 34 Abs. 2 Satz 3 ist eine Konzentration über die Landesgrenzen hinweg möglich. Die Regelung ist an den § 3 Abs. 2 VwGO und § 3 Abs. 2 FGO orientiert. Anders als diese Normen sieht § 34 Abs. 2 Satz 3 allerdings nicht die Möglichkeit der Schaffung eines gemeinsamen Gerichts vor. Dies wäre verfassungsrechtlich nicht möglich gewesen, da die Restrukturierungsgerichte Teil der AG sind und es aufgrund der Bündelung von Rechtsgebieten nicht möglich ist, ein gemeinsames AG zu schaffen.11) Die Norm sieht daher nur die Möglichkeit der Schaffung einer gemeinsamen Abteilung oder der Ausdehnung eines Gerichtsbezirks über die Landesgrenzen hinaus. Die gemeinsame Zuständigkeit muss durch einen Staatsvertrag zwischen den Ländern geregelt werden.12)

_____________ 11) So auch Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 8. 12) Dazu Gräber-Herbert, FGO, § 3 Rz. 6; Schoch/Schneider-Clausing/Panzer, VwGO, § 3 Rz. 26.

Blankenburg

519

14

§ 34

Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung

15

Zunächst ist es möglich, eine Abteilung zu schaffen, die für beide Länder zuständig ist. Da durch das BVerfG bereits die Schaffung eines gemeinsamen Gerichts als verfassungsgemäß angesehen wurde,13) dürften gegen die Schaffung einer gemeinsamen Abteilung keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Würde eine derartige Abteilung durch Staatsvertrag der beteiligten Länder errichtet, müsste sie an einem Gericht eines Landes eingegliedert werden.14) Eine organisationsrechtliche Selbstständigkeit der Abteilung wäre nicht möglich. Die Abteilung könnte dann mit Richtern aus beiden Bundesländern besetzt werden. Es müsste insoweit bei den Richtern, die nicht dem organisatorisch führenden AG zugeordnet sind, eine Teilabordnung erfolgen.

16

Zum anderen besteht die Möglichkeit, die Zuständigkeit eines Gerichts über die Landesgrenzen hinaus auszudehnen. Anders als bei § 34 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 wird keine selbständige Abteilung gebildet, die eine gesonderte Bezeichnung erhalten würde, sondern es wird die Zuständigkeit einer bereits bestehenden Abteilung über den eigenen Bezirk hinaus ausgeweitet. Die Erstreckung darf sich nur auf einen Teil des anderen Landes beziehen.15) Damit wird diese Regelung für die kleinen Länder nahezu unbrauchbar, wenn die Zuständigkeit des Nachbarlandes auf das gesamte Gebiet ausgedehnt werden soll.16) 4.

17

Liste der Restrukturierungsgerichte

Oberlandesgericht

Restrukturierungsgericht

OLG Bamberg

AG Bamberg

KG Berlin

AG Berlin-Charlottenburg

Brandenburgisches OLG

AG Potsdam

OLG Braunschweig

AG Braunschweig

Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen

AG Bremen

OLG Celle

AG Hannover

OLG Dresden

AG Dresden

OLG Düsseldorf

AG Düsseldorf

OLG Frankfurt am Main

AG Frankfurt

_____________ 13) BVerfG, Beschl. v. 14.7.2006 – 2 BvR 1058/05, BVerfGK 8, 395. 14) Schoch/Schneider-Clausing/Panzer, VwGO, § 3 Rz. 28; Sodan/Ziekow-Kronisch, VwGO, § 3 Rz. 63. 15) BVerfG, Beschl. v. 7.5.1974 – 2 BVL 17/73, NJW 1974, 1812, 1813; ebenso Schoch/SchneiderClausing/Panzer, VwGO, § 3 Rz. 29; Sodan/Ziekow-Kronisch, VwGO, § 3 Rz. 64. 16) So wäre es z. B. nicht möglich, die Zuständigkeit des OLG Oldenburg auf die Zuständigkeit des AG Bremen auszudehnen, vielmehr müsste eine gemeinsame Abteilung unter der Bezeichnung Restrukturierungsgericht Bremen-Oldenburg erfolgen. Andersherum wäre hingegen eine Ausdehnung der Zuständigkeit des AG Bremen auf den Bezirk des AG Oldenburg möglich.

520

Blankenburg

§ 34

Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung Hanseatisches Oberlandesgericht in Hamburg

AG Hamburg

OLG Hamm

AG Essen

Thüringisches Oberlandesgericht in Jena

AG Gera

OLG Karlsruhe

AG Karlsruhe

OLG Koblenz

AG Koblenz

OLG Köln

AG Köln

OLG München

AG München

OLG Naumburg

AG Halle/Saale

OLG Nürnberg

AG Nürnberg

OLG Oldenburg

AG Oldenburg

OLG Rostock

AG Rostock

OLG Saarbrücken

AG Saarbrücken

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht in Schleswig

AG Flensburg

OLG Stuttgart

AG Stuttgart

Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken

AG Zweibrücken

VI. Rechtsfolgen 1.

Ausschließliche Zuständigkeit

Für die Verfahren nach dem StaRUG sind die Restrukturierungsgerichte ausschließlich zuständig. Die sachliche Zuständigkeit kann nicht durch eine Vereinbarung anders geregelt werden (§ 38 StaRUG i. V. m. § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Wird die Anzeige an ein Insolvenzgericht gerichtet, hat dieses die Anzeige entweder hausintern an das Restrukturierungsgericht weiterzureichen oder an das für den Bezirk zuständige Restrukturierungsgericht abzugeben. Es gilt dann § 281 ZPO (i. V. m. § 38 StaRUG) entsprechend. Siehe dazu ausführlich § 35 Rz. 22. 2.

18

Rechtshilfe

Auch i. R. des StaRUG sind Rechtshilfeersuchen möglich. Denkbar könnten etwa Zeugenvernehmungen gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 sein. Hinsichtlich solcher Rechtshilfeersuchen ist zwischen Ersuchen an die AG im eigenen Gerichtsbezirk und in anderen Gerichtsbezirken zu differenzieren.

19

Auch wenn die Bezirke der Restrukturierungsgerichte sehr groß sein können,17) ist es nicht möglich, innerhalb des eigenen Bezirks auf die Rechtshilfe anderer AG

20

_____________ 17) Bspw. befinden sich im Zuständigkeitsbereich des AG Essen – Restrukturierungsgericht – 77 AG.

Blankenburg

521

§ 34

Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung

zurückzugreifen.18) Vernehmungen oder Anhörungen müssen immer am Restrukturierungsgericht erfolgen, mag die Anreise dahin auch beschwerlich sein. 21

Hinsichtlich Rechtshilfeersuchen an Gerichte außerhalb des eigenen Bezirks ist auf § 157 Abs. 1 GVG abzustellen. Danach sind diese Ersuchen an das AG zu richten, in dessen Bezirk die Amtshandlung vorgenommen werden soll. In Insolvenzsachen geht die h. M. davon aus, dass ein Rechtshilfeersuchen eines Insolvenzgerichts an das allgemein örtlich zuständige AG zu richten ist, nicht hingegen an das speziellere Insolvenzgericht.19) Da die Rechtshilfe eine selbstständige Aufgabe der AG und nicht Anhangszuständigkeit zu den jeweiligen sachlichen Zuständigkeiten ist,20) wird dieser Grundsatz auch auf die Restrukturierungssachen übertragen werden müssen.21) Diese formale Differenzierung zwischen dem eigenen Bezirk und dem fremden Bezirk führt allerdings zu fraglichen Ergebnissen, da Beteiligte ggf. im eigenen Bezirk sehr weite Strecken für eine Anhörung zurücklegen müssen, während in anderen Bezirken beim wohnortzuständigen Gericht eine Anhörung möglich ist.22) Insoweit sind die Landesgesetzgeber aufgerufen, von der Konzentrationsermächtigung gemäß § 157 Abs. 2 GVG Gebrauch zu machen.

22

Das Rechtshilfeersuchen ist schriftlich an das ersuchte Gericht zu richten. Dabei müssen das ersuchte Gericht und die vorzunehmende Handlung möglichst genau bezeichnen werden.23) Geht es um die Anhörung von Beteiligten, sollte ein entsprechender Beweisbeschuss ergehen.24) VII.

23

Exkurs: Funktionelle Zuständigkeit

Die funktionale Zuständigkeit ist im SanInsFoG nicht besonders geregelt und bestimmt sich nach den allgemeinen Regelungen. Danach sind die Richter für das gesamte Verfahren zuständig. Mangels einer Verweisung im RPflG wird die Bearbeitung anders als bei den Insolvenzsachen nicht teilweise auf den Rechtspfleger übertragen.25) Unklar ist die Anwendung der Normen zur Übertragung im Kostenfestsetzungsverfahren, der Prozesskostenhilfe sowie der Erteilung von vollstreckbaren Ausfertigungen. Im Zivilprozess sind die Aufgaben dem Rechtspfleger gemäß § 3 Abs. 3 lit. a i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 4, 5, 12 und § 21 RPlfG übertragen. Im Insol_____________ 18) Ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 34 Rz. 9; so auch zu § 157 GVG in Insolvenzsachen OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.1.2002 – 10 W 9/01, ZInsO 2002, 372, 373 = ZVI 2002, 168; Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, § 2 Rz. 31; Ganter/Bruns in: MünchKommInsO, § 2 Rz. 12; Rüther in: HambKomm-InsO, § 2 Rz. 10; Ahrnes/Gehrlein/RingstmeierAhrens, InsR, § 2 InsO Rz. 13; Schmerbach in: FK-InsO, § 2 Rz. 22. 19) LG Dortmund, Beschl. v. 4.4.2002 – 9 T 297/02, NZI 2002, 556; LG Hamburg, Beschl. v. 1.5.2006 – 301 AR 8/06, ZIP 2006, 1747 f.; K Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, § 2 Rz. 31; Rüther in: HambKomm-InsO, § 2 Rz. 1; Schmerbach in: FK-InsO, § 2 Rz. 22; Ahrnes/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 2 InsO Rz. 13. 20) Kissel/Mayer, GVG, § 157 Rz. 7. 21) Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 34 Rz. 9. 22) So müsste ein Zeuge, der in Cuxhaven wohnt, für eine Vernehmung am Restrukturierungsgericht Hannover über 200 km anreisen, während ein Zeuge aus Braunschweig, der einen Anfahrtsweg von ca. 60 km hätte, am AG seines Wohnortes vernommen werden würde. 23) Zimmermann in: MünchKomm-ZPO, § 157 GVG Rz. 4. 24) Zimmermann in: MünchKomm-ZPO, § 157 GVG Rz. 4. 25) Ebenso Braun-Baumert, StaRUG, § 34 Rz. 4; Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 34 Rz. 10.

522

Blankenburg

§ 35

Örtliche Zuständigkeit

venzverfahren ist eine Übertragung gemäß § 3 Nr. 2 lit. e RPlfG erfolgt. Es erscheint zweifelhaft, ob über § 38 Satz 1 die entsprechenden Normen auch für das Restrukturierungsverfahren übertragen werden können.26) Aufgrund der expliziten Regelungen im RPflG sowie der grundsätzlich zwingenden Richterzuständigkeit bedarf es einer eigenständigen Übertragung. Solange § 3 RPlfG nicht auf das Restrukturierungsverfahren erweitert wurde, verbleibt es grundsätzlich bei der richterlichen Zuständigkeit. Ebenso wie bei den Insolvenzgerichten dürfen Richter auf Probe im ersten Jahr die Tätigkeiten an den Restrukturierungsgerichten nicht wahrnehmen (§ 22 Abs. 6 Satz 1 GVG). Zudem ist es erforderlich, dass die eingesetzten Richter über belegbare Kenntnisse in mehreren Rechtsgebieten verfügen (§ 22 Abs. 6 Satz 2 GVG). Dabei muss es sich um mehr als rudimentäre Grundkenntnisse handeln.27) Die Kenntnisse sollen durch eine entsprechende Schwerpunktbildung im Studium oder in berufsbegleitenden Fortbildungen erlangt worden sein.28) Fehlt diese Kenntnis, muss der Erwerb alsbald zu erwarten sein (§ 22 Abs. 6 Satz 3 GVG). Durch die Justiz werden in diesem Bereich kaum hinreichende Fortbildungsmöglichkeiten angeboten, so dass es schwierig ist, die erforderlichen theoretischen Kenntnisse zu erhalten. Da es sich allerdings nur um eine Sollvorschrift handelt, bleibt der gesetzliche Richter gewahrt, auch wenn die erforderliche Qualifikation fehlt. Nicht erforderlich ist es, dass ein Restrukturierungsrichter gleichzeitig auch Insolvenzrichter ist, auch wenn dies für das Verständnis der Materie wünschenswert erscheint. _____________ 26) So jedoch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 34 Rz. 11. 27) Begr. RegE ESUG z. § 22 GVG, BT-Drucks. 17/5712, S. 44; so auch Niesler in: BeckOKGVG, § 22 Rz. 24. 28) Begr. RegE ESUG z. § 22 GVG, BT-Drucks. 17/5712, S. 44.

§ 35 Örtliche Zuständigkeit Blankenburg

1

Örtlich zuständig ist ausschließlich das Restrukturierungsgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. 2Liegt der Mittelpunkt einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist ausschließlich das Restrukturierungsgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt. Literatur: Blankenburg, Forum Shopping zur Einflussnahme auf die Bestimmung des Insolvenzverwalters?, ZInsO 2020, 2523; Deppenkemper; Ziel erreicht? Außergerichtliche Sanierung bereits ab 1.1.2021!, ZIP 2020, 2432; Frind, Probleme bei der Bestellung und Verwendung des Restrukturierungsbeauftragten aus gerichtlicher Sicht, ZRI 2021, 389; Frind, Plädoyer für eine europarechtskonforme nationale Beschränkung insolvenzbezogener Zuständigkeitsmanipulation, NZI 2019, 697; Knof/Mock, Innerstaatliches Forum Shopping in der Konzerninsolvenz – Cologne Calling?, ZInsO 2008, 253; Mankowski, Lässt sich eine Konzerninsolvenz durch Insolvency Planning erreichen?, NZI 2008, 355; Pannen/Frind, Einschränkung der Manipulation der insolvenzrechtlichen Zuständigkeiten durch Sperrfristen – ein Ende des Forum Shopping in Sicht?, ZIP 2016, 398; Paulus, StaRUG und die Internationalität Deutschen Rechts, ZIP 2020, 2363.

Blankenburg

523

24

§ 35

Örtliche Zuständigkeit Übersicht

I. II. III. IV.

Normzweck ........................................... 1 Normhistorie ........................................ 2 Einführung ........................................... 3 Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit ................................................ 4 1. Wirtschaftliche Tätigkeit ...................... 5 2. Mittelpunkt ........................................... 7 V. Allgemeiner Gerichtsstand ............... 12 VI. Rechtsfolge ......................................... 14

I. 1

1.

Ausschließliche örtliche Zuständigkeit ........................................................ 14 2. Prüfung der Zuständigkeit .................. 16 3. Anzeige beim unzuständigen Gericht ................................................. 18 4. Zuständigkeitserschleichung .............. 20 5. Verweisung .......................................... 23 VII. Exkurs: Internationale Zuständigkeit .................................................. 26

Normzweck

Die Norm regelt die örtliche Zuständigkeit, wo hingegen § 34 die funktionale Zuständigkeit regelt. Sie ist wortgleich mit § 3 Abs. 1 InsO, so dass insoweit auf den Erkenntnisstand des Insolvenzverfahrens zurückgegriffen werden kann. Durch die Regelung zur örtlichen Zuständigkeit wird der gesetzliche Richter festgelegt. Wie im Insolvenzverfahren hat sich der Gesetzgeber daran orientiert, wo damit zu rechnen, dass sich dort die meisten Beteiligten befinden. Durch § 36 wurde nur die nationale örtliche Zuständigkeit geregelt. Mangels derzeitiger Anwendbarkeit der EuInsVO ergibt sich jedoch analog § 35 auch die internationale Zuständigkeit (siehe dazu Rz. 26). II. Normhistorie

2

§ 35 ist nicht unmittelbarer Ausfluss einer Norm der Restrukturierungsrichtlinie1). Die Regelung zur örtlichen Zuständigkeit obliegt allein dem nationalen Gesetzgeber. Die Norm ist im Gesetzgebungsverfahren unberührt gelassen. Im RefE2) war die Norm als § 35, im RegE3) dann als § 37 bezeichnet worden. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses4) hat die Norm dann die endgültige Nummerierung erhalten. III. Einführung

3

Die örtliche Zuständigkeit wird nach dem Wortlaut von § 35 Satz 1 primär über den allgemeinen Gerichtsstand des Schuldners determiniert. Dies gilt allerdings nur so lange, wie der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit (Center of Main Interest = COMI) des Schuldners nicht in einem anderen Bezirk liegt. Insoweit ist materiell der COMI das vorrangige Kriterium, nach dem sich die örtliche Zuständigkeit bestimmt.5) _____________ 1)

2)

3) 4) 5)

524

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile& v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. S. dazu nur OLG Brandenburg, Beschl. v. 21.6.2019 – 1 AR 16/19, ZIP 2020, 679, m. Anm. Madaus, NZI 2019, 668.

Blankenburg

§ 35

Örtliche Zuständigkeit

Da der Schuldner anders als im Insolvenzverfahren im Restrukturierungsverfahren immer einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen muss, um restrukturiert zu werden,6) wird dem allgemeinen Gerichtsstand keine eigenständige Rolle zukommen. Maßgeblich für die örtliche Zuständigkeit sind die Umstände, die zum Zeitpunkt der Anzeige vorliegen.7) Zur Änderung der Umstände siehe Rz. 15. IV. Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit Ist der Schuldner wirtschaftlich tätig, richtet orientiert sich die örtliche Zuständigkeit primär an dem wirtschaftlichen Mittelpunkt des Schuldners. Da dieser selbst im StaRUG nicht definiert ist, muss auf die gängige Definition im Insolvenzverfahren zurückgegriffen werden.8) 1.

4

Wirtschaftliche Tätigkeit

Der Schuldner muss wirtschaftlich tätig sein. Erforderlich ist, dass er eine auf Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit im eigenen Namen ausführt. Erfasst sind sowohl sämtliche Gewerbe als auch sonstige selbständige Tätigkeiten, wie z. B. Freiberufler und Landwirte.9)

5

Die wirtschaftliche Tätigkeit muss bereits aufgenommen worden sein und darf nicht bereits beendet worden sein.10) Dies ist nur bei einem vollständig eingestellten Geschäftsbetrieb der Fall.11) Fehlt es an der wirtschaftlichen Tätigkeit, z. B. bei einer Vor-GmbH, ist auf § 35 Satz 1 abzustellen.

6

2.

Mittelpunkt

Besteht eine wirtschaftliche Tätigkeit, muss geprüft werden, wo deren Mittelpunkt liegt. Der bereits aus § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO bekannte Begriff ist auch dort umstritten. Die h. M. orientiert sich an § 21 Abs. 1 ZPO und stellt auf den Ort ab, wo die tatsächliche Willensbildung innerhalb eines Unternehmens oder einer Gesellschaft _____________ 6) Das StaRUG ist nicht darauf angelegt, dass es so wie im Insolvenzplanverfahren zu einer Abwicklung des Schuldners kommt, insbesondere da nicht alle Gläubiger einbezogen sind. Die Problematik der noch nicht aufgenommenen oder beendeten wirtschaftlichen Tätigkeit stellt sich daher nicht (dazu Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rz. 7a ff.) 7) BGH, Beschl. v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, Rz. 5, ZIP 2007, 878; BayObLG, Beschl. v. 13.8.2003 – 1Z AR 83/03, NZI 2004, 90, 91; KG Berlin, Beschl. v. 2.4.2009 – 2 AR 10/09, ZIP 2009, 727 = ZVI 2009, 489; OLG Hamm, Beschl. v. 2.10.2019 – 32 SA 25/19, ZIP 2020, 284, 285; OLG Naumburg, Beschl. v. 28.3.2001 – 5 AR 1/01, ZIP 2001, 753; OLG Köln, Beschl. v. 21.5.2003 – 2 W 60/03, NZI 2003, 567, 568; LG Göttingen, Beschl. v. 4.12.2007 – 10 T 146/07, ZInsO 2007, 1358 = ZVI 2008, 58; Ganter/Bruns in: MünchKommInsO, § 3 Rz. 5; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3 Rz. 3. 8) Da nach der Gesetzesbegründung § 3 InsO insoweit das Vorbild für die Regelung des § 37 StaRUG ist (Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 141), können insoweit auch die dort geltenden Erkenntnisse herangezogen werden 9) Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 35 Rz. 14; Braun-Baumert, StaRUG, § 35 Rz. 3; ausführlich zu § 3 InsO Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rz. 7 ff.; Kübler/Prütting/ Bork-Prütting. InsO, § 3 Rz. 13. 10) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 35 Rz. 15; zu § 3 InsO Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rz. 7a. 11) Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 35 Rz. 15.

Blankenburg

525

7

§ 35

Örtliche Zuständigkeit

stattfindet und wo die unternehmensleitenden Entscheidungen getroffen werden.12) Umstritten ist dabei, ob es allein auf die interne Willensbildung13) oder auf die Umsetzung der laufende Geschäftsführungsakte ankommt.14) Die Frage wird insbesondere dann relevant, wenn sich die Geschäftsführung nicht dort aufhält, wo das operative Geschäft des Schuldners ansässig ist. Bei mehreren Niederlassungen kommt es auf den Ort der Hauptniederlassung an.15) Bei konzernangehörigen Unternehmen muss für jedes Unternehmen selbständig die Zuständigkeit bestimmt werden.16) Erklärt sich allerdings ein Restrukturierungsgericht für Gruppen-Folgeverfahren für zuständig, begründet dies eine ausschließliche Zuständigkeit (siehe dazu ausführlich § 37 Rz. 33 ff.). 8

Unstreitig ist die Fallkonstellation, in der die Betriebsstätte und der Verwaltungssitz auseinanderfallen. Da es für den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit auf die Entscheidung der Geschäftsleitung ankommt, ist es nicht entscheidend, wo sich die meisten Angestellten oder Investitionsgüter des Schuldners befinden. Vorrangig ist daher allein der Verwaltungssitz.17) Problematisch wird die Bestimmung des Mittelpunktes allerdings dann, wenn zu Sanierungszwecken ein anderer Geschäftsführer eingesetzt wird, so dass dieser möglicherweise seinen Mittelpunkt ganz wo anders hat als die übrigen Mitarbeiter, die für die Verwaltung des Schuldners zuständig sind. Würde allein auf den Geschäftsführer abgestellt werden, wäre bei diesem wiederum nicht klar, worauf es bei ihm für die Zuständigkeit ankommt. Dies könnte entweder sein allgemeiner Gerichtsstand oder aber auch sein gewöhnlicher Aufenthaltsort sein. Da bei Sanierungen auch Unternehmensberater tätig werden, die ohne ein größeres Backoffice auskommen und mobil arbeiten, erschiene es befremdlich, bei diesen für den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit auf den allgemeinen Gerichtsstand abzustellen. Wird allerdings auf den gewöhnlichen Aufenthaltsort abgestellt, wäre der Gerichtsstand kaum noch bestimmbar.

9

Anders als zu Beginn der InsO kann der Gerichtsstand heutzutage auch nicht mehr an dem Ort der Geschäftsunterlagen bestimmt werden.18) Aufgrund der voranschreitenden Digitalisierung ist es unerheblich, wo sie sich körperlich befinden, da ein Zugriff global möglich ist.19) Damit überhaupt noch eine Bestimmung des Gerichtsstands möglich ist, bedarf es daher handhabbarer Kriterien. Insoweit kann nicht allein die innere Willensentscheidung der Geschäftsführung entscheidend sein – bei mehreren Geschäftsführern, die an unterschiedlichen Orten sitzen, wäre sonst keine _____________ 12) Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3 Rz. 4a; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rz. 10; Rüther in: HambKomm-InsO, § 3 Rz. 13; krit. zur Bestimmung des Mittelpunktes der wirtschaftlichen Tätigkeit Nerlich/Römermann-Becker, InsO, § 3 Rz. 24 ff. 13) Jaeger-Gerhardt, InsO, § 3 Rz. 16. 14) So Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rz. 10; Rüther in: HambKomm-InsO, § 3 Rz. 13; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 3 InsO Rz. 17; Sternal in: HK-InsO, § 3 Rz. 9. 15) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rz. 11. 16) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 3 InsO Rz. 20; K. Schmidt-Stephan, InsO, § 3 Rz. 9: Madaus in: BeckOK-InsO, § 3 Rz. 15. 17) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rz. 10a; a. A. wohl K. Schmidt-Stephan, InsO, § 3 Rz. 8. 18) Dazu zuletzt BayObLG, Beschl. v. 19.12.2019 – 1 AR 139/19, ZIP 2020, 624 ff. 19) So auch Nerlich/Römermann-Becker, InsO, § 3 Rz. 26.

526

Blankenburg

§ 35

Örtliche Zuständigkeit

Bestimmung mehr möglich. Vielmehr bedarf es der Prüfung, wo der Ort ist, an dem die Entscheidungen für das Unternehmen umgesetzt werden. Da strategische Entscheidungen der Unternehmensleitung dokumentiert und ausgeführt werden müssen, können folgende Indizien für die Bestimmung des Ortes des wirtschaftlichen Mittelpunktes herangezogen werden:20) –

Büroräume für die Zusammenkunft der oberen und ggf. mittleren Führungsebene,



Ort der Personalabteilung,



Ort der Rechtsabteilung,



Ort des Rechnungswesens,



Ort der zentralen Infrastruktur,



Geschäftsadresse auf den Schreiben und der Internetseite des Unternehmens.

Lediglich dann, wenn sich kein zentraler Ort für die Manifestation der Willensbildung ausmachen lässt (z. B. weil die einzelnen Dienstleistungen an Drittanbieter ausgegliedert sind), kann allein auf den Sitz des Geschäftsführers abgestellt werden. Zur Zuständigkeitserschleichung siehe Rz. 20.

10

Eine Besonderheit gilt beim wirtschaftlichen Mittelpunkt eines persönlich haftenden Gesellschafters. Teilweise wird darauf abgestellt, dass dieser auch bei der Gesellschaft seinen wirtschaftlichen Mittelpunkt habe.21) Dies erscheint zweifelhaft, soweit dieser keine Geschäftsführungstätigkeiten ausübt. Auch bei der Beteiligung an mehreren Gesellschaften kann eine Bestimmung nicht anhand des Sitzes einer Gesellschaft bestimmt werden.

11

V. Allgemeiner Gerichtsstand Die örtliche Zuständigkeit ist subsidiär anhand des allgemeinen Gerichtsstands zu bestimmen, wenn kein Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit mehr besteht. Kommt diesem Merkmal in der InsO erhebliche Bedeutung zu, wenn der Geschäftsbetrieb eingestellt ist,22) ist die Relevanz für das StaRUG gering.23) Da eine Restrukturierung kaum denkbar ist, wenn der Geschäftsbetrieb bereits eingestellt ist, wird in der Regel der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit zu bestimmen sein.

12

Der allgemeine Gerichtsstand richtet sich nach der ZPO. Bei natürlichen Personen ist gemäß § 13 ZPO der inländische Wohnsitz der allgemeine Gerichtsstand. Bei nichtnatürlichen Personen wird der Gerichtsstand gemäß § 17 ZPO durch den Sitz bestimmt.

13

VI. Rechtsfolge 1.

Ausschließliche örtliche Zuständigkeit

Das Gericht, das nach § 35 örtlich zuständig ist, ist ausschließlich für die Anzeige zuständig. Eine Gerichtsstandsvereinbarung gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO _____________ 20) Dazu auch AG Hannover, Beschl. v. 24.9.2018 – 903 IN 540/18, ZIP 2018, 2285. 21) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 35 Rz. 21. 22) Dazu OLG Hamm, Beschl v. 14.1.2000 – 1 Sbd 100/99, NZI 2000, 220, 221; UhlenbruckPape, InsO, § 3 Rz. 3. 23) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 35 Rz. 7; Braun-Baumert, StaRUG, § 35 Rz. 7.

Blankenburg

527

14

§ 35

Örtliche Zuständigkeit

ist unzulässig. Gleiches gilt gemäß § 40 Abs. 2 Satz 2 ZPO für das rügelose Einlassen.24) Es besteht auch kein Wahlrecht, statt des Restrukturierungsgerichts am Ort des Mittelpunktes der wirtschaftlichen Tätigkeit dasjenige des allgemeinen Gerichtsstands anzurufen.25) Da der Gesetzgeber keine dem § 3 Abs. 3 InsO entsprechende Regelung zur Zuständigkeit mehrerer Restrukturierungsgerichte geschaffen hat, ist davon auszugehen, dass er nur einen Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit als möglich erachtet.26) Lässt sich ein solcher nicht feststellen, ist auf den allgemeinen Gerichtsstand abzustellen. 15

Maßgeblich für die örtliche Zuständigkeit sind die Umstände, die zum Zeitpunkt der Anzeige vorliegen.27) Mit der Anzeige tritt gemäß § 33 Abs. 3 die Rechtshängigkeit ein. Es gilt ab diesem Zeitpunkt die Rechtshängigkeitssperre gemäß § 39 StaRUG i. V. m. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO, wonach Veränderungen von Umständen die Zuständigkeit des Prozessgerichts nicht mehr berühren.28) Eine Verweisung ist nicht mehr möglich. Der Schuldner kann lediglich die Anzeige gemäß § 31 Abs. 4 Nr. 1 zurücknehmen und bei einem anderen Restrukturierungsgericht erneut stellen. Lag allerdings im Zeitpunkt der Anzeige keine örtliche Zuständigkeit vor, kann dieser Mangel noch nachträglich geheilt werden. Erst ab dem Zeitpunkt der Heilung gilt die Rechtshängigkeitssperre.29) 2.

16

Prüfung der Zuständigkeit

Das Restrukturierungsgericht hat gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 die zuständigkeitsbegründenden Umstände von Amts wegen zu ermitteln.30) Erforderlich ist allerdings, dass der Anzeigenerstatter alle die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen angibt.31) Erst dann, wenn seitens des Gerichts Zweifel an den vorgetragenen Tatsachen bestehen, kann es für die Ermittlung der Tatsachen einen Sachverständigen heranziehen. Die rechtliche Prüfung obliegt allerdings dem Gericht. Das Gericht muss

_____________ 24) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 35 Rz. 3; für § 3 InsO KG, Beschl. v. 16.11.1999 – 28 AR 136/99, ZIP 2000, 1170, 1172; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3 Rz. 10. 25) So zu § 3 InsO Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rz. 27. 26) A. A. Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 35 Rz. 22; zur mehrfachen Zuständigkeit gemäß § 3 Abs. 3 InsO s. OLG München, Beschl. v. 12.3.2009 – 31 AR 158/09, ZInsO 2009, 838. 27) So zu § 35 Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 35 Rz. 4; zu § 3 InsO BGH, Beschl. v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, Rz. 5, ZIP 2007, 878; BayObLG, Beschl. v. 13.8.2003 – 1Z AR 83/03, NZI 2004, 90, 91; KG Berlin, Beschl. v. 2.4.2009 – 2 AR 10/09, ZIP 2009, 727 = ZVI 2009, 489; OLG Hamm, Beschl. v. 2.10.2019 – 32 SA 25/19, ZIP 2020, 284, 285; OLG Naumburg, Beschl. v. 28.3.2001 – 5 AR 1/01, ZIP 2001, 753; OLG Köln, Beschl. v. 21.5.2003 – 2 W 60/03, NZI 2003, 567, 568; LG Göttingen, Beschl. v. 4.12.2007 – 10 T 146/07, ZInsO 2007, 1358 = ZVI 2008, 58; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rz. 5; UhlenbruckPape, InsO, § 3 Rz. 3. 28) So auch zu § 3 InsO OLG Köln, Beschl. v. 21.5.2003 – 2 W 60/03, NZI 2003, 567, 568; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3 Rz. 3; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rz. 5. 29) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 35 Rz. 4. 30) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 35 Rz. 26; Braun-Baumert, StaRUG, § 35 Rz. 2. 31) Ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 35 Rz. 26; zu § 3 InsO: BGH, Beschl. v. 1.12.2011 • IX ZB 232/10, Rz. 12, ZIP 2012, 139; so auch für § 35 StaRUG Vallender, ZRI 2021, 165, 166.

528

Blankenburg

§ 35

Örtliche Zuständigkeit

die örtliche Zuständigkeit unmittelbar nach dem Eingang der Anzeige prüfen.32) Da die Rechtshängigkeit der Anzeige bereits Rechtswirkungen auslöst und die Restrukturierungssache bei einer örtlichen Unzuständigkeit gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 3 aufzuheben ist, kann das Restrukturierungsgericht nicht erst bis dahin zuwarten, bis das erste Instrument des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens gemäß § 29 Abs. 2 in Anspruch genommen wird. Bejaht das Gericht seine Zuständigkeit, bedarf es keiner weiteren Schritte, insbesondere keiner Zulassungsentscheidung.33) Wenn die Zulässigkeit streitig ist, wird in der Regel ein isolierter Sachverständiger einzusetzen sein, nicht hingegen ein Restrukturierungsbeauftragter (siehe ausführlich zum Verhältnis untereinander § 39 Rz. 10).34) Bei der isolierten Einsetzung ist der Sachverständige nach dem JVEG zu vergüten. Das Restrukturierungsgericht kann nicht bereits zur Prüfung der örtlichen Zuständigkeit einen Restrukturierungsbeauftragten heranziehen, solange dieser nicht aufgrund anderer Umstände unmittelbar zu Beginn des Verfahrens zu bestellen ist (siehe dazu § 73 Rz. 26 ff.).35) Entsprechend der Vergütung in Insolvenzsachen sollte der Sachverständige gemäß § 9 Abs. 4 JVEG mit 120 € je Stunde vergütet werden, auch wenn nicht der Grund der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens geprüft wird. Bei einer geringeren Vergütung bestünde die Gefahr, dass keine qualifizierten Sachverständigen zu finden wären, die für die ggf. komplizierte Ermittlung der Umstände zwingend erforderlich sind. 3.

17

Anzeige beim unzuständigen Gericht

Erfolgt die Anzeige beim örtlich unzuständigen Gericht, ist diese zwar unzulässig. Wie sich jedoch aus der Möglichkeit der Aufhebung gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 2 ergibt, gilt die Anzeige trotz der Unzulässigkeit bis zur Aufhebung als rechtshängig. Ob in diesem Fall bereits eine Stabilisierungsanordnung ergehen kann, erscheint zweifelhaft, da nach § 51 Abs. 1 Satz 3 nur dann eine befristete Anordnung ergehen kann, wenn behebbare Mängel in der Restrukturierungsplanung vorliegen (siehe dazu § 51 Rz. 17 ff.).36) Mängel bei der Anzeige werden hingegen nicht aufgeführt. Erfolgt dennoch eine Anordnung, bleibt diese wirksam, bis sie aufgehoben oder abgeändert wird.37) Allerdings kann das Rechtsmittel nicht allein auf die örtliche Unzuständig_____________ 32) Der Gesetzgeber hat den genauen Zeitpunkt der Prüfung offengelassen und dazu ausgeführt: „Spätestens in dem Zeitpunkt, in dem der Schuldner Restrukturierungsinstrumente in Anspruch nimmt, hat das Gericht seine Zuständigkeit zu prüfen.“ (Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 138); ähnlich wie hier Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 35 Rz. 27; Vallender, ZRI 2021, 165, 166; Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2434; Frind, ZRI 2021, 389. 33) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 35 Rz. 28. 34) Ebenso Frind, ZRI 2021, 389; nach Vallender, ZRI 2021, 165, 167, soll primär ein Restrukturierungsbeauftragter zu bestellen sein, jedoch die Bestellung eines Sachverständigen nicht ausgeschlossen sein. 35) A. A. wohl Vallender, ZRI 2021, 165, 167, wonach für die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit primär ein Restrukturierungsbeauftragter zu bestellen sei. 36) Die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO ist hingegen möglich, wenn die Zuständigkeit nicht abschließend geprüft und bejaht ist (BGH, Beschl. v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, Rz. 8 ff., ZIP 2007, 878). 37) Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3 Rz. 3.

Blankenburg

529

18

§ 35

Örtliche Zuständigkeit

keit gestützt werden (§ 38 i. V. m. § 571 Abs. 2 Satz 2 ZPO).38) Bei einer Verweisung kann das örtlich zuständige Gericht die angeordneten Maßnahmen übernehmen.39) 19

Wie sich aus § 33 Abs. 1 Nr. 2 ergibt, hat das Restrukturierungsgericht dem Schuldner die Möglichkeit zu geben, innerhalb einer vom Gericht zu setzenden Frist eine Verweisung zu beantragen oder die Anzeige zurückzunehmen. Die Frist sollte möglichst kurzgehalten werden. Da es auf Seiten des Schuldners keiner intensiven Prüfung für die Zuständigkeit bedarf, sollte die Frist drei Tage betragen.40) Wird ein entsprechender Verweisungsantrag innerhalb der Frist gestellt, muss eine Verweisung an das örtlich zuständige Gericht erfolgen (siehe dazu Rz. 23). Unterbleibt ein solcher Antrag, ist die Restrukturierungssache insgesamt aufzuheben (siehe § 33 Rz. 23).41) 4.

20

Zuständigkeitserschleichung

Aus dem Bereich der InsO sind zahlreiche Fälle bekannt, bei denen versucht wurde, die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts auf ein anderes Insolvenzgericht zu verlagern. Häufig dient die Verlagerung der Verschleierung der wirtschaftlichen Verhältnisse oder der Verzögerung des Verfahrens i. R. einer Firmenbestattung.42) Diese Problematik wird sich im Restrukturierungsverfahren grundsätzlich nicht stellen. Allerdings sind auch Fälle der Sitzverlegung bekannt geworden,43) bei denen diese erfolgte, um die Zuständigkeit eines Gerichts zu erreichen, dass das Verfahren vermeintlich schuldnerfreundlicher, insbesondere bei der Verwalterauswahl, bearbeitet.44) Solche Konstellationen können sich auch in Restrukturierungssachen ergeben, wenn die Berater mit der Rechtsauslegung des eigentlich örtlich zuständigen Gerichts nicht zufrieden sind.45) In diesen Fällen ist die Zuständigkeit durch das angerufene Gericht genauestens zu prüfen, um ein rechtsmissbräuchliches Forum Shopping46) und damit den Entzug des gesetzlichen Richters zu verhindern.47)

_____________ 38) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 35 Rz. 6. 39) Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3 Rz. 3. 40) Nach Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 16, sollte die Frist mindestens eine Woche, maximal zwei Wochen betragen. 41) A. A. Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2432, nach dem die Zurückweisung als unzulässig erfolgen soll. 42) So Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3 Rz. 12. 43) So das sog. „Bremer Modell“, wonach versucht wurde, dass Verfahren bestimmten Verwaltern zukommen zu lassen, die als besonders affin zu dem angerufenen Insolvenzgericht galten. 44) Ausführlich dazu Frind/Pannen, ZIP 2016, 398, 402 ff. 45) Dies prognostiziert auch Frind, NZI 2019, 697, 701. 46) Zur Begrifflichkeit Knof/Mock, ZInsO 2008, 253, 254. 47) Ebenso Knof/Mock, ZInsO 2008, 253, 258; Frind, NZI 2019, 697, 701; a. A. zu Sanierungsfällen Madaus in: BeckOK-InsO, § 3 Rz. 27, wonach sich der Schuldner ein schnell arbeitendes, kommunikationsbereites Gericht suchen kann (ähnlich Mankowski, NZI 2008, 355, 356). Diese Kriterien lassen sich allerdings kaum fassen, da „schnell arbeitend“ auch mit „oberflächlich“ und „kommunikationsbereit“ mit „schuldnerfreundlich“ interpretiert werden kann. Die subjektive Einschätzung des Schuldners vermag die grundsätzlich gesetzgeberische Wertung eines im Vorfeld festgelegten Gerichtsstands nicht zuwiderlaufen. Wäre allein die Schuldnersicht maßgeblich, hätte es sich gerade bei lediglich 24 Restrukturierungsgerichten angeboten, eine freie Auswahl vornehmen zu können.

530

Blankenburg

§ 35

Örtliche Zuständigkeit

Um Zuständigkeitserschleichungen zu verhindern, ist zunächst zu prüfen, wo der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit liegt. Insbesondere wenn nur die Geschäftsführung von dem ursprünglichen Sitz verlegt wurde, bedarf es einer Bewertung, wo die Geschäfte des Schuldners operativ betreut werden. So geht die Rechtsprechung zutreffend davon aus, dass es bei Immobiliengesellschaften nicht ausreicht, dass die Geschäftsunterlagen vom eigentlichen Sitz an den Aufenthaltsort des Geschäftsführers verbracht werden, wenn vom Sitz aus weiterhin die Immobilien verwaltet werden.48) Allerdings sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen, da es durchaus einen legitimen Zweck haben kann, die Geschäftsführung an einen anderen Ort zu verlegen.49)

21

Gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass eine Verlegung des Mittelpunktes der wirtschaftlichen Tätigkeit tatsächlich erfolgt ist, muss es im Anschluss prüfen, ob sich diese Sitzverlegung als rechtsmissbräuchlich darstellt. Von einer rechtsmissbräuchlichen Sitzverlegung ist dann auszugehen, wenn eine rechtliche Konstruktion allein deshalb gewählt wird, um das Verfahren von dem eigentlich zuständigen Gericht an ein anderes zu verlagern.50) Dies ist dann der Fall, wenn die Sitzverlegung allein den Zweck der Begründung der örtlichen Gerichtszuständigkeit hat. Das stärkste Indiz dafür ist die zeitliche Nähe zwischen der Sitzverlegung und der Anzeige.51) Weitere Indizien können die Umfirmierung des Unternehmens sowie die Einsetzung eines Geschäftsführers sein, der bereits bei einer Vielzahl von ähnlich gelagerten Verfahren mit Sitzverlegung kurz vor der Anzeige ernannt wurde.52) Auch das Fehlen von Geschäftsräumen indiziert die Zuständigkeitserschleichung.53) Schließlich deutet auch die Aufnahme nur rudimentärer unternehmerischer Tätigkeit auf einen Missbrauch hin.54)

22

5.

Verweisung

Erfolgt die Anzeige beim örtlich unzuständigen Gericht, kann dieses das Verfahren nur auf Antrag des Schuldners an das zuständige Gericht verweisen (§ 38 StaRUG i. V. m. § 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Aus dem Antrag muss sich eindeutig der Wille zur Verweisung an ein anderes Gericht ergeben. Zudem muss das andere Gericht genau _____________ 48) OLG Braunschweig, Beschl. v. 13.4.2000 – 1 W 29/00, ZIP 2000, 1118; LG Leipzig, Beschl. v. 27.2.2006 – 12 T 1207/05, ZInsO 2006, 378; LG Göttingen, Beschl. v. 4.12.2007 – 10 T 146/07, ZInsO 2007, 1358, 1359 = ZVI 2008, 58; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3 Rz. 4a; Schmerbach in: FK-InsO, § 3 Rz. 13; a. A. LG Bremen, Beschl. v. 5.10.2020 – 6 T 370/20, ZInsO 2020, 2541; unklar Rüther in: HambKomm, InsO, § 3 Rz. 12. 49) Ähnlich Madaus in: BeckOK-InsO, § 3 Rz. 25, der dies als „forum choice“ bezeichnet. 50) Blankenburg, ZInsO 2020, 2524, 2525; ähnlich Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 3 InsO Rz. 39; Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 35 Rz. 36. 51) So auch für § 3 InsO BayObLG, Beschl. v. 19.12.2019 – 1 AR 139/19, ZIP 2020, 624, 625; OLG Hamm, Beschl. v. 2.10.2019 – 32 SA 25/19, ZIP 2020, 284, 285; OLG Celle, Beschl. 16.12.2003 – 2 W 117/03, ZInsO 2004, 91, 92; OLG Celle, Beschl. v. 9.10.2003 – 2 W 108/03, ZInsO 2004, 205, 206; LG Leipzig, Beschl. v. 27.2.2006 • 12 T 1207/05, ZInsO 2006, 378; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rz. 42; Schmerbach in: FK-InsO, § 3 Rz. 33; Blankenburg, ZInsO 2020, 2524, 2525. 52) So auch Sternal in: HK-InsO, § 3 Rz. 21. 53) So auch Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rz. 42. 54) LG Leipzig, Beschl. v. 27.2.2006 • 12 T 1207/05, ZInsO 2006, 378.

Blankenburg

531

23

§ 35

24

25

bezeichnet werden.55) Unerheblich ist, ob die Anzeige ansonsten zulässig war.56) Fehlt dieser Antrag, ist dem Schuldner eine Frist zur Stellung des Antrags zu setzen. Erst wenn nach Fristablauf kein Verweisungsantrag vorliegt, kann die Restrukturierungssache gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 2 aufgehoben werden. Eine Zurückweisung der Anzeige als unzulässig ist nicht möglich. Eine Verweisung hat durch Beschluss zu erfolgen. Es ist die Unzuständigkeit auszusprechen und die Anzeige ist an das zuständige Gericht zu verweisen.57) Der Beschluss ist zu begründen.58) Eine formlose Abgabe ist nicht ausreichend und entfaltet keine Bindungswirkung.59) Die Verweisung ist unanfechtbar (§ 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO) und für das Gericht, an das verwiesen wurde, bindend. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Verweisung jegliche Rechtsgrundlage fehlt, so dass sie objektiv als willkürlich erscheint.60) Dies ist der Fall, wenn die Verweisung auf einer offensichtlich unzureichenden Erfassung des Sachverhalts beruht oder ohne jegliche gesetzliche Grundlage ergeht.61) Das Gericht, an das die Sache verwiesen wurde, kann die Akten unter den Hinweis auf die fehlende Übernahme an das Ursprungsgericht zurücksenden. Dieses kann dann entweder die Sache weiterführen oder das nächsthöhere gemeinsame Gericht anrufen, um gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 5 ZPO über die Zuständigkeit entscheiden zu lassen.62) Da bei den Restrukturierungsgerichten aufgrund der Konzentration immer das nächste höhere gemeinschaftliche Gericht der BGH ist, greift grundsätzlich § 36 Abs. 2 ZPO ein. Danach ist die Sache dem OLG vorzulegen, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört. Dieses kann sich an den BGH wenden, wenn es von der Entscheidung eines anderen OLG oder des BGH abweichen will (§ 36 Abs. 2 ZPO).63) VII.

26

Örtliche Zuständigkeit

Exkurs: Internationale Zuständigkeit

Regelungen zur internationalen Zuständigkeit des StaRUG existieren nicht.64) Insbesondere aus der Richtlinie können keine unmittelbaren internationalen Wirkun_____________ 55) AG Göttingen, Beschl. v. 5.1.2001 – 74 IN 278/00, ZInsO 2001, 137; Schmerbach in: FKInsO, § 3 Rz. 39; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3 Rz. 15. 56) Schmerbach in: FK-InsO, § 3 Rz. 39. 57) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rz. 28. 58) BGH, Beschl. v. 13.12.2005 – X ARZ 223/05, Rz. 13, ZVI 2006, 157 = ZIP 2006, 442; nach Schmerbach in: FK-InsO, § 3 Rz. 41, reicht ein Vermerk in den Akten. 59) Das angerufene Gericht kann aber aufgrund dieser Abgabe die Sache zwar übernehmen, muss es aber nicht (dazu Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3 Rz. 17; Ganter/Bruns in: MünchKommInsO, § 3 Rz. 30a). 60) BGH, Beschl. v. 13.12.2005 – X ARZ 223/05, Rz. 12, ZVI 2006, 157 = ZIP 2006, 442; ausführlich zur Willkür Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rz. 28a f. m. w. N.; Schmerbach in: FK-InsO, § 3 Rz. 43 f. – mit einer Auflistung möglicher Fälle. 61) BGH, Beschl. v. 13.12.2005 – X ARZ 223/05, Rz. 13, ZVI 2006, 157 = ZIP 2006, 442; BayObLG, Beschl. v. 19.12.2019 – 1 AR 139/19, ZIP 2020, 624, 626; BayObLG, Beschl. v. 13.8.2003 – 1Z AR 83/03, NZI 2004, 90, 91; OLG Hamm, Beschl. v. 2.10.2019 – 32 SA 25/19, ZIP 2020, 284, 286; KG Berlin, Beschl. v. 2.4.2009 – 2 AR 10/09, ZIP 2009, 727 = ZVI 2009, 489; OLG Celle, Beschl. v. 9.10.2003 – 2 W 108/03, ZIP 2004, 1022, 1024. 62) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rz. 29. 63) Dazu KG Berlin, Beschl. v. 2.4.2009 – 2 AR 10/09, ZIP 2009, 727, 728 = ZVI 2009, 489. 64) Dazu krit. Paulus, ZIP 2020, 2363.

532

Blankenburg

§ 36

Einheitliche Zuständigkeit

gen hergeleitet werden. Ebenso wenig ist derzeit die EuInsVO anwendbar, da weder das Restrukturierungsverfahren noch die Sanierungsmoderation in den Anhang A aufgenommen wurde. Dies wird frühestens im Juli 2022 passieren, wenn die Normen zu den öffentlichen Restrukturierungssachen (§§ 84 ff.) in Kraft treten, da das Gesamtverfahren öffentlich sein muss.65) Außerhalb des Anwendungsbereichs der EuInsVO bestimmt sich die internationale Zuständigkeit analog zu § 35.66) Aus der örtlichen Zuständigkeit ergibt sich mithin auch die internationale Zuständigkeit. Es kommt daher darauf an, ob der Schuldner den Mittelpunkt seiner wirtschaftlichen Tätigkeit im Inland hat.

27

_____________ 65) Dazu nur Uhlenbruck-Knof, InsO, Art. 1 EuInsVO, Rz. 16. 66) So für § 3 InsO außerhalb des Anwendungsbereichs der EuInsVO Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rz. 24; Madaus in: BeckOK-InsO, § 3 Rz. 31; Nerlich/RömermannBecker, InsO, § 3 Rz. 5.

§ 36 Einheitliche Zuständigkeit Blankenburg

Für alle Entscheidungen und Maßnahmen in der Restrukturierungssache ist die Abteilung zuständig, die für die erste Entscheidung zuständig war. Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 2

I.

III. Tatbestand ............................................. 3 IV. Rechtsfolge ........................................... 5

Normzweck

Die Norm dient der Regelung der internen Geschäftsverteilung des Restrukturierungsgerichts. Grundsätzlich obliegt es den Gerichten, die Geschäftsverteilung zu regeln. Durch § 36 soll allerdings verhindert werden, dass die Geschäftsverteilungspläne andere Regelungen treffen und es zu einer Zersplitterung der Zuständigkeit in einem Sanierungsverfahren kommt.1) Die Norm ist an § 3c InsO angelehnt, die nach der Anpassung durch das SanInsFoG ebenfalls auf die Abteilung und nicht mehr den Richter abstellt.2) Fraglich erscheint, ob § 36 überhaupt erforderlich ist, da eine Restrukturierungssache sowieso nur als ein Verfahren geführt wird. Anders als bei § 3c InsO (i. V. m. § 37 Abs. 2 StaRUG) besteht grundsätzlich keine Gefahr, dass eine Restrukturierungssache auf mehrere Verfahren aufgespalten wird, da dieser immer nur eine Anzeige zugrunde liegt. Sinn ergäbe die Norm nur dann, wenn sie dahin ausgelegt wird, dass auch neue Restrukturierungssachen für das gleiche Unternehmen in der gleichen Abteilung einzutragen sind. Eine solche Auslegung ist jedoch nicht möglich (siehe dazu Rz. 7). _____________ 1) 2)

So auch zu § 3c Abs. 1 InsO, AG Hamburg, Beschl. v. 9.6.2020 – 67g IN 136/20, ZRI 2020, 391; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3c Rz. 1; Wimmer/Amend in: FK-InsO, § 3 Rz. 5. Unklar Pannen/Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 36 Rz. 16, der bei einer Vertretung eine teleologische Reduktion vornehmen will.

Blankenburg

533

1

§ 36

Einheitliche Zuständigkeit

II. Normhistorie 2

§ 36 ist nicht unmittelbarer Ausfluss einer Norm der Restrukturierungsrichtlinie3). Im RefE4) (§ 36) wurde noch auf die Richterin abgestellt. Aufgrund der Kritik daran, dass damit auch bei einer Urlaubs- oder Krankheitsvertretung der Vertreter weiterhin zuständig wäre, wurde die Norm entsprechend dem jetzigen Wortlaut im RegE5) (§ 38) abgeändert. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses6) hat die Norm dann die endgültige Nummerierung erhalten. III. Tatbestand

3

Es muss eine Restrukturierungssache rechtshängig sein. Die Rechtshängigkeit erfolgt gemäß § 31 Abs. 3 durch Anzeige des Restrukturierungsverfahrens beim Restrukturierungsgericht. Eine gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung ist nicht erforderlich. Die Rechtshängigkeit bleibt bestehen, bis die Anzeige gemäß § 31 Abs. 4 ihre Wirkung verliert.

4

Die Norm betrifft alle Entscheidungen in einer konkreten Restrukturierungssache. Mit Entscheidungen und Maßnahmen sind primär die Instrumente gemäß § 29 gemeint, aber auch alle sonstigen Entscheidungen, die zur Prüfung der Zulässigkeit (z. B. Einsetzung eines Sachverständigen) und Vorbereitung der Maßnahmen (z. B. Terminierungen) getroffen werden.7) IV. Rechtsfolge

5

Durch die Norm wird eine gesetzliche Geschäftsverteilung geregelt, die abweichenden Bestimmungen durch das Präsidium gemäß § 21a GVG vorgeht.8) Danach ist die Abteilung, die die erste Entscheidung in einer rechtshängigen Restrukturierungssache getroffen hat, auch für alle weiteren Entscheidungen zuständig. Der Regelungsgehalt der Norm ist vollkommen inhaltsleer.9) Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass ein anhängiges Verfahren bei Gericht auch nur in einer Abteilung geführt _____________ 3)

4)

5) 6) 7) 8) 9)

534

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile& v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. Ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 36 Rz. 3. So auch für § 3c Abs. 1 InsO Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3c Rz. 2; Pannen in: HambKommInsO, § 3c Rz. 5; Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, § 3c Rz. 2 Anders § 3c Abs. 1 InsO sowie § 37 Abs. 2 StaRUG i. V. m. § 3c InsO. Da durch den Gruppengerichtsstand mehrere Verfahren unterschiedlicher eigenständiger Personen konzentriert werden, bedarf es einer Bestimmung für die Zuständigkeit weiterer Verfahren, um weiteren Koordinations- und Abstimmungsbedarf zwischen den Verfahren bei Gericht zu vermeiden (dazu Pannen in: HambKomm-InsO, § 3c Rz. 8).

Blankenburg

§ 37

Gruppen-Gerichtsstand

wird.10) Dies ist schon darin begründet, dass einem Verfahren nur ein Aktenzeichen zugewiesen wird, das an die Abteilung gekoppelt ist. Da dem Verfahren nur eine Anzeige zugrunde liegt, wäre es bereits praktisch nicht denkbar, dass für die einzelnen Maßnahmen unterschiedliche Abteilung zuständig wären. Die Norm könnte nur dann Sinn entfalten, wenn die Landesjustizverwaltungen in der Aktenordnung vorsehen, dass sowohl die Anzeige als auch jeder Antrag für ein Instrument ein eigenes Aktenzeichen erhielten, um ggf. besser die Belastung steuern zu können. Die Zuständigkeit ist an die Abteilung gekoppelt.11) Anders als § 3c Abs. 1 InsO a. F. wird nicht auf den einzelnen Richter abgestellt.12) Demnach hat es für die Zuständigkeit keine Auswirkung, wenn der Abteilungsrichter wechselt.

6

Die Norm lässt sich nicht dahin auslegen, dass auch für erneut anhängige Verfahren wieder die Abteilung zuständig ist, bei der bereits ein vorheriges Verfahren anhängig war.13) Der Wortlaut der Norm stellt eindeutig nur auf eine konkrete Restrukturierungssache ab und trifft daher nur eine Regelung für die Binnenzuständigkeit. Eine andere Auslegung würde systematisch auch mit § 37 Abs. 2 StaRUG i. V. m. § 3c Abs. 1 InsO kollidieren, wonach eine gesetzliche Verfahrenskonzentration von Folgeverfahren nur dann eintritt, wenn ein Gruppengerichtsstand begründet wurde (siehe dazu § 37 Rz. 4 ff.). Um Reibungsverluste zu vermeiden, erscheint es jedoch sinnvoll, in den entsprechenden Gerichtsverteilungsplänen der Restrukturierungsgerichte zu regeln, dass die Abteilung, bei der das erste Verfahren anhängig war, auch für die Folgeverfahren zuständig ist.

7

_____________ 10) Die Gesetzesbegründung ist insoweit widersprüchlich, da die zwar von rechtlich selbständigen Verfahren bei den einzelnen Maßnahmen spricht, jedoch eine zuständigkeitsrechtliche Einheit annehmen will; so Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/ 24181, S. 133: „Obgleich es sich bei den einzelnen Instrumenten um je selbständige Verfahren handelt, werden sie durch die infolge der Anzeige des Vorhabens rechtshängig gemachte Restrukturierungssache zu einer, insbesondere auch zuständigkeitsrechtlichen, Einheit verbunden“; nach Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 33 Rz. 7, sollen Spezialabteilungen für einzelne Instrumente verhindert hat. Ob eine solche Aufspaltung jeweils von einem Präsidium ernsthaft in Erwägung gezogen werden wird, erscheint mehr als zweifelhaft. 11) Krit. dazu Braun-Baumert, StaRUG, § 36 Rz. 3, der auf den geschäftsplanmäßigen Abteilungsrichter abstellen will. 12) Zu den Problemen der Auslegung von § 3c a. F. Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3c Rz. 4. 13) In diesem Sinne auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 36 Rz. 16, der auf eine formelle Betrachtung der Restrukturierungssache abstelle

§ 37 Gruppen-Gerichtsstand Blankenburg

(1) Auf Antrag eines Schuldners, der einer Unternehmensgruppe im Sinne des § 3e der Insolvenzordnung angehört (gruppenangehöriger Schuldner), erklärt sich das angerufene Restrukturierungsgericht für Restrukturierungssachen anderer gruppenangehöriger Schuldner (Gruppen-Folgeverfahren) für zuständig, wenn dieser Schuldner einen zulässigen Antrag in der Restrukturierungssache gestellt hat und er nicht offensichtlich von untergeordneter Bedeutung für die gesamte Unternehmensgruppe ist. Blankenburg

535

§ 37

Gruppen-Gerichtsstand

(2) § 3a Absatz 1 Satz 2 bis 4, Absatz 2, die §§ 3b, 3c Absatz 1, § 3d Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Satz 1 und § 13a der Insolvenzordnung gelten entsprechend. (3) Auf Antrag des Schuldners erklärt sich unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 das für Gruppen-Folgeverfahren in Restrukturierungssachen zuständige Gericht als Insolvenzgericht auch für Gruppen-Folgeverfahren in Insolvenzsachen nach § 3a Absatz 1 der Insolvenzordnung für zuständig. Literatur: Baumert, Konzerninsolvenzrecht: Antragslose Verweisung an den GruppenGerichtsstand und Recht auf gesetzlichen Richter, NZI 2019, 103; Blankenburg, Leitfaden für das Konzerninsolvenzrecht, ZInsO 2018, 895; Laroche, Das neue Konzerninsolvenzrecht nach InsO und EuInsVO – Probleme und Fragen aus gerichtlicher Sicht, ZInsO 2017, 2585; Schaaf/Filbinger, Rechtsprobleme im Zusammenhang mit der Begründung des Gruppengerichtsstands nach § 3a InsO, BB 2019, 1801. Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 3 III. Gruppengerichtsstand für Restrukturierungsverfahren (Abs. 1) .................................................. 4 1. Formelle Voraussetzungen ................... 4 a) Voraussetzung nach § 37 ............... 4 b) Voraussetzung nach § 37 Abs. 2 StaRUG i. V. m. § 13a InsO ...................................... 7 2. Materielle Voraussetzungen ............... 14 a) Gruppenangehöriger Schuldner ...................................... 14 aa) Unternehmensgruppe gemäß § 3e Abs. 1 InsO .......................... 15 (1) Verbundene Unternehmen .......... 15 (2) Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen im Inland ......... 16 (3) Mittelbare oder unmittelbare Verbindung ................................... 18 bb) Unternehmensgruppe gemäß § 3e Abs. 2 InsO .......................... 21

I. 1

b) Nicht von untergeordneter Bedeutung ..................................... 22 c) Gemeinsames Gläubigerinteresse ........................................ 31 d) Rechtsschutzbedürfnis ................ 32 3. Rechtsfolge .......................................... 33 a) Bestimmung des Gruppengerichtsstands ............................... 33 b) Ausschließlicher Gerichtsstand ........................................................ 34 c) Auswirkung auf anhängige Verfahren ...................................... 37 4. Gerichtliche Verfahrenskonzentration ................................................... 41 5. Fortgeltung des Gruppengerichtsstands ................................................... 45 IV. Gruppengerichtsstand für Insolvenzverfahren (Abs. 3) ............. 46 1. Voraussetzungen ................................. 47 2. Rechtsfolgen ........................................ 50 V. Exkurs: Gruppengerichtsstand gemäß § 3a Abs. 4 InsO ..................... 51

Normzweck

Die Norm dient der weiteren Konzentration der Restrukturierungssachen. Eine zweckmäßige Restrukturierung von Unternehmensgruppen erfordert eine Abstimmung der Sanierungskonzepte der einzelnen gruppenangehörigen Unternehmen.1) Diese Abstimmung wird wesentlich erleichtert, wenn dasselbe Gericht die Restrukturierungssachen aller gruppenangehörigen Unternehmen betreut.2) Durch die Norm wird daher ein ausschließlicher Gerichtsstand geschaffen – abweichend zu §§ 3a ff. InsO, die nur einen Wahlgerichtsstand begründen. Die Norm weist in Absatz 1 eine für die Restrukturierungsverfahren angepasste Regelung zu den allgemeinen Voraussetzungen für die Begründung des Gruppengerichtsstands auf und verweist für die übrigen Details auf die Regelung der InsO. _____________ 1) 2)

536

RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181 S. 142. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181 S. 142.

Blankenburg

§ 37

Gruppen-Gerichtsstand

Systemfremd wirkt die Regelung des § 37 Abs. 3. Danach ist es möglich, dass das Restrukturierungsgericht das am gleichen Insolvenzgericht ansässige Insolvenzgericht für Gruppenfolgeverfahren in Insolvenzsachen für zuständig erklärt. Sinn und Zweck der Norm ist es, eine Zentralisierung der Verfahren zu erreichen, wenn in Bezug auf einige gruppenangehörige Unternehmen ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, während andere gruppenangehörige Unternehmen die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Anspruch nehmen.3)

2

II. Normhistorie Die Norm ist im Gesetzgebungsverfahren nicht geändert worden. Da sie die nationale Gerichtsorganisation betrifft, beruht sie nicht auf einer Grundlage in der Restrukturierungsrichtlinie4). Lediglich in ErwG 24 findet sich die Gewährung von Gruppen von Unternehmen. Weitere materielle Ausführungen sind in der Richtlinie nicht enthalten. Im RefE5) war die Norm als § 37, im RegE6) dann als § 39 bezeichnet worden. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses hat die Norm dann die endgültige Nummerierung erhalten.

3

III. Gruppengerichtsstand für Restrukturierungsverfahren (Abs. 1) 1.

Formelle Voraussetzungen

a) Voraussetzung nach § 37 Die Begründung des Gruppen-Gerichtsstands erfolgt nur auf Antrag. Antragsberechtigt ist allein der Schuldner. Dieser muss ordnungsgemäß vertreten sein. Weder der Restrukturierungsbeauftragte noch die Gläubiger können einen Antrag stellen. Der Antrag muss beim Restrukturierungsgericht eingereicht werden, bei dem auch die Anzeige erfolgt ist.7) In § 37 selbst ist keine Form vorgesehen. Allerdings müssen gemäß § 37 Abs. 2 StaRUG i. V. m. § 13a InsO bestimmte Pflichtangaben gemacht werden (siehe dazu Rz. 7). Auch wenn theoretisch in diesen Fällen ein Antrag zu Protokoll der Geschäftsstelle möglich wäre, führen die Angaben faktisch zu einem Formzwang.8) _____________ 3) 4)

5)

6) 7)

8)

RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181 S. 142. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021) RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 36 Rz. 8; ist das Restrukturierungsgericht zuständig, bedarf es nur eines Verweisungsantrags durch den Schuldner und eines weiteren separaten Antrags für die Begründung des Gruppengerichtsstands. Zu § 3a InsO wird aufgrund von § 13 Abs. 1 InsO von einem Schriftformzwang ausgegangen, so Wimmer/Amend in: FK-InsO, § 3a Rz. 10; Pannen in: HambKomm-InsO, § 3a Rz. 12; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 13a Rz. 4; Sternal in: HK-InsO, § 3a Rz. 4.

Blankenburg

537

4

§ 37

Gruppen-Gerichtsstand

5

Ferner muss in der Restrukturierungssache ein zulässiger Antrag durch den Schuldner gestellt worden sein. Es muss ein Instrument gemäß § 29 Abs. 2 beantragt worden sein.9) Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 37 Abs. 1 ist es nicht möglich, den Antrag auf Begründung eines Gruppengerichtsstands gleichzeitig mit der Anzeige zu stellen, wenn nicht bereits parallel ein Antrag auf ein Instrument gestellt wird. Unschädlich ist es, wenn der Antrag in der Restrukturierungssache gleichzeitig mit dem Antrag auf Begründung des Gruppen-Gerichtsstands gestellt wird.10)

6

Nach dem Wortlaut des § 37 Abs. 1 muss der Antrag zulässig sein. Insoweit muss das Gericht prüfen, ob die Voraussetzungen für die Anordnung oder Durchführung des Instrumentes gegeben sind. Liegen Mängel bei der Antragstellung vor, kann kein Gruppengerichtsstand begründet werden. Dies kann nicht gelten, wenn zwar Mängel bei der Zulässigkeit vorliegen, diese jedoch die Anordnung des Instruments nicht verhindern (so § 58 Abs. 1 Satz 3). In diesem Fall muss auch die Begründung eines Gruppengerichtsstands möglich sein. Die Rücknahme des Antrags für ein Restrukturierungsinstrument lässt nicht nachträglich die Zulässigkeit entfallen. Lediglich dann, wenn der Antrag erkennbar rechtsmissbräuchlich gestellt wurde, um einen Gruppengerichtsstand zu begründen, kann der Antrag auf Begründung des Gruppengerichtsstands als unzulässig zurückgewiesen werden.11) b) Voraussetzung nach § 37 Abs. 2 StaRUG i. V. m. § 13a InsO

7

Gemäß § 37 Abs. 2 ist § 13a InsO entsprechend auf den Antrag anwendbar. Der Antrag auf Begründung des Gruppengerichtsstands muss daher auch gegenüber dem Restrukturierungsgericht bestimmte Angaben aufweisen und ihm müssen die Anlagen gemäß § 13a Abs. 2 InsO beigefügt werden. Aufgrund der nur entsprechenden Anwendbarkeit ist jeweils zu prüfen, wie die durch § 13a InsO geforderten Angaben für das Restrukturierungsverfahren zu modifizieren sind.

8

Gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 1 InsO sind zu den gruppenangehörigen Unternehmen, die nicht von untergeordneter Bedeutung sind, bestimmte Kennzahlen anzugeben. Für die übrigen gruppenangehörigen Unternehmen sollen die entsprechenden Angaben erfolgen. Durch die Angabe des Namens, bei Personengesellschaften oder juristischen Personen der Firma, des Sitzes und des Unternehmensgegenstandes soll die Reichweite der Konzentration bestimmt werden können. Als Sitz ist sowohl der satzungsmäßige Sitz als auch ein abweichender Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit anzugeben, da dieser entscheidend für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit ist. Zu den Angaben zur Bilanzsumme, den Umsatz und der Anzahl der Arbeitnehmer siehe Rz. 23 ff.

9

§ 13a Abs. 1 Nr. 2 InsO fordert Angaben zum gemeinsamen Interesse der Gläubiger an einer Verfahrenskonzentration. Da dieses Merkmal für die Restrukturierungsverfahren kaum Bedeutung haben wird, bedarf es dazu grundsätzlich keiner Angaben. Lediglich wenn am Ort eines kleineren Unternehmens der Unternehmens_____________ 9) Ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 37 Rz. 23. 10) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 37 Rz. 7. 11) Weitergehend Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 37 Rz. 25.

538

Blankenburg

§ 37

Gruppen-Gerichtsstand

gruppe die Konzentration erfolgen soll, sollten Angaben dazu gemacht werden, warum keine Konzentration am Ort der Muttergesellschaft erfolgt. Angaben zu § 13 Abs. 1 Nr. 3 InsO dürften sich erübrigen, da grundsätzlich eine Sanierung dem Restrukturierungsverfahren immanent ist. Die Angaben in § 13 Abs. 1 Nr. 4 InsO sind in Bezug auf § 30 Abs. 2 StaRUG auch für das Restrukturierungsverfahren relevant.

10

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 5 InsO sind die gruppenangehörigen Schuldner anzugeben, über deren Vermögen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt oder ein Verfahren eröffnet wurde, einschließlich des zuständigen Insolvenzgerichts und des Aktenzeichens. Diese Angaben sind auch für das Restrukturierungsverfahren relevant. Zudem sind die Angaben dahin auch auf etwaige anhängige Restrukturierungsverfahren zu erweitern, damit das Gericht erkennen kann, ob es Abstimmungsbedarf mit weiteren Restrukturierungsgerichten gibt.

11

Gemäß § 13a Abs. 2 Satz 1 InsO ist dem Antrag der letzte konsolidierte Konzernabschluss beizufügen. Der Inhalt des Konzernabschlusses bestimmt sich nach § 297 HGB. Fehlt ein solcher, sind die letzten Jahresabschlüsse der gruppenangehörigen Unternehmen beizufügen, die nicht lediglich von untergeordneter Bedeutung für die Unternehmensgruppe sind. Die Jahresabschlüsse der übrigen gruppenangehörigen Unternehmen sollen beigefügt werden.

12

Die h. M. geht bei § 13a InsO davon aus, dass fehlende oder unvollständige Angaben und Unterlagen den Antrag nicht unzulässig machen.12) Vielmehr könne das Gericht trotz der Mängel einen Gruppengerichtsstand begründen, wenn es vom Vorliegen der Voraussetzungen überzeugt sei.13) Gleiches hat für das Restrukturierungsverfahren zu gelten.14) Das Gericht wird jedoch zu werten haben, ob die Konzentration in diesen Fällen im Interesse der Gläubiger ist und insbesondere, ob die Sanierung insgesamt als erfolgsversprechend anzusehen ist. Soll eine konzernweite Restrukturierung erfolgen und können die entsprechenden Angaben nicht gemacht werden, bestehen Zweifel, ob die Sanierung für das StaRUG geeignet ist.

13

2.

Materielle Voraussetzungen

a) Gruppenangehöriger Schuldner Der Schuldner muss Mitglied einer Unternehmensgruppe sein.

14

aa) Unternehmensgruppe gemäß § 3e Abs. 1 InsO (1) Verbundene Unternehmen Eine Unternehmensgruppe bestimmt sich nach § 3e InsO. besteht gemäß Absatz 1 aus rechtlich selbständigen Unternehmen, die den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen im Inland haben und unmittelbar oder mittelbar miteinander ver_____________ 12) Uhlenbruck-Pape, InsO, § 13a Rz. 18; Sternal in: HK-InsO, § 13a Rz. 7. 13) Uhlenbruck-Pape, InsO, § 13a Rz. 18; Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3a Rz. 18; Wimmer/ Amend in: FK-InsO, § 3a Rz. 30. 14) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 37 Rz. 20; wohl auch Braun-Baumert, StaRUG, § 37 Rz. 35, der dies allerdings dann i. R. des gemeinsamen Interesses berücksichtigen will.

Blankenburg

539

15

§ 37

Gruppen-Gerichtsstand

bunden sind. Es müssen mindestens zwei Unternehmen vorhanden sein,15) die miteinander verbunden sind. Bei den Unternehmen kann es sich sowohl um nichtnatürliche als auch um natürliche Personen in Form eines Einzelunternehmers handeln.16) Nicht rechtlich selbständig sind Zweigniederlassungen oder Betriebsstätten.17) (2) Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen im Inland 16

Die betroffenen Unternehmen müssen jeweils ihren Mittelpunkt des hauptsächlichen Interesses im Inland haben. Zur Bestimmung dieses Mittelpunktes kann auf Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO abgestellt werden.18) Danach liegt der Mittelpunkt dort, wo der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist. Bei Gesellschaften wird der COMI am Satzungssitz vermutet (Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO).19) Die Bestimmung erfolgt nach den Tatsachen zum Antragszeitpunkt.20)

17

Probleme bereitet die Anwendung des § 3e InsO, wenn an der Unternehmensgruppe auch ausländische Unternehmen beteiligt sind. Im Rahmen der Insolvenzverfahren bedarf es dann einer Abgrenzung zu Art. 56 ff. EuInsVO.21) Indes kommt es vorliegend nicht auf die Koordination der Verfahren an, sondern auf die örtliche Zuständigkeit. Liegt daher der Sitz der Mutter im Inland, reicht dies für die nationale Begründung des Gruppengerichtsstands aus.22) Die ausländischen Unternehmen gehören dann aber nicht zur Unternehmensgruppe.23) (3) Mittelbare oder unmittelbare Verbindung

18

Die Verbindung muss entweder durch einen herrschenden Einfluss eines Unternehmens oder durch eine einheitliche Leitung begründet sein.

19

Bei einem herrschenden Einfluss gemäß § 3e Abs. 1 Nr. 1 InsO besteht ein Mutterunternehmen, dass Einfluss auf andere Unternehmen (Tochterunternehmen) nehmen kann. Anders als § 290 Abs. 1 HGB setzen § 37 Abs. 2 StaRUG, § 3e InsO nicht voraus, dass es sich bei dem Mutterunternehmen um eine Kapitalgesellschaft handelt.24) Für die Bestimmung des herrschenden Einflusses kann auf die Kriterien gemäß § 290 Abs. 2 HGB abgestellt werden.25) Die dort aufgeführten Kriterien stellen eine unwiderlegbare Vermutung dafür auf, dass ein herrschender Einfluss ausgeübt _____________ 15) So auch für § 3e Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3e Rz. 4; Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, § 3e Rz. 2. 16) Ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 37 Rz. 10; so auch für § 3e Bruns in: MünchKommInsO, § 3a Rz. 4; a. A. Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, § 3e Rz. 2; Gelbrich/Flöther in: BeckOK-InsO, § 3e Rz. 1. 17) Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 37 Rz. 10. 18) So auch Pannen in: HambKomm-InsO, § 3e Rz. 6. 19) Dazu Kübler/Prütting/Bork-Madaus, InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 15. 20) Kübler/Prütting/Bork-Madaus, InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 13. 21) Dazu ausführlich Wimmer in: FK-InsO, § 3e Rz. 21 ff. 22) Ebenso zu § 3e Wimmer in: FK-InsO, § 3e Rz. 26 f. 23) Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 37 Rz. 12; Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3e Rz. 7. 24) Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3e Rz. 6. 25) Ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 37 Rz. 8.

540

Blankenburg

§ 37

Gruppen-Gerichtsstand

wird.26) Da die Möglichkeit eines herrschenden Einflusses ausreicht, ist es nicht erforderlich, dass dieser auch tatsächlich ausgeübt wird. Folgende Kriterien können daher für die Bestimmung des herrschenden Einflusses heranzogen werden: –

Der Mutter steht bei einem anderen Unternehmen die Mehrheit der Stimmrechte der Gesellschafter zu (§ 290 Abs. 2 Nr. 1 HGB);



der Mutter steht bei einem anderen Unternehmen das Recht zu, die Mehrheit der Mitglieder des die Finanz- und Geschäftspolitik bestimmenden Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans zu bestellen oder abzuberufen, und sie ist gleichzeitig Gesellschafter (§ 290 Abs. 2 Nr. 2 HGB);



der Mutter steht das Recht zu, die Finanz- und Geschäftspolitik auf Grund eines mit einem anderen Unternehmen geschlossenen Beherrschungsvertrages oder auf Grund einer Bestimmung in der Satzung des anderen Unternehmens zu bestimmen (§ 290 Abs. 2 Nr. 3 HGB), oder



die Mutter trägt bei wirtschaftlicher Betrachtung die Mehrheit der Risiken und Chancen eines Unternehmens, das zur Erreichung eines eng begrenzten und genau definierten Ziels des Mutterunternehmens dient (§ 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB).

Neben der Möglichkeit des beherrschenden Einflusses kann sich die Verbindung gemäß § 3e Abs. 1 Nr. 2 InsO auch aus einer Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung ergeben. Die Bestimmung ist an § 18 Abs. 2 AktG angelehnt und bildet den horizontalen Konzern (Gleichordnungskonzerne) ab. Bei diesem besteht zwischen den Unternehmen keine Abhängigkeit, vielmehr liegt eine gemeinsame Leitung vor. Ebenso wie bei § 3e InsO sollte der Begriff auch bei § 37 weit ausgelegt werden. Es genügt daher für eine einheitliche Leitung, wenn sich die Leitung auf einzelne wesentliche Funktionsbereiche der Unternehmen bezieht.27)

20

bb) Unternehmensgruppe gemäß § 3e Abs. 2 InsO § 3e Abs. 2 InsO erweitert den Anwendungsbereich für den Gruppengerichtsstand auch auf kapitalistische Personengesellschaften. Erfasst sind allerdings nur solche Gesellschaften, bei denen keine natürliche Person unbeschränkt haftet.28)

21

b) Nicht von untergeordneter Bedeutung Der Schuldner darf nicht offensichtlich von untergeordneter Bedeutung für die gesamte Unternehmensgruppe sein. Nach § 3a Abs. 1 Satz 2 InsO werden Kriterien aufgestellt, bei deren Vorliegen in der Regel davon auszugehen ist, dass der Schuldner nicht von untergeordneter Bedeutung ist. Gleichzeitig bedeutet dies allerdings nicht, dass von einer untergeordneten Bedeutung ausgegangen werden kann, wenn die Kriterien nicht vorliegen.29) Dazu müssen zwei Merkmale erfüllt sein. Zum einen _____________ 26) Dazu Senger/Kurz in: BeckOGK-HGB, § 290 Rz. 55. 27) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 37 Rz. 14; zu § 3e Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3e Rz. 7. 28) Wimmer in: FK-InsO, § 3e Rz. 26 ff.; Pannen in: HambKomm-InsO, § 3e Rz. 17 f. 29) So auch AG Hamburg, Beschl. v. 9.6.2020 – 67g IN 136/20, ZRI 2020, 391, das bei der Holding grundsätzlich nicht von einer untergeordneten Bedeutung ausgeht; ebenso Sternal in: HK-InsO, § 3a Rz. 7; Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3a Rz. 12.

Blankenburg

541

22

§ 37

Gruppen-Gerichtsstand

eine bestimmte Arbeitnehmeranzahl, zum anderen das Überschreiten einer bestimmten Bilanz- oder Umsatzsumme. 23

Für die Annahme einer nicht untergeordneten Bedeutung müssen zunächst im vorangegangenen abgeschlossenen Geschäftsjahr im Jahresdurchschnitt 15 % der in der Unternehmensgruppe beschäftigten Arbeitnehmer beim Schuldner eingesetzt worden sein. Die Bestimmung dieses Wertes bereitet erhebliche Schwierigkeiten und bietet aufgrund des möglichen Zeitablaufs zwischen dem Ablauf des letzten Geschäftsjahrs und dem aktuellen Beurteilungszeitpunkt einen nur unzulänglichen Beurteilungsmaßstab. Keine hinreichend klare Definition besteht bereits hinsichtlich des Arbeitnehmerstatus. Allerdings scheint der EuGH mittlerweile von einer einheitlichen europäischen Definition auszugehen.30) Danach ist eine Person Arbeitnehmer, die während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält.31)

24

Weitere Probleme ergeben sich aus dem unterschiedlichen Status möglicher Arbeitnehmer. Als Arbeitnehmer werden auch solche Personen erfasst, die sich im Mutterschaftsurlaub befinden (anders Elternzeit) sowie für Wehrübungen freigestellte Personen.32) Umstritten ist die Einordnung von Auszubildenden, Praktikanten usw.33) Unklar ist ferner die Bestimmung der Anzahl der beschäftigten Mitarbeiter. Diese könnte sowohl nach der Anzahl der Köpfe als auch der Anzahl der Vollzeitstellen bestimmt werden. Bei Letzterem müssten die Teilzeitstellen umgerechnet werden. Zur Bestimmung kann auf die Meinungen zu § 267 HGB zurückgegriffen werden, bei dem es ebenfalls auf die Anzahl der Arbeitnehmer ankommt. Insoweit geht die h. M. von der Kopfzahl aus, um eine klare und einfache Feststellung zu ermöglichen.34) Leiharbeiter sind nicht mit zu berücksichtigen, da sie nur dem Unternehmen des Entsenders zuzuordnen sind.35)

25

Für die Ermittlung des Jahresdurchschnitts kann auf § 267 Abs. 5 HGB zurückgegriffen werden. Demnach ist für den Mittelwert die Anzahl der Beschäftigten am 31.3., 30.6., 30.9. und 31.12. des jeweiligen Geschäftsjahrs maßgeblich. Da das letzte abgeschlossene Geschäftsjahr bereits elf Monate vor dem Antrag liegen kann, können sich erhebliche Differenzen zur Realität ergeben, insbesondere wenn schon Sanierungsmaßnahmen eingeleitet wurden. Dies ist jedoch aufgrund der gesetzgeberischen Konzeption hinzunehmen.

26

Ferner muss eine mindestens 16 %ige Beteiligung des Schuldners an der Bilanzsumme oder dem Umsatzerlös der Unternehmensgruppe vorliegen. Die Bilanzsumme bestimmt sich nach den Posten, die in den Buchstaben A bis E des § 266 Abs. 2 HGB aufgeführt sind.36) Der Umsatzerlös bestimmt sich nach § 277 Abs. 1 _____________ 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36)

542

EuGH, Urt. v. 11.11.2010 – Rs. C-232/09, Rz. 39, NJW 2011, 2343, 2344. EuGH, Urt. v. 11.11.2010 – Rs. C-232/09, Rz. 39, NJW 2011, 2343, 2344. Reiner in MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 8. Dazu Reiner in MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 8. Reiner in MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 8. Reiner in MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 9. Reiner in MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 6.

Blankenburg

§ 37

Gruppen-Gerichtsstand

HGB. Es muss sich um konsolidierte Umsätze handeln, d. h. die konzerninternen Binnenumsätze sind herauszurechnen.37) Ist der Konzern derart kleinteilig aufgestellt, dass kein Konzernteil die Voraussetzungen des § 3a Abs. 1 Satz 2 InsO erfüllt, ist gemäß § 3a Abs. 1 Satz 4 InsO zumindest das Unternehmen zur Antragstellung berechtigt, das im vorangegangenen abgeschlossenen Geschäftsjahr im Jahresdurchschnitt die meisten Arbeitnehmer beschäftigt hat. Gegen den Antrag dieses Unternehmens kann dann der Einwand der untergeordneten Bedeutung nicht erhoben werden. Gemäß § 37 Abs. 2 ist auch § 3a Abs. 1 Satz 3 InsO entsprechend anwendbar, welcher die Antragstellung durch mehrere Schuldner regelt. Die Bedeutung dieser Norm wird für das StaRUG sehr gering sein, da zu erwarten ist, dass es bei einer Sanierung nicht mehrere unterschiedliche Anzeigen und damit auch mehrere Anträge auf Begründung eines Gruppengerichtsstands gibt. Dass sich ein Teil des Konzerns entgegen den Bestrebungen der Konzernmutter über einen Restrukturierungsplan sanieren will, ist kaum zu erwarten. Vielmehr wird eher die Konstellation auftreten, dass ein Konzernteil die Sanierungspläne nicht mitträgt, ein Insolvenzverfahren beantragt und dann für das Insolvenzverfahren den Gruppengerichtsstand beantragt. Diese Konstellation wird allerdings nicht durch § 37 Abs. 2 geregelt. Vielmehr ist in diesen Fällen ein Nebeneinander unterschiedlicher Anträge möglich. Das in der Restrukturierung befindliche Unternehmen kann dann nur über § 58 Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vermeiden. Sollte es dennoch zu konkurrierenden Anträgen im Restrukturierungsverfahren kommen, gilt der Grundsatz der Priorität.38) Nur wenn die Priorität nicht festgestellt werden kann, kommt es auf die Auslegungsregelung in § 37 Abs. 2 StaRUG i. V. m. § 3a Abs. 1 Satz 3 InsO an. Haben mehrere Schuldner aus der Unternehmensgruppe den Antrag zeitgleich gestellt oder lässt sich nicht mehr nachvollziehen, welcher Antrag zuerst gestellt wurde, entscheidet nach § 3a Abs. 1 Satz 3 InsO der Antrag des Schuldners, der im vergangenen abgeschlossenen Geschäftsjahr die meisten Arbeitnehmer beschäftigt hat, über die Zuständigkeit. Ob der ersten Alternative jeweils eine Bedeutung zukommen wird, erscheint fraglich. Bei Anträgen in Papierform wird schon mangels genauer Erfassung der Uhrzeit des Eingangs der Anträge ein zeitgleiches Einreichen nie festgestellt werden können wird. Bei digitalen Anträgen (z. B. per BeA oder per Fax) wird zwar die genaue Uhrzeit zu erfassen sein.39) Da dann der Eingang sekundengenau bestimmt werden kann, erscheint ein zeitgleicher Eingang sehr zweifelhaft.40) Als zeitgleich wird auch nicht auf den gleichen Tag abgestellt werden können, da die Formulierung anderenfalls taggleich hätte lauten müssen.41) Zudem wäre dann die zweite Alternative vollkommen entwertet, da der Tag des Eingangs nahezu immer bestimmt werden kann. _____________ 37) Braun-Baumert, InsO, § 3a Rz. 15. 38) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 37 Rz. 35; für § 3a InsO Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3a Rz. 14. 39) So auch Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3a Rz. 17. 40) Krit. dazu Blankenburg, ZInsO 2018, 895, 900. 41) A. A. für § 3a InsO wohl Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3a Rz. 15, der in Zweifelsfällen auf § 27 Abs. 2 Nr. 3 InsO zurückgreifen will.

Blankenburg

543

27

28

29

§ 37 30

Gruppen-Gerichtsstand

Der nachrangig gestellte Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen. Es hat umgehend eine Abweisung zu erfolgen, ein Zuwarten auf die rechtskräftige Entscheidung über den Erstantrag ist nicht erforderlich.42) Ein unzulässiger Zweitantrag wird nicht dadurch nachträglich zulässig, dass der Erstantrag zurückgenommen oder zurückgewiesen wird.43) c) Gemeinsames Gläubigerinteresse

31

Nach § 37 Abs. 2 StaRUG i. V. m. § 3a Abs. 2 InsO muss die Verfahrenskonzentration am angerufenen Restrukturierungsgericht im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegen. Bei Zweifeln daran ist der Antrag abzulehnen. Nach der Gesetzesbegründung zu § 3a InsO soll dies dann der Fall sein, wenn sich durch eine koordinierte Abwicklung der Einzelverfahren Koordinationsgewinne erzielen lassen, die einigen Insolvenzmassen zugutekommen, ohne dabei die übrigen Massen zu benachteiligen.44) Obwohl die Norm im StaRUG für anwendbar erklärt wird, ist eine Bedeutung für das Verfahren nicht absehbar.45) Da das Restrukturierungsverfahren anders als das Insolvenzverfahren nicht auf die Verwertung des gesamten Vermögens des Schuldners gerichtet ist, kann es nicht zu einer Verschlechterung der Masse kommen. Zudem erscheint es fraglich, wenn tatsächlich zwei Anzeigen gemäß § 31 StaRUG eingehen, welches Interesse überhaupt dagegen sprechen sollte, dass diese an einem Ort geprüft und verhandelt werden. Der Gesetzgeber hat durch die Konzentration der Gerichte bereits selbst die Grundentscheidung getroffen, dass die Verfahren möglichst an einem Gericht geführt werden. d) Rechtsschutzbedürfnis

32

Ein Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich des Gruppengerichtsstands besteht auch dann, wenn alle potentiellen gruppenangehörigen Unternehmen den Gerichtsstand im Bezirk des angerufenen Gerichts haben.46) 3.

Rechtsfolge

a) Bestimmung des Gruppengerichtsstands 33

Liegen die Voraussetzungen für einen Gruppengerichtsstand vor, hat das Gericht sich durch Beschluss für Gruppen-Folgeverfahren für zuständig zu erklären.47) Liegen die Voraussetzungen nicht vor, ist das Antrag als unzulässig zurückzuweisen. Sowohl gegen die Begründung des Gruppengerichtsstands als auch gegen die Zurückweisung ist kein Rechtsmittel möglich.48) Es bedarf daher keiner Rechtsmittelbeleh_____________ 42) Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, § 3a Rz. 14; a. A. Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3a Rz. 16. 43) Ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 37 Rz. 36. 44) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BTDrucks. 18/407, S. 27. 45) Ebenso krit. dazu Braun-Baumert, StaRUG, § 37 Rz. 11. 46) So zu § 3a InsO Gelbrich/Flöther in: BeckOK-InsO, § 3a Rz. 32; Schaaf/Filbinger, BB 2019, 1801, 1806. 47) Zu den Formalien eines solchen Beschluss Blankenburg, ZInsO 2018, 895, 900. 48) In der Literatur wird auf die Möglichkeit einer Anhörungsrüge gemäß § 38 StaRUG i. V. m. § 321a ZPO verwiesen. Dabei handelt es sich aber nicht um ein ordentliches Rechtsmittel.

544

Blankenburg

§ 37

Gruppen-Gerichtsstand

rung und insoweit auch keiner Begründung.49) Bei einer Zurückweisung des Antrags kann ein solcher jederzeit erneut gestellt werden.50) Lediglich hinsichtlich einer Zurückweisung nach § 3a Abs. 2 InsO bedarf es dann eines neuen Vortrags.51) b) Ausschließlicher Gerichtsstand Nach einhelliger Meinung ist der Gruppengerichtsstand in Insolvenzverfahren nur ein Wahlgerichtsstand.52) Dies beruht auf § 3c Abs. 2 InsO, wonach Anträge auch weiterhin bei dem nach § 3 Abs. 1 InsO zuständigen Gericht gestellt werden können und der Gruppengerichtsstand keine Sperrwirkung entfaltet.53) § 37 StaRUG verweist allerdings explizit nur auf § 3c Abs. 1 InsO, nicht jedoch auf § 3c Abs. 2 InsO. Die Gesetzesbegründung verhält sich nicht dazu, ob mangels dieser Verweisung von einem ausschließlichen Gruppengerichtsstand ausgegangen werden soll. Da die Interessenslage in den Restrukturierungsverfahren eine andere ist als bei den Insolvenzverfahren, sollte von einer ausschließlichen Zuständigkeit ausgegangen werden.54) Bei den Insolvenzverfahren handelt es sich um Zwangsverfahren, bei denen die beteiligten Unternehmen unterschiedliche Interessen verfolgen können. Gegebenenfalls strebt ein Teil der Unternehmensleitung eine Sanierung an, während ein anderer Teil eine Liquidation beabsichtigt. Insoweit kann eine Koordination sinnvoll sein, muss es aber nicht. Insbesondere um eine Gerichtsstandserschleichung zu verhindern, soll auch bei den originär zuständigen Gerichten ein zulässiger Antrag gestellt werden können.

34

Alle diese Erwägungen greifen für das Restrukturierungsverfahren nicht. Es wäre für das Verfahren zudem überaus schädlich, würden einzelne Teile einer Unternehmensgruppe eigene Restrukturierungsverfahren betreiben, ohne sich mit der Konzernleitung abzustimmen. Dies soll zwar rechtlich möglich bleiben, jedoch wird durch einen einheitlichen Gruppengerichtsstand dann verhindert, dass unterschiedliche Gerichte dafür zuständig sind, die ggf. keine Kenntnis von dem jeweils anderen Verfahren haben. Wird daher ein Gruppengerichtsstand begründet, stellt dieser einen ausschließlichen Gerichtsstand für alle Gruppen-Folgeverfahren dar.

35

Ein Gruppen-Folgeverfahren liegt dann vor, wenn die Anzeige von einem gruppenangehörigen Unternehmen gestellt wird. Ob ein Unternehmen Teil der Unternehmensgruppe ist, bestimmt sich nach § 37 Abs. 2 StaRUG i. V. m. § 3e InsO. Unerheblich ist, ob dem Unternehmen eine untergeordnete Bedeutung zukommt, da sämtliche Unternehmen erfasst sind.

36

_____________ 49) Blankenburg, ZInsO 2018, 895, 901; a. A. Sternal in: HK-InsO, § 3a Rz. 13. 50) So auch Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3a Rz. 20; a. A. Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 37 Rz. 41; Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3a Rz. 19. 51) Ebenso Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3a Rz. 20. 52) Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3a Rz. 19; Gelbrich/Flöther in: BeckOK-InsO, § 3a Rz. 32. 53) Dazu Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drucks. 18/407, S. 27; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3a Rz. 19. 54) A. A. Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 37 Rz. 42.

Blankenburg

545

§ 37

Gruppen-Gerichtsstand

c) Auswirkung auf anhängige Verfahren 37

Ist ein Gruppengerichtsstand begründet worden, haben die Restrukturierungsgerichte, bei denen jeweils Verfahren rechtshängig sind, zu prüfen, ob die betroffenen Schuldner zur Unternehmensgruppe gehören. Ist dies der Fall, wird das angerufene Gericht außerhalb des Gruppengerichtsstands nachträglich örtlich unzuständig. Die weitere Vorgehensweise ist in § 37 Abs. 2 StaRUG i. V. m. § 3d Abs. 1 Satz 1 InsO geregelt. Danach kann das angerufene Gericht ein anhängiges Verfahren an das Gericht des Gruppengerichtsstands verweisen, wenn es sich um ein Verfahren eines gruppenangehörigen Schuldners handelt. Nach der Kommentierung zu § 3d InsO obliegt die Verweisung dem Ermessen des Gerichts55) und kann ohne Antrag,56) jedoch erst nach Anhörung des Schuldners erfolgen.

38

Es erscheint fraglich, ob die zu § 3d InsO vertretenen Ansichten auf das StaRUG ohne weiteres übertragen werden können. Da die Begründung des Gruppengerichtsstands zu einer ausschließlichen Zuständigkeit führt, die die allgemeinen Gerichtsstände ausschließt, ist kein Raum für eine Ermessensentscheidung. Das Gericht kann nicht abwägen, ob eine Führung des Verfahrens am eigenen Ort sinnvoll erscheint, da es an der eigenen Zuständigkeit fehlt. Folglich liegt eine gebundene Entscheidung vor.57)

39

Hinsichtlich des Antragserfordernisses verhält sich das StaRUG widersprüchlich. Da es an einer Berechtigung der Gläubiger für eine Anzeige fehlt, wird zutreffender Weise nicht auf § 3d Abs. 1 Satz 2 InsO verwiesen. Dennoch erfolgt aber ein Verweis auf § 3d Abs. 2 InsO, der dem Schuldner ein Antragsrecht einräumt. Diese Norm wird in der insolvenzrechtlichen Kommentarliteratur allerdings nur auf § 3d Abs. 1 Satz 2 InsO bezogen.58) Diesen Widerspruch gilt es aufzulösen. Entweder könnte der Verweis auf § 3d Abs. 2 InsO als Redaktionsversehen angesehen werden oder aber es könnte für die Verweisung ein Antrag des Schuldners gefordert werden. In der Gesetzesbegründung befinden sich zu dem Verweis auf § 3d Abs. 2 InsO keine Ausführungen. Gegen ein Redaktionsversehen spricht, dass die Verweisung in § 37 StaRUG sehr dezidiert erfolgt ist und keine Anpassung im Rechtsausschuss vorgenommen wurde, obwohl an anderen Stellen durchaus nachjustiert wurde. Aus der Systematik ist daher zu schließen, dass eine Verweisung nicht ohne Antrag erfolgen kann.59) Dies würde auch der weiteren Systematik des StaRUG entsprechen, da bei originärer Unzuständigkeit sonst auch keine Verweisung von Amts wegen möglich ist, sondern nur eine Aufhebung nach § 33 Abs. 1 Nr. 2 erfolgen kann. Ein solches Antragserfordernis würde auch das Schuldnerautonomie im StaRUG entsprechen. Der Schuldner hat es dann in der Hand zu entscheiden, ob die Sanierung der gesamten _____________ 55) Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3d Rz. 5; Pannen in: HambKomm-InsO, § 3d Rz. 3. 56) Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3a Rz. 11; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3d Rz. 4; Pannen in: HambKomm-InsO, § 3d Rz. 5; a. A. Sternal in: HK-InsO, § 3d Rz. 3; Braun-Baumert, InsO, § 3d Rz. 2; Baumert, NZI 2019, 103, 105. 57) A. A. Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 37 Rz. 62; Braun-Baumert, StaRUG, § 37 Rz. 18; Pannen/Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 37 Rz. 33. 58) Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3d Rz. 9; Pannen in: HambKomm-InsO, § 3d Rz. 11. 59) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 37 Rz. 60; Braun-Baumert, StaRUG, § 37 Rz. 19.

546

Blankenburg

§ 37

Gruppen-Gerichtsstand

Unternehmensgruppe bei einem Gericht erfolgt oder ob die bereits rechtshängige Sache mangels Zuständigkeit aufgehoben wird.60) Stellt der Schuldner einen Verweisungsantrag an das Gericht des Gruppengerichtsstands, ist die Restrukturierungssache umgehend dorthin zu verweisen. Der Verweisungsbeschluss ist dann bindend für das Empfängergericht.61) Die Anhörung weiterer Beteiligter bedarf es dazu nicht. Stellt der Schuldner hingegen keinen Verweisungsantrag, hat das Gericht eine Frist dazu zu setzen. Erfolgt auch innerhalb dieser Frist kein Antrag, hat eine Aufhebung nach § 33 Abs. 1 Nr. 2 zu erfolgen. 4.

40

Gerichtliche Verfahrenskonzentration

Ferner wird durch § 37 Abs. 2 StaRUG auf § 3c Abs. 1 InsO verwiesen. Diese Norm stellt eine gesetzliche Geschäftsverteilungsregelung dar und geht der gerichtlichen Geschäftsverteilung vor.62) Der Gesetzgeber hat mit dem SanInsFoG auf die Kritik an der Norm reagiert und die Zuständigkeitsfortschreibung nicht mehr an den Richter, sondern an die Abteilung geknüpft. In § 36 findet sich eine entsprechende Regelung für das anhängig Restrukturierungsverfahren. Diese Regelung soll die Verfahrenskonzentration innerhalb eines Verfahrens erreichen, ist inhaltlich aber vollkommen verunglückt und damit inhaltsleer (siehe dazu § 36 Rz. 5). Praktische Bedeutung wird nur die vorliegende Regelung gemäß § 37 StaRUG i. V. m. § 3c Abs. 1 InsO erlangen.

41

Die Anordnung des Gruppengerichtsstands führt dazu, dass die Abteilung, in der der Gruppengerichtsstand begründet wurde, auch für sämtliche Gruppen-Folgeverfahren innerhalb des Gerichts zuständig ist. Geht daher ein Verfahren bei Gericht ein, das als Gruppenfolgeverfahren identifiziert wird (siehe dazu Rz. 36), muss es in dieselbe Abteilung eingetragen werden. Die Norm geht grundsätzlich ins Leere, wenn die Begründung des Gruppengerichtsstands nicht aus der ersten rechtshängigen Restrukturierungssache selbst erfolgte, sondern aus einem eigenständigen Verfahren.63)

42

_____________ 60) Dafür auch i. R. des § 3c InsO Baumert, NZI 2019, 103, 105. 61) Ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 37 Rz. 63; Pannen/Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 37 Rz. 34; für § 3d InsO wird angenommen, dass keine Bindung eintritt, da es sich nur um einen Wahlgerichtsstand handelt, so Braun-Baumert, InsO, § 3d Rz. 7; krit. zur Bindungswirkung daher auch Braun-Baumert, StaRUG, § 37 Rz. 21. 62) Pannen in: HambKomm-InsO, § 3c Rz. 5; Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, § 3c Rz. 2. 63) Die Aktenordnung sieht vor, dass der Antrag auf Begründung eines Gruppengerichtsstands möglichst nicht in der Hauptakte mit den Registerzeichen „RES“ zu bearbeiten ist, sondern ein eigenständiges Verfahren unter dem Aktenzeichen „IE“ eingetragen werden soll. Dies erscheint systematisch vollkommen verfehlt. Bereits der Bezug auf das Registerzeichen „IE“ vermag nicht zu überzeugen, da dieses den Insolvenzgerichten und nicht den Restrukturierungsgerichten zugewiesen ist. Die Regelung ist bei den Insolvenzverfahren eingeführt worden, da es aufgrund der OLG-bezirksweiten Zuständigkeit des Gerichts am potentiellen Gruppengerichtsstand passieren kann, dass das Eröffnungsverfahren an einem anderen Gericht anhängig ist als der Antrag auf Begründung des Gruppengerichtsstands. Dann bedarf es für letzteren ein eigenes Aktenzeichen. Bei den Restrukturierungsgerichten besteht aber ein solcher Bedarf nicht, solange nicht eine über den eigenen OLG-Bezirk hinausgehende Konzentration stattgefunden hat. Nur dann ist es denkbar, dass bei einem Gericht die Anzeige erfolgt und bei einem anderen Gericht der Antrag auf Begründung des Gruppengerichtsstands gestellt wird. Diese Problematik scheint der Gesetzgeber aber überhaupt nicht gesehen zu haben, da es dann problematisch wird, wie mit dem zwingend erforderlichen Antrag auf Anordnung eines Instruments nach § 29 StaRUG umzugehen ist.

Blankenburg

547

§ 37

Gruppen-Gerichtsstand

Ebenso wie in den Insolvenzverfahren sollte dann aber darauf abgestellt werden, dass es allein auf die Abteilung des Restrukturierungsverfahren ankommt, aufgrund dessen der Antrag zur Begründung des Gruppengerichtsstands gestellt wurde.64) Ein nicht durch den Gesetzgeber gesehenes Problem ergibt sich, wenn für die gesamte Abteilung nicht nur ein Richter, sondern mehrere zuständig sind.65) Da die Intention des Gesetzgebers klar war, nämlich eine einheitliche Zuständigkeit auch im richterlichen Bereich zu begründen, ist in diesem Fall eine Auslegung dahin vorzunehmen, dass dann nicht nur an die gleiche Abteilung, sondern auch an das gleiche Unterordnungskriterium angeknüpft wird. Es ist daher bei Gericht sicherzustellen, dass die Verfahren in der gleichen Abteilung durch den gleichen Richter bearbeitet werden, der auch für die Hauptrestrukturierungssache zuständig ist. 43

Probleme können sich dahingehend ergeben, dass eine Gruppe eine derartige Größe annimmt, dass eine Überlastung der Abteilung eintritt. Soweit vorgeschlagen wird, dann die allgemeine Geschäftsverteilung heranzuziehen, überzeugt diese Auffassung nicht.66) Dabei ist schon vollkommen unklar, wann eine Überlastung vorliegt. Nicht ausreichend dürfte es sein, dies allein aufgrund der Anzeige des zuständigen Richters anzunehmen, da dies auch subjektiv geprägt sein kann. Erforderlich ist vielmehr, dass in diesen Fällen eine Sonderzuweisung durch das Präsidium des AG erfolgt. Dieses hat genau festzulegen, welche Verfahren auf eine andere Abteilung übertragen werden. Nur dann ist den Beteiligten klar, wer und in welchen Fällen der zuständige Richter.

44

Da § 3c Abs. 1 InsO dahin geändert wurde, dass nicht mehr auf den Richter, sondern die Abteilung abgestellt wird, ist ein Richterwechsel ohne weiteres möglich.67) Das Präsidium hat in diesen Fällen nur sicherzustellen, dass der neue Richter die Zuständigkeit für die Abteilung insoweit erhält, dass davon sämtliche Verfahren der Unternehmensgruppe erfasst sind. Erfolgt die Aufspaltung der Abteilung auf mehrere Richter, wäre der Beschluss insoweit unwirksam, als auch die Zuständigkeit für die Unternehmensgruppe aufgespalten wird.68) 5.

45

Fortgeltung des Gruppengerichtsstands

Verliert die Restrukturierungsanzeige ihre Wirkung, bleibt der begründete Gruppengerichtsstand gemäß § 37 Abs. 2 StaRUG i. V. m. § 3b InsO solange bestehen, wie noch weitere Restrukturierungssachen anderer gruppenangehöriger Unterneh_____________ 64) So auch Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3c Rz. 3. 65) Beim AG Hannover existieren derzeit neun Abteilungen, die auf vier Richterköpfe verteilt sind. Dies führt dazu, dass drei Abteilungen von mehreren Richtern bearbeitet werden. Die Differenzierung erfolgt in diesem Fall nach sog. Endziffern. 66) Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, § 3c Rz. 4; Pannen in: HambKomm-InsO, § 3d Rz. 10; krit. dazu Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3c Rz. 4. 67) Zur alten Problematik des Richterwechsels aufgrund des verunglückten Wortlauts des § 3c InsO a. F. s. nur Pannen in: HambKomm-InsO, § 3d Rz. 8. 68) I. E. auch Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drucks. 18/407, S. 49, wonach die Änderung der Zuständigkeit für das Ausgangsverfahren mit einer Änderung der Zuständigkeit für die Gruppen-Folgeverfahren einhergehen soll (so auch Pannen in: HambKomm-InsO, § 3d Rz. 7; Wimmer/Amend in: FK-InsO, § 3c Rz. 10).

548

Blankenburg

§ 37

Gruppen-Gerichtsstand

men anhängig sind. Es bedarf dann nicht einer erneuten Begründung des Gruppengerichtsstands. Dies ist insoweit für das Restrukturierungsverfahren von stärkerer Bedeutung als in den Insolvenzsachen, da ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet wird. Daher können Anzeigen nur am Ort des Gruppengerichtsstands erfolgen, solange nur ein Verfahren über einen gruppenangehörigen Schuldner anhängig ist. Für die Bestimmung des Zeitpunktes, wann die Anhängigkeit des letzten Verfahrens entfallen ist, kommt es auf die formelle Rechtskraft der beendenden Entscheidung an. IV. Gruppengerichtsstand für Insolvenzverfahren (Abs. 3) Nach § 37 Abs. 3 kann sich das für Gruppen-Folgeverfahren in Restrukturierungssachen zuständige Gericht als Insolvenzgericht auch für Gruppen-Folgeverfahren in Insolvenzsachen nach § 3a Abs. 1 InsO für zuständig erklären. Die Intention des Gesetzgebers für diese Vorschrift war es, eine Verfahrenskonzentration auch für Verfahren bzgl. gruppenangehöriger Unternehmen herbeizuführen, die statt eines Restrukturierungsverfahrens ein Insolvenzverfahren durchlaufen.69) Die Vorschrift ist als handwerklich nicht geglückt zu bezeichnen, da eine Verquickung von Restrukturierungs- und Insolvenzgericht erfolgt. 1.

46

Voraussetzungen

Die Begründung des insolvenzrechtlichen Gruppengerichtsstands ist nur auf Antrag möglich. Antragsberechtigt ist lediglich der Schuldner. Weder den Gläubigern, dem Restrukturierungsbeauftragten noch den anderen gruppenangehörigen Unternehmen steht ein Antragsrecht zu.

47

Der Antrag ist an das für Gruppen-Folgeverfahren in Restrukturierungssachen zuständige Gericht zu richten. Dies ist das AG am Ort des Restrukturierungsgerichts, das den Gruppen-Gerichtsstand gemäß § 37 Abs. 1 begründet hat. Der Antrag kann daher erst gestellt werden, wenn eine Entscheidung über den Gruppengerichtsstand ergangen ist.70) Aus Praktikabilitätsgründen ist es allerdings zulässig, den Antrag gleichzeitig mit dem Antrag auf Begründung des Gruppengerichtsstands einzureichen. Unklar ist, ob der Antrag an das Restrukturierungsgericht oder an das Insolvenzgericht zu richten ist. Aus § 37 Abs. 1 ergibt sich, dass sich das Restrukturierungsgericht als Gruppengerichtsstand für zuständig erklärt. Insoweit muss dies konsequenterweise dann auch unter dem Begriff des § 37 Abs. 3 verstanden werden. Es ist damit nicht allgemein das AG gemeint. Folglich ist der Antrag an das Restrukturierungsgericht zu richten.

48

Schließlich müssen die Voraussetzungen für die Begründung eines Gruppengerichtsstands gemäß § 37 Abs. 1 erfüllt sein. Die Gruppenzugehörigkeit des Antragstellers ist nur dann ein Problem, wenn dies nicht das gleiche Unternehmen ist, das den Antrag nach § 37 Abs. 1 gestellt hat. In diesem Fall müssen die Voraussetzungen auch für den Antragsteller geprüft werden (siehe dazu Rz. 4). Da nicht auf § 37 Abs. 2 verwiesen wird, ist nicht zu prüfen, ob ein gemeinsames Gläubigerinteresse gemäß § 37 Abs. 2 StaRUG i. V. m. § 3a Abs. 2 InsO für die Konzentration besteht. Diese

49

_____________ 69) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 142. 70) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 37 Rz. 47.

Blankenburg

549

§ 37

Gruppen-Gerichtsstand

gesetzgeberische Entscheidung ist hinzunehmen, auch wenn es fraglich erscheint, warum hier die Verweisung fehlt. Gerade bei der Verbindung von Restrukturierungsund Insolvenzverfahren könnte sich die Frage des berechtigten Interesses stellen. 2. 50

Rechtsfolgen

Das Restrukturierungsgericht entscheidet durch Beschluss über den Antrag. Ist der Antragsteller ein gruppenangehöriges Unternehmen von nicht untergeordneter Bedeutung, hat das Gericht kein Ermessen. Das Restrukturierungsgericht begründet dann für das Insolvenzgericht eine Zuständigkeit, so dass Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens für gruppenangehörige Unternehmen beim Insolvenzgericht am Ort des Restrukturierungsgerichts stellen können. Systematisch ist es den Verfahrensordnungen bisher vollkommen unbekannt, dass eine Abteilung des AG über die Zuständigkeit einer anderen Abteilung befindet. V. Exkurs: Gruppengerichtsstand gemäß § 3a Abs. 4 InsO

51

Mit dem SanInsFoG wurde in § 3a Abs. 4 InsO eine weitere Regelung zur Verfahrenskonzentration eingeführt. Danach soll sich das Insolvenzgericht, dass sich gemäß § 3a Abs. 1 als Gruppen-Gerichtsstandgericht erklärt hat, auch als Restrukturierungsgericht für Gruppen-Folgeverfahren in Insolvenzsachen nach Absatz 1 für zuständig erklären. Voraussetzung ist, dass das Insolvenzgericht am Ort des Restrukturierungsgerichts liegt.

52

Nach dem Wortlaut der Norm erschließt sich der Sinn und Zweck der Regelung nicht.71) Es erscheint schon gerichtsverfassungsrechtlich ausgeschlossen, dass sich das Restrukturierungsgericht in Insolvenzsachen für zuständig erklärt. Es kann nicht Intention des Gesetzgebers gewesen sein, eine funktionell unzuständige Abteilung des AG für Insolvenzverfahren für zuständig zu erklären. Auch eine Auslegung dahin, dass sich das AG als örtlich für Insolvenzverfahren zuständig erklären kann, ist nicht sinnvoll, da Voraussetzung gerade ist, dass dort bereits eine Zuständigkeit nach § 3a Abs. 1 InsO besteht.

53

Soll die Norm daher nicht vollkommen ins Leere laufen,72) muss sie dahin ausgelegt werden, dass es dem Restrukturierungsgericht möglich sein soll, sich bereits ohne anhängige Restrukturierungssache als Gruppen-Gericht für Restrukturierungssachen für zuständig zu erklären.73) Einen Sinn könnte die Vorschrift dann

_____________ 71) Auf ein konkretes Beispiel angewendet bedeutet dies: Ein Schuldner, der seinen Sitz in Hildesheim hat, stellt zunächst dort einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Danach stellt er beim AG Hannover einen Antrag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstands gemäß § 3a Abs. 1 InsO. Das AG Hannover erklärt sich als Gruppen-Gerichtsstand für zuständig. Nach dem Wortlaut des § 3a Abs. 4 InsO hat das Restrukturierungsgericht, das nicht zwingend mit den gleichen Richtern besetzt sein muss, die Möglichkeit, sich für das Gruppen-Folgenverfahren in Insolvenzsachen für zuständig zu erklären. 72) Dafür Frind, NZI 2020, 865, 866, der keine sinnvolle Anwendungsmöglichkeit sieht. 73) So Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 37 Rz. 66; wohl auch Gelbrich/Flöther, in: BeckOKInsO, § 3a Rz. 38, ohne dies zu problematisieren; unklar Pannen/Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 37 Rz. 45, wonach für die Anwendung des § 3 Abs. 4 InsO bereits ein GruppenGerichtsstand nach § 37 Abs. 1 begründet sein muss.

550

Blankenburg

§ 38

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

haben, wenn bereits bei einem anderen Restrukturierungsgericht eine Anzeige eines anderen Unternehmens der Unternehmensgruppe anhängig ist. Diese einzig sinnstiftende Auslegung ruft allerdings praktische Probleme hervor. Die Richter am Insolvenzgericht und Restrukturierungsgericht müssen nicht personenidentisch sein. Dementsprechend haben sich die Richter des Restrukturierungsgerichts ggf. noch gar nicht mit der Sache befasst. Insoweit erscheint schon fraglich, wie sie Kenntnis davon erhalten sollen. Das Insolvenzgericht müsste als verpflichtet angesehen werden, dass Restrukturierungsgericht über die Begründung von Gruppen-Gerichtsständen zu unterrichten. Ferner erscheint fraglich, ob die Begründung eines GruppenGerichtsstands für Restrukturierungssachen einen gesonderten Antrag des Schuldners voraussetzt oder ob dieser immer vom Antrag auf Begründung eines insolvenzrechtlichen Gruppen-Gerichtsstands umfasst ist. Dies könnte zweifelhaft sein, da der im Insolvenzverfahren befindliche Schuldner keine Möglichkeit hat, selbst den Restrukturierungsrahmen in Anspruch zu nehmen. Ein gesonderter Antrag würde daher nur für andere Unternehmen der Unternehmensgruppe gestellt werden, auf die der Schulnder ggf. keinen Einfluss hat. Insgesamt erscheint daher die Vorschrift des § 3a Abs. 4 InsO vollkommen verunglückt und wird in der Praxis keine Bedeutung erlangen.

54

Erklärt sich das Restrukturierungsgericht am Ort des Gruppen-Gerichts für örtlich zuständig, führt dies dazu, dass bereits anhängige Anzeigen bei anderen Restrukturierungsgerichten verwiesen werden müssen. Aufgrund der ausschließlichen Zuständigkeit hätte das zuerst befasste Restrukturierungsgericht nicht die Möglichkeit, das Verfahren fortzuführen.

55

§ 38 Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung Blankenburg

1

Für Verfahren in Restrukturierungssachen gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. ²§ 128a der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe, dass bei Versammlungen und Terminen die Beteiligten in der Ladung auf die Verpflichtung hinzuweisen sind, wissentliche Ton- und Bildaufzeichnungen zu unterlassen und durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Dritte die Ton- und Bildübertragung nicht wahrnehmen können. Literatur: Blankenburg/Godzierz, Virtuelle Gläubigerversammlung und Co. – Gegen einen Schnellschuss im Rahmen der COVID-19-Gesetzgebung, ZInsO 2020, 1285; Eckert/ Ippen, Prozessuale Möglichkeiten zur Durchführung von Insolvenzverfahren während der Covid-19-Pandemie, ZInsO 2020, 1105; Haarmeyer, Voraussetzungen und Grenzen der Überlassung von Entscheidungen aus Insolvenzverfahren an unbeteiligte Dritte, ZInsO 2019, 1352; Köhler/Hudetz, Commercial Courts – Staatliche Konkurrenz für die Schiedsgerichtsbarkeit?, BB 2020, 2179; Mantz/Spoenle, Corona-Pandemie: Die Verhandlung per Videokonferenz nach § 128a ZPO als Alternative zur Präsenzverhandlung, MDR 2020, 637; Meier, Fremdsprachige Verhandlung vor deutschen Gerichten?, WM 2018, 1827; Pleister/Palenker, Gläubigerbeteiligung in Zeiten von COVID-19, ZRI 2020, 245; Preuß, Insolvenzverfahren 4.0 – verfahrensrechtlicher Rahmen für „virtuelle Gläubigerversammlungen“, ZIP 2020, 1533; Sturm/Schulz, Brexit – Eine Chance für den Gerichtsstandort Deutschland?, ZRP 2019, 71; Windau, Gerichtsverhandlung per Videokonferenz: Keine

Blankenburg

551

§ 38

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

Angst vor § 128a ZPO, AnwBl. 2021, 26; Windau, Die Verhandlung im Wege der Bildund Tonübertragung Praxisorientierte Überlegungen zu Gegenwartsproblemen des Zivilprozessrechts, NJW 2020, 2753; Zipperer, Private und behördliche Einsicht in Insolvenzakten – eine systematische Bestandsaufnahme, NZI 2002, 244. Übersicht I. II. III. IV. 1. 2. 3.

4. 5. 6. 7.

8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.

552

Normzweck ........................................... 1 Normhistorie ........................................ 3 Allgemeines .......................................... 4 Anwendung der Vorschriften der ZPO ....................................................... 5 Wertvorschriften (§§ 2 ff. ZPO) ......... 6 Gerichtsstand (§§ 12 ff. ZPO) ............. 8 Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen (§§ 41 ff. ZPO) ..... 11 a) Ausschluss vom Richteramt (§ 41 ZPO) ................................... 12 b) Besorgnis der Befangenheit (§ 42 Abs. 2 ZPO) ....................... 15 c) Verfahren ...................................... 17 d) Anwendung auf weitere Beteiligte ............................................... 21 Partei- und Prozessfähigkeit (§§ 50 ff. ZPO) ................................... 22 Prozessbevollmächtigte (§§ 78 ff. ZPO) ................................... 24 Prozesskosten (§§ 9 ff. ZPO) ............ 27 Verfahrenskostenhilfe (§§ 114 ff. ZPO) ................................. 32 a) Anspruch auf Verfahrenskostenhilfe .................................... 33 aa) Schuldner ...................................... 33 bb) Gläubiger ...................................... 34 (1) Anwendbarkeit der §§ 114 ff. ZPO .............................................. 34 (2) Abgrenzung zwischen Verfahrenskostenhilfe und Beratungskostenhilfe .................................... 36 cc) Anteilsinhaber .............................. 38 b) Durchführung des Verfahrenskostenhilfebewilligungsverfahrens ................................................ 39 Mündliche Verhandlung (§§ 128 ff. ZPO) ................................. 41 Protokollierung (§§ 159 ff. ZPO) ...... 42 Zustellung (§§ 166 ff. ZPO) .............. 43 Ladungen, Termine und Fristen (§§ 214 ff. ZPO) ................................. 44 Versäumnisverfahren (§§ 330 ff. ZPO) ................................. 45 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 230 ff. ZPO) ....................... 46 Unterbrechung des Verfahrens (§§ 239 ff. ZPO) ................................. 47 Verfahrensvorschriften bis zum Beschluss (§§ 253 ff. ZPO) ................ 48

16. 17.

18. 19. 20. 21. 22. 23. V. 1.

2. VI.

a) Rechtshängigkeitswirkung .......... 48 b) Antragsrücknahme/Antragsänderung ................... 49 c) Zwischenentscheidungen ............ 50 d) Verweisung ................................... 51 Elektronische Aktenführung (§§ 298 f. ZPO) ................................... 52 Akteneinsicht und Auskunft (§ 299 ZPO) ........................................ 53 a) Akteneinsicht ............................... 55 aa) Berechtigte .................................... 55 (1) Parteien ......................................... 56 (2) Dritte ............................................ 64 (3) Rechts- und Amtshilfe ................. 66 bb) Anhörung ..................................... 67 cc) Entscheidung über die Akteneinsicht .......................................... 68 dd) Durchführung der Akteneinsicht .......................................... 69 (1) Papierakten ................................... 70 (2) Elektronische Akten .................... 73 ee) Rechtsschutzmöglichkeiten ........ 77 b) Auskunft ....................................... 80 Beschluss (§§ 300 ff. ZPO) ................ 85 Materielle Rechtskraft (§ 322 ZPO) ........................................ 86 Vorschriften über die Beweisaufnahme (§§ 355 ff. ZPO) ................ 88 Rechtsmittel (§§ 511 ff. ZPO) ........... 89 Wiederaufnahme des Verfahrens (§§ 578 ff. ZPO) .................................. 90 Zwangsvollstreckung (§§ 704 ff. ZPO) .................................. 91 Digitale Gläubigerversammlung ..... 92 Hybrider Verhandlungstermin ........... 93 a) Allgemeines .................................. 93 b) Voraussetzungen .......................... 95 aa) Erfasste Termine .......................... 95 bb) Aufenthalt an einem anderen Ort ................................................ 97 cc) Gestattung der Ortsabwesenheit ................................................ 98 c) Terminvorbereitung ..................... 99 aa) Ladung .......................................... 99 bb) Technische Vorbereitung .......... 100 d) Termindurchführung ................. 102 e) Rechtliche Probleme .................. 105 Rein digitaler Verhandlungstermin .... 109 Exkurs: Anwendbarkeit der Normen des GVG ............................ 110

Blankenburg

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

I.

§ 38

Normzweck

Das StaRUG weist kein eigenständiges vollumfängliches Verfahrensrecht auf. Vielmehr soll durch die subsidiäre Verweisung auf die ZPO sichergestellt werden, dass dem Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ein umfassendes Verfahrensrecht zugrunde liegt, auf welches beim Fehlen konkreter Regelungen oder in Zweifelsfragen zurückgegriffen werden kann.1) Diese Regelungstechnik ist bereits über § 4 InsO bekannt und hat sich dort bewährt.

1

Neben der Anwendbarkeit der Normen der ZPO regelt § 38 Satz 2 die Besonderheiten für eine digitale Gläubigerversammlung in Restrukturierungssachen. Es wird ein Gleichlauf mit § 4 InsO hergestellt, der ebenfalls durch das SanInsFoG um einen gleichlautenden Satz angepasst wurde.

2

II. Normhistorie Die Norm ist nicht Ausfluss der Restrukturierungsrichtlinie2), da sie allein der Ausgestaltung des nationalen Verfahrensrechts dient. Sie ist im Gesetzgebungsverfahren aufgrund ihres generalklauselartigen Charakters unangetastet geblieben. Im RefE3) war die Norm als § 38, im RegE4) dann als § 40 bezeichnet worden. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses5) hat die Norm dann die endgültige Nummerierung erhalten.

3

III. Allgemeines § 38 Satz 1 regelt die Anwendbarkeit der Normen der ZPO auf Restrukturierungssachen und die Sanierungsmoderation. Demnach sollen die Normen der ZPO entsprechend gelten, soweit im StaRUG nichts anderes geregelt ist. Die Verfahrensordnung des StaRUG wird folglich an der auf streitige Zivilverfahren ausgelegten ZPO ausgerichtet. Hinsichtlich der einzelnen Normen der ZPO wird in Zweierschritten zu prüfen sein, ob sie zur Anwendung gelangen. Zunächst ist zu prüfen, ob eine abweichende Regelung innerhalb des StaRUG existiert. Ist dies nicht der Fall, kann grundsätzlich auf die Normen der ZPO zugegriffen werden. Da die Normen dann allerdings nicht unmittelbar direkt gelten, sondern nur entsprechend anzuwenden sind, ist jeweils zu prüfen, ob und mit welchem Norminhalt die Regelungen anzuwenden sind. Die Anwendung darf nicht im Widerspruch zu Besonderheiten des Restrukturierungsverfahrens stehen.6) _____________ 1) 2)

3)

4) 5) 6)

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 142. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. So für § 4 InsO Andres/Leithaus-Andres, InsO, § 4 Rz. 2.

Blankenburg

553

4

§ 38

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

IV. Anwendung der Vorschriften der ZPO 5

Im Folgenden wird nach Themenbereich chronologisch der ZPO dargelegt, welche Normen mit welchem Inhalt entsprechend anzuwenden sind bzw. deren Anwendung verwehrt ist. 1.

Wertvorschriften (§§ 2 ff. ZPO)

6

Die Wertvorschriften sind mangels eines eigenen Anwendungsbereichs nicht entsprechend anzuwenden. Die Gebühren im gerichtlichen Verfahren werden nicht nach einem Verfahrenswert bestimmt, sondern sind in den Nr. 2510 ff. Kostenverzeichnis des GKG in absoluten Beträgen bestimmt. Insoweit bedarf es nicht der Festlegung eines Verfahrenswertes. Gleiches gilt für die Bestimmung der Rechtsmittelbefugnis, da diese nicht an einen Wert der Beschwer anknüpft.

7

Auch hinsichtlich ggf. anfallender Rechtsanwaltskosten bedarf es keiner gerichtlichen Bestimmung des Wertes. Der Gesetzgeber ging hinsichtlich der Anpassung des RVG selbst davon aus, dass keine Bestimmung des Wertes durch das Gericht erfolgt, da dieser gemäß § 29a RVG i. V. m. § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG der Gegenstandswert nach billigem Ermessen zu bestimmen ist. 2.

Gerichtsstand (§§ 12 ff. ZPO)

8

Das StaRUG hat in § 35 eine eigenständige Regelung zur örtlichen Zuständigkeit. Da die Zuständigkeit ausschließlich ist, bedarf es grundsätzlich keines Rückgriffs auf die Normen der ZPO. Da diese allerdings auf den allgemeinen Gerichtsstand abstellen, sind die §§ 12, 13, 15 und 17 ZPO entsprechend anzuwenden. Siehe dazu ausführlich § 35 Rz. 12.

9

Aufgrund des ausschließlichen Gerichtsstands sind die Vorschriften zu Gerichtsstandsvereinbarung (§§ 38 ff. ZPO) nicht entsprechend anwendbar.

10

Entsprechend anwendbar sind die §§ 36 ff. ZPO zur gerichtlichen Bestimmung der Zuständigkeit. Relevant wird insoweit lediglich § 36 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, der die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit betrifft. Da es aufgrund der Zentralisierung in mehreren Bundesländern nur ein Restrukturierungsgericht pro OLG geben wird, gewinnt § 36 Abs. 2 ZPO eine entsprechende Bedeutung. Grundsätzlich wäre bei Bundeslandgrenzen überschreitenden Streitigkeiten als zunächst höheres gemeinsames Gericht der Bundesgerichtshof zuständig. § 36 Abs. 2 ZPO normiert insoweit allerdings, dass dann die Zuständigkeit durch das OLG bestimmt wird, in dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasst Gericht gehört. Ist ein Restrukturierungsgericht für mehrere OLG-Bezirke bestimmt worden, ist das OLG zuständig, in dessen Bezirk das Restrukturierungsgericht seinen Sitz hat. Es besteht dann kein Wahlgerichtsstand zwischen mehreren OLGs. 3.

11

Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen (§§ 41 ff. ZPO)

Die Normen zum Ausschluss und zur Ablehnung von Gerichtspersonen (§§ 41 ff. ZPO) sind entsprechend anzuwenden.7) Gerade im Bereich der Restrukturierungs_____________ 7)

554

So auch für das Insolvenzverfahren BGH, Beschl. v. 25.1.2007 – IX ZB 240/05, Rz. 18, ZIP 2007, 548.

Blankenburg

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

§ 38

sachen kommt es darauf an, dass die Beteiligten Vertrauen in das Gericht haben, da es gemeinsam mit dem Restrukturierungsbeauftragten zur Wahrung der gemeinsamen Interessen der Betroffenen berufen ist. Aufgrund der teilweise sehr hohen Eingriffsintensität der gerichtlichen Entscheidungen bedarf es einer hinreichenden Unabhängigkeit der jeweils auf Gerichtsseite befassten Personen. a) Ausschluss vom Richteramt (§ 41 ZPO) § 41 ZPO regelt den Ausschluss eines Richters kraft Gesetzes. In diesen Fällen besteht kein Beurteilungsspielraum, ob die betroffene Person tatsächlich in ihrer Unabhängigkeit gefährdet ist. Der Ausschluss vom Richteramt ergibt sich insbesondere daraus, dass der befasste Richter entweder selbst Partei des Verfahrens ist (§ 41 Nr. 1 ZPO) oder ein naher Angehöriger als Partei beteiligt ist (§ 41 Nr. 2 – 3 ZPO). Während der Parteienbegriff im Zivilprozess klar abgrenzbar ist, bietet er im Restrukturierungsverfahren deutlich größere Schwierigkeiten. Soweit es um das Verhältnis zum Schuldner oder zum Restrukturierungsbeauftragten geht, bietet die Anwendung der Norm keine Schwierigkeiten. Deutlich problematischer wird die Einschätzung dann, wenn auch sämtliche Planbetroffenen mit einbezogen werden. Trotz dieser tatsächlichen Schwierigkeiten aufgrund einer womöglich unüberschaubaren Masse von Betroffenen bedarf es dennoch einer Anwendung des § 41 ZPO auch auf die Planbetroffenen. Nur so kann verhindert werden, dass durch verwandtschaftliche Verflechtungen der Eindruck entsteht, dass der befasste Richter das Amt nicht mit der nötigen Neutralität gegenüber allen Betroffenen ausübt.

12

Besondere Schwierigkeiten ergeben sich im Restrukturierungsverfahren daraus, dass nicht bereits mit der Anzeige feststeht, wer zum Kreis der Betroffenen gehören wird. So kann die Stabilisierungsanordnung nur gegenüber wenigen Gläubigern ergehen, während der Plan eine größere Anzahl umfasst. Insoweit wird bei jedem in Anspruch genommenen Instrument eigenständig zu prüfen sein, ob gegenüber einem nunmehr Betroffenen ein Ausschlussgrund besteht.

13

Schließt sich an ein Restrukturierungsverfahren ein Insolvenzverfahren an, ist der Insolvenzrichter nicht gemäß § 41 Nr. 6 ZPO ausgeschlossen. Die Vorschrift ist eng auszulegen und bezieht sich nur auf den Rechtsmittelzug.8) Das Insolvenzverfahren ist jedoch in Bezug auf die Restrukturierungssache kein Rechtsmittel.

14

b) Besorgnis der Befangenheit (§ 42 Abs. 2 ZPO) Ein Richter kann zudem wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Eine solche besteht gemäß § 42 Abs. 2 ZPO, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Wie im Insolvenzverfahren liegt ein berechtigter Grund, an der Unparteilichkeit des Richters zu zweifeln, dann vor, wenn ein objektiver Tatbestand gegeben ist, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger und besonnener Überlegung die Besorgnis aufkommen lassen kann, der Richter stehe den Verfahrensbeteiligten und/ oder dem Gegenstand des Verfahrens nicht sachlich und unvoreingenommen und

_____________ 8)

Dazu ausführlich Zöller-Zöller, ZPO, § 41 Rz. 11.

Blankenburg

555

15

§ 38

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

damit nicht unparteilich gegenüber.9) Ebenso wie im Insolvenzrecht darf durch das Ablehnungsrecht nicht die Aufsicht des Restrukturierungsgerichts unterlaufen werden.10) Erhebliche persönliche Spannungen zwischen dem Restrukturierungsgericht und den Beteiligten können die Besorgnis der Befangenheit deshalb nur begründen, wenn konkrete, verfahrensbezogene Umstände für eine negative Einstellung gegenüber einem Beteiligten sprechen. 16

Ein solches Misstrauen wird in Restrukturierungsverfahren insbesondere dann gegeben sein, wenn einer der Beteiligten in einem engen Näheverhältnis zum Richter steht, ohne aber unter § 41 Nr. 2 – 3 ZPO zu fallen, wie z. B. der Lebensgefährte oder enge Freunde. Verfahrensfehler oder materiell fehlerhafte Entscheidungen stellen grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund dar.11) Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise dann, wenn Indizien vorhanden sind, dass ein festgestellter Rechtsfehler auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber der ablehnenden Partei oder auf Willkür beruht.12) Die Mitautorenschaft eines der Verfahrensbeteiligten begründet hingegen kein Misstrauen zum Richter.13) c) Verfahren

17

Ist ein Richter kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen, kann dies von ihm selbst angezeigt werden oder er kann von einer anderen Partei abgelehnt werden. Dieses Recht steht gemäß § 42 Abs. 3 ZPO sämtlichen Parteien zu. Unstreitig steht das Recht dem Schuldner zu. Hinsichtlich der übrigen Verfahrensbeteiligten (Restrukturierungsbeauftragter, weiterer Restrukturierungsbeauftragter, Planbetroffene, Betroffene von Stabilisierungsmaßnahmen) ist ein Ablehnungsrecht nur dann gegeben, wenn sie durch eine Maßnahme unmittelbar betroffen sind.14)

18

Das Ablehnungsgesuch muss den Anforderungen des § 44 Abs. 1, 2, 4 ZPO entsprechen. Der Richter hat sich anschließend dienstlich zu äußern (§ 44 Abs. 4 ZPO). Die Entscheidung über die Befangenheit ergeht durch Beschluss (§ 46 Abs. 1 ZPO). Ein Rechtsmittel in Form der sofortigen Beschwerde ist nur dann möglich, wenn das Gesuch für unbegründet erklärt wird (§ 46 Abs. 2 ZPO).

19

Wird ein Richter abgelehnt, darf er gemäß § 47 Abs. 1 ZPO vor rechtskräftiger Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vornehmen, die keinen Aufschub gestatten. Grundsätzlich werden allerdings in Restrukturierungssachen – ebenso wie im Insolvenzverfahren – die Entscheidungen eilbedürftig sein. Im Zweifel dürfen die notwendigen und im Interesse aller Verfahrensbeteiligten gebotenen richterlichen Maßnahmen nicht bis zum Abschluss des Ablehnungsverfahrens zurückgestellt werden.15) _____________ 9) LG Göttingen, Beschl. v. 10.3.1999 – 10 T 15/99, NZI 1999, 238, 239; ähnlich OLG Köln, Beschl. v. 15.10.2001 – 2 W 206/01, NZI 2001, 658. 10) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 41. 11) OLG Köln, Beschl. v. 15.10.2001 – 2 W 206/01, NZI 2001, 658. 12) OLG Köln, Beschl. v. 15.10.2001 – 2 W 206/01, NZI 2001, 658 f. 13) LG Göttingen, Beschl. v. 14.7.1999 – 19 AR 28/99, NJW 1999, 2826, 2827. 14) So im Insolvenzverfahren für die Gläubiger Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 43. 15) So zum Insolvenzverfahren Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 44.

556

Blankenburg

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

§ 38

Über das Ablehnungsgesuch entscheidet gemäß § 45 Abs. 2 ZPO ein anderer Richter des AG. Dies ist der nach dem Geschäftsverteilungsplan bestimmte Richter, bei Fehlen einer entsprechenden Regelung der Vertreter. Der entscheidende Richter muss nicht dem Restrukturierungsgericht anhören, sondern kann auch einer anderen Abteilung zugeordnet sein.16) Lediglich wenn kein anderer Richter am AG über das Gesuch entscheiden kann, ist die nächsthöhere Instanz zuständig (45 Abs. 3 ZPO).

20

d) Anwendung auf weitere Beteiligte Die Normen sind auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle entsprechend anzuwenden. Für den Restrukturierungsbeauftragten gibt es mit § 82 Abs. 2 eine Sondernorm, so dass die §§ 41 ff. ZPO auf diesen nicht anzuwenden sind.17) Fraglich erscheint, ob vom Restrukturierungsgericht eingesetzte Sachverständige wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden können. Grundsätzlich sind gemäß § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO die §§ 41 ff. ZPO auch auf den Sachverständigen anzuwenden. Im Insolvenzverfahren geht indes die h. M. davon aus, dass § 406 ZPO nicht auf den im Eröffnungsverfahren bestellten Sachverständigen anwendbar ist.18) Hinsichtlich sonstiger Sachverständiger ist hingegen eine Ablehnung entsprechend § 406 ZPO möglich.19) Insoweit wird auch im Restrukturierungsverfahren zu differenzieren sein.20) Erfolgt eine Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 80 Abs. 3 auch zum Sachverständigen, sind die Normen zur Entlassung vorrangig. Erfolgt hingegen eine Beauftragung eines Sachverständigen gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2, ist § 406 ZPO entsprechend anzuwenden. Insoweit unterscheidet sich die Situation vom Eröffnungsverfahren im Insolvenzrecht, da dort ein fließender Übergang zwischen Sachverständigen und vorläufigem Insolvenzverwalter besteht. Dies ist im Restrukturierungsverfahren anders, insbesondere wenn ein Restrukturierungsbeauftragter nicht obligatorisch ist. 4.

21

Partei- und Prozessfähigkeit (§§ 50 ff. ZPO)

Für den Schuldner ist die Restrukturierungsfähigkeit in § 32 geregelt. Eines Rückgriffs auf § 50 ZPO bedarf es daher nicht. Hinsichtlich der übrigen Beteiligten ist § 50 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 40 Satz 1 StaRUG entsprechend anzuwenden. Die Verfahrensfähigkeit richtet sich nach § 40 StaRUG, § 51 ZPO. Steht ein Beteilig_____________ 16) Dazu Zöller-Zöller, ZPO, § 45 Rz. 5. 17) Ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 38 Rz. 12; so auch aus denselben Gründen für den Insolvenzverwalter BGH, Beschl. v. 25.1.2007 – IX ZB 240/05, Rz. 20, ZIP 2007, 548; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 42. 18) BGH, Beschl. v. 25.1.2007 – IX ZB 240/05, Rz. 19, 21, ZIP 2007, 548; LG Frankfurt/O., Beschl. v. 22.12.2005 – 3.1 IN 250/05, ZInsO 2006, 107, 108; AG Göttingen, Beschl. v. 23.3.2000 – 74 IN 22/00, ZInsO 2000, 347 f.; AG Göttingen, Beschl. v. 26.5.2007 – 74 IN 180/07, ZInsO 2007, 720; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 42; Ahrens/ Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 5 InsO Rz. 30; a. A. LG München I, Beschl. v. 20.7.2001 – 14 T 316/01, ZInsO 2001, 813, 815; LG Ulm, Beschl. v. 22.10.2014 – 3 T 76/04, ZInsO 2004, 1268, jew. jedoch ohne die Anwendbarkeit des § 406 ZPO zu problematisieren; Madaus in: BeckOK-InsO, § 5 Rz. 14. 19) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 42; ebenso LG Stendal, Beschl. v. 30.6.2003 – 25 T 237/00, ZInsO 2003, 721 – für einen Schlussrechnungsprüfer. 20) A. A. Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 38 Rz. 13, wonach § 406 ZPO unbeschränkt Anwendung finden soll.

Blankenburg

557

22

§ 38

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

ter unter Betreuung, wird er gemäß § 40 StaRUG, § 53 ZPO verfahrensunfähig, wenn der Betreuer in das Verfahren miteintritt. Für verfahrensunfähige Beteiligte kann i. Ü. ein Verfahrenspfleger eingesetzt werden (§ 40 StaRUG, § 57 ZPO).21) 23

In Restrukturierungssachen besteht grundsätzlich kein Anwaltszwang, da § 78 ZPO nicht eingreift. Die Beteiligten können sich durch Vertreter im Verfahren vertreten lassen. Bei diesen Vertretern müssen die Voraussetzungen des § 79 ZPO erfüllt sein. Insbesondere im Verfahren zur Abstimmung über den Restrukturierungsplan gibt es Vertretungen in mannigfaltiger Form. Insoweit sind anwaltliche Vollmachten nicht von Amts wegen zu prüfen, sonstige Vollmachten hingegen schon (§ 88 ZPO).22) Entspricht die Vollmacht nicht den Vorgaben des § 79 Abs. 2 ZPO, weist das Restrukturierungsgericht den Bevollmächtigten gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 ZPO durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Ist der Bevollmächtigte für den Abstimmungstermin beauftragt, sollte die Zurückweisung vor dem Termin erfolgen, damit kein Streit über die Wirksamkeit der Rechtshandlungen gemäß § 79 Abs. 3 Satz 2 ZPO aufkommt. 5.

Prozessbevollmächtigte (§§ 78 ff. ZPO)

24

In den Restrukturierungsverfahren herrscht grundsätzlich kein Anwaltszwang, so dass sich die Beteiligten durch Vertreter gemäß § 79 ZPO vertreten lassen können. Eine Ausnahme gilt für die Rechtsbeschwerde (siehe dazu § 40 Rz. 43). Reicht kein Rechtsanwalt die Anzeige ein, ist bei Unternehmens- bzw. Sanierungsberatern von Amts wegen zu prüfen (§ 88 Abs. 1 ZPO), ob die Voraussetzungen des § 79 Abs. 2 ZPO vorliegen. Ist dies nicht der Fall, hat das Restrukturierungsgericht den Bevollmächtigten gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Die Anzeige und ggf. gestellte Anträge bleiben bis zur Zurückweisung wirksam (§ 79 Abs. 3 Satz 2 ZPO).

25

Die Vollmachten sind nur bei nichtanwaltlichen Vertretern von Amts wegen zu prüfen, sonst nur auf Rüge einer Partei.23) Es muss gemäß § 80 ZPO die Prüfung der Originalvollmacht erfolgen.24) Eine Fotokopie reicht nicht aus.25) Bei Mängeln an der Vollmacht kann der Vertreter gemäß § 89 Abs. 1 Satz 1 ZPO einstweilen zugelassen werden.26) Hinsichtlich des Umfangs der Vollmacht gelten die §§ 81 ff. ZPO entsprechend.

26

Die Beteiligten müssen sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden ihres Vertreters zurechnen lassen. Da die Vorschrift auf Verfahrenshandlungen im Insolvenzverfahren entsprechend Anwendung findet,27) muss dies ebenso für das Restrukturierungsverfahren gelten. Steht daher die Verletzung der Pflichten des Schuldners gemäß § 32 oder § 42 im Raum, erfolgt eine Zurechnung des Verschuldens. Die für das Restschuldbefreiungsverfahren entwickelten Einschränkungen gelten für das _____________ Dazu auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 38 Rz. 15; Baum-Baumert, StaRUG, § 38 Rn. 7. So auch für das Insolvenzverfahren Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 46. So auch zum Insolvenzverfahren Uhlenbruck-Pape, InsO, § 4 Rz. 4. Uhlenbruck-Pape, InsO, § 4 Rz. 4. LG Duisburg, Beschl. v. 22.2.2012 – 7 T 185/11. Allerdings nur soweit, wie kein unbehebbarer Mangel vorliegt, dazu Rüther in: HambKommInsO, § 4 Rz. 22. 27) BGH, Beschl. v. 10.2.2011 – IX ZB 250/08, Rz. 8, ZInsO 2011, 572.

21) 22) 23) 24) 25) 26)

558

Blankenburg

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

§ 38

Restrukturierungsverfahren nicht. Anders als die §§ 290, 295 InsO beruhen die Rechtsfolgen der Pflichtverletzung des Schuldners gemäß §§ 33 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 59 Abs. 1 Nr. 3 nicht auf einem Verstoß gegen die Redlichkeit des Schuldners,28) sondern weil dem Gericht erforderliche Informationen für die Entscheidungen im Verfahren vorenthalten wurden. 6.

Prozesskosten (§§ 9 ff. ZPO)

Im StaRUG selbst finden sich nur in §§ 81, 82 Abs. 2 Regelungen zur Kostentragungspflicht hinsichtlich des Restrukturierungsbeauftragten. Zu den Kosten der übrigen Beteiligten finden sich keine Regelungen. In Insolvenzverfahren werden dazu die §§ 91 ff. ZPO für anwendbar gehalten, soweit eine quasi-kontradiktorische Entscheidung getroffen wird.29) Dementsprechendes gilt auch für das StaRUG. Insoweit ist zwischen den einzelnen Entscheidungen des Gerichts zu differenzieren.

27

Bei der Aufhebung der Restrukturierungssache ist keine Kostenentscheidung zu treffen, da die Anzeige noch kein kontradiktorisches Verhältnis zu den Planbetroffenen auslöst. Beratungskosten, die angefallen sind, müssen daher von diesen selbst getragen werden.

28

Wird eine Stabilisierungsmaßnahme aufgrund des Antrags eines Planbetroffenen gemäß § 59 Abs. 2 aufgehoben, ist eine Kostengrundentscheidung zu treffen. Durch den Aufhebungsantrag wird eine quasi-kontradiktorische Verfahrenssituation geschaffen.30)

29

Problematisch ist die Kostenerstattung i. R. der Planabstimmung. Um die eigenen Rechte wahrnehmen zu können, werden sich möglicherweise einige Gläubiger veranlasst sehen, den Plan im Vorfeld prüfen zu lassen und sich von einem Rechtsanwalt im Verfahren vertreten zu lassen. Da sich ein Bestätigungsverfahren nur auf Antrag des Schuldners anschließt, besteht ein Interesse der Gläubiger, die Kostentragungspflicht des Schuldners bereits nach der Abstimmung feststellen zu lassen. Indes fehlt es wie im Insolvenzplanverfahren an einer entsprechenden Regelung. Für das Abstimmungsverfahren wird durch das Gericht lediglich ein Protokoll erstellt, ohne über die Folgen des Verfahrens zu beschließen. Ob ein Bestätigungsbeschluss erfolgt, liegt allein in den Händen des Schuldners. Da das Abstimmungsverfahren noch kein kontradiktorischer Verfahrensabschnitt ist, kommt auch ein separater Beschluss nicht in Betracht.31)

30

Kommt es i. R. der Planbestätigung zu einem Minderheitenschutzantrag oder einer sofortigen Beschwerde gegen den Plan, hat eine Kostenentscheidung entweder durch das Restrukturierungsgericht oder das Rechtsmittelgericht zu ergehen. In diesem Fall stehen sich der Schuldner sowie der seinen Widerspruch weiterverfolgende Gläubiger kontradiktorisch gegenüber.

31

_____________ 28) So der Grund für die Einschränkung bei §§ 290, 295 InsO nach BGH, Beschl. v. 10.2.2011 – IX ZB 250/08, Rz. 8, ZInsO 2011, 572. 29) OLG Köln, Beschl. v. 14.4.2000 – 2 W 65/00, ZIP 2000, 1168, 1169; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 4 Rz. 16. 30) A, A, Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 38 Rz. 21. 31) A. A. Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 38 Rz. 20.

Blankenburg

559

§ 38 7. 32

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

Verfahrenskostenhilfe (§§ 114 ff. ZPO)

Nach §§ 114 ff. ZPO kann die Partei eines Prozesses Prozesskostenhilfe erhalten, wenn sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten für die Prozessführung aufzubringen. In der InsO ist es höchst umstritten, in welchem Maße die §§ 114 ff. ZPO neben der Verfahrenskostenstundung einen Anwendungsbereich haben. In der Gesetzesbegründung zum StaRUG finden sich keine Ausführungen zur Verfahrenskostenhilfe. Insoweit ist zwischen dem Schuldner und den Planbeteiligten zu differenzieren. a) Anspruch auf Verfahrenskostenhilfe aa) Schuldner

33

Hinsichtlich des Schuldners kommt eine Anwendung der §§ 114 ff. ZPO nicht in Betracht.32) Da das StaRUG darauf ausgelegt ist, die (drohende) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu beseitigen (dazu § 14 Abs. 2 Satz 1), muss der Schuldner in der Lage sein, die Sanierungskosten selbst zu tragen. Es ist nicht Aufgabe der Allgemeinheit, die Kosten für eine Sanierung im Wege der Verfahrenskostenhilfe zu übernehmen.33) Diese Wertung ergibt sich bereits aus § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO, wonach bei juristischen Personen das Unterlassen der Rechtsverfolgung dem allgemeinen Interesse zuwiderlaufen müsste. Dies wäre allenfalls dann zu bejahen, wenn allein durch einen Restrukturierungsplan das Unternehmen und damit eine Vielzahl von Arbeitsplätzen erhalten werden könnte. Dann bedürfte es aber einer Darlegung, dass der gleiche Zweck nicht auch im Insolvenzverfahren erreicht werden kann. Reicht das Vermögen des Unternehmens für die Kosten der Sanierung nicht aus, muss es ein Insolvenzverfahren durchlaufen, in dem dann eine Sanierung ggf. über den Insolvenzplan zu erfolgen hat. Da die Kosten des Insolvenzverfahren erst am Ende beglichen werden müssen, ist es möglich, in einen gewissen Zeitraum zunächst die Kosten zu erwirtschaften. bb) Gläubiger (1) Anwendbarkeit der §§ 114 ff. ZPO

34

Hinsichtlich der Gläubiger kommt für die Verfahrensteilnahme eine Anwendung der §§ 114 ff. ZPO in Betracht. So ist für das Insolvenzverfahren anerkannt, dass die §§ 114 ff. ZPO für Gläubiger Anwendung finden können.34) Für die Teilnahme am Insolvenzverfahren wird eine Anwendung des §§ 114 ff. ZPO zwar von der h. M. verneint, weil das in den §§ 174 ff. InsO weitgehend formularmäßig geregelte Anmeldeverfahren vom Gesetzgeber bewusst so gestaltet ist, dass jeder Gläubiger imstande ist, seine Forderung zur Insolvenztabelle beim Insolvenzverwalter anzu_____________ 32) Ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 38 Rz. 26; so auch die Meinung zum Insolvenzplanverfahren Uhlenbruck-Pape, InsO, § 4 Rz. 23; K. Schmidt-Stephan, InsO, § 4 Rz. 19; einschränkend bei Rechtsbehelfs- und Widerspruchsverfahren Ganter/Bruns in: MünchKommInsO, § 4 Rz. 17 ff. 33) So für juristische Personen Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 17a; K. SchmidtStephan, InsO, § 4 Rz. 21. 34) BGH, Beschl. v. 8.7.2004 – IX ZB 565/02, ZIP 2004, 1922, 1923.

560

Blankenburg

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

§ 38

melden.35) Im Übrigen sei zu prüfen, ob die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich ist. Es komme darauf an, wie geschäftsgewandt und rechtlich erfahren der Gläubiger ist, welchen Umfang die von ihm geltend zu machenden Ansprüche haben und ob die Sach- und Rechtslage schwierig ist.36) Für das Restrukturierungsverfahren ist dabei zu berücksichtigen, dass bei komplexen Restrukturierungsplänen zur Wahrung der rechtlichen Interessen grundsätzlich eine rechtliche Beratung erforderlich sein wird. Insbesondere die Möglichkeiten, einen Widerspruch gegen die Abstimmung zu verfolgen (§§ 64, 66) sind höchst komplex und erfordern bereits im Vorfeld der Abstimmung eine Beratung. Den Gläubigern ist auch nicht damit geholfen, dass nach Abschluss des Verfahrens ggf. gegen den Schuldner ein Anspruch auf Kostenerstattung zusteht. Ist daher eine rechtliche Beratung erforderlich, kann den Gläubigern für die Teilnahme am Abstimmungsverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt werden.37) Maßgeblich ist dabei, ob auch eine vermögende Person unter Einsatz der eigenen Mittel einen Rechtsanwalt mit der Interessenwahrnehmung betraut hätte.38)

35

(2) Abgrenzung zwischen Verfahrenskostenhilfe und Beratungskostenhilfe Hinsichtlich der Art der Unterstützung ist nach dem Verfahrensstadium zu differenzieren. Erfolgt eine Abstimmung vor der Anzeige des Restrukturierungsverfahrens bei Gericht, mangelt es an einem rechtshängigen Verfahren, so dass die §§ 114 ff. ZPO nicht anwendbar sind. Vielmehr ist in diesen Fällen es nur möglich, gemäß § 1 BerHG Beratungskostenhilfe zu gewähren. Erst wenn sich der Schuldner entscheidet, den Plan gerichtlich bestätigen zu lassen, kann auch noch Verfahrenskostenhilfe in Anspruch genommen werden. Die Beratungshilfe dient dann dazu zu prüfen, ob es sinnvoll ist, gegen den Plan zu stimmen.

36

Ist die Anzeige beim Restrukturierungsgericht erfolgt, kann grundsätzlich Verfahrenskostenhilfe beantragt werden. Dies ist dann unabhängig davon, ob eine gerichtliche oder außergerichtliche Abstimmung erfolgt. Problematisch wird bei der Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe bei der gerichtlichen Abstimmung sein, dass den Gläubigern vorab der Plan nicht zu übersenden ist, die Gläubiger erst im Erörterungstermin vom Plan Kenntnis erhalten und ggf. in dem Termin gegen den Plan stimmen müssen (siehe dazu § 45 Rz. 23). In diesem Fall verbleibt den Gläubigern kaum Zeit, noch zwischen der Erörterung und der Abstimmung Prozesskostenhilfe zu beantragen. Es würde auch einen unzumutbaren Zeitverzug für alle anderen Beteiligten darstellen, wenn allein wegen des Verfahrenskostenhilfeersuchens ein schriftlicher Abstimmungstermin durchgeführt werden müsste. Insoweit bietet es sich aufgrund der komplexen Materie an, bedürftigen Gläubigern im Vorfeld der Planabstim-

37

_____________ 35) Dazu Uhlenbruck-Pape, § 4 Rz. 23 m. N. zur konkursrechtlichen Rspr.; Kübler/Prütting/ Bork-Prütting, InsO, § 4 Rz. 10a; K. Schmidt-Stephan, InsO, § 4 Rz. 23; ähnlich Ganter/ Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 24.; a. A. Rüther in: HambKomm-InsO, § 4 Rz. 30. 36) BGH, Beschl. v. 8.7.2004 – IX ZB 565/02, ZIP 2004, 1922, 1923; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 24a. 37) So auch für das Insolvenzverfahren bei erforderlicher Beiordnung eines Rechtsanwalts Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 24a. 38) BGH, Beschl. v. 8.7.2004 – IX ZB 565/02, ZIP 2004, 1922, 1923.

Blankenburg

561

§ 38

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

mung unabhängig davon, ob sie Widerspruch einlegen wollen, zu Prüfungszwecken Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen. cc) Anteilsinhaber 38

Soweit durch den Restrukturierungsplan auch die Rechte der Anteilsinhaber betroffen sind, steht auch diesen die Möglichkeit der Gewährung von Verfahrenskostenhilfe zu. Es kann anders als im Insolvenzverfahren nicht davon ausgegangen werden, dass den Anteilsrechten keinen Wert mehr zukommt. b) Durchführung des Verfahrenskostenhilfebewilligungsverfahrens

39

Geht ein Verfahrenskostenhilfeantrag eines Gläubigers beim Restrukturierungsgericht ein, ist ein eigenes Sonderheft anzulegen, da die Informationen über das Vermögen des Antragstellers nicht der Akteneinsicht für die anderen Beteiligten unterliegen. Das Restrukturierungsgericht hat dann zu prüfen, ob die finanziellen Mittel des Gläubigers nicht ausreichen, um die Kosten für einen Rechtsanwalt aufzubringen und ob in der konkreten Situation eine rechtliche Beratung erforderlich ist. Hinsichtlich der Erfolgsaussichten ist zu prüfen, ob es möglich erscheint, dass der Antragsteller gegen den vorgelegten Plan erfolgreich im Wege des Minderheitenschutzes oder der sofortigen Beschwerde vorgehen kann.

40

Für die Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe ist der Richter zuständig. Wird Beratungskostenhilfe beantragt, liegt dies in der Zuständigkeit des Rechtspflegers (§ 24a Abs. 1 Nr. 1 RpflG). 8.

41

9. 42

Mündliche Verhandlung (§§ 128 ff. ZPO)

Für die Termine gelten die §§ 128 ff. ZPO grundsätzlich entsprechend (siehe dazu § 39 Rz. 40). Sämtliche Termine sind allerdings nur parteiöffentlich, nicht jedoch allgemein öffentlich; siehe dazu § 45 Rz. 33. Protokollierung (§§ 159 ff. ZPO)

Die Vorschriften über die Protokollierung (§§ 159 – 165 ZPO) sind entsprechend anwendbar. 10. Zustellung (§§ 166 ff. ZPO)

43

Die Zustellung ist gesondert in § 41 ZPO geregelt. Es wird auf die dortige Kommentierung verwiesen (siehe unten § 41). 11. Ladungen, Termine und Fristen (§§ 214 ff. ZPO)

44

Nach § 39 Abs. 3 Satz 2 StaRUG ist § 227 Abs. 3 Satz 1 ZPO auf mündliche Verhandlungen nicht anwendbar. Aus dem Umkehrschluss kann gezogen werden, dass i. Ü. die Vorschriften der §§ 214 ff. ZPO Anwendung finden sollen (siehe dazu auch § 39 Rz. 39). Überlagert werden die Normen aber durch die vorrangigen Spezialregelungen des StaRUG, so in § 45, auf den an mehreren Stellen verwiesen wird (§ 46 Abs. 1 Satz 2, 48 Abs. 2 Satz 2). Nur wenn bei diesen Vorschriften Lücken hinsichtlich der Ladung und Termine bestehen, ist subsidiär auf die Norm der ZPO zuzugreifen.

562

Blankenburg

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

§ 38

12. Versäumnisverfahren (§§ 330 ff. ZPO) Wie im Insolvenzverfahren finden die §§ 330 ff. ZPO auf das Restrukturierungsverfahren keine Anwendung.39) Erscheint der Schuldner, kann vielmehr eine Aufhebung gemäß § 31 erfolgen.

45

13. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 230 ff. ZPO) Gemäß § 233 ZPO kann eine Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verlangen, wenn sie an der Einhaltung einer Notfrist oder einer Rechtsmittelfrist gehindert war. Gemäß § 224 Abs. 1 Satz 2 ZPO sind Notfristen nur die Fristen, die im Gesetz als solche bezeichnet sind. Da das StaRUG solche Notfristen nicht ausweist, ist die Norm gemäß § 40 nur in den Fällen anwendbar, bei denen eine Rechtsmittelfrist versäumt wurde. Die Wiedereinsetzung ist auf Antrag zu gewähren, wenn kein Verschulden vorliegt. Keiner Wiedereinsetzung bedarf es, wenn der Beschluss keine oder eine falsche Rechtsmittelbelehrung aufweist.

46

14. Unterbrechung des Verfahrens (§§ 239 ff. ZPO) Die §§ 239 ff. ZPO sind nicht entsprechend anwendbar. Die in § 249 ZPO aufgeführten Wirkungen passen nicht auf das Restrukturierungsverfahren.40) Gemäß § 249 Abs. 1 ZPO hören bei einer Unterbrechung sämtliche Fristen auf zu laufen. Dies würde insbesondere bei einer befristeten Stabilisierungsanordnung zu erheblichen Problemen führen. Diese gesetzgeberische Wertung kann auch § 35 Abs. 1 Nr. 1 entnommen werden. Danach führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu einer Aufhebung der Restrukturierungssache. Wäre § 240 ZPO entsprechend anwendbar, wäre das Verhältnis zwischen § 35 Abs. 1 StaRUG und § 240 ZPO nicht geklärt. Zudem bedarf es auch keiner Unterbrechung, da das Restrukturierungsgericht flexibel über § 35 auf sämtliche in §§ 239 ff. ZPO aufgeführten Fallkonstellationen reagieren kann.

47

15. Verfahrensvorschriften bis zum Beschluss (§§ 253 ff. ZPO) a) Rechtshängigkeitswirkung Nach § 31 Abs. 3 wird die Restrukturierungssache mit der Anzeige rechtshängig. Aufgrund dieser Regelung ist für die Anwendung des § 261 Abs. 1 und 2 ZPO kein Raum. Für die Wirkung der Rechtshängigkeit kann § 261 Abs. 3 ZPO herangezogen werden. Auch in Restrukturierungsverfahren dürfen weitere Anzeigen während der Rechtshängigkeit nicht bei anderen Gerichten gestellt werden. Zudem kommt es für die örtliche Zuständigkeit lediglich auf die Umstände an, die zum Zeitpunkt der Anzeige gegeben waren. (perpetuatio fori). Siehe dazu § 35 Rz. 14.

48

b) Antragsrücknahme/Antragsänderung Die Vorschriften über die Klagerücknahme (§ 269 ZPO) sowie die Klageänderung (§§ 263 ff. ZPO) sind nicht entsprechend anzuwenden, da es in § 31 Abs. 4 Nr. 1 und § 59 Abs. 1 Nr. 1 dazu Sondervorschriften gibt (siehe dazu § 31 Rz. 71 und § 59 Rz. 5). Ferner kann aufgrund der Sondervorschriften zur Aufhebung der Anzeige keine Erledigung des Verfahrens erklärt werden. _____________ 39) Zum Insolvenzrecht Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 16. 40) Ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 38 Rz. 36.

Blankenburg

563

49

§ 38

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

c) Zwischenentscheidungen 50

§ 280 ZPO ist im Restrukturierungsverfahren nicht anzuwenden.41) Ein Zwischenurteil würde sich bereits mit der Eilbedürftigkeit der Entscheidungen nicht vertragen. § 47 verdrängt § 280 ZPO insoweit als Spezialnorm, so dass anstatt eines Zwischenurteils ein Hinweisbeschluss zu erlassen ist. d) Verweisung

51

Ist das angerufene Restrukturierungsgericht örtlich unzuständig, hat gemäß § 281 ZPO eine Verweisung an das zuständige Gericht zu erfolgen (siehe dazu § 35 Rz. 22). Da es sich bei dem Gruppengerichtsstand um eine ausschließliche Zuständigkeit handelt, kommt ferner eine Verweisung gemäß § 37 Abs. 2 StaRUG i. V. m. § 3d Abs. 1 Satz 1 InsO in Betracht (siehe dazu § 37 Rz. 36 ff.). 16. Elektronische Aktenführung (§§ 298 f. ZPO)

52

Die Vorschriften zur elektronischen Akte sind entsprechend anzuwenden. Die Justizverwaltung ist darum bemüht, zeitnah auch bei den Restrukturierungsgerichten elektronische Akten einzuführen. 17. Akteneinsicht und Auskunft (§ 299 ZPO)

53

Hinsichtlich der Informationserteilung ist zwischen Akteneinsicht und dem Auskunftsrecht zu unterscheiden. Während bei der Akteneinsicht zumindest Teile der Akte dem Antragsteller zugänglich gemacht werden, werden bei der Auskunft nur bestimmte Informationen aus dem Verfahren erteilt.

54

Sowohl bei der Akteneinsicht als auch bei den Auskünften ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu beachten. Dieses Recht ist jedoch nicht absolut gewährleistet. Vielmehr muss der Einzelne Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse, auf gesetzlicher Grundlage und unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Gebots der Normenklarheit hinnehmen.42) Anders als in den Insolvenzverfahren dient das StaRUG nicht zum Schutz der Allgemeinheit vor insolventen Schuldnern,43) so dass deutlich weniger Einschränkungen möglich sind. a) Akteneinsicht aa) Berechtigte

55

Das Akteneinsichtsrecht ergibt sich grundsätzlich aus § 38 Satz 1 StaRUG i. V. m. § 299 ZPO.44) Hinsichtlich der Berechtigung zur Akteneinsicht ist zwischen den Parteien sowie Dritten zu unterscheiden.

_____________ 41) A. A. Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 38 Rz. 56. 42) BVerfG, Beschl. v. 25.7.1988 – 1 BvR 109/85, NJW 1988, 3009. 43) Dazu Schmerbach in: FK-InsO, § 4 Rz. 60; Rüther in: HambKomm-InsO, § 4 Rz. 33; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 4 Rz. 25. 44) So zu § 4 InsO BGH, Beschl. v. 7.5.2020 – IX ZB 56/19, Rz. 4, ZRI 2020, 360 = ZIP 2020, 1138.

564

Blankenburg

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

§ 38

(1) Parteien Den Parteien des Rechtsstreits ist grundsätzlich vollständige Akteneinsicht gemäß § 299 Abs. 1 ZPO zu gewähren. Als Partei zu werten ist jedenfalls der Schuldner. Dies gilt jedoch nicht für am Schuldner beteiligte Personen.45) Diese haben anders als nach § 15 InsO im StaRUG keine Antragsbefugnisse46) und können daher nur dann Akteneinsicht nehmen, wenn sie Planbetroffene sind.

56

Schwierig ist die Bestimmung, ob und wenn welche Planbetroffenen als Parteien gelten.47) Solange noch kein Antrag hinsichtlich eines Instruments gemäß § 29 gestellt wurde, wird man Gläubiger des Schuldners noch nicht als planbetroffene Parteien ansehen. Nach einem Antrag wird nach den jeweiligen Instrumenten zu differenzieren sein. Bei einer Stabilisierungsanordnung sind sämtliche davon betroffenen Gläubiger als Planbetroffene und damit als Partei anzusehen. Die Bestimmung der Parteien kann anhand des Antrags erfolgen, der sich zu dem Kreis der Planbetroffenen äußern muss.

57

Bei den sonstigen Instrumenten kommt es dann auf den Kreis der Planbetroffenen an, der durch den Restrukturierungsplan erfasst sein soll. Es ist auf eine förmliche Bestimmung der Planbetroffenheit abzustellen. Es kommt nicht auf die Art der Gläubiger an,48) sondern allein auf den Umstand, dass die betroffenen Personen im Antrag oder im Plan mit aufgenommen wurden. Da es kein förmliches Feststellungsverfahren für das Bestehen der Forderungen gibt, sind auch Inhaber bestrittener, aber im Plan mitaufgeführter Forderungen als Parteien anzusehen. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Behauptung einer Forderung einer tatsächlichen Grundlage entbehrt und lediglich für die Akteneinsicht aufgestellt wird. Ab Aufhebung des Restrukturierungssache sind die Planbetroffenen wie sonstige Verfahrensbeteiligte als Dritte gemäß § 299 Abs. 2 ZPO anzusehen.49)

58

Auch dem Restrukturierungsbeauftragten ist nach § 299 Abs. 1 ZPO Akteneinsicht zu gewähren.50) Auch wenn er kein unmittelbarer Planbetroffener ist, so hat er ein valides Interesse daran, Kenntnis des bisherigen Verfahrensstands zu erhalten. Nur so ist gewährleistet, dass er seine Kontrollfunktion hinreichend durchführen kann. Das Gleiche gilt für einen Sachverständigen.51)

59

_____________ 45) BGH, Beschl. v. 15.10.2020 – IX AR (VZ) 2/19, Rz. 10, ZIP 2020, 2519 (Kommanditist); a. A. Braun-Baumert, StaRUG, § 38 Rz. 10. 46) Daraus wird das Antragsrecht im Insolvenzverfahren hergeleitet Rüther in: HambKommInsO, § 4 Rz. 35; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 4 Rz. 26. 47) Anders als im Insolvenzverfahren sind nicht sämtliche Gläubiger als Parteien anzusehen (so zur InsO BGH, Beschl. v. 7.5.2020 – IX ZB 56/19, Rz. 6, ZRI 2020, 360 = ZIP 2020, 1138; OLG Celle, Beschl. v. 5.1.2004 – 2 W 113/03, ZIP 2004, 368; OLG Celle, Beschl. v. 19.1.2004 – 2 W 118/03, ZIP 2004, 370, 371). 48) So zu § 4 InsO Schmerbach in: FK-InsO, § 4 Rz. 70. 49) BGH, Beschl. v. 29.4.2015 – XII ZB 214/14, NJW 2015, 1827; so auch Schmerbach in: FKInsO, § 4 Rz. 74 ff.; K. Schmidt-Stephan, InsO, § 4 Rz. 32; Ahrens/Gehrlein/RingstmeierAhrens, InsR, § 4 InsO Rz. 49; a. A. für den Fall der Einstellung oder Aufhebung Rüther in: HambKomm-InsO, § 4 Rz. 37; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 4 Rz. 31; für sämtliche Fälle der Beendigung Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 61. 50) Ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 38 Rz. 62. 51) Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 38 Rz. 63.

Blankenburg

565

§ 38

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

60

Die Mitglieder des Gläubigerbeirates sind nach der Ernennung ebenfalls als Parteien gemäß § 299 Abs. 1 ZPO anzusehen.52)

61

Nicht als Parteien gelten Plangaranten oder sonstige mittelbare Betroffene (z. B. Arbeitnehmer des Schuldners). Diesen kann Akteneinsicht nur nach § 299 Abs. 2 ZPO gewährt werden.53)

62

Den Parteien ist Akteneinsicht grundsätzlich ohne Einschränkungen zu gewähren. Ein rechtliches Interesse muss nicht dargelegt werden.54) Insoweit sind jedoch zwei Einschränkungen zu beachten. Wenn besonders schutzwürdige Interessen des Schuldners oder Dritter bestehen, kann das Gericht Teile der Akte von der Akteneinsicht ausnehmen. Dazu müssen die ausgenommenen Schriftstücke in einen Sonderband überführt werden. Zudem ist das Akteneinsichtsgesuch zurückzuweisen, wenn Missbrauch der aus der Akte gewonnenen Erkenntnisse im konkreten Einzelfall droht.55) Allein die Akteneinsicht bei Abtretung der Forderung durch den neuen Forderungsinhaber stellt noch keinen Missbrauch dar,56) wenn nicht verfahrensfremde Motive die Abtretung begründen, wie z. B. wenn die Presse eine Forderung allein für die Akteneinsicht aufkauft.57) Nicht verfahrensfremd ist das Motiv, Kenntnisse über weitere Gläubiger zu erhalten, um ggf. weitere Forderungen aufzukaufen.58) Datenschutzrechtliche Erwägungen stehen der Akteneinsicht durch die Parteien nicht entgegen.59)

63

Ist das Verfahren bereits beendet, bedarf es einer Abwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse des Schuldners oder dem Einsichtsinteresse des Einsichtsbegehrenden. Geht es um die Vorbereitung von Ansprüchen gegen den Schuldner oder Berater des Schuldners, kann die Akteneinsicht gewährt werden. (2) Dritte

64

Dritten kann gemäß § 299 Abs. 2 ZPO Akteneinsicht gewährt werden. Dies ist entweder mit der Einwilligung der Parteien möglich oder wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird. Für das rechtliche Interesse sind das Interesse der Parteien an der Geheimhaltung des Prozessstoffes und das Interesse des Antragstellers an der gewünschten Information abzuwägen.60) Dem Dritten zustehende Rechte _____________ 52) So für die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses Schmerbach in: FK-InsO, § 4 Rz. 67. 53) A. A. unter Bezugnahme auf die Richtlinie Braun-Baumert, StaRUG, § 38 Rz. 10, in Bezug auf die Arbeitnehmer. 54) BGH, Beschl. v. 7.5.2020 – IX ZB 56/19, Rz. 7, ZRI 2020, 360 = ZIP 2020, 1138; LG München I, Beschl. v. 10.7.2020 – 14 T 10502/19, ZInsO 2020, 1663, 1665. 55) BGH, Beschl. v. 7.5.2020 – IX ZB 56/19, Rz. 7, ZRI 2020, 360 = ZIP 2020, 1138. 56) BGH, Beschl. v. 7.5.2020 – IX ZB 56/19, Rz. 9, ZRI 2020, 360 = ZIP 2020, 1138. 57) LG München I, Beschl. v. 10.7.2020 – 14 T 10502/19, ZInsO 2020, 1663, 1665; so auch Uhlenbruck-Pape, InsO, § 4 Rz. 29. 58) BGH, Beschl. v. 7.5.2020 – IX ZB 56/19, Rz. 8, ZRI 2020, 360 = ZIP 2020, 1138; krit. in Bezug auf mögliche Kleinstforderungen LG München I, Beschl. v. 10.7.2020 – 14 T 10502/19, ZInsO 2020, 1663, 1666. 59) So zutreffend ausführlich darstellt durch LG München I, Beschl. v. 10.7.2020 – 14 T 10502/19, ZInsO 2020, 1663, 1666. 60) Schmerbach in: FK-InsO, § 4 Rz. 77.

566

Blankenburg

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

§ 38

müssen durch den Akteninhalt berührt werden.61) Dabei muss sich das rechtliche Interesse aus der Rechtsordnung selbst ergeben und verlangt als Mindestbedingung ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes gegenwärtiges Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache.62) Das Verfahren selbst oder wenigstens der ihm zugrunde liegende Sachverhalt muss für die rechtlichen Belange des Gesuchstellers von konkreter Bedeutung sein.63) Bei den Restrukturierungsverfahren wird ein solches rechtliches Interesse nur selten vorliegen und genauestens zu prüfen sein. Anders als das Insolvenzverfahren ist das Restrukturierungsverfahren kein Zwangsverfahren und grundsätzlich mangels Veröffentlichungen der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt. Es entspricht eher einem zivilprozessualen Parteienverfahren, wenn auch ggf. mit einer Vielzahl von Parteien. Da zudem über das Restrukturierungskonzept oder den Restrukturierungsplan tiefe Einblicke in die Unternehmenszahlen gewährt werden, besteht ein erhebliches Schutzinteresse des Schuldners an der Geheimhaltung. Lediglich wenn er sich dazu entscheidet, ein öffentliches Restrukturierungsverfahren in Anspruch zu nehmen, begibt er sich in Teilen dieser schützenswerten Position. Anderenfalls wird in der Regel das Recht auf informationelle Selbstbestimmung das Informationsinteresse des Dritten überwiegen. Wurde die Restrukturierungssache aufgehoben, ist auch Planbetroffenen nur noch unter den Voraussetzungen nach § 299 Abs. 2 ZPO die Akteneinsicht zu gewähren.64) Anders als im Insolvenzverfahren kann allerdings nicht bereits die Gläubigerstellung das rechtliche Interesse begründen.65) Vielmehr muss geltend gemacht werden, warum an der Kenntnis des Verfahrensgangs ein rechtliches Interesse besteht. Der Gläubiger muss mehr erfahren wollen als die schlichten unternehmerischen Kennzahlen.

65

(3) Rechts- und Amtshilfe Anderen Behörden und Gerichten steht gemäß Art. 35 Abs. 1 GG ein Anspruch auf Amtshilfe zu. Dieser Anspruch ist zumeist in spezialgesetzlichen Normen weiter ausgestaltet (z. B. § 111 AO, § 69 Abs. 1 Nr. 1 SGB X). Erforderlich ist in sämtlichen Fällen allerdings, dass die Akteneinsicht für eine hoheitliche Tätigkeit erforderlich ist.66) In diesen Fällen bedarf es keiner Interessenabwägung gemäß § 299 Abs. 2 ZPO.67) Wird die Behörde allerdings als ein Gläubiger tätig (z. B. um Steuer- oder _____________ 61) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 21.6.2016 – 20 VA 20/15, ZInsO 2016, 1698, 1700. 62) BGH, Beschl. v. 15.10.2020 – IX AR (VZ) 2/19, Rz. 14, ZIP 2020, 2519. 63) BGH, Beschl. v. 15.10.2020 – IX AR (VZ) 2/19, Rz. 14, ZIP 2020, 2519; BayObLG, Beschl. v. 3.12.2019 – 1 VA 70/19, Rz. 12, ZInsO 2020, 2209; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 21.6.2016 – 20 VA 20/15, ZInsO 2016, 1698, 1700. 64) So wohl auch BGH, Beschl. v. 5.4.2006 – IV AR (VZ) 1/06, Rz. 12 ff., ZInsO 2006, 597. 65) So zu §§ 4 InsO, 299 Abs. 2 ZPO BGH, Beschl. v. 5.4.2006 – IV AR (VZ) 1/06, Rz. 16, ZInsO 2006, 597. 66) So auch Anders/Leithaus-Andres, InsO, § 4 Rz. 16; noch eine engere Auslegung nach OLG Brandenburg, Beschl. v. 5.9.2002 – 11 VA 11/02, NZI 2002, 1085, wonach die §§ 12 EGGVG entsprechend anzuwenden sind. 67) Schmerbach in: FK-InsO, § 4 Rz. 87; Rüther in: HambKomm-InsO, § 4 Rz. 42.

Blankenburg

567

66

§ 38

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

Kostenforderungen einzuziehen), ist § 299 ZPO entsprechend anzuwenden.68) Ist die Behörde nicht planbetroffenen, muss gemäß § 299 Abs. 2 ZPO ein rechtliches Interesse dargelegt werden. Allein Art. 35 Abs. 1 GG rechtfertigt es nicht, staatliche Gläubiger gegenüber anderen Gläubigern zu privilegieren. Gegen die Entscheidung zur Amtshilfe ist ein Antrag nach § 23 EGGVG zulässig.69) bb) Anhörung 67

Bei der Ablehnung eines Gesuchs sowie der Gewährung der Akteneinsicht gemäß § 299 Abs. 1 ZPO muss dem Schuldner kein rechtliches Gehör gewährt werden.70) Im Übrigen ist der Schuldner vorher anzuhören.71) Dem Restrukturierungsbeauftragten oder sonstigen Beteiligten muss kein rechtliches Gehör eingeräumt werden. cc) Entscheidung über die Akteneinsicht

68

Über Akteneinsichtsgesuche hat grundsätzlich der Richter zu entscheiden. Auch wenn die Übertragung auf den Geschäftsstellenbeamten für zulässig erachtet wird,72) sollte in Restrukturierungssachen darauf verzichtet werden. Bei dem Gesuchen ist genau zu prüfen, ob der Antragsteller Partei ist oder ob § 299 Abs. 2 ZPO eingreift. Dies ist deutlich schwieriger als in Insolvenzverfahren. Über Einsichtsgesuche nach § 299 Abs. 2 ZPO hat der Gerichtsvorstand zu entscheiden. Eine Delegation auf den sachbearbeitenden Richter ist möglich.73) Von dieser Möglichkeit sollte auch Gebrauch gemacht werden, da dieser besser die Situation im Verfahren abschätzen kann. dd) Durchführung der Akteneinsicht

69

Erfasst durch die Akteneinsicht sind grundsätzlich der Hauptband sowie weitere gebildete Beibände.74) Auch in sämtliche Gutachten ist Einsicht zu gewähren.75) Hinsichtlich der Beiakten ist zu differenzieren. Beiakten des eigenen Gerichts sind von der Akteneinsicht mit umfasst (z. B. frühere Restrukturierungsverfahren), Akten anderer Behörden oder anderer Gerichte jedoch nur mit deren Zustimmung.76) Ausgenommen ist der Beiband zum Gläubigerbeirat, wenn nicht ein besonderes Interesse an der Einsicht in diese Unterlagen geltend gemacht wird.77) Gleiches gilt für ange_____________ 68) Ebenso K. Schmidt-Stephan, InsO, § 4 Rz. 26; Andres/Leithaus-Andres, InsO, § 4 Rz. 16; Zipperer, NZI 2002, 244, 245. 69) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 68. 70) Rüther in: HambKomm-InsO, § 4 Rz. 43; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 4 Rz. 29. 71) So auch BGH, Beschl. v. 18.2.1998 – IV AR (VZ) 2/97, ZIP 1998, 961, 962; Rüther in: HambKomm-InsO, § 4 Rz. 49; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 70; a. A. wohl Schmerbach in: FK-InsO, § 4 Rz. 97. 72) Schmerbach in: FK-InsO, § 4 Rz. 99; Rüther in: HambKomm-InsO, § 4 Rz. 45; UhlenbruckPape, InsO, § 4 Rz. 29; kritisch dazu Andres/Leithaus-Andres, InsO, § 4 Rz. 17. 73) Uhlenbruck-Pape, InsO, § 4 Rz. 26; Schmerbach in: FK-InsO, § 4 Rz. 100; Rüther in: HambKomm-InsO, § 4 Rz. 51. 74) Schmerbach in: FK-InsO, § 4 Rz. 91; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 4 Rz. 33. 75) OLG Celle, Beschl. v. 19.1.2004 – 2 W 118/03, ZIP 2004, 370, 373. 76) Ebenso Uhlenbruck-Pape, InsO, § 4 Rz. 33; K. Schmidt-Stephan, InsO, § 4 Rz. 27; weitergehend Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 73. 77) So auch für ein Sonderheft für den Gläubigerausschuss Uhlenbruck-Pape, InsO, § 4 Rz. 29.

568

Blankenburg

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

§ 38

legte VKH-Hefte. Auch Handakten der Beteiligten, insbesondere des Restrukturierungsbeauftragten, unterliegen nicht der Akteneinsicht.78) Die genaue Art der Gewährung der Akteneinsicht liegt im Ermessen der Restrukturierungsgerichte.79) (1) Papierakten Solange die Restrukturierungssache noch anhängig ist, werden die Akten in der Regel nicht versandt, vielmehr kann nur auf der Geschäftsstelle Einsicht genommen werden.80) Dies gilt auch für Rechtsanwälte.81) Es kann aber die Übersendung von Abschriften verlangt werden, außer wenn das Insolvenzgericht konkret darlegen kann, durch eine nicht zu bewältigende Vielzahl von Akteneinsichtsgesuchen derart überlastet zu sein.82) Nach Abschluss des Verfahrens kann die Akteneinsicht auch an Dritte durch Versendung erfolgen.83) Weiterhin besteht auch ein Anspruch auf die Übersendung von Abschriften.84) Für die Übersendung der Akte wird eine Auslagenpauschale i. H. von 12,50 € erhoben.85) Für die Erstellung von Abschriften werden die Pauschalen gemäß Nr. 3000 Kostenverzeichnis des GKG erhoben.

70

71

72

(2) Elektronische Akten In § 299 Abs. 3 ZPO ist geregelt, wie die Akteneinsicht bei elektronischen Akten zu erfolgen hat. Nach § 299 Abs. 3 Satz 1 ZPO ist Akteneinsicht durch die Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf zu gewähren. Dies bedeutet, dass die Akten auf dem Akteneinsichtsportals des Bundes und der Länder hochgeladen werden müssen.86) Die Akten werden als XJustiz-Datensätze übermittelt, so dass auch die Struktur der Akte zur Verfügung steht. Gleichzeitig kann auch auf die einzelnen Seiten als pdf-Dokumente zugegriffen werden.87) Die Akteneinsicht wird durch die Information des Antragsstellers über die Bereitstellung abgeschlossen, wenn ein Zugriff möglich ist.88) Der die Akteneinsicht Begehrende kann beantragen, dass die Einsichtnahme in den Diensträumen gewährt wird (§ 299 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Dazu muss beim Restruk_____________ 78) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 38 Rz. 65. 79) So zu den Insolvenzgerichten OLG Celle, Beschl. v. 19.1.2004 – 2 W 118/03, ZIP 2004, 370, 373. 80) So auch zum Insolvenzverfahren OLG Celle, Beschl. v. 19.1.2004 – 2 W 118/03, ZIP 2004, 370, 371 f.; Schmerbach in: FK-InsO, § 4 Rz. 93; Rüther in: HambKomm-InsO, § 4 Rz. 46; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 4 Rz. 33; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 73. 81) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 71. 82) OLG Celle, Beschl. v. 19.1.2004 – 2 W 118/03, ZIP 2004, 370, 371. 83) OLG Celle, Beschl. v. 19.1.2004 – 2 W 118/03, ZIP 2004, 370, 372; nach Schmerbach in: FK-InsO, § 4 Rz. 93; Rüther in: HambKomm-InsO, § 4 Rz. 46, soll die Übersendung regelmäßig nur an die Geschäftsstelle des beim Antragsteller örtliche zuständigen AG erfolgen. 84) OLG Celle, Beschl. v. 19.1.2004 – 2 W 118/03, ZIP 2004, 370, 372. 85) Schmerbach in: FK-InsO, § 4 Rz. 93 86) Erreichbar unter der URL www.akteneinsichtsportal.de. Derzeit steht das Portal für den regulären Betrieb noch nicht zur Verfügung. 87) Ausführlich dazu Gomm in: jurisPK-ERV, Bd. 2, Kap. 5.2 (Akteneinsicht). 88) Gomm in: jurisPK-ERV, Bd. 2, § 299 Rz. 39.

Blankenburg

569

73

74

§ 38

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

turierungsgericht ein entsprechender Arbeitsplatz eingerichtet werden, auf dem dann nur die jeweilige Akte einsehbar ist. Es ist auch möglich, bei einer anderen Behörde in deren Diensträumen die Akteneinsicht zu gewähren.89) 75

Ein Aktenausdruck oder ein Datenträger werden nur auf Antrag übermittelt (§ 299 Abs. 3 Satz 3 ZPO). In diesem Antrag muss ein berechtigtes Interesse an der Übermittlung dargelegt werden. Diese Art der Akteneinsicht kommt bei großen Verfahren in Betracht, bei denen eine Einsicht über das Akteneinsichtsportal aufgrund des Umfangs der Akte nicht möglich ist. Ein anderer Anwendungsfall liegt vor, wenn der Antragsteller nicht über die technischen Möglichkeiten des Zugriffs auf das Portal verfügt und die Einsicht in den Diensträumen nicht zumutbar ist.90)

76

Eine Auffangklausel beinhaltet § 299 Abs. 3 Satz 4 ZPO, wonach bei wichtigen Gründen eine Akteneinsicht außerhalb des Portals auch ohne Antrag erfolgen kann. Dies wird insbesondere der Fall sein, wenn technische Schwierigkeiten es nicht ermöglichen, Akteneinsicht über das Portal zu gewähren.91) ee) Rechtsschutzmöglichkeiten

77

Entscheidet ein Geschäftsstellenbeamter, kann dagegen die Erinnerung eingelegt werden (§ 573 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Richterliche Entscheidungen über einen Antrag auf Akteneinsicht einer Partei unterliegen der sofortigen Beschwerde.92) Handelt es sich um den Antrag eines Verfahrensbeteiligten, ist über eine Ablehnung des Einsichtsgesuchs im Wege der sofortigen Beschwerde nach den §§ 567 ff. ZPO und nicht im Antragsverfahren nach den §§ 23 ff. GVG zu entscheiden.93)

78

Bei der Entscheidung über die Akteneinsicht eines Dritten handelt es sich um eine Maßnahme einer Justizbehörde auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts. Daher ist ein Antrag nach § 23 Abs. 1 EGGVG der zutreffende Rechtsbehelf.94) Unerheblich ist insoweit, wenn der Rechtsbehelf als Beschwerde bezeichnet wird.95)

79

Ist das Akteneinsichtsgesuch rechtswidrig verwehrt worden, kann das Rechtsmittelgericht nicht in der Sache selbst entscheiden. Es ist eine erneute Ermessensentscheidung der Ausgangsbehörde unter Beachtung der Rechtsauffassung des Rechtsmittelgerichts zu treffen.96) Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung kann auch zu erwägen sein, besonders geheimhaltungsbedürftige Aktenteile vor der Einsichtnahme aus den Akten zu entnehmen.97) _____________ 89) Gomm in: jurisPK-ERV, Bd. 2, § 299 Rz. 40. 90) Bacher in: BeckOK-ZPO, § 299 Rz. 44 (in Restrukturierungsfällen werden diese Konstellationen kaum auftreten). 91) So auch Bacher in: BeckOK-ZPO, § 299 Rz. 45 92) BGH, Beschl. v. 29.11.2019 – IX ZB 56/19, Rz. 9, ZInsO 2020, 85; a. A. Uhlenbruck-Pape, InsO, § 4 Rz. 36. 93) BGH, Beschl. v. 29.11.2019 – IX ZB 56/19, Rz. 9, ZInsO 2020, 85. 94) BGH, Beschl. v. 29.4.2015 – XII ZB 214/14, Rz. 10, NJW 2015, 1827; BayObLG, Beschl. v. 8.4.2020 – 1 VA 132/19, ZIP 2020, 978, 979. 95) BayObLG, Beschl. v. 8.4.2020 – 1 VA 132/19, ZIP 2020, 978, 979. 96) BayObLG, Beschl. v. 8.4.2020 – 1 VA 132/19, ZIP 2020, 978, 981 m. w. N.; BayObLG, Beschl. v. 3.12.2019 – 1 VA 70/19, ZInsO 2020, 2209. 97) BayObLG, Beschl. v. 8.4.2020 – 1 VA 132/19, ZIP 2020, 978, 981.

570

Blankenburg

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

§ 38

b) Auskunft Von der Akteneinsicht sind Auskunftsbegehren zu unterscheiden. Bei diesen wird nicht die Übersendung eines Teils der Akte gefordert, vielmehr wird beim AG angefragt, ob Verfahren anhängig sind und welche Entscheidungen ergangen sind. Solche Anfragen sind restriktiv zu behandeln, da es sich nicht um ein öffentliches Verfahren handelt. Anfragen ohne Verfahrensbezug sind grundsätzlich abzulehnen. Ist das Verfahren bekannt, können Dritte ebenso wie bei der Akteneinsicht nur Auskunft erhalten, wenn sie ein berechtigtes Interesse haben.98) Erfolgen Auskunftsbegehren i. R. der Rechts- oder Amtshilfe ist eine Auskunft nur dann zu erteilen, wenn sie für die Ausübung der hoheitlichen Tätigkeit erforderlich ist. Dazu bedarf es der konkreten Darlegung durch die Behörde, für welche Entscheidung die Auskunft benötigt wird. Eine besondere Problematik stellt die Übersendung von anonymisierten Entscheidungen dar. Dieses Begehren fällt nicht unter § 299 Abs. 2 ZPO. Die Übersendung einer Entscheidung in anonymisierter Form ist grundsätzlich zulässig.99) Gerichtsentscheidungen unterliegen nicht der Geheimhaltung, soweit nicht ausnahmsweise unabweisbare höhere Interessen die Unterrichtung der Allgemeinheit oder einer einzelnen Person verbieten. Ein Verfahrensbeteiligter kann daher grundsätzlich nicht ausschließen, dass die ihn betreffende Entscheidung auch veröffentlicht wird, auch wenn die Prozessparteien der Öffentlichkeit oder einzelnen Dritten trotz Anonymisierung bekannt sein mögen.100) In Insolvenzverfahren und damit entsprechend in den Restrukturierungsverfahren gilt allerdings aufgrund der fehlenden Öffentlichkeit der Verhandlungen ein strengerer Maßstab für die Akteneinsicht als in Zivilverfahren.101) Soweit überwiegende Rechte der Parteien durch die Weitergabe einer Abschrift trotz Anonymisierung verletzt sein können, kann dem im Einzelfall durch die Schwärzung von Urteilspassagen, die über die übliche Anonymisierung hinausgehen, oder im äußersten Fall durch einen Ausschluss der Weitergabe von Abschriften – und dann auch der sonstigen Veröffentlichung – Rechnung getragen werden.102) Es ist daher auch nicht ausgeschlossen, dass die Mitteilung einer anonymisierten Entscheidungsabschrift in Ausnahmefällen verweigert werden kann. Eine Verweigerung der Herausgabe der Entscheidung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die erforderlichen Schwärzungen dazu führen, dass die Entscheidung in den verbleibenden Teilen nicht mehr aus sich heraus verständlich ist, die Schwärzungen sinnentstellend sind oder die verbleibenden Teile den Inhalt der getroffenen Entscheidung verfälschen oder inhaltsleer sind.103) Eine Veröffentlichung hat schließlich zu unterbleiben, wenn die veröffentlichungsfähigen Teile aus dem Zusammenhang gerissen und dadurch missverständlich werden.104) _____________ 98) Ähnlich für beendete Insolvenzverfahren Rüther in: HambKomm-InsO, § 4 Rz. 56; BGH, Beschl. v. 25.3.2021 – IX AR (VZ) 1/19, Rz. 13 ff., ZInsO 2021, 1162, 1163. 99) BGH, Beschl. v. 5.4.2017 – IV AR(VZ) 2/16, Rz. 14 ff., NJW 2017, 1819. 100) BGH, Beschl. v. 5.4.2017 – IV AR(VZ) 2/16, Rz. 15, NJW 2017, 1819. 101) BGH, Beschl. v. 25.3.2021 - IX AR (VZ) 1/19, Rz. 21 ff., ZInsO 2021, 1162, 1164. 102) BGH, Beschl. v. 5.4.2017 – IV AR(VZ) 2/16, Rz. 18, NJW 2017, 1819; BGH, Beschl. v. 25.3.2021 – IX AR (VZ) 1/19, Rz. 22, ZInsO 2021, 1162, 1164. 103) BGH, Beschl. v. 25.3.2021 - IX AR (VZ) 1/19, Rz. 29, ZInsO 2021, 1162, 1164. 104) BGH, Beschl. v. 25.3.2021 - IX AR (VZ) 1/19, Rz. 29, ZInsO 2021, 1162, 1165.

Blankenburg

571

80

81

82

83

§ 38 84

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

Ein besonderes Interesse wird an Beschlüssen über die Festsetzung der Vergütung bestehen, da die Vergütungshöhe im besonderen Fokus der Öffentlichkeit steht. Nach der Rechtsprechung des BGH unterliegen in Insolvenzverfahren auch diese grundsätzlich der Veröffentlichungspflicht.105), 106) Gegen eine Herausgabe in Restrukturierungsverfahren könnte sprechen, dass bei diesen nicht einmal der Beschluss im Insolvenzportal veröffentlicht werden muss. Dafür spricht allerdings, dass die Vergütungsbeschlüsse im Restrukturierungsverfahren deutlich weniger komplex sind und mit weniger Details zum Verfahren ausgestattet sein werden. Das Geheimhaltungsinteresse wiegt daher nicht so schwer. 18. Beschluss (§§ 300 ff. ZPO)

85

Die Normen über die Beschlüsse gemäß § 329 ZPO sind entsprechen anzuwenden. Zur Verkündung des Bestätigungsbeschlusses siehe § 65 Rz. 4 ff. Insbesondere ist es möglich, Entscheidungen gemäß §§ 319 ZPO zu berichtigen. 19. Materielle Rechtskraft (§ 322 ZPO)

86

Die materielle Rechtskraft führt dazu, dass getroffene Entscheidungen in anderen Verfahren nicht mehr abgeändert werden können.107) Nach § 322 Abs. 1 ZPO sind Urteile der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist. Die Norm ist entsprechend im Restrukturierungsverfahren anzuwenden. Übertragen bedeutet dies, dass die Entscheidungen der Rechtskraft fähig sind, die abschließend über einen Anspruch entschieden haben.

87

Der Rechtskraft fähig ist die Bestätigung des Restrukturierungsplans.108) Da der Restrukturierungsplan einen Vollstreckungstitel darstellt, können die dort getroffenen Entscheidungen durch die Parteien nicht mehr nachträglich abgeändert werden und sind auch in weiteren Rechtsstreitigkeiten zugrunde zu legen. Gleiches gilt für die Festsetzung des Vergütungsanspruchs des Restrukturierungsbeauftragten und der Gläubigerbeiratsmitglieder.109) Die Stundensätze und Stundenkontingente nehmen als Vorfragen nicht an der Rechtskraft teil.110) Sind diese für andere Entscheidungen relevant, besteht keine Bindung für das andere Gericht. 20. Vorschriften über die Beweisaufnahme (§§ 355 ff. ZPO)

88

Zur Beweisaufnahme durch Zeugen- und Sachverständigenbeweis siehe § 39 Rz. 8 ff. 21. Rechtsmittel (§§ 511 ff. ZPO)

89

Zu den Rechtsmitteln siehe § 40 Rz. 15 ff. _____________ 105) BGH, Beschl. v. 25.3.2021 - IX AR (VZ) 1/19, Rz. 32 ff., ZInsO 2021, 1162, 1165; so bereits vorher Haarmeyer, ZInsO 2019, 1352. 106) Haarmeyer, ZInsO 2019, 1352. 107) Zu den Theorien der Rechtskraft ausführlich Gottwald in: MünchKomm-ZPO, § 322 Rz. 7 ff. 108) A. A. zur Bestätigung des Insolvenzplans Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 80d. Dieses Verständnis resultiert allerdings daraus, dass die maßgeblichen Feststellungen durch die Tabelleneintragung getroffen werden. 109) So auch Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 80f. 110) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 80f.

572

Blankenburg

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

§ 38

22. Wiederaufnahme des Verfahrens (§§ 578 ff. ZPO) Die Vorschriften über die Wiederaufnahme des Verfahrens sind im Restrukturierungsverfahren entsprechend anwendbar.111)

90

23. Zwangsvollstreckung (§§ 704 ff. ZPO) Zur Zwangsvollstreckung siehe § 71 Rz. 5 ff.

91

V. Digitale Gläubigerversammlung Nach § 38 Satz 2 StaRUG ist § 128a ZPO grundsätzlich entsprechend anzuwenden. Nach § 128a Abs. 1 Satz 1 ZPO kann das Gericht den Beteiligten gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. § 128a Abs. 2 ZPO betrifft die Vernehmung von Zeugen, die sich nicht im Sitzungssaal befinden. Die Norm dient dazu, die Durchführung von Terminen einfacher zu gestalten, insbesondere wenn sich Beteiligte im Ausland befinden. Für die Betrachtung ist zwischen hybriden und rein digitalen Formen der Termine zu unterscheiden. 1.

92

Hybrider Verhandlungstermin

a) Allgemeines § 128a Abs. 1 Satz 2 ZPO regelt den Fall, dass ein Termin im Sitzungssaal stattfindet und sich lediglich einzelne Beteiligte nicht vor Ort befinden. Dies ergibt sich aus § 128a Abs. 1 Satz 2 ZPO, wonach das Bild und der Ton sowohl an den Ort als auch den Sitzungssaal zu übertragen sind. Die Vorschrift ermöglicht nicht einen rein digitalen Termin,112) für den sich insbesondere durch die Beschränkungen der COVID-19-Pandemie ein Bedürfnis gezeigt hat.

93

Problematisch an einem hybriden Verhandlungstermin ist, dass nach § 128a ZPO technisch sichergestellt sein muss, dass eine Person, die sich nicht im Sitzungsaal aufhält, jederzeit sämtliche im Gerichtssaal anwesende Beteiligte sehen und hören kann, und dass die im Gerichtssaal anwesenden Beteiligten jederzeit sämtliche im Wege der Bild- und Tonübertragung teilnehmende Beteiligte sehen und hören können.113)

94

b) Voraussetzungen aa) Erfasste Termine Grundsätzlich sind von § 128a ZPO sämtliche Verhandlungen erfasst.114) Der Verweis des § 38 Satz 2 führt daher dazu, dass bei sämtlichen mündlichen Termine des Restrukturierungsgericht eine Bild- und Tonübertragung stattfinden kann.

95

§ 128a Abs. 2 ZPO erweitert die Möglichkeit, dass Zeugen, Sachverständige oder Parteien sich für eine Vernehmung an einem anderen Ort aufhalten und nur über die Bildübertragung vernommen werden.

96

_____________ 111) So auch für insolvenzrechtliche Beschlüsse Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 86. 112) So auch Preuß, ZIP 2020, 1533, 1537; Windau, AnwBl. 2021, 26; Blankenburg/Godzierz, ZInsO 2020, 1285, 1289; Mantz/Spoenle, MDR 2020, 637, 639. 113) Fritsche in: MünchKomm-ZPO, § 128a Rz. 6; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 128a Rz. 2; Zöller-Greger, ZPO, § 128a Rz. 6; Windau, NJW 2020, 2753, 2754; Windau, AnwBl. 2021, 26. 114) Auch Windau, AnwBl. 2021, 26 f.

Blankenburg

573

§ 38

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

bb) Aufenthalt an einem anderen Ort 97

Einzelnen Beteiligten kann gestattet werden, sich an einem „anderen Ort“ aufzuhalten. Der andere Ort ist abzugrenzen vom gerichtlichen Sitzungssaal. Daher muss die gerichtliche Verhandlung grundsätzlich aus dem Sitzungssaal stattfinden.115) Das Gericht ist nicht befugt, sich woanders aufzuhalten. Zudem ist es sämtlichen Beteiligten gestattet, vor Ort an dem Termin teilzunehmen. Die nicht anwesenden Betroffenen können grundsätzlich von jedem Ort teilnehmen, der eine stabile Übertragung in Bild und Ton ermöglicht. Es ist nicht erforderlich, dass sich diese ebenfalls in einem auswärtigen Gerichtssaal befinden.116) Weder aus § 38 noch aus § 128a ZPO ergibt sich, dass dieser Ort mit der Gestattung zwingend festgelegt werden muss.117) cc) Gestattung der Ortsabwesenheit

98

Das Gericht hat gemäß § 128a Abs. 1 Satz 2 ZPO die Abwesenheit der Beteiligten zu gestatten. Die Gestattung setzt keinen Antrag voraus, sondern kann auch von Amts wegen erfolgen.118) In Restrukturierungsverfahren sollte bereits generell für sämtliche Beteiligte in der Ladung gestattet werden, dass sie gemäß § 128a Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht ortanwesend sind. Die Zulassung einzelner Beteiligter ist nicht praxisgerecht. Zwar haben die Beteiligten grundsätzlich kein Anspruch darauf, dass eine auswärtige Teilnahme zugelassen wird.119) Wird allerdings einem Beteiligten dies gewährt, können dieses Recht grundsätzlich alle in Anspruch nehmen. Folglich hat das Gericht in Restrukturierungsverfahren vor der Ladung zu entscheiden, ob es von der Möglichkeit gemäß § 128a ZPO Gebrauch macht. Es erscheint nicht erforderlich, dass die Zulassung in einem separaten Beschluss erfolgt, vielmehr kann sie in dem Beschluss zur Terminsfestsetzung mit aufgenommen werden. Die Entscheidung über die elektronische Durchführung ist unanfechtbar (§ 128a Abs. 3 Satz 2 ZPO). c) Terminvorbereitung aa) Ladung

99

Entscheidet sich das Restrukturierungsgericht für die Möglichkeit einer Bild- und Tonübertragung, muss dies in der Ladung mit angegeben werden. In der Ladung selbst muss ein konkreter Sitzungssaal benannt werden, in dem der Präsenztermin stattfindet, zu dem sämtliche Beteiligte erscheinen können.120) Nach § 38 Satz 2 muss es dann in der Ladung darauf hinweisen, dass wissentliche Ton- und Bildaufzeichnungen zu unterlassen sind und durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen ist, dass Dritte die Ton- und Bildübertragung nicht wahrnehmen können. _____________ 115) Fritsche in: MünchKomm-ZPO, § 128a Rz. 4. 116) Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 128a Rz. 2; v. Selle in: BeckOK-ZPO, § 128a Rz. 6; Prütting/ Gehrlein-Prütting, ZPO, § 128a Rz. 4; Windau, NJW 2020, 2753, 2754, Windau, AnwBl. 2021, 26, 28; a. A. Zöller-Greger, ZPO, § 128a Rz. 4; zumindest zweifelnd für den privaten Bereich Mantz/Spoenle, MDR 2020, 637, 638. 117) So auch Windau, NJW 2020, 2573, 2575; Windau, AnwBl. 2021, 26, 28. 118) Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 128a Rz. 2; Fritsche in: MünchKomm-ZPO, § 128a Rz. 5. 119) Fritsche in: MünchKomm-ZPO, § 128a Rz. 7; v. Selle in: BeckOK-ZPO, § 128a Rz. 5. 120) Es besteht keine Verpflichtung, die Möglichkeit der Bild- und Tonübertragung zu nutzen Fritsche in: MünchKomm-ZPO, § 128a Rz. 5; Zöller-Greger, ZPO, § 128a Rz. 3.

574

Blankenburg

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

§ 38

bb) Technische Vorbereitung Technisch stellt sich für das Restrukturierungsgericht die Situation anders dar als für die Zivilgerichte, für die § 128a ZPO eingeführt wurde. Während im Zivilprozess in der Regel maximal zwei Parteien nicht anwesend sind, könnte dies in Restrukturierungsverfahren für eine Vielzahl von Personen gelten. Für das Restrukturierungsgericht stellt sich bereits bei der Ladung die Frage, wie eine technische Teilnahme ermöglicht werden soll. Ein Hyperlink zu der Verhandlung kann nicht ohne weiteres mit in die Ladung aufgenommen werden, da dann das Gericht überhaupt nicht weiß, wer anwesend sein wird und wer nicht. Dies ist aber für die Planung der Räumgröße des Sitzungssaals entscheidend. Umfasst der Plan 500 Betroffene, von denen ca. 400 teilnehmen wollen, macht es für das Gericht einen gewaltigen organisatorischen Unterschied, ob 400 Personen oder nur 50 Personen vor Ort teilnehmen wollen, während der Rest online teilnimmt. Es ist daher zu empfehlen, in der Ladung nur auf die Möglichkeit zur Online-Teilnahme hinzuweisen mit der Bitte, sich bei Interesse an das Gericht zu wenden. Den Interessierten kann dann jeweils ein Link zur Verfügung gestellt werden. Da die Justiz gehalten ist, nicht per E-Mail zu kommunizieren, müsste der Versand per ERV oder per Post erfolgen.121) Nach § 128a Abs. 1 ZPO ist es erforderlich, dass sämtliche Beteiligte in Bild- und Ton übertragen werden.122) Es müssen daher bei jedem Teilnehmer ein Mikrophon und eine Kamera zur Verfügung stehen.123) Es wäre unzulässig, wenn Betroffene ohne Bildübertragung teilnehmen. Insoweit wären die Teilnehmer zurückzuweisen. Um zu verhindern, dass den Beteiligten dies nicht bewusst ist, sollte bereits in der Ladung darauf hingewiesen werden, dass eine Kamera zur Teilnehme an dem Termin erforderlich ist.

100

101

d) Termindurchführung Das Gericht muss für den Termin dafür sorgen, dass im Sitzungssaal die hinreichende Technik zur Verfügung steht. Da sämtliche Beteiligte die anderen Beteiligten sehen müssen,124) ist es erforderlich, dass eine Kamera den Sitzungssaal insgesamt erfasst.125) Zur besseren Übersicht sollte ggf. eine weitere Kamera nur den Vorsitzenden erfassen. Beide Bilder müssen dann in ein Konferenztool eingespeist werden. Zudem muss durch ein Konferenzmikrofon oder einzelne weitere Mikrofone sichergestellt sein, dass sämtliche Beteiligte auch in Ton übertragen werden. Bei Gericht muss eine entsprechende Konferenzsoftware vorhanden sein, welche die gleichzeitige Übertragung mehrerer Beteiligter ermöglicht.

102

Kommen mehr als nur fünf Beteiligte, wird es sich anbieten, dass die Teilnehmer nur Zugang zu einem Eingangsbereich erhalten, über den die Zulassung zum eigentlichen Verfahren erfolgen kann. Das Gericht muss die Möglichkeit haben, die Berechtigung zur Teilnahme zu prüfen, da es sich um eine nicht öffentliche Sitzung handelt.126)

103

_____________ 121) A. A. Mantz/Spoenle, MDR 2020, 637, 642, wonach die Versendung per E-Mail möglich sein soll. 122) Dazu Windau, NJW 2020, 2753, 2754. 123) So auch Windau, AnwBl. 2021, 26, 27. 124) Windau, NJW 2020, 2753, 2754. 125) Eine schwenkbare Kamera dürfte unzulässig sein, so auch Windau, NJW 2020, 2753, 2754. 126) Blankenburg/Godzierz, ZInsO 2020, 1285, 1287 f.; Preuß, ZIP 2020, 1533, 1537.

Blankenburg

575

§ 38 104

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

Gemäß § 128a Abs. 3 Satz 1 ZPO wird die Übertragung nicht aufgezeichnet. Der Inhalt der mündlichen Verhandlung ergibt sich daher weiterhin allein aus dem Protokoll. Er muss jedoch für jeden Beteiligten gemäß § 38 Satz 1 StaRUG i. V. m. § 160 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in das Terminprotokoll mit aufgenommen werden. e) Rechtliche Probleme

105

106

Rechtliche Probleme werden sich bei ausländischer Beteiligung, bei technischen Problemen bei den Beteiligten und die Zugangsgewährung an Dritte durch die Beteiligten ergeben. Da eine Teilnahme grundsätzlich von jedem Ort möglich ist, an dem Internetempfang besteht, kann sich einer der Betroffenen auch im Ausland befinden. Dies könnte problematisch sein, wenn das Gericht sitzungspolizeiliche Maßnahmen durchführen muss und dann auf das Hoheitsgebiet eines anderen Staates einwirkt. Insoweit geht die h. M. davon aus, dass sich sämtliche Beteiligte im Inland befinden müssen.127) Dies würde allerdings die Möglichkeit einer virtuellen Termindurchführung gerade in Restrukturierungsverfahren erheblich entwerten, da hier häufiger mit einer Auslandsbeteiligung zu rechnen ist. Die Bedenken der h. M. überzeugen zumindest für den Bereich der EU nicht. Die Verordnung (EG) Nr. 861/2007128) setzt in Art. 8 Abs. 1 voraus, dass eine mündliche Verhandlung auch über Fernkommunikationstechnologie erfolgen kann. Insoweit scheinen die europäischen Staaten in mündlichen Verhandlungen keinen Eingriff in ihre territorialen Rechte zu sehen. Daher sollte zumindest Betroffenen aus der EU die auswärtige Online-Teilnahme gewährt werden.129)

107

Ist es einem Beteiligten nicht möglich, an der Besprechung teilzunehmen oder kann ein Beteiligter in sonstiger Weise nicht störungsfrei teilnehmen, wird sich die Frage stellen, aus wessen Sphäre die Verhinderung stammt. Liegt die Ursache für die Verhinderung der Teilnahme auf Gerichtsseite, hindert diese die ordnungsgemäße Teilnahme des Betroffenen und stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar.130) Ähnlich der analogen Welt, wenn die Eingangstür zum Gericht klemmt. Liegt die Ursache in der Sphäre des nicht teilnehmenden Betroffenen, geht dies zu seinen Lasten. Ähnlich der analogen Welt bei einer Autopanne. Bei einer digitalen Versammlung ergibt sich allerdings das Problem, das die Ursachen zumeist nicht klar abzugrenzen sind. Ob der verhinderte Zugang auf einem technischen Problem auf Gerichtsseite oder auf Seite des Betroffenen liegt, wird sich im Nachhinein nur schwer klären lassen.

108

Gewährt einer der Betroffenen Dritten den Zugang zu der Sitzung, ist dies nach § 38 Satz 2 grundsätzlich unzulässig, da es sich um eine nicht öffentliche Sitzung _____________ 127) Zöller-Greger, ZPO, § 128a Rz. 10; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 128a Rz. 8; SaengerWöstmann, ZPO, § 128a Rz. 1. 128) Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, ABl. (EU) L 199/1 v. 31.7.2007. 129) So auch Windau, NJW 2020, 2753, 2754; wohl auch v. Selle in: BeckOK-ZPO, § 128a Rz. 16; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 128a Rz. 8; unklar Fritsche in: MünchKomm-ZPO, § 128a Rz. 3. 130) Nach der Kommentarliteratur (Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 128a Rz. 4; Fritsche in: MünchKomm-ZPO, § 128a Rz. 9) soll die Videokonferenz bei technischen Störungen unterbrochen werden. Dies ist insoweit problematisch, da das Gericht möglicherweise gar nicht erfährt, dass einzelne Beteiligte technische Probleme haben.

576

Blankenburg

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

§ 38

handelt. Erlangt das Gericht davon Kenntnis, kann es zu einem Unterlassen auffordern und bei einem schwerwiegenden oder wiederholten Verstoß den Betroffenen von der Sitzung ausschließen. Stellt sich erst im Nachhinein ein entsprechender Verstoß heraus, für dies nicht zur Unwirksamkeit einer Planannahme. Es obliegt dann den Staatsanwaltschaften zu prüfen, ob ein Verstoß gegen §§ 201, 201a Abs. 2, 202a oder 202b StGB vorliegt. 2.

Rein digitaler Verhandlungstermin

Das StaRUG sieht über § 38 StaRUG i. V. m. § 128a ZPO keine weitere Möglichkeit vor, eine Verhandlung in rein digitaler Form zu führen.131) Es ist nicht möglich, den Termin zwar im Gericht durchzuführen, aber alle Beteiligten auf die elektronische Teilnahme gemäß § 128a Abs. 1 Satz 1 ZPO zu verweisen.132) Es muss den Beteiligten weiterhin möglich sein, an dem Präsenztermin teilzunehmen. Ein rein digitaler Verhandlungstermin bedürfte einer eigenen Ermächtigungsgrundlage.

109

VI. Exkurs: Anwendbarkeit der Normen des GVG Für die Auswahl der Restrukturierungsrichter gilt § 22 Abs. 6 GVG (siehe dazu ausführlich § 34 Rz. 23 f.).

110

Ebenso sind die §§ 156 ff. ZPO zur Rechtshilfe entsprechend anwendbar.133) Die Vorschriften werden jedoch im Restrukturierungsverfahren nur eine untergeordnete Rolle spielen, da ortsferne Anhörungen zumeist nicht erforderlich sein werden. Termine können ebenso wie im Insolvenzverfahren nur vom örtlich zuständigen Gericht durchgeführt werden.134)

111

Ferner sind die Vorschriften zu sitzungspolizeilichen Maßnahmen gemäß §§ 169 ff. GVG entsprechend anzuwenden.

112

Die Gerichtssprache ist gemäß § 184 GVG deutsch. Sind ausländische Beteiligte anwesend, so muss für diese gemäß § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG ein Dolmetscher herangezogen werden. Nach den Regelungen des GVG ist es nicht möglich, die Verhandlung in einer anderen Sprache zu führen (z. B. auf Englisch). Dies gilt selbst dann, wenn sämtliche Verfahrensbeteiligte und das Gericht der Sprache mächtig sind. § 185 Abs. 2 GVG bietet in diesen Fällen nur die Möglichkeit, auf einen Dolmetscher zu verzichten. Kommen sämtliche Beteiligte darüber überein, kann die mündliche Verhandlung auf Englisch geführt werden.135) Die Schriftsätze sind aber weiterhin in deutscher Sprache zu verfassen.136) Durch die Auswahlmöglichkeit der Planbetroffenen könnte sich für Verhandlungen auf Englisch ein Bedürfnis bei den Restrukturierungsverfahren ergeben.

113

_____________ 131) So auch Blankenburg/Godzierz, ZInsO 2020, 1285, 1289 f.; Preuß, ZIP 2020, 1533, 1534; a. A. Eckert/Ippen, ZInsO 2020, 1105, 1107; Pleister/Palenker, ZRI 2020, 245, 248 f. (§ 128a InsO). 132) Soweit Windau vorschlägt, dass alle Beteiligten auf eine Anwesenheit verzichten, ist dies im Restrukturierungsverfahren kaum umsetzbar, wenn mehr als eine Handvoll Betroffene vorhanden sind (Windau, NJW 2020, 2753, 2754 und Windau, AnwBl. 2021, 26, 27). 133) OLG Köln, Beschl. v. 6.9.1999 – 2 W 163/99, ZIP 1999, 1604. 134) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 92. 135) Zu den bisherigen Modellversuchen Köhler/Hudetz, BB 2020, 2179, 2183 f.; krit. dazu wegen der fehlenden Sprachkompetenz der Gericht Sturm/Schulz, ZRP 2019, 71, 72; ausführlich zur Zulässigkeit der Verhandlung in fremder Sprache Meier, WM 2018, 1827 ff. 136) Meier, WM 2018, 1827, 1828; Köhler/Hudetz, BB 2020, 2179, 2184.

Blankenburg

577

§ 39

Verfahrensgrundsätze

§ 39 Verfahrensgrundsätze Blankenburg

(1) 1Das Restrukturierungsgericht hat von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln, die für das Verfahren in der Restrukturierungssache von Bedeutung sind, soweit in diesem Gesetz nichts Abweichendes bestimmt ist. 2Es kann zu diesem Zweck insbesondere Zeugen und Sachverständige vernehmen. (2) Der Schuldner hat dem Restrukturierungsgericht die Auskünfte zu erteilen, die zur Entscheidung über seine Anträge erforderlich sind, und es auch sonst bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. (3) 1Die Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts können ohne mündliche Verhandlung ergehen. 2Findet eine mündliche Verhandlung statt, so ist § 227 Absatz 3 Satz 1 der Zivilprozessordnung nicht anzuwenden. Literatur: Blankenburg, Hinzuziehung von Hilfspersonen im Eröffnungsverfahren, ZInsO 2018, 73; Deppenkemper, Ziel erreicht? Außergerichtliche Sanierung bereits ab 1.1.2021!, ZIP 2020, 2432; Frind, Probleme bei der Bestellung und Verwendung des Restrukturierungsbeauftragten aus gerichtlicher Sicht, ZRI 2021, 397; Jacobi/Böhme, Amtsermittlung durch Gutachter, ZInsO 2019, 1357; Vallender, Die Amtsermittlungspflicht nach dem StaRUG, ZRI 2021, 165. Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 3 III. Amtsermittlungsgrundsatz (Abs. 1) .................................................. 4 1. Inhalt der Amtsermittlung ................... 4 2. Durchführung der Amtsermittlung ..... 8 3. Bestellung von Sachverständigen ......... 9 a) Verhältnis zu § 73 Abs. 3 ............. 10 b) Auswahl des Sachverständigen .... 13 c) Bestellungsentscheidung ............. 14 d) Rechtsstellung .............................. 15 e) Gutachterstellung ........................ 17 f) Vergütung ..................................... 18 g) Haftung ........................................ 20 4. Anhörung von Zeugen ........................ 21 a) Beweisbeschluss/Zeugenladung ... 22

I. 1

b) Pflicht zum Erscheinen ................ 25 c) Aussageverpflichtung; Zeugnisverweigerungsrechte ............... 26 d) Zeugenbeeidigung ........................ 27 e) Zeugenentschädigung .................. 28 5. Sonstige Ermittlungsmöglichkeiten .................................................... 29 6. Rechtsmittel ......................................... 30 IV. Auskunfts- und Mitwirkungspflichten (Abs. 2) ............................... 31 V. Mündliche Verhandlungen (Abs. 3) ................................................ 38 1. Allgemeines ......................................... 38 2. Entscheidungen des Gerichts ............. 39 3. Anordnung der mündlichen Verhandlung ........................................ 40

Normzweck

Die Norm trifft in § 39 Abs. 1 eine wichtige Grundentscheidung für das Restrukturierungsverfahren. Obwohl es sich um ein schuldnerzentriertes Verfahren handelt, bei dem gerichtliche Handlungen grundsätzlich nur auf Antrag ausgelöst werden, wird dennoch der Amtsermittlungsgrundsatz implementiert und nicht der im Zivilprozess geltende Beibringungsgrundsatz. Der Amtsermittlungsgrundsatz wird in § 39 Abs. 2 durch eine umfassende Auskunfts- und Mitwirkungspflicht des Schuldners ergänzt, die § 97 Abs. 1 und Abs. 2 InsO ähnelt. Die Norm ist entsprechend bei der Sanierungsmoderation anzuwenden, wird dort aber nur untergeordnete Bedeutung haben.1) _____________ 1)

578

So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 39 Rz. 2.

Blankenburg

§ 39

Verfahrensgrundsätze

Der Beschleunigung dient § 39 Abs. 3 Satz 1, wonach Entscheidungen grundsätzlich ohne mündliche Verhandlung stattfinden können. Dieser Grundsatz wird allerdings an mehreren Stellen durchbrochen, da insbesondere die Vorprüfung und die Planbestätigung mündliche Verhandlungen als obligatorisch voraussetzen. Reine Anwendung findet der Grundsatz prinzipiell nur bei dem Erlass von Stabilisierungsanordnungen.

2

II. Normhistorie Die Norm ist nicht Ausfluss der Restrukturierungsrichtlinie2), da sie allein der Ausgestaltung des nationalen Verfahrensrechts dient. Sie ist im Gesetzgebungsverfahren zwar unangetastet geblieben, wechselte jedoch die Nummerierung. Im RefE3) war die Norm als § 39, im RegE4) dann als § 41 bezeichnet worden. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses5) hat die Norm die endgültige Nummerierung erhalten. Die Norm ist an § 5 Abs. 1 und Abs. 3 InsO sowie an § 20 Abs. 1 Satz 1 InsO orientiert. Insoweit können die Erkenntnisse dazu zur Auslegung herangezogen werden.

3

III. Amtsermittlungsgrundsatz (Abs. 1) 1.

Inhalt der Amtsermittlung

Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 hat das Restrukturierungsgericht grundsätzlich sämtliche Umstände, die für seine Entscheidungen relevant sind, von Amts wegen zu ermitteln.6) Abweichungen davon können sich aus dem StaRUG selbst ergeben. Eine Ermittlung von Amts wegen bedeutet, dass das Gericht nicht zulasten einer Partei entscheiden kann, wenn diese nicht hinreichend für das eigene Vorbringen vorträgt.7) Es wird keine Entscheidung nach der Darlegungslast getroffen. Vielmehr muss das Gericht selbst versuchen, aus den ihm zustehenden Erkenntnisquellen die Informationen zu gewinnen. Aufgrund des Umstandes, dass die meisten Anordnungen des Gerichts einen Antrag voraussetzen, denen zumeist gewisse Unterlagen und Erklärungen beizufügen sind, geht der Amtsermittlungsgrundsatz im Restrukturierungsverfahren nicht so weit, wie bspw. im Strafrecht oder auch im Insolvenzrecht.8) Der Amtsermittlungsgrundsatz bedeutet daher keine grundsätzliche Ermittlung von Amts wegen (Offi_____________ 2)

3) 4) 5) 6) 7) 8)

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. Krit. dazu Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2436. Ausführlich zu den theoretischen Grundlagen Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, § 5 Rz. 37 ff. Dazu Uhlenbruck-Pape, InsO, § 5 Rz. 1; nach Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2437, ist fraglich, warum bei einem weitgehend privatautonomen Verfahren überhaupt die Amtsermittlungspflicht eingreift.

Blankenburg

579

4

5

§ 39

Verfahrensgrundsätze

zialmaxime), vielmehr ist das Gericht lediglich nicht an den übereinstimmenden Vortrag der Verfahrensbeteiligten gebunden.9) Die Ermittlungspflicht von Amts wegen setzt nur dann ein, wenn der Verfahrensstand Anlass für Ermittlungen bietet.10) Bei der Frage, wann Ermittlungen erforderlich sind, hat das Gericht einen gewissen Beurteilungsspielraum.11) Das Gericht ist nicht verpflichtet, ohne jeden konkreten Anhaltspunkt „ins Blaue hinein“ Ermittlungen anzustellen, sondern nur dann, wenn es aufgrund gerichtsbekannter Umstände oder aufgrund der Angaben der Verfahrensbeteiligten, insbesondere des Antragstellers, hierzu veranlasst wird.12) 6

Die Amtsermittlungspflicht beginnt erst dann, wenn eine zulässige Anzeige bzw. im weiteren Verfahrensverlauf zulässiger Antrag vorliegt. Erst ab diesem Zeitpunkt ist das Gericht verpflichtet, die weiteren Umstände für die Anordnung von Amts wegen zu klären.13) Wie im Insolvenzverfahren gilt der Grundsatz, dass das Restrukturierungsgericht nicht tätig werden muss, wenn die Anträge mangels ordnungsgemäßer Darlegung der Anordnungsvoraussetzungen nicht zulässig sind.14) Zur Ermittlung der örtlichen Zuständigkeit siehe § 35 Rz. 15. Liegt dem Grunde nach ein zulässiger Antrag vor, beurteilt sich der Umfang der Amtsermittlungspflicht nach dem materiell anwendbaren Recht. Ohne Antrag ist das Gericht lediglich verpflichtet zu prüfen, ob ein Restrukturierungsbeauftragter oder ein Gläubigerbeirat einzusetzen ist, ob gegen diese Aufsichtsmaßnahmen (z. B. Entlassung) einzuleiten sind und ob das Verfahren gemäß § 33 aufgehoben werden muss. Darüber hinaus greift die Amtsermittlungspflicht erst dann ein, wenn ein zulässiger Antrag auf ein Instrument gemäß § 29 Abs. 1 vorliegt.

7

Besondere Probleme bereitet die Anwendung des Amtsermittlungsgrundsatzes, wenn das Gesetz Entscheidungen des Gerichts davon abhängig macht, dass bestimmte Umstände bekannt sind. Entsprechende Regelungen finden sich in §§ 33 Abs. 2, 51 Abs. 1 und 2, 59 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2, 63 Abs. 2. In diesen Fällen ist dann kein proaktives Ermitteln der Umstände erforderlich. Lediglich wenn bestimmte Umstände bekannt werden, hat das Gericht weitere Ermittlungen anzustellen, um die Voraussetzungen für die Entscheidungen herauszuarbeiten. Dies gilt insbesondere für die Prüfung der Aufhebung des Verfahrens.15) 2.

8

Durchführung der Amtsermittlung

Art und Umfang der Ermittlungen stehen im Ermessen des Gerichts.16) Dem Gericht stehen für die Amtsermittlungen sämtliche Beweismittel im Wege des Freibeweises _____________ 9) 10) 11) 12) 13)

14) 15) 16)

580

BGH, Beschl. v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, Rz. 10, ZInsO 2012, 143, 144. BGH, Beschl. v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, Rz. 11, ZInsO 2012, 143, 144. So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 39 Rz. 19. BGH, Beschl. v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, Rz. 11, ZInsO 2012, 143, 144; so auch zu § 39 Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 39 Rz. 17. Dazu BGH, Beschl. v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, Rz. 12, ZInsO 2012, 143, 144; so auch Uhlenbruck-Pape, InsO, § 5 Rz. 1; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 5 Rz. 13; Madaus in: BeckOK-InsO, § 5 Rz. 2. BGH, Beschl. v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, Rz. 11, ZInsO 2012, 143, 144; UhlenbruckPape, InsO, § 5 Rz. 8; Madaus in: BeckOK-InsO, § 5 Rz. 9. Krit. zur Hinweispflicht bzgl. der Antragsunterlagen Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2438. Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 5 Rz. 21.

Blankenburg

§ 39

Verfahrensgrundsätze

zur Verfügung.17) Amtsermittlungsmaßnahmen können vom Gericht formlos angeordnet werden. Ein förmlicher Beweisbeschluss muss nicht ergeben.18) Besonderheiten gelten indes bei der Bestellung von Sachverständigen (siehe dazu Rz. 9 ff.) und der Anhörung von Zeugen (siehe Rz. 21 ff.). Vor der Durchführung von Amtsermittlungsmaßnahmen bedarf es keiner Anhörung der Beteiligten.19) So muss weder vor der Bestellung eines Sachverständigen noch der Anordnung von Stabilisierungsmaßnahmen rechtliches Gehör gewährt werden. Nur wenn trotz des Eilcharakters der Maßnahmen eine Anhörung noch rechtzeitig erfolgen könnte, bietet sie sich zur Informationsgewinnung an. 3.

Bestellung von Sachverständigen

Das Restrukturierungsgericht ist gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 berechtigt, Sachverständige zu vernehmen. Ebenso wie im Insolvenzverfahren ist damit nicht nur die Vernehmung, sondern auch die Bestellung gemeint.20)

9

a) Verhältnis zu § 73 Abs. 3 § 39 Abs. 1 Satz 2 steht im Spannungsverhältnis zu § 73 Abs. 3. Danach ist das Restrukturierungsgericht berechtigt, einen Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen, um als Sachverständiger bestimmte Umstände zu prüfen. Als Regelbeispiele nennt die Norm die Prüfung der Bestätigungsvoraussetzungen für den Restrukturierungsplan sowie die Prüfung der Angemessenheit einer Entschädigung bei gruppeninternen Drittsicherheiten. Sowohl das StaRUG selbst als auch die Gesetzesbegründung lassen offen, in welchem Verhältnis die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständigen zu dem originären Sachverständigen steht. Nach der Gesetzesbegründung kann der Restrukturierungsbeauftragte als Sachverständiger zur Unterstützung und Entlastung des Gerichts tätig werden.21) Das Gericht solle befugt sein, einen Beauftragten nur deshalb zu bestellen, damit dieser Prüfungen als Sachverständiger vornimmt.22) Die Unterscheidung zwischen den beiden Varianten ist deshalb relevant, weil der originäre Sachverständige nach § 9 Abs. 4 JVEG lediglich einen Stundensatz von 120 €, der Restrukturierungsbeauftragte von maximal 350 € in Anspruch nehmen kann.

10

Aufgrund der Wertungsentscheidung des Gesetzgebers, den Restrukturierungsbeauftragten auch allein zur Gutachtenerstellung bestellen zu können, kann geschlossen werden, dass hinsichtlich der Sachverständigentätigkeit grundsätzlich eine Bestellung als Restrukturierungsbeauftragter erfolgen kann. Die Einsetzung eines Restrukturierungsbeauftragten ist allerdings nur dann möglich, wenn auch eine zulässige Anzeige vorliegt. Geht es daher um die Ermittlung der Zulässigkeit der Anzeige, insbesondere hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit, ist kein Restrukturierungs_____________

11

17) Pannen/Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 39 Rz. 11; für die InsO Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 5 Rz. 51; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 5 InsO Rz. 26. 18) Pannen/Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 39 Rz. 14; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 5 Rz. 5; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 5 Rz. 51. 19) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 5 Rz. 51. 20) So auch Pannen/Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 39 Rz. 31. 21) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 143. 22) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 143.

Blankenburg

581

§ 39

Verfahrensgrundsätze

beauftragter, sondern ein Sachverständiger einzusetzen.23) Das Verhältnis ist damit ähnlich wie in der Insolvenzordnung. Liegt kein zulässiger Antrag vor, wird in der Regel nur ein Sachverständiger eingesetzt. Ist hingegen ein zulässiger Antrag gegeben und besteht ein Sicherungsbedürfnis, erfolgt die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, der dann zusätzlich als Sachverständiger beauftragt wird. 12

Hinsichtlich der sonstigen verfahrensrechtlichen Fragen wird dann in der Regel ein Restrukturierungsbeauftragter als Sachverständiger einzusetzen sein. Lediglich wenn es nicht um Fragen zu Erreichung des Sanierungsziels geht, sondern um rein verfahrensrechtliche Fragen (z. B. Ermittlung des Entlassungsgrundes für Restrukturierungsbeauftragten oder bei einem Mitglied des Gläubigerbeirates) kommt eine singuläre Einsetzung eines Sachverständigen im weiteren Verfahren in Betracht. b) Auswahl des Sachverständigen

13

Die Auswahl des Sachverständigen steht im freien Ermessen des Gerichts. § 404 ZPO greift insoweit nicht ein, da es sich nicht um einen Zweiparteienprozess handelt. Das Gericht hat diejenige Person auszuwählen, die es am geeignetsten für die Erstellung des Gutachtens hält. Die Person muss sich nicht auf der Liste der Personen befinden, die sich zum Restrukturierungsbeauftragten bestellen lassen wollen. So ist auch die Bestellung von Personen aus der Wissenschaft durchaus denkbar. Greift § 407 Abs. 1 ZPO nicht ein, kann der Sachverständige den Gutachtenauftrag ablehnen. Die Aufnahme auf die Vorauswahlliste für Restrukturierungsbeauftragte kann weder mit der öffentlichen Bestellung gleichgestellt werden noch ist diese als antizipierte Zustimmung gemäß § 407 Abs. 2 ZPO anzusehen. c) Bestellungsentscheidung

14

Die Bestellung des Sachverständigen erfolgt durch Beschluss. Dieser hat die Aufgaben für den Sachverständigen genau zu bezeichnen (§ 40 StaRUG i. V. m. § 403 ZPO). Der Sachverständige dient in der Regel nur zur Ermittlung der Tatsachengrundlagen. Die Subsumtion des ermittelten Vortrags unter die Normen des StaRUG obliegt dem Gericht.24) Gegen den Beschluss zur Bestellung als Sachverständiger ist kein Rechtsmittel gegeben.25) d) Rechtsstellung

15

Die Rechtsstellung des Sachverständigen bestimmt sich grundsätzlich nach § 40 StaRUG i. V. m. § 402 ZPO. Dabei ist allerdings jeweils zu beachten, dass es sich nicht um einen Parteienprozess handelt, so dass insbesondere die Mitwirkungsrechte der Parteien keine Anwendung finden. Der Sachverständige kann wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden (§ 406 ZPO); siehe dazu ausführlich § 38 Rz. 21. Der Sachverständige hat das Gutachten persönlich zu erstellen (§ 407a Abs. 3 Satz 1 ZPO), er kann jedoch Hilfskräfte zur Erstellung hinzuziehen.26) _____________ 23) 24) 25) 26)

582

So auch Frind, ZRI 2021, 397. Noch weitergehend Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 39 Rz. 21. So auch für § 5 InsO Uhlenbruck-Pape, InsO, § 5 Rz. 12. Dazu umfassend Blankenburg, ZInsO 2018, 73 ff.

Blankenburg

§ 39

Verfahrensgrundsätze

Der Sachverständige hat die ihm vom Gericht zur Verfügung gestellten Tatsachengrundlagen seiner Begutachtung zugrunde zu legen. Er kann zwar selbständig weitere Auskünfte einholen. Auskunfts- und Mitwirkungsrechte des Schuldners bestehen aber nur gegenüber dem Gericht. Er kann insbesondere nicht durch das Gericht bevollmächtigt werden, Dritte von ihrer Schweigepflicht zu entbinden oder sonstigen Zwang zur Auskunftserteilung einzusetzen.27) Werden dem Sachverständigen freiwillig keine Auskünfte erteilt, hat er die Unterstützung des Restrukturierungsgerichts in Anspruch zu nehmen, das dann die erforderlichen Tatsachen einholen muss.28)

16

e) Gutachterstellung Der Sachverständige ist verpflichtet, sein Gutachten schriftlich zu erstellen (§ 38 StaRUG i. V. m. § 411 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Inhaltlich bestehen keine gesetzlichen Vorgaben.29) Erforderlich ist lediglich, dass das Gutachten für das Gericht und die Beteiligten des Verfahrens nachvollziehbar ist. Der Sachverständige hat daher die dem Gutachten zugrundeliegenden Tatsachen sowie die wissenschaftlichen Standards, die seinen Schlussfolgerungen zugrunde liegen, anzugeben. Da die Erstellung für das Gericht erfolgt, hat der Sachverständige davon auszugehen, dass dem Gericht die allgemeinen Verfahrensvorschriften bekannt sind, so dass es keiner langatmigen allgemeinen Rechtsausführungen bedarf. f)

17

Vergütung

Erfolgt eine Bestellung als Restrukturierungsbeauftragter, um ein Sachverständigengutachten zu erstellen, richtet sich die Vergütung nach § 81. Erfolgt hingegen eine isolierte Bestellung als Sachverständiger, ist die Vergütung nach dem JVEG zu bemessen. Seit dem 1.1.2021 findet sich im JVEG in § 9 Abs. 4 Satz 1 eine explizite Bestimmung über die Höhe der Stundensatzvergütung von Sachverständigen im Insolvenzverfahren.30) Die Regelung bezieht sich allerdings nicht auf die Bestellung i. R. des StaRUG. Aufgrund der ähnlichen Struktur der Verfahren und teils ähnlichen Aufgaben sollte die Regelung jedoch auch auf das StaRUG entsprechend übertragen werden, so dass der Stundensatz grundsätzlich mit 120 € anzusetzen ist.31) Darüber hinaus können noch Fahrtkosten (§ 5 JVEG), besondere Aufwendungen (§ 12 JVEG) und sonstige Aufwendungen ersetzt verlangt werden.

18

Vor der Einsetzung eines Sachverständigen können gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 GKG die Kosten per Vorschuss vom Schuldner eingefordert werden. Die Ermittlungen im Wege des Amtsermittlungsgrundsatzes dürfen davon allerdings nicht abhängig gemacht werden.32)

19

_____________ 27) AG Hannover, Beschl. v. 21.1.2015 – 909 IN 672/14, ZInsO 2015, 418; dazu ausführlich Jacobi/Böhme, ZInsO 2019, 1357 ff. 28) Zu Auskunftspflichten gegenüber Kreditinstituten ausführlich Uhlenbruck-Pape, InsO, § 5 Rz. 15. 29) Uhlenbruck-Pape, InsO, § 5 Rz. 16. 30) Damit wird die wesentliche Streitfrage der Höhe der Vergütung für das Bundesgebiet einheitlich geregelt (zum vorherigen Streitstand Uhlenbruck-Pape, InsO, § 5 Rz. 18). 31) So wohl auch Frind, ZRI 2021, 397. 32) So zu § 5 InsO Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 5 InsO Rz. 33; Schmerbach in: FK-InsO, § 5 Rz. 34.

Blankenburg

583

§ 39

Verfahrensgrundsätze

g) Haftung 20

Die Haftung der gerichtlich bestellten Sachverständigen ist in § 839a ZPO geregelt. Sie ist auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit begrenzt. 4.

21

Anhörung von Zeugen

Das Gericht ist gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 befugt, Zeugen zu vernehmen. Da es sich um ein schuldnerautonomes Verfahren handelt, wird der Anwendungsbereich gering bleiben. Denkbar ist die Vernehmung von Zeugen allerdings i. R. der Prüfung der örtlichen Zuständigkeit, der Festsetzung der Forderungshöhe sowie des Ablaufs der außergerichtlichen Planabstimmung. Auf die Zeugenvernehmung finden die §§ 373 ff. ZPO über § 38 StaRUG entsprechend Anwendung.33) a) Beweisbeschluss/Zeugenladung

22

Für die Zeugenvernehmung ist grundsätzlich kein Beweisbeschluss erforderlich, da dies § 358 ZPO nur bei einem besonderen Verfahren voraussetzt.34) Die Beweisaufnahme wird daher in der Regel durch die Ladung des Zeugen initialisiert. Bei präsenten Zeugen bedarf es keiner förmlichen Anordnung der Vernehmung.

23

Soll ein nicht präsenter Zeuge vernommen werden, ist er gemäß § 377 ZPO zu laden. Dazu bedarf es insbesondere der Angaben des Vernehmungsgegenstandes (§ 377 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und der Belehrung über die Folgen des Ausbleibens im Termin. Es genügt die summarische Bezeichnung des Sachverhalts, soweit das erforderlich ist, um dem Zeugen eine Vorbereitung der Aussage zu ermöglichen.35) Genau präzisierte Beweisfragen müssen nicht vorab mitgeteilt werden. Sie sollten vielmehr vermieden werden, um die Zeugen nicht in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen.36)

24

Die Ladung kann gemäß § 377 Abs. 1 Satz 2 ZPO formlos erfolgen. Sie kann durch Schreiben, Fax oder elektronisch37) übermittelt werden. Kommt es auf das Erscheinen des Zeugen an, sollte die Ladung zumindest durch Aufgabe per Post oder auch per Zustellungsurkunde zugestellt werden.38) b) Pflicht zum Erscheinen

25

Der Zeuge ist bei ordnungsgemäßer Ladung verpflichtet, zu dem Anhörungstermin zu erscheinen. Liegt keine hinreichende Entschuldigung gemäß § 381 ZPO vor, hat das Gericht gemäß § 380 Abs. 1 ZPO dem Zeugen die Kosten des Termins aufer-

_____________ 33) So auch für den wortgleichen § 5 Abs. 1 Satz 2 InsO Uhlenbruck-Pape, InsO, § 5 Rz. 20. 34) Dazu Zöller-Greger, ZPO, § 358 Rz. 1; so auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 39 Rz. 27; ebenso für § 5 InsO Rüther in: HambKomm-InsO, § 5 Rz. 14. 35) Zöller-Greger, ZPO, § 377 Rz. 2. 36) Zöller-Greger, ZPO, § 377 Rz. 2: nicht die Parteibehauptung „in den Mund gelegen“. 37) Gemeint ist damit die Übermittlung im elektronischen Rechtsverkehr. Nicht zulässig dürfte die Übermittlung per E-Mail sein, da diese Kommunikationsform den Gerichten aufgrund der datenschutzrechtlichen Unzulänglichkeiten untersagt ist (a. A. § 377 ZPO Zöller-Greger, ZPO, § 377 Rz. 1a.). 38) Damrau/Weinland in: MünchKomm-ZPO, § 377 Rz. 3; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 377 Rz. 2.

584

Blankenburg

§ 39

Verfahrensgrundsätze

legen und ein Ordnungsgeld anordnen.39) Zudem kann gemäß § 388 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO auch eine zwangsweise Vorführung angeordnet werden. Das Ordnungsgeld muss in der Spanne zwischen 5 € und 1.000 € liegen.40) Vom Ordnungsgeld ist auch dann nicht abzusehen, wenn die Vernehmung des Zeugen entgegen der ursprünglichen Einschätzung des Gerichts doch nicht erforderlich war.41) c) Aussageverpflichtung; Zeugnisverweigerungsrechte Die Auskunftspflicht gemäß § 97 Abs. 1 i. V. m. § 101 InsO für Angestellte des Schuldners findet in Restrukturierungssachen keine Anwendung, da insoweit ein Verweis im StaRUG fehlt. Dennoch sind Zeugen gemäß § 390 Abs. 1 ZPO zur Aussage verpflichtet. Die Regelungen zum Zeugnisverweigerungsrecht gemäß §§ 383 ff. ZPO gelten entsprechend. Anders als im Insolvenzverfahren der Insolvenzverwalter kann der Restrukturierungsbeauftragter die Zeugen nicht von einer Verschwiegenheitspflicht entbinden.42) Dies obliegt allein dem Schuldner. Dazu ist er gemäß § 39 Abs. 2 grundsätzlich verpflichtet.43)

26

d) Zeugenbeeidigung Sieht das Gericht es mit Rücksicht auf die Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage für geboten an, kann es die Zeugen auch gemäß § 391 ZPO vereidigen. Der Zeuge muss gemäß § 392 Satz 1 ZPO unter Eid schwören, dass er nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe. Dazu sollte er gefragt werden, ob die Aussage nochmals vorgelesen werden soll. Vor dem Eid ist der Zeuge gemäß § 480 ZPO zu belehren. Die Eidesformel ergibt sich aus § 481 ZPO bzw. aus § 484 ZPO. Der Zeuge soll gemäß § 481 Abs. 4 ZPO beim Eid die Hand heben.

27

e) Zeugenentschädigung Erschienene Zeugen sind gemäß § 19 JVEG zu entschädigen. 5.

28

Sonstige Ermittlungsmöglichkeiten

Das Gericht kann bei Behörden und privaten Personen Auskünfte einholen. Es kann sich sämtlicher Registerauszüge bedienen sowie ggf. Akten beiziehen.44) 6.

29

Rechtsmittel

Weder gegen die Anordnung noch gegen die Ablehnung von Ermittlungen ist ein Rechtsmittel gegeben.45) _____________ 39) Die Anordnung steht nicht im Ermessen des Gerichts (Zöller-Greger, ZPO, § 380 Rz. 4; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 380 Rz. 3; a. A. Damrau/Weinland in: MünchKomm-ZPO, § 380 Rz. 7). 40) Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 380 Rn. 3. 41) OLG Celle, Beschl. v. 19.2.2016 – 8 W 15/16, MDR 2016, 547; a. A. OLG Hamm, Beschl. v. 10.8.2012 – I-20 W 27/12, NJW-RR 2013, 384. 42) Zur Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht durch den Insolvenzverwalter UhlenbruckPape, InsO, § 5 Rz. 20; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 5 Rz. 29 ff. 43) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 39 Rz. 27. 44) Zu § 5 InsO Rüther in: HambKomm-InsO, § 5 Rz. 25. 45) BGH, Beschl. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, ZIP 2004, 915; BGH, Beschl. v. 14.7.2011 – IX ZB 207/10, Rz. 6, ZInsO 2011, 1499; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 5 Rz. 61.

Blankenburg

585

30

§ 39

Verfahrensgrundsätze

IV. Auskunfts- und Mitwirkungspflichten (Abs. 2) 31

In § 39 Abs. 2 ist die Auskunfts- und Mitwirkungspflicht des Schuldners im Verfahren verankert. Die Norm entspricht dem Wortlaut nach § 20 Abs. 1 Satz 1 InsO. Die Verpflichtung ist i. R. des Amtsermittlungsgrundsatzes zu sehen. Das Gericht soll durch Nachfragen beim Schuldner die Möglichkeit erhalten, schnell die Ermittlungen vorzunehmen. Da es sich anders als beim Insolvenzverfahren beim Restrukturierungsverfahren um ein freiwilliges, vom Schuldner initialisiertes Verfahren handelt, mutet eine Auskunftsverpflichtung systemfremd an. Anders als im Insolvenzverfahren hat der Schuldner ein valides Interesse an einem erfolgreichen Abschluss der Restrukturierungssache. Wirkt er dann nicht hinreichend mit, kann die Konsequenz nur die Aufhebung des Verfahrens sein. Eine zwangsweise Durchsetzung der Auskunftspflicht wie im Insolvenzverfahren ist weder geboten noch rechtlich möglich, da ein entsprechender Verweis auf die Zwangsnormen wie in § 20 Abs. 1 Satz 2 InsO fehlt. Die Norm steht zudem im Spannungsverhältnis zu § 32 Abs. 2 – 4, wonach umfassende Anzeigepflichten des Schuldners bestehen, wenn sich die dem Verfahren zugrundeliegenden Umstände ändern. Die Verletzung dieser Pflicht ist gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 3 sanktioniert.

32

Auskunftspflichtig ist der Schuldner als natürliche Person bzw. bei juristischen Personen und Personenmehrheiten die Vertretungsorgane. Bei mehreren vertretungsberechtigten Personen ist jeder für sich zur Auskunft verpflichtet, auch wenn nur eine Gesamtvertretungsbefugnis besteht.46) Da ein Verweis auf § 101 InsO fehlt, sind weder die persönlich haftenden Gesellschafter noch ehemalige Organmitglieder oder Angestellte gegenüber dem Restrukturierungsgericht zur Auskunft und Mitwirkung verpflichtet.47) Diese Personen können nur als Zeugen vernommen werden.

33

Die Auskunftspflicht ist höchstpersönlich zu erfüllen. Auskunftsverlangen sind daher an den Schuldner zu richten, auch wenn dieser im Verfahren durch einen Bevollmächtigten vertreten ist.48) Die Auskunftspflicht besteht grundsätzlich gegenüber dem Restrukturierungsgericht. Gemäß § 76 Abs. 5 ist jedoch auch der von Amts wegen eingesetzte Restrukturierungsbeauftragten berechtigt, von dem Schuldner Auskünfte einzufordern. Der Restrukturierungsbeauftragten, der auf Antrag eingesetzt wird, kann gemäß § 77 Abs. 2 entsprechend ermächtigt werden. Der Schuldner kann mündlich oder schriftlich angehört werden. Aufgrund des auch das Restrukturierungsverfahren beherrschenden Beschleunigungsverbots können dazu auch sehr kurze Fristen (innerhalb von 24 Stunden) gesetzt werden, soweit die Erfüllung der Pflicht innerhalb der Frist möglich ist.49)

34

Der Inhalt der Auskunftspflicht ist in § 39 Abs. 2 nicht präzisiert. Da die Norm ihrem Inhalt § 20 Abs. 1 Satz 1 InsO entspricht, kann insoweit auf die Ausgestaltung der Auskunftspflicht im Insolvenzverfahren Bezug genommen werden. Auskunft kann _____________ 46) Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 39 Rz. 39; so auch zu § 20 InsO Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 20 Rz. 12. 47) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 39 Rz. 39. 48) Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 20 Rz. 17; Schmerbach in: FK-InsO, § 20 Rz. 20; Ahrens/ Gehrlein/Ringstmeier-Sander/Reichelt, InsR, § 20 InsO Rz. 5. 49) Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 20 Rz. 20; ähnlich Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 39 Rz. 45.

586

Blankenburg

§ 39

Verfahrensgrundsätze

über alle rechtlichen, wirtschaftlichen und tatsächlichen Verhältnisse, die für das Restrukturierungsverfahren in irgendeiner Weise von Bedeutung sein können.50) Da allerdings nicht auf § 97 Abs. 1 Satz 2 InsO Bezug genommen wird, ist der Schuldner nicht verpflichtet, Umstände offenzulegen, die die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen.51) Unklar ist, ob der Schuldner ebenso wie im Insolvenzverfahren aufgrund von § 39 Abs. 2 verpflichtet ist, eigeninitiativ Auskunft zu erteilen. Gemäß §§ 20, 97 InsO muss der Schuldner die betroffenen Umstände von sich aus, ohne besondere Nachfrage, offenlegen, soweit sie offensichtlich für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sein können und nicht klar zu Tage liegen.52) Für das Restrukturierungsverfahren ergibt sich eine solche Verpflichtung bereits aus § 32 Abs. 2 Satz 1. Die Verletzung dieser Pflicht für ggfs. zur Aufhebung gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3. Insoweit ist es nicht erforderlich, eine gleiche oder ähnliche Pflicht aus § 39 Abs. 2 abzuleiten.53) Sowohl das Restrukturierungsgericht als auch der Restrukturierungsbeauftragte sind berechtigt, vom Schuldner die erforderlichen Unterlagen zu erfordern. Vorzulegen sind sämtliche Unterlagen, die für die Prüfung der vom Gericht bzw. dem Sachverständigen zu prüfenden Umstände benötigt werden.

35

Die Mitwirkungspflichten im Restrukturierungsverfahren beschränken sich auf die Beibringung von Unterlagen. Anders als im Insolvenzverfahren ist der Schuldner nicht zu einer Präsenz verpflichtet.54) Gleiches gilt für die Entbindung von Schweigepflichten.55)

36

Kommt der Schuldner seinen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nicht nach, kann das Restrukturierungsgericht, anders als das Insolvenzgericht, die Durchsetzung nicht mit Zwangsmitteln erzwingen.56) Vielmehr wirkt sich die Verletzung der Pflicht nur dahin aus, dass beantragte Maßnahmen nicht zu erlassen sind bzw. von einer Erfolglosigkeit der Restrukturierung ausgegangen werden kann, so dass eine Aufhebung der Restrukturierungssache gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 2 in Betracht kommt.

37

V. Mündliche Verhandlungen (Abs. 3) 1.

Allgemeines

§ 39 Abs. 3 bricht mit dem im Zivilprozess herrschenden Grundsatz der Mündlichkeit.57) Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts können zur Beschleunigung des Verfahrens grundsätzlich ohne mündliche Verhandlung ergehen. Dieser Verzicht auf die Mündlichkeit ist bereits aus § 5 Abs. 3 InsO bekannt. Die Norm wurde schlicht _____________ 50) BGH, Beschl. v. 11.2.2010 – IX ZB 126/08, Rz. 5, ZInsO 2010, 477; BGH, Beschl. v. 5.3.2015 – IX ZB 62/14, Rz. 11, ZInsO 2015, 740, 741. 51) Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 39 Rz. 43; a. A. wohl Braun-Baumert, StaRUG, § 39 Rz. 3. 52) Zuletzt BGH, Beschl. v. 5.3.2015 – IX ZB 62/14, Rz. 11, ZInsO 2015, 740, 741 m. w. N. 53) A. A. Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 39 Rz. 42; wohl auch Braun-Baumert, StaRUG, § 39 Rz. 2. 54) Zur Präsenzpflicht gemäß § 20 InsO s. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 20 Rz. 24. 55) Dazu Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 20 Rz. 25; Schmerbach in: FK-InsO, § 20 Rz. 13. 56) Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 39 Rz. 40. 57) Dazu Uhlenbruck-Pape, InsO, § 5 Rz. 29.

Blankenburg

587

38

§ 40

Rechtsmittel

auf das Restrukturierungsverfahren übertragen, passt jedoch nur bedingt in die Gesetzessystematik. Die Hauptentscheidungen des Gerichts werden nach mündlichen Terminen getroffen, die vom Gesetz zwingend vorgegeben sind (§§ 45 Abs. 1, 46 Abs. 1, 48 Abs. 2, 61). Da diese Termine gesetzlich vorgesehen sind, kann auf sie nicht verzichtet werden. Außerhalb dieser verpflichtenden Termine ist das Gericht grundsätzlich frei, ob es eine mündliche Verhandlung anberaumt. Aufgrund des das Restrukturierungsverfahren prägenden Beschleunigungsgebots wird aber zumeist auf eine mündliche Verhandlung zu verzichten sein, insbesondere bei dem Erlass von Stabilisierungsanordnungen und der Zurückweisung von gestellten Anträgen. 2. 39

3. 40

Entscheidungen des Gerichts

Entscheidungen sind Richtersprüche aller Art, gleichgültig ob sie das Gesamtverfahren oder nur Zwischenfragen (wie z. B. die Zuerkennung oder Versagung eines Stimmrechts, § 77 Abs. 2 Satz 2) betreffen, ob sie einen sachlichen Inhalt oder nur prozessleitenden Charakter haben.58) Anordnung der mündlichen Verhandlung

Die Durchführung eines mündlichen Termins steht im Ermessen des Gerichts.59) Entscheidet es sich für eine mündliche Verhandlung, hat es dazu zu laden. Aus der Ausnahme in § 39 Abs. 3 Satz 2 ergibt sich, dass grundsätzlich die Normen der ZPO zur Terminsbestimmung anwendbar sind, soweit nicht Besonderheiten des StaRUG der Anwendung entgegenstehen. Folglich ist zu den Terminen von Amts wegen zu laden (§ 214 ZPO). Die Ladungsfrist beträgt mindestens drei Tage, da es sich um keinen Anwaltsprozess handelt (§ 217 ZPO). Eine Aufhebung von Terminen ist nur in den engen Ausnahmefällen des § 227 Abs. 1 ZPO möglich. Die erleichterten Aufhebungsvoraussetzungen in den Monaten Juli und August gemäß § 227 Abs. 3 Satz 1 ZPO finden in Restrukturierungsverfahren keine Anwendung (§ 39 Abs. 3 Satz 2). Die aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergehenden Beschlüsse müssen gemäß § 329 Abs. 1 ZPO verkündet werden.60) _____________ 58) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 5 Rz. 66. 59) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 5 Rz. 69; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 5 InsO Rz. 51. 60) Zur Anwendbarkeit im Insolvenzverfahren Uhlenbruck-Pape, InsO, § 5 Rz. 29.

§ 40 Rechtsmittel Blankenburg

(1) 1Die Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. 2Die sofortige Beschwerde ist bei dem Restrukturierungsgericht einzulegen. (2) Die Beschwerdefrist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung.

588

Blankenburg

§ 40

Rechtsmittel

(3) 1Die Entscheidung über die Beschwerde wird erst mit der Rechtskraft wirksam. 2Das Beschwerdegericht kann jedoch die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anordnen. Literatur: Latzel/Streinz, Das richtige Vorabentscheidungsersuchen, NJOZ 2013, 97. Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 3 III. Enumerative Rechtsmittelmöglichkeiten (Abs. 1 Satz 1) ............. 4 1. Rechtsmittelmöglichkeiten des StaRUG ................................................. 4 2. Rechtsmittelmöglichkeiten außerhalb des StaRUG ........................ 11 IV. Beschwerdeverfahren ........................ 15 1. Beschwerdeberechtigung .................... 15 2. Einlegung der Beschwerde (Abs. 1 Satz 2, Abs. 2) ........................ 18 a) Form ............................................. 19 b) Frist ............................................... 22

I.

3. 4. 5.

Abhilfeverfahren ................................. 23 Verfahrensablauf ................................. 25 Wirkung der Beschwerde (Abs. 3) ................................................ 31 V. Rechtsbeschwerde .............................. 34 1. Statthaftigkeit ...................................... 34 a) Zulassungsentscheidung .............. 35 b) Zulassungsgründe ........................ 38 2. Einlegung der Rechtsbeschwerde ....... 41 3. Verfahrensablauf ................................. 45 4. Wirkung ............................................... 50 VI. Exkurs: Vorlage an den EuGH ......... 51 1. Vorlageberechtigung ........................... 52 2. Formalien der Vorlage ........................ 54

Normzweck

Die Norm regelt die Möglichkeit von Rechtsmitteln in den Restrukturierungsverfahren. Auch wenn sie sich im zweiten Teil des StaRUG zum Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen befindet, kann sie auf den dritten Teil zur Sanierungsmoderation übertragen werden.1) Es war nicht vom Gesetzgeber beabsichtigt, die verfahrensrechtlichen Normen nur speziell für den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen zu regeln. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Normen zur gerichtlichen Zuständigkeit bei der Sanierungsmoderation entsprechend gelten müssen, da anderenfalls eine Bestimmung des zuständigen Gerichts nicht möglich wäre.

1

§ 40 entspricht wörtlich bis auf die unterschiedliche Gerichtsbezeichnung § 6 InsO. Daher ist es möglich, unter Berücksichtigung der Besonderheiten des StaRUG, die entsprechenden Erkenntnisse zu § 6 InsO zu übertragen. Ebenso wie diese Norm soll durch § 40 das Verfahren beschleunigt werden, indem das Beschwerderechte nur in beschränkten Ausnahmefällen gewährt wird.2)

2

II. Normhistorie In der Restrukturierungsrichtlinie3) ist in Art. 16 Abs. 1 vorgesehen, dass gegen die Bestätigung oder Ablehnung eines Restrukturierungsplans ein Rechtsmittel eröffnet sein muss. Gemäß Art. 16 Abs. 3 der Restrukturierungsrichtlinie dürfen Rechtsmittel gegen die Bestätigung keine aufschiebende Wirkung haben. Der Gesetzgeber _____________ 1) 2) 3)

Ebenso Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 40 Rz. 4. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 143. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

Blankenburg

589

3

§ 40

Rechtsmittel

hat sich bei der Schaffung der Norm an § 6 InsO orientiert. Die Norm ist im Gesetzgebungsverfahren inhaltlich unangetastet geblieben, wechselte jedoch die Nummerierung. Im RefE4) war die Norm als § 40, im RegE5) dann als § 42 bezeichnet worden. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses6) hat die Norm dann die endgültige Nummerierung erhalten. III. Enumerative Rechtsmittelmöglichkeiten (Abs. 1 Satz 1) 1.

Rechtsmittelmöglichkeiten des StaRUG

4

Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 unterliegen Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen das StaRUG die sofortige Beschwerde vorsieht. Die Regelung stellt eine Abweichung zu § 567 Abs. 1 ZPO dar, der über § 38 grundsätzlich Anwendung finden würde.

5

Die sofortige Beschwerde ist im StaRUG nur in folgenden Normen vorgesehen:

6



Aufhebung der Restrukturierungssache – Schuldner (§ 33 Abs. 4),



Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung – Schuldner (§ 51 Abs. 5 Satz 1);



Planbestätigung – jeder Planbetroffene (§ 66 Abs. 1 Satz 1);



Ablehnung der Planbestätigung – Schuldner (§ 66 Abs. 1 Satz 2);



Entlassung des Restrukturierungsbeauftragten – Restrukturierungsbeauftragter (§ 75 Abs. 3 Satz 1); zu Rechtsmitteln bei der Auswahl des Restrukturierungsbeauftragten siehe § 74 Rz. 108 ff.;



Ablehnung der Entlassung des Restrukturierungsbeauftragten – Antragsteller (§ 75 Abs. 3 Satz 1);



Festsetzung des Stundensatzes – Restrukturierungsbeauftragter/Kostenschuldner (§ 82 Abs. 3 Alt. 1) – entsprechendes gilt gemäß § 98 Abs. 2 für die Sanierungsmoderation;



Bestimmung oder Anpassung des Höchstbetrags – Restrukturierungsbeauftragter/Kostenschuldner (§ 82 Abs. 3 Alt. 2) – entsprechendes gilt gemäß § 98 Abs. 2 für die Sanierungsmoderation;



Festsetzung der Vergütung – Restrukturierungsbeauftragter/Kostenschuldner (§ 82 Abs. 3 Alt. 3) – entsprechendes gilt gemäß § 98 Abs. 2 für die Sanierungsmoderation.

Durch die Beschränkung auf wenige Fälle erreicht der Gesetzgeber grundsätzlich eine höhere Beschleunigung des Verfahrens, da zeitaufwendige Rechtsmittelverfahren vermieden werden. Andererseits erhöht dies auch die Verantwortlichkeit des Restrukturierungsgerichts. Gerade bei unter Zeitdruck getroffenen Entscheidungen fehlt _____________ 4)

5) 6)

590

RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021) RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303.

Blankenburg

§ 40

Rechtsmittel

insoweit die Kontrollmöglichkeit durch oberinstanzliche Gerichte, was zu einer erhöhten Prüfungsdichte führen muss. Die Beschleunigung des Verfahrens „erkauft“ sich der Gesetzgeber mit einer größeren Rechtsunsicherheit. Da viele Bereiche des Restrukturierungsverfahrens nicht der Kontrolle durch höherinstanzliche Gerichte unterliegen, ist es nicht möglich, eine einheitliche Handhabung durch die Restrukturierungsgerichte zu erreichen. Insbesondere der Erlass von Stabilisierungsanordnungen kann durch die Gerichte sehr unterschiedlich gehandhabt werden. Gemildert wird der Umstand dadurch, dass viele Normen des StaRUG mittelbar über die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung über die Planbestätigung überprüft werden können. Allerdings gelten auch bei § 66 erhebliche Einschränkungen der Beschwerdemöglichkeit, siehe dazu § 66 Rz. 8 ff.

7

Eine Beschwerde außerhalb der enumerativ aufgezählten Möglichkeiten ist dann gegeben, wenn die Entscheidung des Restrukturierungsgerichts außerhalb der gesetzlichen Grundlagen erfolgt und damit objektiv willkürlich ist.7)

8

Da nur Entscheidungen mit der sofortigen Beschwerde angegriffen werden können, ist gegen die bloße Untätigkeit des Gerichts kein Rechtsmittel gegeben.8) Insoweit kommt nur eine Dienstaufsichtsbeschwerde in Betracht.9)

9

Die Gegenpartei hat die Möglichkeit, eine Anschlussbeschwerde einzulegen (§ 567 Abs. 3 ZPO).10) Erforderlich ist, dass für den sich anschließenden Beschwerdegegner originär die Beschwerde eröffnet gewesen wäre. Die Anschlussbeschwerde dient dazu, dass auch zulasten des Beschwerdeführers entschieden werden kann. Da das StaRUG kein Zwei-Parteien-Prozess ist, wird der Anschlussbeschwerde kaum Bedeutung zukommen.

10

2.

Rechtsmittelmöglichkeiten außerhalb des StaRUG

Haben Entscheidung ihre Rechtsgrundlage außerhalb des StaRUG und ergehen nur aus Anlass zum Restrukturierungsverfahren, können sie nach den allgemeinen Vorschriften angefochten werden.11) Beispiele hierfür sind sitzungspolizeiliche Maßnahmen (§ 181 Abs. 1 GVG) die Streitwertfestsetzung (§ 68 Abs. 1 GKG) oder die Versagung der Akteneinsicht (§ 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG).12)

11

Ist kein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung gegeben, sieht die ZPO grundsätzlich die Möglichkeit der Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO vor. Indes sind zwei

12

_____________ 7) BGH, Beschl. v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, ZInsO 2004, 550; dazu ausführlich Ahrens/ Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 28 ff.; Ganter/Bruns in: MünchKommInsO, § 6 Rz. 71b. 8) Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 40 Rz. 8; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 14; Schmerbach in: FK-InsO, § 6 Rz. 9; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 14; Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, § 6 Rz. 10. 9) Schmerbach in: FK-InsO, § 6 Rz. 9; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 14. 10) Dazu ausführlich Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 31 ff. 11) So zum Insolvenzverfahren Uhlenbruck-Pape, InsO, § 6 Rz. 7; ebenso Kramer in: BeckOKStaRUG, § 40 Rz. 6. 12) Ausführlich dazu Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 66 ff.

Blankenburg

591

§ 40

Rechtsmittel

Einschränkungen bei § 321a ZPO zu beachten, die die Anwendung der Norm in Restrukturierungsverfahren erschweren. Zum einen kann gegen Entscheidungen, die einer Endentscheidung vorausgehen, keine Rüge eingelegt werden. Als Endentscheidung wird im StaRUG die Planbestätigung anzusehen sein. Es ist daher zu prüfen, inwieweit eine Entscheidung allein dazu dient, die Endentscheidung vorzubereiten. Zum anderen kann über § 321a ZPO nur die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gerügt werden. Die Norm soll keine weitere inhaltliche Überprüfung der Entscheidungen ermöglichen, sondern nur gewährleisten, dass der von der Entscheidung Betroffene ausreichend seine Argumente in das Verfahren einbringen konnte. Hat daher vor der Entscheidung eine Anhörung stattgefunden, scheidet eine Anwendung des § 321a ZPO aus. Auch wenn das Gericht eine abweichende Meinung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Betroffenen einnehmen sollte, kann diese nicht mit der Rüge angegriffen werden.13) Da es sich um einen außerordentlichen Rechtsbehelf handelt, muss die Möglichkeit der Rüge nicht in die Rechtsbehelfsbelehrung aufgenommen werden.14) 13

Als weitere Möglichkeit steht den Betroffenen die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde zu, wenn sie sich durch die Entscheidung in ihren Grundrechten verletzt sehen. Ist dann kein Rechtsmittel gegeben, ist der Rechtsweg grundsätzlich ausgeschöpft, so dass direkt das BVerfG angerufen werden kann.

14

Da das StaRUG die Restrukturierungsrichtlinie umsetzt, ist es grundsätzlich möglich, die Vereinbarkeit des nationalen Rechts durch den EuGH prüfen zu lassen (siehe dazu Rz. 51 ff.). Allerdings erfolgt eine Vorlage an den EuGH nur von Amts wegen, nicht auf Antrag der Parteien. Diese können lediglich geltend machen, durch die Nichtvorlage einer streitigen Frage an den EuGH in dem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein.15) IV. Beschwerdeverfahren 1.

Beschwerdeberechtigung

15

Die Beschwerdeberechtigung ergibt sich grundsätzlich aus der Norm, die die sofortige Beschwerde zulässt. Da das Gesetz teilweise aber auch nur Kategorien von beschwerdeberechtigten Personen nennt (z. B. Planbetroffene, Kostenschuldner), bedarf es bei nicht natürlichen Personen der Bestimmung, wer das Rechtsmittel einlegen darf. Grundsätzlich ist das der gesetzliche Vertreter.16) Sind Vertreter von der Geschäftsführung ausgeschlossen, kommt ihnen im StaRUG keine Rechtsmittelberechtigung zu, da es keine mit § 15 InsO korrespondierende Norm gibt.17)

16

Neben der Beschwerdeberechtigung muss eine Beschwer vorliegen. Eine formelle Beschwer liegt nur dann vor, wenn dem Antrag der beschwerdeberechtigten Person _____________ 13) BVerfG, Beschl. v. 30.6.2009 – 1 BvR 893/09, Rz. 18, NJW 2007, 3710; BGH, Beschl. v. 14.4.2016 – IX ZR 197/15, Rz. 22, NJW 2016, 3035. 14) Zöller-Vollkommer, ZPO, § 321 Rz. 2. 15) Str. Rspr. seit BVerfG, Beschl. v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, NJW 1987, 577; zuletzt BVerfG, Beschl. v. 14.1.2021 – 1 BvR 2853/19, NJW 2021, 1005. 16) Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 40 Rz. 21. 17) So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 40 Rz. 21; a. A. zu § 6 InsO Uhlenbruck-Pape, InsO, § 6 Rz. 12.

592

Blankenburg

§ 40

Rechtsmittel

zumindest nicht entsprochen wurde.18) Ferner muss der Beschwerdeführer durch Entscheidung des Restrukturierungsgerichts in rechtserheblicher Weise beschwert sein (materielle Beschwer).19) Daran fehlt es z. B., wenn dessen Rechtslage in keiner Weise nachhaltig beeinträchtigt ist.20) Gleiches gilt, wenn die Restrukturierungssache gemäß § 33 aufgehoben wird. Es gibt kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse.21) Ausnahmen stellen die Entscheidungen über die Vergütung dar, da diese über das Verfahren hinauswirken.22) Gleiches gilt für schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte.23) Bei der sofortigen Beschwerde gegen die Festsetzung des Stundensatzes (§ 82 Abs. 3 Alt. 1), die Bestimmung oder Anpassung des Höchstbetrags (§ 82 Abs. 3 Alt. 2) oder die Festsetzung der Vergütung (§ 82 Abs. 3 Alt. 3) muss der Beschwerdewert die Grenze von 200 € übersteigen, da es sich um eine Kostenentscheidung gemäß § 567 Abs. 2 ZPO handelt. Im Übrigen gilt im StaRUG keine Wertbeschränkung. Der Wert des Beschwerdegegenstandes bestimmt sich nach dem Unterschiedsbetrag zwischen dem in der angefochtenen Entscheidung zugebilligten und dem in der Beschwerdeinstanz beantragten Betrag.24) Er kann sich verringern, wenn der Beschwerdeführer nicht die gesamte erstinstanzliche Entscheidung angreift. 2.

17

Einlegung der Beschwerde (Abs. 1 Satz 2, Abs. 2)

Frist und Form der sofortigen Beschwerde bestimmen sich grundsätzlich nach § 569 Abs. 1 Satz 1 sowie Abs. 2 ZPO.

18

a) Form § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO bestimmt, dass die sofortige Beschwerde entweder beim Ausgangsgericht oder beim Rechtsmittelgericht einzulegen ist. Dies wird durch § 40 Abs. 1 Satz 2 dahin modifiziert, dass die sofortige Beschwerde beim Restrukturierungsgericht einzulegen ist. Erfolgt sie beim LG, wird dadurch die Beschwerdefrist nicht gewahrt.25)

19

Die Einlegung kann entweder schriftlich durch eine Beschwerdeschrift oder durch eine Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle erfolgen. Eine Einreichung in elektronischer Form per Fax oder gemäß § 130a ZPO ist möglich.26) Per E-Mail kann

20

_____________ 18) 19) 20) 21) 22) 23)

24) 25) 26)

BGH, Beschl. v. 18.1.2007 – IX ZB 170/06, Rz. 6, ZInsO 2007, 206. Schmerbach in: FK-InsO, § 6 Rz. 15; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 31. Uhlenbruck-Pape, InsO, § 6 Rz. 12. BGH, Beschl. v. 12.10.2006 – IX ZR 34/05, Rz. 8, ZInsO 2006, 1212; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 6 Rz. 12; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 36. So auch für das Insolvenzverfahren Uhlenbruck-Pape, InsO, § 6 Rz. 12; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 19. BGH, Beschl. v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, ZInsO 2004, 550 – Betreten von Geschäftsräumen durch den Sachverständigen; BGH, Beschl. v. 24.9.2009 – IX ZB 38/08, Rz. 11, ZInsO 2009, 2053 – Durchsuchungsanordnung. BGH, Beschl. v. 19.4.2012 • IX ZB 162/10, Rz. 10, ZIP 2012, 1149. Schmerbach in: FK-InsO, § 6 Rz. 49; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 48. Dazu BGH, Beschl. v. 18.3.2015 – XII ZB 424/14, Rz. 8 ff., ZInsO 2015, 1232.

Blankenburg

593

§ 40

Rechtsmittel

sie nicht eingereicht werden.27) Sie darf nicht an eine Bedingung geknüpft werden.28) Die Beschwerde muss unterschrieben werden, eine Paraphe reicht nicht aus.29) Es besteht kein Anwaltszwang.30) 21

Die Beschwerdeschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erklärung enthalten, dass die Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt wird (§ 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Sie soll auch begründet werden (§ 571 Abs. 1 ZPO). Aufgrund des Sollcharakters der Norm besteht jedoch kein Begründungszwang.31) Das Restrukturierungsgericht kann dem Beschwerdeführer eine Frist setzen, um die Begründung einzureichen, wenn eine solche angekündigt wurde. Die Frist sollte zwei Wochen nicht überschreiten.32) b) Frist

22

Die Beschwerde muss innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen eingelegt werden (§ 38 StaRUG i. V. m. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Anders als nach § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO beginnt die Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde nicht erst mit der Zustellung der Entscheidung, sondern mit der Verkündung (§ 40 Abs. 2). Nur wenn die Entscheidung nicht verkündet wird, kann auf die Zustellung abgestellt werden. Wird nicht wirksam zugestellt, beträgt die Frist fünf Monate nach der Verkündung (§ 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO) bzw. Erlass bei nicht verkündeten Beschlüssen.33) Die Beschwerde kann allerdings schon vor Fristbeginn eingelegt werden, allerdings muss die Entscheidung zumindest existent durch die Hinausgabe in den internen Geschäftsbereich sein.34) Die Beschwerdefrist läuft auch dann, wenn es entgegen § 233 ZPO an einer Rechtsmittelbelehrung fehlt.35) In diesen Fällen ist jedoch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO möglich.36) 3.

23

Abhilfeverfahren

Gemäß § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Restrukturierungsgericht zu prüfen, ob es der sofortigen Beschwerde abhilft. Die Abhilfeentscheidung ist davon unabhängig, _____________ 27) Unklar Schmerbach in: FK-InsO, § 6 Rz. 36, wonach eine E-Mail ausreicht, wenn sie die Anforderungen des § 130a ZPO erfüllt (ähnlich Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 40). Dies trifft aber nicht auf einfache E-Mails zu, sondern lediglich auf die spezielle DE-Mail, der derzeit kaum verbreitet ist. 28) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 25. 29) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 40. 30) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 42; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 76. 31) So auch für § 6 InsO Uhlenbruck-Pape, InsO, § 6 Rz. 13; Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, § 6 Rz. 24; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 50, 64. 32) BGH, Beschl. v. 2.12.2010 – IX ZB 121/10, Rz. 4, ZInsO 2011, 92; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 6 Rz. 13; Rüther in: HambKomm-InsO, § 6 Rz. 23; Ahrens/Gehrlein/RingstmeierAhrens, InsR, § 6 InsO Rz. 64 – mindestens zwei Wochen; a. A. Schmerbach in: FK-InsO, § 6 Rz. 52 – zwei Wochen sind ausreichend, drei Tage sind zu kurz. 33) So auch Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 39. 34) Uhlenbruck-Pape, InsO, § 6 Rz. 14; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 39; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 36. 35) BGH, Beschl. v. 24.3.2016 – IX ZB 67/14, Rz. 11, ZInsO 2016, 867. 36) Dazu Uhlenbruck-Pape, InsO, § 6 Rz. 13, 14; Rüther in: HambKomm-InsO, § 6 Rz. 27; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 38.

594

Blankenburg

§ 40

Rechtsmittel

ob die Beschwerde zulässig ist oder nicht, da das Gericht innerhalb der Beschwerdefrist auch zur Abänderung von Amts wegen berechtigt ist.37) Das Gericht kann i. R. der Abhilfe die begehrte Entscheidung erlassen oder eine getroffene Entscheidung aufheben bzw. abändern. Dazu hat es dem Beschwerdegegner rechtliches Gehör zu geben.38) Das Verbot der reformatio in peius gilt bei der Abhilfe nicht.39) Gegen den abändernden Abhilfebeschluss kann wiederum auch sofortige Beschwerde eingelegt werden.40) Erforderlich ist, dass gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel zulässig gewesen wäre.41) Wird mit der Beschwerde ein neuer Antrag gestellt, darf das Restrukturierungsgericht im Wege der Abhilfe darüber nicht entscheiden, vielmehr muss das Berufungsgericht diesen Antrag bescheiden.42) Erfolgt keine Abhilfe, ist die Entscheidung unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Die Nichtabhilfe erfolgt durch Beschluss.43) Dieser Bedarf einer Begründung, wenn das Rechtsmittel auf neue Tatsachen gestützt wird.44) Der Beschluss ist nur an den Beschwerdeführer zu übersenden. Sind erstmalig andere Personen durch den Beschluss beschwert, ist er ihnen zuzustellen.45) Die ordnungsgemäße Durchführung des Abhilfeverfahrens ist nicht Verfahrensvoraussetzung für das Beschwerdeverfahren.46) Das Beschwerdegericht hat bei Mängeln im Abhilfeverfahren jedoch die Möglichkeit, die Abhilfeentscheidung aufzuheben und die Sache an das Restrukturierungsgericht zurückzuverweisen, damit es eine formgerechte Abhilfeentscheidung erlassen kann.47) Entscheidet das Restrukturierungsgericht über die sofortige Beschwerde, ist dagegen nicht die Rechtsbeschwerde möglich, vielmehr sind die Akten dem Beschwerdegericht vorzulegen, damit es ggf. die „Abhilfeentscheidung“ aufheben kann.48) 4.

Verfahrensablauf

Das Beschwerdegericht hat zunächst die Zulässigkeit der Beschwerde zu prüfen.49) Ist diese unzulässig, hat es die Beschwerde zu verwerfen (§ 572 Abs. 2 ZPO). Sie ist _____________ 37) 38) 39) 40)

41) 42) 43) 44)

45) 46) 47) 48) 49)

24

BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 117/04, Rz. 7, ZIP 2006, 1651. Schmerbach in: FK-InsO, § 6 Rz. 63; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 46. BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 117/04, Rz. 10, ZIP 2006, 1651. AG Göttingen, Beschl. v. 13.11.2002 – 74 IK 38/00, ZInsO 2002, 1150, 1151; Schmerbach in: FK-InsO, § 6 Rz. 63; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 6 Rz. 15; Rüther in: HambKomm-InsO, § 6 Rz. 28; wohl auch BGH, Beschl. v. 25.4.2013 – IX ZB 179/10, Rz. 5, ZInsO 2013, 1100. So auch für erstmalig durch die Beschwerdeentscheidung belastete Dritte BGH, Beschl. v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648. BGH, Beschl. v. 21.12.2006 – IX ZB 81/06, Rz. 19, ZIP 2007, 188, 189. Rüther in: HambKomm-InsO, § 6 Rz. 29; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 48; a. A. Schmerbach in: FK-InsO, § 6 Rz. 63, der auch einen Vermerk als zulässig erachtet. Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 40 Rz. 30; zu § 6 InsO OLG Celle, Beschl. v. 23.7.2001 – 2 W 71/01, ZInsO 2001, 757, 760; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 6 Rz. 15; Rüther in: HambKomm-InsO, § 6 Rz. 29; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 48. Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 68. Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 50; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 65. Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 50. BGH, Beschl. v. 16.12.2008 – IX ZA 46/08, Rz. 5 ff., ZIP 2009, 289. BGH, Beschl. v. 3.3.2006 – IX ZB 171/04, Rz. 4, ZIP 2006, 1417.

Blankenburg

595

25

§ 40

Rechtsmittel

zurückzuweisen, wenn sie unbegründet ist. Ist sie offensichtlich unbegründet, kann die Zurückweisung unabhängig von der Zulässigkeit erfolgen.50) 26

Ist die Beschwerde begründet, hebt das Beschwerdegericht den Beschluss auf. Es hat dann zwei Möglichkeiten für das weitere Vorgehen. Es kann in der Sache selbst entscheiden oder es kann die Sache zur erneuten Entscheidung an das Restrukturierungsgericht zurückverweisen. Das Beschwerdegericht ist nicht auf die rechtliche Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung beschränkt, sondern kann als vollwertige zweite Tatsacheninstanz eine eigene Ermessensentscheidung treffen.51) Es gilt allerdings das Verbot der reformatio in peius, so dass das Beschwerdegericht die Entscheidung nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers abändern darf.52) Erfolgt die Zurückweisung, ist das Restrukturierungsgericht an die Auffassung des Beschwerdegerichts gebunden.53) Auch für dieses gilt die reformatio in peius.54)

27

Das Beschwerdegericht entscheidet durch Beschluss. Dieser ist zu begründen, da anderenfalls ein Grund für die Rechtsbeschwerde vorliegt (§ 576 Abs. 3 i. V. m. § 547 Nr. 6 ZPO). Es ist zudem darüber zu entscheiden, ob die Rechtsbeschwerde zugelassen wird. Wird ein Beteiligter erstmals durch die Beschwerdeentscheidung beschwert, kann er dagegen die Rechtsbeschwerde einlegen, wenn gegen die entsprechende Entscheidung des Restrukturierungsgerichts die sofortige Beschwerde möglich gewesen wäre.55) Ein Nichtbeteiligter kann sich nur mit einer Gegenvorstellung oder einer außerordentlichen Beschwerde wegen greifbare Gesetzeswidrigkeit zur Wehr setzen.56)

28

Das Beschwerdegericht hat über die Kosten nach § 97 ZPO zu entscheiden, wenn es einen Beschwerdegegner gibt, anderenfalls trägt der Beschwerdeführer die Kosten.57) Die Gerichtskosten ergeben sich aus Nr. 2520 des Kostenverzeichnisses des GKG, die sich bei einer Rücknahme des Rechtsmittels auf die Hälfte reduzieren. Die Rechtsanwaltskosten bestimmen sich nach Nr. 3500 Kostenverzeichnisses des RVG (0,5 Gebühr) sowie ggf. einer Termingebühr nach Nr. 3513 Kostenverzeichnisses des RVG (0,5 Gebühr).

29

Der Beschluss muss zugestellt werden. Erst dann beginnt die Rechtsbeschwerdefrist von einem Monat (§ 575 Abs. 1 ZPO) zu laufen.

_____________ 50) BGH, Beschl. v. 3.3.2006 – IX ZB 171/04, Rz. 4, ZIP 2006, 1417; BGH, Beschl. v. 17.2.2011 – IX ZB 268/08, Rz. 6, ZIP 2011, 625; ebenso Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 81; a. A. wohl BGH, Beschl. v. 16.12.2008 – IX ZA 46/08, Rz. 6, ZIP 2009, 289. 51) BGH, Beschl. v. 21.12.2006 – IX ZB 81/06, Rz. 20, ZIP 2007, 188; BGH, Beschl. v. 17.9.2009 – IX ZB 62/08, Rz. 3, NZI 2009, 864; BGH, Beschl. v. 19.1.2012 – IX ZB 21/11, ZIP 2012, 583, 584. 52) BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 117/04, Rz. 10, ZIP 2006, 1651. 53) BGH, Beschl. v. 19.4.2007 – IX ZB 176/06; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 55; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 84. 54) BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 117/04, Rz. 10, ZIP 2006, 1651. 55) BGH, Beschl. v. 14.12.2005 – IX ZB 54/04, Rz. 4, NZI 2006, 239. 56) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 56. 57) Dazu ausführlich Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 83.

596

Blankenburg

§ 40

Rechtsmittel

Die Beschwerde kann jederzeit zurückgenommen werden. Dann hat das Beschwerdegericht nur noch über die Kosten zu entscheiden.58) 5.

30

Wirkung der Beschwerde (Abs. 3)

Die sofortige Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung (§ 570 Abs. 1 ZPO). Das Restrukturierungsgericht kann jedoch gemäß § 570 Abs. 2 ZPO die Vollziehung der Entscheidung aussetzen. Dies wird aufgrund des eiligen Charakters des Restrukturierungsverfahrens in der Regel nicht in Betracht kommen.

31

Anders als die Ausgangsentscheidung des Restrukturierungsgerichts werden Entscheidungen des Beschwerdegerichts nicht sofort wirksam. Nach § 40 Abs. 3 Satz 1 werden sie erst mit der Rechtskraft wirksam. Die Rechtskraft tritt erst dann ein, wenn keine Rechtsbeschwerde mehr möglich ist. Da das StaRUG eine Rechtsbeschwerde selbst nicht zulässt, kommt es darauf an, ob das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässt.

32

§ 40 Abs. 3 Satz 1 soll verhindern, dass es hinsichtlich der Wirksamkeit von Entscheidungen in einem Verfahren zu einem hin und her kommt.59) Lässt das Gericht die Rechtsbeschwerde zu, kann es die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anordnen (§ 40 Abs. 3 Satz 2). Die Anordnung kann nur zusammen mit der Beschwerdeentscheidung angefochten werden.60) Das Rechtsbeschwerdegericht hat nur die Möglichkeit, die Anordnung wieder aufzuheben (§§ 575 Abs. 5, 570 Abs. 3 ZPO).61) Es kann sie jedoch nicht selbst anordnen.62)

33

V. Rechtsbeschwerde 1.

Statthaftigkeit

Im StaRUG findet sich keine Regelung zur Rechtsbeschwerde. Es gelten daher gemäß § 38 Satz 1 die entsprechenden Normen der ZPO. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist folglich gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO nur dann mit der Rechtsbeschwerde angreifbar, wenn das Beschwerdegericht sie zugelassen hat.

34

a) Zulassungsentscheidung Das Beschwerdegericht muss immer darüber entscheiden, ob es die Rechtsbeschwerde zulässt. Die Entscheidung über die Zulassung sollte im eigentlichen Beschwerdebeschluss ergehen, kann jedoch auch in einem ergänzenden Beschluss getroffen werden, wenn sie willkürlich unterlassen wurde.63) Ausreichend ist es, wenn sich die Zulassung der Rechtsbeschwerde aus den Gründen der Entscheidung ergibt.64) Lediglich das Anfügen einer Rechtsmittelbelehrung stellt keine Zulassung dar.65) _____________ 58) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 52a. 59) So zu Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 74; Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, § 6 Rz. 34; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 90. 60) Uhlenbruck-Pape, InsO, § 6 Rz. 19. 61) Dazu Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 75. 62) Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, § 6 Rz. 36. 63) BGH, Beschl. v. 4.7.2007 – VII ZB 28/07, Rz. 3, NJW-RR 2007, 1654; BGH, Beschl. v. 9.6.2016 – XI ZB 92/15, Rz. 8, NJW-RR 2016, 955. 64) BGH, Beschl. v. 13.3.2014 • IX ZB 48/13, Rz. 7, ZVI 2014, 260. 65) BGH, Beschl. v. 13.3.2014 • IX ZB 48/13, Rz. 8, ZVI 2014, 260.

Blankenburg

597

35

§ 40

Rechtsmittel

Erfolgt die Zustellung eines falschen Entwurfs der Beschwerdeentscheidung, bei der noch die Beschwerde zugelassen war, liegt keine Zulassung der Rechtsbeschwerde vor, wenn im endgültigen Beschluss keine Zulassung vorgesehen war.66) Eine Änderung der ablehnenden Zulassungsentscheidung ist grundsätzlich nicht möglich.67) Schweigt das Beschwerdegericht über die Zulassung, ist die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen.68) Die Nichtzulassung ist unanfechtbar.69) 36

Die Zulassung hat gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zu erfolgen, wenn die Sache entweder grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BGH erfordert (siehe dazu Rz. 39 ff.). Der BGH ist an die Zulassung gebunden (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Da gerade zu Beginn der Anwendung des StaRUG nicht mit einer Vielzahl von Verfahren zu rechnen ist und sich zu vielen Fragestellungen keine einheitliche Meinung herausbilden wird, sollten die Beschwerdegerichte großzügig mit der Zulassung der Rechtsbeschwerde sein. Für das LG ist insoweit zu beachten, dass bei der Zulassung der Rechtsbeschwerde die Entscheidung vorher auf die Kammer übertragen werden muss (§ 568 Satz 2 ZPO). Anderenfalls erfolgt die Aufhebung wegen der fehlerhaften Besetzung des Beschwerdegerichts.70) Zudem ist die Entscheidung zu begründen (§ 576 Abs. 3 i. V. m. § 547 Nr. 6 ZPO). Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben.71)

37

Gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde gibt es keine Nichtzulassungsbeschwerde. § 544 ZPO ist nicht entsprechend anwendbar.72) b) Zulassungsgründe

38

Gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat die Zulassung zu erfolgen, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. Dies ist dann der Fall, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann.73) Dazu muss sich die Rechtsfrage abstrakt über den Fall hinaus wiederholt stellen und darf nicht nur vom Einzelfall abhängig sein.74) In der Rechtsprechung oder Literatur sollten dazu unterschiedliche Auffassungen vertreten werden.75) _____________ 66) 67) 68) 69)

70) 71) 72) 73) 74) 75)

598

BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX ZB 57/14, Rz. 7, NJW-RR 2016, 1463. BGH, Beschl. v. 9.6.2016 – IX ZB 92/15, NJW-RR 2016, 955. Str. Rspr., zuletzt BGH, Beschl. v. 14.9.2020 – IX ZB 78/19, Rz. 1, ZInsO 2020, 2292. BGH, Beschl. v. 14.9.2020 – IX ZB 78/19, Rz. 1, ZInsO 2020, 2292; allerdings kommt eine Verfassungsbeschwerde in Betracht, wenn die Zulassung willkürlich unterbleibt (Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 104). Str. Rspr., zuletzt BGH, Beschl. v. 5.7.2018 – IX ZB 63/17, Rz. 3, ZIP 2018, 1553 m. w. N. BGH, Beschl. v. 12.7.2004 – II ZB 3/03, NJW-RR 2005, 78. Uhlenbruck-Pape, InsO, § 7 Rz. 5; Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, § 7 Rz. 8. BGH, Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, ZIP 2002, 1826 f. BGH, Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, ZIP 2002, 1826, 1827; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 7 Rz. 6; Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, § 7 Rz. 10. Uhlenbruck-Pape, InsO, § 7 Rz. 6; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 109 – nicht nur Einzelmeinung.

Blankenburg

§ 40

Rechtsmittel

Nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO ist ein weiterer Zulassungsgrund die Erforderlichkeit einer Rechtsbeschwerdeentscheidung zur Fortbildung des Rechts. Dies ist dann der Fall, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen.76)

39

Schließlich ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn dies für die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Dazu muss es entweder divergierende Entscheidungen anderer Gerichte geben.77) Oder es müssen bei der Auslegung oder Anwendung revisibelen Rechts Fehler über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühren, so dass die Gefahr besteht, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen.78) Dies ist vor allem dann anzunehmen, wenn das Beschwerdegericht Verfahrensgrundrechte verletzt hat, insbesondere die Grundrechte auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), wirkungsvollen Rechtschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) und objektiv willkürfreies Verfahren (Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG).79) Der Verstoß muss allerdings offenkundig sein.80) Diese Fallgruppe wird bei der Zulassungsentscheidung keine nennenswerte Bedeutung haben, da das Beschwerdegericht von der Richtigkeit der eigenen Entscheidung ausgehen wird.81)

40

2.

Einlegung der Rechtsbeschwerde

Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses einzulegen (§ 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO).82) Das Beschwerdegericht ist gemäß § 133 GVG der BGH. Dort muss die Rechtsbeschwerde eingelegt werden.83)

41

Die Beschwerde muss schriftlich durch eine Beschwerdeschrift eingelegt werden. Aus dem Schriftsatz muss sich ergeben, dass eine Rechtsbeschwerde eingelegt wird und gegen welche Entscheidung sich diese Beschwerde richtet (§ 575 Abs. 1 Satz 2 ZPO).84) Es soll eine Abschrift der angefochtenen Entscheidung beigefügt werden (§ 575 Abs. 1 Satz 3 ZPO).85) Einer Begründung bedarf die Beschwerdeschrift nicht. Die Begründung muss allerdings innerhalb eines Monats nach der Zustellung der _____________

42

76) BGH, Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, ZIP 2002, 1826, 1827. 77) Es ist umstritten, ob die abweichende Meinung zweier AG oder LG ausreicht, dafür OLG Zweibrücken, Beschl. v. 22.3.2000 – 3 W 50/00, ZIP 2000, 1400, 1401, dagegen UhlenbruckPape, InsO, § 7 Rz. 7. 78) BGH, Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, ZIP 2002, 1826, 1827; BGH, Beschl. v. 7.10.2004 – V ZR 328/03, NJW 2005, 153. 79) BGH, Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, ZIP 2002, 1826, 1827; a. A. BGH, Beschl. v. 7.3.2002 – IX ZB 11/02, ZIP 2002, 959, 960. 80) BGH, Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, ZIP 2002, 1826, 1827. 81) So auch Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 117, 120. 82) Bei nicht erfolgter Zustellung soll analog § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Fünf-Monats-Frist geltend (Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 127). 83) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 125. 84) Das Wort „Rechtsbeschwerde“ muss nicht genannt werden (Uhlenbruck-Pape, InsO, § 7 Rz. 12; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 128). 85) Eine Verletzung dieser Obliegenheit führt nicht zur Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde (Uhlenbruck-Pape, InsO, § 7 Rz. 12).

Blankenburg

599

§ 40

Rechtsmittel

Beschwerdeentscheidung erfolgen (§ 575 Abs. 2 ZPO). Der Inhalt der Beschwerdebegründung ergibt sich aus § 575 Abs. 3 ZPO. Die Begründung muss insbesondere gemäß § 575 Abs. 3 Nr. 1 ZPO Rechtsbeschwerdeanträge aufweisen, an die der BGH gemäß § 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO gebunden ist. In dem Antrag ist anzugeben, ob der Beschluss im Ganzen oder nur in einzelnen Teilen angegriffen wird und welche Abänderungen begehrt werden. 43

Für die Rechtsbeschwerde herrscht Anwaltszwang. (§ 38 Satz 1 StaRUG i. V. m. § 574 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 133 GVG, § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Sie muss durch einen beim BGH zugelassenen Anwalt eingelegt werden.86)

44

Gemäß § 574 Abs. 4 ZPO hat der Beschwerdegegner die Möglichkeit, selbst eine Anschlussrechtsbeschwerde einzulegen. Diese dient dazu, dass der Beschluss auch zu seinen Gunsten abgeändert werden kann.87) Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Rechtsbeschwerdeschrift einzulegen.88) 3.

Verfahrensablauf

45

Es findet kein Abhilfeverfahren statt.89) Der BGH hat nach Eingang der Rechtsbeschwerdebegründung darüber zu entscheiden, ob die Rechtsbeschwerde zulässig ist. Dabei ist er an die Zulassung gefunden.90) Ist die Beschwerde unzulässig, wird die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen (§ 577 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Bei einer zulässigen Beschwerde muss die Rechtsbeschwerdeschrift und die Begründung dem Gegner zugestellt werden (§ 575 Abs. 4 ZPO). Danach hat der BGH in der Sache zu entscheiden.

46

Dazu hat er zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde begründet ist. Dafür muss entweder Bundesrecht verletzt sein (§ 576 Abs. 1 ZPO) oder eine Rechtsnorm muss nicht oder nicht richtig angewendet worden sein (§§ 576 Abs. 3, 546 ZPO). Ausgeschlossen ist die Prüfung der Zuständigkeit des ersten Rechtszugs (§ 576 Abs. 2 ZPO). Dafür hat er nur das Vorbringen zu berücksichtigen, dass sich aus dem Beschwerdeentscheidung oder dem Sitzungsprotokoll ergibt (§§ 577 Abs. 2 Satz 3, 559 ZPO).

47

Ist die Rechtsbeschwerde unbegründet, hat der BGH sie zurückzuweisen. Dies ist auch dann der Fall, wenn zwar eine fehlerhafte Entscheidung vorliegt, sie sich jedoch aus anderen Gründen als zutreffend darstellt (§ 577 Abs. 3 ZPO). Ist die Rechtsbeschwerde zulässig und relevant begründet, hat der BGH die angefochtene Entscheidung aufzuheben und dann zwei Entscheidungsmöglichkeiten: Er kann die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Er kann aber in der Sache auch selbst entscheiden (§ 577 Abs. 5 ZPO). Die Entscheidung hängt davon ab, ob der Sachverhalt bereits hinreichend geklärt ist.91) _____________ 86) 87) 88) 89)

BGH, Beschl. v. 14.9.2020 – IX ZB 78/19, Rz. 2, ZInsO 2020, 2292. Dazu Uhlenbruck-Pape, InsO, § 7 Rz. 10. Uhlenbruck-Pape, InsO, § 7 Rz. 10. Uhlenbruck-Pape, InsO, § 7 Rz. 11, 20; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 125. 90) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 121. 91) Uhlenbruck-Pape, InsO, § 7 Rz. 25; Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, § 7 Rz. 30; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 153.

600

Blankenburg

§ 40

Rechtsmittel

Die Zurückweisung hat grundsätzlich an das Beschwerdegericht zu erfolgen. Hätte das Beschwerdegericht die Sache an das Restrukturierungsgericht zurückweisen müssen, kann die Sache auch vom BGH an das AG verwiesen werden.92)

48

Die Kostenentscheidung hat durch den BGH zu ergehen, wenn er in der Sache selbst entscheidet. Anderenfalls hat das Gericht, an das die Sache zurückgewiesen wurde, über die Kosten zu entscheiden.93)

49

4.

Wirkung

Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen wurde, ist an die Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts gebunden (§ 577 Abs. 4 Satz 4 InsO). Es hat ebenfalls das Schlechterstellungsverbot zu berücksichtigen.94) Soweit Teile der ersten Entscheidung trotz Zurückweisung gebilligt wurden, tritt keine Bindung an die Rechtsauffassung ein.95) Stellt das Gericht nach der Zurückweisung neue Tatsachen fest, entfällt ebenfalls die Bindung.96) Die Bindungswirkung besteht zudem nur im betroffenen Verfahren, andere Gerichte sind daran nicht gebunden.97) Wird allerdings von der Rechtsprechung des BGH abgewichen, sollte die Abweichung hinreichend begründet werden.

50

VI. Exkurs: Vorlage an den EuGH Bestehen Zweifel an der Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit der Restrukturierungsrichtlinie, bedarf es ggf. der Vorlage vor dem EuGH. Das Vorlageverfahren richtet sich nach Art. 267 AEUV. 1.

51

Vorlageberechtigung

Jedes einzelne Gericht der Mitgliedstaaten ist zur Vorlage beim EuGH berechtigt. Eine Verpflichtung zur Vorlageentscheidung besteht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV, wenn eine letztinstanzliche Entscheidung getroffen wird. Unterbleibt durch das letztinstanzliche Gericht eine Vorlage, kann dies mit der Verletzung des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 GG geltend gemacht werden.98) Für die Restrukturierungssache bedeutet dies, dass sämtliche Restrukturierungsgerichte zur Vorlage beim EuGH berechtigt sind. Es besteht keine Verpflichtung, bei rechtsmittelfähigen Entscheidungen diese zunächst zu treffen und dann dem LG oder dem BGH die Vorlage vor dem EuGH zu überlassen.99) Bereits aus anderen Rechtsgebieten hat sich gezeigt, dass der BGH die Vorlage an den EuGH scheut, so dass die Instanz_____________ 92) BGH, Beschl. v. 22.7.2004 – IX ZB 161/03, ZIP 2004, 1717, 1721; BGH, Beschl. v. 4.11.2004 – IX ZB 70/03, NJW-RR 2005, 199, 200. 93) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 155. 94) BGH, Beschl. v. 6.5.2004 – IX ZB 349/02, ZIP 2004, 1214, 1215. 95) BGH, Beschl. v. 6.5.2004 – IX ZB 349/02, ZIP 2004, 1214, 1215. 96) BGH, Beschl. v. 6.5.2004 – IX ZB 349/02, ZIP 2004, 1214, 1215. 97) AG Göttingen, Beschl. v. 23.3.2001 – 74 IN 23/00, ZInsO 2001, 616, 617; UhlenbruckPape, InsO, § 7 Rz. 26. 98) Str. Rspr. seit BVerfG, Beschl. v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, NJW 1987, 577; zuletzt BVerfG, Beschl. v. 14.1.2021 – 1 BvR 2853/19, NJW 2021, 1005. 99) Vehement gegen ein Überlassen der Vorlagefrage an das übergeordnete Gericht Latzel/ Streinz, NJOZ 2013, 97, 98.

Blankenburg

601

52

§ 40

Rechtsmittel

gerichte aufgerufen sind, eine eigenständige Prüfung vorzunehmen. Eine Verpflichtung zur Vorlage besteht, wenn gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel gegeben ist. Insbesondere beim Erlass der Stabilisierungsanordnung hat das Gericht daher die Vereinbarkeit mit der Restrukturierungsrichtlinie autonom zu prüfen.100) 53

Eine Vorlagefrage kann erfolgen, wenn das Gericht Zweifel an der Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem primären oder sekundären Recht der EU hat. Ebenso ist eine Vorlage möglich, wenn von der Rechtsprechung des EuGH abgewichen werden soll. Da ein Vorlageverfahren einen erheblichen Zeitraum in Anspruch nimmt,101) bedarf es gerade in den eilbedürftigen Restrukturierungsverfahren einer genauen Abwägung, ob die Verzögerung der Entscheidung gerechtfertigt ist. Daher sollte bei Zweifeln, ob ein Verstoß gegen europäisches Recht gegeben ist, von einer Vorlage abgesehen werden. Ist bereits ein Verfahren anhängig, sollte dennoch eine Vorlagefrage erfolgen, da die Parteien es durch Beendigung des Ausgangsverfahrens in der Hand haben, eine Entscheidung durch den EuGH zu vermeiden.102) 2.

Formalien der Vorlage

54

Für eine Vorlage an den EuGH sollte der Fall auf tatsächlicher Ebene ausermittelt sein. In den Restrukturierungsverfahren ist insoweit zu fordern, dass das Gericht von einer zulässigen Anzeige bzw. einem zulässigen Antrag in Bezug auf einzelne Instrumente ausgeht und hinsichtlich der zu entscheidenden Frage die tatsächlichen Umstände geklärt sind. Insbesondere wenn es um die Vereinbarkeit der Vorschriften zur Überstimmung von Beteiligten geht, müssen sämtliche Umstände für die Beurteilung der Benachteiligung ermittelt sein.

55

Vor der Vorlage an den EuGH ist den Beteiligten rechtliche Gehör zu gewähren. Insbesondere der Schuldner als Herr des Verfahrens sollte die Gelegenheit erhalten, zu der bereits im Vorfeld grob skizzierten geplanten Vorlagefrage des Gericht Stellung zu nehmen.

56

Die Vorlageentscheidung erfolgt durch Beschluss.103) Im Tenor des Beschlusses ist die Vorlagefrage aufzuführen.104) Soweit empfohlen wird, auch eine Aussetzung des Verfahrens mit auszusprechen,105) bedarf dies in Restrukturierungsverfahren einer genauen Prüfung. Ist es möglich, dass Verfahren auch ohne den konkreten betroffenen Antrag fortzusetzen, bedarf es keiner Aussetzung. Der weitere Inhalt der Vorlageentscheidung ergibt sich aus Art. 94 EuGHVfO. Daraus ergibt sich, dass die Vor_____________ 100) Latzel/Streinz, NJOZ 2013, 97, 98, plädieren im Zweifel für eine Vorlage. 101) Die durchschnittliche Verfahrensdauer beim Gerichtshof betrug im Jahr 2019 14,4 Monate. Nach den Erfahrungen des Verfassers beträgt die Dauer bis zur Entscheidung über Vorlagefragen zwischen neun und zwölf Monaten; es ist aber die Beantragung eines beschleunigten Verfahrens möglich. 102) Latzel/Streinz, NJOZ 2013, 97, 98; bei massenhaft auftretenden Problemen kommt auch eine Aussetzung einzelnen Verfahren in Betracht (a. A. Latzel/Streinz, NJOZ 2013, 97, 98). Es kann zu einer Überlastung des EuGH führen, wenn zu viele Verfahren vorlegt werden (das AG Hannover wurde gebeten, im Falle des Streits der Mitarbeiter einer Fluggesellschaft nach vorgelegten 50 Verfahren auf die Vorlage weiterer Verfahren zu verzichten). 103) Latzel/Streinz, NJOZ 2013, 97, 100. 104) Zur Ausgestaltung der Fragen Latzel/Streinz, NJOZ 2013, 97, 101 f. 105) Latzel/Streinz, NJOZ 2013, 97, 100.

602

Blankenburg

§ 41

Zustellungen

lagenentscheidung einer Begründung bedarf. Diese gliedert sich in der Darstellung des Streitgegenstandes, der Wiedergabe der betroffenen nationalen Normen und Rechtsprechung sowie der Begründung der Zweifel des Gerichts.106) Da die Verfahrenssprache vor dem EuGH die jeweils im Vorlageverfahren gültige ist (Art. 37 Abs. 3 EuGHVfO), kann die Vorlage in deutscher Sprache verfasst werden und bedarf keiner Übersetzung. Der Vorlagebeschluss ist einschließlich einer Kopie der Akten an den EuGH zu übersenden.107) Übersetzungen werden durch den EuGH selbst gefertigt. Aufgrund der Eilbedürftigkeit der Entscheidungen kann es möglich sein, ein beschleunigtes Verfahren zu erreichen. Dieses kann gemäß Art. 105 Abs. 1 EuGHVfO durch das vorlegende Gericht beantragt werden. _____________ 106) Dazu ausführlich Latzel/Streinz, NJOZ 2013, 97, 101. 107) Die Adresse lautet: EuGH, Kanzlei des Gerichtshofs, Rue du Fort Niedergrünewald, L-2925 Luxemburg.

§ 41 Zustellungen Blankenburg

(1) 1Zustellungen erfolgen von Amts wegen, ohne dass es einer Beglaubigung des zuzustellenden Schriftstücks bedarf. 2Sie können dadurch bewirkt werden, dass das Schriftstück unter der Anschrift des Zustellungsadressaten zur Post gegeben wird; § 184 Absatz 2 Satz 1, 2 und 4 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. 3 Soll die Zustellung im Inland bewirkt werden, gilt das Schriftstück drei Tage nach Aufgabe zur Post als zugestellt. (2) 1An Personen, deren Aufenthalt unbekannt ist, wird nicht zugestellt. 2Haben sie einen zur Entgegennahme von Zustellungen berechtigten Vertreter, so wird dem Vertreter zugestellt. (3) Beauftragt das Gericht den Schuldner mit der Zustellung, erfolgt diese nach Maßgabe der §§ 191 bis 194 der Zivilprozessordnung. Literatur: Blankenburg, Elektronische Akte bei den Insolvenzgerichten, ZInsO 2020, 120. Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 4 III. Zustellung vom Amts wegen (Abs. 1) .................................................. 5 1. Allgemeines ........................................... 5 2. Zustellungserforderlichkeit .................. 6 3. Zustellungsarten .................................... 8 a) Übersicht ........................................ 8 b) Zustellungsurkunde ..................... 10 c) Empfangsbekenntnis ................... 12 d) Aushändigung an der Amtsstelle, Einschreiben gegen Rückschein ............................................ 16 e) Aufgabe zur Post ......................... 18 4. Keine Beglaubigung ............................ 21 5. Heilung ................................................ 22

IV. Personen mit unbekanntem Aufenthalt (Abs. 2) ............................ 23 V. Übertragung der Zustellung auf den Schuldner (Abs. 3) ............... 26 1. Durchführung der Zustellung ............ 27 a) Allgemeines .................................. 27 b) Persönliche Zustellung ................ 30 c) Zustellung durch Aufgabe zur Post ......................................... 32 2. Übertragungsentscheidung des Restrukturierungsgerichts .................. 35 VI. Auslandszustellung ............................ 37 1. Zustellung innerhalb der EU .............. 38 2. Zustellung außerhalb der EU ............. 43 3. Planbetroffene mit unbekanntem Aufenthalt ............................................ 45

Blankenburg

603

57 58

§ 41 I. 1

2

3

Zustellungen

Normzweck

Die Norm regelt die Zustellung im Inland. Für grenzüberschreitende Zustellungen in Mitgliedstaaten der EU oder Drittstaaten sind die mit diesen Staaten vereinbarten Rechtsinstrumente maßgeblich (siehe dazu Rz. 37 ff.). Für die Inlandszustellung regelt die Normen sowohl die gerichtliche Zustellung als auch die Zustellung durch den Schuldner, falls dieser mit der Zustellung beauftragt wird. Die Beauftragungsbefugnis dazu muss sich aus anderen Normen ergeben (z. B. § 45 Abs. 3 Satz 3). Neben der Zustellung durch das Gericht und dem Schuldner ist noch eine Übertragung der Zustellung auf den Restrukturierungsbeauftragten möglich, die sich nach § 76 Abs. 6 richtet. Die Norm ist in den Absätzen 1 und 2 identisch mit § 8 Abs. 1 und 2 InsO. Daher können die dort gewonnenen Erkenntnisse grundsätzlich auf das Restrukturierungsverfahren übertragen werden. Anders verhält es sich mit der Übertragung der Zustellung auf den Schuldner. In Insolvenzverfahren ist es nicht möglich, die Zustellung auf den Schuldner zu übertragen. Diese kann nur auf den Insolvenzverwalter, vorläufigen Insolvenzverwalter, Sachwalter und Treuhänder übertragen werden.1) Durch § 41 soll den Gerichten ein unbürokratisches Zustellungsverfahren zur Verfügung gestellt werden, um Zustellungen an potentiell viele Beteiligten bewerkstelligen zu können.2) Die Regelung dient damit der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens.3) II. Normhistorie

4

Die Norm ist nicht Ausfluss der Restrukturierungsrichtlinie4), da sie allein der Ausgestaltung des nationalen Verfahrensrechts dient. Sie ist im Gesetzgebungsverfahren zwar unangetastet geblieben, wechselte jedoch die Nummerierung. Im RefE5) war die Norm als § 41, im RegE6) dann als § 43 bezeichnet worden. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses7) hat die Norm dann die endgültige Nummerierung erhalten. III. Zustellung vom Amts wegen (Abs. 1) 1.

5

Allgemeines

Die Zustellung von Schriftstücken im Zivilprozess ist in den §§ 166 ZPO regelt. Diese Normen können grundsätzlich für die Zustellung über § 38 auch im Stabilisierungs_____________ 1) 2) 3) 4)

5) 6) 7)

604

Rüther in: HambKomm-InsO, § 8 Rz. 17 ff. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 144. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 144. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303.

Blankenburg

§ 41

Zustellungen

und Restrukturierungsrahmen herangezogen werden.8) Neben der förmlichen Zustellung nach der ZPO eröffnet aber § 41 Abs. 1 Satz 2 die Möglichkeit, Schriftstücke durch Aufgabe zur Post zuzustellen. Diese aus der InsO bekannte Zustellungsmöglichkeit stellt eine erhebliche Arbeitserleichterung für die Gerichte dar und ist die Regelform der Zustellung in Insolvenzverfahren.9) Auch in Restrukturierungs- und Sanierungsmoderationssachen wird diese Form der Zustellung die Regel bilden. 2.

Zustellungserforderlichkeit

§ 41 enthält keine Regelung, wann eine Zustellung erforderlich ist, sondern regelt nur die Art der Zustellung. Die Erforderlichkeit ergibt sich aus den materiellen Normen. Im StaRUG ist eine Zustellung nur in § 52 Abs. 4 Satz 1 für die Stabilisierungsanordnung vorgesehen. Im Übrigen finden sich in § 45 Abs. 3 (Ladung Erörterungsund Abstimmungstermin), § 46 Abs. 1 Satz 3 (Ladung Vorprüfungstermin), § 48 Abs. 2 Satz 3 (Ladung Vorprüfungstermin) und § 61 Satz 3 (Anhörung Planbestätigung) Vorschriften zur Ladung, bei der ebenfalls gemäß § 214 ZPO zuzustellen ist.10) Keiner Zustellung bedarf die Planbestätigung, da sie nur verkündet wird (§ 65). Die Übersendung des Plans erfolgt nicht als Zustellung (§ 66 Abs. 2). Die Norm findet grundsätzlich auch auf die Sanierungsmoderation Anwendung.11) Dort kann allerdings mangels entsprechender Anordnung eine formlose Zustellung erfolgen. Für das vorgerichtliche Abstimmungsverfahren findet § 40 hingegen keine Anwendung.12) Hier muss der Schuldner nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften die Schreiben übersenden.

6

Eine Zustellung hat gemäß § 38 StaRUG i. V. m. § 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu erfolgen, wenn eine Frist in Gang gesetzt ist, was insbesondere dann der Fall ist, wenn gegen eine Entscheidung ein Rechtsmittel gegeben ist (siehe dazu § 40 Rz. 22).13) Im Übrigen hat das Gericht ein Ermessen, ob es die Entscheidungen zustellt.14)

7

3.

Zustellungsarten

a) Übersicht Die Zustellung von Schriftstücken ist in den §§ 166 ff. ZPO geregelt. Diese dort aufgeführten Zustellungsmöglichkeiten werden als förmliche Zustellung angesehen. Obwohl die Zustellung durch Aufgabe zur Post in § 184 ZPO geregelt ist, wird

_____________ 8) 9) 10) 11) 12) 13)

So auch Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 144. Zu § 8 s. nur BGH, Beschl. v. 13.2.2003 – IX ZB 368/02, ZInsO 2003, 216. So auch für die Ladungen in der InsO Rüther in: HambKomm-InsO, § 8 Rz. 4. Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 41 Rz. 4. Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 41 Rz. 5. So auch Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 8 Rz. 9; wohl auch Rüther in: HambKomm-InsO, § 8 Rz. 5; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 13. 14) Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 41 Rz. 7; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 8 Rz. 7.

Blankenburg

605

8

§ 41

Zustellungen

sie für den Insolvenzbereich nicht als Art der förmlichen Zustellung betrachtet.15) Demnach sind folgende Zustellungsarten zu unterscheiden: –

9

Förmliche Zustellung: –

(Post-)zustellungsurkunde,



Empfangsbekenntnis, Telekopie oder als elektronisches Dokument,



Aushändigung an der Amtsstelle,



Zustellung durch Gerichtswachtmeister,



Einschreiben gegen Rückschein,



Aufgabe zur Post,



formlose Zustellung.

Da die Zustellung durch Aufgabe zur Post gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 in das Ermessen des Gerichts gestellt ist, kann sich das Restrukturierungsgericht je nach Bedarf auch der förmlichen Zustellung oder der formlosen Zustellung bedienen.16) Die formlose Zustellung scheidet jedoch dann aus, wenn Fristen in Gang gesetzt werden sollen, da insoweit eine Zustellung nicht nachgewiesen werden kann.17) b) Zustellungsurkunde

10

Gemäß § 168 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 176 ZPO kann durch das Gericht ein Zustellungsauftrag an die Post, einen Justizbediensteten oder einen Gerichtsvollzieher erfolgen. Über die Zustellung ist gemäß § 182 ZPO eine Zustellungsurkunde zu fertigen. Eine Zustellung per Zustellungsurkunde ist nur bei Papierdokumenten möglich. Liegen lediglich elektronische Dokumente vor, müssen diese gemäß § 298 Abs. 3 ZPO ausgedruckt und mit einem entsprechenden Vermerk versehen werden.

11

Die Durchführung der Zustellung bestimmt sich nach den §§ 177 ff. ZPO (§ 176 Abs. 2 ZPO). Danach ist das Schriftstück entweder persönlich zu übergeben (§ 177 ZPO) oder es hat eine Ersatzzustellung an eine empfangsbereite Person zu erfolgen (§ 178 ZPO). Ist dies nicht möglich, kann gemäß § 180 ZPO eine Ersatzzustellung durch das Einlegen des Schriftstückes in einem zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten erfolgen. Als letzte Möglichkeit kommt eine Niederlegung in Betracht, wenn weder eine empfangsbereite Person noch ein Briefkasten angetroffen werden (§ 181 ZPO). Danach bedarf es gemäß § 181 Abs. 1 Satz 2 ZPO einer Benachrichtigung über die Niederlegung am Ort der geplanten Zustellung.

_____________ 15) BGH, Beschl. v. 13.2.2003 – IX ZB 368/02, ZInsO 2003, 216: „Um das Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, kann das Insolvenzgericht – … – nach seinem pflichtgemäßen Ermessen auswählen, ob die Zustellung ‚förmlich‘ oder durch Aufgabe zur Post erfolgen soll.“, ebenso BGH, Beschl. v. 7.2.2008 – IX ZB 47/05, ZInsO 2008, 320; unklar insoweit Schmerbach in: FK-InsO, § 8 Rz. 4. 16) BGH, Beschl. v. 13.2.2003 – IX ZB 368/02, ZInsO 2003, 216; Rüther in: HambKommInsO, § 8 Rz. 6. 17) So auch Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 17.

606

Blankenburg

§ 41

Zustellungen

c) Empfangsbekenntnis An die unter § 174 Abs. 1 ZPO aufgeführten Personen kann in der Form zugestellt werden, dass diesen Personen das Schriftstück per Post oder per Fax mit einem Empfangsbekenntnis zugeleitet wird. Der Nachweis der Zustellung wird gemäß § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO dadurch erbracht, dass das Empfangsbekenntnis an das Gericht zurückgeleitet wird. Eine Fiktion einer Zustellung ist über diese Zustellungsart nicht möglich.

12

Nach § 174 Abs. 3 ZPO ist auch ein elektronisches Empfangsbekenntnis möglich. Dies ist allerdings nur dann der Fall, wenn elektronische Dokumente zugestellt werden sollen. Diese sind in §§ 130a, 130b ZPO legaldefiniert. Demnach ist für ein gerichtliches Dokument gemäß § 130b ZPO erforderlich, dass ein elektronisches Dokument hergestellt wird, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen wird. Andere Dokumente können nicht mit einem elektronischen Empfangsbekenntnis übersandt werden, sondern müssen postalisch mit einem klassischen Empfangsbekenntnis versendet werden. Daraus ergeben sich für die Restrukturierungsgerichte zwei Fragestellungen. Zum einen ist fraglich, ob Papierdokumente über den ERV mittels elektronischem Empfangsbekenntnis versendet werden können. Zum anderen ist fraglich, wie bei einer elektronischen Akte damit umzugehen ist, dass durch den Richter nur Textkörper in elektronischer Form erstellt und signiert werden, die dann von der Geschäftsstelle als Schreiben ausgefertigt werden.18)

13

Die Problematik könnte über § 169 Abs. 4 ZPO gelöst werden. Danach können von Dokumenten beglaubigte elektronische Abschriften erstellt werden. Nachdem zunächst fraglich war, wann eine elektronische Beglaubigung erstellt werden kann, hat der Gesetzgeber klargestellt, dass eine solche Beglaubigung sowohl bei Schriftstücken als auch bei elektronischen Dokumenten möglich ist. Danach könnte in den oben geschilderten Konstellationen durch die Geschäftsstelle ein elektronisches beglaubigtes Dokument erstellt werden, das die Anforderungen des § 130b ZPO erfüllt und dann per elektronischem Empfangsbekenntnis zugestellt werden. Für die Restrukturierungsverfahren – ebenso wie für die Insolvenzverfahren – gilt allerdings bei der Zustellung die Besonderheit, dass es gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 keiner Beglaubigung der Schriftstücke bedarf und demnach einfache Abschriften übersandt werden können. Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber aus Vereinfachungsgründen in Restrukturierungssachen darauf verzichten wollte, dass die Zustellung wie in § 169 Abs. 2 ZPO mit einem beglaubigten Schriftstück erfolgt.

14

§ 41 Abs. 1 Satz 1 ist auch bei der elektronischen Zustellung eine den § 169 Abs. 4 ZPO verdrängende Spezialnorm. Dafür spricht insbesondere der Telos des § 41 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Durch den Beglaubigungsvermerk soll bei der klassischen Zustellung in Papierform dem Empfänger ermöglicht werden zu prüfen, ob das erhaltene beglaubigte Schriftstück mit dem Original übereinstimmt. Die Unterschrift des Geschäftsstellenbeamten soll insoweit als Zusicherung ausreichen. Auf die Prüfmöglichkeit hat der Gesetzgeber im Restrukturierungsverfahren bewusst verzich-

15

_____________ 18) Bei der Restrukturierungsgerichten werden zum Teil durch die Richter nur die Textkörper mit dem Textsystem erstellt. Aus diesen Textkörpern, die dann eine qualifiziert elektronische Signatur haben, werden dann durch die Geschäftsstellenbeamten die Schreiben gefertigt.

Blankenburg

607

§ 41

Zustellungen

tet. Würde nunmehr bei der elektronischen Zustellung vorausgesetzt, dass eine Beglaubigung erfolgt, ergäbe sich eine Diskrepanz zu der Prüfungsmöglichkeit bei der papiergebundenen Zustellung. Da kein Grund ersichtlich ist, warum im elektronischen Rechtsverkehr bei der Zustellung höhere Anforderungen geschaffen werden sollten als bei der klassischen Zustellung, ist davon auszugehen, dass § 41 Abs. 1 Satz 1 als Spezialnorm insoweit § 169 Abs. 4 Satz 1 ZPO verdrängt und es für die Zustellung per elektronischem Empfangsbekenntnis keiner Beglaubigung bedarf. Sowohl elektronische Dokumente als auch in Papierform erstellte Dokumente können daher in Restrukturierungssachen per elektronischem Empfangsbekenntnis übersandt werden, indem eine einfache elektronische Abschrift in Form einer pdf-Datei übersandt wird.19) d) Aushändigung an der Amtsstelle, Einschreiben gegen Rückschein 16

Eine Zustellung ist gemäß § 173 ZPO dadurch möglich, dass dem Adressaten das Schriftstück an der Amtsstelle ausgehändigt wird. Diese Art der Zustellung wird im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen keine Rolle spielen, da die Planbetroffenen in der Regel nicht anwesend sind.

17

Ferner kann gemäß § 175 ZPO eine Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein erfolgen. Diese Variante hat neben der Aufgabe zur Post und der Zustellung per Zustellungsurkunde keine Relevanz. e) Aufgabe zur Post

18

Während die ZPO eine Zustellung durch Aufgabe zur Post nur noch in Fällen der Auslandszustellung vorsieht, erweitert § 41 Abs. 1 Satz 2 insoweit die Befugnisse des Restrukturierungsgerichts. Danach ist es nur erforderlich, dass die Schriftstücke mit der Anschrift des Empfängers versehen werden und zur Post gegeben werden.

19

Das Prozedere der Zustellung ist in § 183 Abs. 2 Satz 4 ZPO i. V. m. § 41 Abs. 1 Satz 2 geregelt. Danach ist das Schriftstück zur Post zu geben. Dies ist jedes nach § 33 Abs. 1 PostG mit Zustellungsaufgaben beliehene Unternehmen (§ 168 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Die Übergabe kann gegenüber einem Mitarbeiter des Postunternehmens oder durch Einwurf in einen Briefkasten erfolgen.20) Sobald die Übergabe erfolgt ist,21) ist in der Akte zu vermerken, zu welcher Zeit und unter welcher Anschrift das Schriftstück aufgegeben wurde.22) Auch wenn das Schriftstück durch den Wachtmeister zu Post gegeben wird, ist der Vermerk eine originäre Aufgabe der Geschäftsstelle und auch durch diese vorzunehmen. Erforderlich ist daher, dass der Wachtmeister oder eine andere Person, die die Schriftstücke übergeben hat, dies an die zuständige Geschäftsstelle zurückmeldet, die dann den Vermerk aufnimmt.

20

Bei Auslandszustellungen gilt das Schriftstück nach zwei Wochen als zugestellt (siehe dazu Rz. 43), wenn das Gericht keine längere Frist bestimmt (§ 184 Abs. 2 _____________ 19) Ausführlich dazu Blankenburg, ZInsO 2020, 121, 125 f. 20) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 20. 21) Der Vermerk darf nicht schon vorher gestellt werden, so auch Ganter/Bruns in: MünchKommInsO, § 8 Rz. 20. 22) Dazu BGH, Beschl. v. 21.1.2010 – IX ZB 83/06, Rz. 8, ZInsO 2010, 397: Es reicht die Bezugnahme auf die Zustellungsverfügung und eine Anlage zum Zustellungsvermerk.

608

Blankenburg

§ 41

Zustellungen

Satz 1 ZPO). Nach § 41 Abs. 1 wird die Frist bei Inlandszustellungen dahin modifiziert, dass das Schriftstück drei Tage nach Aufgabe zur Post als zugestellt gilt. Für die Fristberechnung sind nur die Werktage einzubeziehen.23) Der Zustellungsadressat hat die Möglichkeit der Widereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO).24) Dazu hat er glaubhaft zu machen, dass er das Dokument nicht erhalten hat. 4.

Keine Beglaubigung

Eine Sondernorm zu § 169 Abs. 2 ZPO stellt § 41 Abs. 1 Satz 1, ebenso wie der wortgleiche § 8 Abs. 1 Satz 1 InsO dar. Nach § 169 Abs. 2 ZPO sind zuzustellende Dokumente grundsätzlich zu beglaubigen und die beglaubigte Abschrift ist zuzustellen.25) Abweichend von diesem Grundsatz bedarf es gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 im Anwendungsbereich des StaRUG keiner Beglaubigung der zuzustellenden Schriftstücke.26) 5.

21

Heilung

Liegt ein Zustellungsmangel vor, kann gemäß § 38 Satz 1 StaRUG i. V. m. § 189 ZPO dieser geheilt werden. Erforderlich ist dazu, dass die Zustellung an die Empfangsperson gewollt war und das Dokument dieser tatsächlich zugegangen ist.27) Die Zustellung muss daher grundsätzlich durch den Richter verfügt worden sein.28) Ab dem 17.7.2022 ist ein Mangel zudem gemäß § 86 Abs. 3 unbeachtlich, wenn eine wirksame öffentliche Bekanntmachung erfolgt ist.

22

IV. Personen mit unbekanntem Aufenthalt (Abs. 2) An Personen, deren Aufenthalt unbekannt ist, wird nicht zugestellt (§ 41 Abs. 2 Satz 1). Diese Vorschrift entspricht § 8 Abs. 1 Satz 1 InsO. Der Norm wird im Restrukturierungsverfahren keine große Bedeutung zukommen. Sollte der Aufenthalt des Schuldners unbekannt werden, ist von einem Scheitern der Restrukturierung auszugehen und die Restrukturierungssache ist nach § 33 aufzuheben. Da durch den Schuldner bestimmbar ist, mit welchen Gläubigern er verhandelt, wird die Norm nur dann relevant werden, wenn sich die Restrukturierungssache auf alle Gläubiger des Schuldners bezieht.

23

Eine Person ist dann unbekannten Aufenthalts, wenn die Ermittlung des Wohnorts oder des Sitzes trotz zumutbarer Nacherforschungen erfolglos geblieben ist. Zumutbare Nachforderungen sind insbesondere die Einholung von Informationen beim Einwohnermeldeamt, bei der Post bzgl. eventueller Nachsendeanträge sowie bei ehemals bekannten Vermietern oder Arbeitgebern.29)

24

_____________ 23) Rüther in: HambKomm-InsO, § 8 Rz. 9; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 21. 24) BGH, Beschl. v. 21.1.2010 – IX ZB 83/06, Rz. 9, ZInsO 2010, 397, 398; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 8 Rz. 21; unklar Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ahrens, InsR, § 6 InsO Rz. 21. 25) Blankenburg, ZInsO 2020, 121, 125 ff. 26) So auch Nerlich/Römermann-Becker, InsO, § 8 Rz. 7; a. A. Ganter/Bruns in: MünchKommInsO, § 8 Rz. 14. 27) BGH, Urt. v. 29.3.2017 – VIII ZR 11/16, Rz. 34 ff., NJW 2017, 2472, 2474. 28) Musielak/Voit-Wittschier, ZPO, § 189 Rz. 2. 29) So auch zu § 8 InsO Uhlenbruck-Pape, InsO, § 8 Rz. 5.

Blankenburg

609

§ 41 25

Zustellungen

Hat die Person, deren Aufenthalt unbekannt ist, einen zur Entgegennahme von Zustellungen berechtigten Vertreter, ist an diesen zuzustellen. Dem Gericht muss lediglich die Adresse des Vertreters bekannt sein.30) Eine Vollmacht muss sich nicht bei der Akte befinden. Der Vertreter muss nicht im Inland wohnen.31) V. Übertragung der Zustellung auf den Schuldner (Abs. 3)

26

Gemäß § 41 Abs. 3 kann der Schuldner mit der Zustellung beauftragt werden. Diese richtet sich dann nach den §§ 191 bis 194 ZPO. Die Übertragungsmöglichkeit auf den Schuldner findet keine vergleichbare Regelung in der InsO, wo nur die Übertragung auf den Insolvenzverwalter und den Sachwalter möglich ist. Die Übertragung auf den Schuldner setzt ein großes Vertrauen des Restrukturierungsgerichts in den Schuldner voraus, da eine mangelhafte Zustellung zu einer erheblichen Verfahrensstörung kommen kann. Zu beachten ist, dass nur die Zustellung übertragen werden kann, nicht hingegen die Fertigung der Schreiben selbst. Diese sind durch das Gericht zu erstellen.32) 1.

Durchführung der Zustellung

a) Allgemeines 27

Nach § 192 Abs. 1 ZPO hat die Zustellung mit Ausnahme der Auslandszustellung durch den Gerichtsvollzieher zu erfolgen. Der für den Zustellungsadressaten örtlich zuständige (vgl. § 14 GVGA) Gerichtsvollzieher stellt auf Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen entweder persönlich zu (§ 193) oder beauftragt die Post (§ 194).33) Eine Zustellung durch den Gerichtsvollzieher gegen Empfangsbekenntnis ist ebenso ausgeschlossen wie die Zustellung durch Einschreiben gegen Rückschein.34) Die Auswahl der Zustellungsart obliegt dem Gerichtsvollzieher nach pflichtgemäßem Ermessen.35) Im Rahmen der ZPO wird davon ausgegangen, dass grundsätzlich eine persönliche Zustellung zu erfolgen hat.36) Ausnahmen werden neben der Auslandszustellung nur für die §§ 829 Abs. 2, 835 Abs. 3 ZPO gemacht (§ 15 Abs. 1 Satz 1 GVGA). Ein solches Regel-Ausnahme-Verhältnis gilt für die Zustellung nach dem StaRUG nicht. Da § 41 Abs. 1 Satz 2 zur Vereinfachung ausdrücklich die Aufgabe zur Post zulässt, muss auch für die Zustellung über den Schuldner der Grundsatz gelten, dass eine Aufgabe zur Post der primäre Zustellungsweg ist. Sie muss gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 GVGA allerdings ausdrücklich durch den Schuldner beantragt werden, anderenfalls erfolgt eine persönliche Zustellung.

28

Nach § 192 Abs. 3 ZPO kann in amtsgerichtlichen Verfahren auch die Geschäftsstelle des Prozessgerichts herangezogen werden, um die Aufträge an den Gerichtsvollzieher zu vermitteln. Die Beauftragung des Gerichtsvollziehers soll dann durch die _____________ Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 8 Rz. 28. Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 8 Rz. 28. So auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 41 Rz. 35. Häublein/Müller in: MünchKomm-ZPO, § 192 Rz. 2; Zöller-Schultzky, ZPO, § 192 Rz. 1. Zöller-Schultzky, ZPO, § 192 Rz. 4; Häublein/Müller in: MünchKomm-ZPO, § 192 Rz. 2; Musielak/Voit-Wittschier, ZPO, § 192 Rz. 1. 35) OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.2.2015 – 8 W 75/15, Rz. 11, NJW 2015, 2513 m. w. N. 36) OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.2.2015 – 8 W 75/15, Rz. 17, NJW 2015, 2513, 2514. 30) 31) 32) 33) 34)

610

Blankenburg

§ 41

Zustellungen

Geschäftsstelle erfolgen. Diese Norm kann i. R. des § 41 Abs. 3 nicht angewendet werden. Die Übertragung der Zustellung auf den Schuldner soll der Entlastung des Gerichts dienen. Es widerspräche dieser Entlastungsintention, wenn der Schuldner zur Zustellung die Geschäftsstelle wieder heranziehen könnte. Der Schuldner hat dem Gerichtsvollzieher bei beiden Arten der Zustellung dem Gerichtsvollzieher die erforderliche Anzahl von Abschriften zu übergeben (§ 192 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

29

b) Persönliche Zustellung Örtlich zuständig für persönliche Zustellungen ist der Gerichtsvollzieher, in dessen Bezirk zugestellt werden soll (§ 14 Satz 1 GVGA). Der Gerichtsvollzieher hat nach der Beauftragung die Person aufzusuchen und ihr das Schriftstück zu übergeben. Dies beurkundet er dann in der Regel auf der Postzustellungsurkunde (§ 193 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Ferner hat er dem Adressaten entweder eine Abschrift der Zustellungsurkunde zu übergeben oder den Zustellungszeitpunkt auf dem Schriftstück zu vermerken (§ 193 Abs. 2 ZPO). Anschließend hat er die Zustellungsurkunde dem Schuldner zu übermitteln (§ 193 Abs. 3 ZPO). Die Übermittlung hat unverzüglich zu erfolgen (§ 24 Nr. 6 GVGA). Sie kann durch einfachen Brief erfolgen.37)

30

Für die persönliche Zustellung fällt eine Gebühr i. H. von 10 € an (Nr. 100 GvKostG).

31

c) Zustellung durch Aufgabe zur Post Für Zustellungen durch die Aufgabe zur Post (§ 194 ZPO) ist der Gerichtsvollzieher zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner oder sein Bevollmächtigter oder ein Zustellungsempfänger seinen Sitz hat.38)

32

Für die Zustellung durch Aufgabe zur Post übergibt der Schuldner dem Gerichtsvollzieher die zuzustellenden Abschriften. Auf diesem Schriftstück hat der Gerichtsvollzieher die Bezeichnung des Schuldners als Auftraggeber zu verzeichnen (§ 194 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Gerichtsvollzieher hat die Abschriften in einem verschlossenen,39) mit Aktenzeichen, der Bezeichnung des absendenden Gerichtsvollziehers und der Anschrift des Zustellungsadressaten versehenen Brief an die Post zu übergeben (§ 194 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Entweder auf der Urschrift oder auf einem gesonderten Bogen hat der Gerichtsvollzieher dann die Übergabe an die Post zu beurkunden. Das Schriftstück ist zu unterzeichnen.40) Erfolgt eine Zustellung durch die Post, hat diese dies zu vermerken und unverzüglich an den Gerichtsvollzieher zurückzusenden (§ 194 Abs. 2 ZPO).41)

33

Für die Zustellung durch Aufgabe zur Post fällt eine Gebühr i. H. von 10 € an (Nr. 101 GvKostG).

34

_____________ 37) 38) 39) 40) 41)

Häublein/Müller in: MünchKomm-ZPO, § 193 Rz. 6. Zöller-Schultzky, ZPO, § 192 Rz. 1. Dazu Häublein/Müller in: MünchKomm-ZPO, § 194 Rz. 4. Häublein/Müller in: MünchKomm-ZPO, § 194 Rz. 4. Dabei kommen in der Regel Vordrucke der Gerichtsvollzieher zum Einsatz, Saenger-Siebert, ZPO, § 194 Rz. 3.

Blankenburg

611

§ 41 2.

Zustellungen

Übertragungsentscheidung des Restrukturierungsgerichts

35

Die Übertragung der Zustellung auf den Schuldner ist in das Ermessen des Gerichts gestellt. Ist nicht nur an eine sehr geringe Zahl (>10) von Adressaten zuzustellen, wird eine Übertragung in der Regel nicht in Betracht kommen. Die Zustellung über den Gerichtsvollzieher ist viel zu schwerfällig. Bei mehr als 100 Beteiligten wird eine persönliche Zustellung kaum möglich sein, da es unzumutbar erscheint, bei einer Vielzahl von Gerichten den zuständigen Gerichtsvollzieher zu beauftragen. Ist kein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, wird das Gericht abzuwägen haben, ob eine Zustellung über den Schuldner sinnvoll erscheint.

36

Entscheidet sich das Gericht für eine Zustellung durch den Schuldner, muss diese Entscheidung durch Beschluss getroffen werden, der jedoch mit anderen Entscheidungen verbunden werden kann. VI. Auslandszustellung

37

Da das Restrukturierungsverfahren gerade für große Verfahren ausgelegt ist, die häufig internationalen Bezug aufweisen, bedarf es ggf. auch der Zustellung im Ausland. Insoweit ist zwischen der Zustellung innerhalb und außerhalb der EU zu unterscheiden. 1.

Zustellung innerhalb der EU

38

Gemäß § 183 Abs. 1 ZPO ist die Zustellung innerhalb der Mitgliedstaaten der EU nach der VO (EU) Nr. 1393/2007 (EuZustVO) vorzunehmen. Diese Normen verdrängen die §§ 184 ff. ZPO.42) Gleiches muss insoweit für § 41 gelten, da sich dieser nicht über die europäischen Vorgaben hinwegsetzen kann.

39

Es kann eine förmliche Zustellung gemäß §§ 4 ff. EuZustVO durch die Übermittlung des Schreibens von einer Übermittlungs- zu einer Empfangsstelle erfolgen. Dies stellt die sicherste Übermittlung dar, ist jedoch auch mit einem langwierigen Prozedere verbunden.43)

40

Der einfachere Weg der Zustellung ist die Zustellung durch Postdienst gemäß Art. 14 EuZustVO. Die erforderliche nationale Zulassung finde sich in § 1068 ZPO. Die Art der Zustellung ist gegenüber der förmlichen Zustellung nicht subsidiär.44) Die Versendung erfolgt per Einschreiben mit Rückschein oder gleichwertigen Belegen.45) Dazu muss das Schreiben durch ein Postunternehmen des Staates, in dem der Empfänger seinen Wohnsitz46) hat, an den Empfänger übergeben werden. Der entsprechende Beleg muss unterzeichnet und an den Absender zurückgeschickt werden.47) Wird der _____________ Rauscher in: MünchKomm-ZPO, § 1068 Rz. 4; Thode in: BeckOK-ZPO, § 1068 Rz. 9. Rauscher in: MünchKomm-ZPO, Art. 14 EuZustVO Rz. 1a. Thode in: BeckOK-ZPO, § 1068 Rz. 10. Dazu EuGH, Urt. v. 2.3.2017 – Rs. C-354/15 (Henderson/Novo Banco SA), Rz. 79 ff., EUZW 2017, 344, 347. 46) Dies ist der Ort, an dem der Empfänger gewöhnlich wohnt oder sich aufhält (EuGH, Urt. v. 2.3.2017 – Rs. C-354/15 (Henderson/Novo Banco SA), Rz. 94, EUZW 2017, 344, 348. 47) Thode in: BeckOK-ZPO, § 1068 Rz 12; die Quittierung darf nicht beim Empfänger verbleiben; zur Problematik ausländischer Zustellnachweise Rauscher in: MünchKomm-ZPO, § 1068 Rz. 94. 42) 43) 44) 45)

612

Blankenburg

§ 41

Zustellungen

Empfänger nicht angetroffen, kann das Schriftstück an einem Erwachsenen übergeben werden, der sich in der Wohnung des Empfängers aufhält.48) Eine Niederlegung ist nicht möglich.49) Das Schriftstück muss nicht übersetzt werden. Allerdings ist die Sendung mit einer Belehrung gemäß Anhang II EuZustVO zu versehen, mit der der Empfänger darauf hingewiesen wird, dass er gemäß Art. 8 Abs. 1 EuZustVO die Annahme verweigern kann, wenn das Schriftstück nicht in einer im verständlichen Sprache oder der Amtssprache des Empfängermitgliedstaates verfasst ist.50) Der Mangel des Formblattes kann durch Nachreichung geheilt werden.51)

41

Die Zuständigkeit des Restrukturierungsgerichts als Übermittlungsstelle ergibt sich aus § 1069 Abs. 1 NR. 1 ZPO.

42

2.

Zustellung außerhalb der EU

Außerhalb der EU ist die Zustellung nach §§ 183 ff. ZPO vorzunehmen. Dazu kann gemäß § 183 Abs. 2 Satz 2 ZPO per Einschreiben mit Rückschein versendet werden. Eine Ersatzzustellung ist möglich.52) Mit dem ersten Schreiben kann der Empfänger gemäß § 184 Abs. 1 ZPO zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten verpflichtet werden. Kommt er dem nicht nach, kann zukünftig durch Aufgabe zur Post zugestellt werden (§ 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO). In diesem Fall gilt das Schriftstück zwei Wochen nach Aufgabe zur Post als zugestellt.

43

Es stellt sich insoweit die Frage, ob diese Voraussetzungen auch durch § 41 Abs. 1 überlagert werden und so unmittelbar eine Aufgabe zur Post möglich ist. Dagegen spricht allerdings sowohl der gesetzgeberische Wille, der § 41 nur für die Inlandszustellung einschlägig ansieht,53) als auch die Systematik der Auslandszustellung. Die konsequente Anwendung des § 41 Abs. 1 würde zu einer Zugangsfiktion innerhalb von drei Tagen führen. Dies erscheint in Bezug auf eine ausländische Zustellung zu knapp.

44

3.

Planbetroffene mit unbekanntem Aufenthalt

Ist ein Planbetroffener unbekannten Aufenthalts, findet die EuZustVO gemäß Art. 1 Abs. 2 EuZustVO keine Anwendung. Die Zustellung müsste dann nach den §§ 183 ff. ZPO erfolgen. Dies hätte für das Gericht die missliche Konsequenz, dass von Amts wegen Ermittlung zum Aufenthalt einer Person veranlasst sein könnten. Insoweit ist dann fraglich, ob § 41 Abs. 2 entsprechend anzuwenden ist. Dagegen _____________ 48) EuGH, Urt. v. 2.3.2017 – Rs. C-354/15 (Henderson/Novo Banco SA), Rz. 95, EUZW 2017, 344, 348; so auch Rauscher in: MünchKomm-ZPO, Art. 14 EuZustVO Rz. 8; Thode in: BeckOK-ZPO, § 1068 Rz. 16. 49) Thode in: BeckOK-ZPO, § 1068 Rz. 15. 50) Dazu EuGH, Urt. v. 16.9.2015 – Rs. C-519/13 (Alpha Bank Cyprus), Rz. 58, EuZW 2015, 832, 835; Thode in: BeckOK-ZPO, § 1068 Rz. 17. 51) EuGH, Urt. v. 16.9.2015 – Rs. C-519/13 (Alpha Bank Cyprus), Rz. 61, EuZW 2015, 832, 835; Thode in: BeckOK-ZPO, § 1068 Rz. 19; zu prüfen ist der Mangel erst inzident, wenn es um die Wirksamkeit der Zustellung geht, nicht schon bei der Zustellung selbst (EuGH, Urt. v. 16.9.2015 – Rs. C-519/13 (Alpha Bank Cyprus), Rz. 42, EuZW 2015, 832, 834). 52) Musielak/Voit-Wittschier, ZPO, § 183 Rz. 2. 53) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 143 f.

Blankenburg

613

45

§ 42

Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift

spricht wie oben die Gesetzesbegründung, die nur von einer Anwendung auf Inlandzustellung ausgeht.54) Indes sollte die Erleichterung des Verfahrens auch zugunsten ausländischer Gläubiger gelten. Nur damit ist gewährleistet, dass Gläubiger ohne eine Ummeldung zu einer erheblichen Belastung für das Verfahren werden. _____________ 54) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 143 f.

Unterabschnitt 2 Restrukturierungsrecht § 42 Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift Janjuah/Tangermann

(1) 1Während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ruht die Antragspflicht nach § 15a Absatz 1 bis 3 der Insolvenzordnung und § 42 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. 2Die Antragspflichtigen sind jedoch verpflichtet, dem Restrukturierungsgericht den Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Absatz 2 der Insolvenzordnung oder einer Überschuldung im Sinne des § 19 Absatz 2 der Insolvenzordnung ohne schuldhaftes Zögern anzuzeigen. (2) Die Stellung eines den Anforderungen des § 15a der Insolvenzordnung genügenden Insolvenzantrags gilt als rechtzeitige Erfüllung der Anzeigepflicht nach Absatz 1 Satz 2. (3) 1Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen Absatz 1 Satz 2 den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung nicht oder nicht rechtzeitig anzeigt. 2Handelt der Täter fahrlässig, ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. 3Die Sätze 1 und 2 sind nicht anzuwenden auf Vereine und Stiftungen, für die die Pflicht nach Absatz 1 Satz 1 gilt. (4) Wenn die Anzeige der Restrukturierungssache nach § 31 Absatz 4 ihre Wirkung verliert, leben die nach Absatz 1 Satz 1 ruhenden Antragspflichten wieder auf. Literatur: Ampferl/Kilper, Die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit in der Praxis – Anmerkung zu BGH, Urt. v. 19.12.2017 – II ZR 88/16, NZI 2018, 204, NZI 2018, 191; Arens, Das SanInsFoG – Änderungen im Pflichtenregime für Geschäftsleiter, GWR 2021, 64; Brünkmans, Geschäftsleiterpflichten und Geschäftsleiterhaftung nach dem StaRUG und SanInsFoG – Nachtrag zu ZInsO 2021, 1 ff., ZInsO 2021, 125; Brünkmans, Geschäftsleiterpflichten und Geschäftsleiterhaftung nach dem StaRUG und SanInsFoG, ZInsO 2021, 1; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Fischer, Krisenbewältigung durch Insolvenzrecht, ZGR 2006, 403; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Morgen/Rathje, Stellt eine positive Liquidationsprognose eine positive Fortführungsprognose i. S. d. § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO dar?, ZIP 2018, 1955; Neumaier, Wann wird eine Zahlungsstockung zur Zahlungsunfähigkeit?, NJW 2005, 3041; Pluta, Insolvenzgründe im Kontext von StaRUG und InsO, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 22; Schluck-Amend/Hefner, Das StaRUG und seine Auswirkungen auf die Geschäftsleiterhaftung, ZRI 2020, 570; Smid,

614

Janjuah/Tangermann

Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift

§ 42

Geschäftsleiterpflichten und Geschäftsleiterhaftung nach dem StaRUG und SanInsFoG, ZInsO 2021, 11; Staufenbiel/Hoffmann, Die Ermittlung des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit (Teil 1), ZInsO 2008, 785; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungsund -restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Vallender, Das Sanierungsund Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG), MDR 2021, 201. Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: DK, Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 6.11.2018, abrufbar unter https://bankenverband.de/themen/dk-stellungnahme-richtlinienvorschlag-praventive-restrukturierungsrahmen/?print=True; DK, Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission zu präventiven Restrukturierungsverfahren COM(2016) 723 final v. 22.11.2016, v. 29.3.2017 (DK, Stellungnahme Vorschlag der Europäischen Kommission zu präventiven Restrukturierungsverfahren, v. 29.3.2017), abrufbar unter https://die-dk.de/ media/files/2017-03-29-Stn-DK-praevent_Restrukturierung_FBbRU93.pdf; Gravenbrucher Kreis, Gravenbrucher Thesen v. 14.1.2017, ZIP 2017, 203. (Abrufdatum jeweils 23.8.2021). Übersicht I. II. III. IV. V. 1.

I.

Einführung ........................................... 1 Normzweck ........................................... 2 Normhistorie ...................................... 10 Tatbestand ........................................... 13 Rechtsfolgen ....................................... 16 Suspendierung der Insolvenzantragspflichten (Abs. 1 Satz 1) ............. 17 a) Grundsatz: Insolvenzrechtliche Antragspflichten gemäß § 15a InsO .................................... 18 b) Insolvenzgründe nach der deutschen InsO im Überblick ...................................... 22 aa) Zahlungsunfähigkeit .................... 24 bb) Überschuldung ............................. 29 cc) Abgrenzbarkeit zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung ..................................... 35

2.

3. 4.

c) Ruhen der Insolvenzantragspflichten während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache .................................... 43 Anzeigepflicht bei (nachträglichem) Eintritt der Insolvenzreife (Abs. 1 Satz 2, Abs. 2) ........................ 45 a) Anzeigepflicht des Schuldners .... 46 b) Erfüllung der Anzeigepflicht ....... 50 c) Bestimmung der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung während der Rechtshängigkeit des Restrukturierungsvorhabens ............................................... 58 d) Aufhebung der Restrukturierungssache .................................... 61 Strafbarkeit (Abs. 3) ........................... 63 Wiederaufleben der Insolvenzantragspflichten (Abs. 4) .................... 66

Einführung

Gemäß § 42 wird die nach § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB an die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung anknüpfende Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache durch eine strafbewehrte (§ 42 Abs. 3) Pflicht zur Anzeige der Insolvenzreife ersetzt (§ 42 Abs. 1). Nach Absatz 2 kann dieser Pflicht auch durch die Stellung eines Insolvenzantrags genügt werden. § 42 normiert damit eine Ausnahmeregelung zu den grundsätzlich bestehenden Insolvenzantragspflichten von haftungsbeschränkten Rechtsträgern. Nach § 42 Abs. 4 leben die Insolvenzantragspflichten gemäß § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB nach der Beendigung der Restrukturierungssache wieder auf.

1

II. Normzweck Nach der Restrukturierungsrichtlinie soll die Aussetzung von Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen (auch) zu einer Suspendierung etwaiger Insolvenzantragspflichten führen; befindet der Schuldner sich noch in einem formalen Restrukturierungsprozess, kann das Stellen eines Insolvenzantrags ansonsten verhindern, dass Janjuah/Tangermann

615

2

§ 42

Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift

die Ziele der Umstrukturierung erreicht werden.1) Bereits in der Einführung zum Richtlinienentwurf wird ausdrücklich klargestellt, dass verhindert werden soll, dass durch das Stellen eines Insolvenzantrags (sowohl durch den Schuldner selbst als auch durch die Gläubiger) das Ziel der Restrukturierung nicht erreicht und das Sanierungsverfahren nicht erfolgreich abgeschlossen werden kann.2) 3

Art. 7 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie soll daher – flankiert durch die Regelung in Abs. 2 (Suspendierung entsprechender Gläubigeranträge) – sicherstellen, dass der Schuldner während der Sanierungsverhandlungen, d. h. konkret jedenfalls während der Dauer einer gemäß Art. 6 Restrukturierungsrichtlinie gewährten Aussetzung von einzelnen Vollstreckungsmaßnahmen, nicht rechtlich verpflichtet ist, einen Insolvenzantrag zu stellen. Entsprechend muss nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie eine nach dem nationalen Recht bestehende Pflicht des Schuldners zur Stellung eines Insolvenzantrags während der Laufzeit einer Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen (Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Restrukturierungsrichtlinie) ruhen, sofern das Insolvenzverfahren, auf das sich die Antragspflicht bezieht, in eine Liquidation des Schuldners münden kann. Letzteres trifft auf das deutsche Insolvenzverfahren zu, welches als Einheitsverfahren gegenüber allen möglichen Verfahrensausgängen offen ist und insbesondere in einer Liquidation enden kann.

4

Die in der Restrukturierungsrichtlinie vorgeschriebene Suspendierung von Insolvenzantragspflichten führt damit zu einem faktischen Vorrang des Restrukturierungs- vor dem Insolvenzverfahren. Zwar sehen nicht alle EU-Mitgliedstaaten bei Eintritt einer Insolvenzreife eine Pflicht zur Insolvenzantragsstellung vor. Soweit dies allerdings der Fall ist, bestand eine Notwendigkeit das Rangverhältnis durch die Suspendierung etwaiger Insolvenzantragspflichten festzuschreiben.

5

Eine temporäre Verdrängung der Insolvenzantragspflichten nach § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB ist damit richtlinienrechtlich geboten. Da die Suspendierung der Antragspflicht nach Art. 7 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie nur während einer Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen zwingend geboten ist, wäre es für den deutschen Gesetzgeber auch möglich gewesen, die Suspendierung der Insolvenzantragspflichten auf die Anordnungsdauer von Stabilisierungsanordnungen nach den §§ 49 ff. zu beschränken. Um aber für Rechtsklarheit zu sorgen und dem adversen Anreiz entgegenzuwirken, dass der Schuldner allein deshalb auf den Erlass einer Stabilisierungsanordnung hinwirkt, weil er sich der straf- und haftungsbewehrten Antragspflicht entledigen will, hat der deutsche Gesetzgeber sich dazu entschieden, _____________ 1)

2)

616

Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, v. 22.11.2016, COM(2016) 723 final [2016/0359 (COD)], abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/ ?uri=CELEX:52016PC0723&from=RO (Abrufdatum: 23.8.2021), S. 7. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, v. 22.11.2016, COM(2016) 723 final [2016/0359 (COD)], abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/ ?uri=CELEX:52016PC0723&from=RO (Abrufdatum: 23.8.2021), S. 7.

Janjuah/Tangermann

Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift

§ 42

dass die Antragspflicht bereits ohne weiteres mit der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache suspendiert ist.3) Ausweislich der Regierungsbegründung entsteht hierdurch keine Haftungslücke, da an die Stelle der Antragspflicht die Anzeigepflicht nach § 42 Abs. 1 tritt, die dem Restrukturierungsgericht die Prüfung ermöglicht, ob die Restrukturierungssache ungeachtet der Insolvenzreife fortgeführt werden kann oder im Interesse der Gläubiger zu beenden ist (§ 33 Abs. 2 Nr. 1).4) Die Statuierung einer solchen Anzeigepflicht werde von der Richtlinie zwar nicht vorgesehen, sei aber auch nicht ausgeschlossen. Das folgt für die Zahlungsunfähigkeit bereits daraus, dass die Restrukturierungsrichtlinie für diese Ausnahmen vom Gebot der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zulässt.5) Denn da der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit während des Moratoriums offenbart, dass nicht einmal der zusätzliche Freiraum durch das Moratorium ausreicht, um die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs zu sichern, steht es gemäß Art. 7 Abs. 3 Restrukturierungsrichtlinie den Mitgliedstaaten offen, für diesen Fall eine entsprechende Ausnahmeregelung zur Aussetzung der Antragspflichten gemäß Art. 7 Abs. 1 und 2 Restrukturierungsrichtlinie zu erlassen. Im Falle der nachträglichen Zahlungsunfähigkeit wäre damit sogar die Beibehaltung einer Antragspflicht zulässig gewesen.6)

6

Für die Überschuldung folgt die Zulässigkeit einer Beendigung der Restrukturierungssache ausweislich der Regierungsbegründung daraus, dass die Restrukturierungsrichtlinie es den Mitgliedstaaten freistellt, den Zugang zu den Instrumentarien des Rahmens an eine Bestandsfähigkeitsprüfung zu knüpfen (Art. 4 Abs. 2 Restrukturierungsrichtlinie). Da eine fehlende Bestandsfähigkeit in Gestalt einer negativen Fortführungsprognose (§ 19 Abs. 2 Satz 1 InsO) Voraussetzung für eine Überschuldung sei und mithin umgekehrt bei einer Überschuldung als gegeben vorausgesetzt werden könne, dürfe sich an eine Überschuldung auch die Verweigerung des Zugangs zu den Instrumenten des Rahmens, einschließlich der Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen knüpfen. Dies gelte umso mehr als die negative Fortführungsprognose in der Regel über die fehlende Akzeptanz des Vorhabens bei den betroffenen Gläubigern vermittelt wird, welche ihrerseits die Beendigung der Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen rechtfertigt (Art. 6 Abs. 9 lit. a Restrukturierungsrichtlinie).

7

Tatsächlich zwingt die in Absatz 1 statuierte Anzeigepflicht – anders als eine Antragspflicht – den Schuldner nicht in ein Insolvenzverfahren. Somit ist die Anzeigepflicht nicht geeignet, den auf die die Vermeidung des Insolvenzverfahrens gerichteten Zweck der Restrukturierungsrichtlinie zu beeinträchtigen. Durch die Anzeige wird das Gericht vielmehr in die Lage versetzt, im Falle einer Insolvenzreife zu entscheiden, ob die Fortführung der Restrukturierungssache noch im Interesse der Gesamtgläubigerschaft liegt, deren Interessen und Rechte mit dem Eintritt der Insolvenzreife unmittelbar gefährdet sind.

8

_____________ 3) 4) 5) 6)

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 144 f. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 145. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 145. Hierzu i. E. Janjuah in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 7 Rz. 46 ff.

Janjuah/Tangermann

617

§ 42 9

Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift

Im Ergebnis trägt § 42 damit dem Zweck der Restrukturierungsrichtlinie und des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens Rechnung, die Sanierungskultur (in der EU) zu fördern und dabei Schuldnern eine (nachhaltige) Restrukturierung bei Vermeidung ihrer Insolvenz zu ermöglichen, um so die unnötige Liquidation bestandsfähiger Unternehmen zu begrenzen.7) III. Normhistorie

10

Ausweislich der Gesetzesbegründung8) dient die Vorschrift des § 42 der Umsetzung von Art. 7 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 3 der Restrukturierungsrichtlinie9). Art. 7 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie normiert eine Ausnahmeregelung zu den nach nationalem Recht grundsätzlich bestehenden Insolvenzantragspflichten und regelt, dass und unter welchen Voraussetzungen die Insolvenzantragspflichten während des Moratoriums suspendiert sind. Indes räumt der Normtext den Mitgliedstaaten über die Öffnungsklausel des Art. 7 Abs. 3 die Möglichkeit ein, für den Fall der nachträglichen Zahlungsunfähigkeit nach gerichtlicher Prüfung ein Wiederaufleben der Antragspflicht vorzusehen

11

Im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zur Schaffung eines europaweit einheitlichen präventiven Restrukturierungsverfahrens sind auch die Absätze 1 – 3 des Art. 7 Restrukturierungsrichtlinie Gegenstand von fortlaufenden Änderungen und verschiedenen Verbesserungsvorschlägen geworden. Obwohl verschiedene Interessenverbände eine Aufrechterhaltung der Insolvenzantragspflichten des Schuldners auch während des Moratoriums forderten,10) stand zu keinem Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens grundsätzlich in Frage, dass die Suspendierung der Insolvenzantragspflichten während der Dauer eines Moratoriums zur Unterstützung der Verhandlungen über einen Restrukturierungsplan Teil der Restrukturierungsrichtlinie werden sollte.

12

Im Rahmen der nationalen Umsetzung von Art. 7 Abs. 1 – 3 der Restrukturierungsrichtlinie war die Vorschrift des § 42 in seiner jetzigen Fassung bereits weitgehend im RefE11) enthalten. Während mit Ausnahme einiger redaktioneller Änderungen die Regelung im RegE12) unverändert geblieben ist, hat der Gesetzgeber in der verabschiedeten Gesetzesfassung in § 42 Abs. 4 i. R. einer redaktionellen Korrektur13) _____________ 7) ErwG 2 der Restrukturierungsrichtlinie. 8) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 144 f. 9) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. 10) Vgl. beispielhaft DK, Stellungnahme Vorschlag der Europäischen Kommission zu präventiven Restrukturierungsverfahren, v. 29.3.2017, und DK, Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 6.11.2018; Gravenbrucher Kreis, Gravenbrucher Thesen v. 14.1.2017, ZIP 2017, 203, 204. 11) RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 12) RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. 13) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 8 – z. § 42 StaRUG.

618

Janjuah/Tangermann

Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift

§ 42

noch klargestellt, dass von der Auflebensregelung alle in § 42 Abs. 1 geregelten Antragspflichten erfasst werden. Davon abgesehen entspricht die finale Fassung des § 42 dem entsprechenden Regelungsvorschlag im RegE. IV. Tatbestand Die in § 42 Abs. 1 normierte Aussetzung der Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags knüpft tatbestandlich an die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache an. Dies ist unabhängig davon, ob nachfolgend eine Stabilisierung oder ein anderes „Stabilisierungsinstrument“ beantragt wird.14)

13

Rechtshängig wird die Restrukturierungssache gemäß § 31 Abs. 3 mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim Restrukturierungsgericht. Da die Anzeige kein zu bescheidender Antrag, sondern eine einseitige Verfahrenshandlung des Schuldners ist, bedarf es dabei keiner diesbezüglichen Entscheidung des Restrukturierungsgerichts.15) Allerdings setzt die Rechtshängigkeit die formgerechte Anzeige der Restrukturierungssache mit den nach § 31 Abs. 2 erforderlichen Anlagen, insbesondere den Entwurf eines Restrukturierungsplans oder -konzepts (§ 31 Abs. 2 Nr. 1) voraus (siehe hierzu i. E. § 31 Rz. 18 ff.).16)

14

Die Rechtshängigkeit endet, wenn die Anzeige ihre Wirkung verliert (§ 31 Abs. 4). Das ist der Fall, wenn der Schuldner sie zurücknimmt (§ 31 Abs. 4 Nr. 1), die Entscheidung über die Planbestätigung rechtskräftig wird (§ 31 Abs. 4 Nr. 2), das Gericht die Restrukturierungssache nach § 33 aufhebt (§ 31 Abs. 4 Nr. 3) oder seit der Anzeige sechs Monate bzw., sofern der Schuldner die Anzeige zuvor erneuert hat, zwölf Monate vergangen sind (§ 31 Abs. 4 Nr. 4). Insgesamt ist daher die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache auf maximal zwölf Monate beschränkt, wobei die nur einmal mögliche Erneuerung der Anzeige ein Ausnahmefall bleiben soll.17)

15

V. Rechtsfolgen Die Antragspflichten nach § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB sind bereits ohne weiteres mit der Anzeige und (die dadurch ausgelöste) Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache vorübergehend suspendiert (§ 42 Abs. 1 Satz 1). Ersetzt werden die Antragspflichten durch eine strafbewehrte (§ 42 Abs. 3) Pflicht zur Anzeige der Insolvenzreife (§ 42 Abs. 1 Satz 2). Diese Pflicht kann auch durch Stellung eines Insolvenzantrags erfüllt werden (§ 42 Abs. 2). Nach Beendigung der Restrukturierungssache leben die Insolvenzantragspflichten wieder auf (§ 42 Abs. 4).

_____________ 14) Thole, ZIP 2020, 1985, 1991. 15) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 133 f. 16) Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 10; vgl. auch die Streichung von § 33 Abs. 1 Nr. 3 RefE durch den RegE (BT-Drucks. 19/24181, dort in § 35 Abs. 1). Im RefE (abrufbar unter https:// www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf? __blob=publicationFile&v=6 [Abrufdatum: 23.8.2021]) war noch vorgesehen, dass das Gericht dem Schuldner nach Anzeige des Restrukturierungsvorhabens eine Frist zur Vorlage eines Restrukturierungsplanes oder eines ausgereiften und schlüssigen Restrukturierungskonzepts setzen konnte. 17) Begr. RegE SanInsFoG z. § 33 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 136.

Janjuah/Tangermann

619

16

§ 42 1. 17

Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift

Suspendierung der Insolvenzantragspflichten (Abs. 1 Satz 1)

§ 42 Abs. 1 Satz 1 betrifft das Ruhen der Insolvenzantragspflichten während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache. a) Grundsatz: Insolvenzrechtliche Antragspflichten gemäß § 15a InsO

18

Zum Schutz der Gläubiger von beschränkt haftenden Rechtssubjekten, aber auch allgemein zum Schutz des Rechtsverkehrs vor der Schädigung durch materiell insolvente, beschränkt haftende Gesellschaften18) sieht das deutsche Recht in § 15a InsO eine Insolvenzantragspflicht für die Geschäftsleitung vor. Würde in solchen Fällen kein Insolvenzverfahren eröffnet, könnte durch Einzelzwangsvollstreckungen die Insolvenzmasse (§ 35 InsO) zugunsten einzelner, typischerweise besonders gut informierter Gläubiger ausgehöhlt werden.19)

19

Die Insolvenzantragspflichten gemäß § 15a InsO sind unter dem SanInsFoG dem Grunde nach unverändert geblieben. Einzig der Zeitraum, in dem Geschäftsleiter überschuldeter Unternehmen nach erstmaliger Feststellung spätestens Insolvenzantrag stellen müssen, wurde von drei auf sechs Wochen ausgeweitet. Für die Zahlungsunfähigkeit bleibt es wie bisher bei drei Wochen. Es bleibt für Geschäftsleiter weiter dabei, dass die genannten Höchstfristen nicht ausgeschöpft werden dürfen, wenn zu einem früheren Zeitpunkt feststeht, dass die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nicht beseitigt werden kann.20) Dann muss wie bislang umgehend Insolvenzantrag gestellt werden. Insofern beginnt die Antragspflicht nicht erst mit Ablauf der vorgenannten Fristen, sondern schon mit dem objektiven Eintritt des Insolvenzgrundes. Die Drei- bzw. Sechs-Wochen-Frist sind also Höchstfristen, der Antrag ist ggf. früher zu stellen, wenn eine mögliche Sanierung endgültig gescheitert ist.21)

20

Konkret sind die Mitglieder des Vorstands einer AG oder die Geschäftsführer einer GmbH im Falle der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder bei Eintritt ihrer Überschuldung gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1, 2 InsO verpflichtet, ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung, einen Eröffnungsantrag zu stellen. Gleiches gilt nach Vorstellung des Gesetzgebers auch für vergleichbare Organe inländischer Niederlassungen ausländischer juristischer Personen.22)

21

Die Überwachung der Insolvenzantragspflicht gehört zu den zentralen Pflichten der Vertretungsorgane einer schuldnerischen Gesellschaft. Schon aufgrund der potentiell weitreichenden zivil- und strafrechtlichen Haftung ist es aus Sicht der Vertretungsorgane daher unerlässlich, sich mit den Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung vertraut zu machen sowie ein funktionierendes _____________ 18) 19) 20) 21)

Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 15a Rz. 1. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 15a Rz. 1. Arens, GWR 2021, 64, 65. Baumbach/Hueck-Haas, GmbHG § 64 Rz. 163; OLG Hamburg, Urt. v. 25.6.2010 – 11 U 133/06, ZIP 2010, 2448 ff.; Arens, GWR 2021, 64, 65. 22) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 15a Rz. 6.

620

Janjuah/Tangermann

Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift

§ 42

System für ein zuverlässiges Monitoring einzurichten.23) Eine entsprechende Pflicht der Geschäftsleiter, fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können, zu wachen sowie geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen und den zur Überwachungsorganen unverzüglich Bericht zu erstatten, ist nunmehr auch in § 1 Abs. 1 normiert (siehe hierzu i. E. § 1 Rz. 1 ff.). b) Insolvenzgründe nach der deutschen InsO im Überblick Nach der deutschen InsO ist insolvenzantragspflichtig, wer zahlungsunfähig oder überschuldet ist.

22

Der Gesetzgeber hat sich i. R. der Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie dazu entschieden, die in der InsO definierten Insolvenzgründe weitgehend unverändert zu lassen (siehe oben Rz. 19), sodass insoweit der wesentliche Teil der bestehenden Rechtsprechung und Kommentierung herangezogen werden kann.

23

aa) Zahlungsunfähigkeit § 17 InsO nennt zunächst die Zahlungsunfähigkeit als Eröffnungsgrund. Nach dem Gesetzeswortlaut des § 17 Abs. 2 InsO liegt Zahlungsunfähigkeit vor, wenn ein Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit wird daher durch eine Gegenüberstellung von Zahlungsmitteln und Zahlungsverpflichtungen ermittelt.24)

24

Dabei ist eine zeitliche und quantitative Eingrenzung bei der Bestimmung der Zahlungsunfähigkeit gerechtfertigt, um nicht bei kurzfristigen Zahlungsschwierigkeiten oder geringfügigen Liquiditätslücken eine Insolvenzantragspflicht zu statuieren und Haftungsansprüche zu begründen.25) So hat der BGH in ständiger Rechtsprechung ein quantitatives Element für die Zahlungsunfähigkeit i. H. von 10 % entwickelt, um den Begriff der geringfügigen Liquiditätslücke für die Praxis nachvollziehbar und handhabbar zu gestalten.26) Nach der allgemeinen Formel des BGH ist eine Zahlungsunfähigkeit demnach dann gegeben, wenn der Schuldner nicht innerhalb von drei Wochen in der Lage ist, 90 % seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten zu begleichen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein weiteres Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.27)

25

Auch wenn die höchstrichterliche Rechtsprechung den Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit inzwischen weitgehend präzisiert hat,28) wird eine genaue Vorgehensweise

26

_____________ Janjuah in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art 7 Rz. 16. Uhlenbruck-Mock, InsO, § 17 Rz. 20. Ampferl/Kilper, NZI 2018, 191, 192 (Urteilsanm.). Uhlenbruck-Mock, InsO, § 17 Rz. 23. Vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 19.12.2017 – II ZR 88/16, Rz. 10, ZIP 2018, 283 = NZI 2018, 204, dazu EWiR 2018, 197 (K. Schmidt); BGH, Urt. v. 17.11.2016 – IX ZR 65/15, Rz. 17, ZIP 2016, 2423 = ZInsO 2016, 2474. 28) Zur Ermittlung der Zahlungsfähigkeit eingehend BGH, Urt. v. 19.12.2017 – II ZR 88/16, Rz. 10, ZIP 2018, 283 = NZI 2018, 204; dazu Ampferl/Kilper, NZI 2018, 191, 192 ff. (Urteilsanm.). 23) 24) 25) 26) 27)

Janjuah/Tangermann

621

§ 42

Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift

von dieser nicht vorgegeben.29) Dabei scheint es jedoch empfehlenswert, das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit i. R. einer mehrstufigen Prüfung30) zu ermitteln: –

Ermittlung der zu einem bestimmten Stichtag fälligen und ernsthaft eingeforderten Zahlungsverbindlichkeiten und solcher Zahlungspflichten, die binnen drei Wochen ab diesem Stichtag fällig werden31)



Feststellung der liquiden Zahlungsmittel, die dem Schuldner am Stichtag zur Verfügung stehen oder binnen der nächsten drei Wochen in liquide Mittel umgewandelt32) werden können.



Prüfung, ob die Gegenüberstellung der fälligen oder innerhalb von drei Wochen fällig werdenden Verbindlichkeiten zu den liquiden Mitteln (Liquiditätsstatus) eine vollständige Deckung oder eine Liquiditätslücke (Unterdeckung) ergibt;33) wenn der Schuldner vom Stichtag der Prüfung bis zum Ende der Drei-WochenFrist die fällig werdenden Zahlungspflichten vollständig bedienen kann, liegt allenfalls eine bloße Zahlungsstockung vor.34)



Im Falle einer Liquiditätslücke: Ermittlung, wie groß diese Liquiditätslücke ist und Aufstellung einer ersten Prognoserechnung, wie sich eine geringfügige Liquiditätslücke weiterentwickeln wird.35) Eine erhebliche Liquiditätslücke liegt vor, wenn das Verhältnis zwischen den aktuell verfügbaren sowie kurzfristig (innerhalb von drei Wochen) verfügbar zu machenden Mitteln und den fälligen Verbindlichkeiten eine Deckungslücke von mehr als 10 %36) aufweist.37) Beträgt die Deckungslücke weniger als 10 %, ist

_____________ 29) Uhlenbruck-Mock, InsO, § 17 Rz. 30. 30) Hierzu eingehend: Uhlenbruck-Mock, InsO, § 17 Rz. 30. 31) Hierzu BGH, Beschl. v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, NZI 2007, 579; Uhlenbruck-Mock, InsO, § 17 Rz. 30, 113 ff. 32) Uhlenbruck-Mock, InsO, § 17 Rz. 30, 42 ff. m. w. N.; dabei muss der Schuldner zudem gewillt und in der Lage sein, sich kurzfristig die ausreichende Liquidität durch den Verkauf der nicht mehr notwendigen Teile des Betriebsvermögens oder der Beleihung von Gegenständen zu beschaffen; vgl. hierzu Staufenbiel/Hoffmann, ZInsO 2008, 785, 787; Uhlenbruck in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 5.20. 33) Uhlenbruck-Mock, InsO, § 17 Rz. 30. 34) BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, NZI 2012, 1009; BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, NZI 2012, 567, 568; Uhlenbruck-Mock, InsO, § 17 Rz. 28 m. w. N. 35) Uhlenbruck in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 5.88. 36) Quantitatives Element entwickelt durch die höchstrichterliche Rspr.: Beispielhaft BGH, Urt. v. 19.12.2017 – II ZR 88/16, ZIP 2018, 283 = NZI 2018, 204; BGH, Urt. v. 17.11.2016 – IX ZR 65/15, NZI 2017, 64; BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, NZI 2012, 1009; s. a. Uhlenbruck-Mock, InsO, § 17 Rz. 23 ff. m. w. N. 37) Nach der jüngeren Rspr. des BGH (BGH, Urt. v. 19.12.2017 – II ZR 88/16, ZIP 2018, 283 = NZI 2018, 204) dürfen i. R. der dynamischen Finanzplanung einerseits die prognostizierten Zahlungseingänge der kommenden drei Wochen aus einer erneuten Kreditaufnahme oder kurzfristigen Verwertung von Gegenständen des Anlage- und Umlaufvermögens sowie Zahlungen auf fällige Forderungen (Aktiva II) einbezogen werden, während andererseits auch die in den nächsten drei Wochen fällig werdenden eingeforderten Verbindlichkeiten (Passiva II) berücksichtigt werden müssen.

622

Janjuah/Tangermann

Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift

§ 42

eine Fortführungsprognose (Liquiditätsplan) zu erstellen, mit der zu klären ist, wie sich die Unterdeckung weiterentwickelt.38) –

Bei Feststellung einer erheblichen Liquiditätslücke, die innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigen ist oder sich noch vergrößert: Regelmäßig ist von einer Zahlungsfähigkeit auszugehen.39) Eine Ausnahme kann allerdings bestehen, wenn sich auf Grundlage einer zweiten Prognoserechnung und Prüfung ergibt, dass die Deckungslücke demnächst innerhalb eines überschaubaren, für die Gläubiger nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zumutbaren Zeitraums40)mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beseitigt werden kann.41) Sollte dies nicht der Fall sein, liegt Zahlungsunfähigkeit vor.

§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO geht zudem davon aus, dass Zahlungsunfähigkeit in der Regel anzunehmen ist, wenn der Schuldner seine Zahlung eingestellt hat. Hierbei handelt es sich um eine widerlegbare Vermutung.42) Eine Zahlungseinstellung liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen, und wenn dieser Zustand nach außen hin in Erscheinung tritt, mithin für die beteiligten Verkehrskreise erkennbar wird.43) Sind entsprechende Anzeichen für eine Zahlungseinstellung vorhanden (etwa nicht eingehaltene Zahlungszusagen, zurückgegebene Lastschriften, Pfändungen oder Vollstreckungen), bedarf es für einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens aufgrund der gesetzlichen Vermutung der Zahlungsunfähigkeit keiner darüber hinausgehenden Feststellung der Zahlungsunfähigkeit durch einen Finanzplan.44)

27

Eine einmal eingetretene Zahlungseinstellung kann nur dadurch wieder beseitigt werden, dass der Schuldner seine Zahlungen an die Gesamtheit der Gläubiger allgemein wieder aufnimmt und die Zahlungseinstellung so nachhaltig überwindet.45)

28

bb) Überschuldung Nach dem Wortlaut des Gesetzes in § 19 InsO liegt eine insolvenzrechtliche Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlich_____________ 38) Eilenberger in: MünchKomm-InsO, § 17 Rz. 18 ff.; Staufenbiel/Hoffmann, ZInsO 2008, 785 ff.; Uhlenbruck in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 5.23. 39) BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, NZI 2005, 547, 550. 40) Wie lange dieser Zeitraum maximal betragen darf ist nicht abschließen geklärt (offengelassen in BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, NZI 2005, 547), teilweise vertreten wird „grundsätzlich nicht mehr als drei Monate“ (Neumaier, NJW 2005, 3041, 3043; vgl. auch AG Hamburg, Urt. v. 27.11.2007 – 67c IN 443/07, ZInsO 2008, 52, 53), teilweise auch „allenfalls sechs Monate“ (Fischer, ZGR 2006, 403, 408). 41) Uhlenbruck-Mock, InsO, § 17 Rz. 28, 30 m. w. N.; BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, NZI 2005, 547. 42) Vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 7.5.2015 – IX ZR 95/14, Rz. 12, ZIP 2015, 1234 = ZInsO 2015, 1262, dazu EWiR 2015, 649 (Pluskat). 43) Uhlenbruck-Mock, InsO, § 17 Rz. 155; vgl. nur BGH, Urt. v. 14.9.2017 – IX ZR 3/16, Rz. 8, ZIP 2017, 2340 = ZInsO 2017, 2546, dazu EWiR 2018, 147 (Opp). 44) BGH, Beschl. v. 13.4.2006 – IX ZB 118/04, Rz. 14, ZIP 2006, 1056 = NZI 2006, 405. 45) Vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 14.9.2017 – IX ZR 3/16, Rz. 10, ZIP 2017, 2340 = ZInsO 2017, 2546.

Janjuah/Tangermann

623

29

§ 42

Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift

keiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. 30

Bei der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung ist demnach zum einen mittels eines Überschuldungsstatus zu ermitteln, ob eine rechnerische Überschuldung der juristischen Person vorliegt. Zum anderen ist eine Prognose über die Fortführung des Unternehmens zu erstellen.46) Dabei wird nach überwiegender Meinung eine bestimmte Prüfungsreihenfolge nicht zwingend vorgegeben.47) Eine Überschuldung kann somit entweder auf Grundlage des Überschuldungsstatus oder anhand einer positiven Fortbestehensprognose ausgeschlossen werden.

31

Ob das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt und somit eine rechnerische Überschuldung vorliegt, wird in der Praxis mittels einer Aufstellung eines Überschuldungsstatus ermittelt. Der Überschuldungsstatus ist eine stichtagsbezogene Sonderbilanz, in der die Aktiva den Passiva des Schuldners zu Liquidationswerten i. S. von Veräußerungswerten für die Vermögensgegenstände, die im Falle einer Insolvenz zu den verwertbaren Positionen der Insolvenzmasse gehören würden, gegenübergestellt werden.48) Dies bedeutet, dass auf der Aktivseite auch stille Reserven aufzudecken sind.49) Auf der Passivseite sind hingegen sowohl Kosten der Verwertung als auch sonstige Liquidationsverbindlichkeiten sowie im Grundsatz entsprechende Rückstellungen zu berücksichtigen.50)

32

Die Passivierung von Verbindlichkeiten kann zudem dadurch vermieden werden, wenn für diese ein sog. qualifizierter Rangrücktritt durch den Gläubiger erklärt wird. Diese Möglichkeit besteht dabei nicht nur für die in § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO erwähnten Gesellschafterdarlehen, sondern kann für alle Verbindlichkeiten unabhängig von einer etwaigen Gesellschafterstellung des Gläubigers genutzt werden.51)

33

Ergibt sich anhand des Überschuldungsstatus eine rechnerische Überschuldung, liegt der Insolvenzgrund der Überschuldung nur vor, wenn die Fortführung des Unternehmens nach den Umständen nicht überwiegend wahrscheinlich ist. Ob dies der Fall ist, wird mittels einer sog. Fortbestehensprognose ermittelt. Dabei ist zu prüfen, ob die Finanzkraft der Gesellschaft nach überwiegender Wahrscheinlichkeit mittelfristig zur Fortführung des Unternehmens ausreicht. Es handelt sich somit um eine Zahlungsfähigkeitsprognose, aus der sich ergibt, dass die Gesellschaft im Prognosezeitraum fortlaufend in der Lage ist, die fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen.52) Für welchen genauen Zeitraum dabei eine Zahlungsfähigkeitsprognose zu erstellen ist, war bis zum Inkrafttreten des SanInsFoG53) am 1.1.2021 lange umstritten, wobei als Prognosezeitraum bis dahin von der h. M. in typischen Fällen auf das laufende _____________ 46) Uhlenbruck-Mock, InsO, § 19 Rz. 40: Rechnerische Überschuldung als „exekutorisches Element“, Fortführungsprognose als „prognostisches Element“. 47) Uhlenbruck-Mock, InsO, § 19 Rz. 41. 48) Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 19 Rz. 105 f. 49) Andres/Leithaus-Leithaus, InsO, § 19 Rz. 9. 50) Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 19 Rz. 112, 118, 123. 51) Vgl. zum Ganzen: Uhlenbruck-Mock, InsO, § 19 Rz. 226 ff. 52) Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 19 Rz. 64. 53) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256.

624

Janjuah/Tangermann

Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift

§ 42

und kommende Geschäftsjahr abgestellt wurde.54) Nunmehr hat der Gesetzgeber durch das SanInsFoG einen starren Prognosezeitraum von zwölf Monaten definiert. Überschuldung liegt demnach vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. In Rechtsprechung und Literatur wird für eine positive Fortbestehensprognose sowohl der Fortführungswille des Schuldners bzw. seiner Organe als auch die – grundsätzlich aus einem aussagekräftigen und plausiblen Unternehmenskonzept (sog. Ertrags- und Finanzplan) herzuleitende – Überlebensfähigkeit des Unternehmens gefordert.55)

34

cc) Abgrenzbarkeit zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung Neben den genannten zwingenden Insolvenzgründen der InsO ist noch der sog. „freiwillige“ Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO zu nennen. Nach dem Wortlaut der Vorschrift droht der Schuldner zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Die drohende Zahlungsunfähigkeit gewährt dem jeweiligen Schuldner ein Recht zur Antragstellung und führt nicht zu einer Insolvenzantragspflicht.56)

35

Der Gesetzgeber setzt an verschiedenen Stellen des StaRUG das Vorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit voraus, denn nur bei drohender Zahlungsunfähigkeit soll auch ein Eingriff in die Rechte der Betroffenen gerechtfertigt sein.57) Da zudem solche Schuldner weitgehend vom Anwendungsbereich des StaRUG ausgeschlossen werden sollen, bei denen sich die unternehmerische Krise bereits in dem Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung manifestiert hat (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 1), ist zwingend eine klare Abgrenzbarkeit zwischen der nur drohenden Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung erforderlich.

36

Anders als vielfach gefordert hat der Gesetzgeber den Insolvenzgrund der Überschuldung im Zuge des SanInsFoG nicht abgeschafft. Vielmehr hat er die i. R. der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung zu beachtenden Prognosezeiträume durch das SanInsFoG definiert und verschieden geregelt. Während nach alter Rechtslage regelmäßig große Überschneidungen in den Definitionen zwischen der

37

_____________ 54) Vgl. Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 19 Rz. 64. 55) Vgl. BGH, Urt. v. 9.10.2006 – II ZR 303/05, ZIP 2006, 2171 = ZInsO 2007, 36; Uhlenbruck-Mock, InsO, § 19 Rz. 221 m. w. N. Teilweise wird sogar gefordert, dass sich die Zahlungsfähigkeit aus den vom Unternehmen erwirtschafteten Einnahmen ergeben muss, vgl. AG Hamburg v. 2.12.2011 – 67c IN 421/11, ZIP 2012, 1776. Diese Anforderung geht zu weit. Liegt eine positive Schuldendeckungsprognose vor, kann selbst bei einer beabsichtigten Liquidation eine positive Fortbestehensprognose gegeben sein, wenn die Gesellschaft bis zur Vollendung ihrer beabsichtigten Liquidation aller Voraussicht nach in der Lage ist, sämtliche Verbindlichkeiten bei Fälligkeit zu bedienen, vgl. mit überzeugenden Argumenten Morgen/Rathje, ZIP 2018, 1955 ff. m. w. N. 56) Uhlenbruck-Mock, InsO, § 18 Rz 15. 57) Vgl. hierzu Schluck-Amend/Hefner, ZRI 2020, 570, 572; Pluta, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 22, 23.

Janjuah/Tangermann

625

§ 42

Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift

drohenden Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung bestanden, steht der drohenden Zahlungsunfähigkeit nunmehr ein deutlich weiterer und eigenständigerer Anwendungsbereich zu.58) 38

Nach dem unverändert geltenden zweistufigen Überschuldungsbegriff liegt die Überschuldung gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich (siehe oben Rz. 29 ff.).

39

Dabei können i. R. der Prüfung der positiven Fortführungsprognose ausweislich der Gesetzesbegründung auch die Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels über die Annahme und ggf. gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungsplans berücksichtigt werden.59) Wenn die Verwirklichung des Restrukturierungsziels also mit überwiegender Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, kann demnach eine, wenn auch auf den erfolgreichen Abschluss der Restrukturierungssache bedingte, positive Fortführungsprognose (und damit keine Überschuldung) vorliegen und die Restrukturierungssache weiterbetrieben werden.60)

40

Im Rahmen der Prüfung der drohenden Zahlungsunfähigkeit hat der Gesetzgeber in § 18 Abs. 2 Satz 2 InsO ebenfalls den Prognosezeitraum festgelegt. Demnach ist in aller Regel ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde zu legen.

41

Der Gesetzgeber will damit die schwierige Abgrenzung zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung als Antragspflichtgrund i. S. des § 15a InsO künftig dadurch abfedern, dass er den Prognosezeitraum für die Überschuldung auf zwölf Monate begrenzt, während er es bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit bei in der Regel 24 Monaten belässt.61) Damit ist nunmehr eine klare Abgrenzung zur Überschuldung möglich. Durch den verlängerten Zeitraum von grundsätzlich 24 Monaten kann frühzeitig auf die Sanierungsinstrumente des StaRUG zurückgegriffen werden.

42

Wie nach der bisherigen Gesetzeslage, welche keinen einheitlichen Prognosezeitraum vorgesehen hatte, ist weiterhin eine Einzelfallbetrachtung zulässig, da der Zeitraum von 24 Monaten nur „in aller Regel“ gelten soll. Als Ausnahmen kommen insbesondere die Fälle in Betracht, bei denen aufgrund endfälliger Zahlungsverpflichtungen auch bisher ein längerer Zeitraum angenommen wurde.62) c) Ruhen der Insolvenzantragspflichten während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache

43

Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 sollen die vorgenannten Insolvenzantragspflichten während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ruhen. Der Schuldner ist während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache somit auch bei Eintritt der _____________ 58) 59) 60) 61) 62)

626

Pluta, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 22. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 137. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 137. Thole, ZIP 2020, 1985, 1992. Pluta, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 22.

Janjuah/Tangermann

Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift

§ 42

Zahlungsunfähigkeit oder beim Vorliegen einer Überschuldung nicht verpflichtet, einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen zu stellen. Das Ruhen der Antragspflicht kann dabei naturgemäß nicht rückwirkend eine bereits erfolgte Insolvenzverschleppung und die daran anknüpfende Haftung heilen.63) Die Rechtswirkung tritt nur ex nunc ein, sodass durch das Ruhen der Antragspflicht keine nachträgliche Erfüllung dieser Pflicht erfolgt. Dies wäre insbesondere angesichts der Teilkollektivität des präventiven Restrukturierungsrahmens auch unstimmig.64) 2.

44

Anzeigepflicht bei (nachträglichem) Eintritt der Insolvenzreife (Abs. 1 Satz 2, Abs. 2)

Der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen soll sich nur auf den Zeitraum der vorinsolvenzlichen Krise erstrecken. Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung steht daher regelmäßig dem weiteren Fortgang der Restrukturierungssache entgegen.

45

a) Anzeigepflicht des Schuldners Während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ruht die Pflicht auf Stellung eines Insolvenzantrags, § 42 Abs. 1 Satz 1 (siehe oben Rz. 43 f.). Als Gegenstück zu der ruhenden Insolvenzantragspflicht ist in § 42 Abs. 1 Satz 2 geregelt, dass die Antragspflichtigen (gemeint sind die Antragspflichtigen i. S. des § 15a InsO) dem Restrukturierungsgericht den Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ohne schuldhaftes Zögern anzeigen müssen.65)

46

Die nach § 42 Abs. 1 Satz 2 bestehende Pflicht zur Anzeige der Insolvenzreife gegenüber dem Restrukturierungsgericht, ist, was den Inhalt der gebotenen Anzeige angeht, identisch mit der ebenfalls gegenüber dem Restrukturierungsgericht bestehenden Anzeigepflicht nach § 32 Abs. 3 (siehe hierzu i. E. § 32 Rz. 63 ff.). Während sich Letztere an den Schuldner richtet und im Falle ihrer Nichtbeachtung zum Anknüpfungspunkt für verfahrensrechtliche Folgen wie die Aufhebung der Restrukturierungssache wird (§ 33 Abs. 1 Nr. 3), ersetzt die durch Absatz 1 statuierte Pflicht die mit der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache wegfallende Pflicht zur Antragstellung. Der Anwendungsbereich der Vorschrift des § 42 Abs. 1 folgt dabei dem Anwendungsbereich der durch sie verdrängten Bestimmungen zur Antragspflicht, d. h. § 15a InsO einerseits und § 42 Abs. 2 BGB andererseits. § 42 Abs. 1 Satz 2 nimmt auf die Antragspflichtigen, deren Antragspflicht nach Satz 1 ruht, Bezug und umfasst somit alle nach § 15 Abs. 1 bis 3 InsO sowie § 42 Abs. 2 BGB Antragspflichtigen.66) Dies bedeutet u. a. auch, dass die Gesellschafter einer führungslosen Gesellschaft mit beschränkter Haftung anzeigepflichtig sind, es sei denn, sie haben von der Insolvenzreife (oder der Führungslosigkeit) keine positive Kenntnis (vgl. § 15a Abs. 3 InsO).67)

47

_____________ 63) 64) 65) 66) 67)

Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 10; Thole, ZIP 2020, 1985, 1991. Thole, ZIP 2020, 1985, 1991. Vallender, MDR 2021, 201, 205. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 145. Ein Kennenmüssen reicht insoweit nicht, vgl. Begr RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 55 f.; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 15a Rz. 63.

Janjuah/Tangermann

627

§ 42

Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift

48

Bei juristischen Personen oder Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, für deren Verbindlichkeiten keine natürliche Person als unmittelbarer oder mittelbarer Gesellschafter haftet, besteht die Anzeigepflicht auch bezüglich einer Überschuldung.68) Die Anzeige hat im Gegensatz zu § 15a InsO stets und ohne Rücksicht auf die Rechtsform des Schuldners zu erfolgen.69) Auch ist die Unverzüglichkeit deutlich enger als i. R. der InsO zu verstehen.70) Eine Maximalfrist von drei bzw. sechs Wochen ist gerade nicht vorgesehen.71)

49

Ist jedoch umgekehrt das Restrukturierungsvorhaben noch nicht rechtshängig, etwa weil die Planabstimmung ohne gerichtliches Verfahren vorgenommen wird, oder verliert die Restrukturierungssache nach § 31 Abs. 4 ihre Wirkung, besteht die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO fort. Allerdings dürfte der Schuldner im letzteren Fall regelmäßig sofort den Insolvenzantrag zu stellen haben, da die in § 15a Abs. 1 InsO geregelten Fristen aufgrund fehlender Sanierungsaussichten dann nicht greifen dürften.72) b) Erfüllung der Anzeigepflicht

50

Fraglich ist, welche inhaltlichen Anforderungen an die Anzeige der Insolvenzreife gegenüber dem Restrukturierungsgericht zur Erfüllung der Pflicht gemäß § 42 Abs. 1 Satz 2 zu stellen sind.

51

Nach hier vertretener Ansicht muss die Anzeige des Schuldners nicht den umfänglichen Anforderungen an einen Insolvenzantrag zur Erfüllung der Antragspflicht gemäß § 15a InsO genügen. Die Anzeige der Insolvenzreife beim Restrukturierungsgericht kann lediglich zu einer Aufhebung der Restrukturierungssache und zu einem Wiederaufleben der ruhenden Insolvenzantragspflichten führen. Eine automatische Einleitung eines Insolvenzeröffnungsverfahrens ist mit der Anzeige beim Restrukturierungsgericht gerade nicht verbunden.

52

Um der Anzeigepflicht des § 42 Abs. 1 Satz 2 zu genügen, ist nach richtiger Ansicht – wie i. R. von § 15a InsO – allerdings das Vorliegen eines Insolvenzgrundes glaubhaft zu machen. Der Schuldner hat dabei Tatsachen vorzutragen, aus denen sich die Insolvenzreife des Schuldners ergibt. Insbesondere hat der Schuldner nachvollziehbare Angaben zur Vermögens- und Finanzlage zu machen, eine Schlüssigkeit im technischen Sinn ist dagegen – wie i. R. von § 15a InsO – nicht erforderlich.73)

53

Offen ist die Frage, inwieweit die Anzeige vollständig sein muss und keine unrichtigen Angaben enthalten darf. Für den Insolvenzantrag ergibt sich dies aus einem Umkehrschluss aus § 15a Abs. 4 Nr. 2 InsO („nicht richtig stellt“).74) Dem_____________ 68) § 42 Abs. 1 ersetzt insoweit für die Dauer des rechtshängigen Restrukturierungsverfahrens die Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO, näher dazu Gehrlein, BB 2021, 66, 75; s. a. Schluck-Amend/Hefner, ZRI 2020, 570, 580; Pluta, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 22, 24. 69) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 137. 70) Pluta, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 22, 24. 71) Desch, BB 2020, 2498, 2501. 72) Thole ZIP 2020, 1985, 1991; Pluta, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 22, 24. 73) Vgl. zu § 15a InsO: BGH, Beschl. v. 12.12.2002 – IX ZB 426/02, NJW 2003, 1187; Andres/Leithaus-Leithaus, InsO, § 15a Rz. 8. 74) Klöhn in: MünchKomm-InsO, § 15a Rz. 133.

628

Janjuah/Tangermann

Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift

§ 42

gegenüber ist in § 42 Abs. 3 allerdings alleine die „nicht oder nicht rechtzeitig[e]“ Anzeige der Insolvenzreife strafbewehrt, was dafür sprechen könnte, dass auch eine unrichtige oder unvollständige Anzeige der Insolvenzreife beim Restrukturierungsgericht der Anzeigepflicht gemäß § 42 Abs. 1 Satz 2 genügt. Dagegen ist allerdings einzuwenden, dass die Regelung in § 42 Abs. 3 nur die Strafbarkeit regelt und daher insbesondere keine Wirkung für die zivilrechtliche Innenhaftung der Geschäftsleiter zur Kompensation des Gläubigergesamtschadens wegen einer Verletzung der Anzeigepflicht hat.75) Nach hier vertretener Ansicht wird die Anzeigepflicht des § 42 Abs. 1 Satz 2 durch eine nicht richtige oder unvollständige Anzeige beim Restrukturierungsgericht nur dann verletzt, wenn die Unrichtigkeit der Anzeige einer Nichtanzeige gleichkommt. Insbesondere kann nach dem Sinn und Zweck der Anzeigepflicht nicht jede Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der Anzeige zu einer Verletzung der Anzeigepflicht des § 42 Abs. 1 Satz 2 führen. Es schaden daher i. R. der Anzeige nur evidente Fehl- oder Falschangaben, die die gerichtliche Entscheidung über die Aufhebung bzw. Fortsetzung der Restrukturierungssache verhindern oder erheblich erschweren.76)

54

Da das Restrukturierungsgericht zudem in den in § 33 Abs. 2 Nr. 1 normierten Fällen (siehe dazu unten Rz. 61 f.) von einer Aufhebung der Restrukturierungssache trotz Anzeige einer Insolvenzreife absehen kann, sind i. R. der Anzeige darüber hinaus auch Ausführungen erforderlich

55



hinsichtlich des erreichten Stands in der Restrukturierungssache; und



inwieweit die angezeigte Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung aus der Kündigung oder sonstigen Fälligstellung einer Forderung resultiert, die nach dem angezeigten Restrukturierungskonzept einer Gestaltung durch den Plan unterworfen werden soll, und inwiefern die Erreichung des Restrukturierungsziels überwiegend wahrscheinlich ist.

Im Ergebnis muss das Restrukturierungsgericht in die Lage versetzt werden, über eine Aufhebung oder ausnahmsweise Fortsetzung der Restrukturierungssache im Interesse der Gläubiger entscheiden zu können. Auf der Grundlage der Anzeige muss aus Sicht des Restrukturierungsgerichts eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Tatsachenbehauptungen sprechen.77)

56

Der Anzeigepflicht nach § 42 Abs. 1 kann ein Geschäftsleiter auch dadurch nachkommen, dass er einen den Anforderungen des § 15a InsO genügenden Insolvenzantrag stellt. Denn die Verdrängung der Insolvenzantragspflicht durch die Anzeigepflicht hat allein den Zweck, den Schuldner vor dem Zwang zu bewahren, einen Eröffnungsantrag zu stellen. Stellt er einen solchen, wozu er nicht verpflichtet ist,

57

_____________ 75) Zur Ausgestaltung der Geschäftsleiterhaftung als reine Innenhaftung gegenüber dem Schuldner: Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 8 – zu § 43 [neu] StaRUG; s. a. Smid, ZInsO 2021, 11; Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 128. 76) Entsprechend zu § 15a InsO: Klöhn in: MünchKomm-InsO, § 15a Rz. 133. 77) Entsprechend zu § 15a InsO: Andres/Leithaus-Leithaus, InsO, § 15a Rz. 8.

Janjuah/Tangermann

629

§ 42

Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift

soll dies zugleich als Erfüllung der Anzeigepflicht nach § 42 Abs. 1 gelten, die an die Stelle der Antragspflicht tritt.78) c) Bestimmung der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung während der Rechtshängigkeit des Restrukturierungsvorhabens 58

Da die in § 42 Abs. 1 Satz 2 statuierte Pflicht zur Anzeige der Insolvenzreife gegenüber dem Restrukturierungsgericht mit Eintritt der Insolvenzreife greift, stellt sich zudem die Frage, ab wann eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache überhaupt tatbestandlich besteht.

59

Nach der Gesetzesbegründung zur – was den Inhalt der gebotenen Anzeige angeht – identischen Anzeigepflicht nach § 32 Abs. 3 kann eine Überschuldung nur dann vorliegen, wenn auch unter Berücksichtigung der Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels keine positive Fortführungsprognose besteht (§ 19 Abs. 2 Satz 1 InsO).79) In einem solchen Fall hat die Insolvenzbewältigung i. R. eines Insolvenzverfahrens zu erfolgen. Vermitteln die Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels hingegen eine, wenn auch auf den erfolgreichen Abschluss der Restrukturierungssache bedingte, Fortführungsprognose, liegt eine Überschuldung nicht vor und die Restrukturierungssache kann weiterbetrieben werden.80)

60

Eine Fortführung der Restrukturierungssache trotz Insolvenzreife ist danach auch möglich, wenn die Überschuldung aus der Fälligkeit einer Forderung resultiert, die im Plan gestaltet werden soll und die Umsetzung des Restrukturierungsplans überwiegend wahrscheinlich ist.81) d) Aufhebung der Restrukturierungssache

61

Hat der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung angezeigt, hebt das Restrukturierungsgericht von Amts wegen die Restrukturierungssache regelmäßig auf. Das Gleiche gilt für den Fall, dass andere Umstände bekannt sind, aus denen sich die Insolvenzreife des Schuldners ergibt (jeweils § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1). Mit der Aufhebung der Restrukturierungssache verliert die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens gemäß § 31 Abs. 4 Nr. 3 ihre Wirkung.

62

Die Aufhebung kann jedoch unterbleiben, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Hinblick auf den erreichten Stand der Restrukturierungssache offensichtlich nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen würde (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2). Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 den Ausnahmefall geregelt, dass die Insolvenzreife aus der Kündigung oder sonstigen Fälligstellung einer Forderung resultiert, die nach dem angezeigten Restrukturierungskonzept einer Gestaltung durch den Plan unterworfen werden soll, sofern die Erreichung des Restrukturierungsziels überwiegend wahrscheinlich ist (siehe zur Aufhebung der Restrukturierungssache § 33 Rz. 44 ff.).

_____________ 78) 79) 80) 81)

630

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 145. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 137. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 137. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 137.

Janjuah/Tangermann

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

3.

Strafbarkeit (Abs. 3)

Soweit die Anzeigepflicht an die Stelle der Antragspflicht nach § 15a InsO tritt, ist deren Verletzung gemäß § 42 Abs. 3 auch strafbewehrt. Die maßgeblichen Bestimmungen zum Strafrahmen, die für die Verletzung der Anzeigepflicht gelten, folgen dem Regelungsvorbild in § 15a InsO. Die Anzeigepflicht für Vereine und Stiftungen ist hingegen genauso wenig strafbewehrt wie die Antragspflicht für diese (vgl. § 42 Abs. 3 Satz 3 StaRUG; § 15a Abs. 7 InsO).

63

Die Regelung in § 42 Abs. 3 dient damit der weiteren Absicherung der Anzeigepflicht bei Insolvenzreife und tritt damit teleologisch neben die potentielle zivilrechtliche Haftung des Geschäftsleiters gegenüber dem Schuldner. Im Gegensatz zur auch insoweit strafbewehrten Verletzung von Insolvenzantragspflichten ist i. R. des StaRUG-Verfahrens die „nicht richtige“ Anzeige beim Restrukturierungsgericht nicht unter Strafe gestellt. Dies scheint insofern sachgerecht, als dass die Strafbarkeit einer „nicht richtigen“ Insolvenzantragsstellung darüber hinaus an die objektive Bedingung geknüpft ist, dass das Gericht den Antrag als unzulässig zurückweist (vgl. § 13 Abs. 6 InsO). Sie kann deshalb auch i. R. des § 15a InsO nur dann eintreten, wenn der Antragsteller es versäumt, auf den gerichtlichen Hinweis hin den Antrag binnen der vom Gericht gesetzten Frist nachzubessern oder wenn die entsprechende Nachbesserung nicht zur Zulässigkeit des Eröffnungsantrags führt, die Chance zur Antragsberichtigung folglich ungenutzt blieb.82) Entsprechende Regelungen für eine Nachbesserung der Anzeige hinsichtlich des Eintritts der Insolvenzreife sind im StaRUG hingegen nicht vorgesehen, sodass eine Strafbarkeit der „nicht richtigen“ Anzeige beim Restrukturierungsgericht nach hier vertretender Ansicht abzulehnen ist.

64

Die Verpflichtung zur (rechtzeitigen) Anzeige der Insolvenzreife des Schuldners beim Restrukturierungsgericht ist dagegen nach der insoweit eindeutigen Vorstellung des Gesetzgebers bei allen Schuldnern einer anhängigen Restrukturierungssache gemäß § 42 Abs. 3 strafbewehrt.

65

4.

Wiederaufleben der Insolvenzantragspflichten (Abs. 4)

Da die Insolvenzantragspflichten nach § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB nur für die Dauer der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ruhen und für diese Zeit an ihre Stelle die vorgenannte Anzeigepflicht des § 42 Abs. 1 Satz 2 tritt, leben die Insolvenzantragspflichten wieder auf, wenn die Anzeige der Restrukturierungssache nach § 31 Abs. 4 ihre Wirkung verliert mithin nach dem Ende der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache. Dies stellt § 42 Abs. 4 klar. _____________ 82) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 15a Rz. 64.

§ 43 Pflichten und Haftung der Organe Demisch/Schwencke

(1) 1Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit im Sinne des § 15a Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 der Insolvenzordnung, wirken dessen Geschäftsleiter darauf hin, dass der Schuldner die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und Demisch/Schwencke

631

66

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

gewissenhaften Geschäftsleiters betreibt und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger wahrt. 2Für die Verletzung dieser Pflicht haften sie dem Schuldner in Höhe des den Gläubigern entstandenen Schadens, es sei denn sie haben die Pflichtverletzung nicht zu vertreten.*) (2) 1Ein Verzicht des Schuldners auf Ansprüche nach Absatz 1 Satz 2 oder ein Vergleich über diese Ansprüche ist unwirksam, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist. 2Dies gilt nicht, wenn sich der Ersatzpflichtige zur Abwendung eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen mit seinen Gläubigern vergleicht, wenn die Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird oder wenn für den Ersatzberechtigten ein Insolvenzverwalter handelt. (3) 1Ansprüche nach Absatz 1 Satz 2 verjähren in fünf Jahren. 2Ist der Schuldner zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung eine börsennotierte Gesellschaft, verjähren die Ansprüche in zehn Jahren. Literatur: Balthasar, Allgemeine Zugangsvoraussetzungen zu den Restrukturierungsinstrumenten, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 18; Bea/Dressler, Business Judgement Rule versus Gläubigerschutz? – Praktische Erwägungen zur Organhaftung im Kontext des StaRUG, NZI 2021, 67; Birnbreier, Sorgfaltspflichten der Geschäftsführung während der Vornahme von Restrukturierungsmaßnahmen, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 25; Bitter, Geschäftsleiterhaftung in der Insolvenz – Alles neu durch SanInsFoG und StaRUG?, ZIP 2021, 321; Brinkmann, Die Haftung der Geschäftsleiter in der Krise nach dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), ZIP 2020, 2361; Brünkmans, Geschäftsleiterpflichten und Geschäftsleiterhaftung nach dem StaRUG und SanInsFoG – Nachtrag zu ZInsO 2021, 1 ff., ZInsO 2021, 125; Brünkmans, Geschäftsleiterpflichten und Geschäftsleiterhaftung nach dem StaRUG und SanInsFoG, ZInsO 2021, 1; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Eckert/Holze/Ippen, StaRUG aus dem Gleichgewicht?, NZI 2021, 153; Eidenmüller, Strategische Insolvenz: Möglichkeiten, Grenzen, Rechtsvergleichung, ZIP 2014, 1197; Fleischer, Vertrauen von Geschäftsleitern und Aufsichtsratsmitgliedern auf Informationen Dritter, ZIP 2009, 1397; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Göb/Nebel, Aktuelle gesellschaftsrechtliche Fragen in Krise und Insolvenz – Oktober/November 2020, NZI 2021, 17; Hoegen/Kranz, Neue Möglichkeiten der Konzernsanierung durch SanInsFoG und StaRUG, NZI 2021, 105; Hoffmann, Existenzvernichtende Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten?, NJW 2012, 1393; Hölzle, Der Insolvenzantrag als Sanierungsoption – auch gegen den Willen der Gesellschafter?, ZIP 2013, 1846; Jungmann, Die Ausrichtung der Pflichten von Gesellschaftsorganen an den Interessen der Residualberechtigten, ZRI 2021, 209; Korch, Restrukturierungsgesellschaftsrecht – Zur Überformung des Gesellschaftsrechts durch den StaRUGRegierungsentwurf, NZG 2020, 1299; Kranzfelder/Ressmann, Geschäftsleiter im Fokus: Haftungserweiterung und Haftungserleichterung im SanInsFoG, ZInsO 2021, 191; Kuntz, Geschäftsleiterhaftung bei drohender Zahlungsunfähigkeit nach StaRUG, ZIP 2021, 597; Kuntz, §§ 2, 3 StaRUG-E: Gesetzlich verordnete bad corporate governance, ZIP 2020, 2423; Mülbert/Wilhelm, Tiefe Einschnitte in das Gesellschaftsrecht, Börsen-Zeitung v. 23.10.2020, Nr. 204, 10; Pluta, Insolvenzgründe im Kontext von StaRUG und InsO, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 22; Poertzgen, Insolvenzverschleppung in Zeiten des COVInsAG, StaRUG

_____________ *)

632

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 43 Abs. 1 Satz 1 die Wörter „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft.

Demisch/Schwencke

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

und SanInsFoG, ZInsO 2020, 2509; Pospiech/Noack, Krisenpflichten und Haftung des Geschäftsleiters nach dem StaRUG, NJW-Spezial 2021, 207; Rauhut, Die Gesellschafter unter dem StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 52; Ristelhuber, Gläubigerinteresse versus Gesellschafterweisung – Das Weisungsrecht der Gesellschafter nach § 37 I GmbHG im Lichte der Regelungen des StaRUG, NZI 2021, 417; Saenger/Al-Wraikat, Insolvenzrecht versus Gesellschaftsrecht: Wer darf bei der GmbH wann den Schutzschirm eröffnen?, NZG 2013, 1201; Schwencke/Röper, Weiterhin keine Deckung von verbotenen Zahlungen nach Insolvenzreife durch D&O-Versicherung?, ZInsO 2020, 2453; Schwencke/Röper, Keine Deckung von Organhaftungsansprüchen gem. § 64 S. 1 GmbHG durch D&O-Versicherung?, ZInsO 2018, 1937; Seibt/Bulgrin, Entwurf zum Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) – kritische Analyse aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, DB 2020, 2226; Scholz, Die Krisenpflichten von Geschäftsleitern nach Inkrafttreten des StaRUG, ZIP 2021, 219; Schäfer, Muss die Hauptversammlung einem Schutzschirmverfahren zustimmen?, ZIP 2020, 1950; Schulz, Haftungs- und Pflichtenregime für Geschäftsleiter in der Krise – Was bringt das SanInsFoG?, NZI 2020, 1073; Schulz/Rüsing, Haftungs- und Pflichtenregime für Geschäftsleiter in der Krise – Was bringt das SanInsFoG? – Aktualisierung zum Beitrag Schulz, NZI 2020, 1073, NZI 2021, 76; Smid, Innen- und Außenhaftung des Geschäftsleiters bei Inanspruchnahme des Restrukturierungsrahmens durch die schuldnerische Gesellschaft nach § 43 StaRUG, ZInsO 2021, 117; Skauradszun, Neuralgische Punkte der Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG, ZRI 2020, 625; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUGRefE), ZIP 2020, 1985; Weber/Dömmecke, Das Haftungsregime des StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 27; Wertenbruch, Gesellschafterbeschluss für Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit?, DB 2013, 1592; Wilhelmi, Beschränkung der Organhaftung und innerbetrieblicher Schadensausgleich, NZG 2017, 681. Übersicht I. II. III. IV. 1. 2. 3. 4.

Normzweck ........................................... 1 Normhistorie ...................................... 10 Überblick zum Tatbestand ................ 18 Anwendungsbereich .......................... 19 Zeitlicher Anwendungsbereich .......... 19 Persönlicher Anwendungsbereich ...... 27 Sachlicher Anwendungsbereich .......... 29 Konkurrenz zu sonstigen Haftungstatbeständen ............................... 33 V. Tatbestandsvoraussetzungen ............ 36 1. Pflichtverletzung ................................. 36 a) Überblick ...................................... 36 b) Sanierungsbetreibungspflicht ...... 42 aa) Interessen der Gesamtheit der Gläubiger/“shift of fiduciary duties“ ........................................... 43 bb) Handlungsspielraum der Geschäftsleiter ............................. 46 cc) Ausprägungen der Sanierungsbetreibungspflicht ........................ 49 c) Besondere Mitteilungs- und Anzeigepflichten .......................... 52 d) Prozessuale Pflichten ................... 55 e) Sonstige Pflichten ........................ 57 2. Verschulden ......................................... 58 a) Verschuldensmaßstab .................. 58 b) Beratungsleistungen Dritter ........ 65 c) Darlegungs- und Beweislast ........ 72 3. Ausschlusstatbestände ........................ 74

a) Privilegierte Zahlungen (§ 89 Abs. 3) ................................. 74 b) Einfluss der Gesellschafter im rechtshängigen Restrukturierungsverfahren ............................. 75 c) Kontroll- und Weisungsrechte der Gesellschafter bei Anzeige des Restrukturierungsvorhabens ............................................... 85 aa) Meinungsbild ................................ 86 bb) Stellungnahme .............................. 91 VI. Rechtsfolge ......................................... 94 1. Haftungsgläubiger und Haftungsschuldner .............................................. 94 2. Art des Schadensersatzes .................... 97 3. Umfang des Schadensersatzes ............ 99 VII. Verzicht, Vergleich und Verjährung ........................................ 106 1. Verzicht und Vergleich (Abs. 2) ...... 106 2. Verjährung (Abs. 3) .......................... 109 VIII. Prozessuales .................................... 112 1. Durchsetzung im Insolvenzverfahren ............................................ 112 2. Durchsetzung außerhalb eines Insolvenzverfahrens .......................... 113 3. Darlegungs- und Beweislast .............. 115 4. Gerichtliche Zuständigkeit ............... 116 5. D&O-Versicherung .......................... 120 IX. Sonstige Haftungstatbestände ........ 122

Demisch/Schwencke

633

§ 43 I.

Pflichten und Haftung der Organe

Normzweck

1

§ 43 Abs. 1 Satz 1 normiert die Pflicht der Geschäftsleiter beschränkt haftender Unternehmensträger, die Restrukturierungssache des Schuldners mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu betreiben. § 43 Abs. 1 Satz 1 postuliert, dass dabei die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren sind. Dieses Handlungsgebot wird mit einer verschuldensabhängigen Innenhaftung der Geschäftsleiter gegenüber dem Schuldner sanktioniert (§ 43 Abs. 1 Satz 2).

2

§ 43 dient der Umsetzung von Art. 19 lit. a, lit. c der Restrukturierungsrichtlinie1), wonach die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet sind, sicherzustellen, dass die Unternehmensleitung bei einer wahrscheinlichen Insolvenz gebührend Rücksicht nimmt auf „die Interessen der Gläubiger, Anteilsinhaber und sonstigen Interessenträger“ (lit. a), und auf „die Notwendigkeit, vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten zu vermeiden, das die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gefährdet“ (lit. c).2)

3

Die Vorschrift regelt die Haftung der Geschäftsleiter gegenüber der schuldnerischen Gesellschaft für Verletzung von Pflichten während der rechtshängigen Restrukturierungssache.3)

4

Anders als im förmlichen Rahmen eines Insolvenzverfahrens werden dem Schuldner im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen weitergehende Freiheiten bei der eigenverantwortlichen Gestaltung und Organisation des Gesamtprozesses eingeräumt. Die darin liegende Gestaltungs- und Organisationsfreiheit bei der Erwirkung von Rechtsfolgen, welche die Beteiligten des Prozesses belasten, erfordert eine Rückbindung an das Ziel, die Interessen der Gläubiger zu wahren. Insbesondere soll der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nicht zur Verzögerung und Verschleppung des Krisenbewältigungsprozesses missbraucht werden dürfen oder gar dazu, gläubigergefährdende oder -benachteiligende Maßnahmen durchzuführen.4)

5

§ 43 Abs. 1 soll sicherstellen, dass der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen und seine Instrumente nur für die Verwirklichung ernsthafter, die Interessen der Gläubigergesamtheit wahrender Restrukturierungsvorhaben genutzt wird und diese mit der gebotenen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit betrieben werden.5) Auf die sich aus einer Pflichtverletzung ergebenden Ersatzansprüche soll nach § 43 Abs. 2 nur in beschränktem Umfang verzichtet werden können. Die in § 43 Abs. 3 normierten Verjährungsregeln entsprechen den gesellschaftsrechtlichen Ersatzansprüchen, welche die Verletzung von gläubigerschützenden Normen sanktionieren.6)

6

_____________ 1)

2) 3) 4) 5) 6)

634

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Vgl. ausführlich zu Art. 19 der Restrukturierungsrichtlinie: Demisch in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 19. Ähnlich Smid, ZInsO 2021, 117, 117; Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 194. Begr. RegE SanInsFoG z. § 34 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 137. Begr. RegE SanInsFoG z. § 34 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 136. Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 8; vgl. § 93 Abs. 6 AktG, § 43 Abs. 4 GmbHG.

Demisch/Schwencke

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

§ 43 stellt damit die zentrale Haftungsnorm für Pflichtverletzungen der Geschäftsleiter im Restrukturierungsverfahren dar. Der Pflichtenmaßstab ergibt sich bereits aus § 32, welcher die Pflichten des Schuldners beim Betreiben der Restrukturierungssache statuiert. Ergänzt wird die Zentralnorm des § 43 durch den Pflichtenkatalog des § 1 (Krisenfrüherkennung und -management) sowie den speziellen Haftungstatbestand des § 57 für das pflichtwidrige Erwirken einer Stabilisierungsanordnung sowie einer nicht ordnungsgemäßen Auskehr und Verwahrung von Erlösen nach § 54 Abs. 2. § 43 verdrängt nicht den ohnehin schon bestehenden Pflichtenkatalog eines Geschäftsleiters in der Krise einer Gesellschaft, sondern ergänzt diesen im Restrukturierungsverfahren um eine Sanierungsbetreibungspflicht, besondere Anzeigepflichten und weitere restrukturierungsverfahrensspezifische Pflichten (siehe dazu Rz. 38 f.).

7

Daneben unterliegt der Geschäftsleiter den sich ohnehin aus der allgemeinen Sorgfaltsund Legalitätspflicht ergebenden Pflichten in der Krise des Unternehmens (siehe unten Rz. 122 ff.), insbesondere der Verpflichtung zur jederzeitigen Überwachung der wirtschaftlichen Lage und zur Vornahme von geeigneten Sanierungsmaßnahmen in der Krise der Gesellschaft,7) gesteigerten Vermögensschutzpflichten (etwa Auszahlungsverboten gegenüber Gesellschaftern bei Herbeiführung einer Unterbilanz),8) gesteigerten Informationspflichten gegenüber den Gesellschaftern (Verlust der Hälfte des Stamm- bzw. Grundkapitals),9) sowie der Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO, die bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache durch die strafbewehrte Verpflichtung zur Anzeige der Insolvenzreife gegenüber dem Restrukturierungsgericht nach § 42 Abs. 1 Satz 1 substituiert wird und dem Zahlungsverbot des § 15b InsO.

8

Auch strafrechtliche Haftungsrisiken in der Krise einer Gesellschaft bestehen im Restrukturierungsverfahren unverändert fort. Insbesondere Betrugstatbestände10) und Insolvenzstraftaten11) kommen hier in Betracht.

9

II. Normhistorie Die am 22.12.2020 vom Bundestag verabschiedete Fassung des § 43 wurde erst kurz vor Beendigung des Gesetzgebungsverfahrens durch den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) vorgeschlagen.12) Die bis dahin in § 45 RegE vorgesehene Außenhaftung der Geschäftsleiter für Verletzungen der Pflichten aus § 2 Abs. 1 RegE gegenüber den Gläubigern des Schuldners wurde dabei zugunsten einer reinen Innenhaftung gegenüber dem Schuldner aufgegeben.

10

Die Vorschrift übernimmt Elemente der ursprünglich im RegE vom 9.11.2020 enthaltenen und nicht in das StaRUG übernommenen §§ 2 und 3 RegE.13) Gemäß § 2 _____________

11

Vgl. Schluck-Amend in: MünchAHB GmbH-Recht, § 23 Rz. 5 ff. Vgl. §§ 30, 43 Abs. 3 GmbHG, §§ 57, 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG. Vgl. § 49 Abs. 3 GmbHG, § 92 Abs. 1 AktG. Vgl. § 263 ff. StGB. Vgl. §§ 283 – 283d StGB. Vgl. Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/ 25303, S. 44 f. 13) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 108; Smid, ZInsO 2021, 117, 117; ausführlich zu § 3 RegE etwa auch Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2364 f.; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 6 f. 7) 8) 9) 10) 11) 12)

Demisch/Schwencke

635

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

Abs. 1 RegE sollten die Geschäftsleiter beschränkt haftender Unternehmensträger mit Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit i. S. von § 18 InsO verpflichtet sein, primär die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren.14) Die Gesellschafterinteressen sollten nach Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit hinter den Gläubigerinteressen zurücktreten (shift of fiduciary duties).15) Weisungen der Überwachungsorgane und anderer Organe, etwa der Gesellschafterversammlung der GmbH, sollten ab diesem Zeitpunkt für die Geschäftsleiter unbeachtlich sein, soweit sie der Wahrung der Gläubigerinteressen entgegenstehen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 RegE).16) 12

Hierdurch wollte der Gesetzgeber ein Korrektiv schaffen für die im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit den Geschäftsleitern zukommende Macht, Entscheidungen zu treffen, die sich zulasten der Gläubiger als Residualberechtigte am Unternehmensvermögen auswirken. Da diese Macht unabhängig davon bestehe, ob die Sanierung i. R. eines Insolvenzverfahrens, unter Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens oder außerhalb eines gerichtlichen Forums verfolgt wird, bedürfe es einer allgemeinen Regelung, die allein an den Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit anknüpft.17)

13

Der Gesetzgeber hielt die Regelung aber auch deshalb für geboten, weil ohne sie Schutz- und Haftungslücken entstehen könnten. Da nach dem SanInsFoG der für die Überschuldungsprüfung maßgebliche Prognosezeitraum auf zwölf Monate verkürzt werde,18) verkürze sich auch der Anwendungsbereich der an die Überschuldung anknüpfenden Haftung wegen Insolvenzverschleppung (§ 15a InsO-RegE) und wegen Verstoßes gegen die Zahlungsverbote der § 64 Satz 1 GmbHG, § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 130a Abs. 1 Satz 1, auch i. V. m. § 177a Satz 1 HGB, und § 99 Satz 1 GenG, welche nach allgemeiner Auffassung Ausdruck einer allgemeinen Pflichtenbindung der Geschäftsleiter gegenüber der Gesamtheit der Gläubiger seien. Folglich drohe die gläubigerschützende Pflichtenbindung in dem künftig nicht mehr von der Überschuldung erfassten Zeitraum ersatzlos wegzufallen, wenn nicht durch die Vorschrift sichergestellt werde, dass eine Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen besteht.19)

14

Für den Fall, dass die Geschäftsleiter gegen die in § 2 Abs. 1 RegE normierten Pflichten verstoßen, ordnete § 3 Abs. 1 RegE ihre Haftung gegenüber dem Unternehmensträger (Innenhaftung) an. Eine Ausnahme von der Haftung sollte nur gelten, wenn die Geschäftsleiter die Pflichtverletzung nicht zu vertreten haben.20) Andernfalls sollten die Geschäftsleiter der Gesellschaft den Gesamtgläubigerschaden ersetzen, der infolge der Verletzung der Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen eintritt.21)

15

Nach Anzeige des Restrukturierungsvorhabens sollte neben die in § 3 Abs. 1 RegE angeordnete Innenhaftung eine Außenhaftung der Geschäftsleiter gegenüber den _____________ 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20) 21)

636

RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 14; Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 125. Göb/Nebel, NZI 2021, 17, 18. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 14; Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 125. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 105. Vgl. Art. 5 Nr. 11 SanInsFoG, BGBl. I 2020, 3256, 3283. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 105. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 14; Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 125. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 108.

Demisch/Schwencke

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

Gläubigern treten (§ 45 RegE).22) Der Vorschriftsentwurf war an das insolvenzrechtliche Haftungsmodell des § 60 InsO angelehnt. Jeder Gläubiger sollte den ihm selbst aus einer während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache begangenen schuldhaften Pflichtverletzung entstandenen Schaden unmittelbar gegen die Geschäftsleiter geltend machen und Zahlung an sich selbst verlangen können. Ersatzfähig sollten nicht nur die sich in einer geringeren Quote realisierenden Anteile am Gesamtgläubigerschaden sein, sondern auch Einzelschäden, welche die Gläubiger infolge der Pflichtverletzung erleiden.23) Mit §§ 2, 3 und § 45 RegE sollte Art. 19 lit. a, c der Restrukturierungsrichtlinie umgesetzt werden, der die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, sicherzustellen, dass die Unternehmensleitung bei einer wahrscheinlichen Insolvenz gebührend Rücksicht nimmt auf „die Interessen der Gläubiger, Anteilsinhaber und sonstigen Interessenträger“ (lit. a), und auf „die Notwendigkeit, vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten zu vermeiden, das die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gefährdet“ (lit. c).24)

16

Allerdings sind die Vorschriften auf erhebliche Kritik25) gestoßen und wurden in die endgültige Fassung des StaRUG nicht übernommen.26) Vielmehr hat der Gesetzgeber mit § 43 einen gänzlich neuen Haftungstatbestand geschaffen.27) Begründet wurde die Streichung der Vorschriften durch den Rechtsausschuss des Bundestages in seinem Bericht vom 16.12.202028) mit ihrem unklaren Verhältnis zu den im Gesellschaftsrecht verankerten Sanierungspflichten. Der Rechtsausschuss stellte insoweit klar, dass die Streichung der Vorschriften in dem Verständnis erfolge, dass sie keine Haftungslücke hinterlasse. Zwar würden die an die Überschuldung knüpfenden Haftungs- und Sanktionsnormen künftig an Gewicht verlieren, da der Anwendungsbereich des Überschuldungstatbestands infolge der Verkürzung des relevanten Prognosezeitraums auf zwölf Monate nicht unerheblich eingeschränkt wird. Der Rechtsausschuss gehe aber davon aus, dass das Bedürfnis nach Gläubigerschutz, das mit der Rückbildung der davon betroffenen gläubigerschützenden Haftungsnormen einhergeht, durch die gesellschaftsrechtlichen Haftungsnormen aufgefangen werde.29)

17

_____________ 22) RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 29; Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2368; Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 125; ausführlich zu § 45 RegE etwa Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 10 f. 23) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 146; Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2368. 24) Scholz, ZIP 2021, 219, 220; ausführlich zu Art. 19 Restrukturierungsrichtlinie: Demisch in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 19. 25) Vgl. etwa Birnbreier, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 25, 26; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 6; Korch, NZG 2020, 1299, 1301 f.; Kuntz, ZIP 2020, 2423; Mülbert/Wilhelm in: Börsen-Zeitung v. 23.10.2020, S. 10; Poertzgen, ZInsO 2020, 2509, 2513; Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2238; Skauradszun, ZRI 2020, 625, 629; Weber/Dömmecke, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 27, 28 f.; zust. hingegen etwa Bitter, ZIP 2021, 321, 322; Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2364; Gehrlein, BB 2021, 66, 67; Thole, ZIP 2020, 1985, 1987; krit. zur ersatzlosen Streichung Ecket/ Holze/Ippen, NZI 2021, 153, 156; diff. Schulz, NZI 2020, 1073, 1079. 26) Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25303, S. 8; Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 6. 27) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 8; Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 126; Göb/Nebel, NZI 2021, 17, 18; Scholz, ZIP 2021, 219, 222. 28) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353. 29) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 6.

Demisch/Schwencke

637

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

III. Überblick zum Tatbestand 18

§ 43 knüpft inhaltlich unverändert an die auch im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger in § 32 Abs. 1 statuierte Pflicht zur Einhaltung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers an. § 43 Abs. 1 Satz 1 regelt, dass die Geschäftsleiter der von § 15a Abs. 1 Satz 3 InsO erfassten haftungsbeschränkten Rechtsträger auf die Einhaltung der Pflichten des § 32 hinwirken müssen. Damit wird die Legalitätspflicht der Geschäftsleiter, den Sorgfaltspflichten nach § 32 zu entsprechen, ausdrücklich für diese normiert. Verletzt ein Geschäftsleiter die in § 43 Abs. 1 Satz 1 geregelten Pflichten, ist er der Gesellschaft zum Ersatz des den Gläubigern daraus resultierenden Gesamtschadens verpflichtet, es sei denn er hat die Pflichtverletzung nicht zu vertreten.30) IV. Anwendungsbereich 1.

Zeitlicher Anwendungsbereich

19

Gemäß Art. 25 Abs. 1 SanInsFoG ist das StaRUG am 1.1.2021 in Kraft getreten. Damit gilt § 43 für alle Restrukturierungssachen, die ab dem 1.1.2021 gegenüber dem Restrukturierungsgericht angezeigt werden.

20

Der zeitliche Anwendungsbereich der Vorschrift kann aus dem systematischen Kontext der Vorschrift abgeleitet werden. Sowohl § 43 Abs. 1 Satz 1 als auch § 32 Abs. 1 Satz 1 stellen auf das Betreiben der Restrukturierungssache ab, was impliziert, dass eine solche Restrukturierungssache zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung bereits vorliegt, sie also gemäß § 31 Abs. 1 bei dem zuständigen Restrukturierungsgericht angezeigt und damit nach § 31 Abs. 3 rechtshängig sein muss.31) Dieses Verständnis bestätigt auch die Begründung zu § 45 RegE. Dort heißt es, die Vorschrift knüpfe an die spezifischen Pflichten des Schuldners an, welche diesen während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache treffen.32) Die Konkretisierung der Pflichten verstehe sich außerdem vor dem Hintergrund, dass der Schuldner mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens zum Ausdruck bringt, dass er drohend zahlungsunfähig sei und zur Bewältigung dieser drohenden Zahlungsunfähigkeit die Instrumente des präventiven Restrukturierungsrahmens in Anspruch nehmen möchte.33) Deshalb stellen auch solche Handlungen Pflichtverletzungen i. S. von § 43 Abs. 1 Satz 2 dar, die im Zusammenhang mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens vorgenommen wurden, etwa die fehlerhafte Einleitung des Restrukturierungsvorhabens.34) Aus der Sorgfaltspflicht, welche gemäß §§ 32 Abs. 1 Satz 1, 43 Abs. 1 Satz 1 die Geschäftsleiter und den Schuldner trifft, folgt daher, dass die Angaben, die nach § 31 Abs. 2 mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens gegenüber dem Restrukturierungsgericht zu machen sind, wahrheitsgemäß sein müssen (siehe § 32 Rz. 50 ff.).35) _____________

21

22

30) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 8; vgl. auch Gehrlein, BB 2021, 66, 75. 31) Scholz, ZIP 2021, 219, 223; Jungmann, ZRI 2021, 209, 212. 32) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 145. 33) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 146. 34) So auch Smid, ZInsO 2021, 117, 120 f. 35) Smid, ZInsO 2021, 117, 122.

638

Demisch/Schwencke

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

Dies ergibt sich auch aus § 39 Abs. 2, wonach der Schuldner dem Restrukturierungsgericht die Auskünfte zu erteilen hat, die zur Entscheidung über seine Anträge erforderlich sind, und das Gericht auch sonst bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen hat. Zwar handelt es sich bei der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens nach § 31 Abs. 1 nicht um einen Antrag des Schuldners, der seitens des Gerichts zu bescheiden ist, sondern um eine bloße einseitige Verfahrenshandlung.36) Durch die Anzeige soll dem Restrukturierungsgericht jedoch eine hinreichende Informationsgrundlage zur Verfügung gestellt werden, durch die es in die Lage versetzt wird, zügig über die vom Schuldner beantragten Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens zu entscheiden.37)

23

Erteilen der Schuldner bzw. seine Geschäftsleiter wahrheitswidrige oder unvollständige Auskünfte, insbesondere durch vorsätzliches Verschweigen oder Zurückhalten relevanter Informationen, die für eine Beurteilung der Sanierungsaussichten oder der Auswirkung des Planvollzugs auf Rechte und Forderungen besonders schutzwürdiger Gläubiger von Bedeutung sind, liegt ein schwerwiegender Verstoß gegen die in §§ 32 Abs. 1 Satz 1, 43 Abs. 1 Satz 1 normierte Sorgfaltspflicht vor, welcher das Restrukturierungsgericht nach § 33 Abs. 1 Nr. 3 dazu berechtigt, die Restrukturierungssache von Amts wegen aufzuheben38) und zu einer Haftung der Geschäftsleiter gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 führen kann.

24

Im Unterschied zu der in § 15a InsO normierten Insolvenzantragspflicht steht die Inanspruchnahme des präventiven Restrukturierungsrahmens durch den (nur) drohend zahlungsunfähigen Schuldner im Ermessen des Schuldners bzw. seiner Geschäftsleiter, die hierfür eines zustimmenden Gesellschafterbeschlusses bedürfen (siehe dazu i. E. unten Rz. 85 ff.) Es besteht weder eine Antrags- noch eine Anzeigepflicht.39)

25

Daher kann allein die verspätete Einleitung des Restrukturierungsvorhabens keine Pflichtverletzung gemäß § 43 begründen,40) sondern allenfalls eine Haftung der Geschäftsleiter nach allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Haftungsnormen auslösen (insbesondere § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 AktG), bei deren Auslegung die Wahrung der Gläubigerinteressen – unabhängig von der Streichung der §§ 2, 3 RegE – zu berücksichtigen ist.41)

26

2.

Persönlicher Anwendungsbereich

Adressaten der in § 43 normierten Pflichten und der Haftung sind die Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Rechtsträger. Geschäftsleiter i. S. des StaRUG sind nach _____________ 36) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 134; Braun-Haffa/Schuster, StaRUG, § 31 Rz. 7. 37) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 134; Braun-Haffa/Schuster, StaRUG, § 31 Rz. 7. 38) Ähnlich Braun-Haffa/Schuster, StaRUG, § 33 Rz. 9, 12. 39) Gehrlein, BB 2021, 66, 71. 40) A. A. Smid, ZInsO 2021, 117, 120 f. 41) Bitter, ZIP 2021, 322, 323; Gehrlein, BB 2021, 66, 67; ähnlich Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 71.

Demisch/Schwencke

639

27

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

der Legaldefinition in § 1 Abs. 1 Satz 1 die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs. 28

Wo allerdings neben dem vertretungsberechtigten Organ auch weitere Organe zu Geschäftsführungsentscheidungen berufen sind (etwa im Fall der GmbH die Gesellschafterversammlung), meint die in § 1 Abs. 1 Satz 1 enthaltene Definition mit dem Begriff der Geschäftsleiter allein die Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs.42) 3.

Sachlicher Anwendungsbereich

29

Haftungsgläubiger der in § 43 Abs. S 2 normierten Haftung können nach dem Wortlaut der Vorschrift nur juristische Personen oder Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit i. S. des § 15a Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 InsO sein. Nicht erfasst werden hingegen unternehmerisch tätige natürliche Personen und unbeschränkt haftende Rechtsträger. Dies ergibt sich spiegelbildlich daraus, dass Adressaten der in § 43 normierten Pflichten nur Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Rechtsträger sind.43)

30

Da § 43 unter Verweis auf § 15a InsO nach seinem Wortlaut nicht voraussetzt, dass die Gesellschaft eine Gesellschaft deutscher Rechtsform ist, findet die Vorschrift – ebenso wie § 15a InsO – auch Anwendung auf haftungsbeschränkte EU-Auslandsgesellschaften, die ihren Interessenschwerpunkt und Verwaltungssitz in Deutschland haben.44)

31

Die Anwendung der Vorschrift auf haftungsbeschränkte EU-Auslandsgesellschaften erscheint unabhängig von ihrer konkreten Qualifizierung auch unter Berücksichtigung der verfahrensrechtlichen Vorschriften des StaRUG sachgerecht. So bestimmt sich etwa die örtliche Zuständigkeit des Restrukturierungsgerichts gemäß § 35 Satz 2 nach dem Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners. Die Vorschrift entspricht ihrem Wortlaut nach § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO.45) Dabei gilt auch hier der Grundsatz, dass die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts die internationale Zuständigkeit indiziert.46)

32

Möchte der Schuldner aus freien Stücken die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nach dem StaRUG in Anspruch nehmen und zeigt er zu diesem Zweck das Restrukturierungsvorhaben bei dem gemäß § 35 örtlich zuständigen Restrukturierungsgericht an, so lässt er erkennen, dass er sich durch diese Anzeige gleichzeitig auch den materiell-rechtlichen Vorschriften unterwerfen will, die für das von ihm angestrebte Vorhaben am Ort des Restrukturierungsgerichts gelten.

_____________ 42) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 104. 43) § 32 sieht keine Haftung oder Schadensersatzpflicht vor. Bei natürlichen Personen und unbeschränkt haftenden Personengesellschaften kommt allenfalls eine Haftung über § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 32 als Schutzgesetz in Betracht (s. dazu Rz. 124). Die geschäftsführenden Gesellschafter unbeschränkt haftender Personengesellschaften haften dann nach §§ 128, 161 HGB für die Schadensersatzpflicht des Schuldners. 44) Vgl. zur Anwendung des § 15a InsO auf EU-Auslandsgesellschaften Kübler/Prütting/ Bork-Steffek, InsO, § 15a Rz. 24; Klöhn in: MünchKomm-InsO, § 15a Rz. 53. 45) So bereits Braun-Baumert, StaRUG, § 35 Rz. 3. 46) Toussaint in: BeckOK-ZPO, § 12 vor Rz. 1.

640

Demisch/Schwencke

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

4.

Konkurrenz zu sonstigen Haftungstatbeständen

§ 43 verdrängt in seinem Anwendungsbereich nicht die allgemeinen Sorgfaltspflichten der Geschäftsleiter, sondern konkretisiert diese mit Bezug auf bestimmte, restruktierungsverfahrensbezogene Pflichten und verstärkt sie damit (zu den sonstigen Pflichten detailliert unten Rz. 122 ff.).47)

33

Insbesondere greifen gesellschaftsrechtliche Haftungsnormen, die gläubigerschützende Geschäftsleiterpflichten normieren (z. B. § 43 GmbHG, § 93 AktG).48)

34

Aus der Rechtshängigkeit eines Restrukturierungsverfahrens ergeben sich einige wenige Privilegierungen. So ruht gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache die Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 bis 3 InsO. Ist ein Insolvenzgrund eingetreten und hat der Schuldner dies dem Restrukturierungsgericht angezeigt, gelten gemäß § 89 Abs. 3 bis zur Aufhebung der Restrukturierungssache Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar und stellen damit keinen Verstoß gegen die in § 15b InsO normierte Masseerhaltungspflicht dar.

35

V. Tatbestandsvoraussetzungen 1.

Pflichtverletzung

a) Überblick § 43 Abs. 1 Satz 1 regelt, dass die Geschäftsleiter der von § 15a Abs. 1 Satz 3 InsO erfassten haftungsbeschränkten Rechtsträger auf die Einhaltung der Pflichten des § 32 hinwirken müssen. Damit wird die Legalitätspflicht der Geschäftsleiter, den Sorgfaltspflichten nach § 32 zu entsprechen, ausdrücklich für diese normiert. Verletzt ein Geschäftsleiter die in § 43 Abs. 1 Satz 1 geregelten Pflichten, ist er der Gesellschaft zum Ersatz des den Gläubigern daraus resultierenden Gesamtschadens verpflichtet, es sei denn er hat die Pflichtverletzung nicht zu vertreten.49)

36

Die Formulierung in § 43 Abs. 1 Satz 1, der Geschäftsleiter habe auf ein bestimmtes Betreiben des Schuldners hinzuwirken, wirkt unnötig gestelzt. Aufgrund der organschaftlichen Vertretungsmacht ist jedes Handeln oder Unterlassen des Schuldners ein solches seiner Geschäftsleiter, das dem Schuldner zugerechnet wird.50) Bei der in § 43 Abs. 1 Satz 1 normierten Pflicht der Geschäftsleiter zum „Hinwirken“ auf den Schuldner handelt es sich um eine eigene Handlungs- und Unterlassungspflicht der Geschäftsleiter.51) Entsprechend führt der Gesetzgeber bereits in der Begründung

37

_____________ 47) Bitter, ZIP 2021, 321, 333 f.; Scholz, ZIP 2021, 219, 225; Weber/Dömmecke, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 27, 29; ähnlich Korch, NZG 2020, 1299, 1303. 48) Scholz, ZIP 2021, 219, 225; Weber/Dömmecke, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 27, 29. 49) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 8; vgl. auch Gehrlein, BB 2021, 66, 75. 50) So bereits zutreffend Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 195; Smid, ZInsO 2021, 117, 119. 51) Smid, ZInsO 2021, 117, 119; ähnlich Scholz, ZIP 2021, 219, 223; Jungmann, ZRI 2021, 209, 212; Mock in: BeckOK-StaRUG, § 43 Rz. 7.

Demisch/Schwencke

641

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

des RegE vom 9.11.2020 zu § 45 Abs. 1 RegE aus, dass die dem Schuldner auferlegten Pflichten zugleich das Pflichtenprogramm der Geschäftsleiter konkretisieren.52) 38

Eine Pflichtverletzung der Geschäftsleiter liegt vor, wenn die Geschäftsleiter die durch die Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens ausgelösten gläubigerschützenden Pflichten des Schuldners bei der Sanierungsgeschäftsführung nicht beachten.53) Gleichzeitig bestehen die sich aus den allgemeinen Geschäftsleiterpflichten ergebenden Pflichten in einer Unternehmenskrise fort.54) Von diesen Krisenpflichten werden nunmehr erstmals die Krisenfrüherkennungspflicht, die Berichtspflicht gegenüber Überwachungsorganen und die Sanierungspflicht ausdrücklich und rechtsformübergreifend für juristische Personen und sonstige haftungsbeschränkte Unternehmensträger in § 1 normiert.55)

39

Hinzu treten die im StaRUG vorgesehenen speziellen Pflichten, die sich aus der Rechtshängigkeit einer Restrukturierungssache ergeben, insbesondere die Sanierungsbetreibungspflicht aus § 32 Abs. 1 Satz 1 und die Anzeigepflichten nach § 32 Abs. 2, Abs. 3 i. V. m.§ 42 Abs. 1 und Abs. 4 sowie nach § 42 Abs. 1, aber auch die Auskehr- und Verwahrungspflicht (§ 54). Schließlich werden krisenbezogene Geschäftsleiterpflichten teilweise modifiziert. Die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO wird durch eine Anzeigepflicht ersetzt und ruht unter bestimmten Voraussetzungen; bestimmte, nach § 15b InsO verbotene Zahlungen werden gemäß § 89 Abs. 3 StaRUG privilegiert.

40

Neben der Verletzung der besonderen Mitteilungs- und Anzeigepflichten in § 32 Abs. 2 bis 4, soll nach Smid grundsätzlich jede Handlung der Geschäftsleitung als Pflichtverletzung in Betracht kommen, die geeignet ist, den Verfahrensfort- und/ oder –ausgang zum Nachteil der Gläubiger zu beeinflussen, soweit die Handlung in der Folge die Annahme rechtfertigt, dass die Geschäftsleiter die Gläubigerinteressen nicht sachgerecht gewahrt haben.56)

41

Nachfolgend werden einzelne, im Restrukturierungsverfahren besonders relevante Pflichten erörtert. b) Sanierungsbetreibungspflicht

42

Der Schuldner hat nach § 32 Abs. 1 Satz 1 die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers zu betreiben und dabei die Interessen der Gläubiger zu wahren. Mit der Anzeige der Restrukturierungssache definiert der Schuldner für sich selbst das Restrukturierungsziel, gibt die dafür erforderlichen Maßnahmen vor und setzt den Rahmen, an dem sich das weitere unternehmerische Handeln auszurichten hat.57) _____________ 52) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 146; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 8. 53) Smid, ZInsO 2021, 117, 120; Pannen/Riedemann/Smid-Riedemann, StaRUG, § 43 Rz. 28, die von einer restrukturierungsspezifischen Pflichtverletzung spricht. 54) Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 2. 55) Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 2. 56) Smid, ZInsO 2021, 117, 121. 57) Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 8.

642

Demisch/Schwencke

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

aa) Interessen der Gesamtheit der Gläubiger/“shift of fiduciary duties“ Dabei sind die „Interessen der Gesamtheit der Gläubiger“ zu wahren. Es handelt sich dabei nicht um eine Hervorhebung oder gar um die Begründung eines Vorrangs der Gläubigerinteressen, sondern um die Klarstellung, dass diese – auch – i. R. des Pflichtenkanons des sorgfältigen Sanierungsgeschäftsleiters zu berücksichtigen sind, was sich ohnehin bereits aus dem Legalitätsprinzip ergibt.58)

43

Die Streichung der §§ 2, 3 RegE stellt klar, dass es kein verfahrensunabhängiges Primat der Gläubigerinteressen bereits ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit gibt (shift of fiduciary duties).59) Allerdings ergab sich aus Wortlaut von § 2 Abs. 1 RegE und der Begründung des RegE vom 9.11.2020 hierzu keineswegs ein absoluter Vorrang der Gläubigerinteressen.60) Nach Ansicht vieler soll es zu einem „Pflichtenumschwung“ zugunsten der Gesamtheit der Gläubiger nunmehr (erst) ab Anzeige des Restrukturierungsverfahrens kommen.61) Viel spricht jedoch dafür, dass – unabhängig von Rechtsform, (drohendem) Eintritt von Insolvenzgründen und Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens – die Geschäftsleitung nie vollkommen losgelöst von Gläubigerinteressen agieren kann. Die Intensität der Berücksichtigung der Gläubigerinteressen – ggf. bis hin zu einem Vorrang – ist allerdings abhängig von der Ausprägung der Krise und der sich daraus ergebenden Verlustgefahr für die Gläubiger.62)

44

Unabhängig davon, ob und wann ein „shift of fiduciary duties“ i. S. eines klaren und absoluten Paradigmenwechsel zugunsten der Gläubiger eintritt, kann mit der überwiegenden Mehrheit der Meinungsäußerungen festgehalten werden, dass mit zunehmender Krise und damit zunehmender Gefährdung der Gläubigerforderungen deren Interessen zunehmend Berücksichtigung bei der Geschäftsführung des Schuldners finden müssen (siehe detailliert § 32 Rz. 31 ff.).63)

45

bb) Handlungsspielraum der Geschäftsleiter Anders als im förmlichen Rahmen des Insolvenzverfahrens werden dem Schuldner weitergehende Freiheiten bei der eigenverantwortlichen Gestaltung und Organisation des Gesamtprozesses eingeräumt. Die darin liegende Gestaltungs- und Organisationsfreiheit bei der Erwirkung von Rechtsfolgen, welche die Beteiligten des Prozesses belasten, erfordert eine Rückbindung an das Ziel, die Interessen der Gläubiger zu wahren. Insbesondere soll der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nicht zur Verzögerung und Verschleppung des Krisenbewältigungsprozesses missbraucht _____________ 58) Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG z. § 43 StaRUG, BTDrucks. 19/25303, S. 176; Bitter, ZIP 2021, 321, 322; Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 127. 59) Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 126 f.; vgl. auch Kuntz, ZIP 2021, 597, 600 f. 60) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 106. 61) Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 106; Schulz/Rüsing, NZI 2021, 76, 77; Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 69; Bitter, ZIP 2021, 321, 333 f.; Birnbreier, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 25, 26; a. A. Scholz, ZIP 2021, 219, 222 f., 230, der das Verständnis der in § 43 Abs. 1 Satz 1 normierten Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen als „shift of fiduciary duties“ ab der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ablehnt; so auch Jungmann, ZRI 2021, 209, 212. 62) Ausführlich hierzu Bitter, ZIP 2021, 321, 322. 63) Krit. hierzu Skauradzun, ZRI 2020, 626, 627 f.

Demisch/Schwencke

643

46

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

werden dürfen oder gar dazu, gläubigergefährdende oder -benachteiligende Maßnahmen durchzuführen.64) 47

Dabei ist dem Schuldner bzw. den Geschäftsleitern in Anlehnung an die zuvor in § 2 Abs. 1 Satz 2 RegE enthaltene modifizierte Business Judgement Rule ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen.65) Sowohl § 43 Abs. 1 Satz 1 als auch § 32 Abs. 1 verlangen lediglich, dass die Restrukturierungssache ernsthaft und unter Wahrung der Gläubigerinteressen betrieben wird, wobei der Gesetzgeber dem Schuldner bzw. den Geschäftsleitern in diesem Zusammenhang weitergehende Freiheiten bei der eigenverantwortlichen Gestaltung und Organisation des Gesamtprozesses zugesteht.66) Denn auch bei der Umsetzung des Restrukturierungskonzepts handelt es sich – ebenso wie beim Ob und Wie der Bewältigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der ihr zugrunde liegenden Ursachen – im Kern um eine unternehmerische Entscheidung.67)

48

Dabei sind insbesondere Maßnahmen zu unterlassen, welche sich mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbaren lassen oder welche die Erfolgsaussichten der in Aussicht genommenen Restrukturierung gefährden (§ 32 Abs. 1 Satz 2). Hierzu zählt nach dem gesetzlichen Regelbeispiel des § 32 Abs. 1 Satz 2 insbesondere die Tilgung oder Besicherung von Forderungen, die durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen.68) Veranlassen die Geschäftsleiter solche Vermögensabflüsse oder wirken sie diesen nicht in ausreichender Weise entgegen, haften sie dem Schuldner nach § 43 Abs. 1.69) cc) Ausprägungen der Sanierungsbetreibungspflicht

49

Die von den Geschäftsleitern anhängig gemachte Restrukturierungssache ist sachgerecht zu betreiben. Aufgrund der gesetzlich vorgegebenen Solldauer von nur sechs Monaten (vgl. § 31 Abs. 4 Nr. 4), die maximal um sechs Monate verlängert werden darf, bedeutet sachgerecht zunächst einmal ein zügiges Betreiben der Restrukturierungssache.

50

Dazu zählt weiterhin die sorgfältige Vorbereitung des Restrukturierungsplans. Wesentlicher Bestandteil wird dabei regelmäßig die Verhandlung mit den potentiell planbetroffenen Gläubigern über die in deren Rechte eingreifenden Sanierungsbeiträge im Restrukturierungsplan sein. Aus der Natur des Restrukturierungsrahmens als privatautonomes, auf einer Mehrheitsentscheidung basierendes Vergleichsverfahren ergibt sich, dass die Unterstützung des Sanierungsvorhabens durch eine breite Mehrheit der betroffenen Gläubiger erforderlich ist. Vordringlichste Aufgabe der Ge_____________ 64) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 137. 65) Zutreffend bereits Scholz, ZIP 2021, 219, 224; vgl. auch Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 68 f.; Birnbreier, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 25, 27; Pannen/Riedemann/Smid-Riedemann, StaRUG, § 43 Rz. 32; Mock in: BeckOK-StaRUG, § 43 Rz. 10. 66) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 136 f.; so auch Scholz, ZIP 2021, 219, 224. 67) Scholz, ZIP 2021, 219, 224; vgl. auch Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/ 24181, S. 106 f. 68) Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 195. 69) Birnbreier, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 25, 27.

644

Demisch/Schwencke

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

schäftsleitung ist es daher, ein Sanierungskonzept zu erarbeiten, dass mehrheitsfähig ist. Zugleich muss diese Mehrheit gefunden und gesichert werden. Dies setzt in der Regel voraus, dass die Sanierungsbeiträge mit den betroffenen Gläubigern en detail verhandelt und idealerweise fixiert werden (z. B. in Form von Absichtserklärungen oder Lock-up Agreements). Schließlich ist auch die Mitwirkung der Gläubiger zu sichern. Da für eine Mehrheit die Zahl der vorhandenen Stimmen ausschlaggebend ist, gelten nicht abgegebene Stimmen de facto als Nein-Stimme. Die Geschäftsleiter müssen daher auch sicherstellen, dass die dem Restrukturierungsvorhaben wohlgesonnenen Gläubiger nicht nur mit dem auf sie entfallenden Sanierungsbeitrag einverstanden sind, sondern auch aktiv ihr Stimmrecht ausüben.

51

c) Besondere Mitteilungs- und Anzeigepflichten Den Schuldner und damit die Geschäftsleiter treffen während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache außerdem die in § 32 Abs. 2 bis Abs. 4 statuierten Mitteilungs- und Anzeigepflichten (siehe hierzu ausführlich § 32 Rz. 59 ff.). Danach hat der Schuldner dem Restrukturierungsgericht jede wesentliche, den Gegenstand des angezeigten Restrukturierungsvorhabens und die Darstellung des Verhandlungsstands betreffende Änderung anzuzeigen (§ 32 Abs. 2 Satz 1). Diese Pflicht trägt dem Umstand Rechnung, dass zu Beginn eines Restrukturierungsvorhabens das Sanierungskonzept oder ein Planentwurf noch nicht vollends ausgereift sind, sondern sich erst im Verlauf des Vorhabens weiter konkretisieren oder verändern.70)

52

Hat der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung nach § 49 erwirkt, ist er außerdem verpflichtet, dem Restrukturierungsgericht gemäß § 32 Abs. 2 Satz 2 unverzüglich alle wesentlichen Änderungen mitzuteilen, welche die Restrukturierungsplanung betreffen.

53

Unverzüglich anzuzeigen hat der Schuldner gemäß § 32 Abs. 3 darüber hinaus den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit i. S. des § 17 Abs. 2 InsO bzw. der Überschuldung i. S. des § 19 Abs. 2 InsO. Die Anzeigepflicht nach § 32 Abs. 3 ersetzt dabei im Restrukturierungsverfahren die Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a InsO, die nach § 42 Abs. 1 StaRUG während der Rechtshängigkeit des Restrukturierungsverfahrens ruht.71) Schließlich ist der Schuldner verpflichtet, dem Restrukturierungsgericht unverzüglich anzuzeigen, wenn das Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat.72)

54

d) Prozessuale Pflichten Zur sachgerechten Durchführung des Restrukturierungsverfahrens gehört auch die Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen zur Inanspruchnahme des Restrukturierungs- und Stabilisierungsrahmens.73) Dazu zählen insbesondere die Regelungen zur Ausgestaltung und Übersendung des Planangebots, zur Durchführung eines _____________ 70) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 137; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 9. 71) Vgl. auch Pluta, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 22, 23 f. 72) Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 195. 73) Smid, ZInsO 2021, 117, 121.

Demisch/Schwencke

645

55

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

Erörterungstermins und der außergerichtlichen Planabstimmung (§ 20), sowie das Verfahren zur gerichtlichen Bestätigung des Plans (§§ 60 ff.). 56

Die Einhaltung dieser verfahrensrechtlichen Vorgaben ist essentiell, um einzelnen sanierungsunwilligen Gläubigern keine Handhabe zu geben, das Restrukturierungsverfahren anzugreifen.74) e) Sonstige Pflichten

57

Daneben sind weiterhin die sich aus allgemeinen und ggf. besonderen Geschäftsleiterpflichten ergebenden Pflichten in der Unternehmenskrise zu beachten, insb. die Pflicht zur laufenden Prüfung des Vorliegens von Insolvenzgründen (siehe hierzu detailliert Rz. 122 ff.). 2.

Verschulden

a) Verschuldensmaßstab 58

Die Verpflichtung zum Schadensersatz gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 setzt Verschulden voraus. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der in § 43 Abs. 1 Satz 1 umschriebene Sorgfaltsstandard eingehalten wurde. Auch im Hinblick auf das für eine Haftung erforderliche Verschulden der Geschäftsleiter knüpft die Vorschrift damit in ihrer Konzeption an die rechtsformspezifische Geschäftsleiterhaftung an (§ 93 Abs. 2 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG),75) weshalb auf die zu diesen Vorschriften entwickelten Grundsätze dem Grunde nach zurückgegriffen werden kann.

59

Demnach liegt eine schuldhafte Pflichtverletzung der Geschäftsleiter vor, wenn die Geschäftsleiter vorsätzlich oder fahrlässig die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht beachtet haben, wobei leicht fahrlässiges Verhalten ausreicht.76)

60

Der Inhalt der Sorgfaltspflicht hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.77) Grundsätzlich haben die Geschäftsleiter allerdings die Sorgfalt anzuwenden, die ein ordentlicher Geschäftsmann in leitender Position bei selbstständiger treuhänderischer Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen in dem betreffenden Geschäftszweig einzuhalten hat,78) wobei die Anforderungen nach Art und Größe, sowie Zweck des Unternehmens variieren können.79)

61

Es handelt sich – wie bei § 276 Abs. 2 BGB – um einen objektiven/typisierten Verschuldensmaßstab.80) Auf die persönlichen Merkmale, Fähigkeiten und Eigenschaften der Geschäftsleiter kommt es deshalb nicht an; entlastend können diese jedenfalls _____________ So auch Mock in: BeckOK-StaRUG, § 43 Rz. 9. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 124. Henssler/Strohn-Dauner-Lieb, GesR, § 93 AktG Rz. 32. Bork/Schäfer-Klöhn, GmbHG, § 43 Rz. 64. OLG Celle, Urt. v. 15.3.2000 – 9 U 209/99, NZG 2000, 1178, 1179; OLG Zweibrücken, Urt. v. 22.12.1998 – 8 U 98/98, NZG 1999, 506, 507; Michalski/Heidinger/Leible/ J. Schmidt-Ziemons. GmbHG, § 43 Rz. 408; Altmeppen-Altmeppen, GmbHG, § 43 Rz. 3. 79) OLG Zweibrücken, Urt. v. 22.12.1998 – 8 U 98/98, NZG 1999, 506, 507; OLG Hamm, Beschl. v. 21.6.1985 – 4 Ws 163/85, NStZ 1986, 199. 80) Henssler/Strohn-Dauner-Lieb, GesR, § 93 AktG Rz. 32. 74) 75) 76) 77) 78)

646

Demisch/Schwencke

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

nicht wirken.81) Fehlende eigene Kenntnisse haben die Geschäftsleiter durch die Einschaltung unabhängiger, qualifizierter und fachlich geeigneter Berater auszugleichen.82) Der Geschäftsleiter ist jedoch verpflichtet, seine individuellen Fähigkeiten gegenüber der Gesellschaft einzusetzen.83) Verfügen die Geschäftsleiter über besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten, kann dies zu einer Verschärfung des Sorgfaltsmaßstabs führen.84) Die Geschäftsleiter haften nur für eigenes Verschulden und nicht für Handlungen anderer Geschäftsleiter, Prokuristen oder Mitarbeiter. Insbesondere findet keine Zurechnung gemäß §§ 278, 831 BGB statt, da Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen für die Gesellschaft und nicht für die Geschäftsleiter tätig werden.85) Bei Ressortaufteilung, der Ermächtigung einzelner von mehreren gesamtvertretungsbefugten Geschäftsleitern oder der Delegation von Funktionen auf nachgeordnete Angestellte kommt jedoch eine Haftung wegen der Verletzung von Überwachungspflichten oder Organisationspflichten in Betracht.86)

62

Auch die arbeitsrechtlichen Grundsätze zur Haftungsmilderung bei betrieblich veranlasster Tätigkeit finden auf die Geschäftsleiter – ebenso wie bei den gesellschaftsrechtlichen Parallelvorschriften87) – i. R. des § 43 keine Anwendung. Ist die Restrukturierungssache rechtshängig, haften die Geschäftsleiter über § 43 Abs. 1 Satz 2 für die Verletzung restrukturierungsspezifischer Pflichten gemäß § 32. Die Geschäftsleiter sind bereits aus diesem Grunde nicht schützenswert im Hinblick auf atypische Pflichtverletzungen.

63

Eine fehlende Ressortzuständigkeit führt im Außenverhältnis gegenüber dem Schuldner nicht zu einer Haftungsreduktion. Im Innenverhältnis können dem ressortunzuständigen Geschäftsleiter Freistellungsansprüche gegen den ressortzuständigen Geschäftsleiter zustehen.

64

_____________ 81) Baumbach/Hueck-Beurskens, GmbHG, § 43 Rz. 9; Bork/Schäfer-Klöhn, GmbHG, § 43 Rz. 65; Henssler/Strohn-Dauner-Lieb, GesR, § 93 AktG Rz. 32; bspw. wirtschaftliche Unkenntnis, persönliche Unerfahrenheit, Alter: BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 143/93, NJW 1995, 1290, 1291; BGH, Urt. v. 14.3.1983 – II ZR 103/82, NJW 1983, 1856, 1857; BGH Urt. v. 16.2.1981 – II ZR 49/80, BeckRS 1981, 00074; OLG Celle, Urt. v. 15.3.2000 – 9 U 209/99, NZG 2000, 1178, 1179; OLG Zweibrücken, Urt. v. 22.12.1998 – 8 U 98/98, NZG 1999, 506, 507; OLG Koblenz, Urt. v. 10.6.1991 – 6 U 1650/89, ZIP 1991, 870, 871. 82) BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, NZG 2007, 545, 547; OLG Stuttgart, Urt. v. 25.11.2009 – 20 U 5/09, NZG 2010, 141, 143. 83) BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, NZG 2011, 1271, 1271; Baumbach/HueckBeurskens, GmbHG, § 43 Rz. 9; Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt-Ziemons, GmbHG, § 43 Rz. 414. 84) Bork/Schäfer-Klöhn, GmbHG, § 43 Rz. 64. 85) Henssler/Strohn-Dauner-Lieb, GesR, § 93 AktG Rz. 33; Bork/Schäfer-Klöhn, GmbHG, § 43 Rz. 65; Fleischer in: MünchKomm-GmbHG, § 43 Rz. 126; Spindler in: MünchKommAktG, § 93 Rz. 202. 86) Baumbach/Hueck-Beurskens, GmbHG, § 43 Rz. 59; Michalski/Heidinger/Leible/J. SchmidtZiemons, GmbHG, § 43 Rz. 356 ff.; vgl. auch BGH, Urt. v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, NZG 2019, 225, 226. 87) Abl. etwa Altmeppen-Altmeppen, GmbHG, § 43 Rz. 5; Michalski/Heidinger/Leible/ J. Schmidt-Ziemons, GmbHG, § 43 Rz. 420; a. A. Hoffmann, NJW 2012, 1393, 1397; Wilhelmi, NZG 2017, 681, 690.

Demisch/Schwencke

647

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

b) Beratungsleistungen Dritter 65

Im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Organhaftung wird angenommen, dass ein Geschäftsleiter, der einen Berater – wie bspw. Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer – rechtzeitig sachgerecht und ausreichend beauftragt und informiert hat, sich unter Berufung auf diesen Rat exkulpieren kann, selbst wenn die Beratung fehlerhaft war.88) Weitere Kriterien sind nach der Rechtsprechung des BGH, dass der Dritte ein unabhängiger,89) fachlich qualifizierter90) Berufsträger91) ist und der Geschäftsleiter den Rat einer Plausibilitätskontrolle unterzogen hat.92)

66

Aufgrund der grundsätzlich vergleichbaren Ausgestaltung der Organhaftung im Restrukturierungsrecht und Gesellschaftsrecht ist es folgerichtig, diese Exkulpationsmöglichkeit durch externe Beratung grundsätzlich auch im Restrukturierungsrecht zu gewähren. Dabei sind jedoch die Umstände des Restrukturierungsverfahrens zu berücksichtigen. Für eine wirksame Exkulpation des Geschäftsleiters muss die eingeholte Beratung Bezug zum Pflichtenkatalog des § 32 haben. Die in der Rechtsprechung zur gesellschaftsrechtlichen Organhaftung entwickelten Anforderungen an die Art und Qualität der Beratung sind auch i. R. des § 43 Abs. 1 Satz 2 anzuwenden.

67

Wie sich besondere Kenntnisse des Geschäftsleiters auf seine Exkulpationsmöglichkeit i. R. der Plausibilitätskontrolle auswirken, wird in Abhängigkeit dieser Kenntnisse und nach Art der Beratungsleistung differenziert zu beantworten sein.93)

68

§ 102 normiert für das Restrukturierungsverfahren besondere Hinweis- und Warnpflichten für Berater, die den aufgezählten Berufsgruppen angehören und mit der Erstellung des Jahresabschlusses betraut sind. Die Vorschrift ist an die Rechtsprechung des BGH zu den Pflichten und der Haftung des Steuerberaters angelehnt94) und soll die Hinweis- und Warnpflichten als Instrumente der Krisenfrüherkennung gesetzlich klarstellen.95)

69

Neben dem Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes i. S. der §§ 17 bis 19 InsO hat der Berufsträger auch auf die daran anknüpfenden Pflichten für die Geschäftsleitungs- und Überwachungsorgane hinzuweisen. Erfasst werden insbesondere die _____________ 88) BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, NZG 2012, 672, 673; BGH, Beschl. v. 16.7.2007 – II ZR 226/06, DStR 2007, 1641, 1642; BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, NJW 2007, 2118, 2020; Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 249. 89) BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, NZG 2011, 1271, 1273; BGH, Beschl. v. 16.7.2007 – II ZR 226/06, DStR 2007, 1641, 1642. 90) BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, NZG 2011, 1271, 1273; BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, NJW 2007, 2118, 2120. 91) BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, NZG 2011, 1271, 1273; BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, NJW 2007, 2118, 2021. 92) BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220, 1223; BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, NZG 2012, 672, 673; BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, NZG 2011, 1271, 1273; BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, NJW 2007, 2118, 2120; inzident auch OLG Hamm, Urt. v. 10.4.2002 – 11 U 180/01, NZG 2002, 782. 93) Zu § 93 Abs. 2 AktG: Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 249; eine Strukturierung nach Fallbeispielen bei Fleischer, ZIP 2009, 1397. 94) BGH, Urt. v. 26.1.2017 – IX ZR 285/14, NJW 2017, 1611. 95) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 187; Braun-Weber/Dömmecke, StaRUG, § 102 Rz. 1.

648

Demisch/Schwencke

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

rechtsformspezifischen Pflichten, wie die Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a InsO, die in § 15b InsO normierten Zahlungsverbote sowie die in §§ 32, 43 StaRUG normierten Pflichten. Hinzuweisen ist aber auch auf allgemeine Handlungs- und Unterlassungspflichten, wie sie sich bspw. aus §§ 283 ff. StGB ergeben.96) Hierdurch sollen die Geschäftsleiter und Überwachungsorgane ihren Pflichten ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit nachkommen können.97) Allerdings sollen die in § 102 normierten Hinweis- und Warnpflichten nicht die eigenen Pflichten der Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement ersetzen, sondern diese lediglich ergänzen.98) Die Geschäftsleiter werden sich von ihrer Haftung folglich nicht dadurch exkulpieren können, dass die mit der Erstellung des Jahresabschlusses beauftragten Berater ihre Hinweis- und Warnpflichten aus § 102 verletzt haben. Die Vorschrift hat aber auch deshalb Kritik erfahren, weil eine zum Abschlussstichtag vorliegende Insolvenzreife durch den beauftragten Berater typischerweise erst mehrere Monate nach deren Eintritt entdeckt werden wird.99)

70

Die Verletzung der in § 102 normierten Pflichten begründet eine Schadensersatzpflicht des Beraters gemäß §§ 280 Abs. 1, 675 Abs. 1 BGB gegenüber dem Mandanten.100) Sind die Geschäftsleiter in das Mandat mit einbezogen, kann ihnen ein eigener Schadensersatzanspruch gegen den Berater zustehen. Gleiches gilt für die Gesellschafter.101)

71

c) Darlegungs- und Beweislast § 43 Abs. 1 Satz 2 sieht eine gesetzliche Vermutung zulasten der Geschäftsleiter vor, dass diese pflichtwidrig und schuldhaft gehandelt haben. In Anlehnung etwa an § 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 AktG soll dem Geschäftsleiter die Darlegungs- und Beweislast obliegen, dass er eine Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Dies beinhaltet die Darlegung und den Beweis dafür, dass der Geschäftsleiter pflichtgemäß gehandelt hat, jedenfalls der Schaden auch bei pflichtgemäßem Handeln eingetreten wäre102) oder aber Entschuldigungsgründe vorliegen. Auch hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast kann daher auf die zu § 93 Abs. 2 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden, wonach die Geschäftsleiter die Darlegungs- und Beweislast dafür tragen, dass sie nicht pflichtwidrig oder jedenfalls nicht schuldhaft gehandelt haben.103) _____________ 96) 97) 98) 99) 100) 101) 102) 103)

Braun-Weber/Dömmecke, StaRUG, § 102 Rz. 11. Weber/Dömmecke, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 27, 28. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 188. Weber/Dömmecke, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 27, 28. Braun-Weber/Dömmecke, StaRUG, § 102 Rz. 13. Braun-Weber/Dömmecke, StaRUG, § 102 Rz. 14. Weber/Dömmecke, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 27, 29. BGH, Urt. v. 8.7.2014 – II ZR 174/13, NZG 2014, 1058, 1061; OLG Köln, Urt. v. 1.10.2019 – 18 U 34/18, NZG 2020, 110; OLG Stuttgart, Urt. v. 25.11.2009 – 20 U 509, NZG 2010, 141, 142; Bork/Schäfer-Klöhn, GmbHG, § 43 Rz. 71; Henssler/Strohn-DaunerLieb, GesR, § 93 AktG Rz. 36; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 208; Spindler/ Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 222.

Demisch/Schwencke

649

72

§ 43 73

Pflichten und Haftung der Organe

Den Schuldner – bzw. in einem späteren Insolvenzverfahren den Insolvenzverwalter – trifft die Darlegungs- und Beweislast, dass und in welcher Höhe durch ein möglicherweise pflichtwidriges Handeln der Geschäftsleiter ein Schaden entstanden ist.104) 3.

Ausschlusstatbestände

a) Privilegierte Zahlungen (§ 89 Abs. 3) 74

Gemäß § 89 Abs. 3 Satz 1 gelten bis zur Aufhebung der Restrukturierungssache Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar und stellen damit keinen Verstoß gegen das Zahlungsverbot des § 15b InsO dar. Nach der Rückausnahme des § 89 Abs. 3 Satz 2 sind Zahlungen nicht privilegiert, die bis zu der absehbar zu erwartenden Entscheidung des Restrukturierungsgerichts über die Aufhebung der Restrukturierungssache ohne Nachteil aufgeschoben werden können. Details hierzu siehe § 89 Rz. 42 ff. und unten Rz. 122 ff. b) Einfluss der Gesellschafter im rechtshängigen Restrukturierungsverfahren

75

Mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim Restrukturierungsgericht wird das Restrukturierungsvorhaben rechtshängig. Offen lässt das StaRUG, welchen Einfluss Gesellschafter und Überwachungsorgane im rechtshängigen Restrukturierungsverfahren auf den Fortgang des Verfahrens haben.

76

Erste Anhaltspunkte zur Beantwortung dieser Frage können aus dem vom Gesetzgeber gestrichenen § 2 Abs. 2 RegE abgeleitet werden. Gemäß § 2 Abs. 2 RegE sollten für die Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Unternehmensträger Beschlüsse und Weisungen der Überwachungsorgane und anderer Organe unbeachtlich sein, soweit sie den vorrangig zu wahrenden Gläubigerinteressen entgegenstehen.105) Der Entwurf dieser Vorschrift beruhte auf der Erwägung, dass andernfalls etwa Weisungen nach § 37 Abs. 1 GmbHG eine Pflichtverletzung der Geschäftsleiter ausschließen würden. Da aber Organe des Unternehmensträgers nicht über Pflichten disponieren können sollten, die dem Schutz der Gläubiger dienen, müsse die Beachtung entsprechender Beschlüsse oder Weisungen ausgeschlossen werden.106) Ansonsten würden die gläubigerschützende Pflichtbindung und die sich an sie anschließende Haftungsnorm insbesondere in den für die Insolvenzpraxis bedeutsamen Fällen der Einoder Mehrpersonen-GmbH leerlaufen. Die Unbeachtlichkeit entsprechender Weisungen stehe auch im Einklang mit dem geltenden GmbH-Recht, das die Haftung wegen Verstoßes gegen gläubigerschützende Pflichten von der Möglichkeit einer Exkulpation auf der Grundlage einer Weisung ausschließt (§ 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG).107)

77

Dass der Gesetzgeber die Vorschrift schließlich nicht in die finale Fassung des StaRUG übernommen hat, lässt verschiedene Deutungen zu. So lässt sich die Entscheidung so interpretieren, dass Weisungen und Beschlüsse der Gesellschafter, die sich gegen an _____________ 104) Zu § 93 Abs. 2 AktG: BGH, Urt. v. 8.7.2014 – II ZR 174/13, NZG 2014, 1058, 1061; BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, NJW 2013, 1958, 1961. 105) Vgl. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 14. 106) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 107. 107) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 107.

650

Demisch/Schwencke

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

den Gläubigerinteressen ausgerichteten Maßnahmen richten, für die Geschäftsleiter beachtlich bleiben sollen.108) Hierfür spricht der eindeutige Wortlaut des § 43, der eine mit § 2 Abs. 2 RegE vergleichbare Regelung gerade nicht enthält. Demgegenüber wird auch vertreten, dass wegen des mit der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache eintretenden „shift of fiduciary duties“ (siehe bereits Rz. 43) ab diesem Zeitpunkt die Geschäftsleiter primär die Gläubigerinteressen zu berücksichtigen haben und der Einfluss der Gesellschafter ab diesem Zeitpunkt zurücktritt.109) Abgestellt wird dabei auch auf die in § 276a Abs. 1 InsO enthaltene und gemäß § 276a Abs. 3 InsO ausdrücklich auch im Eröffnungsverfahren anwendbare Anordnung, der zufolge der Aufsichtsrat, die Gesellschafterversammlung oder entsprechende Organe in der Eigenverwaltung keinen Einfluss auf die Geschäftsleitung des Schuldners haben. Dieser Grundsatz müsse auch in § 43 hineingelesen werden.110) Auch bei der Eigenverwaltung sei nämlich die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners für einen Antrag ausreichend.111)

78

Allerdings lässt ein solches Verständnis unberücksichtigt, dass der Gesetzgeber einen absoluten Vorrang der Gläubigerinteressen zu keinem Zeitpunkt gewollt hat.112) Deshalb wird bisher überwiegend angenommen, dass es auch nach Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache bei der eigenverantwortlichen Unternehmensleitung i. S. von § 76 Abs. 1 AktG bzw. der weisungsgebundenen Geschäftsführung gemäß § 37 Abs. 1 GmbHG bleibt.113)

79

Grenzen ergeben sich jedoch aus der sowohl dem Schuldner als auch den Geschäftsleitern durch §§ 32 Abs. 1, 43 Abs. 1 Satz 1 auferlegten Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen und zur Vermeidung von Maßnahmen, die mit dem Restrukturierungsziel unvereinbar sind. Auch wenn der Gesetzgeber das in § 2 Abs. 2 RegE normierte Weisungsverweigerungsrecht nicht in § 43 Abs. 1 übertragen hat, kann von den Geschäftsleitern nicht verlangt werden, dass diese auf Weisung der Gesellschafter, die über § 32 Abs. 1 ebenfalls die Gläubigerinteressen zu wahren haben, entgegen ihren in § 43 Abs. 1 Satz 1 normierten Pflichten und damit rechtswidrig handeln.114)

80

Es folgt bereits aus allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen, dass die Geschäftsleiter Beschlüsse und Weisungen, mit denen zwingend gegen Gläubigerschutzvorschriften verstoßen wird, nicht umsetzen müssen.115) So ist etwa anerkannt, dass jedenfalls existenzvernichtende oder im Widerspruch zu den Kapitalerhaltungsvor-

81

_____________ So etwa Eckert/Holze/Ippen, NZI 2021, 153, 157. So etwa Bitter, ZIP 2021, 321, 335. Bitter, ZIP 2021, 321, 335; a. A. Rauhut, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 52, 54. Bitter, ZIP 2021, 321, 335. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 106 f.; Kuntz, ZIP 2021, 597, 601. Scholz, ZIP 2021, 219, 223; Brünkmans, ZInsO, 2021, 125, 126; Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 106; Rauhut, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 52, 54. 114) Brünkmans, ZInsO, 2021, 125, 128; Ristelhuber, NZI 2021, 417, 419; wohl auch Pospiech/ Noack, NJW-Spezial 2021, 207. 115) Vgl. etwa BGH, Urt. v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, NJW 1960, 285. 108) 109) 110) 111) 112) 113)

Demisch/Schwencke

651

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

schriften (vgl. etwa §§ 30 ff. GmbHG) stehende Weisungen von den Geschäftsleitern zurückgewiesen werden können.116) 82

Bestehen allerdings unter hinreichender Berücksichtigung der Gläubigerinteressen verschiedene Möglichkeiten zur Realisierung des Restrukturierungsziels, obliegt die Entscheidung hierüber den weisungsbefugten Organen.117) Weisungsgebundene Geschäftsleiter könnten daher bei Bestehen einer Alternative zur Erreichung des Restrukturierungsziels auch angewiesen werden, die Anzeige des Restrukturierungsverfahrens nach § 31 Abs. 4 Nr. 1 zurückzunehmen.

83

Restrukturierungsplanwidrige Weisungen und Beschlüsse der Gesellschafter dürfen die Geschäftsleiter ignorieren. Zutreffend wird in der Literatur nämlich darauf hingewiesen, dass der Restrukturierungsplan mehr als nur einen privatautonomen Vergleich, dessen Durchführung man verweigere, darstellt, der wegen seiner Bindungswirkung einen besonderen Schutz genießt.118) Dieses Verständnis entspricht auch Art. 12 Abs. 2 der Restrukturierungsrichtlinie, wonach die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass Anteilsinhaber die Umsetzung eines Restrukturierungsplans nicht grundlos verhindern oder erschweren dürfen.

84

Allerdings ist damit zu rechnen, dass die Beurteilung, ob eine Weisung oder ein Beschluss der Gesellschafter im Einzelfall planwidrig ist, den Geschäftsleitern in der Praxis Schwierigkeiten bereiten kann. Deshalb wird empfohlen, dass die Geschäftsleiter den Restrukturierungsbeauftragten, soweit ein solcher bestellt ist, zurate ziehen. So kann im Falle der Missachtung einer Weisung oder eines Beschlusses der Gesellschafter jedenfalls ein Verschulden ausgeschlossen werden.119) c) Kontroll- und Weisungsrechte der Gesellschafter bei Anzeige des Restrukturierungsvorhabens

85

Mit der Streichung des § 2 RegE verhält sich das StaRUG nicht ausdrücklich dazu, ob für die Einleitung des Restrukturierungsverfahrens gemäß § 31 Abs. 1 ein Beschluss der Anteilseigner oder eines Überwachungsorgans erforderlich ist, oder ob die Geschäftsleiter bei drohender Zahlungsunfähigkeit des Schuldners das Restrukturierungsvorhaben auch ohne deren Zustimmung oder gar gegen eine anderslautende Weisung einleiten können. aa) Meinungsbild

86

Für die Erforderlichkeit eines Gesellschafterbeschlusses zur Einleitung des Restrukturierungsverfahrens spricht die Nähe der Anzeige des Restrukturierungsverfahrens zu dem fakultativen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 Abs. 1 InsO. Nach wohl überwiegender Ansicht bedarf es für einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen drohen-

_____________ 116) 117) 118) 119)

Brünkmans, ZInsO, 2021, 125, 126, 128; Rauhut, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 52, 54. Brünkmans, ZInsO, 2021, 125, 126, 128; Ristelhuber, NZI 2021, 417, 420. So Rauhut, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 52, 54. Rauhut, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 52, 54.

652

Demisch/Schwencke

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

der Zahlungsunfähigkeit eines haftungsbeschränkten Unternehmensträgers der Zustimmung der Gesellschafter in Form einer qualifizierten Mehrheit.120) Dies hat auch das OLG München in einem Urteil aus dem Jahr 2013 bestätigt. In dieser Entscheidung wurde klargestellt, dass Geschäftsleiter für die Stellung eines Insolvenzantrages nach § 18 InsO einen positiven Beschluss der Gesellschafter benötigen. Andernfalls haften sie der Gesellschaft im Innenverhältnis.121) Ferner hat das OLG München festgestellt, dass es sich bei der Insolvenzantragstellung nach § 18 InsO nicht um eine Geschäftsführungsmaßnahme, sondern um ein Grundlagengeschäft handelt.122) Seine Entscheidung stützt das OLG München dabei auf die Erwägung, dass die Einleitung des Insolvenzverfahrens zur Auflösung der Gesellschaft (vgl. § 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG) führt. Damit handele es sich hierbei um ein den Gesellschaftszweck änderndes Grundlagengeschäft, über dessen Vornahme einzig die Gesellschafter und nicht die Geschäftsleiter zu entscheiden haben.123) Darüber hinaus ist i. R. des Insolvenzverfahrens mit weitreichenden Eingriffen in die Rechte der Anteilseigner zu rechnen. Dies spricht ebenfalls dafür, dass für einen Insolvenzantrag außerhalb der in § 15a InsO normierten Antragspflicht ein Beschluss der Gesellschafter erforderlich ist.124)

87

Jedenfalls die Gefahr der weitreichenden Eingriffe in die Rechte der Anteilseigner besteht nicht nur i. R. eines wegen drohender Zahlungsunfähigkeit eingeleiteten Insolvenzverfahrens, sondern auch im Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG. Denn dort können die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte in §§ 2 Abs. 4, 7 Abs. 1 einer Gestaltung durch den Restrukturierungsplan unterworfen werden. Deshalb wird in der Literatur bisher auch hinsichtlich der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens nach § 31 Abs. 1 die Zustimmung der Gesellschafter überwiegend für erforderlich erachtet.125) Umstritten ist allerdings, ob ein qualifizierter Mehrheitsbeschluss notwendig ist. Für die AG wird teilweise – wie bereits beim Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit – vertreten, dass die Zustimmung des Aufsichtsrates genügt.126)

88

Ein solches Erfordernis birgt allerdings die Gefahr, dass die Gesellschafter trotz der für das Restrukturierungsverfahren notwendigerweise bereits eingetretenen drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners ein solches Verfahren ablehnen und dem Schuldner nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder der Überschul-

89

_____________ 120) Vgl. Schäfer, ZIP 2020, 1950, 1952; Saenger/Al-Wraikat, NZG 2013, 1201, 1206; a. A. etwa Eidenmüller, ZIP 2014, 1197, 1203 f.; Hölzle, ZIP 2013, 1846, 1850 f.; Ristelhuber, NZI 2021, 417, 419. 121) OLG München, Urt. v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121, 1124. 122) OLG München, Urt. v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121, 1123. 123) OLG München, Urt. v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121, 1124. 124) OLG München, Urt. v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121, 1124. 125) So etwa Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 127; Jungmann, ZRI 2021, 209, 213; Desch/Hochdorfer in: Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, § 6 Rz. 21. 126) Vgl. Balthasar, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 18, 20; Rauhut, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 52, 54; Eckert/Holze/Ippen, NZI 2021, 153, 154; diff. nach den Gesellschaftsformen Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 127; Scholz, ZIP 2021, 219, 226 ff.; zum RefE Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2236 ff.; zum RegE Schäfer, ZIP 2020, 2164, 2168; a. A. zum RegE Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2365; a. A. zum RefE Thole, ZIP 2020, 1985, 1986.

Demisch/Schwencke

653

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

dung (§ 19 InsO) dann nur noch der Gang in das Insolvenzverfahren bleibt. Auch führt die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens gemäß § 31 Abs. 1 im Unterschied zu der Einleitung des Insolvenzverfahrens nicht zu einer Auflösung der Gesellschaft. 90

Kritisch anzumerken ist schließlich, dass das Erfordernis eines Gesellschafterbeschlusses für die Anzeige des Restrukturierungsverfahrens zur Folge hätte, dass letztlich die mit Weisungskompetenz ausgestatteten Gesellschaftsorgane darüber entscheiden, ab wann eine ausreichende Berücksichtigung der Gläubigerinteressen gemäß §§ 32 Abs. 1, 43 Abs. 1 Satz 1 erforderlich wird.127) bb) Stellungnahme

91

Auch wenn die Gefahr besteht, dass ein Restrukturierungsverfahren durch die Einbeziehung der Gesellschafter verzögert oder verhindert wird, bedarf es im Innenverhältnis eines mit qualifizierter Mehrheit zu fassenden Gesellschafterbeschlusses jedenfalls dann, wenn im Restrukturierungsplan in die Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter eingegriffen werden soll. Es handelt sich bei § 31 nicht um eine Antragspflicht bei drohender Zahlungsunfähigkeit, sondern um eine privatautonome Entscheidung des Schuldners, eine entstandene drohende Zahlungsunfähigkeit mit den Instrumentarien des Restrukturierungsverfahrens zu beseitigen. Da im Restrukturierungsverfahren auch in Gesellschafterrechte eingegriffen werden kann, kann es sich auch um ein Grundlagengeschäft handeln, welches über die den Geschäftsleitern im Innenverhältnis gewährten Geschäftsführungsbefugnisse hinausgeht.

92

Bei der AG obliegt die Überwachung des – weisungsunabhängigen128) – Vorstandes dem Aufsichtsrat. Dieser kann mit entsprechender Beschlussfassung seiner Überwachungspflicht nach § 111 AktG gerecht werden. Soweit die Satzung die interne Geschäftsführungsbefugnis des Vorstandes einschränkt, ergibt sich die Einbeziehung des Aufsichtsrates aus § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG. Sieht der beabsichtigte Restrukturierungsplan einer AG Eingriffe in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre vor, betrifft die Anzeige eine Grundlagenentscheidung, die der Hauptversammlung nicht entzogen werden kann.129)

93

Bei der Zustimmung durch die Gesellschafter handelt es sich nicht um eine Zulässigkeitsvoraussetzung für das Restrukturierungsvorhaben. Die Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens durch die Geschäftsleiter des Schuldners ist auch ohne Zustimmung oder auch bei ablehnendem Gesellschafterbeschluss wirksam. § 31 sieht, ebenso wie § 18 InsO, eine Zustimmung der Gesellschafter als Zulässigkeitsvoraussetzung nicht vor. Die Gesellschafter bzw. die zuständigen Überwachungsorgane sind sodann darauf verwiesen, bei weisungsgebundenen Geschäftsleitern (wie bei der GmbH), die Geschäftsleiter abzuberufen und/oder auf Ersatz eines etwaigen durch die Anzeige verursachten Schadens in Anspruch zu nehmen.130) Vor diesem _____________ 127) Jungmann, ZRI 2021, 209, 213. 128) Vgl. § 76 Abs. 1 AktG. 129) Vgl. zu den Kernkompetenzen der Hauptversammlung: BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30= BB 2004, 1182; BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, ZIP 1982, 568; Wertenbruch, DB 2013, 1592, 1594; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 76 Rz. 22. 130) Zur Frage, ob grundsätzlich weisungsgebundene Geschäftsleiter angewiesen werden können, die Anzeige nach § 31 Abs. 4 Nr. 1 zurückzunehmen, s. oben Rz. 82.

654

Demisch/Schwencke

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

Hintergrund wird die Einbeziehung der Gesellschafter – jedenfalls bei geplanten Eingriffen in die Mitgliedschaftsrechte – schon zur Vermeidung von Haftungsrisiken für die Geschäftsleiter den Regelfall darstellen. VI. Rechtsfolge 1.

Haftungsgläubiger und Haftungsschuldner

Haben die Geschäftsleiter schuldhaft ihre Pflichten aus § 43 Abs. 1 Satz 1 verletzt, haften sie dem Schuldner nach § 43 Abs. 1 Satz 2 i. H. des den Gläubigern entstandenen Schadens. Mehrere zum Schadensersatz verpflichtete Geschäftsleiter haften gemäß § 421 BGB als Gesamtschuldner.131)

94

Es handelt sich damit um eine bloße Innenhaftung der Geschäftsleiter gegenüber dem Schuldner. Die Gläubiger sind folglich nicht berechtigt, ihnen entstandene Einzelschäden unmittelbar gegenüber den Geschäftsleitern geltend zu machen. Der RegE hatte demgegenüber noch eine solche Außenhaftung in Anlehnung an das insolvenzrechtliche Haftungsmodell des § 60 InsO vorgesehen (§ 45 RegE).132)

95

Hinsichtlich des Restrukturierungsverfahrens hat sich der Gesetzgeber also bewusst für ein vom Eigenverwaltungsverfahren (für welches mit dem SanInsFoG unter Berücksichtigung der gleichlautenden BGH-Rechtsprechung133) in § 276a Abs. 2 InsO die Außenhaftung der Geschäftsleiter analog §§ 60, 61 InsO normiert wurde)134) abweichendes Haftungsmodell entschieden.

96

2.

Art des Schadensersatzes

Während § 45 RegE sowohl dem Ersatz des Quotenschadens als auch der Einzelschäden der Gläubiger dienen sollte,135) ist nach § 43 allein der Gesamtschaden der Gläubiger ersatzfähig.136)

97

Damit knüpft § 43 in seiner Rechtsfolge an § 3 Abs. 1 RegE an, der für den Fall, dass die Geschäftsleiter gegen die Pflicht, die Interessen der Gläubiger zu wahren (§ 2 Abs. 1 RegE), im Verschuldensfalle ebenfalls eine Schadensersatzpflicht gegenüber dem haftungsbeschränkten Unternehmensträger i. H. des Gesamtgläubigerschadens vorsah.137) Diese Rechtsfolge entspricht auch den Vorgaben des europäischen Gesetzgebers in ErwG 71 der Restrukturierungsrichtlinie.138)

98

_____________ 131) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 108; Smid, ZInsO 2021, 117, 118. 132) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 146; Birnbreier, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 25, 27. 133) BGH Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, NZI 2018, 519. 134) Birnbreier, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 25, 27; vgl. auch Bitter, ZIP 2021, 321, 334 f. 135) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 146; vgl. auch Desch, BB 2020, 2498, 2501. 136) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 8; vgl. auch Bitter, ZIP 2021, 321, 333; Scholz, ZIP 2021, 219, 225. 137) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 108. 138) Weber/Dömmecke, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 27, 29; vgl. auch Demisch in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 19 Rz. 59; Naumann, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 35, 36.

Demisch/Schwencke

655

§ 43 3.

Pflichten und Haftung der Organe

Umfang des Schadensersatzes

99

Allerdings dürfte sich sowohl der Beweis als auch die Berechnung des Gesamtgläubigerschadens in der Praxis je nach Art der Pflichtverletzung durchaus als problematisch erweisen.139) Der Schuldner (bzw. im Insolvenzverfahren der Insolvenzverwalter) trägt nämlich die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass und inwieweit der Gesamtgläubigerschaft durch das pflichtwidrige Handeln der Geschäftsleiter ein Schaden entstanden ist.140)

100

Im Grundsatz handelt es sich beim Gesamtschaden – wie ihn das deutsche Recht bisher an das Vorliegen von Insolvenzeröffnungsgründen knüpft und zum Schutz des Schuldnervermögens durch verschiedene Gesetze eine straf- oder zivilrechtliche Haftung der verantwortlichen Personen (bspw. in §§ 15a, 15b InsO, §§ 283a, 283b StGB) normiert141) – um eine Verkürzung der Masse, die die Gesamtheit der Gläubiger trifft.142) Diese kann entweder durch eine Verringerung der Aktiva oder durch eine Vermehrung der Passiva eintreten. Weil es sich bei dem Gesamtschaden um einen solchen Schaden handelt, den der einzelne Gläubiger allein aufgrund seiner Gläubigerstellung erleidet, muss die Verkürzung der Masse die Gläubigergesamtheit treffen.143)

101

In der Begründung zu § 3 RegE wird der Schaden definiert als jeder Verlust, den die Gläubiger zu tragen haben, und der dazu führt, dass die Krise vertieft und der Unternehmensträger sich weiter von dem Zustand entfernt, der es ihm erlaubt, außerhalb eines Insolvenzverfahrens weiter seinem Zweck nachzugehen.144) Da die Pflichtbindung der Geschäftsleiter gegenüber der Gläubigerschaft Ausdruck des „shift of fiduciary duties“ sein soll, sollen die Verluste der Gläubiger nach dem Willen des Gesetzgebers gleichzeitig einen Schaden der Gesellschaft darstellen.145)

102

Der Sinn und Zweck der Pflicht der Geschäftsleiter zur Wahrung der Gläubigerinteressen besteht darin, die Gläubigerschaft vor Verlusten zu schützen, die diese infolge einer ihre Interessen nicht hinreichend berücksichtigenden Geschäftsführung erleidet. Liegt eine schuldhafte Pflichtverletzung durch die Geschäftsleiter vor, ist deshalb der Gesamtgläubigerschaden zu ersetzen, der infolge der Verletzung der Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen eintritt.146)

103

Vorgeschlagen wird etwa, den Schaden dadurch zu ermitteln, dass von dem Betrag der Verbindlichkeiten der Gesellschaft nach der die Interessen der Gläubiger schä-

_____________ 139) So bereits Gehrlein, BB 2021, 66, 67. 140) Weber/Dömmecke, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 27, 29. 141) Demisch in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 19 Rz. 60; vgl. auch Naumann, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 35, 36. 142) Gehrlein in: MünchKomm-InsO, § 92 Rz. 11. 143) Gehrlein in: MünchKomm-InsO, § 92 Rz. 11; Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 128; Ristelhuber, NZI 2021, 417, 420. 144) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 108; Smid, ZInsO 2021, 117, 118. 145) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 108. 146) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 108.

656

Demisch/Schwencke

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

digenden Pflichtverletzung des Geschäftsleiters der Betrag der zuvor bestehenden Verbindlichkeiten in Abzug gebracht wird.147) Eine solche Ermittlung erscheint denkbar, soweit die Pflichtverletzung der Geschäftsleiter unmittelbar zu einem Vermögensabfluss führt, etwa weil die Pflichtverletzung darin besteht, dass Forderungen beglichen oder besichert wurden, die durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden sollten (vgl. § 32 Abs. 1 Satz 3).

104

Schwieriger dürfte sich die Ermittlung des Gesamtgläubigerschadens hingegen gestalten, wenn die Pflichtverletzung z. B. in der Verletzung von Mitteilungs- oder Anzeigepflichten (§ 32 Abs. 2 bis 4) oder in der nicht sachgerechten Durchführung des Restrukturierungsverfahrens (§ 32 Abs. 1 Satz 1) besteht, die nicht mit einem unmittelbaren Vermögensabfluss verbunden ist. Zwar wird sich der Schuldner (bzw. im Anschlussinsolvenzverfahren der Insolvenzverwalter) sowohl hinsichtlich des Vorliegens als auch hinsichtlich der Höhe des Schadens sowie der haftungsausfüllenden Kausalität auf die Beweiserleichterung nach § 287 Abs. 1 ZPO berufen können.148) Dennoch wird zu berücksichtigen sein, dass dem Schuldner und den Geschäftsleitern bei der Betreibung der Restrukturierungssache ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt (siehe Rz. 47), der es dem Schuldner erschwert, ex post darzulegen, dass das Ausbleiben der Pflichtverletzung eine Masseverkürzung verhindert hätte.149)

105

VII. 1.

Verzicht, Vergleich und Verjährung

Verzicht und Vergleich (Abs. 2)

Gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 ist ein Verzicht des Schuldners auf Ansprüche nach § 43 Abs. 1 Satz 2 unwirksam, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist. Dies gilt gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 allerdings nicht, wenn sich der Ersatzpflichtige – also der Geschäftsleiter – zur Abwendung eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen mit seinen Gläubigern vergleicht, wenn die Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird oder wenn für den Ersatzberechtigten – also den Schuldner – ein Insolvenzverwalter handelt.

106

Obwohl es sich bei der Haftung der Geschäftsleiter nach § 43 Abs. 1 Satz 2 um eine bloße Innenhaftung gegenüber dem Schuldner handelt, wird mit ihr die Verletzung von gläubigerschützenden Vorschriften sanktioniert. Deshalb hat es der Gesetzgeber für sachgerecht erachtet, in Anlehnung an § 43 Abs. 3 i. V. m. § 9b Abs. 1 GmbHG bzw. § 93 Abs. 5 Satz 3 AktG einen Verzicht der Gesellschaft auf den Ersatzanspruch ohne Mitwirkung der Gläubiger als Schutzadressaten der Haftung auszuschließen, soweit nicht die in § 43 Abs. 2 Nr. 2 normierten Ausnahmen greifen.150)

107

Die Haftungsansprüche der Gesellschaft gegen die Geschäftsleiter wegen der Verletzung gläubigerschützender Pflichten stehen damit nicht zur Disposition der Gesellschaft, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist.151)

108

_____________ Smid, ZInsO 2021, 117, 118. Weber/Dömmecke, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 27, 29. Ähnlich Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2364. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 109; vgl. auch Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 8. 151) Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 129. 147) 148) 149) 150)

Demisch/Schwencke

657

§ 43 2.

Pflichten und Haftung der Organe

Verjährung (Abs. 3)

109

Gemäß § 43 Abs. 3 Satz 1 verjähren die Ansprüche des Schuldners gegen dessen Geschäftsleiter aus § 43 Abs. 1 Satz 2 in fünf Jahren. Handelt es sich beim Schuldner um eine börsennotierte Gesellschaft, beträgt die Verjährung hingegen zehn Jahre (§ 43 Abs. 3 Satz 2).

110

Die Vorschrift entspricht den Verjährungsregelungen für gesellschaftsrechtliche Haftungsansprüche bei der Verletzung gläubigerschützender Pflichten,152) also insbesondere § 93 Abs. 6 AktG und § 43 Abs. 4 GmbHG. Zur Auslegung und zum Verständnis von § 43 Abs. 3 kann demnach auf die bestehende Rechtsprechung und Literatur zu diesen Vorschriften zurückgegriffen werden.

111

Es handelt sich um eine unterjährige Verjährung. Die fünfjährige bzw. zehnjährige Verjährungsfrist beginnt gemäß § 200 Satz 1 BGB also mit dem Entstehen des Anspruchs,153) d. h. mit dem Eintritt des Schadens dem Grunde nach, ohne dass der Schaden in dieser Phase bezifferbar sein muss.154) VIII. Prozessuales 1.

112

2. 113

Durchsetzung im Insolvenzverfahren

Weil es sich bei der Haftung nach § 43 Abs. 1 Satz 2 um eine bloße Innenhaftung handelt, obliegt die Geltendmachung des Gesamtgläubigerschadens dem Schuldner.155) Praktisch ist allerdings damit zu rechnen, dass erst bei einem Scheitern des Restrukturierungsverfahrens und einem anschließenden Insolvenzverfahren eine Geltendmachung durch den gemäß § 92 InsO ausschließlich berechtigten Insolvenzverwalter zugunsten der Gläubigergesamtheit erfolgen wird.156) Aufgrund der mit § 92 InsO statuierten Sperrwirkung gegenüber den Gläubigern und der Ermächtigungswirkung zugunsten des Insolvenzverwalters157) bedarf es im Insolvenzverfahren einer GmbH auch keines die Inanspruchnahme anordnenden Gesellschafterbeschlusses nach § 46 Nr. 8 GmbHG. Durchsetzung außerhalb eines Insolvenzverfahrens

Für die Durchsetzung von Ansprüchen aus § 43 Abs. 1 Satz 2 gegen noch amtierende Geschäftsleiter außerhalb eines Insolvenzverfahrens enthält das StaRUG keine Regelungen. Insbesondere ist nicht vorgesehen, dass der Anspruch von dem Restrukturierungsbeauftragten geltend gemacht werden kann.158) _____________ 152) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 8; vgl. auch zu § 3 Abs. 5 Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 109; so auch Mock in: BeckOK-StaRUG, § 43 Rz. 25; Desch/Hochdorfer in: Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, § 6 Rz. 28. 153) Henssler/Strohn-Dauner-Lieb, GesR § 93 AktG Rz. 54; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 87. 154) BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, Rz. 16, NJW 2009, 68. 155) Desch, BB 2020, 2498, 2499; Weber/Dömmecke, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 27, 28. 156) Desch, BB 2020, 2498, 2499; Desch/Hochdorfer in: Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, § 6 Rz. 23; Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 128. 157) Vgl. hierzu Gehrlein in: MünchKomm-InsO, § 92 Rz. 14 ff. 158) Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 128.

658

Demisch/Schwencke

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

Es bleibt deshalb nur der Rückgriff auf die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften. Bei einer GmbH sind Haftungsansprüche durch einen gemäß § 46 Nr. 8 GmbHG von den Gesellschaftern bestimmten Vertreter geltend zu machen. Die AG und die eG werden vom Aufsichtsrat gegenüber den Vorstandsmitgliedern gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Bei Personenhandelsgesellschaften richten sich die Vertretungsbefugnisse grundsätzlich nach §§ 125 Abs. 1, 126 Abs. 1 HGB.159) 3.

Darlegungs- und Beweislast

Den Schuldner bzw. den Insolvenzverwalter trifft die Darlegungs- und Beweislast, dass und in welcher Höhe durch ein möglicherweise pflichtwidriges Handeln der Geschäftsleiter ein Schaden entstanden ist. Die Geschäftsleiter haben hingegen darzulegen und zu beweisen, dass sie die Pflichtverletzung nicht zu vertreten haben, also dass sie entweder pflichtgemäß gehandelt haben, jedenfalls der Schaden auch bei pflichtgemäßem Handeln eingetreten wäre oder aber Entschuldigungsgründe vorliegen (siehe ausführlich oben Rz. 36 ff., 58 ff.). 4.

114

115

Gerichtliche Zuständigkeit

Durch das SanInsFoG wurden mit Wirkung zum 1.1.2021 besondere Vorschriften zur gerichtlichen Zuständigkeit für Streitigkeiten nach dem StaRUG normiert. Unter die Streitigkeiten nach dem StaRUG fallen alle Haftungs- und Schadenersatzansprüche, die aufgrund des StaRUG in einer Restrukturierungssache gegen den Schuldner, die Mitglieder der Geschäftsleitung des Schuldners, die Organe des Schuldners oder gegen den Restrukturierungsbeauftragten erhoben werden können,160) mithin auch die Haftungsansprüche aus § 43 Abs. 1 Satz 2.

116

Gemäß dem neu eingefügten § 19b ZPO ist für Klagen, die sich auf Restrukturierungssachen nach dem StaRUG beziehen, örtlich ausschließlich das Gericht zuständig, in dessen Bezirk das für die Restrukturierungssache zuständige Restrukturierungsgericht seinen Sitz hat. Hierdurch soll eine Zersplitterung der örtlichen Zuständigkeiten aufgrund verschiedener Gerichtsstände vermieden werden, die sich aus den ansonsten in Betracht kommenden Gerichtsständen des Sitzes des Beklagten oder der unerlaubten Handlung ergeben könnten.161) Die örtliche Zuständigkeit des Restrukturierungsgerichts richtet sich gemäß § 35 Satz 1 ausschließlich nach dem allgemeinen Gerichtsstand des Schuldners, es sei denn, der Mittelpunkt einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners liegt an einem anderen Ort. Dann ist ausschließlich das Restrukturierungsgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt (§ 35 Satz 2).

117

Sachlich ist unabhängig vom Streitwert gemäß § 76 Abs. 1 Nr. 6 GVG das LG ausschließlich zuständig. Durch die streitwertunabhängige Zuständigkeit der LG soll eine Spezialisierung der Gerichte und somit eine zeitsparendere Arbeitsorganisation ermöglicht sowie die Vorteile der Entscheidungsfindung in einem Kollegialorgan in komplexen Fragen des Wirtschaftsrechts nutzbar gemacht werden. Zugleich wird hierdurch der Instanzenzug bis zum BGH sichergestellt.162)

118

_____________ 159) 160) 161) 162)

Vgl. Smid, ZInsO 2021, 117, 118. Begr. RegE SanInsFoG z. GVG, BT-Drucks. 19/24181, S. 189. Begr. RegE SanInsFoG z. GVG, BT-Drucks. 19/24181, S. 190. Begr. RegE SanInsFoG z. GVG, BT-Drucks. 19/24181, S. 189; Feldmann in: BeckOKGVG, § 71 Rz. 10d.

Demisch/Schwencke

659

§ 43 119

Pflichten und Haftung der Organe

Bei den LG sind gemäß § 72a Nr. 7 GVG in der seit dem 1.1.2021 geltenden Fassung spezialisierte Zivilkammern funktional für Streitigkeiten aus dem StaRUG zuständig. Dies soll eine effiziente und ressourcensparende Bearbeitung und Entscheidung von Verfahren dadurch fördern, dass innerhalb des Gerichts eine häufigere Befassung der entscheidenden Spruchkörper mit den genannten Materien eintritt.163) 5.

D&O-Versicherung

120

Die Praxis bei der Schadensregulierung zum Gesamtschaden bei verbotenen Zahlungen nach § 64 Satz 1 GmbHG a. F. hat – bis zur Klärung zugunsten der Geschäftsleiter durch den BGH164) – gezeigt, dass die Regulierung eines Gesamtschadens auf Basis der regelmäßig in D&O-Bedingungen verwendeten Definition eines Vermögensschadens keine Selbstverständlichkeit ist.165)

121

Daher sollte der Geschäftsleiter vor Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens prüfen, ob Pflichtverletzungen nach § 43 (und § 57) von den Versicherungsbedingungen einer bestehenden D&O-Versicherung erfasst sind. Gegebenenfalls sollte eine ausdrückliche Deckung i. R. einer Nachtragsvereinbarung in den Versicherungsschutz mit aufgenommen werden. IX. Sonstige Haftungstatbestände

122

§ 43 ist eine Konkretisierung der rechtsformspezifischen gläubigerschützenden Geschäftsleiterpflichten, insbesondere aus § 43 GmbHG bzw. § 93 AktG.166) Die gesellschaftsrechtlichen Haftungsnormen bleiben jedoch dem Grunde nach neben § 43 anwendbar.167) Dabei wurde durch die Streichung der in § 45 RegE vorgesehenen Außenhaftung der Geschäftsleiter, die nach § 43 nunmehr nur noch dem Schuldner im Innenverhältnis haften, die Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme beseitigt.168)

123

Innerhalb des StaRUG ordnet § 57 eine Außenhaftung der Geschäftsleiter gegenüber den betroffenen einzelnen Gläubigern für das pflichtwidrige Erwirken einer Stabilisierungsanordnung sowie einer nicht ordnungsgemäßen Auskehr und Verwahrung von Erlösen nach § 54 Abs. 2 an.

124

Daneben kommt bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen eine deliktische Haftung der Geschäftsleiter, z. B. nach § 823 Abs. 2 i. V. m. § 266 StGB oder sogar wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung nach § 826 BGB, in Betracht.169) Allerdings dürfte § 43 trotz seines offensichtlich gläubigerschützenden Charakters wegen der angeordneten Innenhaftung und der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers gegen die in § 45 RegE noch vorgesehene Außenhaftung selbst kein Schutz_____________ 163) Begr. RegE SanInsFoG z. GVG, BT-Drucks. 19/24181, S. 189; Feldmann in: BeckOKGVG, § 71 Rz. 10d. 164) BGH, Urt. v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, ZRI 2021, 22 = NJW 2021, 231. 165) Vgl. dazu Schwencke/Röper, ZInsO 2018, 1937; Schwencke/Röper, ZInsO 2020, 2453. 166) Bitter, ZIP 2021, 321, 334; ähnlich Korch, NZG 2020, 1299, 1303, der ein Spezialitätsverhältnis in Betracht zieht. 167) Scholz, ZIP 2021, 219, 225; Weber/Dömmecke, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 27, 29; Kuntz, ZIP 2021, 597, 607. 168) Scholz, ZIP 2021, 219, 225. 169) Weber/Dömmecke, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 27, 29; Mock in: BeckOK-StaRUG, § 43 Rz. 20; ähnlich Pannen/Riedemann/Smid-Riedemann, StaRUG, § 43 Rz. 74.

660

Demisch/Schwencke

§ 43

Pflichten und Haftung der Organe

gesetz i. S. von § 823 Abs. 2 BGB darstellen.170) Soweit es um die Haftung der Geschäftsleiter geht, dürfte auch für § 32 Abs. 1 nichts Anderes gelten. Allerdings kommt die Qualifikation des § 32 Abs. 1 als Schutzgesetz im Hinblick auf den Schuldner, also das Unternehmen selbst, als Haftungsadressaten zugunsten der Gläubiger in Betracht.171) Neben § 43 findet auch § 15b InsO Anwendung.172) Das dort ab Eintritt der Insolvenzreife normierte Zahlungsverbot löst bei Außerachtlassung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters eine Ersatzpflicht für verbotswidrig vorgenommene Zahlungen aus.

125

Allerdings privilegiert § 89 Abs. 3 Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang, die in jenem Zeitraum erfolgen, in dem der Schuldner seine Insolvenzreife i. S. von § 32 Abs. 3 angezeigt und das Restrukturierungsgericht die Restrukturierungssache (noch) nicht gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 aufgehoben hat.173) In diesem Zeitraum gelten also alle Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar, insbesondere solche Zahlungen, die für die Fortführung der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit und die Vorbereitung und Umsetzung des angezeigten Restrukturierungsvorhabens erforderlich sind.174)

126

§ 89 Abs. 3 Satz 2 sieht eine Rückausnahme hierzu vor, wonach die Privilegierung nicht für solche Zahlungen gelten soll, die bis zu der absehbar zu erwartenden Entscheidung des Restrukturierungsgerichts über die Aufhebung der Restrukturierungssache zurückgehalten werden können, ohne dass damit Nachteile für eine Fortsetzung des Restrukturierungsvorhabens verbunden sind. Ist die Anzeige der Insolvenzreife unterblieben, entfällt die Privilegierung.175)

127

Verletzt die Geschäftsleitung ihre Pflicht zur Anzeige des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 InsO) oder der Überschuldung (§ 19 Abs. 2 InsO) kommt schließlich eine Insolvenzverschleppungshaftung gemäß § 42 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB in Betracht.176)

128

Bei Verletzung steuerlicher Zahlungspflichten droht eine Haftung gemäß §§ 34, 69 AO. § 15b Abs. 8 InsO stellt nunmehr – etwas umständlich – klar, dass das Zahlungsverbots des § 15b InsO grundsätzlich auch für Steuerverbindlichkeiten eines Schuldners gilt. Voraussetzung ist, dass der Geschäftsleiter nach Eintritt der Insolvenzreife rechtzeitig Insolvenzantrag stellt. Eine haftungsbewehrte Verletzung der Steuerabführungspflicht ist dann ausgeschlossen.177) Die steuerliche Haftung entfällt jedoch nicht für bereits vor der Insolvenzreife fällig gewordene Steuerverbindlichkeiten.

129

_____________ 170) 171) 172) 173) 174) 175) 176) 177)

Mock in: BeckOK-StaRUG, § 43 Rz. 20; Ristelhuber, NZI 2021, 417, 420. So bereits Scholz, ZIP 2021, 219, 226. Bitter, ZIP, 2021, 321, 334; Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2368; Desch, BB 2020, 2498, 2501. Bitter, ZIP 2021, 321, 334; Weber/Dömmecke, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 27, 29. Bitter, ZIP 2021, 321, 334. Weber/Dömmecke, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 27, 29. Smid, ZInsO 2021, 117, 124. Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 12.

Demisch/Schwencke

661

§ 44 130

Verbot von Lösungsklauseln

Dies muss entsprechend gelten, wenn der Schuldner im Restrukturierungsverfahren dem Restrukturierungsgericht gemäß § 32 Abs. 3 StaRUG ordnungsgemäß den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit i. S. des § 17 Abs. 2 InsO bzw. der Überschuldung i. S. des § 19 Abs. 2 InsO angezeigt hat. Denn die Anzeigepflicht nach § 32 Abs. 3 ersetzt im Restrukturierungsverfahren die Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a InsO, die nach § 42 Abs. 1 Satz 1 StaRUG während der Rechtshängigkeit des Restrukturierungsverfahrens ruht.178) _____________ 178) Vgl. auch Pluta, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 22, 23 f.

§ 44 Verbot von Lösungsklauseln Boss/Luttmann

(1) 1Die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder die Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens durch den Schuldner ist ohne Weiteres kein Grund 1. für die Beendigung von Vertragsverhältnissen, an denen der Schuldner beteiligt ist, 2. für die Fälligstellung von Leistungen oder 3.

für ein Recht des anderen Teils, die diesem obliegende Leistung zu verweigern oder die Anpassung oder anderweitige Gestaltung des Vertrags zu verlangen.

2 Sie berühren ohne Weiteres auch nicht die Wirksamkeit des Vertrags. (2) Dem Absatz 1 entgegenstehende Vereinbarungen sind unwirksam.

(3) 1Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für Geschäfte nach § 104 Absatz 1 der Insolvenzordnung und Vereinbarungen über das Liquidationsnetting nach § 104 Absatz 3 und 4 der Insolvenzordnung und Finanzsicherheiten im Sinne von § 1 Absatz 17 des Kreditwesengesetzes. 2Dies gilt auch für Geschäfte, die im Rahmen eines Systems nach § 1 Absatz 16 des Kreditwesengesetzes der Verrechnung von Ansprüchen und Leistungen unterliegen. Literatur: Balthasar, Allgemeine Zugangsvoraussetzungen zu den Restrukturierungsinstrumenten, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 18; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Riggert, Allgemeine Grundsätze der Stabilisierung nach dem StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 40; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985. Übersicht I. Inhalt/Zweck ........................................ II. Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache („Anknüpfungspunkt 1“) ............................................... III. Inanspruchnahme von Verfahrenshilfen („Anknüpfungspunkt 2“) ............................................... IV. Verbot gesetzliches Loslösungsrecht/Unwirksamkeitsverbot (Abs. 1) ..................................................

662

1 6 7 9

1.

Verbot gesetzliches Loslösungsrecht (Abs. 1 Satz 1) ........................... 10 2. Unwirksamkeitsverbot (Abs. 1 Satz 2) ..................................... 11 3. „… ohne weiteres“ (Abs. 1 Satz 2) ..................................... 12 V. Verbot von Loslösungsklauseln (Abs. 2) ................................................ 13 VI. Restrukturierungsfeste Verträge (Abs. 3) ................................................ 15

Boss/Luttmann

§ 44

Verbot von Lösungsklauseln

I.

Inhalt/Zweck

§ 44 dient der Umsetzung von Art. 7 Abs. 5 der Restrukturierungsrichtlinie1). Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, sicherzustellen, dass weder –

die Beantragung und/oder die Eröffnung von präventiven Restrukturierungsverfahren noch



die Gewährung der Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen

1

Anknüpfungspunkt für vertragliche Klauseln sein können, die es Gläubigern ermöglichen, sich ohne Weiteres von Verträgen mit dem Schuldner zu lösen2) („Verbot Loslösungsklauseln“).

2

Der an § 119 InsO angelehnte § 44 Abs. 2 setzt das Verbot von Loslösungsklauseln um.

3

§ 44 Abs. 1 Satz 1 bestimmt, dass Gläubiger weder aufgrund der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache („Anknüpfungspunkt 1“) noch durch die Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens (Verfahrenshilfen – „Anknüpfungspunkt 2“; Anknüpfungspunkt 1 und 2 zusammen „Anknüpfungspunkte“) berechtigt sind, den Fortbestand und die Abwicklung bestehender Vertragsverhälnisse zu beeinträchtigen (Verbot gesetzliches Loslösungsrecht). § 44 Abs. 1 Satz 2 stellt klar, dass auch die Wirksamkeit bestehender Vertragsverhältnisse durch die Anknüpfungspunkte nicht berührt werden (Unwirksamkeitsverbot).

4

§ 44 Abs. 3 sieht Ausnahmen vom Verbot der Loslösungsklauseln für bestimmte Finanzgeschäfte und Liquidationsnettingvereinbarungen vor. Die Restrukturierungsfestigkeit der ausgenommenen Geschäfte beruht darauf, dass diese keine Unsicherheit vertragen, ob sie durchgeführt werden können oder nicht.3)

5

II. Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache („Anknüpfungspunkt 1“) Der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen bildet einen Rahmen für die Verfahrenshilfen nach § 29 Abs. 2, die der Schuldner nach eigenem Ermessen in Anspruch nehmen kann (zum Erfordernis des Antrags des Schuldners für den Erlass von Stabilisierungsanordnungen siehe § 49 Rz. 14).4) Für die Inanspruchnahme der einzelnen Verfahrenshilfen bedarf es keiner förmlichen Verfahrenseröffnung. Es genügt die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens (Restrukturierungsvorhabensanzeige).5) Da die Restrukturierungssache mit der Anzeige rechtshängig wird (§ 31 Abs. 3) ist Anknüpfungspunkt der in § 44 Abs. 1 und Abs. 2 bestimmten _____________ 1)

2) 3) 4) 5)

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Vgl. Boss/Luttmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 7 Rz. 98. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 147. Vgl. Riggert, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 40. Vgl. Gehrlein, BB 2021, 66, 71; Balthasar, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 18, 19.

Boss/Luttmann

663

6

§ 44

Verbot von Lösungsklauseln

Rechtsfolgen nicht nur die Rechtshägigkeit der Restrukturierungssache, sondern auch die Restrukturierungsvorhabensanzeige. III. Inanspruchnahme von Verfahrenshilfen („Anknüpfungspunkt 2“) 7

Die Instrumente (Verfahrenshilfen) des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens werden in § 29 Abs. 2 aufgezählt. Dies sind –

8

die gerichtliche Planabstimmung (§ 29 Abs. 2 Nr. 1),



die gerichtliche Vorprüfung (§ 29 Abs. 2 Nr. 2),



die Stabilisierung6) (§ 29 Abs. 2 Nr. 3) und



die gerichtliche Planbestätigung (§ 29 Abs. 2 Nr. 4).

Der Begriff „Inanspruchnahme“ verdeutlicht, dass nicht nur die Gewährung der jeweiligen Verfahrenshilfen, sondern auch der vorgelagerte Antrag Anknüpfungspunkt der in § 44 Abs. 1 und Abs. 2 genannten Rechtsfolgen ist.7) IV. Verbot gesetzliches Loslösungsrecht/Unwirksamkeitsverbot (Abs. 1)

9

Die im RegE noch vorgesehene, § 103 InsO nachgebildete Möglichkeit, bestehende Vertragsbeziehungen zu beenden, wurde ersatzlos gestrichen (siehe § 49 Rz. 10). §§ 44 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 dürfte daher (lediglich) Klarstellungsfunktion zukommen.8) 1.

10

11



für die Beendigung von Vertragsverhältnissen,



für die Fälligstellung von Leistungen,



Leistungen zu verweigern und/oder



für die Anpassung oder anderweitige Gestaltung des Vertrages.

2.

Unwirksamkeitsverbot (Abs. 1 Satz 2)

§ 44 Abs. 1 Satz 2 stellt fest, dass die Anknüpfungspunkte keinen Einfluss auf die Wirksamkeit bestehender Vertragsverhältnisse haben und keine automatische Beendigung der vertraglichen Beziehungen, wie bspw. im Falle der §§ 115, 116 InsO, eintritt. 3.

12

Verbot gesetzliches Loslösungsrecht (Abs. 1 Satz 1)

§ 44 Abs. 1 Satz 1 stellt klar, dass die Anknüpfungspunkte den Gläubigern von Gesetzes wegen kein Recht einräumen

„… ohne weiteres“ (Abs. 1 Satz 2)

Die Formulierung „ohne weiteres“ macht deutlich, dass andere Umstände als die in § 44 Abs. 1 genannten Anknüpfungspunkte zu Fälligkeits-, Loslösungs-, Gestaltungs- und/oder Leistungsverweigerungsrechten der Vertragspartner führen _____________ 6) 7) 8)

664

Zur Stabilisierung s. unten §§ 49 ff. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 146; Braun-Haffa/Schuster, StaRUG, § 44 Rz. 5. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 146.

Boss/Luttmann

§ 44

Verbot von Lösungsklauseln

können9) und entsprechende Vertragsklauseln nicht unwirksam sind. Die Vertragspartner sind nicht gehindert, bspw. ihre Leistungsstörungsrechte wegen Verzugs des Schuldners auszuüben10) (sofern diese nicht nach § 55 suspendiert sind). Auch bleibt ein Darlehensgeber zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 490 Abs. 1 BGB berechtigt. Zur Kündigungsmöglichkeit nach § 490 Abs. 1 BGB bei nichtvalutierenden und valutierenden Darlehen siehe § 55 Rz. 12 f. i. V. m. Rz. 21. V. Verbot von Loslösungsklauseln (Abs. 2) Der § 119 InsO nachgebildete § 44 Abs. 2 stellt klar, dass das Verbot der gesetzlichen Loslösung des Absatz 1 vertraglich nicht umgangen werden kann und Vertragsgestaltungen, die für den Fall der in § 44 Abs. 1 genannten Anknüpfungspunkte die Rechtsfolgen des Absatzes 1 vorsehen, unwirksam sind.

13

Fraglich ist, ob der Widerruf von Einziehungs-, Weiterveräußerungs- und Verarbeitungsbefugnissen von § 44 Abs. 2 erfasst wird. Da es sich um den Widerruf einer dinglichen Ermächtigung handelt, durch den keine vertraglichen Rechte beendet, geändert und/oder fällig gestellt werden,11) dürften die besseren Argumente gegen eine Anwendbarkeit streiten.

14

VI. Restrukturierungsfeste Verträge (Abs. 3) § 44 Abs. 3 setzt die Option des Art. 7 Abs. 6 der Restrukturierungsrichtlinie um, nimmt bestimmte Geschäfte vom Verbot der Loslösungsklausel aus und gestaltet sie restrukturierungsfest.12) Vom Verbot ausgenommene Geschäfte sind: –

Warentermin- und Finanzleistungsverträge (§ 104 Abs. 1 InsO),



Liquidationsnettingvereinbarungen (§ 104 Abs. 3 und Abs. 4 InsO) und



Finanzsicherheiten i. S. des § 1 Abs. 17 KWG sowie Geschäfte, die i. R. eines Systems i. S. des § 1 Abs. 16 KWG der Verrechnung von Ansprüchen und Leistungen unterliegen.13)

Unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Abstandsgebots zum Insolvenzverfahren (siehe dazu § 49 Rz. 8 f.) wurde die Restrukturierungsfestigkeit von Liquiditätsnettingvereinbarungen nicht durch einen Beendigungsmechanismuss nach dem Vorbild des § 104 Abs. 1 InsO, sondern durch eine Ausnahme vom Verbot der Loslösungsklauseln umgesetzt.14) _____________ 9) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 146. 10) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 146; Braun-Haffa/Schuster, StaRUG, § 44 Rz. 3. 11) Vgl. Thole, ZIP, 1985, 1996; Desch, BB 2020 2498, 2508. 12) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 147. 13) Dies dient der Umsetzung der Vorgaben aus der Finanzsicherheitenrichtlinie (Richtlinie 2002/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 6.6.2002 über Finanzsicherheiten, ABl. [EG] L 168/42 v. 27.6.2002) und der Finalitätsrichtlinie (Richtlinie 98/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 19.5.1998 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und –abrechnungssystemen, ABl. [EG] L 166/45 v. 11.6.1998), deren Bestimmungen von der Restrukturierungsrichtlinie unberührt bleiben (Art. 31 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie). 14) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 147.

Boss/Luttmann

665

15

16

§ 45

Erörterungs- und Abstimmungstermin

Abschnitt 2 Gerichtliche Planabstimmung § 45 Erörterungs- und Abstimmungstermin Blankenburg

(1) 1Auf Antrag des Schuldners bestimmt das Restrukturierungsgericht einen Termin, in dem der Restrukturierungsplan und das Stimmrecht der Planbetroffenen erörtert werden und anschließend über den Plan abgestimmt wird. 2Die Ladungsfrist beträgt mindestens 14 Tage. (2) Dem Antrag ist der vollständige Restrukturierungsplan nebst Anlagen beizufügen. (3) 1Die Planbetroffenen sind zu dem Termin zu laden. 2Die Ladung enthält den Hinweis darauf, dass der Termin und die Abstimmung auch dann durchgeführt werden können, wenn nicht alle Planbetroffenen teilnehmen. 3Das Gericht kann den Schuldner mit der Zustellung der Ladungen beauftragen. (4) 1Auf das Verfahren finden die §§ 239 bis 242 der Insolvenzordnung sowie die §§ 24 bis 28 dieses Gesetzes entsprechende Anwendung. 2Ist streitig, welches Stimmrecht die Forderung, die Absonderungsanwartschaft, die gruppeninterne Drittsicherheit oder das Anteils- oder Mitgliedschaftsrecht einem Planbetroffenen gewährt und lässt sich darüber keine Einigung zwischen den Beteiligten erzielen, legt das Gericht das Stimmrecht fest. Literatur: Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Vallender, Aufgaben und Befugnisse des Restrukturierungsgerichts nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Teil 2), ZInsO 2020, 2677. Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 2 III. Terminbestimmung (Abs. 1, Abs. 2) .................................................... 3 1. Antrag .................................................... 3 2. Terminierung ......................................... 9 a) Gemeinsamer Erörterungsund Abstimmungstermin ............ 10 b) Getrennter Erörterungs- und Abstimmungstermin .................... 11 c) Form der Terminierung ............... 12 IV. Ladung (Abs. 3) .................................. 15 1. Zu ladende Personen ........................... 16 2. Form der Ladung ................................ 19 a) Allgemeines .................................. 19 b) Hinweise ....................................... 20 c) Zu übersendende Unterlagen ...... 22 3. Ladungsfrist ......................................... 24 4. Zustellung der Ladung ........................ 25 5. Übertragung der Zustellung ............... 26 a) Auf den Schuldner ....................... 27 b) Auf den Restrukturierungsbeauftragten ..................................... 28

666

V. Erörterungs- und Abstimmungstermin (Abs. 4) ................................... 31 1. Gemeinsamer Erörterungs- und Abstimmungstermin ........................... 32 a) Teilnahmeberechtigung ............... 33 b) Protokollierung ............................ 38 c) Ablauf des Erörterungstermins .... 39 aa) Allgemeiner Ablauf ...................... 39 bb) Änderungen des Plans (§ 240 InsO) ................................. 41 cc) Stimmrechtsfestsetzung (Abs. 4 Satz 2) .............................. 46 d) Ablauf des Abstimmungstermins .......................................... 50 2. Getrennter Erörterungs- und Abstimmungstermin ........................... 55 a) Terminbestimmung ..................... 56 b) Ladung .......................................... 58 c) Übersendung der Stimmzettel .... 61 d) Durchführung der Abstimmung ... 64 aa) Ablauf des Abstimmungstermins .......................................... 64 bb) Schriftlich abgegebene Stimmen .... 67

Blankenburg

§ 45

Erörterungs- und Abstimmungstermin

I.

Normzweck

Die Norm regelt das Verfahren über die Abstimmung über einen Restrukturierungsplan, wenn der Schuldner diese nicht in eigener Verantwortung durchführen möchte, sondern ein gerichtliches Verfahren in Anspruch nehmen möchte. Die gerichtliche Abstimmung ist ein Restrukturierungsinstrument gemäß § 29 Abs. 2 Nr. 1. Der Schuldner hat daneben die Möglichkeit, über den Plan außergerichtlich in einer Versammlung (§ 20) oder schriftlich (§§ 17, 19) abstimmen zu lassen. Für ihn hat das gerichtliche Verfahren den Vorteil, dass er in diesem Fall nicht selbst die Dokumentation vornehmen muss.1) Vielmehr übernimmt das Restrukturierungsgericht die gesamte Organisation, soweit nicht die Zustellung auf den Schuldner (siehe dazu § 41 Rz. 26) oder den Restrukturierungsbeauftragten (siehe dazu § 76 Rz. 42 f.) übertragen wird. Dies ist gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 relevant, da bei einer außergerichtlichen Planabstimmung Zweifel zulasten des Schuldners gehen. Erfolgt die Abstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren, gelten dafür die §§ 17 – 22. Gemäß § 23 finden diese Normen im gerichtlichen Abstimmungsverfahren keine Anwendung. Der Schuldner kann grundsätzlich nach freiem Ermessen entscheiden, ob er eine außergerichtliche oder gerichtliche Planabstimmung durchführen lässt (siehe aber auch Rz. 6).2) Ist allerdings ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, kann dieser über die Art der Planabstimmung gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 1 bestimmen.

1

II. Normhistorie Die Norm ist an § 235 InsO angelehnt und befand sich bereits im RefE3). Im Gesetzgebungsverfahren ist die Norm bis auf die Anpassung der Verweisungen unberührt geblieben. Im RefE war die Norm als § 45, im RegE4) dann als § 47 bezeichnet worden. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses5) hat die Norm dann die endgültige Nummerierung erhalten. Die Norm setzt ein Teil der in Art. 9 Restrukturierungsrichtlinie6) aufgestellten Voraussetzungen für die Annahme von Restrukturierungsplänen um. Während die Richtlinie gemäß Art. 9 Abs. 1 Satz 2 es auch ermöglicht, den Gläubigern und dem Restrukturierungsbeauftragten ein Antragsrecht zuzuweisen, beschränkt sich § 45 Abs. 1 Satz 1 auf den Schuldner. Allerdings ist die Norm i. V. m. § 76 Abs. 2 Nr. 1 zu betrachten, wonach die Entscheidung darüber, wie der Plan zur Abstimmung gebracht wird, in bestimmten Fällen dem Restrukturierungsbeauftragten zugewiesen wird. _____________ 1) 2) 3)

4) 5) 6)

So auch Braun-Hirte, StaRUG, § 46 Rz. 2. So auch Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 45 Rz. 2; Gehrlein, BB 2021, 66, 73 RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

Blankenburg

667

2

§ 45

Erörterungs- und Abstimmungstermin

III. Terminbestimmung (Abs. 1, Abs. 2) 1.

Antrag

3

Eine Bestimmung eines Termins zur Erörterung und Abstimmung über einen Restrukturierungsplan erfolgt gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 nur auf Antrag. Anders als im Insolvenzplanverfahren wird daher das Verfahren nicht allein durch die Vorlage eines Plans initialisiert, vielmehr bedarf es eines konkreten Antrags auf Durchführung eines Erörterungs- und Abstimmungstermins. Dies ist erforderlich, da der Schuldner gemäß §§ 17 ff. die Möglichkeit hat, auch ein außergerichtliches Erörterungs- und Abstimmungsverfahren durchzuführen.

4

Formell setzt der Antrag voraus, dass aus diesem hervorgeht, dass die Durchführung eines gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermins begehrt wird. Nicht ausreichend ist allein die Einreichung des Restrukturierungsplans ohne weitere Erklärungen, da das Gericht dann nicht weiß, was genau begehrt wird. Dem Antrag muss gemäß § 45 Abs. 2 der Restrukturierungsplan, über dem angestimmt werden soll, beigefügt werden. Ebenso sind die Anlagen gemäß §§ 14, 15 beizufügen. Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Schuldner die Zahlungsunfähigkeit glaubhaft macht.7) Diese ist gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und § 63 Abs. 1 Nr. 1 nur bei der Inanspruchnahme der Stabilisierungsanordnung sowie der Planbestätigung erforderlich.

5

Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 ist nur der Schuldner berechtigt, einen Antrag auf die Durchführung des Planbestätigungsverfahrens zu stellen. Gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 1 steht allerdings dem Restrukturierungsbeauftragten die Entscheidung darüber zu, wie der Restrukturierungsplan zur Abstimmung zu bringen ist, wenn nach den Voraussetzungen der §§ 73 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder Abs. 2 ein Restrukturierungsbeauftragter von Amts wegen einzusetzen ist. Nach § 73 Abs. 1 Nr. 1 ist dies der Fall, wenn Forderungen von mittleren, kleinen oder Kleinunternehmen umgestaltet werden sollen oder durch eine Stabilisierungsanordnung gesperrt werden sollen. Nach § 73 Abs. 1 Nr. 2 erfolgt ferner eine Einsetzung von Amts wegen, wenn eine Stabilisierungsanordnung beantragt wurde, die sich gegen alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger richten soll. Schließlich erfolgt eine Bestellung von Amts wegen gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1, wenn absehbar ist, dass eine gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung gemäß § 26 erforderlich sein wird. Siehe dazu umfassend § 73 Rz. 26 ff.

6

Aus dem Wortlaut des § 76 Abs. 2 Nr. 1 wird nicht eindeutig klar, ob das Antragsrecht oder allein die Entscheidungsbefugnis im Binnenverhältnis auf den Restrukturierungsbeauftragten übergeht. Im letzteren Fall wäre weiterhin der Schuldner zum Antrag berechtigt, jedoch an die Entscheidung des Restrukturierungsbeauftragten gebunden. Da es für den Restrukturierungsbeauftragten keine effektive Möglichkeit gibt, die Entscheidung durchzusetzen, wenn lediglich von eine Bindung im Binnenverhältnis gegeben wäre, ist aus systematischen Gründen davon auszugehen, dass § 76 Abs. 2 Nr. 1 ein eigenes Antragsrecht normiert.8) _____________ 7) 8)

668

Ebenso Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 45 Rz. 12; a. A. Deppenkemper, ZInsO 2020, 2432, 2433. So auch Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2678; a. A. Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 45 Rz. 9.

Blankenburg

§ 45

Erörterungs- und Abstimmungstermin

Entspricht der Antrag nicht den Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 oder § 76 Abs. 2 Nr. 1, hat das Restrukturierungsgericht den Antragsteller auf die Mängel hinzuweisen und die Möglichkeit zur Nachbesserung bzw. Rücknahme des Antrags zu geben. Wird der Antrag nicht zurückgenommen oder erfolgt keine Nachbesserung, kann das Gericht den Antrag zurückweisen.

7

Die Entscheidung ergeht durch Beschluss, gegen den kein Rechtsmittel besteht. Dem Schuldner oder dem Restrukturierungsbeauftragten ist es dann aber möglich, erneut einen Antrag zu stellen, da die Abweisung über den gestellten Antrag hinaus keine Sperrwirkung erzeugt.

8

2.

Terminierung

Liegt ein zulässiger Antrag vor, hat das Restrukturierungsgericht einen Termin zu bestimmen. Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 ist grundsätzlich ein Termin zu bestimmen, innerhalb dessen zunächst der Plan erörtert wird und anschließend über den Plan abgestimmt wird (Erörterungs- und Abstimmungstermin). Von diesem Grundsatz kann das Gericht aber gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 StaRUG i. V. m. § 241 InsO abweichen. Danach ist es möglich, zunächst nur einen Erörterungstermin, später dann einen gesonderten Abstimmungstermin durchzuführen.

9

a) Gemeinsamer Erörterungs- und Abstimmungstermin Der Regelfall ist ein gemeinsamer Erörterungs- und Abstimmungstermin. Ein Zeitraum, innerhalb dessen der Termin zu bestimmen ist, wird in § 45 nicht normiert. Anders als in § 235 Abs. 1 Satz 2 InsO ist keine Höchstfrist für die Terminierung festgesetzt.9) Als untere Grenze kann § 45 Abs. 1 Satz 2 herangezogen werden. Danach beträgt die Ladungsfrist mindestens 14 Tage. Da die Zustellung der Ladungen gemäß § 45 Abs. 3 auch einige Tage in Anspruch nehmen wird, sollte eine Terminierung nicht eher als in drei Wochen erfolgen. Da auch das Restrukturierungsrecht auf eine Beschleunigung angelegt ist, sollte ein Termin nicht länger als vier bis fünf Wochen später terminiert werden, wenn nicht Kapazitätsprobleme das Restrukturierungsgericht dazu zwingen, auf einen späteren Termin auszuweichen.10)

10

b) Getrennter Erörterungs- und Abstimmungstermin Gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 StaRUG i. V. m. § 241 InsO kann das Restrukturierungsgericht auch einen gesonderten Abstimmungstermin bestimmen. In diesem Fall gilt für den Erörterungstermin das zum gemeinsamen Erörterungs- und Abstimmungstermin Ausgeführte entsprechend. Dieser sollte innerhalb eines Zeitraums von drei bis vier Wochen erfolgen. Der gesonderte Abstimmungstermin soll dann gemäß § 241 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht später als einen Monat danach erfolgen. Es handelt es dabei um eine Soll-Bestimmung, so dass das Restrukturierungsgericht in begründeten Ausnahmefällen davon abweichen kann. Denkbar sind Kapazitätsprobleme oder Urlaube der Beteiligten. Eine Missachtung der Vorschrift bleibt aber grundsätzlich folgenlos, da gegen die Terminierung kein Rechtsmittel möglich ist und entspre_____________ 9) So auch Braun-Hirte, StaRUG, § 46 Rz. 8. 10) Nach Nerlich/Römermann-Braun, InsO, § 235 Rz. 4, ergeben sich akute Haftungsprobleme für das Gericht, wenn eine Terminierung erst in sechs oder acht Wochen erfolgt.

Blankenburg

669

11

§ 45

Erörterungs- und Abstimmungstermin

chend der Auffassung zu § 235 InsO davon auszugehen ist, dass die Nichteinhaltung der Vorschrift einer Planbestätigung nicht entgegensteht.11) c) Form der Terminierung 12

Eine besondere Form der Terminierung ist nicht vorgesehen. Sie sollte jedoch durch einen entsprechenden Beschluss erfolgen, damit dieser unkompliziert als Ladung zugestellt werden kann. Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben, so dass er keiner Rechtsmittelbelehrung bedarf.

13

Gemäß § 13a GKG soll über die Inanspruchnahme eines Instruments des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens erst nach der Zahlung der Verfahrensgebühr entschieden werden. Zu den Instrumenten gehört gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 auch die gerichtliche Planabstimmung. Die Verfahrenskostengebühr beträgt gemäß Nr. 2511 Kostenverzeichnis GKG 1.000 €, wobei die Gebühr für die Entgegennahme der Anzeige anzurechnen ist. Folglich wird in der Regel ein Kostenvorschuss von 850 € zu fordern sein. Da die Gebühr nur einmal bei der ersten Inanspruchnahme eines Instrumentes anfällt,12) bedarf es einer Kostenanforderung nur, wenn die Planbestätigung das erste Instrument ist.

14

Ist in diesen Fällen nicht bereits mit der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten ein entsprechender Kostenvorschuss angefordert worden, kann eine Terminierung erst nach der Anforderung eines Kostenvorschusses erfolgen. Die erhöhte Gebühr für die Inanspruchnahme des vierten Instruments gemäß Nr. 2512 Kostenverzeichnis GKG sollte bei der Planabstimmung noch keine Rolle spielen, da zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als drei Instrumente in Anspruch genommen worden sein können. Es kommt für die Inanspruchnahme nur auf die verschiedenen Arten der Instrumente an, nicht auf die Mehrfachinanspruchnahme eines Instruments.13) Die Norm kann daher erst bei der Planbestätigung relevant werden. IV. Ladung (Abs. 3)

15

Gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 hat eine Ladung zu erfolgen. Dies ist die förmliche Bekanntgabe des Termins an die betroffenen Personen. 1.

16

Zu ladende Personen

Nach § 45 Abs. 3 Satz 1 sind die Planbetroffenen zu laden. Die Planbetroffenen sind in § 7 Abs. 1 legaldefiniert. Demnach sind die Person planbetroffen, die Inhaber von Restrukturierungsforderungen, von Absonderungsanwartschaften, von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten sowie von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten sind. Da anders als bei einem Insolvenzplan nicht zwangsläufig sämtliche Tabellengläubiger erfasst sind, sondern die Auswahl dem Schuldner obliegt, müssen die Planbetroffenen in dem Restrukturierungsplan aufgeführt werden. Dies hat zumindest in der Form von §§ 8, 10 zu erfolgen.

_____________ 11) So für § 235 InsO Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 235 Rz. 5. 12) Begr. RegE SanInsFoG z. GKG, BT-Drucks. 19/24181, S. 219. 13) Begr. RegE SanInsFoG z. GKG, BT-Drucks. 19/24181, S. 219.

670

Blankenburg

§ 45

Erörterungs- und Abstimmungstermin

Damit von den Gerichten überhaupt eine Ladung vorgenommen werden kann, müssen die Daten der zuladenden Personen in das EDV-System übernommen werden. Hier bietet es sich an, dass durch die Gerichte eine einfache Schnittstelle geschaffen wird, mit der die Daten der Planbetroffenen dem Gericht zugespielt werden können.14) Die Daten sind auch für die im weiteren Gang des Verfahrens zu erstellende Stimmliste erforderlich.

17

Das Gesetz sieht nur eine Ladung der Planbetroffenen vor. Anders als in § 235 Abs. 3 Satz 1 InsO sind weder der Schuldner noch der Restrukturierungsbeauftragte als zu ladende Personen aufgeführt. Da aber auch der Schuldner und der Restrukturierungsbeauftragte für den Termin von Bedeutung sind, sollten über den Wortlaut hinaus auch diese beiden Personen bzw. der Schuldner-Vertreter geladen werden.15)

18

2.

Form der Ladung

a) Allgemeines Der Begriff der Ladung ist im StaRUG nicht definiert. Über § 38 StaRUG i. V. m. § 214 ZPO kann grundsätzlich die zivilprozessuale Definition des Begriffs herangezogen werden. Im Rahmen der ZPO wird unter einer Ladung die von Amts wegen ergehende schriftliche (meist ein Vordruck) Bekanntgabe eines richterlich bestimmten Termins und die damit verbundene gerichtliche Aufforderung, zu diesem zu erscheinen, verstanden.16) Erforderlicher Inhalt der Ladung ist daher die Angabe des ladenden Gerichts, des Terminortes, der Terminzeit, der zu erscheinenden Person sowie der Angabe, dass ein Erörterungs- und Abstimmungstermin zu einem mit Datum zu bezeichnenden Restrukturierungsplan stattfinden soll.17)

19

b) Hinweise Die Ladung muss mehrere Hinweise enthalten. Zunächst bedarf es gemäß § 45 Abs. 3 Satz 2 des Hinweises, dass der Termin und die Abstimmung auch dann durchgeführt werden können, wenn nicht alle Planbetroffenen teilnehmen. Weitere Hinweispflichten ergeben sich aus §§ 64, 66. Gemäß § 64 muss die Ladung den Hinweis enthalten, dass es für einen Minderheitenschutzantrag erforderlich ist, dass der Planbetroffene bereits im Abstimmungstermin dem Plan widersprochen und geltend gemacht hat, dass er durch den Plan voraussichtlich schlechter gestellt wird als er ohne Plan stünde (siehe ausführlich dazu § 64 Rz. 43 ff.). Gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 muss die Ladung den Hinweis enthalten, dass es für eine sofortige Beschwerde gegen die Planbestätigung erforderlich ist, dass gegen den Plan gestimmt und Widerspruch erhoben wurde (siehe ausführlich dazu § 66 Rz. 18 ff.). _____________ 14) Im EUREKA-Verbund wird dazu eine STR-Datei als Schnittstelle verwendet, die ursprünglich für die Schuldenbereinigungsplan entwickelt wurde. Zur Herstellung dieser Datei kann eine Excel-Datei als Konverter genutzt werden. 15) Bei § 235 InsO wird die Ladung des Schuldners und des Insolvenzverwalters als Selbstverständlichkeit bezeichnet, so Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Silcher, InsR, § 235 InsO Rz. 23; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 235 Rz. 14, 15 Nerlich/Römermann-Braun, InsO, § 235 Rz. 9. 16) Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 214 Rz. 4; ähnlich Stackmann in: MünchKomm-ZPO, § 214 Rz. 2. 17) So auch zu § 235 InsO Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 235 Rz. 15.

Blankenburg

671

20

§ 45 21

Erörterungs- und Abstimmungstermin

Das Gericht ist nicht verpflichtet, i. R. der Ladung weitere inhaltliche Hinweise zu erteilen.18) Hat das Gericht substantielle Bedenken hinsichtlich der Planbestätigung, ist das Vorprüfungsverfahren gemäß § 46 Abs. 3 der einschlägige Weg. Über dieses Verfahren ist es möglich, umfangreiche Hinweisbeschlüsse zu erlassen (siehe dazu § 46 Rz. 24 ff.). Es ist allerdings nicht gehindert, bei unstreitigen Fragen ohne eigenständigen Termin einen Hinweisbeschluss zu erlassen (siehe § 46 Rz. 26). Dieser ergeht allerdings außerhalb der Ladung und wäre mit dieser nur zu übersenden. c) Zu übersendende Unterlagen

22

Die Ladung kann in der Form erfolgen, dass den Planbetroffenen der Beschluss über die Terminierung zugesendet wird mit der gesonderten Aufforderung, zu dem Termin zu erscheinen. Eines einheitlichen Anschreibens, dass nochmals den Termin und den Terminort gesondert aufführt, bedarf es nicht.

23

Anders als bei der Ladung nach § 235 Abs. 3 Satz 2 InsO hat hinsichtlich des Erörterungs- und Abstimmungstermins keine Übersendung des Plans selbst oder einer Zusammenfassung zu erfolgen. Auch § 17, der die Übersendung des Plans und einer individualisierten Aufstellung vorsieht, ist gemäß § 23 für das gerichtliche Verfahren nicht anwendbar. Dies erscheint für die Planbetroffenen grundsätzlich eher misslich, da sie so erst im Termin erstmals Kenntnis von dem Inhalt des Plans erhalten.19) Soweit die h. M. davon ausgeht, dass das Gericht den Plan aus dem Sinn und Zweck der Information der Planbetroffenen mitzuübersenden habe,20) kann dem nicht gefolgt werden. Sowohl für das Insolvenzgericht als auch für den Schuldner oder Restrukturierungsbeauftragten, soweit eine Übertragung erfolgt, stellt die Zustellung des Plans einen erheblichen Aufwand dar. Aus Kostenerwägungen kann das Restrukturierungsgericht nicht von sich aus bestimmen, dass der Plan mitübersandt wird.21) Aufgrund der klaren Regelungen in § 235 InsO und § 17 StaRUG kann auch nicht von einer unbeabsichtigten Regelungslücke ausgegangen werden, die durch das Insolvenzgericht zu füllen ist. Auch eine verfassungskonforme Auslegung erscheint nicht möglich, da der Grundsatz des rechtlichen Gehörs durch den Erörterungstermin gewahrt wird. Zweifel könnten sich aus einer europarechtskonformen Umsetzung ergeben, da nach ErwG 51 der Restrukturierungsrichtlinie eine Übermittlung an alle Planbetroffenen erfolgen soll. Eine Nachbesserung durch den Gesetzgeber ist dringend erforderlich. Um das bisher bestehende Informationsdefizit auszugleichen, können die Planbetroffenen beim Restrukturierungsgericht beantragen, Akteneinsicht und die Übersendung des Plans gegen Kostenerstattung übersandt zu erhalten.

_____________ 18) So aber Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 45 Rz. 23. 19) Diese Erwägungen rechtfertigen auch den Aufwand i. R. des § 235 InsO für die Planübersendung (Jaffé in: FK-InsO, § 235 Rz. 39). 20) So Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 45 Rz. 17. 21) Bei einer Vielzahl von Gläubigern ist ein erheblicher Unterschied, ob ein einfacher Brief oder ein Insolvenzplan mit ggf. mehreren hundert Seiten übersandt wird. Aufgrund der gleichförmigen Behandlung der Verfahren ist es nicht zulässig, in kleineren Verfahren die Pläne mitzuversenden, in größeren hingegen nicht.

672

Blankenburg

§ 45

Erörterungs- und Abstimmungstermin

3.

Ladungsfrist

Die Ladungsfrist beträgt gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 mindestens 14 Tage.22) Abzustellen ist auf sämtliche Wochentage, nicht nur auf Werktage. 4.

Zustellung der Ladung

In § 45 Abs. 3 ist nicht genau bestimmt, wie die Ladung den Planbetroffenen zugänglich gemacht werden soll. Bei § 235 Abs. 3 InsO wird davon ausgegangen, dass eine förmliche Zustellung nicht erforderlich ist.23) Insoweit ist gemeint, dass es keiner Zustellung per Zustellungsurkunde oder Empfangsbekenntnis bedarf, sondern auch eine Zustellung durch Aufgabe zu Post gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 InsO erfolgen kann. Aus § 45 Abs. 3 Satz 3 kann zunächst entnommen werden, dass die Ladung zugestellt werden muss, da anderenfalls eine Übertragung der Zustellung auf den Schuldner nicht nachvollziehbar wäre. Für die Zustellung kann dann auf § 41 zurückgegriffen werden. Nach § 41 Abs. 1 Satz 2 kann eine Zustellung auch dadurch bewirkt werden, dass eine Aufgabe zur Post erfolgt. Daneben ist aber auch eine Zustellung per Zustellungsurkunde oder Empfangsbekenntnis möglich, wenn bei bestimmten Empfängern der Zugang in der Akte dokumentiert werden soll (siehe dazu § 41 Rz. 8 ff.).24) 5.

24

25

Übertragung der Zustellung

Die Zustellung kann gemäß § 45 Abs. 3 Satz 3 auf den Schuldner übertragen werden. Gemäß § 76 Abs. 6 Satz 1 ist auch eine Übertragung auf den Restrukturierungsbeauftragten möglich.

26

a) Auf den Schuldner Nach § 45 Abs. 3 Satz 3 kann die Zustellung der Ladung auf den Schuldner übertragen werden. Das Restrukturierungsverfahren unterscheidet sich insoweit von dem Insolvenzplanverfahren, bei dem nur eine Übertragung auf den Insolvenzverwalter oder den Sachwalter möglich ist.25) Die Zustellung erfolgt bei einer Übertragung gemäß § 41 Abs. 3. Da die Ladung dann über den Gerichtsvollzieher erfolgen muss (siehe dazu § 41 Rz. 27 ff.), bietet sich eine Übertragung nur dann an, wenn die Zustellung an wenige Gläubiger erfolgen soll. Das Gericht muss zudem Vertrauen in den Schuldner haben, dass dieser die Zustellung ordnungsgemäß vornehmen wird.

27

b) Auf den Restrukturierungsbeauftragten Nach § 76 Abs. 6 Satz 1 kann das Restrukturierungsgericht den Restrukturierungsbeauftragten beauftragen, die dem Gericht obliegenden Zustellungen durchzuführen. Diese Praxis ist aus den Insolvenzverfahren bekannt, da dort der inhaltsgleiche § 8 Abs. 3 InsO besteht. Im Rahmen des § 235 Abs. 3 InsO, der nunmehr in Satz 4 um einen Verweis auf § 8 Abs. 3 InsO ergänzt wurde, wird teilweise davon ausgegangen, dass die Ladung der Gläubiger komplett auf den Insolvenzverwalter über_____________ 22) 23) 24) 25)

Unklar Pannen/Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 45 Rz. 19. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 235 Rz. 20; Thies in: HambKomm-InsO, § 235 Rz. 10. So für § 8 InsO Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 8 Rz. 23a. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 235 Rz. 20.

Blankenburg

673

28

§ 45

Erörterungs- und Abstimmungstermin

tragen werden könne.26) Dies ist indes weder durch den Wortlaut noch den Sinn und Zweck des § 8 Abs. 3 InsO gedeckt. Durch § 8 Abs. 3 InsO bzw. § 76 Abs. 6 Satz 1 StaRUG ist lediglich die Übertragung der Zustellung möglich.27) Dies setzt voraus, dass das zuzustellende Dokument bereits besteht und der Insolvenzverwalter lediglich dafür sorgen muss, dass dieses an den Empfänger gelangt. Würde auf den Insolvenzverwalter bzw. Restrukturierungsbeauftragten die Ladung übertragen, müsste dieser auch die Ladung selbst fertigen. Dies ist jedoch ureigenste Aufgabe des Gerichts. Erforderlich ist daher, dass die Ladungen selbst durch das Gericht erstellt werden. Diese können dann dem Restrukturierungsbeauftragten für die Zustellung übergeben werden. Da nach dem StaRUG allerdings keine beglaubigten Abschriften des Restrukturierungsplans zu übersenden sind (siehe dazu § 41 Rz. 21), muss das Gericht genau prüfen, ob eine Übertragung auf den Restrukturierungsbeauftragten überhaupt noch nötig ist. Sind die Ladungen erstellt, bietet es sich an, diese direkt zur Post aufzugeben. 29

Gegen eine Übertragung auf den Restrukturierungsbeauftragten spricht ferner, dass er anders als ein Insolvenzverwalter nicht ohne weiteres auf die Daten der Verfahrensbeteiligten zugreifen kann. Die Daten müssten bei ihm erst eingepflegt werden, was einen erheblichen Aufwand bedeuten kann und fehleranfällig ist. Zudem ist fraglich, wie die Kosten für die Zustellung abgerechnet werden können.

30

Wird die Zustellung übertragen, hat der Restrukturierungsbeauftragte die Auswahl zwischen sämtlichen Zustellungsarten (siehe dazu ausführlich § 41 Rz. 8 ff.). Es ist insbesondere möglich, die Ladungen durch Aufgabe zur Post zuzustellen. In sämtlichen Fällen muss der Restrukturierungsbeauftragte nach der Durchführung der Zustellung die Urkunden an das Gericht übersenden. V. Erörterungs- und Abstimmungstermin (Abs. 4)

31

§ 45 Abs. 4 beinhaltet Regelungen zum Erörterungs- und Abstimmungstermin. Eigenständig ist in § 45 Abs. 4 Satz 2 allerdings nur die gerichtliche Stimmrechtsfestsetzung geregelt. Im Übrigen verweist § 45 Abs. 4 Satz 1 auf die Regelungen der InsO (§§ 239 – 242 InsO) und zur außergerichtlichen Planabstimmung (§§ 24 – 28). Aufgrund der Verweisung auf § 241 InsO, der den gesonderten Abstimmungstermin regelt, ist auch im StaRUG zwischen dem gemeinsamen Erörterungs- und Abstimmungstermin sowie zwischen getrennten Erörterungs- und Abstimmungstermin zu differenzieren. 1.

32

Gemeinsamer Erörterungs- und Abstimmungstermin

Die Durchführung des gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermins ist im StaRUG nicht geregelt. Zwar enthält dieses in den §§ 20, 21 detaillierte Regelungen zur Durchführung eines außergerichtlichen Termins. Diese Normen sind jedoch gemäß § 23 explizit nicht auf das gerichtliche Verfahren anzuwenden. Aufgrund der Ähnlichkeit zum Planverfahren kann insoweit auf die bisherigen Erkenntnisse zum Insolvenzplanverfahren zurückgegriffen werden. _____________ 26) So Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 235 Rz. 20. 27) Ebenso Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 45 Rz. 18.

674

Blankenburg

§ 45

Erörterungs- und Abstimmungstermin

a) Teilnahmeberechtigung Der Termin ist ebenso wie der Erörterungs- und Abstimmungstermin in Insolvenzsachen nicht öffentlich.28) Der Grundsatz der Öffentlichkeit gemäß § 169 GVG gilt unmittelbar nur für Verfahren vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Zivil- und Strafsachen. In anderen Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit bestimmt sich die Öffentlichkeit nach den allgemeinen Verfahrensvorschriften. Ohne eine ausdrückliche Regelung besteht keine Öffentlichkeit.29) Da das StaRUG der Zwangsvollstreckung vorgeschaltet ist und auch an den AG durchgeführt wird, ist es zwar der ordentlichen Gerichtsbarkeit zuzuordnen. Mangels einer Streitentscheidung ist es jedoch kein Zivilverfahren. Da keine Regelung zur Öffentlichkeit der Termine im StaRUG existiert, ist das Verfahren nicht öffentlich.

33

Bei § 235 InsO werden die Teilnahmeberechtigten danach bestimmt, wer gemäß Abs. 3 Satz 1 gesondert zu laden ist. Für § 45 lässt sich aus Abs. 3 Satz 1 entnehmen, dass die Planbetroffenen zu laden und damit anwesenheitsberechtigt sind. Diese können der Anlage zum Restrukturierungsplan entnommen werden. Da der Schuldner und der Restrukturierungsbeauftragte trotz fehlender Nennung in § 45 Abs. 4 Satz 1 zu laden sind (siehe dazu Rz. 18), sind diese auch im Termin selbst anwesenheitsberechtigt.

34

Weiteren Personen kann das Gericht gemäß § 175 GVG die Anwesenheit gewähren.30) Ob Presseberichterstatter wie in Insolvenzverfahren zugelassen werden können, erscheint zweifelhaft, da es sich anders als bei dem Insolvenzverfahren nicht um ein öffentliches Zwangsverfahren handelt.31)

35

Der Teilnahmeberechtigte kann entweder selbst im Termin erscheinen oder er kann sich vertreten lassen. Gemäß § 38 StaRUG i. V. m. § 79 Abs. 2 ZPO können sich die Planbetroffenen durch einen Rechtsanwalt oder eine der in § 79 Abs. 2 Satz 2 ZPO genannten Personen vertreten lassen. Die Vollmacht ist durch das Gericht zu prüfen und gemäß § 80 ZPO grundsätzlich zur Akte zu nehmen. Entspricht die Bevollmächtigung nicht den Voraussetzungen des § 79 Abs. 2 ZPO, so hat das Gericht den Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss zurückzuweisen (§ 79 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Die Zurückweisung sollte bereits vor dem Termin erfolgen, da anderenfalls die Prozesshandlungen wirksam sein könnten.

36

Das Gericht sollte vor Beginn des Termins prüfen, ob sämtliche Anwesende entweder selbst teilnahmeberechtigt sind oder in wirksamer Vertretung für einen Teilnahmeberechtigten auftreten. In größeren Verfahren mit einer Vielzahl von Beteiligten sollten dazu weitere Geschäftsstellenbeamte und Richter hinzugezogen werden, damit die Durchführung des Termins zeitnah erfolgen kann.

37

_____________ 28) Zum Erörterungs- und Abstimmungstermin gemäß § 235 InsO Kübler/Prütting/BorkPleister, InsO, § 235 Rz. 13; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 235 Rz. 22. 29) Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rz. 5. 30) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 7. 31) Für die Zulassung der Presseberichterstatter in Insolvenzverfahren Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 8; Uhlenbruck-Pape, § 4 Rz. 40.

Blankenburg

675

§ 45

Erörterungs- und Abstimmungstermin

b) Protokollierung 38

Die wesentlichen Vorgänge des Termins sind zu protokollieren (§ 38 StaRUG i. V. m. § 159 Abs. 1 Satz 1, 160 Abs. 2 ZPO). Der erforderliche Inhalt des Protokolls ergibt sich aus § 160 ZPO. Dazu kann ein Urkundsbeamter der Geschäftsstelle herangezogen werden (§ 159 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Soweit damit zu rechnen ist, dass mehrere Planbeteiligte zum Termin erscheinen werden, ist zu empfehlen, einen Urkundsbeamten hinzuzuziehen, da gerade die Erfassung der Beteiligten zu Beginn und die Auszählung bei der Abstimmung eine größere Aufmerksamkeit des Vorsitzenden fordern, je höher die Anzahl der erscheinenden Beteiligten ist. In den übrigen Fällen erscheint es möglich, das Protokoll gemäß § 160a Abs. 1 ZPO auf einen Ton- oder Datenträger aufzuzeichnen. Das Protokoll ist gemäß § 163 ZPO zu unterzeichnen. c) Ablauf des Erörterungstermins aa) Allgemeiner Ablauf

39

Der Termin wird durch den Richter geleitet. Dieser hat gemäß § 38 StaRUG i. V. m. § 220 Abs. 1 ZPO zur Sache aufzurufen. Zunächst ist zu prüfen, ob die Ladung ordnungsgemäß erfolgt ist. Ist die Ladung auf den Schuldner oder den Restrukturierungsbeauftragten übertragen worden, muss sich das Gericht vergewissern, ob die Ladung hinreichend dokumentiert wurde. Daran anschließend sind die Anwesenden festzustellen. Tritt der Planbetroffene nicht selbst auf, ist die Vertretungsbefugnis bei den gesetzlichen Vertretern bzw. die Vollmacht bei den gewillkürten Vertretern zu prüfen (siehe dazu auch Rz. 36).

40

Da den Planbetroffenen anders als im Insolvenzverfahren der Restrukturierungsplan nicht vorher zuzusenden ist, sollte durch den Schuldner der wesentliche Inhalt des Plans mündlich dargestellt werden, ggf. können auch einzelne Passagen des Plans vorgelesen werden.32) Ebenso sind etwaige Änderungen des Plans zu erörtern (siehe Rz. 41). Daran schließt sich die Erörterung des Planinhalts und ggf. die Stimmrechtsfestsetzung an (siehe dazu Rz. 46 ff.). bb) Änderungen des Plans (§ 240 InsO)

41

Erweist sich der vorgelegte Plan nicht als annahmefähig, können gemäß § 45 Satz 1 StaRUG i. V. m. § 240 InsO noch Änderungen im Erörterungstermin vorgenommen werden. Über den geänderten Plan kann noch am selben Tag im sich anschließenden Abstimmungstermin abgestimmt werden (§ 240 Satz 2 InsO). Zur Änderung ist lediglich der Schuldner als Vorlegender berechtigt. Weder die Gläubiger noch der Restrukturierungsbeauftragte können Änderungen am Plan vornehmen. Ihnen steht auch kein Widerspruchsrecht gegen Änderungen durch den Schuldner zu.33)

42

Es kann nur der vorgelegte Plan geändert werden, eine Neueinreichung ist im Termin nicht mehr möglich. Erforderlich ist daher, dass der Kern des ursprünglichen _____________ 32) Zur Erforderlichkeit der Planverlesung im Insolvenzverfahren Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 235 Rz. 26. 33) So auch zu § 240 InsO Jaffé in: FK-InsO, § 240 Rz. 4; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 12; Thies in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 2.

676

Blankenburg

§ 45

Erörterungs- und Abstimmungstermin

Restrukturierungsplans erhalten bleibt.34) Der Kern bleibt nicht erhalten, wenn weitere Planbetroffene in den Plan aufgenommen werden, die nicht anwesend sind.35) Anders als im Insolvenzverfahren werden zu dem Termin nicht sämtliche Gläubiger geladen, vielmehr nur die Gläubiger, die als Planbetroffene aufgeführt sind. Würden nunmehr weitere Planbeteiligte aufgenommen werden können, die nicht anwesend sind, hätten diese von dem Plan und ihrer Einbeziehung keinerlei Kenntnisse und könnten dazu keine Stellung nehmen.36) Inhaltliche Änderungen sind im größeren Umfang möglich.37) Es kommt allein darauf an, ob der Plan die gleiche Zielsetzung und den gleichen Charakter aufweist. Entscheidend sollte dabei sein, ob sich die Änderungen potentiell auf das Abstimmungsergebnis ausgewirkt haben. Da es allerdings nicht auf eine Kopfmehrheit, sondern allein auf die Summenmehrheit in den einzelnen Gruppen ankommt, sind im Restrukturierungsverfahren auch Änderungen im darstellenden Teil als zulässig anzusehen.38) Änderungen an der Gruppenzusammensetzung sind unzulässig, da dies Auswirkung auf die erforderlichen Mehrheitsverhältnisse hat.39)

43

Änderungen können nur bis zum Ende des Erörterungstermins erfolgen, da § 240 InsO voraussetzt, dass sie erörtert wurden.40) Unkritisch sind Änderungen im Vorfeld des Termins, da sie dann nur als Erörterungsgrundlage dienen können. Nach Schließung des Erörterungstermins sind Änderungen nicht mehr möglich. Auch wenn es zu einem gesonderten Abstimmungstermin kommt, ist eine Änderung in diesem Termin nicht mehr möglich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 241 Abs. 2 Satz 5 InsO, wonach bei der Ladung auf eine Planänderung hinzuweisen ist, da insoweit keine Erörterung mehr stattfinden kann.41) Will der Schuldner noch Änderungen vornehmen, muss ein erneuter Erörterungstermin anberaumt werden.

44

Die Änderung ist zu Protokoll zu nehmen. Da bereits bei der ersten Planeinreichung dem Gericht keine Verwerfungskompetenz zukommt, bedürfen auch Änderungen

45

_____________ 34) Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 45 Rz. 27; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 230 Rz. 4. 35) So auch Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 45 Rz. 27. 36) Ebenso für eine Unzulässigkeit AG Köln, Beschl. v. 15.5.2019 – 72 IN 269/17, ZInsO 2019, 1754, 1756 f.; Thies in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 5; Jaffé in: FK-InsO, § 240 Rz. 10, will insoweit den Termin aussetzen und die weiteren Betroffenen dann zu einem neuen Termin laden; a. A. Nerlich/Römermann-Braun, InsO, § 240 Rz. 7. 37) Zu § 240 InsO s. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 240 Rz. 4; aus praktischen Erwägungen nur für geringe Änderungen Jaffé in: FK-InsO, § 240 Rz. 6 38) A. A. zum Insolvenzplan AG Köln, Beschl. v. 15.5.2019 – 72 IN 269/17, ZInsO 2019, 1754, 1756. 39) So auch LG Hamburg, Beschl. v. 7.2.2018 – 326 T 120/16, ZInsO 2020, 1204, 1208; AG Düsseldorf, Beschl. v. 8.10.2019 – 513 IK 220/17, ZInsO 2020, 426; Wilke in: BeckOKStaRUG, § 45 Rz. 29; Jaffé in: FK-InsO, § 240 Rz. 9; nach Thies in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 4, sollen Änderungen zur Behebung von Mängeln bei der Gruppenstruktur zulässig sein; a. A. Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 9. 40) Zu § 240 InsO Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 240 Rz. 16; Thies in: HambKommInsO, § 240 Rz. 8; a. A. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 240 Rz. 6; Graf-Schlicker-Kebekus/ Wehler, InsO, § 240 Rz. 2. 41) Zu § 241 InsO a. A. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 241 Rz. 11.

Blankenburg

677

§ 45

Erörterungs- und Abstimmungstermin

keiner Zulassung durch das Gericht.42) Das Gericht ist nur befugt, bei wesentlichen Verstößen gegen die Planvorschriften nach Annahme des Plans die Planbestätigung zu verweigern (§ 63 Abs. 1 Nr. 2).43) cc) Stimmrechtsfestsetzung (Abs. 4 Satz 2) 46

Für die Planabstimmung ist es erforderlich, für alle Beteiligten Klarheit zu erhalten, wie hoch das jeweilige Stimmrecht ist. Nur so lässt sich prüfen, ob in den jeweiligen Gruppen eine hinreichende Mehrheit erlangt wurde. Die Höhe des Stimmrechts richtet sich nach § 24, der gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 entsprechend auf das gerichtliche Abstimmungsverfahren anwendbar ist. Zu den materiellen Voraussetzungen des Stimmrechts siehe § 24 Rz. 4 ff.

47

Die Bestimmung des Stimmrechts ist in § 45 Abs. 4 Satz 2 geregelt. Es ist danach zuvörderst die Aufgabe der Beteiligten, sich hinsichtlich der Stimmrechte zu einigen. Zum Bestreiten des Stimmrechts ist grundsätzlich jeder Planbetroffener berechtigt. Dem Restrukturierungsbeauftragten kommt kein Recht zu, die Höhe einzelner Stimmrechte in Zweifel zu ziehen. Gleiches gilt für den Schuldner, da dieser bereits im Plan die Möglichkeit hat, streitige Stimmrechte darzustellen. Bei einer geringen Anzahl von Planbetroffenen kann grundsätzlich jedes Stimmrecht einzeln erörtert werden. Bei einer nicht geringen Anzahl erscheint dies kaum praktikabel. Insoweit wird zunächst auf den nominellen Wert abzustellen sein, der auch im Insolvenzplan ausgewiesen ist. Lediglich wenn gegen die Höhe des nominellen Wertes als Stimmrecht Einwendungen erhoben werden, sind die betroffenen Stimmrechte einzeln zu erörtern. Dies erscheint indes nicht unproblematisch, da die Planbetroffenen anders als im Insolvenzplanverfahren den Plan nicht vorab erhalten (siehe dazu Rz. 23). Dennoch wird aus Praktikabilitätsgründen kaum eine andere Praxis in Betracht kommen, da anderenfalls ggf. mehrere tausend Forderungen vorgelesen und einzeln erörtert werden müssten. Einigen sich die Beteiligten auf ein Stimmrecht, ist dies zu protokollieren und in die Stimmliste entsprechend aufzunehmen.

48

Kommt es hinsichtlich einzelner Forderungen oder Rechte nicht zu einer Einigung, legt das Gericht das Stimmrecht fest. Auch wenn § 45 nicht auf § 77 InsO verweist, können insoweit die Überlegungen zu dieser Norm mit herangezogen werden. Die Besonderheit der Restrukturierungssache ist allerdings, dass es anders als in Insolvenzverfahren keine Tabelle, keine Anmeldeunterlagen für die Forderungen und kein förmliches Bestreiten von Forderungen gibt. § 45 Abs. 2 Satz 2 selbst gibt keine Kriterien für die Stimmrechtsfestsetzung vor. Sie liegt im Ermessen des Gerichts. Hier ergibt sich für das Gericht allerdings das Problem, dass anders als im Insolvenzverfahren keine Anmeldeunterlagen vorliegen, aus denen sich Anhaltspunkte für die Höhe des Stimmrechts ergeben könnten. Auch aus dem Plan müssen sich keine einzelnen Ausführungen zu den tatsächlichen Grundlagen der Forderungen _____________ 42) Ebenso für den Insolvenzplan Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 230 Rz. 6; Nerlich/ Römermann-Braun, InsO, § 240 Rz. 3b; a. A. LG Düsseldorf, Beschl. v. 20.12.2019 – 25 T 665/19, ZInsO 2020, 840; AG Düsseldorf, Beschl. v. 8.10.2019 – 513 IK 220/17, ZInsO 2020, 425; Jaffé in: FK-InsO, § 240 Rz. 14; noch weitergehend Thies in: HambKommInsO, § 240 Rz. 6, nach dem der Plan insgesamt zurückzuweisen ist. 43) Ebenso Nerlich/Römermann-Braun, InsO, § 240 Rz. 3b.

678

Blankenburg

§ 45

Erörterungs- und Abstimmungstermin

ergeben. Das Gericht steht daher vor dem Dilemma, ohne tatsächliche Grundlage über die Höhe der Forderung entscheiden zu müssen. Da ein Bestreiten auch nicht angekündigt werden muss, werden auch die anwesenden Gläubiger nicht zwangsläufig Unterlagen zu ihren Forderungen dabeihaben. Hinsichtlich der einzelnen Forderungen ist zunächst zu differenzieren, ob diese bereits tituliert sind. Ist dies der Fall, ist im Zweifel das volle Stimmrecht festzusetzen,44) da sich das Restrukturierungsgericht nicht ohne weiteres über die Festsetzungen der Prozessgerichte hinwegsetzen kann. Bei nicht titulierten Forderungen sollte das Gericht zunächst den Forderungs- oder Rechteinhaber auffordern, seine Forderung oder sein Recht i. E. zu begründen. Im Anschluss sollte der bestreitende Planbetroffene die Gründe darlegen, die gegen eine vollständige Berücksichtigung des geltend gemachten Wertes sprechen. Präsente Beweismittel können ggf. herangezogen werden. Auf dieser Grundlage hat das Gericht dann zu entscheiden. Lediglich in besonders schwierigen Fällen sollte das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch machen, den Erörterungstermin zu vertagen. Die Entscheidung über das Stimmrecht ist im Protokoll festzuhalten und in der Stimmliste zu notieren. Die Stimmrechtsfestsetzung ist unanfechtbar (siehe § 41). Ist bereits in einem früheren Termin das Stimmrecht festgesetzt worden und ergeben sich nunmehr Abweichungen, kann eine Änderung der Entscheidung entsprechend § 77 Abs. 2 Satz 3 InsO beantragt werden. Antragsberechtigt sind allerdings nur die Planbetroffenen, nicht der Restrukturierungsbeauftragte, da dieser das Stimmrecht grundsätzlich nicht angreifen kann. Eine Korrektur kommt nur bis zur Abstimmung in Betracht, nicht mehr danach.45)

49

d) Ablauf des Abstimmungstermins Nach dem Erörterungstermin hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 StaRUG i. V. m. § 239 InsO in einem Verzeichnis festzuhalten, welche Stimmrechte den Beteiligten zustehen (Stimmliste). Anstelle des Urkundsbeamten kann auch der Richter die Stimmliste fertigen.46) Wird die Stimmliste durch den Schuldner oder den Restrukturierungsbeauftragten vorbereitet, hat der Urkundsbeamte bzw. der Richter diese auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen.47) Da es anders als beim Insolvenzplan für die Zustimmung nicht auf eine Kopfmehrheit, sondern allein auf eine Summenmehrheit in den einzelnen Gruppen ankommt, reicht es aus, wenn in der Stimmliste die Gläubiger pro Gruppe getrennt mit ihren jeweiligen Stimmrechten angegeben werden. Die Angabe der Kopfzahl pro Gruppe ist nicht erforderlich. _____________ 44) 45) 46) 47)

So zu § 77 Uhlenbruck-Knof, InsO, § 77 Rz. 22. So zu § 77 Uhlenbruck-Knof, InsO, § 77 Rz. 25. So zu § 239 Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 239 Rz. 2. Grundsätzlich sollte die Software der Justiz in der Lage sein, eine entsprechende Stimmliste zu erstellen. Anders als der Insolvenzverwalter in Insolvenzplanverfahren ist der Restrukturierungsbeauftragte nicht ohne weiteres in der Lage, eine Stimmliste zu erstellen, da er nicht die Gläubigerdaten vorhalten muss. Zur teilweise geübten Praxis der Erstellung der Stimmliste durch den Insolvenzverwalter (Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Silcher, InsR, § 239 InsO Rz. 4).

Blankenburg

679

50

§ 45

Erörterungs- und Abstimmungstermin

51

Nach der Erstellung der Stimmliste schließt sich die eigentliche Abstimmung an. Das Gericht sollte zunächst auf die Voraussetzungen der sofortigen Beschwerde gegen eine Planbestätigung gemäß § 66 hinweisen, insbesondere dass eine solche nur dann möglich ist, wenn im Abstimmungsverfahren gegen den Plan Widerspruch erhoben und gegen den Plan gestimmt wurde. Anschließend muss in den einzelnen Gruppen jeweils getrennt abgestimmt werden. Das Gericht entscheidet, in welcher Reihenfolge die Gruppen abstimmen.48) In der abstimmenden Gruppe sind dann die Gläubiger einzeln aufzurufen und zur Stimmabgabe aufzufordern. Vereint ein Vertreter die Stimmrechte mehrerer Planbetroffener auf sich, können diese mit einer Stimmabgabe erledigt werden. Die Stimmabgabe hat mündlich zu erfolgen.

52

Das Abstimmungsergebnis wird durch das Gericht im Protokoll bzw. der Stimmliste festgehalten, die dann als Anlage zum Protokoll zu nehmen ist. Nach der Abstimmung ist den Planbetroffenen, die gegen den Plan gestimmt haben, die Gelegenheit zu geben, gemäß § 64 Abs. 2 einen Widerspruch gegen den Plan zu erheben und glaubhaft zu machen, dass sie durch den Plan voraussichtlich schlechter gestellt werden würden als ohne den Plan. Auch dies ist in das Protokoll aufzunehmen.

53

Der Schuldner kann bereits im Erörterungs- und Abstimmungstermin einen Antrag auf Bestätigung des Restrukturierungsplans stellen (§ 60 Abs. 1 Satz 2). Die Stellung des Antrags ist im Protokoll festzuhalten. Eine besondere Problematik ergibt sich dabei allerdings aus § 13a GKG i. V. m. Nr. 2515 Kostenverzeichnis GKG. Danach erhöht sich die Gerichtsgebühr um 500 €, wenn ein weiteres als das dritte Instrument des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Anspruch genommen wird. Ist daher bereits eine Stabilisierungsanordnung und eine Vorprüfung erfolgt, stellt die Planbestätigung nach der Planabstimmung die vierte Inanspruchnahme dar. Nach § 13a GKG soll über den Antrag eines Instruments des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens erst nach Zahlung der Gerichtsgebühr entschieden werden. Da es sich nur um eine Sollvorschrift handelt, erscheint es vertretbar, die Bestätigung auch vor der Einzahlung der Gebühr vorzunehmen, wenn gegen die Bonität des Schuldners keine Bedenken bestehen und damit zu rechnen ist, dass die Gebühr nachträglich gezahlt wird. Die Verschiebung des Termins könnte anderenfalls ein Vielfaches des Betrags kosten.

54

Ist ein Antrag auf Planbestätigung gestellt, kann das Gericht folglich bereits im Termin den Plan bestätigen. Soll dies nicht im Termin erfolgen, hat das Gericht einen Verkündungstermin für die Entscheidung festzusetzen. Ist kein Antrag auf Bestätigung gestellt, endet der Termin nach der Protokollierung des Abstimmungsergebnisses sowie etwaiger Widersprüche. 2.

55

Getrennter Erörterungs- und Abstimmungstermin

Gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 StaRUG i. V. m. § 241 Abs. 1 Satz 1 InsO kann das Gericht auch einen gesonderten Termin zur Abstimmung über den Restrukturierungsplan bestimmen. Auch in diesem Fall hat aber vorher ein Termin zur Erörterung des Plans zu erfolgen. Eine komplett schriftliche Durchführung des Verfahrens ist nicht mög_____________ 48) So auch Jaffé in: FK-InsO, § 235 Rz. 22, nach dem jedoch durch die Gläubiger eine andere Reihenfolge in Form eines Beschlusses der Gläubigerversammlung bestimmt werden kann.

680

Blankenburg

§ 45

Erörterungs- und Abstimmungstermin

lich. Der getrennte Abstimmungstermin ist von einer Vertagung des gemeinsamen Erörterungs- und Abstimmungstermin zu unterscheiden. Sowohl eine Unterbrechung (z. B. für Pausen nach längerer Erörterung) als auch eine Vertagung sind rechtlich ohne weiteres möglich.49) In diesem Fall bleibt es beim gemeinsamen Erörterungsund Abstimmungstermin. a) Terminbestimmung Die Bestimmung eines gesonderten Abstimmungstermins kann sowohl bereits mit der Terminierung des Erörterungstermins als auch erst im Erörterungstermin selbst erfolgen, wenn zunächst ein gemeinsamer Termin angesetzt wurde. Da der Stabilisierungs- und Restrukturierungsplan von dem Grundsatz der beschleunigten Entscheidung geprägt ist, sollte von einem gesonderten Abstimmungstermin nur sparsam Gebrauch gemacht werden.50) Ein solcher kommt insbesondere dann in Betracht, wenn eine umfangreiche Erörterung von Stimmrechten bereits absehbar ist und das Gericht davon ausgehen muss, dass es anderenfalls einer Vertagung des gemeinsamen Termins bedarf.

56

Die Bestimmung des gesonderten Termins hat durch Beschluss zu erfolgen. Der Termin soll gemäß § 241 Abs. 1 Satz 2 nicht später als einen Monat nach dem Erörterungstermin stattfinden. Aufgrund der Sollbedingung ist ein späterer Termin möglich, bedarf allerdings eines sachlichen Grunds (z. B. Verhinderung des Richters aufgrund langfristig geplanten Urlaubs, Nichtdurchführbarkeit des Termins aufgrund einer Pandemie). Da es sich aber nur um eine Ordnungsvorschrift handelt, steht ein Verstoß gegen die Frist einer Planbestätigung nicht entgegen.51) Die Planbetroffenen sind dann nicht berechtigt, dem Abstimmungstermin fern zu bleiben und eine unzulässige Ladung i. R. der sofortigen Beschwerde zu rügen.

57

b) Ladung Zu dem gesonderten Abstimmungstermin sind nicht sämtliche Planbetroffene, sondern gemäß § 241 Abs. 2 Satz 1 InsO nur die abstimmungsberechtigten Planbetroffenen sowie der Schuldner zu laden. Ist daher bei Beteiligten das Stimmrecht auf null festgesetzt worden, sind diese nicht mehr zu laden. Eine Ausnahme sieht § 241 Abs. 2 Satz 2 InsO für Aktionäre und Kommanditaktionäre vor, wenn der Termin öffentlich bekannt gemacht wurde. Die Anwendung dieser Norm des Insolvenzplans auf den Restrukturierungsplan erscheint fraglich. Ein entsprechender Verzicht auf die Ladung der Aktionäre und Kommanditisten findet sich in § 235 Abs. 3 Satz 3 InsO für den originären Erörterungs- und Abstimmungstermin, für den es bei der Ladung im Restrukturierungsverfahren kein Pendant in § 45 gibt. Dass daher ein Verzicht nur für den gesonderten Abstimmungstermin gelten soll, wenn diese noch zum Erörterungstermin geladen werden sollten, erscheint zweifelhaft. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich bei dem kompletten Verweis auf § 241 Abs. 2 InsO _____________ 49) Ausführlich dazu Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 241 Rz. 3 ff. 50) So auch Jaffé in: FK-InsO, § 241 Rz. 4; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 235 Rz. 5, bezeichnet dies als „Regel-Ausnahme-Prinzip“. 51) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 241 Rz. 6; Jaffé in: FK-InsO, § 241 Rz. 6; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 241 Rz. 9.

Blankenburg

681

58

§ 45

Erörterungs- und Abstimmungstermin

um ein redaktionelles Versehen handelt, das der Eile des Gesetzgebungsverfahrens geschuldet ist. Daher sind grundsätzlich sämtliche abstimmungsberechtigten Planbetroffenen zu laden. Eine Ladung des Restrukturierungsbeauftragten bzw. Insolvenzverwalters sehen weder § 45 Abs. 4 Satz 1 StaRUG noch § 241 InsO vor. Eine Ladung erscheint auch entbehrlich, da er bei der Abstimmung als Moderator nicht benötigt wird.52) Zur Ladung siehe auch Rz. 15 ff. 59

Ist es zu einer Änderung des Restrukturierungsplans gekommen, ist auf diese gesondert hinzuweisen (§ 241 Abs. 2 Satz 5 InsO). Der Hinweis soll verhindern, dass die Planbetroffenen bei der Abstimmung von einer falschen Grundlage ausgehen.53) Der Übersendung des geänderten Plans bedarf es nicht.54) Fehlt der Hinweis oder ist er unvollständig, liegt eine mangelhafte Ladung vor, die zu einer Versagung der Bestätigung nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 führen kann. Eine Heilung ist noch durch Nachholung im Termin möglich.55) Da es nicht auf die Kopfmehrheit, sondern allein auf die Summenmehrheit ankommt, erscheint es unbedenklich, wenn durch die Nachholung ggf. Planbetroffene davon abgehalten wurden, an der Abstimmung teilzunehmen. Eine Enthaltung wiegt wie eine Nein-Stimme.

60

Der Hinweis auf die Planänderung ist der Ladung beizufügen. Wird bereits vor dem Erörterungstermin ein gesonderter Abstimmungstermin festgelegt und dazu jeweils geladen, bedarf es noch einer nachträglichen Belehrung über die Änderungen im Erörterungstermin.56) Sind sämtliche stimmberechtigte Planbetroffene im Termin anwesend, reicht dort ein Hinweis. Anderenfalls ist dieser selbständig, ggf. mit den Stimmzetteln zu übersenden (siehe dazu Rz. 61 ff.). c) Übersendung der Stimmzettel

61

Nach § 45 Abs. 4 Satz 1 i. V. m.§ 242 Abs. 1 Satz 1 InsO hat das Restrukturierungsgericht den abstimmungsberechtigten Planbetroffenen einen Stimmzettel zu übersenden und ihnen dabei ihr Stimmrecht mitzuteilen. Die Übersendung kann entweder mit der Ladung oder separat erfolgen. Einer förmlichen Zustellung bedarf es nicht.57)

62

Der Stimmzettel setzt voraus, dass er ohne weiteres an das Gericht zurückübersandt werden kann. Daher ist die Bezeichnung des Verfahrens sowie das Aktenzeichen aufzunehmen. Ferner ist Bezeichnung des Planbetroffenen sowie die Höhe des Stimmrechts aufzuführen. Der Stimmzettel sollte zudem zwei Ankreuzoptionen zur Zustimmung oder Ablehnung enthalten.58) Schließlich muss der Stimmzettel gemäß _____________ 52) So auch Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 241 Rz. 10, der jedoch eine Bekanntgabe an ihn als erforderlich ansieht. 53) So zu § 241 InsO Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 241 Rz. 13. 54) So zu § 241 InsO Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 241 Rz. 13; Jaffé in: FK-InsO, § 241 Rz. 18. 55) So für § 241 InsO Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 241 Rz. 13; Kübler/Prütting/BorkPleister, InsO, § 241 Rz. 15. 56) Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 241 Rz. 14. 57) So zu § 242 Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 242 Rz. 10; Hintzen in: MünchKommInsO, § 242 Rz. 4; Thies in: HambKomm-InsO, § 242 Rz. 4. 58) Ähnlich zu § 242 Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 242 Rz. 9; Jaffé in: FK-InsO, § 242 Rz. 7.

682

Blankenburg

§ 45

Erörterungs- und Abstimmungstermin

§ 242 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 InsO noch einen Hinweis darauf enthalten, bis wann die Stimmabgabe berücksichtigt wird. Versäumt das Gericht die Übersendung der Stimmzettel insgesamt oder an einzelne Planbetroffene oder gehen einzelne Stimmzettel nicht ein, stellt dies keinen Verfahrensverstoß dar, der zu einer Versagung nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 führt.59) Ebenso wie beim Insolvenzplanverfahren sind die Planbetroffenen primär verpflichtet, an dem Abstimmungstermin teilzunehmen, von dem sie aufgrund der Ladung Kenntnis erhalten haben. Entscheiden sie sich für ein Fernbleiben, hat der fehlende Stimmzettel insoweit keine Relevanz.

63

d) Durchführung der Abstimmung aa) Ablauf des Abstimmungstermins Hinsichtlich des Ablaufs des Termins geltend grundsätzlich die gleichen Ausführungen wie zum gemeinsamen Erörterungs- und Abstimmungstermin (siehe dazu Rz. 39 ff.). Es ist die Anwesenheit sämtlicher Planbetroffener festzustellen. Einer erneuten Prüfung der Vollmacht bedarf es nicht, wenn die gleichen Personen wie im Erörterungstermin als Vertreter auftreten. Insoweit kann das Restrukturierungsgericht von einem Fortbestehen der Vollmacht ausgehen.60)

64

Eine Erörterung des Plans findet im Abstimmungstermin nicht statt.61) Es kann auch keine Planänderung mehr erfolgen.62)

65

Die Abstimmung folgt den Regeln zum gemeinsamen Erörterungs- und Abstimmungstermin (siehe dazu Rz. 50 ff.). Darüber hinaus hat das Gericht allerdings zu Protokoll zu nehmen, wessen Abstimmung bis zum Termin schriftlich eingegangen ist.

66

bb) Schriftlich abgegebene Stimmen Die Planbetroffenen müssen nicht zum Termin erscheinen, sondern können ihr Stimmrecht gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 242 Abs. 1 InsO auch schriftlich ausüben. Die Abstimmungserklärungen sind an das Insolvenzgericht zu richten und bedürfen der Schriftform nach § 126 BGB.63) Die Stimmabgabe kann auch gemäß § 126a Abs. 1 BGB in elektronischer Form abgegeben werden. Dann muss die Stimmabgabe mit einer qualifizierten Signatur versehen werden. Es ist nicht ausreichend, die Stimmgabe unsigniert über den sicheren Übermittlungsweg zu übersenden, da § 130a ZPO nicht die Schriftform ersetzt. Die Planbetroffenen sind nicht verpflichtet, die übersandten Stimmzettel zu verwenden, sondern können auch eigene Stimmzettel erstellen. Es muss lediglich deutlich werden, ob ein Planbetroffener abstimmt und ob für oder gegen den Plan gestimmt wird. Die Erklärung ist bedingungsfeind_____________ 59) So zu § 242 Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 242 Rz. 22; Hintzen in: MünchKommInsO, § 242 Rz. 4; Thies in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 5. 60) Dazu Zöller-Althammer, ZPO, § 86 Rz. 1 ff. 61) So zu § 242 InsO a. A. Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 241 Rz. 16. 62) So zu § 242 InsO Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 241 Rz. 16; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 241 Rz. 14. 63) So auch zu § 242 Jaffé in: FK-InsO, § 242 Rz. 3.

Blankenburg

683

67

§ 46

Vorprüfungstermin

lich. Eine Zustimmung unter einer Bedingung ist unwirksam. Wird als Vertreter abgestimmt, ist eine Vollmacht mit beizufügen. 68

Gemäß § 242 Abs. 2 Satz 2 ZPO werden nur die Stimmen berücksichtigt, die spätestens am Tag vor dem Abstimmungstermin beim Restrukturierungsgericht eingegangen sind. Gemäß § 38 StaRUG ist § 222 ZPO entsprechend anzuwenden. Erforderlich ist, dass der Stimmzettel beim zuständigen AG als Restrukturierungsgericht eingegangen ist. Nicht ausreichend ist es, wenn er bei dem für den Bezirk zuständigen Insolvenzgericht eingeht. Nicht erforderlich ist, dass der Stimmzettel bereits am Sitzungstag dem Richter vorliegt. Es kommt allein auf den Eingang bei Gericht an, der durch den Gerichtsstempel nachgewiesen wird. Wird ein Stimmzettel erst nach Betriebsschluss in den Briefkasten des Gerichts eingeworfen, liegt eine rechtzeitige Stimmabgabe nur dann vor, wenn es sich um einen sog. Nachtbriefkasten handelt, d. h. bei dem der Einwurfschacht um Mitternacht wechselt.

69

Fehlt es an einer entsprechenden Belehrung gemäß § 242 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 InsO, können auch verspätet eingegangene Stimmzettel noch berücksichtigt werden.64)

70

Ist dem Gericht die Erklärung zugegangen, ist der Planbetroffene daran gebunden.65) Lediglich, wenn die Stimmabgabe Mängel aufweist, die zu einer Unwirksamkeit führen, kann noch bis zur Ausschlussfrist gemäß § 242 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 InsO nachgebessert werden.

71

Berücksichtigt das Gericht wirksam eingereichte Stimmzettel nicht, liegt ein Verfahrensverstoß vor, der gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 3 zu einer Versagung der Bestätigung führen muss.66) Da es in diesem Fall nicht möglich ist, dass der Betroffene gegen den Plan Widerspruch erhebt und dagegen stimmt, ist eine sofortige Beschwerde auch ohne diese Voraussetzungen möglich. _____________ 64) So zu § 242 InsO Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 241 Rz. 15. 65) Ebenso zu § 242 InsO Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 241 Rz. 18 ff.; a. A. Jaffé in: FK-InsO, § 242 Rz. 10; Thies in: HambKomm-InsO, § 242 Rz. 3; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 242 Rz. 7. 66) Jaffé in: FK-InsO, § 242 Rz. 4.

§ 46 Vorprüfungstermin Blankenburg

(1) 1Auf Antrag des Schuldners bestimmt das Gericht einen gesonderten Termin zur Vorprüfung des Restrukturierungsplans vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin. 2Gegenstand dieser Vorprüfung kann jede Frage sein, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich ist, insbesondere, 1.

ob die Auswahl der Planbetroffenen und die Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen den Anforderungen der §§ 8 und 9 entspricht,

2.

welches Stimmrecht eine Restrukturierungsforderung, eine Absonderungsanwartschaft oder ein Anteils- oder Mitgliedschaftsrecht gewährt oder

3.

ob dem Schuldner die Zahlungsunfähigkeit droht.

684

Blankenburg

§ 46

Vorprüfungstermin 3

§ 45 Absatz 3 gilt entsprechend. 4Die Ladungsfrist beträgt mindestens sieben Tage. (2) Das Ergebnis der Vorprüfung fasst das Gericht in einem Hinweis zusammen. (3) Das Gericht kann einen Vorprüfungstermin auch von Amts wegen bestimmen, wenn dies zweckmäßig ist.

Literatur: Vallender, Aufgaben und Befugnisse des Restrukturierungsgerichts nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Teil 2), ZInsO 2020, 2677. Übersicht I. II. III. 1.

Normzweck ........................................... 1 Normhistorie ........................................ 3 Vorprüfung auf Antrag (Abs. 1) ........ 4 Voraussetzungen ................................... 4 a) Antrag ............................................. 4 b) Vorprüfungsgegenstände ............... 8 aa) Mögliche Gegenstände .................. 9 bb) Formulierung der Fragestellung ......................................... 12

I.

Normzweck

cc) Erheblichkeit ................................ 13 c) Entscheidung über die Zulässigkeit ................................... 14 2. Ladung ................................................. 16 3. Termin .................................................. 19 4. Hinweisbeschluss (Abs. 2) ................. 23 IV. Vorprüfung von Amts wegen (Abs. 3) ................................................ 26 V. Haftung des Gerichts ........................ 30

Die gerichtliche Vorprüfung dient der Entzerrung des Erörterungstermins und der frühzeitigen Klärung von konkreten Fragen betreffend einen eingereichten Restrukturierungsplan. Die Vorprüfung gemäß § 46 ist in das gerichtliche Planverfahren eingebettet und kein Instrument des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens gemäß § 29 Abs. 2 Nr. 2.1) Außerhalb des eigentlichen Planverfahrens kann eine selbständige Vorprüfung gemäß §§ 47 f. vorgenommen werden, da er ein eigenständiges Instrument gemäß § 29 Abs. 2 Nr. 2 ist.

1

Das Ergebnis der Vorprüfung kann nicht bindend sein, da gegen den Hinweisbeschluss keine Rechtsmittel möglich sind (siehe dazu ausführlich Rz. 24). Das Gericht kann demnach bei einer späteren Planabstimmung noch von seiner Auffassung abweichen, was insbesondere wahrscheinlich ist, wenn ein Vertreter des zuständigen Richters entscheidet oder ein Dezernatswechsel erfolgt. Daher wird sich in der Praxis zeigen, ob das aufwendige Verfahren mit einem gesonderten Termin Akzeptanz finden wird.

2

II. Normhistorie Die Norm findet ihren Ursprungsgedanken in § 231 InsO und befand sich bereits im RefE2). Im Gesetzgebungsverfahren ist die Norm bis auf die Anpassung der Verweisungen unberührt geblieben. Im RefE war die Norm als § 46, im RegE3) dann _____________ 1)

2)

3)

So wohl auch Kramer in: BeckOK-StaRUG, § 29 Rz. 80 ff.; Braun-Haffa/Schuster, StaRUG, § 29 Rz. 28; Pannen/Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 29 Rz. 24; a. A. Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 46 Rz. 2; Pannen/Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 46 Rz. 3. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181.

Blankenburg

685

3

§ 46

Vorprüfungstermin

als § 48 bezeichnet worden. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses4) hat die Norm dann die endgültige Nummerierung erhalten. Die Norm setzt einen Teil der in Art. 9 Restrukturierungsrichtlinie5) aufgestellten Voraussetzungen für die Annahme von Restrukturierungsplänen um. Nach Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 2 der Restrukturierungsrichtlinie wird es den Mitgliedstaaten ermöglicht, die Festsetzung der Stimmrechte und die Bildung der Klassen bereits zu einem früheren Zeitpunkt als der Planbestätigung zu prüfen und zu bestätigen. III. Vorprüfung auf Antrag (Abs. 1) 1.

Voraussetzungen

a) Antrag 4

Voraussetzung für die Durchführung eines Vorprüfungstermins ist ein Antrag. Antragsberechtigt ist lediglich der Schuldner. Weder den Planbetroffenen noch dem Restrukturierungsbeauftragten6) steht ein Antragsrecht zu.

5

§ 45 Abs. 1 normiert nicht den Inhalt des Antrags. Aus § 45 Abs. 1 Satz 2 ergibt sich aber, dass der Vorprüfung ein bestimmter Gegenstand zugrunde zu liegen hat, der aus einer Frage besteht. Daher muss sich in dem Antrag des Schuldners eine konkrete Frage befinden. Es ist nicht zulässig, dass der Schuldner einfach nur die Durchführung eines Termins beantragt. Da es nicht effektiv wäre, für jede Frage einen erneuten Vorprüfungstermin durchzuführen, können auch mehrere Fragen in dem Antrag gestellt werden.7)

6

Nicht durch § 45 Abs. 1 geregelt ist, ob der Schuldner nach einem bereits durchgeführten Termin noch einen weiteren Termin beantragen kann. Die Notwendigkeit könnte sich daraus ergeben, dass im ersten Termin eine Regelung als unzulässig angesehen wurde und der Schuldner nunmehr den Plan nachgebessert hat. Insoweit ist zu beachten, dass die Durchführung eines Termins je nach Anzahl der Betroffenen eine erhebliche Belastung für das Gericht darstellt. Da der Schuldner aber die Möglichkeit hat, den Plan zurückzunehmen und dann wieder einen neuen einzureichen, bei dem dann ein Vorprüfungstermin möglich wäre, erscheint es nicht sinnvoll, die Vorprüfungstermine pro Plan auf einen zu beschränken.

7

Ist bereits ein Erörterungs- und Abstimmungstermin bestimmt und dazu geladen, erscheint fraglich, ob der Schuldner dann noch vorher einen Vorprüfungstermin beantragen kann. Da es sich jedoch anbieten kann, streitige Punkte abzuschichten, sollte ein solcher Termin möglich sein. Insoweit steht es im Ermessen des Gerichts, einen Vorprüfungstermin trotz laufender Terminierung zu bestimmen. _____________ 4) 5)

6) 7)

686

Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Ebenso Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 46 Rz. 6; a A. Braun-Hirte, StaRUG, § 46 Rz. 1. Ebenso Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 46 Rz. 8.

Blankenburg

§ 46

Vorprüfungstermin

b) Vorprüfungsgegenstände Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 kann Gegenstand der Vorprüfung jede Frage sein, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich ist. Es werden dann drei Regelbeispiele genannt, die nicht erschöpfend sind.8) Erforderlich ist daher, dass die Frage Bezug zu dem konkret eingereichten Plan hat und sich nicht in allgemeinen Erwägungen erschöpft.

8

aa) Mögliche Gegenstände Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 kann der Schuldner vorab durch das Gericht klären lassen, ob an der Auswahl der einzelnen Planbetroffenen und der Einteilung der Gruppen Bedenken bestehen. Insbesondere die Auswahl der Planbetroffenen gemäß § 8 ist für den Schuldner sensibel, da er den unbestimmten Rechtsbegriff der sachgerechten Kriterien füllen muss. § 8 Satz 2 Nr. 1 und 2 erfordern eine Bewertung, die zwischen den Beteiligten streitig sein kann. Sind die falschen Beteiligten gewählt worden, lässt sich dies in einem Erörterungstermin in der Regel nicht mehr ändern, da dann eine Ladung von möglicherweise doch noch zu beteiligen Personen nicht mehr möglich ist (siehe dazu § 45 Rz. 42). Insoweit erscheint es sinnvoll, dies bereits in einem Vorabtermin zu klären. Hinsichtlich der Gruppeneinteilung wird sich das Gericht insbesondere mit der Frage konfrontiert sehen, ob diese gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 nach den wirtschaftlichen Interessen vorgenommen wurde und ob das Gericht davon ausgeht, dass die Kriterien hinreichend im Plan angegeben wurden. Bei beiden Alternativen ist zu erwarten, dass der Schuldner eine konkrete Frage entweder zu einzelnen Beteiligten oder Beteiligtengruppen oder zu einzelnen Plangruppen stellt. Nicht zulässig ist die allgemeine Frage, ob gegen die Auswahl der Beteiligten oder die Gruppeneinteilung Bedenken bestehen (siehe dazu auch Rz. 12).

9

§ 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ermöglicht eine Stimmrechtsbestimmung im Vorfeld des Erörterungs- und Abstimmungstermins. Insoweit werden sich bei der Vorprüfung die gleichen Probleme wie bei der eigentlichen Festlegung im Prüfungstermin stellen (siehe dazu § 45 Rz. 48). Für die Vorprüfung ergibt sich zudem die Frage, ob es dem Schuldner möglich sein soll, die Bestimmung des Stimmrechts für jeden Gläubiger vorzunehmen zu lassen, auch wenn es ggf. gar nicht auf dessen Stimme ankommt. Im Erörterungs- und Abstimmungstermin besteht die Möglichkeit, dass sich die Anwesenden auf ein Stimmrecht einigen. Dann bedarf es keiner gerichtlichen Bestimmung mehr. Da aber möglicherweise kaum Planbetroffene den zusätzlichen Vorprüfungstermin wahrnehmen, besteht die Gefahr, dass sich das Gericht mit Stimmrechten beschäftigen muss, die im Termin gar nicht streitig sein werden. Zudem ist kein Planbetroffener verpflichtet, zu dem Vorprüfungstermin zu erscheinen und dort zu seinem Stimmrecht vorzutragen. Dies kann auch erst im Erörterungsund Abstimmungstermin erfolgen. Eine Präklusion wird man mangels einer gesetzlichen Bestimmung nicht annehmen können. Die Beteiligten können sich daher zunächst darauf beschränken, den gerichtlichen Beschluss zur Kenntnis zu nehmen und dann im Erörterungs- und Abstimmungstermin nochmal nachzubessern.

10

_____________ 8)

So auch Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 46 Rz. 9; Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2678.

Blankenburg

687

§ 46 11

Vorprüfungstermin

Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 kann der Schuldner die Frage stellen, ob ihm die Zahlungsunfähigkeit droht. Die Frage zielt auf § 63 Abs. 1 Nr. 1 ab, wonach eine Versagung der Bestätigung zu erfolgen hat, wenn der Schuldner nicht drohend zahlungsunfähig ist. Sollte diese Frage vom Schuldner gestellt werden, wird sich das Gericht in der Regel nicht anders behelfen können, als gemäß § 73 Abs. 3 Nr. 1 den Restrukturierungsbeauftragten mit der Prüfung dieser Frage zu beauftragen, soweit dies noch nicht erfolgt ist. Damit der Vorprüfungstermin überhaupt Sinn ergibt, muss das Gericht dem Restrukturierungsbeauftragten aufgeben, sein Gutachten bis spätestens zu dem Termin zu erstellen. Zu diesem sollte dann auch der Restrukturierungsbeauftragte geladen werden. bb) Formulierung der Fragestellung

12

Die Fragestellung muss sich auf den konkret eingereichten Plan beziehen und darf nicht allgemein formuliert sein. Das Gericht ist nicht verpflichtet, allgemeinen Rechtsrat zu erteilen. Aufgrund des konkret vorliegenden Restrukturierungsplans ist diese Gefahr bei § 46 deutlich geringer ausgeprägt als bei § 47 (siehe dazu § 47 Rz. 9). Auch wenn die Frage konkret auf den Plan bezogen sein muss, ist es nicht erforderlich, dass bereits eine rechtliche Einordnung oder ein konkret formuliertes Ergebnis erfolgt. cc) Erheblichkeit

13

Die Frage muss für die Planbestätigung erheblich sein. Der Begriff wird durch das Gesetz nicht definiert. Erheblich ist die Frage dann, wenn die Antwort des Gerichtes Auswirkung auf die Plangestaltung hat und sich ggf. auf das Abstimmungsergebnis auswirken wird. Dem Filter wird bei § 46 kaum Bedeutung zukommen, da in der Regel die auf den Plan bezogenen Fragen Auswirkung auf die Plangestaltung haben werden. Lediglich bei der Stimmrechtsfestsetzung wird sich die Frage der Relevanz stellen (siehe dazu Rz. 10). c) Entscheidung über die Zulässigkeit

14

Liegt ein Antrag auf Durchführung eines Vorprüfungstermins vor, hat das Gericht zu prüfen, ob der Antragsteller antragsberechtigt ist und ob dieser Antrag mindestens eine zulässige Frage beinhaltet. Fehlt es daran, ist der Antrag durch Beschluss als unzulässig zurückzuweisen. Ein Rechtsmittel ist dagegen nicht gegeben.

15

Liegt mindestens eine zulässige Frage vor, hat das Gericht grundsätzlich zu terminieren und zu laden. Es bedarf keiner Teilabweisung des Antrags hinsichtlich bestimmter Fragen. 2.

Ladung

16

Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 3 ist bezüglich der Ladungen § 45 Abs. 3 entsprechend anzuwenden. Allerdings beträgt die Mindestladungsfrist lediglich sieben Tage anstatt 14 Tagen gemäß § 45 Abs. 1 Satz 3. Insoweit kann grundsätzlich auf die Ausführungen zu § 45 Abs. 3 verwiesen werden (siehe dazu § 45 Rz. 15 ff.).

17

Durch den Verweis auf § 45 Abs. 3 Satz 1 sind grundsätzlich sämtliche Planbetroffene zu laden. Das Gericht darf sich daher nicht darauf beschränken, nur die Betroffenen zu laden, welche die Frage betrifft. Ebenso wie bei § 45 ist für § 46 nicht geregelt, 688

Blankenburg

§ 46

Vorprüfungstermin

dass auch der Schuldner und der Restrukturierungsbeauftragte zu laden sind. Dies scheint ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers zu sein, da die Anwesenheit des Schuldners zwingend erforderlich erscheint, um ggf. seine Fragen noch im Termin präzisieren zu können. Auch die Anwesenheit des Restrukturierungsbeauftragten ist zumindest sinnvoll, in den Fällen des § 73 Abs. 3 sogar zwingend geboten. Daher sollten auch diese beiden Personen grundsätzlich geladen werden. Nach der gesetzlichen Regelung bleibt das Verhältnis von Vorprüfungstermin zu dem Erörterungs- und Abstimmungstermin unklar, insbesondere ob das Gericht gemeinsam mit der Ladung zur Vorprüfung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin laden kann. Dies erscheint nicht sinnvoll, da der Sinn und Zweck des Vorprüfungstermins ist, dass über dem Verfahren nicht der bereits angesetzte Abstimmungstermin als Damoklesschwert schwebt. Grundsätzlich sollte daher noch nicht zum einem Erörterungs- und Abstimmungstermin geladen werden. 3.

18

Termin

Hinsichtlich der Teilnahmeberechtigung, Protokollierung und dem allgemeinen Ablauf des Termins wird auf die Ausführungen zu § 45 verwiesen (siehe dazu § 45 Rz. 31 ff.). Im Folgenden werden nur die Besonderheiten des Vorprüfungstermins dargestellt.

19

Sollte sich weiterer Klärungsbedarf ergeben, könnte der Schuldner im Vorprüfungstermin weitere Fragen an das Gericht richten. Gegen die Zulässigkeit solcher Fragen spricht, dass diese dann nicht in der Ladung aufgeführt sind und ggf. die von diesen Fragen betroffenen Beteiligten nicht zum Termin erschienen sind. Es fehlte dann eine Gelegenheit zum rechtlichen Gehör. Indes ist zu beachten, dass ein möglicher Hinweisbeschluss keine Bindungswirkung hat (siehe dazu Rz. 24). Es entsteht für die nichtanwesenden Beteiligten daher kein Nachteil, wenn noch nachträglich Fragen zugelassen werden. Sie können dann ggf. im Erörterungstermin zu den aufgeworfenen Fragen Stellung nehmen.

20

Das Gericht ist gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 grundsätzlich befugt, Sachverständige und Zeugen heranzuziehen (siehe dazu § 39 Rz. 10 ff.). Ist daher eine Frage des Schuldners nur mit sachverständiger Hilfe zu lösen, kann das Gericht diese bereits im Vorfeld des Vorprüfungstermins beauftragen.

21

Sollten weitere Ermittlungen erforderlich sein, um auf die Frage abschließend im Hinweisbeschluss zu antworten, kann der Termin vertagt werden.

22

4.

Hinweisbeschluss (Abs. 2)

Gemäß § 46 Abs. 2 hat das Gericht das Ergebnis der Vorprüfung in einem Hinweisbeschluss zusammenzufassen. Der Beschluss muss gemäß § 38 StaRUG i. V. m. § 329 Abs. 1 Satz 1 ZPO aufgrund der mündlichen Verhandlung verkündet werden. Dies erfolgt gemäß § 310 Abs. 1 Satz 1 ZPO entweder im Vorprüfungstermin oder in einem sofort anzuberaumenden gesonderten Verkündungstermin. Für die Zeit zwischen dem Termin und dem Verkündungstermin macht § 46 anders als § 48 keine Vorgaben.

23

Gegen den Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben. Fraglich ist daher die Bindungswirkung. Grundsätzlich ist bei Hinweisbeschlüssen immanent, dass sie für das Gericht keine Bindung entfalten. Sie dienen lediglich dazu, dass sich die Beteiligten

24

Blankenburg

689

§ 46

Vorprüfungstermin

auf die Rechtsauffassung des Gerichts einstellen und ggf. weiter vortragen können. Gleiches gilt auch für den Hinweisbeschluss gemäß § 46 Abs. 2.9) Würde eine Bindung eintreten, würde die Beschwerdemöglichkeit der Planbetroffenen entwertet. Nur wenn gegen den Hinweisbeschluss ein Rechtsmittel eröffnet wäre, könnte eine Bindungswirkung angenommen werden. 25

Mangels Bindungswirkung wird der Wert des Hinweisbeschlusses für die Beteiligten erheblich entwertet. Sie können nicht sicher sein, dass das Gericht auch im Erörterungs- und Abstimmungstermin bei der Auffassung verbleibt. Insbesondere wenn aufgrund von Vertretung oder eines Dezernatswechsels die Person des Richters nicht identisch ist, sind Abweichungen auch praktisch denkbar. Diese fehlende Bindungswirkung lässt an dem Sinn eines Vorprüfungstermins zweifeln. Da die Ladung nicht nur auf die von der Frage betroffenen Beteiligten beschränkt werden kann, dürfte die Durchführung eines solchen Termins in Verfahren mit einer Vielzahl von Beteiligten einen erheblichen Aufwand nach sich ziehen. Gerade in diesen Verfahren bietet es sich für das Gericht an, die Ladung auf den Schuldner zu übertragen, da Ladungsmängel aufgrund der mangelnden Bindungswirkung nicht relevant sind. Dann ist der Schuldner aber mit einem erheblichen Aufwand und ggf. auch erheblichen Kosten belastet. IV. Vorprüfung von Amts wegen (Abs. 3)

26

Wenn das Restrukturierungsgericht von sich aus erkennt, dass bestimmte Punkte, die Gegenstand eines Vorprüfungstermins nach § 46 Abs. 1 sein könnten, streitig oder zweifelhaft sind und einer umfangreicheren Erörterung bedürfen, kann das Gericht einen gesonderten Vorprüfungstermin auch von Amts wegen anberaumen, um den späteren Abstimmungstermin zu entlasten.10) Für erforderlich wird das Gericht den Termin in der Regel nur dann ansehen, wenn Zweifel an bereits im Vorfeld getätigten Äußerungen der Beteiligten bestehen und Nachbesserungsbedarf gesehen wird. Nur dann ist es sinnvoll, die Fragen außerhalb des eigentlichen Erörterungstermins zu stellen.

27

Hinsichtlich des Termins von Amts wegen gelten die oben dargestellten Grundsätze, soweit im Folgenden nichts anderes dargestellt wird.

28

Erfolgt eine Prüfung von Amts wegen, muss das Gericht die zu erörternden Fragen selbst formulieren und in der Ladung mitteilen. Das Gericht sollte nur solche Fragen stellen, für die es einen Erörterungsbedarf sieht. Es muss nach § 46 Abs. 3 Satz 1 zweckmäßig sein. Es darf daher kein milderes, insbesondere kostengünstigeres Mittel vorhanden sein. Als ein milderes Mittel kommt ein unmittelbarer Hinweisbeschluss ohne eine terminliche Vorprüfung in Betracht. Auch wenn eine explizite Regelung im StaRUG nicht vorhanden ist, muss ein solcher Hinweisbeschluss dem Restrukturierungsgericht bei solchen Fragen möglich sein, bei denen eine Erörterung nicht erforderlich ist, insbesondere weil es sich allein um rechtliche Fragen handelt. Da der Schuldner die Möglichkeit hat, eine Erörterung über den Antrag zu erzwingen _____________ 9) Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 46 Rz. 24; Braun-Hirte, StaRUG, § 46 Rz. 8; Pannen/ Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 46 Rz. 9; Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2681. 10) So Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 148.

690

Blankenburg

§ 47

Antrag

und auch keine rechtliche Bindung eintritt, ist es rechtlich unbedenklich, wenn keine Anhörung vorausgeht. Nicht geregelt ist die Frage, ob das Gericht auch bei Fragen von Amts wegen die Zustellung auf den Schuldner übertragen darf. Da § 46 Abs. 1 Satz 3 auch für die amtswegige Anhörung gilt, ist eine Übertragung grundsätzlich möglich. Das Gericht sollte aus Kostengesichtsgründen allerdings immer prüfen, ob nicht auf eine Anhörung verzichtet werden kann.

29

V. Haftung des Gerichts Nach Vallender soll für einen Hinweisbeschluss eine Haftung des Gerichts nach Art. 34 GG i. V. m. § 839 BGB in Betracht kommen, da insoweit das Spruchrichterprivileg nicht gelte.11) Dies erscheint aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG zweifelhaft. Danach ist die Bestätigung eines Insolvenzplans der rechtsprechenden Gewalt zugeordnet.12) Daher wird auch für die Bestätigung des Restrukturierungsplans das Spruchrichterprivileg eingreifen. Da der Hinweisbeschluss ein Minus zur Bestätigung darstellt, ist das Privileg auch auf diesen anzuwenden. _____________ 11) Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2681. 12) BVerfG, Beschl. v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, Rz. 49, ZIP 2021, 46, 50.

Abschnitt 3 Vorprüfung § 47 Antrag Blankenburg

1

Auf Antrag des Schuldners führt das Restrukturierungsgericht auch dann eine Vorprüfung durch, wenn der Restrukturierungsplan nicht im gerichtlichen Verfahren zur Abstimmung gebracht werden soll. 2Gegenstand einer solchen Vorprüfung kann jede Frage sein, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich ist. 3Neben den in § 46 Absatz 1 Satz 2 genannten Gegenständen können dies insbesondere auch die Anforderungen sein, die an das Planabstimmungsverfahren nach den §§ 17 bis 22 zu stellen sind. Literatur: Deppenkemper, Ziel erreicht? Außergerichtliche Sanierung bereits ab 1.1.2021!, ZIP 2020, 2432; Vallender, Aufgaben und Befugnisse des Restrukturierungsgerichts nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Teil 2), ZInsO 2020, 2677. Übersicht I. II. III. 1. 2.

Normzweck ........................................... Normhistorie ........................................ Vorprüfung Voraussetzungen ............ Antrag .................................................... Vorprüfungsgegenstände ......................

1 3 4 5 7

3.

a) Mögliche Gegenstände .................. 7 b) Formulierung der Fragestellung .......................................... 10 c) Erheblichkeit ................................ 11 Entscheidung über die Zulässigkeit ... 12

Blankenburg

691

30

§ 47 I.

Antrag

Normzweck

1

Die Vorprüfung nach den §§ 47 – 48 ist nach § 29 Abs. 2 Nr. 2 ein eigenes Instrument des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens. Dieses Verfahren ist vom Gesetzgeber für die Fälle gedacht, bei denen keine gerichtliche, sondern eine privatautonom organisierte Abstimmung erfolgt.1) Den Beteiligten soll in diesen Fallkonstellationen bereits vor dem Antrag auf gerichtliche Bestätigung die Möglichkeit eröffnet werden, mit dem Gericht zwischen den Beteiligten streitige Punkte zu klären. Unklar bleibt nach dem Wortlaut, ob die Norm auch im Vorfeld einer gerichtlichen Abstimmung Anwendung finden kann.

2

Unklar ist die Reichweite des § 47. Aus dem Wortlaut könnte herausgelesen werden, dass bereits ein konkreter Plan erstellt worden sein muss. Indes kann ein Antrag in jeder Phase nach der Anzeige gemäß § 31 gestellt werden. Da nach der Konzeption des Gesetzgebers die Anzeige bereits zu Beginn der Verhandlungen gestellt werden kann, muss zu diesem Zeitpunkt noch kein Plan erstellt sein. Ein Konzept reicht insoweit aus. Daher kann für die Vorprüfung gemäß § 47 noch nicht die Vorlage eines Plans gefordert werden, auch wenn damit ein weites Feld für die Vorprüfung eröffnet wird.2) II. Normhistorie

3

Die Norm ist bis auf die Anpassung der Verweisungen im Gesetzgebungsverfahren unberührt geblieben. Im RefE3) war die Norm als § 47, im RegE4) dann als § 49 bezeichnet worden. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses5) hat die Norm dann die endgültige Nummerierung erhalten. Ebenso wie § 46 setzt die Norm einen Teil der in Art. 9 Restrukturierungsrichtlinie6) aufgestellten Voraussetzungen für die Annahme von Restrukturierungsplänen um. Nach Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 2 Restrukturierungsrichtlinie wird es den Mitgliedstaaten ermöglicht, die Festsetzung der Stimmrechte und die Bildung der Klassen bereits zu einem früheren Zeitpunkt als der Planbestätigung zu prüfen und zu bestätigen. III. Vorprüfung Voraussetzungen

4

Während in § 47 die Voraussetzungen für das Verfahren geregelt sind, ist in § 48 der Ablauf des Verfahrens normiert. _____________ 1) 2) 3)

4) 5) 6)

692

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 148. Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2438, sieht daher die Vorprüfung als schrankenlos an. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

Blankenburg

§ 47

Antrag

1.

Antrag

Voraussetzung für die Durchführung des Vorprüfungstermins ist ein Antrag des Schuldners. Weder den Planbetroffenen noch dem Restrukturierungsbeauftragten steht ein Antragsrecht zu.7) Auch eine Bestimmung von Amts wegen ist im Gegensatz zu § 46 nicht möglich.

5

Der Antrag muss formell mindestens eine zulässige Vorfrage enthalten (siehe dazu Rz. 7). Weitere Voraussetzungen normiert § 47 nicht. Da die Vorfragen bereits während der Planerstellungsphase gestellt werden können, wird zu diesem Zeitpunkt noch kein ausgearbeiteter Plan vorliegen. Der Schuldner ist daher nicht verpflichtet, einen Restrukturierungsplan oder ein Konzept mit einzureichen.8) Soweit gefordert wird, dass der Schuldner die Anschriften der potentiellen Planbetroffenen miteinzureichen habe,9) ist dies zwar für die Zustellung wünschenswert, wäre rechtlich aber nicht unmittelbar durchsetzbar. Der Schuldner ist gemäß § 39 Abs. 2 allerdings verpflichtet, dem Gericht die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und es bei der Erfüllung der Aufgaben zu unterstützen. Weigert sich der Schuldner, diese Pflichten zu erfüllen, kommt eine Aufhebung der Restrukturierungssache gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 2 in Betracht. Ist der Schuldner unwillig, mit dem Gericht zusammenzuarbeiten, kann davon ausgegangen werden, dass das angezeigte Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat.

6

2.

Vorprüfungsgegenstände

a) Mögliche Gegenstände Nach § 47 Satz 2 kann Gegenstand der Vorprüfung jede Frage sein, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich ist. Soweit auf die Gegenstände gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 Bezug genommen wird, kann auf die dortige Kommentierung verwiesen werden (siehe dazu § 46 Rz. 8 ff.).

7

Zusätzlich verweist § 47 Satz 2 aber noch auf die Anforderungen an das außergerichtliche Planabstimmungsverfahren nach den §§ 17 – 22. Da der Gesetzgeber keine Einschränkungen vorgenommen hat, kann der Schuldner grundsätzlich jeder Frage dazu stellen, ob ein etwaiges Planangebot den Anforderungen des § 17 entspricht, ob eine hinreichende Annahmefrist gemäß § 19 gesetzt wurde, wie die Abstimmung nach § 20 zu erfolgen hat, ob und wie ein Erörterungstermin zu erfolgen hat und wie die Dokumentation der Abstimmung rechtssicher erfolgen kann. Gerade bei den Fragen zum Ablauf des Erörterungs- und Abstimmungstermins wird das Restrukturierungsgericht darauf zu achten haben, dass es nur für die Beantwortung von Rechtsfragen zuständig ist und keine Auskunft zur praktischen Handhabung geben muss.

8

Ebenso wie bei der Vorprüfung gemäß § 46 ist der Schuldner nicht auf die Stellung einer Frage beschränkt. Vielmehr können auch mehrere Fragen gleichzeitig in dem Antrag gestellt werden (siehe dazu § 46 Rz. 5).10)

9

_____________ 7) Wohl auch Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 47 Rz. 1; Braun-Hirte, StaRUG, § 47 Rz. 2; a. A. Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 47 Rz. 2. 8) Wohl auch Vallender, ZInsO 2020, 2678, 2680, der die Beifügung eines Entwurfs empfiehlt. 9) So Vallender, ZInsO 2020, 2678, 2680. 10) Ebenso Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 47 Rz. 4.

Blankenburg

693

§ 48

Verfahren

b) Formulierung der Fragestellung 10

Unklar ist, wie konkret der Schuldner die Frage formulieren muss. Damit das Gericht keine allgemeine Rechtsberatung vornehmen muss, ist es erforderlich, dass die Frage einen konkreten Sachverhalt mitteilt, den das Gericht prüfen soll (z. B. „Darf Herr X mit seiner Forderung in den Plan einbezogen werden?“). Offene Fragestellungen sind nicht zulässig z. B. „Dürfen Forderungen von Arbeitnehmern in den Plan mit einbezogen werden?“). Wünschenswert, aber nicht zwingend erforderlich ist eine rechtliche Einordnung des Problems („Steht § 4 Nr. 1 der Einbeziehung der Forderung des Arbeitsnehmers X entgegen?“).11) c) Erheblichkeit

11

Die Frage muss zudem erheblich für die Planbestätigung sein. Der Begriff wird durch das Gesetz nicht definiert. Erheblich ist die Frage dann, wenn die Antwort des Gerichtes Auswirkung auf die Plangestaltung hat und sich ggfs. auf das Abstimmungsergebnis auswirken wird. Es muss daher ein hinreichender Sachverhaltsbezug zum konkreten Sanierungsverfahren bestehen. Wird nach der Einbeziehung von arbeitnehmerähnlichen Forderungen gefragt, müssen solche Forderungen auch im Geschäftsbetrieb des Schuldners vorhanden sein. Soweit gefordert wird, dass der Schuldner subjektiv die Absicht haben müsse, den Plan einreichen zu wollen,12) ist die kein besonders zu prüfendes Kriterium. Bereits aus der Stellung der Anzeige und der damit verbundenen Einreichung eines Planentwurfs oder Konzepts wurde die Absicht hinreichend zum Ausdruck gebracht. 3.

Entscheidung über die Zulässigkeit

12

Liegt ein Antrag auf Durchführung eines Vorprüfungstermins vor, hat das Gericht zu prüfen, ob dieser durch den Schuldner gestellt wurde und ob dieser Antrag mindestens eine zulässige Frage beinhaltet. Fehlt es daran, ist der Antrag durch Beschluss als unzulässig zurückzuweisen. Ein Rechtsmittel ist dagegen nicht gegeben.

13

Das weitere Verfahren bestimmt sich nach § 48. _____________ 11) Ähnlich Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 47 Rz. 10. 12) So Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 47 Rz. 11.

§ 48 Verfahren Blankenburg

(1) Die von der Vorprüfungsfrage berührten Planbetroffenen sind anzuhören. (2) 1Das Ergebnis der Vorprüfung fasst das Gericht in einem Hinweis zusammen. 2 Der Hinweis soll innerhalb von zwei Wochen nach Antragstellung oder, sofern ein Anhörungstermin stattfindet, innerhalb von zwei Wochen nach diesem Termin ergehen. 3Für die Ladung zu dem Anhörungstermin gelten § 45 Absatz 3 und § 46 Absatz 1 Satz 3 entsprechend.

694

Blankenburg

§ 48

Verfahren Übersicht I. II. III. 1.

Normzweck ........................................... 1 Normhistorie ........................................ 2 Abhörung (Abs. 1) ............................... 3 Anhörungstermin .................................. 4 a) Terminbestimmung ....................... 4 b) Ladung ............................................ 6 c) Durchführung des Termins ......... 10

I.

Normzweck

2. IV. 1. 2. 3. 4.

Schriftliche Anhörung ........................ 11 Hinweisbeschluss (Abs. 2) ................. 13 Inhalt .................................................... 13 Verkündung ......................................... 15 Zeitraum ............................................... 17 Rechtsmittel ......................................... 18

Die Norm regelt das Verfahren, wenn ein zulässiger Antrag auf Vorprüfung gestellt wurde. § 48 sieht anders als § 46 nicht obligatorisch einen Präsenztermin vor, sondern überlässt dem Gericht die Auswahl, wie eine Anhörung der Planbetroffenen zu erfolgen hat.1) Entscheidet sich das Gericht für einen Termin, wird auf die entsprechenden Regelungen in den §§ 45, 46 verwiesen. Die Anhörung dient der Informationsgewinnung durch das Gericht.2)

1

II. Normhistorie Die Norm ist bis auf die Anpassung der Verweisungen im Gesetzgebungsverfahren unberührt geblieben. Im RefE3) war die Norm als § 49, im RegE4) dann als § 50 bezeichnet worden. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses5) hat die Norm dann die endgültige Nummerierung erhalten. Ebenso wie § 46 setzt die Norm einen Teil der in Art. 9 Restrukturierungsrichtlinie6) aufgestellten Voraussetzungen für die Annahme von Restrukturierungsplanen um. Nach Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 2 der Restrukturierungsrichtlinie wird es den Mitgliedstaaten ermöglicht, die Festsetzung der Stimmrechte und die Bildung der Klassen bereits zu einem früheren Zeitpunkt als der Planbestätigung zu prüfen und zu bestätigen.

2

III. Abhörung (Abs. 1) Nach § 48 Abs. 1 sind die Planbetroffenen zu der Vorprüfungsfrage anzuhören. Das Anhörungsverfahren selbst ist nicht explizit in § 48 geregelt. Aus der Formulierung „sofern ein Anhörungstermin stattfindet“ des § 48 Abs. 2 Satz 2 ergibt sich allerdings, dass es in das Ermessen des Gerichts gestellt ist, ob ein Termin stattfin_____________ 1) 2) 3)

4) 5) 6)

Ebenso Braun-Hirte, StaRUG, § 48 Rz. 3. So auch Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 149; dazu auch Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 48 Rz. 2. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

Blankenburg

695

3

§ 48

Verfahren

det oder eine andere Art der Anhörung.7) Da sämtliche Planbetroffene, deren Rechtsstellung von der Frage berührt wird, anzuhören sind, wird eine andere Art als eine schriftliche Anhörung kaum in Betracht kommen.8) 1.

Anhörungstermin

a) Terminbestimmung 4

Entscheidet sich das Restrukturierungsgericht für einen Anhörungstermin, bedarf es einer Bestimmung des Termins. § 48 enthält allerdings keine Regelung dazu, innerhalb welchen Zeitraums der Termin zu bestimmen ist. Aus § 48 Abs. 2 Satz 3 kann nur entnommen werden, dass der Hinweisbeschluss zeitnah nach dem Termin ergehen soll. Auch die Verweisung auf § 45 Abs. 3 und § 46 Abs. 1 Satz 3 führt nicht weiter, da insoweit nur auf die Zustellungsnormen, nicht hingegen auf die Ladungsfristen (§ 45 Abs. 1 Satz 2 oder § 46 Abs. 1 Satz 4) verwiesen wird. Da ein Hinweisbeschluss bei einer schriftlichen Anhörung innerhalb von zwei Wochen seit der Antragstellung ergehen soll, kann dieser Bestimmung entnommen werden, dass das Verfahren möglichst schnell betrieben werden soll. Daher ist das Restrukturierungsgericht auch bei einer mündlichen Anhörung gehalten, zeitnah einen Termin zu bestimmen. Ist dies nicht möglich, sollte auf eine schriftliche Anhörung ausgewichen werden.

5

Angemessen ist eine Terminierung innerhalb einer Frist von zwei bis drei Wochen. Da die Stabilisierungsmaßnahmen nur für drei Monate erfolgen sollen, verbliebe nach einem Hinweis innerhalb von zwei Wochen nach dem Termin noch eine Nachbesserungsphase von sechs Wochen, bis ein Plan vorgelegt werden muss, um zu einer Verlängerung der Anordnung zu kommen. Längere Fristen sind zu vermeiden. b) Ladung

6

Für die Ladung zu dem Termin gelten die § 45 Abs. 3 und § 46 Abs. 1 Satz 3 entsprechend. Insoweit kann grundsätzlich auf die Ausführungen zu § 45 Abs. 3 und § 46 Abs. 1 Satz 3 verwiesen werden (siehe dazu § 45 Rz. 15 ff., § 46 Rz. 16 ff.).

7

Hinsichtlich des Adressatenkreises ergibt sich ein Spannungsverhältnis zwischen § 48 Abs. 1 und § 45 Abs. 3. Nach § 45 Abs. 3 Satz 1 sind grundsätzlich alle Planbeteiligten zu laden, nach § 48 Abs. 1 müssen hingegen nur die von der Vorfrage Planbetroffenen angehört werden. Betrifft daher eine Frage nur abgrenzbar eine Gruppe der Beteiligten, müssen nur diese angehört werden. Insoweit hat dann auch nur die Ladung dieser Planbetroffenen zu erfolgen, da es sinnfrei wäre, in diesem Fall sämtliche Planbetroffene zu laden.

8

Über den Verweis auf § 45 Abs. 2 Satz 3 ist es dem Gericht möglich, die Ladung auf den Schuldner zu übertragen. Erforderlich ist dafür aber, dass das Gericht dann bereits einen Kostenvorschuss gemäß § 13a GKG angefordert hat. Im Rahmen der Anforderung für den Kostenvorschuss wird das Gericht auch prüfen müssen, welche _____________ 7) 8)

696

So auch Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 149; Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 48 Rz. 5; Braun-Hirte, StaRUG, § 48 Rz. 3. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 149 „Es liegt im Ermessen des Gerichts, ob es einen Anhörungstermin ansetzt oder die Anhörung schriftlich vornimmt.“

Blankenburg

§ 48

Verfahren

weiteren Kosten neben der Zustellung anfallen, die dann mit eingefordert werden müssen. Der Schuldner und der Restrukturierungsbeauftragte sollten ebenfalls geladen werden (siehe ausführlich § 45 Rz. 18).

9

c) Durchführung des Termins Da es keine gesetzlichen Vorgaben zum Verfahrensablauf des Vorprüfungstermins gibt und lediglich ein Hinweisbeschluss erlassen wird, ist das Gericht freier als bei § 45 in der Gestaltung des Termins. Hinsichtlich der Teilnahmeberechtigung, Protokollierung und dem allgemeinen Ablauf des Termins wird auf die Ausführungen zu § 45 verwiesen (siehe dazu § 45 Rz. 39 ff.). Das Gericht kann dann im Termin mit den erschienen Gläubigern die aufgeworfenen Fragen diskutieren. 2.

10

Schriftliche Anhörung

Entscheidet sich das Restrukturierungsgericht für eine schriftliche Anhörung, ist Eile geboten. Bereits zwei Wochen nach der Stellung des Antrags auf Vorprüfung soll bereits der Hinweisbeschluss ergehen. Um die Anhörung gemäß § 48 Abs. 1 zu gewährleisten, müssen sämtliche durch die Vorfrage berührte Planbetroffene angeschrieben und zur Stellungnahme aufgefordert werden. Diese Frist für eine Stellungnahme wird nicht mehr als eine Woche betragen können. Um die Postlaufzeiten abfangen zu können, empfiehlt es sich, nur drei Tage zur Stellungnahme zu setzen, wenn es sich nicht um eine besonders komplexe Frage handelt.

11

Aufgrund dieser Eile im Verfahren sollte das Restrukturierungsgericht nur dann eine schriftliche Anhörung vornehmen, wenn die Vorfrage nicht zu komplex und der zugrunde liegende Sachverhalt überschaubar ist. Anderenfalls sollte ein mündlicher Termin stattfinden, bei dem dann auch komplexere Fragen diskutiert werden können.

12

IV. Hinweisbeschluss (Abs. 2) 1.

Inhalt

Gemäß § 48 Abs. 2 hat das Gericht das Ergebnis der Vorprüfung in einem Hinweisbeschluss zusammenzufassen. Es hat sämtliche zulässige Fragen des Schuldners zu beantworten. Es ist berechtigt, die Fragen des Schuldners auszulegen und ggfs. in klargestellter Weise zu beantworten. Das Gericht ist nicht verpflichtet, ein umfassendes Rechtsgutachten zu den aufgeworfenen Fragen zu erstellen.9) Allerdings sollten die einschlägigen Normen mit angegeben werden, damit der Schuldner den gerichtlichen Hinweis nachvollziehen kann.

13

Das Gericht ist nicht verpflichtet, von sich aus gemäß § 38 StaRUG i. V. m. § 139 ZPO auf etwaige Bedenken bei der Planerstellung hinzuweisen.10) Die entsprechende Hinweispflicht ergibt sich nur im Rahmen der gerichtlichen Planabstimmung gemäß § 46 Abs. 3. Entscheidet sich der Schuldner für eine außergerichtliche Abstimmung oder für Vorfragen vor einem Antrag nach § 46, verbleibt das Risiko einer späteren Ablehnung der Planbestätigung beim Schuldner. Anderenfalls wäre das Gericht bei

14

_____________ 9) So auch Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 47 Rz. 13. 10) So aber Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 47 Rz. 12.

Blankenburg

697

§ 49

Stabilisierungsanordnung

jeder Frage nach § 47 verpflichtet, eine umfassende Prüfung des Plans vorzunehmen, um zumindest auf offenkundige Probleme hinzuweisen. Eine solche Prüfpflicht wollte der Gesetzgeber jedoch gerade nicht normieren. 2.

Verkündung

15

Nur wenn es zu einem mündlichen Termin gekommen ist, muss der Beschluss gemäß § 38 StaRUG i. V. m. § 329 Abs. 1 Satz 1 ZPO verkündet werden. Dies erfolgt gemäß § 310 Abs. 1 Satz 1 ZPO entweder im Vorprüfungstermin oder in einem sofort anzuberaumenden gesonderten Verkündungstermin.

16

Ohne mündlichen Termin kann der Hinweisbeschluss an die Beteiligten zugestellt werden. Dies kann durch die Aufgabe zur Post erfolgen (siehe dazu § 41 Rz. 18 ff.). 3.

17

Anders als § 46 macht § 48 zu dem Zeitraum, der bis zum Hinweisbeschluss verstreichen darf, konkrete Angaben. Nach § 48 Abs. 2 Satz 2 soll der Hinweis innerhalb von zwei Wochen nach dem Termin erfolgen oder wenn kein Termin bestimmt wurde, nach der Antragstellung (siehe dazu Rz. 11 f.). Bei einer Vielzahl von Vorfragen oder einer hohen Komplexität kann auch eine längere Frist in Betracht kommen.11) Auch in diesen Fällen gilt aber der Grundsatz des beschleunigten Verfahrens, so dass nur eine kurze Fristüberschreitung möglich ist. 4.

18

Zeitraum

Rechtsmittel

Gegen den Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben. Zur Bindungswirkung siehe § 46 Rz. 24 ff. _____________ 11) Ebenso Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 48 Rz. 12; Braun-Hirte, StaRUG, § 48 Rz. 7.

Abschnitt 4 Stabilisierung § 49 Stabilisierungsanordnung Boss/Luttmann

(1) Soweit dies zur Wahrung der Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels erforderlich ist, ordnet das Restrukturierungsgericht auf Antrag des Schuldners an, dass 1.

Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagt oder einstweilen eingestellt werden (Vollstreckungssperre) und

2.

Rechte an Gegenständen des beweglichen Vermögens, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Ab- oder Aussonderungsrecht geltend gemacht werden könnten, von dem Gläubiger nicht durchgesetzt werden dürfen und dass solche Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners eingesetzt werden können, soweit sie hierfür von erheblicher Bedeutung sind (Verwertungssperre).

698

Boss/Luttmann

§ 49

Stabilisierungsanordnung

(2) 1Forderungen, die nach § 4 einer Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan unzugänglich sind, bleiben von einer Anordnung nach Absatz 1 und deren vertragsrechtlichen Wirkungen unberührt. 2Die Anordnung kann sich im Übrigen gegen einzelne, mehrere oder alle Gläubiger richten. (3) Die Anordnung nach Absatz 1 kann auch das Recht von Gläubigern zur Durchsetzung von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 2 Absatz 4) sperren. Literatur: Brinkmann/Luttmann, Halbierung der insolvenzrechtlichen Anfechtung gegen Krankenkassen? § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV n. F. – ein Scheinriese!, ZIP 2008, 901; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Frege, Gläubigerrechte beim gerichtlichen Einziehungs- und Verwertungsverbot im vorläufigen Insolvenzverfahren, InsVZ 2010, 81; Freitag, Unternehmenskredit und Zahlungsverzug, ZIP 2015, 1805; Frind, Überreguliert statt saniert?, ZInsO 2020, 2241; Hoegen/Kranz, Neue Möglichkeiten der Konzernsanierung durch SanInsFoG und StaRUG, NZI 2021, 105; Hofmann, Vertragsbeendigung nach §§ 49 ff. StaRUG-E – praktisches Sanierungstool oder untaugliches Ungetüm?, NZI 2020, 871; Jacobi, Das Präventive Restrukturierungsverfahren, ZInsO 2017, 1; Morvilius, Die Zwangshypothek und die Arresthypothek, FPR 2013, 382; Müller, Die Umsetzung der EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, ZIP 2020, 2253; Riggert, Allgemeine Grundsätze der Stabilisierung nach dem StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 40; Roth, Der Rechtshängigkeitsvermerk als Sicherungsmittel im Grundbuch, NJWSpezial 2010, 359; Skauradszun, Neuralgische Punkte der Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG, ZRI 2020, 625; Skauradszun, Die Restrukturierungsrichtlinie und das „verschwitzte“ internationale Zivilverfahrensrecht, ZIP 2019, 1501; Steder, Erfasst eine Anordnung gem. § 21 II Nr. 3 InsO das Verfahren zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung nach §§ 807, 899 ff. ZPO, NZI 2000, 456; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und –restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Voßkuhle, Grundwissen – Öffentliches Recht: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, JuS 2007, 429; Westpfahl/Dittmar, Die Behandlung gruppeninterner Sicherheiten im StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 46; Zuleger, Kreditsicherheiten nach dem StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 43. Übersicht I. Norminhalt/-zweck ............................. 1 II. Vorbemerkungen ................................. 7 1. Ausgleich divergierender verfassungsrechtlich geschützter Interessen .......... 7 a) Abstandsgebot ............................... 8 b) Fortbestand von Vertragsbeziehungen ................................. 10 2. Eingeschränkte gerichtliche Kontrolldichte ..................................... 11 III. Zuständigkeit ..................................... 13 IV. Antragserfordernis/Antragsberechtigung .................. 14 V. Erforderlichkeit (Abs. 1) ................... 15 VI. Stabilisierungsanordnungen (Abs. 1) ................................................ 19 1. Vollstreckungssperre (Abs. 1 Nr. 1) .... 20 a) Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ......................................... 21 aa) Aufrechnung ................................ 22 bb) Verrechnung ................................. 23 cc) Ansprüche nach dem AnfG ............................................. 25

2.

dd) Vollstreckungsmaßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ...... 27 ee) Eidesstattliche Versicherung ....... 28 ff) Rechtshängigkeitsvermerk .......... 29 b) Immobiliarvollstreckung ............. 30 aa) Zwangsversteigerungsverfahren: Anordnungskompetenz des Restrukturierungsgerichts/Vollzugskompetenz des Vollstreckungsgerichts ................ 31 bb) Zwangsverwaltungsverfahren ...... 33 c) Zivilrechtliche Fälligkeit .............. 36 d) Insolvenzrechtliche Fälligkeit ..... 37 e) Erkenntnisverfahren .................... 39 Verwertungssperre (Abs. 1 Nr. 2) ..... 41 a) Aus- und Absonderungsanwartschaften ............................. 42 b) Einziehungs-, Verarbeitungsund Weiterveräußerungsermächtigungen ............................ 44 c) Nutzung, kein „Verbrauch“ ........ 45 aa) Forderungen ................................. 46

Boss/Luttmann

699

§ 49

3.

I.

Stabilisierungsanordnung

bb) Sonstiges Umlaufvermögen ........ cc) Anlagevermögen .......................... Stabilisierbare Forderungen (Abs. 2, Abs. 3) ................................... a) Bis zur Erstanordnung begründete, (auch) bedingte und nicht fällige „Altforderungen“ ..............

47 48 49 51

b) Zinsen: Altzinsen/Neuzinsen ............................................ 53 c) Personelle Stabilisierbarkeit ........ 57 aa) Einzelne, mehrere, alle Gläubiger ...................................... 58 bb) Gruppeninterne Drittsicherheiten .................................. 59

Norminhalt/-zweck

1

Die §§ 49 – 59 regeln die Stabilisierung. Sie setzen Art. 6 und 7 der Restrukturierungsrichtlinie1) in deutsches Recht um. Die Bestimmungen sind geprägt durch Ausnahmen, Unterausnahmen und Rückausnahmen, welche teils mit unbestimmten Rechtsbegriffen und Wertungsentscheidungen an die befassten Gerichte verknüpft werden2) und in dieser Intensität ein Novum darstellen dürften.3)

2

§ 29 Abs. 2 Nr. 3 definiert Stabilisierung als „gerichtliche Anordnung von Regelungen zur Einschränkung von Maßnahmen der individuellen Rechtsdurchsetzung“. Der Schuldner kann zur Wahrung der Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungziels Stabilisierungsanordnungen beantragen und –

die Vollstreckung in das schuldnerische Vermögen (Vollstreckungssperre) sowie



die Verwertung von Sicherheiten (Verwertungssperre)

verhindern. 3

Die Stabilisierung gibt dem sanierungswilligen und -fähigen Schuldner ein Instrument an die Hand, um in einem vorgegebenen Zeitfenster Restrukturierungsverhandlungen zu führen und einen Restrukturierungsplan auszuarbeiten. Die Höchstdauer der Stabilisierungsanordnung (Anordnungshöchstdauer) ist grundsätzlich auf drei Monate begrenzt (§ 53 Abs. 1);4) zu den Einzelheiten siehe § 53 Rz. 4 ff.

4

Der Gesetzgeber hat sich gegen den ungenauen Begriff des Moratoriums und für den Begriff der „Stabilisierung“ entschieden, um den falschen Eindruck zu vermeiden, stabilisierte Forderungen seien nicht fällig oder unverzinslich.5)

5

Bis zur Erstanordnung entstandene Forderungen – auch Zinsforderungen (siehe Rz. 53) – können unabhängig von ihrer Fälligkeit stabilisiert werden (siehe Rz. 52). Bei der personellen Stabilisierbarkeit (siehe Rz. 57 ff.) hat sich der Gesetzgeber in zweierlei Hinsicht gegen eine 1:1 Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie entschieden: Zum einen kann sich die Stabilisierung nicht nur gegen einzelne, sondern auch gegen mehrere und alle Gläubiger des Schuldners richten (§ 49 Abs. 2 Satz 2); _____________

6

1)

2) 3) 4) 5)

700

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Vgl. Frind, ZInsO 2020, 2241. Vgl. Frind, ZInsO 2020, 2241. Die Anordnungshöchstdauer von drei Monaten gilt auch für Folge- und Neuanordnungen (§ 53 Abs. 2). Thole, ZIP 2020, 1985, 1995.

Boss/Luttmann

§ 49

Stabilisierungsanordnung

siehe Rz. 58. Zum anderen können auch gruppeninterne Drittsicherheiten stabilisiert werden (§ 49 Abs. 3); siehe Rz. 59 ff. II. Vorbemerkungen 1.

Ausgleich divergierender verfassungsrechtlich geschützter Interessen

Die Möglichkeit, Vollstreckungs- und Verwertungsmaßnahmen zu erwirken, greift in divergierende verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen ein, die zum angemessenen Ausgleich zu bringen sind. Dem verfassungsrechtlich geschützten Interesse der Gläubiger an der Forderungsdurchsetzung steht das sozialstaatsrechtliche Interesse der Unternehmenssanierung und der Sicherung dauerhafter Arbeitsplätze ebenso gegenüber wie die über Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Interessen der Anteilseigner und des schuldnerischen Unternehmens selbst.6)

7

a) Abstandsgebot Im eröffneten Insolvenzverfahren sind die gravierenden Eingriffe in Gläubigerrechte gerechtfertigt. Die Gläubiger verschmelzen aufgrund der Insolvenzeröffnungsgründe zu einer Haftungs- und Schicksalsgemeinschaft, die den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG genießt. Der verfassungsrechtliche Schutz des einzelnen Gläubigers geht in dem Schutz der Gläubigergemeinschaft auf und tritt zurück.7) Negativ setzt die Stabilisierung voraus, dass keine zwingenden Insolvenzeröffnungsgründe (Zahlungsunfähigkeit und/oder materielle Überschuldung) vorliegen, während positiv die drohende Zahlungsunfähigkeit erforderlich ist.8) Ein verfassungsrechtliches Abstandsgebot9) zwischen der Eingriffsintensität in Gläubigerrechte bei der Stabilisierung einerseits und im Insolvenzverfahren andererseits ist die Folge.

8

9

b) Fortbestand von Vertragsbeziehungen Der RegE10) sah noch vor, dass das Restrukturierungsgericht auf Antrag des Schuldners einen von dem Schuldner geschlossenen, gegenseitigen, beidseitig nicht erfüllten Vertrag im Falle der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu beenden hat, wenn der Vertragspartner des Schuldners zu einer für das Restrukturierungsvorhaben erforderlichen Vertragsanpassung oder Vertragsbeendigung nicht bereit ist. Dem Vertragspartner sollte ein im Restrukturierungsplan gestaltbarer Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung zustehen. Die an § 103 InsO angelehnten geplanten Bestimmungen zur Vertragsbeendigung sind vielfach kritisiert11) und (zu Recht) ersatzlos gestrichen geworden. Europarechtlich sind Regelungen zur Vertragsbeendigung nicht erforderlich.12) _____________ 6) Vgl. Boss/Luttmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 6 Rz. 4.; vgl. zur Bedeutung des Art. 14 GG auch Jacobi, ZInsO 2017, 1, 6. 7) Vgl. Häsemeyer, InsR, Rz. 2.20; vgl. auch Brinkmann/Luttmann, ZIP 2008, 901, 902; Boss/ Luttmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 6 Rz. 4. 8) Vgl. Boss/Luttmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 6 Rz. 41.; vgl. zur Bedeutung der drohenden Zahlungsunfähigkeit (in Bezug auf die Richtlinie) Jacobi, ZInsO 2017, 1, 6. 9) Auf dieses Abstandsgebebot weist auch der BRat in seiner Empfehlung v. 16.11.2020 hin (Empfehlungen der Ausschüsse z. RegE SanInsFoG, BR-Drucks. 619/1/20, S. 4). 10) RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. 11) Vgl. Bork, ZRI 2020, 457 ff.; Hofmann, NZI 2020, 871, 874. 12) Vgl. Empfehlungen der Ausschüsse z. RegE SanInsFoG, BR-Drucks. 619/1/20, S. 13.

Boss/Luttmann

701

10

§ 49 2.

Stabilisierungsanordnung

Eingeschränkte gerichtliche Kontrolldichte

11

Zuständig für den Erlass von Stabilisierungsanordnungen ist das Restrukturierungsgericht. Die gerichtliche Prüfung beim Anordnungserlass ist beschränkt auf eine Vollständigkeits- und Schlüssigkeitskontrolle (siehe § 51 Rz. 9 ff.). Damit wird sichergestellt, dass Anordnungen nicht erst nach zeitintensiver Einschaltung von Sachverständigen ergehen.13)

12

Die eingeschränkte gerichtliche Kontrolldichte wird dadurch abgemildert, dass –

das Restrukturierungsgericht die Stabilisierungsanordnungen auf Antrag eines betroffenen Gläubigers aufzuheben hat, wenn die Beendigungsgründe des § 59 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 glaubhaft gemacht werden (§ 59 Abs. 2); siehe § 59 Rz. 23 ff.



bei Stabilisierungsanordnungen, die sich gegen alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger richten, von Amts wegen ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt wird, (§ 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2)14), der die Anordnungs- und Aufhebungsvoraussetzungen der Stabilisierung fortlaufend prüft (§ 76 Abs. 3 Nr. 1) und aus eigenem Recht die Aufhebung von Stabilisierungsanordnungen beantragen kann (§ 76 Abs. 3 Nr. 2) und



die Organe des Schuldners den Gläubigern zum Schadensersatz verpflichtet sind, wenn aufgrund vorsätzlicher oder fahrlässiger unrichtiger Angaben Stabilisierungsanordnungen erwirkt werden (§ 57); siehe die Kommentierung zu § 57.

III. Zuständigkeit 13

Zuständig für den Erlass der Stabilisierungsanordnung ist das für die Restrukturierungssache nach § 35 zuständige Restrukturierungsgericht. Es entscheidet über Stabilisierungsanordnungen durch Beschluss (§ 51 Abs. 5 Satz 1). Der Gesetzgeber hat sich (begrüßenswerterweise) gegen eine automatisch eintretende Stabilisierung in Anlehnung an § 88 InsO entschieden. IV. Antragserfordernis/Antragsberechtigung

14

Die Restrukturierungsrichtlinie lässt offen, ob es für Stabilisierungsanordnungen eines gesonderten Antrags bedarf. Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung wurde den Mitgliedstaaten überlassen.15) Der Gesetzgeber hat sich (zu Recht)16) für ein Antragerfordernis entschieden.17) Antragsberechtigt ist der Schuldner. _____________ 13) Vgl. RegE SanInsFoG z. STaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155. 14) Auch dann, wenn von der Stabilisierung alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger des Schuldners betroffen sind, kann das Gericht im Einzelfall von einer Bestellung absehen, wenn die Bestellung zur Wahrung der Rechte der Beteiligten nicht erforderlich oder offensichtlich unverhältnismäßig ist (§ 73 Abs. 1 Satz 2). Generell zur Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten von Amts wegen s. unten § 73. 15) Vgl. Blankenburg in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 6 Rz. 123. 16) Vgl. Blankenburg in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 6 Rz. 126. 17) Eine automatische Stabilisierung verstieße nicht nur gegen das Abstandsgebot zum Insolvenzverfahren, sondern auch gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot i. e. S. (vgl. zum Gedanken des Verhältnismäßigkeitsgebots i. e. S. in Bezug auf § 21 Abs. 2 InsO UhlenbruckVallender, InsO, § 21 Rz. 44).

702

Boss/Luttmann

§ 49

Stabilisierungsanordnung

V. Erforderlichkeit (Abs. 1) Stabilisierungsanordnungen sind zulässig, wenn sie zur Wahrung der Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels erforderlich18) sind.

15

Erforderlich i. S. der verfassungsrechtlichen dreistufigen Verhältnismäßigkeitsprüfung ist eine Maßnahme, wenn kein anderes, gleich geeignetes, weniger belastendes Mittel zur Verfügung steht. Die Zumutbarkeit der Maßnahme wird auf der folgenden Ebene der Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit i. e. S.) geprüft.19) Den Erforderlichkeitsbegriff nur als Wahl des mildesten Mittels zu verstehen, greift zu kurz. Zwar räumt die Restrukturierungsrichtlinie den Mitgliedstaaten in Art. 6 Abs. 4 lit. b die Option ein, die Stabilisierung dann auszuschließen, wenn Gläubiger in unangemessener Weise beeinträchtigt werden.20) Daraus kann jedoch nicht der Umkehrschluss gezogen werden, der deutsche Gesetzgeber könne die Stabilisierung auch ermöglichen, wenn diese die betroffenen Gläubiger in unangemessener Weise beeinträchtigt. Jedes staatliche Handeln unterliegt dem Verhältnismäßigkeitsgebot i. e. S.21) Gerät der Gläubiger durch die Stabilisierung selbst in Gefahr, ein Restrukturierungsverfahren in Anspruch nehmen oder einen Insolvenzantrag stellen zu müssen, hat die Anordnung zu unterbleiben. Gläubiger können nicht verpflichtet werden, ihre eigene wirtschaftliche Existenz zu gefährden, um die ihres Schuldners zu retten. Stabilisierungsanordnungen dienen der Insolvenzvermeidung. Dominoeffekte, die zu weiteren insolvenzbedrohten Unternehmen führen, sind mit diesem Ziel nicht vereinbar.

16

Die Erforderlichkeit umfasst daher alle drei Stufen der Verhältnismäßigkeitsprüfung bestehend aus:

17



Geeignetheit,



Wahl des mildesten Mittels und



Zumutbarkeit.

Eine Klarstellung im Gesetzestext (wie bei § 30g Abs. 1 Satz 2 ZVG n. F.)22) etwa durch die Formulierung „erforderlich und zumutbar“ wäre wünschenswert gewesen. Notwendig ist sie nicht. Das Ergebnis ist mittels verfassungskonformer Auslegung herleitbar.23) _____________ 18) S. zur Erforderlichkeit von Vollstreckungssperren in Bezug auf das Umlaufvermögen Rz. 47 und in Bezug auf das Anlagevermögen Rz. 48. Zur Erforderlichkeit s. a. § 51 Rz. 32 und § 59 Rz. 22. 19) Vgl. Voßkuhle, JuS 2007, 429, 430. 20) Vgl. Boss/Luttmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 6 Rz. 54. 21) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.11.2000 – 1 BvR 1746/00, NJW 2001, 745. 22) Eine solche Klarstellung enthält § 30g Abs. 1 Satz 2 ZVG n. F., nach dem der Antrag, das Zwangsversteigerungsverfahren einstweilen einzustellen, abzulehnen ist, wenn die Einstellung dem betroffenen Gläubiger unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zuzumuten ist. Es ist nicht ersichtlich, weshalb Mobiliar- und Immobiliarvollstreckung unterschiedlich zu behandeln sein sollten. Auch § 30g Abs. 1 Satz 2 ZVG n. F. spricht daher für die Berücksichtigung der Zumutbarkeit (so auch Müller, ZIP 2020, 2253, 2258. 23) So ist auch bei Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren gemäß § 21 Abs. 2 InsO das Zumutbarkeitsgebot zu berücksichtigen (vgl. Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 3 i. V. m. Rz. 43).

Boss/Luttmann

703

18

§ 49

Stabilisierungsanordnung

VI. Stabilisierungsanordnungen (Abs. 1) 19

20

Die Stabilisierung kann bewirkt werden durch –

Vollstreckungssperren (Abs. 1 Nr. 1) und



Verwertungssperren (Abs. 1 Nr. 2).

1.

Vollstreckungssperre (Abs. 1 Nr. 1)

Durch die Anordnung von Vollstreckungssperren können Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagt oder einstweilen eingestellt werden. Der Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 1 ist angelehnt an § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO, verzichtet jedoch auf den Zusatz „soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind“. Dies dient der Klarstellung, dass die Anordnungskompetenz24) von Vollstreckungssperren sowohl in das bewegliche Vermögen als auch das unbewegliche Vermögen25) beim Restrukturierungsgericht liegt. a) Zwangsvollstreckungsmaßnahmen

21

Was unter Vollstreckungsmaßnahmen zu verstehen ist, definiert das Gesetz nicht. Nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Restrukturierungsrichtlinie sind dies Maßnahmen der Einzelvollstreckung, die von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde gewährt werden oder kraft Gesetzes einsetzen.26) aa) Aufrechnung

22

Aufrechnung ist Vollstreckung durch Selbstexekution. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat zum Insolvenzeröffnungsverfahren klargestellt, dass die Zulässigkeit und Unwirksamkeit der Aufrechnung abschließend in den §§ 94 ff. InsO geregelt und die Aufrechnungsmöglichkeit auch durch Anordnungen nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO nicht beschränkt wird.27) Aufgrund des Abstandsgebots zum Insolvenzverfahren dürfte dies erst recht für die Stabilisierung gelten.28) bb) Verrechnung

23

Von der Aufrechnung zu unterscheiden, ist die Verrechnung als automatische wechselseitige Tilgung gegenseitiger Ansprüche aufgrund antizipierender Vorausverfügung.29) Nach § 94 Alt. 2 InsO kann die Aufrechnungsbefugnis zwar auch aus einer Vereinbarung folgen.30) § 94 InsO erfasst aber nur echte Aufrechnungsvereinbarungen, durch welche die Erfüllbarkeit der Hauptforderung, die Fälligkeit der Ge_____________ 24) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 154. 25) Vgl. zur Differenzierung zwischen der Anordnungskompetenz der Restrukturierungsgerichte und der Vollzugskompetenz der Vollstreckungsgerichte bei der Zwangsversteigerung in das unbewegliche Vermögen Rz. 31. 26) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 169; Braun-Riggert, StaRUG, § 49 Rz. 3. 27) Vgl. BGH, Urt. v. 29.6.2004 – IX ZR 195/03, II. 1. a), NJW 2004, 3118; vgl. dazu auch JaegerGerhardt, InsO, § 21 Rz. 62 ff. 28) A. A. Schönfelder in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 62. 29) Vgl. Lohmann/Reichelt in: MünchKomm-InsO, § 94 Rz. 3 und Rz. 65. 30) Vgl. BGH, Urt. v. 15.7.2004 – IX ZR 224/03, II. 2; K. Schmidt-Thole, InsO, § 94 Rz. 24.

704

Boss/Luttmann

§ 49

Stabilisierungsanordnung

genforderung und/oder die Gleichartigkeit31) als Voraussetzungen der gesetzlichen Aufrechnung nach §§ 387 ff. BGB modifiziert werden. Für die Anwendbarkeit des § 94 InsO erforderlich ist stets eine Gestaltungserklärung.32) Da die Verrechnungswirkung automatisch eintritt,33) ist § 94 InsO auf Verrechnungen nicht anwendbar.34) Daraus folgt jedoch nicht, dass Verrechnungsbefugnisse stabilisiert werden können. Dies zeigt das Beispiel des Kontokorrents: Das Kontokorrentverhältnis erlischt gemäß §§ 115, 116 InsO mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Anders als die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat die Stabilisierung keine Auswirkungen auf den Bestand von Vertragsverhältnissen. Sie führt nicht zur Vertragsbeendigung (siehe Rz. 10). Eben dies wäre aber der Fall, könnten (Kontokorrent-)Verrechnungen durch Stabilisierung ausgeschlossen werden.35) Von einer Vollstreckungssperre betroffene Gläubiger dürften daher zur Verrechnung befugt bleiben.36) Dies gilt auch für Konzernverrechnungsklauseln, bei denen dem Forderungsschuldner die Möglichkeit eröffnet wird, mit einer Forderung einer anderen Konzerngesellschaft aufzurechnen.37) Zwar hat der BGH klargestellt, dass das Gegenseitigkeitsverhältnis erst mit der Ausübung der Aufrechnungserklärung begründet wird und die auf eine Konzernverrechnungsklausel gestützte Verrechnungslage daher dann nicht den Schutz des § 94 InsO genießt, wenn die Aufrechnung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärt wird.38) Da es dem Forderungsschuldner jedoch bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens jederzeit ohne Mitwirkung eines Dritten möglich ist, das Gegenseitigkeitsverhältnis durch einseitige Gestaltungserklärung herzustellen, dürfte auch bei Konzernverrechnungsklauseln eine schutzwürdige aufrechnungsähnliche Verrechnungsanwartschaft bestehen, in die aufgrund des Abstandsgebots zum Insolvenzverfahren nicht einzugreifen ist.

_____________ 31) Hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 94 InsO ist die Gegenseitigkeit nicht disponibel (vgl. K. Schmidt-Thole, InsO, § 94 Rz. 27; vgl. auch Rz. 24 im Zusammenhang mit Konzernverrechnungsklauseln. 32) Vgl. BGH, Urt. v. 14.12.2006 – IX ZR 194/05, Rz. 10; K. Schmidt-Thole, InsO, § 94 Rz. 24. 33) Vgl. Lohmann/Reichelt in: MünchKomm, § 94 Rz. 65. 34) § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist jedoch auf Verrechnungen anwendbar BGH, Urt. v. 17.7.2008 – IX ZR 148/97, Rz. 9, ZIP 2008, 1593. 35) Vgl. Schönfelder in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 63, der im Ergebnis gegen eine Stabilisierung von Kontokorrentverrechnung plädiert und zutreffend darauf hinweist, dass der Ausschluss von Kontokorrentverrechnungen durch Stabilisierungsanordnungen kontraproduktiv wäre. 36) Verbleibt nach einer Verrechnung eine Saldoforderung zulasten des Schuldners dürfte diese jedoch einer Vollstreckungssperre unterworfen werden können. Zur Kündigungsmöglichkeit des Kontokorrents nach § 490 Abs. 1 BGB s. § 55 Rz. 21. 37) Durch eine Konzernverrechnungsklausel wird dem Gläubiger eine Befriedigungsmöglichkeit für fremde und nicht für eigene Forderungen eingeräumt (vgl. K. Schmidt-Thole, InsO, § 94 Rz. 27. 38) Vgl. BGH, Urt. v. 13.7.2006 – IX ZR 152/04, Rz. 12, ZIP 2006, 1740.

Boss/Luttmann

705

24

§ 49

Stabilisierungsanordnung

cc) Ansprüche nach dem AnfG 25

Ansprüche nach dem AnfG sind schuldrechtliche Ansprüche, aufgrund derer die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann.39) Sie selbst sind keine Zwangsvollstreckungsmaßnahmen.

26

Aufgrund der Sicherungsfunktion der Ansprüche nach dem AnfG wird zwar vertreten, dass diese in der Insolvenz des Anfechtungsgegners ein Absonderungsrecht vermittelt,40) jedoch richten sich Ansprüche nach dem AnfG gegen den Empfänger des anfechtbar weggegebenen Gegenstandes,41) so dass sie einer Drittsicherheit vergleichbar sind, gegen die sich nur dann eine Stabilisierung richten kann, wenn es sich um eine gruppeninterne Drittsicherheit handelt (§ 49 Abs. 3); siehe Rz. 59 ff. dd) Vollstreckungsmaßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes

27

Der in §§ 916 bis 945 ZPO geregelte einstweilige Rechtsschutz dient der Gläubigersicherung. Er ermöglicht keine Befriedigung.42) Bereits die Pfändung durch Vollziehung eines Arrestbefehls hat jedoch zur Folge, dass der Schuldner über den arrestierten Vermögensgegenstand nicht verfügen kann.43) Die arrestierten Vermögenswerte stehen für die Finanzierung des Schuldners nicht zur Verfügung. Gläubiger könnten den Finanzplan, der die „Durchfinanzierung“ des Schuldners sicherzustellen hat (siehe § 50 Rz. 21), torpedieren, um die Restrukturierungssache zu Fall zu bringen. Diese „offene Flanke“ ist zu schließen. In der Praxis ist der Anwendungsbereich indes gering, da ein Schuldner einer anhängigen Restrukturierungssache regelmäßig über keine nennenswerten unbelasteten Vermögensgegenstände verfügen dürfte. ee) Eidesstattliche Versicherung

28

Bereits zu § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO ist umstritten, ob die einstweilige Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen auch die Erzwingung der Eidesstattlichen Versicherung gemäß § 807 ZPO erfasst.44) Gläubiger müssen jedoch die Möglichkeit haben, die Zeit der Stabilisierungsanordnung zu nutzen, um Vollstreckungsmaßnahmen nach Aufhebung oder Beendigung der Stabilisierung vorzubereiten.45) Die Verpflichtung zur Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung dürfte daher restrukturierungsfest und von der Stabilisierung ausgenommen sein. _____________ 39) Vgl. Kindl/Meller-Hannich-Haertlein, Zwangsvollstreckung, § 11 AnfG Rz. 1. 40) Vgl. Kirchhof in: MünchKomm-AnfG, § 11 Rz. 34 ff. m. N. auch für die Gegenansicht (dort in Fn. 146). 41) Vgl. Kirchhof in: MünchKomm-AnfG, § 11 Rz. 12. 42) Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 916 Rz. 1. 43) Vgl. Jaeger-Gerhard, InsO, § 21 Rz. 40. 44) Verneinend: LG Würzburg, Beschl. v. 21.9.1999 – 9 T 1930/99, NJW-RR 2000, 781; AG Rostock, Beschl. v. 10.1.2000 – 64 M 6512/99, NZI 200, 142. Bejahend: LG Heilbronn, Beschl. v. 26.9.2007 – 1 T 294/07, Rpfleger 2008, 88; Steder, NZI 2000, 456. 45) Vgl. zu dem mit der Aufhebung bzw. Beendigung der Stabilisierung wieder auflebenden Windhundprinzip unten Rz. 40. Dies gilt auch für sonstige Vorbereitungsmaßnahmen der Vollstreckung wie bspw. die Klauselerteilung (vgl. zur Zulässigkeit der Klauselerteilung bei § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO BGH, Beschl. v. 12.12.2007 – VII ZB 108/06, ZIP 2008, 527; vgl. zum Ganzen Braun-Riggert, StaRUG § 49 Rz. 3).

706

Boss/Luttmann

§ 49

Stabilisierungsanordnung

ff) Rechtshängigkeitsvermerk Wird mit einer bereits rechtshängigen Klage die Berichtigung oder die Feststellung der Unrichtigkeit des Grundbuchs begehrt, kann im Grundbuch ein Rechtshängigkeitsvermerk eingetragen werden.46) Der Vermerk hat keine berichtigende, sondern kundgebende Funktion.47) Er begründet kein Veräußerungsverbot, sondern weist Dritte (nur) auf die Möglichkeit einer bevorstehenden Änderung des aus dem Grundbuch ersichtlichen Rechtszustands hinsichtlich des Grundstücks hin,48) um einen gutgläubigen „Wegerwerb“ nach § 325 Abs. 2 ZPO zu verhindern. Die Möglichkeit, eine bestehende Rechtsposition an einem Grundstück durch Eintragung49) eines Rechtshängigkeitsvermerks zu schützen, muss den Gläubigern auch während der Stabilisierung zur Verfügung stehen.

29

b) Immobiliarvollstreckung Besonderheiten bestehen bei der Immobiliarvollstreckung:

30

aa) Zwangsversteigerungsverfahren: Anordnungskompetenz des Restrukturierungsgerichts/Vollzugskompetenz des Vollstreckungsgerichts Mit dem neu eingeführten § 30g ZVG hat der Gesetzgeber die Anordnungskompetenz für den Erlass von Vollstreckungsmaßnahmen in das Immobiliarvermögen des Schuldners für das Zwangsversteigerungsverfahren beim Restrukturierungsgericht angesiedelt. Die vom Restrukturierungsgericht angeordnete Vollstreckungssperre bindet das für den registerrechtlichen Vollzug (Vollzugskompetenz) zuständige Vollstreckungsgericht.

31

Im Eröffnungsverfahren bleiben die Vollstreckungsgerichte für die Untersagung und Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zuständig. § 30d ZVG wurde nicht geändert. Der Gesetzgeber hat das SanInsFoG (bedauerlicherweise) nicht genutzt, um auch im Eröffnungsverfahren die Anordnungskompetenz für Zwangsvollstreckungssperren in das Immobiliarvermögen auf die Insolvenzgerichte zu übertragen.50)

32

bb) Zwangsverwaltungsverfahren Die Immobiliarvollstreckung erfolgt nicht nur durch Zwangsversteigerung, sondern auch durch Zwangsverwaltung (§ 866 Abs. 1 ZPO).

33

Nach dem Wortlaut des § 153b ZVG kann die Einstellung der Zwangsverwaltung nur im eröffneten Insolvenzverfahren beantragt werden. Die h. M. nimmt an, dass § 153b ZVG über die Generalverweisung des § 146 Abs. 1 ZVG auch im Eröffnungsverfahren

34

_____________ 46) 47) 48) 49)

Vgl. KG Berlin, Beschl. v. 20.12.2012 – 1 W 335/12, FGPrax 2013, 102. Vgl. Holzer in: BeckOK-GBO, § 22 Rz. 34. Vgl. Roth, NJW-Spezial 2010, 359. Nach h. M. kann die Eintragung eines Rechtshängigkeitsvermerks durch urkundlichen Nachweis im Verfahren nach §§ 22, 29 GBO erreicht werden vgl. auch m. N. für die Gegenansichten Kindl/Meller-Hannich-Haertlein, Zwangsvollstreckung, § 938 ZPO Rz. 23. 50) Vgl. Boss/Luttmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 6 Rz. 66 i. V. m. Rz. 22.

Boss/Luttmann

707

§ 49

Stabilisierungsanordnung

anwendbar sei.51) Obgleich dem Gesetzgeber die Diskussion zur Anwendbarkeit des § 153b ZVG im Eröffnungsverfahren bekannt gewesen ist, wurden die Auswirkungen von Vollstreckungssperren durch § 30g ZVG nur für das Zwangsversteigerungsund nicht für das Zwangsverwaltungsverfahren geregelt. 35

Da Miet- und Pachtforderungen von der Zwangsverwaltung erfasst werden (§ 148 ZVG),52) hätte die Möglichkeit, auch die Zwangsverwaltung zu stabilisieren, erhebliche Auswirkungen. Zwar bedarf es zur Befriedung aus dem Grundstück durch Miet- und/oder Pachtforderungen im Wege der Zwangsverwaltung eines Titels auf Duldung der Zwangsvollstreckung.53) Über diesen verfügen die Grundpfandgläubiger aber aufgrund der in den Grundschuldbestellungsurkunden enthaltenen Vollstreckungsunterwerfung (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Auch nicht grundpfandrechtlich besicherte Gläubiger hätten die Möglichkeit, über eine Arresthypothek Mietund Pachtforderungen (einen entsprechenden Duldungstitel vorausgesetzt) im Wege der Zwangsverwaltung einzuziehen.54) Ob auch das Zwangsverwaltungsverfahren stabilisiert werden kann, ist ungeklärt. Obgleich vertretbar ist, dass über die Generalklausel des § 146 Abs. 1 ZVG auch das Zwangsverwaltungsverfahren gesperrt wird, dürfte ebenso gut vertretbar sein, dass das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung durch den Gesetzgeber trotz der spiegelbildlichen Diskussion im Eröffnungsverfahren gegen eine „Sperrung“ des Zwangsverwaltungsverfahrens streitet. Für Rechtssicherheit wird die Rechtsprechung sorgen müssen. c) Zivilrechtliche Fälligkeit

36

Die Anordnung von Vollstreckungssperren bewirkt ein pactum de non petendo in der Form des Ausschlusses der Vollstreckbarkeit. Weder steht dem Schuldner ein zur Abweisung einer Klage als „zurzeit unbegründet“ führendes (temporär) materiellrechtliches Leistungsverweigerungsrecht zu, noch handelt es sich um einen zur Abweisung einer Klage als „zurzeit unzulässig“ führenden prozessualen Ausschluss der Klagbarkeit.55) In beiden Fällen würde den von der Vollstreckungssperre betroffenen Gläubigern die Möglichkeit genommen, während der Dauer der Vollstreckungssperre ein Erkenntnisfahren erfolgreich durchführen (oder fortzusetzen) und einen vollstreckbaren Titel zu erstreiten. Dies wäre den Betroffenen – wie zu zeigen sein wird (siehe Rz. 39) – unzumutbar. _____________ 51) Vgl. Kern in: MünchKomm-InsO, § 165 Rz. 257; Ganter in: MünchKomm-InsO, § 49 Rz. 90; Gerhardt, Grundpfandrechte im Insolvenzverfahren, Rz. 254; ausdrücklich gegen eine analoge Anwendung Smid/Depré, InsO, § 49 Rz. 71. 52) Von der Beschlagnahme erfasst werden die Bruttoforderungen inkl. Nebenkosten und Umsatzsteuer (vgl. Böttcher-Keller, ZVG, § 148 Rz. 6). Aus dem Erlös sind zunächst die Kosten der Verwaltung und die Verfahrenskosten zu bestreiten (§ 155 Abs. 1 ZVG). Der Überschuss wird auf die in § 10 Abs. 1 ZVG genannten Rangklassen verteilt. In den Klassen 2 bis 4 jedoch nur auf laufende, wiederkehrende Leistungen (§ 155 Abs. 2 ZVG) 53) Nach § 867 Abs. 3 ZPO genügt zur Befriedigung aus dem Grundstück zwar der vollstreckbare Titel, auf dem die Eintragung vermerkt ist. § 867 Abs. 3 ZPO ist jedoch nur auf die Zwangsversteigerung und nicht auf die Zwangsverwaltung anwendbar vgl. Morvilius, FPR 2013, 382, 382. 54) § 932 ZPO verweist für die Arresthypothek gerade nicht auf § 867 Abs. 3 ZPO vgl. Morvilius, FPR 2013, 382, 390. 55) Vgl. zu diesen Möglichkeiten Looschelders in: BeckOK-BGB, § 364 Rz. 46.

708

Boss/Luttmann

§ 49

Stabilisierungsanordnung

d) Insolvenzrechtliche Fälligkeit Verbindlichkeiten des Schuldners sind für die Zahlungsunfähigkeit nur relevant, wenn sie –

zivilrechtlich fällig (§ 271 BGB) und



ernsthaft eingefordert

37

und damit auch insolvenzrechtlich fällig sind. Faktische Stillhalteabkommen schließen ein ernsthaftes Einfordern zwar aus. Dies gilt jedoch nicht bei erzwungenen Stillhalteabkommen.56) Dazu zählen auch angeordnete Vollstreckungssperren.57) Die von der Vollstreckungssperre erfassten Forderungen bleiben daher sowohl zivil-, als auch insolvenzrechtlich fällig und sind bei der Prüfung der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen.

38

e) Erkenntnisverfahren Vollstreckungssperren haben keine Auswirkungen auf Erkenntnisverfahren.58)

39

Altmassegläubiger haben nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 208 Abs. 1 InsO) aufgrund des Vollstreckungsverbots nach § 210 InsO zwar kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungs-, sondern nur für eine Feststellungsklage.59) Dieser (von der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch auf Neumassegläubiger und den Fall der Neumasseunzulänglichkeit angewandte)60) Gedanke ist auf Vollstreckungsverbote nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 nicht übertragbar. Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht kein dem § 209 InsO vergleichbares gesetzliches Rang- und Befriedigungsverhältnis. Zwar wird die Verjährung nach dem neu eingeführten § 204 Abs. 1 Nr. 10a BGB61) auch durch die Anordnung einer Vollstreckungssperre gehemmt, jedoch lebt mit der Aufhebung (bzw. Beendigung)62) der Vollstreckungssperre das „Windhundprinzip“ der Einzelzwangsvollstreckung wieder auf. Darauf müssen sich die Gläubiger vorbereiten und die Dauer der Vollstreckungssperre nutzen können, um einen vollstreckbaren Titel zu erstreiten. Vollstreckungssperren werden nur ausnahmsweise gegen alle Gläubiger angeordnet werden können (siehe Rz. 58). Den von der Vollstreckungssperre Betroffenen die Möglichkeit der Leistungsklage zu versagen, würde den „verschonten Gläubigern“ einen Vollstreckungsvorteil verschaffen. Dies

40

_____________ 56) Vgl. Uhlenbruck-Mock, InsO, § 17 Rz. 127. 57) Vgl. Thole, ZIP 2020, 1985, 1996. 58) Boss/Luttmann in: Morgen, Präventive Strukturierung, Art. 6 Rz. 17; Thole, ZIP 2020, 1985, 1995; Braun-Riggert, StaRUG, § 49 Rz. 3; a. A. Skauradzun, ZRI 2020, 404; Schönfelder in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 64, der in Bezug auf Art. 6 der Restrukturierungsrichtlinie für eine Anwendung des § 240 ZPO plädiert. 59) Vgl. BGH, Urt. v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, ZIP 2003, 914. 60) Vgl. BAG, Urt. v. 4.6.2003 – 10 AZR 586/02, NZI 2003, 619. 61) Eingeführt durch Art. 13 Nr. 1 SanInsFoG. 62) Vgl. zur Unterscheidung zwischen Aufhebung und Beendigung von Stabilisierungsanordnungen die Kommentierung zu § 59.

Boss/Luttmann

709

§ 49

Stabilisierungsanordnung

ist weder erforderlich noch den von der Vollstreckungssperre betroffenen Gläubigern zumutbar.63) 2. 41

Verwertungssperre (Abs. 1 Nr. 2)

§ 49 Abs. 1 Nr. 2 enthält eine Verwertungssperre für bewegliche Sicherungsgüter. Die Regelung ist § 21 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachgebildet. Rechte an Gegenständen des beweglichen Vermögens, die im Falle der Eröffnung eines hypothetischen Insolvenzverfahrens als Ab- oder Aussonderungsrechte („Aus- und Absonderungsanwartschaften“) geltend gemacht werden könnten, dürfen im Falle der Stabilisierung nicht durchgesetzt werden und können vom Schuldner zur Fortführung des Betriebs genutzt werden. Die Gläubiger erhalten für die Verwertungssperre eine Kompensation. § 54 Abs. 1 (siehe i. E. § 54 Rz. 4 ff.) bestimmt – in Anlehnung an § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO – einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung und Wertverlustausgleich.64) a) Aus- und Absonderungsanwartschaften

42

Verwertungssperren können sich sowohl gegen Aus- als auch Absonderungsanwartschaften richten. Der Verwertungsstopp erstreckt sich jedoch – mit Ausnahme von gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 49 Abs. 3; siehe Rz. 59 ff.) – nur auf Aus- und Absonderungsanwartschaftsberechtigte, die Forderungsgläubiger des Schuldners sind.

43

Gestaltbar sind nur Absonderungsanwartschaften (§ 2 Abs. 1 Nr. 2). Der Gesetzgeber hat sich bewusst gegen eine Gestaltbarkeit von Aussonderungsanwartschaften entschieden.65) Die Möglichkeit Aussonderungsanwartschaften zu stabilisieren, obwohl sie im Restrukturierungsplan nicht gestaltbar sind, ist fragwürdig,66) könnte jedoch dadurch erklärbar sein, dass Anknüpfungspunkt für die Stabilisierung die Gläubigerforderung und nicht die Sicherungsart ist (Abs. 2); siehe Rz. 49. Wie bei § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO begegnet die unterschiedslose Behandlung von Aus- und Absonderungsanwartschaften Bedenken.67) Beim Eigentumsvorbehalt bspw. ist die Verwertungssperre jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn dem Herausgabeanspruch des Verkäufers ein Besitzrecht entgegensteht.68) Auch dürften Zweifel angebracht sein, ob ein Verwertungsstopp für Aussonderungsanwartschaften des Leasinggebers und des Factors erforderlich ist.69) Nach dem klaren Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 2 hat der Gesetzgeber jedoch entschieden, dass auch Aussonderungsanwart_____________ 63) Zwar kann sich an das Restrukturierungsverfahren ein (vorläufiges) Insolvenzverfahren anschließen und im Eröffnungsverfahren ein Vollstreckungsverbot nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO erlassen werden oder (im eröffneten Insolvenzverfahren) das allgemeine Vollstreckungsverbot des § 88 InsO eingreifen. Die Regel ist dies aber nicht. Die Stabilisierung soll gerade dazu dienen, sanierungswilligen und sanierungsfähigen Schuldnern Verhandlungen über eine Restrukturierung und die Ausarbeitung eines Restrukturierungsplans zu ermöglichen. 64) Vgl. Thole, ZIP 2020, 1985, 1996. 65) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 111. 66) Vgl. Thole, ZIP 2020, 2021, 1985, 1995. 67) Vgl. Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38g. 68) Vgl. Thole, ZIP 2020, 1985, 1995. 69) Vgl. Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38g.

710

Boss/Luttmann

§ 49

Stabilisierungsanordnung

schaften von Verwertungssperren erfasst werden können. Obgleich diese Entscheidung des Gesetzgebers mit Art. 14 GG vereinbar70) sein dürfte, ist es – wie auch bei Anordnungen nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO – geboten, die Anordnung von Verwertungssperren gegenüber Aussonderungsanwartschaftsberechtigten restriktiv zu handhaben.71) b) Einziehungs-, Verarbeitungs- und Weiterveräußerungsermächtigungen Einziehungs-, Verarbeitungs- und Weiterveräußerungsermächtigungen erlöschen im Insolvenzeröffnungsverfahren weder mit dem Insolvenzantrag noch durch die Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens automatisch.72) Der mit dem Verwertungsstopp beabsichtigte Zweck, das materielle Substrat des Unternehmens zusammenzuhalten, würde unterlaufen, wenn Gläubiger, sobald sie von einer Restrukturierungssache Kenntnis erhielten, die im Sicherungsvertrag enthaltenen Einziehungs-, Verarbeitungs- und Weiterveräußerungsermächtigungen widerriefen und die Sicherheiten verwerteten. Würden Gläubiger, ihnen abgetretene Forderungen einziehen und übereignete Gegenstände in Besitz nehmen oder deren Nutzung untersagen, würden bestehende Sanierungschancen vereitelt.73) Dies gilt auch in Restrukturierungssachen. Einziehungs-, Verarbeitungs- und Weiterveräußerungsermächtigungen erlöschen daher ebenso wie im (vorläufigen) Insolvenzverfahren nicht automatisch mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens (§ 31 Abs. 1),74) dem Antrag auf Erlass von Stabilisierungsanordnungen und/oder dem Erlass von Stabilisierungsanordnungen.

44

c) Nutzung, kein „Verbrauch“ Der Verwertungsstopp berechtigt den Schuldner (nur) zum Einzug sicherungszedierter Forderungen und unterbindet, dass dem Schuldner der Besitz für die Betriebsfortführung notwendiger, sicherungsübereigneter Gegenstände entzogen und ihm deren Nutzung untersagt wird. Die Verwertungssperre soll dem Schuldner Zeit geben, mit den Sicherheitengläubigern Vereinbarungen über die Verwertung des Sicherungsguts zu treffen.75) Aus- und Absonderungsanwartschaftsberechtigte sollen die Fortführung des Unternehmens nicht verhindern können. Finanzieren müssen sie die Betriebsfortführung nicht.

45

aa) Forderungen Auch der Forderungseinzug ist an den Sicherungszessionar auszukehren oder (auf einem offenen Treuhandkonto; siehe § 54 Rz. 13) zu separieren (§ 54 Abs. 2; siehe _____________ 70) Vgl. BGH, Urt. v. 3.12.2019 – IX ZR 7/09, Rz. 43, ZIP 2010, 141 – zu § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO. 71) Vgl. Uhlenbruck-Vallender, InsO § 21 Rz. 38h; Frege, InsVZ 2010, 81 – jew. zu § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO. 72) Vgl. BGH, Urt. v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, Rz. 25 ff., ZIP 2019, 472. 73) Vgl. BGH, Urt. v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, Rz. 26, ZIP 2019, 472 – zu § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO. 74) Vgl. Desch, BB 2020, 2498, 2508. Mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens wird die Restrukturierungssache rechtshängig (§ 31 Abs. 2). 75) Vgl. BGH, Urt. v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, Rz. 30, ZIP 2019, 472 – zu § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO.

Boss/Luttmann

711

46

§ 49

Stabilisierungsanordnung

§ 54 Rz. 9 ff.). Ohne eine Vereinbarung mit dem Sicherungszessionar steht der Forderungseinzug zur Finanzierung der Betriebsfortführung nicht zur Verfügung. bb) Sonstiges Umlaufvermögen 47

Widerrufen die Sicherheitengläubiger die Weiterveräußerungs- bzw. Verarbeitungsbefugnis ist der Schuldner nicht befugt, das sicherungsübereignete Umlaufvermögen zu veräußern76) oder zu verarbeiten.77) Der Gesetzgeber hat sich (zu Recht) dagegen entschieden, Sicherheitengläubiger auf nachwachsende revolvierende Sicherheiten zu verweisen.78) Da das sicherungsübereignete Umlaufvermögen ohne Zustimmung der Sicherheitengläubiger weder veräußert noch verarbeitet werden darf, ist eine Verwertungssperre, die sich gegen Sicherheiten am Umlaufvermögen richtet, für die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens regelmäßig nicht erforderlich.79) Der Schuldner ist auf eine Vereinbarung mit den Sicherheitengläubigern angewiesen, wenn er das Umlaufvermögen nutzen möchte.80) cc) Anlagevermögen

48

Anders beim Anlagevermögen: Ohne das sicherungsübereignete Anlagevermögen ist eine Betriebsfortführung regelmäßig nicht möglich. Dem Antrag auf Anordnung einer das Anlagevermögen betreffenden Verwertungssperre ist regelmäßig stattzugeben.81) 3.

Stabilisierbare Forderungen (Abs. 2, Abs. 3)

49

§ 49 Abs. 2 bestimmt die inhaltliche Reichweite von Stabilisierungsanordnungen. Die Zulässigkeit der Stabilisierungsanordnung knüpft an die Gestaltbarkeit der zu vollstreckenden und/oder gesicherten Forderung an (Satz 1). Ist eine Forderung nicht gestaltbar (§ 4), ist die Anordnung einer Vollstreckungssperre unzulässig.82)

50

Finanzierungssicherheiten nach § 1 Abs. 16 und Abs. 17 KWG können aufgrund des Primats der Finanzsicherheitenrichtlinie83) und der Finalitätsrichtline84) nicht Gegenstand von Stabilisierungsanordnungen sein (siehe § 56 Rz. 2 f.).85) Auch die einzelnen in eine Liquidationsnettingvereinbarung eingestellten Einzelforderungen sind restrukturierungsfest. Die Stabilisierung kann sich (nur) gegen die nach dem Netting verbleibende Forderung richten (§ 56 Abs. 2 Satz 2); siehe § 56 Rz. 4. _____________ 76) Vgl. BGH, Urt. v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, Rz. 23, NZI 2012, 369; vgl. auch UhlenbruckVallender, InsO, § 21 Rz. 38j. 77) Um einen gesetzlichen Eigentumsübergang gemäß § 947 Abs. 2 BGB zu verhindern. 78) Vgl. dazu Desch, BB 2020, 2498, 2507 f. 79) Vgl. Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38j. 80) Vgl. Zuleger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 43, 44. 81) Vgl. Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38j. 82) Zur Ausnahme der Stabilisierung bestimmter Finanzsicherheiten, Zahlungs- und Abwicklungssystemen sowie Liquidationsnettingvereinbarungen vgl. die Kommentierung zu § 56. 83) Richtlinie 2002/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 6.6.2002 über Finanzsicherheiten (Finanzsicherheitenrichtlinie), ABl. (EG) L 168/43 v. 27.6.2002. 84) die Richtlinie 98/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 19.5.1998 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen (Finalitätsrichtlinie), ABl. (EG) L 166/45 v. 1.6.1998. 85) Vgl. Zuleger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 43, 44.

712

Boss/Luttmann

§ 49

Stabilisierungsanordnung

a) Bis zur Erstanordnung begründete, (auch) bedingte und nicht fällige „Altforderungen“ Die Restrukturierungsrichtlinie räumt den Mitgliedstaaten die Option ein, die Stabilisierung auch auf zukünftige und/oder nicht fällige Forderungen zu erstrecken (ErwG 25 Satz 1 Restrukturierungsrichtlinie).86) Davon hat der Gesetzgeber teilweise Gebrauch gemacht:

51

Bedingte und nicht fällige Forderungen sind gestaltbar (§ 3 Abs. 1), sofern sie „begründet“ sind (§ 2 Abs. 1 Nr. 1). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Erstanordnung (§ 2 Abs. 5 Satz 2). Vor der Erstanordnung entstandene Altforderungen können stabilisiert werden, wenn sie bedingt oder noch nicht fällig sind.

52

b) Zinsen: Altzinsen/Neuzinsen Die Restrukturierungsrichtlinie stellt den Mitgliedstaaten frei, ob auch Zinsforderungen stabilisiert werden können (ErwG 25 Satz 2 Restrukturierungsrichtlinie).87) § 2 Abs. 1 Nr. 1 differenziert nicht zwischen Haupt- und Nebenforderungen. Der Gesetzgeber dürfte sein Umsetzungsermessen dahingehend ausgeübt haben, dass Fälligkeits-, Verzugs- sowie Darlehenszinsen, die bis zum Zeitpunkt der Erstanordnung entstanden sind88) (Altzinsforderungen oder Altzinsen), stabilisiert werden können. Nach der Erstanordnung entstehende Fälligkeits-, Verzugs- und Darlehenszinsen (Neuzinsforderungen oder Neuzinsen) sind restrukturierungsfest. Sie können nicht stabilisiert werden und sind zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zu erfüllen.

53

Wird die Vollstreckung einer Altzinsforderung gesperrt, hat dies – ebenso wie bei Hauptforderungen (siehe Rz. 36) – keinen Einfluss auf die zivil- und insolvenzrechtliche Fälligkeit.

54

Wegen des Zinseszinsverbots (§ 289 Satz 1 BGB) sind stabilisierte Altzinsen grundsätzlich nicht zu verzinsen.

55

Anderes gilt für Darlehnszinsen eines zwischen Unternehmern geschlossenen Darlehensvertrages. Das Verbot des § 289 Satz 1 BGB ist aufgrund der Vorgaben des Art. 3 Zahlungsverzugs-Richtlinie89) dahingehend europarechtskonform auszulegen, dass bei einem Darlehensvertrag, bei dem Darlehnsnehmer als auch Darlehensgeber Unternehmer sind, die geschuldeten fälligen Darlehenszinsen nach § 288 Abs. 2 BGB zu verzinsen und laufend zu erfüllen sind.90)

56

_____________ 86) Vgl. Boss/Luttmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 6 Rz. 17. 87) Vgl. Boss/Luttmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 6 Rz. 17. 88) Bei Stabilisierungsanordnungen ist der Zeitpunkt der Erstanordnung maßgeblich (§ 2 Abs. 5 Satz 2). 89) Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.2.2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (Zahlungsverzugs-Richtlinie), ABl. (EU) L 48/1 v. 23.2.2011. 90) Vgl. Freitag, ZIP 2015 1805 ff.; Staudinger-Feldmann, BGB, § 289 Rz. 14; vgl. auch Dornis in: BeckOGK-BGB, § 289 Rz. 3. Dies dürfte auch dem Gedanken Rechnung tragen, dass Darlehenszinsen keine Nebenforderungen, sondern Gegenleistung für die zur Verfügung gestellten Darlehensvaluta sind.

Boss/Luttmann

713

§ 49

Stabilisierungsanordnung

c) Personelle Stabilisierbarkeit 57

Die Restrukturierungsrichtlinie räumt den Mitgliedstaaten die Option ein, zu entscheiden, ob sich Stabilisierungsanordnungen –

nur gegen einzelne Gläubiger, bestimmte Gläubigergruppen oder alle Gläubiger des Schuldners91) und



auch gegen Drittsicherheitengläubiger92)

richten können. aa) Einzelne, mehrere, alle Gläubiger 58

Mit § 49 Abs. 2 Satz 2 hat sich der Gesetzgeber gegen eine zurückhaltende Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie entschieden und sein Umsetzungsermessen dahingehend ausgeübt, dass sich Stabilisierungsanordnungen gegen einzelne, mehrere aber auch alle Forderungsgläubiger des Schuldners richten können. Die Bezeichnung „mehrere“ eröffnet die Möglichkeit, Stabilisierungsanordnungen auf bestimmte Gläubigergruppen zu beschränken.93) Der Erlass von Stabilisierungsanordnungen gegen alle Gläubiger dürfte allenfalls in Ausnahmefällen erforderlich sein.94) Bedarf ein Schuldner der Stabilisierung gegenüber all seinen Gläubigern, ist er regelmäßig bereits zahlungsunfähig, so dass bereits deshalb die Restrukturierungssache (§ 33 Abs. 2 Nr. 1) und damit auch die Stabilisierungsanordnung (§ 59 Abs. 1 Nr. 2) aufzuheben und gar nicht erst zu erlassen ist. Begehrt der Schuldner den Erlass von Stabilisierungsanordnungen gegen alle seine Gläubiger, hat er die Gründe dafür darzulegen (siehe § 51 Rz. 32) und zu plausibilisieren, warum Anordnungen auch gegen Kleingläubiger benötigt werden.95) Dies gilt auch für den Fall, dass sich die Stabilisierung (nur) gegen im Wesentlichen alle Gläubiger richten soll. Beantragt der Schuldner Stabilisierungsanordnungen, die sich gegen alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger richten, ist (in der Regel) ein Restrukturierungsbeauftragter von Amts wegen zu bestellen (§ 73 Abs. 1 Nr. 2). Dies zeigt, dass der Gesetzgeber nicht unterscheidet, ob sich Stabilisierungsanordnungen (nur) gegen im Wesentlichen alle Gläubiger oder gegen alle Gläubiger richten. Beide Konstellationen sind gleichzubehandeln. bb) Gruppeninterne Drittsicherheiten

59

Nach § 49 Abs. 3 können auch gruppeninterne Drittsicherheiten gesperrt werden.

60

Der Begriff der gruppeninternen Drittsicherheiten wird in § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 definiert als Rechte Dritter gegenüber von mit dem Schuldner nach § 15 AktG verbundene Unternehmen –

als Bürge,



als Mitschuldner,

_____________ 91) 92) 93) 94) 95)

714

Vgl. Boss/Luttmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 6 Rz. 62 Vgl. Boss/Luttmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 6 Rz. 16. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 154. Vgl. dazu auch Braun-Riggert, StaRUG, § 49 Rz. 9 und § 51 Rz. 7. Vgl. Riggert, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 40, 41.

Boss/Luttmann

§ 49

Stabilisierungsanordnung



aufgrund einer anderweitig übernommenen Haftung oder



an Gegenständen aus dem Vermögen, der mit dem Schuldner nach § 15 AktG verbundenen Unternehmen.

Der Begriff der gruppeninternen Drittsicherheit ist weit zu verstehen. Er umfasst alle Arten von Personal- und Sachsicherheiten, die von mit dem Schuldner nach § 15 AktG verbundenen Unternehmen für Verbindlichkeiten des Schuldners gestellt werden. Stabilisiert werden können Up-, Down- und/oder Cross-Stream gestellte Drittsicherheiten.96)

61

§ 49 Abs. 3 verweist auf § 15 AktG, der auch (EU-)ausländische Gesellschaften erfasst.97) Auf Antrag des Schuldners wird das Restrukturierungsverfahren öffentlich geführt (§ 84 Abs. 1). Nach Aufnahme der öffentlichen StaRUG-Verfahren in den Anhang A der EuInsVO richtet sich die Anerkennung der Restrukturierungsverfahren (und damit auch die Anerkennung von Stabilisierungsanordnungen) nach Art. 20 Abs. 1 EuInsVO.98) Bei vertraulichen, nicht-öffentlichen StaRUG-Verfahren könnte sich die Anerkennung aus Art. 36 EuGVVO99) oder aus Art. 12 Rom I-VO ergeben.100)

62

Bei im Ausland belegenen dinglichen Drittsicherheiten stellt sich zudem die Frage, ob und inwieweit Art. 8 Abs. 1 EuInsVO einer Verwertungssperre entgegenstehen könnte. Nach Art. 8 Abs. 1 EuInsVO bleiben dingliche Gläubigerrechte an im Ausland belegenen Gegenständen von dem in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführten Verfahren grundsätzlich unberührt. Ob dies auch gelten kann, wenn der Mitgliedstaat, in dem der Gegenstand belegen ist, ein vergleichbares Verfahren mit einem vergleichbaren Eingriffsrecht kennt, dürfte jedenfalls zweifelhaft sein.101) Rechtsklarheit über diese Fragen wird letztlich der EuGH zu schaffen haben.

63

Durch die Stabilisierbarkeit gruppeninterner Drittsicherheiten wird dem Umstand Rechnung getragen, dass in einem Konzern verbundene Unternehmen zentral finanziert werden und einen Haftungsverband bilden.102) In der Praxis ist Kreditnehmer in aller Regel die Gruppenholding oder ein spezielles Finanzvehikel aus dem Konzernverbund. Die Finanzierung des Gesamtkonzerns erfolgt über ein zentral gesteuertes Cashpooling oder durch weitergereichte Darlehen („on-lending“). Die mitfinanzierten Konzerngesellschaften haften dem Kreditgeber als Gesamtschuldner, Bürgen und/oder durch die Stellung sonstiger Sicherheiten. In der Krise der Gruppenholding oder des Finanzierungsvehikels besteht die Gefahr, dass auch die mithaf-

64

_____________ 96) Vgl. Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 107. 97) Vgl. Westphal/Dittmar, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 46; Schall in: BeckOGK-AktG, § 15 Rz. 38 ff. 98) Vgl. Thole, ZIP 2020, 1985, 1998; Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 109, die auch dann für eine Anerkennung plädieren, wenn mangels internationaler Zuständigkeit in Deutschland kein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet werden könnte; vgl. zur generell internationalen Zuständigkeit bei Restrukturierungsvorhaben Skauradszun, ZIP 2019, 1501. 99) Dafür Skauradszun ZRI 2020, 625, 631; dagegen Thole ZIP 2020, 1985, 1998. 100) Vgl. zu diesem Vorschlag Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 109. 101) Vgl. Westpfahl/Dittmar, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 46, 47. 102) Vgl. Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105.

Boss/Luttmann

715

§ 50

Antrag

tenden Konzerngesellschaften in wirtschaftliche Schieflage geraten („Melt-down“).103) Denkbar ist auch der umgekehrte Fall: Die Muttergesellschaft übernimmt für die Verbindlichkeiten einer Konzerntochter eine Garantie104) bspw. durch eine (harte) externe Patronatserklärung. Durch die Stabilisierbarkeit gruppeninterner Drittsicherheiten soll vermieden werden, dass die wirtschaftliche Krise einer Konzerngesellschaft den Gesamtkonzern gefährdet. 65

Die Stabilisierung von gruppeninternen Drittsicherheiten setzt nicht voraus, dass der Sicherungsgeber selbst drohend zahlungsunfähig oder insolvenzreif ist. Ist der Sicherungsgeber wirtschaftlich gesund, gefährdet die Sicherheitenverwertung regelmäßig weder die wirtschaftliche Existenz der sicherungsgebenden Konzerngesellschaft noch des Gesamtkonzerns. Es sind Konstellationen denkbar, in denen das Konzerninteresse Stabilisierungsanordnungen auch gegenüber solventen Drittsicherungsgebern erfordert. Die Regel ist dies aber nicht. Die Stabilisierung gruppeninterner Drittsicherheiten ist daher immer dann besonders begründungsbedürftig, wenn der Drittsicherungsgeber weder drohend zahlungsunfähig noch insolvenzreif ist.105) Ohne triftigen Grund sind gegen solvente Drittsicherungsgeber gerichtete Stabilisierungsanordnungen weder im Konzerninteresse erforderlich, noch den von der Stabilisierung betroffenen Gläubigern zumutbar. _____________ 103) Vgl. Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105. 104) Vgl. Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 107. 105) Vgl. Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 108.

§ 50 Antrag Boss/Luttmann

(1) Der Schuldner hat die beantragte Stabilisierungsanordnung nach § 49 Absatz 1 ihrem Inhalt, dem Adressatenkreis und der Dauer nach zu bezeichnen. (2) Der Schuldner fügt dem Antrag eine Restrukturierungsplanung bei, welche umfasst: 1.

einen auf den Tag der Antragstellung aktualisierten Entwurf des Restrukturierungsplans oder ein auf diesen Tag aktualisiertes Konzept für die Restrukturierung nach § 31 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1,

2.

einen Finanzplan, der den Zeitraum von sechs Monaten umfasst und eine fundierte Darstellung der Finanzierungsquellen enthält, durch welche die Fortführung des Unternehmens in diesem Zeitraum sichergestellt werden soll; dabei bleiben Finanzierungsquellen außer Betracht, die sich mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbaren lassen.

(3) Des Weiteren hat der Schuldner zu erklären, 1.

716

ob, in welchem Umfang und gegenüber welchen Gläubigern er sich mit der Erfüllung von Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen, Pensionszusagen oder dem Steuerschuldverhältnis, gegenüber den Sozialversicherungsträgern oder Lieferanten in Verzug befindet, Boss/Luttmann

§ 50

Antrag

2.

ob und in welchen Verfahren zu seinen Gunsten innerhalb der letzten drei Jahre vor dem Antrag Vollstreckungs- oder Verwertungssperren nach diesem Gesetz oder nach § 21 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 oder 5 der Insolvenzordnung angeordnet wurden und

3.

ob er für die letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre seinen Verpflichtungen aus den §§ 325 bis 328 oder aus § 339 des Handelsgesetzbuchs nachgekommen ist.

Literatur: Bernsau/Weniger, Ein Plädoyor für den Erhalt und die Stärkung der Eigenverwaltung, BB 2020, 2571; Girotto/Czernay, Externer Sachverstand und betriebswirtschaftliche Expertise im Kontext des StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 66; Hoegen/Kranz, Neue Möglichkeiten der Konzernsanierung durch SanInsFoG und StaRuG, NZI 2021, 105; Zuleger, Kreditsicherheiten nach dem StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 43. Übersicht I. II. 1. 2. 3. III. 1. 2.

I.

Normzweck/-inhalt ............................. 1 Anordnungsantrag (Abs. 1) ................ 7 Inhalt ...................................................... 9 Adressatenkreis ................................... 10 Dauer ................................................... 11 Restrukturierungsplanung (Abs. 2) ................................................ 12 Restrukturierungsplanentwurf/ Restrukturierungskonzept (Abs. 2 Nr. 1) ...................................... 14 Finanzplan (Abs. 2 Nr. 2) .................. 21 a) Finanzierungsquellen ................... 22 b) Nachweis ...................................... 23

3.

c) Sicherstellung der „Durchfinanzierung“ ................................ 24 Weitere Erklärungen (Abs. 3) ............ 27 a) Zahlungsverhalten gegenüber bestimmten Gläubigern (Abs. 3 Nr. 1) ............................................ 28 b) Verwertungs- und Vollstreckungssperren sowie Anordnungen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Nr. 5 InsO (Abs. 3 Nr. 2) .... 31 c) Einhaltung handelsrechtlicher Offenlegungspflichten (Abs. 3 Nr. 3) ............................................ 33

Normzweck/-inhalt

§ 50 Abs. 1 regelt, welche Angaben der Anordnungsantrag des Schuldners zu enthalten hat. Nach § 50 Abs. 2 ist dem Antrag eine Restrukturierungsplanung bestehend aus –

einem auf den Tag der Antragsstellung aktualisierten Restrukturierungsplanentwurf oder einem auf den Tag der Antragsstellung aktualisiertes Restrukturierungskonzept (§ 50 Abs. 2 Nr. 1) und



einem den Zeitraum von sechs Monaten umfassenden, die Finanzierungsquellen fundiert darstellenden Finanzplan (§ 50 Abs. 2 Nr. 2)

1

beizufügen. Dies gilt nicht nur für den Antrag auf Erlass einer Erst-, sondern auch auf Erlass einer Neuanordnung (nicht jedoch für den Antrag auf eine Folgeanordnung) nach § 52 (siehe § 52 Rz. 12). § 50 Abs. 3 bestimmt, dass dem Antrag darüber hinaus Erklärungen

2



zum Zahlungsverhalten gegenüber bestimmten Gläubigern (§ 50 Abs. 3 Nr. 1),



zu früheren Vollstreckungs- und Verwertungssperren sowie zu Maßnahmen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Nr. 5 InsO (§ 50 Abs. 3 Nr. 2) und



zur Einhaltung handelsrechtlicher Offenlegungspflichten

Boss/Luttmann

717

§ 50

Antrag

beizufügen sind. Aufgrund der während der gesamten Dauer der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache geltenden Mitteilungspflicht des Schuldners nach § 32 Abs. 2 Satz 1 dürfte aus verfahrensökonomischen Gründen auf eine Anwendung des § 50 Abs. 3 auf Folge- und Neuanordnungen verzichtet werden können (siehe § 52 Rz. 11 ff.). 3

Die Bestimmungen zur Vorlage einer Restrukturierungsplanung nach § 50 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 entsprechen den neu eingeführten Regelungen zur Vorlagepflicht einer Eigenverwaltungsplanung (§ 270a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO n. F.).

4

Die Verpflichtung zur Vorlage einer Restrukturierungsplanung hält den Schuldner an, die Restrukturierung sorgfältig vorzubereiten und zu prüfen, ob die begehrte Stabilisierung erforderlich ist.1) Eine von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgehende, vollständige und schlüssige Restrukturierung verhindert auch, dass Stabilisierungsanordnungen auf Antrag der gesperrten Gläubiger (§ 59 Abs. 2) oder – so ein solcher bestellt ist – auf Antrag des Restrukturierungsbeauftragten (§ 76 Abs. 3 Nr. 2) wieder aufgehoben werden müssen.2)

5

Die Finanzplanung (§ 50 Abs. 2 Nr. 2) stellt sicher, dass der Schuldner über die Anordnungshöchstdauer (§ 53 Abs. 1) hinaus „durchfinanziert“ ist.3)

6

Die Voraussetzungen für den Erlass von Stabilisierungsanordnungen (§ 51) knüpfen an die nach § 50 Abs. 2 vorzulegende Restrukturierungsplanung und die dem Anordnungsantrag beizufügenden Erklärungen nach § 50 Abs. 3 an. Die dem Anordnungsantrag beizufügenden Unterlagen dienen der Sicherstellung der gerichtlichen (formalen) Vollständigkeits- und inhaltlichen Schlüssigkeitskontrolle (siehe § 51 Rz. 9 und § 51 Rz. 10 ff.). II. Anordnungsantrag (Abs. 1)

7

Nach § 50 Abs. 1 muss der Anordnungsantrag des Schuldners –

den Inhalt,



den Adressatenkreis und



die Dauer

der beantragten Stabilisierung bezeichnen. Dies gilt auch für Folge- und Neuanordnungen (siehe zu Folge- und Neuanordnungen § 52 Rz. 5 ff.). 8

Eine Pflicht des Schuldners, die Erforderlichkeit der beantragten Stabilisierung formell im Anordnungsantrag zu begründen, sieht das Gesetz nicht vor. _____________ 1)

2) 3)

718

Damit der Schuldner sich nicht mit inhaltlich und zeitlich möglichst weitreichenden (potentiell nicht erforderlichen) Stabilisierungen versucht zu bevorraten, ist er berechtigt, Folge- und Neuanordnungen zu erwirken (vgl. dazu die Kommentierung zu § 52). Vgl. zur Eigenverwaltungsplanung Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 203 f. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155. Der Finanzplan hat eine „Durchfinanzierung“ für die Dauer von sechs Monaten sicherzustellen und knüpft an die (ohne Erneuerung des Restrukturierungsanzeige) sechsmonatige Dauer der Restrestrukturierungssache nach § 31 Abs. 4 Nr. 4 Alt. 1 an (vgl. zu § 31 Abs. 4 Nr. 4 Braun-Haffa/ Schuster, StaRUG, § 31 Rz. 30).

Boss/Luttmann

§ 50

Antrag

1.

Inhalt

Zu § 21 Abs. 2 Satz1 Nr. 5 InsO ist anerkannt, dass die von der Anordnung betroffenen Gegenstände bestimmt werden müssen. Pauschalanordnungen sind unzulässig.4) Diese Maßstäbe gelten auch für die Stabilisierung. Damit das Restrukturierungsgericht beim Erlass der Stabilisierungsanordnung die zu stabilisierenden Gegenstände ausreichend bezeichnen kann, ist der Schuldner verpflichtet, die Gegenstände, auf die sich die begehrte Stabilisierung beziehen soll, möglichst genau zu bestimmen. Wird die Anordnung einer Verwertungssperre beantragt, ist die Kopie der Sicherungsvereinbarungen vorzulegen.5) Da Vollstreckungssperren nur erforderlich sind, wenn eine Vollstreckung droht, hat der Schuldner die drohende Vollstreckung z. B. durch Vorlage eines Vollstreckungstitels zu plausibilisieren (siehe § 51 Rz. 33).6) 2.

Adressatenkreis

Zwar können bei § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO bestimmte Gläubiger zusammengefasst werden.7) Bei der Stabilisierung hat der Schuldner in seinem Antrag die von der begehrten Stabilisierung betroffenen Gläubiger jedoch bereits deshalb unter Angabe der aktuellen Adressen zu bezeichnen, da der Stabilisierungsbeschluss den Gläubigern zuzustellen ist (§ 51 Abs. 4 Satz 1). Nur wenn der Schuldner einen Antrag auf ein öffentliches StaRUG-Verfahren stellt und sich die Stabilisierungsanordnungen (ausnahmsweise) gegen alle Gläubiger des Schuldners richten, ist es aufgrund der öffentlichen Bekanntgabe in das Ermessen des Gerichts gestellt, auf eine Zustellung des Stabilisierungsbeschlusses zu verzichten (siehe § 51 Rz. 39). 3.

9

10

Dauer

Der Anordnungsantrag muss auch die Dauer der begehrten Stabilisierungsanordnung enthalten. Dabei ist der Schuldner an die Anordnungshöchstdauer von drei Monaten gebunden (§ 53 Abs. 1). Anträge auf Folge- und Neuanordnungen können nicht zeitgleich mit Antrag auf Erlass der Erstanordnung verbunden werden. Dies widerspräche dem mit der Möglichkeit von Folge- und Neuanordnungen verfolgten Zweck, dem Schuldner keinen Anreiz zu geben, sich mit möglichst weitreichenden (potentiell nicht erforderlichen) Stabilisierungsmaßnahmen zu bevorraten (siehe § 52 Rz. 5 ff.).

11

III. Restrukturierungsplanung (Abs. 2) Der Begriff der „Restrukturierungsplanung“ ist ein Sammelbegriff8) für –

12

den Restrukturierungsplanentwurf oder (so ein Restrukturierungsplanentwurf noch nicht bestehen sollte) das Restrukturierungskonzepts (§ 50 Abs. 2 Nr. 1) und

– den Finanzplan (§ 50 Abs. 2 Nr. 2). _____________ 4) 5) 6) 7) 8)

Vgl. BGH, Urt. v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, Rz. 19, BGHZ 183, 269; vgl. Haarmeyer/ Schildt, in: MünchKomm-InsO, § 21 Rz. 99. Vgl. Braun-Riggert, StaRUG, § 50 Rz. 4. Vgl. Braun-Riggert, StaRUG, § 51 Rz. 4. Vgl. BGH, Urt. v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, Rz. 19, BGHZ 183, 269. Vgl. zur Eigenverwaltungsplanung Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204.

Boss/Luttmann

719

§ 50 13

Antrag

Der Schuldner kann die von ihm vorzulegende Restrukturierungsplanung durch Dritte erstellen lassen.9) 1.

Restrukturierungsplanentwurf/Restrukturierungskonzept (Abs. 2 Nr. 1)

14

Bereits der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens („Restrukturierungsanzeige“) ist entweder der Restrukturierungsplanentwurf oder ein Restrukturierungskonzept beizulegen. Auf der Grundlage einer Darstellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise sind das Ziel der Restrukturierung sowie die Maßnahmen zu beschreiben, welche zur Erreichung des Restrukturierungsziels in Aussicht genommen werden (§ 31 Abs. 2 Nr. 1).

15

§ 50 Abs. 2 Nr. 1 bestimmt, dass der Restrukturierungsplanentwurf/das Restrukturierungskonzept auf den Tag der Antragsstellung zu aktualisieren ist. Da der Restrukturierungsplanentwurf/das Restrukturierungskonzept bereits mit der Restrukturierungsanzeige vorzulegen ist, dürfte eine Aktualisierung auf den Tag der Antragstellung problemlos möglich sein. Auch eine Verbindung der Restrukturierungsanzeige mit dem Anordnungsantrag begegnet keinen Bedenken.

16

Die Vorlage eines den Anforderungen des § 31 Abs. 2 Nr. 1 genügenden Restrukturierungskonzeptes ist die Mindestanforderung dessen, was der Schuldner nach § 50 Abs. 2 Nr. 1 vorzulegen hat. Reicht der Schuldner einen Restrukturierungsplanentwurf ein, muss auch der Restrukturierungsplanentwurf jedenfalls diese Mindestanforderungen erfüllen.

17

Dazu zählt eine Beschreibung der Maßnahmen, die „zur Erreichung des Restrukturierungsziels in Aussicht genommen werden“. Zu diesen Maßnahmen gehören auch die beantragten Stabilisierungsanordnungen. Obgleich der Schuldner nicht verpflichtet ist, die Stabilisierung im Anordnungsantrag formell zu begründen, ist im Restrukturierungsplanentwurf/Restrukturierungskonzept darzulegen, weshalb die begehrte Stabilisierungsanordnung erforderlich ist.10)

18

Stabilisierungsanordnungen gegen alle (oder im Wesentlichen alle) Gläubiger des Schuldners sind regelmäßig nicht erforderlich, da der Schuldner bereits zahlungsunfähig sein dürfte. Beantragt der Schuldner Stabilisierungsanordnungen, die sich gegen alle (oder im Wesentlichen alle) Gläubiger richten, hat er im Restrukturierungsplanentwurf/Restrukturierungskonzept triftige Gründe dafür darzulegen.11)

19

Dies gilt auch für die Stabilisierung von gruppeninterne Drittsicherheiten: Ist der Drittsicherungsgeber solvent, ist die Stabilisierung zur Verhinderung einer wirtschaftlichen Schieflage des Gesamtkonzerns regelmäßig nicht erforderlich (siehe § 49 Rz. 65). Beantragt der Schuldner die Stabilisierung gruppeninterner Drittsicherheiten, obliegt es dem Schuldner im Restrukturierungsplanentwurf/Restrukturierungskonzept entweder _____________ 9) Vgl. zur Eigenverwaltungsplanung Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. 10) Vgl. in Bezug auf die Gestaltung gruppeninterner Drittsicherheiten Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 108. 11) So auch Braun-Riggert, StaRUG, § 51 Rz. 7.

720

Boss/Luttmann

§ 50

Antrag



darzulegen, dass der Drittsicherungsgeber drohend zahlungsunfähig bzw. insolvenzreif ist oder



darzulegen, weshalb die beantragte Stabilisierung trotz der Solvenz des Drittsicherungsgebers zur Vermeidung einer wirtschaftlichen Schieflage des Gesamtkonzerns erforderlich ist.

Dem Schuldner ist die Darlegung der mangelnden Solvenz des Drittsicherungsgebers auch zumutbar: Handelt es sich beim Schuldner um die Gruppenholding, verfügt der Schuldner über entsprechende gesellschaftsrechtliche Auskunftsansprüche gegen den Drittsicherungsgeber. Ist der Drittsicherungsgeber die Gruppenholding, ist zu berücksichtigen, dass die beantragte Stabilisierung für den Drittsicherungsgeber nur Vorteile mit sich bringt. Verweigert der Drittsicherungsgeber dem Schuldner Auskünfte über seine (des Drittsicherungsgebers) wirtschaftliche Situation, obgleich die beantragte Stabilisierung für ihn nur vorteilhaft wäre, erachtet der Drittsicherungsgeber die beantragte Stabilisierung offensichtlich selbst als nicht notwendig. Ist nicht einmal der Profiteur der Anordnung der Ansicht, die Stabilisierung sei erforderlich, ist nicht ersichtlich, weshalb diese zu erlassen sein sollte. 2.

20

Finanzplan (Abs. 2 Nr. 2)

Weiterer Bestandteil der Restrukturierungsplanung ist ein den Zeitraum von sechs Monaten umfassender Finanzplan, aus dem sich ergeben muss, dass die Liquidität des Schuldners für die nächsten sechs Monate sichergestellt und der Schuldner „durchfinanziert“ ist.12) Die Finanzplanung ist nach den allgemeinen betriebswirtschaftlichen13) Grundsätzen zu erstellen. Sie hat die Kosten des Restrukturierungsverfahrens, wozu auch die Beraterkosten zählen, zu berücksichtigen.14)

21

a) Finanzierungsquellen Im Finanzplan sind die Finanzierungsquellen offenzulegen.

22

b) Nachweis Um die Prüfung der Finanzplanung durch das Restrukturierungsgericht zu ermöglichen, hat der Schuldner die Finanzierungsquellen, durch welche die Fortführung des Schuldners in den kommenden sechs Monaten sichergestellt werden soll, „fundiert“ darzustellen. Die Finanzierungsquellen sind nachzuweisen. Fehlt dieser Nachweise genügt der Finanzplan bereits formal den Anforderungen des § 50 Abs. 2 Nr. 2 nicht und der Anordnungsantrag ist zurückzuweisen. Zur Differenzierung zwischen Heilbarkeit von Vollständigkeitsmängeln und Unwirksamkeit des Anordnungsantrags siehe § 51 Rz. 20 ff. Eine externe Finanzierung muss rechtsverbindlich geschlossen sein und darf allenfalls unter formellen Bedingungen stehen.15) _____________ 12) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155. 13) Zur generellen Notwendigkeit betriebswirtschaftlicher Expertise im Zusammenhang mit den Vorschriften des StaRUG vgl. Girotto/Czernay, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 66 ff. 14) Vgl. zur Eigenverwaltungsplanung Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. 15) Vgl. zur Eigenverwaltungsplanung Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204.

Boss/Luttmann

721

23

§ 50

Antrag

c) Sicherstellung der „Durchfinanzierung“ 24

Die Durchfinanzierung des Schuldners in den auf den Anordnungsantrag folgenden sechs Monaten muss sichergestellt sein. Der Liquiditätseffekt der Stabilisierung ist spürbar, im Vergleich zum (vorläufigen) Insolvenzverfahren aber erheblich eingeschränkt:

25

Arbeitnehmerforderungen (inklusive der Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung) sind nicht gestalt- und daher auch nicht stabilisierbar. Anders als im (vorläufigen) Insolvenzverfahren steht in Restrukturierungssachen das Instrument der Insolvenzgeldfinanzierung nicht zur Verfügung. Auf gesperrte Forderungen hat der Schuldner die ab dem Zeitpunkt der Erstanordnung anfallenden Neuzinsen zu erfüllen (siehe § 49 Rz. 53). Altzinsen, die vor dem Zeitpunkt der Erstanordnung entstanden sind, können zwar stabilisiert werden. Gesperrte Altdarlehenszinsen, die auf einem Darlehnsvertrag beruhen, bei dem Darlehensnehmer und –geber Unternehmer sind, werden jedoch mit neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verzinst (siehe § 49 Rz. 56). Das Umlaufvermögen – so eine auf das Umlaufvermögen gerichtete Stabilisierung (ausnahmsweise) überhaupt erforderlich ist (siehe § 49 Rz. 47) – dürfte regelmäßig wertausschöpfend belastet sein. Erlöse aus dem belasteten Umlaufvermögen sind zu separieren. Sie stehen für die Finanzierung des Schuldners – ohne Zustimmung der Sicherungsgläubiger – nicht zur Verfügung (siehe § 54 Rz. 13 ff.). Dies gilt auch für das Anlagevermögen (siehe § 54 Rz. 13 ff.). Selbst wenn der Schuldner ausnahmsweise über unbelastetes Anlagevermögen verfügt, kann ein Veräußerungserlös nicht als liquiditätswirksame Finanzierungsquelle berücksichtigt werden. § 50 Abs. 2 Nr. 2 bestimmt, dass Finanzierungsquellen, „die sich mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbaren lassen“, bei der Finanzplanung außer Betracht bleiben. Ziel der Restrukturierungssache ist die nachhaltige Fortführung des Schuldners. Die Veräußerung von Anlagevermögen ist in aller Regel jedoch nicht nachhaltig und scheidet als Finanzierungsquelle aus.16) Beabsichtig der Schuldner dennoch, die Fortführung mit Veräußerungserlösen aus dem Anlagevermögen zu finanzieren, muss betriebswirtschaftlich begründet werden, weshalb dies nicht nur ein kurzfristiger Liquiditätseffekt ist.

26

Ohne externe Finanzierungsquellen ist die „Durchfinanzierung“ der Fortführung regelmäßig nicht sicherzustellen. Ein Investor wird nur dann bereit sein, „ins Risiko zu gehen“, wenn weitestgehend Einigkeit über sein wirtschaftliches Engagement mit den wesentlichen Beteiligten (Kreditgeber, Gesellschafter etc.) erzielt und diese in einer entsprechenden Vereinbarung fixiert werden konnte. Der Abschluss von Krediten zur Finanzierung der Fortführung muss rechtsverbindlich geschlossen sein. Er darf allenfalls unter formellen Bedingungen – wie dem Erlass der beantragten Stabilisierung – stehen.17) Anderenfalls stellt der Finanzplan die Fortführung nicht sicher.

_____________ 16) Vgl. zur Eigenverwaltungsplanung Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. 17) Vgl. zur Eigenverwaltungsplanung Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204.

722

Boss/Luttmann

§ 50

Antrag

3.

Weitere Erklärungen (Abs. 3)

Nach § 50 Abs. 3 hat sich der Schuldner über Sachverhalte zu erklären, an welche die Prüfung der Erlassvoraussetzungen anknüpfen (§ 51 Abs. 1 und Abs. 2).

27

a) Zahlungsverhalten gegenüber bestimmten Gläubigern (Abs. 3 Nr. 1) Nach § 50 Abs. 3 Nr. 1 hat der Schuldner zu erklären, –

ob,



in welchem Umfang und



gegenüber welchen Gläubigern

28

er sich mit der Erfüllung von Verbindlichkeiten aus –

Arbeitsverhältnissen,



Pensionszusagen,



dem Steuerschuldverhältnis,



gegenüber Sozialversicherungsträgern oder



gegenüber Lieferanten

in Verzug befindet. Bei erheblichen Zahlungsrückständen mit den vorbenannten Verbindlichkeiten, wird vermutet, dass der Schuldner entweder –

zur Erfüllung nicht in der Lage (und zahlungsunfähig) ist oder



er nicht willens ist, seine Geschäftsführung am Interesse der Gläubiger auszurichten (und zahlungsunwillig ist).18)

In diesen Fällen ist die beantragte Stabilisierung nur zu erlassen, wenn der Schuldner nachvollziehbar darzulegen vermag, dass er bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten (§ 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1); siehe § 51 Rz. 34.

29

30

b) Verwertungs- und Vollstreckungssperren sowie Anordnungen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Nr. 5 InsO (Abs. 3 Nr. 2) Der Schuldner hat ferner zu erklären, ob und in welchen Verfahren zu seinen Gunsten innerhalb der letzten drei Jahre vor dem Anordnungsantrag –

Vollstreckungs- und/oder Verwertungssperren nach § 49 Abs. 1 oder



Maßnahmen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder Nr. 5 InsO

31

angeordnet wurden. Auch die wiederholte Inanspruchnahme von sanierungsrechtlichen Verfahrenshilfen nach § 49 Abs. 1 und/oder Anordnungen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder Nr. 5 InsO sind ein Indiz dafür, dass einen nachhaltige Sanierung des Schuldners bereits in der Vergangenheit gescheitert ist und für eine mangelnde Sanierungsfähigkeit des _____________ 18) Vgl. zur Eigenverwaltungsplanung Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204.

Boss/Luttmann

723

32

§ 51

Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung

Schuldners.19) Gelingt es dem Schuldner nicht, die Vermutung einer früheren fehlgeschlagenen Sanierung zu wiederlegen, muss der Schuldner darlegen, dass er bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten (siehe § 51 Rz. 35 f.). c) Einhaltung handelsrechtlicher Offenlegungspflichten (Abs. 3 Nr. 3) 33

Schließlich ist dem Anordnungsantrag eine Erklärung beizufügen, ob der Schuldner in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren seinen Verpflichtungen aus –

den §§ 325 bis 328 HGB oder



§ 339 HGB

nachgekommen ist. 34

Verstößt der Schuldner gegen handelsrechtliche Offenlegungspflichten, lässt auch dies eine mangelnde Rücksichtnahme auf Gläubigerinteressen vermuten.20) Liegen Verstöße nach § 50 Abs. 3 Nr. 3 vor, ist die begehrte Stabilisierung nur zu erlassen, wenn der Schuldner diese Vermutung zu wiederlegen vermag (siehe § 51 Rz. 34).

35

Zu den Parallelvorschriften in der Eigenverwaltungsplanung wird darauf hingewiesen, dass den Veröffentlichungspflichten für die Jahresabschlüsse des Vorjahres oftmals deshalb nicht bis zur Antragstellung nachgekommen werden kann, weil die Wirtschaftsprüfer für diese Jahresabschlüsse einen uneingeschränkten Prüfungsvermerk in Frage stellen.21) Diese (zutreffende) Erwägung gilt auch für die Restrukturierungsplanung. Der Schuldner kann jedoch im Anordnungsantrag versichern und dokumentieren, dass die Jahresabschlüsse erstellt wurden und die Gründe darlegen, warum der Veröffentlichungspflicht nicht nachgekommen werden konnte. _____________ 19) Vgl. zur Eigenverwaltungsplanung Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. 20) Vgl. zur Eigenverwaltungsplanung Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. 21) Vgl. Bernsau/Weniger, BB 2020, 2571, 2573.

§ 51 Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung Boss/Luttmann

(1) 1Die Stabilisierungsanordnung ergeht, wenn die von dem Schuldner vorgelegte Restrukturierungsplanung vollständig und schlüssig ist und keine Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass 1.

die Restrukturierungsplanung oder die Erklärungen zu § 50 Absatz 3 in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht oder beruhen,

2.

die Restrukturierung aussichtslos ist, weil keine Aussicht darauf besteht, dass ein das Restrukturierungskonzept umsetzender Plan von den Planbetroffenen angenommen oder vom Gericht bestätigt werden würde,

3.

der Schuldner noch nicht drohend zahlungsunfähig ist oder

724

Boss/Luttmann

§ 51

Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung

4.

die beantragte Anordnung nicht erforderlich ist, um das Restrukturierungsziel zu verwirklichen.

2 Schlüssig ist die Planung, wenn nicht offensichtlich ist, dass sich das Restrukturierungsziel nicht auf Grundlage der in Aussicht genommenen Maßnahmen erreichen lässt. 3Weist die Restrukturierungsplanung behebbare Mängel auf, erlässt das Gericht die Anordnung für einen Zeitraum von höchstens 20 Tagen und gibt dem Schuldner auf, die Mängel innerhalb dieses Zeitraums zu beheben.

(2) 1Sind Umstände bekannt, aus denen sich ergibt, dass 1.

erhebliche Zahlungsrückstände gegenüber den in § 50 Absatz 3 Nummer 1 genannten Gläubigern bestehen oder

2.

der Schuldner für mindestens eines der letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre gegen die Offenlegungspflichten nach den §§ 325 bis 328 oder nach § 339 des Handelsgesetzbuchs verstoßen hat,

erfolgt die Stabilisierungsanordnung nur, wenn trotz dieser Umstände zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten. 2Dies gilt auch, wenn zugunsten des Schuldners in den letzten drei Jahren vor der Stellung des Antrags die in § 49 Absatz 1 genannten Vollstreckungs- oder Verwertungssperren oder vorläufige Sicherungsanordnungen nach § 21 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 oder 5 der Insolvenzordnung angeordnet wurden, sofern nicht der Anlass dieser Anordnungen durch eine nachhaltige Sanierung des Schuldners bewältigt wurde. (3) Liegt zum Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung kein Restrukturierungsplan vor, kann das Gericht dem Schuldner eine Frist setzen, binnen derer der Restrukturierungsplan vorzulegen ist. (4) 1Die Stabilisierungsanordnung ist allen Gläubigern, die von ihr betroffen sind, zuzustellen. 2In öffentlichen Restrukturierungssachen (§ 84) kann auf eine Zustellung verzichtet werden, wenn sich die Anordnung mit Ausnahme der in § 4 genannten Gläubiger gegen alle Gläubiger richtet. (5) 1Das Restrukturierungsgericht entscheidet über den Antrag auf Erlass der Stabilisierungsanordnung durch Beschluss. 2Soweit das Gericht den Antrag zurückweist, steht dem Schuldner gegen den Beschluss die sofortige Beschwerde zu. Literatur: Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Restrukturierungsentwurf StaRuG in der Praxis, BB 2020, 2498; Riggert, Allgemeine Grundsätze der Stabilisierung nach dem StaRuG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 40; Zuleger, Kreditsicherheiten nach dem StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 43. Übersicht I. Normzweck/-inhalt ............................. 1 II. Erlassvoraussetzungen/Gerichtliche Kontrolldichte (Abs. 1, Abs. 2) .......... 7 1. Beibringungsmaxime ............................. 8 2. Vollständigkeit ...................................... 9 3. Schlüssigkeit der Restrukturierungsplanung ....................................... 10 a) Offensichtliche Unschlüssigkeit/Ungeeignetheit ..................... 13

b) aa) (1) (2) (3) bb) 4.

Mängelheilung (Abs. 1 Satz 3) .... 16 Behebbare Mängel ........................ 17 Inhaltliche Mängel ....................... 18 Vollständigkeitsmangel ................ 20 Unzulässigkeit des Antrags ......... 21 Vorläufige Anordnungsdauer ............................................. 23 Negativprüfung (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 4) .................................... 26

Boss/Luttmann

725

§ 51

Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung

a) In wesentlichen Punkten unzutreffende Tatsachen (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) ................................. b) Aussichtslosigkeit des Restrukturierungsplan (Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) ............................................ c) Noch nicht drohende Zahlungsunfähigkeit (Abs. 1 Satz 1 Nr. 3) ... d) Erforderlichkeit der Stabilisierungsanordnung (Abs. 1 Satz 1 Nr. 4) ............................................

I. 1

5. 27 30 31 32

Regelversagung in den Fällen des § 50 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3/Rückausnahme für den Fall des § 50 Abs. 3 Nr. 2 (Abs. 2) ................................................ 34 III. Fristsetzung zur Vorlage eines Restrukturierungsplanentwurfs (Abs. 3) ................................................ 37 IV. Bekanntgabe ....................................... 38 V. Sofortige Beschwerde des Schuldners (Abs. 5) ............................ 41

Normzweck/-inhalt

§ 51 Abs. 1 und 2 bestimmen –

die Voraussetzungen für den Erlass von Stabilisierungsanordnungen sowie



die gerichtliche Kontrolldichte beim Erlass der Anordnung.

2

Die Anordnungsvoraussetzungen knüpfen an die dem Anordnungsantrag beizufügende Restrukturierungsplanung und die Erklärungen nach § 50 Abs. 3 an. Die Erlasskontrolle ist auf eine Vollständigkeits- und Schlüssigkeitskontrolle beschränkt (siehe Rz. 9 und Rz. 10 ff.).

3

Weist die Restrukturierungsplanung behebbare Mängel auf, ist die beantragte Stabilisierung (vorläufig) für die Dauer von höchstens 20 Tagen zu erlassen. Das Gericht gibt dem Schuldner auf, die Mängel innerhalb der vorläufigen Anordnungsdauer zu beheben.

4

Hat der Schuldner zum Zeitpunkt der Sanierungsanordnung nur ein Restrukturierungskonzept vorgelegt, ist das Gericht nach § 51 Abs. 3 befugt, dem Schuldner aufzugeben, binnen einer vom Gericht zu bestimmenden Frist einen Restrukturierungsplanentwurf vorzulegen.

5

Die Bekanntgabe der Stabilisierungsanordnung wird in § 51 Abs. 4 geregelt.

6

§ 51 Abs. 5 Satz 1 bestimmt, dass das Restrukturierungsgericht über den Erlass von Stabilisierungsanordnungen durch Beschluss entscheidet. Gegen einen Zurückweisungsbeschluss steht dem Schuldner das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu (§ 51 Abs. 5 Satz 2). II. Erlassvoraussetzungen/Gerichtliche Kontrolldichte (Abs. 1, Abs. 2)

7

Dem Antrag auf Erlass einer Stabilisierungsanordnungen ist zu entsprechen, wenn die vom Schuldner vorgelegte Restrukturierungsplanung –

vollständig und



schlüssig ist sowie



keine Umstände bekannt sind („Negativprüfung“), aus denen sich ergibt, dass –

726

die Restrukturierungsplanung oder die Erklärungen nach § 50 Abs. 3 in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruhen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1),

Boss/Luttmann

Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung

1.

§ 51



die Restrukturierung aussichtslos ist, weil keine Aussicht darauf besteht, dass ein das Restrukturierungskonzept umsetzender Plan von den Planbetroffenen angenommen oder vom Gericht bestätigt werden würde (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2),



der Schuldner noch nicht drohend zahlungsunfähig ist (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3) oder



die beantragte Anordnung nicht erforderlich ist, um das Restrukturierungsziel zu verwirklichen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4).

Beibringungsmaxime

Der Schuldner hat eine schlüssige Restrukturierungsplanung vorzulegen. Es gilt die Beibringungsmaxime. Die in § 51 Abs. 1 Satz 1 angeordnete Negativprüfung, nach der das Restrukturierungsgericht die beantragte Stabilisierungsanordnung zu erlassen hat, wenn es keine Kenntnis von den in § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 genannten Umstände hat, ist eine abweichende Bestimmung i. S. des § 39 Abs. 1, die den in Restrukturierungssachen geltenden Amtsermittlungsgrundsatz ausschließt.1) Eine Hinzuziehung von Sachverständigen durch das Gericht ist mit dem Beibringungsgrundsatz nicht vereinbar und widerspräche der Eilbedürftigkeit der Stabilisierung.2) Dies gilt auch für eigene Ermittlungen des Gerichts und die Einholung sonstiger Stellungnahmen.3) 2.

8

Vollständigkeit

Das Restrukturierungsgericht prüft, ob die Restrukturierungsplanung bestehend aus –

Restrukturierungsplanentwurf oder (so ein Restrukturierungsplanentwurf noch nicht vorliegt) Restrukturierungskonzept (§ 50 Abs. 2 Nr. 1) und



Finanzplanung (§ 50 Abs. 2 Nr. 2)

9

mit sämtlichen Anlagen vollständig und dem Anordnungsantrag beigefügt sind. Das Restrukturierungsgericht hat auch zu prüfen, ob formal Art, Ausmaß und Ursachen der zu bewältigenden Krise im Restrukturierungsplanentwurf (oder im Restrukturierungskonzept) dargelegt werden.4) Obgleich sich die Vollständigkeitskontrolle nach dem Wortlaut nur auf die Restrukturierungsplanung bezieht, gebietet es der Gesetzeszweck, dass sich die Vollständigkeitskontrolle auch auf die Erklärungen nach § 50 Abs. 3 erstreckt. 3.

Schlüssigkeit der Restrukturierungsplanung

Das Restrukturierungsgericht prüft die Restrukturierungsplanung nur auf Schlüssigkeit.

10

Nach § 51 Abs. 1 Satz 2 ist die Restrukturierungsplanung schlüssig, „wenn nicht offensichtlich ist“, dass sich das Restrukturierungsziel einer nachhaltigen Sanierung

11

_____________ 1) 2) 3) 4)

Vgl. dazu auch Braun-Riggert, StaRUG, § 51 Rz. 1. Vgl. zum Insolvenzplan Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 231 Rz. 4. Vgl. zum Insolvenzplan K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 231 Rz. 8, 11 und 14. Vgl. Braun-Riggert, StaRUG, § 51 Rz. 3.

Boss/Luttmann

727

§ 51

Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung

des Schuldners „nicht auf Grundlage der in Aussicht genommen Maßnahmen erreichen lässt“. 12

Bei der Schlüssigkeitsprüfung ist die Richtigkeit der Tatsachen, die der Restrukturierungsplanung zugrunde liegen, zu unterstellen. a) Offensichtliche Unschlüssigkeit/Ungeeignetheit

13

§ 51 Abs. 1 Satz 2 ist sprachlich missglückt. Aus der doppelten Verneinung in Satz 2: –

„nicht offensichtlich ist“ und



„nicht erreichen lässt“

folgt in Anlehnung der Auslegung des Begriffs der Offensichtlichkeit im Insolvenzplanrecht (§ 231 Abs. 1 Nr. 2 InsO), dass die Restrukturierungsplanung schlüssig ist, wenn sie nicht evident und eindeutig5) unschlüssig und das Gericht nicht davon überzeugt ist, dass die Restrukturierungsplanung zur Erreichung einer nachhaltige Sanierung des Schuldners ungeeignet ist. Die Zweckmäßigkeit6) und/oder Zumutbarkeit der begehrten Maßnahmen prüft das Restrukturierungsgericht nicht. 14

Bei Zweifeln des Gerichts an der Ungeeignetheit der Restrukturierungsplanung widerspräche die Bestellung eines Sachverständigen der Eilbedürftigkeit der Stabilisierung und der Beibringungsmaxime. Da die Unschlüssigkeit evident und eindeutig und das Gericht von der Ungeeignetheit überzeugt sein muss, dürfte jedenfalls dann, wenn das Gericht davon ausgeht, dass bestehende Zweifel ausgeräumt werden können, ein behebbarer Mangel nach § 51 Abs. 1 Satz 3 anzunehmen sein. Können die Zweifel des Gerichts durch den Schuldner entgegen der Erwartung des Gerichts nicht behoben werden, haften die Organe des Schuldners den betroffenen Gläubigern ggf. für den durch die vorläufige Anordnung (§ 51 Abs. 1 Satz 3) entstandenen Schaden (§ 57). Wird ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, hat auch der Restrukturierungsbeauftragte als „Quasi-Sachverständiger“7) das Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen und folglich auch den Restrukturierungsplanentwurf/das Restrukturierungskonzept zu überprüfen (§ 76 Abs. 3 Nr. 1)8) und bei Vorliegen der Voraussetzungen die Aufhebung der Anordnung zu beantragen (§ 76 Abs. 3 Nr. 2)9). Allerdings ist ein Restrukturierungsbeauftragter nur von Amts wegen zu bestellen, wenn sich die Stabilisierung gegen alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger richtet (§ 73 Abs. 1 Nr. 2).10)

15

Bei Zweifeln an der Finanzplanung (§ 50 Abs. 2 Nr. 2) dürfte Anderes gelten: Aus dem Finanzplan (§ 50 Abs. 2 Nr. 2) muss sich ergeben, dass die Fortführung des Schuldners für die auf den Anordnungsantrag folgenden sechs Monate „durchfi_____________ Vgl. Riggert, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 40, 41. Vgl. Braun-Riggert, StaRUG, § 51 Rz. 3. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 188. Vgl. Braun-Riggert, StaRUG, § 51 Rz. 1. Die Mitteilungspflicht des Schuldners gemß § 32 Abs. 2 Satz 3 gegenüber dem Restrukturierungsbeauftragten dient dazu, dem Restrukturierungsbeauftragten diese Prüfung zu ermöglichen. 10) Vgl. Braun-Blümle/Erbe, StaRUG, § 73 Rz. 10. 5) 6) 7) 8) 9)

728

Boss/Luttmann

Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung

§ 51

nanziert“ und sichergestellt ist. Zweifel des Gerichts an der Ungeeignetheit der Finanzplanung dürften daher zu Lasten des antragstellenden Schuldners gehen. b) Mängelheilung (Abs. 1 Satz 3) Weist die Restrukturierungsplanung behebbare Mängel auf, ist die Anordnung (vorläufig) für einen Zeitraum von höchstens 20 Tagen zu erlassen. Das Gericht hat dem Schuldner aufzugeben, die Mängel innerhalb der vorläufigen Anordnungsdauer zu beheben. Anders als bei der Eigenverwaltungsplanung („kann das Gericht“ – § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO n. F.) hat der StaRUG-Gesetzgeber dem Restrukturierungsgericht bei behebbaren Mängeln kein Ermessen („erlässt das Gericht“) eingeräumt, ob eine vorläufige Anordnung erfolgt oder nicht. Bestehen behebbare Mängel, ist das Restrukturierungsgericht verpflichtet, die beantragte Stabilisierung vorläufig zu erlassen und den Schuldner die Mängelbehebung aufzugeben.

16

aa) Behebbare Mängel Was ein behebbarer Mangel ist, regelt das Gesetz nicht.

17

(1) Inhaltliche Mängel Nicht nur Vollständigkeitsmängel, sondern auch inhaltliche Mängel der Restrukturierungsplanung sind heilbar. Ist das Gericht jedoch von der Ungeeignetheit der Restrukturierungsplanung überzeugt, liegt kein Fall des § 51 Abs. 1 Satz 3 vor. Ein auch nur vorläufiger Erlass der Stabilisierungsanordnung aufgrund einer ungeeigneten Restrukturierungsplanung wäre den betroffenen Gläubigern nicht zumutbar. Ist die Restrukturierungsplanung ungeeignet, um die nachhaltige Sanierung der Schuldnerin zu erreichen, sind die inhaltlichen Mängel der Restrukturierungsplanung so schwerwiegend, dass sie innerhalb von maximal 20 Tagen nicht behebbar sind. Ob inhaltliche Zweifel an der Restrukturierungsplanung so schwerwiegend sind, dass die Restrukturierungsplanung als evident unschlüssig und ungeeignet einzustufen ist ober die inhaltlichen Zweifel an der Restrukturierungsplanung noch (innerhalb von maximal 20 Tagen) ausgeräumt werden können, hat das Restrukturierungsgericht zu beurteilen.

18

Als denkbare behebbare inhaltliche Mängel des Restrukturierungsplanentwurfs/ des Restrukturierungskonzepts (§ 50 Abs. 2 Nr. 1) dürften bspw. in Betracht kommen:

19



Der Schuldner legt nicht ausreichend dar, weshalb es erforderlich ist, dass beantragte Stabilisierungsanordnungen sich gegen alle (oder im Wesentlichen alle) Gläubiger richten sollen oder



der Schuldner legt bei der Beantragung der Stabilisierung von gruppeninternen Drittsicherheiten nicht ausreichend dar, ob der Drittsicherungsgeber drohend zahlungsunfähig oder insolvenzreif ist oder, warum die Stabilisierung trotz der Solvenz des Drittsicherungsgebers zur Vermeidung einer wirtschaftlichen Schieflage des Gesamtkonzerns erforderlich ist.

(2) Vollständigkeitsmangel Um Vollständigkeitsmängel handelt es sich, wenn einzelne, für die Schlüssigkeitsprüfung nicht erforderliche Anlagen, nicht oder teilweise nicht vorgelegt werden.

Boss/Luttmann

729

20

§ 51

Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung

Vollständigkeitsmängel können durch nachträgliche Vorlage der fehelenden Unterlagen geheilt und behoben werden. (3) Unzulässigkeit des Antrags 21

Wird dem Anordnungsantrag gar keine Restrukturierungsplanung (Restrukturierungsplanentwurf/Restrukturierungskonzept und/oder Finanzplan) beigefügt, ist es dem Gericht nicht möglich, die Schlüssigkeit der Restrukturierungsplanung zu prüfen. Es liegt kein Vollständigkeitsmangel vor. Der Anordnungsantrag ist mangels Prüffähigkeit unzulässig. Aufgrund der Bedeutung der in der Finanzplanung „fundiert“ zu dokumentierenden Finanzierungsquellen, dürfte dies auch für den Fall einer fehlenden oder unzureichenden Dokumentation der Finanzierungsquellen gelten. Auch dann, wenn die Erklärungen nach § 50 Abs. 3 nicht beigefügt sind, dürfte der Anordnungsantrag nicht prüffähig und unzulässig sein.

22

Aus Gründen der Verfahrensökonomie wird das Gericht dem Schuldner auch bei unzulässigen Anordnungsanträgen eine Frist zur Vorlage der fehlenden Unterlagen stellen können. Die Stabilisierungsanordnung ist jedoch bei unzulässigen Anträgen – anders als bei „echten“ Vollständigkeitsmängeln – erst zu erlassen, wenn die fehlenden Unterlagen dem Gericht vorliegen und das Restrukturierungsgericht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Restrukturierungsplanung nicht ungeeignet ist. bb) Vorläufige Anordnungsdauer

23

Bei behebbaren inhaltlichen und/oder Vollständigkeitsmängeln ist die beantragte Stabilisierung vorläufig anzuordnen. Die vorläufige Anordnungshöchstdauer ist auf 20 Tage beschränkt. Dem Schuldner ist vom Gericht aufzugeben, die Mängel innerhalb der vorläufigen Anordnungsdauer zu beheben.

24

Bei „echten“ Vollständigkeitsmängeln dürfte in aller Regel eine vorläufige Anordnungsdauer von ein bis zwei Tagen genügen, um dem Schuldner zu ermöglichen, die fehlenden Unterlagen nachzureichen oder einen unzureichenden Umstand zu plausibilisieren und dadurch den Vollständigkeitsmangel zu beheben.

25

Auch bei inhaltlichen Mängeln sollte die Bestimmung der vorläufigen Anordnungsdauer restriktiv gehandhabt werden. Nur in Ausnahmenfällen dürfte die vorläufige Anordnungshöchstdauer von 20 Tagen auszuschöpfen sein. 4.

26

Negativprüfung (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 4)

Sind die Erklärungen nach § 50 Abs. 3 und die Restrukturierungsplanung vollständig und die Restrukturierungsplanung schlüssig, ist die beantragte Stabilisierung zu erlassen, wenn dem Gericht keine der in § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 4 genannten Umstände bekannt sind. Erforderlich ist positive Kenntnis.11) Kennenmüssen genügt nicht. Anzuwenden sind die Grundsätze über gerichtskundige Tatsachen. Entscheidend ist daher die amtliche Kenntnis des Gerichts und nicht das private Wissen des Richters.12) _____________ 11) Vgl. Desch, BB 2020, 2498, 2508. 12) Vgl. zu gerichtskundigen Tatschen Prütting in: MünchKomm-ZPO, § 291 Rz. 9.

730

Boss/Luttmann

Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung

§ 51

a) In wesentlichen Punkten unzutreffende Tatsachen (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) Ist dem Gericht positiv bekannt, dass die Restrukturierungsplanung oder die Erklärungen nach § 50 Abs. 3 in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht, ist die begehrte Stabilisierung zu versagen.

27

Die unzutreffenden Tatsachen sind in Bezug auf die Restrukturierungsplanung nur dann wesentlich, wenn die Unrichtigkeit grundlegende Prämissen der Durchführung des Restrukturierungsplanentwurfs betrifft.13)

28

Bei den Erklärungen nach § 50 Abs. 3 dürften jedenfalls geringfügige Abweichungen nicht zur Versagung der Anordnung führen.

29

b) Aussichtslosigkeit des Restrukturierungsplan (Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ist die Anordnung auch dann zu versagen, wenn dem Gericht positiv bekannt ist, dass die Restrukturierung aussichtslos ist, weil keine Aussicht darauf besteht, dass der Plan von den Betroffenen angenommen oder vom Gericht bestätigt wird. Die Regelung ist an § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO angelehnt. Ebenso wie beim Insolvenzplan ist die Entscheidungskompetenz der Planbetroffenen bestmöglich zu wahren und bei der Annahme, der Plan habe keine Aussicht angenommen und umgesetzt zu werden, Zurückhaltung geboten.14)

30

c) Noch nicht drohende Zahlungsunfähigkeit (Abs. 1 Satz 1 Nr. 3) Die Stabilisierungsanordnung ist ferner nicht zu erlassen, wenn das Gericht positive Kenntnis von der noch nicht drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hat. Aus der Restrukturierungsplanung wird das Restrukturierungsgericht die wirtschaftliche Situation des Schuldners hinsichtlich einer noch nicht eingetretenen drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht ableiten können.15) Regelmäßig wird eine noch nicht drohende Zahlungsunfähigkeit dem Restrukturierungsgericht daher nicht positiv bekannt sein.16)

31

d) Erforderlichkeit der Stabilisierungsanordnung (Abs. 1 Satz 1 Nr. 4) Schließlich hat das Restrukturierungsgericht die Anordnung zu versagen, wenn es positive Kenntnis davon hat, dass die begehrte Stabilisierungsanordnung nicht erforderlich ist. Insoweit dürfte es dem Schuldner regelmäßig erhebliche Schwierigkeiten bereiten, zu plausibilisieren, weshalb –

es notwendig ist, dass sich die Anordnung gegen alle (oder im Wesentlichen alle) Gläubiger und somit auch gegen Kleingläubiger17) richten soll und



weshalb der Antrag auf Erlass einer gruppeninternen Drittsicherheit auch gegen eine solvente Konzerngesellschaft erforderlich ist.

Eine Vollstreckungssperre ist nur dann erforderlich, wenn die Vollstreckung zumindest droht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn ein Vollstreckungstitel vor_____________ 13) 14) 15) 16) 17)

Vgl. Riggert, NZI Beilage Heft 5/2021, 40, 41. Vgl. Riggert, NZI Beilage Heft 5/2021, 40, 41. Vgl. Riggert, NZI Beilage Heft 5/2021, 40, 41. Vgl. Riggert, NZI Beilage Heft 5/2021, 40, 41. Vgl. Riggert, NZI Beilage Heft 5/2021, 40, 41, 43.

Boss/Luttmann

731

32

33

§ 51

Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung

liegt. Liegt kein Vollstreckungstitel vor, hat der Schuldner die Erforderlichkeit der Vollstreckungssperre gesondert zu begründen.18) Vollstreckungssperren dürften in der Rechtspraxis für gesicherte Kreditgeber keine große Rolle spielen, da bei (nur) drohender Zahlungsunfähigkeit regelmäßig kein vollstreckbarer Titel vorliegt oder gar bereits vollstreckt wird.19) 5.

Regelversagung in den Fällen des § 50 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3/ Rückausnahme für den Fall des § 50 Abs. 3 Nr. 2 (Abs. 2)

34

Sind dem Gericht (bspw. aufgrund der Erklärungen des Schuldners) Umstände nach § 50 Abs. 3 Nr. 1 und 3 bekannt, bestimmt § 51 Abs. 2 Satz 1, dass die Anordnung nur dann zu erlassen ist, wenn trotz dieser Umstände zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten.

35

§ 51 Abs. 2 Satz 2 stellt klar, dass Satz 1 auch für den Fall des § 50 Abs. 3 Nr. 2 gilt und der Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Anordnungsantrag Stabilisierungsanordnungen nach § 49 Abs. 1 und/oder Anordnungen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder Nr. 5 InsO in Anspruch genommen hat. § 51 Abs. 2 Satz 1 gilt jedoch nicht, sofern der Anlass der Anordnungen durch eine nachhaltige Sanierung des Schuldners bewältigt wurde (Rückausnahme, Satz 2). Konnte der Schuldner trotz der in den letzten drei Jahren in Anspruch genommenen Hilfen nach § 49 Abs. 1 und § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Nr. 5 InsO nachhaltig saniert werden, ist die beantragte Stabilisierung zu erlassen, ohne dass es einer weiteren Prüfung bedarf, ob der Schuldner bereit und in der Lage ist, sich an den Gläubigerinteressen zu orientieren.

36

Liegen Umstände nach § 50 Abs. 3 Nr. 1 bis Nr. 3 vor, obliegt es aufgrund der Beibringungsmaxime dem Schuldner – will er eine Zurückweisung des Anordnungsantrags vermeiden – darzulegen, weshalb –

er bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Gläubigerinteressen auszurichten und – im Fall des § 50 Abs. 3 Nr. 2 –



darzulegen, dass eine nachhaltige Sanierung durch die in jüngster Vergangenheit in Anspruch genommen Hilfen nach § 49 Abs. 1 und § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Nr. 5 InsO geglückt ist.

III. Fristsetzung zur Vorlage eines Restrukturierungsplanentwurfs (Abs. 3) 37

Nach § 51 Abs. 3 kann das Restrukturierungsgericht dem Schuldner, wenn zum Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung noch kein Restrukturierungsplanentwurf (sondern nur ein Restrukturierungskonzept) vorliegt, eine Frist setzten, binnen derer ein Restrukturierungsplanentwurf vorzulegen ist. Da nur aufgrund eines (aus Sicht des Schuldners) endgültigen Restrukturierungsplans die Sanierung nachhaltig gelingen kann, obliegt es dem Schuldner einen entsprechenden Entwurf vorzulegen.20) Über die Länge der Frist ist dem Gesetz nichts zu entnehmen. Die Frist dürfte jedoch _____________ 18) Vgl. Braun-Riggert, StaRUG, § 50 Rz. 3. 19) Vgl. Zuleger, NZI Beilage Heft 5/2021, 43, 45. 20) Vgl. Braun-Riggert, StaRUG, § 51 Rz. 10.

732

Boss/Luttmann

§ 52

Folgeanordnung, Neuanordnung

nicht länger zu bemessen sein, als die Dauer der beantragten Stabilisierung und die Anordnungshöchstdauer von drei Monaten (§ 53 Abs. 1) darf nicht überschreiten werden. IV. Bekanntgabe In § 51 Abs. 5 wird die Bekanntgabe von Stabilisierungsanordnungen geregelt. Stabilisierungsanordnungen sind den betroffenen Gläubigern grundsätzlich zuzustellen (§ 51 Abs. 5 Satz 1).

38

Nur wenn sich

39



der Schuldner für ein öffentliches StaRUG-Verfahren (§ 84 Abs. 1) entscheidet und



die Anordnung gegen alle Gläubiger richtet,

kann aufgrund der öffentlichen Bekanntgabe auf die Zustellung verzichtet werden (§ 51 Abs. 5 Satz 2). Ein Verzicht auf die Zustellung dürfte regelmäßig ausscheiden, da der Schuldner kaum darlegen können dürfte, weshalb es erforderlich sein soll, dass sich die Stabilisierung gegen alle Gläubiger (auch gegen Kleingläubiger) richtet. Selbst wenn dies dem Schuldner (ausnahmsweise) gelingen sollte, steht der Zustellungsverzicht im Ermessen des Gerichts [„kann … verzichtet werden“]. Die öffentliche Bekanntgabe erfolgt durch Veröffentlichung im Internet (§ 86 Abs. 1 Satz 1). Ob es auch Kleingläubigern zugemutet werden sollte, regelmäßig die öffentlichen Bekanntgaben im Internet zu verfolgen, ist rechtspolitisch fraglich.

40

V. Sofortige Beschwerde des Schuldners (Abs. 5) Das Restrukturierungsgericht entscheidet über den Antrag auf Erlass der Stabilisierungsanordnung durch Beschluss (§ 51 Abs. 5 Satz 1).

41

Wird die Anordnung erlassen, steht den von der Stabilisierung betroffenen Gläubigern zwar kein Beschwerderecht zu, jedoch können sie die Aufhebung der Anordnung nach § 59 Abs. 2 beantragen.21) Zum Aufhebungsantrag der von der Stabilisierung betroffenen Gläubiger nach § 59 Abs. 2 siehe § 59 Rz. 23 ff.

42

Gegen die Zurückweisung des Antrags hat der Schuldner das Recht der sofortigen Beschwerde. Über die Generalverweisung in die ZPO (§ 38 Satz 1) gelten die §§ 567 ff. ZPO.

43

_____________ 21) Vgl. Braun-Riggert, StaRUG, § 51 Rz. 12.

§ 52 Folgeanordnung, Neuanordnung Boss/Luttmann

Unter den Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 und 2 kann eine Stabilisierungsanordnung auf weitere Gläubiger erstreckt, inhaltlich erweitert oder zeitlich verlängert werden (Folgeanordnung) oder, sofern die Anordnungsdauer bereits überschritten ist, erneuert werden (Neuanordnung). Boss/Luttmann

733

§ 52

Folgeanordnung, Neuanordnung

Literatur: Riggert, Allgemeine Grundsätze der Stabilisierung nach dem StaRuG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 40. Übersicht I. II. III. IV.

I.

Normzweck/-inhalt ............................. Folgeanordnung ................................... Neuanordnung ..................................... Voraussetzungen für Folge- und Neuanordnungen .................................

1 5 6 8

V. Antragserfordernis .............................. 9 1. Beizufügende Unterlagen bei Folgeanordnung .................................. 11 2. Beizufügende Unterlagen bei Neuanordnung .................................... 12

Normzweck/-inhalt

1

§ 52 trägt der Dynamik des Restrukturierungsprozesses1) Rechnung. Der Schuldner ist an die erste Stabilisierungsanordnung (Erstanordnung) nicht gebunden und kann (innerhalb der Anordnungshöchstdauer nach § 53 Abs. 2; siehe dazu § 53 Rz. 2 ff.) bewirken, dass die Stabilisierung mittels einer Folgeanordnung inhaltlich erweitert und/oder zeitlich verlängert wird.

2

Ist die Erstanordnung zeitlich abgelaufen, kann der Schuldner durch eine Neuanordnung eine abermalige Stabilisierung erwirken.

3

Durch die Möglichkeit von Folge- und Neuanordnungen soll dem Schuldner der Anreiz genommen werden, zu versuchen, sich vorsorglich mit inhaltlich und zeitlich möglichst weitreichenden Stabilisierungsmaßnahmen zu „bevorraten“.

4

§ 52 differenziert zwischen –

Folgeanordnungen und



Neuanordnungen.

II. Folgeanordnung 5

Beim Antrag auf Erlass der Erstanordnung hat der Schuldner die begehrte Dauer (siehe § 50 Rz. 11) und die Adressaten (siehe § 50 Rz. 10) der Stabilisierung mitzuteilen (§ 50 Abs. 1). Könnte die Erstanordnung zeitlich und inhaltlich nicht ergänzt werden, wäre der Schuldner versucht, „für den Fall der Fälle“ eine möglichst weitreichende Stabilisierung zu bewirken und zu beantragen, dass die Stabilisierung für die Anordnungshöchstdauer (§ 53 Abs. 1) und gegen alle Gläubiger erlassen werden möge. Aufgrund der eingeschränkten gerichtlichen Kontrolldichte (siehe § 49 Rz. 11; § 51 Rz. 9 ff.) bestünde die Gefahr, dass eine Vielzahl von Stabilisierungen erlassen würden, die inhaltlich und/oder zeitlich nicht erforderlich wären. Dem Schuldner soll präventiv der Anreiz zur „Bevorratung“ mit potentiell nicht erforderlichen Stabilisierungsmaßnahmen genommen werden, indem er jederzeit vor Ablauf der Erstanordnung eine inhaltliche und/oder zeitliche Ergänzung der Stabilisierung bewirken kann. III. Neuanordnung

6

Der Schuldner ist nicht darauf beschränkt, vor Ablauf der Erstanordnung eine Folgeanordnung zu erwirken. Auch wenn die Dauer der Erstanordnung abgelaufen ist, kann der Schuldner eine abermalige Stabilisierung durch eine Neuanordnung _____________ 1)

734

Vgl. Begr. RefGE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 156.

Boss/Luttmann

§ 52

Folgeanordnung, Neuanordnung

beantragen. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass sich der Schuldner vor Ablauf der Erstanordnung mit möglichst weitreichenden (potentiell nicht erforderlichen) Folgeanordnungen „bevorraten“ würde. Die Neuanordnung ist inhaltlich nicht an die Erstanordnung gebunden. Dies widerspräche dem Zweck, eine „Bevorratung“ des Schuldners mit (potentiell nicht erforderlichen) Stabilisierungen zu vermeiden.

7

IV. Voraussetzungen für Folge- und Neuanordnungen Die Verweisung auf § 51 Abs. 1 und Abs. 2 stellt klar, dass auch Folge- und Neuanordnungen nur ergehen können, wenn die Erlassvoraussetzungen gegeben sind. Zu den Erlassvoraussetzungen siehe § 51 Rz. 7 ff.

8

V. Antragserfordernis Ob und wann eine Stabilisierung ergehen soll, steht im Ermessen des Schuldners.2) Auch Folge- und/oder Neuanordnungen müssen vom Schuldner beantragt werden.

9

Fraglich ist, ob aus dem Umstand, dass § 52 nicht auf § 50 Abs. 2 und Abs. 3 verweist, der Umkehrschluss gezogen werden kann, dass der Schuldner dem Antrag auf Folge- oder Neuanordnung keine Restrukturierungsplanung3) (§ 50 Abs. 2) und Erklärungen nach § 50 Abs. 3 beifügen muss.

10

1.

Beizufügende Unterlagen bei Folgeanordnung

Nach § 32 Abs. 2 Satz 1 ist der Schuldner ohnehin während der Dauer der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache verpflichtet, dem Restrukturierungsgericht jede wesentliche Änderung mitzuteilen, die das Restrukturierungsvorhaben betrifft. Voraussetzung für eine Folgeanordnung ist eine (noch) bestehende Stabilisierungsanordnung. Daher muss der Schuldner zusätzlich (so ein solcher bestellt ist) dem Restrukturierungsbeauftragten unverzüglich wesentliche Änderungen der Restrukturierungsplanung mitteilen (§ 32 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3). Aus verfahrensökonomischen Gründen dürfte daher bei Folgeanordnungen sowohl auf erneute Erklärungen nach § 50 Abs. 3 als auch auf eine erneute Vorlage einer Restrukturierungsplanung verzichtet werden können. Werden Mitteilungen nach § 32 Abs. 2 Satz 1 und/oder Satz 2 pflichtwidrig unterlassen, haften die Organe des Schuldners den Gläubigern für den daraus entstandenen Schaden nach § 57 Satz 1 (siehe dazu § 57 Rz. 9). 2.

Beizufügende Unterlagen bei Neuanordnung

Anders als die Mitteilungspflicht des Schuldners nach § 32 Abs. 2 Satz 1 besteht die Mitteilungspflicht des § 32 Abs. 2 Satz 2 nicht während der gesamten Dauer der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache, sondern nur während der Dauer der

_____________ 2) 3)

11

Vgl. Riggert, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 40. Restrukturierungsplanung ist der „Sammelbegriff“ für (i) den Restrukturierungsplanentwurf/das Restrukturierungskonzept (§ 50 Abs. 2 Nr. 1) und (ii) die Finanzplanung (§ 50 Abs. 2 Nr. 2) s. dazu § 50 Rz. 12.

Boss/Luttmann

735

12

§ 53

Anordnungsdauer

Stabilisierungsanordnung.4) Eine Neuanordnung setzt im Gegensatz zur Folgeanordnung voraus, dass die Dauer der Erstanordnung bereits abgelaufen ist. Es erscheint daher gerechtfertigt, dass der Schuldner dem Antrag auf Neuanordnung analog § 50 Abs. 2 eine Restrukturierungsplanung bestehend aus einem –

auf den Tag der Antragstellung aktualisierten Restrukturierungsplanentwurf oder Restrukturierungskonzept (§ 50 Abs. 2 Nr. 1 analog) und



einem Finanzplan (§ 50 Abs. 2 Nr. 2 analog)

beizufügen hat. Der damit verbundene zeitliche und finanzielle Aufwand des Schuldners dürfte in Anbetracht der ohnehin bis zum Ablauf der Erstanordnung bestehenden Pflicht nach § 32 Abs. 2 Satz 2 überschaubar sein. 13

Da sich die Mitteilungspflicht des § 32 Abs. 2 Satz 1 auf die gesamte Dauer der Rechtshängigkeit der Rechtsstrukturierungssache erstreckt, dürften auch in Anbetracht der persönlichen Haftung der Organe (§ 57 Satz 1) erneute Erklärungen des Schuldners nach § 50 Abs. 3 entbehrlich sein. _____________ 4)

Vgl. Braun-Weber/Dömmecke, StaRUG, § 32 Rz. 7.

§ 53 Anordnungsdauer Boss/Luttmann

(1) Die Stabilisierungsanordnung kann für eine Dauer von bis zu drei Monaten ergehen. (2) 1Folge- oder Neuanordnungen können nur im Rahmen der Anordnungshöchstdauer nach Absatz 1 ergehen, es sei denn, 1.

der Schuldner hat den Gläubigern ein Planangebot unterbreitet und

2.

es sind keine Umstände bekannt, aus denen sich ergibt, dass mit einer Planannahme innerhalb eines Monats nicht zu rechnen ist.

2

In diesem Fall verlängert sich die Anordnungshöchstdauer um einen Monat und die Anordnung richtet sich ausschließlich gegen Planbetroffene.

(3) 1Hat der Schuldner die gerichtliche Bestätigung des von den Planbetroffenen angenommenen Restrukturierungsplans beantragt, können Folge- oder Neuanordnungen bis zur Rechtskraft der Planbestätigung, höchstens aber bis zum Ablauf von acht Monaten nach dem Erlass der Erstanordnung ergehen. 2Dies gilt nicht, wenn der Restrukturierungsplan offensichtlich nicht bestätigungsfähig ist. (4) Absatz 3 ist nicht anzuwenden, wenn der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten vor der ersten Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union in das Inland verlegt wurde und keine öffentlichen Bekanntmachungen nach den §§ 84 bis 86 erfolgen.

736

Boss/Luttmann

§ 53

Anordnungsdauer Übersicht I. Normzweck/-inhalt ............................. 1 II. Anordnungshöchstdauer Erstanordnung (Abs. 1) ....................... 2 III. Anordnungshöchstdauer von Folge- und Neuanordnungen (Abs. 2 bis Abs. 4) ................................. 3

I.

1. 2. 3.

Anordnungshöchstdauer bei Vorlage eines Planangebots (Abs. 2 Halbs. 2) ..... 5 Anordnungshöchstdauer bei Antrag auf Planbestätigung (Abs. 3) ................ 7 Anordnungshöchstdauer bei Verlegung des COMI (Abs. 4) ............ 8

Normzweck/-inhalt

§ 53 regelt die zulässige Höchstdauer von Erst-, Folge- und Neuanordnungen und setzt Art. 6 Abs. 6 bis 8 der Restrukturierungsrichtlinie1) um.

1

II. Anordnungshöchstdauer Erstanordnung (Abs. 1) Im Anordnungsantrag hat der Schuldner die Dauer der begehrten Stabilisierung anzugeben (siehe § 50 Rz. 11). Art. 6 Abs. 4 der Restrukturierungsrichtlinie sieht vor, dass die anfängliche Dauer für Stabilisierungsanordnungen bis zu vier Monate betragen kann. Der Gesetzgeber hat sich bei der Richtlinienumsetzung (begrüßenswerterweise) an der Frist zur Ausarbeitung und Vorlage eines Insolvenzplans im Schutzschirmverfahren orientiert2) und in § 53 Abs. 1 bestimmt, dass die Maximaldauer für die Erstanordnung drei Monate („Anordnungshöchstdauer“) beträgt.3)

2

III. Anordnungshöchstdauer von Folge- und Neuanordnungen (Abs. 2 bis Abs. 4) Nach § 53 Abs. 2 können auch Folge- und Neuanordnungen grundsätzlich nur i. R. der Anordnungshöchstdauer von drei Monaten ergehen.

3

Nach § 53 Abs. 2 Halbs. 2 und Abs. 3 kann die Anordnungshöchstdauer bei Folgeund Neuanordnungen ausnahmsweise mehr als drei Monate betragen.

4

1.

Anordnungshöchstdauer bei Vorlage eines Planangebots (Abs. 2 Halbs. 2)

Ausnahmsweise kann sich die Dauer von Folge- und/oder Neuanordnungen gemäß § 53 Abs. 2 Halbs. 2 von drei auf vier Monaten verlängern, wenn –

der Schuldner den Gläubigern ein Plangebot unterbreitet hat und (kumulativ)



keine Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass mit einer Planannahme innerhalb eines Monats nicht zu rechnen ist.

Da der Schuldner mit Vorlage des Planangebots konkretisiert hat, welche Forderungen in den Plan einbezogen werden sollen, können sich Folge- und Neuanordnungen, die in den Verlängerungszeitraum fallen, nur gegen Planbetroffene richten.4). Durch die Verlängerung der Anordnungshöchstdauer von drei auf vier Monate soll _____________ 1)

2) 3) 4)

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 156. Boss/Luttmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 6 Rz. 68. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks 19/24181, S. 157.

Boss/Luttmann

737

5

6

§ 54

Folgen der Verwertungssperre

die Chance aussichtsreicher Planangebote angenommen zu werden, erhalten bleiben. Die Formulierung „sind keine Umstände bekannt“ verdeutlicht, dass nicht der Amtsermittlungsgrundsatz, sondern die Beibringungsmaxime gilt (zur Anwendbarkeit der Beibringungsmaxime siehe § 51 Rz. 8 und § 59 Rz. 4). 2. 7

Haben die Gläubiger ein Planangebot des Schuldners bereits angenommen und hat der Schuldner die gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans beantragt (§ 60 Abs. 1), können Folge- und Neuanordnungen bis zur Rechtskraft der Planbestätigung, höchstens jedoch bis zum Ablauf von acht Monaten nach dem Erlass der Erstanordnung ergehen. Auch im Fall des § 53 Abs. 3 ist aus dem Restrukturierungsplan ersichtlich, welche Forderungen vom Plan betroffen sind, so dass auch auf Absatz 3 gestützte Folge- und Neuanordnungen nur gegen die Planbetroffenen ergehen können. Da nach Art. 7 Abs. 8 Unterabs. 1 der Restrukturierungsrichtlinie für die Gesamtdauer der Stabilisierung (einschließlich Verlängerungen und Neuanordnungen) ein Zeitraum zwölf Monate zulässig wäre, ist die Verlängerung der Anordnungshöchstdauer in § 53 Abs. 3 auf maximal acht Monate europarechtlich unbedenklich und damit zu rechtfertigen, dass die Planbetroffenen dem Plan zugestimmt haben.5) Die Planbetroffenen werden zudem dadurch geschützt, dass die Verlängerung der Anordnungshöchstdauer nach § 53 Abs. 3 Satz 2 ausgeschlossen ist, wenn der Plan offensichtlich nicht bestätigungsfähig ist. 3.

8

Anordnungshöchstdauer bei Antrag auf Planbestätigung (Abs. 3)

Anordnungshöchstdauer bei Verlegung des COMI (Abs. 4)

Nach Art. 6 Abs. 8 Unterabs. 2 Restrukturierungsrichtlinie ist in Verfahren, in denen keine öffentliche Bekanntmachung erfolgt, die Gesamtdauer der Stabilisierung auf maximal vier Monate begrenzt, wenn der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (COMI) des Schuldners innerhalb von drei Monaten vor Einreichung eines Antrags auf Eröffnung eines präventiven Restrukturierungsverfahrens in einen anderen Mitgliedstaat der EU verlegt wurde. § 53 Abs. 4 setzt diese Regelung um und bestimmt eine Rückausnahme zu § 53 Abs. 3. Da die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache keinen Antrag, sondern lediglich eine Anzeige voraussetzt (§ 31 Abs. 1) stellt Absatz 4 für die Berechnung der Drei-Monats-Frist auf die erste Inanspruchnahme (zum Begriff siehe § 44 Rz. 7) und daher nicht nur auf die Gewährung, sondern den Antrag von Verfahrenshilfen nach § 29 Abs. 2 ab.6) Möglich und ggf. auch näher gelegen hätte, auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache durch Anzeige des Restrukturierungsvorhabens abzustellen. _____________ 5) 6)

Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 157. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 157.

§ 54 Folgen der Verwertungssperre Boss/Luttmann

(1) 1Ist eine Verwertungssperre ergangen, sind dem Gläubiger die geschuldeten Zinsen zu zahlen und der durch die Nutzung eintretende Wertverlust ist durch laufende Zahlungen an den Gläubiger auszugleichen. 2Dies gilt nicht, soweit 738

Boss/Luttmann

§ 54

Folgen der Verwertungssperre

nach der Höhe der Forderung und der sonstigen Belastung des Gegenstands mit einer Befriedigung des Gläubigers aus dem Verwertungserlös nicht zu rechnen ist. (2) Zieht der Schuldner nach Maßgabe der vertraglichen Vereinbarungen mit dem Berechtigten Forderungen ein, die zur Sicherung eines Anspruchs abgetreten sind, oder veräußert oder verarbeitet er bewegliche Sachen, an denen Rechte bestehen, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Aus- oder Absonderungsrechte geltend gemacht werden könnten, sind die dabei erzielten Erlöse an den Berechtigten auszukehren oder unterscheidbar zu verwahren, es sei denn, der Schuldner trifft mit dem Berechtigten eine anderweitige Vereinbarung. Literatur: Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Restrukturierungsentwurf StaRuG in der Praxis, BB 2020, 2498; Riggert, Allgemeine Grundsätze der Stabilisierung nach dem StaRuG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 40. Übersicht I. Normzweck/-inhalt ............................. II. Nutzungsausfallentschädigung (Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1) ..................................... III. Wertverlustausgleich (Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2) ........................ IV. „Laufende“ Zahlungen ........................ V. Voraussichtlicher Verwertungserlös (Abs. 1 Satz 2) ............................. VI. Verpflichtung zur Auskehr und Separierung (Abs. 2) ............................

I.

1

1.

4

2.

5 6 7 9

3. 4. 5. 6.

Kein Widerruf der Einziehungs-, Verarbeitungs- und Weiterveräußerungsermächtigung .............................. 11 Widerruf der Einziehungs-, Verarbeitungs- und Weiterveräußerungsermächtigung ....................................... 12 Offenes Treuhandkonto ..................... 13 Herausgabeanspruch ........................... 14 Abrechnungsanspruch ........................ 15 Anderweitige Vereinbarung (Abs. 2 Halbs. 2) ................................. 16

Normzweck/-inhalt

Der § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO1) nachgebildete § 54 Abs. 1 stellt klar, dass die von einer Verwertungssperre betroffenen Aus- und Absonderungsanwartschaftsberechtigten die Nutzung der als Sicherheit dienenden Gegenstände nicht kompensationslos hinzunehmen haben. Sie werden durch laufende Zinszahlungen (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1) und Ausgleich eines (etwaigen) Wertverlusts (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2) für die Nutzung durch den Schuldner entschädigt.2) Der Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung und Wertersatz besteht nur, wenn ohne die Verwertungssperre mit einer Befriedigung aus dem Verwertungserlös zu rechnen gewesen wäre (§ 54 Abs. 1 Satz 2).

1

Im RefE3) noch nicht enthalten war die in § 54 Abs. 2 geregelte Pflicht des Schuldners beim Einzug sicherungszedierter Forderungen und/oder der Veräußerung von _____________

2

1)

2) 3)

Nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO ist der Schuldner zur Nutzung des mit aus- und absonderungsbelasteten beweglichen Sicherungsguts nur befugt, so dies für die Fortführung des Betriebs von erheblicher Bedeutung ist. § 54 Abs. 1 verzichtet auf diese Formulierung, da Verwertungssperren, die sich auf Gegenstände beziehen, die für die Betriebsfortführung nicht von erheblicher Bedeutung sind, mangels Erforderlichkeit der Stabilisierung bereits nicht zu erlassen sind (siehe zur Erforderlichkeit in Bezug auf das Umlaufvermögen § 49 Rz. 47 und in Bezug auf das Anlagevermögen siehe § 49 Rz. 48. Vgl. Desch, BB 2020, 2498, 2507. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021).

Boss/Luttmann

739

§ 54

Folgen der Verwertungssperre

mit Aus- und/oder Absonderungsanwartschaften belasteten Waren die Verwertungserlöse auszukehren oder unterscheidbar zu verwahren.4) 3

Von einer Verwertungssperre betroffene Gläubiger haben Anspruch auf –

Nutzungsausfallentschädigung (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1) und



Wertverlustausgleich (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2).

II. Nutzungsausfallentschädigung (Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1) 4

Von der Verwertungssperre betroffene Gläubiger können während der Dauer der Stabilisierungsanordnung ihre Forderungen nicht durch Sicherheitenverwertung befriedigen. Der Nutzungsausfallschaden berechnet sich nach dem vertraglich vereinbarten Zins. Ist kein Zins vereinbart oder der vertragliche Zins niedriger als der gesetzliche Zins von 4 % (§ 246 BGB), ist der gesetzliche Zins als Mindestzins zu zahlen.5) Beantragt der Schuldner ausschließlich eine Vollstreckungssperre (und keine Verwertungssperre) ist den betroffenen Aus- und Absonderungsanwartschaftsberechtigten im Falle der Suspendierung ihrer Leistungsstörungsrechte (§ 55 Abs. 1 Halbs. 1) zur Vermeidung einer „unverdienten“ kompensationslosen Nutzungsmöglichkeit ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung analog § 54 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 zuzubilligen (siehe § 55 Rz. 22 f.). III. Wertverlustausgleich (Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2)

5

Verliert das Sicherungsgut durch Beschädigung oder eine über die vertragliche Abrede hinausgehende Nutzung zusätzlich an Wert, haben die Gläubiger neben dem Anspruch auf Nutzungsausfall einen Anspruch auf Wertersatz (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2).6) Die Höhe des Wertersatzanspruchs bestimmt sich nach der Differenz des Wertes bei Beginn und Ende der Vollstreckungssperre. Die Anspruchshöhe kann nach den Grundsätzen des § 287 ZPO geschätzt werden.7) IV. „Laufende“ Zahlungen

6

Sowohl die Nutzungsausfallentschädigung als auch der Wertverlustausgleichsanspruch sind durch laufende Zahlungen zu erfüllen. Was unter laufend zu verstehen ist, regelt das Gesetz nicht. Scheitert die Sanierung wird der Schuldner regelmäßig Insolvenzantrag stellen müssen. Die Ansprüche auf Nutzungsausfallentschädigung und Wertverlustausgleich sind im Fall der Insolvenz nur Insolvenzforderungen. Aufgrund dieses Ausfallrisikos ist jedenfalls eine monatliche Zahlung geboten.8) V. Voraussichtlicher Verwertungserlös (Abs. 1 Satz 2)

7

§ 54 Abs. 1 Satz 2 bestimmt, dass ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung und Wertausgleich nicht besteht, soweit nach der Forderungshöhe und der sonstigen Belastung des Gegenstandes mit einer Befriedigung des Gläubigers aus dem Ver_____________ 4) 5) 6) 7) 8)

740

Vgl. Desch, BB 2020 2498, 2507. Vgl. Jaeger/Henckel-Eckardt, InsO, § 169 Rz. 68. Vgl. Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38k – zu § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO. Vgl. Kopp in: BeckOK-InsO, § 21 Rz. 125 – zu § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO. Vgl. Riggert, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 40, 42; Braun-Riggert, StaRUG, § 54 Rz. 4.

Boss/Luttmann

§ 54

Folgen der Verwertungssperre

wertungserlös nicht zu rechnen ist.9) Hätte sich der Gläubiger auch ohne Verwertungssperre – z. B. aufgrund einer vorrangigen wertausschöpfenden Belastung – aus dem Sicherungsgut nicht befriedigen können, sind Kompensationen an die Gläubiger nicht zu leisten. Aus der Formulierung „dies gilt nicht“ folgt, dass der Schuldner darzulegen und zu beweisen hat, dass der Gläubiger auch ohne Verwertungssperre nicht mit einem Verwertungserlös hätte rechnen können. Anders als § 21 Abs. 2 Nr. 5 Satz 2 InsO gilt die Beschränkung des § 54 Abs. 1 Satz 2 nicht nur für den Wertverlustausgleichsanspruch von Absonderungsanwartschaftsberechtigten. Nach dem Wortlaut erfasst Satz 2 auch Aussonderungsanwartschaftsberechtigte und bezieht sich auf den Wertverlustausgleichsanspruch als auch auf den Nutzungsentschädigungsanspruch. Nach der zu § 21 Abs. 2 Nr. 5 Satz 2 InsO ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die unterschiedliche Behandlung von Aus- und Absonderungsanwartschaften gerechtfertigt, da die Nutzung des Sicherungsguts durch den Schuldner lediglich das Wertinteresse der Absonderungsanwartschaftsberechtigten tangiert, während bei Aussonderungsanwartschaftsberechtigten „das Integritätsinteresse an dem Rückerhalt des unversehrten Gegenstandes“ berührt wird.10) Mit der auf Absonderungsanwartschaftsberechtigte beschränkten Anwendbarkeit des § 21 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 InsO wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Aussonderungsanwartschaftsberechtigte als Vollrechtinhaber verfassungsrechtlich durch Art. 14 Abs. 1 GG besonders geschützt werden.11) Da sich der Gesetzgeber entschieden hat, dass auch Aussonderungsanwartschaften stabilisiert werden können (siehe § 49 Rz. 43), wäre es geboten gewesen, die Anwendbarkeit des Satz 2 auf Absonderungsanwartschaftsberechtigte zu beschränken. Ob sich dies Ergebnis de lege lata durch eine verfassungskonforme Auslegung erreichen lässt, wird die Rechtsprechung zu entscheiden haben.

8

VI. Verpflichtung zur Auskehr und Separierung (Abs. 2) § 54 Abs. 2 stellt klar, dass der Schuldner eingezogene sicherungszedierte Forderungen und Veräußerungserlöse aus mit Aus- oder Absonderungsanwartschaften belasteten beweglichen Sachen auszukehren oder unterscheidbar zu verwahren hat, es sei denn, mit den berechtigten Gläubigern wird eine anderweitige Vereinbarung getroffen.

9

Die Auskehr- und Separierungspflicht von Verwertungserlösen besteht unabhängig davon, ob die Einziehungs-, Verarbeitungs- und Weiterveräußerungsermächtigung12) widerrufen wird oder nicht.

10

1.

Kein Widerruf der Einziehungs-, Verarbeitungs- und Weiterveräußerungsermächtigung

Einziehungs-, Verarbeitungs- und Weiterveräußerungsbefugnisse ermächtigen den Schuldner nur zu Verfügungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang. Der BGH _____________ 9) 10) 11) 12)

Die wortgleiche Regelung findet sich in § 30g Abs. 2 Satz 2 ZVG n. F. Vgl. BGH, Urt. v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, Rz. 19, NZI 2012, 369. Vgl. BGH, Urt. v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, Rz. 21, NZI 2012, 369. Einziehungs-, Verarbeitungs- und Weiterveräußerungsbefugnisse erlöschen nicht automatisch mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens, dem Anordnungserlass und/oder dem Erlass von Stabilisierungsanordnungen s. dazu § 49 Rz. 44.

Boss/Luttmann

741

11

§ 54

Folgen der Verwertungssperre

hat klargestellt, dass auch dann, wenn Einziehungs-, Verarbeitungs- und Weiterveräußerungsbefugnisse nicht widerrufen werden, im Falle eines Insolvenzantrages und einer Anordnung nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO davon auszugehen ist, dass der Sicherungsgläubiger nur dann mit der Einziehung, Verarbeitung oder Veräußerung des Sicherungsguts einverstanden ist, wenn ein Verlust ausgeschlossen ist. Ein ordnungsgemäßer Geschäftsgang13) ist daher nur dann anzunehmen, wenn die Verwertungserlöse entweder umgehend an die Sicherungsgläubiger ausgekehrt oder auf einem offenen Treuhandkonto,14) dass den Sicherungsgläubiger im Falle der Insolvenz des Schuldners zur Aussonderung berechtigt, verwahrt wird. Diese Maßstäbe gelten auch bei der Anordnung von Vollstreckungssperren, was durch die in § 54 Abs. 2 verwendete Formulierung „nach Maßgabe der vertraglichen Vereinbarungen“ klargestellt wird. 2. 12

Die Verpflichtung zur Auskehr und Separierung von Verwertungserlösen gilt erst recht, wenn Einziehungs-, Verarbeitungs- und Weiterveräußerungsbefugnisse widerrufen werden. Widerruft der Sicherungsgläubiger die Einziehungs-, Verarbeitungsund/oder Weiterveräußerungsbefugnis stünde dem Aussonderungsanwartschaftsberechtigten in der Insolvenz des Schuldners zwar ein Ersatzaussonderungsrecht (§ 48 InsO) und dem Absonderungsanwartschaftsberechtigten ein Ersatzabsonderungsrecht (analog § 48 InsO) zu, jedoch erlischt sowohl das Ersatzaussonderungs- als auch das Ersatzabsonderungsrecht, wenn auf dem Konto des Schuldners, auf den der Verwertungserlös eingezahlt wurde, kein den Aus- oder Absonderungsbetrag deckender „Bodensatz“ mehr vorhanden ist.15) Dies Ausfallrisiko ist Sicherungsgläubigern nicht zumutbar. Das Sicherungsgut darf zwar zur Betriebsführung genutzt werden. Es ist jedoch sicherzustellen, dass es – ohne Zustimmung der Sicherungsgläubiger – nicht verbraucht wird (siehe § 49 Rz. 45). Dies ist nur gewährleistet, wenn der Verwertungserlös nach § 54 Abs. 2 so verwahrt wird, dass die Erlösausauskehr auch dann gesichert ist, wenn die Sanierung des Schuldners scheitert und über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet werden muss. 3.

13

Widerruf der Einziehungs-, Verarbeitungs- und Weiterveräußerungsermächtigung

Offenes Treuhandkonto

Nach § 54 Abs. 2 sind die erzielten Erlöse unterscheidbar zu verwahren. Die Erlösverwahrung ist eine Alternative zur Erlösauskehr. Durch die Verwahrart ist sicherzustellen, dass der Verwertungserlös stets ungeschmälert ausgezahlt werden kann. Dies ist nur dann der Fall, wenn zugunsten des Aus- oder Absonderungsanwartschaftsberechtigten ein offenes Treuhandkonto errichtet wird.16) Für die ordnungsgemäße Erlösverwahrung haften die Organe des Schuldners gegenüber den Aus- und Absonderungsanwartschaftsberechtigten (§ 57 Satz 2); siehe § 57 Rz. 16. _____________ 13) Vgl. BGH, Urt. v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, Rz. 92, ZIP 2019, 472. Vgl. dazu auch Desch, BB 2020, 2498, 2508; Thole, ZIP 2020, 1985, 1996. 14) Vgl. BGH, Urt. v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, Rz. 92, ZIP 2019, 472. 15) Vgl. BGH, Urt. v. 11.3.1999 – IX ZR 164/98, NZI 1999, 265. 16) Vgl. zur Verwahrart auch Riggert, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 40, 42.

742

Boss/Luttmann

§ 55

Vertragsrechtliche Wirkungen

4.

Herausgabeanspruch

Der Verpflichtung zur Auskehr oder Separierung korreliert ein Herausgabeanspruch des Aus- oder Anwartschaftsberechtigten. Zur Fälligkeit des Herausgabeanspruchs schweigt das Gesetz. In Anlehnung an § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO ist der Herausgabeanspruch unverzüglich und damit ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) zu erfüllen. Wird der Schuldner durch Mahnung mit der Herausgabe in Verzug gesetzt, stehen den Gläubigern Verzugszinsen zu.17) Erst mit der Auszahlung der Verwertungserlöse enden die Ansprüche auf Nutzungsausfallentschädigung.18) 5.

Abrechnungsanspruch

Die Aus- und/oder Absonderungsanwartschaftsberechtigten haben einen Abrechnungsanspruch. Dazu gehören insbesondere Angaben, welche Sicherungsgegenstände i. E. veräußert worden sind und zu welchem Preis.19) Auch die Vorlage von Belegen kann verlangt werden.20) Prozessrechtlich kann der Abrechnungsanspruch mit dem Herausgabeanspruch als Stufenklage (§ 254 ZPO) verbunden werden. 6.

14

15

Anderweitige Vereinbarung (Abs. 2 Halbs. 2)

Die Verpflichtung des Schuldners, die Verwertungserlöse unverzüglich auszukehren oder auf einem offenen Treuhandkonto zu separieren, entfällt, wenn der Schuldner mit den Sicherungsgläubigern eine anderweitige Vereinbarung trifft. Ohne eine solche Vereinbarung steht der Verwertungserlös zur Finanzierung der Betriebsfortführung nicht zur Verfügung. _____________ 17) Vgl. zum Herausgabeanspruch nach § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO BGH, Urt. v. 14.11.2019 – IX ZR 50/17, Rz. 40, ZIP 2019, 2416. 18) Vgl. zu § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO Lütcke in: BeckOK-InsO, § 170 Rz. 11. 19) Vgl. zu § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO BGH, Urt. v. 17.7.2008 – IX ZR 96/06, Rz. 11, NZI 2008, 558; Lütcke in: BeckOK-InsO, § 170 Rz. 12. 20) Vgl. Lütcke in: BeckOK-InsO, § 170 Rz. 12.

§ 55 Vertragsrechtliche Wirkungen Boss/Luttmann

(1) 1Ist der Schuldner zum Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung einem Gläubiger etwas aus einem Vertrag schuldig, so kann der Gläubiger nicht allein wegen der rückständigen Leistung eine ihm im Anordnungszeitraum obliegende Leistung verweigern oder Vertragsbeendigungs- oder -abänderungsrechte geltend machen; unberührt bleibt das Recht des Gläubigers, die Erbringung des Teils der ihm obliegenden Gegenleistung zu verweigern, der auf die rückständige Leistung des Schuldners entfällt. 2Ergehen Folge- oder Neuanordnungen, ist der Zeitpunkt der Erstanordnung maßgeblich. (2) Absatz 1 gilt nicht, wenn der Schuldner für die Fortführung des Unternehmens nicht auf die dem Gläubiger obliegende Leistung angewiesen ist. (3) 1Ist der Gläubiger vorleistungspflichtig, hat er das Recht, die ihm obliegende Leistung gegen Sicherheitsleistung oder Zug um Zug gegen die dem Schuldner Boss/Luttmann

743

16

§ 55

Vertragsrechtliche Wirkungen

obliegende Leistung zu erbringen. 2Absatz 1 berührt nicht das Recht von Darlehensgebern, den Darlehensvertrag vor der Auszahlung des Darlehens wegen einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners oder der Werthaltigkeit der für das Darlehen gestellten Sicherheit zu kündigen (§ 490 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). 3Satz 2 gilt auch für andere Kreditzusagen. Literatur: Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Restrukturierungsentwurf StaRuG in der Praxis, BB 2020, 2498; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985. Übersicht I. Normzweck/-inhalt ............................. 1 II. Vorbemerkungen ................................. 5 1. Suspendierte Leistungsstörungsrechte ..................................................... 6 a) Leistungsverweigerungsrechte (Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1) ................. 7 b) Vertragsbeendigungs- und Vertragsabänderungsrechte (Abs. 1, Abs. 3) .............................. 9 aa) Vertragsbeendigungsrechte ......... 10 bb) Vertragsabänderungsrechte ......... 11 cc) § 490 Abs. 1 BGB bei (noch) nicht valutierenden Darlehen und Kreditzusagen (Abs. 3 Satz 2, Satz 3) ............................... 12 dd) Widerruf Einziehungs-, Verarbeitungs- und Weiterveräußerungsermächtigungen .................. 15

I. 1

2.

3. 4.

Rückständige Leistung des Schuldners im Anordnungszeitpunkt .............................................. 16 a) Leistungspflicht des Schuldners .................................... 17 b) Maßgeblicher Zeitpunkt (Abs. 1 Satz 2) .............................. 18 c) Entstehung der Leistungspflicht ............................................ 19 d) Fälligkeit der Leistungspflicht .... 20 e) „Allein wegen der rückständigen Leistung“ ............................... 21 f) Nutzungsausfallentschädigung analog § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 ..... 22 Einwendung der fehlenden Angewiesenheit (Abs. 2) .................... 25 Vorleistungspflichtige Gläubiger (Abs. 3 Satz 1) ..................................... 28

Normzweck/-inhalt

Art. 7 Abs. 4 der Restrukturierungsrichtlinie1) bestimmt, dass Leistungsstörungsrechte in Bezug auf vor der Stabilisierung entstandene (und fällige; siehe Rz. 20) Leistungspflichten des Schuldners suspendiert sind.2) Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Vorschriften zu erlassen, um von der Stabilisierung betroffene Gläubiger daran zu hindern, vor der Stabilisierung entstandene (und fällige; siehe Rz. 20) Forderungen allein wegen der unterbliebenen Leistung des Schuldners aus wesentlichen noch zu erfüllenden Verträgen –

zu verweigern,



diese Verträge zu kündigen,



vorzeitig fällig zu stellen oder



in sonstiger Weise zum Nachteil des Schuldners zu ändern.

_____________ 1)

2)

744

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Vgl. Schönfelder in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 81.

Boss/Luttmann

§ 55

Vertragsrechtliche Wirkungen

Wesentliche noch zu erfüllende Verträge werden in Art. 7 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 2 Restrukturierungsrichtlinie legaldefiniert als noch zu erfüllende Verträge, die für die Weiterführung des täglichen Betriebs des Unternehmens erforderlich sind, einschließlich solcher über Lieferungen, deren Aussetzung dazu führen würde, dass die Geschäftstätigkeit des Schuldners zum Erliegen kommt.

2

Mit § 55 Abs. 2 wird Art. 7 Abs. 4 Unterabs. 1 Restrukturierungsrichtlinie dahingehend umgesetzt, dass die Suspendierung von Leistungsstörungsrechten auf Leistungen beschränkt wird, auf die der Schuldner zur Betriebsfortführung angewiesen ist. Von der Option, die Suspendierung auf noch zu erfüllende, nicht wesentliche Verträge auszudehnen (Art. 7 Abs. 4 Unterabs. 3 Restrukturierungsrichtlinie) hat der Gesetzgeber (begrüßenswerterweise)3) Abstand genommen.

3

Mit § 55 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 und Abs. 3 Satz 1 macht der Gesetzgeber von der durch die Restrukturierungsrichtlinie eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, Schutzvorkehrungen zur Vermeidung einer unangemessenen Beeinträchtigung der betroffenen Gläubiger vorzusehen (Art. 7 Abs. 4 Unterabs. 2 Restrukturierungsrichtlinie).4)

4

II. Vorbemerkungen § 55 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 sieht vor, dass dann, wenn der Schuldner im Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung die von ihm geschuldete Leistung in Gänze oder teilweise nicht erbracht hat, der von der Stabilisierung betroffene Gläubiger nicht allein wegen der rückständigen Leistung des Schuldners eine ihm im Anordnungszeitraum obliegende Leistung –

verweigern und/oder



Vertragsbeendigungs- oder – abänderungsrechte geltend machen kann.

1.

Suspendierte Leistungsstörungsrechte

Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 kann sich der Gläubiger nicht auf –

Leistungsverweigerungsrechte,



Vertragsbeendigungsrechte und/oder



Vertragsabänderungsrechte

5

6

berufen. a) Leistungsverweigerungsrechte (Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1) § 55 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 bestimmt, dass der Gläubiger nach § 320 BGB stets berechtigt bleibt, die Erbringung des Teils der ihm obliegenden Gegenleistung zu verweigern, der auf die rückständige Leistung des Schuldners entfällt. Dadurch wird ausgeschlossen, dass der Gläubiger zu einer nicht vereinbarten Vorleistung verpflichtet wird.5)

_____________ 3) 4) 5)

Vgl. zu dieser Option Boss/Luttmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 7 Rz. 88. Vgl. Boss/Luttmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 7 Rz. 87. Vgl. Begr. ReGE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158.

Boss/Luttmann

745

7

§ 55 8

Vertragsrechtliche Wirkungen

Von der Suspensivwirkung erfasst werden gesetzliche als auch vertraglich nachgebildete Leistungsverweigerungsrechte nach § 273 BGB und §§ 369 ff. HGB.6) Nicht erfasst wird das Leistungsverweigerungsrecht des § 320 BGB. b) Vertragsbeendigungs- und Vertragsabänderungsrechte (Abs. 1, Abs. 3)

9

Auch Vertragsbeendigungs- und Vertragsabänderungsrechte werden suspendiert. aa) Vertragsbeendigungsrechte

10

Zu den Beendigungsrechten zählen vertragliche sowie gesetzliche Kündigungsrechte oder sonstige Befugnisse zur Gesamtfälligstellung wie bspw. aus § 323 BGB, § 440 BGB.7) bb) Vertragsabänderungsrechte

11

Zudem werden sämtliche Abänderungs- und Anpassungsbefugnisse – gleichgültig, ob vertraglich oder gesetzlich (z. B. § 313 BGB) – suspendiert.8) cc) § 490 Abs. 1 BGB bei (noch) nicht valutierenden Darlehen und Kreditzusagen (Abs. 3 Satz 2, Satz 3)

12

Die Suspendierung bezieht sich nur auf Leistungspflichten des Schuldners, die im Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung bereits „schuldig“ sind. Wurde ein Darlehensbetrag im Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung vom Darlehensgeber an den Darlehensnehmer noch nicht ausbezahlt, ist der Darlehensrückzahlungsanspruch nicht entstanden. Der Darlehensnehmer ist nichts „schuldig“.9)

13

Dem trägt § 55 Abs. 3 Satz 2 Rechnung und stellt klar, dass, wenn das Darlehen im Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung noch nicht valutiert, das Kündigungsrecht des Darlehensgebers nach § 490 Abs. 1 BGB nicht suspendiert wird. Im Umkehrschluss dürfte aus § 55 Abs. 3 Satz 2 jedoch nicht folgen, dass das Kündigungsrecht nach § 490 Abs. 1 BGB bei valutierenden Darlehen stets ausgeschlossen ist. Dies bereits deshalb nicht, da die Suspensionswirkung voraussetzt, dass sich der Gläubiger allein auf die rückständige Leistung des Schuldners beruft. Es ist dem Gläubiger jedoch nicht versagt, sich auf andere und/oder zusätzliche Umstände zu berufen (siehe Rz. 21).

14

§ 55 Abs. 3 Satz 3 erweitert den Anwendungsbereich des Absatzes 3 Satz 2 auf andere Kreditzusagen. Dies sind bspw. Bürgschaften, Garantien und sonstige Gewährleistungen für Dritte nach § 1 Abs. 1 Nr. 8 KWG.10) dd) Widerruf Einziehungs-, Verarbeitungs- und Weiterveräußerungsermächtigungen

15

Ob der Widerruf von Einziehungs-, Verarbeitungs- und Weiterveräußerungsbefugnissen von der Suspendierung erfasst wird, ist fraglich. Da durch den Widerruf der _____________ 6) 7) 8) 9) 10)

746

Vgl. zur Restrukturierungsrichtlinie Schönfelder in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 79. Vgl. zur Restrukturierungsrichtlinie Schönfelder in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 79. Vgl. zur Restrukturierungsrichtlinie Schönfelder in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 79. Vgl. zur Restrukturierungsrichtlinie Schönfelder in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 91. Vgl. Braun-Riggert, StaRUG, § 55 Rz. 11.

Boss/Luttmann

§ 55

Vertragsrechtliche Wirkungen

Vertrag jedoch nicht geändert, sondern eine dingliche Ermächtigung widerrufen wird, dürften die besseren Argumente gegen eine Suspendierung streiten.11) 2.

Rückständige Leistung des Schuldners im Anordnungszeitpunkt

Die Stabilisierungsanordnung ist eine Zäsur. Sie teilt die Vertragsverhältnisse des Schuldners mit den von der Stabilisierung betroffenen Gläubigern in eine „alte Welt“ und eine „neue Welt“.12)

16

a) Leistungspflicht des Schuldners Nach dem Wortlaut des § 55 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 muss der Schuldner dem Gläubiger zum Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung etwas „schuldig“ sein.

17

b) Maßgeblicher Zeitpunkt (Abs. 1 Satz 2) Voraussetzung der Suspendierung von Leistungsstörungsrechten ist, dass eine Stabilisierung – gleichgültig ob Vollstreckungs- und/oder Verwertungssperre – angeordnet wurde. Auch bei Folge- und Neuanordnungen ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob der Schuldner etwas „schuldig“ ist, der Zeitpunkt der Erstanordnung (§ 55 Abs. 1 Satz 2).

18

c) Entstehung der Leistungspflicht Aufgrund des Wortlauts des § 55 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 („ist … schuldig“) muss die Leistungspflicht des Schuldners vor der Erstanordnung entstanden sein.

19

d) Fälligkeit der Leistungspflicht Ob die Leistung des Schuldners vor der Stabilisierungsanordnung auch fällig sein muss, könnte aufgrund des Wortlauts („ist … schuldig“) fraglich sein. In der Gesetzesbegründung wird jedoch klargestellt, dass ein nach der Erstanordnung eintretender Verzug des Schuldners, die Gläubiger berechtigt, sämtliche Folgen, die sich an einen solchen Verzug knüpfen, geltend zu machen.13) Erforderlich für die Suspendierung ist daher, dass die Leistungspflicht des Schuldners vor der Erstanordnung sowohl entstanden als auch fällig ist.

20

e) „Allein wegen der rückständigen Leistung“ Durch die Formulierung „allein wegen der rückständigen Leistung“ wird im Umkehrschluss klargestellt, dass es dem Gläubiger nicht verwehrt ist, sich aufgrund anderer und/oder zusätzlicher Umstände auf Leistungsstörungsrechte zu berufen.14) Eine im maßgeblichen Zeitpunkt der Erstanordnung ungekündigte Kontokorrentabrede bspw. besteht zwar mit der Folge fort, dass der Kontokorrentkreditgeber zu Verrechnungen im Kontokorrent berechtigt und bis zur Höhe der Kontokorrentkreditlinie zu Abverfügungen verpflichtet ist. Dem Kontokorrentkreditgeber steht es jedoch frei, die Beendigung des Kontokorrents nach § 490 Abs. 1 BGB _____________ 11) 12) 13) 14)

Vgl. Thole, ZIP 2020, 1985, 1996; Desch, BB 2020, 2498, 2508. Vgl. zur Restrukturierungsrichtlinie Schönfelder in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 84. Vgl. Begr. ReGE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158. Vgl. Begr. ReGE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158.

Boss/Luttmann

747

21

§ 55

Vertragsrechtliche Wirkungen

wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse herbeizuführen.15) Entsteht nach Kündigung des Kontokorrents eine Saldoforderung zulasten des Schuldners, dürfte der Schuldner hinsichtlich der Saldoforderung eine Vollstreckungssperre beantragen können. f)

Nutzungsausfallentschädigung analog § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1

22

Aus- und absonderungsanwartschaftsberechtigte Lieferanten können aufgrund der Suspendierung ihrer Leistungsstörungsrechte den Sicherungsfall nicht herbeiführen. Beantragt der Schuldner nur eine Vollstreckungs- aber keine Verwertungssperre, führte dies zu einer kompensationslosen Nutzungsmöglichkeit der gelieferten Ware durch den Schuldner, wenn die Lieferung vor der Erstanordnung erfolgte. Ein Vorbehaltsverkäufer kann aufgrund des vor der Erstanordnung entstandenen Zahlungsverzuges wegen der Suspendierung seiner Leistungsstörungsrechte nicht vom Vertrag zurücktreten und die gelieferte Vorbehaltsware nicht herausverlangen (§ 449 Abs. 2 BGB). Beantragt der Schuldner keine Verwertungssperre, stünde dem Vorbehaltsverkäufer kein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 zu.16)

23

Die Situation weist Ähnlichkeit zur Schonfrist nach § 107 Abs. 2 Satz 1 InsO auf: In der Insolvenz des Vorbehaltskäufers muss sich der Insolvenzverwalter – auch wenn er vom Vorbehaltsverkäufer dazu aufgefordert wird – erst nach dem Berichtstermin zur ersten Gläubigerversammlung erklären, ob er in den Vertrag eintritt oder nicht. Während der Schonfrist des § 107 Abs. 2 Satz 1 InsO ist der Insolvenzverwalter zum Besitz und zur Nutzung der Vorbehaltsware berechtigt, da das Vertragsverhältnis erst mit der Erfüllungsablehnung durch den Insolvenzverwalter und der Geltendmachung des Nichterfüllungsschadens durch den Gläubiger erlischt.17) Nach zutreffender Ansicht steht dem Vorbehaltsverkäufer jedoch ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung analog § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO zu.18)

24

Um einen „unverdienten Gewinn“ des Schuldners zu vermeiden, ist es geboten, den Aus- und Absonderungsanwartschaftsberechtigten einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung analog § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 119) zuzubilligen, wenn – die Leistungsstörungsrechte suspendiert sind, _____________ 15) Vgl. dazu auch Schönfelder in Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 93 ff., der in Bezug auf die Richtlinie dafür plädiert, dass der Kontokorrentkreditgeber bis zur Höhe des zum Anordnungsstichtag gewährten Kontokorrents eine weitere Inanspruchnahme des Kontokorrents nicht unterbinden kann und u. a. mit der insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit einer tatsächlichen bzw. „nachhaltigen“ Saldoreduzierung begründet (vgl. Schönfelder in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 95), was jedoch aufgrund des Abstandsgebots der Stabilisierung zum Insolvenzverfahren eher für eine Beendigungsmöglichkeit des Kontokorrents durch den Kontokorrentkreditgeber streiten dürfte. 16) Da eine Vollstreckungssperre hinsichtlich des Umlaufvermögens regelmäßig bereits an der Erheblichkeit für die Betriebsfortführung scheitert (s. § 49 Rz. 47), dürfte sich die Problematik eines „unverdienten Gewinns“ durch kompensationslose Nutzung in der Regel nur in Bezug auf das Anlagevermögen stellen. 17) Vgl. Vuia in: MünchKomm-InsO, § 107 Rz. 30. 18) Vgl. Vuia in: MünchKomm-InsO, § 107 Rz. 30. 19) Ein Ersatzanspruch bei Beschädigung oder Wertverlust dürfte den Aus- und Absonderungsanwartschaftsberechtigten bereits aus der Sicherungsabrede zustehen.

748

Boss/Luttmann

Finanzsicherheiten, Zahlungs- und Abwicklungssysteme, Liquidationsnetting

§ 56



vor der Erstanordnung geliefert wurde und



lediglich eine Vollstreckungssperre, jedoch keine Verwertungssperre erlassen wird.

3.

Einwendung der fehlenden Angewiesenheit (Abs. 2)

§ 55 Abs. 2 bestimmt, dass die Suspendierung von Leistungsstörungsrechten nicht anwendbar ist, wenn der Schuldner für die Fortführung des Unternehmens nicht auf die dem Gläubiger obliegende Leistung angewiesen ist.20)

25

Die Formulierung „gilt nicht“ verdeutlicht, dass § 55 Abs. 2 als Einwendung konzipiert ist. Besteht Streit oder Zweifel, ob der Schuldner für die Fortführung des Unternehmens auf die Leistung des Gläubigers angewiesen ist, hat der Gläubiger die fehlende Angewiesenheit darzulegen und zu beweisen.21)

26

Die Angewiesenheit besteht regelmäßig nicht, wenn die Leistung des Gläubigers nicht von erheblicher Bedeutung für die Unternehmensfortführung ist.22) In ErwG 41 Restrukturierungsrichtlinie werden als Regelbeispiele für noch nicht erfüllte wesentliche Verträge, Verträge über die Lieferung von Gas, Strom, Wasser-, Telekommunikation und Kartenzahlungsdienste genannt.23) Da die Lieferanten von Umlaufvermögen regelmäßig besichert sein werden, darf die gelieferte Ware ohne Zustimmung der Lieferanten weder veräußert noch verarbeitet werden. Ohne Vereinbarung mit den Lieferanten ist Umlaufvermögen daher in der Regel für die Betriebsfortführung nicht erforderlich (§ 49 Rz. 47) und die Angewiesenheit des Schuldners zu verneinen.

27

4.

Vorleistungspflichtige Gläubiger (Abs. 3 Satz 1)

Zwar wird das Leistungsverweigerungsrecht des Gläubigers nach § 320 BGB nicht erfasst (§ 55 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2). § 320 BGB lässt jedoch eine vereinbarte Vorleistungspflicht des Gläubigers unberührt (§ 320 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2). Abs. 3 Satz 1 schützt vorleistungspflichtige Gläubiger und regelt, dass Gläubiger ihre Vorleistung von einer Sicherheitsleistung des Schuldners abhängig machen oder ihre Vorleistung Zug-um-Zug gegen die dem Schuldner obliegende Leistung erbringen können.24) _____________ 20) Von der Option der Restrukturierungsrichtlinie, die Suspendierung auch auf noch zu erfüllende nicht wesentliche Verträge zu erstrecken (Art. 7 Abs. 4 Unterabs. 3 Restrukturierungsrichtlinie) hat der Gesetzgeber (begrüßenswerterweise) Abstand genommen. 21) Vgl. Begr. ReGE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158. 22) Vgl. Begr. ReGE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158. 23) Vgl. Boss/Luttmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 7 Rz. 95. 24) Vgl. Begr. ReGE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158.

§ 56 Finanzsicherheiten, Zahlungs- und Abwicklungssysteme, Liquidationsnetting Boss/Luttmann

(1) 1Die Stabilisierungsanordnung berührt nicht die Wirksamkeit von Verfügungen über Finanzsicherheiten nach § 1 Absatz 17 des Kreditwesengesetzes und die Wirksamkeit der Verrechnung von Ansprüchen und Leistungen aus Zahlungsaufträgen, Aufträgen zwischen Zahlungsdienstleistern oder zwischengeschalteBoss/Luttmann

749

28

§ 56

Finanzsicherheiten, Zahlungs- und Abwicklungssysteme, Liquidationsnetting

ten Stellen oder Aufträgen zur Übertragung von Wertpapieren, die in Systeme nach § 1 Absatz 16 des Kreditwesengesetzes eingebracht wurden. 2Dies gilt auch dann, wenn ein solches Rechtsgeschäft des Schuldners am Tag der Anordnung getätigt und verrechnet oder eine Finanzsicherheit bestellt wird und der andere Teil nachweist, dass er die Anordnung weder kannte noch hätte kennen müssen; ist der andere Teil ein Systembetreiber oder Teilnehmer in dem System, bestimmt sich der Tag der Anordnung nach dem Geschäftstag im Sinne des § 1 Absatz 16b des Kreditwesengesetzes. (2) 1Von der Stabilisierungsanordnung und ihren Wirkungen bleiben Geschäfte, die den Gegenstand einer Vereinbarung über das Liquidationsnetting im Sinne von § 104 Absatz 3 und 4 der Insolvenzordnung bilden können, sowie Vereinbarungen über das Liquidationsnetting unberührt. 2Die aus dem Liquidationsnetting resultierende Forderung kann einer Vollstreckungssperre und, im Rahmen des nach Absatz 1 Zulässigen, auch einer Verwertungssperre unterworfen werden. Literatur: Kieper, Die Finanzsicherheiten-Richtlinie und ihre Umsetzung, ZInsO 2003, 1109; Zuleger, Kreditsicherheiten nach dem StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 43. Übersicht I. Normzweck/-inhalt ............................. 1 II. Finanzsicherheiten, Zahlungsund Abwicklungssysteme (Abs. 1) ..... 2

I. 1

III. Liquidationsnettingvereinbarungen ............................................... 4

Normzweck/-inhalt

Art. 7 Abs. 6 Unterabs. 1 Satz 1 Restrukturierungsrichtlinie1) räumt den Mitgliedstaaten die Option ein, die in ein Liquidationsnetting einbezogenen Einzelgeschäfte von der Stabilisierung auszunehmen. Die nach dem Netting verbleibende Forderung kann jedoch stabilisiert werden (Art. 7 Abs. 6 Unterabs. 1 Satz 2 der Restrukturierungsrichtlinie). Von dieser Option hat der Gesetzgeber Gebrauch gemacht und setzt sie mit § 56 um. II. Finanzsicherheiten, Zahlungs- und Abwicklungssysteme (Abs. 1)

2

Art. 31 Abs. 1 lit. a und lit. b Restrukturierungsrichtlinie bestimmen, dass –

die Finanzsicherheitenrichtlinie2) vom 6.6.2002 und



die Finalitätsrichtlinie vom 19.5.19983)

_____________ 1)

2) 3)

750

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Richtlinie 2002/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 6.6.2002 über Finanzsicherheiten (Finanzsicherheitenrichtlinie), ABl. (EG) L 168/43 v. 27.6.2002. Richtlinie 98/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 19.5.1998 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen (Finalitätsrichtlinie), ABl. (EG) L 166/45 v. 11.6.1998.

Boss/Luttmann

§ 57

Haftung der Organe

den Bestimmungen der Restrukturierungsrichtlinie vorgehen. Der Gesetzgeber setzt mit dem § 21 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 InsO nachgebildete § 56 Abs. 1 das Primat der vorgenannten Europäischen Regelungen um.4) Das herkömmliche Kreditgeschäft mit den üblichen Kreditsicherheiten wie Sicherungsübereignungen, Globalzessionen, Grundschulden und verpfändeten Gesellschaftsanteilen wird von § 56 Abs. 1 ebenso wie die Besicherung von Gelddarlehen5) nicht erfasst.6)

3

III. Liquidationsnettingvereinbarungen § 56 Abs. 2 Satz 1 stellt klar, dass Vereinbarungen über das Liquidationsnetting nach § 104 Abs. 2 und 3 InsO von Stabilisierungsanordnungen nicht berührt werden.7) § 56 Abs. 2 Satz 2 regelt, dass die nach dem Netting verbleibende Forderung stabilisiert werden kann.8) _____________ 4) 5) 6) 7) 8)

Zuleger, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 43, 44. Vgl. Braun-Riggert, StaRUG, § 56 Rz. 2; Kieper, ZInsO 2003, 1109, 1111. Vgl. zu § 21 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 InsO Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 39; vgl. Braun-Riggert, StaRUG, § 56 Rz. 2. Auch wenn sich diese Rechtsfolge bereits durch die Verweisung in § 44 Abs. 2 auf § 44 Abs. 1 Satz 2 ergeben sollte, käme § 56 Abs. 2 Satz 1 jedenfalls eine Klarstellungsfunktion zu. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks 19/24181, S. 156.

§ 57 Haftung der Organe Boss/Luttmann

1

Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit im Sinne des § 15a Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 der Insolvenzordnung und erwirkt er aufgrund vorsätzlich oder fahrlässig unrichtiger Angaben eine Stabilisierungsanordnung, ist der Geschäftsleiter den davon betroffenen Gläubigern zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den diese durch die Anordnung erleiden. 2Dies gilt nicht, wenn ihn kein Verschulden trifft. 3 Die Sätze 1 und 2 gelten auch für den Ersatz des Schadens, der einem Gläubiger aus einer nicht ordnungsgemäßen Auskehrung oder Verwahrung der Erlöse nach § 54 Absatz 2 entsteht. 4Für Ansprüche nach den Sätzen 1 und 3 gilt § 43 Absatz 3 entsprechend.*)

_____________ *)

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 57 Satz 1 die Wörter „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft.

Boss/Luttmann

751

4

§ 57

Haftung der Organe Übersicht

I. II. III. 1. 2.

Normzweck/-inhalt ............................. 1 Geschäftsleiter ...................................... 3 Erfasste Gesellschaften ........................ 5 Juristische Person .................................. 6 Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit ........................................ 7 IV. Vorsätzlich oder fahrlässig unrichtige Angaben ............................. 8 V. Haftungsbegründende und -ausfüllende Kausalität ...................... 10 VI. Verschulden (Satz 2) .......................... 13 1. Exkulpation bei Ressortverteilung ..... 14 2. Exkulpation bei Beauftragung Dritter .................................................. 15

I. 1

2

VII. Nicht ordnungsgemäße Erlösauskehr und -verwahrung (Satz 3) ................................................. 16 VIII. Verjährung (Satz 4) ......................... 17 IX. Weitere Haftungsansprüche ............. 18 1. Haftung der Aufsichtsratsmitglieder ............................................. 19 2. Haftung des Restrukturierungbeauftragten ......................................... 20 3. Amtshaftung des Restrukturierungsgerichts ....................................... 22 4. Haftung des Schuldners ...................... 23 X. Plädoyer für eine Berufshaftpflichtversicherung ............................ 24

Normzweck/-inhalt

Ist der Schuldner eine juristische Person oder eine Gesellschaft ohne eigene Rechtspersönlichkeit, bei der kein Gesellschafter eine natürliche Person ist, haften die geschäftsleitenden Organe des Schuldners nach § 57 Satz 1 den Gläubigern persönlich für Schäden, die dadurch entstehen, dass durch vorsätzliche oder fahrlässige unrichtige Angaben eine Stabilisierungsanordnung erwirkt wird. Die persönliche Haftung der Organe ist Ausgleich für die im Antragsverfahren (siehe § 51 Rz. 8) und nach Erlass der Anordnung geltende (siehe § 59 Rz. 4) Beibringungsmaxime und die eingeschränkte Kontrolldichte des Restrukturierungsgerichts. § 57 Satz 2 erweitert die persönliche Haftung der Organe auf Schäden von Ausund Absonderungsanwartschaftsberechtigten, die auf einer nicht ordnungsgemäße Erlösauskehr oder –verwahrung nach § 54 Abs. 2 beruhen (siehe § 54 Rz. 13). II. Geschäftsleiter

3

4

Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit i. S. des § 15a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ist der Geschäftsleiter zum Ersatz verpflichtet. Obgleich der Gesetzestext im Singular von „Geschäftsleiter“ spricht, haften mehrere geschäftsleitende Organe als Gesamtschuldner.1) Aufsichtsratsmitglieder einer AG haften nicht nach § 57. Durch den Begriff „Geschäftsleiter“ wird auch klargestellt, dass nicht nur bestellte, sondern auch nach außen auftretende faktische Organe2) haften. III. Erfasste Gesellschaften

5

§ 57 erfasst –

juristische Personen und



Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, bei der kein (auch mittelbar) persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist.

_____________ 1) 2)

752

Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 159. Dafür spricht auch, dass neben bestellten auch faktische Organe insolvenzantragspflichtig sind (vgl. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 15a Rz. 8).

Boss/Luttmann

§ 57

Haftung der Organe

1.

Juristische Person

Juristische Personen sind die

6



AG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AktG),



GmbH (§ 13 Abs. 1 GmbHG),



UG,



KGaA (§ 278 Abs. 1 AktG),



SE (Art. 1 Abs. 3 SE-VO),



die eingetragene Genossenschaft (§ 17 Abs. 1 GenG)3) und



der Verein.

2.

Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit

Erfasst werden auch Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, bei der keine natürliche Person (auch mittelbar) persönlich haftender Gesellschafter ist. Durch die Verweisung auf § 15a Abs. 2 InsO wird klargestellt, dass auch auf dritter oder einer weiteren Ebene eine natürliche Person für die Gesellschaftsschulden persönlich nicht haften darf,4) was insbesondere bei einer doppel- oder mehrstöckigen GmbH & Co. KG Bedeutung erlangt.5)

7

IV. Vorsätzlich oder fahrlässig unrichtige Angaben Die bestellten und faktischen geschäftsleitenden Organe haften für unrichtige Angaben sowohl bei Vorsatz als auch für einfache und grobe Fahrlässigkeit.

8

Unrichtige Angaben beim Anordnungsantrag – sei es in Bezug auf die Restrukturierungsplanung oder die Erklärungen nach § 50 Abs. 3 – gleichzustellen sind gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 pflichtwidrig unterlassene Angaben gegenüber dem Restrukturierungsgericht und dem Restrukturierungsbeauftragten.

9

V. Haftungsbegründende und -ausfüllende Kausalität Aufgrund der unrichtigen und/oder nach § 32 Abs. 2 pflichtwidrig unterlassenen Angaben, muss die Stabilisierungsanordnung „erwirkt“ worden sein. Die gemachten und/oder unterlassenen Angaben müssen kausal für den Erlass der Stabilisierungsanordnung sein. Sie dürfen nicht hinweggedacht werden können, ohne dass die Stabilisierungsanordnung zu versagen gewesen wäre (haftungsbegründende Kausalität).

10

Zusätzlich muss die (rechtswidrig) erlassene Stabilisierungsanordnung zu einem Schaden der von der Anordnung betroffenen Gläubiger geführt haben (haftungsausfüllende Kausalität).

11

Für die haftungsbegründende und die -ausfüllende Kausalität ist der die Erstattung begehrende Gläubiger darlegungs- und beweisbelastet.

12

_____________ 3) 4) 5)

Vgl. Klöhn in: MünchKomm-InsO, § 15a Rz. 48. Vgl. Klöhn in: MünchKomm-InsO, § 15a Rz. 49. Vgl. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 15a Rz. 11.

Boss/Luttmann

753

§ 57

Haftung der Organe

VI. Verschulden (Satz 2) 13

Das Verschulden wird nach Satz 2 vermutet. Die gesetzliche Vermutung muss von den Organen erschüttert werden. 1.

14

2. 15

Exkulpation bei Ressortverteilung

Die Haftung für das positive Fehlverhalten trifft zunächst nur das handelnde Organ.6) Da das (zu vermutende) Verschulden jedoch auch aus der unterlassenen Aufsicht der weiteren geschäftsleitenden Organe folgen kann,7) können sich die in Anspruch Genommenen aufgrund einer Ressortverteilung nur exkulpieren, wenn dargelegt und bewiesen wird, dass die weiteren Organe ordnungsgemäß beaufsichtigt wurden. Exkulpation bei Beauftragung Dritter

Der Schuldner hat dem Anordnungsantrag eine Restrukturierungsplanung beizufügen. Wird mit der Erstellung der Restrukturierungsplanung ein Dritter beauftragt (§ 50 Rz. 13), erfüllt der Dritte eine Verpflichtung des Schuldners und nicht des Organs. Im Verhältnis zum Organ ist der Dritte Verrichtungs- und nicht Erfüllungsgehilfe. Wird dargelegt und bewiesen, dass die Dritten ordnungsgemäß ausgewählt und überwacht wurden, können sich die Organe exkulpieren. VII.

16

Nicht ordnungsgemäße Erlösauskehr und -verwahrung (Satz 3)

Nach § 57 Satz 3 haben die Organe auch für Schäden der Gläubiger einzustehen, die Aus- und Absonderungsanwartschaftsberechtigte durch eine nicht ordnungsgemäße Erlösauskehr und/oder -verwahrung gemäß § 54 Abs. 2 erleiden. Verwertungserlöse nach § 54 Abs. 2 werden nur ordnungsgemäß separiert, wenn sie auf einem offenen Treuhandkonto zugunsten des jeweils berechtigten Aus- oder Absonderungsanwartschaftsberechtigten verwahrt werden (siehe § 54 Rz. 13). Kommt es aufgrund einer abweichenden Verwahrart zu einem Schaden der Aus- oder Absonderungsanwartschaftsberechtigten, haben die Organe dafür persönlich einzustehen. VIII. Verjährung (Satz 4)

17

Satz 4 ordnet an, dass § 43 Abs. 3 entsprechend gilt. Die Ansprüche verjähren folglich bei nicht börsennotierten Gesellschaften in fünf Jahren (§ 43 Abs. 3 Satz 1) und bei börsennotierten Gesellschaften in zehn Jahren (§ 43 Abs. 3 Satz 2). IX. Weitere Haftungsansprüche

18

Neben Erstattungsansprüchen nach Satz 1 und Satz 3 kommen weitere Haftungsansprüche in Betracht: 1.

19

Haftung der Aufsichtsratsmitglieder

Die Erstattungsansprüche nach § 57 Satz 1 und Satz 3 richten sich ausschließlich gegen die bestellten und/oder faktischen geschäftsführenden Organe. Genügen jedoch die Aufsichtsratsmitglieder einer AG ihren Aufsichtspflichten gegenüber dem Vorstand nicht, haften auch die Aufsichtsratsmitglieder gegenüber den Gläubigern wegen _____________ 6) 7)

754

Vgl. Altmeppen-Altmeppen, GmbHG, § 43 Rz. 21. Vgl. Altmeppen-Altmeppen, GmbHG, § 43 Rz. 115.

Boss/Luttmann

§ 57

Haftung der Organe

Verletzung ihrer Aufsichtspflichten nach § 116 Satz 1 i. V. m. § 93 Abs. 2 AktG (zusammen mit dem Vorstand) als Gesamtschuldner. 2.

Haftung des Restrukturierungbeauftragten

Wird ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, hat er nach § 76 Abs. 3 Nr. 1 Halbs. 1 fortlaufenden zu prüfen, ob Stabilisierungsanordnungen aufzuheben sind. Zu diesem Zweck hat der Restrukturierungsbeauftragte die Verhältnisse des Schuldners zu überprüfen (§ 76 Abs. 3 Nr. 1 Halbs. 2) und kann aus eigenem Recht beantragen, die Anordnung aufzuheben (§ 76 Abs. 3 Nr. 2).

20

Verletzt der Restrukturierungsbeauftragte seine Prüfpflicht schuldhaft und unterlässt er, die Aufhebung einer rechtswidrigen Stabilisierungsanordnung zu beantragen, haftet er den betroffenen Gläubigern gegenüber für den dadurch erlittenen Schaden (ggf. gesamtschuldnerisch mit den geschäftsführenden Organen und den Aufsichtsratsmitgliedern des Schuldners).

21

3.

Amtshaftung des Restrukturierungsgerichts

Da sowohl im Antragsverfahren (siehe § 51 Rz. 8) als auch nach der Anordnung (siehe § 59 Rz. 4) nicht der Amtsermittlungsgrundsatz, sondern die Beibringungsmaxime gilt, dürften Konstellationen, in denen Amtshaftungsansprüche gegenüber dem Restrukturierungsgericht denkbar sind, auf Ausnahmefälle beschränkt sein. 4.

22

Haftung des Schuldners

Die Stabilisierung vermittelt dem Schuldner die Berechtigung, vom Gläubiger das Unterlassen der Vollstreckung und/oder der Verwertung zu fordern. Die Stabilisierungsanordnung dürfte ein Schuldverhältnis nach § 241 Satz 2 BGB begründen, so dass dem Schuldner das Wissen (§ 166 Abs. 1 BGB) und das Verschulden der Organe (§ 278 Satz 1 BGB) zuzurechnen ist und er den Gläubigern gegenüber für den durch die Organe entstandenen Schaden (als Gesamtschuldner mit den Organen) einzustehen hat.

23

X. Plädoyer für eine Berufshaftpflichtversicherung Der persönlichen Haftung der geschäftsführenden Organe liegt der (zutreffende) Gedanke zugrunde, dass ein Erstattungsanspruch gegen einen bereits drohend zahlungsunfähigen Schuldner mit einem hohen Ausfallrisiko verbunden ist und es daher einer zusätzlichen persönlichen Haftung der Organe bedarf. Aber auch die wirtschaftliche Durchsetzbarkeit von Erstattungsansprüchen gegen die Organe dürfte nur abgesichert sein, wenn zugunsten der Organe eine D&O-Versicherung abgeschlossen wurde.

24

Rechtspolitisch zu erwägen ist, ob der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung zugunsten der geschäftsführenden Organe des Schuldners als Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Stabilisierungsmaßnahmen normiert werden sollte.

25

Boss/Luttmann

755

§ 58

Insolvenzantrag

§ 58 Insolvenzantrag Janjuah/Tangermann

Das Verfahren über den Antrag eines Gläubigers, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners zu eröffnen, wird für die Anordnungsdauer ausgesetzt. Literatur: Beth, Die Entscheidung des BGH zur Notwendigkeit der Glaubhaftmachung der fortbestehenden Zahlungsunfähigkeit nach Erfüllung der Forderung, ZInsO 2013, 1680; Bork, Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nach § 29 StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 38; Frind, Insolvenzordnung 2021: Überzeugendes Sanierungsrecht oder Stückwerk? Zu den insolvenzgesetzlichen Änderungsvorschlägen im RefE eines SanInsFoG, NZI 2020, 865; Frind, Die notwendige Ausgestaltung des Gläubigerinsolvenzantragsverfahrens nach § 14 Abs. 1 InsO als Frühwarninstrument im Sinne der EU-Richtlinienumsetzung zum präventiven Restrukturierungsrahmen, ZInsO 2019, 1586; Frind, Die praxisgerechte Anwendung des „weiterlaufenden Insolvenzantrags“ – Ist der Kampf gegen die „Stapelverfahren“ verloren?, NJW 2013, 2478; Müller, Die Umsetzung der EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen – Kritische Anmerkungen zum StaRUG-RegE, ZIP 2020, 2253; Seagon, Zwischenstand zum Richtlinienentwurf der Kommission über einen präventiven Restrukturierungsrahmen: Gläubigerund Arbeitnehmerschutz sollen gestärkt werden!, NZI 2018, 787; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Vallender, Das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) – Neue Sanierungsoptionen für Unternehmen in der Krise, MDR 2021, 201. Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: DK, Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 6.11.2018, abrufbar unter https:// bankenverband.de/themen/dk-stellungnahme-richtlinienvorschlag-praventive-restrukturierungsrahmen/?print=True (Abrufdatum: 23.8.2021). Übersicht

1

I. II. III. IV. V. 1.

Einführung ........................................... 1 Normzweck ........................................... 2 Normhistorie ........................................ 4 Tatbestand ............................................. 8 Rechtsfolge ......................................... 12 Aussetzung des vom Gläubiger beantragten Insolvenzeröffnungsverfahrens ............................................ 12

I.

Einführung

2. 3.

Insolvenzanträge der Gläubiger während der Dauer der Stabilisierungsanordnung .................................. 16 Gläubigerantrag auf Aufhebung der Stabilisierungsanordnung ............. 20

§ 58 regelt die Auswirkungen einer Stabilisierungsanordnung (vgl. §§ 49 ff.) auf das Insolvenzantragsrecht der Gläubiger. II. Normzweck

2

§ 58 trägt dem Zweck der Restrukturierungsrichtlinie und des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens Rechnung, die Sanierungskultur (in der EU) zu fördern und dabei Schuldnern eine (nachhaltige) Restrukturierung bei Vermeidung ihrer Insolvenz zu ermöglichen, um so die unnötige Liquidation bestandsfähiger Unternehmen zu begrenzen.1) _____________ 1)

756

ErwG 2 der Restrukturierungsrichtlinie.

Janjuah/Tangermann

§ 58

Insolvenzantrag

Bereits in der Einführung zum Richtlinienentwurf wird ausdrücklich klargestellt, dass verhindert werden soll, dass durch das Stellen eines Insolvenzantrags (sowohl durch den Schuldner selbst als auch durch die Gläubiger) das Ziel der Restrukturierung nicht erreicht und das Sanierungsverfahren nicht erfolgreich abgeschlossen werden kann.2)

3

III. Normhistorie Ausweislich der Gesetzesbegründung3) dient die Vorschrift des § 58 der Umsetzung von Art. 7 Abs. 2 der Restrukturierungsrichtlinie. Art. 7 Abs. 2 Restrukturierungsrichtlinie schreibt vor, dass eine Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen für die Dauer der Aussetzung zum Aufschub von Gläubigerinsolvenzanträgen führt.

4

Im Zuge des europäischen Gesetzgebungsverfahrens war zunächst noch über eine Streichung von Art. 7 Abs. 2 Restrukturierungsrichtlinie diskutiert worden. So hatte das Europäische Parlament in seinem Änderungsantrag 60 des Berichts des Rechtsausschusses vom 21.8.20184) eine Streichung des Art. 7 Abs. 2 vorgeschlagen, wodurch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Antrag eines oder mehrerer Gläubiger während eines Moratoriums weiterhin möglich gewesen wäre. Dies hätte eine Schwächung des Schutzes vor einer Insolvenz während der Restrukturierungsphase des Schuldners zur Folge gehabt.5)

5

Von denjenigen Interessenverbänden, die einer Suspendierung der Insolvenzantragspflichten auch während des Moratoriums ohnehin kritisch gegenüberstanden, wurde die vorgeschlagene Streichung des Art. 7 Abs. 2 teilweise als Schritt in die richtige Richtung begrüßt.6) Allerdings wurde Art. 7 Abs. 2 in seiner finalen Fassung bereits in der Allgemeinen Ausrichtung des Europäischen Rats zum Kommissionsvorschlag vom 1.10.2018 wieder aufgenommen7) und i. R. der Restrukturierungsrichtlinie unverändert verabschiedet.

6

_____________ 2)

3) 4)

5) 6) 7)

Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, v. 22.11.2016, COM(2016) 723 final [2016/0359 (COD)], abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/ ?uri=CELEX:52016PC0723&from=RO (Abrufdatum: 23.8.2021), S. 7. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 159. Europäisches Parlament, Bericht des Rechtsausschusses über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU (COM(2016)0723 – C8-0475/2016 [2016/0359(COD)), (A8-0269/2018), v. 21.8.2018 (Niebler-Bericht), abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-82018-0269_DE.pdf (Abrufdatum: 23.8.2021). Seagon, NZI 2018, 787, 788. DK, Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 6.11.2018. Rat der Europäischen Union, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, Allgemeine Ausrichtung v. 1.10.2018, S. 21 (ErwG 21), 59., abrufbar unter https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-125362018-INIT/de/pdf (Abrufdatum: 23.8.2021).

Janjuah/Tangermann

757

§ 58 7

Insolvenzantrag

Im Zuge der nationalen Umsetzung von Art. 7 Abs. 2 ist die Vorschrift des § 58 in seiner jetzigen Fassung bereits im RefE8) aufgenommen worden und – mit Ausnahme einiger redaktioneller Änderungen und einer klarstellenden Ergänzung – sowohl im RegE9) als auch in der schlussendlich verabschiedeten Gesetzesfassung unverändert geblieben. IV. Tatbestand

8

Tatbestandlich knüpft § 58 an die Anordnungsdauer von Stabilisierungsmaßnahmen i. S. des § 49 an.

9

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 58 sind demnach erfüllt, wenn – eine Stabilisierungsanordnung ergangen ist; und –

10

11

diese noch andauert.

Eine Stabilisierungsanordnung wird vom Restrukturierungsgericht auf Antrag des Schuldners angeordnet, wenn insbesondere der schuldnerische Antrag den in § 50 genannten Anforderungen (siehe hierzu i. E. § 50 Rz. 7 ff.) entspricht und die in § 51 genannten Antragsvoraussetzungen (siehe hierzu i. E. § 51 Rz. 7 ff.) erfüllt sind. Die zunächst zulässige Höchstdauer einer Stabilisierungsanordnung beträgt gemäß § 53 Abs. 1 bis zu drei Monate. Im Anschluss daran sieht die gesetzliche Regelung weitere Verlängerungsmöglichkeiten vor, die aber jeweils eine inhaltliche Rechtfertigung (insbesondere (i) die Unterbreitung eines Planangebots durch den Schuldner; und (ii) die Beantragung der gerichtlichen Bestätigung und die Annahme des Restrukturierungsplans durch die Gläubiger) erkennen lassen.10) Insgesamt kann die Stabilisierungsanordnung unter bestimmten Voraussetzungen auf bis zu acht Monate verlängert werden (siehe zur Anordnungsdauer einer Stabilisierungsanordnung i. E. § 53 Rz. 2 ff.), sodass das Insolvenzantragsrecht der Gläubiger maximal für diesen Zeitraum suspendiert ist. In der Zeit nach Ablauf einer Stabilisierungsmaßnahme bis zu einer Folge- oder Neuanordnung würde die Suspendierung daher folglich nicht greifen.11) V. Rechtsfolge 1.

12

Aussetzung des vom Gläubiger beantragten Insolvenzeröffnungsverfahrens

Nach seinem Wortlaut regelt § 58 die Aussetzung des Verfahrens über den Antrag eines Gläubigers, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners zu eröffnen, für die Dauer einer Stabilisierungsanordnung gemäß § 49.12) _____________ 8) RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 9) RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. 10) Bork, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 38, 40; Vallender, MDR 2021, 201. 11) Dazu Braun-Riggert, StaRUG, § 58 Rz. 5. 12) Krit. hierzu Frind, der die Auffassung, dass eine automatische Aussetzung eines von einem Gläubiger beantragten Insolvenzeröffnungsverfahrens kontraproduktiv sei, da ein zugelassener Gläubigerantrag bereits eine Glaubhaftmachung des Vorliegens eines Insolvenzgrunds beinhalte (§ 14 InsO). Denn damit liege bereits ein Aufhebungsgrund für die Restrukturierungssache i. S. von § 33 Abs. 2 Nr. 1 („andere Umstände …, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner insolvenzreif ist“) vor und die Stabilisierungsanordnung wäre gemäß § 59 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 regelmäßig durch das Restrukturierungsgericht aufzuheben, vgl. Frind, ZInsO 2019, 1586; Frind, NZI 2020, 865, 867.

758

Janjuah/Tangermann

§ 58

Insolvenzantrag

Im Ergebnis soll es also während der Dauer einer Stabilisierungsanordnung nicht möglich sein, aufgrund eines Gläubigerantrags ein Insolvenzverfahren über das Schuldnervermögen zu eröffnen. Der Wortlaut der Norm regelt hierzu zunächst den Fall, dass ein vom Gläubiger beantragtes Insolvenzeröffnungsverfahren bereits anhängig ist. Dieses ist während der Anordnungsdauer ausgesetzt und wird ggf. nach Beendigung bzw. Aufhebung der Stabilisierungsanordnung durch das Restrukturierungsgericht (vgl. § 59, siehe hierzu i. E. § 59 Rz. 5 ff.) vom Insolvenzgericht fortgesetzt.13) Damit stellt die Regelung des § 58 eine gesetzliche Ausnahme zum ansonsten geltenden Grundsatz dar, dass ein Ruhen oder eine zeitweilige Aussetzung des Insolvenzeröffnungsverfahrens nicht in Betracht kommt.14) Dabei dürfte allerdings weiterhin gelten, dass die Vorschriften der ZPO über die Aussetzung des Verfahrens (§§ 148 ff. ZPO) auf das grundsätzlich eilbedürftige, auf eine rasche Befriedigung der Gläubiger angelegte Insolvenz(eröffnungs)verfahren nicht anwendbar sind.15)

13

In dem Fall, in dem der Restrukturierungsplan durch die (Mehrheit der) Gläubiger angenommen und durch das Restrukturierungsgericht bestätigt wird, dürfte der jeweilige Gläubiger den Insolvenzantrag regelmäßig zurücknehmen oder die Hauptsache für erledigt erklären, da der Restrukturierungsplan gerade dazu dient, die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nachhaltig zu beseitigen. Dabei ist zwar zu berücksichtigen, dass der Gläubiger gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO die Möglichkeit hat, seinen Eröffnungsantrag trotz Erlöschens der Antragsforderung aufrechtzuerhalten.16) Allerdings hat der BGH in diesem Zusammenhang klargestellt, dass § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO als Ausnahmetatbestand zwar auf eine bestehende Forderung, nicht aber auf die übrigen Zulässigkeitserfordernisse des § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO verzichtet. Der Gläubiger müsse daher das Fortbestehen eines Eröffnungsgrundes auch im Falle einer Fortführung des Verfahrens glaubhaft machen.17)

14

Im Falle eines von den Gläubigern (mehrheitlich) angenommenen und gerichtlich bestätigten Restrukturierungsplans wird es einem Gläubiger jedoch kaum gelingen, im Hinblick auf den Schuldner einen Insolvenzgrund weiterhin glaubhaft zu machen. Eine Aufrechterhaltung des entsprechenden Gläubigerantrags wird in diesem Fall somit in der Praxis kaum erfolgen. Wird dagegen die Stabilisierungsanordnung ohne Annahme eines Restrukturierungsplans beendet oder aufgehoben und scheitert die angestrebte Sanierung, dürfte eine Fortsetzung des Eröffnungsverfahrens durch das Insolvenzgericht regelmäßig in Betracht kommen (möglicherweise flankiert durch einen entsprechenden Eigenantrag des Schuldners).

15

_____________ 13) Frind, NZI 2020, 865, 867. 14) BGH, Urt. v. 11.3.2010 – IX ZB 110/09, NZI 2010, 441; BGH, Urt. v. 29.3.2007 – IX 141/06, ZInsO 2007, 604; BGH, Urt. v. 27.7.2006 – IX ZB 15/06, NZI 2006, 642; Kübler/ Prütting/Bork-Pape, InsO, § 14 Rz. 34; Schmahl/Vuia in: MünchKomm-InsO, § 14 Rz. 38; Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 14 Rz. 145. 15) S. hierzu BGH, Urt. v. 27.7.2006 – IX ZB 15/06, NZI 2006, 642; Ganter in: MünchKommInsO, § 4 Rz. 15; Kirchhof in: HK-InsO, § 4 Rz. 25. 16) S. hierzu i. E. Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 14 Rz. 98 m. w. N. 17) BGH, Urt. v. 18.12.2014 – IX ZB 34/14, ZInsO 2015, 301; BGH, Urt. v. 11.4.2013 – IX ZB 256/11, NZI 2013, 594; Beth, ZInsO 2013, 1680; Frind, NJW 2013, 2478; UhlenbruckWegener, InsO, § 14 Rz. 120 m. w. N.

Janjuah/Tangermann

759

§ 58 2.

Insolvenzantrag

Insolvenzanträge der Gläubiger während der Dauer der Stabilisierungsanordnung

16

Nach dem Wortlaut der Norm umfasst die Regelung des § 58 nach hier vertretener Ansicht auch den Fall, dass ein Gläubigerantrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners erst während der Dauer einer Stabilisierungsanordnung gestellt wird.18) Ein entsprechender Antrag ist demnach zwar zulässig, eine Einleitung des Eröffnungsverfahrens und Prüfung des Insolvenzantrags würde aber ggf. erst erfolgt, wenn die Stabilisierungsanordnung beendet oder durch das Restrukturierungsgericht wieder aufgehoben wird. Entsprechend würde das angerufene Insolvenzgericht in diesem Fall das Verfahren zur Entscheidung über diesen Antrag für die Dauer der Stabilisierung aussetzen.19)

17

Der Wortlaut der neu eingeführten Kostenregelung zu Gläubigerantragsverfahren bei StaRUG-Verfahren (Ergänzung von § 14 Abs. 3 InsO um Satz 2) legt demgegenüber eine andere Auslegung des Wortlauts nahe. Danach hat der Schuldner die Kosten des Verfahrens (auch) dann zu tragen, wenn der Antrag eines Gläubigers wegen einer zum Zeitpunkt der Antragstellung wirksamen nicht öffentlichen Stabilisierungsanordnung abgewiesen wird und der Gläubiger von der Stabilisierungsanordnung keine Kenntnis haben konnte. Die Regelung geht demzufolge davon aus, dass etwaige Gläubigeranträge auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners während der Anordnungsdauer einer Stabilisierungsanordnung abgewiesen werden kann.

18

Die Gesetzesbegründung20) spricht in diesem Zusammenhang sogar davon, dass der Schuldner mit Beantragung der Stabilisierungsanordnung den „Abweisungsgrund“ herbeigeführt hat. Eine derartige Auslegung des § 58 würde indes dazu führen, dass Gläubigeranträge auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners während der Anordnungsdauer einer Stabilisierungsanordnung vom Insolvenzgericht als unzulässig abgewiesen werden können.21) Diese Auslegung wäre zudem inkonsistent, da bereits anhängige Gläubigeranträge lediglich ausgesetzt wären (siehe oben Rz. 12 ff.). Eine nach dem Zeitpunkt der Antragsstellung differenzierende Behandlung der Gläubigeranträge während der Dauer einer Stabilisierungsanordnung erscheint jedoch nicht sachgerecht. Nach hier vertretener Ansicht sind Gläubigeranträge, die erst während der Dauer der Stabilisierungsanordnung gestellt werden, somit ebenso wie bereits bei Anordnung der Stabilisierung anhängige Anträge gemäß dem Wortlaut des § 58 auszusetzen. Der Wortlaut der Kostentragungsregelung in § 14 Abs. 3 Satz 2 InsO ist insoweit unscharf formuliert.

19

In diesem Zusammenhang ist ferner zu beachten, dass Gläubigeranträge möglicherweise bei einem anderen Insolvenzgericht (bspw. des Registersitzes) gestellt und beschieden werden. Da das Restrukturierungsverfahren regelmäßig nicht öffentlich ist (vgl. § 84 Abs. 1), wäre vor diesem Hintergrund eine Mitteilungspflicht des Re_____________ 18) 19) 20) 21)

760

So auch Braun-Riggert, StaRUG, § 58 Rz. 2. So auch Müller, ZIP 2020, 2253. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 193. Vgl. Bork, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 38, 39.

Janjuah/Tangermann

Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung

§ 59

strukturierungsgerichtes von anhängigen Verfahren an das bzw. die zuständigen Insolvenzgerichte wünschenswert.22) 3.

Gläubigerantrag auf Aufhebung der Stabilisierungsanordnung

Die Aussetzung des von einem Gläubiger beantragten Insolvenzeröffnungsverfahrens erfolgt automatisch mit Anordnung einer Stabilisierungsmaßnahme i. S. des § 49 (siehe oben Rz. 12).

20

Allerdings haben betroffene Gläubiger nach § 59 Abs. 2 die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen die Aufhebung der Stabilisierungsanordnung zu beantragen, um so die automatische Aussetzung des beantragten Insolvenzeröffnungsverfahrens zu beenden. Hierfür muss der Gläubiger glaubhaft machen (mit dem Maßstab der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, § 294 ZPO), dass der Schuldner nicht bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten, insbesondere weil der Restrukturierungsplan in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht oder die Rechnungslegung und Buchführung des Schuldners in der in § 59 Abs. 1 Nr. 4 lit. b näher bestimmten Weise unvollständig und mangelhaft ist. Des Weiteren könnte der Gläubiger die Voraussetzungen einer Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 glaubhaft machen, insbesondere die Insolvenzreife des Schuldners (siehe hierzu i. E. § 59 Rz. 21 ff.).23)

21

_____________ 22) Ähnlich Frind, NZI 2020, 865, 867, der eine Mitteilungspflicht des Restrukturierungsgerichts an das jeweilige Registergericht vorschlägt, bei welchem jedes Insolvenzgericht wiederum abzufragen hätte, ob ein anderweitiges Verfahren anhängig ist. 23) So auch Braun-Riggert, StaRUG, § 58 Rz. 4.

§ 59 Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung Boss/Luttmann

(1) Das Restrukturierungsgericht hebt die Stabilisierungsanordnung auf, wenn 1.

der Schuldner dies beantragt,

2.

die Anzeige nach § 31 Absatz 4 ihre Wirkungen verloren hat oder wenn die Voraussetzungen einer Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 31 Absatz 4 Nummer 3, § 33 vorliegen,

3.

der Schuldner es versäumt, dem Gericht nach Ablauf einer zu diesem Zweck eingeräumten angemessenen Frist den Entwurf eines Restrukturierungsplans zu übermitteln oder

4.

Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner nicht bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten, insbesondere weil a) die Restrukturierungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht oder

Boss/Luttmann

761

§ 59

Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung

b) die Rechnungslegung und Buchführung des Schuldners so unvollständig oder mangelhaft sind, dass sie eine Beurteilung der Restrukturierungsplanung, insbesondere des Finanzplans, nicht ermöglichen. (2) Die Stabilisierungsanordnung wird wegen der in Absatz 1 Nummer 2 und 4 genannten Gründe auch auf Antrag eines von der Anordnung betroffenen Gläubigers aufgehoben, wenn dieser das Vorliegen des Beendigungsgrunds glaubhaft macht. (3) 1Das Restrukturierungsgericht kann von einer Aufhebung absehen, wenn die Fortdauer der Stabilisierungsanordnung geboten erscheint, um im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger einen geordneten Übergang in ein Insolvenzverfahren zu gewährleisten. 2Das Gericht setzt dem Schuldner eine Frist von höchstens drei Wochen, innerhalb derer er dem Gericht die Beantragung eines Insolvenzverfahrens nachzuweisen hat. 3Nach Ablauf dieser Frist ist die Stabilisierungsanordnung aufzuheben. (4) Die Stabilisierungsanordnung endet, wenn der Restrukturierungsplan bestätigt ist oder die Planbestätigung versagt wird. Literatur: Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Restrukturierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Riggert, Allgemeine Grundsätze der Stabilisierung nach dem StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 40. Übersicht I. Normzweck/-inhalt ............................. 1 II. Beibringungsmaxime .......................... 4 III. Aufhebung auf Antrag des Schuldners (Abs. 1 Nr. 1) .................... 5 IV. Aufhebung von Amts wegen (Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 4) ........................ 6 1. Verlust der Wirkung der Restrukturierungsanzeige, Aufhebung der Restrukturierungssache (Abs. 1 Nr. 2) ..................................................... 7 a) Verlust der Wirkung der Restrukturierungsanzeige (Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1) .................................... 8 b) Aufhebung der Restrukturierungssache (Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2) .............................................. 9 2. Versäumung der Frist zur Vorlage eines Restrukturierungsplanentwurfs (Abs. 1 Nr. 3) ............................ 12 3. Ausrichtung der Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit ............................................ 13 a) Positive Kenntnis ......................... 14 b) Wesentlich unzutreffende Tatsachen der Restrukturierungsplanung (Abs. 1 Nr. 4 lit. a) .............................................. 15

762

c) Unvollständige/mangelhafte Rechnungslegung/Buchführung (Abs. 1 Nr. 4 lit. b) ........ 17 4. Sonstige Aufhebungsgründe ............... 18 a) Nachträgliche Kenntnis wesentlich unrichtiger Erklärungen nach § 50 Abs. 3 .................... 19 b) Rechtsgedanke des § 30g Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZVG n. F. ............................................... 20 c) Fehlende Erforderlichkeit/ Zumutbarkeit ............................... 22 V. Aufhebung auf Gläubigerantrag (Abs. 2) ................................................ 23 1. Antragsberechtigung ........................... 24 2. Glaubhaftmacht/Akteneinsichtsrecht ................ 25 VI. Aufhebung auf Antrag des Restrukturierungsbeauftragten (§ 76 Abs. 3 Nr. 2) .............................. 26 VII. Gesicherter Übergang ins Insolvenzverfahren (Abs. 3) ............. 27 VIII. Anordnungsbeendigung: Planbestätigung/Planversagung (Abs. 4) ................................................ 30

Boss/Luttmann

Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung

I.

§ 59

Normzweck/-inhalt

§ 59 regelt, wann die Stabilisierungsanordnung aufzuheben ist (§ 59 Abs. 1 bis Abs. 3) und stellt klar, dass die Anordnung spätestens mit der Planbestätigung oder der Planversagung endet (§ 59 Abs. 4).

1

Die Aufhebung kann auf Antrag des Schuldners (§ 59 Abs. 1 Nr. 1), von Amts wegen (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 bis 4), auf Antrag betroffener Gläubiger (§ 59 Abs. 2) und/oder auf Antrag des Restrukturierungsbeauftragten (§ 76 Abs. 3 Nr. 2) erfolgen.

2

Obgleich Aufhebungsgründe vorliegen, kann das Gerichts nach § 59 Abs. 3 (ausnahmsweise) für eine Dauer von maximal drei Wochen von einer Aufhebung absehen, um einen geordneten Übergang in ein Insolvenzverfahren zu gewährleisten und dem Schuldner die Stellung eines Insolvenzantrages zu ermöglichen.

3

II. Beibringungsmaxime Aufgrund der Eilbedürftigkeit der Stabilisierung gilt im Antragsverfahren nicht der Amtsermittlungs-, sondern die Beibringungsmaxime. Erwirkt der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung, hat er dem Restrukturierungsgericht unverzüglich wesentliche Änderungen mitzuteilen, welche die Restrukturierungsplanung betreffen (§ 32 Abs. 2 Satz 2). Diese Verpflichtung des Schuldners verdeutlicht ebenso wie die Formulierung „Umstände bekannt sind“ in § 59 Abs. 1 Nr. 4, dass die Beibringungsmaxime auch nach dem Erlass der Stabilisierungsanordnung Anwendung findet.1)

4

III. Aufhebung auf Antrag des Schuldners (Abs. 1 Nr. 1) Nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 ist die Stabilisierung auf Antrag des Schuldners aufzuheben. Erachtet bereits der Schuldner als „Herr des Restrukturierungsvorhabens“ die Stabilisierung nicht mehr als erforderlich, besteht kein Anlass, die Stabilisierung nicht aufzuheben.2)

5

IV. Aufhebung von Amts wegen (Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 4) In den Fällen des Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 4 ist die angeordnete Stabilisierung von Amts wegen aufzuheben. 1.

Verlust der Wirkung der Restrukturierungsanzeige, Aufhebung der Restrukturierungssache (Abs. 1 Nr. 2)

Das Restrukturierungsgericht hat die Stabilisierungsanordnung aufzuheben, wenn –

die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens ihre Wirkung verloren hat (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1) oder



die Voraussetzungen der Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 31 Abs. 4 Nr. 3 i. V. m. § 33 vorliegen (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2).

_____________ 1) 2)

6

Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 159. Art. 6 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. b der Restrukturierungsrichtlinie bestimmt, dass die Stabilisierung auf Antrag des Schuldners oder des Restrukturierungsbeauftragten aufzuheben ist. Wird ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, kann auch der Restrukturierungsbeauftragte die Aufhebung der Stabilisierungsanordnungen beantragen, sofern Aufhebungsgründe vorliegen (§ 76 Abs. 3 Nr. 2).

Boss/Luttmann

763

7

§ 59

Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung

a) Verlust der Wirkung der Restrukturierungsanzeige (Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1) 8

Formelle Voraussetzung der Inanspruchnahme der Verfahrenshilfen (§ 29 Abs. 1, Abs. 2) ist die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens (Restrukturierungsanzeige, § 31 Abs. 1).3) Entfällt die Wirkung der Restrukturierungsanzeige nach § 31 Abs. 4, ist der Schuldner bereits formell nicht mehr berechtigt, Stabilisierungsinstrumente in Anspruch zu nehmen und die Stabilisierungsanordnung ist aufzuheben. b) Aufhebung der Restrukturierungssache (Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2)

9

Die Aufhebung der Stabilisierungsanordnung hat zu erfolgen, wenn die Voraussetzungen einer Aufhebung der Restrukturierungssache (§ 33) vorliegen.

10

§ 31 Abs. 4 Nr. 3 bestimmt, dass die Restrukturierungsanzeige ihre Wirkung verliert, wenn das Restrukturierungsgericht die Restrukturierungssache nach § 33 aufhebt. Die 2. Alternative dürfte bereits in Alternative 1 enthalten sein. Nach der Gesetzesbegründung stellt die Alternative 2 jedoch klar, dass die Aufhebung der Stabilisierungsanordnung nicht erst nach Rechtskraft des die Restrukturierungssache aufhebenden Beschlusses erfolgen darf.4)

11

Hebt das Restrukturierungsgericht die Restrukturierungssache auf (§ 33), sind zeitgleich auch dann sämtliche Stabilisierungsanordnungen aufzuheben, wenn der Schuldner gegen die Aufhebung der Restrukturierungssache sofortige Beschwerde einlegt (§ 33 Abs. 4). Dies gilt auch, wenn die Vollziehung des die Restrukturierungssache aufhebenden Beschlusses ausgesetzt (§ 38 i. V. m. § 570 Abs. 2 ZPO) oder angeordnet wird (§ 38 i. V. m. § 570 Abs. 3 ZPO). Dem Schuldner stehen zwar keine Rechtsmittel gegen die Aufhebung der Stabilisierungsanordnung zu. Wird jedoch die sofortige Vollziehung der Aufhebung der Restrukturierungssache ausgesetzt oder angeordnet, dürfte der Schuldner die Stabilisierung neu beantragen können (§ 52). Wird die Neuanordnung zurückgewiesen, ist der Schuldner berechtigt, gegen den Zurückweisungsbeschluss sofortige Beschwerde einzulegen (§ 51 Abs. 5 Satz 2). 2.

12

Bestimmt das Restrukturierungsgericht eine Frist zur Vorlage eines Restrukturierungsplanentwurfs (§ 51 Abs. 3) und legt der Schuldner innerhalb der gesetzten Frist keinen Planentwurf vor, bestimmt § 59 Abs. 1 Nr. 3, dass die Stabilisierungsanordnung aufzuheben ist. Genügt der Schuldner seiner „Bringschuld“5) nicht und legt trotz gerichtlich angeordneter Frist kein Restrukturierungsplanentwurf vor, sind die mit der Stabilisierung verbundenen Eingriffe in die Rechte der betroffenen Gläubiger nicht zu rechtfertigen und die Stabilisierung ist zu beenden. 3.

13

Versäumung der Frist zur Vorlage eines Restrukturierungsplanentwurfs (Abs. 1 Nr. 3)

Ausrichtung der Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit

Nach § 59 Abs. 1 Nr. 4 ist eine Stabilisierungsanordnung aufzuheben, wenn Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner nicht bereit und in der _____________ 3) 4) 5)

764

Vgl. Desch, BB 2020, 2498, 2499; Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/ 24181, S. 159. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 159. Vgl. Boss/Luttmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 6 Rz. 50.

Boss/Luttmann

Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung

§ 59

Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten. In § 59 Abs. 1 Nr. 4 lit. a und lit. b werden zwei Regelbeispiele aufgeführt, bei deren Vorliegen unwiderleglich6) zu vermuten ist, dass der Schuldner nicht bereit oder in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit zu orientieren. a) Positive Kenntnis § 59 Abs. 1 Nr. 4 erfordert ebenso wie § 51 Abs. 2 positive Kenntnis des Restrukturierungsgerichts. Kennenmüssen genügt nicht. Die Grundsätze zu gerichtskundigen Tatsachen sind anwendbar (siehe § 51 Rz. 26).

14

b) Wesentlich unzutreffende Tatsachen der Restrukturierungsplanung (Abs. 1 Nr. 4 lit. a) Die Stabilisierungsanordnung ist aufzuheben, wenn die Restrukturierungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn der Schuldner der Restrukturierungsplanung beim Anordnungsantrag unzutreffende Tatsachen zugrunde gelegt hat, sondern auch dann, wenn der Schuldner seiner Verpflichtung, dem Restrukturierungsgericht wesentliche Änderungen mitzuteilen, welche die Restrukturierungsplanung betreffen (§ 32 Abs. 2 Satz 2), nicht nachkommt.7) Die Restrukturierungsplanung beruht auch dann auf unzutreffenden Tatsachen, wenn veränderte Umstände die Restrukturierung aussichtslos machen.8) Kann eine nachhaltige Sanierung des Schuldners nicht mehr erreicht werden, ist die Stabilisierungsanordnung nicht mehr erforderlich und aufzuheben.

15

16

c) Unvollständige/mangelhafte Rechnungslegung/Buchführung (Abs. 1 Nr. 4 lit. b) Nach Art. 4 Abs. 2 und ErwG 27 der Restrukturierungsrichtlinie sind die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert, die Stabilisierung zu versagen, wenn die Buchhaltung des Schuldners einer „Waschkorblage“ entspricht.9) Dies greift der Gesetzgeber in § 59 Abs. 1 Nr. 4 lit. b auf und bestimmt, dass Stabilisierungsanordnungen aufzuheben sind, wenn Umstände bekannt sind, dass die Rechnungslegung und Buchführung des Schuldners so unvollständig oder mangelhaft sind, dass sie eine Beurteilung der Restrukturierungsplanung, insbesondere des Finanzplans, nicht ermöglichen. § 59 Abs. 1 Nr. 4 lit. b vermutet unwiderleglich, dass der Schuldner nicht bereit oder nicht in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit zu orientieren.10) _____________ 6) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 159. 7) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 160. Verstößt der Schuldner gegen seine Informationsverpflichtung aus § 32 Abs. 2 Satz 2 führt dies zur Aufhebung der Restrukturierungssache (§ 33 Abs. 2 Nr. 3) und damit zur Aufhebung der Stabilisierungsanordnung nach § 59 Abs. 1 Nr. 2. 8) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 160. 9) Vgl. Boss/Luttmann in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 6 Rz. 34. 10) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 160; vgl. auch BraunRiggert, StaRUG, § 59 Rz. 7, der darauf hinweist, dass das Vorliegen der unwiderleglichen Vermutung regelmäßig durch einen Sachverständigen festzustellen sein dürfte.

Boss/Luttmann

765

17

§ 59 4. 18

Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung

Sonstige Aufhebungsgründe

§ 59 Abs. 1 Nr. 4 lit. a und lit. b sind (lediglich) Regelbeispiele, bei deren Vorliegen unwiderleglich vermutet wird, dass der Schuldner nicht bereit oder in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten. Ergibt sich auf andere Weise und außerhalb der in § 59 Abs. 1 Nr. 4 lit. a und lit. b genannten Umstände, dass der Schuldner nicht bereit oder in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten, ist die Stabilisierungsanordnung gleichfalls von Amts wegen aufzuheben. § 59 Abs. 1 Nr. 4 hat die Funktion eines Auffangtatbestandes.11) a) Nachträgliche Kenntnis wesentlich unrichtiger Erklärungen nach § 50 Abs. 3

19

Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 ist die begehrte Stabilisierung zu versagen, wenn das Restrukturierungsgericht positive Kenntnis über Umstände hat, dass die dem Anordnungsantrag vom Schuldner beizufügenden Erklärungen nach § 50 Abs. 3 in wesentlichen Punkten auf unrichtigen Tatsachen beruhen, da in diesem Fall unwiderleglich zu vermuten ist, dass der Schuldner nicht bereit ist, seine Geschäftsführung an dem Interesse der Gläubigergesamtheit auszurichten. Nichts anderes kann gelten, wenn das Restrukturierungsgericht nach der Anordnung Kenntnis davon erhält, dass die Erklärungen des Schuldners nach § 50 Abs. 3 auf in wesentlichen Punkten unzutreffenden Tatsachen beruhen. b) Rechtsgedanke des § 30g Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZVG n. F.

20

Wird aufgrund einer Stabilisierungsanordnung das Zwangsversteigerungsverfahren einstweilig eingestellt, geschieht dies mit der Auflage, dass dem betreibenden Gläubiger laufend die geschuldeten Zinsen zu zahlen sind und ein durch die Nutzung entstehender Wertverlust durch laufende Zahlungen auszugleichen ist (§ 30g Abs. 2 Satz 1 ZVG n. F.).12) Erfüllt der Schuldner die Auflage nicht, wird das Zwangsversteigerungsverfahren (auf beim Vollstreckungsgericht zu stellenden Antrag des Gläubigers) fortgesetzt (§ 30g Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZVG n. F.).

21

Ebenso wie im Fall des § 30g Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZVG ist aber auch dann, wenn der Schuldner –

(im Falle einer Vollstreckungssperre) Neuzinsen (siehe § 49 Rz. 53) oder (ausnahmsweise) entstehende Zinsen auf stabilisierte Altzinsen (siehe § 49 Rz. 56) nicht zahlt oder



(im Falle einer Verwertungssperre, die sich gegen bewegliche mit Aus- und/ oder Absonderungsrechten belastete Gegenstände richtet) der Verpflichtung nach § 54 Abs. 1 Satz 1 nicht nachkommt,

unwiderleglich zu vermuten, dass der Schuldner nicht bereit oder in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten. _____________ 11) Vgl. dazu auch Braun-Riggert, StaRUG, § 59 Rz. 8. 12) Dies gilt jedoch nach § 30g Abs. 2 Satz 2 ZVG n. F. dann nicht, wenn und soweit nach der Höhe der Forderung sowie dem Wert und der sonstigen Belastung des Grundstücks nicht mit einer Befriedigung des Gläubigers aus dem Versteigerungserlös zu rechnen ist.

766

Boss/Luttmann

Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung

§ 59

Hat das Restrukturierungsgericht von vorbenannten Umständen (z. B. durch die betroffenen Gläubiger) Kenntnis, ist die Stabilisierung von Amts wegen aufzuheben. c) Fehlende Erforderlichkeit/Zumutbarkeit Die Erforderlichkeit der Stabilisierungsanordnung, die auch die Zumutbarkeit für die betroffenen Gläubiger erfasst (siehe § 49 Rz. 16 ff.), ist Voraussetzung für den Erlass der Stabilisierungsanordnung. Hat das Restrukturierungsgericht positive Kenntnis, dass die Anordnung nicht erforderlich ist, hat die Anordnung zu unterbleiben (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4); siehe § 51 Rz. 32. Entfällt die Erforderlichkeit der Stabilisierungsanordnung nach dem Anordnungserlass ist sie aufzuheben. Da ein Schuldner, der nicht bereit ist, durch einen entsprechenden Antrag (§ 59 Abs. 1 Nr. 1) für die Aufhebung der Stabilisierung zu sorgen, auch nicht bereit ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten, hat das Restrukturierungsgericht die Anordnung von Amts wegen aufzuheben, wenn es Kenntnis von der fehlenden Erforderlichkeit der Stabilisierung hat.

22

V. Aufhebung auf Gläubigerantrag (Abs. 2) In den Fällen des § 59 Abs. 1 Nr. 2 und/oder Nr. 413) ist die Stabilisierungsanordnung auf Antrag der von der Anordnung betroffenen Gläubiger aufzuheben, wenn die Aufhebungsgründe des § 59 Abs. 1 Nr. 2 und/oder Nr. 4 glaubhaft gemacht werden. Aufgrund des Auffangcharakters des § 59 Abs. 1 Nr. 4 sind die betroffenen Gläubiger berechtigt, z. B. auch formelle Fehler und die fehlende Erforderlichkeit der Stabilisierung zu rügen. 1.

Antragsberechtigung

Antragsberechtigt sind die Gläubiger, gegen die sich die Stabilisierungsanordnung, deren Aufhebung begehrt wird, richtet. 2.

23

24

Glaubhaftmacht/Akteneinsichtsrecht

Die antragsberechtigten Gläubiger müssen die Aufhebungsgründe des § 59 Abs. 1 Nr. 2 und/oder Nr. 4 gemäß § 294 ZPO glaubhaft machen. Um die Glaubhaftmachung zu ermöglichen, ist den Gläubigern auf Antrag Einsicht in die beim Restrukturierungsgericht zur Restrukturierungssache geführten Akten zu gewähren (§ 38 Satz 1 StaRUG i. V. m. § 299 Abs. 1 ZPO).

25

VI. Aufhebung auf Antrag des Restrukturierungsbeauftragten (§ 76 Abs. 3 Nr. 2) Wird ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, hat dieser fortlaufend die Verhältnisse des Schuldners daraufhin zu prüfen, ob die Anordnungsvoraussetzungen der Stabilisierung fortbestehen (§ 76 Abs. 3 Nr. 1).14) Nach § 76 Abs. 3 Nr. 2 ist auch der Restrukturierungsbeauftragte berechtigt (und verpflichtet), die Aufhebung von Stabilisierungsanordnungen zu beantragen, wenn die Aufhebungsgründe nach § 59 _____________ 13) Da die die fehlende Erforderlichkeit einen Aufhebungsgrund nach Abs. 1 Nr. 4 darstellt, können sich auch betroffenen Gläubiger auf die fehlende Erforderlichkeit als Aufhebungsgrund stützen; vgl. a. A. Riggert, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 40, 42). 14) Um dem Restrukturierungsbeauftragten diese Prüfung zu erleichtern, ist der Schuldner auch dem Restrukturierungsbeauftragten gegenüber verpflichtet, über wesentliche Änderungen der Restrukturierungsplanung zu berichten (§ 32 Abs. 2 Satz 3).

Boss/Luttmann

767

26

§ 60

Antrag

Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 vorliegen. Allerdings ist ein Restrukturierungsbeauftragter nur von Amts wegen zu bestellen, wenn sich die beantragte Stabilisierung gegen alle (oder im Wesentlichen alle) Gläubiger richtet (§ 73 Abs. 1 Nr. 2). VII.

Gesicherter Übergang ins Insolvenzverfahren (Abs. 3)

27

Liegt ein Aufhebungsgrund nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 vor, kann das Restrukturierunggericht gemäß § 59 Abs. 3 nur (für die Dauer von maximal drei Wochen) von einer Aufhebung absehen, wenn die Fortdauer der Stabilisierungsanordnung geboten erscheint, um im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger einen geordneten Übergang in ein Insolvenzverfahren zu gewährleisten (§ 59 Abs. 1 Satz 1).

28

Dazu kann das Restrukturierungsgericht dem Schuldner eine Frist von bis zu drei Wochen setzen, um den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nachzuweisen (§ 59 Abs. 3 Satz 2). Die Drei-Wochen-Frist orientiert sich an § 15a Abs. 1 InsO. Sie ist eine Höchstfrist.15)

29

Nach Ablauf der gesetzten Frist ist die Stabilisierung auch dann aufzuheben, wenn der Nachweis eines Insolvenzantrages nicht erbracht wurde. Stellt der Schuldner innerhalb der gesetzten Frist den Insolvenzantrag, ist die Restrukturierungssache nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 und damit auch die Stabilisierungsanordnung nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 von Amts wegen aufzuheben. VIII. Anordnungsbeendigung: Planbestätigung/Planversagung (Abs. 4)

30

§ 59 Abs. 4 stellt klar, dass die Stabilisierungsanordnung endet, wenn der Restrukturierungsplan bestätigt ist oder die Planbestätigung versagt wird. In beiden Fällen ist die Stabilisierungsanordnung (spätestens) nicht mehr erforderlich. _____________ 15) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 160.

Abschnitt 5 Planbestätigung Unterabschnitt 1 Bestätigungsverfahren § 60 Antrag Arends/Backes

(1) 1Auf Antrag des Schuldners bestätigt das Gericht den von den Planbetroffenen angenommenen Restrukturierungsplan durch Beschluss. 2Der Antrag kann auch im Erörterungs- und Abstimmungstermin gestellt werden. 3Ist die Planabstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren (§ 45) erfolgt, hat der Schuldner dem Antrag auf Bestätigung des Restrukturierungsplans neben dem zur Abstimmung gestellten Plan und seinen Anlagen die Dokumentation über das Abstimmungsergebnis sowie sämtliche Urkunden und sonstigen Nachweise beizufügen, aus denen sich ergibt, wie die Abstimmung durchgeführt wurde und zu welchem Ergebnis sie geführt hat. 768

Arends/Backes

§ 60

Antrag

(2) 1Handelt es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder um eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, bedarf der Antrag auf Bestätigung eines Restrukturierungsplans, der die persönlich haftenden Gesellschafter nicht von deren Haftung für die durch den Plan gestalteten Forderungen und Rechte befreit, der Zustimmung aller persönlich haftenden Gesellschafter. 2 Dies gilt nicht, soweit es sich bei den persönlich haftenden Gesellschaftern 1.

um juristische Personen handelt oder

2.

um Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit handelt, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist und kein persönlich haftender Gesellschafter selbst eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit ist, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist oder sich die Verbindung von Gesellschaften in dieser Art fortsetzt.*)

Literatur: Skauradszun, Ein Umsetzungskonzept für den präventiven Restrukturierungsrahmen, KTS 2019, 161; Vallender, Aufgaben und Befugnisse des Restrukturierungsgerichts nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Teil 2), ZInsO 2020, 2677. Übersicht I. II. III. IV. V.

Normzweck ........................................... 1 Normhistorie ........................................ 5 Überblick zum Tatbestand .................. 6 Antragsrecht ......................................... 7 Zeitpunkt des Antrags ....................... 10

I.

Normzweck*)

VI. Beizufügende Unterlagen ................. 13 VII. Zustimmung persönlich haftender Gesellschafter ..................................... 18 VIII. Rechtsfolge ....................................... 20

Anders als beim Insolvenzplan (vgl. § 248 InsO) bedarf die Wirksamkeit des Restrukturierungsplans nicht zwingend einer gerichtlichen Bestätigung. Einer Bestätigung bedarf es vielmehr nur dann, wenn nicht alle Planbetroffenen dem Plan zugestimmt haben. Stimmt auch nur ein Planbetroffener gegen den Restrukturierungsplan, wird der Restrukturierungsplan insgesamt nur verbindlich, wenn er bestätigt wurde.1) Die Notwendigkeit einer Planbestätigung kann entfallen, wenn sich die Beteiligten zwischenzeitlich auf eine Planlösung geeinigt haben.2) Es kann jedoch im Plan geregelt werden, dass der Plan für die Planbetroffenen, die dem Plan zugestimmt haben, verbindlich wird, was sich aus einem Umkehrschluss aus § 18 ergibt (siehe § 67 Rz. 31). Einer Bestätigung des Plans bedarf es ferner dann, wenn der Plan neue Finanzierungen vorsieht.3) Dies folgt aus Art. 10 Abs. 1 lit. b der Restrukturierungs_____________ *)

1) 2) 3)

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 60 Abs. 2 Satz 1 die Wörter „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt und in § 60 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 die Wörter „Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaften“ und die Wörter „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft. Skauradszun, KTS 2019, 161, 185. Braun-Fendel, StaRUG, § 60 Rz. 1. Braun-Fendel, StaRUG, § 60 Rz. 1.

Arends/Backes

769

1

§ 60

Antrag

richtlinie4), der keine ausdrückliche Berücksichtigung im Gesetz gefunden hat.5) Ferner kann die Bestätigung des Plans sinnvoll sein, um das Eingreifen anfechtungsrechtlicher Privilegierungen nach § 90 sicherzustellen (siehe § 90 Rz. 7 ff.). Die gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans dürfte die Regel sein. 2

Die Vorschrift regelt den Antrag auf gerichtliche Bestätigung eines von den Planbetroffenen angenommenen Restrukturierungsplans und regelt die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags. Die gerichtliche Planbestätigung ist auf Antrag sowohl möglich wenn die Annahme des Restrukturierungsplans i. R. einer außergerichtlichen Abstimmung als auch i. R. einer gerichtlichen Abstimmung erfolgt ist.6) Ob die Abstimmung über den Plan außergerichtlich oder im gerichtlichen Verfahren erfolgt, entscheidet grundsätzlich allein der Schuldner. Anders ist dies nur im Falle der obligatorischen Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten nach Maßgabe des § 73 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2; in diesem Fall trifft der Restrukturierungsbeauftragte die Entscheidung, ob die Planabstimmung außergerichtlich oder in einem gerichtlichen Verfahren zu erfolgen hat (vgl. § 76 Abs. 2 Nr. 1); siehe § 76 Rz. 13 ff.

3

§ 60 Abs. 1 dient der Klarstellung, dass eine gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans einen Antrag voraussetzt und dass nur der Schuldner einen zulässigen Antrag stellen kann.7) Gemäß des mit der Restrukturierungsrichtlinie verfolgten Grundsatzes der minimalen Gerichtsbeteiligung,8) entscheidet allein der Schuldner, ob und wann er einen Antrag auf gerichtliche Planbestätigung stellt. Ist die Planabstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren (§ 45) erfolgt, hat der Schuldner dem Antrag auf Bestätigung des Restrukturierungsplans bestimmte Informationen beizufügen (§ 60 Abs. 1 Satz 3).

4

§ 60 Abs. 2 statuiert ein Zustimmungserfordernis für den Antrag auf gerichtliche Planbestätigung. Das Vorliegen der Zustimmung ist Zulässigkeitsvoraussetzung des Antrags.9) Nach § 60 Abs. 2 ist erforderlich, dass Gesellschafter von Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit oder Kommanditgesellschaften auf Aktien ihre Zustimmung erteilt haben, bevor der Schuldner einen Antrag auf Planbestätigung stellt. Hintergrund ist, dass natürliche Personen i. R. der Bestätigung des Plans bei gleichzeitig fortbestehender persönlicher Haftung besonders schutzwürdig sind.10) II. Normhistorie

5

Absatz 1 der Norm ist bis auf eine klarstellende Anpassung, wonach das Gericht den Antrag durch „Beschluss“ zu bescheiden habe, unberührt geblieben. Das Zustim_____________ 4) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. 5) Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 60 Rz. 16. 6) Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2678. 7) Begr. RegE SanInsFoG z. § 67 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 161. 8) Madaus in: Flöther, Sanierungsrecht, Einf., F. Rz. 199. 9) Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 60 Rz. 12. 10) Begr. RegE SanInsFoG z. § 67 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 161.

770

Arends/Backes

§ 60

Antrag

mungserfordernis nach § 60 Abs. 2 wurde im Zuge des RegE11) eingefügt. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses hat die Norm dann die endgültige Nummerierung als § 60 erhalten. Inhaltlich geht die Vorschrift zurück auf Art. 10 Abs. 1 der Restrukturierungsrichtlinie, wonach die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass bestimmte Restrukturierungspläne für die Parteien nur verbindlich sind, wenn sie von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde bestätigt werden: Hierzu gehören u. a. Restrukturierungspläne, die die Forderungen oder Beteiligung ablehnender betroffener Parteien beeinträchtigen. Das Verfahren ist angelehnt an das insolvenzrechtliche Bestätigungsverfahren beim Insolvenzplan.12) III. Überblick zum Tatbestand Die Vorschrift regelt die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags auf Planbestätigung und enthält im Wesentlichen vier Elemente: –

Die Antragsbefugnis (§ 60 Abs. 1 Satz 1),



eine Klarstellung zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags (§ 60 Abs. 1 Satz 2),



die dem Antrag beizufügenden Dokumente und Informationen (§ 60 Abs. 1 Satz 3) sowie



das Zustimmungserfordernis persönlich haftender Gesellschafter des Schuldners (§ 60 Abs. 2).

6

IV. Antragsrecht Nur der Schuldner kann einen zulässigen Antrag auf gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans stellen. Eine gerichtliche Planbestätigung darf weder auf Antrag einzelner Gläubiger oder Anteilsinhaber oder des Restrukturierungsbeauftragten noch aufgrund eines Beschlusses der Mehrheit der Planbetroffenen oder sogar auf einstimmigen Wunsch aller Planbetroffenen erfolgen, wenn kein zulässiger Antrag des Schuldners vorliegt.13)

7

Bestätigt das Gericht dennoch den Restrukturierungsplan durch Beschluss, so liegt ein Verstoß gegen § 38 Satz 1 i. V. m. § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO vor, da das Gericht dem Schuldner etwas zuspricht, was dieser nicht beantragt hat.14) Der Verstoß gegen § 308 ZPO begründet im Zivilverfahren lediglich die Anfechtbarkeit, nicht jedoch die Nichtigkeit eines entsprechenden Urteils.15) Daher führt auch im Restrukturierungsverfahren die Entscheidung ohne entsprechenden Antrag lediglich zur Anfechtbarkeit des Beschlusses nach § 66.16)

8

Da es sich bei der gerichtlichen Planbestätigung um ein Instrument des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens handelt (vgl. § 29 Abs. 2 Nr. 4), ist Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Instruments der Planbestätigung, dass der Schuldner das Restrukturierungsvorhaben vorher bzw. gleichzeitig mit dem Antrag _____________

9

11) 12) 13) 14) 15) 16)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 67 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181. Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2678. Begr. RegE SanInsFoG z. § 67 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 161. Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 60 Rz. 22. BGH, Urt. v. 16.5.2019 – IX ZR 44/18, NJW 2019, 2166 ff. Wie hier auch Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 60 Rz. 22.

Arends/Backes

771

§ 60

Antrag

auf gerichtliche Planbestätigung beim Restrukturierungsgericht an(ge)zeigt (hat) (vgl. § 31 Abs. 1); siehe § 31 Rz. 8 ff. V. Zeitpunkt des Antrags 10

Der Antrag ist nicht fristgebunden; er kann vom Schuldner grundsätzlich jederzeit nach erfolgreicher Abstimmung über den Plan gestellt werden. Unerheblich ist, ob der Annahme des Plans eine gerichtliche oder außergerichtliche Planabstimmung zugrunde liegt.17) § 60 Abs. 1 Satz 2 stellt klar, dass der Antrag auch im Erörterungs- und Abstimmungstermin gestellt werden, also wenn der Schuldner den Weg der gerichtlichen Abstimmung nach § 45 gewählt hat oder dieser vom Restrukturierungsbeauftragten vorgegeben wurde (siehe Rz. 2).

11

Ist im Restrukturierungsplan vorgesehen, dass vor dessen Bestätigung bestimmte Leistungen erbracht oder andere Maßnahmen verwirklicht werden sollen (Planbedingungen; siehe § 62 Rz. 13 ff.), wird der Plan nur bestätigt, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. § 62). In diesen Fall soll der Schuldner gehalten sein, den Bestätigungsantrag regelmäßig erst zu stellen, nachdem die Bedingungen für die Bestätigung eingetreten sind.18)

12

Eine mittelbare Antragsfrist ergibt sich jedoch aus § 31 Abs. 4 Nr. 4, wonach die Restrukturierungssache sechs Monate, oder, sofern der Schuldner die Anzeige zuvor erneuert hat, zwölf Monate nach ihrer Anzeige ihre Rechtshängigkeit verliert mit der Folge, dass das Instrument der Planbestätigung sodann nicht mehr zur Verfügung steht (§ 31 Abs. 1).19) VI. Beizufügende Unterlagen

13

Findet die Abstimmung im gerichtlichen Verfahren nach § 45 statt bzw. hat die Abstimmung im gerichtlichen Verfahren stattgefunden, liegen dem Restrukturierungsgericht in der Regel bereits alle Informationen und Dokumente vor, die für die Entscheidung des Gerichts über die Bestätigung des Restrukturierungsplans erforderlich sind. Hierzu gehört in erster Linie der Restrukturierungsplan nebst Anlagen, der nach § 45 Abs. 2 bereits dem Antrag auf Durchführung eines gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermins beizufügen ist. Die Abstimmung wird durch das Gericht geleitet und die Verfahrensweise ist dem Gericht daher bekannt.

14

Ist die Planabstimmung hingegen nicht im gerichtlichen Verfahren (§ 45) erfolgt, hat der Schuldner dem Antrag auf Bestätigung des Restrukturierungsplans neben dem zur Abstimmung gestellten Restrukturierungsplan nebst Anlagen ferner die Dokumentation über das Abstimmungsergebnis sowie sämtliche Urkunden und sonstigen Nachweise beizufügen, aus denen sich ergibt, wie die Abstimmung durchgeführt wurde und zu welchem Ergebnis sie geführt hat. Welche Dokumente und Informationen insoweit relevant sind, ist im Kontext mit §§ 17 bis 22 zu beurteilen.20) Die außergerichtliche Abstimmung kann sowohl im schriftlichen Verfahren _____________ 17) 18) 19) 20)

772

Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2678. Begr. RegE SanInsFoG z. § 69 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 162. Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 60 Rz. 25. Gemäß § 23 Halbs. 2 finden die §§ 17 bis 22 keine Anwendung im Falle einer gerichtlichen Planabstimmung.

Arends/Backes

§ 60

Antrag

(vgl. §§ 17, 19) als auch i. R. einer Versammlung der Planbetroffenen (vgl. § 20) mit elektronischer Stimmabgabe erfolgen. In Abhängigkeit vom relevanten Abstimmungsmodus sind dem Antrag alle Informationen beizufügen, die das Restrukturierungsgericht benötigt, um etwa das Abstimmungsverfahren, die Festsetzung der Stimmrechte, die Abgabe der Stimmen als solche nebst etwaiger Vertretungsnachweise bei Stimmrechtsvertretung sowie sonstige Verfahrens- und Inhaltsvorschriften prüfen zu können. Der konkrete Umfang der beizufügenden Dokumentation orientiert sich an § 22. Insoweit wird auf die Ausführungen zu § 22 verwiesen (siehe § 22 Rz. 3 ff.). Nach § 22 hat der Schuldner den Ablauf des Planannahmeverfahrens zu dokumentieren und das Ergebnis der Abstimmung nach Ablauf der Annahmefrist oder nach Durchführung der Abstimmung unverzüglich schriftlich festzuhalten. Ist die Auswahl der Planbetroffenen, deren Einteilung in Gruppen oder die Zuweisung von Stimmrechten streitig geworden, ist dies in der Dokumentation ebenfalls zu vermerken.

15

Die Beifügung der Dokumentation ist Zulässigkeitsvoraussetzung des Antrags. Der Antrag ist unzulässig, sofern sich – im Falle der außergerichtlichen Abstimmung über den Plan – aus der dem Antrag beigefügten Dokumentation nicht ergibt, wie die Abstimmung durchgeführt wurde, zu welchem Ergebnis sie geführt hat und insbesondere sich nicht aus der Dokumentation ergibt, dass der Restrukturierungsplan angenommen worden ist. Eine materiell-rechtliche Prüfung der Dokumentation erfolgt hingegen nicht i. R. von § 60, sondern ausschließlich i. R. der Prüfung der formellen und materiellen Bestätigungsvoraussetzungen nach § 63 bzw. § 64 (siehe § 63 Rz. 37). Die wirksame Annahme des Restrukturierungsplans stellt eine i. R. von § 63 zu prüfende formelle Bestätigungsvoraussetzung dar (siehe § 63 Rz. 1, 40). Im Rahmen von § 60 beschränkt sich die Prüfung insoweit auf die Schlüssigkeit der Dokumentation mit Blick auf die Annahme des Restrukturierungsplans.

16

Anders als etwa bei der Abstimmung über die Änderung von Anleihebedingungen nach dem SchuldVG21) ist die Niederschrift nicht von einem Notar aufzunehmen bzw. eine vom Schuldner angefertigte Niederschrift nicht notariell zu beurkunden. Schriftform ist ausreichend.

17

VII.

Zustimmung persönlich haftender Gesellschafter

Nach § 60 Abs. 2 bedarf die Zulässigkeit des Antrags auf gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans der Zustimmung aller persönlich haftenden Gesellschafter, sofern es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (wie etwa eine GbR, OHG oder KG) oder eine KGaA handelt und wegen einer besonderen Bestimmung im Plan (vgl. § 11 Satz 2 und § 67 Abs. 2) mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Gläubiger ausnahmsweise kein Ausschluss der Haftung der persönlich haftenden Gesellschafter einhergehen soll. Das Zustimmungserfordernis besteht nicht, soweit es sich bei den unmittelbar oder mittelbar persönlich haftenden Gesellschaftern nicht um natürliche Personen handelt.

18

Hintergrund des Zustimmungserfordernisses ist nach dem gesetzgeberischen Willen die Tatsache, dass natürliche Personen i. R. der Bestätigung des Plans bei gleichzeitig _____________

19

21) Vgl. § 16 Abs. 3 SchuldVG.

Arends/Backes

773

§ 60

Antrag

fortbestehender persönlicher Haftung besonders schutzwürdig sind. In der Begründung zum Regierungsentwurf heißt es: So könnten bspw. die Gläubiger und der Schuldner im Plan Bestimmungen treffen, wonach die Gläubiger dem Schuldner einen Teil der Schulden erlassen würden. Gleichzeitig könnten sich die Gläubiger anschließend bei den unmittelbar oder mittelbar persönlich haftenden Gesellschaftern und ihrem Privatvermögen schadlos halten. Eine solche Regelung würde die unmittelbar oder mittelbar persönlich haftenden Gesellschafter belasten und wäre vor dem Hintergrund der grundsätzlich akzessorisch ausgestalteten persönlichen Haftung problematisch. Aus diesem Grund müssen die unmittelbar oder mittelbar persönlich haftenden Gesellschafter – sofern es sich bei ihnen um natürliche Personen handelt – dem Antrag zur Bestätigung des Plans zustimmen.22) VIII. Rechtsfolge 20

Auf den zulässigen – und im Fall der außergerichtlichen Planabstimmung mit den nach § 60 Abs. 1 Satz 3 beizufügenden Dokumenten und Informationen versehenen – Antrag des Schuldners auf Bestätigung des Restrukturierungsplans entscheidet das Restrukturierungsgericht durch Beschluss.

21

Das auf den zulässigen Antrag folgende Bestätigungsverfahren entspricht weitgehend den Regelungen zum Insolvenzplanverfahren. Die Versagungsgründe für die Planbestätigung ergeben sich aus § 63 und sind im Grundsatz als negative Bestätigungsvoraussetzungen ausgestaltet.23) Das Gericht hat spätestens bei der Prüfung der Voraussetzungen der Planbestätigung auch die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners festzustellen. Darüber hinaus erstreckt sich die gerichtliche Prüfung i. R. des § 63 auch auf die Frage, ob der Plan überhaupt wirksam angenommen worden ist, d. h. insbesondere ob etwa die Voraussetzungen der §§ 24 – 26 vorliegen. Hierbei handelt es sich um eine formelle Bestätigungsvoraussetzung (siehe § 63 Rz. 1). Ferner hat das Gericht zu prüfen, dass kein Verstoß gegen Verfahrens- und Inhaltsvorschriften vorliegt. Schließlich hat das Restrukturierungsgericht den Eintritt der Planbedingungen (§ 62) und auf Antrag den Minderheitenschutz (§ 64) zu prüfen.24)

22

Der unzulässige Antrag ist abzulehnen; bei Nichtvorliegen der formellen und/oder materiellen Bestätigungsvoraussetzungen, d. h. insbesondere bei Vorliegen von Versagungsgründen nach §§ 63, 64 ist der Antrag auf Bestätigung des Plans durch Versagungsbeschluss zu bescheiden.

23

Vor der Entscheidung über die Bestätigung des Restrukturierungsplans kann das Gericht die Planbetroffenen nach § 61 anhören. Ist die Planabstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren erfolgt, ist die Anhörung der Planbetroffenen obligatorisch (siehe § 61 Rz. 10).

24

Die Anfechtung des Beschlusses richtet sich nach § 66 (siehe § 66 Rz. 6 ff.); danach kann die Planbestätigung nur von den Planbetroffenen (vgl. § 66 Abs. 1 Satz 1) und die Ablehnung der Planbestätigung nur vom Schuldner angegriffen werden (vgl. § 66 Abs. 1 Satz 2). _____________ 22) Begr. RegE SanInsFoG z. § 67 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 161. 23) Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2679. 24) Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2679.

774

Arends/Backes

§ 61

Anhörung

§ 61 Anhörung Arends/Backes

1

Vor der Entscheidung über die Bestätigung des Restrukturierungsplans kann das Gericht die Planbetroffenen anhören. 2Ist die Planabstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren erfolgt, hat das Gericht einen Termin zur Anhörung der Planbetroffenen durchzuführen. 3§ 45 Absatz 3 und § 46 Absatz 1 Satz 4 gelten entsprechend. Literatur: Tashiro, Das StaRUG im Vergleich zum Restructuring Plan – dem neuen „SuperScheme“, NZI-Beilage 2021, 77. Übersicht I. II. III. IV. V.

Normzweck ........................................... Normhistorie ........................................ Anhörungszeitpunkt ........................... Gegenstand der Anhörung ................. Fakultative Anhörung .........................

I.

Normzweck

1 4 5 7 8

VI. Obligatorische Anhörung ................. 10 VII. Ladung und Durchführung der Anhörung ..................................... 11 VIII. Folgen der unterbliebener/ fehlerhafter Anhörung ...................... 15

Die Vorschrift hat die Gewährung rechtlichen Gehörs durch das Restrukturierungsgericht zum Gegenstand.1) Die Planbetroffenen und – soweit vorhanden – der Restrukturierungsbeauftragte2) sollen die Gelegenheit erhalten, Stellung zu nehmen bzw. Erklärungen abzugeben, bevor das Restrukturierungsgericht über die Bestätigung des Restrukturierungsplan entscheidet.

1

Die Anhörung kann der Aufklärung des Sachverhalts3) sowie der Konkretisierung des Streitgegenstands des Bestätigungsverfahrens bzw. Umfangs der durch das Restrukturierungsgericht ggf. anzustellenden Ermittlungen und rechtlichen Prüfungen dienen.

2

Hat die Planabstimmung im gerichtlichen Verfahren stattgefunden, steht das Ob und Wie einer Anhörung im Ermessen des Restrukturierungsgerichts (§ 61 Satz 1); die Anhörung ist in diesem Fall fakultativ. Anderenfalls ist die Anhörung obligatorisch (§ 61 Satz 2).

3

II. Normhistorie Die Norm ist bis auf die durch den RegE4) erfolgte Präzisierung der formellen Anforderungen (insbesondere bzgl. Ladung und Ladungsfrist) im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens unverändert geblieben. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses hat die Norm dann die endgültige Nummerierung als § 61 erhalten.

4

III. Anhörungszeitpunkt Die Anhörung kann frühestens erfolgen, wenn der Schuldner einen Antrag auf Planbestätigung nach § 60 gestellt hat. Erst wenn alle Voraussetzungen für eine ge_____________ 1) 2) 3) 4)

Braun-Fendel, StaRUG, § 61 Rz. 1. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 61 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 161; Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 61 Rz. 1.1. Vgl. etwa Uhlenbruck-Pape, InsO, § 10 Rz. 2. Begr. RegE SanInsFoG z. § 68 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181.

Arends/Backes

775

5

§ 61

Anhörung

richtliche Entscheidung vorliegen, sollte die Anhörung durchgeführt werden. Das Restrukturierungsgericht muss die Anhörung abgeschlossen haben, bevor es über die Bestätigung des Restrukturierungsplans entscheidet. 6

Der Antrag muss zulässig sein, d. h. er muss vom Schuldner gestellt worden sein nach Durchführung der Planabstimmung und Annahme des Restrukturierungsplans durch die Planbetroffenen. Im Falle der außergerichtlichen Abstimmung über den Restrukturierungsplan erfordert die Zulässigkeit des Antrags, dass neben dem zur Abstimmung gestellten Plan und seinen Anlagen dem Antrag auch die Dokumentation über das Abstimmungsergebnis sowie sämtliche Urkunden und sonstigen Nachweise beigefügt sind, aus denen sich ergibt, wie die Abstimmung durchgeführt wurde und die Abstimmung formal zur Annahme des Restrukturierungsplans geführt hat (siehe § 60 Rz. 14 ff.). IV. Gegenstand der Anhörung

7

Gegenstand der Anhörung kann die Abgabe von Stellungnahmen bzw. Erklärungen sein. Die Planbetroffenen sollen die Gelegenheit erhalten, auf Umstände hinzuweisen, aufgrund derer die Bestätigung von Amts wegen nach § 63 zu versagen ist. Werden derartige Umstände im Termin bekannt, kann das Restrukturierungsgericht – vorausgesetzt, der Fehler ist behebbar – eine Frist nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 setzen.5) Auch Widersprüche können erhoben werden, eine Schlechterstellung dargelegt und glaubhaft gemacht werden sowie Schutzanträge nach § 64 gestellt werden. V. Fakultative Anhörung

8

Sofern der Schuldner die Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens (gerichtliche Planabstimmung) nach §§ 29 Abs. 2 Nr. 1, 23, 45 beantragt hat und ein solches durchgeführt wurde, steht die Anhörung grundsätzlich im pflichtgemessen Ermessen des Restrukturierungsgerichts. Soweit Planbetroffene demnach die Gelegenheit hatten, an einem gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin nach § 45 teilzunehmen, in dem die anwesenden Planbetroffenen hätten Stellung nehmen können, muss diesen Planbetroffenen im Interesse einer zügigen Bearbeitung der Angelegenheit auf effiziente Weise (Art. 10 Abs. 4 der Restrukturierungsrichtlinie)6) keine erneute Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Dies gilt auch für die Planbetroffenen, die trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht an diesem Termin teilgenommen haben.7)

9

Im Einzelfall kann eine Ermessensreduzierung in Betracht kommen, sodass eine Anhörung auch nach Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens obligatorisch ist. Dies dürfte etwa gelten, wenn das Gericht in der Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin einen Hinweis nach § 64 Abs. 4 Satz 3 versäumt _____________ 5) 6)

7)

776

Skauradszun/Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 61 Rz. 9. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 61 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 161.

Arends/Backes

§ 61

Anhörung

hat, wonach die Planbetroffenen darauf hinzuweisen sind, dass ein Schutzantrag nach § 66 nur gestellt werden kann, wenn der betreffende Planbetroffene dem Plan im Abstimmungsverfahren widersprochen hat (siehe § 66 Rz. 11). Ferner kommt eine Ermessensreduzierung in Betracht, wenn das Gericht den Planbetroffenen nach einem im Erörterungs- und Abstimmungstermin gestellten Antrag des Schuldners auf Planbestätigung kein rechtliches Gehör gewährt hat (siehe § 64 Rz. 25). Gleiches dürfte gelten, wenn dem Restrukturierungsgericht sonstige Umstände bekannt sind, die auf eine formell fehlerhafte Beteiligung der Planbetroffenen am Erörterungs- und Abstimmungstermin hindeuten oder eine mit Blick auf die Prüfung der formellen und materiellen Bestätigungsvoraussetzungen relevante Frage durch die Durchführung einer Anhörung einer Klärung zugeführt bzw. eine solche erleichtert werden kann. Des Weiteren kann eine Anhörung in Ausnahmefällen erneut durchzuführen sein, wenn etwa nach Abschluss des gerichtlichen Abstimmungstermins ein Sachverständigengutachten vorgelegt wird mit Blick auf Fragestellungen im Zusammenhang mit der Zustimmungsersetzung nach §§ 26 bis 28.8) VI. Obligatorische Anhörung Ist die Planabstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren nach §§ 28 Abs. 1 Nr. 1, 23, 45 erfolgt, sondern hat der Schuldner die Abstimmung in Eigenregie nach den §§ 17 bis 22 durchgeführt, hat das Gericht einen Termin zur Anhörung der Planbetroffenen durchzuführen. VII.

10

Ladung und Durchführung der Anhörung

Gemäß § 61 Satz 3 gelten § 45 Abs. 3 und § 46 Abs. 1 Satz 4 entsprechend. Nach § 45 Abs. 3 sind die Planbetroffenen zu dem Termin zu laden. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll auch ein etwaiger Restrukturierungsbeauftragter Gelegenheit zur Stellungnahme haben.9) Auch eine Ladung des Schuldners ist zulässig. Das Gleiche dürfte für einen Gläubigerbeirat gelten, sofern ein solcher eingesetzt ist.

11

Die Ladung hat einen Hinweis darauf zu enthalten, dass der Termin auch dann durchgeführt werden kann, wenn nicht alle Planbetroffenen teilnehmen. Das Gericht kann den Schuldner mit der Zustellung der Ladungen beauftragen. Die Ladung hat schriftlich zu erfolgen. Die Ladungsfrist hat gemäß § 46 Abs. 1 Satz 4 mindestens sieben Tage zu betragen.

12

Teilweise wird vertreten, eine Ladung sei nur zur obligatorischen Anhörung erforderlich, während bei der fakultativen Anhörung eine formlose Zusendung genüge.10) Diese Ansicht findet jedoch im Gesetzestext keine Stütze; es ist nicht ersichtlich, dass sich § 61 Satz 3 lediglich auf Satz 2 und nicht auch auf Satz 1 bezieht.

13

Der Anhörungstermin kann i. R. eines physischen Termins stattfinden. Auch die Durchführung der Anhörung im Wege des schriftlichen Verfahrens dürfte zulässig sein, wobei die Anhörung zur Vermeidung von Zeitverzögerungen möglichst in einem Termin durchgeführt werden sollte. Die Teilnahme an der Anhörung ist freiwillig,

14

_____________ 8) Vgl. zur InsO: Sinz in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 10. 9) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 61 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 161. 10) Skauradszun/Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 61 Rz. 11.

Arends/Backes

777

§ 62

Bedingter Restrukturierungsplan

es besteht i. R. eines physischen Termins keine Anwesenheitspflicht für Planbetroffene,11) den Schuldner bzw. einen etwaigen Restrukturierungsbeauftragten. VIII. Folgen der unterbliebener/fehlerhafter Anhörung 15

Die Anhörung betrifft das Bestätigungsverfahren und gehört daher nicht zu den Vorschriften über die Annahme des Plans durch die Gläubiger, weshalb eine unterbliebene oder fehlerhafte Anhörung nicht zur Versagung der Planbestätigung führt.12) Die Anhörung kann im Beschwerdeverfahren gegen die gerichtliche Planbestätigung nachgeholt werden, indem den Planbetroffenen dort rechtliches Gehör gewährt wird. _____________ 11) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 61 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 161. 12) Vgl. zur InsO: Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 32.

§ 62 Bedingter Restrukturierungsplan Arends/Backes

Ist im Restrukturierungsplan vorgesehen, dass vor dessen Bestätigung bestimmte Leistungen erbracht oder andere Maßnahmen verwirklicht werden sollen, wird der Plan nur bestätigt, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind und Versagungsgründe nicht vorliegen. Literatur: Vallender, Aufgaben und Befugnisse des Restrukturierungsgerichts nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Teil 2), ZInsO 2020, 2677. Übersicht I. II. III. IV. V. 1.

Normzweck ........................................... 1 Normhistorie ........................................ 7 Überblick zum Tatbestand .................. 8 Art der Bedingung ............................. 11 Gegenstand der Bedingung .............. 13 Erbringung bestimmter Leistungen ... 14

I.

Normzweck

2.

Verwirklichung anderer Maßnahmen ................................................. 19 VI. Rechtsfolge ......................................... 21 1. Ausbleiben der Bedingung .................. 22 2. Keine Versagungsgründe .................... 23 3. Rechtsmittel ......................................... 24

1

Die Vorschrift basiert inhaltlich auf § 249 InsO1) und ermöglicht, die gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans von der Erbringung bestimmter Leistungen oder Zusagen bzw. Verwirklichung anderer Maßnahmen abhängig zu machen. Hierbei geht es im Wesentlichen um Leistungen bzw. Maßnahmen Dritter. § 62 ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass aufgrund des Restrukturierungsplans nicht in Rechte nicht planbetroffener Dritter eingegriffen werden kann, ohne dass diese ihre Zustimmung erklären.

2

Die Norm stellt klar, dass – wie der Insolvenzplan – auch der Restrukturierungsplan überhaupt von dem Eintritt von Bedingungen abhängig gemacht werden kann. Auf diese Weise werden die Planannahme als Voraussetzung für die Leistung _____________ 1)

778

Begr. RegE SanInsFoG z. § 69 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 161.

Arends/Backes

§ 62

Bedingter Restrukturierungsplan

des Dritten einerseits und seine tatsächliche Leistungserbringung als Voraussetzung für die Planbestätigung andererseits miteinander verzahnt.2) Eine bloß schuldrechtliche Verpflichtung zur Erbringung von Leistungen bzw. Verwirklichung anderer Maßnahmen wird dem Sicherungsinteresse der Beteiligten oftmals nicht gerecht. Die Vorschrift ermöglicht eine Abwicklung Zug-um-Zug. Der Norm kommt damit materiell-rechtliche Wirkung zu. Den Hauptanwendungsbereich von § 249 InsO sah der Gesetzgeber ursprünglich im Zusammenhang mit gesellschaftsrechtlichen Beschlüssen.3) Aufgrund des durch das ESUG eingefügten § 225a InsO soll § 249 InsO insoweit an Bedeutung verloren haben, da § 225a InsO nunmehr ausdrücklich Eingriffe in Gesellschafterrechte zulässt.4) Das Gleiche gilt auch für den Restrukturierungsplan, da dieser nach § 2 Abs. 3 ebenfalls Eingriffe in Gesellschafterrechte ausdrücklich zulässt (siehe § 2 Rz. 99 ff.).

3

Jedoch besteht beim Insolvenzplan wie beim Restrukturierungsplan dennoch ein Bedürfnis für Planbedingungen. Dabei geht es typischerweise um solche Maßnahmen, die nicht Gegenstand eines Plans sein können. Aber auch Maßnahmen, die zwar Gegenstand des Plans sein können, aber auch außerhalb des Plans umgesetzt werden können, können durch eine Planbedingung mit dem Plan verknüpft werden (siehe Rz. 19).

4

Im Restrukturierungsplan können Regelungen getroffen werden, wonach der Restrukturierungsplan erst nach Vornahme bestimmter Handlungen bestätigt werden darf oder die Wirksamkeit des Plans insgesamt vom Eintreten/Nichteintreten einer Bedingung abhängig ist. Der Wortlaut der Norm legt nahe, dass nur der erste Fall erfasst sein soll. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass es der gerichtlichen Planbestätigung in erster Linie jedoch nur dann bedarf, wenn nicht alle Planbetroffenen dem Plan zugestimmt haben. Erscheint möglich, dass der Plan bei der Abstimmung die Zustimmung aller Planbetroffenen findet und die Planbestätigung auch aus anderen Gründen, wie etwa der Sicherstellung anfechtungsrechtlicher Privilegierungen (siehe § 90 Rz. 8 ff.), nicht erforderlich werden könnte, sollte das Vorliegen bestimmter Umstände (Leistungen oder andere Maßnahmen), wenn diese aus Sicht des Schuldners bzw. der Planbetroffenen essentiell sind, nicht nur als Bedingung für die gerichtliche Bestätigung, sondern daneben auch als Bedingung für das Wirksamwerden des Plans insgesamt ausgestaltet werden.

5

Anders als § 249 InsO enthält § 62 keine Regelung, wonach die Bestätigung des Plans von Amts wegen zu versagen ist, wenn die Voraussetzungen auch nach Ablauf angemessenen, vom Gericht gesetzten Frist nicht erfüllt sind (vgl. § 249 Satz 2 InsO).

6

II. Normhistorie Die Norm ist bis auf die durch den RegE5) erfolgte Klarstellung, dass der Plan auch nur dann bestätigt wird, wenn „keine Versagungsgründe“ vorliegen, im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens unverändert geblieben. Durch die Beschlussempfehlung _____________ 2) 3) 4) 5)

Vgl. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 2. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 211. Vgl. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 4. Begr. RegE SanInsFoG z. § 67 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181.

Arends/Backes

779

7

§ 62

Bedingter Restrukturierungsplan

des Rechtsausschusses6) hat die Norm dann die endgültige Nummerierung als § 62 erhalten. Die Restrukturierungsrichtlinie7) enthält keine spezifische Bestimmung über bedingte Restrukturierungspläne.8) § 62 geht basiert inhaltlich auf § 249 InsO; der Wortlaut beider Vorschriften ist im Wesentlichen identisch. Eine gesetzliche Entsprechung im Konkurs- und Vergleichsrecht bestand nicht. III. Überblick zum Tatbestand 8

Die Vorschrift regelt, dass – sofern der Restrukturierungsplan vorsieht, dass vor dessen Bestätigung bestimmte Leistungen erbracht oder andere Maßnahmen verwirklicht werden sollen – der Plan nur bestätigt wird, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind und Versagungsgründe nicht vorliegen.

9

Häufig dürfte die Umsetzung eines Restrukturierungsplans nur Sinn ergeben, wenn die Erbringung von essenziellen planbegleitenden Sanierungsmaßnahmen oder sonstigen Leistungen sichergestellt ist, die nicht durch den Plan geregelt bzw. erzwungen werden oder zeitlich notwendigerweise nur nach der Annahme des Plans erfolgen können. Insoweit besteht ein Bedürfnis der Planbetroffenen, ihre Zustimmung i. R. der Abstimmung nur zu erteilen, wenn die Erbringung von Leistungen durch Dritte und/oder Planbetroffene auch tatsächlich sichergestellt ist.9)

10

Gemäß § 15 Abs. 3 gilt, dass, sofern ein Dritter für den Fall der Bestätigung des Restrukturierungsplans Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern übernommen hat, dem Plan die Erklärung des Dritten beizufügen ist (siehe § 15 Rz. 16 ff.). Die dem Plan als Anlage beizufügende Verpflichtungserklärung nach § 15 Abs. 3 unterfällt § 62 jedoch nur dann, wenn ihre Erfüllung Voraussetzung für die Planbestätigung ist; wurde die Verpflichtung hingegen bedingt durch die Planbestätigung übernommen, findet § 62 keine Anwendung. Ein Zusammenspiel von § 62 und § 15 Abs. 3 ist denkbar, wenn die Bestätigungsvoraussetzung i. S. von § 62 statt der Erfüllung der Verpflichtung auf die Abgabe einer entsprechenden Verpflichtungserklärung des Dritten gemäß § 15 Abs. 3 lautet, mit der dieser eine Leistung für den Fall der rechtskräftigen Planbestätigung zusagt.10) Aus einer Verpflichtungserklärung nach § 15 Abs. 3 können die Gläubiger nach rechtskräftiger Planbestätigung gemäß § 71 Abs. 2 die Zwangsvollstreckung gegen den Dritten betreiben (siehe § 71 Rz. 27 ff.).

_____________ 6) Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. 7) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. 8) Aus ErwG 50 Restrukturierungsrichtlinie ergibt sich, dass die Bestätigung eines Restrukturierungsplan grundsätzlich unter Bedingungen gestellt werden darf. 9) Vgl. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 8. 10) Vgl. Westpfahl in: Kübler, HRI, § 42 Rz. 53; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 73.

780

Arends/Backes

§ 62

Bedingter Restrukturierungsplan

IV. Art der Bedingung Im Restrukturierungsplan können Regelungen getroffen werden, wonach der Restrukturierungsplan erst nach Vornahme bestimmter Handlungen bestätigt werden darf oder aber die Wirksamkeit des Plans insgesamt vom Eintreten/Nichteintreten einer Bedingung abhängig ist. Der Wortlaut der Norm legt nahe, dass die Vorschrift nur den ersten Fall erfasst, mithin wenn (zumindest auch) die gerichtliche Bestätigung unter der Bedingung steht, dass bestimmte Maßnahmen umgesetzt werden. Letztlich ist es eine Frage der Gestaltung des Restrukturierungsplans, ob über die Planbestätigung hinaus auch die Wirksamkeit des Plans insgesamt unter einer Bedingung stehen soll. Dies ist insoweit relevant, als der Restrukturierungsplan einer gerichtlichen Planbestätigung nur dann bedarf, wenn nicht alle Planbetroffenen dem Plan zugestimmt haben. Es bietet sich daher an, sowohl die gerichtliche Bestätigung als auch die Wirksamkeit des Plans unter die Bedingung zu stellen, dass bestimmte Leistungen bzw. Maßnahmen erbracht werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn mit der Notwendigkeit einer gerichtlichen Bestätigung etwa wegen einer Planannahme nur auf Basis einer Mehrheitsentscheidung zu rechnen ist. Besteht die Möglichkeit, dass eine Planbestätigung nicht erforderlich werden wird, wäre zu erwägen, lediglich die Wirksamkeit des Plans unter eine Bedingung zu stellen.

11

Wie der Insolvenzplan kann auch der Restrukturierungsplan sowohl unter einer auflösenden als auch einer aufschiebenden Bedingung geschlossen werden.11) Eine auflösende Bedingung dürfte jedoch aufgrund der bereits ausgelösten Rechtsfolgen nur selten praktikabel sein. Planbedingungen können nur solche Umstände sein, die vor der Bestätigung des Restrukturierungsplans eintreten können.12)

12

V. Gegenstand der Bedingung Die Vorschrift benennt zwei alternative Bedingungen: Die Erbringung von Leistungen sowie die Verwirklichung anderer Maßnahmen. Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen den Begriffen „Leistungen“ und „Maßnahmen“ ist mit Schwierigkeiten behaftet, dürfte für die Praxis jedoch auch ohne Relevanz sein.13) 1.

13

Erbringung bestimmter Leistungen

Der Wortlaut „bestimmte Leistungen erbracht“ ist – wie bei § 249 InsO – auf wirtschaftlich definierbare Leistungen durch Dritte gerichtet.

14

Hierbei geht es in erster Linie um die Ausreichung weiterer Finanzierungen des Schuldners, sofern die i. R. von § 2 mögliche Anpassung bzw. Gestaltung etwaiger bereits bestehenden Finanzierungen nicht ausreichend ist. Dabei wird weniger die Verlängerung einer bestehenden Finanzierung im Fokus stehen als vielmehr die Bereitstellung neuer Kredite. Im Zweifel wird der neue Kreditgeber vor Bestätigung des Restrukturierungsplans lediglich einen Kreditvertrag abschließen und die Ziehung

15

_____________ 11) Vgl. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 249 Rz. 3; Westpfahl in: Kübler, HRI, § 42 Rz. 61. 12) Vgl. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 7. 13) Vgl. Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 249 Rz. 6.

Arends/Backes

781

§ 62

Bedingter Restrukturierungsplan

– neben anderen Voraussetzungen – davon abhängig machen, dass der Restrukturierungsplan bestätigt worden ist.14) 16

Ferner relevant ist die Bestellung von Sicherheiten wie die Übernahme von Personalsicherheiten wie Bürgschaften oder Garantien, aber auch die Bestellung dinglicher Sicherheiten wie Grundschulden oder Hypotheken durch Dritte oder mit dem Schuldner verbundene Unternehmen. Bei dinglichen Sicherheiten ist zu berücksichtigen, dass die dingliche Wirkung nicht schon mit der Annahme des Plans eintritt, sondern lediglich die hierfür erforderlichen Erklärungen als abgegeben gelten (siehe § 68 Rz. 16 ff.).

17

Außerdem ist in diesem Zusammenhang an vertragliche Beziehungen zu denken, die für die fortdauernde Ertragfähigkeit des Schuldners aus Sicht der Planbetroffenen essentiell sind. So kann der Abschluss von Lieferanten- oder Kundenvereinbarungen zu bestimmten Bedingungen wesentlich für die Gläubiger sein, damit diese vom Fortführungskonzept des Schuldners überzeugt sind und diesem i. R. der Abstimmung über den Plan zustimmen. Im Übrigen kann jede zivilrechtlich denkbare Leistung vereinbart werden, die für die Entscheidung über die Annahme des Plans maßgeblich ist, solange sie hinsichtlich Umfangs, Dauer und des Kreises der Verpflichteten hinreichend bestimmt ist.15) Hierzu zählen bspw. die Ausführung bestimmter Arbeiten, die Gewinnung von staatlichen Beihilfen, der Ausgang einer Behördenentscheidung oder der Abschluss eines Tarifvertrags. Ebenso kann der Restrukturierungsplan von dem Erlass eines Verwaltungsakts oder dem Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages (z. B. über eine Altlastensanierung) abhängig gemacht werden.16)

18

Wie beim Insolvenzplan wird als Planbedingung oftmals auch die positive Bescheidung eines Steuersachverhaltes geregelt werden. Hierzu zählt etwa die Bescheidung eines gemäß § 227 AO gestellten Erlassantrages oder eine verbindliche Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) hinsichtlich der bei Planerfüllung anfallenden Steuern auf Sanierungsgewinne wie etwa ESt (über § 3a EStG), KSt (über § 8 Abs. 1 KStG) und GewSt (über § 7 Abs. 1 GewStG).17) Das Finanzamt ist in aller Regel nicht Gläubiger und damit nicht Planbetroffener. Die Finanzverwaltung kann nicht gegen ihren Willen in den Plan einbezogen werden, eine Ersetzung ihrer Zustimmung scheidet ebenfalls aus.18) 2.

19

Verwirklichung anderer Maßnahmen

Das Gesetz lässt neben wirtschaftlich zu definierenden Leistungen auch „andere Maßnahmen“ zu, die als Bedingung vereinbart werden können, sofern sie nicht bereits Gegenstand einer Regelung im gestaltenden Teil des Plans sind. Mit „anderen Maßnahmen“ sind vor allem gesellschaftsrechtliche Beschlüsse, z. B. über die Durchführung einer Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung, die Grün_____________ 14) Vgl. Westpfahl in: Kübler, HRI, § 42 Rz. 55. 15) Vgl. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 10. 16) Vgl. Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 249 Rz. 2; Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 62 Rz. 5. 17) Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 62 Rz. 5 a. E. 18) Vgl. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 11.

782

Arends/Backes

§ 62

Bedingter Restrukturierungsplan

dung einer Übernahmegesellschaft oder über eine Satzungsänderung gemeint. Hierin lag der Hauptanwendungsbereich von § 249 InsO, dessen Wortlaut mit Blick auf § 62 übernommen wurde; insbesondere solange in Anteilsinhaberrechte noch nicht durch Planregelung eingegriffen werden konnte (siehe Rz. 3). Ein solcher Eingriff ist sowohl im Insolvenzrecht nach § 225a InsO als auch im StaRUG durch § 2 Abs. 3 möglich. Die Gesetzesbegründung nennt ausdrücklich die Änderung von Anleihebedingungen durch einen Beschluss nach § 5 SchuldVG, die nach § 19 Abs. 6 SchuldVG auch außerhalb des gestaltenden Teils des Restrukturierungsplans nach den Vorschriften des SchuldVG vorgenommen werden kann.19) Ferner von Relevanz ist die Veräußerung von Vermögensgegenständen oder Anteilen, die auch außerhalb des Plans geregelt werden kann.20) Zu denken ist hier auch an Maßnahmen, die nach § 4 einer Gestaltung durch den Restrukturierungsplan unzugänglich sind, wie etwa Forderungen von Arbeitnehmern aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, einschließlich der Rechte aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung, oder Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen.

20

VI. Rechtsfolge Das Restrukturierungsgericht hat sich vor der Bestätigung davon zu überzeugen, dass die relevanten Bedingungen eingetreten sind, d. h. die entsprechenden Leistungen erbracht oder anderen Maßnahmen verwirklicht worden sind.21) § 62 ist nicht bereits anwendbar, wenn die Wirksamkeit des Plans unter einer Bedingung steht. Vielmehr muss ausdrücklich die gerichtliche Bestätigung des Plans an eine Bedingung geknüpft sein. Insofern muss sich aus dem Plan ergeben, dass die relevanten Leistungen und Maßnahmen nach Annahme des Plans, jedoch vor Bestätigung des Plans zu erbringen sind. Mit Blick auf Verpflichtungen, die erst mit vollumfänglicher Wirksamkeit und Bestätigung des Plans fällig und durchsetzbar werden, entfaltet § 62 damit keine Relevanz. 1.

Ausbleiben der Bedingung

Anders als § 249 InsO enthält § 62 keine Regelung, wonach die Bestätigung des Plans zu versagen ist, wenn die Voraussetzungen auch nach Ablauf einer angemessenen, vom Gericht gesetzten Frist nicht erfüllt sind (vgl. § 249 Satz 2 InsO). Hintergrund ist, dass der Stabilisierungs-und Restrukturierungsrahmen – anders als das Insolvenzverfahren – auf eine weitgehend nicht verfahrensförmig ausgestaltete bloße gerichtliche Unterstützung einer im Kern von dem Schuldner und den Planbetroffenen eigenverantwortlich zu gestaltenden Sanierung ausgelegt ist.22) Weil die Planbestätigung nur auf gesonderten Antrag des Schuldners in Betracht kommt, erschien es aus Sicht des Gesetzgebers – richtigerweise – nicht geboten, eine § 249 Satz 2 InsO entsprechende Regelung zur Versagung der Planbestätigung wegen Nichteintritts _____________ 19) 20) 21) 22)

21

Begr. RegE SanInsFoG z. § 69 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 162. Begr. RegE SanInsFoG z. § 69 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 162. Vallender, ZInsO 2020, 2677 ff. Begr. RegE SanInsFoG z. § 69 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 162.

Arends/Backes

783

22

§ 63

Versagung der Bestätigung

einer Bedingung nach Ablauf einer vom Gericht gesetzten Frist vorzusehen.23) Vielmehr soll der Schuldner gehalten sein, den Bestätigungsantrag regelmäßig erst zu stellen, nachdem die Bedingungen für die Bestätigung eingetreten sind.24) Stellt er ihn dennoch vor Bedingungseintritt, ergibt sich mittelbar eine Frist aus § 31 Abs. 4 Nr. 4, da nach Ablauf von sechs Monaten ab Anzeige der Restrukturierungssache die Anzeige ihre Wirkung verliert, die Restrukturierungssache mithin nicht mehr rechtshängig ist. In diesem Fall kann die Planbestätigung als Instrument gemäß § 31 Abs. 1 nicht mehr in Anspruch genommen werden.25) 2. 23

Der Plan darf vom Restrukturierungsgericht nur bestätigt werden, wenn keine Versagungsgründe vorliegen. Der Verweis auf das Nichtvorliegen von Versagungsgründen dürfte allein klarstellende Funktion haben. Die Versagungsgründe für die Bestätigung des Restrukturierungsplans ergeben sich abschließend aus § 63 bzw., auf Antrag eines Planbetroffenen, aus § 64. 3.

24

Keine Versagungsgründe

Rechtsmittel

Der die Bestätigung des Plans wegen nicht erfolgten Bedingungseintritts ablehnende Beschluss des Restrukturierungsgerichts kann durch den Schuldner mit der sofortigen Beschwerde nach § 66 Abs. 1 Satz 2 angegriffen werden. Eine Anfechtung wird jedoch in der Regel ohne Erfolg bleiben, es sei denn, die vereinbarte Bedingung ist tatsächlich und nachprüfbar eingetreten, da im Falle des § 62 die Beschwerde nur darauf gestützt werden kann, das Gericht habe den Bedingungseinritt verkannt oder zu Unrecht verneint. _____________ 23) Begr. RegE SanInsFoG z. § 69 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 162. 24) Begr. RegE SanInsFoG z. § 69 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 162. 25) Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 62 Rz. 10.

§ 63 Versagung der Bestätigung Brackmann/Langer

(1) Die Bestätigung des Restrukturierungsplans ist von Amts wegen zu versagen, wenn 1.

der Schuldner nicht drohend zahlungsunfähig ist;

2.

die Vorschriften über den Inhalt und die verfahrensmäßige Behandlung des Restrukturierungsplans sowie über die Annahme des Plans durch die Planbetroffenen in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet worden sind und der Schuldner den Mangel nicht beheben kann oder innerhalb einer angemessenen, vom Restrukturierungsgericht gesetzten Frist nicht behebt oder

3.

die Ansprüche, die den Planbetroffenen durch den gestaltenden Teil des Plans zugewiesen werden, und die durch den Plan nicht berührten Ansprüche der übrigen Gläubiger offensichtlich nicht erfüllt werden können.

784

Brackmann/Langer

§ 63

Versagung der Bestätigung

(2) Sieht der Restrukturierungsplan eine neue Finanzierung vor, ist die Bestätigung zu versagen, wenn das dem Plan zugrunde liegende Restrukturierungskonzept unschlüssig ist oder wenn Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass das Konzept nicht von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht oder keine begründete Aussicht auf Erfolg vermittelt. (3) 1Ist die Planabstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren erfolgt, gehen Zweifel an der ordnungsgemäßen Annahme des Restrukturierungsplans durch die Planbetroffenen zulasten des Schuldners. 2Besteht Streit über das einem Planbetroffenen zustehende Stimmrecht, legt das Gericht seiner Entscheidung das nach Maßgabe des § 24 zu bestimmende Stimmrecht zugrunde. (4) Die Bestätigung ist auch zu versagen, wenn die Annahme des Restrukturierungsplans unlauter herbeigeführt worden ist, insbesondere durch Begünstigung eines Planbetroffenen. Literatur: Frind, Probleme bei der Bestellung und Verwendung des Restrukturierungsbeauftragten aus gerichtlicher Sicht, ZRI 2021, 397; Pluta, Insolvenzgründe im Kontext von StaRUG und InsO, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 22; Smid, Anforderungen an das außergerichtliche Planangebot und seine Annahme, DZWIR 2021, 119; Smid, Unlauteres Herbeiführen eines Insolvenzplans, DZWIR 2005, 234; Vallender, Das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) – Neue Sanierungsoptionen für Unternehmen in der Krise, MDR 2021, 201; Vallender, Die Zuständigkeit des Restrukturierungsgerichts, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 30; Vallender, Aufgaben und Befugnisse des Restrukturierungsgerichts nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen, (Teil 1), ZInsO 2020, 2579. Übersicht I.

Systematik der gerichtlichen Planbestätigung und Normzweck ...... 1 II. Normhistorie ........................................ 6 1. Normvorgaben durch die Restrukturierungsrichtlinie ................................ 7 2. Richtlinienkonforme Umsetzung ...... 10 3. Erweiterung der Pflichtversagungsgründe durch das StaRUG .................. 12 4. Einschränkung der Amtsermittlung durch Art. 14 Restrukturierungsrichtlinie ............................................... 15 5. Gesetzgebungsverfahren zum StaRUG ............................................... 16 III. Zwingende Versagungsgründe (Abs. 1) ................................................ 17 1. Drohende Zahlungsunfähigkeit (Abs. 1 Nr. 1) ...................................... 18 a) Kein Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO) ........ 18 b) Vorliegen drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) ............... 23 c) Zeitpunkt des Vorliegens der drohenden Zahlungsunfähigkeit ................................................ 28

2.

Verstoß gegen Verfahrensvorschriften und Planinhaltsvorgaben (Abs. 1 Nr. 2) ...................... 30 a) Verstoß gegen Vorschriften über die zwingenden Inhalte des Restrukturierungsplans ......... 33 b) Verstoß gegen Vorschriften über die verfahrensmäßige Behandlung des Restrukturierungsplans ..................................... 36 c) Verstoß gegen Vorschriften über die Annahme des Plans ....... 40 d) Wesentliche und unbehebbare Mängel .......................................... 42 3. Offensichtliche Nichterfüllbarkeit der Ansprüche der Gläubiger (Abs. 1 Nr. 3) ...................................... 46 4. Neue Finanzierung (Abs. 2) ............... 49 5. Zweifelsregelung bei außergerichtlichem Abstimmungsverfahren (Abs. 3) ................................................ 53 6. Unlautere Herbeiführung der Planannahme (Abs. 4) ......................... 56 IV. Verfahrensgang .................................. 59

Brackmann/Langer

785

§ 63 1. 2. 3. 4. 5. 6.

I.

Versagung der Bestätigung

Antrag, Anhörung (§§ 60, 61) und Zeitpunkt der Aufnahme der Amtsermittlungen ....................................... Ermittlungspflicht des Gerichts ......... Bindung an die Vorprüfung ................ Überzeugungsgrad .............................. Herabsetzung des Prüfungsmaßstabs .............................................. Ermittlungsmöglichkeiten .................. a) Restrukturierungsplan, Plananlagen und Parteierklärungen .... b) Stellungnahme nach § 76 Abs. 4 ............................................ c) Auskunftspflicht des Schuldners nach § 39 Abs. 2 Satz 2 ........

59 62 63 64 65 66 67 68 70

d) Sonstige Auskünfte ...................... 71 e) Zeugenvernehmung nach § 39 Abs. 1 Satz 2 ................................. 72 f) Sachverständigenbestellung nach § 73 Abs. 3 bzw. § 39 Abs. 1 Satz 2 ................................. 74 aa) Gegenstand der Begutachtung ......................................... 77 bb) Wahl des Sachverständigen .......... 79 cc) Frist zur Erstellung des Gutachtens .......................................... 82 V. Entscheidung des Gerichts ............... 83 1. Form und Zeitpunkt ........................... 83 2. Beweislast (auch Abs. 3) ..................... 84 3. Rechtsmittel ......................................... 85

Systematik der gerichtlichen Planbestätigung und Normzweck

1

Die Systematik der gerichtlichen Restrukturierungsplanbestätigung lehnt sich an die der Insolvenzplanbestätigung an. Es ist zwischen den formellen und den materiellen Bestätigungsvoraussetzungen zu unterscheiden. In formeller Hinsicht ist ein zulässiger Bestätigungsantrag (§ 60 Abs. 1), die Planannahme sowie ggf. eine Zustimmung der persönlich haftenden Gesellschafter (§ 60 Abs. 2) und ein Bedingungseintritt (§ 62 InsO) erforderlich. Die Prüfung der Planannahmevoraussetzungen der §§ 25 bis 28 erfolgt inzidenter, denn § 26 Abs. 1 fingiert die Zustimmungsersetzung und ist nicht als ein gesonderter (rechtsmittelfähiger) Ersetzungsbeschluss ausgestaltet, wie ihn z. B. § 309 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 InsO für die Zustimmungsersetzung im gerichtlichen Schuldenbereinigungsplanverfahren vorsieht. Liegen die formellen Bestätigungsvoraussetzungen nicht vor, ist wie im Insolvenzplanverfahren die Bestätigung zu versagen.1)

2

An die formelle Prüfung schließt sich die Prüfung der materiellen (negativen) Bestätigungsvoraussetzungen nach § 63 an. Die Prüfung der Versagungsgründe des § 63 erfolgt von Amts wegen aus staatlicher Fürsorge zur Gewähr eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Sie hat nicht den einzelnen Gläubiger bzw. Planbetroffenen im Blick, sondern geschieht gruppenbezogen zum Wohle der den Plan ablehnenden und überstimmten Minderheit, aber auch zum Wohle der zustimmenden Planbetroffenen und des Schuldners. Denn der Schuldner kann aus Gründen der Rechtssicherheit eine Planbestätigung auch dann beantragen, wenn alle Planbetroffenen dem Plan zugestimmt haben.

3

In einem letzten Schritt und nur auf einen Schutzantrag hin prüft das Restrukturierungsgericht das Vorliegen des materiellen Versagungsgrundes einer individuellen Schlechterstellung des Antragstellers durch den Rechtsstrukturierungsplan nach § 64.

4

Den von Amts wegen zu prüfenden Voraussetzungen des § 63 kommt im Restrukturierungsverfahren eine maßgebliche Bedeutung zu. Denn im Gegensatz zur Regelung des § 231 InsO im Insolvenzplanverfahren geht dem Abstimmungsverfahren keine Vorprüfung des Restrukturierungsgerichts mit der Möglichkeit einer _____________ 1)

786

BGH, Beschl. v. 17.12.2020 – IX ZB 38/18, Rz. 11, ZVI 2021, 182; Sinz in: MünchKommInsO, § 248 Rz. 26.

Brackmann/Langer

§ 63

Versagung der Bestätigung

Zurückweisung des Restrukturierungsplans voraus. Sofern das Gericht sich von Amts wegen zu einer Vorprüfung nach § 46 Abs. 3 veranlasst sieht, stehen die im Beschlusswege ergehenden Hinweise einer Abstimmung über den Plan nicht entgegen, wenn der Schuldner unverändert an dem Plan festhält. Im Insolvenzplanverfahren sind wegen der Zurückweisungsmöglichkeit nach § 231 InsO bei inhaltlichen Mängeln i. R. der Prüfung gemäß § 250 InsO in erster Linie Verfahrensverstöße zu prüfen. Da das Insolvenzgericht das Verfahren selbst gestaltet, erlangt § 250 InsO daher in der Regel erst bei einer Überprüfung der Planbestätigung im Beschwerdeverfahren Bedeutung. Im Gegensatz hierzu hat das Restrukturierungsgericht nach Planabstimmung mit § 63 einen herausfordernden Prüfungskatalog in einem – wenn auch nicht gesetzlich vorgegebenen, aber aufgrund der bei Sanierungen anzunehmenden Eilbedürftigkeit – kleinen Zeitfenster zu bewältigen. Dieser Katalog bezieht sich nicht nur auf den Inhalt des Plans und seine Durchführbarkeit sowie das Plan(annahme-)verfahren, sondern (weit über den Prüfungskatalog des § 250 InsO hinaus) auch auf die Zugangsvoraussetzungen zum Restrukturierungsrahmen, sprich die materiell-rechtliche Prüfung der (nur) drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 63 Abs. 1 Nr. 1), der Bestandsfähigkeit des Schuldners durch den Plan i. S. des § 14 Abs. 1 (§ 63 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 76 Abs. 4) und der Schlüssigkeit des Restrukturierungskonzepts bei einer neuen Finanzierung (§ 63 Abs. 2).

5

II. Normhistorie § 63 setzt Art. 10 Abs. 2 bis 4 und Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b der Restrukturierungsrichtlinie2) um, die die Mindestvoraussetzungen formulieren, die erfüllt sein müssen, damit ein Restrukturierungsplan von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde bestätigt werden kann. 1.

6

Normvorgaben durch die Restrukturierungsrichtlinie

Art. 10 Abs. 2 bis 4 und Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b Restrukturierungsrichtlinie formulieren Mindestvoraussetzungen, die von Amts wegen3) zu prüfen sind. Mit Ausnahme des Kriteriums des Gläubigerinteresses, das gemäß Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2 Restrukturierungsrichtlinie nur auf „Beanstandung“, also einen Antrag hin, zu prüfen ist (siehe § 64 Rz. 8), steht es den Mitgliedstaaten frei, weitere von Amts wegen zu prüfende Bestätigungsvoraussetzungen zu formulieren.

7

Nachfolgende Übersicht zeigt die Umsetzung der Normvorgaben der Richtlinie durch die Vorschriften des StaRUG.

8

_____________ 2)

3)

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. ErwG 50 Restrukturierungsrichtlinie.

Brackmann/Langer

787

§ 63

Versagung der Bestätigung

Mindestbestätigungsvoraussetzungen gemäß der Restrukturierungsrichtlinie

Regelungen gemäß StaRUG

1. Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. a Planannahme im Einklang mit Art. 9, der vorgibt: a. Art. 9 Abs. 1

§ 63 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 30 Abs. 1

Vorlagerecht des Schuldners

Verfahrensvorschrift

b. Art. 9 Abs. 2 Abstimmungsrecht der Planbetroffenen

§ 63 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. §§ 17 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 1 Satz 1 sowie § 23 i. V. m. § 45 Abs. 1 Verfahrensvorschrift

c. Art. 9 Abs. 4

§ 63 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 9

Gruppenbildung

Inhaltsvorschrift

d. Art. 9 Abs. 5 Gerichtliche Stimmrechtsüberprüfung

§ 63 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 46 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 und § 63 Abs. 3 Satz 2 Planannahmevorschrift

e. Art. 9 Abs. 6

§ 63 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 25

Mehrheitserfordernisse innerhalb einer Gruppe 2. Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. b

Planannahmevorschrift § 63 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 10

Gruppeninterne Gleichbehandlung gemeinsamer Interessen 3. Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. c

Inhaltsvorschrift § 63 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 17

Übermittlungserfordernis

Verfahrensvorschrift

4. Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. e

§ 63 Abs. 2 i. V. m. § 12

Neue Finanzierung

Inhaltsvorschrift

5. Art. 10 Abs. 4 Zügige und effiziente Bearbeitung der Bestätigung 6. Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b

§ 63 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. §§ 26 bis 28

Mehrheitserfordernisse bei einem gruppenübergreifenden Cram-down

9

Planannahmevorschriften

Da gemäß Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2 Restrukturierungsrichtlinie ein Verstoß gegen Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. d Restrukturierungsrichtlinie (Schlechterstellungsverbot), nur auf einen Schutzantrag des Planbetroffenen zu verfolgen ist, dürfte nach den Vorgaben der Richtlinie i. R. einer Überprüfung der Planannahmevorschriften nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 kein Verstoß gegen § 26 Abs. 1 Nr. 1 (Schlechterstellungsverbot) zu prüfen sein.

788

Brackmann/Langer

§ 63

Versagung der Bestätigung

2.

Richtlinienkonforme Umsetzung

Fraglich ist, ob § 63 Abs. 2 den Anforderungen des Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. e Restrukturierungsrichtlinie genügt. Denn § 63 Abs. 2 stellt als Prüfungsanforderung für eine neue Finanzierung lediglich auf die Schlüssigkeit des Restrukturierungskonzepts unter Einbeziehung dem Gericht bekannter Umstände hinsichtlich der Konzeptannahmen und der Erfolgsaussichten ab (siehe Rz. 49 ff.), während Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. e Restrukturierungsrichtlinie ohne Einschränkung des Prüfungsumfangs verlangt, dass die Interessen der Gläubiger durch die neue Finanzierung nicht in unangemessener Weise beeinträchtigt sind. Die Unterscheidung setzt sich insoweit fort, als auch § 90 Abs. 1 das Sanierungsprivileg lediglich daran anknüpft, dass die Planbestätigung auf der Grundlage unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Schuldners erfolgte und dies dem anderen Teil bekannt gewesen ist.

10

Dem Art. 10 Abs. 4 Restrukturierungsrichtlinie, der eine zügige und effiziente Bearbeitung des Planbestätigungsantrags verlangt, wird wohl durch den i. R. der ZPO geltenden allgemeinen Beschleunigungsgrundsatz4) Genüge getan.

11

3.

Erweiterung der Pflichtversagungsgründe durch das StaRUG

Der deutsche Gesetzgeber hat weitere, nicht in Art. 10 Abs. 2, Art. 11 Abs. 1, Unterabs. 1 lit. b Restrukturierungsrichtlinie normierte und von Amts wegen zu prüfende Gründe formuliert, bei deren Vorliegen die von dem Schuldner beantragte Planbestätigung zu versagen ist. Da der Restrukturierungsrahmen gemäß Art. 4 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie dem Schuldner nur im Falle einer wahrscheinlichen Insolvenz zugänglich ist, das StaRUG allerdings weder eine Zulassungsentscheidung nach Anzeige des Restrukturierungsvorhabens enthält noch eine Planvorprüfung vergleichbar der Vorschrift des § 231 InsO, ist der Bestätigungszeitpunkt der späteste Zeitpunkt, in dem aus Gründen effektiven Rechtsschutzes für die Gläubigergesamtheit die (nur) drohende Zahlungsunfähigkeit – nunmehr ausgestaltet als Versagungsgrund – nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 staatlich zu gewährleisten ist.

12

Des Weiteren hat der deutsche Gesetzgeber von der Option5) des Art. 10 Abs. 3 Restrukturierungsrichtlinie Gebrauch gemacht, die Bestätigung zu versagen, wenn keine vernünftige Aussicht besteht, dass der Plan eine Insolvenz verhindert oder die Bestandsfähigkeit des Schuldners gewährleistet. Zwar ist dem Wortlaut des § 63 ein solcher Versagungsgrund nicht unmittelbar zu entnehmen. Allerdings nimmt die Gesetzesbegründung6) ausdrücklich auf Art. 10 Abs. 3 Restrukturierungsrichtlinie Bezug und auch § 76 Abs. 4 Satz 1 bestimmt, dass im Falle einer Planbestätigung der (wohl als Sachverständiger zu beauftragende) Restrukturierungsbeauftragte zu der Bestandsfähigkeitserklärung nach § 14 Abs. 1 Stellung zu nehmen hat (siehe hierzu unter Rz. 32, 35). Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass die Bestandsfähigkeitserklärung als Plananlage i. R. des Versagungsgrundes nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 (Inhalt des Plans) zu prüfen ist. Fraglich ist, ob sich der Prüfungsumfang

13

_____________ 4) 5) 6)

Zöller-Greger, ZPO, Vor § 128 Rz. 13b. Keine Pflichtvorgabe, sondern Ermessensvorschrift, s. Backes/Blankenburg in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 10 Rz. 55. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 162.

Brackmann/Langer

789

§ 63

Versagung der Bestätigung

nach den Vorgaben des Art. 10 Abs. 3 Restrukturierungsrichtlinie zu richten hat („keine vernünftige Aussicht“). 14

Schließlich hat der deutsche Gesetzgeber in Anlehnung an § 231 Abs. 1 Nr. 3 InsO den Versagungstatbestand des § 63 Abs. 1 Nr. 3 (offensichtliche Unerfüllbarkeit der Ansprüche der Planbetroffenen und der übrigen Gläubiger) und in Anlehnung an § 250 Nr. 2 den Versagungsgrund des § 63 Abs. 4 (unlautere Herbeiführung der Planannahme) hinzugenommen. 4.

15

5. 16

Einschränkung der Amtsermittlung durch Art. 14 Restrukturierungsrichtlinie

Nach Art. 14 Restrukturierungsrichtlinie trifft die Justiz- und Verwaltungsbehörde nur dann eine Entscheidung über die Bewertung des Unternehmens, wenn ein Restrukturierungsplan von einer ablehnenden Partei wegen eines Verstoßes gegen das Kriterium des Gläubigerinteresses nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 Restrukturierungsrichtlinie (Schlechterstellungsverbot) oder wegen eines Verstoßes gegen die Regeln bei einem klassenübergreifenden Cram-down i. S. des Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b Ziff. ii Restrukturierungsrichtlinie beanstandet wird. Dies betrifft die Versagungsgründe, die nur auf einen individuellen Schutzantrag des Betroffenen nach Art. 14 Abs. 3 Restrukturierungsrichtlinie, nun durch § 64 umgesetzt, zu verfolgen sind. Der Hintergrund der Regelung ergibt sich aus ErwG 50 der Restrukturierungsrichtlinie, nach dem es zu vermeiden gilt, dass in jedem Fall eine kosten- und zeitaufwändige Unternehmensbewertung stattfinden soll. Fraglich ist, inwieweit Art. 14 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie dahin zu verstehen ist, dass das Restrukturierungsgericht „nur“ im Falle des Verstoßes gegen das Schlechterstellungsverbot bei individueller Beanstandung im Wege eines Schutzantrags ein Sachverständigengutachten zu einer Unternehmensbewertung einholen kann. Gesetzgebungsverfahren zum StaRUG

Im Gesetzgebungsverfahren ist die Vorschrift inhaltlich unverändert geblieben. III. Zwingende Versagungsgründe (Abs. 1)

17

§ 63 Abs. 1 listet enumerativ die Gründe auf, bei deren Vorliegen das Restrukturierungsgericht die Bestätigung des Restrukturierungsplans zu versagen hat. Bei den Versagungsgründen handelt es sich somit um sog. negative Bestätigungsvoraussetzungen.7) 1.

Drohende Zahlungsunfähigkeit (Abs. 1 Nr. 1)

a) Kein Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO) 18

Das Restrukturierungsgericht hat die Bestätigung des Restrukturierungsplans zwingend zu versagen, wenn der Schuldner nicht drohend zahlungsunfähig i. S. des § 18 InsO ist. Der Schuldner darf mithin noch nicht zahlungsunfähig i. S. des § 17 InsO oder überschuldet i. S. des § 19 InsO sein.

_____________ 7)

790

Begr. RegE SanInsFoG z. § 70 Abs. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 162.

Brackmann/Langer

§ 63

Versagung der Bestätigung

Im Rahmen der Prüfung der Überschuldung, insbesondere im Hinblick auf die Prüfung der Fortbestehensprognose, sind jedoch die Erfolgsaussichten der laufenden Restrukturierung zu antizipieren. Wenn die Erfolgsaussichten der in Aussicht genommenen Sanierung überwiegend wahrscheinlich sind, können diese eine positive Fortbestehensprognose begründen und die Überschuldung somit ausschließen.8) Sollte vor dem Bestätigungsverfahren der Schuldner den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung anzeigen oder sollten dem Gericht andere Umstände bekannt werden, aus denen sich die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners ergibt, hat das Gericht die Restrukturierungssache gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 1 schon im Vorfeld aufzuheben. Von der Aufhebung kann das Gericht unter bestimmten Umständen absehen, bspw. wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit Blick auf den erreichten Stand der Restrukturierungssache offensichtlich nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen würde.

19

Im Hinblick auf die Versagung der Bestätigung des Restrukturierungsplans scheint das Gericht prima facie allerdings kein Wahlrecht zu haben. In der Gesetzesbegründung des RefE war noch vorgesehen, dass die eingetretene Zahlungsunfähigkeit des Schuldners dann nicht zur Versagung der Planbestätigung führen soll, wenn der Restrukturierungsplan von den Planbetroffenen bereits mit den ausreichenden Mehrheiten angenommen wurde und die Wirkungen des Restrukturierungsplans die eingetretene Zahlungsunfähigkeit wieder beseitigen.9) Das Scheitern der Restrukturierungssache in einem so späten Stadium liege dann nicht mehr im Interesse der Gläubiger.10) Diese Erläuterungen wurden jedoch nicht in die Gesetzesbegründung des RegE übernommen, was auf den ersten Blick vermuten lässt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners in jedem Verfahrensstadium zur Versagung der Planbestätigung führen soll, um die Restrukturierungssache in ein Insolvenzverfahren überzuleiten.

21

Dies würde jedoch in Widerspruch zu der Regelung des § 33 Abs. 2 Nr. 1 stehen, nach der das Restrukturierungsgericht von der Aufhebung einer Restrukturierungssache unter bestimmten Voraussetzungen auch bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung absehen kann.11) Aus der Gesetzesbegründung des Regierungsentwurfs ergibt sich, dass die Fortführung der Restrukturierungssache trotz eingetretener Insolvenzreife insbesondere dann denkbar sein soll, wenn die Bestätigung des Insolvenzplans unmittelbar bevorsteht.12) Denn in einem so späten Verfahrensstadium stünde die Überleitung der Restrukturierungssache in ein Insolvenzverfahren wegen des damit verbundenen Aufwands sowie der erhöhten Kosten nicht im Interesse der Gläubiger.13) Wenn das Restrukturierungsgericht bei Eintritt der Zahlungsfähigkeit allerdings in jedem Fall gezwungen wäre, die Bestätigung des Restrukturierungsplans zu versagen, würde der Zweck der Ausnahmeregelung des § 33 Abs. 2 Nr. 1 unterlaufen. Eine Fortsetzung der Restrukturierungssache würde in keinem Fall mehr _____________

22

8) 9) 10) 11) 12) 13)

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 91. Begr. RefE SanInsFoG z. § 67 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG, S. 177. Begr. RefE SanInsFoG z. § 67 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG, S. 177. AG Dresden, Beschl. v. 7.6.2021 – 574 RES 2/21, ZInsO 2021, 1398, 1400. Begr. RegE SanInsFoG z. § 35 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 138. Begr. RegE SanInsFoG z. § 35 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 138.

Brackmann/Langer

791

20

§ 63

Versagung der Bestätigung

Sinn machen, sodass trotz der Änderung der Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf davon auszugehen ist, dass das Restrukturierungsgericht den Restrukturierungsplan auch bei bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit bestätigen darf, wenn die Wirkungen der Planbestätigung die Zahlungsunfähigkeit wieder beseitigen würden.14) b) Vorliegen drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) 23

Umgekehrt muss der Schuldner aber bereits drohend zahlungsunfähig sein, damit das Restrukturierungsgericht den Plan bestätigen kann. Anderweitige Krisenanzeichen sind für sich genommen nicht ausreichend, denn nur das Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit soll Eingriffe in die Rechte der Planbetroffenen rechtfertigen.15)

24

Ein Schuldner droht gemäß § 18 Abs. 2 InsO zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erfüllen. Für die Prognose der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 InsO in aller Regel ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde zu legen, beginnend mit der letzten mündlichen Verhandlung, also in der Regel zum Erörterungs- und Abstimmungstermin betreffend den Restrukturierungsplan.16) Mit „voraussichtlich“ ist gemeint, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners am Ende des Prognosezeitraums mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 % eintreten wird.17) Im Hinblick auf die materiellen Voraussetzungen der drohenden Zahlungsunfähigkeit siehe oben die Ausführungen zu §§ 29, 31.

25

In seinem Beschluss vom 3.3.2021 hatte das AG Köln18) i. R. einer gemäß § 46 Abs. 3 von Amts wegen anberaumten Vorprüfung des Restrukturierungsplans das Vorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners i. S. des § 63 Abs. 1 Nr. 1 geprüft und kam zu dem Ergebnis, dass es nicht von der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners überzeugt war. Die Behauptung des Schuldners, drohend zahlungsunfähig zu sein, gründete sich auf dessen Annahme, dass seine Kreditgeber die Konsortialfinanzierung mit Endfälligkeitsdatum am 31.12.2021 noch ein letztes Mal um ein Jahr verlängern würden, aber von einer weiteren Verlängerung über den 31.12.2022 hinaus nicht ausgegangen werden könne. Gestützt wurde diese Annahme auf entsprechende, wohl pauschale Aussagen bestimmter Bankenvertreter. Das Gericht entschied, dass dieser pauschale Verweis nicht zur Begründung der drohenden Zahlungsunfähigkeit ausreiche; nicht zuletzt, weil die Konsortialfinanzierung in der Vergangenheit bereits mehrfach verlängert worden sei und keine Anhaltspunkte ersichtlich seien, die gegen eine erneute Verlängerung sprächen. Mangels genauer Sachverhaltskenntnis ist unklar, ob die Bewertung des Restrukturierungsgerichts zu streng war.19) Denn mit der Länge des Prognosezeitraums (24 Monate) gehen zwangsläufig auch Unwägbarkeiten einher, die dem Schuldner in der Darstellung einen gewissen _____________ 14) So auch Braun-Fendel, StaRUG, § 63 Rz. 3; AG Dresden, Beschl. v. 7.6.2021 – 574 RES 2/21, ZInsO 2021, 1398, 1400. 15) Begr. RegE SanInsFoG z. § 70 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 162. 16) AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433. 17) Wolfer in: BeckOK-InsO, § 18 Rz. 24; K. Schmidt-K. Schmidt, InsO, § 18 Rz. 21. 18) AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433. 19) Krit. hierzu auch Thole, NZI 2021, 433, 437 f.; Proske, EWIR 2021, 309, 310 (Urteilsanm.).

792

Brackmann/Langer

§ 63

Versagung der Bestätigung

Gestaltungs- und Darstellungsspielraum gewähren (müssen).20) Zudem ist in der Praxis die Unsicherheit bzgl. der (wiederholten) Verlängerung von Finanzierungen in einem so frühen Verfahrensstadium ggf. nicht anders zu belegen als durch die Wiedergabe der verschiedenen Positionen und Äußerungen der betreffenden Bankenvertreter. Zusätzlich zu der Darlegung des mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Zahlungsausfalls im Hinblick auf die bevorstehenden Fälligkeiten wären jedoch aus Schuldnersicht ebenfalls Aussagen dahingehend zu treffen, dass und weshalb auch im Hinblick auf eine erfolgreiche Refinanzierung der bestehenden Verbindlichkeiten des Schuldners keine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht.21) Der Beschluss des AG Köln verdeutlicht jedenfalls die Anforderungen an die Sorgfalt der Begründung der drohenden Zahlungsunfähigkeit durch den Schuldner sowie mögliche Angriffspunkte der Gläubiger gegen die Bestätigung des Restrukturierungsplans oder Stabilisierungsanordnungen (vgl. § 59 Abs. 2). Vor diesem Hintergrund könnte aus Schuldnersicht erwogen werden, eine Vorprüfung gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 3 mit Blick auf das Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit zu beantragen, um Überraschungen in einem späteren, verfahrenskritischeren Stadium zu vermeiden. Denn wenn der Schuldner im Vorfeld weder eine Stabilisierungsanordnung gemäß §§ 49 ff. noch eine Vorprüfung gemäß §§ 47 f. beantragt hat, wird sich das Restrukturierungsgericht mit dem Vorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit das erste Mal i. R. der Planbestätigung auseinandersetzen müssen. Andererseits ist zu beachten, dass das Restrukturierungsgericht nicht an das Ergebnis seiner Vorprüfung gebunden sein dürfte.22)

26

Da der Beschluss gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 3 allerdings nicht rechtsmittelfähig ist, wäre aus Schuldnersicht insbesondere im Hinblick auf die hiermit verursachten Kosten zu prüfen, ob die Vorprüfung allein für Zwecke der Bestätigungsfähigkeit im Hinblick auf die drohende Zahlungsunfähigkeit noch vor Planabstimmung sinnvoll ist.

27

c) Zeitpunkt des Vorliegens der drohenden Zahlungsunfähigkeit Fraglich ist, zu welchem Zeitpunkt im Verfahrensverlauf der Schuldner drohend zahlungsunfähig sein muss. Denn nach dem Wortlaut des § 63 Abs. 1 Nr. 1 ist die Bestätigung des Plans zu versagen, wenn der Schuldner nicht drohend zahlungsunfähig ist. Die Norm könnte daher so auszulegen sein, dass der Schuldner (sofern nicht Stabilisierungsmaßnahmen nach §§ 49 ff. beantragt worden sind), für Zwecke der gerichtlichen Prüfung i. R. der Planbestätigung erst zum Schluss des gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermins bzw. des obligatorisch durchzuführenden Anhörungstermins gemäß § 61 drohend zahlungsunfähig sein muss. Gleichzeitig geht das Gesetz jedoch, ohne dies i. R. einer konkreten Norm zu statuieren, davon aus, dass der Schuldner den Verfahrensrahmen nur bei Vorliegen von drohender Zahlungsunfähigkeit in Anspruch nehmen darf, da nur in diesem Krisenstadium Eingriffe in die Rechte der Planbetroffenen gerechtfertigt sein sollen.23) _____________ 20) Vgl. hierzu auch Thole, NZI 2021, 433, 437. 21) Wolfer in: BeckOK-InsO, § 18 Rz. 23. 22) Zur Vorprüfung des Insolvenzplans, BGH, Beschl. v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZVI 2017, 208 = NZI 2017, 260; Thies in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 4. 23) Begr. RegE SanInsFoG z. § 70 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 162; vgl. zu diesem Problemfeld auch Pluta, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 22, 23.

Brackmann/Langer

793

28

§ 63 29

Versagung der Bestätigung

Selbst wenn es jedoch einen Mangel darstellen sollte, dass der Schuldner bei Anzeige der Restrukturierungssache noch nicht drohend zahlungsunfähig war, sprechen gute Gründe dafür, dass dieser Mangel jedenfalls dann als unbeachtlich zu bewerten ist, wenn die drohende Zahlungsunfähigkeit spätestens zum Zeitpunkt der Bestätigung des Restrukturierungsplans und damit bei Eintritt der Wirkungen des Plans (§ 67 Abs. 1 Satz 1), die letztendlich die Eingriffe in die Rechte der Planbetroffenen begründen, vorliegt. 2.

Verstoß gegen Verfahrensvorschriften und Planinhaltsvorgaben (Abs. 1 Nr. 2)

30

§ 63 Abs. 1 Nr. 2 dient der Umsetzung von Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. a Restrukturierungsrichtlinie und ist inhaltlich der Vorschrift über die Versagung der Bestätigung des Insolvenzplans gemäß § 250 Nr. 1 InsO nachgebildet.24)

31

Nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 soll die Bestätigung des Plans dann versagt werden, wenn die Vorschriften und Vorgaben zu den folgenden Punkten missachtet worden sind:

32



Inhalt des Restrukturierungsplans;



Verfahrensmäßige Behandlung des Restrukturierungsplans;



Annahme des Restrukturierungsplans durch die Planbetroffenen.

Gemäß Art 10 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. a und lit. c Restrukturierungsrichtlinie hat das Restrukturierungsgericht zu prüfen, ob die Vorschriften über die Planannahme, das Abstimmungsverfahren und das Vorliegen der erforderlichen Mehrheiten eingehalten worden sind.25) Gemäß Art 10 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. b Restrukturierungsrichtlinie ist zu gewährleisten, dass das Restrukturierungsgericht die Planbestätigung auch dann versagen kann, wenn keine vernünftige Aussicht darauf besteht, dass der Plan die Insolvenz des Schuldners verhindert oder die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gewährleistet. Vor diesem Hintergrund nimmt § 63 Abs. 1 Nr. 2 auch auf § 14 und insbesondere auf die dort geforderte Erklärung, wonach die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners durch den Restrukturierungsplan beseitigt und die Bestandsfähigkeit des Schuldners sicher- oder wiederhergestellt wird, Bezug.26) a) Verstoß gegen Vorschriften über die zwingenden Inhalte des Restrukturierungsplans

33

Unter diesem Aspekt hat das Restrukturierungsgericht insbesondere zu prüfen, ob die Vorschriften über den Inhalt des Restrukturierungsplans beachtet worden sind, die von dem Gesetzgeber als zwingend vorgeschrieben werden und gerade nicht der Disposition des Schuldners unterliegen.27) Dies dürfte insbesondere die folgenden Regelungen betreffen: –

Korrekte Auswahl und Einbeziehung der gestaltbaren Rechtsverhältnisse, §§ 2, 3, 4;

_____________ 24) 25) 26) 27)

794

Begr. RegE SanInsFoG z. § 70 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 190. Begr. RegE SanInsFoG z. § 70 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 190. Begr. RegE SanInsFoG z. § 70 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 190. Vgl. zum Insolvenzplan: Thies in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 4.

Brackmann/Langer

§ 63

Versagung der Bestätigung



Vollständigkeit des Restrukturierungsplans und der notwendigen Angaben gemäß § 5 Abs. 2 i. V. m. der Anlage, einschließlich der notwendigen Erklärungen nach §§ 14, 15;



Klarheit und Schlüssigkeit des darstellenden sowie des gestaltenden Teils des Plans, sowie Einhaltung der Anforderungen der §§ 6, 7, 13 Satz 2 an den darstellenden und gestaltenden Teil des Plans;28)



Vorliegen einer schlüssigen Vergleichsrechnung, § 6 Abs. 2 Satz 1;29)



sachgerechte Auswahl der planbetroffenen Gläubiger, § 830), sachgerechte Gruppenbildung, § 931), und Stimmrechtsfestsetzung, § 2432);

– –

Gleichbehandlung der Planbetroffenen, § 10;33) Angabe von Gründen für die Erforderlichkeit einer neuen Finanzierung, § 12;



Zulässigkeit der in dem Plan vorgesehenen Bedingungen i. S. des § 62.34)

Das Gericht prüft dabei nur die Rechtmäßigkeit des Restrukturierungsplans, nicht auch dessen Zweckmäßigkeit.35)

34

Fraglich sind hier insbesondere die Anforderungen an den Umfang der Prüfungspflicht betreffend die Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und Sicherstellung der Bestandsfähigkeit i. S. der gemäß § 14 Abs. 1 abzugebenden Erklärung des Schuldners. Der Gesetzgeber36) verweist in diesem Zusammenhang in der Regierungsbegründung auf Art. 10 Abs. 3 Restrukturierungsrichtlinie, wonach das Gericht die Bestätigung des Plans versagen soll, wenn „keine vernünftigen Aussichten“ bestehen, dass der Plan die Insolvenz des Schuldners verhindern oder die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gewährleisten würde. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass sich die Prüfung des Gerichts zunächst auf die Schlüssigkeit der in der Erklärung gemäß § 14 Abs. 1 dargelegten Begründung beschränkt.37) Hegt das Gericht bereits auf Grundlage dieser Begründung Zweifel an der vernünftigen Aussicht, dürfte gemäß § 76 Abs. 4 ein Restrukturierungsbeauftragter mit der sachverständigen Prüfung der Erklärung nach § 14 zu betrauen sein.

35

b) Verstoß gegen Vorschriften über die verfahrensmäßige Behandlung des Restrukturierungsplans Das Restrukturierungsgericht hat zudem zu prüfen, ob die Vorschriften über die verfahrensmäßige Behandlung des Plans eingehalten worden sind. _____________ 28) 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37)

Vgl. zum Insolvenzplan Haas in: HK-InsO, § 250 Rz. 2. AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433. AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433. AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433. Begr. RegE SanInsFoG z. § 26 Abs. 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 126 f. AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433; Vgl. zum Insolvenzplan Haas in: HK-InsO, § 250 Rz. 2. Zum Insolvenzplan: Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO § 250 Rz. 14. Vallender, MDR 2021, 201, 205. Begr. RegE SanInsFoG z. § 70 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 190. Vgl. zu Art. 10 Restrukturierungsrichtlinie Backes/Blankenburg in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 10 Rz. 116.

Brackmann/Langer

795

36

§ 63 37

Versagung der Bestätigung

Die Vorschrift dürfte aus Schuldnersicht insbesondere im Hinblick auf die Überprüfung der Einhaltung der verfahrensrechtlichen Vorschriften im außergerichtlichen Planabstimmungsverfahren gemäß §§ 17 – 22 relevant werden. Denn Zweifel an der ordnungsgemäßen Annahme des Plans im außergerichtlichen Verfahren gehen zulasten des Schuldners (siehe die Ausführungen zu Abs. 3 unter Rz. 53 ff.). Das Gericht wird dabei insbesondere die folgenden Punkte zu prüfen haben: – Einhaltung der Anforderungen an das Planangebot, § 17; –

Einhaltung der Mindestfristen betreffend die Annahme des Plans i. R. der schriftlichen Planabstimmung, § 19;



Einhaltung der Form- und Fristvorschriften betreffend die Einberufung und des Ablaufs der Planbetroffenenversammlung, § 20;



Einhaltung der Pflicht, einen Erörterungstermins nach § 21 abzuhalten;



Einhaltung der Dokumentationspflicht nach § 22 und 24 Abs. 4 (Streit über Stimmrechte);



Verletzung planbezogener Anzeige- und Mitteilungspflichten i. S. des § 31 Abs. 2 Satz 2 (Folge: Restrukturierungsbeauftragter wurde nicht bestellt);



Planänderung nach § 20 Abs. 4.

38

Sollte der Schuldner dem Begehren des Planbetroffenen auf Abhalten eines Erörterungstermins gemäß § 21 Abs. 1 nicht nachgekommen sein, ist zu beachten ist, dass der Restrukturierungsplan auch dann nicht von dem Restrukturierungsgericht bestätigt werden kann, wenn der Plan mit den erforderlichen Mehrheiten angenommen worden ist.38)

39

Im Hinblick auf die gerichtliche Planabstimmung ist die Prüfung der § 23 i. V. m. §§ 45 f. sowie der insolvenzplanrechtlichen Regelungen gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. §§ 239 bis 242 InsO maßgebend. Entscheidend dürfte sein, dass die Planbetroffenen über den Inhalt des Plans sowie den Verfahrensstand und -verlauf im Hinblick auf die Planabstimmung rechtzeitig und hinreichend unterrichtet worden sind und etwaige Vorprüfungsbegehren der Planbetroffenen gemäß den Vorgaben des § 46 berücksichtigt wurden. c) Verstoß gegen Vorschriften über die Annahme des Plans

40

Daneben hat Restrukturierungsgericht zu prüfen, ob die Vorschriften über die Annahme des Plans durch die Planbetroffenen in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet worden sind. Hierzu dürfte zählen: –

Das Zustandekommen und die korrekte Feststellung der erforderlichen Mehrheiten, § 2539);



die Voraussetzungen gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 2, 3, Abs. 2 im Hinblick auf die Ersetzung der Zustimmung von Gruppen, in denen die erforderlichen Mehrheiten nicht erreicht wurden;



die Einhaltung des Grundsatzes der absoluten Priorität gemäß § 27 sowie der Durchbrechungsvoraussetzungen gemäß § 28. _____________ 38) Begr. RegE SanInsFoG z. § 23 Abs. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 124. 39) Vgl. zum Insolvenzplan: Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 250 Rz. 26.

796

Brackmann/Langer

§ 63

Versagung der Bestätigung

Die Systematik der Regelungen der §§ 63, 64 Abs. 1 Satz 1 sowie die Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie deuten darauf hin, dass das Gericht die Schlechterstellung von Planbetroffenen gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 1 wohl nicht von Amts wegen zu prüfen hat, sondern lediglich auf Antrag eines Planbetroffenen gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1.40) Dies ergibt sich insbesondere aus Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2 i. V. m. Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. d Restrukturierungsrichtlinie sowie ErwG 50 Restrukturierungsrichtlinie, wonach die Justizbehörde den Restrukturierungsplan im Hinblick auf die Erfüllung des Gläubigerinteresses nur bei entsprechender Beanstandung prüft.41) Diese Ansicht wird zudem durch die Begründung zum RegE42) bestätigt, wo es heißt: „Ob das … Kriterium des Interesses der Planbetroffenen gewahrt ist, prüft das Gericht nur auf Antrag des Betroffenen. Das steht im Einklang nicht nur mit § 251 Absatz 1 InsO, sondern auch mit Artikel 10 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie“. Die Amtsermittlungspflicht des Gerichts dürfte sich dann lediglich auf die zur Glaubhaftmachung der Schlechterstellung vorgetragenen Tatsachen des betreffenden Gläubigers beziehen.43) Siehe hierzu auch Rz. 3, 7, 9.

41

d) Wesentliche und unbehebbare Mängel Die Bestätigung des Plans soll nur versagt werden, wenn die vorgenannten Vorschriften durch den Schuldner in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet worden sind und ein solcher Mangel unbehebbar ist oder der Schuldner den Mangel zumindest nicht innerhalb einer vom Gericht gesetzten angemessenen Frist behebt. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass nur unwesentliche Mängel unbeachtlich sind.44)

42

Wesentlich ist der Verstoß bzw. der Mangel, wenn er dazu geeignet war, die Abstimmung über den Plan zu beeinflussen, wobei nicht erforderlich ist, dass eine entsprechende Kausalität sicher festgestellt werden kann.45) Entscheidend ist die Frage, ob der Verstoß für die Beteiligten im Hinblick auf die Abstimmung über den Plan ursächlich gewesen sein könnte oder ob er erkennbar gar keinen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis hatte.46) Nach einem Beschluss des AG Köln47) ist bspw. die nicht sachgerechte Einteilung von Gläubigergruppen dann unbeachtlich, wenn die Gruppen jeweils identisch besetzt sind und eine identische Stimmrechtsverteilung aufweisen. In diesem Fall könnte keine der Gruppen leichter oder schwerer überstimmt werden als die jeweils anderen, sodass es sich wegen der identischen Zusammensetzung faktisch um einen „Ein-Gruppen-Plan“ handelte.

43

Selbst im Falle eines beachtlichen Mangels soll dem Schuldner vom Restrukturierungsgericht eine angemessene Frist gesetzt werden, innerhalb derer der Schuldner _____________

44

40) A. A. wohl AG Dresden, Beschl. v. 7.6.2021 – 574 RES 2/21, ZInsO 2021, 1398; AG Hamburg, Beschl. v. 12.4.2021 – 61a RES 1/21, ZRI 2021, 473, die jeweils feststellen, dass der in dem zugrunde liegenden Sachverhalt in Rede stehende Planbetroffene durch den Plan nicht schlechtergestellt ist, als er ohne den Plan stünde. 41) Vgl. auch Backes/Blankenburg in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 10 Rz. 44. 42) Begr. RegE SanInsFoG z. § 71 Abs. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 192. 43) Wolgast/Grauer-Münzel/Hansen, § 26 Rz. 25. 44) Begr. RegE SanInsFoG z. § 70 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 190. 45) Zum Insolvenzplan: Haas in: HK-InsO, § 250 Rz. 5. 46) BGH, Beschl. v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, NZI 2018, 691 = ZInsO 2018, 1404. 47) AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433.

Brackmann/Langer

797

§ 63

Versagung der Bestätigung

die Chance erhält, den Mangel zu beheben und dem Plan zur Bestätigung zu verhelfen. Ein Mangel ist behebbar, wenn eine mangelfreie Wiederholung des betreffenden Vorgangs möglich ist, ohne frühere Verfahrensabschnitte, z. B. die Erörterung des Restrukturierungsplans, neu eröffnen zu müssen.48) Das heißt im Umkehrschluss, dass automatisch ein unbehebbarer Mangel vorliegt, wenn ein wesentlicher Verstoß erst festgestellt wird, nachdem der Abstimmungstermin über den Restrukturierungsplan stattgefunden hat.49) 45

Auch die von dem Restrukturierungsgericht verursachten Verfahrensmängel können der Versagung der Planbestätigung entgegenstehen.50) 3.

Offensichtliche Nichterfüllbarkeit der Ansprüche der Gläubiger (Abs. 1 Nr. 3)

46

Die Bestätigung des Restrukturierungsplans ist auch dann von Amts wegen zu versagen, wenn die Ansprüche, die den Planbetroffenen durch den gestaltenden Teil des Plans zugewiesen werden, und die durch den Plan nicht berührten Ansprüche der übrigen Gläubiger offensichtlich nicht erfüllt werden können. Dies dürfte im Kern auf eine Prüfung der Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit durch die Umsetzung des Restrukturierungsplans hinauslaufen, wobei das Gericht lediglich auf eine Offensichtlichkeitsprüfung beschränkt ist.51) Diesbezüglich hat der Schuldner gemäß § 14 Abs. 1 dem Restrukturierungsplan eine entsprechende Erklärung bzw. nach § 14 Abs. 2 Satz 2 und 3 einen Finanzplan beizufügen.

47

Im Hinblick auf den durch Gesetz vorgegebenen Prüfungsmaßstab dürfte von Offensichtlichkeit auszugehen sein, wenn die Nichterfüllbarkeit der Ansprüche evident und die diesbezüglichen Erläuterungen des Schuldners eindeutig unschlüssig sind, sodass das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die Umsetzung des Restrukturierungsplans ungeeignet ist, um sicherzustellen, dass die Ansprüche der Planbetroffenen und übrigen Gläubiger erfüllt werden können (siehe auch § 51 Rz. 10).

48

Das Gericht darf sich auch im Hinblick auf diesen Prüfungspunkt eines Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständigen bedienen (siehe hierzu unter Rz. 74 ff.). Zwar eröffnet § 73 Abs. 3 für das Restrukturierungsgericht lediglich die Möglichkeit, einen Restrukturierungsbeauftragten zur Prüfung der Bestätigungsvoraussetzungen nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 zu bestellen. Allerdings definiert § 76 Abs. 4 Satz 1 als eine der Aufgaben des Restrukturierungsbeauftragten die Stellungnahme zu der Erklärung des Schuldners gemäß § 14 Abs. 1, die eine begründete Erklärung zu den Aussichten der Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu enthalten hat.

_____________ 48) Zum Insolvenzplan: Haas in: HK-InsO, § 250 Rz. 5; a. A. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 5. 49) Zum Insolvenzplan: BGH, Beschl. v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, Rz. 57, NZI 2018, 691 = ZInsO 2018, 1404. 50) Zum Insolvenzplan: Haas in: HK-InsO, § 250 Rz. 5; a. A. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 37. 51) Begr. RegE SanInsFoG z. § 70 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 190.

798

Brackmann/Langer

§ 63

Versagung der Bestätigung

4.

Neue Finanzierung (Abs. 2)

Für den Fall, dass der Restrukturierungsplan eine neue Finanzierung vorsieht, ist gemäß § 63 Abs. 2 die Bestätigung zu versagen, wenn das dem Restrukturierungsplan zugrunde liegende Restrukturierungskonzept unschlüssig ist oder wenn Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass das Konzept nicht von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht oder keine begründete Aussicht auf Erfolg vermittelt.

49

Als neue Finanzierung definiert § 12 die Zusage von Darlehen oder sonstigen Krediten, einschließlich deren Besicherung, die zur Finanzierung der Restrukturierung auf der Grundlage des Plans erforderlich sind.

50

Die Norm setzt die Vorgaben von Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. e Restrukturierungsrichtlinie um, nach dem die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass die zuständigen Justiz- oder Verwaltungsbehörden prüfen, ob eine geplante neue Finanzierung i. S. des Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 Restrukturierungsrichtlinie für die Umsetzung des Restrukturierungsplans erforderlich ist und die Interessen der Gläubiger nicht unangemessen benachteiligt. Im Hinblick auf die Formulierung der Anforderungen an ein Restrukturierungskonzept bedient sich der Gesetzgeber an den vom BGH aufgestellten Anforderungen an ein schlüssiges Sanierungskonzept, sodass die vom BGH diesbezüglich definierten Grundsätze für Zwecke dieser Prüfung fruchtbar gemacht werden dürften.52)

51

Auch im Hinblick auf diesen Prüfungspunkt ist das Gericht auf eine Schlüssigkeitsprüfung und die Berücksichtigung offensichtlicher Mängel beschränkt,53) wobei das Gericht gemäß § 73 Abs. 3 Nr. 1 dazu befugt ist, einen Restrukturierungsbeauftragten für Zwecke einer Sachverständigenprüfung zu bestellen (siehe hierzu unter Rz. 74 ff.). Als Prüfungsgrundlage hierfür dürften neben den Erläuterungen zum Restrukturierungskonzept im darstellenden Teil des Restrukturierungsplans54) insbesondere die Erläuterungen des Schuldners gemäß § 12 i. V. m. Nr. 8 der Anlage im Hinblick auf die Erforderlichkeit der neuen Finanzierung für die Restrukturierung des Schuldners sowie die Erklärung zur Bestandsfähigkeit des Schuldners gemäß § 14 dienen. Zu weiteren Einzelheiten der Prüfung siehe § 51 Rz. 9 ff.

52

5.

Zweifelsregelung bei außergerichtlichem Abstimmungsverfahren (Abs. 3)

§ 63 Abs. 3 Satz 1 regelt, dass Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung des Planabstimmungsprozesses und am Zustandekommen des Abstimmungsergebnisses zulasten des Schuldners gehen, wenn die Planabstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren erfolgt ist. Hintergrund ist, dass in einem privatautonom durchgeführten Abstimmungsverfahren die gerichtliche Vorabkontrolle und Begleitung des Abstimmungsprozesses durch das Restrukturierungsgericht zum Schutz der Gläubiger fehlt.55) _____________ 52) Vgl. BGH, Urt. v. 28.3.2019 – IX ZR 7/18, ZIP 2019, 1537 = NZI 2019, 594; BGH, Urt. v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, ZIP 2013, 894 = NZI 2013, 500; BGH, Beschl. v. 19.9.2013 – IX ZR 232/12, ZInsO 2013, 2055; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 19.10.2016 – 19 U 102/15, NZI 2017, 265 = ZIP 2017, 187. 53) Begr. RegE SanInsFoG z. § 70 Abs. 2 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 191. 54) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116. 55) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 70 Abs. 3 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 191.

Brackmann/Langer

799

53

§ 63

Versagung der Bestätigung

54

Dies dürfte aus praktischer Sicht insbesondere für elektronisch durchgeführte Abstimmungsverfahren relevant werden. Denn in diesem Fall ist aus Schuldnersicht zu beachten, dass Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung des Abstimmungsprozesses und der Annahme des Restrukturierungsplans zulasten des Schuldners gehen.56) Wenn Planbetroffene behaupten, dass sie wegen technischer Übertragungsschwierigkeiten oder sonstiger Störungen nicht oder nicht lückenlos an der Planabstimmung teilnehmen konnten, muss der Schuldner beweisen, dass diese technischen Störungen nicht in seiner Verantwortungssphäre gelegen haben.57) Vor diesem Hintergrund ist aus Schuldnersicht zu erwägen, für Zwecke komplexerer Abstimmungsverfahren ggf. hierauf spezialisierte Service-Provider zu beauftragen, um die notwendigen technischen Voraussetzungen zu schaffen und einen technisch einwandfreien und damit ordnungsgemäßen Abstimmungsprozesses zu gewährleisten.

55

§ 63 Abs. 3 S. 2 regelt, dass bei einem Streit über das einem Planbetroffenen zustehende Stimmrecht das Gericht seiner Entscheidung das nach Maßgabe des § 24 zu bestimmende Stimmrecht zugrunde zu legen hat. Das Gericht ist daher nicht an die gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 dokumentierte Stimmrechtsfestsetzung des Schuldners i. S. des § 24 Abs. 4 gebunden. Vielmehr kann das Gericht im Streitfall die Stimmrechte der Planbetroffenen i. R. der Planbestätigung nach Maßgabe von § 24 Abs. 1 bis 3 selbst feststellen.58) 6.

56

57

Unlautere Herbeiführung der Planannahme (Abs. 4)

Daneben hat das Restrukturierungsgericht die Bestätigung des Restrukturierungsplans zu versagen, wenn die Annahme des Restrukturierungsplans unlauter herbeigeführt worden ist, insbesondere durch Begünstigung eines Planbetroffenen. Die Vorschrift ist eng an die spiegelbildliche Vorschrift des § 250 Nr. 2 InsO betreffend die Versagung der Bestätigung des Insolvenzplans angelehnt und soll missbräuchlichen Praktiken i. R. der Planverhandlungen vorbeugen.59) Voraussetzung für die Versagung ist, dass die in Rede stehende unlautere Verhaltensweise kausal für die Planannahme geworden ist.60) Die Annahme dürfte jedenfalls dann unlauter sein, wenn sie gegen Treu und Glauben verstößt.61) Neben dem gesetzlich geregelten Fallbeispiel der Begünstigung eines Planbetroffenen dürften hierunter alle Fälle zu subsumieren sein, in denen die Ergebnisse der Planverhandlung bzw. das Abstimmungsergebnis auf Täuschungshandlungen oder Drohungen eines Beteiligten gegenüber den Planbetroffenen beruht, bspw. durch die Anerkennung erdichteter Forderungen zur Manipulation der Stimmenmehrheiten oder dem Verheimlichen von bestehenden oder künftig zur Verfügung stehenden Vermögenswerten.62) _____________ 56) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 22 Abs. 2 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 123; Smid, DZWIR 2021, 119, 128. 57) Smid, DZWIR 2021, 119, 128. 58) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 70 Abs. 3 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 191. 59) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 70 Abs. 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 191. 60) Vgl. zum Insolvenzplan: Smid, DZWIR 2005, 234, 235; Thies in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 12; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 60. 61) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 44; Thies in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 11. 62) Vgl. zum Insolvenzplan: Smid, DZWIR 2005, 234, 235; Thies in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 13.

800

Brackmann/Langer

§ 63

Versagung der Bestätigung

Im Hinblick auf die Begünstigung einzelner Gläubiger hat der BGH im Zusammenhang mit der Versagung der Bestätigung des Insolvenzplans entschieden, dass bspw. Forderungs- oder Stimmkaufverträge, die dem Planbetroffenen einen monetären Vorteil einräumen, der die Quote gemäß dem Restrukturierungsplan übersteigt, als unlautere Handlungen zu qualifizieren sind.63) Dies gilt unabhängig davon, ob der Forderungskauf heimlich getätigt oder offengelegt wurde. Die gleichen Grundsätze dürften auch für die Versagung der Bestätigung des Restrukturierungsplans wegen unlauterer Herbeiführung gelten. Zudem dürften solche Abkommen bereits nach der Regelung des § 10 Abs. 3, wonach jedes Abkommen des Schuldners oder Dritter mit einzelnen Planbetroffenen, durch das diesen für ihr Verhalten bei der Abstimmung oder sonst im Zusammenhang mit dem Restrukturierungsverfahren ein Vorteil gewährt wird, nichtig sein. Demnach dürfte die Nichtigkeitsfolge gemäß § 10 Abs. 3 automatisch einen Versagungsgrund nach § 63 Abs. 3 begründen.

58

IV. Verfahrensgang 1.

Antrag, Anhörung (§§ 60, 61) und Zeitpunkt der Aufnahme der Amtsermittlungen

Das Gericht beginnt mit der Prüfung der materiellen Bestätigungsvoraussetzungen erst, wenn die formellen Voraussetzungen vorliegen. Da das Ergebnis des Abstimmungsverfahrens ungewiss ist, kann der Schuldner einen zulässigen Antrag auf Planbestätigung erst nach Vorlage des Abstimmungsergebnisses stellen. Denn erst nach der Abstimmung kann der Schuldner die Erfolgsaussichten einer Antragstellung einschätzen. Erst mit dem zulässigen Antrag beginnt die Amtsermittlungsbefugnis des Gerichts bezogen auf die Planbestätigungsvoraussetzungen und das Gericht wird daher Amtsermittlungen, die ggf. auch Kosten auslösen, erst nach Antragseingang anstellen, insbesondere erst dann einen Sachverständigen mit der Ermittlung von Tatsachen beauftragen, die einen der Versagungstatbestände des § 63 begründen.

59

Sollten dem Gericht vor einem Antrag des Schuldners auf Planbestätigung Umstände bekannt sein oder werden, die gegen eine bereits bzw. nur drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners sprechen (Versagungsgrund nach § 63 Abs. 1 Nr. 1), so bietet sich die amtswegige und beschwerdefähige Prüfung des Aufhebungsgrundes nach § 33 Abs. 2 Nr. 2 (keine Erfolgsaussicht) bzw. § 33 Abs. 2 Nr. 1 (Insolvenzreife) an.64)

60

Abhängig davon, ob das Abstimmungsverfahren in Regie des Schuldners nach §§ 17 ff. durchgeführt worden ist oder ein gerichtlicher Abstimmungstermin nach § 45 stattgefunden hat, geht der Planbestätigungsentscheidung noch ein Anhörungstermin nach § 61 voraus, in dem das Gericht die Planbetroffenen zu dem Bestätigungsantrag des Schuldners anzuhören und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme bzw. Abgabe von Erklärungen (Widerspruch, Darlegung und Glaubhaftmachung einer Schlechterstellung bzw. Stellung eines Schutzantrags i. S. des § 64) zu geben hat. Regelmä_____________

61

63) Zum Insolvenzplan vgl. BGH, Beschl. v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04 = DZWIR 2005, 255; zum weiteren Streitstand, ob Forderungskaufverträge als unlautere Handlung i. S. des § 250 InsO zu qualifizieren sind, vgl. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 49 ff. 64) Möglich ist auch eine amtswegige Vorprüfung nach § 46 Abs. 3, so AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433, allerdings nicht beschwerdefähig.

Brackmann/Langer

801

§ 63

Versagung der Bestätigung

ßig wird dann erst nach Anhörung der Planbetroffenen der Streitgegenstand des Bestätigungsverfahrens konkretisiert und der Umfang der anzustellenden Ermittlungen klar sein. 2. 62

3. 63

Herabsetzung des Prüfungsmaßstabs

Der Versagungstatbestand des § 63 Abs. 1 Nr. 3 („offensichtlich(e)“ Nichterfüllbarkeit der Ansprüche), der Versagungstatbestand des § 63 Abs. 2 („unschlüssiges Finanzierungskonzept“ und „Umstände bekannt“) sowie der Versagungstatbestand der fehlenden Bestandsfähigkeit nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 (keine „vernünftige Aussicht“, siehe unter Rz. 35) geben dem Gericht aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung einen eingeschränkten Prüfungsmaßstab vor. Ob § 63 Abs. 2 mit Blick auf das Sanierungsprivileg nach § 90 Abs. 1 hinsichtlich dieser Einschränkung richtlinienkonform ist (siehe Rz. 10), wird ggf. noch zu klären sein. Sollten bereits bei eingeschränkter Prüfung des Gerichts Anhaltspunkte für das Vorliegen des Versagungsgrundes vorliegen, bietet sich als Minus zu einer Versagung der Bestätigung die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständigen an, der dann uneingeschränkt zu den Tatsachen ermittelt. Dem steht § 73 Abs. 3 Nr. 1 nicht entgegen, denn die Aufzählung ist nicht abschießend. 6.

66

Überzeugungsgrad

Die von Amts wegen zu treffenden Feststellungen erfordern grundsätzlich eine volle richterliche Überzeugung, also einen Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie gänzlich auszuschließen.66) 5.

65

Bindung an die Vorprüfung

Wie im Insolvenzplanverfahren ist das Gericht an das Ergebnis der Vorprüfung bei der Entscheidung nicht gebunden.65) 4.

64

Ermittlungspflicht des Gerichts

Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 ist das Gericht verpflichtet, alle entscheidungserheblichen Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln (grundsätzlich zur Amtsermittlungspflicht siehe § 39).

Ermittlungsmöglichkeiten

Art und Umfang der anzustellenden Ermittlungen stehen i. R. des Amtsermittlungsgrundsatzes im freien Ermessen des Gerichts (siehe § 39 Rz. 8). Im Rahmen der Prüfung der Planbestätigungsvoraussetzungen nach § 63 bieten sich insbesondere die nachfolgenden Ermittlungsmöglichkeiten und Erkenntnisquellen an. a) Restrukturierungsplan, Plananlagen und Parteierklärungen

67

Gemäß § 6 Abs. 1 hat der darstellende Teil des Plans alle Angaben zu enthalten, die für die gerichtliche Bestätigung erheblich sind. Erste Erkenntnisquelle ist damit der _____________ 65) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 149; zur Vorprüfung des Insolvenzplans, BGH, Beschl. v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZVI 2017, 208 = NZI 2017, 260. 66) AG Köln, Beschl. v. 3.2.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433; Zöller-Greger, ZPO, § 286 Rz. 18 ff.

802

Brackmann/Langer

§ 63

Versagung der Bestätigung

Restrukturierungsplan, die Anlagen nach §§ 14 und 15 sowie etwaige im Verfahren eingereichte Stellungnahmen von Planbetroffenen und Dritten. Reichen die aus diesen Unterlagen ergebenden Informationen aus, um abschließende Feststellungen zum Vorliegen eines Versagungsgrundes treffen zu können, ergeben sich insbesondere keine Unvollständigkeiten oder Implausibilitäten, bedarf es keiner weiteren Ermittlungen des Gerichts. Für die einzelnen Versagungstatbestände sind folgende Unterlagen von Bedeutung: –

Für den Versagungsgrund des § 63 Abs. 1 Nr. 1 (drohende Zahlungsunfähigkeit) die Bestandsfähigkeitserklärung nach § 14 Abs. 1, die die (nur) drohende Zahlungsunfähigkeit darzustellen hat und wie sie durch den Plan überwunden werden kann. Mit Blick auf die nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 erforderliche Prüfung sollte der Bestandsfähigkeitserklärung eine Finanzplanung „ohne Plan“ beigefügt sein (zum Aufbau und Inhalt der Finanzplanung und ihrer Dokumentation wird auf die Ausführungen zu § 14 Rz. 25 ff.) verwiesen).



Für den Versagungsgrund des § 63 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 (Inhalt des Plans) der Restrukturierungplan samt Anlagen nach §§ 14 und 15.



Für den Versagungsgrund des § 63 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 und 3 (Verfahrensvorschriften und Planannahme) im Falle des gerichtlichen Abstimmungsverfahren die Gerichtsakte bzw. der von dem Schuldner bzw. Restrukturierungsbeauftragten dokumentierte Ablauf des Planannahmeverfahrens und des Abstimmungsergebnisses nach §§ 22 Abs. 1, 76 Abs. 2 Nr. 1. Für den Versagungsgrund des § 63 Abs. 1 Nr. 3 (Nichterfüllbarkeit) der Finanzplan nach § 14 Abs. 2 Satz 2 und 3, aus dem sich die Erfüllbarkeit der Ansprüche der Planbetroffenen, aber auch – wie explizit erwähnt – der vom Plan unberührt bleibenden Forderungen sowie die künftig nach dem Plan zu begründenden Forderungen ergeben muss.





Für den Versagungsgrund des § 63 Abs. 2 (neue Finanzierung) das im Plan (siehe Nr. 8 zu Anlage zu § 5 Satz 2) bzw. in der Bestandsfähigkeitserklärung nach § 14 Abs. 1 erläuterte Restrukturierungskonzept unter Erläuterung der Gründe für die neue Finanzierung.



Für den Versagungsgrund des § 63 Abs. 3 (unlautere Herbeiführung) Stellungnahmen von Planbetroffenen oder Dritten.

b) Stellungnahme nach § 76 Abs. 4 Für den Versagungstatbestand des § 63 Abs. 1 Nr. 2 (Planinhalt) ist weitere Erkenntnisquelle die ggf. bereits vor der Abstimmung erstellte Stellungnahme des Restrukturierungsbeauftragten nach § 76 Abs. 4 Satz 1 zur Bestandsfähigkeitserklärung nach § 14 Abs. 1.

68

Auf den Versagungstatbestand des § 63 Abs. 1 Nr. 2 (Planannahme) bezieht sich die Erklärung des Restrukturierungsbeauftragten nach § 76 Abs. 4 Satz 2 zu Zweifeln bzgl. des Bestehens und der Höhe der Rechte der Planbetroffenen. Eine zu geringe Bewertung seines Rechts bedeutet nämlich einen Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung i. S. des §§ 26 Abs. 1 Nr. 2, 27 Abs. 1 Nr. 3.67) _____________

69

67) Zu § 245 Abs. 2 Nr. 3 InsO LG Göttingen, Beschl. v. 7.9.2004 – 10 T 78/04, NZI 2005, 41.

Brackmann/Langer

803

§ 63

Versagung der Bestätigung

c) Auskunftspflicht des Schuldners nach § 39 Abs. 2 Satz 2 70

Sind dem Gericht auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Unterlagen Feststellungen nicht möglich, so kann es bei dem Schuldner zur weiteren Sachverhaltsaufklärung Auskünfte einholen, insbesondere weitere Unterlagen anfordern (siehe § 39 Rz. 31 ff.). d) Sonstige Auskünfte

71

Das Gericht kann Auskünfte bei Dritten einholen, insbesondere bei Behörden oder anderen Gerichten, sowie Akten beiziehen. In Betracht kommt die Einholung von Auskünften der Vollstreckungs- oder Insolvenzgerichte sowie der Beiziehung von Vollstreckungs- und Insolvenzakten. Des Weiteren können Handelsregisterauskünfte und beigezogene Registerakten Aufschluss geben sowie Auskünfte des zuständigen Gerichtsvollziehers über aktuelle oder vergangene Zwangsvollstreckungsaufträge. e) Zeugenvernehmung nach § 39 Abs. 1 Satz 2

72

Eine Zeugenvernehmung (siehe § 39 Rz. 21 ff.) kommt insbesondere in Betracht, wenn Streit über das Bestehen oder die Höhe des Rechts des Planbetroffenen besteht und nach der Stellungnahme des Restrukturierungsbeauftragten nach § 76 Abs. 4 weitere Ermittlungen erforderlich sind.

73

Liegen Stellungnahmen von Planbetroffenen unter Bezugnahme auf Privatgutachten vor, kann das Gericht den Parteigutachter als sachverständigen Zeugen zu den Anknüpfungstatsachen seiner sachverständigen Bewertung gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 StaRUG i. V. m. § 414 ZPO vernehmen. f)

Sachverständigenbestellung nach § 73 Abs. 3 bzw. § 39 Abs. 1 Satz 2

74

§ 73 Abs. 3 Nr. 1 ermöglicht es dem Gericht, „insbesondere“ zur sachverständigen Prüfung der Bestätigungsvoraussetzungen der §§ 63 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 einen sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten (siehe § 73 Rz. 51 ff.) zu bestellen bzw. – sofern bereits bestellt – seinen Aufgabenkatalog um den Sachverständigenauftrag zu erweitern. Der Katalog des Auftragsgegenstandes gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 1 ist nicht abschließend. Das Gericht kann zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen einen Gutachterauftrag erteilen, sofern es sich um das geeignete Beweismittel handelt.

75

Daneben kann das Gericht gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 einen isolierten bzw. personenverschiedenen Sachverständigen (siehe § 39 Rz. 9 ff.) ausschließlich mit der Prüfung der für die Bestätigung nach § 63 entscheidungserheblichen Tatsachen beauftragen.68)

76

§ 76 Abs. 4 bestimmt, dass der Restrukturierungsbeauftragte spätestens im gerichtlichen Planbestätigungsverfahren zur Bestandsfähigkeitserklärung nach § 14 Abs. 1 und zu dem Bestehen und der Höhe der Rechte der Planbetroffenen Stellung nimmt, sofern dies nicht bereits vor der Abstimmung geschehen ist. Das Gericht hat daher spätestens bei Vorliegen der formellen Bestätigungsvoraussetzungen einen Restruk_____________ 68) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 143, Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2583 und 2585; Frind, ZRI 2021, 397, 399.

804

Brackmann/Langer

§ 63

Versagung der Bestätigung

turierungsbeauftragten nach § 73 Abs. 3 zu bestellen und ihn mit der Aufgabe zu betrauen. aa) Gegenstand der Begutachtung Als Gegenstand des Sachverständigengutachtens kommt regelmäßig die Prüfung der (nur) drohenden Zahlungsunfähigkeit i. S. des § 63 Abs. 1 Nr. 1, die Bestandsfähigkeitserklärung nach § 14 Abs. 1 (§ 63 Abs. 1 Nr. 2) sowie die Schlüssigkeit des dem Plan zugrunde liegenden Finanzierungskonzepts im Falle einer neuen Finanzierung (§ 63 Abs. 2) in Betracht. Ein Begutachtungserfordernis kann sich auch im Hinblick auf den Versagungstatbestand des § 63 Abs. 1 Nr. 3 für die Vermögensübersicht und den Finanzplan nach § 14 Abs. 2 ergeben.

77

Wegen Art. 14 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie ist zweifelhaft, ob ein Gutachten zu einer Unternehmensbewertung eingeholt werden kann (siehe Rz. 15). Bedeutung kann dies z. B. im Falle der Übernahme von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten oder Beteiligungen durch einen Gläubiger erhalten, wenn der Gläubiger mit den erhaltenen Anteil einen Mehrwert zu seiner Forderung bekäme, ein Verstoß gegen das Verbot der Überbefriedigung i. S. des §§ 26 Abs. 1 Nr. 2, 27 Abs. 1 Nr. 1.

78

bb) Wahl des Sachverständigen Das Anforderungsprofil (siehe § 74 Rz. 17 ff.) für den mit sachverständigen Prüfungen beauftragten Restrukturierungsbeauftragten richtet sich nach § 74 Abs. 1, der als Qualifikation auf den Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt oder vergleichbar abstellt. Ein Anforderungsprofil für den isolierten Sachverständigen legt § 39 Abs. 1 Satz 2 nicht fest. In der Praxis dürfte es sich von demjenigen des § 74 Abs. 1 wohl nicht unterscheiden.69) Die Wahl steht im freien Ermessen des Gerichts (siehe zu der Ermessensausübung allgemein § 73 Rz. 53). Entscheidendes Kriterium ist zunächst die Expertise in Bezug auf die zu begutachtende Tatsache. Ist ein Restrukturierungsbeauftragter bereits bestellt, bietet sich seine Beauftragung als Sachverständiger gemäß § 73 Abs. 3 Nr. 1 an, sofern der Restrukturierungsbeauftragte in seiner Person oder aufgrund der im Mitarbeiterstab vorgehaltenen Ressourcen über die erforderliche Fachkompetenz hinsichtlich der konkret zu prüfenden Tatsachen verfügt. Denn der Restrukturierungsbeauftragte ist eingearbeitet, vertraut mit dem Sachverhalt und wird in erforderlich kurzer Zeit mit geringerem Stundenkontingent in der Lage sein, ein Gutachten zu erstatten. Aus diesem Grunde ist die Option des § 73 Abs. 3 auch als der gesetzliche Regelfall zu verstehen. Sollte es allerdings bei der Prüfung ein spezielles Wissen, z. B. betriebswirtschaftliches Fachwissen erforderlich sein, was insbesondere zur Prüfung der (nur) drohenden Zahlungsunfähigkeit oder der Bestandsfähigkeitserklärung nach § 14 Abs. 1 von Nöten ist, ist zu bedenken, dass hierüber regelmäßig nur Wirtschaftsprüfer und Unternehmensberater verfügen. Ist dies in der Person bzw. im Mitarbeiterstab des bereits bestellten Restrukturierungsbeauftragten nicht vorhanden, kann das Gericht neben dem bereits bestellten Restrukturierungsbeauftragten einen isolierten Sachverständigen bestellen. Zum Auswahlverfahren, zur Vergütung, Vorschuss- und Kostentragungspflicht bezogen auf den Restrukturierungsbeauftragten siehe § 73 Rz. 64 ff. _____________ 69) Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2585.

Brackmann/Langer

805

79

§ 63

Versagung der Bestätigung

80

Die Auswahl des isolierten Sachverständigen erfolgt nach § 38 StaRUG i. V. m. § 404 Abs. 1 Satz 1 ZPO grundsätzlich durch das Gericht. Gemäß § 38 StaRUG i. V. m. § 404 Abs. 2 ZPO kann das Gericht die Beteiligten zur Person des Sachverständigen anhören. Ein Abstimmungsversuch sollte mit kurzer Frist unternommen werden, um eine spätere Ablehnung des Sachverständigen (§ 38 StaRUG i. V. m. § 406 ZPO) und die damit einhergehenden Verzögerungen zu vermeiden. Die Beteiligten können sich auch über die Person des Sachverständigen für das Gericht bindend verständigen (§ 38 StaRUG i. V. m. § 404 Abs. 5 ZPO). Dies hindert das Gericht aber nicht daran, ein weiteres Gutachten einzuholen, wenn es das erste als nicht ausreichend erachtet.70) In der Praxis dürfte daher eine bindende Verständigung der Parteien bereits aus Kostengründen eher die Ausnahme sein.

81

Der isolierte Sachverständige dürfte jedenfalls nach den Stundensätzen des § 9 Abs. 4 JVEG vergütet werden (Stundensatz 120 €). Entsprechend § 81 Abs. 3 ist je nach Schwierigkeitsgrad aber auch eine Vergütungsvereinbarungen gemäß § 13 Abs. 1, 2 JVEG denkbar, weil es ansonsten regelmäßig nicht möglich sein wird, qualifizierte Sachverständige für eine zeitnahe Begutachtung zu finden. Die Beauftragung erfolgt nach Einzahlung eines entsprechenden Kostenvorschusses, der entsprechend der Wertung des § 81 Abs. 5 Satz 2 von dem Schuldner anzufordern ist. cc) Frist zur Erstellung des Gutachtens

82

Das Gericht ist wegen des Beschleunigungsgrundsatzes gehalten, auf eine zügige Gutachtenerstellung hinzuwirken. Anforderungsprofil, Vakanzen und der zur Gutachtenerstellung benötigte Zeitaufwand können mit den in Betracht kommenden Sachverständigen vor seiner Beauftragung mündlich erörtert werden. V. Entscheidung des Gerichts 1.

83

Form und Zeitpunkt

Die Entscheidung über den Bestätigungsantrag erfolgt gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 durch Beschluss und ist – da rechtsmittelfähig – zu begründen. Die Entscheidung über die Versagungsgründe des § 63 ergeht zusammen mit der Entscheidung über die weiteren Bestätigungsvoraussetzungen als einheitlicher Bestätigungsbeschluss. Lediglich über den Schutzantrag nach § 64 kann das Gericht gesondert (aber nicht gesondert rechtsmittelfähig) entscheiden. Der Beschluss ist nach § 65 entweder im Anhörungs- oder Erörterungs- und Abstimmungstermin zu verkünden oder aber in einem gesondert anzuberaumenden Verkündungstermin. Liegen die formellen und materiellen Planbestätigungsvoraussetzungen vor, ist der Restrukturierungsplan zu bestätigen, andernfalls die Bestätigung zu versagen.71) Das Gericht ist in seiner Entscheidung gebunden. Die Bestätigungsvoraussetzungen sind nicht disponibel.72) Die Bestätigung eines Restrukturierungsplans ist – wie die Bestätigung eines Insolvenzplans – dem Bereich der Rechtsprechung zuzuordnen73) und unterliegt damit dem Spruchrichterprivileg74). _____________ 70) 71) 72) 73) 74)

806

Zöller-Greger, ZPO, § 404 Rz. 4. Zu § 251 InsO vgl. BGH, Beschl. v. 17.12.2020 – IX ZB 38/18, Rz. 10 f., ZVI 2021, 182. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 61. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.10.2020 – 2 BvR 764/20, Rz. 41. Vallender, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 30, 31.

Brackmann/Langer

§ 64

Minderheitenschutz

2.

Beweislast (auch Abs. 3)

Zweifel am Vorliegen der formellen Bestätigungsvoraussetzungen, insbesondere der Annahme des Plans, gehen zulasten des antragstellenden Schuldners. Kann sich das Gericht keine hinreichende Überzeugung zum Vorliegen der negativen Planbestätigungsvoraussetzungen bilden und verbleiben Zweifel (mit Ausnahme der Fallgestaltung nach § 63 Abs. 3, siehe Rz. 53 ff.), ist der Plan zu bestätigen. 3.

84

Rechtsmittel

Gegen den Bestätigungsbeschluss steht den Planbetroffen nach § 66 Abs. 1 Satz 1 und dem Schuldner gegen die Versagung der Bestätigung nach § 66 Abs. 1 Satz 2 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens findet eine vollumfängliche Überprüfung der gerichtlichen Entscheidung statt.

§ 64 Minderheitenschutz Langer/Wolf

(1) 1Auf Antrag eines Planbetroffenen, der gegen den Restrukturierungsplan gestimmt hat, ist die Bestätigung des Plans zu versagen, wenn der Antragsteller durch den Restrukturierungsplan voraussichtlich schlechter gestellt wird als er ohne den Plan stünde. 2Hat der Schuldner gegen den Inhaber einer Absonderungsanwartschaft eine Vollstreckungs- oder Verwertungssperre erwirkt, die diesen an der Verwertung der Anwartschaft hinderte, bleiben Minderungen im Wert der Anwartschaft, die sich während der Dauer der Anordnung ergeben, für die Bestimmung der Stellung des Berechtigten ohne Plan außer Betracht, es sei denn, die Wertminderung hätte sich auch ohne die Anordnung ergeben. (2) 1Der Antrag nach Absatz 1 ist nur zulässig, wenn der Antragsteller bereits im Abstimmungsverfahren dem Plan widersprochen und geltend gemacht hat, dass er durch den Plan voraussichtlich schlechter gestellt wird als er ohne Plan stünde. 2Ist die Planabstimmung in einem gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin erfolgt, muss der Antragsteller spätestens in diesem Termin glaubhaft machen, durch den Plan voraussichtlich schlechter gestellt zu werden. (3) 1Der Antrag nach Absatz 1 ist abzuweisen, wenn im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans Mittel für den Fall bereitgestellt werden, dass ein Planbetroffener eine Schlechterstellung nachweist. 2Ob der Antragsteller einen Ausgleich aus diesen Mitteln erhält, ist außerhalb der Restrukturierungssache zu klären. (4) 1Hat weder eine Versammlung der Planbetroffenen (§ 20) noch ein Erörterungs- und Abstimmungstermin (§ 45) stattgefunden, gilt Absatz 2 Satz 1 nur, wenn im Planangebot besonders auf das Erfordernis der Geltendmachung der voraussichtlichen Schlechterstellung durch den Plan im Abstimmungsverfahren hingewiesen wurde. 2Hat eine Versammlung der Planbetroffenen stattgefunden, gilt Absatz 2 Satz 1 nur, wenn in dem Einberufungsschreiben besonders auf das Erfordernis der Geltendmachung der voraussichtlichen Schlechterstellung durch den Plan im Abstimmungsverfahren hingewiesen wurde. 3Absatz 2 Satz 2 gilt nur, wenn in der Ladung besonders auf das Erfordernis der Glaubhaftmachung Langer/Wolf

807

85

§ 64

Minderheitenschutz

der voraussichtlichen Schlechterstellung durch den Plan spätestens im Erörterungs- und Abstimmungstermin hingewiesen wurde. Literatur: Blankenburg, Umsetzungsbedarf aufgrund des Entwurfs zur Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 241; Bork, Präventive Restrukturierungsrahmen: „Komödie der Irrungen“ oder „Ende gut, alles gut“?, ZIP 2017, 1441; Bork, The Scheme of Arrangement, IILR Vol. 4/2012, 477; Frind, Überreguliert statt saniert?, ZInsO 2020, 2241; Frind/ Pollmächer; Anmerkungen zu den „Thesen des Gravenbrucher Kreises zum vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren in Deutschland“ – think twice, before it’s all right, ZInsO 2016, 1290; Girotto/Czernay, Externer Sachverstand und betriebswirtschaftliche Expertise im Kontext des StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 66; Schmidt, H., Der Richtlinienvorschlag für präventive Restrukturierungsrahmen aus Bankensicht, WM 2017, 1735; Stohrer, Der Gläubigerschutz im Restrukturierungsrahmen, ZInsO 2018, 660; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Vallender, Aufgaben und Befugnisse des Restrukturierungsgerichts nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen, (Teil 1) ZInsO 2020, 2579. Stellungnahmen der Institutionen/Verbände: DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 durch den Ausschuss Insolvenzrecht in Zusammenarbeit mit der Europagruppe der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im DAV zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und der Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU vom 22.11.2016 (COM(2016) 723 final, v. 2/2017, (zit.: DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 2/2017), abrufbar unter https://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-17-17-zweite-chance-fuer-unternehmen-neuer-vorschlag-fuer-eu-richtlinie?file=files/anwaltverein.de/downloads/newsroom/stellungnahmen/2017/DAV-SN_InsO_17-2017.pdf; DK, Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission zu präventiven Restrukturierungsverfahren COM(2016) 723 final v. 22.11.2016, v. 29.3.2017 (DK, Stellungnahme Vorschlag der Europäischen Kommission zu präventiven Restrukturierungsverfahren, v. 29.3.2017), abrufbar unter https://die-dk.de/media/files/2017-03-29-Stn-DK-praevent_Restrukturierung_FBbRU93.pdf; European Banking Federation (EBF), Position Paper on the Commission’s Proposal for a Directive on preventive restructuring frameworks and second chance of 22 November 2016 – COM(2016) 723 final, v. 21.2.2017 (EBF, Position Paper, v. 21.2.2017), abrufbar unter https://www.ebf.eu/regulation-supervision/ebf-position-paperon-the-commissions-proposal-for-a-directive-on-preventive-restructuring-frameworksand-second-chance-of-22-november-2016-com2016-723-final/; Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme des Gravenbrucher Kreises zu den Regelungen der Europäischen Kommission vom 22. November 2016 über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 28.2.2017 (zit.: Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 28.2.2017), abrufbar unter https://www.gravenbrucher-kreis.de/2017/03/01/ gravenbrucher-kreis-reicht-stellungnahme-zum-richtlinienvorschlag-%C3%BCberpr%C3%A4ventive-restrukturierung-bei-der-europ%C3%A4ischen-kommission-ein/; Gravenbrucher Kreis, Gravenbrucher Thesen: Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren in Deutschland?, v. 14.1.2017, ZIP 2017, 203. (Abrufdatum jeweils 25.8.2021). Übersicht I. Normzweck ........................................... II. Normhistorie ........................................ 1. Normvorgaben der Restrukturierungsrichtlinie ....................................... a) Vorgaben zu den Versagungsgründen ...........................................

808

1 3 4

b) Vorgaben zur amtswegigen Prüfung oder (lediglich) auf Schutzantrag ................................... 7 c) Vorgaben zur Bezugsgröße der Planalternative ........................ 10

5

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

2. 3. 4. III. 1. 2. 3. 4. 5. 6. IV. 1.

2. 3. 4. 5. V. VI. 1.

2.

I.

d) Beweiserleichterungen nach ErwG 63 Restrukturierungsrichtlinie ........................................ e) Rechtsverfolgung nur im Rechtsmittel ................................. Vergleich zum Insolvenzplanrecht nach der InsO ...................................... Gesetzgebungsverfahren zum StaRUG ............................................... Richtlinienkonforme Umsetzung ...... Formelle Voraussetzungen für den Schutzantrag ............................... Zuständigkeit ....................................... Form und Frist .................................... Antragsbefugnis .................................. Widerspruch (Abs. 2 Satz 1 Alt. 1) .... Geltendmachung einer Schlechterstellung (Abs. 2 Satz 1 Alt. 2) ............ Glaubhaftmachung einer Schlechterstellung (Abs. 2 Satz 2) ................... Schlechterstellung des Antragstellers (Abs. 1) ................................... Schlechterstellung des Antragstellers .................................................. a) Definition des Kriteriums des Gläubigerinteresses ............... b) Bewertung des zu erwarteten Ergebnisses des beanstandenden Beteiligten gemäß Restrukturierungsplan .............................. c) Ergebnis ohne Plan ...................... d) Ergebnis im nächstbesten Alternativszenario ........................ Möglichkeit eines nächstbesten Alternativszenarios ............................. Going Concern als Maßstab ............... Vergleich mit Sanierungsinstrumenten des angelsächsischen Rechts ........ Lösungsvorschlag ................................ a) Prognoseunsicherheit .................. b) Interessenabwägung ..................... Grundlagen der Bewertung .............. Mögliche Methodik einer Bewertung ........................................... Einzelbewertungsverfahren ................ a) Ansatz/Grundgedanke ................ b) Ablauf ........................................... c) Betrachtung aus Sicht der Gläubiger ...................................... d) Wertung/Kritik ............................ Gesamtbewertungsverfahren .............. a) Ansatz/Grundgedanke ................

13 14 15 18 21 22 22 23 28 29 33 38 43 43 43

47 48 52 53 55 59 60 62 65 67 74 77 78 81 83 85 87 87

b) Ablauf ........................................... 90 c) Betrachtung aus Sicht der Gläubiger .................................... 102 d) Wertung/Kritik .......................... 103 3. Überschlagsrechnungen .................... 104 a) Ansatz/Grundgedanke .............. 104 b) Ablauf ......................................... 105 c) Betrachtung aus Sicht der Gläubiger .................................... 107 d) Wertung/Kritik .......................... 108 VII. Fallbeispiel ........................................ 110 1. Erwartetes Ergebnis ohne Restrukturierung .................................... 116 2. Erwartetes Ergebnis gemäß Restrukturierungsplan des Unternehmens ............................................. 118 3. Erwartetes Ergebnis im Falle der Insolvenz ............................................ 125 4. Nächstbestes Szenario basierend auf dem Gesamtbewertungs- und Überschlagsverfahren ....................... 130 5. Gesamtbewertungsverfahren am Beispiel des Ertragswertverfahren .... 131 6. Bewertung im Überschlagsverfahren ............................................ 140 VIII. Kritische Würdigung und Korrektiv anhand marktgängiger Kriterien der Verschuldung ............ 143 IX. Mittelbereitstellung zur Antragsabweisung (Abs. 3) ........................... 144 X. Entscheidung des Gerichts ............. 158 1. Zulassungsverfahren .......................... 158 2. Verfahren nach Zulassung ................ 159 a) Überzeugungsgrad ..................... 159 b) Amtsermittlungspflicht und Ermittlungsmöglichkeiten ......... 160 c) Beauftragung eines Sachverständigen ................................ 162 aa) Geeignetheit ............................... 162 bb) Unabhängigkeit .......................... 165 cc) Auswahlverfahren ...................... 166 dd) Frist zur Erstellung des Gutachtens ................................. 167 d) Billigkeitsentscheidung nach Vorlage einer Expertenbescheinigung ............................. 168 3. Entscheidung des Gerichts ............... 171 a) Form und Zeitpunkt .................. 171 b) Beweislast ................................... 172 c) Vergütung des Sachverständigen und Kostentragungspflicht ........ 173 d) Rechtsmittel ............................... 176

Normzweck

Die Norm dient dem Minderheitenschutz der Planbetroffenen, die bei einem klassenübergreifenden Cram-down der überstimmten Gruppe angehören oder bei einem Langer/Wolf

809

1

§ 64

Minderheitenschutz

konsensualen Plan innerhalb einer Gruppe von der Mehrheit überstimmt worden sind und einen Verstoß gegen das Schlechterstellungsverbot rügen. Denn wegen der Eingriffe in durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrechte ist nach Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 20 Abs. 2 GG effektiver Rechtsschutz zu gewähren. Sanierungsmaßnahmen verlangen von den Planbetroffenen unliebsame Sonderopfer. Allein das vor Augen stehende drohende Insolvenzereignis und die damit verbundenen massiven Werteverluste rechtfertigen überhaupt die Einbußen und den Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützten Rechte der Planbetroffenen.1) Umgekehrt: Ist der Schuldner nicht drohend zahlungsunfähig, gibt es keine Rechtfertigung für den Eingriff in die Rechte der planbetroffenen Gläubiger. Sanierung bedeutet damit auch den Werteerhalt der Forderung bzw. des Rechts und verfolgt so verstanden auch die Zwecke der planbetroffenen Fremdkapitalgeber. Im Rahmen effektiven Rechtsschutzes ist dann aber zu gewährleisten, dass die Sanierung den Planbetroffenen nur das zum eigenen Werteerhalt der Forderung oder des Rechts nötige Sonderopfer abverlangt. Bei Erarbeitung der Sanierungslösung i. R. der Sanierungsberatung gilt es daher unter Berücksichtigung der aktuellen Vermögenssituation und der Rentabilität des Schuldners und unter Berücksichtigung aller Sanierungsoptionen exakt den zum Nennbetrag gekürzten realen Wertes der planbetroffenen Forderung bzw. des Rechts zu ermitteln, der dem Schuldner ein neu gestaltetes (alternatives) Fortbestehen ermöglicht. 2

Die Ermittlung dieses Wertes stellt den Rechtsanwender vor eine Herausforderung und es bedarf i. R. der Sanierungsberatung wie auch i. R. des gerichtlichen Bestätigungsverfahrens wohl regelmäßig der Hinzuziehung betriebswirtschaftlicher Expertise, weil es um Fragen der Unternehmensbewertung geht. Nur in Ausnahmefällen wird der Wert der Forderung oder des Rechts abgestellt auf ein Liquidationsszenario zu ermitteln sein.2) Denn dem Unternehmen wird eine positive Fortführungsprognose attestiert. Die Gesetzesbegründungen zu § 71 RegE sprechen von „anderen Fortführungsszenarien, sofern sie nur hinreichend wahrscheinlich sind und sich als nächstbeste Alternative präsentieren“. Überschreitet das im Plan abverlangte Sonderopfer das für ein alternatives Fortbestehen nötige, so hat das Restrukturierungsgericht i. R. des Minderheitenschutzes gemäß § 64 auf Antrag die Bestätigung des Restrukturierungsplanes zu versagen, wenn nicht der Plan eigens zu diesem Zwecke ausgleichende Mittel in ausreichender Höhe zur Verfügung stellt. II. Normhistorie

3

Mit § 64 setzt der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben des Art. 14 Abs. 3 i. V. m. Art. 14 Abs. 1 der Restrukturierungsrichtlinie3) zum Minderheitenschutz im präventiven Restrukturierungsrahmen um. Der Minderheitenschutz verzeichnet eine _____________ 1) 2) 3)

810

Krit. Bork, ZIP 2017, 1441. S. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116 und S. 163. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

bewegte Historie im europäischen Gesetzgebungsverfahren. Um den individuellen Bedürfnissen der Mitgliedstaaten entgegenzukommen, belässt die Richtlinie an vielen Stellen Gestaltungsspielraum. Die knappen Gesetzesbegründungen4) zu §§ 63, 64 lassen angestellte Überlegungen des Gesetzgebers, wie die eingeräumten Spielräume zu nutzen, nicht erkennen. Bedenken hinsichtlich einer richtlinienkonformen Umsetzung der Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie durch § 64 wurden, soweit ersichtlich, in der Literatur nicht geäußert. Im deutschen Gesetzgebungsverfahren zum SanInsFoG haben die Regelungen des § 64 vom RegE bis zu der finalen Fassung des SanInsFoG nur noch wenige verfahrensrechtliche Änderungen erfahren. 1.

Normvorgaben der Restrukturierungsrichtlinie

Die nachfolgende Darstellung greift die für Auslegungsfragen eines Minderheitenschutzantrages nach § 64 maßgeblichen Aspekte der Normvorgaben und der Normhistorie des Art. 14 der Restrukturierungsrichtlinie auf.

4

a) Vorgaben zu den Versagungsgründen Art. 14 Abs. 3, Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie formuliert die von den Mitgliedstaaten mindestens sicherzustellenden Beanstandungsmöglichkeiten für dissentierende Betroffene i. R. eines gerichtlichen oder behördlichen Beanstandungsverfahrens.5) Nach Art. 14 Abs. 3 i. V. m. Art. 14 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie haben die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, dass ein Verstoß gegen das Kriterium des Gläubigerinteresses nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 Restrukturierungsrichtlinie und/oder ein Verstoß gegen die Bedingungen für einen klassenübergreifenden Cram-down bei nur einer zustimmenden Klasse gemäß Art. 11 Abs. 1 lit. b Ziff. ii Restrukturierungsrichtlinie von einer betroffenen Partei auf Antrag bei dem für die Planbestätigung zuständigen Gericht/Behörde und/oder dem Rechtsmittelgericht beanstandet werden kann.

5

Die verbindlich zu einer Beanstandung berechtigenden Versagungsgründe wurden im europäischen Gesetzgebungsverfahren kontrovers diskutiert, wie die abweichenden Texte der Kommissions-, Parlaments- und Ratsfassungen des dortigen Art. 13 Restrukturierungsrichtlinie belegen. Der Richtlinienvorschlag der Kommission vom 22.11.20166) und der Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments (Niebler-Bericht) vom 21.8.20187) sahen neben einem Verstoß gegen das Kriterium _____________

6

4) 5) 6)

7)

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 162 ff. S. a. Schönfelder in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 300, 338 und 347 – zu Art. 13 Abs. 4 des Richtlinienentwurfs (Trilog). Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, v. 22.11.2016, COM(2016) 723 final [2016/0359 (COD)], abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/ ?uri=CELEX:52016PC0723&from=RO (Abrufdatum: 25.8.2021). Europäisches Parlament, Bericht des Rechtsausschusses über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU (COM(2016)0723 – C8-0475/2016 [2016/0359(COD)), (A8-0269/ 2018), v. 21.8.2018 (Niebler-Bericht), abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/doceo/ document/A-8-2018-0269_DE.pdf (Abrufdatum: 25.8.2021).

Langer/Wolf

811

§ 64

Minderheitenschutz

des Gläubigerinteresses noch zwei weitere (zwingende) Beanstandungsmöglichkeiten i. R. des Minderheitenschutzes vor. Zum einen den Verstoß gegen die Bedingungen für einen klassenübergreifenden Cram-down (in allen ausgestalteten Fällen) und zum anderen den Verstoß gegen die Regel des absoluten Vorrangs. Die Einhaltung der Regel des absoluten Vorrangs als Mindestanforderung für die Bestätigung eines Plans ist im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zugunsten der Regel des relativen Vorrangs, normiert in Art. 11 Abs. 1 lit. c Restrukturierungsrichtlinie, als Regelfall fallengelassen worden8). Ein Verstoß gegen die Vorrangregel war dann in der Ratsfassung des Art. 13 der Richtlinie vom 1.10.20189) (wie auch nun in Art. 14 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie) nicht mehr enthalten. Die Ratsfassung des Art. 13 sah eine zwingende Beanstandungsmöglichkeit auch nicht mehr für alle von den Mitgliedstaaten ausgestalteten Fälle eines klassenübergreifenden Cram-down vor, sondern nur noch für den Fall des klassenübergreifenden Cram-down bei nur einer zustimmenden Klasse i. S. des Art. 11 Abs. 2 lit. a der Ratsfassung unter den dort genannten Voraussetzungen (wie auch nun Art. 11 Abs. 1 lit. b Ziff. ii Restrukturierungsrichtlinie). b) Vorgaben zur amtswegigen Prüfung oder (lediglich) auf Schutzantrag 7

Die Restrukturierungsrichtline geht zu Recht davon aus, dass erfolgreiche Restrukturierungen kostengünstig und zügig von statten zu gehen haben (so nur ErwG 6, 26, 30, 63). Um dem zu genügen und gleichwohl effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, erfahren die in Art. 10 und 11 Restrukturierungsrichtlinie formulierten (negativen) Planbestätigungsvoraussetzungen durch die Richtlinie eine unterschiedliche Behandlung. Die Richtlinie unterscheidet zwischen einer Prüfung von Amts wegen und einer Prüfung auf Antrag des Betroffenen und lässt den Mitgliedstaaten bei der Wahl und Behandlung der (negativen) Bestätigungsvoraussetzungen Spielraum. Die Richtlinie formuliert in Art. 10 und 11 Restrukturierungsrichtlinie lediglich Mindestvoraussetzungen unbenommen der Hinzufügung weiterer (ErwG 48) und stellt den Mitgliedstaaten frei, welche der Voraussetzungen von Amts wegen und welche lediglich auf Beanstandung, also auf einen (Schutz-)Antrag hin, zu prüfen sein sollen (ErwG 50).

8

Mit dem Verstoß gegen das Kriterium des Gläubigerinteresses i. S. des Art. 10 Abs. 2 lit. d und dem Verstoß gegen die Regeln eines klassenübergreifenden Cram-down bei nur einer zustimmenden Klasse nach Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b Ziff. ii Restrukturierungsrichtlinie unter den dort genannten Voraussetzungen greift die Richtlinie aber zwei negative Bestätigungsvoraussetzungen heraus und formuliert für sie, dass die Justiz- oder Verwaltungsbehörde über die (kosten- und zeitintensive) Bewertung eines Unternehmens nur auf Schutzantrag eines ablehnenden Betroffe_____________ 8) 9)

812

Allerdings weiterhin optional regelbar, Art. 11 Abs. 2. Von dieser Option hat der deutsche Gesetzgeber nun mit den §§ 27, 28 Gebrauch gemacht hat. Rat der Europäischen Union, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, Allgemeine Ausrichtung v. 1.10.2018, abrufbar unter https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-12536-2018INIT/de/pdf (Abrufdatum: 25.8.2021).

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

nen und nur zu ihrer Überprüfung zu entscheiden hat.10) Für das Kriterium des Gläubigerinteresses formuliert dies auch Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. d, Unterabs. 2 Restrukturierungsrichtlinie. Die Prüfung beider genannten Regelverstöße erfordert regelmäßig eine Unternehmensbewertung, da zu ermitteln wäre, ob der beanstandende Planbetroffene durch den Restrukturierungsplan schlechterstünde als ohne Plan bzw. ob ein Planbetroffener der einen zustimmenden Klasse i. R. einer Liquidation bei Anwendung der normalen Rangfolge noch Zahlungen erhielte. Mit einer Gewährleistung der Minderheitenrechte des Betroffenen lediglich auf Antrag vermeidet die Richtlinie mithin, dass in einem Bestätigungsverfahren eine aufwendige Unternehmensbewertung von Amts wegen zu erfolgen hat (ErwG 50 Restrukturierungsrichtlinie). Im deutschen Gesetzgebungsverfahren zum SanInsFoG wurde die Diskussion um eine nach dem Richtlinientext durchaus mögliche Erweiterung der lediglich auf Antrag einer betroffenen Partei zu verfolgenden Versagungsgründe soweit ersichtlich nicht weiter geführt. Der deutsche Gesetzgeber hat sich mit der Fassung des § 64 an Mindestvorgaben der Richtlinie orientiert und nimmt in der Gesetzesbegründung lediglich auf Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 i. V. m. Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. d, Unterabs. 2 Restrukturierungsrichtlinie Bezug. Der Aufnahme der Beanstandung eines Verstoßes gegen die Voraussetzungen für einen klassenübergreifenden Cram-down bei einer zustimmenden Klasse i. S. des Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b Ziff. ii Restrukturierungsrichtlinie unter den dort genannten Voraussetzungen bedurfte es nicht, da der deutsche Gesetzgeber mit § 26 Abs. 1 Nr. 3 von der Möglichkeit des Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 3 Restrukturierungsrichtlinie Gebrauch gemacht hat und von der „Grundfall“ bzw. der „Auffangvariante“ der Richtlinie nach lit. b Ziff. ii Restrukturierungsrichtlinie abgewichen ist.11) Nach § 26 Abs. 1 Nr. 3 ist die Mehrzahl der abstimmenden Klassen erforderlich und die zustimmenden Gruppen dürfen nicht ausschließlich durch Anteilseigner oder nachrangige Restrukturierungsgläubiger gebildet sein. Damit sind die übrigen negativen Planbestätigungsvoraussetzungen i. S. des Art. 10 und Art. 11 Restrukturierungsrichtlinie über die amtswegige Prüfung nach § 63 vom Restrukturierungsgericht zu gewährleisten. Einhergehend mit den Beanstandungsmöglichkeiten i. R. des Planbestätigungsverfahrens nach § 64 ist konsequenterweise gemäß § 66 Abs. 2 auch nur ein ablehnender Gläubiger beschwerdebefugt, der sich auf einen Verstoß gegen das Kriterium des Gläubigerinteresses beruft.

9

c) Vorgaben zur Bezugsgröße der Planalternative Art. 13 Abs. 1 und 2 des Richtlinienvorschlags der Kommission vom 22.11.201612) und der Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments vom _____________ 10) Kowalewski/Praß in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 11 Rz. 37. 11) zu den Gestaltungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten s. hierzu ausführlich Kowalewski/Praß in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 11 Rz. 28 ff. und RZ. 87 ff. 12) Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, v. 22.11.2016, COM(2016) 723 final [2016/0359 (COD)], abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/ PDF/?uri=CELEX:52016PC0723&from=RO (Abrufdatum: 25.8.2021).

Langer/Wolf

813

10

§ 64

Minderheitenschutz

21.08.201813) unterschieden zwischen einer Unternehmensbewertung auf der Grundlage der Liquidation im Falle des Verstoßes gegen das Schlechterstellungsverbot bzw. gegen die Regeln gemäß Art. 11 Abs. 2 lit. b Ziff. ii Restrukturierungsrichtlinie und zwischen einer Unternehmensbewertung nach dem Going-Concern-Prinzip in den übrigen (heute entfallenen) Fallgestaltungen. Das Abstellen auf das Liquidationsszenario hat im europäischen Gesetzgebungsverfahren starke Kritik erfahren,14) denn die Restrukturierungsrichtlinie betrifft Unternehmen, die rentabel und damit überlebensfähig sind.15) Bereits für insolvenzreife Schuldner im Insolvenzplanverfahren ist fraglich, ob im Bestätigungsverfahren nach §§ 245, 251 InsO auf das Liquidationsszenario abzustellen ist oder nicht vielmehr auf die für die Gläubiger „beste Alternative“.16) 11

Als Ergebnis der kontroversen Diskussion überlässt der europäische Gesetzgeber den Mitgliedstaaten mit der finalen Fassung des Art. 2 Nr. 6 Restrukturierungsrichtlinie die Wahl bei der Ausgestaltung des Kriteriums des Gläubigerinteresses. Sie können anstelle der Bezugsgröße Liquidation (Zerschlagung oder übertragende Sanierung) auch das „nächstbeste“ Alternativszenario ohne Plan als eine weitere optionale Ausgestaltungsart wählen (ErwG 52 Restrukturierungsrichtlinie). Art. 14 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie verwendet daher nunmehr einheitlich für beide verbliebenen Versagungsgründe die Begrifflichkeit „Unternehmensbewertung“, ohne die Bezugsgröße zu benennen.

12

Der deutsche Gesetzgeber hat sich zu der zu wählenden Bezugsgröße für ein i. R. eines Minderheitenschutzantrags zu prüfenden Alternativszenario und der Frage einer vorzunehmenden Unternehmensbewertung nicht positioniert geschweige denn definiert, was unter dem „nächstbeste(n) Alternativszenario“ i. S. der Richtlinie zu verstehen ist oder wie dieses zu ermitteln ist. Die bereits zahlreich im Vorfeld und auch nun diskutierten Lösungsansätze17) bleiben daher weiterhin Gegenstand der Diskussion18) und werden im Streitfall die Rechtsprechung beschäftigen. Die Ge_____________ 13) Europäisches Parlament, Bericht des Rechtsausschusses über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU (COM(2016)0723 – C8-0475/2016 [2016/0359(COD)), (A8-0269/2018), v. 21.8.2018 (Niebler-Bericht), abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-82018-0269_DE.pdf (Abrufdatum: 25.8.2021). 14) Stohrer, ZInsO 2018, 660, 666, stellt auf den Wert der Forderungen einschließlich der Kreditsicherheiten zum frühestmöglichen Beitreibungs- und Vollstreckungszeitpunkt außerhalb der Insolvenz ab; Gravenbrucher Kreis, Gravenbrucher Thesen v. 14.1.2017, ZIP 2017, 203, 204; H. Schmidt, WM 2017, 1735, 1742. 15) Bork, ZIP 2017, 1441, 1448, auch zu den Schwierigkeiten der Ermittlung des Liquiditätswertes, wenn die Aktiva sowie die Anzahl der an der Verteilung teilnehmenden Forderungen aufgrund fehlender Erfassung ungewiss ist. 16) Drukarczyk in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 40 ff.; a. A. LG Stade, Beschl. v. 29.12.2017 – 7 T 151/17, Rz. 12, juris, dazu EWiR 2018, 345 (Rendels). 17) Backes/Blankenburg in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 10 Rz. 37 ff.; Kowalewski/ Praß in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 11 Rz. 45 ff. 18) Girotto/Czernay, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 66 ff.

814

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

setzesmaterialien zu § 71 RegE19) arbeiten lediglich heraus, dass im Insolvenzerfahren die „Weichen“ vorbehaltlich anderweitiger Beschlussfassung der Gläubigerversammlung im Zweifel auf eine Liquidation des schuldnerischen Vermögens gestellt sind, hingegen ein Restrukturierungsverfahren nicht auf ein eröffnetes Insolvenzverfahren zurückzuführen ist und aus diesem Grunde auch „andere Fortführungsszenarien“ in Betracht kommen, sofern sie hinreichend wahrscheinlich sind und sich „auch insoweit als nächstbeste Alternative präsentieren“. d) Beweiserleichterungen nach ErwG 63 Restrukturierungsrichtlinie Weder § 64 noch die Gesetzesmaterialen greifen die von dem ErwG 63 der Restrukturierungsrichtlinie eröffnete Möglichkeit von Beweiserleichterungen auf. Mit ErwG 63 Restrukturierungsrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber auf die mitunter geäußerte Kritik reagiert, dass mit Art. 14 Restrukturierungsrichtlinie zu hohe Prüfungsanforderungen an die Gerichte gestellt werden.20) Er hat den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, zur Absicherung der in ihren Rechten betroffenen Parteien Expertise auf andere Weise und/oder zu einem anderen Zeitpunkt in den Restrukturierungsprozess einfließen zu lassen, die das Gericht i. R. des Bestätigungsverfahrens nur zu überprüfen und zu „billigen“ hat. In der Literatur wurde der Wunsch geäußert, der Gesetzgeber möge in Umsetzung der Richtlinie Überlegungen anstellen, wie aus Beschleunigungsgründen von den Vereinfachungsmöglichkeiten des ErwG 63 Restrukturierungsrichtlinie Gebrauch gemacht werden könne.21) Da sich der Gesetzgeber hierzu nicht positioniert hat, bleibt fraglich, ob es dem Restrukturierungsgericht möglich ist, eigene Feststellungen auf vorgelegte Expertenbescheinigungen/-gutachten zu stützen, ohne einen eigenen Gutachterauftrag zu erteilen (siehe hierzu Rz. 168 ff.).

13

e) Rechtsverfolgung nur im Rechtsmittel Von der Möglichkeit des Art. 14 Abs. 3 Unterabs. 2 Restrukturierungsrichtlinie, Beanstandungen nur in einem separaten Rechtsbehelfsverfahren zu behandeln, hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht und folgt damit der bewährten Rechtsmethodik, dass die (erstinstanzliche) Entscheidung von dem Gericht getroffen wird, das – weil zunächst mit allen Prüfungsaufgaben befasst – mit dem Verfahren vollumfänglich vertraut ist, um sodann in einem zweiten Schritt einzelne streitige Rechts- bzw. Tatsachenfragen im Instanzenzug klären zu lassen. 2.

14

Vergleich zum Insolvenzplanrecht nach der InsO

Art. 14 Abs. 3 Restrukturierungsrichtlinie, den § 64 umsetzt, bereitet den Weg vor zu einem Minderheitenschutz, wie ihn das deutsche Insolvenzplanrecht in § 251 _____________ 19) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 163 f. 20) Frind/Pollmächer, ZInsO 2016, 1290, 1294, Blankenburg, ZInsO 2017, 241, 249. 21) Langer/Wolf in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 14 Rz. 133 f., mit dem Vorschlag einer qualifizierten Expertenbescheinigung, die auf Schlüssigkeit und Plausibilität zu überprüfen ist; weitergehend Laroche in: Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 248 ff., der allgemein eine Beschränkung auf eine Plausibilitätskontrolle für die Vergleichsrechnung für ausreichend erachtet.

Langer/Wolf

815

15

§ 64

Minderheitenschutz

InsO kennt. Der Gesetzgeber hat sich mit § 64 entsprechend an § 251 InsO orientiert.22) § 63 ist seinem Wortlaut nach an § 250 InsO angelehnt. 16

Wie Art. 10, 11 Restrukturierungsrichtlinie und Art. 14 Restrukturierungsrichtlinie unterscheidet das deutsche Insolvenzplanrecht für die gerichtlichen Bestätigung des Insolvenzplans zwischen den von Amts wegen zu prüfenden Bestätigungs- bzw. Ersetzungsvoraussetzungen bei ablehnenden Beteiligten nach §§ 245, 248, 250 InsO einerseits und andererseits zwischen den nur auf Antrag zu prüfenden Versagungsgründen des § 251 InsO. Liegt bei einem klassenübergreifenden Cram-down im Insolvenzverfahren gruppenbezogen ein Verstoß gegen das Schlechterstellungsverbot vor, so ist die Bestätigung bereits gemäß §§ 245 Abs. 1 Nr. 1, 248, 250 Nr. 1 InsO von Amts wegen zu versagen. Ein non liquet geht zulasten des beweispflichtigen Schuldners. Im Insolvenzplan bereitgestellte Ausgleichsmittel verhindern nach h. M. keine Versagung der Bestätigung. Im Restrukturierungsverfahren hingegen ist bei einem klassenübergreifenden Cram-down ein Verstoß gegen das Schlechterstellungsverbot wegen Art. 11 Abs. 1 lit. b, Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2, Art. 14 Abs. 3, Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie nur i. R. des § 64 auf individuellen Antrag eines Planbetroffenen zu prüfen (siehe oben Rz. 7 f.). Ein non liquet geht zulasten des beweispflichtigen Gläubigers. Es besteht gemäß § 64 Abs. 3 die Möglichkeit einer Ausgleichszahlung. Im Einklang stehen die Beanstandungsmöglichkeiten des ablehnenden Gläubigers bei einem konsensualen Plan (Zustimmung durch Mehrheitsbeschluss in allen Klassen). Im Insolvenzverfahren wie im Restrukturierungsverfahren kann der innerhalb einer Gruppe mehrheitlich überstimmten Gläubiger einen Verstoß gegen das Schlechterstellungsverbot nur auf Antrag gemäß § 251 InsO bzw. § 64 StaRUG rügen.23)

17

Zu den Prüfungsmöglichkeiten der Gerichte enthält das Insolvenzplanrecht keine gesonderte Regelung, so dass der Amtsermittlungsgrundsatz des § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO gilt. Den Gerichten steht es bei einer Entscheidung über die Bestätigung eines Insolvenzplans damit frei, ein Sachverständigengutachten zu allen entscheidungserheblichen Voraussetzungen einzuholen, auch wenn dies zu Verfahrensverzögerungen und höheren Kosten führt.24) Im Unterschied hierzu dürften wegen des klaren Wortlauts des Art. 14 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie im Restrukturierungsverfahren Fragen der Unternehmensbewertung nur auf Antrag i. R. des Minderheitenschutzes nach § 64 dem Sachverständigenbeweis zugänglich sein. 3.

18

Gesetzgebungsverfahren zum StaRUG

Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens sind Änderungen vom RefE zur finalen Fassung lediglich zum Verfahrensrecht erfolgt. § 64 Abs. 1 Satz 2 RefE verwies zu der Frage des maßgeblichen Zeitpunkts für das Verbot der Schlechterstellung auf § 4 Abs. 5 RefE (entspricht der heuten Fassung des § 2 Abs. 5). Der allgemeine Verweis ist zugunsten einer Sonderregelung zu § 2 Abs. 5 bzgl. der Bewertung von Ab_____________ 22) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 162 ff. 23) Zum Insolvenzplanrecht Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 37. 24) Drukarcyk in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 44; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 33; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 245 Rz. 38 ff.

816

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

sonderungsanwartschaften bei Eintritt von Wertminderungen nach Anordnung einer Verwertungssperre entfallen. § 64 Abs. 2 RefE sah für den Schutzantrag keinen Widerspruch des Betroffenen in der Abstimmung als Zulässigkeitsvoraussetzung vor, obwohl § 70 Abs. 2 Nr. 1 RefE die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde an die Erhebung des Widerspruchs im Abstimmungsverfahren knüpfte. Dieses redaktionelle Versehen bereinigt die finale Fassung in § 64 Abs. 2 Satz 1.25)

19

Entgegen der Fassung des RefE sieht § 64 Abs. 4 in der finalen Fassung nun Ausnahmen von den in Absatz 2 formulierten Zulässigkeitsvoraussetzungen vor, sofern auf diese bei Übersendung des Planangebots bzw. im Einberufungsschreiben zu einer Versammlung oder aber in der gerichtlichen Ladung zu einem Abstimmungstermin nicht hingewiesen worden ist.

20

4.

Richtlinienkonforme Umsetzung

§ 64 setzt die Restrukturierungsrichtlinie, die den Mitgliedstaaten einigen Spielraum bei der Umsetzung des Minderheitenschutzes eingeräumt hat, konform um. Die Gesetzesbegründungen enthalten Ausführungen zu der Frage einer richtlinienkonformen Umsetzung lediglich in Bezug auf § 64 Abs. 3 Satz 1 und der dort enthaltenen Regelung zum Vorhalten von Ausgleichsmitteln im Restrukturierungsplan. Art. 14 Abs. 3 Unterabs. 2 Restrukturierungsrichtlinie sieht das Bereitstellen von Ausgleichsmitteln i. R. des Beanstandungsverfahrens nicht vor, ermöglicht es den Mitgliedstaaten aber, ablehnenden Planbetroffenen Minderheitenschutz erst im Rechtsbehelfsverfahren zu gewähren (siehe Rz. 14). Da Art. 16 Abs. 4 Unterabs. 2 Restrukturierungsrichtlinie im Rechtsbehelfsverfahren eine Ausgleichszahlung vorsieht und ein (erstinstanzliches) Beanstandungsverfahren nach Art. 14 Abs. 3 Unterabs. 2 Restrukturierungsrichtlinie entfallen könnte (siehe Rz. 14), bestehen keine Bedenken.

21

III. Formelle Voraussetzungen für den Schutzantrag 1.

Zuständigkeit

§ 64 enthält keine Regelung, ob der Schutzantrag wirksam (nur) bei dem gemäß § 35 zuständigen Restrukturierungsgericht gestellt oder auch an den Schuldner bzw. an den Restrukturierungsbeauftragten als Versammlungsleiter i. S. des § 76 Abs. 2 Nr. 1 gerichtet werden kann, wenn der Schuldner das Abstimmungsverfahren in Eigenregie durchführt. Dafür spricht, dass jedenfalls der Widerspruch – Zulässigkeitsvoraussetzung nicht nur für den Schutzantrag, sondern auch für die sofortige Beschwerde – gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 und 2 in der Abstimmung dem Schuldner gegenüber zu erklären ist. Es kann dem Betroffenen nicht verwehrt sein, zeitgleich mit dem Widerspruch auch der Schutzantrag stellen zu können, zumal eine Anwesenheitspflicht im nachfolgenden Anhörungstermin nach § 61 nicht vorgesehen ist.26) Das Vorliegen eines Schutzantrags im Planannahmeverfahren ist daher vom Schuldner gemäß § 22 bzw. von dem Restrukturierungsbeauftragten im Falle des § 76 Abs. 2 Nr. 1 zu dokumentieren. Nach Schluss der Annahmefrist bzw. der Versamm_____________ 25) Hinweis von Frind, ZInsO 2020, 2241, 2245. 26) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 161.

Langer/Wolf

817

22

§ 64

Minderheitenschutz

lung eingehende Schutzanträge sind unverzüglich an das Gericht weiterzuleiten, damit sie im Anhörungstermin nach § 61 und der danach zu treffenden Bestätigungsentscheidung berücksichtigt werden können. 2.

Form und Frist

23

§ 64 enthält für den Schutzantrag keine besonderen Regelungen bzgl. Form und Frist. Anträge können daher gemäß § 38 StaRUG i. V. m. § 496 ZPO schriftlich, zum Terminprotokoll oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden.

24

Ein vor der Zustellung des Restrukturierungsplans oder vor der Versammlung bzw. dem gerichtlichen Abstimmungstermin gestellter Antrag ist verfrüht und geht ins Leere, da der Planinhalt nicht einmal bekannt ist. Der Antrag ist als bloße Ankündigung zu verstehen. Denn gemäß § 20 Abs. 4, § 45 Abs. 4 StaRUG i. V. m. § 240 InsO sind Änderungen des Restrukturierungsplans noch in der Versammlung bzw. im Gerichtstermin möglich, so dass sich erst im Termin ergibt, welcher Restrukturierungsplan zur Abstimmung gestellt werden wird.27) Zudem setzt ein erfolgreicher Schutzantrag wegen der weiteren Antragsvoraussetzungen (im Gegensatz zu einem Antrag nach § 251 InsO) die Anwesenheit des Antragstellers im Abstimmungstermin voraus. Auf die Unzulässigkeit des verfrühten Antrags hat das Gericht i. R. der richterlichen Hinweispflicht gemäß § 38 Satz 1 StaRUG i. V. m. § 139 ZPO hinzuweisen.

25

Haben die Planbetroffenen in einem gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin i. S. des § 45 abgestimmt, so muss der Antrag spätestens in diesem Termin dem zuständigen Restrukturierungsrichter vorliegen. Der Wortlaut ist nicht zwingend, aber § 64 Abs. 2 Satz 2 bestimmt, dass eine Glaubhaftmachung der Schlechterstellung – nur zu verstehen als bezogen auf den Schutzantrag – spätestens in dem Termin erfolgen muss.28) Der Abstimmungstermin soll einer mündlichen Verhandlung i. S. des § 279 ZPO vergleichbar zur Entscheidungsreife führen. Der Bestätigungsbeschluss wird – sofern ohne besonderen Begründungsaufwand abzufassen – entweder im Termin verkündet (§ 65 Abs. 1 Halbs. 1) oder in einem gesondert anzuberaumenden Verkündungstermin (§ 65 Abs. 1 Halbs. 2). Denkbar ist eine Zulassung nach dem Schluss des gerichtlichen Abstimmungstermins eingehender verspäteter Anträge oder Vorbringens daher ausnahmsweise nur unter den engen Voraussetzungen in einer § 156 ZPO vergleichbaren Wiedereröffnungssituation. Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Hinweispflicht des Gerichts gemäß § 64 Abs. 4 Satz 3 und dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs zu. Hat das Gericht in der Terminladung einen Hinweis nach § 64 Abs. 4 Satz 3 versäumt oder hat es zu dem Antrag des Schuldners auf Planbestätigung den Anwesenden im Abstimmungstermin kein rechtliches Gehör gewährt, so reduziert sich das Ermessen des Gerichts i. S. des _____________ 27) Str., zu § 251 InsO, wie hier Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 8, weitergehend Uhlenbruck-Lühr/Streit, InsO, § 251 Rz. 7, die sogar einen vor dem Widerspruch eingehenden Antrag für verfrüht und damit unzulässig halten; a. A. K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 251 Rz. 16, der den Antrag zwar für zulässig erachtet, allerdings im Falle einer Planänderung eine neue Glaubhaftmachung der Schlechterstellung verlangt. 28) H. M. zu § 251 InsO n. F., Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 11; K. Schmidt-Spliedt, § 251 Rz. 17.

818

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

§ 61 Satz 1 und es ist – sofern der Bestätigungsbeschluss noch nicht verkündet ist – von Amts wegen einen Anhörungstermin anzuberaumen. Um Verzögerungen zu vermeiden, sollte das Gericht daher nach der Abstimmung erfragen, ob noch Anträge gestellt oder Erklärungen abgegeben werden, und dies im Protokoll vermerken. Zeitliche Grenze für den Schutzantrag dürfte in den beschriebenen Ausnahmefällen jedenfalls die Rechtskraft des gerichtlichen Bestätigungsbeschlusses29) sein. Hat der Schuldner das Abstimmungsverfahren in Eigenregie durchgeführt, so kann ein Antrag mangels anderweitiger gesetzlicher Regelung jedenfalls bis spätestens zum Schluss des von dem Gericht obligatorisch anzuberaumenden Anhörungstermin nach § 61 Satz 2 gestellt werden. § 61 enthält keine Anwesenheitspflicht für die geladenen Planbetroffenen,30) daher ist auch ein schriftlicher Antrag möglich. Zu den Ausnahmefällen einer verspäteten Antragstellung gelten die Ausführungen zuvor.

26

Im Beschwerdeverfahren nach § 66 kann der Antrag nicht nachgeholt werden,31) ist aber auch nicht Voraussetzung für eine Überprüfung der Bestätigungsentscheidung nach § 66.32) Im Beschwerdeverfahren nach § 66 ist wie im Beschwerdeverfahren nach § 253 InsO, an den sich die Vorschrift anlehnt, zwischen der Glaubhaftmachung einer wesentlichen Schlechterstellung als Zulässigkeitsvoraussetzung des § 66 Abs. 2 Nr. 3 und dem materiellen Bestätigungshindernis der Schlechterstellung (ohne Erreichen der Wesentlichkeitsschwelle) i. S. des § 64 Abs. 1 als Begründetheitsvoraussetzung der erfolgreichen Beschwerde nach § 66 zu unterscheiden. Der Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts im Beschwerdeverfahren gegen den Bestätigungsbeschluss entspricht demjenigen der Rechtsmäßigkeitsprüfung des Restrukturierungsgerichts. Daher ist das Bestätigungshindernis der individuellen Schlechterstellung des Planbetroffenen (ohne Erreichen der Wesentlichkeitsgrenze) vom Beschwerdegericht nur zu prüfen, wenn im Bestätigungsverfahren nach hier vertretener Ansicht im gerichtlichen Abstimmungs- oder Anhörungstermin bzw. ausnahmsweise bis zur Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses ein (rechtzeitiger) Schutzantrag gestellt worden ist.33) Die Prüfung einer gruppenbezogenen Schlechterstellung scheidet sowohl im Bestätigungsverfahren nach § 63 als auch im Beschwerdeverfahren nach § 66 wegen Art. 11 Abs. 1 lit. b, Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2, Art. 14 Abs. 3, Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie, die im Wege der Auslegung heranzuziehen sind, aus.

27

3.

Antragsbefugnis

Antragsbefugt ist derjenige, der gegen den Plan gestimmt hat und dessen Rechtspositionen i. S. des § 2 den im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans festgelegten Wirkungen gemäß § 67 unterworfen sind. Gläubiger bzw. Anteilsinhaber, _____________ 29) Str., zu § 251 InsO a. F., BGH, Beschl. v. 22.3.2007 – IX ZB 10/06, Rz. 8, ZInsO 2007, 442, erachtete einen Versagungsantrag aufgrund fehlender Fristbestimmung bis zur Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses für zulässig; a. A. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 10, und Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 251 Rz. 7: Verkündung des Bestätigungsbeschlusses. 30) S. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 161. 31) Str., zu § 251 InsO a. F., vgl. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 10. 32) So vergleichbar zu § 253 InsO BGH, Beschl. v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, Rz. 6 ff., ZIP 2014, 1442. 33) So vergleichbar zu § 253 InsO BGH, Beschl. v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, Rz. 35, ZIP 2014, 1442; zu § 253 InsO: K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 253 Rz. 15.

Langer/Wolf

819

28

§ 64

Minderheitenschutz

die nicht planbetroffen sind, können keinen Schutzantrag stellen, auch wenn sie infolge des Planes in ihren Befriedigungsaussichten oder sonstigen Interessen zurückgesetzt sein sollten.34) Im Unterschied zu § 251 InsO35) ist durch den Wortlaut klar, dass nur antragsbefugt ist, wer ein Stimmrecht hat und sich im Termin anwesend an der Abstimmung beteiligt hat. Da gemäß § 66 Abs. 2 Nr. 2 auch beschwerdebefugt nur der ablehnend Votierende ist, kommt der Einräumung eines Stimmrechts vor der Abstimmung entscheidende Bedeutung bei. Denn die Entscheidung über das Stimmrecht enthält notwendig auch die Entscheidung, ob der Beteiligte überhaupt abstimmen darf; die Feststellung der Abstimmungsberechtigung gehört als Vorfrage zur gerichtlichen Stimmrechtsentscheidung.36) Ist das Stimmrecht streitig und liegt nicht bereits eine (positive) Vorprüfungsentscheidung des Restrukturierungsgerichts nach § 46 Abs. 1 Nr. 2 vor, so ist zur Darlegung der Antragsbefugnis eine substantiierte Darlegung der antragsberechtigenden Rechtsposition gemäß § 2 erforderlich. 4.

Widerspruch (Abs. 2 Satz 1 Alt. 1)

29

Der Widerspruch ist Zulässigkeitsvoraussetzung des Schutzantrags und in der Abstimmung zu erklären, sprich nach Planerörterung und vor Ablauf der Abstimmungsfrist bzw. vor dem Schluss des Abstimmungstermins. Mangels besonderer Formvorschrift kann er schriftlich, zum Terminprotokoll oder (im Gegensatz zur Neufassung des § 253 Abs. 1 Nr. 1 InsO nach dem ESUG) auch zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden.

30

§ 64 unterscheidet zwischen dem Widerspruch, der Geltendmachung einer Schlechterstellung und dem Versagungsantrag des Planbetroffenen. Der Widerspruch soll dem Schuldner bereits in der Abstimmung vor Augen führen, dass der Restrukturierungsplan an einem Versagungsantrag des Planbetroffenen scheitern kann.37) Macht der Planbetroffene in der Abstimmung eine Schlechterstellung geltend und/oder stellt er einen Schutzantrag, so bedarf es keines förmlichen Widerspruchs, weil dem Schutzzweck bereits Genüge getan ist.38) Umgekehrt reicht der Erklärungsgehalt allein eines Widerspruchs weder zur Geltendmachung einer Schlechterstellung noch zu einem Schutzantrag aus. Denn die Geltendmachung einer Schlechterstellung erfordert die Darlegung der betroffenen Rechtsposition in beiden Vergleichsszenarien und mit der Antragstellung entscheidet sich der Planbetroffene zur gerichtlichen Verfolgung seiner Rechte.

31

Im Gegensatz zu § 66 Abs. 3 StaRUG und § 253 Abs. 3 InsO lässt § 64 StaRUG seinem Wortlaut nach keine Ausnahme von dem Zulässigkeitserfordernis des Wi_____________ 34) Thole, ZIP 2020, 1985, 1997. 35) Hierzu nur Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 251 Rz. 11 f.; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 6. 36) S. BGH, Beschl. v. 3.10.2008 – IX ZB 235/06, Rz. 9, NZI 2009, 106 – zu Stimmrechtsentscheidung nach § 77 InsO. 37) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 163, BGH, Beschl. v. 22.3.2007 – IX ZB 10/06, Rz. 8 ff., ZInsO 2007, 442 – zum Widerspruch gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 InsO a. F. 38) Zu § 251 InsO z. B. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 14, K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 251 Rz. 5; Thies in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 8.

820

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

derspruchs im Falle eines fehlenden Hinweises im Planangebot bzw. in der Terminladung zu. Die Hinweispflicht des § 64 Abs. 4 bezieht sich dem Wortlaut nach nur auf die Geltendmachung einer Schlechterstellung in einem von dem Schuldner durchgeführten Abstimmungsverfahren (§ 64 Abs. 4 Satz 1 und 2) bzw. auf die Glaubhaftmachung im gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin (§ 64 Abs. 4 Satz 3). Nach der Gesetzesbegründung dürfte es sich dabei allerdings um ein redaktionelles Versehen handeln und § 64 Abs. 4 teleologisch erweiternd auszulegen sein. Denn dort heißt es auch ohne Unterscheidung nach der Art des Abstimmungsverfahrens, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 64 Abs. 2 nur gelten, wenn auf sie gesondert hingewiesen wurde, damit der Planbetroffene von eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten nicht überrascht werde. Dies entspricht i. Ü. dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes. Dass der Widerspruch nicht genannt ist, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass in § 68 Abs. 2 RefE zunächst nur die Geltendmachung einer Schlechterstellung enthalten gewesen ist (siehe Rz. 19). Der Schuldner bzw. der Restrukturierungsrichter sollte daher bei Übersendung des Planangebots bzw. im Einberufungsschreiben oder in der Terminladung auch auf das Erfordernis des Widerspruchs hinweisen. Geschieht dies nicht und sieht das Restrukturierungsgericht in der Geltendmachung einer Schlechterstellung nicht zeitgleich auch einen Widerspruch bzw. hat der Versammlungsleiter bzw. das Gericht versäumt, auf eine Erklärung des Betroffenen hinzuwirken, so besteht für den Planbetroffenen die Möglichkeit, den fehlenden Widerspruch mangels Hinweises nachzuholen. Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand kommt nach § 38 StaRUG i. V. m. § 233 ZPO nicht in Betracht, weil es sich bei dem Widerspruch um eine Zulässigkeitsvoraussetzung und keine Frist handelt. 5.

32

Geltendmachung einer Schlechterstellung (Abs. 2 Satz 1 Alt. 2)

Die Geltendmachung der Schlechterstellung ist ebenfalls Zulässigkeitsvoraussetzung für den Versagungsantrag. Die ablehnende Partei hat in der Abstimmung geltend zu machen, dass sie durch den Restrukturierungsplan (auch unter Berücksichtigung im Plan bereitgestellter Ausgleichsmittel) voraussichtlich schlechtergestellt wird als sie ohne Plan stünde. Damit sind die dem Versagungsgrund zugrunde liegenden Tatsachen zunächst substantiiert darzulegen.39) Pauschale Erklärungen ins Blaue hinein sind unerheblich. Die Anforderungen an die Darlegungslast richten sich nach dem Umfang und der Aussagekraft der von dem Schuldner mit der Planvorlage zur Verfügung gestellten Informationen. Genügen die Angaben, Erklärungen und Übersichten nicht den Anforderungen der §§ 5 bis 15 und der Anlage zu § 5 Satz 1, liegt insbesondere keine Vergleichsrechnung vor oder genügt sie nicht den gesetzlichen Anforderungen, so sind bereits die von Amts wegen zu gewährleistenden Bestätigungsvoraussetzungen des § 63 Abs. 1 Nr. 2 nicht gegeben und die Planbestätigung aus diesem Grunde zurückzuweisen. Ergibt sich bereits aus den Planangaben des Schuldners selbst eine Schlechterstellung, so bedarf es ebenfalls keines weiteren Vortrags des Versagungsantragstellers.

_____________ 39) Zu § 251 InsO z. B. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 19.

Langer/Wolf

821

33

§ 64

Minderheitenschutz

34

Es spricht Einiges dafür, dass die Grundsätze der sekundären Darlegungslast i. R. des Verfahrens über einen Minderheitenschutzantrag Anwendung finden,40) so dass ein Vortrag der ablehnenden Partei zu entscheidungserheblichen Tatsachen, die in der Sphäre des Schuldners liegen, nur erwartet werden kann, soweit der Schuldner Zugang zu den maßgeblichen Informationen gewährt. Bei den Anforderungen an den Sachvortrag des Versagungsantragstellers ist zu bedenken, dass im Unterschied zum Restrukturierungsverfahren im Insolvenzverfahren alle maßgeblichen Informationen unter der Aufsicht des Gerichts in Übersichten und Verzeichnissen (§§ 153 ff. InsO), der Insolvenztabelle nach Forderungsprüfung und im Berichtswege von dem Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter oder von dem Schuldner unter Aufsicht des Sachwalters erfasst bzw. dargestellt werden. Den Gläubigern stehen im Insolvenzverfahren umfangreiche Auskunftsrechte zu. Fehlt es an einer zuverlässigen, weil von neutraler Stelle aufgearbeiteten bzw. im Detail überprüften Informationsgrundlage und einem freien Zugang zu allen Informationen, sollten bei einem (noch) zahlungsfähigen und nicht überschuldeten Unternehmen zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes bei erheblichen Wertverlusten der Betroffenen selbst im Falle hoher Abstimmungsmehrheiten keine zu hohen Anforderungen an die Zulassungsvoraussetzungen eines Versagungsantrages gestellt werden.

35

Der Gesetzgeber hat im Zuge der Umsetzung der Richtlinie gewichtet, welche (Mindest-)Informationen er für maßgeblich hält, auf der anderen Seite aber mit § 6 Abs. 1 Satz 1 auch Bewertungsspielraum für die Rechtsanwendung gelassen, als er grundsätzlich auf das Erfordernis der Angabe aller für die Planbetroffenen entscheidungserheblichen Tatsachen verweist. Enthält der Plan z. B. in der Vergleichsrechnung nach § 6 Abs. 2 keine Angaben zum Zeitwert eines Unternehmens einschließlich der Berechnungsgrundlagen, so reicht es zunächst aus, wenn der Versagungsantragsteller darauf verweist, dass ihn die Veräußerung des Unternehmens nach Durchführung eines Dual-Track-Verfahrens besserstelle. Enthält die Vermögensübersicht nach § 14 Abs. 2 keine Erläuterungen zu im Insolvenzfalle relevanten Haftungs- und/oder Anfechtungssachverhalten, so sind die Anforderungen an den dahingehenden Sachvortrag des Versagungsantragstellers gering, solange er nicht ins Blaue hinein erfolgt. Bestreitet der Versagungsantragsteller das Bestehen einer Restrukturierungsforderung, die am Planerlös teilhat, so ist zunächst ein schlüssiger Vortrag des Schuldners zu der Forderung zu erwarten. Je aussagekräftiger und umfangreicher die Angaben und Unterlagen des Schuldners sind, umso höher sind die Anforderungen an die Darlegungslast des Antragstellers, der erst dann – regelmäßig unter Hinzuziehung von Experten – eine eigene Vergleichsrechnung anzustellen in der Lage sein wird. Um Verzögerungen zu vermeiden und mit Blick auf etwaige Schutzanträge tut der Schuldner daher gut daran, von Beginn an alle maßgeblichen Informationen vorzulegen, zumal dies die Zustimmungsbereitschaft der Gläubiger erhöhen dürfte. Liegen die maßgeblichen Informationen vor oder werden sie auf einen Vortrag des Versagungsantragstellers nachgeliefert, wird das Restrukturierungsgericht (dann) i. R. der Zulässigkeitsprüfung einen substantiierten Sachvortrag der ablehnenden Partei zu dem Vorliegen eines Versagungsgrundes verlangen können. _____________ 40) K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 251 Rz. 14; Zöller-Greger, ZPO, Vorb. § 284 Rz. 34.

822

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

Sieht der Restrukturierungsplan Mittel zum Ausgleich einer Schlechterstellung vor, hat sich der Sachvortrag auch darüber zu verhalten, warum diese nicht ausreichen.

36

Ausnahmsweise kann eine voraussichtliche Schlechterstellung auch nach dem Abstimmungstermin nachgeholt und geltend gemacht werden, wenn es im Planangebot oder im Einberufungsschreiben des Schuldners zum Abstimmungstermin bzw. in der Terminladung des Restrukturierungsgerichts an einem Hinweis nach § 64 Abs. 4 fehlt.

37

6.

Glaubhaftmachung einer Schlechterstellung (Abs. 2 Satz 2)

Gemäß § 64 Abs. 2 Satz 2 ist der Schutzantrag im Falle eines in Regie des Gerichts durchgeführten Abstimmungsverfahrens nur zulässig, wenn die substantiiert dargelegten Tatsachen, aus denen sich die voraussichtliche Schlechterstellung des Planbetroffenen durch den Restrukturierungsplan ergibt, spätestens im Termin glaubhaft gemacht sind. Unstreitige Tatsachen sind nicht glaubhaft zu machen. Aus diesem Grunde ist der Schuldner immer zunächst zu einem Versagungsantrag anzuhören. Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn sie mittels präsenter Beweismittel als überwiegend wahrscheinlich zu erkennen ist (§ 38 StaRUG i. V. m. § 294 ZPO). Als präsente Beweismittel kommt die Einvernahme des Schuldners nach § 38 StaRUG i. V. m. § 445 ZPO, die Vernehmung präsenter (sachverständiger) Zeugen, die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung sowie die Vorlage von Urkunden, insbesondere Privatgutachten, in Betracht.

38

Da die Beweismittel im Termin dem erkennenden Gericht zu präsentieren sind, sieht § 64 Abs. 2 Satz 2 für das vom Schuldner durchgeführte Abstimmungsverfahren keine Glaubhaftmachung vor. Gleiches gilt für die nach § 64 Abs. 4 Satz 1 und 2 zu erteilenden Hinweise. Fraglich ist aber, ob über den Wortlaut des § 64 Abs. 2 Satz 2 hinaus eine Glaubhaftmachung nicht in dem vom Gericht nach § 61 Satz 2 obligatorisch durchzuführenden Anhörungstermin zu erfolgen hat, in dem der Versagungsantragsteller dem erkennenden Gericht die Beweismittel präsentieren könnte. Wie auch im Falle des § 251 Abs. 2 InsO dient die Glaubhaftmachung dem Zweck, zeitaufwendige Ermittlungen der Gerichte zu vermeiden.41) Ein sachlicher Grund, warum eine Glaubhaftmachung nur in dem gerichtlichen Abstimmungsverfahren erforderlich sein soll, nicht aber in dem vom Schuldner durchgeführten Abstimmungsverfahren mit nachfolgendem Anhörungstermin, ist den Gesetzesbegründungen nicht zu entnehmen. Gegen eine dahingehende Auslegung spricht letztlich, § 64 die Anwesenheit des Versagungsantragstellers im Anhörungstermin nicht voraussetzt.

39

In der Praxis des Insolvenzplanverfahrens hat sich die Hürde der Glaubhaftmachung als hoch erwiesen, wobei in der Regel nicht zwischen der substantiierten Darlegung der zugrunde liegenden Tatsachen und der Glaubhaftmachung unterschieden wird.42)

40

Hat der Versagungsantragsteller die dem Antrag zugrunde liegenden Tatsachen glaubhaft gemacht, ist eine Gegenglaubhaftmachung des Schuldners möglich.

41

_____________ 41) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 19; Graf-Schlicker-Kebekus/Wehler, InsO, § 251 Rz. 3; BGH, Beschl. v. 29.3.2007 – IX ZB 204/05, ZIP 2007, 923. 42) Z. B. AG Bonn, Beschl. v. 27.5.2014 – 99 IN 153/13, ZInsO 2015, 353 ff.; LG Köln, Beschl. v. 17.12.2020 – 1 T 440/20 – 70a IN, ZInsO 2021, 218 ff.

Langer/Wolf

823

§ 64 42

Minderheitenschutz

Wegen des klaren Wortlauts des § 64 Abs. 2 Satz 2 kann der Versagungsantragsteller kann die Glaubhaftmachung nach dem Abstimmungstermin nur nachholen, wenn das Gericht in der Terminladung entgegen § 64 Abs. 4 Satz 3 nicht auf das Erfordernis hingewiesen hat. IV. Schlechterstellung des Antragstellers (Abs. 1) 1.

Schlechterstellung des Antragstellers

a) Definition des Kriteriums des Gläubigerinteresses 43

Sollte ein Planbetroffener durch den Plan schlechtergestellt werden, als er gemäß der Rangfolge seiner Forderungen ohne den Plan stünde, so liegt entsprechend des Art. 2 Nr. 6 Restrukturierungsrichtlinie eine Gläubigerbenachteiligung vor. Eine solche Gläubigerbenachteiligung führt gemäß § 64 zur Versagung der Planbestätigung, bzw. steht nach § 26 einer gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung (CrossClass Cram-down) entgegen.

44

Der konkret anzusetzende Vergleichsmaßstab geht aus dem Wortlaut des § 64 Abs. 1 Satz 1 nicht hervor. In der Gesetzbegründung wurde der Gesetzgeber allerdings konkreter. Aus dieser geht hervor, dass ein hinreichend wahrscheinliches nächstbestes Alternativszenario als Vergleichsmaßstab heranzuziehen ist. Ein solches Alternativszenario kann auch eine alternative Restrukturierungslösung mittels eines konsensfähigen Restrukturierungsplans beinhalten. Denn im Gegensatz zu §§ 245 Abs. 1 Nr. 1, 251 Abs. 1 Nr. 2, 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO stellt § 64 Abs. 1 Satz 1 StaRUG auf eine Schlechterstellung ohne „den“ Plan ab, nicht auf eine Schlechterstellung ohne „einen“ Plan, so dass alternative Planlösungen als Alternativszenarien möglich sind.43) Der alleinige Vergleich zu einem Liquidationsszenario ohne Beachtung möglicher alternativer Fortführungsszenarien genügt hingegen nicht. Vielmehr stellt das Liquidationsszenario die Untergrenze möglicher Alternativszenarien dar, welches auf jeden Fall durch den Plan zu übertreffen ist. Erwartungsgemäß wird ein alternatives Szenario, welches die Fortführung des Unternehmens beinhaltet, aus Sicht der Planbetroffenen zu besseren Ergebnissen führen als die Liquidation. Sollte neben dem vorgestellten Restrukturierungsplan also auch ein alternatives Fortführungsszenario denkbar und hinreichend wahrscheinlich sein, so kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass dieses der Liquidation überlegen ist und somit – sollte es keine bessere Alternative geben – als Vergleichsmaßstab anzusetzen ist.

45

Demnach sind folgende Punkte im Falle der Beanstandung des Plans durch das Gericht zu bewerten: –

46

Das erwartete Ergebnis des beanstandenden Beteiligten gemäß Plan,



das zu erwartende Ergebnis ohne Plan und



das zu erwartende Ergebnis im nächstbesten Alternativszenario.

Liquidation erfasst hierbei sowohl die tatsächliche Liquidation der Vermögenswerte des Unternehmens als auch andere Formen von Insolvenzverfahren wie die übertragende Sanierung. _____________ 43) Nicht hingegen im Insolvenzplanverfahren, z. B. K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 251 Rz. 7.

824

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

b) Bewertung des zu erwarteten Ergebnisses des beanstandenden Beteiligten gemäß Restrukturierungsplan Grundsätzlich muss das erwartende Ergebnis aus dem Plan ablesbar sein. Hierfür hat der Gesetzgeber insbesondere mit § 6 und § 14 Sorge getragen. Da der Plan die Anforderungen an Sanierungskonzepte erfüllen muss, wird neben vielen anderen Dingen auch eine integrierte Geschäftsplanung aus Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanzplanung und Cashflow-Rechnung für den Sanierungszeitraum vorliegen (siehe dazu die Kommentierung zu § 14). Diese quantifizieren i. E. die jeweiligen Sanierungsmaßnahmen und -beiträge der Gläubiger und können i. R. der Bewertung herangezogen werden. Bei Nichtvorliegen dieser Entscheidungsgrundlagen wäre die Bestätigung des Plans gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2 von Amts wegen zu versagen.

47

c) Ergebnis ohne Plan Nach § 6 Abs. 2 ist eine Vergleichsrechnung zwingender Bestandteil des darstellenden Teils eines Restrukturierungsplans. Die Vergleichsrechnung des § 6 Abs. 2 dient primär dem hier verfolgten Gedanken des Minderheitenschutzes. Dem Wortlaut des § 6 Abs. 2 folgend, ist eine alternative Restrukturierungslösung nicht Teil der Vergleichsrechnung. Den Auswirkungen des Plans ist – dem Wortlaut folgend – lediglich ein Alternativszenario mit den Befriedigungsmöglichkeiten für die Gläubiger gänzlich ohne Plan gegenüber zu stellen. Aufgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit, in der sich das Unternehmen bei Inanspruchnahme der Regelungen der Restrukturierungs- und Sanierungsinstrumente des StaRUG befindet, ist die Insolvenz oder sogar die Liquidation des Unternehmens das naheliegende resultierende Alternativszenario bei Nicht-Umsetzung des Plans. Entsprechend ist ein Insolvenzbzw. Liquidationsszenario in jedem Fall (mit) zu prüfen.

48

Die Insolvenz – egal ob in Eigenverwaltung mit Plan oder als Regelverfahren mit Liquidation kann, insbesondere im Hinblick auf die Umverteilung aufgrund von Sicherungsrechten, erheblichen Einfluss auf das zu erwartete Ergebnis haben. Dies gilt nicht nur angesichts der Kreditsicherheiten der beanstandenden Beteiligten, sondern auch angesichts der Sicherheiten von nicht widersprechenden oder gar unbeteiligten Gläubigern.

49

Folgende Punkte sind hierbei durch das Gericht ggf. mit Hilfe eines Sachverständigen zu prüfen:

50



Prognose der Vermögenswerte im Insolvenzfall,



Prognose hinsichtlich der Verteilung der Vermögenswerte in der Rangfolge aufgrund etwaiger Vorränge und Rechte Dritter am Vermögen des Schuldners,



Prognose hinsichtlich der Quote für alle Gläubigergruppen,



Ermittlung des Ergebnisses des widersprechenden Gläubigers,



Vergleich der Ergebnisse Plan und Ergebnis einer Insolvenz.

Zu den Grundlagen und der Methodik der Bewertung wird auf die nachfolgenden Abschnitte verwiesen.

Langer/Wolf

825

51

§ 64

Minderheitenschutz

d) Ergebnis im nächstbesten Alternativszenario 52

Zusätzlich zum Szenario ohne Plan ist zu klären, welches Ergebnis der widersprechende Gläubiger in einem nächstbesten Alternativszenario erreichen kann. Maßstab ist hier der Fortführungswert des Unternehmens sein. Hier stellen sich u. a. folgende Fragen: –

Ist bei Nichtannahme des Plans überhaupt eine Alternative außerhalb eines Insolvenzverfahrens denkbar?



Können alternative Sanierungsvorschläge berücksichtigt werden, die ggf. neben dem Schuldner noch der Zustimmung weiterer Beteiligter bedürfen?



Auf welcher Basis erfolgt die Bewertung?

2.

Möglichkeit eines nächstbesten Alternativszenarios

53

Da der Plan zur Abwendung der Insolvenz dient, ist es durchaus folgerichtig anzunehmen, dass das Scheitern des Plans die Insolvenz des Schuldners nach sich zieht. Konsequenterweise wäre das nächstbeste Szenario im Falle der Nichtannahme des Plans somit die Insolvenz – und somit die Liquidationswerte im oben beschriebenen Sinne und damit auch der richtige Vergleichsmaßstab für die gemäß § 6 Abs. 2 zu erstellende und für § 64 zu Rate zu ziehende Vergleichsrechnung.

54

Allerdings ist nicht auszuschließen, dass i. R. eines Plans durch geschickte Gruppenbildung erheblich in die Rechte einzelner Gläubiger(-gruppen) eingegriffen wird und trotz dieser weitgehenden Beiträge bessere Ergebnisse für die Gläubiger zu erwarten sind als in der Insolvenz. Ein nächstbestes Alternativszenario abseits der Liquidation ist also denkbar. 3.

Going Concern als Maßstab

55

Aus diesem Grund wurde in nahezu allen Stellungnahmen zur Restrukturierungsrichtlinie darauf verwiesen, dass Maßstab für die gebotene Bewertung einer möglichen Benachteiligung nur der Going-Concern-Wert des schuldnerischen Unternehmens sein kann.44) Entsprechend sieht § 6 Abs. 2 Satz 2 vor, dass für die Befriedigungsaussichten ohne Plan grundsätzlich zu unterstellen ist, dass das Unternehmen fortgeführt wird.

56

Eine positive Fortführungsprognose setzt jedenfalls Zahlungsfähigkeit in den nächsten zwölf Monaten sowie das Fehlen von Anhaltspunkten für ein anschließendes Entfallen dieses Tatbestandsmerkmals voraus. Daher stellt sich die Frage, inwieweit eine Bewertung am Maßstab des Going-Concern-Prinzips überhaupt möglich ist, wenn Sanierungsbeiträge erbracht werden sollen. Solche wären nicht erforderlich, wenn eine Fortführungsmöglichkeit auch ohne den Plan besteht. Dies wäre de facto nur bei einer vollständigen Gleichstellung des Gläubigers mit und ohne Plan, also bei _____________ 44) Statt aller: Gravenbrucher Kreis, Gravenbrucher Thesen v. 14.1.2017, ZIP 2017, 203, 204; Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 28.2.2017, S. 11; DK, Stellungnahme Vorschlag der Europäischen Kommission zu präventiven Restrukturierungsverfahren, v. 29.3.2017, S. 17; EBF, Position Paper, v. 21.2.2017, S. 3 f.; DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 zum Vorschlag für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, v. 2/2017, S. 15 f.

826

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

seiner vollständigen Befriedigung, zu erreichen. Dies würde zu einer Schlechterstellung gegenüber dem Going-Concern-Wert führen, was erkennbar dem Regelungszweck der Richtlinie zuwiderläuft. Daher käme allenfalls die Fortführung des Unternehmens auf Basis der dem Plan zugrunde liegenden Unternehmensplanung, unter Berücksichtigung zumindest bestimmter, notwendiger Sanierungsbeiträge als Maßstab, für die Bewertung in Frage.

57

Eine Prüfung aller oder auch nur mehrerer denkbarer Restrukturierungsszenarien ist zum einen wegen des Umfangs unpraktikabel, führt zum anderen wegen der jeweils erforderlichen Mitwirkung anderer Beteiligten nur schwer zu einem belastbaren Ergebnis. In Betracht kommt daher allenfalls ein Test, der Missbrauch ausschließt, weil das Unternehmen evident besser anderweitig – sprich weniger belastend für den widersprechenden Gläubiger – als durch den zur Abstimmung gebrachten Plan saniert werden könnte. Wie aber kann ein solcher Test aussehen?

58

4.

Vergleich mit Sanierungsinstrumenten des angelsächsischen Rechts

Zur Beantwortung dieser Frage hilft zunächst weder der Vergleich mit dem Scheme of Arrangement noch mit dem Chapter 11-Verfahren weiter. Das Scheme knüpft nicht an einen Best-Interest-of-Creditor-Test an, sondern nimmt als Maßstab einen Fairness-and-Reasonable-Test, der erfüllt ist, wenn eine „ehrliche und intelligente, potentiell betroffene Person dem Plan vernünftigerweise zustimmen würde“.45) Der Best-Interest-of-Creditor-Test des Chapter 11-Verfahrens knüpft ebenfalls an Liquidationswerte an, was aus der Logik des Chapter 11-Verfahrens als Insolvenzverfahren folgerichtig ist. Allerdings weist das Scheme nach hier vertretener Auffassung bereits den richtigen Weg. 5.

59

Lösungsvorschlag

Im Sinne einer erfolgreichen Sanierung ist eine pragmatische, einfache und schnelle Bewertungsmethodik erforderlich, die wegen der Tragweite der Konsequenzen und der Eingriffe in Gläubigerrechte dennoch eine treffsichere und nachvollziehbare Entscheidung über die Bestätigung des Plans ermöglicht.

60

Nächstbeste Alternative könnte die Befriedigung der Gläubiger sein, die sich anhand des aus einer Unternehmensbewertung abgeleiteten hypothetischen Kaufpreises einer – ebenfalls hypothetischen – Veräußerung des Unternehmens zum Zeitpunkt der Planbestätigung ergäbe. Je nach Krisenstadium des Unternehmens sind hier Szenarien denkbar, in denen der Wert eines – schuldenfreien – Unternehmens den Wert der Schulden nicht ganz erreicht, ihn trifft oder ihn sogar übersteigt, aber ohne die Eigenkapitalgeber vollständig zu befriedigen. Folgende Herausforderungen sind hierbei zu meistern:

61



Prognoseunsicherheit hinsichtlich des Wertes des Unternehmens;



Abwägung der widerstreitenden Interessen zwischen Schutz des Unternehmens, der Eigentümer und der Gläubiger.

_____________ 45) Bork, IILR Vol. 4/2012, 477.

Langer/Wolf

827

§ 64

Minderheitenschutz

a) Prognoseunsicherheit 62

Grundsätzlich wird eine Abschätzung des Unternehmenswertes bzw. des voraussichtlichen Verkaufserlöses des Unternehmens im Going-Concern-Fall anhand von Ertragswertbetrachtungen, zumindest in Bandbreiten, möglich sein. Sollte eine Verteilung dieser Erlöse anhand der Liquidationsrangfolge zu besseren Ergebnissen führen, als sie der Plan vorsieht, dann wäre dies ein Indiz für einen missbräuchlichen Plan. Zwar wäre zu erwarten, dass ein solcher Plan schon gar nicht die Mehrheit findet, aber um auch hier vorstellbare Missbräuche auszuschließen, erscheint dies als ein mögliches Bewertungsverfahren.

63

Die zu ermittelnden Bandbreiten sind durchaus einem Beurteilungsspielraum unterworfen. Der Schuldner wird regelmäßig i. R. der Planerstellung selbst eine Einschätzung erarbeiten. Sofern diese Einschätzung in handwerklich richtiger Weise dem Plan zugrunde gelegt wird, liegt keine materielle Benachteiligung vor. Der widersprechende Gläubiger wird also durch eine eigene Einschätzung seine Benachteiligung geltend machen müssen. Diese sollte zwingend auf Basis der dem Plan zugrunde liegenden Geschäftsplanung erfolgen. Sofern sich aus dem Vergleich der jeweiligen Unternehmenswerte (= zu erwartende Kaufpreise) oder aus sonstigen vorgetragenen Gründen erheblich andere Ergebnisse für den widersprechenden Gläubiger ergeben, wird eine Klärung mittels des vorgesehenen Sachverständigen notwendig sein. Unerhebliche Abweichungen sollten wegen der für alle Szenarien bestehenden Prognoseunsicherheiten einer Bestätigung des Plans nicht im Wege stehen.

64

Konkrete Kaufangebote, etwa auf Basis eines bereits eingeleiteten Investorenprozesses sollten im Hinblick auf die diesbezüglichen Rechte der Eigentümer, die gewünschte Geschwindigkeit und die Nichtöffentlichkeit des Restrukturierungsrahmens nicht gefordert werden und sind, falls aus anderen Gründen vorliegend, nur i. R. der Gesamtabwägung bei der Beurteilung der Bandbreiten zu berücksichtigen. Solche Angebote können zudem auch immer Ausfluss wettbewerblichen Handelns sein. b) Interessenabwägung

65

Unabhängig von der praktischen Möglichkeit einer solchen Bewertung stellt sich die Frage, inwieweit eine solche Bewertung zulässig ist. Durch sie wird der Druck auf einen zwangsweisen Verkauf des Unternehmens – und damit auf die zwangsweise Enteignung des Eigentümers – erheblich gesteigert. Zur Beantwortung dieser Frage ist es erforderlich herauszuarbeiten, in welcher Fallkonstellation der potentielle Veräußerungserlös die bessere Sanierungsalternative gegenüber dem Plan darstellt. Dies wird regelmäßig zunächst dann der Fall sein, wenn der Plan Sanierungsbeiträge von Gläubigern vorsieht, die im Verkaufsfall zumindest zum Teil der Erwerber tragen würde, was sich dann in einem entsprechend niedrigeren Kaufpreis niederschlagen würde. Das heißt, der potentielle Verkaufserlös verspricht eine höhere Befriedigung für die Gläubiger als die Sanierung, weil die Lasten der Sanierung überproportional von den Gläubigern und nicht von den Eigentümern getragen werden. Oder umgekehrt: Die Sanierung im Plan ist dann attraktiver als der potentielle Verkauf, wenn die Lasten und Risiken überproportional von den Eigentümern getragen werden.

828

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

Ungeachtet der praktischen Herausforderungen einer solchen Bewertung, entspricht dies durchaus der gesetzlich gewollten Risikoverteilung der Unternehmensfinanzierung. So wird etwa ein teilweiser Verzicht auf vertragliche Forderungen der Gläubiger durch den Plan nur dann i. R. einer solchen Bewertung zur Bestätigung des Plans führen, wenn die Ertragskraft des Unternehmens so gering ist, dass eine vollständige Rückführung außerhalb eines Insolvenzverfahrens nicht zu erwarten ist. Dies lässt lediglich einen schmalen Grat zwischen einer solchen Bewertung und der Aufrechterhaltung der Going-Concern-Prämisse zu. Im Hinblick auf die deutschen Regelungen zur Überschuldung als zwingendem Insolvenzgrund hat der Gesetzgeber insofern reagiert, als dass für die vorab zu erstellende Fortbestehensprognose das Ergebnis eines überwiegend wahrscheinlichen Restrukturierungsvorhabens zu berücksichtigen ist. Da mit der angestrebten Restrukturierung die drohende Zahlungsunfähigkeit beseitigt werden muss, kann folglich keine insolvenzrechtliche Überschuldung mehr vorliegen.

66

V. Grundlagen der Bewertung Grundlage der Bewertung sind die im darstellenden Teil und in den Anlagen des Restrukturierungsplans festgehalten grundlegenden Annahmen und Auswirkungen des Plans. In den Unterlagen hat das Ziel des Plans, also die Sanierung, konkret erkennbar zu sein. Maßnahmen müssen entsprechend diesem Ziel dargestellt und deren aktueller Entscheidungsstatus verdeutlicht werden.

67

Wie bereits ausgeführt, ist ein denkbares Alternativszenario die Gesamtveräußerung des Unternehmens. Dabei besteht keine Pflicht, diesen Weg aktiv als Alternativszenario aufzuzeigen. Vielmehr wird dieses Szenario nur als Vergleichsrechnung in Betracht gezogen. Eine Pflicht, einen M&A-Prozess durchzuführen, wird hier abgelehnt.

68

Basis der Bewertung muss zunächst das vom Schuldner i. R. des Plans vorgelegte Sanierungskonzept und der darin enthaltene Businessplan sein. Ein anderes, belastbares Zahlenwerk wird in aller Regel in der Praxis nicht vorliegen. Für die Szenarien ist eine vollständige Angabe der einzelnen Vermögensgegenstände vorzunehmen. Dies sieht die Vermögensübersicht des § 14 Abs. 2 Satz 1 ohnehin vor. Die Aufstellung sollte so weit wie möglich aktuell sein. Der Plan muss ebenfalls alle rechtlichen, wirtschaftlichen und tatsächlichen Verhältnisse angeben und offenlegen.

69

Im Plan sind die Plan-Erfolgsrechnung, die Plan-Vermögensübersicht bzw. PlanBilanz und die Plan-Liquiditätsrechnung bzw. Cashflow-Rechnung zu erläutern (siehe die Kommentierung des entsprechenden § 14).

70

Zusätzlich zu den genannten Bestandteilen der integrierten Unternehmensplanung werden folgende Unterlagen vorzulegen sein bzw. sind ohnehin Bestandteil des mit einzureichenden Sanierungskonzeptes:

71



Geprüfte Jahresabschlüsse der Vorjahre, um den wertmäßig richtigen Aufsatzpunkt der Planung sicherzustellen;



Abbildung der markt- und leistungswirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens sowie dessen Wettbewerbsposition;



Darstellung aller rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens; Langer/Wolf

829

§ 64

Minderheitenschutz



Auflistung, Beschreibung und Wirkung der Maßnahmen des Sanierungskonzeptes sowie deren aktueller Umsetzungsstatus zum Zeitpunkt der Vorlage des Plans;



vollständiger Banken- und Finanzierungsspiegel, etwaig begebene Sicherheiten, Bürgschaften und weitere (schwebenden) Zusagen und Verpflichtungen („offbalance“);



Übersicht der Kreditsicherheiten des Anlage- und Umlaufvermögens;



Stellungnahme der Geschäftsführung des Unternehmens, die beschriebenen Maßnahmen mitzutragen und umzusetzen;



Vergleichsrechnung des Plans mit einer Liquidation und Erläuterung der Annahmen für das Liquidationsszenario.

72

Allgemein wird bei der Unternehmensbewertung ein monetärer Wert für das Unternehmen ermittelt. Dies wird auch als Entity- oder Firm-Value bezeichnet. In Praxis und Theorie wird der Unternehmenswert als Wert des Eigenkapitals betrachtet – im Gegensatz zum Entity- oder Firm-Value –, um eine Vergleichbarkeit zwischen Unternehmen herzustellen. Somit sind unterschiedliche Kapitalstrukturen irrelevant.

73

Ein weiterer Aspekt, der neben der Bewertung des Unternehmens und der Aufteilung dieses Wertes auf die Gläubiger für das Gelingen der Sanierung und eine fehlende Benachteiligung für Gläubiger herangezogen werden sollte, ist die Frage, wie viel Schulden das sanierte Unternehmen tragen kann. Dies wird in aller Regel aus seiner Ertragskraft abzuleiten sein. VI. Mögliche Methodik einer Bewertung

74

Eine Einteilung verschiedener Bewertungsverfahren zur Ermittlung des Unternehmenswertes ist nach Ballwieser:46) –

Einzelbewertungsverfahren (Liquidations- und Substanzwert),



Gesamtbewertungsverfahren (Ertragswert und DCF-Methode),



Überschlagsrechnungen (marktpreisorientierte Verfahren, auch Multiples genannt).

75

Die ebenfalls möglichen Mischverfahren (Mittelwert- und Übergewinnverfahren) werden im Folgenden nicht berücksichtigt. Lediglich Einzel- und Gesamtbewertungsverfahren sowie Überschlagsrechnungen werden genauer betrachtet.

76

Nach Ermittlung des Wertes ist zu prüfen, wie sich der Wert auf die am Plan Beteiligten, also beteiligte Gläubiger und Gesellschafter, verteilt. Kommt diese Rechnung zu einem für den widersprechenden Gläubiger besseren Ergebnis als der Plan, sollte in einem letzten Schritt verprobt werden, ob dieses bessere Ergebnis auch sinnvollen, weil marktgängigen Kriterien der Verschuldung entspricht. Die Sanierung hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn am Ende des Sanierungszeitraums ein refinanzierbares Unternehmen steht.

_____________ 46) S. Ballwieser in: Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 8.

830

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

1.

Einzelbewertungsverfahren

Liquidations- und Substanzwertverfahren sind den Einzelbewertungsverfahren zuzuordnen, deren Bewertungsgrundlage Bilanz und Inventar ist.47) Einzelbewertungsverfahren werden nur dann zur Anwendung kommen, wenn Regelinsolvenzverfahren als realistisches Szenario für die Befriedigungsaussichten der Gläubiger ohne Plan in Frage kommen.

77

a) Ansatz/Grundgedanke Substanzwert- und Liquidationswertverfahren werden in aller Regel die Methode zur Ermittlung in der Liquidation bzw. Insolvenz und somit als das zu erwartende Ergebnis im Falle der Liquidation sein.

78

Beim Substanzwertverfahren wird das Vermögen in betriebsnotwendig und nicht betriebsnotwendig eingeteilt. Die Schulden werden ebenfalls in betriebsnotwendig und nicht betriebsnotwendig unterteilt, wobei erstere in Nominalwerten und letztere mit Ablösebeträgen angesetzt werden. Grundidee des Substanzwertes ist die Ermittlung eines Wertes, welcher durch einen fiktiven Käufer gezahlt wird, um den Nachbau des Unternehmens zu ersparen.48) Bei Substanzwertverfahren kann nach Teil- und Vollrekonstruktionswerten unterschieden werden.49)

79

Das Liquidationswertverfahren, welches im Weiteren genauer beschrieben wird, hat im Gegensatz zum Substanzwertverfahren keine Fortführungsperspektive. Somit werden die einzeln veräußerbaren Vermögensgegenstände mit Einzelzerschlagungswerten angesetzt. Die Erlöse aus der Veräußerung der Aktiva werden dann mit den Ablösebeträgen der Schulden verrechnet.50) Die Residualgröße stellt den Liquidationswert dar, auch Zerschlagungswert genannt. Der Liquidationswert ist in aller Regel die untere Grenze eines zu bewertenden Unternehmens.51)

80

b) Ablauf Ausgehend von einer reinen Bilanzbetrachtung wird der Wert des Unternehmens ermittelt. Die vorhandenen Vermögensgegenstände werden zu Absatz- oder Marktpreisen (entsprechend deren Verfügbarkeit) angesetzt. Zu beachten ist hierbei, dass es möglicherweise für Anlage- und Umlaufvermögen keinen regulierten Markt gibt und aufgrund geringer Nachfrage nach diesen Gütern erhebliche Erlösschmälerungen hingenommen werden müssen. Dies ist u. a. der Marktsituation geschuldet, in der sich das zu liquidierende Unternehmen befindet. Schulden sind zu Ablösebeträgen anzusetzen. Zusätzlich sind die Kosten des Verfahrens (z. B. Transaktionskosten) und weitere anfallende Aufwendungen i. R. der Liquidation zu berücksichtigen und in den (möglichen) Erlös einzubeziehen.52) Diese Aspekte sind ebenfalls im Plan zu berücksichtigen. _____________ S. Ballwieser in: Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 206 f. S. Ballwieser in: Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 207. Zwirner/Zimny in: Petersen/Zwirner, Hdb. Unternehmensbewertung, S. 1035 f., Rz. 8 f. Ballwieser in: Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 206. S. Nadvornik/Sylle in: Feldbauer-Durstmüller/Schlager, Unternehmensbewertung – Bewertung ertragsschwacher Unternehmen, S. 1283, Rz. 60. 52) S. Zwirner/Zimny in: Petersen/Zwirner, Hdb. Unternehmensbewertung, S. 1042 ff., Rz. 17 ff. 47) 48) 49) 50) 51)

Langer/Wolf

831

81

§ 64 82

Minderheitenschutz

Zwei wesentliche Faktoren bei der Umsetzung der Liquidation sind die zeitliche Umsetzung des Prozesses sowie der Grad der Einzelveräußerung. Beide Faktoren kombiniert führen zu einem höheren (mehr Zeit, hoher Grad an Veräußerung) oder niedrigeren (wenig Zeit, Einzelveräußerung der Vermögenswerte) Liquidationserlös.53) c) Betrachtung aus Sicht der Gläubiger

83

Das zu erwartende Ergebnis ist aus Sicht der Gläubiger in zwei Möglichkeiten einzuteilen. Wenn die Erlöse aus der Veräußerung der Vermögensgegenstände die Schulden übersteigen, wird die Befriedigungsquote 100 % betreffen. Der Erlös ist somit positiv. Ergibt sich allerdings bei der Errechnung ein geringerer Erlös als die Summer aus zu befriedigenden Schulden und Kosten, wird die Befriedigungsquote der Gläubiger kleiner als 100 % sein und mit einem Verzicht auf die ausstehenden Forderungen einhergehen.

84

Der Liquidationswert ist, wie oben beschrieben, somit die unterste Wertgrenze für eine Unternehmensbewertung. Darauf basierend wird aus Sicht der Schuldner die Liquidation zur geringsten Befriedigungsquote führen. Bestehen Gläubiger auf eine schnelle Zerschlagung des Unternehmens, wird sich die Befriedigungsquote weiter verringern, da entsprechende Abschläge hinzunehmen sind und Kombinationseffekte aus der Veräußerung nicht gehoben werden können. d) Wertung/Kritik

85

Die Liquidationswert-/Substanzwert-Ermittlung ist eine einfache Methode einen Unternehmenswert zu ermitteln, wobei sich die Umsetzung wie oben beschrieben schwierig gestalten kann. Die Ableitung aus der Bilanz ermöglicht eine schnelle Bewertung, da diese auf den vorhandenen Vermögenswerten aufsetzt. Allerdings liegt in der Einfachheit dieser Methode auch die kritische Würdigung. Die Perspektive liegt allein auf der Gegenwart ohne jegliche Einbeziehung einer zukünftigen Entwicklung. Somit können die beizulegenden Werte von wirtschaftlichen Zyklen negativ betroffen sein und nur einen Bruchteil möglicher zukünftiger Marktwerte darstellen.

86

Zu Recht wird in vielen Stellungnahmen deshalb eingewandt, dass dies nicht der alleinige Maßstab für die Frage sein kann, ob der widersprechende Gläubiger durch den Plan benachteiligt wird oder nicht. 2.

Gesamtbewertungsverfahren

a) Ansatz/Grundgedanke 87

Bei Gesamtbewertungsverfahren wird ein allgemeiner Aspekt der Investitionstheorie berücksichtigt, dass Unternehmen als Investitionsobjekt betrachtet werden und den Eigentümer finanzielle Mittel (Überschüsse) zufließen lassen. In der englischen Sprache wird vom Cashflow gesprochen, im deutschen vom Ertrag. Beide zielen auf die Eigentümer des Unternehmens ab. Bei der Berechnung des Unternehmenswertes wird ein Bruttokapitalwert errechnet. Bekannte Methoden für diese Berechnung _____________ 53) Vgl. dazu WP-Handbuch, Bd. II, Abschn. A Rz. 385; Großfeld in: Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, S. 107, und Nadvornik/Sylle in: Feldbauer-Durstmüller/ Schlager, Unternehmensbewertung – Bewertung ertragsschwacher Unternehmen, S. 1282, Rz. 58 f.

832

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

lauten Ertragswertverfahren und Discounted-Cash-Flow-(DCF)-Verfahren, welche im Folgenden genauer dargestellt werden.54) Im Vergleich zu den vorher beschriebenen Liquidationswertverfahren ist eine der zentralen Prämissen die Fortführung, also die wirtschaftliche Weiterführung der Unternehmensaktivitäten nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB zugrunde gelegt. Dies zeigt sich in der zukunftsorientierten Ausrichtung der Methoden. Ertragswert- und DCFVerfahren sind somit Fortführungsbewertungen, sowie die im nächsten Abschnitt beschriebene Überschlagsrechnung (Multiple-Methode).

88

Grundsätzlich können diese Verfahren im Vergleich zur Liquidation als eine mögliche Wertobergrenze zur Bewertung eines Unternehmens angesehen werden.

89

b) Ablauf Bevor beide Verfahren genauer beschrieben werden, ist allgemein festgehalten, dass sowohl das Ertragswertverfahren als auch die verschiedenen DCF-Verfahren zum gleichen Ergebnis führen.55)

90

Das Ertragswertverfahren besteht aus den drei wesentlichen Komponenten:

91



geplante Nettozahlungen an die Eigentümer,



Kapitalisierungszinssatz und



Zeitpunkte der prognostizierten Nettozahlungen sowie deren Laufzeit.56)

Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) beschreibt im Standard Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen57) in der Definition des Ertragswertverfahrens die Diskontierung der Nettozahlungen, welche sich aus der zukünftigen Unternehmensplanung ergibt.58)

92

Somit stellt eine Planungsrechnung nach entsprechenden handelsrechtlichen oder ähnlichen Bilanzierungsvorschriften, bestehend aus Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz und Kapitalflussrechnung, die Basis für eine Unternehmensbewertung nach dem Ertragswertverfahren dar. Nach Ballwieser und dem IDW S 1 wird die Ermittlung des Ertragswertes durch eine Vergangenheits- und Lageanalyse sowie einer Ertragsprognose ermittelt. Vergangenheits- und Lageanalyse sind notwendig, um Erkenntnisse auf den derzeitigen Zustand und entsprechende Auswirkungen für die Zukunft zu treffen. Hinter der Gesamtplanung stehen verschiedene Annahmen zur zukünftigen Entwicklung des Unternehmens.59)

93

Für jedes geplante Jahr ergibt sich ein bereinigtes Ergebnis, welches auf den gegenwärtigen Betrachtungszeitpunkt zu diskontieren ist. Um den Barwert zu ermitteln,

94

_____________ 54) Ballwieser in: Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 8 f. 55) Ballwieser in: Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 140 f.; s. Drukarczyk, Unternehmensbewertungen, S. 199. 56) Ballwieser in: Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 13 f. 57) IDW, Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i. d. F. 2008), Stand: 4.7.2016, IDW Life 8/2016, S. 731. 58) IDW, Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i. d. F. 2008), Stand: 4.7.2016, Rz. 102 ff., IDW Life 8/2016, S. 731. 59) Ballwieser in: Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 17 ff., 43 ff., 47 ff.

Langer/Wolf

833

§ 64

Minderheitenschutz

ist ein Kapitalisierungszinssatz notwendig. Wesentlicher Grundgedanke bei der Ermittlung des Zinssatzes ist die Rendite einer vergleichbaren Anlagealternative eines Investors. Dabei wird nach dem IDW S 1 nach der objektiven und der subjektiven Ermittlung des Unternehmenswerts unterschieden. Ohne beide Möglichkeiten im Detail zu beschreiben, basiert die objektive Ermittlung auf Kapitalmarktrenditen und die subjektive Ermittlung auf der individuellen Renditeerwartung des Investors.60) 95

Nach der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes werden die jährlichen Nettozahlungen diskontiert und aufsummiert. Die Abzinsung wird in zwei Phasen vorgenommen: der Detailierungsplanphase und der Phase der ewigen Rente.

96

Die Formel für variable Nettozahlungen in der Detailierungsplanphase und gleichbleibenden Nettozahlungen in der zweiten Phase ist wie folgt:61) T

EW

Et

¦ 1  i t 1

t



ET  1 T

i 1  i

EW = Ertragswert T

= Planungshorizont

t

= Periodenindex

Et

= bereinigter Ertrag in Periode t

ET+1 = konstante Ertragsgröße für anfallende Renten I

= sicherer Zinsfuß

97

Abschließend ist der Unsicherheitsfaktor für das Eintreten der geplanten Ergebnisse zu erwähnen und die Anwendung von Sicherheitsäquivalenten, um mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Erfolgs- und Risikoabschlägen die Unsicherheit im Bewertungsmodell abzubilden.62)

98

Bei den DCF-Verfahren wird grundlegend zwischen der Entity- und der EquityMethode unterschieden. Unter den Entity-Verfahren wird zwischen dem APV (Adjusted-Present-Value)-Ansatz sowie dem WACC (Weighted-Average-Cost-ofCapital)-Ansatz unterschieden, wobei bei dem WACC-Ansatz noch zwei weitere Ausprägungen bzgl. der Abzugsfähigkeit von Fremdkapitalzinsen und der daraus entstehenden Steuervorteile (auch Tax Shield genannt) existieren.63) Grundsätzlich ist zu sagen, dass alle DCF-Verfahren zum gleichen Unternehmenswert führen.64)

99

Im Vergleich zu den Entity-Verfahren, nimmt das Equity-Verfahren die Kapitalstruktur und deren Auswirkungen als gegeben hin und konzentriert sich auf Free-Cash_____________ 60) Vgl. IDW, Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i. d. F. 2008), Stand: 4.7.2016, Rz. 113 ff., 123 f., IDW Life 8/2016, S. 731. 61) Ballwieser in: Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 63 ff. 62) Ballwieser in: Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 69 ff. 63) S. Drukarczyk, Unternehmensbewertungen, S. 199 f.; Ballwieser/Hachmeister in: Ballwieser/ Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 140 ff. 64) S. Drukarczyk, Unternehmensbewertungen, S. 199 f.

834

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

flow-to-Equity.65) Somit berücksichtigt der Equity-Ansatz den Cashflow der den Eigentümern (auch Flow-to-Equity) zugeht, wenn die zahlungswirksamen Auswirkungen der Finanzierungs-, Investitions- und Steuerpolitik berücksichtigt sind. Dieser Cashflow-to-Equity wird mit einem Diskontierungszinssatz verrechnet, welcher das Investitionsrisiko und vorhandene Finanzierungsrisiko des Unternehmens abbildet.66) In vereinfachter Form werden, ausgehend von einem Jahresüberschuss/-fehlbetrag, nicht-zahlungswirksame Aufwendungen (z. B. Abschreibungen, Aufwendungen für Rückstellungen) hinzugerechnet und die getätigten Investitionen in das Anlagevermögen subtrahiert, um zum Cashflow-to-Equity zu gelangen.67) Der finale Unternehmenswert, der den Wert des Eigenkapitals darstellt, wird ausgehend vom Gesamtwert des Unternehmens (auch Enterprise-Value genannt) und abzgl. des Marktwertes des Fremdkapitals (auch Debt-Value) errechnet. Prinzipieller Unterschied zwischen den Verfahren innerhalb der Entity-Methode ist die Berücksichtigung der Finanzierung des Unternehmens und die daraus entstehende Betrachtung von Steuervorteilen.

100

Ohne auf die Details der Verfahren einzugehen, werden die einzelnen Entity-Verfahren kurz beschrieben.

101



Der APV-Ansatz setzt eine fiktive Eigenfinanzierung des Unternehmens voraus; die Cashflows nach Steuern werden mit den Eigenkapitalkosten diskontiert. Hinzugerechnet wird der Werteffekt, welcher sich aus einer anteiligen Fremdfinanzierung ergibt. Der Wert des Fremdkapitals wird subtrahiert und ergibt den Wert des Eigenkapitals.



Der WACC-Ansatz, basierend auf dem Free-Cashflow für Eigentümer, errechnet den durchschnittlichen Kapitalkostensatz und berücksichtigt somit die unterschiedlichen Kostensätze für Eigen- und Fremdkapital sowie deren prozentuales Verhältnis. Die Free-Cashflows werden dann mit dem durchschnittlichen Kapitalkostensatz diskontiert. Der WACC-Ansatz, basierend auf dem Total-Cashflow (auch Capital-Cashflow-Ansatz genannt), berücksichtigt die Zahlungsströme an Eigentümer und Gläubiger, welche ebenfalls durch den errechneten WACC vor Steuern diskontiert werden.68)

c) Betrachtung aus Sicht der Gläubiger Aus Sicht der Gläubiger sind die Gesamtbewertungsverfahren zu präferieren, da diese eine Weiterführung des Kapitaldienstes und der Bedienung der ausstehenden Forderungen unterstellen. Durch das Erwirtschaften von Überschüssen kann davon ausgegangen werden, dass die Befriedigungsquote der Gläubiger höher ausfällt als beim Vergleich zu den oben beschriebenen Liquidationswerten. Allerdings liegt der Rückzahlungszeitraum in der Zukunft und ist entsprechend mit Unsicherheit versehen. Wie oben beschrieben, werden die Verfahren unter zukünftigen Annahmen _____________ 65) 66) 67) 68)

S. Drukarczyk, Unternehmensbewertungen, S. 200, 301 ff. S. Drukarczyk, Unternehmensbewertungen, S. 200, 301. Ballwieser in: Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 35 ff. Drukarczyk, Unternehmensbewertungen, S. 200 ff.

Langer/Wolf

835

102

§ 64

Minderheitenschutz

durchgeführt und folgen einer komplexen Bewertungslogik, welche die Gläubiger vor das Problem der Nachvollziehbarkeit der Bewertung stellen wird. d) Wertung/Kritik 103

Die zukunftsorientierte Betrachtung der Gesamtbewertungsverfahren (Ertragswertund DCF-Verfahren) ermöglicht eine zeitlich weiter gefasste Perspektive als die Gegenwartsbetrachtung der Liquidationswerte. Die sich auf die Zukunft beziehenden Annahmen führen zu Diskussionen über Höhe und Herleitung unter den beteiligten Gläubigern. Ebenfalls ist die Erstellung der Bewertung einem entsprechenden Berufsstand zu überlassen, da notwendige Anpassungen und Annahmen bezogen auf den Unternehmensplan sowie die Einschätzung der zukünftigen Marktentwicklung berücksichtigt werden müssen. Die Schwierigkeit liegt in der angemessenen Wahl der Annahmen für die Unternehmensplanung sowie die Herleitung der Diskontierungszinssätze. Diese Zinssätze müssen das Risiko der Unternehmung darstellen und fallen im Sanierungsfall entsprechend hoch aus. Auf Basis der technischen Berücksichtigung der ewigen Rente ergibt sich ein wertmäßig hoher Teil, welcher bei ertragsschwachen Unternehmen entsprechend anzupassen ist und aufgrund der hohen Unsicherheit wohl sehr gering ausfallen wird. 3.

Überschlagsrechnungen

a) Ansatz/Grundgedanke 104

Als weitere Fortführungsmethode sind Überschlagsrechnungen (auch Multiples genannt) denkbar. Diese basieren auf einem Referenzparameter (z. B. Umsatz, EBITDA, EBIT) und werden mit einem Faktor (Multiple) multipliziert. Grundsätzlich wird dabei in die Kategorien Transaktions- und Trading-Multiples unterschieden. Trading-Multiples sind vorhandene Bezugsgrößen, welche sich auf börsennotierte Unternehmen beziehen. Transaktions-Multiples beziehen sich auf durchgeführte Transaktionen und ergeben sich aus den realisierten Verkaufspreisen. Quellen für diese Multiples sind Datenbanken (z. B. Capital IQ), welche entsprechende Transaktionen in verschiedenen Industrien hinterlegt haben.69) b) Ablauf

105

Ausgehend von Transaktions-Multiples wird bei der Berechnung des Unternehmenswertes eine Bandbreite ermittelt. Diese ergibt sich aus den vorhandenen vergleichbaren Transaktionen innerhalb der Peergroup des zu bewertenden Unternehmens. Die Multiples werden entsprechend mit der Bezugsgröße (Umsatz, EBITDA, EBIT) multipliziert und der Gesamtwert des Unternehmens errechnet. Vom Gesamtwert müssen dann die Finanzverbindlichkeiten abgezogen werden, um den Wert des Eigenkapitals zu bestimmen.70)

106

Trading-Multiples kommen nur bei börsennotierten Unternehmen zum Einsatz und berücksichtigten u. a. die Aktienkursschwankungen des Unternehmens. _____________ 69) Ballwieser in: Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 215 f. 70) Ballwieser in: Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, S. 215 ff.

836

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

c) Betrachtung aus Sicht der Gläubiger Bei außergerichtlichen Sanierungen wird dieses Verfahren wegen seiner Einfachheit und Praktikabilität sehr häufig als Maßstab zur Beurteilung der Sinnhaftigkeit von Sanierungskonzepten aus Gläubigersicht verwendet. Eine spezielle Berücksichtigung des Kapitaldienstes und die Befriedigung von Forderungen sind aus Sicht der Gläubiger nicht gegeben. Es findet somit eine Gleichsetzung des Unternehmens mit einem Branchendurchschnitt statt. Unternehmensspezifische Aspekte wie Gläubiger- und Finanzierungsstruktur oder Produktmix werden außen vor gelassen.

107

d) Wertung/Kritik Überschlagsrechnungen sind auf Basis Ihrer Einfachheit schnell und verständlich erstellbar. Die zugrunde gelegte Bezugsgröße wird als konstant angenommen und somit werden jährliche Unterschiede im Planungshorizont nicht berücksichtigt. Die teils kurzfristige Sichtweise im Sanierungsfall wird hierbei ausgeblendet und alle Perioden gleichbehandelt. Die Schwierigkeit der Bestimmung der Multiples liegt in der Situation des Unternehmens selber.

108

Oben beschriebene vergleichbare Transaktionen beziehen sich auf Unternehmen im „Normalzustand“ und selten im Sanierungsfall. Daher sind Peergroup-Multiples nach unten anzupassen, wenn es sich nicht um Unternehmen im Sanierungsfall handelt bzw. der Unternehmenswert am unteren Ende der Bandbreite als wahrscheinlich „richtig“ anzusehen.

109

VII.

Fallbeispiel

Anhand eines stark vereinfachten Beispiels eines sanierungsbedürftigen Unternehmens soll die Bewertung der Situation verdeutlicht werden.

110

Im hier gebildeten Beispiel soll es sich um eine Kapitalgesellschaft im Industriesektor handeln. Zunächst war keine langfristige Fremdfinanzierung vorhanden. Im Jahr vor der Restrukturierung wurde eine Wachstumsfinanzierung (mit Endfälligkeit) für eine Investition in Anlagevermögen aufgenommen, die mit einem Zinssatz von 4 % p. a. verzinst wurde. Aufgrund sich ändernder Rahmenbedingungen lassen sich die ehrgeizigen Wachstumsziele nicht erreichen, Umsätze stagnieren, sodass das Unternehmen trotz der Investitionen weder die operative Situation (GuV) noch die Vermögens- und Finanzierungsstruktur (Bilanz) verbessern kann. Um liquide zu bleiben, werden die Investitionen zurückgefahren:

111

Gewinn- und Verlustrechnung (in Mio. €)

112

Gesamtleistung Material- und Personalaufwand EBITDA

Jahr –2 (vor Finanzier)

Jahr –1 (Aufn. FK)

Jahr 0 (RestruPlan)

Jahr 1

Jahr 2

Jahr 3 (Endfälligkeit FK)

250

250

250

250

250

250

–225

–225

–225

–225

–225

–225

25

25

25

25

25

25

Langer/Wolf

837

§ 64 Abschreibung

–15

–20

–20

–20

–20

10

5

5

5

5

5

Zinsen

0

–8

–8

–8

–8

–8

EBT

10

–3

–3

–3

–3

–3

Steuer

–3

0

0

0

0

0

7

–3

–3

–3

–3

–3

AV + UV

150

347

344

341

338

335

Summe Aktiva

150

347

344

341

338

335

50

50

50

50

50

50

–3

–6

–9

–12

–15

Bilanz (in Mio. €)

Eigenkapital Kumulierte Verluste Summe EK

50

Fremdkap. langfr.

114

–20

EBIT

Jahresüberschuss/ -fehlbetrag

113

Minderheitenschutz

47

44

41

38

35

200

200

200

200

200

Fremdkap. kurzfr.

100

100

100

100

100

100

Summe Passiva

150

347

344

341

338

335

7

–3

–3

–3

–3

–3

+ Abschreibung

15

20

20

20

20

20

= Operativer CF

22

17

17

17

17

17

Investitionen

15

217

17

17

17

17

= Investitions-CF

15

197

17

17

17

17

Cashflow-Rechnung (in Mio. €) Jahresüberschuss/ -fehlbetrag

Neuaufnahme FK

200

Tilgung

–200

= FinanzierungCF

0

200

0

0

0

–200

Free Cashflow

7

0

0

0

0

–200

838

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz Kennzahlen

Jahr –2

Jahr –1

Jahr 0 (Restrukt.Plan)

Jahr 1

Jahr 2

Jahr 3 (Endfälligkeit FK)

25

25

25

25

25

25

Verschuldungsgrad EBITDA Fremdkapital

0

200

200

200

200

200

0x

8x

8x

8x

8x

8x

Kapitaldienst

0

8

8

8

8

208

Zins

0

8

8

8

8

8

Tilgung

0

0

0

0

0

200

Gesamt

Anmerkung: Steuereffekte (v. a. Verlustvorträge) sind nicht berücksichtigt. Es erfolgt eine Jahresendbetrachtung; unterjährige Effekte bleiben ebenfalls unberücksichtigt.

Ausgehend vom oben dargestellten Beispiel werden nun verschiedene Szenarien genauer betrachtet: –

Erwartetes Ergebnis ohne Restrukturierung;



erwartetes Ergebnis gemäß Restrukturierungsplan des Unternehmens;



erwartetes Ergebnis im Falle der Insolvenz;



erwartetes Ergebnis im nächstbesten Alternativszenario basierend auf einem Gesamtbewertungs- und Überschlagswertverfahren.

1.

Erwartetes Ergebnis ohne Restrukturierung

115

Durch die Aufnahme der Fremdfinanzierung i. H. von 200 Mio. € (im Jahr –1) und der damit verbundenen Zinslast bei gleichzeitig ausbleibendem Wachstum (ab Jahr 0) entsteht ein negatives Jahresergebnis, welches zu einer sukzessiven Verringerung des Eigenkapitals führt. Des Weiteren werden keine Zahlungsüberschüsse generiert, um die Ablösung der Fremdfinanzierung in Jahr 3 zu ermöglichen. Das Unternehmen ist nicht in der Lage den Kapitaldienst (im Beispiel nur Zinsaufwendungen) aus dem operativen Geschäft zu bedienen. Des Weiteren ist es nicht in der Lage Investitionen i. H. der Abschreibungen zu tätigen (17 ggü. 20), wodurch bei Fortschreibung langfristig die Substanz des Unternehmens gefährdet ist. Mit Blick auf die Endfälligkeit der Fremdfinanzierung in Jahr 3 ist zu erkennen, dass eine Rückführung aus eigenen Mitteln nicht möglich ist; eine Refinanzierung erscheint im Hinblick auf die Verluste und den Verschuldungsgrad von 8x EBITDA sehr unwahrscheinlich.

116

Im Jahr der Endfälligkeit der Fremdfinanzierung ist ein Kapitaldienst i. H. von 208 Mio. € (Zinsen und Tilgung) zu leisten. Dem Unternehmen droht somit die Insolvenz spätestens im Jahr 3.

117

Langer/Wolf

839

§ 64 2.

Minderheitenschutz

Erwartetes Ergebnis gemäß Restrukturierungsplan des Unternehmens

118

Ausgehend von der beschriebenen Situation und der entsprechenden Vorausschau beschließt das Unternehmen einen Restrukturierungsplan zu erstellen. Der vorgelegte Plan sieht als Sanierungsbeitrag der Finanzgläubiger einen Teilverzicht i. H. von 150 Mio. € („Haircut“) auf die bestehenden Finanzverbindlichkeiten von 200 Mio. € vor.

119

Die Umsetzung der geplanten Sanierungsbeiträge hat folgende finanzwirtschaftlichen Effekte:

120



GuV: Zinsaufwendungen sinken, welche das Jahresergebnis entlasten und zu einem positiven Jahresüberschuss führen, im Jahr 0 entsteht ein außerordentlicher Ertrag ungefähr i. H. des Haircuts von 150 Mio. €.



Bilanz: Zahlungsüberschüsse werden erwirtschaftet, Investitionen in das Anlagevermögen werden i. H. der Abschreibungen getätigt, das Eigenkapital entwickelt sich positiv, das langfristige Fremdkapital wird um 150 Mio. € reduziert.



Cashflow-Rechnung: Operativer Cashflow steigt, Investitions-Cashflow steigt auf die Höhe der Abschreibungen, es entsteht ein positiver Free-Cashflow.

Gewinn- und Verlustrechnung (in Mio. €)

Gesamtleistung EBITDA EBIT – Zinsaufwendungen

Jahr –1

Jahr 0 (Restru-Plan)

Jahr 1

Jahr 2

Jahr 3 (Endfälligkeit FK)

250

250

250

250

250

25

25

25

25

25

5

5

5

5

5

–8

–8

–2

–2

–2

a. o. Ertrag Jahresüberschuss

121

150 –3

147

3

3

3

347

344

344

344

344

Bilanz (in Mio. €) AV + UV Kasse





3

6

9

347

344

347

350

353

Eigenkapital

50

50

50

50

50

Kumulierte Verluste/Gewinne

–3

144

147

150

153

Summe EK

47

194

197

200

203

Summe Aktiva

Fremdkap. langfr.

200

50

50

50

50

Fremdkap. kurzfr.

100

100

100

100

100

Summe Passiva

347

344

347

350

353

840

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

Cashflow-Rechnung (in Mio. €) = Operativer CF

122

17

17

23

23

23

= Investitions-CF

–217

–17

–20

–20

–20

Neuaufnahme FK

200

0

0

0

50

200

0

0

0

0

0

0

3

3

3

Jahr –1

Jahr 0 (Restru-Plan)

Jahr 1

Jahr 2

Jahr 3 (Endfälligkeit FK)

25

25

25

25

25

200

50

50

50

50

8x

2x

2x

2x

2x

Zins

8

8

2

2

2

Tilgung

0

0

0

0

50

Gesamt

8

8

2

2

52

Tilgung = Finanzierung-CF Free Cashflow

Kennzahlen

–50

Verschuldungsgrad EBITDA Fremdkapital

Kapitaldienst

Die Durchführung des Haircut führt zu positiven Erträgen sowie Zahlungsüberschüssen. Die Investitionen können in der notwendigen Höhe getätigt werden. Des Weiteren sinkt die Verschuldung von 8xEBITDA auf 2xEBITDA und ermöglicht somit eine Refinanzierung des verbleibenden Betrages von 50 Mio. €. Damit sind die Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung i. S. einer nachhaltigen Sanierung erfüllt.

123

Die Frage ist, ob der vorgelegte Plan dem Best-Interest-of-Creditor-Kriterium entspricht. Dazu müsste der Plan für die Gläubiger mindestens genauso gute Ergebnisse liefern, wie eine Insolvenz.

124

3.

Erwartetes Ergebnis im Falle der Insolvenz

Ausgehend von der Betrachtung der Situation in Jahr 0 und mit dem Blick nach vorne ohne deutliche Besserung, wird eine Liquidation wie folgt ausgestaltet sein: Die Vermögensgegenstände auf der Aktiva sind in Anlage- und Umlaufvermögen eingeteilt, wobei das Umlaufvermögen als Besicherung für die kurzfristigen Verbindlichkeiten dient. Durch diesen verlängerten Eigentumsvorbehalt sind die kurzfristigen Verbindlichkeiten vollständig besichert und die Gläubiger der Langfristverbindlichkeiten können nur auf die Veräußerungserlöse des Anlagevermögens zugreifen.

125

Somit wird das im Beispiel vorhandene Anlagevermögen veräußert und unter Berücksichtigung von Erlösschmälerungen (–79 %) einen Verkaufserlös von 50 Mio. € erzielen. Der hohe Abschlag ist der speziellen Ausstattung des Maschinenparks und

126

Langer/Wolf

841

§ 64

Minderheitenschutz

der geringen Marktnachfrage geschuldet. Kosten für die Veräußerung bleiben unberücksichtigt. 127

Die Verkaufserlöse i. H. von 50 Mio. € stehen einem Ablösebetrag der langfristigen Schulden von 200 Mio. € gegenüber. Im Rahmen der Liquidation wird somit für die langfristigen Gläubiger eine Befriedungsquote von 25 % (50/200) realisiert.

128

Liquidationswert Angaben in Mio. €

Jahr 0

Aktiva

Passiva

AV + UV

344

davon AV

244 Fremdkapital langfr.

200

davon UV

100 Fremdkapital kurzfr.

100

Erlösschmälerung

–79 %

= Veräußerungserlöse des Anlagevermögens Insolvenzwert

129

50 ÅÆ Fremdkapital langfr.

200

–150

Die im Beispiel dargestellte Befriedigungsquote liegt unter 100 % und es ergibt sich ein negativer Insolvenzwert i. H. von –150 Mio. €. Der oben beschriebene Plan des Unternehmens führt damit in dem vereinfachten Beispiel zumindest zu genauso guten Ergebnissen für die Gläubiger wie die Insolvenz. 4.

130

Jahr 0

Nächstbestes Szenario basierend auf dem Gesamtbewertungs- und Überschlagsverfahren

Anhand der hier vorgeschlagenen Bewertungsmethode ergibt sich jedoch, dass vermutlich ein für die Finanzgläubiger besseres Alternativszenario vorhanden ist. 5.

Gesamtbewertungsverfahren am Beispiel des Ertragswertverfahren

131

Wie bereits oben beschrieben, wird ausgehend vom Jahresergebnis eine Adjustierung vorgenommen, um den bereinigten Ertrag bzw. den Flow-to-Equity (Bezeichnung im DCF-Verfahren) zu erhalten.

132

Wert des Eigenkapitals Jahr 0 (Restru-Plan)

Jahr 1

Jahr 2

Jahr 3 (Endfälligkeit FK)

Jahresüberschuss

–3

–3

–3

–3

+ Abschreibungen

20

20

20

20

– Investitionen in Anlagevermögen

–17

–17

–17

–17

0

0

0

0

Bereinigter Ertrag/ Flow-to-Equity

842

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

Auf Basis der bereinigten Erträge ist im Beispiel zu erkennen, dass der Wert des Eigenkapitals der Gesellschaft 0 ist. Dies resultiert aus der Summe der diskontierten bereinigten Erträge/Flows-to-Equity. Hieraus ist abzuleiten, dass ein Verzicht auf Rückzahlung des Fremdkapitals („Haircut“) für das Fortbestehen des Unternehmens notwendig ist. Im Beispiel wird mit einem Verzicht von 100 Mio. € gerechnet. Die wesentlichen Veränderungen durch das Instrument Haircut wurden bereits beschrieben (siehe unter Rz. 118 ff.) und unterscheiden sich nur in der Ausprägung der Effekte.

133

Gewinn- und Verlustrechnung (in Mio. €)

134

Gesamtleistung EBITDA EBIT – Zinsaufwendungen

Jahr –1

Jahr 0 (Restru-Plan)

Jahr 1

Jahr 2

Jahr 3 (Endfälligkeit FK)

250

250

250

250

250

25

25

25

25

25

5

5

5

5

5

–8

–8

–4

–4

–4

1

1

1

a. o. Ertrag Jahresüberschuss

100 –3

97

Bilanz (in Mio. €) AV + UV Kasse Summe Aktiva

135 347

344

344

344

344





1

2

3

347

344

345

346

347

Eigenkapital

50

50

50

50

50

Kumulierte Verluste/ Gewinne

–3

94

95

96

97

Summe EK

47

144

145

146

147

Fremdkap. langfr.

200

100

100

100

100

Fremdkap. kurzfr.

100

100

100

100

100

Summe Passiva

347

344

345

346

347

17

17

21

21

21

= Investitions-CF

–217

–17

–20

–20

–20

Neuaufnahme FK

200

0

0

0

100

200

0

0

0

0

0

0

1

1

1

Cashflow-Rechnung (in Mio. €) = Operativer CF

136

Tilgung = Finanzierung-CF Free Cashflow

–100

Langer/Wolf

843

§ 64 Kennzahlen

Minderheitenschutz Jahr –1

Jahr 0 (Restru-Plan)

Jahr 1

Jahr 2

Jahr 3 (Endfälligkeit FK)

Verschuldungsgrad EBITDA

25

25

25

25

25

200

100

100

100

100

8x

4x

4x

4x

4x

Zins

8

8

4

4

4

Tilgung

0

0

0

0

100

Gesamt

8

8

4

4

104

Fremdkapital

Kapitaldienst

137

Wie bereits oben beschrieben, erlangt das Unternehmen wieder eine positive Ertragslage, generiert Zahlungsüberschüsse und verringert den Verschuldungsgrad, allerdings mit einem geringen Effekt. Es ist zu erkennen, dass im gewählten Beispiel ein Teilverzicht von den Gläubigern gegenüber dem Unternehmen von mindestens 100 Mio. € notwendig ist. Ein geringerer Verzicht der Gläubiger würde das Unternehmen nicht nachhaltig sanieren. Hierbei ist zu beachten, dass für die Sanierungsfähigkeit positive Zahlungsüberschüsse generiert werden müssen. Ein Verzicht von weniger als 100 Mio. € führt zu einem Anstieg der Zinsbelastung und somit zu einem Null-Ergebnis in der GuV- als auch in der Cashflow-Betrachtung.

138

Die unterschiedlichen Auswirkungen von dem im Plan des Unternehmens vorgeschlagenen Teilverzicht von 150 Mio. € (siehe unter Rz. 118 ff.) und dem Teilverzicht im alternativen Szenario von 100 Mio. € ist in der folgenden Tabelle kurz zusammengefasst.

139

Vergleich Plan des Unternehmens

Nächstbestes alternatives Szenario

Jahr 0: 8

Jahr 0: 8

Folgejahre: 2

Folgejahre: 4

Jahr 0: 147

Jahr 0: 97

Folgejahre: 3

Folgejahre: 1

Jährliche Kassen-Veränderung

3

1

Operativer Cashflow p. a.

Folgejahre: 23

Folgejahre: 21

Free Cashflow p. a.

Folgejahre: 3

Folgejahre: 1

Verschuldungsgrad

Von 8x auf 2x EBITDA

Von 8x auf 4x EBITDA

Wahrscheinlichkeit der Refinanzierung in Jahr 3

Hoch

Gegeben

Gläubigerbeitrag (in Mio. €)

150

100

Zinsaufwand

Jahresüberschuss

844

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

6.

Bewertung im Überschlagsverfahren

Als Beispiele für eine Unternehmensbewertung nach dem Überschlagsverfahren wird im Folgenden das EBITDA-Multiple Verfahren vorgestellt und angewendet. Ausgehend vom EBITDA im Jahr 0 wird ein vergleichbarer EBITDA-Multiple für die Industrie im Vergleich zur Peergroup benötigt. Ein möglicher Multiple-Faktor kann in der Bandbreite 4x bis 8x sein mit der Annahme, dass am unteren Ende der Bandbreite sanierungsnotwendige Unternehmen zu finden sind. Alternativ kann von einem Industrie-Multiple ein Risikoabschlag vorgenommen werden, um die Situation des Unternehmens im Vergleich zur Industrie abzubilden.

140

In der weiteren Rechnung wird das untere Ende der Bandbreite verwendet. Bei der Multiplikation des EBITDA des Unternehmens (25 Mio. €) mit dem EBITDA-Multiple (4x) ergibt sich ein Gesamtunternehmenswert von 100 Mio. €. Hiervon muss der Nettowert der Finanzverbindlichkeiten i. H. von 200 Mio. € abgezogen werden. Dies ergibt einen negativen Unternehmenswert i. H. von –100 Mio. €. Auf Basis eines Teilverzichts der Gläubiger i. H. von mindestens 100 Mio. € ergäbe dies einen neutralen Marktwert des Eigenkapitals von 0. Somit ist ein Verzicht der Gläubiger von 100 Mio. € notwendig, um das Unternehmen neutral und ein Gläubigerverzicht von mehr als 100 Mio. € notwendig, um es positiv bewerten zu können.

141

Die dargestellten Beispiele verdeutlichen die unterschiedlichen Herangehensweisen einer Unternehmensbewertung i. R. der Sanierung/Restrukturierung sowie eine Bandbreite für den Wert des Unternehmens. Erkennbar ist, dass die Wertuntergrenze durch den Liquidationswert gekennzeichnet ist und als Orientierung für die weiteren Verfahren dient. Allerdings zeigen die weiteren Bewertungsverfahren, dass vergleichbare Eingriffe (75 %-Verzicht der Forderungen durch die Gläubiger) zwar zur gleichen gegenwärtigen Aussage führen, jedoch einen gänzlich unterschiedlichen Blick auf die Generierung von Zinszahlungen in der Zukunft haben. Anhand der Bewertungsverfahren ergibt sich, dass eine für die Gläubiger bessere Alternative vorhanden ist. Somit sollte bei der Bewertung zur Schlechterstellung stets auch das nächstbeste Alternativszenario als Maßstab in Betracht gezogen werden, auch wenn dessen Bewertung im Einzelfall mit erheblichen Herausforderungen verbunden sein wird.

142

VIII. Kritische Würdigung und Korrektiv anhand marktgängiger Kriterien der Verschuldung Wie das Beispiel zeigt, lassen sich ggf. für die Gläubiger bessere alternative Szenarien anhand von Bewertungsmethoden ermitteln. Die Anforderungen dürfen im Hinblick auf die Prognoseunsicherheiten nicht zu hoch angelegt werden. Es bleibt festzuhalten, dass alle gängigen Bewertungsverfahren sehr aufwändig sind und deshalb viel Zeit benötigen, die in Sanierungssituationen häufig gerade nicht gegeben sein wird. Sie basieren auf Annahmen und Prognosen und sind deshalb mit Unsicherheiten behaftet. Daher wird in der Praxis eine pragmatische Bewertung angezeigt und in jedem Fall ein zusätzliches Korrektiv i. S. einer Gesamtbewertung des Einzelfalls einzuführen sein.

Langer/Wolf

845

143

§ 64

Minderheitenschutz

IX. Mittelbereitstellung zur Antragsabweisung (Abs. 3) 144

§ 64 Abs. 3 sieht eine der Vorsorgeklausel des § 251 Abs. 3 InsO entsprechende Regelung vor. Diese besagt, dass der Antrag eines Planbetroffenen auf Versagung der Planbestätigung dann abzuweisen ist, wenn im gestaltenden Teil Mittel für eine Entschädigung des Planbetroffenen vorgesehen sind. Ob der Planbetroffene aufgrund einer nachzuweisenden Schlechterstellung tatsächlich Anspruch auf diese Mittel hat, ist außerhalb der Restrukturierungssache zu klären (vgl. Abs. 3 Satz 2). Der Antrag des Planbetroffenen auf Versagung der Bestätigung würde in diesem Fall der Planbestätigung nicht mehr im Wege stehen.

145

Im Gesetzt bleibt jedoch offen, wie hoch die für diese Zwecke gebildete Reserve mindestens zu sein hat. Nach der hier vertretenen Meinung dürfen die Mittel nicht offensichtlich unzureichend sein. Der Planersteller hat entsprechendes Volumen beiseite zu legen. Gleichzeitig wird jedoch darauf zu achten sein, dass aufgrund von zu umfangreichen Reserven keine Begehrlichkeiten bei den übrigen Planbetroffenen geweckt werden.71) Nicht erforderlich ist nach hier vertretener Auffassung, dass potentielle Schäden sicher abgedeckt werden können. Über die zurück gelegten Beträge hinausgehende Schäden sind ggf. aus dem Cashflow des sanierten Unternehmens zu bedienen. Diese werden in aller Regel kleinere Zahlungen zulassen, da andernfalls kaum von einer nachhaltigen Sanierung gesprochen werden kann.

146

Anders als im nachfolgenden Rechenbeispiel, bei dem sowohl Plan als auch nächstbeste Alternative bekannt sind, liegt das Problem in der Praxis darin, dass dem Planersteller lediglich der vorgestellte Plan vorliegt. Das nächstbeste Alternativszenario ist dem Planersteller in der Regel nicht bekannt, da er ja andernfalls dieses als Grundlage für den Plan genommen hätte. Er wird das Volumen der zur Verfügung gestellten Mittel also lediglich anhand des vorgeschlagenen Plans, den darin enthaltenen Gläubigerbeiträgen und dem vorherrschenden Meinungsbild der Planbetroffenen ableiten können.

147

Nachfolgend wird unter Bezugnahme auf das o. g. Rechenbeispiel der maximal beanspruchbare Umfang für Ausgleichszahlungen näherungsweise berechnet, um diesen ins Verhältnis zu den gesamten Gläubigerbeiträgen setzen zu können. Anhand der resultierenden Verhältniszahl lassen sich ausreichende Vorsorgetöpfe auch mit unvollständigen Informationen indikativ und aus praktischer Sicht ausreichend präzise ableiten.

148

Für eine Annäherung an den Umfang der bereitzustellenden Mittel ist die Zahl der Planbetroffenen bzw. das planbetroffene Forderungsvolumen der möglichen Antragsteller und die zu erwartende Schlechterstellung dieser Planbetroffenen zu berücksichtigen.72) Dem obigen Rechenbeispiel folgend sind folgende Parameter in die Rechnung einzubeziehen: –

Planbetroffenes Forderungsvolumen ex-ante Gläubigerbeitrag: 200 Mio. €;



im Plan berücksichtigter Gläubigerbeitrag: 150 Mio. € bzw. 75 % Haircut;

_____________ 71) Braun-Braun/Franke, InsO, § 251 Rz. 9. 72) Thies in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 18.

846

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz



im Alternativszenario berücksichtigter Gläubigerbeitrag: 100 Mio. €bzw. 50 % Haircut;



maximale Volumen an Restrukturierungsforderungen dissentierender und antragstellender Gläubiger am Gesamtvolumen der Restrukturierungsforderungen: 25 % (siehe § 25 i. V. m. § 24).

Da für eine Planannahme mindestens 75 % der Stimmrechte jeder Gruppe für den Plan gestimmt haben müssen (§ 25), können maximal 25 % der Stimmrechte gegen den Plan eingesetzt worden sein. Der Gesamtschaden der dissentierenden Gläubiger beträgt entsprechend maximal: –

Im Plan-Szenario: 200 * 25 % * 75 % = 37,5 Mio. €.



Im nächstbesten Alternativ-Szenario: 200 * 25 % * 50 % = 25 Mio. €.

149

Wenn in allen Gruppen lediglich die erforderliche Mehrheit von 75 % der Stimmrechte erzielt worden ist, kann im o. g. Beispiel also ein Schlechterstellungsausgleich im Vergleich zum Alternativ-Szenario von maximal 12,5 Mio. € gefordert werden. Dies jedoch nur, wenn das schlechtmöglichste Abstimmungsergebnis erreicht wird und ausnahmslos jeder dissentierende Planbetroffene eine Schlechterstellung geltend macht.

150

Darüber hinaus ist anzumerken, dass die beiden Alternativen – Plan und nächstbeste Alternative – im o. g. Rechenbeispiel sehr stark voneinander abweichen. So ist der Gläubigerbeitrag im Plan (hier 150 Mio. €) um 50 % höher als im nächstbesten Alternativszenario (hier 100 Mio. €). In der Praxis wird der Abstand zwischen den zwei Varianten in der Regel deutlich geringer ausfallen. Je dichter Plan und Planalternative beieinander liegen, desto geringer sind der Schaden und damit die Ansprüche potenzieller Antragsteller.

151

Auch unter den äußerst konservativ gesetzten Parametern verdeutlicht das Rechenbeispiel, dass das Volumen potenzieller Schlechterstellungsausgleiche (hier 12,5 Mio. €) nur einen Bruchteil (hier 8,3 %) der gesamten Gläubigerbeiträge (hier 150 Mio. €) ausmacht. Der hier errechnete Wert stellt dabei nur einen theoretischen Wert dar.

152

In der Praxis werden folgende Faktoren zu wiederum deutlich geringeren Volumina führen:

153



Plan und nächstbeste Planalternative liegen dichter beieinander;



Abstimmungsergebnis liegt höher als das hier angenommene denkbar schlechteste Ergebnis von 75 % in allen Gruppen;



Nicht ausnahmslos jeder dissentierende Planbetroffene wird einen Antrag nach § 64 stellen

Bei Einwertung dieser Faktoren kann davon ausgegangen werden, dass ein deutlich geringerer Betrag schon ausreicht, um nicht offensichtlich unzureichend zu sein. Hiervon könnte man etwa bereits bei einem Viertel des oben errechneten Wertes, also ~2 % der Summe der Gläubigerbeiträge des Plans bzw. 3 Mio. €, von einem ausreichenden Betrag ausgehen. Auch unter den unvollständigen Informationen des Planerstellers (Planalternative, Abstimmungsergebnis und Antragsteller nicht bekannt)

Langer/Wolf

847

154

§ 64

Minderheitenschutz

kann somit aus den bekannten Parametern eine Größenordnung für die notwendige Mittelbereitstellung abgeleitet werden. Vorgespräche mit Planbetroffenen und Vorabstimmungen werden die vorliegenden Unsicherheiten, insb. im Bezug auf das Meinungsbild der Planbetroffenen und das Abstimmungsergebnis, weiter reduzieren. 155

Ergänzend ist anzumerken, dass es für Anträge unter der Regelung des § 64 unerheblich ist, ob der Antragsteller innerhalb seiner Abstimmungsgruppe oder gruppenübergreifend überstimmt wurde. Entsprechend hat die Mittelbereitstellung auch potentielle Anträge von Planbetroffenen zu berücksichtigen, die i. R. eines CrossClass Cram-down überstimmt worden sind. Die Berechnung des Volumens der bereitzustellenden Mittel kann hierbei analog erfolgen, wobei anzumerken ist, dass der Anteil der dissentierenden Planbetroffenen an den gesamten Planbetroffenen bei Anwendung eines Cross-Class Cram-down auch über 25 % liegen kann.

156

Die Bereitstellung der Mittel kann sowohl durch Rückstellungen, als auch durch Bankbürgschaften oder Zahlungen/Garantien Dritter erfolgen.73) Der Betrag muss jedoch tatsächlich zur Verfügung stehen. Grundsätzlich stehen zur Begleichung entsprechender Ansprüche auch zukünftig erwirtschaftete Überschüsse zur Verfügung. Entsprechend sollte – so die hier vertretene Meinung – auch die aus der Restrukturierungsplanung ablesbare erwartete Ertragskraft des Unternehmens bei der Bewertung der bereitgestellten Mittel Berücksichtigung finden. Allerdings stellt sich für den Fall, dass das Unternehmen gemäß Planung wesentliche Liquiditätsüberschüsse erzielt, die Frage, weshalb diese nicht im Vornhinein für eine höhere Gläubigerbefriedigung eingesetzt worden sind. Möglichen Antragstellungen zum Trotz sollte das primäre Anliegen des Plans weiterhin eine bestmögliche Befriedigung der planbetroffenen Gläubiger sein und keine größeren Liquiditätstöpfe oder Überschüsse unangetastet lassen.

157

Eine namentliche Zuordnung der bereitgestellten Mittel an konkrete Antragsteller ist nach hier vertretener Auffassung nicht notwendig.74) Aus Sicht des Planerstellers ist es auch nach Antragstellung von Planbetroffenen nicht ersichtlich, welches Alternativszenario (oder bei mehreren Anträgen möglicherweise auch „Alternativszenarien“) im Ergebnis zu einer Benachteiligung führen könnte. Auch wenn die Antragsteller bei der Geltendmachung ihrer Schlechterstellung ein solches Szenario zugrunde gelegt haben, wird dies regelmäßig einen maximal möglichen Schaden geltend machen, so dass man hier eher auf die oben dargelegten allgemeinen Erwägungen zurückgreifen sollte. Im Gegensatz zum Insolvenzplanverfahren entfällt i. R. des § 64 aufgrund der angestrebten Unternehmensfortführung der reflexartige Vergleich zum Liquidationsszenario. Damit ist – anders als im Insolvenzplanverfahren – eine namentliche Zuordnung der breitgestellten Mittel aufgrund des zum Zeitpunkt der Antragstellung fehlenden Alternativszenarios nicht möglich. Durch die zu erfolgende Prüfung und Entscheidung durch das Restrukturierungsgericht erscheint eine solche Zuordnung auch nicht erforderlich. _____________ 73) Thies in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 14 74) So auch Thies in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 19, zum gestaltenden Teil des Insolvenzplans; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 251 Rz. 21, und Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 38, für den Fall, dass die bereitgestellten Mittel jede denkbare Schlechterstellung auszugleichen vermögen.

848

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

X. Entscheidung des Gerichts 1.

Zulassungsverfahren

Das Verfahren über die Zulassung des Schutzantrags beinhaltet die Prüfung der formellen Tatbestandsvoraussetzungen des Minderheitenschutzantrags nach § 64 und schließt ohne förmlichen Beschluss (ggf. vom Gericht in den Akten vermerkt) mit dem Übergang zur Aufnahme der amtswegigen Ermittlungen ab. Nach Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen und Zulassung des Versagungsantrags beginnt die Amtsermittlungspflicht des § 39 Abs. 1 Satz 1.75) Das Gesetz sieht eine Anhörung des Schuldners zu dem Schutzantrag im Zulassungsverfahren nicht vor. Das Gericht wird den Schuldner aber anhören, um zu klären, welche Tatsachen streitig und damit vom Versagungsantragsteller glaubhaft zu machen bzw. nach Zulassung von Amts wegen zu ermitteln sind. 2.

158

Verfahren nach Zulassung

a) Überzeugungsgrad Die von Amts wegen zu treffenden Feststellungen erfordern grundsätzlich eine volle richterliche Überzeugung, also einen Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie gänzlich auszuschließen.76) Feststellungen zu hypothetischen Alternativszenarien beinhalten aber eine Prognoseentscheidung, denen ein Restrisiko immanent ist. Aus diesen Gründen reicht – wie im Anwendungsbereich des § 251 InsO77) – ausnahmsweise der Überzeugungsgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit aus. In Umsetzung der Richtlinie spricht § 64 Abs. 1 daher – wie auch §§ 245 Abs. 1 Nr. 1, 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO – von einer „voraussichtlichen“ Schlechterstellung.

159

b) Amtsermittlungspflicht und Ermittlungsmöglichkeiten Das Restrukturierungsgericht hat nach § 39 Abs. 1 Satz 1 alle Umstände zu ermitteln, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Allerdings beschränkt sich der Prüfungsumfang auf die vom Antragsteller zu der Schlechterstellung dargelegten und glaubhaft gemachten Tatsachen.78) Das Gericht prüft nur die individuell geltend gemachte Rechtsverletzung. Art und Umfang der anzustellenden Ermittlungen stehen i. R. des Amtsermittlungsgrundsatzes im freien Ermessen des Gerichts. Die Generalklausel des § 39 Abs. 1 Satz 279) benennt als mögliche Beweismittel den Zeugen- und Sachverständigenbeweis und ermöglicht die Bestellung eines isolierten Sachverständigen ausschließlich beauftragt mit der Prüfung der für den Schutzantrag entscheidungserheblichen Tatsachen.80) Daneben enthält § 73 Abs. 3 Nr. 1 die spezielle Regelung, zur sachverständigen Prüfung der Bestätigungsvoraussetzungen personenidentisch einen Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen. _____________ 75) Auch der ErwG 50 Restrukturierungsrichtlinie geht bei den Katalogbeständen des Art. 14 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie von einer Amtsermittlungspflicht des Gerichts aus. 76) Zöller-Greger, ZPO, § 286 Rz. 18 ff. 77) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 50; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 245 Rz. 9, § 251 Rz. 6. 78) Vgl. zu § 251 InsO BGH, Beschl. v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, Rz. 23, ZIP 2014, 1442. 79) Vertiefend Kommentierung zu § 39, zu Haftungsfragen auch Kommentierung zu § 75. 80) So auch Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2583 und 2585.

Langer/Wolf

849

160

§ 64 161

Minderheitenschutz

Das Gericht mag auch anhand der eingereichten Planunterlagen, Stellungnahmen der ablehnenden Partei und/oder des Schuldners, seiner Organe, leitenden Angestellten, Betriebsräte oder des Sanierungsberaters sowie von den Beteiligten vorgelegten Privatgutachten eine Entscheidung zu treffen in der Lage sein. Insbesondere Implausibilitäten wird der in Insolvenz- und Restrukturierungssachen erfahrene Richter allein aufgrund des Parteivortrags erkennen und zu werten wissen. Allerdings wird er in der Regel und insbesondere bei komplexen Sachverhalten auf einen qualifizierten Sachverständigen zurückgreifen wollen.81) Wegen der Möglichkeiten einer Beweiserleichterung wird auf die Ausführungen unter Rz. 168 ff. verwiesen. c) Beauftragung eines Sachverständigen aa) Geeignetheit

162

Geeignet ist eine in Restrukturierungs- und Insolvenzsachen oder eine in Fragen der Unternehmensbewertung kundige und erfahrene Person, die über freie Kapazitäten verfügt, in kurzer Zeit ein Gutachten zu der Frage einer Schlechterstellung zu erstellen. Erforderlich ist eine dem Gericht nachzuweisende mehrjährige Befassung mit Sanierungs- und Insolvenzfällen oder Bewertungsfragen. Das Anforderungsprofil für den mit sachverständigen Prüfungen beauftragten Restrukturierungsbeauftragten richtet sich nach § 74 Abs. 1, der als Qualifikation auf den Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt oder vergleichbar abstellt.

163

Ein Anforderungsprofil für den isolierten Sachverständigen legt § 39 Abs. 1 Satz 2 nicht fest. In der Praxis dürfte es sich von demjenigen des § 74 Abs. 1 wohl nicht unterscheiden.82) Ist ein Restrukturierungsbeauftragter bereits vorgeprüft und bestellt, bietet sich seine Beauftragung als Sachverständiger gemäß § 73 Abs. 3 Nr. 1 bereits aus Kosten und Synergiegründen an, wenn der Restrukturierungsbeauftragte in seiner Person oder aufgrund der im Mitarbeiterstab vorgehaltenen Ressourcen über die erforderliche Fachkompetenz hinsichtlich der konkret i. R. des Schutzantrags zu prüfenden Tatsachen verfügt. Sollten bei der Prüfung des nächstbesten den Versagungsantragsteller besserstellenden Alternativszenarios Fragen der Unternehmensbewertung im Vordergrund stehen, bedarf es eines speziellen vom Gericht zu erfragenden betriebswirtschaftlichen Fachwissens, über das regelmäßig nur Wirtschaftsprüfer und Unternehmensberater verfügen.83) Ist dies in der Person des bereits bestellten Restrukturierungsberaters nicht vorhanden, kann das Gericht neben dem bereits bestellten Restrukturierungsbeauftragten einen isolierten Sachverständigen bestellen.84) Dies hat auch den Vorteil, dass ein unabhängiger Experte mit den Prüfungen beauftragt wird, die nicht bereits zuvor mit dem Restrukturierungsplan befasst gewesen ist.85)

164

Als Sachverständiger kommt nur eine natürliche Person in Betracht. Ist der Sachverständigen mit dem Restrukturierungsbeauftragten personenidentisch, so ergibt _____________ 81) 82) 83) 84) 85)

850

Vgl. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 33, der auch auf das Haftungsrisiko hinweist. Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2585. Morgen in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 5 Rz. 80. Morgen in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 5 Rz. 80. Hierzu Morgen in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 5 Rz. 79 f., der auf die moderierende Funktion des Restrukturierungsbeauftragten bei der Planerstellung hinweist.

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

sich dies bereits aus dem Wortlaut des § 74 Abs. 1 und den Gesetzesbegründungen.86) Aber auch i. R. Sachverständigenauswahl nach §§ 39 Abs. 1 Satz 2, 38 Satz 1 StaRUG i. V. m. § 404 ZPO ist grundsätzlich eine natürliche Person zu bestellen.87) bb) Unabhängigkeit Der Sachverständige muss unabhängig sein, insbesondere darf er bzw. ein Partner oder Mitarbeiter nicht vorbefasst gewesen sein. § 270d Abs. 2 Satz 1 InsO bestimmt nunmehr, dass der Aussteller der Bescheinigung nicht zum vorläufigen Sachwalter bestellt werden kann. Auch wenn § 74 Abs. 2 Satz 2 bei Vorlage einer qualifizierten Bescheinigung zu den Voraussetzungen einer Stabilisierungsanordnung keine dahingehende explizite Regelung trifft, scheidet eine Bestellung des Ausstellers der Bescheinigung zum Sachverständigen i. S. des § 73 Abs. 3 Nr. 1 aus.

165

cc) Auswahlverfahren Zum Auswahlverfahren des Restrukturierungsbeauftragten siehe die Kommentierung zu § 74. Die Auswahl des isolierten Sachverständigen erfolgt nach § 38 StaRUG i. V. m. § 404 Abs. 1 Satz 1 ZPO grundsätzlich durch das Gericht. Gemäß § 38 StaRUG i. V. m. § 404 Abs. 2 ZPO kann das Gericht die Beteiligten zur Person des Sachverständigen anhören. Ein Abstimmungsversuch sollte mit kurzer Frist unternommen werden, um eine spätere Ablehnung des Sachverständigen (§ 38 StaRUG i. V. m. § 406 ZPO) und die damit einhergehenden Verzögerungen zu vermeiden. Die Beteiligten können sich auch über die Person des Sachverständigen für das Gericht bindend verständigen (§ 38 StaRUG i. V. m. § 404 Abs. 5 ZPO). Dies hindert das Gericht aber nicht daran, ein weiteres Gutachten einzuholen, wenn es das erste als nicht ausreichend erachtet.88) In der Praxis dürfte daher eine bindende Verständigung der Parteien bereits aus Kostengründen eher die Ausnahme sein.

166

dd) Frist zur Erstellung des Gutachtens Das Gericht ist wegen des Beschleunigungsgrundsatzes gehalten, auf eine zügige Gutachtenerstellung hinzuwirken. Anforderungsprofil, Vakanzen und der zur Gutachtenerstellung benötigte Zeitaufwand können mit den in Betracht kommenden Sachverständigen vor seiner Beauftragung mündlich erörtert werden.

167

d) Billigkeitsentscheidung nach Vorlage einer Expertenbescheinigung Nach ErwG 63 Restrukturierungsrichtlinie sind die Mitgliedstaaten durch Art. 14 Restrukturierungsrichtlinie nicht gehindert, „Bewertungen in anderem Zusammenhang nach nationalem Recht durchzuführen“. Sie können bestimmen, dass die Gerichte anstelle eigener Entscheidung auf der Grundlage eigener Ermittlungen eine durch einen Experten vorgenommen Bewertung oder eine Bewertung, die in einem früheren Stadium des Restrukturierungsprozesses von dem Schuldner oder einer anderen Partei vorgelegt wurde, nur noch „billigen“. Da auch die Billigung eine Ent_____________ 86) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 171 f., führt aus, dass aus der Richtlinie keine Verpflichtung zu ersehen ist, auch juristische Personen als Restrukturierungsbeauftragten zuzulassen. 87) Zöller-Greger, ZPO, Vor § 402 Rz. 7 ff. 88) Zöller-Greger, ZPO, § 404 Rz. 4.

Langer/Wolf

851

168

§ 64

Minderheitenschutz

scheidung des Gerichts darstellen dürfte, wird der Unterschied zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen wohl in den Prüfungsanforderungen liegen. Eine vergleichbare Regelung einer Beweiserleichterung findet sich in § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO, wonach zu den besonderen Antragsvoraussetzungen des Schutzschirmverfahrens eine Bescheinigung einer Person mit qualifiziertem Sachverstand und Erfahrung vorzulegen ist. Hier wird überwiegend vertreten, dass das Gericht lediglich eine Plausibilitätsprüfung zu den bescheinigten Antragsvoraussetzungen durchzuführen hat. 169

Der deutsche Gesetzgeber in Umsetzung der Richtlinie keine Regelung zur Vorlage von Expertenbescheinigungen zu Bewertungsfragen i. R. eines Minderheitenschutzantrags und herabgesetzten Prüfungsanforderungen getroffen. Da die Gesetzesbegründungen sich hierüber nicht verhalten, schließen sie eine solche Verfahrensweise aber auch nicht aus. Auch im Insolvenzplanverfahren zu §§ 245, 251 InsO wird in Fragen der Unternehmensbewertung dieser Prüfungsansatz bei vorgelegten qualifiziertem Parteivortrag zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen vertreten.89) Das Gericht hätte die vorgelegte Bewertung dann auf Schlüssigkeit und Plausibilität zu prüfen. Die Qualität der Bescheinigung hängt von der Person des Parteigutachters/Ausstellers ab. An diese sind strenge Anforderungen zu stellen, sprich die Person sollte nachgewiesen sachkundig und unabhängig, insbesondere nicht vorbefasst sein.

170

Hält die von dem Schuldner vorgelegte Bewertung einer Plausibilitätsprüfung durch den sachkundigen und erfahrenen Richter nicht stand, wäre dem Versagungsantrag stattzugeben, wenn das Gericht bereits Feststellungen treffen kann. Andernfalls wäre jedenfalls dann ein gerichtliches Sachverständigengutachten einzuholen, so dass auf diese Weise effektiver Rechtsschutz gewährt ist. 3.

Entscheidung des Gerichts

a) Form und Zeitpunkt 171

Die Entscheidung90) über den Minderheitenschutzantrag erfolgt in Beschlussform entweder gesondert oder als Teil eines einheitlichen Bestätigungsbeschlusses nach §§ 63, 64. Der Beschluss ist nach § 65 entweder im Anhörungs- oder Erörterungsund Abstimmungstermin zu verkünden oder aber in einem gesondert anzuberaumenden Verkündungstermin. Ist der Versagungsantrag unzulässig oder unbegründet, ist der Restrukturierungsplan unter Zurückweisung des Versagungsantrags zu bestätigen. Ist der Versagungsantrag begründet, ist die Bestätigung des Restrukturierungsplans zu versagen.91) b) Beweislast

172

Verbleiben trotz des von Amts wegen zu ermittelnden Sachverhalts Zweifel ob des Vorliegens eines Versagungstatbestandes, so gehen sie zulasten der antragstellenden ablehnenden Partei. _____________ 89) AG München, Beschl. v. 14.8.2018 – 1511 IN 2637/17, Rz. 13 ff., bestätigt LG München, Beschl. v. 28.11.2018 – 14 T 12593/18, Rz. 31, ZIP 2018, 2426. 90) Die Bestätigung eines Insolvenzplans ist dem Bereich der Rechtsprechung zuzuordnen, BVerfG, Beschl. v. 28.10.2020 – 2 BvR 764/20, Rz. 41, NZI 2020, 1119. 91) Zu § 251 InsO vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 17.12.2020 – IX ZB 38/18, Rz. 10 f., ZVI 2021, 182.

852

Langer/Wolf

§ 64

Minderheitenschutz

c) Vergütung des Sachverständigen und Kostentragungspflicht Handelt es sich bei dem Sachverständigen um den Restrukturierungsbeauftragten, richtet sich seine Vergütung sowie die Verpflichtung zur Zahlung eines Auslagenvorschusses nach §§ 80 ff. (siehe i. E. die Kommentierung zu §§ 80 ff.). Im Falle eines Antrags des Schuldners auf Planbestätigung nach den §§ 60 ff. soll das Restrukturierungsgericht nach § 81 Abs. 5 Satz 2 eine Auslagenvorschuss nach Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum GKG anfordern.

173

Über die Kostentragungspflicht entscheidet das Restrukturierungsgericht i.R. der Festsetzung der Vergütung nach § 82 Abs. 2. Dabei bestimmt § 82 Abs. 2 Satz 1 grundsätzlich die Kostentragungspflicht des Schuldners. Nur für den Fall der Bestellung eines fakultativen Restrukturierungsbeauftragten nach § 77 auf Antrag eines Gläubigers sieht § 82 Abs. 2 Satz 2 eine abweichende Auslagentragungspflicht des antragstellenden Gläubigers vor, aber auch nur soweit sie nicht für Tätigkeiten entstehen, die das Restrukturierungsgericht dem Beauftragten von Amts wegen oder auf Antrag des Schuldners übertragen hat. Zweifelhaft ist, ob Auslagen, die auf den Schutzantrag eines Planbetroffenen hin aufgrund amtswegiger Prüfung entstehen, über den Wortlaut des § 82 Abs. 2 Satz 2 hinaus, dem unterliegenden Versagungsantragsteller auferlegt werden können. Im Rahmen des § 251 InsO wird eine Kostentragungspflicht des unterliegenden Versagungsantragstellers nicht diskutiert. An einer dem § 23 Abs. 2 GKG für das Verfahren über die Versagung oder den Widerruf der Restschuldbefreiung getroffenen Regelung, wonach derjenige die Kosten des Verfahrens trägt, der das Verfahren beantragt hat, fehlt es. Nach geltendem Recht besteht derzeit damit keine Möglichkeit, die Kosten des Verfahrens nach § 64 dem antragstellenden Planbetroffenen aufzuerlegen.

174

Der isolierte Sachverständige wird nach den Stundensätzen des § 9 Abs. 1 JVEG vergütet (Honorargruppe 11, Stundensatz 115 €). Bei Unternehmensbewertungen wird in der Praxis von den Möglichkeiten höherer Vergütungsvereinbarungen gemäß § 13 Abs. 1, 2 JVEG Gebrauch gemacht, weil es ansonsten regelmäßig nicht möglich ist, qualifizierte Sachverständige für eine zeitnahe Begutachtung zu finden. Die Beauftragung erfolgt nach Einzahlung eines entsprechenden Kostenvorschusses, der entsprechend der Wertung des § 81 Abs. 5 Satz 2 von dem Schuldner anzufordern ist. Auch hier scheidet wie im Fall des § 251 InsO eine Kostentragungspflicht des unterliegenden Versagungsantragstellers mangels gesetzlicher Regelung aus. Die Kosten sind zulasten des Schuldners festzusetzen.

175

d) Rechtsmittel Die Zurückweisung des Minderheitenschutzantrags unterliegt isoliert keinem Rechtsmittel. Das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde wird gegen den Planbestätigungsbeschluss nach § 66 geführt. Liegen die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 66 Abs. 2 vor, sind die formellen und materiellen Voraussetzungen des § 64 vollumfänglich i. R. des Beschwerdeverfahrens überprüfbar.

Langer/Wolf

853

176

§ 65

Bekanntgabe der Entscheidung

§ 65 Bekanntgabe der Entscheidung Blankenburg

(1) Wird die Entscheidung über den Antrag auf Bestätigung des Restrukturierungsplans nicht im Anhörungstermin oder im Erörterungs- und Abstimmungstermin verkündet, ist sie in einem alsbald zu bestimmenden besonderen Termin zu verkünden. (2) 1Wird der Restrukturierungsplan bestätigt, so ist den Planbetroffenen unter Hinweis auf die Bestätigung ein Abdruck des Plans oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts zuzusenden; für an dem Schuldner beteiligte Aktionäre oder Kommanditaktionäre gilt dies nicht. 2Börsennotierte Gesellschaften haben eine Zusammenfassung des wesentlichen Inhalts des Plans über ihre Internetseite zugänglich zu machen. 3Die Übersendung eines Abdrucks des Plans oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts nach Satz 1 kann unterbleiben, wenn der vor der Abstimmung übersendete Plan unverändert angenommen wurde. Übersicht I. Normzweck ........................................... II. Normhistorie ........................................ III. Verkündung der Entscheidung (Abs. 1) .................................................. 1. Anhörungstermin .................................. 2. Erörterungs- und Abstimmungstermin ..................................................... 3. Gesonderter Verkündungstermin ........ a) Bestimmung des Termins ..............

I.

1 3 4 5 6 7 8

b) Terminablauf ................................ 10 Rechtsfolgen der fehlerhaften Verkündung ......................................... 11 IV. Übersendung des Plans (Abs. 2) ....... 12 1. Adressaten der Übersendung ............. 13 2. Inhalt der Übersendung ...................... 14 3. Durchführung der Übersendung ....... 18 4. Rechtsfolgen der fehlerhaften Übersendung ....................................... 21 4.

Normzweck

1

In § 65 Abs. 1 ist geregelt, wie die Entscheidung über den Plan den Betroffenen bekannt zu machen ist. Die Regelung ist in Anbetracht von § 329 Abs. 1 Satz 1 ZPO eigentlich überflüssig, da auch dort die Verkündung von Beschlüssen geregelt ist. Ebenso wie § 252 InsO soll die Vorschrift sicherstellen, dass alle Planbetroffenen gleichzeitig von der Entscheidung des Gerichts Kenntnis erlangen und so die Rechtsmittelfrist einheitlich und klar fixiert ist.1)

2

§ 65 Abs. 2 betrifft nur die Bestätigungsentscheidung. Damit die Planbetroffenen über ihre Rechte aus dem Plan informiert sind, muss entweder der Plan selbst oder eine Zusammenfassung übersandt werden. II. Normhistorie

3

Die Norm ist im Gesetzgebungsverfahren bis auf die Anpassung der Verweisungen unberührt geblieben. Im RefE2) war die Norm als § 69, im RegE3) dann als § 72 be_____________ 1) 2)

3)

854

Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 252 Rz. 2; Thies in: HambKomm-InsO, § 252 Rz. 1; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 252 Rz. 2; Jaffé in: FK-InsO, § 252 Rz. 2. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181.

Blankenburg

§ 65

Bekanntgabe der Entscheidung

zeichnet worden. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses4) hat die Norm dann die endgültige Nummerierung erhalten. Da die Norm nationales Verfahrensrecht regelt, liegt ihr keine europarechtliche Norm zugrunde.5) Sie ist nahezu wörtlich an § 252 InsO angelehnt. III. Verkündung der Entscheidung (Abs. 1) Nach § 65 Abs. 1 muss die Entscheidung über den Antrag auf Bestätigung des Restrukturierungsplans verkündet werden. Dies kann entweder die Bestätigung oder Versagung der Bestätigung gemäß § 63 sein. Die Verkündung ist Voraussetzung für einen wirksamen Beschluss, so dass erst ab diesem Zeitpunkt die Rechtsmittelfristen laufen können.6) Das Gesetz sieht drei mögliche Verkündungstermine vor: Anhörung, Erörterungs- und Abstimmungstermin und gesonderter Verkündungstermin. 1.

Anhörungstermin

Eine Bestätigung im Anhörungstermin ist möglich, wenn ein solcher Termin vom Gericht gemäß § 61 anberaumt wird. Dieser ist fakultativ bei einer gerichtlichen Planabstimmung und obligatorisch bei einer außergerichtlichen Planabstimmung. Das Gericht kann abhängig vom Ablauf des Termins entscheiden, ob es direkt nach der Anhörung der Planbetroffenen entscheidet oder ob es noch einer Bedenkzeit bedarf. Im letzteren Fall ist ein gesonderter Termin zu bestimmen.7) Eine Verkündung direkt im Anhörungstermin wird sich nur dann anbieten, wenn kein neues Vorbringen oder ein Minderheitenschutzantrag nach § 64 StaRUG erfolgt.8) Anderenfalls sollte das Gericht von der Möglichkeit einer gesonderten Abstimmung Gebrauch machen, damit es in Ruhe das neue Vorbringen gewichten kann. Eine direkte Entscheidung könnte bei den Betroffenen den Eindruck entstehen lassen, dass sich das Gericht mit den neuen Argumenten überhaupt nicht auseinandergesetzt hat. 2.

_____________

5) 6) 7) 8) 9)

5

Erörterungs- und Abstimmungstermin

Eine Bestätigung ist auch im Erörterungs- und Abstimmungstermin möglich. Gemeint ist damit eine direkte Verkündung der Bestätigungs- oder Versagungsentscheidung nach der Abstimmung. Ist der Plan unstreitig angenommen worden, stellt diese Art die häufigste Verkündungsart dar.9) Besteht für das Gericht nicht das Bedürfnis, nochmals die Umstände der Planannahme zu überdenken, sollte auf einen gesonderten Verkündungstermin verzichtet werden.

4)

4

Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. Ebenso Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 65 Rz. 2. BGH, Urt. v. 16.10.1984 – VI ZR 205/83, NJW 1985, 1782, 1783; BGH, Beschl. v. 21.4.2015 – VI ZR 132/13, NJW 2015, 2342; Musielak in: MünchKomm-ZPO, § 329 Rz. 7. Nach Jaffé in: FK-InsO, § 252 Rz. 5, besteht bei behebbaren Mängeln sogar eine Verpflichtung, einen gesonderten Verkündungstermin anzuberaumen. So auch Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 65 Rz. 5; Ähnlich zu § 252 Nerlich/ Römermann-Rühle, InsO, § 252 Rz. 4; Braun-Braun/Frank, InsO, § 252 Rz. 2. Ähnlich Sinz in: MünchKomm-InsO, § 252 Rz. 8; Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 252 Rz. 4.

Blankenburg

855

6

§ 65 3. 7

Bekanntgabe der Entscheidung

Gesonderter Verkündungstermin

Als dritte Option steht dem Restrukturierungsgericht die Verkündung in einem gesonderten Termin zur Verfügung. a) Bestimmung des Termins

8

Die Bestimmung eines gesonderten Verkündungstermins kann im Anhörungs- und Abstimmungstermin selbst erfolgen. Der dazu erforderliche Beschluss10) kann in das Protokoll mit aufgenommen werden. Es sind der Ort und die Zeit der Verkündung anzugeben. Einer Zustellung bedarf es nicht.11) Erfolgt im Anhörungs- oder Abstimmungstermin keine Terminbestimmung, kann diese auch außerhalb durch einen gesonderten Beschluss erfolgen. Der Beschluss selbst muss in diesem Fall den Parteien zugehen.12) Derzeit ist keine öffentliche Bekanntmachung möglich. Ab dem 17.7.2022 können in einer öffentlichen Restrukturierungssache die Ladungen auch zusätzlich veröffentlicht werden. Gemäß § 85 Abs. 2 Satz 1 ist in diesen Fällen gegenüber Aktionären, Kommanditaktionären und Inhabern von Schuldverschreibungen keine Ladung mehr erforderlich. Es reicht dann die Bekanntmachung des Termins.

9

Der Termin ist „alsbald“ zu verkünden. Die Formulierung findet sich auch in § 252 Abs. 1 Satz 1 InsO. Entgegen dem Wortlaut bezieht sich „alsbald“ nicht auf die Entscheidung über den Verkündungstermin, sondern betrifft den Verkündungstermin selbst.13) Erforderlich ist daher, dass zeitnah zur Abstimmung oder Anhörung ein Verkündungstermin anberaumt wird. Soweit bei § 252 InsO ein Zeitraum von maximal einem Monat gewährt wird,14) erscheint dies für die Restrukturierungsverfahren zu lang. Mehr als zwei Wochen sollten nicht zwischen der Abstimmung bzw. der Anhörung und der Entscheidung darüber liegen.15) b) Terminablauf

10

Das Gericht hat zur Sache aufzurufen. Da es sich um eine nicht öffentliche Verhandlung handelt, muss es die Planbetroffenheit der Anwesenden prüfen. Anschließend ist dann der Tenor der Entscheidung zu verlesen und die Gründe sind zusammenzufassen. Die Verkündung muss gemäß § 38 Satz 1 StaRUG i. V. m. § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO protokolliert werden. Es genügt die Formulierung, dass die Entschei-

_____________ 10) Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 252 Rz. 6. 11) Thies in: HambKommInsO, § 252 Rz. 3. 12) Anders als nach der InsO erfolgt grundsätzlich keine öffentliche Bekanntmachung, so dass die Beteiligten von dem Verkündungstermin keine Kenntnis erhalten würden. Zum Meinungsstand zu § 252 Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 252 Rz. 9. 13) Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 65 Rz. 7; Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 252 Rz. 7; im Ergebnis auch Sinz in: MünchKomm-InsO, § 252 Rz. 10. 14) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 252 Rz. 10; nach Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 252 Rz. 7, kann eine Frist überhaupt nicht generell bestimmt werden; a. A. Nerlich/RömermannRühle, InsO, § 252 Rz. 2, wonach eine Monatsfrist zu lang ist. 15) So auch für § 252 InsO Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 252 Rz. 6; Thies in: HambKomm-InsO, § 252 Rz. 3.

856

Blankenburg

§ 65

Bekanntgabe der Entscheidung

dung „erlassen“ oder „anliegender Beschluss verkündet“ worden sei.16) Das Protokoll kann gemäß § 160a ZPO vorläufig aufgezeichnet und dann unverzüglich nach der Sitzung erstellt werden Zur Wirksamkeit der Verkündung ist es nicht erforderlich, dass der Beschluss bereits schriftlich abgefasst wurde, da in § 329 ZPO nicht auf die §§ 310 Abs. 2, 311 Abs. 2, 3 ZPO verwiesen wird.17) 4.

Rechtsfolgen der fehlerhaften Verkündung

Ein Beschluss wird erst durch seine förmliche Verlautbarung mit allen prozessualen und materiell-rechtlichen Wirkungen existent. Vorher liegt nur ein – allenfalls den Rechtsschein eines Beschlusses erzeugender – Entscheidungsentwurf vor.18) Fehlt es daher an einer Verkündung, entfaltet der Beschluss keine Rechtswirkung und es laufen keine Rechtsmittelfristen. Dies gilt auch für die Fünfmonatsfrist gemäß § 517 ZPO.

11

IV. Übersendung des Plans (Abs. 2) § 65 Abs. 2 regelt die Übersendung des Restrukturierungsplans, wenn der Plan bestätigt wird. Wird die Bestätigung versagt, bedarf es keiner Übersendung. 1.

Adressaten der Übersendung

Der Plan bzw. die Zusammenfassung des Plans ist grds. sämtlichen Planbetroffenen zu übersenden. Die Planbetroffenen müssen gemäß § 8 im darstellenden Teil des Plans enthalten sein. An sämtliche dieser dort aufgeführten Personen hat die Übersendung zu erfolgen. Ausnahmen dazu finden sich in § 65 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 und Satz 2 StaRUG. Danach muss an die am Schuldner beteiligten Aktionäre oder Kommanditaktionäre keine Übersendung des Plans erfolgen. Bei börsennotierten Gesellschaften muss eine wesentliche Zusammenfassung des Inhalts des Plans über die Internetseite des Unternehmens erfolgen. Dafür ist das Unternehmen selbst verantwortlich, nicht jedoch das Restrukturierungsgericht.19) 2.

12

13

Inhalt der Übersendung

Es muss entweder ein Abdruck des Plans oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts übersandt werden.

14

Der Plan besteht aus dem eigentlichen Plan (darstellender und gestaltender Teil) sowie den Anlagen und Erklärungen gemäß § 14. Entscheidet sich das Gericht für die Übersendung des Plans, sind auch sämtliche Anlagen und Erklärungen mit zu übersenden.20) Dagegen spricht auch nicht die abweichende Formulierung des § 17 Abs. 2 _____________

15

16) BGH, Urt. v. 16.10.1984 – VI ZR 205/83, NJW 1985, 1782, 1783; obwohl § 329 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Absätze 1 und 2 des § 311 ZPO nicht für entsprechend anwendbar erklärt, soll dennoch eine entsprechende Verkündung auch bei Beschlüssen erforderlich sein (Bach in: BeckOK-ZPO, § 329 Rz. 18). 17) Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 65 Rz. 8; Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 252 Rz. 10; Thies in: HambKomm-InsO, § 252 Rz. 4; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 252 Rz. 3; Geiwitz/v. Dankelmann in: BeckOK-InsO, § 252 Rz. 5. 18) BGH, Beschl. v. 21.4.2015 – VI ZR 132/13, NJW 2015, 2342, 2343. 19) Begründet wird diese Ausnahme mit dem Streubesitz und der Folge, dass dem Gericht insoweit nicht sämtliche Anteilsinhaber bekannt sein können, so Kübler/Prütting/BorkPleister, InsO, § 252 Rz. 13. 20) So auch für § 252 Geiwitz/v. Dankelmann in: BeckOK-InsO, § 252 Rz. 6.

Blankenburg

857

§ 65

Bekanntgabe der Entscheidung

Satz 1, nach dem ein vollständiger Restrukturierungsplan nebst Anlagen zu übersenden ist. Der Sinn und Zweck, nämlich die Unterrichtung der Planbetroffenen über ihre Rechte und Pflichten, erfordert, dass ihnen auch sämtliche Informationen übersandt werden. Insbesondere da für die gerichtliche Planabstimmung der Plan nicht übersandt werden muss (siehe dazu § 45 Rz. 23), bedürfen die Planbetroffene aller dem Gericht zur Verfügung stehenden Informationen. 16

Die Übersendung des gesamten Plans kann durch eine Zusammenfassung ersetzt werden. § 65 Abs. 2 Satz 1 lässt offen, wer diese Zusammenfassung zu erstellen hat, insbesondere ob dies Aufgabe des Gerichts oder des Schuldners ist. Gleiches gilt für die Gesetzesbegründung. Da die Vorschrift an § 252 Abs. 2 InsO angelehnt ist,21) könnte erwogen werden, die dortigen Erkenntnisse zu übertragen. Insoweit ist allerdings zu beachten, dass nach § 235 Abs. 3 Satz 2 InsO bereits mit der Ladung der Plan oder eine wesentliche Zusammenfassung zu übersenden ist. Entsprechendes ist im StaRUG jedoch nicht geregelt. Bei der außergerichtlichen Planabstimmung ist gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 ein vollständiger Restrukturierungsplan zu übersenden. Bei der gerichtlichen Planabstimmung fehlt es ganz an einer entsprechenden Regelung (siehe dazu § 45 Rz. 23). Dennoch wird man sich an den Ansichten zu § 235 InsO orientieren können. Die h. M. geht zu § 235 InsO davon aus, dass der Planeinreicher die Zusammenfassung zu erstellen hat und dass das Insolvenzgericht die Planzusammenfassung nicht selbst erstellen darf.22) Dies wird auch für § 65 Abs. 2 Satz 1 gelten müssen.23) Das Gericht ist zeitlich nicht dazu in der Lage, eine Zusammenfassung zu erstellen. Zudem bestünde die Gefahr, dass sowohl der Schuldner als auch die Planbetroffenen nicht mit der Zusammenfassung einverstanden sind, ohne dagegen eine Rechtschutzmöglichkeit zu haben. Weder der Schuldner noch das Gericht können den Restrukturierungsbeauftragten mit der Erstellung der Planzusammenfassung beauftragen, da dies nicht gemäß §§ 73, 76 zu seinem Pflichtenkreis gehört.

17

Die Auswahl, ob der Plan oder eine Zusammenfassung übersandt werden, liegt im freien Ermessen des Gerichts.24) Die Zusammenfassung des Plans bietet gerade bei umfangreichen Plänen den Vorteil, dass die Versendung nicht so aufwendig ist. Sie birgt aber immer die Gefahr, dass sie nicht zutreffend oder sinnentstellend ist.25) Dieses Risiko der Falschinformation der Beteiligten hat das Gericht immer mit den Praktikabilitätsgesichtspunkten abzuwägen. Eine Übersendung einer Zusammenfassung wird immer dann in Erwägung zu ziehen sein, wenn einer Vielzahl von Planbetroffenen der Plan zuzustellen ist. Sie sollte grds. die Ausnahme sein.26) _____________ 21) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 164. 22) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 235 Rz. 17 f.; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 235 Rz. 17; Thies in: HambKomm-InsO, § 252 Rz. 5; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 252 Rz. 8; a. A. Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 252 Rz. 12. 23) So auch Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 65 Rz. 9. 24) Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 65 Rz. 11; so auch zu § 235 InsO Uhlenbruck-Lüer/ Streit, InsO, § 235 Rz. 16. 25) So auch zu § 235 InsO Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 235 Rz. 17; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 235 Rz. 16. 26) So auch Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 235 Rz. 16.

858

Blankenburg

§ 65

Bekanntgabe der Entscheidung

3.

Durchführung der Übersendung

Die Übersendung des Plans oder der Zusammenfassung muss durch das Gericht selbst erfolgen. Bei § 252 InsO war umstritten, ob eine Übertragung auf den Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter erfolgen kann.27) Diesen Streit hat der Gesetzgeber nun durch einen ausdrücklichen Verweis auf § 8 Abs. 3 InsO in § 252 Abs. 3 Satz 3 InsO gelöst. Unverständlicherweise findet sich eine entsprechende Regelung in § 65 Abs. 3 nicht. § 76 Abs. 6 Satz 1 kann nicht direkt herangezogen werden, da es sich bei der Übersendung gerade nicht um eine Zustellung handelt. Eine analoge Anwendung wird durch die explizite Regelung in § 252 Abs. 3 Satz 3 InsO und damit der Kenntnis des Problems durch den Gesetzgeber ausscheiden.

18

Das gerichtliche Anschreiben muss den Hinweis enthalten, dass der Plan bestätigt wurde. Aufgrund des Verkündungstermins ist es nicht erforderlich, dass der Bestätigungsbeschluss selbst mitübersandt wird.28) Das Gericht muss die erforderlichen Abschriften des Plans selbst fertigen. Dies stellt die Geschäftsstellen bei einer Vielzahl von Beteiligten vor erhebliche logistische Probleme. Die Kosten für die Erstellung der Abschriften und der Versendung sind durch die allgemeinen Gerichtskosten abgedeckt.29) Die Versendung des Plans wird in der Regel durch Aufgabe zur Post erfolgen.

19

Die Übersendung kann gemäß § 65 Abs. 2 Satz 3 unterbleiben, wenn der vor der Abstimmung übersendete Plan unverändert geblieben ist. In diesem Fall haben die Gläubiger dann bereits die erforderlichen Informationen. Nicht zu unterbleiben hat allerdings der Hinweis auf die Bestätigung des Plans.30) Da bei der gerichtlichen Planabstimmung allerdings kein Plan mit der Ladung zu übersenden ist, kann die Vorschrift nur im außergerichtlichen Planabstimmungsverfahren Anwendung finden.

20

4.

Rechtsfolgen der fehlerhaften Übersendung

Fehler bei der Versendung des Plans berühren nicht die Wirksamkeit des Beschlusses. Nach der h. M. zu § 252 InsO hängt davon auch nicht der Lauf der Rechtsmittelfrist ab.31) Dies erscheint im StaRUG allerdings zweifelhaft, zumindest wenn es eine gerichtliche Planabstimmung gegeben hat. Da den Planbetroffenen der Plan nicht mit der Ladung übersandt werden muss, haben sie ggf. überhaupt keine Kenntnis vom Inhalt des Plans. Ein Rechtsmittel lässt sich dann kaum begründen.

_____________ 27) Dafür Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 252 Rz. 13; dagegen Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 252 Rz. 12; Thies in: HambKomm-InsO, § 252 Rz. 5; Jaffé in: FK-InsO, § 252 Rz. 13; Graf-Schlicker-Kebekus/Wehler, InsO, § 252 Rz. 2; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 252 Rz. 8. 28) Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 252 Rz. 11. 29) So auch zu § 252 InsO Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 252 Rz. 8. 30) Skauradszu, in: BeckOK-StaRUG, § 65 Rz. 13. 31) Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 252 Rz. 14; Geiwitz/v. Dankelmann, BeckOKInsO, § 252 Rz. 6; a. A. wohl Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 252 Rz. 9.

Blankenburg

859

21

§ 66

Sofortige Beschwerde

§ 66 Sofortige Beschwerde Blankenburg

(1) 1Gegen den Beschluss, durch den der Restrukturierungsplan bestätigt wird, steht jedem Planbetroffenen die sofortige Beschwerde zu. 2Dem Schuldner steht die sofortige Beschwerde zu, wenn die Bestätigung des Restrukturierungsplans abgelehnt worden ist. (2) Die sofortige Beschwerde gegen die Bestätigung des Restrukturierungsplans ist nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer 1.

dem Plan im Abstimmungsverfahren widersprochen hat (§ 64 Absatz 2),

2.

gegen den Plan gestimmt hat und

3.

glaubhaft macht, dass er durch den Plan wesentlich schlechter gestellt wird als er ohne den Plan stünde und dass dieser Nachteil nicht durch eine Zahlung aus den in § 64 Absatz 3 genannten Mitteln ausgeglichen werden kann.

(3) 1Absatz 2 Nummer 1 und 2 gilt nur, wenn im Einberufungsschreiben oder in der Ladung zum Termin auf die Notwendigkeit des Widerspruchs und der Ablehnung des Plans besonders hingewiesen wurde. 2Hat weder eine Versammlung der Planbetroffenen (§ 20) noch ein Erörterungs- und Abstimmungstermin (§ 45) stattgefunden, so gilt Absatz 2 Nummer 1 und 2 nur, wenn im Planangebot auf die Notwendigkeit des Widerspruchs und der Ablehnung des Plans besonders hingewiesen wurde. (4) Auf Antrag des Beschwerdeführers ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung der Beschwerde an, wenn der Vollzug des Restrukturierungsplans mit schwerwiegenden, insbesondere nicht rückgängig zu machenden Nachteilen für den Beschwerdeführer einhergeht, die außer Verhältnis zu den Vorteilen des sofortigen Planvollzugs stehen. (5) 1Das Beschwerdegericht weist die Beschwerde gegen die Bestätigung des Restrukturierungsplans auf Antrag des Schuldners unverzüglich zurück, wenn die alsbaldige Rechtskraft der Planbestätigung vorrangig erscheint, weil die Nachteile eines verzögerten Planvollzugs die Nachteile für den Beschwerdeführer überwiegen; ein Abhilfeverfahren findet nicht statt. 2Dies gilt nicht, wenn ein besonders schwerer Rechtsverstoß vorliegt. 3Weist das Beschwerdegericht die Beschwerde nach Satz 1 zurück, ist der Schuldner dem Beschwerdeführer zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der ihm durch den Planvollzug entsteht; die Rückgängigmachung der Wirkungen des Restrukturierungsplans kann nicht als Schadensersatz verlangt werden. 4Für Klagen, mit denen Schadensersatzansprüche nach Satz 3 geltend gemacht werden, ist das Landgericht ausschließlich zuständig, das die Beschwerde zurückgewiesen hat. Literatur: Fischer, Das neue Rechtsmittelverfahren gegen den Beschluss, durch den der Insolvenzplan bestätigt wird, NZI 2013, 513; Lehmann/Rühle, Das beschleunigte Zurückweisungsverfahren gem. § 253 Abs. IV InsO in der Praxis, NZI 2014, 889; Madaus, Die Rechtsbehelfe gegen die Planbestätigung nach dem ESUG, NZI 2012, 597.

860

Blankenburg

§ 66

Sofortige Beschwerde Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 5 III. Beschwerdeberechtigung (Abs. 1 – 3) ............................................. 6 1. Allgemeine Beschwerdebefugnis (Abs. 1) .................................................. 6 2. Besondere Beschwerdebefugnis (Abs. 2) ................................................ 10 a) Widerspruch gegen den Plan (Abs. 2 Nr. 1) ............................... 11 aa) Außergerichtliches Abstimmungsverfahren ............................ 13 bb) Gerichtliches Abstimmungsverfahren ....................................... 16 cc) Belehrungspflicht ......................... 18 b) Abstimmung gegen den Plan (Abs. 2 Nr. 2) ............................... 22 c) Wesentliche Schlechterstellung (Abs. 2 Nr. 3) ............................... 26

I.

IV. Beschwerdeverfahren ......................... 33 V. Anordnung der aufschiebenden Wirkung (Abs. 4) ................................ 37 1. Voraussetzungen ................................. 38 a) Antrag ........................................... 38 b) Schwerwiegende Nachteile .......... 39 2. Anordnung .......................................... 40 a) Erstanordnung ............................. 40 b) Weitere Anordnungen ................. 41 VI. Zurückweisung der sofortigen Beschwerde (Abs. 5) ........................... 42 1. Voraussetzungen für die Zurückweisung ................................................ 43 a) Antrag des Schuldners ................. 43 b) Abwägung der Nachteile ............. 44 c) Kein besonders schwerwiegender Rechtsverstoß ........................ 49 2. Zurückweisungsentscheidung ............ 52 3. Schadensersatz ..................................... 58

Normzweck

Da nach § 40 Abs. 1 Satz 1 die sofortige Beschwerde nur eröffnet ist, wenn dies gesetzlich normiert ist, hat der Gesetzgeber solch eine Entscheidung für die Planbestätigung in § 66 getroffen. Durch § 66 Abs. 1 und 2 wird bestimmt, wer gegen die Planbestätigung bzw. Bestätigungsversagung beschwerdeberechtigt ist. § 66 Abs. 2 und 3 stellen dabei erheblich höhere Hürden als im normalen Beschwerdeverfahren auf.

1

In § 66 Abs. 4 und 5 sind Besonderheiten des Beschwerdeverfahrens geregelt. Da die Wirkungen der Planbestätigung bereits mit der Verkündung und nicht erst mit der Rechtskraft eintreten, kann das Berufungsgericht gemäß § 66 Abs. 4 die aufschiebende Wirkung anordnen. In § 66 Abs. 5 ist die Möglichkeit geregelt, die Beschwerde umgehend zurückzuweisen, um möglichst schnell eine Rechtskraft der Bestätigung herbeizuführen. Der Beschwerdeführer wird dann, bis auf in den Fällen besonders schwerer Rechtsverstöße, auf Sekundäransprüche gegen den Schuldner verwiesen. In § 66 Abs. 5 Satz 4 findet sich dazu eine besondere Regelung der funktionalen und örtlichen Zuständigkeit.

2

Bei der Beschwerdeentscheidung handelt es sich um rechtsprechende Tätigkeit des Restrukturierungsgerichts.1) Daher sind die Einschränkungen der Beschwerdemöglichkeit nicht am Recht auf effektiven Rechtsschutz, sondern am aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Justizgewährungsanspruch zu messen.2)

3

Das Beschwerdeverfahren selbst richtet sich nach § 40 (siehe dazu ausführlich § 40 Rz. 15 ff.).

4

_____________ 1) 2)

BVerfG, Beschl. v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, Rz. 49 ff., ZIP 2021, 46, 50. BVerfG, Beschl. v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, Rz. 45, ZIP 2021, 46, 49 f.

Blankenburg

861

§ 66

Sofortige Beschwerde

II. Normhistorie 5

Die Norm ist im Gesetzgebungsverfahren bis auf die Anpassung der Verweisungen unberührt geblieben. Im RefE3) war die Norm als § 70, im RegE4) dann als § 73 bezeichnet worden. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses5) hat die Norm dann die endgültige Nummerierung erhalten. Sie ist in großen Teilen wörtlich an § 253 InsO angelehnt. Die Norm setzt Art. 16 der Restrukturierungsrichtlinie6) um. Art. 16 Abs. 1 fordert, dass gegen die Ablehnung oder die Bestätigung des Plans eine Rechtsmittelentscheidung möglich ist. Dies wird in § 66 Abs. 1 umgesetzt. Nach Art. 16 Abs. 2 Restrukturierungsrichtlinie muss über den Rechtsbehelf in zügiger Bearbeitung auf effiziente Weise entschieden werden. Dies ist in § 66 Abs. 5 Satz 1 umgesetzt worden, indem eine unverzügliche Zurückweisung der sofortigen Beschwerde möglich ist. Nach Art. 16 Abs. 3 Restrukturierungsrichtlinie darf der Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung haben, die allerdings im Rechtsmittelverfahren angeordnet werden kann. Eine Umsetzung dieser Vorgaben ist in § 66 Abs. 4 erfolgt. Die Möglichkeit von Schadensersatzansprüchen nach Zurückweisung der Beschwerde in § 66 Abs. 5 Satz 3 beruht auf Art. 16 Abs. 4 Unterabs. 2 der Restrukturierungsrichtlinie. III. Beschwerdeberechtigung (Abs. 1 – 3) 1.

Allgemeine Beschwerdebefugnis (Abs. 1)

6

Anders als § 253 Abs. 1 InsO differenziert § 66 bei der Beschwerdebefugnis zwischen der Bestätigung und der Versagung der Bestätigung.

7

Wird der Plan bestätigt, steht grundsätzlich jedem Planbetroffenen die sofortige Beschwerde zu (§ 66 Abs. 1 Satz 1).7) Anders als in § 253 Abs. 1 InsO sind die am Schuldner beteiligten Personen nicht erfasst.8) Dem Restrukturierungsbeauftragten steht nie das Recht zur sofortigen Beschwerde zu.9) Dem Schuldner steht gegen die Planbestätigung ebenfalls kein Beschwerderecht zu.10) _____________ 3) RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021). 4) RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. 5) Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. 6) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. 7) Der Gesetzgeber sah zutreffend eine Beschwerdebefugnis des Schuldners gegen die Bestätigung nicht als sinnvoll an (Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Druck. 19/24181, S. 164). 8) Dazu Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 17. 9) Ebenso für den Insolvenzverwalter/Sachwalter Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 19 f.; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 253 Rz. 8; Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 253 Rz. 10. 10) Dies ist anders als bei § 253 InsO, da dort der Plan auch durch den Insolvenzverwalter vorgelegt werden kann, dazu ausführlich Thies in: HambKomm-InsO, § 253 Rz. 11 ff.

862

Blankenburg

§ 66

Sofortige Beschwerde

Gegen einen die Planbestätigung versagenden Beschluss gemäß § 63 steht lediglich dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu (§ 66 Abs. 1 Satz 2).

8

Für den Begriff der Planbetroffenen ist auf eine formelle Betrachtung abzustellen. Dies sind gemäß § 7 Abs. 1 alle Personen, deren Rechtsstellung als Inhaber der Restrukturierungsforderungen, der Absonderungsanwartschaften, der Rechte aus gruppeninternen Drittsicherheiten und der Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte durch den Plan geändert werden soll. Nicht beschwerdeberechtigt sind Personen, die ein wirtschaftliches Interesse am Fortbestand des Schuldners haben, nicht jedoch unmittelbar in ihrer Rechtsstellung betroffen sind. Erforderlich ist daher in der Regel, dass die Planbetroffenen gemäß § 8 im Plan selbst aufgeführt sind. Zur Beschwerdebefugnis von Planbetroffenen, deren Stimmrecht auf null festgesetzt wurde, siehe Rz. 23.

9

2.

Besondere Beschwerdebefugnis (Abs. 2)

In § 66 Abs. 2 sind über die allgemeine Beschwer weitere Voraussetzungen für die Beschwerdebefugnis geregelt. Obwohl sich die Norm nach ihrem Wortlaut auf sämtliche Beschwerdeführer bezieht, kann sie nach dem Sinn und Zweck nur für Beschwerden gegen die Planbestätigung gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 gelten.11) Erhebt der Schuldner wegen der Versagung der Planbestätigung eine sofortige Beschwerde, ist es denklogisch nicht möglich, dass er die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 erfüllt.12) Es reicht allein die formelle Beschwer durch die Versagung der Bestätigung.13)

10

a) Widerspruch gegen den Plan (Abs. 2 Nr. 1) Nach § 66 Abs. 2 Nr. 1 muss der Beschwerdeführer dem Plan bereits im Abstimmungsverfahren widersprochen haben. Die Widerspruchspflicht bestimmt sich nach § 64 Abs. 2 Satz 1. Der Beschwerdeführer muss nicht nur gegen den Plan gestimmt haben (siehe dazu Rz. 22 ff.), sondern er muss klar und deutlich zum Ausdruck gebracht haben, dass er den Plan nicht gegen sich gelten lassen will.14) Dazu muss er nicht das Wort „Widerspruch“ verwenden, allerdings muss sich aus der Formulierung erkennen lassen, dass er die Rechtswirkungen des Plans nicht gegen sich eintreten lassen will.15) Allein die Vorlage einer Vollmacht zum Widerspruch ist nicht ausreichend.16)

11

Für den Zeitpunkt des Widerspruchs ist zwischen dem außergerichtlichen und dem gerichtlichen Abstimmungsverfahren zu differenzieren.

12

_____________ 11) So auch für § 253 InsO Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 9, 45 f.; Nerlich/RömermannRühle, InsO, § 253 Rz. 11. 12) Der Schuldner kann weder gegen den Plan stimmen noch durch den Plan schlechtergestellt werden (a. A. Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 253 RZ. 24; wohl auch Kübler/ Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 253 Rz. 18). 13) Ebenso Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 66 Rz. 12; So auch Thies in: HambKommInsO, § 253 Rz. 10; die Problematik der materiellen Beschwerde im Falle einer Planvorlage durch den Insolvenzverwalter/Sachwalter kann sich beim Restrukturierungsplan nicht ergeben, da außer dem Schuldner keiner zur Planvorlage berechtigt ist. 14) So auch für § 253 InsO Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 253 Rz. 13. 15) So auch Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 66 Rz. 13. 16) LG Köln, Beschl. v. 18.9.2017 – 1 T 349/17, ZInsO 2017, 2563, 2564.

Blankenburg

863

§ 66

Sofortige Beschwerde

aa) Außergerichtliches Abstimmungsverfahren 13

Im außergerichtlichen Abstimmungsverfahren hat der Schuldner den Beteiligten gemäß § 17 ein Planangebot zu unterbreiten. Der Schuldner hat dabei die Wahl, ob er den Planbetroffenen lediglich die Möglichkeit einräumt, schriftlich dem Plan zuzustimmen oder ob gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 eine Versammlung zur Abstimmung erfolgen soll. Die Gläubiger haben gemäß § 21 lediglich die Möglichkeit, einen Erörterungstermin, nicht jedoch eine mündliche Abstimmung zu erzwingen. Wird das schriftliche Verfahren durchgeführt, muss der Widerspruch bis zum Ablauf der Annahmefrist gemäß § 19 erfolgen. Stimmt ein Planbetroffener gegen den Plan, kann er auch noch nachträglich einen Widerspruch einlegen, wenn dies bis zum Ablauf der Annahmefrist erfolgt.

14

Erfolgt hingegen eine Versammlung zur Abstimmung, muss innerhalb dieses Termins der Widerspruch eingelegt werden. Er kann mündlich oder schriftlich erklärt werden. Dies gilt auch, wenn eine elektronische Teilnahme gemäß § 20 Abs. 2 erfolgt. Der Schuldner hat gemäß § 22 Abs. 1 die Einlegung eines Widerspruchs zu dokumentieren.

15

Ist der Wille des Planbetroffenen unklar, ist der Schuldner verpflichtet, die Erklärung wörtlich aufzunehmen, damit sie ggf. vom Rechtsmittelgericht ausgelegt werden kann. Die Planbetroffenen sind verpflichtet, die ihnen gemäß § 22 Abs. 2 zur Verfügung gestellte Dokumentation dahingehend zu überprüfen, ob der Widerspruch zutreffend aufgenommen wurde. bb) Gerichtliches Abstimmungsverfahren

16

Im gerichtlichen Verfahren muss der Widerspruch im Abstimmungstermin erfolgen. Er kann dort schriftlich oder mündlich zu Protokoll erklärt werden.17) Nicht ausreichend ist es, wenn bereits im Erörterungstermin erklärt wird, dass Widerspruch gegen den Plan eingelegt wird. Bei einem verfrühten Widerspruch hat das Gericht darauf hinzuweisen, dass dieser im Abstimmungstermin wiederholt werden muss.18) Erfolgt ein solcher Hinweis nicht, ist bei einer rechtsunkundigen Person die Beschwerde noch zulässig. Der Widerspruch muss zum Protokoll der Sitzung aufgenommen werden. Durch das Protokoll kann er in der Rechtsmittelinstanz nachgewiesen werden. Ist er versehentlich nicht mitaufgenommen worden, muss gemäß § 164 ZPO eine Protokollberichtigung beantragt werden.19)

17

Der Widerspruch kann nicht dadurch ersetzt werden, dass der Planbetroffene einen Minderheitenschutzantrag nach § 64 gestellt hat.20) Insoweit könnte nur ein zulässiger Minderheitenschutzantrag eine Substitution sein. Da indes ein zulässiger Min_____________ 17) Anders als § 253 Abs. 2 Nr. 1 InsO sieht § 66 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG keine besondere Form vor. Dies rührt daher, dass bei einem Restrukturierungsplan die Abstimmung auch allein schriftlich außerhalb des gerichtlichen Verfahrens erfolgen kann. 18) Nach Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 2, kann ein Widerspruch ab dem Ende des Erörterungstermins eingelegt werden. 19) So auch Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 26. 20) So aber Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 27; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 253 Rz. 17; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 253 Rz. 6.

864

Blankenburg

§ 66

Sofortige Beschwerde

derheitenschutzantrag gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 einen Widerspruch voraussetzt, reicht ein Antrag ohne Widerspruch nicht aus.21) cc) Belehrungspflicht Nach § 66 Abs. 3 Satz 1 gilt die Widerspruchspflicht nur auf Hinweis, wenn in dem Einberufungsschreiben zur Versammlung nach § 20 oder der Ladung zum Termin auf die Notwendigkeit des Widerspruchs hingewiesen wurde. Der Hinweis muss sich im Einberufungsschreiben oder der Ladung selbst befinden. Es ist nicht ausreichend, wenn er sich auf einem beigefügten Hinweisblatt befindet, da dann nicht sichergestellt ist, ob dieses überhaupt zugegangen ist. Wie sich aus dem Wortlaut „besonders hingewiesen“ ergibt, bedarf der Hinweis einer Hervorhebung. Er darf nicht im Fließtext des Schreibens untergehen, sondern sollte freigestellt und möglichst fett gedruckt sein.

18

Wird die Abstimmung ohne eine Versammlung nach § 20 oder ohne Erörterungsund Abstimmungstermin nach § 45 durchgeführt, muss gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 der Hinweis auf die Widerspruchspflicht bereits im Planangebot gemäß § 17 erfolgen. Da der Schuldner bei einer beantragten gerichtlichen Abstimmung nicht weiß, ob das Gericht einen gemeinsamen Erörterungs- und Abstimmungstermin durchführt oder getrennt schriftlich abstimmen lässt, reicht es für den Begriff „Abstimmung im Erörterungs- und Abstimmungstermin“, dass diese getrennt durchgeführt werden. Ebenso wie bei § 66 Abs. 3 Satz 1 muss der Hinweis besonders erfolgen. Der Hinweis kann gleichzeitig mit dem Hinweis auf die sofortige Wirksamkeit des Plans gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 gegeben werden. Wie sich aus § 17 Abs. 1 Satz 2 ergibt, ist der Plan dem Planangebot nur als Anlage beizufügen. Daher reicht es nicht aus, wenn die Belehrung lediglich im Plan erfolgt.

19

Das Gesetz führt keine Ausnahme dazu auf, falls die Belehrung in dem Einberufungsschreiben, der Ladung oder dem Planangebot unterlassen wurde. Insoweit ist zu differenzieren. Bei der Abstimmung in einer Versammlung oder einem Termin ist eine nachträgliche Belehrung hinsichtlich der erschienenen Personen noch möglich. Diese können gesondert vor der Abstimmung auf die Widerspruchspflicht hingewiesen werden.

20

Anders verhält es sich bei Personen, die nicht erschienen sind. Da anders als beim Insolvenzplan eine Enthaltung aufgrund der erforderlichen Mehrheit aller Planbetroffener einer Gruppe wie eine Gegenstimme wirkt, konnten nicht erschienene Planbetroffene darauf vertrauen, dass sie nicht erscheinen müssen, um den Plan zu verhindern. Werden sie überstimmt, steht ihnen bei einer unterlassenen Belehrung auch ohne Widerspruch das Beschwerderecht zu. Gleiches gilt für den Fall einer außergerichtlichen Abstimmung ohne Versammlung. Eine nachträgliche Belehrung ist nicht mehr möglich, außer es wird die Bestimmungsfrist nochmals von neuem in Gang gesetzt. Darauf muss dann deutlich hingewiesen werden.

21

_____________ 21) Es ist daher nicht bloß eine Frömmelei, einen Widerspruch zu fordern (so aber Nerlich/ Römermann-Rühle, InsO, § 253 Rz. 17).

Blankenburg

865

§ 66

Sofortige Beschwerde

b) Abstimmung gegen den Plan (Abs. 2 Nr. 2) 22

Der Beschwerdeführer muss gemäß § 66 Abs. 2 Nr. 2 gegen den Plan gestimmt haben. Auch wenn eine Enthaltung aufgrund der erforderlichen Mehrheit aller Planbetroffenen in einer Gruppe wie eine Gegenstimme wirkt, ist es für die Beschwerdemöglichkeit erforderlich, dass explizit gegen den Plan gestimmt wird. Ausreichend ist es, wenn die Planannahme unter einer Bedingung erklärt wird, da die bedingte Annahme entsprechend § 150 Abs. 2 BGB als Ablehnung gilt.

23

Ist das Stimmrecht eines Planbetroffenen auf null gesetzt worden, kann er grundsätzlich nicht gegen den Plan stimmen. Dies würde aber bedeuten, dass er auch nicht gegen die Stimmrechtsfestsetzung vorgehen kann, da gegen die Stimmrechtsfestsetzung gemäß §§ 45 Abs. 4, 24 kein Rechtsmittel gegeben ist. Ist das Stimmrecht zu Unrecht auf null festgesetzt worden, würde es dem Justizgewährleistungsanspruch widersprechen, wenn dagegen kein Rechtsmittel möglich wäre.22) Es wäre zudem willkürlich, dem Betroffenen, dem ein Stimmrecht i. H. von 5 % der Forderung zugebilligt wird, die sofortige Beschwerde zu ermöglichen, bei einer Festsetzung auf null hingegen kein Rechtsmittel zuzulassen. Daher ist keine Abstimmung gegen den Plan erforderlich, wenn kein Stimmrecht zugebilligt wurde. Es muss dann nur ein Widerspruch eingelegt werden.23)

24

Auf die Pflicht zur Ablehnung muss gemäß § 66 Abs. 3 gesondert hingewiesen worden sein. Es gelten die Ausführung zur Belehrung über die Widerspruchspflicht entsprechend (siehe dazu Rz. 18 ff.).

25

Nicht erforderlich ist, dass der Beschwerdeführer einen Minderheitenschutzantrag nach § 64 gestellt hat.24) Die Regeln über den Zugang zu Rechtsmittelgerichten sind für den Bürger möglichst klar erkennbar und bestimmt zu halten. Denn sie legen fest, in welchen Grenzen und auf welche Weise er sein Recht suchen kann.25) Eine ungeschriebene Zugangsvoraussetzung wäre gerade bei einem neu eingeführten Gesetz mit diesen verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht vereinbar. c) Wesentliche Schlechterstellung (Abs. 2 Nr. 3)

26

Gemäß § 66 Abs. 2 Nr. 3 muss der Beschwerdeführer glaubhaft machen, dass er durch den Plan wesentlich schlechtergestellt wird als er ohne den Plan stünde.26) Dazu bedarf es eines Vergleichs, wie die Befriedigung oder die Rechtsstellung mit und ohne den Plan wäre. Die gleiche Anforderung findet sich auch in § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO, so dass sich daran orientiert werden kann. Für den Insolvenzplan wird eine _____________ 22) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 11; Fischer, NZI 2013, 513, 514. 23) Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 66 Rz. 17; so zu § 251 InsO Sinz in: MünchKommInsO, § 253 Rz. 11; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 253 Rz. 6; Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 253 Rz. 15; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 253 Rz. 7; a. A. Thies in: HambKommInsO, § 253 Rz. 17. 24) Skauradszun in: BeckOK,-StaRUG, § 66 Rz. 43; so auch zu § 251 InsO BGH, Beschl. v 17.7.2014 – IX ZB 13/14, Rz. 11 ff., ZIP 2014, 1442; a. A. Jaffé in: FK-InsO, § 253 Rz. 7; Fischer, NZI 2013, 513, 515. 25) BVerfG, Beschl. v. 11.6.1980 – 1 PBvU 1/79, ZIP 1980, 1137, 1139. 26) Eine Amtsermittlung findet insoweit nicht statt, BGH, Beschl. v 17.7.2014 – IX ZB 13/14, Rz. 39, ZIP 2014, 1442; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 253 Rz. 8.

866

Blankenburg

§ 66

Sofortige Beschwerde

wesentliche Schlechterstellung dann angenommen, wenn die Abweichung von dem Wert, den der Beschwerdeführer voraussichtlich ohne den Plan erhalten hätte, mindestens 10 % beträgt.27) Für kleinere Forderungen wird eine absolute Beschwer von 600 € vorausgesetzt.28) Diese Werte lassen sich auch auf das StaRUG übertragen.29) Bei beiden Normen stellt sich die Problematik des Vergleichsmaßstabs für das Szenario ohne Plan. Nach der h. M. zu § 253 InsO kann nur auf die Abwicklung, nicht jedoch auf eine Fortführung oder andere Art der Sanierung (Planalternative) abgestellt werden.30) Dies kann nicht auf das StaRUG übertragen werden. Bereits der Wortlaut zu § 253 InsO ist abweichend („ohne den Plan“ anstatt „ohne einen Plan“). Insoweit hat der Gesetzgeber klar zu erkennen gegeben, dass nicht allein auf die Abwicklung in einem Regelinsolvenzverfahren abgestellt wird.

27

Als nächstbeste Alternativszenarien kommen in Betracht die Fortführung ohne ein Restrukturierungs- oder Insolvenzverfahren,31) die Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens, der Verkauf des Unternehmens als Ganzes oder der stückweise Verkauf.

28

Will der Gläubiger allerdings nicht nur auf die Liquidation abstellen, muss er die Wahrscheinlichkeit etwaiger Alternativszenarien darlegen.32) Dazu kann er zuvorderst die Vergleichsrechnung des Schuldners heranziehen. Ergibt sich daraus bereits, dass einzelne Gläubiger ohne Plan besserstünden, reicht der Bezug zur Glaubhaftmachung aus. Schwieriger wird es für Beschwerdeführer, wenn er der Ansicht ist, dass die Vergleichsrechnung des Schuldners unzutreffend ist und sich entgegen dieser doch eine Schlechterstellung ergibt. Dann muss der Gläubiger darlegen, welches Alternativszenario er für wahrscheinlich hält und wie bei diesem seine Rechtsstellung aussehen würde. Kaum möglich wird die Darlegung des Verkaufs des Unternehmens als solches sein, wenn der Gläubiger nicht ein privates Bewertungsgutachten einholt.33) Dazu werden ihm aber häufig die unternehmerischen Kennzahlen fehlen.

29

Nicht ausreichend ist es, wenn der Beschwerdeführer zwar eine Besserstellung durch den Plan nicht in Abrede stellt, aber eine Schlechterstellung seiner Position gegenüber einem verfahrenskonformen Verfahren behauptet. Vergleichsmaßstab sind ledig-

30

_____________ 27) LG Hamburg, Beschl. v. 10.12.2014 – 326 T 163/14, ZInsO 2015, 159, 161; LG Stade, Beschl. v. 20.12.2017 – 7 T 151/17, ZInsO 2018, 614, 615; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 31; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 253 Rz. 21. 28) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 31; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 253 Rz. 21; Thies in: HambKomm-InsO, § 253 Rz. 19; Fischer, NZI 2013, 513, 514; noch weitergehend LG Wuppertal, Beschl. v. 18.5.2016 – 16 T 116/16, ZInsO 2016, 1164, 1165, wonach allenfalls in Kleinverfahren vierstellige Beträge ausreichen sollen. 29) Braun-Fendel, StaRUG, § 66 Rz. 9; a. A. Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 66 Rz. 36, der eine Schlechterstellung von mehr als 20 % fordert. 30) LG Hamburg, Beschl. v. 10.12.2014 – 326 T 163/14, ZInsO 2015, 159, 161, m. zust. Anm. Hirte, ZInsO 2015, 162; LG Wuppertal, Beschl. v. 18.5.2016 – 16 T 116/16, ZInsO 2016, 1164, 1165; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 32; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 253 Rz. 8; unklar LG Stade, Beschl. v. 20.12.2017 – 7 T 151/17, ZInsO 2018, 614, 615, wonach eine Gesamtveräußerung außer Betracht bleibt, wie noch kein konkretes Angebot vorliegt (so auch Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 253 Rz. 20). 31) Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 66 Rz. 27, nennt dies das „Ohne-Alles-Szenario“. 32) Ausführlich dazu Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 66 Rz. 23 ff. 33) Dazu ausführlich Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 66 Rz. 29.

Blankenburg

867

§ 66

Sofortige Beschwerde

lich die gewährte Planquote oder die Quote im Regelverfahren, nicht jedoch eine alternative Planquote.34) 31

Für die Glaubhaftmachung muss der Beschwerdeführer die Schlechterstellung schlüssig darlegen und mit präsenten Beweismitteln beweisen (§ 38 StaRUG i. V. m. § 294 ZPO).35) Die Glaubhaftmachung muss innerhalb der Beschwerdefrist erfolgen, da es sich dabei um eine Zulässigkeitsvoraussetzung handelt.36) Die Bezugnahme auf einen Minderheitenschutzantrag reicht nicht aus.37)

32

Hat der Beschwerdeführer eine Schlechterstellung durch den Plan glaubhaft gemacht, muss er weiter glaubhaft machen, dass dieser Nachteil nicht durch eine Zahlung aus den in § 64 Abs. 3 genannten Mitteln ausgeglichen werden kann. Dazu hat er anhand konkreter Zahlen darzulegen, dass die zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichen werden, um sämtliche Nachteile des Plans zu kompensieren.38) Gegebenenfalls muss er auch die Nachteile weiterer Gläubiger dafür darlegen.39) IV. Beschwerdeverfahren

33

Wird die sofortige Beschwerde beim Restrukturierungsgericht eingelegt, hat dieses umgehend über die Abhilfe zu entscheiden. Sieht es die Beschwerde als begründet an, hat es ihr abzuhelfen (siehe ausführlich dazu § 40 Rz. 23 f.). Gegen die Abhilfeentscheidung kann wiederum selbst unter den Voraussetzungen des § 253 InsO die sofortige Beschwerde eingelegt werden.40) Erfolgt keine Abhilfe, müssen die Akten unverzüglich dem LG vorgelegt werden.

34

Das Beschwerdegericht prüft, ob die sofortige Beschwerde zulässig ist. Ist dies nicht der Fall, weist es die Beschwerde als unzulässig zurück. Ist die Beschwerde zulässig, hat das Beschwerdegericht die Entscheidung über die Planbestätigung auf die Rechtmäßigkeit zu prüfen. Da die wesentliche Schlechterstellung nur eine Zulässigkeitsvoraussetzung, jedoch keine Begründetheitsvoraussetzungen ist, ist die Prüfung der Begründetheit nicht auf entsprechende Fehler beschränkt.41) Prüfungsmaßstab ist allein § 63.

_____________ 34) So auch Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 32. 35) S. dazu auch ausführlich § 64 Rz. 160 ff. 36) LG Köln, Beschl. v. 18.9.2017 – 1 T 349/17, ZInsO 2017, 2563, 2565; LG Osnabrück, Beschl. v. 8.8.2017 – 8 T 444/17, ZInsO 2017, 1791, 1792; a. A. Thies in: HambKommInsO, § 253 Rz. 18; unklar BGH, Beschl. v 17.7.2014 – IX ZB 13/14, Rz. 16, ZIP 2014, 1442, wonach die Glaubhaftmachung der Schlechterstellung als Bestandteil der Beschwerdebegründung zu erfolgen hat. 37) K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 253 Rz. 12. 38) Ausführlich zur Glaubhaftmachung Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 66 Rz. 38 ff. 39) So auch Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 253 Rz. 9; nach Madaus, NZI 2012, 597, 599, wird die Ausgleichssummer häufig nicht ausreichen und stellt daher keine wirkliche rechtmittelbeschränkende Hürde dar; a. A. Fischer, NZI 2013, 513, 514. 40) Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 253 Rz. 34. 41) BGH, Beschl. v 17.7.2014 – IX ZB 13/14, Rz. 38, ZIP 2014, 1442; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 253 Rz. 13; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 253 Rz. 32; a. A. Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 66 Rz. 46; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 253 Rz. 16.

868

Blankenburg

§ 66

Sofortige Beschwerde

Hält das Beschwerdegericht die Beschwerde für begründet, kann es entweder selbst in der Sache entscheiden oder die Entscheidung an das Restrukturierungsgericht gemäß § 572 Abs. 3 ZPO zurückübertragen.42) Erfolgt nach der Aufhebung des Bestätigungsbeschlusses die Zurückweisung an das Ausgangsgericht, wird damit nicht automatisch die Abstimmung über den Plan hinfällig. Einer erneuten Abstimmung bedarf es nur, wenn nach Auffassung des Beschwerdegerichts ein Rechtsfehler vorliegt, der sich auf das Abstimmungsverfahren ausgewirkt hat.43) Liegen inhaltlich Planmängel vor, kann der Schuldner erneut einen verbesserten Plan einreichen, über den dann wiederum abzustimmen ist.44)

35

Entscheidet das Beschwerdegericht in der Sache selbst, muss es über die Zulassung der Rechtsbeschwerde entscheiden. Diese ist nur zulässig, wenn das Beschwerdegericht sie zulässt. Wird die sofortige Beschwerde gemäß Absatz 5 zurückgewiesen, ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde allerdings nicht statthaft.45) Im Übrigen wird auf die Ausführungen zur Beschwerde gemäß § 40 verwiesen (siehe § 40 Rz. 27).

36

V. Anordnung der aufschiebenden Wirkung (Abs. 4) Die Wirkungen des Restrukturierungsplans treten gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 mit der Bestätigung ein. Dies ist anders als beim Insolvenzplan, bei dem gemäß § 254 Abs. 1 Satz 1 InsO die Wirkung erst mit Rechtskraft eintreten. Wird die sofortige Beschwerde gegen die Planbestätigung eingelegt, hat diese gemäß § 38 StaRUG i. V. m. § 570 Abs. 1 ZPO keine aufschiebende Wirkung (kein Suspensiveffekt). Daher werden durch diese die Rechtswirkungen des Restrukturierungsplans nicht gehindert.46) Der Beschwerdeführer hat aber die Möglichkeit, gemäß § 66 Abs. 4 zu beantragen, dass die aufschiebende Wirkung der Beschwerde hergestellt wird. 1.

37

Voraussetzungen

a) Antrag Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung setzt einen Antrag voraus. Antragsberechtigt ist der Beschwerdeführer. Der Antrag ist nicht fristgebunden, sondern kann jederzeit nach Einlegung der Beschwerde gestellt werden. Adressat ist das Restrukturierungsgericht.47) Da § 66 zwischen dem „Beschwerdegericht“ und dem „Gericht“ differenziert, ist davon auszugehen, dass bereits das Ausgangsgericht i. R. der Abhilfe über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung entscheiden soll. Es ist daher nicht möglich, dass nach der Vorlage das Beschwerdegericht selbst die Anordnung noch vornimmt. Der Antrag kann schriftlich oder gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. _____________ 42) BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rn. 43, ZIP 2015, 1346. 43) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 94; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 253 Rz. 35; Thies in: HambKomm-InsO, § 253 Rz. 24; a. A. wohl Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 253 Rz. 44. 44) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 94. 45) Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 66 Rz. 86 ff.; so für § 253 Abs. 4 InsO BGH, Beschl. v 17.9.2014 – IX ZB 26/14, Rz. 6 ff., ZIP 2014, 2040, 2041. 46) So allgemein zur sofortigen Beschwerde Zöller-Heßler, ZPO, § 570 Rz. 2. 47) So auch Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 66 Rz. 61; Braun-Fendel, StaRUG, § 66 Rz. 12; a. A. wohl Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 66 Rz. 16.

Blankenburg

869

38

§ 66

Sofortige Beschwerde

b) Schwerwiegende Nachteile 39

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung kann nur dann erfolgen, wenn der Vollzug des Restrukturierungsplans mit schwerwiegenden, insbesondere nicht rückgängig zu machenden Nachteilen für den Beschwerdeführer einhergeht, die außer Verhältnis zu den Vorteilen des sofortigen Planvollzugs stehen. Schwerwiegende Nachteile liegen dann vor, wenn sich diese nicht mehr durch eine Schadenersatzleistung kompensieren lassen. Der Gesetzgeber hat durch § 66 Abs. 5 Satz 2 normiert, dass grundsätzlich Schadensersatzansprüche vorrangig sind. Ein nicht mehr auszugleichender Nachteil kann insbesondere bei gesellschaftsrechtlichen Eingriffen oder bei Eingriffen in dingliche Rechte vorliegen. Die schwerwiegenden Nachteile müssen außer Verhältnis zu den Vorteilen des sofortigen Planvollzugs stehen. Hierbei wird insbesondere abzuwägen sein, ob die Aussetzung des Planvollzugs Auswirkung auf die Fortführung des Unternehmens und damit der Vernichtung von Werten und Arbeitsplätzen hat. Je größer der Schaden durch die Aussetzung für weitere Planbetroffene ist, umso schwerer muss der Nachteil für den Beschwerdeführer sein. 2.

Anordnung

a) Erstanordnung 40

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung erfolgt durch Beschluss. Es ist zu tenorieren, dass die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss aufgehoben wird. Der Beschluss ergeht durch den Einzelrichter (§ 568 Satz 1 ZPO). Eine Anhörung des Beschwerdeführers ist gesetzlich nicht vorgesehen. Um dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs allerdings Rechnung zu tragen, sollte eine Anhörung dennoch erfolgen, wenn nicht die Verhinderung der drohenden Nachteile einer sofortigen Entscheidung bedarf. Der Beschluss ist dem Beschwerdeführer und dem Schuldner zuzustellen. Ein Rechtsmittel dagegen ist nicht gegeben. b) Weitere Anordnungen

41

Nicht gesetzlich geregelt ist, ob es dem Gericht möglich ist, weitere Anordnungen zu treffen. Aus dem Grundsatz minus ad majore ist das Gericht jedoch berechtigt, den Beschluss wieder aufzuheben. Die Zurückweisung eines Antrags erwächst in Rechtskraft. Ein neuer Antrag kann daher nur gestellt werden, wenn neue Gründe vorgebracht werden. VI. Zurückweisung der sofortigen Beschwerde (Abs. 5)

42

Das Beschwerdegericht hat nach § 66 Abs. 5 Satz 1 die Möglichkeit, die sofortige Beschwerde gegen die Bestätigung unverzüglich zurückzuweisen. Der Beschwerdeführer wird dann nach dem Grundsatz „Dulde und liquidiere“ auf Schadensersatzansprüche verwiesen. Diese Möglichkeit befindet sich bereits in § 253 Abs. 4 InsO. Beim Insolvenzplan ist für den Vollzug ggf. eine sofortige Zurückweisung erforderlich, weil die Wirkung des Plans erst mit Rechtskraft eintritt. Dies ist bei Restrukturierungsplänen allerdings nicht erforderlich, so dass fraglich erscheint, was die Einschränkung des Rechtsschutzes und den Verweis auf Schadensersatzansprüche rechtfertigt. Der Gesetzgeber hat dazu nichts in die Gesetzesbegründung aufgenommen.

870

Blankenburg

§ 66

Sofortige Beschwerde

Die Norm scheint allerdings die Rechtsunsicherheit beseitigen zu wollen, die von einem langen Beschwerdeverfahren ausgeht.48) 1.

Voraussetzungen für die Zurückweisung

a) Antrag des Schuldners Die Zurückweisung kann nur auf Antrag erfolgen. Antragsberechtigt ist lediglich der Schuldner. Weder die Planbetroffenen noch der Restrukturierungsbeauftragte sind antragsberechtigt. Der Antrag kann schriftlich oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle gestellt werden. Er ist nicht an eine Frist gebunden, kann jedoch erst nach Einlegung der Beschwerde gestellt werden. Er kann nur bis zur Entscheidung über die Beschwerde gestellt werden.49) Er kann sowohl beim Restrukturierungsgericht als auch beim Beschwerdegericht gestellt werden.50) Wird er beim Restrukturierungsgericht gestellt und sind die Akten schon übersandt, ist er der Akte nachzusenden.51) Zuständig für die Entscheidung über den Antrag ist allein das Beschwerdegericht.52)

43

b) Abwägung der Nachteile Voraussetzung für die sofortige Zurückweisung ist, dass die alsbaldige Rechtskraft der Planbestätigung vorrangig erscheint, weil die Nachteile eines verzögerten Planvollzugs die Nachteile für den Beschwerdeführer überwiegen. Das Gericht muss daher zunächst erstmal feststellen, welche Nachteile dem Beschwerdeführer entstehen, wenn der Plan sofort vollzogen wird. Anschließend muss das Gericht prüfen, welche Nachteile dadurch entstehen, dass die Planumsetzung durch das Beschwerdeverfahren verzögert wird. Es darf nicht darauf abgestellt werden, wie die Lage wäre, wenn der Plan im Beschwerdeverfahren aufgehoben wird.53) Folglich ist für das Vollzugsinteresse allein die Lage bei einer sofortigen Bestätigung des Insolvenzplans ohne Sachprüfung der Beschwerde mit der Lage zu vergleichen, die sich bei einer späteren Bestätigung des Insolvenzplans nach (rechtskräftiger) Sachprüfung ergibt.54) Bei der Lage des Beschwerdeführers sind sämtliche mildernde Umstände wie Ausgleichszahlungen nach § 64 Abs. 3 sowie etwaige Schadensersatzansprüche nach § 66 Abs. 4 Satz 3 zu berücksichtigen.55) _____________ 48) So auch Madaus, NZI 2020, 1118, 1119. 49) Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 253 Rz. 41; a. A. LG Berlin, Beschl. v. 14.4.2014 – 51 T 107/14, DZWIR 2014, 375. 50) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 63; Thies in: HambKomm-InsO, § 253 Rz. 25; a. A. Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 66 Rz. 64; Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 253 Rz. 29; Fischer, NZI 2013, 513, 517. 51) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 65. 52) Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 66 Rz. 64. 53) BVerfG, Beschl. v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, Rz. 56, ZIP 2021, 46, 51; das Ausgangsgericht hatte Nachteile für den Schuldner angenommen, da bei einer Nichtumsetzung des Plans Schäden an einem Bauvorhaben drohten, dass durch einen anderen Rechtsstreit belastet war. 54) So die Stellungnahme des IX. Zivilsenats des BGH in dem Verfahren BVerfG, Beschl. v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, Rz. 27, ZIP 2021, 46, 48. 55) So auch zu § 253 InsO Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 69; Fischer, NZI 2013, 513, 518.

Blankenburg

871

44

§ 66

Sofortige Beschwerde

45

Das Gesetz lässt insoweit offen, auf welchen Personenkreis für die Nachteile beim verzögerten Planvollzug abzustellen ist. Einzubeziehen sind der Schuldner und sämtliche Planbetroffene.56) Aber auch Dritte können in die Überlegung einbezogen werden, wenn ihnen durch den unterlassenen Planvollzug Nachteile drohen (z. B. Arbeitnehmer).57)

46

Ebenfalls nicht gesetzlich definiert ist der Begriff des Nachteils. Unzweifelhaft darunter fällt es, wenn eine Rechtsposition verschlechtert wird. Ein Nachteil kann es aber auch darstellen, wenn es unterlassen wird, eine Rechtsposition zu erweitern.

47

Die gefundenen Nachteile sind miteinander abzuwägen. Dabei kommt es nicht auf die Quantität auf einer Seite an, vielmehr ist die jeweilige Qualität der Nachteile zu gewichten. Schwerwiegende Nachteile können nur durch gleichwertige Nachteile oder eine Vielzahl von geringfügigeren Nachteilen aufgewogen werden. Insbesondere irreversible Nachteile fallen stärker ins Gewicht.58)

48

Unerheblich bei der Abwägung ist die Frage, ob der Plan rechtsfehlerhaft zustande gekommen ist, solange es sich nicht um einen besonders schwerwiegenden Rechtsverstoß handelt (siehe dazu Rz. 49).59) Ist die sofortige Beschwerde offensichtlich unzulässig oder unbegründet, überwiegt stets das Vollzugsinteresse.60) c) Kein besonders schwerwiegender Rechtsverstoß

49

Eine sofortige Zurückweisung darf nicht erfolgen, wenn ein besonders schwerer Rechtsverstoß vorliegt. Der Gesetzgeber hat den Begriff im StaRUG selbst nicht definiert. Bedenklich in Anbetracht der Rechtsstaatsgarantie gemäß Art. 19 Abs. 4 GG erscheint, dass selbst schwere Rechtsverstöße zur Einschränkung des Rechtsschutzes führen, wenn sie nicht als besonders schwer zu klassifizieren sind. Rechtverstöße gegen die Planvorschriften können in drei Gruppen eingeteilt werden.61) In die erste Gruppe fallen Verstöße gegen nicht plandispositive Gegenstände, wie z. B. aussonderungsberechtigte Forderungen. Solche Verstöße stellen grundsätzlich besonders schwere Verstöße dar.

50

Die zweite Gruppe umfasst Rechtsverstöße gegen wesentliche Verfahrensvorschriften, etwa über die verfahrensmäßige Behandlung des Plans und dessen Annahme durch die Beteiligten. Hier liegt ein besonders schwerer Rechtsverstoß vor, wenn wesentliche Verfahrensrechte zum Nachteil eines Beteiligten verletzt und dadurch dessen Rechtsstellung in einer der Verletzung von Verfahrensgrundrechten vergleichbaren Weise verletzt werden (z. B. Ungleichbehandlung innerhalb einer Gruppe ohne Zustimmung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1, Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten ohne Kompensation). _____________ Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 69. So auch Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 253 Rz. 47 Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 69. So auch Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 70. Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 253 Rz. 34; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 253 Rz. 44; unklar K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 253 Rz. 18, wonach bei einer unzulässigen Beschwerde auch der Antrag nach § 253 Abs. 4 InsO unzulässig sein soll. 61) So die Stellungnahme des IX. Zivilsenats des BGH in dem Verfahren BVerfG, Beschl. v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, Rz. 29, ZIP 2021, 46, 48.

56) 57) 58) 59) 60)

872

Blankenburg

§ 66

Sofortige Beschwerde

Die dritte Fallgruppe betrifft alle übrigen Rechtsverstöße. Hier wird sich die Bewertung als besonders schwer in erster Linie danach richten, ob der Rechtsverstoß offensichtlich ist.62) Die Rechtslage, aus der sich der Rechtsverstoß des Restrukturierungsplans ergibt, muss so eindeutig sein, dass die Antwort auch ohne eine höchstrichterliche Klärung der Frage keinem Zweifel unterliegt. Nicht ausreichend ist es, wenn eine Rechtsfrage lediglich umstritten ist und ggf. einer Klärung durch den BGH bedarf. 2.

51

Zurückweisungsentscheidung

Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die alsbaldige Rechtskraft vorrangig erscheint.63) Dabei bietet es sich an, zunächst den besonders schwerwiegenden Rechtsverstoß zu prüfen und erst bei Verneinung eine Nachteilsabwägung vorzunehmen.64) Auch wenn der Grundsatz der Amtsermittlung im Restrukturierungsverfahren gilt, ist es erforderlich, dass die betroffenen Beteiligten ihre Interessen darlegen. Da es sich um ein summarisches Eilverfahren handelt,65) bedarf es keines Vollbeweises der Voraussetzungen, vielmehr reicht die Glaubhaftmachung aus.66) Im Rahmen des summarischen Eilverfahrens ist das Beschwerdegericht nicht verpflichtet, aufwendig Beweis zu erheben, insbesondere muss kein Sachverständigengutachten eingeholt werden.67)

52

Wird der Vorrang der Rechtskraft bejaht, besteht kein Ermessen, ob die Zurückweisung erfolgt. Ist der Antrag begründet, erfolgt eine Zurückweisung als unbegründet,68) anderenfalls eine Zurückweisung des Antrags als unzulässig. Die Zurückweisungsentscheidung ergeht durch Beschluss. Der Beschluss ergeht durch den Einzelrichter, wenn die Sache nicht auf die Kammer übertragen wird (§ 568 Satz 1 ZPO). Da Spezialkammern einzurichten sind, kann die Zurückweisungsentscheidung nicht immer als besonders schwierig in rechtlicher Art gemäß § 568 Satz 2 Nr. 1 ZPO gelten.

53

Nach dem Gesetzeswortlaut bedarf es vor dem Beschluss keiner Anhörung der Beteiligten. Während hinsichtlich des Schuldners durch den Antrag das rechtliche Gehör gewahrt ist, bestehen hinsichtlich des Beschwerdeführers Bedenken, als dass das Gebot zum rechtlichen Gehör voraussetzt, dass auch dieser seine Argumente vorbringen kann und glaubhaft machen muss. Vor der Entscheidung hat das Beschwerdegericht daher dem Beschwerdeführer eine kurze Frist zur Stellungnahme zu setzen.69) Der Beschwerdeführer kann dann insbesondere zum besonders schweren

54

_____________ 62) Ähnlich Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 67 „sofort als unerträglich erkennbar“; krit. zur Offensichtlichkeit BVerfG, Beschl. v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, Rz. 49, ZIP 2021, 46, 51. 63) K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 253 Rz. 21; a. A. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 72, wonach die entscheidungserheblichen Tatsachen glaubhaft zu machen sind. 64) Fischer, NZI 2013, 513, 517. 65) So BGH, Beschl. v. 17.9.2014 – IX ZB 26/14, Rz. 14, ZIP 2014, 2040. 66) So auch Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 253 Rz. 46; Fischer, NZI 2013, 513, 518. 67) Ebenso Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 72. 68) So auch Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 84. 69) Fischer, NZI 2013, 513, 519, hält eine Frist von maximal sieben Tagen für ausreichend.

Blankenburg

873

§ 66

Sofortige Beschwerde

Rechtsverstoß vortragen. Alternativ bietet sich eine kurzfristig durchzuführende mündliche Verhandlung an.70) 55

Der Beschluss muss unverzüglich erfolgen. Dies bedeutet ohne schuldhaftes Zögern. Das Gericht hat daher nach einer kurzen Überlegungsfrist den Beschluss nach Anhörung der Beteiligten zu erlassen. Dies dürfte in der Regel innerhalb von zwei Wochen möglich sein.71) Befinden sich die Akten noch beim Insolvenzgericht für die Abhilfeentscheidung, hat dieses die Akten unverzüglich dem LG vorzulegen. Einer Abhilfeentscheidung bedarf es gemäß § 66 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 dann nicht mehr. Die Norm schließt ein Abhilfeverfahren nur beim Vorliegen eines entsprechenden Antrags aus, nicht jedoch generell.72)

56

Gegen die Zurückweisungsentscheidung des LG gemäß § 66 Abs. 5 Satz 1 ist kein Rechtsmittel gegeben.73) Die Rechtsbeschwerde kann nicht zugelassen werden.74) Da die Rechtsbeschwerde nicht zulässig ist, gibt es auch keine Nichtzulassungsbeschwerde.75)

57

Weist das LG die Beschwerde nicht unverzüglich zurück, schließt sich ein normales Beschwerdeverfahren an (siehe dazu § 40 Rz. 15 ff.). § 66 Abs. 5 hat keine Präklusionswirkung für Rechtsverstöße und schränkt die materiell-rechtliche Prüfung nicht ein.76) Prüfungsmaßstab ist dann § 63. 3.

Schadensersatz

58

Wird die sofortige Beschwerde unverzüglich zurückgewiesen, steht dem Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 5 Satz 2 gegen den Schuldner ein Schadensersatzanspruch zu. Es handelt sich dabei um einen originären Anspruch, der sich unmittelbar aus dem StaRUG ergibt. Voraussetzung ist, dass die Beschwerde im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung zulässig und begründet gewesen wäre, d. h. Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.77) Der Anspruch ist verschuldensunabhängig.

59

Der Schadensersatzanspruch ist auf Geldersatz gerichtet. Wie sich aus § 66 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 ergibt, kann nicht die Naturalrestitution verlangt werden.78) Viel_____________ 70) Fischer, NZI 2013, 513, 519. 71) Ebenso Fischer, NZI 2013, 513, 520; a. A. Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 253 Rz. 31 (max. drei Monate). 72) So auch Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 85. 73) Zu § 253 InsO BGH, Beschl. v. 17.9.2014 – IX ZB 26/14, Rz. 10 ff., ZIP 2014, 2040. 74) BGH, Beschl. v. 17.9.2014 – IX ZB 26/14, Rz. 17, ZIP 2014, 2040; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 253 Rz. 17. 75) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 89. 76) BGH, Beschl. v 17.7.2014 – IX ZB 13/14, Rz. 38, ZIP 2014, 1442; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 253 Rz. 13; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 253 Rz. 32. 77) Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 66 Rz. 77; so zu § 253 InsO Begr. RegE ESUG, BTDrucks. 17/5712, S. 36; ebenso BGH, Beschl. v. 17.9.2014 – IX ZB 26/14, Rz. 20, ZIP 2014, 2040; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 74; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 253 Rz. 18; Kübler/Prütting/Bork-Pleister, InsO, § 253 Rz. 40; zum Verhältnis zu einer Klage nach § 64 Abs. 3 Satz 2 StaRUG bzw. § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO Madaus, NZI 2012, 597, 599. 78) Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 66 Rz. 78; so auch für § 253 InsO Sinz in: MünchKommInsO, § 253 Rz. 75.

874

Blankenburg

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

mehr ist die Vermögenssituation des Beschwerdeführers mit und ohne den Planvollzug zu vergleichen. Die Differenz ist auszugleichen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs trägt der Beschwerdeführer.79) Ob der Plan eine Ausschlussfrist zur Geltendmachung des Schadens beinhalten darf, erscheint i. R. des StaRUG zweifelhaft.80) Anders als durch den Insolvenzplan kann nicht das Verfahrensrecht geändert werden.

60

Für Klagen auf den Schadensersatzanspruch ist gemäß § 66 Abs. 5 Satz 3 ausschließlich das Gericht zuständig, das die Beschwerde zurückgewiesen hat. Da die LG gemäß § 71 Abs. 2 Nr. 6 GVG sowieso für Ansprüche aus dem StaRUG funktional zuständig sind, ist damit nur eine örtliche Zuweisung erfolgt. Die Regelung soll gewährleisten, dass sich das gleiche Gericht mit der Prüfung des Sachverhalts erneut befasst. Die Zuständigkeitszuweisung bezieht sich allerdings nur auf das Gericht, nicht jedoch auf den Spruchkörper selbst.81) Da die LG allerdings gemäß § 72a Abs. 1 Nr. 7 GVG verpflichtet sind, Spezialkammern für Streitigkeiten und Beschwerden aus dem StaRUG zu schaffen, sollte die Sache wieder in der gleichen Kammer anhängig werden, wenn nicht mehrere Kammern am Gericht geschaffen wurden.

61

_____________ 79) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 76. 80) Für die Zulässigkeit einer solchen Ausschussfrist Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 78; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 253 Rz. 53; Fischer, NZI 2013, 513, 520. 81) A. A. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 79.

Unterabschnitt 2 Wirkungen des bestätigten Plans; Überwachung der Planerfüllung § 67 Wirkungen des Restrukturierungsplans Backes/Arends

(1) 1Mit der Bestätigung des Restrukturierungsplans treten die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen ein. 2Dies gilt auch im Verhältnis zu Planbetroffenen, die gegen den Plan gestimmt haben oder die an der Abstimmung nicht teilgenommen haben, obgleich sie ordnungsgemäß an dem Abstimmungsverfahren beteiligt worden sind. (2) Handelt es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, wirkt eine Befreiung des Schuldners von Verbindlichkeiten auch zugunsten seiner persönlich haftenden Gesellschafter, sofern im Restrukturierungsplan nichts anderes bestimmt ist.*) _____________ *)

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 67 Abs. 2 die Wörter „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft.

Backes/Arends

875

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

(3) 1Die Rechte der Restrukturierungsgläubiger gegen Mitschuldner und Bürgen des Schuldners sowie die Rechte der Gläubiger an Gegenständen, die nicht zum Vermögen des Schuldners gehören, oder aus einer Vormerkung, die sich auf solche Gegenstände bezieht, werden mit Ausnahme der nach § 2 Absatz 4 gestalteten Rechte aus gruppeninternen Drittsicherheiten von dem Restrukturierungsplan nicht berührt. 2Der Schuldner wird jedoch durch den Plan gegenüber dem Mitschuldner, Bürgen oder sonstigen Rückgriffsberechtigten befreit wie gegenüber dem Gläubiger. (4) Ist ein Gläubiger weitergehend befriedigt worden, als er es nach dem Restrukturierungsplan zu beanspruchen hat, so begründet dies keine Pflicht zur Rückgewähr des Erlangten. (5) Werden Restrukturierungsforderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte an dem Schuldner umgewandelt, kann der Schuldner nach der gerichtlichen Bestätigung des Restrukturierungsplans keine Ansprüche wegen einer Überbewertung der Forderungen im Plan gegen die bisherigen Gläubiger geltend machen. (6) Mit der rechtskräftigen Bestätigung des Restrukturierungsplans gelten Mängel im Verfahren der Planabstimmung sowie Willensmängel von Planangebot und Planannahme als geheilt. Literatur: Schulze, Nicht erzwingbare Leistungsforderungen im Zivilrecht, JuS 2011, 193. Übersicht I. II. 1. 2. III. 1.

2.

876

Normzweck ........................................... 1 Normhistorie ........................................ 9 Restrukturierungsrichtlinie .................. 9 Gesetzgebungsverfahren ..................... 15 Wirkungen des bestätigten Restrukturierungsplans (Abs. 1) ...... 18 Eintritt der Wirkungen eines Plans (Abs. 1 Satz 1) ..................................... 20 a) Gerichtliche Planbestätigung ...... 21 b) Bestätigungsbedürftigkeit des Plans .............................................. 23 aa) Bestätigungsbedürftigkeit gemäß Plan ................................... 24 bb) Bestätigungsbedürftigkeit aufgrund des Abstimmungsverhaltens von Planbetroffenen ............ 26 cc) Bestätigungsbedürftigkeit aufgrund gesetzlicher Bestimmungen bzw. des Planinhalts .............. 32 dd) Bestätigungserfordernis wegen neuer Finanzierung (Art. 10 Abs. 1 lit. b Restrukturierungsrichtlinie) ...................................... 35 Rechtsfolge: Eintritt der Wirkungen eines Plans (Abs. 1 Satz 1) ........... 36 a) Zeitpunkt des Eintritts der Wirkungen .................................... 37 b) Wirkungen des Restrukturierungsplans ..................................... 38

c) Subjektiver Anwendungsbereich ........................................... 39 d) Sachlicher Anwendungsbereich ........................................... 44 3. Tatbestand des Absatz 1 Satz 2 .......... 45 a) Abstimmungsverhalten der Planbetroffenen ............................ 46 aa) Ablehnung des Plans durch Planbetroffene (Abs. 1 Satz 2 Var. 1) ........................................... 47 bb) Nichtteilnahme an der Abstimmung (Abs. 1 Satz 2 Var. 2) ........ 48 cc) Stimmenthaltung .......................... 51 b) Ordnungsgemäße Beteiligung am Abstimmungsverfahren ......... 55 aa) Annahmeverfahren nach §§ 17 bis 19 ............................................. 56 bb) Abstimmungsversammlung nach § 20 ....................................... 59 cc) Gerichtliches Planabstimmungsverfahren nach §§ 23, 45 und 46 .... 62 dd) Heilung von Verfahrensverstößen ...................................... 66 ee) Sonstige Verfahrensverstöße ....... 68 4. Rechtsfolge des Absatz 1 Satz 2 ......... 69 IV. Haftung der persönlich haftenden Gesellschafter (Abs. 2) ....................... 70 1. Tatbestand und Rechtsfolge (Abs. 2) ................................................ 71

Backes/Arends

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans 2.

Ergänzende Anmerkungen ................. 72 a) Nicht rechtsfähiger Verein (§ 54 BGB) ................................... 72 b) Unabhängigkeit von der Planbestätigung ................................... 78 c) Durchbrechung und Grenzen der Durchbrechung der Akzessorietät .......................................... 79 d) Begriff „Befreiung von Verbindlichkeiten“ (Haftungsbefreiung bzw. Haftungsbegrenzung) ................................. 81 e) Zeitpunkt des Eintritts der Haftungsbefreiung ....................... 83 V. (Aus-)Wirkungen des Plans auf Drittsicherheiten sowie Regressausschluss (Abs. 3) ............................. 85 1. Tatbestand des Absatz 3 Satz 1 .......... 86 a) Sicherheiten .................................. 86 aa) Personalsicherheiten .................... 87 bb) Realsicherheiten ........................... 88 b) Restrukturierungsgläubiger ......... 89 c) Sicherheitengewährung durch Dritte ............................................ 90 d) Bestätigung des Restrukturierungsplans ..................................... 93 2. Rechtsfolge des Absatz 3 Satz 1 ......... 94 3. Tatbestand des Absatz 3 Satz 2 .......... 95 4. Rechtsfolge des Absatz 3 Satz 2 ......... 96 VI. Über die Planregelungen hinausgehende Befriedigung (Abs. 4) .............................................. 100 VII. Ausschluss Differenzhaftung (Abs. 5) .............................................. 103

I.

1.

Tatbestand des Absatz 5 ................... 104 a) Umwandlung in Anteilsoder Mitgliedschaftsrechte (§ 7 Abs. 4) ................................. 104 b) Überbewertung von Restrukturierungsforderungen ............... 106 c) Gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans .............. 109 2. Rechtsfolge des Absatzes 5 ............... 110 a) Ausschluss der Innenhaftung (Differenzhaftung) .................... 110 b) Ausschluss der Außenhaftung nach § 171 Abs. 1 HGB ............. 112 3. Ergänzende Anmerkungen ............... 114 a) Grenzen der Bewertungsfreiheit des Schuldners, Versagung der Planbestätigung .................... 114 b) Risiken für Restrukturierungsgläubiger ..................................... 115 VIII. Heilung von Verfahrens- und Willensmängeln (Abs. 6) ................. 118 1. Tatbestand des Absatz 6 ................... 119 a) Mängel im Abstimmungsverfahren sowie Willensmängel ...... 119 aa) Mängel im Abstimmungsverfahren ..................................... 119 bb) Willensmängel im Zusammenhang mit dem Planangebot oder der Planannahme ............... 121 b) Rechtskräftige Bestätigung des Restrukturierungsplans ....... 124 2. Rechtsfolge des Absatz 6 .................. 126

Normzweck

Der Zweck der Vorschrift ist, die Wirkungen eines gerichtlich bestätigten Plans in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht sowie die Wirkungen des Bestätigungsbeschlusses an sich zu regeln bzw. teilweise zu konkretisieren. Die Vorschrift orientiert sich in wesentlichen Teilen an den §§ 254 und 254b InsO, ohne mit diesen stets inhaltlich deckungsgleich zu sein. Die Unterschiede resultieren dabei aus den unionsrechtlichen Vorgaben durch die Restrukturierungsrichtlinie1) sowie den strukturellen Unterschieden zwischen dem Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (Restrukturierungsverfahren) und dem Insolvenzverfahren, welches als Gesamtvollstreckungsverfahren grundsätzlich alle Gläubiger umfasst und dessen primäres Ziel die bestmögliche Gläubigerbefriedigung ist. _____________ 1)

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

Backes/Arends

877

1

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

2

Nach § 67 Abs. 1 Satz 1 treten die im gestaltenden Teil des bestätigten Plans festgelegten Wirkungen bereits mit Verkündung des Bestätigungsbeschlusses nach § 65 Abs. 1 ein und nicht erst, wie dies in § 254 Abs. 1 InsO geregelt ist, mit der Rechtskraft der Bestätigung. Die von § 254 Abs. 1 InsO abweichende Regelung beruht auf Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 1 der Restrukturierungsrichtlinie. Zweck der Regelung ist damit die zeitliche Bestimmung des Eintritts der Wirkungen des Plans.

3

Die Regelung des § 67 Abs. 1 Satz 2, die die Wirkungen des bestätigten Plans auf alle Planbetroffenen erweitert, soweit sie ordnungsgemäß am Abstimmungsverfahren beteiligt waren, orientiert sich an §§ 254 Abs. 1, 254b InsO, berücksichtigt aber zugleich, dass es sich beim Restrukturierungsverfahren um ein teilkollektives Verfahren handelt, bei dem der Schuldner innerhalb der Grenzen der §§ 4 und 8 entscheiden darf, welche Parteien er in das Verfahren einbeziehen will. Die Regelung ist ein Kernelement des Restrukturierungsverfahrens, da sie das Störungspotential einzelner Planbetroffener oder Gruppen von Planbetroffenen reduziert und dem für die Annahme des Restrukturierungsplans geltende Mehrheitsprinzip der §§ 25 und 26 erst zur Geltung verhilft. Ohne diese Regelung könnte der Plan zwar abweichend von § 18 Wirkung gegenüber den Planbetroffenen entfalten, die ihm zugestimmt haben, nicht jedoch gegenüber den übrigen, in § 67 Abs. 1 Satz 2 definierten Planbetroffenen.

4

Inhaltlich entspricht § 67 Abs. 2 den Regelungen des § 11 Satz 2. Damit kommt § 67 Abs. 2 allenfalls klarstellende Bedeutung hinsichtlich der Erweiterung der Wirkungen des Plans nach § 67 Abs. 1 Satz 2 auf die nicht zustimmenden Planbetroffenen zu. Zweck der Regelung ist, die mit dem Restrukturierungsverfahren verfolgte Sanierung des Unternehmens nicht dadurch zu gefährden, dass die im Plan vorgesehenen Befriedigungsverzichte der Gläubiger durch die fortbestehende persönliche Haftung der Gesellschafter entwertet werden.2) Zudem sollen Doppelbelastungen der Gesellschafter vermieden werden, die durch eine fortbestehende persönliche Haftung sowie einen im Plan vorgesehenen Eingriff in die Anteilsrechte entstehen könnten. Der durch die Regelungen bezweckte Schutz des Restrukturierungserfolgs und des persönlichen haftenden Gesellschafters ist allerdings schwach ausgeprägt, da die Regelungen plandisponibel sind.

5

§ 67 Abs. 3 entspricht der Parallelregelung für Insolvenzpläne in § 254 Abs. 2 InsO. Zweck der Regelungen des § 67 Abs. 3 ist es, die Entwertung von (akzessorischen und nicht akzessorischen) Drittsicherheiten durch die haftungsbeschränkende Wirkung des Restrukturierungsplans (§ 11 Satz 1) zu verhindern, ohne dass der Sanierungserfolg durch Rückgriffsansprüche der Drittsicherheitengeber gegen den Schuldner gefährdet wird. Die Regelung des § 67 Abs. 3 Satz 1 hat eine hohe volkswirtschaftliche Bedeutung, da eine Entwertung von Drittsicherheiten, die gerade für den Fall der wirtschaftlichen Krise des Hauptschuldners gegeben werden, erheblichen Einfluss auf die Kreditwirtschaft sowie die gesamten Finanzierungsmöglichkeiten (einschließlich Warenkrediten) von Unternehmen, insbesondere in Krisensituationen, hätte. _____________ 2)

878

Begr. RegE SanInsFoG z. § 74 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 165.

Backes/Arends

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

Die Regelung des § 67 Abs. 4 hat eher klarstellenden Charakter und entspricht § 254 Abs. 3 InsO. Wie beim Insolvenzplan führt die im Restrukturierungsplan geregelte, lediglich anteilige Befriedigung von Verbindlichkeiten, unabhängig von den Formulierungen des Plans (z. B. der Bezeichnung als (Teil-)Verzicht/Erlass), nicht zum Erlöschen des unbefriedigten Teils der Forderungen der betroffenen Gläubiger. Vielmehr besteht der jeweils verbliebene Teil als erfüllbare, aber nicht erzwingbare unvollkommene Verbindlichkeit bzw. Naturalobligationen fort.3) Zahlungen hierauf können bereits nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen nicht zurückgefordert werden.4)

6

Zweck der Regelung des § 67 Abs. 5 ist der Ausschluss der Differenzhaftung, da nur so den Planbetroffenen ein im gestaltenden Teil vorgesehener Dept Equity Swap (§ 7 Abs. 4) zugemutet werden kann. Zudem hat die Regelungen Auswirkungen auf die Frage, ob die Mitglieder der betroffenen Gläubigergruppe durch den Restrukturierungsplan schlechtergestellt werden als sie ohne Plan stünden, und ist damit sowohl für eine gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung nach § 26 als auch den Minderheitenschutz nach § 64 relevant.

7

Die in § 67 Abs. 6 geregelte und mit Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses eintretende Heilung von Verfahrens- und Willensmängeln dient der Rechtssicherheit. Aus der Struktur des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens als (Teil-)Kollektivverfahren sowie seiner hybriden Rechtnatur, insbesondere der vertraglichen Prägung des Restrukturierungsrahmens gemäß dem ersten Kapitel des zweiten Teils des StaRUG, ergibt sich ein erhöhtes Risiko von tatsächlichen oder vermeintlichen Verfahrens- und Willensmängeln und damit von Rechtsunsicherheiten. Diese werden auf Grundlage von § 67 Abs. 6 durch einen rechtskräftigen Bestätigungsbeschluss beseitigt, so dass sich ein Planbestätigungsverfahren auch im Falle eines konsensualen Restrukturierungsplans, also eines Plans, der von allen Planbetroffenen einstimmig angenommen wurde, anbietet.

8

II. Normhistorie 1.

Restrukturierungsrichtlinie

Nach Art. 10 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie („Bestätigung von Restrukturierungsplänen“) dürfen Restrukturierungspläne, die die Forderungen oder Beteiligung ablehnender betroffener Parteien beeinträchtigen (Art. 10 Abs. 1 lit. a Restrukturie_____________ 3)

4)

S. Begr. RegE SanInsFoG z. § 74 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 166; zudem ist auf § 11 Satz 1 sowie die Rspr.zur Parallelnorm § 227 Abs. 1 InsO (BGH, Urt. v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, Rz. 8, NZI 2011, 538 = ZIP 2011, 1271) zu verweisen. Anmerkung: Nach hier vertretener Auffassung führen nicht § 254 Abs. 3 InsO bzw. § 67 Abs. 4 StaRUG dazu, dass die nach dem gestaltenden Teil des Plans „erlassenen“ Forderungen als von der Rückforderung ausgeschlossene Naturalobligationen fortbestehen, sondern erkennen diese grundsätzliche Wirkung der Pläne nur an. Denn die Rechtsfigur der Naturalobligation ist von einer gesetzlichen Kodifizierung unabhängig (s. ausführlich Schulze, JuS 2011, 193). So haben der BGH und die h. L. bereits zur VerglO und zur KO den Fortbestand als Naturalobligation anerkannt, ohne dass die VerglO oder die KO eine § 254 Abs. 3 InsO bzw. § 67 Abs. 4 StaRUG entsprechende Regelung enthielten (vgl. BGH, Urt. v. 9.4.1992 – IX ZR 304/90, ZIP 1992, 708, 710). Vgl. Wendehorst in: BeckOK-BGB, § 813 Rz. 6.

Backes/Arends

879

9

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

rungsrichtlinie), die eine neue Finanzierung vorsehen (Art. 10 Abs. 1 lit. b Restrukturierungsrichtlinie) oder die zum Verlust von mehr als 25 % der Arbeitsplätze führen (Art. 10 Abs. 1 lit. c Restrukturierungsrichtlinie) nur verbindlich werden, wenn sie von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde bestätigt werden.5) 10

Weiterhin bestimmt Art. 15 Restrukturierungsrichtlinie („Wirkung von Restrukturierungsplänen“), dass bestätigte Restrukturierungspläne für alle Planbetroffenen, unabhängig von ihrem konkreten Abstimmungsverhalten, verbindlich sind (Art. 15 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie)6), es sei denn, sie waren an der Annahme des Plans nicht beteiligt (Art. 15 Abs. 2 Restrukturierungsrichtlinie)7).

11

Für Rechtsbehelfe gegen einen Beschluss, mit dem ein Restrukturierungsplan bestätigt wird, bestimmt Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 1 Restrukturierungsrichtlinie („Rechtsbehelfe“), dass diese in Bezug auf die Ausführung des Plans keine aufschiebende Wirkung haben dürfen.8)

12

Nach der Gesetzesbegründung setzt der an § 254 InsO angelehnte § 67 StaRUG die vorstehenden Richtlinienvorgaben, soweit sie umzusetzen waren, was für den Abbau von Arbeitsplätzen (Art. 10 Abs. 1 lit. c Restrukturierungsrichtlinie) mangels entsprechender Regelungen im StaRUG nicht der Fall ist, in § 67 Abs. 1 um.9) Dies trifft jedoch nur teilweise zu. Denn der Gesetzgeber hat Art. 10 Abs. 1 lit. b Restrukturierungsrichtlinie, obwohl er ihn in der Gesetzesbegründung ausdrücklich erwähnt und die Richtlinie kein Umsetzungsermessen einräumt, nicht umgesetzt. Nach Art. 10 Abs. 1 lit. b der Restrukturierungsrichtlinie dürfen die Wirkungen eines Restrukturierungsplans, der eine neue Finanzierung i. S. des Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 Restrukturierungsrichtlinie vorsieht, nur dann für die Planbetroffenen verbindlich sein, wenn der Plan von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde bestätigt wurde. Dies gilt unabhängig davon, ob dem Plan alle Planbetroffenen zugestimmt haben oder nicht. Denn die Tatbestände der lit. a bis c des Art. 10 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie gelten alternativ, nicht kumulativ.10) Demgegenüber ergibt sich aus § 67 Abs. 1 Satz 2, dass ein Restrukturierungsplan nur dann der Planbestätigung bedarf, wenn er auch gegenüber ablehnenden oder schlicht passiven Planbetroffenen gelten soll. Die Wirkungen eines, eine neue Finanzierung i. S. des § 12 vorsehenden Restrukturierungsplans, der von allen Planbetroffenen angenommen wurde oder der in Übereinstimmung mit § 18 auf Grundlage einer entsprechenden Planregelung unmittelbar Wirkung gegenüber den zustimmenden Planbetroffenen entfalten soll, werden dagegen unzulässiger Weise nicht eingeschränkt.

13

Da Art 10 Abs. 1 lit. b der Restrukturierungsrichtlinie die Wirkungen von Restrukturierungsplänen, die eine neue Finanzierung vorsehen, gegenüber allen Planbetrof_____________ 5) S. hierzu ausführlich Backes/Blankenburg in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 10 Rz. 1 bis 20. 6) S. hierzu ausführlich Backes in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 15 Rz. 9 ff. 7) S. hierzu ausführlich Backes in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 15 Rz. 25. 8) S. hierzu ausführlich Hirschberger in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 16 Rz. 29 ff. 9) Begr. RegE SanInsFoG z. § 74 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 165, wobei Art. 15 Restrukturierungsrichtlinie keine Erwähnung findet, was wegen der Offensichtlichkeit der Umsetzung nachvollziehbar ist. 10) Vgl. hierzu auch Backes/Blankenburg in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 10 Rz. 3.

880

Backes/Arends

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

fenen an die Bestätigung durch eine Justiz- oder Verwaltungsbehörde knüpft, sind die Planregelungen gegenüber allen Planbetroffenen, unabhängig ob sie dem Plan zugestimmt haben oder nicht, gerichtlich nicht durchsetzbar, solange keine Bestätigung erfolgt ist. Denn die Gerichte haben die betreffende Richtlinienbestimmung als geltendes Recht zu beachten und haben die §§ 18 und 67 Abs. 1 dahingehend auszulegen, dass solche Restrukturierungspläne vor ihrer gerichtlichen Bestätigung keine Wirkung entfalten. Der eindeutige Wortlaut der Regelung steht einer entsprechenden Auslegung nicht entgegen, da (nationale) Auslegungsregeln im Falle von Umsetzungsgesetzen von dem subjektiven Willen des Umsetzungsgesetzgebers, ein richtlinienwidriges Ergebnis vermeiden zu wollen, überlagert bzw. verdrängt werden.11) Die Regelungen der weiteren Absätze 2 bis 6 des § 67 beruhen nicht auf unmittelbaren Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie. Sie sind, ebenso wie die weiteren Regelungen des 2. Unterabschnitts („Wirkungen des bestätigten Plans; Überwachung der Planerfüllung“) an die entsprechenden Regelungen der InsO (§§ 254 ff. InsO) angelehnt und weichen hiervon nur dann und nur insoweit ab, wie Ergänzungen und Abweichungen durch die Besonderheiten der Restrukturierungsrichtlinie geboten sind. Dies entspricht der gesetzgeberischen Grundentscheidung, den mit dem StaRUG geschaffenen präventiven Restrukturierungsrahmen, insbesondere die Verfahrenshilfen, zu denen auch die Wirkungen des bestätigen Insolvenzplans gezählt werden,12) wegen der funktionalen Übereinstimmungen mit dem eigenverwaltungsbasierten Insolvenzplanverfahren an das Insolvenzrecht anzulehnen.13) 2.

14

Gesetzgebungsverfahren

Der jetzige § 67 geht zurück auf § 71 des RefE zum SanInsFoG14) (Art. 1 Restrukturierungsrichtlinie), welcher im Wesentlichen unverändert geblieben ist. Lediglich der § 67 Abs. 2 wurde im Gesetzgebungsverfahren um den letzten Halbsatz ergänzt, in dem die Plandisponibilität der Haftungsbefreiung der persönlich haftenden Gesellschafter einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder einer KGaA geregelt ist. Damit wurde der erforderliche Gleichlauf mit § 11 Satz 2 hergestellt, welcher seinerseits erst mit dem RegE zum SanInsFoG unter (fehlerhaftem) Verweis auf § 227 Abs. 1 InsO eingefügt wurde.

15

Neben der Ergänzung der Plandisponibilität der Haftungsbefreiung (siehe Rz. 15) wurde § 67 (= § 74 RegE) durch den RegE zum SanInsFoG15) um einen neuen Absatz 2 ergänzt, mit dem eine Verknüpfung zwischen der Panbestätigung und der sowohl nach dem RefE als auch dem RegE möglichen Beendigung von Verträgen abgesichert werden sollte.16)

16

_____________ 11) Vgl. hierzu ausführlich Gundel in: FK-EUV/GRC/AEUV, Art. 288 AEUV Rz. 68 ff. 12) Vgl. Allg. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 93. 13) Vgl. Allg. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 88 ff., insbesondere S. 89 f. 14) RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 10.8.2021). 15) RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. 16) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 74 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 165.

Backes/Arends

881

§ 67 17

Wirkungen des Restrukturierungsplans

Auf Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) vom 15.12.202017) zu dem RegE SanInsFoG wurden u. a. die Regelungen zur Vertragsbeendigung (§§ 51 bis 55 RegE) aus dem StaRUG gestrichen,18) so dass als Folgeänderung auch der durch den RegE eingefügte Absatz 2 wieder entfiel. Zudem erhielt die Norm auf Grundlage der in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vorgesehenen Streichungen und Ergänzungen ihre endgültige Nummerierung. III. Wirkungen des bestätigten Restrukturierungsplans (Abs. 1)

18

Sofern und soweit ein Restrukturierungsplan der Bestätigung bedarf, treten nach § 67 Abs. 1 Satz 1 die Wirkungen eines Restrukturierungsplans mit der Verkündung des Bestätigungsbeschlusses ein. Mit Satz 1 wird der Zeitpunkt definiert, in dem die Wirkungen eines Restrukturierungsplans, der der Bestätigung bedarf, spätestens eintreten. Soweit die Wirkungen eines Restrukturierungsplans (teilweise) in Übereinstimmung mit § 18 nicht der Bestätigung bedürfen, treten sie auch schon früher ein.

19

§ 67 Abs. 1 Satz 2 erweitert die Wirkungen eines bestätigen Restrukturierungsplans auch auf die Planbetroffenen, die gegen den Plan gestimmt haben oder die an der Abstimmung nicht teilgenommen haben 1.

20

Eintritt der Wirkungen eines Plans (Abs. 1 Satz 1)

Der Tatbestand von § 67 Abs. 1 Satz 1 besteht aus einem geschriebenen und einem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal. Geschriebenes Tatbestandsmerkmal ist die gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans (siehe hierzu Rz. 21 f.). Das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal ist die vollständige oder teilweise Bestätigungsbedürftigkeit (siehe hierzu Rz. 23 ff.). a) Gerichtliche Planbestätigung

21

Die gerichtliche Planbestätigung erfolgt auf Antrag des Schuldners i. R. des Verfahrens nach §§ 60 ff. durch zu verkündenden Beschluss (§§ 60 Abs. 1 Satz 1, 65 Abs. 1).

22

Anders als bei § 254 Abs. 1 InsO setzt § 67 Abs. 1 Satz 1 StaRUG lediglich einen wirksamen Bestätigungsbeschluss voraus, nicht dessen Rechtskraft. Die Abweichung ist der Vorgabe durch Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 1 Restrukturierungsrichtlinie geschuldet, nach der Rechtsbehelfe gegen einen Bestätigungsbeschluss keine aufschiebende Wirkung auf die Ausführung des Plans haben dürfen.19) Allerdings hat der Gesetzgeber, in Übereinstimmung mit Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 2 Restrukturierungsrichtlinie, in § 66 Abs. 4 StaRUG die Möglichkeit geschaffen, dass das Gericht die

_____________ 17) Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. 18) Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25303, S. 11. 19) Dass die sofortige Beschwerde nach § 66 Abs. 1 grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat, ergibt sich bereits aus § 38 StaRUG i. V. m. § 570 Abs. 1 ZPO. Eine aufschiebende Wirkung wäre jedoch mittelbar eingeführt worden, wenn der Eintritt der Wirkungen an die Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses geknüpft worden wäre.

882

Backes/Arends

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

aufschiebende Wirkung einer sofortigen Beschwerde anordnet.20) Damit ist i. R. der Prüfung, ob ein wirksamer Bestätigungsbeschluss vorliegt, stets zu prüfen, ob sofortige Beschwerde eingelegt und vom Gericht die aufschiebende Wirkung angeordnet wurde. b) Bestätigungsbedürftigkeit des Plans Die Regelung des § 67 Abs. 1 Satz 1 ist nur anwendbar, sofern und soweit der Plan bestätigungsbedürftig ist. Denn ohne Bestätigungsbedürftigkeit steht es dem Planersteller frei, die Umstände bzw. Bedingungen sowie den Zeitpunkt des Eintritts der Wirkungen des Restrukturierungsplans frei zu bestimmen. Die Bestätigungsbedürftigkeit kann sich aus dem Plan selbst oder aus gesetzlichen Regelungen ergeben.

23

aa) Bestätigungsbedürftigkeit gemäß Plan Der Restrukturierungsplan kann vorsehen, dass er unabhängig von der Zustimmung aller Planbetroffenen erst wirksam wird, wenn er gerichtlich bestätigt wurde. Dies kann der Vermeidung von Rechtsunsicherheiten dienen, die sich z. B. aus einem nicht gerichtlichen Planabstimmungsverfahren ergeben können (siehe hierzu auch Rz. 8). Zudem werden Banken und sonstige institutionelle Gläubiger als Planbetroffene regelmäßig auf eine im Restrukturierungsplan vorgesehene, das Wirksamwerden des Plans an sich oder den Eintritt der Wirkungen des Plans aufschiebend bedingende Planbestätigung und damit eine (quasi-)vertragliche Bestätigungsbedürftigkeit bestehen, um neben der Rechtssicherheit auch die Dokumentation der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit des Plans zu erlangen. Liegt eine entsprechende Planregelung vor, ist § 67 Abs. 1 Satz 1 aufgrund der vertraglichen Bestätigungsbedürftigkeit anwendbar.

24

Enthält ein einstimmig angenommener Restrukturierungsplan keine Regelung zu einer vom Abstimmungsergebnis unabhängigen Planbestätigung oder ist im Plan bestimmt, dass seine Wirkungen bei einstimmiger Annahme durch alle Planbetroffenen sofort oder zu anderen, sich ggf. an den einzelnen Regelungen/Wirkungen orientierenden Zeitpunkten eintreten, ist § 67 Abs. 1 Satz 1 mangels Bestätigungsbedürftigkeit nicht anwendbar. Klarstellend ist hervorzuheben, dass § 67 Abs. 1 Satz 1 bei kosensualen Restrukturierungsplänen keinen Regelungen zum Zeitpunkt des Eintritts der Wirkungen des Plans entgegensteht, selbst dann nicht, wenn im Plan eine gerichtliche Bestätigung vorgesehen ist.21) Das vertragliche Bestätigungserfordernis knüpft bei konsensualen Restrukturierungsplänen an die im Plan geregelte aufschiebende Wirkung der Planbestätigung an und nicht die vorgesehene Planbestätigung an sich.

25

bb) Bestätigungsbedürftigkeit aufgrund des Abstimmungsverhaltens von Planbetroffenen Haben Planbetroffene gegen den Restrukturierungsplan gestimmt, sich bei der Abstimmung enthalten oder gar nicht an der Abstimmung teilgenommen, so ergibt sich _____________ 20) § 66 Abs. 4 stimmt i. Ü. mit § 570 Abs. 2 und 3 ZPO überein, der über § 38 StaRUG Anwendung findet. Damit hat § 66 Abs. 4 vorrangig klarstellende Bedeutung, was allerdings vor dem Hintergrund des durch Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 2 Restrukturierungsrichtlinie eigeräumten Umsetzungsermessen sinnvoll ist. 21) So wohl auch Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 67 Rz. 14 f.

Backes/Arends

883

26

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

die Bestätigungsbedürftigkeit des Plans aus § 18, es sei denn, der Plan enthält eine abweichende Regelung. 27

Nach § 18 ist im Zweifel anzunehmen, dass das Planangebot unter der Bedingung steht, dass sämtliche Planbetroffenen zustimmen oder dass der Plan gerichtlich bestätigt wird. In Ermangelung abweichender Regelung erlangt damit der Plan ohne gerichtliche Bestätigung selbst dann keine Wirksamkeit, wenn nur ein Planbetroffener an der Abstimmung nicht teilnimmt.

28

Sehen das Planangebot und der Restrukturierungsplan22) eine abweichende Regelung dahingehend vor, dass der Plan mit seiner Annahme nach §§ 25 ff. gegenüber denjenigen Planbetroffenen wirksam wird, die dem Plan zugestimmt haben, so ist § 67 Abs. 1 hinsichtlich dieser Planbetroffenen nicht anwendbar. Der zeitliche Eintritt der Wirkungen des Plans richtet sich insoweit nach den diesbezüglichen Regelungen des Restrukturierungsplans; im Zweifel treten die Wirkungen mit der wirksamen Planannahme ein. Hinsichtlich der Planbetroffenen, die nicht zugestimmt haben, entfaltet der Plan dann keine Wirkung bzw. erst dann Wirkung, wenn er bestätigt wurde. Für diese Planbetroffenen gilt § 67 Abs. 1 uneingeschränkt, so dass der Eintritt der Wirkungen des Plans gegenüber den Planbetroffenen zeitlich auseinanderfallen kann.

29

Eine von § 18 abweichende Regelung, dass der Plan mit seiner Annahme nach §§ 25 ff. auch gegenüber ablehnenden oder nicht an der Abstimmung teilnehmenden Gläubigern wirksam wird, wäre unwirksam. Sie würde bereits dem vertraglichen Charakter des Restrukturierungsplans, wie er in §§ 17 ff. zum Ausdruck kommt, widersprechen. Das Planangebot bedarf der Annahme durch jeden Planbetroffenen oder der Ersetzung der Annahme durch die Planbestätigung. Unabhängig vom vertraglichen Charakter des Restrukturierungsplans ergibt sich dies auch aus § 67 Abs. 1Satz 2 sowie Art. 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 und 15 Abs. 2 Restrukturierungsrichtlinie, die bei der richtlinienkonformen Auslegung von § 67 Abs. 1 Satz 2 heranzuziehen sind.

30

Im Gegensatz dazu wäre eine von § 18 abweichende Regelung, nach der der Plan nicht gegenüber allen zustimmenden Planbetroffenen, sondern nur hinsichtlich bestimmter Betroffener wirksam wird, grundsätzlich wirksam. Grenzen ergeben sich hierbei lediglich aus dem allgemeinen Zivilrecht, insbesondere der hinreichenden Bestimmtheit der Planregelungen sowie der Sittenwidrigkeit.

31

Nach hier vertretener Auffassung verstoßen von § 18 abweichende Regelungen selbst dann nicht gegen § 10 Abs. 1, wenn sie zu einer Wirksamkeit des Plans lediglich hinsichtlich eines Teils einer Gläubigergruppe führen, sofern die unterschiedliche Wirksamkeit durch die Annahme des Planangebots bzw. das Abstimmungsverhalten der Mitglieder der Gruppe bedingt ist. _____________ 22) Die abweichende Regelung kann sich auch aus dem Restrukturierungsplan alleine ergeben, da sich das Planangebot auf diesen bezieht und der Plan den Inhalt des Angebots konkretisiert. Umgekehrt ist es allerdings nicht möglich, die abweichende Regelung alleine in das Planangebot aufzunehmen, insbesondere dann, wenn die abweichende Regelung nur für einzelne Planbetroffene oder Gruppen von Planbetroffenen gelten soll. Denn der Restrukturierungsplan muss aus sich heraus verständlich sein und alle wesentlichen Regelungen enthalten, die zur Beurteilung seiner Wirkungen und zu den Bedingungen und dem Zeitpunkt des Eintritts der Wirkungen erforderlich sind

884

Backes/Arends

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

cc) Bestätigungsbedürftigkeit aufgrund gesetzlicher Bestimmungen bzw. des Planinhalts Nach der gesetzlichen Zweifelsfallregelung des § 18 wird ein Restrukturierungsplan nur wirksam, wenn ihm alle Planbetroffenen zugestimmt haben oder er gerichtlich bestätigt wurde. Sobald ein Planbetroffener an der Abstimmung nicht teilgenommen, sich enthalten oder gegen den Plan gestimmt hat, liegt nach § 18 Bestätigungsbedürftigkeit vor (ausführlich hierzu sowie zu abweichenden Regelungen sowie deren Folgen siehe Rz. 26 ff.).

32

Beruhen die in den gestaltenden Teil des Restrukturierungsplan aufgenommenen Rechtsänderungen auf Willenserklärungen, die zu ihrer Wirksamkeit einem Formerfordernis unterliegen, oder enthält der Plan Beschlüsse oder sonstige Willenserklärungen, die zu ihrer Wirksamkeit einer speziellen Form bedürfen oder gesellschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften (z. B. Ladungen, Bekanntmachungen oder sonstigen Maßnahmen zur Vorbereitung von Beschlüssen) unterliegen, so ist der Restrukturierungsplan grundsätzlich bestätigungsbedürftig, um die Wirkungen der §§ 67 Abs. 6, 68 Abs. 1 und Abs. 2 herbeizuführen. Denn die Planbetroffenen müssen darauf vertrauen dürfen, dass die Wirkungen des Plans gegenüber allen Planbetroffenen sicher eintreten und der Plan nicht wegen Form- oder Verfahrensverstößen unwirksam oder teilunwirksam ist.23) Ohne die Sicherheit, dass alle für die Restrukturierung erforderlichen Planwirkungen sicher eintreten, sind den übrigen Planbetroffenen ihre Restrukturierungsbeiträge nicht zumutbar und ist im Zweifel anzunehmen, dass sie sie nur bei Gesamtwirksamkeit erbringen wollten.

33

Dies entspricht auch dem Gedanken des § 18, wobei zu beachten ist, dass die Risiken für die Planbetroffenen bei Form- oder Verfahrensverstößen größer sind, als bei der fehlenden Zustimmung aller Planbetroffenen. Während die fehlende Zustimmung aller Planbetroffenen leicht erkennbar ist und im Zweifel über § 18 eh zur Bestätigungsbedürftigkeit führt, ist dies bei Form- oder Verfahrensverstößen anders. Sie können leicht verborgen bleiben und würden ohne Bestätigungserfordernis dazu führen, dass, obwohl alle Planbetroffenen dem Plan zugestimmt haben, nicht alle Planbetroffenen an den Plan gebunden sind. Dies bedeutet, dass von § 139 BGB abweichende Regelungen, die zur Geltungserhaltung bei Teilunwirksamkeit des Plans führen sollen, nur dann das Bestätigungserfordernis entfallen lassen, wenn alle Willenserklärungen und Beschlüsse bereits vor der Planannahme in der erforderlichen Form vorliegen und unter Beachtung gesellschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind. Soweit rechtlich zulässig, können sie unter der aufschiebenden Bedingung des Wirksamwerdens des

34

_____________ 23) Bei einer Teilunwirksamkeit ist, sofern der Plan keine salvatorische Klausel enthält, § 139 BGB mit der Folge der Gesamtunwirksamkeit anwendbar. Dies folgt aus dem Vertragscharakter des Restrukturierungsplans und der Anwendbarkeit der gesetzlichen Vorschriften zu Willenserklärungen sowie Rechtsgeschäften. Dem steht die Rspr. des BGH (BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 23 ff., NZI 2015, 2015, 697 = NJW 2015, 2660, 2663 f.) zur Unanwendbarkeit des § 139 BGB sowie zur Unzulässigkeit von salvatorischen Klauseln in Insolvenzplänen nicht entgegen. Denn anders als beim Insolvenzplan, der stets der gerichtlichen Bestätigung bedarf und bei dem es sich um ein „spezifisch insolvenzrechtliches Instrument“ handelt, steht beim Restrukturierungsplan bis zu einer, nicht obligatorischen Planbestätigung, der Vertragscharakter im Vordergrund (s. Begr. RegE SanInsFoG z. Unterabschn. 1 StaRUG (Planangebot und Planannahme), BT-Drucks. 19/24181, S. 121).

Backes/Arends

885

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

Restrukturierungsplans stehen. Die Willenserklärungen und Beschlüsse sind dem Plan zusammen mit einem Gutachten über deren Wirksamkeit dem Plan beizufügen. dd) Bestätigungserfordernis wegen neuer Finanzierung (Art. 10 Abs. 1 lit. b Restrukturierungsrichtlinie) 35

Die §§ 18 und 67 Abs. 1 Satz 1 sind vor dem Hintergrund von Art. 10 Abs. 1 lit. b Restrukturierungsrichtlinie richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass Restrukturierungspläne, die eine neue Finanzierung i. S. des § 12 vorsehen, nur und erst dann wirksam werden, wenn sie gerichtlich bestätigt wurden (siehe hierzu ausführlich Rz. 12 ff.).24) Bei dem Bestätigungserfordernis gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. b Restrukturierungsrichtlinie wegen einer im Plan vorgesehenen neuen Finanzierung handelt es sich um einen Unterfall der gesetzlichen Bestätigungserfordernisses aufgrund des Planinhalts („Bestätigungsbedürftigkeit aufgrund gesetzlicher Bestimmungen bzw. des Planinhalts“, siehe vorstehend Rz. 32 ff.). 2.

36

Rechtsfolge: Eintritt der Wirkungen eines Plans (Abs. 1 Satz 1)

Mit der Verkündung des Bestätigungsbeschlusses nach § 65 Abs. 1 treten die im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans festgelegten Wirkungen gegenüber den Planbetroffenen ein, sofern und soweit Bestätigungsbedürftigkeit vorliegt. a) Zeitpunkt des Eintritts der Wirkungen

37

In Übereinstimmung mit Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 1 der Restrukturierungsrichtlinie bestimmt § 67 Abs. 1 Satz 1, dass die Wirkungen des Restrukturierungsplans bereits mit der Verkündung des Bestätigungsbeschlusses nach § 65 Abs. 1 eintreten und nicht erst mit dessen Rechtskraft, wie dies in § 254 Abs. 1 InsO für den Insolvenzplan geregelt ist (siehe hierzu auch Rz. 2 und Rz. 11). b) Wirkungen des Restrukturierungsplans

38

Die Wirkungen, die mit der Planbestätigung eintreten, sind die im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans festgelegten Änderungen der Rechtsstellung der Planbetroffenen sowie sonstige Regelungen, die gesellschaftsrechtlich zulässig sind (§ 7). Soweit die Wirksamkeit des dinglichen Vollzugs einer im Plan geregelten Änderung der Rechtsstellung oder einer sonstigen zulässigen gesellschaftsrechtlichen Regelung an einen staatlichen Hoheitsakt (z. B. die Eintragung ins Grundbuch (§ 873 BGB) oder ins Handelsregister (u. a. § 181 Abs. 4 AktG, § 54 Abs. 3 GmbHG, § 71 Abs. 1 BGB, § 174 HGB)) oder an sonstige weitere Umstände oder Handlungen (z. B. die Übertragung des Besitzes (§§ 929 ff. BGB)) gebunden ist, werden diese weder durch § 67 Abs. 1 noch durch § 68 fingiert oder sonst entbehrlich.25) c) Subjektiver Anwendungsbereich

39

Aus dem auf den Eintritt der Wirkungen des Plans nach § 7 gerichteten Inhalt von § 67 Abs. 1 Satz 1 sowie der Zusammenschau von § 7 Abs. 1 Satz 1 mit § 67 Abs. 1 Satz 2 folgt, dass § 67 Abs. 1 Satz 1 auf die Planbetroffenen i. S. des § 7 Abs. 1 (Inhaber von (i) Restrukturierungsforderungen, (ii) Absonderungsanwartschaften, (iii) Rechten aus _____________ 24) So wohl auch Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 67 Rz. 13. 25) Vgl. zum Insolvenzplan Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 254a Rz. 5.

886

Backes/Arends

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

gruppeninternen Drittsicherheiten sowie (iv) Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten – siehe hierzu auch Rz. 40) anwendbar ist. Weiterhin entfaltet § 67 Abs. 1 Satz 1 nur Wirkung gegenüber den Planbetroffenen, die für den Plan gestimmt haben. Dies ergibt sich aus der in § 67 Abs. 1 Satz 2 enthaltenen Erweiterung der Rechtsfolgen des Satzes 1 auf die Planbetroffenen, die gegen den Plan gestimmt haben oder an der Abstimmung nicht teilgenommen haben. Denn die Erweiterung setzt voraus, dass die Planbetroffenen ordnungsgemäß an dem Plan beteiligt worden sind, so dass § 67 Abs. 1 Satz 2 nicht nur klarstellenden Charakter hat (siehe auch Rz. 45). Zudem würde eine andere Auslegung gegen Art. 15 Abs. 2 Restrukturierungsrichtlinie verstoßen. Aus der Beschränkung auf Planbetroffene i. S. des § 7 Abs. 1 folgt zugleich, dass § 67 Satz 1 nur auf Rechtssubjekte Anwendung findet, die in einem Rechtsverhältnis zum Schuldner stehen, dass durch den Restrukturierungsplan gestaltbar ist. Die gestaltbaren Rechtsverhältnisse ergeben sich, innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 2 Abs. 5, aus § 2 Abs. 1 bis 4. Rechtsverhältnisse, die nach den zeitlichen Grenzen des § 2 Abs. 5 begründet wurden sowie Rechtsverhältnisse, die § 4 unterfallen, sind von der Gestaltbarkeit ausgenommen.

40

Die Planbetroffenen müssen, damit § 67 Abs. 1 Satz 1 die Wirkung des Plan ihnen gegenüber zur Entfaltung bringt, im Plan ausdrücklich benannt, zumindest jedoch hinreichend bestimmbar beschrieben sein. Dies folgt bereits aus Art. 15 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie.26) Zudem haben sowohl der Schuldner als auch die Planbetroffenen ein evidentes Interesse daran, dass die Planbetroffenen zweifelsfrei bestimmbar sind. Für den Schuldner steht dabei die die Individualisierung der Planbetroffenen ermöglichende, genaue Beschreibung der Restrukturierungsforderungen, der Absonderungsanwartschaften, der Rechte aus gruppeninternen Drittsicherheiten sowie Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte im Vordergrund. Denn ansonsten besteht für ihn das den Restrukturierungserfolg gefährdende Risiko, dass die Wirkungen des Restrukturierungsplans mangels Bestimmtheit gegenüber einzelnen Gläubigern oder sogar Gläubigergruppen nicht eintreten.

41

Für die Planbetroffenen, insbesondere Gläubiger, resultiert das Interesse daraus, dass ihnen nur ihre zweifelsfreie Individualisierbarkeit die Zwangsvollstreckung nach § 71 aus dem bestätigten Plan ermöglicht. Die Planbetroffenen werden daher in der Regel ein Interesse daran haben, dass neben der genauen Beschreibung der vom Plan betroffenen Rechtsstellungen und deren Änderungen auch eine Liste der Namen der Inhaber der betroffenen Rechtsstellungen im Restrukturierungsplan enthalten oder als verbindliche Anlage beigefügt ist.27) Der Restrukturierungsplan sollte daher

42

_____________ 26) S. hierzu ausführlich Backes in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 15 Rz. 9 ff. 27) Nach § 17 Abs. 2 muss aus dem Planangebot hervorgehen, mit welchen Forderungen oder Rechten der jeweilige Planbetroffene in den Restrukturierungsplan einbezogen ist, welchen Gruppen der Planbetroffene zugeordnet ist und welche Stimmrechte die ihm zustehenden Forderungen und Rechte gewähren. Aus diesen Angaben sowie dem Restrukturierungsplan ergeben sich die für eine Vollstreckung relevanten Angaben. Allerdings findet nach § 71 Abs. 1 die Zwangsvollstreckung aus dem rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplan statt, das Planangebot ist hier nicht aufgeführt. Es kann auch nicht ergänzend herangezogen werden, da das Planangebot i. R. des Bestätigungsverfahrens keine Prüfung und Bestätigung erfahren hat und ihm so jede für die Vollstreckung erforderliche öffentliche Urkundseigenschaft fehlt. Zudem ist § 17 im gerichtlichen Abstimmungsverfahren nicht anwendbar (§ 23).

Backes/Arends

887

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

stets selbst oder als Anlage eine Namensliste der Planbetroffenen enthalten, in denen deren betroffene und ggf. nicht betroffene Rechtsstellung sowie die durch den Plan eintretenden Änderungen genau beschrieben werden. 43

Weiterhin ist § 67 Abs. 1 Satz 1 auf den Schuldner anwendbar. Denn die Wirkungen des Plans treten nach Satz 1 nicht nur „zulasten“ der Planbetroffenen, sondern auch zugunsten des Schuldners (erst) mit der Planbestätigung ein, soweit Bestätigungsbedürftigkeit vorliegt. d) Sachlicher Anwendungsbereich

44

Die Rechtsfolge des § 67 Abs. 1 Satz 1, nämlich der Eintritt der Wirkungen des Restrukturierungsplans (erst) mit der Verkündung des Bestätigungsbeschlusses, gilt nur sofern und soweit der Restrukturierungsplan bestätigungsbedürftig ist. Die Bestätigungsbedürftigkeit kann dabei den gesamten Plan, einzelne Regelungen bzw. Wirkungen, einzelne Planbetroffene oder einzelne Gruppen von Planbetroffenen betreffen. Sie kann sich aus dem Plan selbst, aus Planregelungen, aus gesetzlichen Regelungen sowie aus dem Abstimmungsverhalten oder aus Kombinationen hiervon ergeben (siehe hierzu ausführlich Rz. 23 ff.). 3.

45

Tatbestand des Absatz 1 Satz 2

Neben der Erfüllung des Tatbestands des § 67 Satz 1 setzt Satz 2 voraus, dass Planbetroffene gegen den Plan gestimmt oder sich bei der Abstimmung enthalten oder an der Abstimmung nicht teilgenommen haben und sie an dem Abstimmungsverfahren ordnungsgemäß beteiligt worden sind. a) Abstimmungsverhalten der Planbetroffenen

46

Nach § 67 Satz 2 treten die Wirkungen des Restrukturierungsplans mit seiner Bestätigung auch gegenüber den Planbetroffenen ein, die gegen den Plan gestimmt haben oder sich an der Abstimmung nicht teilgenommen haben. aa) Ablehnung des Plans durch Planbetroffene (Abs. 1 Satz 2 Var. 1)

47

Durch die Dokumentationspflicht des Schuldners hinsichtlich des Ergebnisses der Abstimmung nach § 22 Abs. 1 im außergerichtlichen Planabstimmungsverfahren sowie die Protokollierung des Abstimmungstermins bzw. des Abstimmungsergebnisses im gerichtlichen Planabstimmungsverfahren nach § 45 ist die eine Ablehnung des Plans durch einzelne Planbetroffene nachvollziehbar und prüfbar. bb) Nichtteilnahme an der Abstimmung (Abs. 1 Satz 2 Var. 2)

48

Eine Nichtteilnahme an der Abstimmung liegt vor, wenn der Planbetroffene zur Abstimmungsversammlung (§ 20 Abs. 1) oder zum Erörterungs- und Abstimmungstermin (§ 45 Abs. 1) nicht erscheint oder trotz Anwesenheit keine Stimme abgibt.28) Das gleiche gilt, wenn im außergerichtlichen Planabstimmungsverfahren die elektronische Teilnahme an der Abstimmungsversammlung gemäß § 20 Abs. 2 zugelassen wird, wobei dem nicht erscheinen die „Nichteinwahl“ entspricht. Bei der Möglichkeit der elektronischen Teilnahme stellt sich die Frage, ob auch dann eine Nicht_____________ 28) A. A. Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 67 Rz. 7.

888

Backes/Arends

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

teilnahme vorliegt, wenn dem Planbetroffenen die Teilnahme aus Gründen nicht möglich ist, die dem Schuldner zuzuordnen sind (z. B. Netzwerkzusammenbruch/überlastung oder zu geringe Übertragungskapazität auf Seiten des Schuldners). Diese ist mit ja zu beantworten, da es auf die Gründe, warum ein Planbetroffener nicht elektronisch teilnehmen oder abstimmen konnte, nicht ankommt. Allerdings wird es dann in der Regel an der ordnungsgemäßen Beteiligung an dem Abstimmungsverfahren (siehe Rz. 55 ff.) fehlen. Im schriftlichen Verfahren nach § 17 Abs. 1 nimmt ein Planbetroffener an der Abstimmung nicht teil, wenn er auf das schriftliche Planangebot des Schuldners nicht oder nicht innerhalb der Annahmefrist nach § 19 reagiert.

49

Bestimmt das Gericht im gerichtlichen Planabstimmungsverfahren einen gesonderten Abstimmungstermin, so dass die Stimmabgabe gemäß § 45 Abs. 4 i. V. m. § 242 Abs. 1 InsO schriftlich erfolgen kann, liegt eine Nichtteilnahme an der Abstimmung vor, wenn der Stimmzettel des Planbetroffenen nicht oder nicht bis zum Tag vor dem Abstimmungstermin (§ 242 Abs. 2 Satz 2 InsO) bei Gericht eingeht.

50

cc) Stimmenthaltung Weder dem Gesetz noch der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, wie ein Planbetroffener behandelt werden soll, der sich bei der Stimmabgabe enthalten hat. Denn die Stimmenthaltung stellt nach richtiger Ansicht eine Stimmabgabe dar und ist damit eine Teilnahme an der Abstimmung.29) Hiervon zu trennen ist die Frage, wie die Enthaltungen bei der Ermittlung der erforderlichen Mehrheit behandelt werden. Bei der Auszählung der Stimmen, also bei der Ermittlung der erforderlichen Mehrheit, bleibt die Enthaltung nach zutreffender Ansicht gänzlich unberücksichtigt und wird behandelt wie eine ungültige oder nicht abgegebene Stimme, ohne dies jedoch zu sein.30) Damit fallen Planbetroffen, die sich bei der Stimmabgabe enthalten, zumindest vom Wortlaut des § 67 Satz 2 her, weder in Gruppe der ablehnenden noch in die Gruppe der nicht teilnehmenden Planbetroffenen und wären von der Erweiterung des Satzes 2 nicht erfasst.

51

Nach Art. 15 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie soll ein bestätigter Restrukturierungsplan grundsätzlich für alle Planbetroffenen wirksam sein, unabhängig von deren Teilnahme am Abstimmungsverfahren oder ihrem Abstimmungsverhalten. Lediglich solche Planbetroffenen bzw. deren Rechtsstellungen sollen nach Art. 15 Abs. 2 Restrukturierungsrichtlinie von dem bestätigten Plan unbeeinträchtigt blei-

52

_____________ 29) Vgl. (zu Beschlüssen des Aufsichtsrats der AG) BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, DStR 2007, 1046, 1047; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 108 Rz. 15, Habersack in: MünchKommAktG, § 108 Rz. 36, 37; BGH(St), Urt. v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, ZIP 2004, 2044; (zu Beschlüssen der Hauptversammlung der AG) Hölters-Hirschmann, AktG § 133 Rz. 19; (zu Beschlüssen des Aufsichtsrats der GmbH) Spindler in: MünchKomm-GmbHG, § 52 Rz. 546, 562; a. A. (zu § 47 GmbHG) Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt-Römermann, GmbHG § 47 Rz. 556. 30) Vgl. Hölters-Hirschmann, AktG § 133 Rz. 24; Hüffer/Koch-Koch, AktG § 133 Rz. 12; instruktiv (zu § 32 BGB) Stöber/Otto in: Stöber/Otto, Hdb. Vereinsrecht, Abstimmungen/ Wahlen/Beschlüsse/Stimmenmehrheit, Rz. 977 ff.; s. a. Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung elektronischer Anmeldungen zum Vereinsregister und anderer vereinsrechtlicher Änderungen z. § 32 BGB, BT-Drucks. 16/12813, S. 10 f.

Backes/Arends

889

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

ben, die an der Annahme des Plans nicht beteiligt waren. Was unter „Beteiligung an der Annahme des Plans“ zu verstehen ist, gibt die Richtlinie allerdings nicht vor. Vielmehr wird den Mitgliedstaaten ein weiter Umsetzungsspielraum eingeräumt.31) 53

Das eingeräumte Umsetzungsermessen findet allerdings dort seine Grenzen, wo der Sinn der Restrukturierungsrichtlinie und seiner Vorgaben, hier die grundsätzliche Wirkung von bestätigten Plänen gegenüber allen Planbetroffenen, weitgehend ausgehöhlt würde. Diese Grenze wird überschritten, wenn ein bestätigter Plan nach den nationalen Regelungen keine Wirkung gegenüber ablehnenden oder sich enthaltenden Planbetroffenen hätte.32) Denn so hätten es einzelne Planbetroffene, gerade wenn ihr Restrukturierungsbeitrag nach dem Plan für die Erfolgsaussichten der Restrukturierung nicht unerheblich ist, doch wieder in der Hand, das ganze Verfahren zur Aussichtlosigkeit zu bringen. Hierbei ist nämlich zu berücksichtigen, dass andere Planbetroffene kaum zustimmen werden, wenn sie nicht sicher sein können, dass der Plan gegenüber allen Planbetroffenen Wirkung entfaltet, sondern eher sogar befürchten müssen, dass sich einzelne Planbetroffene durch ihr Verhalten in eine Position bringen, in der sie übermäßigen Nutzen aus einer nachträglichen Zustimmung bzw. Vereinbarung mit dem Schuldner ziehen können („Hold-out“-Problem).

54

Richtlinienkonform ist § 67 Abs. 1 Satz 2 daher dahingehend auszulegen, dass das Tatbestandmerkmal der Nichtteilnahme an der Abstimmung auch die Stimmenthaltung umfasst. Zur richtlinienkonformen Auslegung, insbesondere zum Willen des Umsetzungsgesetzgebers und den Grenzen der nationalen Auslegungsregeln siehe Rz. 13 sowie Fn. 10. b) Ordnungsgemäße Beteiligung am Abstimmungsverfahren

55

Damit die Wirkungen des bestätigten Restrukturierungsplans auch im Verhältnis zu den Planbetroffenen eintreten, die dem Plan nicht zugestimmt haben, ist erforderlich, dass diese Planbetroffenen ordnungsgemäß an dem Abstimmungsverfahren beteiligt worden sind. Dies ist immer dann der Fall, wenn alle Verfahrensvorschriften beachtet wurden, die den Planbetroffenen die Teilnahme an der Abstimmung ermöglichen. Welche Verfahrensvorschriften dies sind, bestimmt sich nach dem vom Schuldner gewählten Abstimmungsverfahren. aa) Annahmeverfahren nach §§ 17 bis 19

56

Das Annahmeverfahren nach §§ 17 bis 19 stellt ein von drei Abstimmungsverfahren i. S. des § 67 Abs. 1 Satz 2 dar. Hier muss dem Planbetroffenen zunächst das Planangebot zugehen. Das Planangebot muss zwingend die Angaben nach § 17 Abs. 2, die Annahmefrist nach § 19 sowie eine Adresse enthalten, an die der Planbetroffene seine Erklärung zum Restrukturierungsplan sowie ein nach § 17 Abs. 3 berechtigtes Verlangen nach einer Versammlung der Planbetroffenen zur Erörterung des Plans richten kann.

57

Nur soweit es vor der Übersendung des Planangebots eine Versammlung der Planbetroffenen zur Erörterung des Plans oder des Restrukturierungskonzepts, auf dem _____________ 31) ErwG 64 Restrukturierungsrichtlinie. 32) Vgl. auch Backes in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 15 Rz. 23 f.

890

Backes/Arends

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

der Restrukturierungsplan in den für die Planbetroffenen relevanten Punkten beruht, ist die Beifügung des Plans nebst Anlagen und weiterer Darstellungen nach § 17 Abs. 1 Satz 2 sowie der Hinweis auf das Recht jedes Planbetroffenen, einen Erörterungstermin i. S. der §§ 17 Abs. 3, 21 zu verlangen, entbehrlich. Das Planangebot muss zudem der Form des § 17 Abs. 4 entsprechen.

58

bb) Abstimmungsversammlung nach § 20 Entscheidet sich der Schuldner für eine Abstimmung über den Restrukturierungsplan in Rahmen einer Abstimmungsversammlung nach § 20, muss den Planbetroffenen die Einberufung schriftlich und unter Beachtung der jeweiligen Einberufungsfrist des § 20 Abs. 1 Satz 3 oder Satz 4 zugehen.

59

Der Einberufung muss sich der Ort und die Zeit (Datum und Uhrzeit) der Abstimmungsversammlung zweifelsfrei entnehmen lassen. Sofern eine elektronische Teilnahme i. S. des § 20 Abs. 2 vorgesehen ist, müssen den Planbetroffenen auch alle erforderlichen Informationen für den elektronischen Zugang (z. B. URL, Benutzername, Passwort) in verständlicher Form zugehen. Dies umfasst auch eine detaillierte Darstellung, wie der Zugang tatsächlich funktioniert. Zudem muss für die Planbetroffenen, damit eine ordnungsgemäße Beteiligung am Abstimmungsverfahren vorliegt, zweifelsfrei ersichtlich sein, welche Rechte der Planbetroffenen in welchem Umfang im Wege der elektronischen Teilnahme ausgeübt werden können (§ 17 Abs. 2).

60

Den Planbetroffenen, muss weiterhin der Zutritt zum Versammlungsort gewährt worden sein. Sofern der Schuldner den Zutritt von gewissen Nachweisen (z. B. Nachweis der Vertretungsmacht) abhängig machen will, muss er diese sowie die geforderte Form eindeutig in der schriftlichen Einberufung bezeichnen. Zudem muss es den Planbetroffenen möglich sein, diese Nachweise innerhalb der vom Schuldner bestimmten Einberufungsfrist zu besorgen. Lässt der Schuldner eine elektronische Teilnahme zu, so liegt eine ordnungsgemäße Beteiligung an der Abstimmung nur vor, wenn der elektronische Zugang sowie die elektronische Ausübung von Rechten während der Abstimmungsversammlung jederzeit möglich sind.

61

cc) Gerichtliches Planabstimmungsverfahren nach §§ 23, 45 und 46 In einem vom Schuldner gewählten gerichtlichen Planabstimmungsverfahren §§ 23, 45 und 46 müssen die Planbetroffenen unter Beachtung der Ladungsfrist von mindestens 14 Tagen (§ 45 Abs. 1 Satz 2) zum Erörterungs- und Abstimmungstermin geladen werden. Die Ladung ist den Planbetroffenen zuzustellen, wobei die Zustellung durch das Gericht erfolgen oder auf den Schuldner (§ 45 Abs. 3 Satz 3) oder den Restrukturierungsbeauftragten (§ 76 Abs. 6) übertragen werden kann. Die Zustellung durch das Gericht richtet sich nach § 41 Abs. 1 und erfolgt durch die Aufgabe zur Post. Wird der Schuldner beauftrag, erfolgt die Zustellung gemäß § 41 Abs. 3 i. V. m. §§ 191 bis 194 ZPO durch den Gerichtsvollzieher.

62

Bei einer Beauftragung des Restrukturierungsbeauftragten erfolgt die Zustellung durch Aufgabe zur Post, wobei der Restrukturierungsbeauftragte nach § 76 Abs. 6 i. V. m. § 184 Abs. 2 Satz 4 ZPO zum Nachweis der Zustellung einen Aktenver-

63

Backes/Arends

891

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

merk anzufertigen und zur Gerichtsakte zu reichen hat, aus dem sich ergibt, zu welcher Zeit und unter welcher Anschrift die Ladung zur Post gegeben wurde. 64

Die Ladung muss den Ort und die Zeit (Datum und Uhrzeit) zweifelsfrei erkennen lassen. Zudem muss die Ladung den Hinweis enthalten, dass der Termin und die Abstimmung auch dann stattfinden, wenn nicht alle Planbetroffenen teilnehmen.

65

Bestimmt das Gericht einen gesonderten Abstimmungstermin nach § 45 Abs. 3 i. V. m. § 241 InsO, so geltend die vorstehenden Ausführungen auch für die Ladung zum Abstimmungstermin. Allerdings kann die nach § 242 Abs. 2 Satz 1 InsO vorgeschriebene Übersendung der Stimmzettel für die dann mögliche schriftliche Stimmrechtsausübung sowie die Mitteilung der Stimmrechte vom Gericht nicht an den Schuldner oder den Restrukturierungsbeauftragten übertragen werden. Hierfür fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Die Ladung zum gesonderten Abstimmungstermin muss auch den Hinweis auf die Möglichkeit der schriftlichen Stimmrechtsausübung sowie die Frist nach § 242 Abs. 2 Satz 2 InsO enthalten. dd) Heilung von Verfahrensverstößen

66

Die Heilung von Verfahrensverstößen bei der Planabstimmung durch die rechtskräftige Planbestätigung nach § 67 Abs. 6 führt nicht dazu, dass die Planbetroffenen i. S. des Absatz 1 Satz 2 ordnungsgemäß an der Abstimmung beteiligt worden sind, soweit die vorstehenden Verfahrensvorschriften verletzt wurden.

67

Nimmt ein Planbetroffener an der Abstimmung teil oder nimmt er an einer Abstimmungsversammlung oder einem Abstimmungstermin teil und ist ihm die Stimmabgabe zumindest möglich, obwohl die nach dem gewählten Abstimmungsverfahren zu beachtenden Verfahrensvorschriften, die seine Teilnahme sicherstellen sollen, verletzt wurden, so haben sich die Verfahrensverstöße nicht ausgewirkt und müssen als geheilt bzw. als unbeachtlich angesehen werden. Gegenüber einem solchen Planbetroffenen liegt damit trotz der Verletzung ihn schützender Verfahrensvorschriften eine ordnungsgemäße Beteiligung an der Abstimmung vor. ee) Sonstige Verfahrensverstöße

68

Die Verletzung sonstiger Verfahrensvorschriften, die die Planabstimmung betreffen (z. B. fehlerhafte Stimmrechtsbestimmung oder Fehler bei der Stimmrechtsauszählung zulasten einzelner Planbetroffener) ist vom Gericht i. R. der Planbestätigung zu prüfen und führt ggf. zur Versagung der Planbestätigung. Im Übrigen gelten solche Verletzungen nach § 67 Abs. 6 als geheilt. Sie führen nicht dazu, dass keine ordnungsgemäße Beteiligung an der Abstimmung vorliegt. 4.

69

Rechtsfolge des Absatz 1 Satz 2

Liegen die Tatbestandsmerkmale des § 67 Satz 2 vor, so treten die Wirkungen des Restrukturierungsplan in dem durch Satz 1 vorgegebenen Zeitpunkt (auch) gegenüber den Planbetroffenen ein, die gegen die Plan gestimmt, sich bei der Abstimmung enthalten oder an der Abstimmung nicht teilgenommen haben. IV. Haftung der persönlich haftenden Gesellschafter (Abs. 2)

70

Die Regelung des § 67 Abs. 2 StaRUG entspricht § 11 Satz 2 StaRUG sowie § 227 Abs. 2 InsO. Entgegen seinem Wortlaut enthält § 67 Abs. 2 im Wesentlichen keine 892

Backes/Arends

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

Haftungsbefreiung bzw. Haftungsbeschränkung für die persönlich haftenden Gesellschafter einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (GbR, oHG, KG, Partnerschaft i. S. des § 1 PartGG, EWIV sowie Partenreederei33)) oder einer KGaA. Denn die Haftung, von der sie vermeintlich befreit werden, nämlich die gesellschaftsrechtlich geregelte, unbeschränkte persönliche Haftung für Gesellschaftsschulden, ist in aller Regel akzessorisch, so dass sie bereits mit Wirksamwerden des Restrukturierungsplans auf die nach dem Plan verbleibenden Verbindlichkeiten beschränkt ist.34) Wesentlicher Regelungsgehalt von § 67 Abs. 2 ist damit, dass die Akzessorietät der Haftung durch den Restrukturierungsplan durchbrochen werden kann. 1.

Tatbestand und Rechtsfolge (Abs. 2)

Hinsichtlich des Tatbestands und der Rechtsfolgen wird auf die Kommentierung zu § 11 Satz 2 (siehe § 11 Rz. 16 ff.) verwiesen. 2.

71

Ergänzende Anmerkungen

a) Nicht rechtsfähiger Verein (§ 54 BGB) Die Regelung des § 67 Abs. 2 bezieht sich nach ihrem Wortlaut nur auf Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit und auf die KGaA. Der nicht rechtsfähige Verein ist im Ansatz keine Gesellschaft; die Verweisung in § 54 Satz 1 BGB auf die Regelungen über die Gesellschaft führt zu keinem anderen Ergebnis. Dies schließt nach hier vertretener Auffassung die analoge Anwendung von § 67 Abs. 2 sowie § 11 Satz 2 nicht aus.

72

Zunächst ist festzustellen, dass nicht rechtsfähige Vereine nach § 11 Abs. 1 Satz 2 InsO insolvenzfähig und damit nach § 30 Abs. 1 Satz 1 StaRUG auch restrukturierungsfähig sind. Damit ist die Frage zu stellen, ob die Haftung der Mitglieder eines nicht rechtsfähigen Vereins für die Vereinsschulden durch den Restrukturierungsplan beschränkt wird und ob der Plan abweichende Regelungen enthalten kann.

73

Anerkanntermaßen ist zwischen dem nicht rechtsfähigen Idealverein und dem nicht rechtsfähigen Wirtschaftsverein zu unterscheiden.

74

Bei dem nicht rechtsfähigen Idealverein ist nach der zutreffenden h. M. eine persönliche Haftung der Mitglieder für die Vereinsschulden ausgeschlossen.35)

75

_____________ 33) Bei der Partenreederei handelt es sich um eine Gesellschaftsform, die seit dem Inkrafttreten der Reform des deutschen Seehandelsrechts am 25.4.2013 nicht mehr gegründet werden kann. Für Partenreedereien die vor dem 25.4.2016 nach § 489 Abs. 1 Satz 1 HGB a. F. begründet wurden, gelten nach Art. 71 Abs. 1 EGHGB die §§ 489 – 509 HGB a. F. weiterhin. Die Haftung der Mitreeder ist in § 507 HGB a. F. geregelt. Es handelt sich um eine akzessorische und primäre Haftung der Mitreeder, allerdings nur als Teilschuldner (§ 507 Abs. 1 HGB a. F.). 34) Eine Besonderheit ergibt sich für die unbeschränkte und gesamtschuldnerische Haftung der Mitglieder einer EWIV für deren Verbindlichkeiten nach Art. 24 Abs. 1 Satz 1 EWIV-VO. Denn die Akzessorietät der Haftung der Mitglieder ergibt sich nicht aus der EWIV-VO, sondern aus dem Verweis auf das nationale Recht in Art. 24 Abs. 1 Satz 2 EWIV-VO und damit nur soweit sie im nationalen Recht vorgesehen ist. Dies ist für deutsche EWIV der Fall. Vgl. hierzu insgesamt Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, Teil 2, § 7 EWIV Rz. 204 ff., 208. 35) Leuschner in: MünchKomm-BGB, § 54 Rz. 42; Heidel/Hüßtege-Mansel/Noack, BGB AT/ EGBGB, § 54 BGB Rz. 17 f. jew. n. w. N.

Backes/Arends

893

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

76

Hinsichtlich des nicht rechtsfähigen Wirtschaftsverein ist bereits die Ausgangslage, nämlich die Frage ob ein Verein oder eine Gesellschaft vorliegt und welches Recht direkt oder über die Verweisung des § 54 Satz 1 BGB Anwendung findet, umstritten.36) Nach zutreffender Auffassung ist ein nicht rechtsfähiger Wirtschaftsverein auch dann keine Gesellschaft, wenn er Unternehmensträger ist. Dies gilt selbst dann, wenn er ein (voll)kaufmännisches Handelsgewerbe betreibt.37) Auf den nicht rechtsfähigen Wirtschaftsverein ist, unabhängig vom Inhalt und Umfang seiner wirtschaftlichen Betätigung, soweit es um die Haftung der Vereinsmitglieder geht, § 128 HGB (analog) anzuwenden.38) Damit ist die Haftung der Vereinsmitglieder akzessorisch.

77

Auch wenn der nicht rechtsfähige (Wirtschafts)Verein keine Erwähnung in § 67 Abs. 2, § 11 Satz 2 sowie der Gesetzesbegründung gefunden hat, hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass er deren Anwendung auf alle Fälle beabsichtigte, in denen bei einer restrukturierungsfähigen Personenvereinigung eine unbeschränkte persönliche Haftung der Beteiligten besteht, so dass § 67 Abs. 2 und § 11 Satz 2 analog anwendbar sind. b) Unabhängigkeit von der Planbestätigung

78

Die Wirkungen des § 67 Abs. 2 treten aufgrund von § 11 Satz 2 unabhängig von einer Planbestätigung ein, soweit der Plan ohne Bestätigung Wirksamkeit entfaltet. Sofern und soweit der Plan erst durch die Bestätigung gegenüber allen oder gegenüber einzelnen Planbetroffenen wirksam wird, ergeben sich die Folgen des § 67 Abs. 2 auch aus § 11 Satz 2. Den Regelungen des § 67 Abs. 2 kommt daher lediglich klarstellende Bedeutung zu. c) Durchbrechung und Grenzen der Durchbrechung der Akzessorietät

79

Die mit § 67 Abs. 2 und § 11 Satz 2 eröffnete Möglichkeit, im Plan abweichende Regelung von der Haftungsbegrenzung zu treffen, führt zu einer Durchbrechung der Akzessorietät der gesellschaftsrechtlichen Haftung, die in aller Regel vorliegt.39) _____________ 36) Sie hierzu ausführlich Leuschner in: MünchKomm-BGB, § 54 Rz. 9 ff.; Schöpflin in: BeckOKBGB, § 54 Rz. 8 ff.; Heidel/Hüßtege-Mansel/Noack, BGB AT/EGBGB, § 54 BGB Rz. 6 ff., jew. n. w. N. 37) S. Schöpflin in: BeckOK-BGB, § 54 Rz. 8 ff. 38) Dies dürfte seit der analogen Anwendung von § 128 HGB auf die Außen-GbR weitgehend unstreitig sein. Für die Betrachtungen hier kann offenbleiben, ob § 128 HGB wegen eines bestehenden Handelsgewerbes über die allgemeine Anwendung des oHG-Rechts direkt anwendbar ist oder über die Verweisung des § 54 Satz 1 BGB oder – mit oder ohne Handelsgewerbe – über die Verweisung von § 54 Satz 1 BGB in das Recht der Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Zu den verschiedenen Positionen kann auf die obige Literatur verwiesen werden. 39) Für deutsche Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit ist die Haftung der Gesellschafter stets akzessorisch. Es ist allerdings möglich, dass ausländische Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit in Deutschland den Restrukturierungsrahmen nach dem StaRUG nutzen, sofern ihr COMI in Deutschland liegt (s. zur internationalen Zuständigkeit § 35 Rz. 26). Bei ihnen richtet sich die Ausgestaltung der persönlichen Haftung der Gesellschafter, insbesondere der Umfang der Haftung sowie deren Akzessorietät, nach dem auf die Gesellschaft anwendbaren nationalen Recht. Ist diese unbeschränkt, aber nicht akzessorisch, so entfalten § 67 Abs. 2 und § 11 Satz 2 tatsächlich haftungsbeschränkende Wirkung.

894

Backes/Arends

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

Die Möglichkeit der Durchbrechung der Akzessorietät sowie der Haftungsbeschränkung des § 67 Abs. 2 ist jedoch nicht grenzenlos. Insbesondere kann die Haftung der Gesellschafter nicht über die Grenzen der gesellschaftsrechtlichen Haftung hinaus erweitert werden. Zudem muss die Durchbrechung sachgerecht sein, was anhand der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der konkreten Regelungen des Restrukturierungsplans, zu beurteilen ist.40) In der Regel werden Regelungen, die die gesamte Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft von der Gesellschaft und deren Vermögen auf die Gesellschafter verlagert nicht sachgerecht sein. Dies kann ausnahmsweise nur dann anders sein, wenn alle Gesellschafter dem Plan zugestimmt haben bzw. das Wirksamwerden des Plans von der Zustimmung aller Gesellschafter abhängig ist.

80

d) Begriff „Befreiung von Verbindlichkeiten“ (Haftungsbefreiung bzw. Haftungsbegrenzung) Nach § 67 Abs. 2 ebenso wie nach § 11 Satz 2 wirkt eine Befreiung des Schuldners von Verbindlichkeiten auch zugunsten seiner persönlich haftenden Gesellschafter (Haftungsbefreiung bzw. Haftungsbegrenzung). Wie beim Insolvenzplan führt die im Restrukturierungsplan geregelte, lediglich anteilige Befriedigung von Verbindlichkeiten, unabhängig von den Formulierungen des Plans (z. B. der Bezeichnung als (Teil-)Verzicht/Erlass), nicht zum Erlöschen des unbefriedigten Teils der Forderungen der betroffenen Gläubiger. Vielmehr besteht der jeweils verbliebene Teil als erfüllbare, aber nicht erzwingbare unvollkommene Verbindlichkeit bzw. Naturalobligationen fort.41) Der Begriff „Befreiung von Verbindlichkeiten“ meint daher nicht deren Erlöschen, da ein Erlöschen durch den Plan eben gerade nicht eintritt, wie sich aus § 67 Abs. 4 ergibt, sondern den dauerhaften Verlust ihrer Durchsetzbarkeit.42)

81

Der dauerhafte Verlust der Durchsetzbarkeit wirkt grundsätzlich zugunsten aller bestehenden akzessorischen Haftungsansprüche und Sicherungsrechte.43) Diese Wirkung kann durch den Restrukturierungsplan auf Grundlage von § 67 Abs. 2 durchbrochen werden und ist für Drittsicherheiten nach § 67 Abs. 3 sogar ausgeschlossen.

82

e) Zeitpunkt des Eintritts der Haftungsbefreiung Die Haftungsbefreiung der persönlich haftenden Gesellschafter tritt in dem Zeitpunkt ein, in dem auch der Schuldner von seinen Restverbindlichkeiten befreit wird. Dies ergibt sich aus der Akzessorietät der gesellschaftsrechtlichen Haftung sowie aus § 67 Abs. 2 i. V. m. § 11 Satz 1 und Satz 2.

83

Anders als der Wortlaut von § 11 Satz 1 vermuten lässt, tritt die Befreiung des Schuldners von seinen Restverbindlichkeiten bereits mit dem Eintritt der Wirkungen des Restrukturierungsplans und nicht erst mit der Erfüllung des Plans ein (siehe auch

84

_____________ 40) Im Ergebnis ebenso Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 67 Rz. 36. 41) S. Begr. RegE SanInsFoG z. § 74 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 166; zudem ist auf § 11 Satz 1 sowie die Rspr. zur Parallelnorm § 227 Abs. 1 InsO (BGH, Urt. v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, Rz. 8, NZI 2011, 538 = ZIP 2011, 1271) zu verweisen. 42) Vgl. zum Insolvenzplan Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254 Rz. 21 m. w. N. 43) Vgl. zur Bürgschaft Madaus in: BeckOGK-BGB, § 767 Rz. 23.

Backes/Arends

895

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

§ 11 Rz. 14). Der Eintritt der Wirkungen des Plans ergibt sich aus diesem selbst. Sofern und soweit eine Planbestätigung zum Eintritt der Wirkungen erforderlich ist, also Bestätigungsbedürftigkeit vorliegt, mit der Planbestätigung (zur Bestätigungsbedürftigkeit siehe Rz. 23 ff.). V. (Aus-)Wirkungen des Plans auf Drittsicherheiten sowie Regressausschluss (Abs. 3) 85

In § 67 Abs. 3 Satz 1 werden die (Aus-)Wirkungen des Restrukturierungsplans auf Sicherheiten geregelt, die von Dritten gestellt bzw. übernommen wurden. Hierbei wird bei akzessorischen Sicherheiten die Akzessorietät durchbrochen. Mit § 67 Abs. 3 Satz 2 werden etwaige Regressansprüche der Drittsicherheitengeber gegen den Schuldner ausgeschlossen bzw. beschränkt. Dies gilt auch für etwaig persönlich haftende Gesellschafter. 1.

Tatbestand des Absatz 3 Satz 1

a) Sicherheiten 86

Nach § 67 Abs. 3 Satz 1 erfasst Absatz 3 alle Rechte gegen Bürgen und Mitschuldner (Personalsicherheiten) sowie alle Rechte an Gegenständen, einschließlich der Rechte aus einer Vormerkung (Realsicherheiten). aa) Personalsicherheiten

87

Neben der ausdrücklich erwähnten Bürgschaft erfasst § 67 Abs. 3 über den Begriff Mitschuldner alle bekannten Personalsicherheiten, also Garantien, Schuldmitübernahmen (kumulative Schuldübernahme, Schuldbeitritt, bestärkende Schuldübernahme) sowie Patronate. Für Patronate gilt dies allerdings nur insoweit, wie sie dem Restrukturierungsgläubiger ein eigenständiges Forderungsrecht gegen den Sicherungsgeber zur Leistung an den Gläubiger gewähren.44) Unter den Begriff Mitschuldner fällt grundsätzlich auch die Haftung der persönlich haftenden Gesellschafter einer Personengesellschaft oder einer KGaA. Insoweit sind allerdings § 67 Abs. 2 sowie § 11 Satz 2 die spezielleren Regelungen, die die Anwendung des § 67 Abs. 3 ausschließen. bb) Realsicherheiten

88

Neben den Personalsicherheiten erfasst § 67 Abs. 3 alle Formen der Realsicherheiten, also Sicherheiten an Grundstücken (Hypothek, Grundschuld, Rentenschuld sowie Schiffspfandrechte), an beweglichen Sachen (Pfandrecht und Sicherungsübereignung) und an Rechten (Pfandrecht und Sicherungszession). Zudem wird bei Grundstücken auch der Anspruch auf die Einräumung einer Sicherheit erfasst, sofern dieser seinerseits bereits durch eine Vormerkung gesichert ist. b) Restrukturierungsgläubiger

89

Die Regelung des § 67 Abs. 3 ist nur auf Restrukturierungsgläubiger und nicht auf alle Planbetroffenen anwendbar. Restrukturierungsgläubiger sind hierbei sowohl die einfachen Restrukturierungsgläubiger i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 als auch die nach_____________ 44) Ebenso Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 67 Rz. 38 f.

896

Backes/Arends

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

rangigen Restrukturierungsgläubiger i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3. Nicht erfasst werden Inhaber von Absonderungsanwartschaften und Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten, sofern und soweit sie nicht zugleich Restrukturierungsgläubiger sind. Es sind allerdings kaum Gestaltungen denkbar, in denen die anderen Tatbestandsmerkmale des § 67 Abs. 3 Satz 1 hinsichtlich dieser Planbetroffenen erfüllt sein könnten und damit der Anwendungsbereich von Absatz 3 eröffnet wäre. c) Sicherheitengewährung durch Dritte Die Sicherheitengewährung muss durch Dritte erfolgt sein. Dritter ist zunächst jede natürliche oder juristische Person oder jede rechtsfähige Personenvereinigung, mit Ausnahme des Schuldners selbst.

90

Auch die Gesellschafter des Schuldners sind Dritte, dies gilt selbst dann, wenn sie persönlich haftende Gesellschafter i. S. des § 67 Abs. 2 sind. Lediglich hinsichtlich ihrer gesellschaftsrechtlichen Haftung stellt Abs. 2 eine die Anwendung des § 67 Abs. 3 ausschließende Spezialregelung dar. Soweit sie darüber hinaus eine Personal- oder Realsicherheit gewährt haben, gilt § 67 Abs. 3 uneingeschränkt.45)

91

Soweit es sich bei dem Sicherheitengeber um ein verbundenes Unternehmen i. S. des § 15 AktG handelt, ist auch dieses grundsätzlich Dritter. Allerdings können die von ihnen gewährten Sicherheiten (gruppeninterne Drittsicherheiten) durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden (§ 2 Abs. 4). Soweit der Plan gruppeninterne Drittsicherheiten gestaltet, geht dies der Regelung des § 67 Abs. 3 Satz 1 vor, wie dieser selbst klarstellt.

92

d) Bestätigung des Restrukturierungsplans Anders als bei § 67 Abs. 2, der mit § 11 Satz 2 eine von der Planbestätigung unabhängige Entsprechung in den allgemeinen Regelungen zum Restrukturierungsplan hat, setzt § 67 Abs. 3 die Bestätigung des Restrukturierungsplans tatbestandlich voraus. Dies ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut, jedoch aus der systematischen Auslegung. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass § 67 grundsätzlich die Wirkungen des bestätigten Restrukturierungsplans (so wörtlich § 67 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5) sowie die Wirkungen der Planbestätigung selbst (§ 67 Abs. 6) regelt. Zudem ist die Überschrift des 2. Unterabschnitts, nämlich „Wirkungen des bestätigten Plans; …“, heranzuziehen. 2.

Rechtsfolge des Absatz 3 Satz 1

Nach § 67 Abs. 3 Satz 1 können die Restrukturierungsgläubiger, unabhängig von den Regelungen des Plans bezüglich ihrer Rechte gegenüber dem Schuldner, vollständige Befriedigung ihrer Ansprüche aus bestehenden Drittsicherheiten verlangen. 3.

93

94

Tatbestand des Absatz 3 Satz 2

Auf der Tatbestandsebene setzt § 67 Abs. 3 Satz 2 lediglich voraus, dass für eine Restrukturierungsforderung eine oder mehrere Drittsicherheit(en) bestehen, die nach Satz 1 bis zur vollständigen Befriedigung der ursprünglichen Forderung des _____________ 45) A. A. zu § 254 InsO Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254 Rz. 28.

Backes/Arends

897

95

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

Restrukturierungsgläubigers nebst Nebenforderungen in Anspruch genommen werden kann. 4.

Rechtsfolge des Absatz 3 Satz 2

96

Die Rechtsfolge des § 67 Abs. 3 Satz 2 ist, dass der Rückgriffsanspruch des Drittsicherheitengebers ebenso beschränkt ist, wie der Anspruch des Restrukturierungsgläubigers gegen den Schuldner gemäß dem Restrukturierungsplan. Das bedeutet, dass dem Drittsicherheitengeber kein Rückgriffsanspruch gegen den Schuldner zusteht, sofern der Restrukturierungsgläubiger Befriedigung aus der Sicherheit nur insoweit sucht bzw. gesucht hat, als er keine Befriedigung vom Schuldner i. R. der Planerfüllung erlangt bzw. erlangt hat. Hat der Restrukturierungsgläubiger dagegen volle Befriedigung alleine aus der Sicherheit gesucht, kann der Sicherheitengeber Rückgriff gemäß den Regelungen des Restrukturierungsplans für den ursprünglichen Restrukturierungsgläubiger, also im Umfang der Planbefriedigung für die jeweilige Restrukturierungsforderung verlangen.

97

Die Regelung des § 67 Abs. 3 Satz 2 gilt sowohl für gesetzliche als auch für vertragliche Rückgriffsansprüche.

98

Die Beschränkung des Rückgriffsanspruchs wirkt auch zugunsten der persönlich haftenden Gesellschafter des Schuldners i. S. des § 67 Abs. 2. Dies ergibt sich bereits aus der Akzessorietät der Gesellschafterhaftung, aber auch (klarstellend) aus Absatz 2.

99

Die Beschränkung der Rückgriffsansprüche durch § 67 Abs. 3 Satz 2 ist nicht plandisponibel. Dies ergibt sich aus dem klaren Wortlaut von Satz 2. Zudem aus den gesetzgeberischen Willen, dass Rückgriffsansprüche stets den gleichen Beschränkungen unterliegen sollen, die der Plan für die besicherten Restrukturierungsforderungen vorsieht VI. Über die Planregelungen hinausgehende Befriedigung (Abs. 4)

100

Nach § 67 Abs. 4 muss ein Gläubiger, der mehr erhalten halt, als dies nach dem gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans für ihn vorgesehen ist, die Mehrleistung nicht zurückgewähren. Hieraus, aber noch deutlicher aus Gesetzesbegründung geht hervor, dass der Gesetzgeber die zum Insolvenzplan anerkannte und in der Parallelnorm (§ 254 Abs. 3 InsO) klargestellte Rechtslage, dass nämlich die Gestaltung von Forderungen durch den Plan, selbst wenn sie im Plan als (Teil-)Erlass bezeichnet wird, nicht zum (teilweisen) Erlöschen der Forderung führt, sondern der erlassene Teil als erfüllbare, aber nicht erzwingbare Naturalobligation fortbesteht, auf den Restrukturierungsplan übertragen wollte.46)

101

Die fortbestehende Naturalobligation stellt sodann die Rechtsgrundlage, aber auch die Grenze für das Behaltendürfen der Mehrleistung dar. Mit § 67 Abs. 4 wollte der Gesetzgeber keine eigenständige Rechtsgrundlage für das Behaltendürfen schaffen, sondern nur die Wirkung des Fortbestandes des durch den Restrukturierungsplan ungedeckten bzw. erlassenen Teils der ursprünglichen Forderung klarstellen. _____________ 46) S. Begr. RegE SanInsFoG z. § 74 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 166; zu § 254 Abs. 3 Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254 Rz. 37.

898

Backes/Arends

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

Damit ist zugleich die Grenze des Behaltendürfens der Mehrleistung gesetzt, nämlich der Umfang der ursprünglichen Forderung nebst Nebenforderungen. Übersteigt die Mehrleistung die Grenze des Behaltendürfens, so ist der die Grenze übersteigende Teil der Mehrleistung ohne Rechtsgrund erfolgt und kann i. R. der Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zurückgefordert werden. Die Rückforderung kann allerdings nach § 814 BGB ausgeschlossen sein, wenn der Schuldner bewusst über die Grenze des Behaltendürfens hinaus Mehrleistungen erbringt.47) Insbesondere im Falle einer bewussten Überschreitung der Grenze können die Folgen allerdings erheblich sein. Erfolgt eine solche Mehrleistung, droht die Versagung der Planbestätigung oder die Aufhebung des Bestätigungsbeschlusses im Beschwerdeverfahren. Weiterhin droht die Aufhebung der Restrukturierungssache nach §§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 32 Abs. 1 StaRUG und ein vor einer späteren Insolvenzanfechtung besteht nicht.48) VII.

Ausschluss Differenzhaftung (Abs. 5)

Durch § 67 Abs. 5 werden Ansprüche des Schuldner sowie Dritter gegen Restrukturierungsgläubiger ausgeschlossen, deren Restrukturierungsforderung nach § 7 Abs. 4 durch den Restrukturierungsplan in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte umgewandelt wurde (Debt Equity Swap) und bei denen der objektive Wert der umgewandelten Restrukturierungsforderung hinter dem Nominal- bzw. Nennbetrag49) der Anteilsoder Mitgliedschaftsrechte zurückbleibt. Dies betrifft insbesondere die verschuldensunabhängige Differenzhaftung (allgemeiner Rechtsgedanke im Gesellschaftsrecht, für die GmbH §§ 9, 56 Abs. 2 GmbHG, für die AG anerkannt, aber bewusst nicht kodifiziert)50), aber auch die Haftung nach § 171 Abs. 1 HGB. 1.

102

103

Tatbestand des Absatz 5

a) Umwandlung in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte (§ 7 Abs. 4) Zunächst muss im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans die Umwandlung von Restrukturierungsforderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte nach § 7 Abs. 4 geregelt sein (Debt Equity Swap). Dies erfolgt in der Regel durch eine Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage (Sachkapitalerhöhung).

104

Bei einer KG wird die Umwandlung stets in eine Kommanditeinlage erfolgen, wobei zwischen der Pflichteinlage (Einlagepflicht im Innenverhältnis) und der Hafteinlage/ Haftsumme (in das Handelsregister eingetragener Betrag, der die Haftung des Kommanditisten im Außenverhältnis begrenzt). Die Beträge fallen regelmäßig auseinander, wobei Hafteinlage geringer ist als die Pflichteinlage. Bei einer oHG wird die in der Regel parallel eine Umwandlung der Schuldnerin in eine KG stattfinden und die Restrukturierungsforderung dann als Kommanditeinlage erfolgen.

105

_____________ 47) Vgl. zu § 254 Abs. 3 Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254 Rz. 39. 48) S. Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 67 Rz. 47 f. 49) Bei der AG ist nicht der Nominalbetrag, sondern der geringste Ausgabebetrag der neuen Aktien entscheidend. Vgl. hierzu Schürnbrand/Verse in: MünchKomm-AktG, § 183 Rz. 92. 50) Zur AG s. Schürnbrand/Verse in: MünchKomm-AktG, § 183 Rz. 91.

Backes/Arends

899

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

b) Überbewertung von Restrukturierungsforderungen 106

Eine Überbewertung liegt vor, wenn der objektive Wert der Restrukturierungsforderung zum Bewertungsstichtag hinter Nominal- bzw. Nennbetrag der Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte zurückbleibt. Bei der AG ist allerdings nicht der Nennbetrag der Aktien, sondern der geringste Ausgabebetrag entscheidend, welche auch ein korporatives Agio umfasst.

107

Bei Kapitalgesellschaften ist der Bewertungsstichtag in der Regel der Tag der Eintragung der Kapitalerhöhung ins Handelsregister.

108

Bei der KG ist zu unterscheiden. Für eine Überbewertung gegenüber der Hafteinlage ist ebenfalls der Tag der Eintragung ins Handelsregister entscheidend. Für die Pflichteinlage der Tag der tatsächlichen Einlageleistung, wobei hier in der Regel keine Überbewertung vorliegen wird, da die Einlageleistung konkret beschrieben wird (Einlage der konkreten Restrukturierungsforderung) und es auf deren tatsächlichen Wert nicht ankommt. Dies ist hinsichtlich der Pflichteinlage auch uneingeschränkt zulässig, da die Gesellschafter hier keinen Gestaltungsbeschränkungen unterliegen. Dies gilt entsprechend auch für den Restrukturierungsplan. c) Gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans

109

Der Ausschluss von Ansprüchen wegen einer Überbewertung von Restrukturierungsforderungen setzt die gerichtliche Planbestätigung voraus. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 67 Abs. 5. 2.

Rechtsfolge des Absatzes 5

a) Ausschluss der Innenhaftung (Differenzhaftung) 110

Mit Vorliegen der Tatbestandvoraussetzungen des § 67 Abs. 5 ist die Differenzhaftung, also die gesellschaftsrechtliche Innenhaftung für eine Überbewertung der Restrukturierungsforderung, ausgeschlossen.

111

Die gesellschaftsrechtliche Innenhaftung ist nach § 67 Abs. 5 allerdings nur für die Umwandlung von Restrukturierungsforderungen ausgeschlossen. Haben sich Restrukturierungsgläubiger zu weiteren Sacheinlagen verpflichtet, greift § 67 Abs. 5 nicht ein. b) Ausschluss der Außenhaftung nach § 171 Abs. 1 HGB

112

Nach seinem Wortlaut erfasst § 67 Abs. 5 nur Ansprüche des Schuldners gegen Restrukturierungsgläubiger aus einer Überbewertung, also die Innenhaftung. Dies würde allerdings dazu führen, dass bei KGs für Restrukturierungsgläubiger das Risiko verbliebe, dass bei einer Überbewertung ihrer Restrukturierungsforderung gegenüber der Hafteinlage eine Außenhaftung i. H. des Differenzbetrages entstünde. Nach zutreffender Ansicht zu § 254 Abs. 4 InsO entspricht diese (Differenz-)Außenhaftung funktional der Differenz(innen)haftung bei der GmbH und der AG, so dass § 254 Abs. 4 InsO auf die Haftung nach § 171 Abs. 1 HGB analog anwendbar ist.51) Diese Argumentation und damit das Ergebnis einer analogen Anwendung ist auf § 67 Abs. 5 übertragbar. _____________ 51) Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 254 Rz. 25.; Huber/Madaus in: MünchKommInsO, § 254 Rz. 41; a. A. Braun-Braun/Frank, InsO § 225a Rz. 22.

900

Backes/Arends

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

Zutreffend wird darauf hingewiesen, dass das Risiko der Haftung nach § 171 Abs. 1 HGB dadurch minimiert werden kann, dass abweichend von der Pflichteinlage eine geringere Hafteinlage ins Handelsregister eingetragen wird. Es verbleibt dann aber gleichwohl das den Restrukturierungsgläubigern nicht zumutbare Risiko, dass die der geringeren Hafteinlage zugrunde liegende Berechnung des Schuldners, auf die der Gläubiger keinen Einfluss hat, gleichwohl zu einem zu hohen Ergebnis führt und eine Haftung nach § 171 Abs. 1 HGB entsteht. 3.

113

Ergänzende Anmerkungen

a) Grenzen der Bewertungsfreiheit des Schuldners, Versagung der Planbestätigung Die Regelung des § 67 Abs. 5 ist auch Ausdruck der Freiheit des Schuldners, welche Restrukturierungsforderungen er mit welcher Bewertung in den Restrukturierungsplan einbezieht und hierdurch in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte umwandelt. Diese Freiheit ist indes nicht grenzenlos. Bei einer missbräuchlichen Gestaltung oder Bewertung hat das Gericht die Bestätigung des Plans von Amts wegen nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 zu versagen.

114

b) Risiken für Restrukturierungsgläubiger Nach § 7 Abs. 4 Satz 2 kann eine Umwandlung von Restrukturierungsforderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte nicht gegen den Willen der betroffenen Gläubiger erfolgen. Bei der Einwilligung sollten die Gläubiger aber stets im Blick haben, dass der Restrukturierungsplan so gestaltet sein kann, dass er auch ohne Planbestätigung Wirkung gegenüber den zustimmenden Gläubigern entfaltet. Ohne wirksame Planbestätigung fehlt es aber an einem Haftungsausschluss nach § 67 Abs. 5 (siehe Rz. 109).

115

Handelt es sich bei dem Schuldner um eine Kapitalgesellschaft, wird die Umwandlung von Restrukturierungsforderungen in Anteilsrechte ohne Planbestätigung häufig daran scheitern, dass § 68 nicht anwendbar ist und so die Beschlüsse zu den erforderlichen Kapitalmaßnahmen bei der GmbH und der AG sowie die Übernahmeerklärung hinsichtlich der neuen Geschäftsanteile bei der GmbH formnichtig sein werden. Anders ist dies bei der KG, bei der der Beitritt als Kommanditist durch Sacheinlage (Umwandlung von Restrukturierungsforderungen) formfrei möglich ist. Ist in diesem Fall der Beitritt nicht auf die Eintragung ins Handelsregister aufschiebend bedingt, ist der Haftungsausschluss nach Abs. 5 sogar gänzlich unerheblich, da der Gläubiger zunächst nach § 176 Abs. 2 HGB unbeschränkt persönlich haftet.

116

Kommt es i. R. eines sofortigen Beschwerdeverfahrens nach § 66 zu einer Aufhebung des Bestätigungsbeschlusses, können sich die vorstehenden Risiken für die Gläubiger auch noch später realisieren. Hierbei zeigt sich eine besondere Schwäche des StaRUG, welche durch die Restrukturierungsrichtlinie angelegt ist. Nach § 67 Abs. 1 treten die Wirkungen des Plans bereits mit der Planbestätigung ein. Zugleich ist § 68 anwendbar, so dass ein im Plan vorgesehener Debt Equity Swap ohne Hindernisse durchgeführt werden kann, obwohl bereits sofortige Beschwerde gegen die Planbestäti-

117

Backes/Arends

901

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

gung eingelegt wurde.52) Hat die sofortige Beschwerde Erfolg und gelingt es dem Schuldner nicht, einen ggf. modifizierten Plan zur endgültigen Bestätigung zu bringen, so lässt dies einen bereits vollzogenen Debt Equity Swap unbeeinträchtigt, wohingegen ein Haftungsausschluss nach § 67 Abs. 5 mangels wirksamer Planbestätigung keine Anwendung fände. Da eine solche Betrachtung dem mit § 67 Abs. 5 verfolgten Ziel des Gesetzgebers, nämlich einen Debt Equity Swap und damit die Sanierungschancen nicht durch Haftungsrisiken zu be-/verhindern, zuwiderliefe, muss es genügen, wenn an dem für eine Überbewertung der Restrukturierungsforderung relevanten Bewertungsstichtag (siehe Rz. 106 ff.) ein (noch) wirksamer Bestätigungsbeschluss vorlag. Dies gilt selbst dann, wenn die Wirksamkeit durch eine Anordnung nach § 66 Abs. 4 „ex tunc“ wieder entfällt. VIII. Heilung von Verfahrens- und Willensmängeln (Abs. 6) 118

In § 67 Abs. 6 werden keine Wirkungen des Restrukturierungsplans, sondern die Wirkungen eines rechtskräftigen Bestätigungsbeschlusses geregelt. Nach § 67 Abs. 6 gelten Mängel im Abstimmungsverfahrens sowie Willensmängel im Zusammenhang mit dem Planangebot oder der Planannahme als geheilt. 1.

Tatbestand des Absatz 6

a) Mängel im Abstimmungsverfahren sowie Willensmängel aa) Mängel im Abstimmungsverfahren 119

Mängel im Verfahren der Planabstimmung i. S. des § 67 Abs. 6 sind alle Verstöße gegen Vorschriften, die die verfahrensmäßige Behandlung des Restrukturierungsplans i. S. des § 63 Abs. 1 Nr. 2 Var. 1 (siehe hierzu i. E. § 63 Rz. 36 ff.) oder die Annahme des Plans i. S. des § 63 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 (siehe hierzu i. E. § 63 Rz. 40 f.) betreffen.

120

Für die Heilung ist es unerheblich, ob es sich um wesentliche und unbehebbare Mängel handelt, die eigentlich zur Versagung der Planbestätigung hätten führen müssen (siehe hierzu i. E. § 63 Rz. 42 ff.) oder nicht. Zu Mängeln der Vertretungsmacht siehe Rz. 122. bb) Willensmängel im Zusammenhang mit dem Planangebot oder der Planannahme

121

Unabhängig davon, wie die Planannahme zustande kommt, also ob im Annahmeverfahren nach §§ 17 bis 19, im außergerichtlichen Abstimmungsverfahren i. R. einer Abstimmungsversammlung nach § 20 oder im gerichtlichen Planabstimmungsver_____________ 52) Die Möglichkeit, dass das Gericht auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung der Beschwerde nach § 66 Abs. 4 anordnet soll hier unberücksichtigt bleiben. Gegebenenfalls hat der Beschwerdeführer auch gar kein Interesse daran, die aufschiebende Wirkung anordnen zu lassen, insbesondere, wenn der Debt Equity Swap seine Befriedigungsaussichten erhöht. Zudem stellt sich die Frage, wie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in zeitlicher Hinsicht wirkt. Wenn man, wie bei § 80 Abs. 5 VwGO, grundsätzlich von einer Wirkung „ex tunc“ ausginge, würde sich die weitere Frage stellen, welchen Einfluss dies auf eine in der Zwischenzeit bereits (teilweise) vollzogene Umsetzung des Debt Equity Swaps hätte. Dies ist in Anbetracht der Beschwerdefrist von 14 Tagen kein unrealistisches Szenario.

902

Backes/Arends

§ 67

Wirkungen des Restrukturierungsplans

fahren nach §§ 23, 45 und 46, sind auf das Planangebot sowie die Planannahme grundsätzlich die allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen über Willenserklärungen und damit auch Regelungen der §§ 119 ff. BGB zu Willensmängeln anwendbar.53) Beachtliche Willensmängel sind der Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB), der Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB) sowie der Eigenschaftsirrtum (§ 119 Abs. 2 BGB). Zudem stellen auch die falsche Übermittlung einer Willenserklärung (§ 120 BGB) sowie die Abgabe einer Willenserklärung aufgrund arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung (§ 123 Abs. 1 BGB) Willensmängel dar, die, wenn sie sich auf das Planangebot oder die Planannahme beziehen, von § 67 Abs. 6 umfasst sind. Grundsätzlich denkbar sind auch Mängel hinsichtlich der Vertretungsmacht. Dies betrifft sowohl Formmängel, sofern die Vertretungsmacht einer bestimmten Form bedarf, als auch die Überschreitung von Grenzen der Vertretungsmacht, unabhängig ob diese lediglich intern oder auch extern wirken. Auch diese Mängel werden durch § 67 Abs. 6 geheilt, wobei es nicht darauf ankommt, ob es sich hierbei um einen Mangel im Abstimmungsverfahren oder einen Willensmangel handelt. Andere Formmängel, die die Willenserklärung an sich betreffen, fallen nicht unter § 67 Abs. 6. Sie unterfallen § 68, der den Formmangel durch Fiktion der Wahrung der Form ausschließt und bereits mit der Planbestätigung und nicht erst mit seiner Rechtskraft eingreift.

122

Fehlt es allerdings an einer wirksamen Willenserklärung dadurch, dass gar keine Willenserklärung vorliegt oder dass es an einer Abgabe oder einem Zugang fehlt, wird dieser Mangel nicht durch § 67 Abs. 6 geheilt. Es findet also keine Fiktion einer Willenserklärung oder eine Fiktion von Abgabe und/oder Zugang statt. Diese Mängel werden, sofern sie sich auf die Planannahme beziehen, durch § 67 Abs. 1 Satz 2 „geheilt“, sofern dessen Voraussetzungen vorliegen, insbesondere, wenn der Planbetroffene ordnungsgemäß an der Abstimmung beteiligt wurde.

123

b) Rechtskräftige Bestätigung des Restrukturierungsplans Die Heilung nach § 67 Abs. 6 setzt weiter voraus, dass der Restrukturierungsplan gerichtlich bestätigt wurde und der Bestätigungsbeschluss rechtskräftig wurde.54)

124

Bis zur Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses sind die Mängel i. R. des Bestätigungsverfahrens ggf. als Versagungsgründe (§ 63) beachtlich und können im Beschwerdeverfahren (§ 66) geltend gemacht werden. Da i. R. einer zulässigen Beschwerde die Rechtsmäßigkeit des Bestätigungsbeschlusses insgesamt geprüft wird, sind die Mängel auch dann beachtlich, wenn sie vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht werden, sondern das Gericht auf andere Weise Kenntnis davon erlangt.

125

2.

Rechtsfolge des Absatz 6

Mit Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses gelten die Mängel im Abstimmungsverfahren sowie Willensmängel als geheilt. Damit tritt hinsichtlich der von § 67 Abs. 6 erfassten Mängel Rechtsfriede und Rechtssicherheit für den Schuldner und die Planbetroffenen ein. _____________ 53) S. Begr. RegE SanInsFoG z. Unterabschn. 1 StaRUG (Planangebot und Planannahme), BT-Drucks. 19/24181, S. 121. 54) Zur Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses siehe auch Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 67 Rz. 22.

Backes/Arends

903

126

§ 68

Sonstige Wirkungen des Restrukturierungsplans

§ 68 Sonstige Wirkungen des Restrukturierungsplans Backes/Arends

(1) Wenn Rechte an Gegenständen begründet, geändert, übertragen oder aufgehoben oder Geschäftsanteile an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung abgetreten werden sollen, gelten die in den Restrukturierungsplan aufgenommenen Willenserklärungen der Planbetroffenen und des Schuldners als in der vorgeschriebenen Form abgegeben. (2) 1Die in den Restrukturierungsplan aufgenommenen Beschlüsse und sonstigen Willenserklärungen der Planbetroffenen und des Schuldners gelten als in der vorgeschriebenen Form abgegeben. 2Gesellschaftsrechtlich erforderliche Ladungen, Bekanntmachungen und sonstige Maßnahmen zur Vorbereitung von Beschlüssen der Planbetroffenen gelten als in der vorgeschriebenen Form bewirkt. (3) Entsprechendes gilt für die in den Restrukturierungsplan aufgenommenen Verpflichtungserklärungen, die einer Maßnahme nach Absatz 1 oder Absatz 2 zugrunde liegen. Übersicht I. II. 1. 2. III.

Normzweck ........................................... 1 Normhistorie ........................................ 7 Restrukturierungsrichtlinie .................. 7 Gesetzgebungsverfahren ..................... 10 Form- und Abgabefiktion hinsichtlich Willenserklärungen im Zusammenhang mit der Begründung von oder der Verfügung über Rechte an Gegenständen und GmbH-Anteilen (Abs. 1) .. 13 1. Tatbestand des Absatz 1 ..................... 15 a) Dingliche Willenserklärung mit Inhalt gemäß Absatz 1 ................. 16 aa) Begründung, Änderung, Übertragung oder Aufhebung von Rechten an Gegenständen (Abs. 1 Alt. 1) .............................. 17 bb) Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen (Abs. 1 Alt. 2) .... 19 b) Willenserklärung eines Planbetroffenen oder des Schuldners .... 21 c) Aufnahme der Willenserklärung in den Restrukturierungsplan ...... 22 d) Formbedürftigkeit der Willenserklärung ....................................... 23 e) Planbestätigung ............................ 24 2. Rechtsfolge des Absatz 1 .................... 25 IV. Form- und Abgabefiktion hinsichtlich Beschlüssen und sonstigen Willenserklärungen (Abs. 2 Satz 1) ..................................... 27 1. Tatbestand des Absatz 1 Satz 1 Alt. 1 (Beschlüsse) .............................. 28 a) Beschlüsse i. S. des Satzes 1 ......... 28

904

b) Aufnahme des Beschlusses in den Restrukturierungsplan .......... 31 c) Formbedürftigkeit des Beschlusses ....................................... 32 d) Planbestätigung ............................ 33 2. Rechtsfolge des Absatz 2 Satz 1 Alt. 1 (Beschlüsse) .............................. 34 3. Anmerkung zu Absatz 2 Satz 1 Alt. 1 ..................................................... 36 4. Tatbestand und Rechtsfolge des Absatz 2 Satz 1 Alt. 2 ................... 37 V. Tatbestand und Rechtsfolge des Absatz 2 Satz 2 ............................. 39 VI. Verpflichtungserklärungen (Abs. 3) ................................................ 42 1. Tatbestand des Absatz 3 ..................... 43 a) Verpflichtungserklärung zu einer Maßnahme nach Absatz 1 oder Absatz 2 ............................... 43 b) Verpflichtungserklärungen des Schuldners, von Planbetroffenen und von Dritten .......................................... 45 c) Aufnahme der Verpflichtungserklärung in den Restrukturierungsplan ...................................... 47 d) Formbedürftigkeit der Verpflichtungserklärung .................... 49 e) Planbestätigung ............................ 50 2. Rechtsfolge des Absatz 3 .................... 51 VII. Publizitätsakte, Prozess- und Verfahrenshandlungen ...................... 53 VIII. Keine Zugangsfiktion ..................... 56 IX. Bindung des Registergerichts ........... 61

Backes/Arends

Sonstige Wirkungen des Restrukturierungsplans

I.

§ 68

Normzweck

Entsprechend seiner Überschrift ergänzt § 68 die Regelungen des § 67 hinsichtlich der Wirkungen eines bestätigten Restrukturierungsplans. Während § 67 die Wirkungen eines gerichtlich bestätigten Plans in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht sowie die Wirkungen des Bestätigungsbeschlusses an sich regelt bzw. teilweise konkretisiert (siehe § 67 Rz. 1 ff.), wird durch § 68 die Umsetzung des gestaltenden Teils des Plans sichergestellt. Dies geschieht dadurch, dass alle formbedürftigen Willenserklärungen des Schuldners sowie der Planbetroffenen, die in den Plan aufgenommen wurden, als in der vorgeschriebenen Form abgegeben gelten und so ein Formunwirksamkeit vermieden wird (Form- und Abgabefiktion).1) Soweit Willenserklärung von Planbetroffenen in dem Plan enthalten sind, die gegen den Plan gestimmt haben, ergibt sich die Abgabefiktion hinsichtlich der Willenserklärung an sich bereits aus § 67 Abs. 1 Satz 2; die Abgabefiktion des § 68 bezieht sich nur auf die formgerechte Abgabe.

1

Mit § 68 Abs. 2 wird die Form- und Abgabefiktion auf die Willensbildung der Gesellschafter erweitert.2) Dabei wird nicht nur die formwirksame Beschlussfassung selbst fingiert, sondern auch etwaig erforderliche Ladungen, Bekanntmachungen und sonstige Vorbereitungsmaßnahmen gelten als form- und fristgerecht vorgenommen. Zudem wird die Form- und Abgabefiktion auf alle formbedürftigen Willenserklärungen der Planbetroffenen und des Schuldners erweitert. Abweichend von § 254a Abs. 2 InsO setzt § 68 Abs. 2 nicht voraus, dass Anteilsoder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen in den Plan mit einbezogen werden. Zudem lässt § 68 Abs. 2 es zu, dass nur eine Teilmenge der Gläubiger und/oder Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten von den Planregelungen betroffen sind, was dem teilkollektiven Charakter des StaRUG-Verfahrens Rechnung trägt.3)

2

Ebenso wie § 254a InsO, der Vorbild des § 68 ist und von dem § 68 nur in Absatz 2 teilweise abweicht, fingiert § 68 keine Willenserklärungen oder Beschlüsse.4) Diese müssen ausdrücklich in den gestaltenden Teil des Plans aufgenommen und auch wirksam, insbesondere umsetzbar formuliert sein. Anders ist dies lediglich hinsichtlich etwaig erforderlicher Ladungen, Bekanntmachungen und sonstiger Vorbereitungsmaßnahmen, diese werden gemäß § 68 fingiert bzw. durch die Verfahrensvorschriften zur Annahme des Plans §§ 17 ff., 45 und 46 ersetzt.

4

In Übereinstimmung mit § 67 Abs. 1, 3 bis 5 und abweichend von § 67 Abs. 6 setzt § 68 lediglich die Bestätigung des Restrukturierungsplans, nicht jedoch die Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses voraus.

5

Ebenso wie § 254a InsO (bezüglich des Insolvenzplans) macht § 68 deutlich, dass der auf Grundlage des StaRUG wirksam bestätigte Restrukturierungsplan nach dem _____________

6

1) 2) 3) 4)

S. hierzu, insbesondere auch zum Begriff „Form- und Abgabefiktion“, Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254a Rz. 1. Vgl. Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254a Rz. 9. Dazu, dass § 68 Abs. 2 entsprechend den Gestaltungsmöglichkeiten des Restrukturierungsplans nicht zwingend die Einbeziehung aller Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten und Gläubiger erfasst Begr. RegE SanInsFoG z. § 74 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 165. So auch Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 68 Rz. 1.

Backes/Arends

905

3

§ 68

Sonstige Wirkungen des Restrukturierungsplans

gesetzgeberischen Willen nicht geeignet sein soll, dingliche Rechtsänderungen oder gesellschaftsrechtliche Kapitalmaßnahmen, die nach den sonstigen Gesetzen zu ihrer Wirksamkeit weitere Publizitätsakte erfordern (z. B. Übergabe, Eintragung ins Handelsregister oder Grundbuch), selbst und ohne Weiteres herbeizuführen. Lediglich die rechtsichere Durchführung dieser Publizitätsakte soll, soweit es um Form- und Fristerfordernisse geht, durch § 68 sichergestellt werden. Daher erfasst die Form- und Abgabefiktion des § 68 auch Prozess- und Verfahrenshandlungen (etwa der Antrag auf Grundbucheintragung oder die Anmeldung der Registeränderung), die zur Durchführung erforderlicher Publizitätsakte vorgenommen werden müssen und in den Restrukturierungsplan aufgenommen wurden.5) II. Normhistorie 1.

Restrukturierungsrichtlinie

7

Nach Art. 15 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie6) („Wirkung von Restrukturierungsplänen“) haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass gerichtlich bestätigte Restrukturierungspläne für alle Planbetroffenen verbindlich sind. Dies beinhaltet, dass Willenserklärungen oder Gesellschafterbeschlüsse, die in den gestaltenden Plan aufgenommen werden und nach nationalem Recht Formerfordernissen unterliegen, nicht formunwirksam sein dürfen. Zudem ergibt sich daraus, dass auch die Umsetzung des Plans, also der Eintritt der Wirkungen des Plans, sichergestellt sein muss. Sind also nach nationalem Recht weitere Publizitätsakte zum Eintritt der nach dem Plan vorgesehenen Maßnahmen, insbesondere Rechtsänderungen, erforderlich, so muss auch deren Vollzug sichergestellt sein.

8

Diese Vorgaben der Richtlinie hat der deutsche Gesetzgeber mit der in § 68 enthaltenen Form- und Abgabefiktion, die mit § 68 Abs. 2 auf die Willensbildung der Gesellschafter erweitert und um die Fiktion der Erfüllung aller gesellschaftsrechtlichen und/oder gesellschaftsvertraglichen Verfahrensvorgaben (Ladungen, Bekanntmachungen und sonstige Vorbereitungsmaßnahmen) ergänzt wird, umgesetzt. Hierdurch ist sichergestellt, dass alle in den gestaltenden Teil aufgenommenen Willenserklärungen und Gesellschafterbeschlüsse wirksam sind und ggf. erforderliche Publizitätsakte rechtssicher und beschleunigt vollzogen werden können.

9

Im Zusammenhang mit den auf die Übertragung und Änderung von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten sowie Gesellschafterbeschlüsse bezogenen Regelung des § 68 ist ergänzend anzumerken, dass die Restrukturierungsrichtlinie es den Mitgliedstaaten freistellt, ob nach nationalem Umsetzungsrecht durch den Restrukturierungsplan in solche Rechte eingegriffen werden kann. Dies ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 Restrukturierungsrichtlinie. Weitere Regelungen zu solchen Eingriffen, insbeson_____________ 5) 6)

906

So zutreffend zu § 254a InsO Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254a Rz. 5. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

Backes/Arends

Sonstige Wirkungen des Restrukturierungsplans

§ 68

dere zu einem Debt Equity Swap, enthält die Richtlinie nicht.7) Da die Möglichkeit von Eingriffen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte für den Sanierungserfolg entscheidend sein kann, insbesondere bei fehlender Kooperationsbereitschaft einzelner oder aller Gesellschafter, hat der deutsche Gesetzgeber sich zu Recht entschieden, wie beim Insolvenzplan, umfassende Eingriffe zuzulassen. Mit der Entscheidung, Eingriffe in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte zuzulassen, unterfallen die diesbezüglichen Regelungen dann aber uneingeschränkt Art. 15 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie, so dass die Bindungswirkung des Plans für die Planbetroffenen mit der Planbestätigung ohne Weiteres eintreten und der Vollzug der Restrukturierungsmaßnahmen rechtsverbindlich sichergestellt sein muss. 2.

Gesetzgebungsverfahren

Der jetzige § 68 geht zurück auf § 72 des RefE zum SanInsFoG8) (Art. 1), welcher im Wesentlichen § 254a InsO entspricht und inhaltlich im Gesetzgebungsverfahren unverändert geblieben ist.

10

Durch die Einfügung der Regelungen zur absoluten Priorität (§ 29 RegE), zur Durchbrechung der absoluten Priorität (§ 30 RegE) und zur Haftung der Organe (§ 55 RegE) erhöhte sich die Nummer des jetzigen § 68 auf § 75 RegE9).

11

Auf Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) vom 15.12.202010) zu dem RegE SanInsFoG wurden u. a. die Regelungen zu den haftungsbewährten Pflichten bei drohender Zahlungsunfähigkeit (§§ 2 und 3 RegE) und zur Vertragsbeendigung (§§ 51 bis 55 RegE) aus dem StaRUG gestrichen.11) Hierdurch erhielt die Norm ihre endgültige Nummerierung.

12

III. Form- und Abgabefiktion hinsichtlich Willenserklärungen im Zusammenhang mit der Begründung von oder der Verfügung über Rechte an Gegenständen und GmbH-Anteilen (Abs. 1) Sofern und soweit ein Restrukturierungsplan Willenserklärungen von Planbetroffenen oder des Schuldners enthält, die auf die Begründung von Rechten an Gegenständen oder die Verfügung über Rechte an Gegenständen gerichtet sind (dingliche Willenserklärungen) und die nach den sonstigen gesetzlichen Regelungen formbedürftig sind, fingiert § 68 Abs. 1 die Einhaltung des Formerfordernisses. Hierbei fingiert § 68 Abs. 1 die bereits formgerechte Abgabe der Willenserklärung durch den „erklärenden“ Planbetroffenen oder Schuldner.

13

Weiterhin erfasst § 68 Abs. 1 ausdrücklich auch Willenserklärungen, die nach § 15 Abs. 3 GmbHG formbedürftig sind, also die Abtretung von Geschäftsanteilen an einer GmbH zum Gegenstand haben.

14

_____________ 7) Vgl. Knapp in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 8 Rz. 51. 8) RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 10.8.2021). 9) RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. 10) Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. 11) Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25303, S. 11.

Backes/Arends

907

§ 68 1. 15

Sonstige Wirkungen des Restrukturierungsplans

Tatbestand des Absatz 1

Der Tatbestand von § 68 Abs. 1 umfasst zwei Alternativen, nämlich die auf die Begründung oder Verfügung von/über Rechte an Gegenständen gerichtete Willenserklärungen (§ 68 Abs. 1 Alt. 1) sowie die Willenserklärungen, die auf die Abtretung von Geschäftsanteilen an einer GmbH gerichtet sind (§ 68 Abs. 1 Alt. 2). Weiterhin setzt der Tatbestand voraus, dass der Restrukturierungsplan gerichtlich bestätigt wurde. a) Dingliche Willenserklärung mit Inhalt gemäß Absatz 1

16

Der Tatbestand des § 68 Abs. 1 erfasst lediglich Willenserklärungen, die auf die Begründung, Änderung, Übertragung oder Aufhebung von Rechten gemäß § 68 Abs. 1 gerichtet sind, also dingliche bzw. verfügende Willenserklärungen. Im Gegensatz hierzu erfasst § 68 Abs. 3 verpflichtende Willenserklärungen, womit § 68 dem Abstraktionsprinzip Rechnung trägt. aa) Begründung, Änderung, Übertragung oder Aufhebung von Rechten an Gegenständen (Abs. 1 Alt. 1)

17

In § 68 Abs. 1 Alt. 1 muss sich die dingliche Willenserklärung auf Rechte an Gegenständen beziehen. Der Begriff „Gegenstand“ ist i. S. des handelsrechtlichen bzw. bilanzrechtlichen Begriffs „Vermögensgegenstand“ zu verstehen und umfasst nach richtiger Auffassung alle Werte des Schuldners, die einzeln, d. h. getrennt vom Unternehmen des Schuldners verwertbar sind.12) Er umfasst daher nicht nur körperliche Gegenstände (Sachen und Tiere i. S. der §§ 90 ff. BGB), sondern auch alle anderen Rechte, denen ein Vermögenswert zukommt, wie z. B. immaterielle Vermögensgegenstände, Forderungen und Wertpapiere.13) Dies schließt Beteiligungen des Schuldners an anderen Unternehmen sowie Anteile an verbundenen Unternehmen ebenso mit ein, wie Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner selbst. Lediglich soweit es sich um Anteile an einer GmbH handelt, stellt § 68 Abs. 1 Alt. 2 die speziellere Regelung dar und hat Vorrang.14)

18

Bei dem Vermögensgegenstand muss es sich nicht um einen solchen des Schuldners handeln. Erforderlich ist lediglich, dass die im Restrukturierungsplan vorgesehene Rechtsänderung alleine durch Willenserklärungen von Planbetroffenen und dem Schuldner herbeigeführt werden kann (siehe hierzu auch Rz. 21).

_____________ 12) Die Definition des Begriffs „Vermögensgegenstand“ ist im Bilanzrecht umstritten, wobei der Streit Randbereiche der Abgrenzung betrifft, die für die hiesigen Betrachtungen von eher ungeordneter Bedeutung sind, so dass dem hier nicht weiter nachgegangen wird. Zur vorliegend verwendeten Definition sowie zum Meinungsstreit insgesamt vgl. Hennrichs in: MünchKomm-BilanzR, § 246 HGB Rz. 31 bis 32, insbesondere Rz. 30; s. zudem Ballwieser in: MünchKomm-HGB, § 246 Rz. 11 bis 34, jew. m. w. N. 13) Einen guten Überblick gibt hier § 266 Abs. 2 A. (Anlagevermögen) und B. (Umlaufvermögen). 14) A. A. zu § 254a InsO Nerlich/Römermann-Rühle/Ober, InsO, § 254a Rz. 2, die der ausdrücklichen Erwähnung der Geschäftsanteile an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung in § 254a Abs. 1 InsO nur eine klarstellende Bedeutung beimessen. A. A. zu § 68 Abs. 1 Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 68 Rz. 3; Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 68 Rz. 4.

908

Backes/Arends

Sonstige Wirkungen des Restrukturierungsplans

§ 68

bb) Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen (Abs. 1 Alt. 2) Die Regelung des § 68 Abs. 1 Alt. 2 erfasst ausschließlich die Übertragung von Geschäftsanteilen an einer GmbH, wobei es nicht darauf ankommt, ob es sich um Geschäftsanteile am Schuldner selbst oder Geschäftsanteile im Vermögen des Schuldners oder eines Planbetroffenen handelt. Entscheidend ist alleine, dass der für die Übertragung der Geschäftsanteile erforderliche Abtretungsvertrag, welcher nach § 15 Abs. 3 GmbHG grundsätzlich der notariellen Beurkundung15) bedarf, alleine durch Willenserklärungen des Schuldners und der Planbetroffenen zustande kommt.

19

Wie oben (siehe Rz. 17) bereits ausgeführt, handelt es sich bei der Regelung des § 68 Abs. 1 Alt. 2 um eine gegenüber der Regelung des § 68 Abs. 1 Alt. 1 speziellere Regelung, sofern im Restrukturierungsplan die Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen vorgesehen ist. Die Übertragung sonstiger Anteils- und Mitgliedschaftsrechte fällt unter § 68 Abs. 1 Alt. 1.

20

b) Willenserklärung eines Planbetroffenen oder des Schuldners Nach dem klaren Wortlaut des § 68 Abs. 1 erfasst dieser ausschließlich dingliche Willenserklärungen von Planbetroffenen und vom Schuldner. Willenserklärungen Dritter werden, anders als bei § 68 Abs. 3, nicht erfasst.

21

c) Aufnahme der Willenserklärung in den Restrukturierungsplan Nur Willenserklärungen, die in den Restrukturierungsplan aufgenommen wurden, fallen in den Anwendungsbereich von § 68 Abs. 1.16) Das bedeutet, dass jede für die mit dem Restrukturierungsplan verfolgte Rechtsänderung erforderliche Willenserklärung in den Plan aufgenommen werden muss und nicht lediglich die Rechtsänderung. Die Willenserklärungen müssen zudem wirksam, insbesondere umsetzbar, formuliert sein.

22

d) Formbedürftigkeit der Willenserklärung Die Anwendung des § 68 Abs. 1 setzt weiterhin voraus, dass die in den Restrukturierungsplan aufgenommene Willenserklärung formbedürftig ist. Die Formbedürftigkeit kann sich aus einer gesetzlich vorgeschriebenen (z. B. § 29 GBO, § 15 Abs. 3 GmbHG, § 12 Abs. 1 HGB) oder rechtsgeschäftliche vereinbaren Form (§ 127 Abs. 1 BGB) ergeben. Erfasst werden dabei alle Formvorschriften, von der einfachsten Form, der Textform (§ 126b BGB), bis zur strengsten Form, der notariellen Beurkundung (§ 128 BGB). Auch öffentlich-rechtliche Formvorschriften (z. B. § 57 VwVfG) werden erfasst.

_____________ 15) Außerhalb des Restrukturierungsplan richtet sich die notarielle Beurkundung des Abtretungsvertrages nach §§ 8 ff. BeurkG. Es ist nicht der Abtretungsvertrag an sich zu beurkunden, sondern Inhalt und Abgabe der auf die Abtretung gerichteten Willenserklärungen (Angebot und Annahme). Während das Angebot in der vorgeschriebenen Form, bei getrennter Beurkundung durch Übergabe oder Übersendung einer Ausfertigung (s. § 47 BeurkG) zugehen muss, ist der Zugang der formgerechten Annahmeerklärung nach § 152 Satz 1 BGB entbehrlich, sofern nichts anderes bestimmt ist. 16) So auch Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 68 Rz. 4.

Backes/Arends

909

23

§ 68

Sonstige Wirkungen des Restrukturierungsplans

e) Planbestätigung 24

Tatbestandlich setzt § 68 Abs. 1, wie § 68 insgesamt, weiterhin voraus, dass der Restrukturierungsplan gerichtlich bestätigt wurde. Nicht erforderlich ist die Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses (siehe auch Rz. 5). 2.

Rechtsfolge des Absatz 1

25

Mit der Bestätigung des Plans, gilt die formbedürftige dingliche Willenserklärung als in der vorgeschriebenen Form (siehe Rz. 1, 23) abgegeben. § 68 Abs. 1 fingiert jedoch weder die Willenserklärung an sich, welche in den Plan ausdrücklich aufgenommen werden muss (siehe Rz. 4, 22), noch deren Abgabe i. S. der rechtlichen Zurechnung zu den „erklärenden“ Planbetroffenen. Diese muss sich ebenfalls eindeutig aus dem Plan ergeben und folgt bei zustimmenden Planbetroffenen aus der Zustimmung zum Plan und bei ablehnenden Planbetroffenen aus § 67 Abs. 1 Satz 2 (siehe Rz. 1). Die Abgabefiktion des Abs. 1 bezieht sich alleine auf die formgerechte Abgabe (siehe Rz. 1) und nicht auf den Zugang (siehe Rz. 56 ff.).

26

Soweit die Begründung von Rechten oder die Verfügung über Rechte nach § 68 Abs. 1 zu ihrer Wirksamkeit weitere Publizitätsakte erfordern, werden diese weder entbehrlich noch durch § 68 Abs. 1 fingiert (siehe Rz. 6). Zur Form- und Abgabefiktion hinsichtlich Prozess- und Verfahrenshandlungen, die in den Restrukturierungsplan aufgenommen und für die Durchführung der Publizitätsakte erforderlich sind, siehe Rz. 53 ff. IV. Form- und Abgabefiktion hinsichtlich Beschlüssen und sonstigen Willenserklärungen (Abs. 2 Satz 1)

27

Mit § 68 Abs. 2 Satz 1 wird die Form- und Abgabefiktion auf Beschlüsse (§ 68 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1) sowie auf sonstige Willenserklärungen der Planbetroffenen und des Schuldners (§ 68 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2) erweitert. 1.

Tatbestand des Absatz 1 Satz 1 Alt. 1 (Beschlüsse)

a) Beschlüsse i. S. des Satzes 1 28

Zunächst erfasst § 68 Abs. 2 Satz 1 alle Beschlüsse der Gesellschafter des Schuldners. Es ist dabei unerheblich, ob sich diese Beschlüsse auf Eingriffe in die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte beziehen oder sonstige gesellschaftsrechtlich zulässige Regelungen betreffen.

29

Weiterhin erfasst § 68 Abs. 2 Satz 1 alle Beschlüsse des Schuldners, die dieser, alleine oder zusammen mit weiteren Planbetroffenen, bezogen auf verbundene Unternehmen oder Unternehmen, an denen er beteiligt ist, treffen kann.

30

Nicht erforderlich ist, dass es sich um einen Beschluss von Planbetroffenen oder des Schuldners handelt. Erfasst werden auch Beschlüsse der Gesellschafter des Schuldners, wenn die Gesellschafter nicht oder nur teilweise Planbetroffene sind. Denn nicht jeder Beschluss, der gesellschaftsrechtlich zulässige Regelungen zum Gegenstand hat, führt zu einer Änderung der Rechtstellung der Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten und damit zu deren Planbetroffenheit i. S. des § 7 Abs. 1. Zudem müssen Eingriffe in Anteils- und Mitgliedschaftsrechte nicht alle Inhaber erfassen. Würde aber jede Beschlussfassung, die für solche Eingriffe erforderlich 910

Backes/Arends

Sonstige Wirkungen des Restrukturierungsplans

§ 68

sind, stets dazu führen, dass alle Anteilsinhaber Planbetroffene sind, würde der teilkollektive Charakter des Restrukturierungsverfahrens, zumindest bezogen auf die Anteilsinhaber, aufgehoben werden.17) Dem steht weder entgegen, dass in § 68 Abs. 2 Satz 1 Bezug auf die Planbetroffenen und den Schuldner Bezug genommen wird, noch, dass in § 68 Abs. 2 Satz 2 lediglich die Planbetroffenen erwähnt werden. Die Erwähnung der Planbetroffenen und des Schuldners in § 68 Abs. 2 Satz 1 bezieht sich lediglich auf die sonstigen Willenserklärungen. Bei der ausschließlichen Erwähnung der Planbetroffenen in § 68 Abs. 2 Satz 2 handelt es ich um ein gesetzgeberisches Versehen. Denn in § 254a Abs. 2 Satz 2 InsO, auf den in der Gesetzesbegründung ausdrücklich verwiesen wird,18) steht „Beschlüsse der Anteilsinhaber“. Eine andere Betrachtung würde, wie oben bereits ausgeführt, den teilkollektiven Charakter des Restrukturierungsverfahrens übergehen. b) Aufnahme des Beschlusses in den Restrukturierungsplan Der Beschluss muss in den Restrukturierungsplan aufgenommen worden sein. Der Beschluss muss zudem wirksam, insbesondere vollziehbar, formuliert sein.

31

c) Formbedürftigkeit des Beschlusses Anders als bei Willenserklärungen nach § 68 Abs. 2 Abs. 1 oder § 68 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 ist keine besondere Formbedürftigkeit des Beschlusses für die Anwendung des Satzes 1 erforderlich. Denn Beschlüsse kommen grundsätzlich in der Gesellschafter- oder Mitgliederversammlung oder einem von den Gesellschaftern bzw. Mitgliedern bestimmten abweichenden Verfahren zustande und die damit verbundenen Form- und Verfahrensvorschriften sollen gerade mit § 68 Abs. 2 Satz 1 und 2 fingiert werden.19)

32

d) Planbestätigung Tatbestandlich setzt § 68 Abs. 2 voraus, dass der Restrukturierungsplan gerichtlich bestätigt wurde. Nicht erforderlich ist die Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses (siehe auch Rz. 5). 2.

33

Rechtsfolge des Absatz 2 Satz 1 Alt. 1 (Beschlüsse)

Mit der Planbestätigung gilt der in den Restrukturierungsplan aufgenommene Beschluss als formgerecht zustande gekommen. Dies umfasst neben gesellschaftsvertraglich bestimmten Formvorschriften auch alle gesetzlichen Anforderungen an die Form (z. B. notarielle Beurkundung gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 GmbHG oder § 130 Abs. 1 Satz 1 AktG). Zusammen mit § 68 Abs. 2 Satz 2 wird durch Absatz 2 Satz 1 Alt. 1 die formell wirksame Beschlussfassung der Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten fingiert.20) _____________ 17) Auf den teilkollektiven Charakter des Restrukturierungsverfahrens hat der Gesetzgeber in der Begr. zu § 68 Abs. 2 ausdrücklich hingewiesen (vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 75 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 166). 18) S. Begr. RegE SanInsFoG z. § 75 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 166. 19) S. zu § 254a InsO Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 254a Rz. 6. 20) S. zu § 254a InsO Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254a Rz. 9.

Backes/Arends

911

34

§ 68 35

Soweit Beschlüsse an bestimmte gesetzliche oder rechtsgeschäftliche Mehrheitsanforderungen gebunden sind, werden diese durch § 68 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 überwunden. 3.

36

Sonstige Wirkungen des Restrukturierungsplans

Anmerkung zu Absatz 2 Satz 1 Alt. 1

Nach hier vertretener Auffassung kommen Beschlüsse nach § 68 Abs. 2 auch dann wirksam zustande, wenn nicht alle Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten Planbetroffene sind und sie damit weder in das Abstimmungsverfahren hinsichtlich des Plans eingebunden waren noch ihnen Rechtsbehelfe gegen die Planbestätigung zustehen.21) Dies ist gerechtfertigt, da Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten nur dann nicht Planbetroffene sind, wenn der Gegenstand des Beschlusses eine so „niederschwellige“ Regelung beinhaltet, dass er keine Änderung der Rechtsstellung der (nicht einbezogenen) Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten darstellt. Dies war vom Gesetzgeber auch so gewollt, da er das Restrukturierungsverfahren bewusst auch hinsichtlich der Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten als teilkollektives verfahren ausgestaltet hat. 4.

Tatbestand und Rechtsfolge des Absatz 2 Satz 1 Alt. 2

37

Hinsichtlich des Tatbestandes und der Rechtsfolgen von § 68 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 kann grundsätzlich auf die Ausführungen zu Absatz 1 verwiesen werden (siehe Rz. 13 bis 26). Gegenstand sind hier allerdings nicht dingliche Willenserklärungen i. S. des Absatz 1, sondern alle Willenserklärungen der Planbetroffenen und des Schuldners, die nicht bereits von § 68 Abs. 1 oder Abs. 3 erfasst werden. Dies sind insbesondere formbedürftige Willenserklärungen zur Umsetzung von Rechtsänderungen bezüglich Anteils- und Mitgliedschaftsrechten sowie Willenserklärung bezüglich sonstiger gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen, soweit sie sich i. R. der §§ 2 Abs. 3 und 7 Abs. 4 bewegen, also gesellschaftsrechtlich zulässig sind und, soweit sie einen Debt Equity Swap vorsehen, mit dem Willen des betroffenen Gläubigers übereinstimmen.

38

Nicht von § 68 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 erfasst werden Willenserklärungen Dritter. Dies ergibt sich aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut der lediglich von Planbetroffen und dem Schuldner spricht. Anders als bei Satz 2 liegt auch kein gesetzgeberisches Versehen vor (siehe Rz. 40 f.) V. Tatbestand und Rechtsfolge des Absatz 2 Satz 2

39

Mit der gerichtlichen Bestätigung des Restrukturierungsplans gelten alle gesellschaftsrechtlich und gesellschaftsvertraglich erforderlichen Ladungen, Bekanntmachungen und sonstigen Vorbereitungshandlungen bezüglich Beschlüssen nach § 68 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 als form- und fristgerecht bewirkt. Hierbei handelt es sich um eine gesetzliche Fiktion, die keine gesonderte Regelung oder Erwähnung im Restrukturierungsplan erfordert. Die gesetzliche Fiktion gewährleistet die formell wirksame Beschlussfassung.

40

Die Fiktion des § 68 Abs. 2 Satz 2 bezieht sich nicht nur auf Beschlüsse der Planbetroffenen, sondern auf alle in den Plan aufgenommenen Beschlüsse der Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten. Bei der ausschließlichen Erwähnung der _____________ 21) A. A. wohl Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 68 Rz. 12; Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 68 Rz. 9.

912

Backes/Arends

Sonstige Wirkungen des Restrukturierungsplans

§ 68

Planbetroffenen in Satz 2 handelt es sich um ein gesetzgeberisches Versehen. Denn in § 254a Abs. 2 Satz 2 InsO, auf den in der Gesetzesbegründung ausdrücklich verwiesen wird, steht „Beschlüsse der Anteilsinhaber“.22) Eine andere Betrachtung würde, den teilkollektiven Charakter des Restrukturierungsverfahrens übergehen. Zudem sind auch Beschlüsse des Schuldners erfasst, die dieser, alleine oder zusammen mit weiteren Planbetroffenen, bezogen auf verbundene Unternehmen oder Unternehmen, an denen er beteiligt ist, trifft. Dies ergibt sich aus dem Zusammenhang mit § 68 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1, welcher auch Beschlüsse des Schuldners umfasst (siehe auch Rz. 29).

41

VI. Verpflichtungserklärungen (Abs. 3) Nach § 68 Abs. 3 erfasst die Form- und Abgabefiktion auch Willenserklärungen, die die Verpflichtung zur Vornahme eines dinglichen Rechtsgeschäfts nach § 68 Abs. 1 oder einer gesellschaftsrechtlichen Maßnahme nach § 68 Abs. 2 beinhalten. Damit stellt § 68 Abs. 3 klar, dass es dem Planersteller freisteht, ob der Plan das dingliche Rechtsgeschäft bzw. die gesellschaftsrechtliche Maßnahme selbst oder lediglich die Verpflichtung hierzu oder beides enthalten soll. Zudem wird damit klargestellt, dass der Restrukturierungsplan den Rechtsgrund für das dingliche Rechtsgeschäft oder die gesellschaftsrechtliche Maßnahme enthalten, also schaffen kann. 1.

42

Tatbestand des Absatz 3

a) Verpflichtungserklärung zu einer Maßnahme nach Absatz 1 oder Absatz 2 Nach dem eindeutigen Wortlaut erfasst § 68 Abs. 3 nur solche Verpflichtungserklärungen, die sich auf dingliche Rechtsgeschäfte nach § 68 Abs. 1 oder gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen nach § 68 Abs. 2 beziehen. Hierdurch wird der Umfang der möglichen Verpflichtungen dahingehend eingegrenzt, dass sich die Verpflichtung nur auf solche Vermögensgegenstände, Rechte an Vermögensgegenständen sowie Anteils- und Mitgliedschaftsrechte beziehen kann, die ohnehin Gegenstand des Restrukturierungsverfahrens sind.

43

Nicht zulässig und nicht von § 68 Abs. 3 umfasst sind Verpflichtungserklärungen, die (alleine) in den Plan aufgenommen werden und die einem Planbetroffenen oder einem Dritten (zwangsweise) neue Verpflichtungen auferlegen.23) Allerdings erfasst § 68 Abs. 3 Verpflichtungserklärungen von Planbetroffenen oder Dritten, die auf neue Verpflichtungen gerichtet und in einer eigenen Erklärung enthalten sind. Diese Verpflichtungserklärung ist, damit sie von § 68 Abs. 3 umfasst wird, dem Plan als Plananlage beizufügen (siehe zu Verpflichtungserklärungen Dritter auch Rz. 46).24)

44

b) Verpflichtungserklärungen des Schuldners, von Planbetroffenen und von Dritten Soweit Verpflichtungserklärung, die sich auf dinglichen Rechtsgeschäfte nach § 68 Abs. 1 oder gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen nach § 68 Abs. 2 beziehen und die _____________ 22) A. A. wohl Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 68 Rz. 12; Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 68 Rz. 9. 23) So zu § 254a InsO Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254a Rz. 15. 24) Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254a Rz. 15.

Backes/Arends

913

45

§ 68

Sonstige Wirkungen des Restrukturierungsplans

nach dem Inhalt des Plans vom Schuldner und/oder von einem Planbetroffenen abgegeben werden, erfasst § 68 Abs. 3 diese bereits von seinem Wortlaut her, da er Bezug auf § 68 Abs. 1 und Abs. 2 nimmt. 46

Allerdings beschränkt der Wortlaut von § 68 Abs. 3 seine Anwendung nicht auf den Schuldner oder Planbetroffene. Haben Dritte i. R. einer tatsächlich abgegebenen Verpflichtungserklärung eine Verpflichtung bezogen auf eine Maßnahme nach § 68 Abs. 1 oder Abs. 2 übernommen und wird die Verpflichtungserklärung als Plananlage in den Plan aufgenommen, so erfasst die Form- und Abgabefiktion des Absatz 3 auch diese Verpflichtungserklärung.25) c) Aufnahme der Verpflichtungserklärung in den Restrukturierungsplan

47

Nur Verpflichtungserklärungen, die in den Restrukturierungsplan aufgenommen wurden, fallen in den Anwendungsbereich von § 68 Abs. 3. Das bedeutet, dass jede für die mit dem Restrukturierungsplan verfolgte Verpflichtung erforderliche Willenserklärung in den Plan aufgenommen werden muss und nicht lediglich die Verpflichtung an sich. Die Verpflichtungserklärung muss zudem wirksam, insbesondere umsetzbar, formuliert sein.

48

Bei Verpflichtungserklärungen, die auf eine neue Verpflichtung (siehe Rz. 44) gerichtet sind sowie Verpflichtungserklärungen, die von Dritten abgegeben werden, werden durch Beifügung der Verpflichtungserklärung als Plananlage in den Plan aufgenommen. d) Formbedürftigkeit der Verpflichtungserklärung

49

Die Anwendung des § 68 Abs. 3 setzt weiterhin voraus, dass die in den Restrukturierungsplan aufgenommene Verpflichtungserklärung formbedürftig ist. Die Formbedürftigkeit kann sich aus einer gesetzlich vorgeschriebenen (z. B. § 311b BGB oder § 15 Abs. 4 GmbHG) oder rechtsgeschäftliche vereinbarten Form (§ 127 Abs. 1 BGB) ergeben, wobei letzteres bei den hier infrage kommenden Verpflichtungserklärungen eher die Ausnahme sein wird. Erfasst werden dabei alle Formvorschriften, von der einfachsten Form, der Textform (§ 126b BGB), bis zur strengsten Form, der notariellen Beurkundung (§ 128 BGB). Auch öffentlich-rechtliche Formvorschriften (z. B. § 57 VwVfG) werden erfasst. e) Planbestätigung

50

Tatbestandlich setzt § 68 Abs. 3 weiterhin voraus, dass der Restrukturierungsplan gerichtlich bestätigt wurde. Nicht erforderlich ist die Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses (siehe auch Rz. 5). 2.

51

Rechtsfolge des Absatz 3

Mit der Bestätigung des Plans, gilt die formbedürftige Verpflichtungserklärung als in der vorgeschriebenen Form (siehe Rz. 49) abgegeben. § 68 Abs. 3 fingiert jedoch, ebenso wie § 68 Abs. 1 und Abs. 2, weder die Willenserklärung an sich, welche in den Plan aufgenommen werden muss (siehe Rz. 47 f.), noch deren Abgabe i. S. der rechtlichen Zurechnung zu den „erklärenden“ Planbetroffenen oder Dritten. _____________ 25) So zu § 254a InsO Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254a Rz. 16.

914

Backes/Arends

Sonstige Wirkungen des Restrukturierungsplans

§ 68

Diese muss sich ebenfalls eindeutig aus dem Plan ergeben und folgt bei zustimmenden Planbetroffenen aus der Zustimmung zum Plan und bei ablehnenden Planbetroffenen aus § 67 Abs. 1 Satz 2 (siehe Rz. 1). Bei Dritten ergibt sich die die rechtliche Zurechnung rechtfertigende Abgabe aus der dem Plan beizufügenden Verpflichtungserklärung des Dritten. Die Abgabefiktion des § 68 Abs. 3 bezieht sich alleine auf die formgerechte Abgabe (siehe Rz. 1) und nicht auf den Zugang (siehe Rz. 56 ff.).

52

VII. Publizitätsakte, Prozess- und Verfahrenshandlungen Nach dem gesetzgeberischen Willen und dem klaren Wortlaut der Regelungen zum Restrukturierungsplan, insbesondere §§ 67 und 68, können durch den Plan keine dinglichen Rechtsänderungen oder gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen, die nach den sonstigen Gesetzen zu ihrer Wirksamkeit weitere Publizitätsakte erfordern (z. B. Übergabe, Eintragung ins Handelsregister oder Grundbuch), herbeigeführt bzw. durchgeführt werden, ohne dass der jeweilige Publizitätsakt vollzogen wurde.26) Hinsichtlich des Insolvenzplans, für den dies bereits seit längerem vertreten wird, wird dies zudem mit der Rechtsnatur des Insolvenzplans als Vertrag begründet.27) Für den Restrukturierungsplan gilt diese Begründung erst recht.

53

Soweit der erforderliche Publizitätsakt allerdings eine Prozess- oder Verfahrenshandlungen voraussetzt (z. B. den Antrag auf Eintragung ins Handelsregister oder ins Grundbuch), kann diese in den Restrukturierungsplan aufgenommen werden und unterliegt dann der Form- und Abgabefiktion des § 68.28)

54

Ebenso wie bei Willenserklärungen fingiert § 68 nicht den Zugang der Prozessoder Verfahrenshandlung bei der zuständigen Stelle. Zum Zugang siehe Rz. 57 ff.

55

VIII. Keine Zugangsfiktion Mit § 68 wird ausschließlich die formgerechte Abgabe einer Willenserklärung oder einer Prozess- oder Verfahrenshandlung fingiert. Eine Fiktion des Zugangs findet mangels gesetzlicher Regelung nicht statt.

56

Bei der Mehrzahl der von § 68 erfassten Willenserklärungen handelt es ich um empfangsbedürftige Willenserklärungen, die erst mit ihrem Zugang wirksam werden. Zudem müssen empfangsbedürftige Willenserklärungen, jedenfalls dann, wenn sie gegenüber Abwesenden abgegeben werden, in der für ihre Abgabe vorgeschriebenen Form zugehen.29) Die Abgabe gegenüber Abwesenden wird in einer Gesamtschau der möglichen Abstimmungsverfahren sowie des Planbestätigungsverfahrens der Regelfall im Restrukturierungsverfahren sein. Ein Zugang liegt jedenfalls dann vor, wenn dem Erklärungsempfänger eine Ausfertigung des Bestätigungsbeschlusses sowie ein Abdruck des vollständigen Plans nebst Anlagen zugeht. Ebenfalls ausreichend ist der Zugang einer Ausfertigung des Bestätigungsbeschlusses nebst einer Zusammen-

57

_____________ 26) So zutreffend zum Insolvenzplan Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254a Rz. 5; ebenso zum StaRUG Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 68 Rz. 6. 27) Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254a Rz. 5. 28) So zutreffend zum Insolvenzplan Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254a Rz. 5. 29) Einsele in: MünchKomm-BGB, § 130 Rz. 33.

Backes/Arends

915

§ 68

Sonstige Wirkungen des Restrukturierungsplans

fassung des wesentlichen Inhalts des Plans, sofern die Zusammenfassung die relevanten Willenserklärungen enthält. 58

Soweit gegenüber dem Erklärungsempfänger eine gerichtliche Bekanntgabe des Planinhalts sowie der Planbestätigung nach § 65 Abs. 2 stattfindet, die im Minimum die Übersendung des Hinweises auf die Planbestätigung erfordert,30) genügt auch dies für einen Zugang. Denn mit Zugang des gerichtlichen Hinweises auf die Planbestätigung, welchem gemäß § 65 Abs. 2 ggf. ein Abdruck des Plans nebst Anlagen oder eine Planzusammenfassung beigefügt ist, weiß der Empfänger, dass die in dem ihm vorliegenden Plan enthaltenen Willenserklärungen gemäß § 68 wirksam abgegeben wurden und verfügt diesbezüglich auch über sichere Beweisunterlagen. Damit sind seine schutzwürdigen Interessen an einem formgerechten Zugang der Erklärungen gewahrt.31)

59

Bei Prozess- oder Verfahrenshandlung, namentlich bei publizitätsrelevanten Eintragungsanträgen beim Registergericht oder Grundbuchamt, wird das jeweilige Gericht aufgrund der einschlägigen Gesetze erst auf Antrag (z. B. § 13 GBO), also mit Antragseingang (Zugang) tätig. Hierfür muss dem Gericht eine Ausfertigung des Bestätigungsbeschlusses zusammen mit dem den ordnungsgemäß formulierten Antrag enthaltenden Restrukturierungsplan zugehen. Soweit das Gesetz den elektronischen Rechtsverkehr, also die elektronische Einreichung vorschreibt (z. B. § 12 HGB), wird diese Form nicht durch § 68 ersetzt. Der Bestätigungsbeschluss sowie der Restrukturierungsplan (zumindest der Antrag sowie die relevanten Willenserklärungen) sind von einem deutschen Notar unter Beachtung von § 39a BeurkG in die elektronische Form zu überführen und sodann dem Gericht zu übermitteln.

60

Die Einreichung beim Gericht kann durch den Schuldner und jeden anderen Planbetroffenen erfolgen bzw. veranlasst werden. Dies ist Folge des § 68, da der im Restrukturierungsplan enthaltene Antrag bereits als formgerecht abgegeben gilt und es für die Einreichung keiner weiteren Vollmacht mehr bedarf. Anders ist dies lediglich für den mit der Planüberwachung beauftragten Restrukturierungsbeauftragten. Er ist zur Einreichung nur befugt, wenn er hiermit durch den Plan beauftragt wurde, da es ihm an einem eigenen Interesse an der Plandurchführung mangelt. Auch Dritte können die Eintragung veranlassen, jedoch nur insoweit, wie sie selbst von den Planregelungen betroffen sind. IX. Bindung des Registergerichts

61

Soweit Planmaßnahmen zu ihrer Wirksamkeit einen Publizitätsakt in Form einer Eintragung in ein Register (z. B. Handelsregister oder Grundbuch) erfordern, findet das dem Restrukturierungsverfahren nachfolgende Registerverfahren auf Grundlage des bestätigten Restrukturierungsplans statt. Etwaige Fehler im Abstimmungsverfahren sowie Willensmängel von Planangebot und Planannahme gelten als geheilt (§ 67 Abs. 6). Zudem gelten alle Willenserklärungen und Beschlüsse nach § 68 als form- und verfahrenswirksam abgegeben bzw. zustande gekommen. Alle diesbezüg_____________ 30) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 72 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 164. 31) Vgl. zu den schutzwürdigen Interessen, die dem Erfordernis des formgerechten Zugangs einer Willenserklärung zugrunde liegen: Einsele in: MünchKomm-BGB, § 130 Rz. 33.

916

Backes/Arends

Wiederaufleben gestundeter oder erlassener Forderungen

§ 69

lichen Rechtsfragen sowie Rechtsfragen, die in die Prüfungskompetenz des Restrukturierungsgerichts fallen, sind der Prüfungskompetenz des Registergerichts entzogen. Insoweit wird das Registergericht nur beurkundend tätig, selbst wenn es eine vom Restrukturierungsgericht abweichende Rechtsauffassung vertritt.32) Hintergrund ist der Vorrang des Restrukturierungsverfahrens vor dem Registerverfahren, welcher u. a. Art. 15 Abs. 1, 16 Abs. 3 Restrukturierungsrichtlinie und dem damit verbundenen Gebot eines unverzüglichen Eintritts der Wirkungen des Restrukturierungsplans folgt. Mit diesem Gebot sollen Verzögerungen verhindert werden, die die Restrukturierung gefährden bzw. zumindest ein solches Risiko begründen. Eine eigenständige Prüfung durch das Registergericht wäre mit einem solchen Risiko verbunden. Soweit der Ausschluss der Prüfungskompetenz des Registergerichts beim Insolvenzplan zudem mit der Rechtskraftwirkung des Bestätigungsbeschlusses des Insolvenzgerichts (Präklusionswirkung) begründet wird,33) greift dieses Argument hinsichtlich des Bestätigungsbeschlusses im Restrukturierungsverfahren nicht, da die Wirkungen des Plans bereits mit der Verkündung des Beschlusses eintreten (siehe § 67 Rz. 37).

62

Ergeht vor der Eintragung eine Anordnung nach § 66 Abs. 4 ist das Registerverfahren bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen die Planbestätigung oder bis zur Aufhebung der Anordnung zu unterbrechen.

63

_____________ 32) So zutreffend zum Insolvenzplan Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254a Rz. 22; ebenso zum StaRUG Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 68 Rz. 9. 33) S. Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254a Rz. 22.

§ 69 Wiederaufleben gestundeter oder erlassener Forderungen Arends/Backes

(1) 1Sind aufgrund des gestaltenden Teils des Restrukturierungsplans einbezogene Restrukturierungsforderungen gestundet oder teilweise erlassen worden, so wird die Stundung oder der Erlass für den Gläubiger hinfällig, gegenüber dem der Schuldner mit der Erfüllung des Plans erheblich in Rückstand gerät. 2Ein erheblicher Rückstand ist erst anzunehmen, wenn der Schuldner eine fällige Verbindlichkeit nicht bezahlt hat, obwohl der Gläubiger ihn schriftlich gemahnt und ihm dabei eine mindestens zweiwöchige Nachfrist gesetzt hat. (2) Wird vor vollständiger Erfüllung des Restrukturierungsplans über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren eröffnet, so ist die Stundung oder der Erlass im Sinne des Absatzes 1 für alle Gläubiger hinfällig. (3) 1Im Restrukturierungsplan kann etwas von Absatz 1 oder 2 Abweichendes vorgesehen werden. 2Jedoch kann von Absatz 1 nicht zum Nachteil des Schuldners abgewichen werden. Literatur: Dellit/Hamann, Forderungserlass und Insolvenzplan, ZIP 2015, 308; Rugullis, Aus der Vergangenheit lernen: Zum Verständnis der §§ 227, 254 und 255 InsO, KTS 2012, 269.

Arends/Backes

917

§ 69

Wiederaufleben gestundeter oder erlassener Forderungen Übersicht

I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 5 III. Wiederaufleben einzelner Forderungen (Abs. 1) .......................... 6 1. Tatbestand des Absatz 1 ....................... 7 a) Betroffene Gläubigerforderungen .................................... 8 b) Planregelungen ............................. 13 c) Erheblich in Rückstand geratener Schuldner ..................... 16

I.

aa) Begriff „Rückstand“ ..................... 17 bb) Begriff „erheblich“ ....................... 22 2. Rechtsfolge .......................................... 26 IV. Wiederaufleben aller Forderungen (Abs. 2) ................................................ 32 1. Tatbestand des Absatz 2 ..................... 32 2. Rechtsfolge .......................................... 37 V. Abweichender Planinhalt (Abs. 3) ................................................ 38

Normzweck

1

Die Vorschrift ist inhaltlich deckungsgleich mit § 255 InsO. Da die planbetroffenen Gläubiger durch den Plan teilweise erhebliche wirtschaftliche Eingriffe erdulden müssen, ist ihnen dies auch nur dann zuzumuten, wenn der Schuldner seinen Teil der Vereinbarung erfüllt (§ 69 Abs. 1) und die Restrukturierung auch erfolgreich, also insolvenzverhindernd, ist (§ 69 Abs. 2).1)

2

Nach dem Vorbild von § 255 Abs. 1 InsO soll durch § 69 Abs. 1 StaRUG einerseits zum Schutz der planbetroffenen Gläubiger und zur Disziplinierung des Schuldners ein erheblicher Erfüllungsrückstand des Schuldners sanktioniert werden, indem dem Schuldner die Plangestaltungswirkungen in Form einer Forderungsstundung oder eines Teilerlasses bezüglich der vom Erfüllungsrückstand betroffenen Forderungen entzogen werden. Anderseits soll auch hier ein Rückstand des Schuldners nicht sofort zur scharfen Rechtsfolge des Verlustes der Gestaltungswirkungen in Bezug auf die betroffenen Forderungen führen, sondern es bedarf der Setzung einer Nachfrist durch den Gläubiger, die fruchtlos verstreicht.2)

3

Nach § 69 Abs. 2 führt die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners vor vollständiger Planerfüllung auch beim Restrukturierungsplan zum Wegfall aller in diesem Plan geregelten Forderungsstundungen und Teilerlasse, um eine Doppelbelastung von Gläubigern zu verhindern, indem sie zunächst die Gestaltung ihrer Forderung im Restrukturierungsplan hinnehmen müssen und dann ihre Forderung nur noch in der dadurch geminderten Höhe zur Insolvenztabelle anmelden dürfen.3)

4

Wie im Insolvenzplanrecht (§ 255 Abs. 3 InsO) sind nach Absatz 3 Satz 2 nur solche Abweichungen von § 69 Abs. 1 und 2 zulässig, die sich nicht zum Nachteil des Schuldners auswirken. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Restrukturierungsplan eine hinreichend verlässliche Grundlage für das weitere Vorgehen des Schuldners und der Planbetroffenen bietet.4) II. Normhistorie

5

Die Norm ist im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens unverändert geblieben. Das Wiederaufleben von Forderungen bei Säumigkeit des Schuldners mit der Planerfül_____________ 1) 2) 3) 4)

918

Braun-Bauch, StaRUG, § 69 Rz. 1. Begr. RegE SanInsFoG z. § 76 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 166. Begr. RegE SanInsFoG z. § 76 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 167. Begr. RegE SanInsFoG z. § 76 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 167.

Arends/Backes

Wiederaufleben gestundeter oder erlassener Forderungen

§ 69

lung sowie bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners vor vollständiger Planerfüllung findet in der Restrukturierungsrichtlinie keine ausdrückliche Erwähnung. Vielmehr geht die Norm inhaltlich im Wesentlichen zurück auf § 9 VerglO, der als Grundlage für § 302 InsO a. F.5) und damit dem heute geltenden § 255 InsO6) diente. Durch die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) vom 15.12.20207) fand die Vorschrift ihren endgültigen Platz in § 69. Die Ausgestaltung des StaRUG orientiert sich an den bestehenden Instrumentarien des Insolvenzrechts. Ergänzungen und Abweichungen sind nach Ansicht des Gesetzgebers allein dort geboten, wo den Besonderheiten des präventiven Rahmens Rechnung zu tragen ist.8) Eine Abweichung bzw. Ergänzung ist nach Ansicht des Gesetzgebers bei § 69 nicht angezeigt gewesen, was aus dem grundsätzlich identischen Wortlaut von § 69 StaRUG und § 255 InsO hervorgeht.9) III. Wiederaufleben einzelner Forderungen (Abs. 1) Gerät der Schuldner mit Erfüllung der im Restrukturierungsplan festgesetzten Restforderung einzelner Gläubiger in erheblichen Rückstand, so versetzt Abs. 1 bei Vorliegen der Voraussetzungen diese Forderung ungeachtet der plangemäß geregelten Einschränkungen (Stundungen, teilweiser Erlass) wieder in ihren ursprünglichen Zustand. 1.

6

Tatbestand des Absatz 1

Der Tatbestand von § 69 Abs. 1 hat im Wesentlichen drei Tatbestandsmerkmale: –

Die Restrukturierungsforderung eines Gläubigers muss



im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans einer Stundung und/oder einem Teilverzicht unterworfen worden sein und



der Schuldner muss mit der Erfüllung des Plans gegenüber dem Gläubiger erheblich in Rückstand geraten sein.

7

a) Betroffene Gläubigerforderungen Vom Wiederaufleben bedroht sind nach dem Wortlaut von § 69 Abs. 1 Restrukturierungsforderungen, in deren Bestand nach dem gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans eingegriffen wird. Restrukturierungsforderungen sind nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 1 Nr. 1 Forderungen, die gegen eine restrukturierungsfähige Person begründet sind; auch wenn sie bedingt oder noch nicht fällig sind (§ 3 Abs. 1). Erfasst sind neben Zahlungsforderung richtigerweise auch sonstige Leistungsforderungen von Restrukturierungsgläubigern. Neben schuldrechtlichen Forderungen sollten auch Forderungen erfasst sein, die einen anderen Anspruchsgrund haben.10) _____________ 5) InsO i. d. F. v. 5.10.1994. 6) Begr. RegE z. § 302 InsO a. F., BT-Drucks. 12/2443, S. 213. 7) Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. 8) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, Allg. Teil, BT-Drucks. 19/24181, S. 91. 9) Insoweit wird i. R. von § 69 auf die im Zusammenhang mit § 255 InsO bestehende Literatur verwiesen. 10) Vgl. Braun-Braun/Frank, InsO, § 255 Rz. 2; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 255 Rz. 2; a. A. Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 61 Rz. 5.

Arends/Backes

919

8

§ 69

Wiederaufleben gestundeter oder erlassener Forderungen

9

§ 69 Abs. 1 findet auch Anwendung auf bestrittene Forderungen oder eine der Höhe nach noch nicht feststehende Ausfallforderungen des Inhabers einer Absonderungsanwartschaft, wobei insoweit die Sonderregelung in § 70 zu beachten ist (vgl. § 70 Rz. 22 ff.).

10

Grundsätzlich nicht erfasst sind die an Gegenständen des schuldnerischen Vermögens bestehenden Rechte, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Absonderung berechtigen würden (sog. Absonderungsanwartschaften, vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 2); ausgenommen hiervon sind wiederum etwaige Ausfallforderungen dieser Gläubiger. Auch ein Wiederaufleben sonstiger dinglicher (Sicherungs-)Rechte oder Ansprüche, die durch die Wirkungen des Plans zunächst erloschen sind, findet – wie im Insolvenzplanrecht – nicht statt, wie sich schon aus dem Wortlaut des § 69 Abs. 1 („Restrukturierungsforderungen“) ergibt.11) In aller Regel wird eine Regelung im Restrukturierungsplan dahingehen, dass absonderungsanwartschaftsberechtigte Gläubiger auf einen Teil ihrer Sicherheiten verzichten, dass sie ihre Sicherheiten zeitweise nicht ausüben dürfen oder dass ihre Sicherheiten gegen andere Sicherheiten getauscht werden. Diese Gläubiger müssen dafür sorgen, dass der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans Regelungen enthält, die im Falle des Wiederauflebens der Restrukturierungsforderung den Rückgriff auf die (vorherigen) Sicherheit ermöglichen.12) Denkbar ist insoweit eine Planregelung, dass die Verfügung über das Sicherungsrecht, soweit nicht Bedingungsfeindlichkeit nach materiellen Recht entgegensteht, auflösend bedingt ist.13) Der Plan kann ferner bspw. einen (schuldrechtlichen) Anspruch auf Wiederbegründung der Sicherheiten vorsehen.14) Außerdem möglich erscheint eine erst spätere Freigabe der Sicherheit, ggf. kombiniert mit einer Rangrücktrittserklärung zugunsten bestimmter Gläubiger, deren vorrangige Besicherung für die Geschäftsfortführung erforderlich ist.15) Nicht möglich dürfte im Plan hingegen eine Wiedereinräumung der Sicherheit mit dinglicher Wirkung sein, da dies zu praktischen Schwierigkeiten – z. B. bei zwischenzeitlich erfolgten Verfügungen über den Gegenstand – führen würde.16)

11

Nicht erfasst von § 69 Abs. 1 sind ferner etwaige Forderungen, die aufgrund des Restrukturierungsplans gegenüber Dritten begründet werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn etwa im Fall eines (Teil-)Verkaufs Verpflichtungen des Schuldners ganz oder teilweise durch Dritte zu erfüllen sind, die sich entsprechend verpflichtet haben.17) Dies kann jedoch im Plan anders geregelt sein.

12

Der Restrukturierungsplan sollte in seinem gestaltenden Teil Haupt- und Hilfspflichten des Schuldners klar benennen.

_____________ 11) 12) 13) 14) 15) 16) 17)

920

Vgl. Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 255 Rz. 15. Vgl. zum Wiederaufleben nach § 255 Abs. 1 InsO: Dellit/Hamann, ZIP 2015, 308 ff. Vgl. K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 255 Rz. 9; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 255 Rz. 2. Vgl. Jaffé in: FK-InsO, § 255 Rz. 26. Vgl. K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 255 Rz. 5. Vgl. Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 255 Rz. 11. Vgl. Braun-Braun/Frank, InsO, § 255 Rz. 5; Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 69 Rz. 7.

Arends/Backes

Wiederaufleben gestundeter oder erlassener Forderungen

§ 69

b) Planregelungen Ein Wiederaufleben ist nur bei Restrukturierungsplänen denkbar, die für Restrukturierungsforderungen im gestaltenden Teil Stundungen oder Teilerlasse vorsehen. Stundung bedeutet das Hinausschieben der Fälligkeit bei Bestehenbleiben der Erfüllbarkeit;18) dem Schuldner gewährt sie eine Einrede. Ein Teilerlass ist der Verzicht des Gläubigers auf einen Teil der Forderung. Mit dem teilweisen Erlass der Forderung wird auf § 397 Abs. 1 BGB Bezug genommen mit der Maßgabe, dass mit der entsprechenden Regelung des Restrukturierungsplan über den Bestand der Gläubigerforderung der Höhe nach verfügt wird.19) Nicht erfasst von § 69 Abs. 1 ist der vollständige Forderungserlass, wie schon aus dem Gesetzeswortlaut („teilweise erlassen“) folgt. Ferner ergibt sich dies bereits denklogisch daraus, dass der Schuldner mit der Erfüllung einer vollständig erlassenen Forderung schwerlich in Rückstand geraten kann.20) Aus denselben logischen Gründen kommt ein Wiederaufleben auch bei Forderungen nicht in Betracht, die unmittelbar durch den Plan erfüllt werden. Dies ist insbesondere möglich, wenn der Restrukturierungsplan eine Forderungsumwandlung etwa i. R. eines sog. Debt Equity Swap (§ 2 Abs. 3) vorsieht. Hier liegt in der Umwandlung der Forderung in Anteile am schuldnerischen Unternehmen in der Regel eine Erfüllung, nicht aber ein (Teil-)Erlass. Folgerichtig kann der insoweit erfüllte Teil nicht erneut aufleben. Der ehemalige Gläubiger hat nun die Rechte als Anteilsinhaber. § 69 Abs. 1 wird insofern nur bei Forderungsumwandlungen anwendbar sein, wenn der Gläubiger über den umgewandelten Teil hinaus für einen nicht umgewandelten Teil Leistungen aus dem Plan verlangen kann; das Wiederaufleben beschränkt sich dann auf den Teil der Forderung, der weder durch Umwandlung in Anteile noch durch Planleistung erfüllt werden sollte und insofern als teilweise erlassen gilt.21)

13

14

15

c) Erheblich in Rückstand geratener Schuldner Das Wiederaufleben von Forderungen nach § 69 Abs. 1 betrifft nur Forderungen von Gläubigern, gegenüber denen der Schuldner mit der Erfüllung der ihm aufgrund des Restrukturierungsplans obliegenden Leistungen erheblich in Rückstand geraten ist.

16

aa) Begriff „Rückstand“ Anders als der Wortlaut von § 69 Abs. 1 Satz 2 („fällige Verbindlichkeit nicht bezahlt“) vermuten lässt, dürften neben Zahlungspflichten richtigerweise auch sonstige Hauptleistungspflichten des Schuldners von § 69 Abs. 1 erfasst sein;22) nicht hingegen bloße Nebenpflichten. _____________ 18) BGH, Beschl. v. 25.3.1998 – VIII ZR 298/97, NJW 1998, 2060 f.; Krüger in: MünchKommBGB, § 271 Rz. 22. 19) Vgl. Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 255 Rz. 11; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 255 Rz. 2. 20) Vgl. Rugullis, KTS 2021, 269, 280; vgl. Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 255 Rz. 8; a. A. Thies in: HambKomm-InsO, § 255 Rz. 12. 21) Vgl. Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 255 Rz. 13. 22) Vgl. K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 255 Rz. 5; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 255 Rz. 14, 5; Jaffé in: FK-InsO, § 255 Rz. 9; a. A. Haas in: HK-InsO, § 255 Rz. 5; Huber/ Madaus in: MünchKomm-InsO, § 255 Rz. 17.

Arends/Backes

921

17

§ 69

Wiederaufleben gestundeter oder erlassener Forderungen

18

Fraglich ist, ob neben den auf Basis des Restrukturierungsplans durch den Schuldner unmittelbar als „Gegenleistung“ für die Stundung bzw. den Teilverzicht zu erbringenden Leistungen, auch solche Leistungspflichten des Schuldners relevant sind, die sich etwa aus der Anpassung vertraglicher Einzelbestimmungen nach § 2 Abs. 2 ergeben. Wird etwa mittels des Plans die Höhe zu zahlender Zinsen in einem Konsortialkreditvertrag oder einem Vertrag, der zu gleichlautenden Bedingungen mit einer Vielzahl von Gläubigern geschlossen wurde, mit Wirkung für die Zukunft geändert, und kommt der Schuldner seiner Pflicht zur Zahlung der Zinsen in der Folge nicht nach, so könnte auch dies als Rückstand i. S. von § 69 Abs. 1 einzustufen sein. Das gleiche könnte angenommen werden für die Änderung sog. Covenants oder anderer vertraglicher Pflichten des Schuldners, sofern diese als Hauptleistungspflichten des Schuldners einzuordnen sind und durch den Plan gestaltet werden.

19

Eine solche Auslegung von § 69 Abs. 1 wäre jedoch nach hier vertretender Auffassung zu weitgehend. § 69 Abs. 1 kann nur einen Rückstand hinsichtlich einer im Restrukturierungsplan zur Befriedigung bzw. Kompensation der gestundeten bzw. teilweise erlassenen Restrukturierungsforderung vorgesehene Leistungen des Schuldners betreffen.23) Mittels des Restrukturierungsplans erfolgte Änderungen vertraglicher Einzelbestimmungen erfolgen in der Regel weniger mit Blick auf die Befriedigung vergangenheitsbezogener Restrukturierungsforderungen, sondern betreffen die künftige vertragliche Beziehung zwischen Schuldner und entsprechenden Gläubigern. Anders als bei einer unmittelbar an die Gläubiger zu zahlenden Planquote, die als Kompensation für seitens der Gläubiger hinzunehmende Stundungen und/oder Teilerlassse zu zahlen ist, geht es bei den vorgenannten vertraglichen Gestaltungen nicht um Kompensationen, sondern um Restrukturierung unter Berücksichtigung der veränderten Ausgangslage des Schuldners. Kommt es insoweit zu vertraglichen Leistungsstörungen, dürfte dies aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich kein Wiederaufleben der ursprünglichen Forderung des Gläubigers nach § 69 Abs. 1 zur Folge haben. Ansonsten wäre ggf. sogar für Jahre nach dem Restrukturierungsplan noch ein Wiederaufleben von Forderungen zu befürchten.

20

Der Erfüllungsrückstand ist nach objektiven Kriterien zu beurteilen und verschuldensunabhängig ausgestaltet.24) Relevant sind die Leistungsregelungen im Restrukturierungsplan. Ob der Schuldner den Rückstand zu vertreten hat, ist – anders als beim Verzug i. S. von § 286 BGB – irrelevant. Über den Wortlaut hinaus dürfte davon auszugehen sein, dass die Forderung nicht nur fällig, sondern auch einredefrei zu sein hat, damit ein Rückstand entstehen kann.25)

21

Für den Fall, dass ein Gläubiger Inhaber mehrerer Forderungen ist, von denen mehrere nicht entsprechend der Planregelungen vom Schuldner erfüllt wurden, dürfte, vorbehaltlich einer anderweitigen Planregelung, eine entsprechende Anwendung der §§ 366, 367 BGB aus Gründen der Rechtsklarheit zu befürworten sein.26) _____________ 23) 24) 25) 26)

922

So wohl auch zur InsO, vgl. Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 255 Rz. 17. Vgl. Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 255 Rz. 15. Vgl. Haarmeyer/Wutzke/Förster-Wenzel, InsO, § 255 Rz. 17. Vgl. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 255 Rz. 7.

Arends/Backes

Wiederaufleben gestundeter oder erlassener Forderungen

§ 69

bb) Begriff „erheblich“ Erheblich ist der objektive Erfüllungsrückstand grundsätzlich dann, wenn die nach dem Insolvenzplan fällige (und durchsetzbare) Leistung des Schuldners gegenüber dem Gläubiger trotz Mahnung und zweiwöchiger Nachfristsetzung noch immer aussteht (§ 60 Abs. 1 Satz 2). Entscheidend ist mithin, ob der Schuldner die ihm obliegenden Zahlungs- und/oder sonstigen Hauptleistungspflichten nicht ordnungsgemäß erbracht hat, d. h. die vorgesehenen Zahlungen bzw. Leistungen nicht zur rechten Zeit in der geschuldeten Höhe und am zutreffenden Leistungsort erbracht hat (§ 270 BGB).27)

22

Uneinheitlich wird i. R. der Parallelvorschrift § 255 InsO beurteilt, ob ein erheblicher Rückstand darüber hinaus voraussetzt, dass der Schuldner mit einem nicht unwesentlichen Teil der fälligen, einredefreien Forderung im Rückstand ist. Teilweise wird vertreten, dass die Nichtleistung einen quotalen Anteil von 10 % der Restschuld bzw. 24 % einer zu zahlenden Rate auszumachen hat.28) Darüber hinaus wird angeführt, dass die Frage der Erheblichkeit anhand der dazu im Plan geregelten Anforderungen zu beantworten sei29) oder, sofern im Plan hierzu keine Angaben gemacht sind, dies durch Auslegung zu ermitteln sei.30) Nach h. M. zu § 255 InsO, der auch mit Blick auf § 69 zu folgen ist, ist jeder Rückstand mit der Planerfüllung erheblich, soweit die Voraussetzungen gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 vorliegen.31) Abweichende Planregelungen sind i. R. von § 69 Abs. 3 möglich (siehe Rz. 38 f.). Aufgrund der bestehenden Unsicherheiten wäre zu erwägen, in den Restrukturierungsplan eine Regelung aufzunehmen, die konkretisiert, wann ein erheblicher Rückstand vorliegt.32)

23

Der Gläubiger muss den Schuldner auffordern, die nach dem Restrukturierungsplan ausstehende Leistung zu erbringen. Die Mahnung hat schriftlich zu erfolgen. Eine Mahnung per Telefax oder E-Mail ist nicht ausreichend.33) § 286 Abs. 2 BGB, wonach eine Mahnung entbehrlich ist, wenn der Restrukturierungsplan bestimmte Leistungen dem Kalender nach festlegt, ist nicht anwendbar.

24

Die vom Gläubiger in der Mahnung zu bestimmende Nachfrist muss mindestens zwei Wochen betragen; der Gläubiger kann eine längere Nachfrist einräumen (siehe Rz. 39).

25

2.

Rechtsfolge

Während die Stundung bzw. ein Teilerlass im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans (§ 7) zu finden sein muss, bedarf es im Restrukturierungsplan grundsätzlich keiner vertraglichen Wiederauflebensklausel. Die Rechtsfolgen von § 69 Abs. 1 treten von Gesetzes wegen automatisch ein.

_____________ 27) 28) 29) 30) 31) 32)

Vgl. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 255 Rz. 6. Vgl. Breutigam in: BK-InsO, § 255 Rz. 4. Vgl. Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Silcher, InsR, § 255 InsO Rz. 9. Vgl. Breutigam in: BK-InsO, § 255 Rz. 4. Vgl. Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 255 Rz. 16 m. w. N. Vgl. Haarmeyer/Wutzke/Förster-Wenzel, InsO, § 255 Rz. 18; Kübler/Prütting/BorkSpahlinger, InsO, § 255 Rz. 16. 33) Zu § 255 InsO: BGH, Urt. v. 30.7.1997 – VIII ZR 244/96, ZIP 1997, 1694 = NJW 1997, 3169.

Arends/Backes

923

26

§ 69

Wiederaufleben gestundeter oder erlassener Forderungen

27

Das Wiederaufleben hat zur Folge, dass Stundung bzw. Teilerlass zugunsten des jeweiligen Gläubigers hinfällig werden und die ursprüngliche Forderung wiederauflebt. Die Forderung entsteht dadurch nicht neu (Novation). Die Forderung wird nun in dem Umfang (einschließlich Nebenansprüchen wie z. B. Zinsen) und mit der Fälligkeit wieder durchsetzbar, wie sie vor der Planannahme bzw. -bestätigung bestand.34) Sie ist vom Schuldner in der ursprünglichen Höhe (abzüglich eventueller bereits erfolgter Teilbefriedigungen) zu erfüllen.

28

Sofern ein Gläubiger Inhaber mehrerer Forderungen ist, tritt die Wiederauflebenswirkung nur für die Forderungen ein, bei denen die Voraussetzungen gemäß § 69 Abs. 1 vorliegen. Die Rechtsfolge von § 69 Abs. 1 tritt isoliert ein (Einzelwirkung) und ist forderungsbezogen zu interpretieren, nicht aber personenbezogen.35) Was an durchsetzbarer Forderung erfüllt ist, kann nicht in Rückstand geraten und deshalb auch nicht wieder aufleben, mögen andere Ansprüche desselben Gläubigers auch noch unerfüllt sein.

29

Sieht der Restrukturierungsplan vor, dass Gläubiger ganz oder teilweise auf dingliche Sicherungsrechte verzichten, so werden sie im Falle des Wiederauflebens gemäß § 69 Abs. 1 nicht automatisch wiederhergestellt. Sicherungsgläubiger müssen daher darauf hinwirken, dass in den gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans Regelungen aufgenommen werden, die ihnen im Falle des Wiederauflebens der zu sichernden Forderungen den Rückgriff auf solche Sicherheiten ermöglichen (siehe Rz. 10).

30

Nicht vom Wiederaufleben erfasst sind auch sonstige dingliche Rechte, auf die im Restrukturierungsplan ganz oder teilweise verzichtet wurde. Ob die für die Planerfüllung neu gestellten Sicherheiten für die Forderung auch in ihrer ursprünglichen Höhe haften, hängt vom Inhalt der Verpflichtungserklärungen ab.36) Im Zweifel wird man den Willen der Parteien unterstellen müssen, die Plansicherheit eben nur für die Plandurchführung und damit nur zur Absicherung der Planleistungen gestellt zu haben.37)

31

§ 69 Abs. 1 erfährt durch § 71 Abs. 3 eine vollstreckungsrechtliche Ergänzung: Macht ein Gläubiger die Rechte geltend, die ihm im Fall eines erheblichen Rückstands des Schuldners mit der Erfüllung des Plans nach § 69 Abs. 1 zustehen, so hat er zur Erteilung der Vollstreckungsklausel für diese Rechte und zur Durchführung der Vollstreckung die Mahnung und den Ablauf der Nachfrist glaubhaft zu machen, jedoch keinen weiteren Beweis für den Rückstand des Schuldners zu führen (siehe § 71 Rz. 21 ff.). Auf § 69 Abs. 2 findet § 71 Abs. 3 keine Anwendung; im Insolvenzverfahren ist die Vollstreckung nach § 89 InsO unzulässig.38) IV. Wiederaufleben aller Forderungen (Abs. 2) 1.

32

Tatbestand des Absatz 2

Wird vor vollständiger Erfüllung des Restrukturierungsplans über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren eröffnet, so ist die Stundung bzw. der Teilerlass i. S. des § 69 Abs. 1 für alle Gläubiger hinfällig (§ 67 Abs. 2). _____________ 34) 35) 36) 37) 38)

924

Vgl. Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 255 Rz. 26. Vgl. Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 255 Rz. 29. Vgl. Ausführlich Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 255 Rz. 14. Vgl. Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 255 Rz. 27. Braun-Bauch, StaRUG, § 69 Rz. 7.

Arends/Backes

Wiederaufleben gestundeter oder erlassener Forderungen

§ 69

§ 69 Abs. 2 setzt voraus, dass vor vollständiger Erfüllung des Restrukturierungsplans über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Die Zielsetzung der Regelung ist offenkundig: Wird ein Insolvenzverfahren eröffnet, so sollen alle Gläubiger, die bisher keine volle (Plan-)Befriedigung erhalten haben, an dem Insolvenzverfahren mit ihren Forderungen unbegrenzt teilnehmen können, insbesondere ohne Berücksichtigung der zunächst durch Stundung und Teilerlass erfolgten Beschränkungen.39)

33

Der Anwendungsbereich von § 69 Abs. 2 ist nicht auf inländische Insolvenzverfahren beschränkt; auch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Ausland ist relevant, sofern die Wirkungen eines solchen Verfahrens im Inland anerkannt werden (siehe hierzu ausführlich § 33 Rz. 7).

34

Ausreichend ist, dass im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur eine Forderung eines Gläubigers i. S. von § 69 Abs. 1 in der nach dem Restrukturierungsplan vorgeschriebenen Höhe nicht vollständig erfüllt ist. Anders als bei § 69 Abs. 1 kommt es nicht darauf an, dass ein erheblicher Rückstand vorliegt.

35

Wird der Insolvenzantrag mangels Masse abgelehnt, ist § 69 Abs. 2 bereits nach seinem Wortlaut nicht erfüllt, wobei in diesem Fall auch der Schutzzweck der Norm kein Wiederaufleben gebietet, weil die Gläubiger ein Wiederaufleben ihrer Forderungen dann bereits über Abs. 1 herbeiführen können.

36

2.

Rechtsfolge

Liegen die Voraussetzungen von § 69 Abs. 2 vor, ist die Stundung bzw. der Teilerlass für alle planbetroffenen Gläubiger hinfällig. Die Wirkungen von § 69 Abs. 2 entsprechen denen von § 69 Abs. 1. Im Übrigen dürfte der Plan bestehen bleiben. Nach überwiegender Auffassung zu § 255 InsO bleiben Forderungen von Gläubigern, die gemäß dem Restrukturierungsplan bereits vollständig erfüllt sind, von den Wirkungen von § 69 Abs. 2 unberührt. Dingliche Rechte, wie insbesondere Sicherheiten, leben nicht wieder auf (siehe Rz. 10).

37

V. Abweichender Planinhalt (Abs. 3) Nach § 69 Abs. 3 sind Regelungen in Restrukturierungsplänen, die § 69 Abs. 1 und Abs. 2 modifizieren, möglich. Von § 69 Abs. 1 darf jedoch nicht zum Nachteil des Schuldners abgewichen werden. Ausgeschlossen dürften daher etwa Regelungen sein, wonach eine Mahnung oder die zweiwöchige Nachfristsetzung entbehrlich ist, eine mündliche Mahnung ausreichend ist,40) ein Wiederaufleben auch bei anderen Pflichtverstößen erfolgt, die das Wiederaufleben von Stundungen oder teilweise erlassene Forderungen auch anderer Restrukturierungsgläubiger eintreten lässt, wenn nur einer von ihnen nach § 69 Abs. 1 vorgeht oder die auch andere Planregelungen (als Stundungen oder Teilerlasse) hinfällig werden lässt.41)

38

Wirksam hingegen dürften für den Schuldner vorteilhafte Abweichungen von § 69 Abs. 1 sein, wie bspw. die Gewährung einer Schonfrist, das Erfordernis einer längeren

39

_____________ 39) Vgl. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 255 Rz. 19. 40) Vgl. Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 255 Rz. 16. 41) Vgl. Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 255 Rz. 38.

Arends/Backes

925

§ 70

Streitige Forderungen und Ausfallforderungen

Nachfrist oder die Anknüpfung an einen bestimmten Umfang des Rückstandes, z. B. an den Rückstand mit mehr als einer Rate oder an eine bestimmte Höhe.42) Zur Vermeidung eines Wiederauflebens von Forderungen, das zur Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens führen mag, empfiehlt es sich ferner, im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans etwa einen „erheblichen Rückstand“ weiter zu fassen, als dies die Legaldefinition des § 69 Abs. 1 Satz 2 vorsieht. Gegebenenfalls kann vor der Mahnung mit Nachfrist eine weitere Mahnung vorgesehen werden. Im Fall der Planüberwachung kann vorgesehen werden, dass Mahnungen und Fristsetzungen auch dem planüberwachenden Restrukturierungsbeauftragten zuzustellen sind, anderenfalls der Lauf der Fristen nicht beginnt. Diesem wird damit Gelegenheit gegeben, ggf. auf den Schuldner einzuwirken. 40

Für § 69 Abs. 2 gilt die Einschränkung nach Absatz 3 Satz 2 nicht. Insofern ist § 69 Abs. 2 vollständig plandispositiv. So kann die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur auflösenden Bedingung für den ganzen Plan oder auch nur einzelner seiner Regelungen gemacht werden, es sei denn diese Bedingung bezieht sich auf Rechtsgeschäfte, die nach materiellem Recht bedingungsfeindlich sind, wie z. B. § 925 Abs. 2 BGB.43)

41

Bedenken dürften hingegen – wie bei § 255 InsO – gegen die Wirksamkeit einer Regelung, die Folgen des § 69 Abs. 2 bereits an den Antrag auf Eröffnung eines neuen Insolvenzverfahrens oder an die Ablehnung des Antrags mangels Masse zu knüpfen, bestehen.44) _____________ 42) Vgl. Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 255 Rz. 39. 43) Vgl. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 255 Rz. 22. 44) Vgl. Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 255 Rz. 17.

§ 70 Streitige Forderungen und Ausfallforderungen Arends/Backes

(1) Streitige Restrukturierungsforderungen unterliegen der auf sie anwendbaren Regelung des Restrukturierungsplans in der Höhe, in der sie später festgestellt sind, nicht aber über den Betrag hinaus, der dem Plan zugrunde gelegt wurde. (2) 1Ist eine Restrukturierungsforderung im Abstimmungsverfahren bestritten worden oder steht die Höhe der Ausfallforderung des Inhabers einer Absonderungsanwartschaft noch nicht fest, so ist ein Rückstand mit der Erfüllung des Restrukturierungsplans im Sinne des § 69 Absatz 1 nicht anzunehmen, wenn der Schuldner die Forderung bis zur endgültigen Feststellung in der Höhe berücksichtigt, die der Entscheidung über das Stimmrecht bei der Abstimmung über den Plan entspricht. 2Ist keine Entscheidung des Restrukturierungsgerichts über das Stimmrecht getroffen worden, so hat das Restrukturierungsgericht auf Antrag des Schuldners oder des Gläubigers nachträglich festzustellen, in welchem Ausmaß der Schuldner die Forderung vorläufig zu berücksichtigen hat. (3) 1Ergibt die endgültige Feststellung der Forderung, dass der Schuldner zu wenig gezahlt hat, so hat er das Fehlende nachzuzahlen. 2Ein erheblicher Rück926

Arends/Backes

§ 70

Streitige Forderungen und Ausfallforderungen

stand mit der Erfüllung des Restrukturierungsplans ist erst anzunehmen, wenn der Schuldner das Fehlende nicht nachzahlt, obwohl der Gläubiger ihn schriftlich gemahnt und ihm dabei eine mindestens zweiwöchige Nachfrist gesetzt hat. (4) Ergibt die endgültige Feststellung der Forderung, dass der Schuldner zu viel gezahlt hat, so kann er den Mehrbetrag nur insoweit zurückfordern, als dieser auch den nicht fälligen Teil der Forderung übersteigt, die dem Gläubiger nach dem Restrukturierungsplan zusteht. Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 8 III. Reichweite von Planregelungen in Bezug auf streitige Forderungen (Abs. 1) ........................................... 9 1. Streitige Restrukturierungsforderung ............................................. 10 2. Planregelung ........................................ 12 3. Planeinbezug der Forderung/ Stimmrechtsfestsetzung ..................... 13 4. Spätere Feststellung ............................ 15 5. Rechtsfolge .......................................... 17 a) Eingeschränkte Planwirkung ......................................... 17 b) Praktische Erwägungen ............... 18

I.

IV. Rückstand mit der Erfüllung des Restrukturierungsplans (Abs. 2) ...... 22 1. Betroffene Gläubigerforderungen ...... 24 2. Stimmrechtsfestsetzung ...................... 26 3. Nachträgliche Festlegung des vorläufig zu erfüllenden Betrags ......... 29 4. Rechtsfolge .......................................... 31 V. Über- oder Unterzahlung/ -leistung (Abs. 3, Abs. 4) ................... 33 1. Endgültige Feststellung der Forderungshöhe .................................. 34 2. Rechtsfolge .......................................... 35 a) Nachzahlungspflicht .................... 35 b) Rückforderungsrecht ................... 36 c) Abdingbarkeit .............................. 38

Normzweck

Die Vorschrift enthält im Wesentlichen drei Elemente:

1



Eine Regelung zur eingeschränkten Wirkung des Plans in Bezug auf streitige Forderungen (§ 70 Abs. 1),



Regelungen betreffend die Feststellung eines Rückstands des Schuldners mit der Erfüllung des Plans bei streitigen Forderungen (§ 70 Abs. 2) sowie



die Folgen einer etwaigen Unterzahlung (§ 70 Abs. 3) oder



Überzahlung (§ 70 Abs. 4) nach endgültiger Feststellung der streitigen Forderung.

§ 70 Abs. 1 ergänzt die Regelungen zu den allgemeinen Wirkungen des Plans nach § 67 und ordnet eine beschränkte Wirkung des Plans mit Blick auf streitige Forderungen an. Danach unterliegen streitige Forderungen nur in der Höhe den Planregelungen, in der sie später festgestellt wurden, nicht jedoch über den Betrag hinaus, der dem Plan zugrunde gelegt wurde.1) Hintergrund der Regelung ist, dass der Restrukturierungsplan zwar verbindlich festlegt, welchen Gestaltungen eine Forderung unterworfen wird, nicht aber den Bestand und die Höhe der Forderung vor der Gestaltung.2) Ein der Forderungsanmeldung und Tabellenfeststellung im Insolvenzverfahren vergleichbarer Mechanismus existiert im Restrukturierungsrahmen _____________ 1) 2)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 77 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 167. Begr. RegE SanInsFoG z. § 77 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 167.

Arends/Backes

927

2

§ 70

Streitige Forderungen und Ausfallforderungen

nicht.3) Die Einführung eines solchen Feststellungsmechanismus war nach der Restrukturierungsrichtlinie4) den nationalen Gesetzgebern überlassen.5) 3

Bestand und Höhe der streitigen Forderung sind außerhalb des Restrukturierungsrahmens festzustellen.6) § 70 Abs. 1 ist im Kontext mit § 24 zu sehen, wonach sich das Stimmrecht eines Planbetroffenen grundsätzlich am Betrag der dem Plan nach § 7 zugrunde gelegten Restrukturierungsforderung orientiert. Ist jedoch die Forderung (dem Grunde oder der Höhe nach) streitig, so kann der Schuldner der Abstimmung das Stimmrecht zugrunde legen, das er den Planbetroffenen (unter Berücksichtigung der dem Plan vom Schuldner zugrunde gelegten Forderung) zugewiesen hat (§ 24 Abs. 4; siehe § 24 Rz. 13 ff.). Anders als in der InsO, in der die Höhe des zugewiesenen Stimmrechts allein eine verfahrensrechtliche Relevanz hat, hat die verfahrensrechtliche Frage der Stimmrechtsfestsetzung im StaRUG bei streitigen Forderungen auch materiell-rechtliche Auswirkungen, indem die Reichweite der Planwirkungen durch § 70 Abs. 1 letztlich mit der Höhe des gewährten Stimmrechts verknüpft ist.

4

Die durch § 70 Abs. 1 angeordnete Begrenzung der Planwirkung auf die in dem von dem Schuldner vorgelegten Plan berücksichtigte Forderungshöhe soll zum einen das Recht des Schuldners berücksichtigen, eine Forderung bewusst nur teilweise in den Plan einzubeziehen. Zum anderen sollen Manipulationen durch den Schuldner verhindert werden, z. B. durch einen bewusst zu niedrigen Ansatz einer Forderung mit dem Ziel, dass der Gläubiger zunächst überstimmt werden kann, dann aber auf die nach Feststellung einer höheren Forderung eine entsprechend erhöhte Planregelung hinnehmen muss.7) Da der Schuldner i. R. der Planerstellung und Vorlage bestimmt, welche Forderungen mit welchem Betrag in den Restrukturierungsplan einbezogen werden, und ein Gläubiger grundsätzlich keine Möglichkeit hat, die Einbeziehung einer gänzlich nicht einbezogenen eigenen Forderung oder die Einbeziehung einer bereits einbezogenen Forderung mit einem höheren Betrag zu verlangen, sind nach Ansicht des Gesetzgebers die Gestaltungswirkungen des Plans auf den von dem Schuldner angesetzten Teilbetrag einer einbezogenen Forderung zu begrenzen, selbst wenn der Schuldner die Forderung absichtlich oder irrtümlich nur teilweise einbezogen hat.8)

5

§ 70 Abs. 2 enthält eine Ergänzung zum Wiederaufleben gestundeter oder erlassener Forderungen nach § 69. Nach § 70 Abs. 2 soll – entsprechend der Regelungen in der insolvenzrechtlichen Parallelvorschrift § 256 Abs. 1 InsO – zum Zwecke der _____________ 3) 4)

5) 6) 7) 8)

928

Begr. RegE SanInsFoG z. § 77 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 167. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Braun-Bauch, StaRUG, § 70 Rz. 2; Laroche in: Flöther, Sanierungsrecht, Einf. E. Rz. 100. Braun-Bauch, StaRUG, § 70 Rz. 2. Begr. RegE SanInsFoG z. § 77 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 167. Begr. RegE SanInsFoG z. § 77 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 167.

Arends/Backes

Streitige Forderungen und Ausfallforderungen

§ 70

Planungssicherheit des Schuldners ein Erfüllungsrückstand für Zwecke des Wiederauflebens (§ 255 InsO bzw. § 69 StaRUG) bei noch nicht endgültig feststehenden Forderungen oder Ausfallforderungen vorläufig nach dem Wert beurteilt werden, welcher der Entscheidung über die Stimmrechtsbemessung zugrunde gelegt wurde.9) Unterschiede zu § 256 Abs. 1 InsO ergeben sich daraus, dass im Restrukturierungsrahmen keine Forderungsanmeldung durch die Gläubiger und keine Tabellenfeststellung stattfindet. Vielmehr bestimmt im Grundsatz der Schuldner als Planersteller den Kreis der einbezogenen Forderungen und zur Absonderung berechtigenden Rechte und auch die Höhe, mit welcher eine Forderung in den Plan einbezogen und auf diese Weise den Gestaltungswirkungen des Plans unterworfen wird.10) Da der Schuldner in Gefahr ist, die in den Restrukturierungsplan aufgenommenen Restrukturierungsforderungen nicht ordnungsgemäß zu bedienen, verschafft ihm das Gesetz eine gewisse Erleichterung, wodurch das Risiko adressiert werden soll, dass aufgrund der Unklarheit über die tatsächliche Forderungshöhe im Restrukturierungsplan vorgesehene Stundungen und Teilerlasse wegfallen und die ursprünglichen Restrukturierungsforderungen nach § 69 Abs. 1 wiederaufleben.11) Im Sinne des Schuldnerschutzes, nämlich der Herbeiführung von Klarheit und Vorhersehbarkeit, werden für die bestrittenen bzw. die noch nicht feststehenden Ausfallforderungen mutmaßliche Höhen festgelegt, nach denen sich die Planerfüllungspflichten des Schuldners vorbehaltlich der späteren Klärung vorläufig richten.12) Ist keine gerichtliche Stimmrechtsfestsetzung erfolgt (in der Regel wenn die Abstimmung i. R. einer außergerichtlichen Abstimmung ohne Vorprüfung erfolgt), können Schuldner und Gläubiger diese nach § 70 Abs. 1 Satz 2 auf Antrag durch das Restrukturierungsgericht nachträglich vornehmen lassen.

6

§ 70 Abs. 3 und Abs. 4 adressieren eine nach endgültiger Feststellung der streitigen Forderung zu Tage getretene Diskrepanz zwischen der vorläufig und endgültig festgestellten Forderungshöhe. Entsprechend § 256 Abs. 2 InsO sieht § 70 Abs. 3 eine Nachzahlungspflicht vor, wenn sich nach endgültiger Feststellung der Höhe der Forderung bzw. Ausfallforderung herausstellt, dass die Forderung höher war als im Plan berücksichtigt. Die Wiederauflebensfolgen (§ 69 Abs. 1) treten gemäß Absatz 3 Satz 2 erst ein, wenn der Schuldner die Nachzahlung trotz Mahnung mit mindestens zweiwöchiger Nachfristsetzung nicht leistet. § 70 Abs. 4 sieht spiegelbildlich zu § 70 Abs. 3 ein Rückforderungsrecht und entsprechend § 256 Abs. 3 InsO eine Abweichung von der Grundregel aus § 67 Abs. 4 vor. Nach § 67 Abs. 4 soll nämlich grundsätzlich keine Pflicht für einen Gläubiger zur Rückgewähr des Erlangten bestehen, wenn er weitergehend befriedigt worden ist, als er es nach dem Restrukturierungsplan zu beanspruchen hat. Bei streitigen Forderungen gilt dies nach § 70 Abs. 4 nicht. Bei einer im Zeitpunkt der Planbestätigung noch streitigen oder aus sonstigen Gründen der Höhe nach ungewissen in einem Restrukturierungsplan gestalteten Forderung soll so das wirtschaftliche Ergebnis erzielt werden,

7

_____________ 9) 10) 11) 12)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 77 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 168. Begr. RegE SanInsFoG z. § 77 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 168. Vgl. Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 256 Rz. 1. Vgl. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 256 Rz. 1.

Arends/Backes

929

§ 70

Streitige Forderungen und Ausfallforderungen

das auch dann erzielt worden wäre, wenn die betreffende Forderung von Beginn an der Höhe nach festgestanden hätte.13) Allerdings kann eine etwaige Überzahlung durch den Schuldner nur zurückgefordert werden, soweit diese auch den nicht fälligen Teil der Forderung übersteigt, die dem Gläubiger nach dem Restrukturierungsplan zusteht (§ 70 Abs. 4 Halbs. 2). II. Normhistorie 8

Die Norm ist bis auf die Anpassung der Verweisungen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens unverändert geblieben. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses hat die Norm dann die endgültige Nummerierung als § 70 erhalten. Die Behandlung streitiger Forderungen nach § 70 findet – wie auch das Wiederaufleben von Forderungen bei Säumigkeit des Schuldners nach § 69 (siehe § 69 Rz. 5) – keine ausdrückliche Erwähnung in der Restrukturierungsrichtlinie. Die Absätze 2 bis Abs. 4 der Vorschrift gehen zurück auf § 97 VerglO, der als Grundlage für § 303 InsO a. F. diente, dem im Wesentlichen der heutige § 256 InsO entspricht. Ausweislich der Begründung zum RegE des StaRUG beruht § 70 auf § 256 InsO.14) Die Ausgestaltung des StaRUG orientiert sich an den bestehenden Instrumentarien des Insolvenzrechts. Ergänzungen und Abweichungen sind allein dort geboten, wo den Besonderheiten des präventiven Rahmens Rechnung zu tragen ist.15) Eine Abweichung bzw. Ergänzung ist nach Ansicht des Gesetzgebers ausweislich des Wortlauts bei § 70 nur mit Blick auf den im Vergleich zu § 256 neu eingefügten § 70 Abs. 1 angezeigt; i. Ü. ist der Wortlaut von § 70 und § 256 InsO identisch.16) III. Reichweite von Planregelungen in Bezug auf streitige Forderungen (Abs. 1)

9

§ 70 Abs. 1 regelt die Reichweite von Planregelungen in Bezug auf streitige Forderungen. Danach sind streitige Forderungen den Planregelungen nur soweit unterworfen, wie sie dem Plan zugrunde gelegt worden sind. Dies hängt wiederum maßgeblich davon ab, welche Stimmreche dem Gläubiger auf Basis des Plans zuerkannt werden. § 70 Abs. 1 verknüpft damit die eigentlich nur verfahrensrechtliche Frage der Stimmrechtsfestsetzung mit den Planwirkungen; der Stimmrechtsfestsetzung kommt damit eine potenziell materiell-rechtliche Wirkung zu (siehe Rz. 7). 1.

Streitige Restrukturierungsforderung

10

Streitige Restrukturierungsforderungen unterliegen nach § 70 Abs. 1 der auf sie anwendbaren Regelung des Restrukturierungsplans in der Höhe, in der sie später festgestellt sind, nicht aber über den Betrag hinaus, der dem Plan zugrunde gelegt wurde.

11

Erfasst sind über den Wortlaut von § 70 Abs. 1 („streitige Restrukturierungsforderungen“) hinaus sämtliche Restrukturierungsforderungen (siehe § 2 Rz. 8 ff.), deren Höhe noch nicht endgültig feststeht. Ausreichend ist, dass zwischen Gläubiger und Schuldner keine Einigkeit über die tatsächliche Höhe der Forderung besteht, sei es, _____________ 13) 14) 15) 16)

930

Begr. RegE SanInsFoG z. § 77 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 168. Begr. RegE SanInsFoG z. § 77 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 168. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, Allg. Teil, BT-Drucks. 19/24181, S. 91. Insoweit wird i. R. von § 70 auf die im Zusammenhang mit § 256 InsO bestehende Literatur verwiesen.

Arends/Backes

Streitige Forderungen und Ausfallforderungen

§ 70

weil über die Höhe Streit besteht oder die Höhe der Restrukturierungsforderung noch nicht endgültig beziffert werden kann. Dazu gehören neben der Höhe nach streitigen Restrukturierungsforderungen etwa auch Ausfallforderungen von absonderungsanwartschaftsberechtigten Gläubigern, soweit die Höhe des Ausfalls noch nicht feststeht. Restrukturierungsforderungen sind nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 1 Nr. 1 Forderungen, die gegen eine restrukturierungsfähige Person begründet sind, auch wenn sie bedingt oder noch nicht fällig sind (§ 3 Abs. 1). Neben Zahlungsforderungen dürften richtigerweise auch sonstige Leistungsforderungen von Restrukturierungsgläubigern relevant sein. 2.

Planregelung

Anders als i. R. von § 69 Abs. 1 oder Abs. 2, die das Wiederaufleben gestundeter oder teilweise erlassener Restrukturierungsforderungen betreffen (bzw. ergänzen im Fall von § 69 Abs. 2), sind von § 70 Abs. 1 sämtliche Planregelungen und Gestaltungsmöglichkeiten i. S. von § 2 umfasst, soweit sie Restrukturierungsforderungen betreffen und auf sie „anwendbar“ sind (siehe § 2 Rz. 22 ff.). Dies ist letztlich abhängig von der Gruppe, der die jeweiligen Gläubiger angehören. Innerhalb jeder Gruppe sind allen Planbetroffenen gleiche Rechte anzubieten (§ 10 Abs. 1). Eine unterschiedliche Behandlung der Planbetroffenen in einer Gruppe ist nur mit Zustimmung aller Planbetroffenen, zu deren Lasten die unterschiedliche Behandlung geht, zulässig (§ 10 Abs. 2; siehe § 10 Rz. 22 ff.). 3.

12

Planeinbezug der Forderung/Stimmrechtsfestsetzung

Ausweislich des Wortlauts von § 70 Abs. 1 beziehen sich die Wirkungen der Regelungen des Restrukturierungsplans bei streitigen Restrukturierungsforderungen auf die Höhe, in der die streitige Restrukturierungsforderung später festgestellt wird, nicht aber über den Betrag hinaus, der dem Plan zugrunde gelegt wurde. In welcher Höhe die streitige Restrukturierungsforderung dem Plan zugrunde gelegt wird bzw. im Plan Berücksichtigung findet, folgt nach der gesetzgeberischen Konzeption der Entscheidung, welches Stimmrecht dem Gläubiger mit Blick auf die streitige Forderung eingeräumt wird (vgl. §§ 7, 24). Die Streitigkeit über die Höhe der Forderung hat nämlich zur Folge, dass in der Regel auch die Höhe des Stimmrechts streitig sein wird. Die Höhe von Stimmrecht und Forderungen korrespondieren grundsätzlich miteinander. Da im Zeitpunkt der Planabstimmung – auch in Ermangelung eines der Forderungsanmeldung und Tabellenfeststellung im Insolvenzverfahren vergleichbaren Mechanismus – keine Rechtsklarheit über die Höhe der Forderung bestehen wird, ist erforderlich, dass jedenfalls das Stimmrecht vorläufig bestimmt wird. Der Restrukturierungsplan legt zwar verbindlich fest, welchen Gestaltungen eine Forderung unterworfen wird, nicht aber den Bestand und die Höhe der Forderung vor der Gestaltung.17)

13

Gemäß § 24 Abs. 4 kann der Schuldner der Abstimmung das Stimmrecht zugrunde legen, das er den Planbetroffenen zugewiesen hat, wobei in der Dokumentation der Abstimmung durch den Schuldner zu vermerken ist, inwieweit und aus welchem Grund das Stimmrecht streitig ist (siehe § 24 Rz. 14). Grenze für die Zuweisung ist _____________

14

17) Begr. RegE SanInsFoG z. § 77 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 168.

Arends/Backes

931

§ 70

Streitige Forderungen und Ausfallforderungen

ausweislich der Gesetzesbegründung jedenfalls die Sachgerechtigkeitskontrolle nach § 8 (siehe § 8 Rz. 6 ff.). Ausgangspunkt für die Bestimmung des Stimmrechts ist nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 der (mutmaßliche) Betrag der Restrukturierungsforderung bzw. nach § 24 Abs. 3 Satz 2 bei Absonderungsanwartschaften der Betrag der Forderung i. H. des mutmaßlichen Ausfalls (siehe § 24 Rz. 4 ff.). Im Falle der gerichtlichen Abstimmung über den Plan wird, sofern zwischen dem Schuldner und dem Inhaber der streitigen Forderung keine Einigung über die Höhe des Stimmrechts zustande kommt, das Stimmrecht vom Restrukturierungsgericht festgelegt (§ 45 Abs. 4 Satz 2; siehe § 45 Rz. 48 ff.). Die Frage der (ordnungsgemäßen) Zuweisung des Stimmrechts kann Gegenstand der optionalen gerichtlichen Vorprüfung des Restrukturierungsplans durch das Restrukturierungsgericht sein (§ 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2; siehe § 46 Rz. 10). Ferner wird die Zuweisung i. R. der Planbestätigung bei der Frage, ob die Bestätigung zu versagen ist, überprüft (§ 63 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2; siehe § 63 Rz. 55). 4.

Spätere Feststellung

15

Die (vorläufige) Stimmrechtsentscheidung des Schuldners bzw. des Restrukturierungsgerichts hat keinen Einfluss auf die materiell-rechtliche Höhe der Forderung und ihre Durchsetzbarkeit. Der betreffende Gläubiger kann also auf den Restrukturierungsplan als solchen kein dauerhaftes Recht auf Durchsetzung einer höheren Forderung stützen, als ihm tatsächlich zusteht. Endgültig zu klären ist die zutreffende Forderungshöhe im Streitfall durch das zuständige Sachgericht. Da das Gesetz kein den §§ 179 bis 186 ff. InsO entsprechendes Verfahren für die Forderungsfeststellungsklage vorsieht, bleibt es insoweit bei den allgemeinen prozessualen Regeln. Das heißt, der Gläubiger hat seinen Anspruch im Klagewege vor den ordentlichen bzw. Finanz- oder Verwaltungsgerichten zu erstreiten.

16

Soweit die Höhe der Restrukturierungsforderung nach Ansicht des Gläubigers den im Plan zugrunde gelegten Betrag der Restrukturierungsforderung übersteigt, ist aus Sicht des Gläubigers eine Leistungsklage zu erwägen, da insoweit eine Vollstreckung aus dem Restrukturierungsplan nach § 71 Abs. 1 nicht in Betracht kommt. Im Übrigen dürfte eine Feststellungsklage das Rechtschutzinteresse des Gläubigers befriedigen. Die Feststellung hat endgültig zu sein, d.h. die der Feststellung zugrunde liegende gerichtliche Entscheidung hat rechtskräftig zu sein, der über die Frage der Höhe ggf. abgeschlossene Vergleich hat wirksam und unwiderruflich zu sein bzw. der der Forderung zugrunde liegende Verwaltungsakt hat unanfechtbar zu sein. 5.

Rechtsfolge

a) Eingeschränkte Planwirkung 17

Streitige Restrukturierungsforderungen unterliegen nach § 70 Abs. 1 der auf sie anwendbaren Regelung des Restrukturierungsplans lediglich in der Höhe, in der sie später festgestellt sind, nicht aber über den Betrag hinaus, der dem Plan zugrunde gelegt wurde. Stellt sich i. R. der späteren Feststellung der Forderung heraus, dass die Forderung tatsächlich höher war, als sie im Plan zugrunde gelegt worden ist, beziehen sich die Gestaltungswirkungen auf den geringeren Betrag. Ist dem Plan eine Forderung i. H.v. 8.000 € zugrunde gelegt worden und wird später festgestellt, dass die Forderung i. H. v. 10.000 € bestand, bezieht sich etwa die im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans vorgesehene Forderungskürzung i. H. v. 932

Arends/Backes

Streitige Forderungen und Ausfallforderungen

§ 70

20 % nur auf den Betrag i. H. v. 8.000 €. Somit kann der Gläubiger Zahlung i. H. v. 6.400 € aus dem Plan verlangen und 2.000 € außerhalb des Plans in voller Höhe geltend machen. Ist dem Plan hingegen eine Forderung i. H. v. 8.000 € zugrunde gelegt worden und wird später festgestellt, dass die Forderung i. H. v. 6.000 € bestand, bezieht sich die Forderungskürzung lediglich auf den Betrag i. H. v. 6.000 €, sodass der Gläubiger auf 4.800 € aus dem Plan verwiesen bleibt. In diesem Fall ist die Kürzung auf die niedrigere Festsetzung zu beziehen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der betroffene Gläubiger letztlich nicht stärker belastet wird als die anderen Gläubiger, die derselben Gruppe zugeordnet waren. b) Praktische Erwägungen Problematisch erscheint die gesetzliche Verknüpfung der für die Abstimmung über den Plan verfahrensrechtlich relevanten Frage der Stimmrechtsfestsetzung mit der materiell-rechtlichen Reichweite der Wirkung des Plans in Bezug auf streitige Forderungen. Nach der gesetzgeberischen Intention soll § 70 Abs. 1 einen Missbrauch durch den Schuldner verhindern, indem er streitige Forderungen bewusst zu niedrig ansetzt, um so ein geringes Stimmrecht festzusetzen und ein gewünschtes Abstimmungsergebnis zu fördern. Die betragsmäßige Beschränkung der materiellrechtlichen Wirkungen auf die Höhe des Stimmrechts dürfte hingegen dazu führen, dass der Schuldner aus Gründen der Planungssicherheit dem Plan ggf. eher eine zu hohe Forderung zugrunde legen wird (d. h. i. H. des vollen vom Gläubiger behaupteten Betrages), um das Risiko einer eingeschränkten Planwirkung zu vermeiden. Anschließend dürfte der Schuldner in der Regel eine Stimmrechtsfestsetzung durch das Restrukturierungsgericht mit dem Ziel einer etwaigen Reduzierung des Stimmrechts veranlassen.18) Aber auch dieses Vorgehen birgt Risiken, da die endgültige Höhe der Forderung nur außerhalb des Restrukturierungsrahmen festgestellt wird und auch eine gerichtliche Stimmrechtsfestsetzung keine materiell-rechtlichen Wirkungen entfaltet. Es besteht somit das Risiko, dass dem Gläubiger zu viele Stimmrechte zugewiesen werden.

18

Dieses Ergebnis erscheint nicht sachgerecht. Im Insolvenzrecht entscheidet das Gericht über die Höhe des Stimmrechts, sofern dies zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger streitig ist und sich keine Einigung erzielen lässt (§ 77 Abs. 2 InsO). Die Wirkungen des Plans erstrecken sich vollumfänglich auf streitige Forderungen und zwar unabhängig davon, in welcher Höhe das Stimmrecht festgesetzt wurde oder die Forderung später festgestellt wird. Der Insolvenzverwalter hat gemäß § 189 InsO bei streitigen Forderungen und gemäß § 190 InsO bei Ausfallforderungen von Absonderungsberechtigten lediglich den insoweit streitigen Betrag der Forderung bei der Verteilung zurückzubehalten, sofern der Gläubiger innerhalb einer bestimmten Frist nachgewiesen hat, eine gerichtliche Feststellung der Forderung zu betreiben. Der Gesetzgeber hat sich bewusst dagegen entschieden, dieses Konzept auf den Restrukturierungsrahmen zu übertragen. Dieser ausdrückliche gesetzgeberische Wille dürfte alternativen Plangestaltungen entgegenstehen.

19

_____________ 18) So auch Braun-Bauch, StaRUG, § 70 Rz. 9.

Arends/Backes

933

§ 70

Streitige Forderungen und Ausfallforderungen

20

Abhilfe kann daher nur eine Gesetzesänderung verschaffen. Einerseits könnte eine solche Änderung vorsehen, dass im Falle einer streitigen Forderung stets eine gerichtliche Festsetzung des Stimmrechts i. R. einer obligatorischen Vorprüfung erfolgt, welcher sodann Bindungswirkung auch mit Blick auf die Planwirkungen zukommt. Andererseits könnte eine Änderung vorsehen, dass der Plan abweichende Regeln zu § 70 Abs. 1 enthalten darf. Eine solche abweichende Regelung im Plan könnte beinhalten, dass die Höhe des Stimmrechts und die Höhe der dem Plan zugrunde gelegten Forderung voneinander abweichen dürfen. Dem Plan müsste die streitige Forderung in voller Höhe (d. h. in der vom Gläubiger behaupteten Höhe) zugrunde gelegt werden dürfen und das Stimmrecht dabei auf den unstreitigen Teil der Forderung beschränkt werden bzw. anderweitig (etwa hälftig) berücksichtigt werden dürfen. Die Wirkungen des Plans würden dann mit Blick auf die volle dem Plan zugrunde gelegte Forderung eintreten und zwar unabhängig von der Höhe des durch den Schuldner zugewiesenen Stimmrechts. Dies sollte jedenfalls insoweit gelten, als dies nicht zu einer unbilligen Härte für den betroffenen Gläubiger führt. Die Frage einer unbilligen Härte würde in der Regel i. R. einer stattfindenden gerichtlichen Kontrolle durch das Restrukturierungsgericht erfolgen. Denn auch bei der außergerichtlichen Abstimmung über den Plan bedarf es in diesen Konstellationen regelmäßig einer Planbestätigung: Stimmen alle Gläubiger (und insbesondere auch der Inhaber der streitigen Forderung) dem Plan (und damit auch der hier vorgeschlagenen abweichenden Regelung) i. R. einer außergerichtlichen Abstimmung zu, ist eine gerichtliche Bestätigung des Plans nicht erforderlich. Der Gläubiger ist offensichtlich mit der abweichenden Regelung einverstanden. Stimmen hingegen nicht alle Gläubiger (so auch der betroffene Inhaber der streitigen Forderung) dem Plan i. R. einer außergerichtlichen Abstimmung zu, bedarf der Plan zu seiner Wirksamkeit gegenüber den widersprechenden Gläubigern der Bestätigung durch das Restrukturierungsgericht (vgl. § 67 Abs. 1; siehe hierzu i. E. § 67 Rz. 26 ff.).

21

Ist die Planannahme nicht im gerichtlichen Verfahren erfolgt, hat das Gericht die Stimmrechte im Streitfall i. R. der Planbestätigung nach Maßgabe von § 24 festzustellen und ist dabei nicht an die vorläufige Festlegung durch den Schuldner in der Dokumentation des Abstimmungsergebnisses und bei der Zugrundelegung des Stimmrechts nach § 24 Absatz 4 gebunden. Dadurch wäre eine gerichtliche Prüfung dahingehend, ob der Ansatz des Schuldners sachgerecht ist oder aber zu einer unbilligen Härte für den Gläubiger führt, sichergestellt. Ist also der betreffende Gläubiger mit der Stimmrechtsfestsetzung durch den Schuldner nicht einverstanden, stimmt er gegen den Plan und erreicht so eine gerichtliche Überprüfung der Stimmrechtsfestsetzung. Im Rahmen der gerichtlichen Abstimmung über den Plan legt das Restrukturierungsgericht das Stimmrecht bereits während der Abstimmung bzw. i. R. einer Vorprüfung fest. Wie im Insolvenzverfahren wäre sicherzustellen, dass der streitige Betrag vom Schuldner bei der Verteilung zurückgehalten wird, bis eine endgültige Klärung über die Höhe der Forderung herbeigeführt worden ist. Dem Gläubiger wäre sodann eine Sicherheit in der Höhe dieses Betrags zu gewähren, damit der Gläubiger bis zur endgültigen Entscheidung über die Höhe der Forderung nicht das Insolvenzrisiko des Schuldners trägt.

934

Arends/Backes

Streitige Forderungen und Ausfallforderungen

§ 70

IV. Rückstand mit der Erfüllung des Restrukturierungsplans (Abs. 2) § 70 Abs. 2 enthält eine Ergänzung zur Regelung über das Wiederaufleben gestundeter oder erlassener Forderungen nach § 69. Nach § 70 Abs. 2 soll – entsprechend den Regelungen in der insolvenzrechtlichen Parallelvorschrift § 256 Abs. 1 InsO – zum Zwecke der Planungssicherheit des Schuldners ein Erfüllungsrückstand für Zwecke des Wiederauflebens (§ 255 InsO bzw. § 69) bei noch nicht endgültig feststehenden einbezogenen Forderungen oder Ausfallforderungen vorläufig nach dem Wert beurteilt werden, welcher der Entscheidung über die Stimmrechtsbemessung zugrunde gelegt wurde.19)

22

Ein Rückstand mit der Erfüllung des Restrukturierungsplans nach § 69 Abs. 1 ist nicht anzunehmen, wenn der Schuldner die Forderung bis zur endgültigen Feststellung in der Höhe berücksichtigt, die der Entscheidung über das Stimmrecht bei der Abstimmung über den Plan entspricht (§ 70 Abs. 2 Satz 1). Ist keine Entscheidung des Restrukturierungsgerichts über das Stimmrecht getroffen worden, so hat das Restrukturierungsgericht auf Antrag des Schuldners oder des Gläubigers nachträglich festzustellen, in welchem Ausmaß der Schuldner die Forderung vorläufig zu berücksichtigen hat (§ 70 Abs. 2 Satz 2).

23

1.

Betroffene Gläubigerforderungen

Erfasst sind – entsprechend § 69 Abs. 1 – Restrukturierungsforderungen, in deren Bestand nach dem gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans eingegriffen wird. Restrukturierungsforderungen sind nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 1 Nr. 1 Forderungen, die gegen eine restrukturierungsfähige Person begründet sind, auch wenn sie bedingt oder noch nicht fällig sind (§ 3 Abs. 1). Erfasst sind neben Zahlungsforderung richtigerweise auch sonstige Leistungsforderungen von Restrukturierungsgläubigern. Neben schuldrechtlichen Forderungen sollten auch Forderungen erfasst sein, die einen anderen Anspruchsgrund haben.20) Ferner erfasst sind Ausfallforderungen von absonderungsanwartschaftsberechtigten Gläubigern.

24

Die tatsächliche Höhe der Restrukturierungsforderung darf noch nicht endgültig feststehen, d.h. die Restrukturierungsforderung muss im Abstimmungsverfahren von Seiten des Schuldners bestritten worden bzw. die Höhe etwaiger Ausfallforderungen von Inhabern von Absonderungsanwartschaften noch nicht konkret bezifferbar und damit ungewiss sein. Da von der Höhe der Restrukturierungsforderung letztlich die Höhe der Zuweisung von Stimmrechten abhängt (vgl. § 24 Abs. 1), bringt eine streitige Restrukturierungsforderung stets auch eine Streitigkeit bzgl. der Höhe der zugewiesenen Stimmrechte mit sich. Ist die Zuweisung von Stimmrechten streitig, ist dies in der Dokumentation der Abstimmung zu vermerken (§ 22 Abs. 1 Satz 2; siehe § 22 Rz. 5). Das gleiche gilt bei der gerichtlichen Abstimmung über den Plan (§ 45 Abs. 4 i. V. m. § 24 Abs. 4 Satz 2). Die Forderungen sind solange als streitig anzusehen als ihre endgültige Feststellung nicht erfolgt ist.

25

_____________ 19) Begr. RegE SanInsFoG z. § 77 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 168. 20) Braun-Braun/Frank, InsO, § 255 Rz. 2; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 255 Rz. 2.

Arends/Backes

935

§ 70 2.

Streitige Forderungen und Ausfallforderungen

Stimmrechtsfestsetzung

26

Bis zur endgültigen Feststellung der streitigen Forderung bzw. der der Höhe nach noch unbestimmbaren Ausfallforderung bestimmt das dem Gläubiger eingeräumte Stimmrecht die Höhe der Gläubigerforderung, die der Schuldner zu erfüllen hat, um nicht in Rückstand mit der Planerfüllung zu geraten. Zuständig für die Zuweisung des Stimmrechts ist grundsätzlich der Schuldner (siehe Rz. 14). Grenze für die Zuweisung ist ausweislich der Begründung jedenfalls die Sachgerechtigkeitskontrolle nach § 8 (siehe § 8 Rz. 6 ff.). Ausgangspunkt für die Bestimmung des Stimmrechts ist nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 der (mutmaßliche) Betrag der Restrukturierungsforderung bzw. nach § 24 Abs. 3 Satz 2 bei Absonderungsanwartschaften der Betrag der Forderung i. H. des mutmaßlichen Ausfalls (siehe § 24 Rz. 4 ff.).

27

Der Wortlaut von § 70 Abs. 2 Satz 2 stellt jedoch auf eine „Entscheidung über das Stimmrecht bei der Abstimmung“ ab. Fraglich ist, ob auch die Festsetzung des Stimmrechts durch den Schuldner oder eine Einigung unter den stimmberechtigten Gläubigern eine solche „Entscheidung“ i. S. von § 70 Abs. 2 Satz 1 darstellt. Bei der Parallelvorschrift § 256 Abs. 1 Satz 1 ist nach der wohl h. M. allein eine gerichtliche Entscheidung relevant für die vorläufige Leistungspflicht des Schuldners; eine Einigung zwischen den stimmberechtigten Gläubigern hierzu soll danach nicht ausreichen.21) Diese Wertung ist auf den Restrukturierungsrahmen zu übertragen. Bis zur endgültigen Klärung durch das zuständige Sachgericht darf der Schuldner von der Forderungshöhe ausgehen, welche das Restrukturierungsgericht bei der Stimmrechtsbemessung angesetzt hat, und seine Zahlungen an dieser Forderungshöhe unter Berücksichtigung der darauf bezogenen Gestaltungswirkungen ausrichten.22) Soweit keine Entscheidung des Restrukturierungsgerichts über das Stimmrecht bei der Abstimmung über den Plan ergangen ist, kann sich der Schuldner mithin nicht auf die Erleichterung nach § 70 Abs. 2 Satz 1 berufen, um das Risiko des Wiederauflebens von Forderungen nach § 69 Abs. 1 zu vermeiden.

28

Im Falle der gerichtlichen Abstimmung über den Plan legt, sofern zwischen dem Schuldner und dem Inhaber der streitigen Forderung keine Einigung über die Höhe des Stimmrechts zustande kommt (die ohnehin relevant für die Frage der vorläufigen Leistungspflicht wäre; siehe Rz. 13), das Restrukturierungsgericht das Stimmrecht fest (§ 45 Abs. 4 Satz 2; siehe § 45 Rz. 48 f.). Das insoweit vom Restrukturierungsgericht festgelegte Stimmrecht bestimmt die vorläufige Leistungspflicht des Schuldners. Die Entscheidung des Restrukturierungsgerichts i. R. der gerichtlichen Bestätigung des Plans dürfte keine Entscheidung i. S. von § 70 Abs. 2 Satz 1 darstellen, da die Entscheidung nicht „bei der Abstimmung über den Plan“ erfolgt. 3.

29

Nachträgliche Festlegung des vorläufig zu erfüllenden Betrags

Ist i. R. der Abstimmung keine Entscheidung des Restrukturierungsgerichts über das Stimmrecht getroffen worden (so etwa im Falle der außergerichtlichen Planabstimmung oder i. R. einer gerichtlichen Planabstimmung, wenn das auf eine streitige For_____________ 21) Vgl. Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 256 Rz. 11; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 256 Rz. 4; a. A. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 256 Rz. 7. 22) Begr. RegE SanInsFoG z. § 77 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 168.

936

Arends/Backes

Streitige Forderungen und Ausfallforderungen

§ 70

derung entfallende Stimmrecht auf einer Einigung zwischen Gläubiger und Schuldner nach § 45 Abs. 4 Satz 2 beruht, die letztlich nur Relevanz für das Abstimmungsverfahren entfaltet) stellt nach § 70 Abs. 2 Satz 2 das Restrukturierungsgericht auf Antrag des Schuldners oder des Gläubigers nachträglich fest, in welchem Ausmaß der Schuldner die Forderung vorläufig zu berücksichtigen hat. Wie auch i. R. von § 256 Abs. 1 Satz 2 InsO23) dürfte für § 70 Abs. 2 Satz 2 gelten, dass durch die Vorschrift lediglich ein Antragsrecht, aber nicht eine Antragspflicht begründet wird und die Vorschrift gerade nicht die Rechtsfolgen eines nicht gestellten Antrags regelt.24) Der Schuldner ist zur Vermeidung der Rechtsfolgen des § 69 Abs. 1 daher nicht gehalten, innerhalb der ihm gesetzten Nachfrist eine vorläufige Entscheidung des Restrukturierungsgerichts über die Berücksichtigung der Forderung zu beantragen. Insoweit dürfte der Grundsatz gelten, dass sich jeder der Beteiligten um die Wahrung seiner Interessen zunächst selbst zu bemühen hat.25) Der Antrag ist jederzeit möglich. Er kann auch nach Aufhebung der Restrukturierungssache erfolgen. 4.

30

Rechtsfolge

Soweit das Restrukturierungsgericht nach § 70 Abs. 2 Satz 1 bei der Abstimmung, oder nach § 70 Abs. 2 Satz 2 auf Antrag des Schuldners oder des Gläubigers nach der Abstimmung eine Entscheidung über das Stimmrecht getroffen hat, ist ein Rückstand des Schuldners mit der Erfüllung des Restrukturierungsplans i. S. von § 69 Abs. 1 nicht anzunehmen, wenn der Schuldner die Forderung vorläufig bis zur endgültigen Feststellung der Forderung in der entsprechenden Höhe berücksichtigt. Endgültig zu klären ist die zutreffende Forderungshöhe im Streitfall durch das zuständige Sachgericht. Da das Gesetz kein den §§ 179 bis 186 ff. InsO entsprechendes Verfahren für die Forderungsfeststellungsklage vorsieht, bleibt es insoweit bei den allgemeinen prozessualen Regeln. Das heißt, der Gläubiger hat seinen Anspruch bzw. die Feststellung der Forderungshöhe im Klagewege vor den ordentlichen bzw. Finanz- oder Verwaltungsgerichten zu erstreiten.

31

Die Frage der Erheblichkeit des Erfüllungsrückstands stellt sich für § 70 Abs. 2 in gleicher Weise wie bei § 69 Abs. 1. Auf die Ausführungen dort ist zu verweisen (siehe § 69 Rz. 22 ff.).

32

V. Über- oder Unterzahlung/-leistung (Abs. 3, Abs. 4) Vorläufige Zahlungen bzw. Leistungen des Schuldners i. R. von § 70 Abs. 2 können einen nach § 69 Abs. 1 drohenden Wegfall der Stundung oder eines Teilerlasses nur solange abwenden, wie die Ungewissheit über die Forderung nicht durch deren endgültige Feststellung beseitigt ist. Die Feststellung der Forderung erfolgt bei streitigen Forderungen in der Regel durch rechtskräftiges Urteil oder Vergleich. Die Höhe von Ausfallforderungen steht in der Regel spätestens fest, sobald eine potentielle Verwertung abgeschlossen ist, die i. R. des Restrukturierungsrahmens allerdings die Ausnahme bleiben dürfte. _____________ 23) Vgl. BGH, Urt. v. 10.5.2021 – IX ZR 250/94, NJW 1996, 1058, 1059 = ZIP 1996, 183. 24) Vgl. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 256 Rz. 9. 25) Vgl. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 256 Rz. 9.

Arends/Backes

937

33

§ 70 1. 34

Streitige Forderungen und Ausfallforderungen

Endgültige Feststellung der Forderungshöhe

§ 70 Abs. 3 und Abs. 4 regeln das Verfahren für den Fall, dass sich bei der endgültigen Feststellung der Forderungshöhe herausstellt, dass die vorläufige Bewertung der Forderungshöhe mit Blick auf die Feststellung eines Rückstandes i. S. des § 69 Abs. 1 unzutreffend war. Die Vorschrift adressiert eine Diskrepanz zwischen der vorläufig und endgültig festgestellten Forderungshöhe. Dies kann dazu führen, dass entweder eine Nachzahlungspflicht des Schuldners (§ 70 Abs. 3) oder ein Rückforderungsrecht (§ 70 Abs. 4) entsteht. 2.

Rechtsfolge

a) Nachzahlungspflicht 35

Ergibt die endgültige Feststellung der Forderung, dass der Schuldner zu wenig gezahlt hat, so hat er das Fehlende nachzuzahlen (§ 70 Abs. 3 Satz 1). Diese Nachzahlungspflicht schafft den Ausgleich, wozu der Schuldner nach dem Restrukturierungsplan ohnehin verpflichtet ist. Bei streitigen Forderungen wird dies der Fall sein, wenn das ordentliche Gericht einer Feststellungsklage in vollem Umfang stattgibt, während das Stimmrecht nur quotal anerkannt worden ist. Bei absonderungsberechtigten Gläubigern wird diese Situation eintreten, wenn das Stimmrecht nach dem mutmaßlichen Verkehrswert des Sicherungsguts bemessen wurde, der Erlös jedoch geringer ausfällt. Ein „erheblicher Rückstand“ liegt nach § 70 Abs. 3 Satz 2 in Übereinstimmung mit § 69 Abs. 1 vor, wenn der Schuldner das Fehlende nicht nachzahlt, obwohl der Gläubiger ihn schriftlich gemahnt und ihm dabei eine mindestens zweiwöchige Nachfrist gesetzt hat. Die Kongruenz der beiden gesetzlichen Vorschriften sorgt dafür, dass auch bei den erst nachträglich festgestellten Gläubigerforderungen dem Schuldnerschutz in gleicher Weise Rechnung getragen wird wie im Regelfall nach § 69 Abs. 1. b) Rückforderungsrecht

36

Ergibt die endgültige Feststellung der Forderung, dass der Schuldner zu viel gezahlt hat, so kann er den Mehrbetrag nur insoweit zurückfordern, als dieser auch den nicht fälligen Teil der Forderung übersteigt, die dem Gläubiger nach dem Restrukturierungsplan zusteht (§ 70 Abs. 4). Die Vorschrift stellt einen Ausnahmetatbestand von der Kondiktionssperre nach § 67 Abs. 4 dar, die besagt, dass grundsätzlich keine Pflicht zur Rückgewähr das erlangten besteht, wenn ein Gläubiger weitergehender befriedigt worden ist, als er es nach dem Restrukturierungsplan zu beanspruchen hat. Die Rechtfertigung hierfür ergibt sich aus der endgültigen Auflösung der Unsicherheit, die eine vorläufige Leistungspflicht des Schuldners bestimmt hat. Bei einer im Zeitpunkt der Planbestätigung noch streitigen oder aus sonstigen Gründen der Höhe nach ungewissen in einem Restrukturierungsplan gestalteten Forderung soll so das wirtschaftliche Ergebnis erzielt werden, das auch dann erzielt worden wäre, wenn die betreffende Forderung von Beginn an der Höhe nach festgestanden hätte.26) Unabhängig von der Frage, ob es sich bei § 70 Abs. 4 um einen Bereicherungsanspruch handelt, dürften wie bei § 256 Abs. 3 InsO die Rechtsfolgen des Anspruchs dem Bereicherungsrecht zu entnehmen sein.27) Auf _____________ 26) Begr. RegE SanInsFoG z. § 77 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 168. 27) Vgl. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 256 Rz. 14.

938

Arends/Backes

Vollstreckung aus dem Restrukturierungsplan

§ 71

diesen Anspruch findet § 820 Abs. 1 Satz 1 BGB Anwendung, da der Gläubiger die Vorläufigkeit der Zahlung und das sich daraus ergebende Risiko einer Rückzahlungsverpflichtung kennt.28) Nach § 70 Abs. 4 kann nur der nicht fällige Teil der Forderung zurückverlangt werden. Lediglich die nur vorzeitige Zahlung soll daher nicht zu einem Rückforderungsrecht des Schuldners führen. Parallel zu § 256 Abs. 3 stellt sich auch i. R. von § 70 Abs. 4 die Frage, ob eine Anrechnung der Zuvielzahlung gegenüber anderen Forderungen des Gläubigers aus dem Plan in Betracht kommt, was bei § 256 Abs. 3 teilweise bejaht wird.29)

37

c) Abdingbarkeit § 70 ist nicht zwingend und kann daher im Plan abbedungen oder modifiziert werden. Sofern im Plan nicht schon das Wiederaufleben von Forderungen gemäß § 69 generell ausgeschlossen wurde, ist eine von § 70 abweichende Regelung im Plan grundsätzlich empfehlenswert. Denn es mag das Risiko bestehen, dass ein Rückforderungsanspruch des Schuldners gemäß § 70 Abs. 3 nicht realisiert werden kann. Ferner kommt in Betracht, vorläufige Zahlungen von Sicherheitsleistungen des entsprechenden Gläubigers abhängig zu machen. Zum anderen kann im Plan auch bestimmt werden, dass der Schuldner keine vorläufigen Zahlungen erbringt, er seine etwaigen Zahlungspflichten in voller Höhe (d. h. nicht nur i. H. der ansonsten nach § 70 Abs. 1 zu erbringenden vorläufigen Zahlungen) aber zugunsten der Gläubiger absichert. Insoweit kommt die Separierung der entsprechenden Beträge in Betracht oder dass diese bis zur endgültigen Feststellung der Forderungen treuhänderisch vom Planüberwacher oder einem Dritten gehalten werden.30) _____________ 28) Vgl. Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 256 Rz. 18. 29) Vgl. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 256 Rz. 15. 30) Vgl. Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 256 Rz. 20.

§ 71 Vollstreckung aus dem Restrukturierungsplan Blankenburg

(1) 1Aus dem rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplan können die Restrukturierungsgläubiger, deren Forderungen im Bestätigungsbeschluss nicht als bestritten ausgewiesen sind, wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben. 2§ 202 der Insolvenzordnung gilt entsprechend. (2) Absatz 1 gilt auch für die Zwangsvollstreckung gegen einen Dritten, der durch eine dem Restrukturierungsgericht eingereichte schriftliche Erklärung für die Erfüllung des Plans neben dem Schuldner ohne Vorbehalt der Einrede der Vorausklage Verpflichtungen übernommen hat. (3) Macht ein Gläubiger die Rechte geltend, die ihm im Fall eines erheblichen Rückstands des Schuldners mit der Erfüllung des Plans zustehen, so hat er zur Erteilung der Vollstreckungsklausel für diese Rechte und zur Durchführung der Vollstreckung die Mahnung und den Ablauf der Nachfrist glaubhaft zu machen, jedoch keinen weiteren Beweis für den Rückstand des Schuldners zu führen. Blankenburg

939

38

§ 71

Vollstreckung aus dem Restrukturierungsplan

(4) Bestand für die einer Planregelung unterliegende Forderung bereits ein vollstreckbarer Titel, tritt der rechtskräftig bestätigte Restrukturierungsplan an dessen Stelle; die weitere Vollstreckung aus dem früheren Titel ist insoweit unzulässig. Literatur: Blankenburg, Probleme des Insolvenzplans in Kleinverfahren, ZInsO 2015, 1293; Heerma/Bergmann, Insolvenzpläne mit Gesamtabgeltungsklauseln, ZIP 2019, 2377; Heerma/ Bergmann, Zur vollstreckungsrechtlichen Zulässigkeit von sog. Gesamtabgeltungsklauseln in Insolvenzplänen, ZIP 2018, 949; Weber, Gesamtabgeltungsklauseln auf dem Prüfstand – Zulässigkeit und Vollstreckbarkeit von Insolvenzplänen mit dynamischer Quote, ZInsO 2017, 255. Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 4 III. Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner (Abs. 1, Abs. 3) ................... 5 1. Vollstreckung der Planquote (Abs. 1) .................................................. 6 a) Vollstreckungsvoraussetzungen ...... 6 aa) Rechtskräftig bestätigter Restrukturierungsplan ....................... 6 bb) Vollstreckungsgläubiger ................ 8 cc) Vollstreckungsschuldner ............. 11

I. 1

2

3

b) Durchführung der Vollstreckung ............................................ 12 c) Rechtsmittel ................................. 17 2. Vollstreckung der vollständigen Forderung (Abs. 3) ............................. 21 IV. Zwangsvollstreckung gegen Plangaranten (Abs. 2) ........................ 27 1. Voraussetzungen der Vollstreckung ..... 28 2. Durchführung der Vollstreckung ....... 32 V. Konsumption früherer Titel (Abs. 4) ................................................ 34

Normzweck

§ 71 bietet den Gläubigern die Möglichkeit, bei ausbleibenden Zahlungen ihre Forderungen gegen den Schuldner im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen. Dem Schuldner soll durch das StaRUG die Möglichkeit gegeben werden, auch gegen den Willen einiger Gläubiger eine Sanierung betreiben zu können. Kompensiert wird der Eingriff in die Gläubigerrechte dadurch, dass sie eine zügige Möglichkeit erhalten, in das Vermögen des Schuldners zu vollstrecken, wenn dieser sich nicht an seine Zusagen hält. Der Plan stellt dann einen vollstreckbaren Titel dar, der andere Titel konsumiert. Für sämtliche Verfahrensbeteiligte bietet sich damit über das Planverfahren eine günstige und schnelle Möglichkeit, einen Titel über die Forderungen zu erlangen. Da die Vollstreckungsmöglichkeit nur für unbestrittene Forderungen gilt, kann das Verfahren allerdings nicht vermeiden, für strittige Forderungen den kostspieligen und langwierigen Prozessweg beschreiten zu müssen. Durch § 71 Abs. 2 werden die Vollstreckungsmöglichkeiten gegen Plangaranten erweitert. § 71 regelt nur die Voraussetzungen, wann eine Vollstreckung aus dem Plan möglich ist. Die Modalitäten der Vollstreckung selbst ergeben sich aus der ZPO. II. Normhistorie

4

Die Norm ist bis auf die Anpassung der Verweisungen im Gesetzgebungsverfahren unberührt geblieben. Im RefE1) war die Norm als § 75, im RegE2) dann als § 78 be_____________ 1)

2)

940

RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181.

Blankenburg

Vollstreckung aus dem Restrukturierungsplan

§ 71

zeichnet worden. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses3) hat die Norm dann die endgültige Nummerierung erhalten. Da die Norm nationales Verfahrensrecht regelt, liegt ihr keine europarechtliche Norm zugrunde. Sie ist in Absatz 1 – 3 fast wörtlich an § 257 InsO angelehnt. III. Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner (Abs. 1, Abs. 3) Die Vollstreckung gegen den Schuldner richtet sich grundsätzlich nach § 71 Abs. 1. Soll nicht nur die dem Gläubiger im Restrukturierungsplan zugewiesene Quote vollstreckt werden, sondern gemäß § 69 der gesamte Betrag, müssen die weiteren Voraussetzungen gemäß § 71 Abs. 3 erfüllt sein (siehe dazu Rz. 34). 1.

5

Vollstreckung der Planquote (Abs. 1)

a) Vollstreckungsvoraussetzungen aa) Rechtskräftig bestätigter Restrukturierungsplan Die Vollstreckung kann nur aus einem rechtskräftig bestätigen Restrukturierungsplan erfolgen.4) Der Bestätigungsbeschluss wird durch das Restrukturierungsgericht mit einem Rechtskraftvermerk versehen, wenn entweder innerhalb von zwei Wochen nach der Verkündung beim Restrukturierungsgericht keine sofortige Beschwerde eingelegt wurde oder wenn das Beschwerdeverfahren abgeschlossen wurde. Dies ist dann der Fall, wenn die sofortige Beschwerde zurückgenommen wurde, über die sofortige Beschwerde ohne Zulassung der Rechtsbeschwerde entschieden wurde oder wenn über die zugelassene Rechtsbeschwerde entschieden wurde.

6

Ungeschriebene Voraussetzung für eine Vollstreckung ist, dass der Inhalt des Plans vollstreckungsfähig ist.5) Das ist der Fall, wenn der Titel aus sich heraus verständlich ist und auch für jeden Dritten erkennen lässt, was der Gläubiger vom Schuldner verlangen kann.6) Für die Auslegung der Vollstreckbarkeit können Gerichtsakten und andere Urkunden nicht hinzugezogen werden.7) Beim Restrukturierungsplan ist die Bestimmtheit problematischer als beim Insolvenzplan, da ersterem keine

7

_____________ 3) 4)

5)

6) 7)

Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. Anders als im Insolvenzverfahren erfolgt die Vollstreckung nicht aus der durch den Insolvenzplan modifizierten Tabelle, sondern aus dem Plan selbst (zum Insolvenzverfahren s. Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 257 Rz. 19 ff.; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 257 Rz. 5; Jaffé in: FK-InsO, § 257 Rz. 2; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Silcher, InsR, § 257 InsO Rz. 4). So auch für § 71 Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 71 Rz. 7; für den Insolvenzplan BGH, Beschl. v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, Rz. 41, 49, ZIP 2018, 1141, 1146 = ZVI 2018, 272; AG Hannover, Beschl. v. 30.9.2016 – 902 IN 607/14, ZIP 2016, 2081, 2082; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Silcher, InsR, § 257 InsO Rz. 6; Martini in: A. Schmidt, Sanierungsrecht, § 257 InsO Rz. 8; Blankenburg, ZInsO 2015, 1293, 1298 ff.; a. A. Haas in: HK-InsO, § 257 Rz. 4, wonach aus Quotenbandbreiten sowie Flexiquoten zulässig sein sollen; ebenso Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 257 Rz. 22 ff.; Braun-Braun/ Frank, InsO, § 257 Rz. 3; Heerma/Bergmann, ZIP 2018, 949, 950 ff.; Heerma/Bergmann, ZIP 2019, 2377, 2378 ff. – zu Gesamtabgeltungsklauseln; Weber, ZInsO 2017, 255, 259 ff. Zöller-Seibel, ZPO, § 704 Rz. 4. Götz in: MünchKomm-ZPO, § 704 Rz. 8.

Blankenburg

941

§ 71

Vollstreckung aus dem Restrukturierungsplan

Tabelle zugrunde liegt.8) Eine Vollstreckbarkeit ist in der Regel dann gegeben, wenn entweder ein konkreter Zahlbetrag oder eine prozentuale Befriedigung der aufgeführten Forderung vorgesehen ist. Die Vollstreckung kann auch an Bedingungen geknüpft werden, die jedoch eintreten können müssen.9) bb) Vollstreckungsgläubiger 8

Vollstrecken können Restrukturierungsgläubiger. Dies sind Gläubiger, denen eine Restrukturierungsforderung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 gegen den Schuldner zusteht. Ist nur eine Teil der Forderungen in den Plan aufgenommen wurden, ist die Vollstreckung nur für diesen Teil möglich.10) Vollstreckungsberechtigt sind allerdings nur solche Restrukturierungsgläubiger, deren Forderungen im Bestätigungsbeschluss nicht als bestritten ausgewiesen worden sind. Um die Vollstreckung zu erleichtern, kommt es für das Bestreiten lediglich auf den formalen Aspekt an, dass die Forderung als bestritten im Bestätigungsbeschluss ausgewiesen wurde. Unerheblich ist insoweit, ob diese Feststellung materiell zutreffend ist. Ist ein Bestreiten zu Unrecht nicht mit aufgenommen worden, muss sich der betroffene Restrukturierungsgläubiger darum bemühen, dass der Bestätigungsbeschluss berichtigt wird.

9

Sonstige Gläubiger des Schuldners (aus- und absonderungsberechtigte Gläubiger) können aus dem Restrukturierungsplan aufgrund ihrer Sicherung nicht vollstrecken.11) Lediglich wenn unter der Bedingung des Ausfalls ein Zahlbetrag als Restrukturierungsforderung geregelt wurde, kommt eine Vollstreckung in Betracht.

10

Rechtsnachfolger können nach einer Titelumschreibung gemäß §§ 727 ff. ZPO vollstrecken.12) cc) Vollstreckungsschuldner

11

Die Vollstreckung muss sich gegen den Schuldner richten. Vollstreckungen gegen Gesellschafter des Schuldners13) oder neue Unternehmensträger, die aus dem Restrukturierungsplan hervorgegangen sind, werden von § 71 Abs. 1 nicht erfasst. Gegen sie kann nur unter den Voraussetzungen des § 71 Abs. 2 vollstreckt werden. b) Durchführung der Vollstreckung

12

Die Vollstreckung aus dem Restrukturierungsplan erfolgt wie aus einem vollstreckbaren Urteil. Die dazu erforderlichen Regelungen finden sich in §§ 704 ff. ZPO. _____________ 8) Nach Haas in: HK-InsO, § 257 Rz. 2, kann der Insolvenzplan kein vollstreckungsfähiger Titel sein, da er die geregelten Insolvenzforderungen und die Gläubiger nicht einzeln, sondern nur gattungsmäßig bezeichnen muss. Dies wird für den Restrukturierungsplan nicht gelten können, da nach § 8 die Beteiligten genau zu bezeichnen sind. 9) BGH, Beschl. v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, Rz. 49, ZIP 2018, 1141, 1146 = ZVI 2018, 272. 10) Braun-Bauch, StaRUG, § 71 Rz. 2. 11) So auch zu § 257 InsO Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 257 Rz. 13 f.; UhlenbruckLüer/Streit, InsO, § 257 Rz. 11; Haas in: HK-InsO, § 257 Rz. 6; Thies in: HambKommInsO, § 257 Rz. 8; Jaffé in: FK-InsO, § 257 Rz. 6; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 257 Rz. 9. 12) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 257 Rz. 12; Jaffé in: FK-InsO, § 257 Rz. 12; K. SchmidtSpliedt, InsO, § 257 Rz. 11. 13) So auch zu § 257 InsO Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 257 Rz. 11; UhlenbruckLüer/Streit, InsO, § 257 Rz. 14; Jaffé in: FK-InsO, § 257 Rz. 12, K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 257 Rz. 13.

942

Blankenburg

Vollstreckung aus dem Restrukturierungsplan

§ 71

Der Restrukturierungsplan muss gemäß § 704 ZPO mit einem Rechtskraftvermerk versehen werden. Dieser kann entweder direkt auf dem Plan angebracht oder auf einem eigenen Dokument gefertigt werden, das dann mit dem Plan fest zu verbinden ist. Erfolgt die Bearbeitung in der elektronischen Akte, ist das Dokument mit dem Rechtskraftvermerk untrennbar mit dem Restrukturierungsplan zu verbinden. Ferner muss gemäß § 724 Abs. 1 ZPO eine vollstreckbare Ausfertigung des Plans erstellt werden. Ausreichend dürfte insoweit sein, dass lediglich der gestaltende Teil mit dem Bestätigungsbeschluss ausgefertigt wird.14) Die vollstreckbare Ausfertigung wird gemäß § 724 Abs. 1 ZPO von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Restrukturierungsgerichts gefertigt. Sie muss mit einer Vollstreckungsklausel gemäß § 725 ZPO sowie der Unterschrift des Urkundsbeamten und einem Gerichtsiegel versehen werden. Dem Schuldner muss vor der Klauselerteilung kein rechtliche Gehör gewährt werden.15)

13

Beispielhaft könnte die einfache Klausel wie folgt lauten:

14

„Diese Ausfertigung wird dem … (Bezeichnung des Restrukturierungsgläubiger) zum Zwecke der Zwangsvollstreckung gegen den … (Bezeichnung des Schuldners) in Höhe von … (Vollstreckungsbetrag) erteilt.“

Ist die Forderung nach dem Restrukturierungsplan nur unter bestimmten Bedingungen fällig, bedarf es der Klauselerteilung nach § 726 ZPO. Dazu muss der Beweis des Eintritts der Voraussetzungen durch öffentliche oder öffentliche beglaubigte Urkunden geführt werden. Für die Erteilung dieser qualifizierten Klausel ist der Rechtspfleger zuständig (§ 20 Abs. 1 Nr. 12 ZPO). Wird die Klausel dennoch vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erteilt, ist die Klausel unwirksam.16)

15

Die Vollstreckung erfolgt durch den Gerichtsvollzieher oder bei Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses durch das Vollstreckungsgericht.

16

c) Rechtsmittel Verweigert der Urkundsbeamte die Erteilung der einfachen Klausel, steht dem Gläubiger die Erinnerung gemäß § 573 ZPO zu. Verweigert der Rechtspfleger die Klauselerteilung, ist die sofortige Beschwerde gemäß § 11 Abs. 1 RpflG, § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO einschlägig. Ist der Urkundsnachweis für eine qualifizierte Klausel nicht möglich, muss eine Klage auf Erteilung der Vollstreckungsklausel gemäß § 731 ZPO erhoben werden.

17

Ist die Klausel erteilt worden, steht dem Schuldner die Erinnerung nach § 732 ZPO oder bei qualifizierten Klauseln die Klauselgegenklage nach § 768 ZPO zu.

18

Gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung kann der Schuldner die Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO einlegen. Einwendungen gegen den Anspruch selbst sind über die Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO geltend zu machen.

19

_____________ 14) Thies in: HambKomm-InsO, § 257 Rz. 5. 15) Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 257 Rz. 34. 16) A. A. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 257 Rz. 17.

Blankenburg

943

§ 71

Vollstreckung aus dem Restrukturierungsplan

In diesem Rahmen findet § 767 Abs. 2 ZPO Anwendung.17) Mit Einwendungen, die bis zur Abstimmung über den Plan vorlagen, ist der Schuldner daher ausgeschlossen. 20

Kommt es zu vollstreckungsrechtlichen Streitigkeiten, ordnet § 71 Abs. 1 Satz 2 StaRUG i. V. m. § 202 InsO eine besondere gerichtliche Zuständigkeit an. Danach ist das AG als Vollstreckungsgericht am Sitz des Restrukturierungsgerichts für folgende Klagen zuständig:18) –

Klage auf Erteilung der Vollstreckungsklausel nach § 731 ZPO;



Klagen nach § 768 ZPO, durch die nach der Erteilung der Vollstreckungsklausel bestritten wird, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eingetreten waren;



Klagen nach § 767 ZPO, mit denen Einwendungen geltend gemacht werden, die den Anspruch selbst bestritten werden. Ist der Streitgegenstand originär dem LG zugewiesen, ist gemäß § 202 Abs. 2 InsO das LG am Sitz des Restrukturierungsgerichts örtlich zuständig.

2.

Vollstreckung der vollständigen Forderung (Abs. 3)

21

Sind Restrukturierungsforderungen gestundet oder teilweise erlassen worden, ist eine Vollstreckung nur noch in der Höhe möglich, wie sie im Restrukturierungsplan bestimmt wurde. Der volle Betrag kann nicht mehr vollstreckt werden. Es ist allerdings möglich, gemäß § 69 Abs. 1 solche Forderungen wieder in voller Höhe aufleben zu lassen. Erforderlich dafür ist, dass der Schuldner mit der Erfüllung des Plans gegenüber dem anspruchsstellenden Gläubiger erheblich in Rückstand gerät. Nach § 69 Abs. 1 Satz 2 ist ein erheblicher Rückstand erst anzunehmen, wenn der Schuldner eine fällige Verbindlichkeit nicht bezahlt hat, obwohl der Gläubiger ihn schriftlich gemahnt und ihm dabei eine mindestens zweiwöchige Nachfrist gesetzt hat. Diese materiell-rechtliche Regelung wird durch § 71 Abs. 3 auf Verfahrensebene ergänzt. Danach ist eine Vollstreckung in voller Höhe der Forderung möglich, wenn der Gläubiger die Mahnung und den Ablauf der Nachfrist glaubhaft macht. Das Gericht soll nicht verpflichtet sein zu prüfen, ob tatsächlich ein Rückstand besteht.

22

Die Mahnung muss durch den Vollstreckungsgläubiger erfolgt sein. Wie sich aus § 69 Abs. 1 Satz 1 ergibt, ist das Wiederaufleben einer Forderung relativ. Der Rückstand gegenüber anderen Gläubigern lässt den Forderungsbestand unberührt. Erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners schlagen Rückstände gegenüber anderen Planbetroffenen auf sämtliche Forderungen durch. Die Mahnung muss dem Schuldner zugegangen sein.

23

Es muss der Ablauf der Nachfrist glaubhaft gemacht werden. Der Wortlaut der Norm ist unglücklich gewählt. Es kommt nicht allein auf den zeitlichen Ablauf der Nachfrist an, sondern darauf, dass der Rückstand, der angemahnt wurde, nicht vollständig beglichen wurde. Nicht ausreichend ist es, wenn Teilzahlungen geleistet wurden. Es muss eine vollständige Erfüllung der angemahnten Forderung erfolgt sein. _____________ 17) So auch die h. M. zu § 257 InsO, dazu nur Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 257 Rz. 43 m. w. N. 18) Pannen/Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 71 Rz. 8; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 257 Rz. 15.

944

Blankenburg

Vollstreckung aus dem Restrukturierungsplan

§ 71

Sowohl die Mahnung als auch der Ablauf der Nachfrist müssen glaubhaft gemacht werden. Gemäß § 38 Satz 1 StaRUG i. V. m. § 294 Abs. 1 ZPO kann sich der Gläubiger dazu aller Beweismittel bedienen. Zudem ist auch eine Versicherung an Eides statt möglich. Dass eine Mahnung erstellt und die Nachfrist erfolglos abgelaufen ist, wird sich in der Regel durch eine eidesstattliche Versicherung glaubhaft machen lassen.19) An den Nachweis des fruchtlosen Ablaufs der Nachfrist sind keine zu hohen Anforderungen zu stellen, da der Gläubiger insoweit eine Negativtatsache glaubhaft machen muss.

24

Will der Schuldner die Glaubhaftmachung erschüttern, muss er genau darlegen, wann und wie er die Forderung erfüllt haben will. Hinsichtlich des Zugangs der Mahnung reicht die eidesstattliche Versicherung nicht aus, soweit der Gläubiger diese nicht selbst übergeben oder in den Briefkasten geworfen hat. Der Zugang wird anderenfalls nur durch Vorlage eines Rückscheins oder eines anderen Zustellungsnachweises möglich sein.

25

Bestreitet der Schuldner die Voraussetzungen des § 71 Abs. 3, stehen ihm die Vollstreckungserinnerung nach § 732 ZPO sowie die Klage gegen die Vollstreckungsklausel gemäß § 768 ZPO zu.20)

26

IV. Zwangsvollstreckung gegen Plangaranten (Abs. 2) Nach § 71 Abs. 2 ist eine Vollstreckung auch gegenüber Dritten möglich. Dies ist der Fall, wenn der Dritte durch eine dem Restrukturierungsgericht eingereichte schriftliche Erklärung für die Erfüllung des Plans neben dem Schuldner ohne Vorbehalt der Einrede der Vorausklage Verpflichtungen übernommen hat. Diese verklausulierte Beschreibung findet sich bereits nahezu wortgleich in § 257 Abs. 3 InsO. 1.

27

Voraussetzungen der Vollstreckung

Es muss sich dabei um eine andere Person als den Schuldner handeln. Diese Person muss eine Verpflichtung für die Erfüllung des Plans neben dem Schuldner übernommen haben. Diese Verpflichtung muss nicht auf die Erfüllung sämtlicher Planforderungen gerichtet sein. Erforderlich ist allerdings, dass aus der Erklärung zumindest bestimmbar ist, mit welchem Betrag oder welcher sonstigen Leistung der Dritte für den Plan einstehen will. Anderenfalls fehlt es an einer vollstreckungsfähigen Forderung.21) Verpflichtet sich der Dritte zur Stellung bestimmter Sicherheiten, so kann in die Sicherheiten nicht unmittelbar aus dem Restrukturierungsplan vollstreckt werden, da nur schuldrechtliche Verpflichtungen erfasst werden.22)

28

Die Verpflichtung muss durch eine schriftliche Erklärung erfolgt sein. Zudem muss sie beim zuständigen Restrukturierungsgericht eingereicht worden sein. Dabei wird es sich in der Regel um eine Erklärung gemäß § 15 Abs. 3 handeln, die dem Plan als Anlage beizufügen ist. Da sich die Norm allerdings nicht auf § 15 Abs. 3 beschränkt,

29

_____________ 19) So auch Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 257 Rz. 62. 20) So auch Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 257 Rz. 27. 21) Dies wäre bspw. der Fall, wenn sich der Dritte verpflichten würde, den Betrag zu leisten, den der Schuldner nicht in der Lage ist, zu erbringen. 22) So auch zu § 257 InsO Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 257 Rz. 21.

Blankenburg

945

§ 71

Vollstreckung aus dem Restrukturierungsplan

kann die Verpflichtungserklärung auch außerhalb des Plans eingereicht werden.23) Eine mündliche Erklärung, beispielsweise im Erörterungstermin, genügt nicht.24) 30

Schließlich muss die Verpflichtung ohne den Vorbehalt der Einrede der Vorausklage übernommen worden sein. Die Einrede der Vorausklage ist in § 771 Satz 1 BGB legaldefiniert. Eine solche ist gegeben, wenn der Dritte die Befriedigung der Gläubiger solange verweigern kann, wie die Gläubiger nicht eine Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner versucht haben. Wie sich aus dem Wortlaut ergibt, muss der Vorbehalt der Einrede der Vorausklage explizit übernommen worden sein, um die Vollstreckung auszuschließen. Ist daher nichts geregelt worden, greift dieser Vorbehalt grundsätzlich nicht ein.25) Ist ein entsprechender Vorbehalt vereinbart oder lediglich eine Ausfallbürgschaft übernommen worden, kann eine Vollstreckung auch dann nicht gegen den Dritten erfolgen, wenn die Gläubiger gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung erfolglos versucht haben. In diesem Fall muss der Dritte auf Zahlung verklagt werden.

31

Die Verpflichtung des Dritten besteht gegenüber allen planbetroffenen Restrukturierungsgläubigern, wenn nicht explizit eine Beschränkung auf bestimmte Forderungen vorgenommen wurde. 2.

Durchführung der Vollstreckung

32

Ebenso wie gegenüber dem Schuldner muss gegenüber dem Dritten eine vollstreckbare Ausfertigung erstellt werden. Der Wortlaut der Norm lässt offen, ob insoweit der Plan oder die Erklärung des Dritten ausgefertigt werden muss. Da der Plan sehr umfangreich sein kann und sich die Verpflichtung eindeutig aus der Erklärung ergeben muss, reicht es aus, wenn diese ausgefertigt wird.26) Diese muss dann mit einer dem § 725 ZPO entsprechenden Vollstreckungsklausel versehen werden.27)

33

Es geltend die oben dargestellten Rechtsmittelmöglichkeiten (siehe dazu Rz. 17 ff.). V. Konsumption früherer Titel (Abs. 4)

34

Nach § 73 Abs. 4 tritt der rechtskräftig bestätigte Restrukturierungsplan an die Stelle eines bereits bestehenden vollstreckbaren Titels. Auch wenn eine entsprechende Norm hinsichtlich der Insolvenztabelle fehlt, entspricht dies auch der h. M. im Insolvenzrecht.28) Der Gesetzgeber hat dies für das Restrukturierungsverfahren _____________ 23) Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 257 Rz. 49; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 257 Rz. 23; a. A. Jaffé in: FK-InsO, § 257 Rz. 16. 24) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 257 Rz. 23; a. A. Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 257 Rz. 49; Haas in: HK-InsO, § 257 Rz. 9; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 257 Rz. 16. 25) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 257 Rz. 22; Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 257 Rz. 15; Haas in: HK-InsO, § 257 Rz. 9. 26) So auch Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 257 Rz. 54; Haas in: HK-InsO, § 257 Rz. 11; Thies in: HambKomm-InsO, § 257 Rz. 6. 27) A. A. Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 257 Rz. 64, wonach es sich um eine qualifizierte Klausel gemäß § 726 ZPO handelt, für die der Rechtspfleger zuständig ist. 28) So Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 257 Rz. 26 ff.; Jaffé in: FK-InsO, § 257 Rz. 2; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Silcher, InsR, § 257 InsO Rz. 2; Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 257 Rz. 9; a. A. AG Leizpig, Beschl. v. 16.12.2010 – 444 M 22550/10, ZInsO 2011, 350, 351 = ZVI 2011, 300; Thies in: HambKomm-InsO, § 257 Rz. 9; K. SchmidtSpliedt, InsO, § 257 Rz. 15.

946

Blankenburg

§ 72

Planüberwachung

nunmehr explizit geregelt. Rechtsfolge ist, dass die weitere Vollstreckung aus dem früheren Titel nicht mehr möglich ist. Dies gilt sowohl für die Hauptforderung als auch sonstige Nebenforderungen wie Zinsen und Kosten. Als frühere Titel gelten sowohl zivilrechtlich erwirkte Titel als auch Leistungsbescheide und sonstige Verwaltungsakte von Sozialversicherungs-, Finanz- und sonstigen Behörden, welche sich ihre Titel gegen die jeweiligen Schuldner selbst schaffen können.29) Der Titel muss vor der Rechtskraft des Restrukturierungsplans erworben worden sein.30) Die Konsumtion tritt zudem nur in der Höhe ein, in der die Forderung in den Plan mit einbezogen wurde. Darüber hinaus ist die Vollstreckung aus dem alten Titel weiterhin möglich.31) Die Möglichkeit der Vollstreckung aus dem alten Titel lebt nicht wieder auf, wenn der Plan nicht pflichtgemäß erfüllt wird. In diesem Fall ist der Schuldner vielmehr verpflichtet, den Weg über §§ 69, 71 Abs. 3 zu beschreiten.

35

Leitet der Vollstreckungsgläubiger trotz § 71 Abs. 4 aus einem alten Titel die Vollstreckung ein, kann der Schuldner eine Einrede gegen den Titel erheben. Diese Einrede kann er analog § 767 Abs. 1 ZPO geltend machen.32) _____________

36

29) So auch Jaffé in: FK-InsO, § 257 Rz. 2; Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 257 Rz. 28. 30) Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 71 Rz. 12; Braun-Bauch, StaRUG, § 71 Rz. 7; Pannen/ Riedemann/Smid-Smid, StaRUG, § 71 Rz. 18. 31) Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 71 Rz. 12. 32) So auch Wilke in: BeckOK-StaRUG, § 71 Rz. 12; Braun-Bauch, StaRUG, § 71 Rz. 8; zur analogen Anwendung des § 767 bei Wirkungslosigkeit von Titeln s. BGH, Beschl. v. 23.8.2007 – VII ZB 115/06, Rz. 11, NJW-RR 2007, 1724, 1725.

§ 72 Planüberwachung Brackmann

(1) Im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans kann vorgesehen werden, dass die Erfüllung der den Gläubigern nach dem gestaltenden Teil zustehenden Ansprüche überwacht wird. (2) Die Überwachung ist einem Restrukturierungsbeauftragten zu übertragen. (3) Stellt der Restrukturierungsbeauftragte fest, dass Ansprüche, deren Erfüllung überwacht wird, nicht erfüllt werden oder nicht erfüllt werden können, so hat er dies unverzüglich dem Restrukturierungsgericht und den Gläubigern anzuzeigen, denen nach dem gestaltenden Teil des Plans Ansprüche gegen den Schuldner zustehen. (4) Das Restrukturierungsgericht beschließt die Aufhebung der Überwachung, wenn 1.

die Ansprüche, deren Erfüllung überwacht wird, erfüllt sind oder wenn gewährleistet ist, dass sie erfüllt werden,

2.

seit dem Eintritt der Rechtskraft des Restrukturierungsplans drei Jahre verstrichen sind oder das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet oder die Eröffnung mangels Masse abgewiesen wird.

3.

Brackmann

947

§ 72

Planüberwachung Übersicht

I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 2 III. Ausgestaltung der Planüberwachung (Abs. 1) ................................. 4 IV. Organ der Planüberwachung (Abs. 2) .................................................. 7 V. Mitteilung an das Restrukturierungsgericht (Abs. 3) ......................... 10 1. Gegenstand der Mitteilung ................. 10

I. 1

2. Rechtsfolge der Mitteilung ................. 14 VI. Aufhebung der Planüberwachung (Abs. 4) ................................ 16 1. Vollständige Erfüllung der Ansprüche (Abs. 4 Nr. 1) ................... 18 2. Ablauf der Drei-Jahres-Frist (Abs. 4 Nr. 2) ...................................... 20 3. Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (Abs. 4 Nr. 3) .................... 22

Normzweck

Die Planüberwachung bezweckt in erster Linie den Schutz der Gläubiger.1) Es soll sichergestellt werden, dass der Schuldner nach Abschluss des Restrukturierungsverfahrens seinen Pflichten weiterhin nachkommt. Durch die Planüberwachung soll aber zugleich auch die Akzeptanz der Gläubiger im Hinblick auf die vorgesehenen Planregelungen erhöht werden.2) II. Normhistorie

2

Die Regelung des § 72 wurde nach dem Vorbild der §§ 260, 262 und 268 InsO geschaffen.

3

Die Norm war in finaler Fassung bereits im RefE3) (dort als § 76) sowie im RegE4) (dort als § 79) enthalten. Mit der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses5) wurde die Norm schließlich inhaltlich unverändert als § 72 in das Gesetz übernommen. III. Ausgestaltung der Planüberwachung (Abs. 1)

4

Die Planüberwachung dient der Sicherstellung der Erfüllung der den Gläubigern nach dem gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans zustehenden Ansprüche. Die Planüberwachung ist nicht auf die Erfüllung monetärer Ansprüche der planbetroffenen Gläubiger beschränkt. Auch andere Arten von Ansprüchen kommen in Betracht, bspw. Ansprüche der Anwartschaftsberechtigten6) oder Ansprüche, die der Schuldner erst auf Grundlage von Verpflichtungserklärungen i. R. des gestaltenden Teils des Plans übernommen hat.7) _____________ 1) 2) 3)

4) 5) 6) 7)

948

Vgl. zur Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplans: Freund in: BeckOK-InsO, § 260 Rz. 1; Stephan in: MünchKomm-InsO, § 260 Rz. 1. Vgl. zur Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplans: Freund in: BeckOK-InsO, § 260 Rz. 1; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 260 Rz. 8. RefE SanInsFoG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 22.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. Vgl. zur Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplans: K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 260 Rz. 8. Vgl. zur Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplans: Stephan in: MünchKomm-InsO, § 268 Rz. 5.

Brackmann

§ 72

Planüberwachung

Die Planüberwachung ist freiwillig.8) Sie muss daher nicht für die Erfüllung sämtlicher Ansprüche des gestaltenden Teils des Restrukturierungsplans vorgesehen werden, sondern kann auch nur bestimmte einzelne Ansprüche betreffen. Zudem hat der Schuldner im Hinblick auf die Sicherstellung der Planerfüllung einen Gestaltungsspielraum und kann damit auch andere Maßnahmen als die Überwachung durch den Restrukturierungsexperten vorsehen.9) Eine Anordnung von Amts wegen durch das Restrukturierungsgericht kommt nicht in Betracht. Vielmehr ist die Planüberwachung im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans vorzusehen.

5

6

IV. Organ der Planüberwachung (Abs. 2) Nach dem Willen des Gesetzgebers ist die Planüberwachung einzig dem Restrukturierungsbeauftragten zu übertragen.10) Ist noch kein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, ist ein solcher erstmals für die Zwecke der Planüberwachung zu bestellen (vgl. § 80 Abs. 1 Nr. 3). Hierbei unterscheidet sich die restrukturierungsrechtliche Planüberwachung von der Überwachung der Erfüllung der Ansprüche unter dem Insolvenzplan. § 260 Abs. 1, 2 InsO ist als vollständig dispositive Regelung ausgestaltet, sodass die Planüberwachung auch von anderen Personen als dem Insolvenzverwalter oder dem Sachwalter übernommen werden kann.11)

7

Die Planüberwachung führt allerdings nicht zu einer Erweiterung der Kompetenzen des Restrukturierungsbeauftragten.12) Insbesondere geht die Planüberwachung durch den Restrukturierungsbeauftragten nicht mit Einschränkungen der Verfügungsbefugnisse des Schuldners oder gar der Übertragung solcher Befugnisse auf den Restrukturierungsbeauftragten einher.

9

8

V. Mitteilung an das Restrukturierungsgericht (Abs. 3) 1.

Gegenstand der Mitteilung

Die Regelung in § 72 Abs. 3 wurde nach dem Vorbild der insolvenzrechtlichen Regelung des § 262 InsO geschaffen. Sobald der Restrukturierungsbeauftragte feststellt, dass der Schuldner Ansprüche, deren Erfüllung von ihm zu überwachen ist, nicht erfüllt oder nicht erfüllen kann, hat er dies unverzüglich zu melden. Adressaten dieser Mitteilung sind die planbetroffenen Gläubiger sowie das Restrukturierungsgericht.

10

Die Anzeigepflicht dürfte jede Art der Nichterfüllung erfassen, sodass der Restrukturierungsbeauftragte bereits bei einem einzigen offenen Anspruch seiner Meldepflicht nachzukommen hat.13)

12

_____________ 8) 9) 10) 11)

Braun-Bauch, StaRUG, § 72 Rz. 2. Braun-Bauch, StaRUG, § 72 Rz. 3. Wolgast/Grauer-Dankert, StaRUG.online, § 72 Rz. 4. Vgl. zur Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplans: Stephan in: MünchKomm-InsO, § 260 Rz. 4, 16. 12) Braun-Bauch, StaRUG, § 72 Rz. 5. 13) Vgl. zur Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplans: Freund in: BeckOK-InsO, § 262 Rz. 2.

Brackmann

949

11

§ 72 13

Planüberwachung

Die Mitteilungspflicht besteht ferner bereits dann, wenn der Restrukturierungsbeauftragte feststellt, dass die Ansprüche aus dem Restrukturierungsplan nicht erfüllt werden können. Hier steht der Restrukturierungsbeauftragte vor dem schwierigen Konflikt, rechtzeitig seiner Meldepflicht nachzukommen, um die Gläubiger vor Schäden zu bewahren, ohne dabei aber die Sanierung des Schuldners durch eine verfrühte Meldung leichtfertig zu gefährden.14) Dem Restrukturierungsbeauftragten ist daher anzuraten, die vermeintliche Leistungsunfähigkeit des Schuldners sorgfältig zu prüfen. Hierfür muss dem Restrukturierungsbeauftragten auch ein entsprechender zeitlicher Spielraum eingeräumt werden, um seine Prognoseentscheidung hinreichend zu fundieren und die zugrunde liegende Tatsachengrundlage bestmöglich zu prüfen, um Schnellschüsse zu vermeiden.15) Erfüllt er dabei seine Aufgaben nicht mit der gebotenen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit, beispielsweise durch eine verspätete oder verfrühte Meldung, dürfte dies für den Restrukturierungsbeauftragten zu Haftungsrisiken gemäß § 75 Abs. 4 Satz 3 führen. 2.

Rechtsfolge der Mitteilung

14

Die Rechtsfolge der Mitteilung ist gesetzlich nicht geregelt, was vermuten lässt, dass die Reaktion auf die Mitteilung der ausstehenden oder drohend scheiternden Planerfüllung allein den Gläubigern obliegen soll.16) In Betracht kommt die (Wieder-)Eröffnung der Verhandlungen zwischen dem Schuldner und den planbetroffenen Gläubigern betreffend die Möglichkeit einer anderweitigen Erfüllung der noch offenen Ansprüche, die Betreibung der Vollstreckung aus dem Restrukturierungsplan gemäß § 71 oder ggf. die Insolvenzantragstellung.

15

Zudem verliert der Restrukturierungsplan und insbesondere der Abschnitt zur Planüberwachung durch die Mitteilung des Restrukturierungsbeauftragten nicht an Wirkung, sodass davon auszugehen ist, dass der Restrukturierungsbeauftragte jeden weiteren Fall der (drohenden) Nichterfüllung gesondert gegenüber den Mitteilungsadressaten notifizieren muss. VI. Aufhebung der Planüberwachung (Abs. 4)

16

Die Gründe für die Aufhebung der Planüberwachung sind in Anlehnung an die insolvenzrechtliche Vorbildregelung des § 268 InsO abschließend in § 72 Abs. 4 aufgezählt.

17

Die Aufhebung der Planüberwachung erfolgt durch Beschluss des Restrukturierungsgerichts. Die Aufhebung erfolgt von Amts wegen bei Vorliegen eines Aufhebungsgrundes, ohne dass es eines gesonderten Antrags des Schuldners bedarf. Das Restrukturierungsgericht hat bei Vorliegen eines Aufhebungsgrundes insbesondere kein Ermessen im Hinblick auf die Aufhebung der Planüberwachung. _____________ 14) Vgl. zur Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplans: Stephan in: MünchKomm-InsO, § 262 Rz. 6; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 262 Rz. 4. 15) Vgl. zur Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplans: Stephan in: MünchKomm-InsO, § 262 Rz. 6; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 262 Rz. 4. 16) Vgl. zur Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplans: Stephan in: MünchKomm-InsO, § 262 Rz. 12; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 262 Rz. 5.

950

Brackmann

§ 72

Planüberwachung

1.

Vollständige Erfüllung der Ansprüche (Abs. 4 Nr. 1)

Die Planüberwachung ist naturgemäß mit Erreichen des Überwachungsziels, also mit der Erfüllung aller Ansprüche, deren Erfüllung überwacht werden sollte, aufzuheben.

18

Die Planüberwachung ist allerdings nicht nur bei tatsächlicher Erfüllung aller Ansprüche aufzuheben, sondern auch dann, wenn die Erfüllung dieser Ansprüche gewährleistet ist, z. B. durch die Bestellung hinreichender Sicherheiten. Auf Grundlage der insolvenzrechtlichen Wertungen zur Überwachung der Erfüllung von Ansprüchen aus dem Insolvenzplan ist davon auszugehen, dass die Erfüllung der Ansprüche der Planbetroffenen bereits zweifellos feststehen muss und nicht nur überwiegend wahrscheinlich sein darf.17) Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat der Restrukturierungsbeauftragte dem Restrukturierungsgericht entsprechend mitzuteilen.

19

2.

Ablauf der Drei-Jahres-Frist (Abs. 4 Nr. 2)

In Anlehnung an die insolvenzrechtliche Vorbildregelung des § 268 Abs. 1 Nr. 1 InsO soll die Planüberwachung nach dem Ablauf von drei Jahren nach Eintritt der Rechtskraft des Restrukturierungsplans aufgehoben werden. Nach dieser Frist sei nach der Vorstellung des Gesetzgebers „typischerweise davon auszugehen“, dass sich eine ordnungsgemäße Planerfüllung entsprechend fortsetzen werde.18)

20

Im Hinblick auf die Überwachung der Erfüllung der Ansprüche aus dem Insolvenzplan sind zugunsten des Schuldners geregelte Abweichungen zulässig. Zum Beispiel kann auch eine kürzere als die dreijährige Überwachungsfrist vorgesehen werden.19) Es steht daher zu vermuten, dass eine Verkürzung der Frist auch mit Blick auf die Überwachung der Erfüllung der Ansprüche aus dem Restrukturierungsplan möglich ist. Eine Verlängerung der Überwachungsfrist von über drei Jahren dürfte hingegen nicht zulässig sein.20)

21

3.

Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (Abs. 4 Nr. 3)

Als zusätzlichen Aufhebungsgrund hat der Gesetzgeber die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners in den Katalog der Aufhebungsgründe aufgenommen, da mit der Verfahrenseröffnung die Gestaltungswirkungen des noch nicht vollständig erfüllten Restrukturierungsplans ohnehin entfielen.21) Die planbetroffenen Gläubiger wären in diesem Fall darauf zu verweisen, ihre verbliebenen offenen Ansprüche innerhalb und nach Maßgabe des kollektiven Verfahrensrahmens des Insolvenzverfahrens weiter zu betreiben.

_____________ Freund in: BeckOK-InsO, § 268 Rz. 2; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 268 Rz. 2. Begr. RegE SanInsFoG z. § 79 Abs. 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 169. Stephan in: MünchKomm-InsO, § 260 Rz. 18. Vgl. zur Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplans: Stephan in: MünchKomm-InsO, § 260 Rz. 18. 21) Begr. RegE SanInsFoG z. § 79 Abs. 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 169. 17) 18) 19) 20)

Brackmann

951

22

Kapitel 3 Restrukturierungsbeauftragter Abschnitt 1 Bestellung von Amts wegen § 73 Bestellung von Amts wegen Langer

(1) 1Das Restrukturierungsgericht bestellt einen Restrukturierungsbeauftragten, wenn 1.

im Rahmen der Restrukturierung die Rechte von Verbrauchern oder mittleren, kleinen oder Kleinstunternehmen berührt werden sollen, weil deren Forderungen oder Absonderungsanwartschaften durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen oder die Durchsetzung solcher Forderungen oder Absonderungsanwartschaften durch eine Stabilisierungsanordnung gesperrt werden soll,

2.

der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung beantragt, welche sich mit Ausnahme der nach § 4 ausgenommenen Forderungen gegen alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger richten soll,

3.

der Restrukturierungsplan eine Überwachung der Erfüllung der den Gläubigern zustehenden Ansprüche vorsieht (§ 72).

2 Das Gericht kann im Einzelfall von einer Bestellung absehen, wenn die Bestellung zur Wahrung der Rechte der Beteiligten nicht erforderlich oder offensichtlich unverhältnismäßig ist.

(2) 1Eine Bestellung erfolgt auch, wenn absehbar ist, dass das Restrukturierungsziel nur gegen den Willen von Inhabern von Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften erreichbar ist, ohne deren Zustimmung zum Restrukturierungsplan eine Planbestätigung allein unter den Voraussetzungen des § 26 möglich ist. 2Dies gilt nicht, wenn an der Restrukturierung allein Unternehmen des Finanzsektors als Planbetroffene beteiligt sind. 3Den Unternehmen des Finanzsektors stehen Planbetroffene gleich, die als Rechtsnachfolger in die von Unternehmen des Finanzsektors begründeten Forderungen eingetreten sind oder die mit Forderungen aus geld- oder kapitalmarktgehandelten Instrumenten betroffen werden. 4Den geld- und kapitalmarktgehandelten Instrumenten stehen nicht verbriefte Instrumente gleich, die zu gleichlautenden Bedingungen ausgegeben wurden. (3) Das Gericht kann einen Restrukturierungsbeauftragten bestellen, um Prüfungen als Sachverständiger vorzunehmen, insbesondere 1.

zu den Bestätigungsvoraussetzungen nach § 63 Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 und § 64 Absatz 1 oder

Langer

953

§ 73 2.

Bestellung von Amts wegen

zur Angemessenheit der Entschädigung bei einem Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten oder einer Beschränkung der Haftung von unbeschränkt haftenden Gesellschaftern.

Literatur: Flöther, Der Restrukturierungsbeauftragte: Neue Figur in altbekannten Gewand?, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 48; Frind, Probleme bei der Bestellung und Verwendung des Restrukturierungsbeauftragten aus gerichtlicher Sicht, ZRI 2021, 397; Frind, Überreguliert statt saniert?, ZInsO 2020, 2241; Smid, Zugang von KMU zum StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 64; Smid, Der Restrukturierungsbeauftragte in den Regelungen des StaRUG, ZInsO 2020, 2184; Schulte-Kaubrügger/Dimassi, Der Restrukturierungsbeauftragte nach dem StaRUG, ZIP 2021, 936; Vallender, Die Amtsermittlungspflicht nach dem StaRUG, ZRI 2021, 165; Vallender, Aufgaben und Befugnisse des Restrukturierungsgerichts nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Teil 1), ZInsO 2020, 2579, (Teil 2), ZInsO 2020, 2677. Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: VID, Stellungnahme des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), v. 2.10.2020 (zit.: VID, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020), abrufbar unter https://www.vid.de/ wp-content/uploads/2020/10/VID-Stellungnahme-zum-RefE-SanInsFoG.pdf (Abrufdatum: 25.8.2021). Übersicht I. 1. 2. II. 1. 2. 3. III. 1. 2. IV. V. 1. 2. VI. 1.

2. 3. 4.

954

Normzweck ........................................... 1 Schutz der Beteiligten (Abs. 1, Abs. 2) ... 1 Prüfungsaufgaben als Sachverständiger (Abs. 3) ........................................ 2 Normhistorie ........................................ 3 Normvorgaben der Restrukturierungsrichtlinie ....................................... 3 Richtlinienkonforme Umsetzung ........ 7 Gesetzgebungsverfahren zum StaRUG ............................................... 10 Überblick über den Norminhalt ......... 12 Obligatorischer Restrukturierungsbeauftragter (Abs. 1 und 2) .................. 12 Sachverständiger Restrukturierungsbeauftragter (Abs. 3) ................. 18 Allgemeine Bestellungsvoraussetzungen ................................................. 19 Zeitpunkt der Bestellung .................. 22 Obligatorische Bestellung .................. 22 Sachverständige Bestellung ................. 25 Pflichtbestellungsgründe (Abs. 1 und Abs. 2) ............................ 26 Verbraucher und KMU (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) ........................... 27 a) Verbraucher (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1) .................................. 29 b) KMU (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2) ............................................ 30 c) Ermittlungspflicht des Gerichts ... 38 Allgemeine Stabilisierungsanordnung (Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) .................. 40 Planüberwachung (Abs. 1 Satz 1 Nr. 3) ................................................... 43 Ausnahmen (Abs. 1 Satz 2) ................ 44

5.

Gruppenübergreifender Cramdown (Abs. 2 Satz 1) ........................... 47 6. Ausnahme (Abs. 2 Satz 2 bis 4) ......... 49 VII. Sachverständige Bestellung (Abs. 3) ................................................ 51 1. Amtsermittlungsbefugnis des Gerichts als Bestellungsvoraussetzung ..... 51 2. Abgrenzung zu dem isolierten Sachverständigen nach § 39 Abs. 1 Satz 2 .................................................... 53 3. Gegenstand der Begutachtung ........... 54 a) Entscheidungserhebliche Tatsachen ............................................ 54 b) Regelfälle des Absatz 3 Nr. 1 und Nr. 2 ...................................... 56 VIII. Rechtsfolge ....................................... 59 1. Bestellung ............................................ 59 a) Obligatorischer Restrukturierungsbeauftragter (Abs. 1 und Abs. 2) .......................................... 59 aa) Anforderungsprofil und Auswahlverfahren ............................... 59 bb) Aufgaben und Befugnisse ............ 60 cc) Vergütung, Vorschuss und Kostentragung .............................. 61 b) Sachverständiger Restrukturierungsbeauftragter (Abs. 3) .......... 64 aa) Anforderungsprofil und Auswahlverfahren ............................... 64 bb) Aufgaben und Befugnisse ............ 66 cc) Vergütung, Vorschuss, Kostentragung .......................................... 68 2. Form und Bekanntgabe ....................... 69 3. Rechtsmittel ......................................... 71

Langer

§ 73

Bestellung von Amts wegen

I.

Normzweck

1.

Schutz der Beteiligten (Abs. 1, Abs. 2)

Die obligatorische Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten dient dem Schutz der Planbetroffenen vor rechtswidrigen Eingriffen in deren geschützte Rechtspositionen. Die Norm definiert zu diesem Zwecke schutzwürdige (Personen-)kreise, die der Begleitung einer neutralen Person bedürfen, die ihre Interessen wahrnimmt, bzw. sensible Sachverhalte, die nach Einschätzung des Gesetzgebers zum Schutze aller Beteiligten des Restrukturierungsverfahrens eine Überwachung durch eine neutrale Person erfordern. § 73 steht in engem Normbezug zu § 76, der die Aufgaben formuliert, die dem obligatorisch Bestellten kraft Gesetzes oder kraft richterlicher Anordnung zukommen. In ihrer Wahrnehmung gewährleistet der obligatorische Restrukturierungsbeauftragte in dem normierten Umfang die Zugangsvoraussetzungen zum Restrukturierungsrahmen, die materiellen Anordnungsvoraussetzungen der Restrukturierungsinstrumente sowie die Verfahrensrechte der Beteiligten. 2.

1

Prüfungsaufgaben als Sachverständiger (Abs. 3)

§ 73 Abs. 3 ermöglicht es dem Restrukturierungsgericht, einen sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen, um ihn im Einzelfall und anlassbezogen mit sachverständigen Prüfungen i. R. der Amtsermittlungspflicht des Restrukturierungsgerichts zu beauftragen. Die Gesetzesbegründungen betonen die unterstützende und gerichtsentlastende Funktion des fakultativen Restrukturierungsbeauftragten.1) Die Vorschrift steht in Bezug zur Amtsermittlungspflicht des Gerichts nach § 39 Abs. 1 Satz 1 und erweitert den Katalog der Amtsermittlungsmöglichkeiten des Restrukturierungsgerichts nach § 39 Abs. 1 Satz 2. Die Bestellung eines personenverschiedenen Sachverständigen ist nach den Gesetzesbegründungen2) nicht ausgeschlossen.

2

II. Normhistorie 1.

Normvorgaben der Restrukturierungsrichtlinie

Mit § 73 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 setzt der Gesetzgeber zunächst Art. 5 Abs. 3 lit. a und lit. b Restrukturierungsrichtlinie3) um, die die Fallgruppen vorgeben, in denen obligatorisch zum Schutz der Planbetroffenen ein Restrukturierungsbeauftragter zu bestellen ist. Die Fallgruppe des Art. 5 Abs. 3 lit. c findet sich in § 77 Abs. 1 wieder. Auch wenn § 77 Abs. 1 den auf Antrag des Schuldners und/oder eines Quorums der Gläubiger Bestellten als „fakultativen“ Restrukturierungsbeauftragten bezeichnet, handelt es sich hier um den obligatorischen Bestellungsgrund des Art. 5 Abs. 3 lit. c Restrukturierungsrichtlinie. Denn die Bestellung des „fakultativen“ _____________ 1) 2) 3)

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 171. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 143. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

Langer

955

3

§ 73

Bestellung von Amts wegen

Restrukturierungsbeauftragten nach § 77 Abs. 1 steht nicht im Ermessen des Restrukturierungsgerichts. Die Sprachwahl ist unglücklich. Treffender wäre die Bezeichnung „Antrags-Restrukturierungsbeauftragter“. Im Ermessen des Gerichts steht hingegen die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten nach § 73 Abs. 3, weshalb hier die Bezeichnung als fakultativer Restrukturierungsbeauftragter passender wäre.4) 4

Die Pflichtbestellungsgründe wurden im europäischen Gesetzgebungsverfahren zur Richtlinie überaus kontrovers diskutiert.5) Denn auch weitere Restrukturierungsinstrumente, wie z. B. der Erlass einer individuellen Stabilisierungsanordnung zulasten eines (störenden) Titelgläubigers greifen in geschützte Rechtspositionen der Betroffenen ein; z. B. auch der (nur) in seiner Gruppe widersprechende Planbetroffene hat ein Schutzbedürfnis. Die finale Fassung der Richtlinie stellt mit Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 Restrukturierungsrichtlinie einen Kompromiss dar, der den Mitgliedstaaten in der Umsetzung weiten Spielraum überlässt und eine Erweiterung der Pflichtbestellungsgründe wie auch einzelfallbezogene Entscheidungen ermöglicht.

5

Der deutsche Gesetzgeber hat mit § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 von der Möglichkeit der Erweiterung des Katalogs der Pflichtbestellungsgründe „unter bestimmten Umständen“ nach Art. 5 Abs. 2 Halbs. 2 Restrukturierungsrichtlinie nur zurückhaltend Gebrauch gemacht. Über den Katalog des Art. 5 Abs. 3 Restrukturierungsrichtlinie hinaus sehen § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 lediglich noch zum Schutze von Verbrauchern und/oder KMU und (notwendigerweise) bei einer Planüberwachung die obligatorische Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten vor. Es ist eine gesetzgeberische Entscheidung, die i. Ü. in der Literatur und von den Verbänden angeregten6) weiteren Pflichtbestellungsgründe nicht aufzugreifen und auch dem Gericht keine dem § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO vergleichbare Generalermächtigung zum Schutz der Planbetroffenen zur Verfügung zu stellen. Die Gesetzesbegründungen verhalten sich lediglich zu der Frage, warum die Fallgruppe des moderierenden Restrukturierungsbeauftragten zur Unterstützung bei der Aushandlung und Ausarbeitung des Plans im Falle des klassenübergreifenden Cram-down nicht in den Pflichtkatalog aufgenommen wurde. Zu weiteren (als Pflichtgruppen zurückgewiesenen) Fallgestaltungen verhalten sich die Gesetzesbegründungen nicht.

6

§ 73 Abs. 3 setzt darüber hinaus Art. 5 Abs. 2 Halbs. 1 Restrukturierungsrichtlinie um, wonach die Mitgliedstaaten „im Einzelfall“ fakultativ über die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten entscheiden können. § 73 Abs. 3 macht vom Regelungsinhalt des Art. 5 Abs. 2 Halbs. 1 indes nicht vollumfänglich Gebrauch. Denn § 73 Abs. 3 ist nicht als Generalklausel zum Schutze der Planbetroffenen in allen erforderlichen Einzelfallgestaltungen nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts zu verstehen; nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift ist eine Bestellung nur eingeschränkt zum Zwecke sachverständiger Prüfung, also zur Unterstützung der amtswegigen Ermittlungen des Gerichts möglich. _____________ 4) 5) 6)

956

So auch die Bezeichnung bei Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2684. Morgen in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 5 Rz. 7 ff. Morgen in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 5 Rz. 34 ff.; krit. VID, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020.

Langer

§ 73

Bestellung von Amts wegen

2.

Richtlinienkonforme Umsetzung

Die Vorschriften der §§ 73, 77 Abs. 1 setzen die Vorgaben des Art. 5 Abs. 2, 3 Restrukturierungsrichtlinie richtlinienkonform um. Der Gesetzgeber hat die in Art. 5 Abs. 3 Restrukturierungsrichtlinie genannten Pflichtbestellungsgründe übernommen. Soweit § 73 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 bis 4 Ausnahmetatbestände vorsehen, ist dies von Art. 5 Abs. 3 lit. a Restrukturierungsrichtlinie und von ErwG 31 („sofern in einem solchen Fall ein Verwalter zur Wahrung der Interessen der Parteien erforderlich ist“) gedeckt. Die von § 73 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 bis 4 formulierten Ausnahmetatbestände betreffen Fälle, in denen der Schutzzweck des Art. 5 Abs. 3 Restrukturierungsrichtlinie nicht betroffen ist.

7

Die Aufnahme der weiteren Pflichtbestellungsgründe des § 73 Abs. 1 Nr. 1 und 3 wird durch Art. 5 Abs. 2 Halbs. 2 Restrukturierungsrichtlinie ermöglicht. Eine einzelfallbezogene Bestellung (Art. 5 Abs. 2 Halbs. 1 Restrukturierungsrichtlinie) ist den Restrukturierungsgerichten nach § 73 Abs. 3 fakultativ möglich, allerdings beschränkt auf eine sachverständig das Gericht unterstützende Funktion ohne die Möglichkeit der Zuweisung eigener Überwachungsaufgaben nach § 76. Da § 73 Abs. 2 Satz 1 nicht als Generalklausel für alle erforderlichen Einzelfälle zu verstehen ist, ließe sich hier an eine unmittelbare Geltung der Restrukturierungsrichtlinie denken.

8

Soweit der Gesetzgeber sich in den Gesetzesbegründungen7) wohl durch die Formulierung in Art. 2 Abs. 1 Nr. 12 lit. a Restrukturierungsrichtlinie und ErwG 31 Restrukturierungsrichtlinie („Zur Unterstützung der Parteien bei der Aushandlung und Ausarbeitung eine Restrukturierungsplans sollten die Mitgliedstaaten die zwingende Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten vorsehen, wenn …“) veranlasst sah, zu der zwingenden Bestellung eines moderierenden Restrukturierungsbeauftragten im Falle des klassenübergreifenden Cram-down Ausführungen zu machen, bestehen keine Bedenken hinsichtlich einer richtlinienkonformen Ausgestaltung. Denn Art. 5 Abs. 3 lit. b Restrukturierungsrichtlinie spricht lediglich von einer Bestätigung des Restrukturierungsplans im Wege eines klassenübergreifenden Cram-down nach Art. 11 Restrukturierungsrichtlinie und lässt dem Wortlaut nach durchaus die Lesart zu, dass die obligatorische Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten in dieser Fallgruppe (ausschließlich) zum Zwecke der Überwachung des Verfahrens erfolgt,8) während es zu Zwecken der Moderation eines Schuldnerund/oder Gläubigerantrags (wie in § 77 Abs. 1 vorgesehen) bedarf mit dem in § 79 beschriebenen koordinierenden und moderierenden Aufgabenkreis. Letztlich wird sich in der praktischen Ausgestaltung der Tätigkeit die überwachende von der moderierenden schwerlich abgrenzen lassen, ist doch der zur Überwachung eingesetzte Restrukturierungsbeauftragte nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 z. B. auch mit einer Klärung der Stimmrechte im Streitfall betraut, eine wohl eher moderierende Aufgabe.9) ErwG 31 Restrukturierungsrichtlinie zieht die der Tätigkeit des Restrukturierungsbeauftragten zumindest im Kern ohnehin immanente unterstützende und

9

_____________ 7) 8) 9)

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 171. So auch Morgen in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 5 Rz. 32. Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2685.

Langer

957

§ 73

Bestellung von Amts wegen

moderierende Funktion wohl nur „vor die Klammer“ der dann folgenden Pflichtbestellungsgründe. 3.

Gesetzgebungsverfahren zum StaRUG

10

Im deutschen Gesetzgebungsverfahren zum StaRUG hat die Vorschrift zwei Änderungen erfahren. Zum einen ist der noch im RefE vorgesehene Pflichtbestellungsgrund des § 77 Abs. 1 Nr. 3 weggefallen, der eine obligatorische Bestellung bei einem Antrag auf Vertragsbeendigung und bei einem beabsichtigten Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten vorsah. Der Gesetzgeber hat sich gegen den Baustein der Vertragsbeendigung entschieden; für den Fall eines Eingriffs in gruppeninterne Drittsicherheiten sieht § 73 Abs. 3 nunmehr die Möglichkeit der Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständigen zur Unterstützung der gerichtlichen Prüfungen vor.

11

Zum anderen hat der Gesetzgeber in Abweichung zum RefE § 73 Abs. 3 nunmehr als allgemeine Anordnungsbefugnis zur Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten zum Zwecke der Prüfung als Sachverständiger ausgestaltet und zählt nur noch beispielhaft, „insbesondere“, zwei Fallgestaltungen auf, in denen nach der gesetzgeberischen Wertung dann wohl regelmäßig ein Restrukturierungsbeauftragter als Sachverständiger mit den Prüfungen zum Zwecke der Vorbereitung gerichtlicher Entscheidung zu bestellen sein dürfte. III. Überblick über den Norminhalt 1.

Obligatorischer Restrukturierungsbeauftragter (Abs. 1 und 2)

12

§ 73 Abs. 1 und 2 normieren, in welchen Fällen das Restrukturierungsgericht einen Restrukturierungsbeauftragten von Amts wegen bestellen muss. Der Gesetzgeber bedient sich der Systematik verschachtelter Regel- und Ausnahmetatbestände.

13

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 – 3, Abs. 2 ist grundsätzlich in den nachfolgenden Fällen obligatorisch ein Restrukturierungsbeauftragter zu bestellen:

14



der Restrukturierungsplan berührt die Rechte planbetroffener Verbraucher und/ oder KMU (§ 73 Abs. 1 Nr. 1),



der Schuldner beantragt eine generelle Stabilisierungsanordnung (§ 73 Abs. 1 Nr. 2),



der Restrukturierungsplan sieht eine Planüberwachung vor (§ 73 Abs. 1 Nr. 3),



der Restrukturierungsplan ist absehbar nur gegen den Willen Planbetroffener im Wege eines klassenübergreifenden Cram-down durchsetzbar (§ 73 Abs. 2 Satz 1), wobei ausnahmsweise von einer Bestellung abgesehen werden kann, wenn nur Unternehmen des Finanzsektors betroffen sind (§ 73 Abs. 2 Satz 2 bis 4).

§ 73 Abs. 1 Satz 2 enthält zwei (weitere) Ausnahmetatbestände zu einer Pflichtbestellung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 – 3, nämlich wenn die Bestellung –

zur Wahrung der Rechte der Beteiligten nicht erforderlich oder



offensichtlich unverhältnismäßig ist.

958

Langer

§ 73

Bestellung von Amts wegen

Die Regelungen in § 73 Abs. 1 und 2 stehen in engem Normbezug zu § 76, der die kraft Gesetzes bzw. kraft richterlicher Anordnung zu gewährenden Aufgaben des obligatorischen Restrukturierungsbeauftragten zum Schutz der Beteiligten normiert. Zur Verdeutlichung der Zielsetzung der Pflichtbestellungsgründe des § 73 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 2 lassen sich die Aufgaben des Pflichtbestellten10) wie folgt einteilen:

15

Zur Gewährleistung der Zugangsvoraussetzungen zum Rahmen sowie der materiellen Anordnungsvoraussetzungen der Restrukturierungsinstrumente zum Schutze der Beteiligten obliegen dem obligatorischen Restrukturierungsbeauftragten folgende Aufgaben:

16



kraft Gesetzes: Anlassbezogene Kenntnisanzeige von Aufhebungsgründen der Restrukturierungssache nach § 33 (§ 76 Abs. 1),



kraft Gesetzes: Fortlaufende Prüfungspflichten nach Erlass einer generellen Stabilisierungsanordnung (§ 76 Abs. 3 Nr. 1) und das Recht zur Beantragung der Aufhebung der Anordnung (§ 76 Abs. 3 Nr. 2),



kraft Gesetzes: Berichtspflichten i. R. der Prüfung der Planbestätigungsvoraussetzungen nach §§ 63, 64 (§ 76 Abs. 4),



kraft gesonderter Anordnung: Prüf- bzw. Überwachungspflichten bzgl. der wirtschaftlichen Lage und der Geschäftsführung des Schuldners, die Übernahme der Kassenführungspflicht, die Pflicht zur Entgegennahme von Zahlungsanzeigen oder Zustimmungspflichten zu Zahlungen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes vergleichbar einem Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren (§ 76 Abs. 2 Nr. 2 und 3).

Zur Gewährleistung des Verfahrensrechts zum Schutz der Beteiligten sind dem obligatorischen Restrukturierungsbeauftragten kraft Gesetzes folgende Aufgaben übertragen: –

die Wahl des Abstimmungsverfahrens und die Leitung und Dokumentation der Versammlung der Planbetroffenen (§ 76 Abs. 2 Nr. 1),



die Prüfung der Rechte der Planbetroffenen und ein Hinwirken auf eine gerichtliche Stimmrechtsentscheidung im Streitfall zur Klärung der Stimmrechte im Abstimmungsverfahren (§ 76 Abs. 2 Nr. 2).

2.

Sachverständiger Restrukturierungsbeauftragter (Abs. 3)

§ 73 Abs. 3 normiert, dass das Restrukturierungsgericht einen Restrukturierungsbeauftragten i. R. amtswegiger Ermittlungen bestellen kann, um als Sachverständiger Prüfungen vorzunehmen, und zwar insbesondere zur Überprüfung der Planbestätigungsvoraussetzungen des §§ 63, 64 (§ 73 Abs. 3 Nr. 1) und/oder zur Angemessenheit einer Entschädigung zum Ausgleich eines Eingriffs in gruppeninterne Drittsicherheiten oder der Beschränkung der Haftung von unbeschränkt haftenden Gesellschaftern (§ 73 Abs. 3 Nr. 2). _____________ 10) Ausführlich vgl. die Kommentierung zu § 76; Vallender, ZInsO 2020, 2677 ff.; Smid; ZInsO 2020, 2184 ff.; Flöther, NZI Beilage 1 z. Heft 5/2021, S. 48 ff.

Langer

959

17

18

§ 73

Bestellung von Amts wegen

IV. Allgemeine Bestellungsvoraussetzungen 19

Die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten setzt eine Anzeige des Restrukturierungsvorhabens durch eine restrukturierungsfähigen Schuldner nach §§ 30, 31 Abs. 1 und Abs. 2 mit der Folge der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache nach § 31 Abs. 3 voraus.11)

20

Die in der Anzeige nach § 31 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 anzugebenden Informationen sind Grundlage der Bestellungsentscheidung des Restrukturierungsgerichts.12) Ihnen ist zu entnehmen, ob die Rechte von Verbrauchern und KMU durch den Restrukturierungsplan berührt werden (Pflichtbestellungsgrund nach § 73 Abs. 1 Nr. 1) oder ob damit zu rechnen ist, dass das Restrukturierungsziel nur gegen den Widerstand einer zu bildenden Gruppe durchgesetzt werden kann (Pflichtbestellungsgrund nach § 73 Abs. 2).

21

Unklar ist nach dem Wortlaut des § 31 Abs. 3, ob die Restrukturierungssache auch dann rechtshängig wird, wenn die der Anzeige nach § 31 Abs. 2 beizufügenden Unterlagen und Informationen unvollständig sind. Das Restrukturierungsgericht trifft aufgrund der Anzeige keine Zulassungsentscheidung.13) Die Anzeige wird als „zuständigkeitsrechtlicher Anknüpfungspunkt“ erst für spätere Verfahrenshilfen verstanden, als „verfahrensrechtliches Band“.14) Sie soll dem Gericht lediglich ermöglichen, sich mit der Restrukturierungssache vertraut zu machen und sich auf eilige Anträge vorzubereiten.15) Selbst die örtliche Zuständigkeit ist nach der Gesetzesbegründung (erst) spätestens in dem Zeitpunkt der Inanspruchnahme eines Restrukturierungsinstruments zu prüfen.16) Auch wenn nach dem Wortlaut der Vorschrift offen ist, wie im Fall der Unvollständigkeit der Anzeige zu verfahren ist, ist nach Sinn und Zweck im Wege der gerichtlichen Beanstandung darauf hinzuwirken, dass die zur Prüfung der Pflichtbestellung des Restrukturierungsbeauftragten erforderlichen Informationen zeitnah erteilt werden. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Wahl des Abstimmungsverfahrens, das im Falle der obligatorischen Bestellung nach § 76 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 oder Abs. 2 dem Restrukturierungsbeauftragten obliegt, von entscheidender Bedeutung. Liegen die Informationen erst nach der Abstimmung vor, ist ein bereits in Regie des Schuldners durchgeführtes Abstimmungsverfahren nach der gesetzlichen Regelung nicht unwirksam bzw. zu wiederholen. Wohl kommt die Aufhebung des Verfahrens nach § 33 Abs. 1 Nr. 3 bei Nachweis eines schwerwiegenden Verstoßes in Betracht.17) Das Vorenthalten von Informationen an dieser Stelle birgt mithin Missbrauchsgefahren.

_____________ Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2684. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 134. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 133. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 131; Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2583. 15) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 131. 16) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 138. 17) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 170. 11) 12) 13) 14)

960

Langer

§ 73

Bestellung von Amts wegen

V. Zeitpunkt der Bestellung 1.

Obligatorische Bestellung

Enthält die Anzeige des Schuldners Informationen nach § 31 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3, ist die Entscheidung über die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten in den Fällen des § 73 Abs. 1 Nr. 1 (Verbraucher und/oder KMU) oder § 73 Abs. 2 (klassenübergreifender Cram-down) bereits zeitnah nach der Anzeige zu treffen, auch wenn der Schuldner noch kein Instrument nach § 29 Abs. 2 beantragt hat. Denn der Restrukturierungsbeauftragte hat jedenfalls zum Schutz der Rechte der Beteiligten bereits Aufgaben i. R. des Abstimmungsverfahrens (§ 76 Abs. 2 Nr. 1) und zur Vorbereitung der Abstimmungsentscheidung (§ 76 Abs. 4) zu übernehmen, auch ohne dass ein Antrag auf Planbestätigung nach § 29 Abs. 2 Nr. 4, §§ 60 ff. gestellt ist. Ist ausnahmsweise nach § 73 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 bis 4 von einer Bestellung abgesehen worden, ist es denkbar, dass sich später das Erfordernis einer Bestellung zum Schutz der Rechte der Betroffenen zeigt. Das Restrukturierungsgericht wird die Bestellung dann nachholen. Es fragt sich, wie zu verfahren ist, wenn erst die Abstimmung ein widersprechendes Votum des Beteiligten zeigt und nur noch die Bestätigungsentscheidung des Restrukturierungsgerichts ansteht. Mit der Abstimmung haben sich die Aufgaben des Pflichtbestellten nach §§ 76 Abs. 2 Nr. 1 durch Zeitablauf erledigt. Allerdings verbleibt die Aufgabe des Pflichtbestellten nach § 76 Abs. 4 in Vorbereitung auf die Bestätigungsentscheidung des Gerichts, auch wenn das Gericht zu seiner Unterstützung einen sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten nach § 73 Abs. 3 bestellen könnte.

22

Im Falle des § 73 Abs. 1 Nr. 2 liegt der Pflichtbestellungsgrund entgegen dem Wortlaut der Norm erst nach Erlass der generellen Stabilisierungsanordnung vor. Nach dem Wortlaut ist im Falle des § 73 Abs. 1 Nr. 2 der Beauftragte zu bestellen, wenn eine generelle Stabilisierungsanordnung beantragt wird, also unmittelbar nach Antragseingang bei Gericht. Offen bleibt dann aber, mit welchem Aufgabenkreis. Denn der nach § 76 Abs. 3 Nr. 1 beschriebene Aufgabenkreis der fortlaufenden Prüfung fortbestehender Anordnungsvoraussetzungen setzt begriffsnotwendig den Erlass der Anordnung voraus. Den Gesetzesbegründungen ist zu entnehmen, dass das Gericht bei Prüfung der Antragsvoraussetzungen „nur eine Plausibilitätskontrolle der Restrukturierungsplanung“ durchzuführen (hat) und eine Stabilisierungsanordnung nicht erst nach „langwieriger Prüfung ergehen (können solle), für die gegebenenfalls sogar die Einschaltung eines Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständiger erforderlich wäre“.18) Der Gesetzgeber geht also nicht davon aus, dass die Anordnungsvoraussetzungen vor dem Erlass der Stabilisierungsanordnung zwingend von einem Restrukturierungsbeauftragten zu prüfen sind. Danach kann das Gericht nach Antragseingang bei Anlass ggf. einen sachverständigen Restrukturierungsbeauftragen nach § 73 Abs. 3 i. R. bereits einsetzender Amtsermittlungen bestellen, ist aber entgegen dem Wortlaut des § 73 Abs. 1 Nr. 2 der Norm hierzu nicht verpflichtet.

23

Im Fall des § 73 Abs. 1 Nr. 3 (Planüberwachung) ist fraglich, ob der Restrukturierungsbeauftragte bereits zu bestellen ist, sobald das Planangebot vorliegt und eine _____________

24

18) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155.

Langer

961

§ 73

Bestellung von Amts wegen

Planüberwachung durch einen Restrukturierungsbeauftragten vorsieht. Denkbar wäre mit Blick auf mögliche Planänderungen, die auch die Planüberwachungsklausel betreffen könnten, die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten erst nach Planannahme bzw. rechtskräftiger Planbestätigung. Für eine frühzeitige Bestellung bereits nach Unterbreitung des Planangebots spricht aber, dass die Planüberwachung durch einen Restrukturierungsbeauftragten nach § 72 die Bereitschaft einer konkreten Person zur Übernahme des Amtes voraussetzt. Misslich wäre, der Plan enthielte eine Überwachungsklausel, es fände sich aber nach Planannahme bzw. Planbestätigung keine zur Übernahme des Amtes geeignete und bereite Person. Hinzu kommt, dass der Restrukturierungsbeauftragte nur bei frühzeitiger Bestellung die Möglichkeit hat, im Wege der Stellungnahme auf die inhaltliche Ausgestaltung der Überwachungsklausel mit Blick auf die praktische Umsetzbarkeit nach Planannahme Einfluss zu nehmen. 2. 25

Sachverständige Bestellung

Der Zeitpunkt der Bestellung des sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten nach § 73 Abs. 3 liegt im freien Ermessen des Gerichts und kann nach Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache jederzeit erfolgen, sobald das Gericht Anlass zur Aufnahme von Amts wegen durchzuführenden Ermittlungen hat und hierzu auf eine unterstützende Tätigkeit des Sachverständigen angewiesen ist (siehe Rz. 51 ff.). VI. Pflichtbestellungsgründe (Abs. 1 und Abs. 2)

26

Die Bestellungstatbestände der §§ 73 Satz 1 Abs. 1 und Abs. 2 sehen ein verschachteltes System von Regel- und Ausnahmetatbeständen vor. 1.

Verbraucher und KMU (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1)

27

Auslösetatbestand für die Pflichtbestellung ist die Beteiligung von Verbrauchern und KMU am Restrukturierungsverfahren. Die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten erfolgt im Falle des § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zum Schutz der bedürftigen Planbetroffenen, die – so die „Grundannahme“ des Gesetzgebers – nicht in der Lage sind, „ihre Interessen und Rechte wirksam zur Geltung zu bringen, untereinander auszuhandeln und … zu einem vernünftigen und angemessen Ergebnis zu kommen“.19) Zudem werde der Wert des betroffenen Rechts „in einem Missverhältnis zum Aufwand einer aktiven Teilnahme am Verfahren und insbesondere des Einsatzes von Beratern (stehen)“.20) Der Restrukturierungsbeauftragte ist die „neutrale Instanz, welche die Interessen dieser typischerweise schutzwürdigen Gläubiger wahrnimmt.“21)

28

Der persönliche Anwendungsbereich der Norm ist eröffnet, wenn es sich bei einem Planbeteiligten um einen Verbraucher und/oder um ein mittleres, kleines oder Kleinstunternehmen (KMU) handelt. Dem sachlichen Anwendungsbereich stellt die Norm darauf ab, dass ein Recht des Verbrauchers und/oder KMU „berührt“ ist. Dies ist nach dem Wortlaut der Fall, wenn deren Forderungen oder Absonderungs_____________ 19) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 170. 20) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 92. 21) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 170.

962

Langer

§ 73

Bestellung von Amts wegen

anwartschaften durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden oder die Durchsetzbarkeit des Rechts durch eine Stabilisierungsanordnung gesperrt werden soll. Auslösetatbestand ist mithin jede Betroffenheit eines i. S. der §§ 2 ff. gestaltbaren Rechtsverhältnisses eines Planbetroffenen, das Gegenstand einer angedachten Planregelung bzw. einer Stabilisierungsanordnung ist. a) Verbraucher (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1) Weder die Restrukturierungsrichtlinie noch die Vorschrift definiert den Begriff des Verbrauchers. Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 Restrukturierungsrichtlinie enthält aber eine Definition des „Unternehmers“, nämlich „eine natürliche Person, die eine gewerbliche, geschäftliche, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit“ ausübt. Im Umkehrschluss dazu ist Verbraucher i. S. des StaRUG eine natürliche Person, die aktuell keine gewerbliche, geschäftliche, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit ausübt. Dem Schutzzweck der Norm entsprechend ist für die Verbrauchereigenschaft nicht auf den Zweckzusammenhang der berührten und zu gestalten beabsichtigten Rechtsposition abzustellen, also ob das berührte Recht von der natürlichen Person in einem privaten oder unternehmerischen Bereich begründet worden ist, wie dies z. B. bei § 13 BGB der Fall ist, sondern allein darauf, ob die natürliche Person überhaupt eine unternehmerische Tätigkeit ausübt.22)

29

b) KMU (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2) Auch der Begriff des mittleren, kleinen oder Kleinstunternehmens ist weder in der Restrukturierungsrichtlinie noch in § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 geregelt. Nach der Definition der Kommission23) zählt ein Unternehmen zu den KMU, wenn es nicht mehr als 249 Beschäftigte hat und einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. € erwirtschaftet oder eine Bilanzsumme von maximal 43 Mio. € aufweist. Art. 2 Abs. 2 Restrukturierungsrichtlinie stellt aber klar, dass für die Zwecke der Richtlinie der Begriff der KMU i. S. des nationalen Rechts zu verstehen ist. Mangels nationaler Regelung des Begriffs der KMU bietet sich daher – wie auch in § 22 a Abs. 1 InsO geschehen – eine Anlehnung an die Größenklassen der §§ 267, 267a HGB für kleine, mittelgroße Kapitalgesellschaften und Kleinstkapitalgesellschaften an.24) Abgestellt auf die (maximalen) Größenklassen für mittelgroße Kapitalgesellschaften nach § 267 Abs. 2 HGB ist damit zwingend ein Restrukturierungsbeauftragter zu bestellen, wenn das planbetroffenen Unternehmen zwei der drei nachfolgenden Kriterien erfüllt: –

weniger als 20 Mio. € Bilanzsumme nach Abzug eines auf der Aktivseite ausgewiesenen Fehlbetrages i. S. des § 268 Abs. 3 HGB,

_____________ 22) A. A. Braun-Blümle/Erbe, StaRUG, § 73 Rz. 5, Schulte-Kaubrügger/Dimassi, ZIP 2021, 936, 937, die auf den Verbraucherbegriff des § 13 BGB abstellen. 23) Kommission, Empfehlung v. 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, ABl. (EU) L 124/36 v. 20.5.2003. 24) Dagegen abstellend auf die Kommissionsdefinition: Smid, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 64, und Braun-Blümle/Erbe, StaRUG, § 73 Rz. 5; Schulte-Kaubrügger/Dimassi, ZIP 2021, 936, 937.

Langer

963

30

§ 73

Bestellung von Amts wegen



weniger als 40 Mio. € Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag,



weniger als im Jahresdurchschnitt 250 Mitarbeiter.

31

Diese Kriterien entsprechen den Kriterien des § 22a Abs. 1 InsO,25) so dass der Restrukturierungsrichter in der Rechtsanwendung ein bekanntes Feld betritt. In der Literatur wird streitig diskutiert, ob dem Wortlaut des § 22a Abs. 1 InsO entsprechend auf die Werte des vorangegangenen Geschäftsjahres abzustellen ist26) oder im Wege der teleologischen Auslegung auf die Werte der letzten zwölf Monate vor Insolvenzantragstellung.27) Unternehmen existieren unter ständiger Veränderung der gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die ständige Marktanpassungen erfordern. Bei einem Abstellen auf die Unternehmenswerte des vorangegangenen Geschäftsjahres (und z. B. Antragstellung am 30.12.2020 bei Bilanzstichtag 31.12.) kann dieser Zeitraum bis zu ein Jahr zurückliegen und die aktuelle Situation des Unternehmens ggf. nicht mehr zutreffend abbilden. Die Kriterien „Umsatzerlöse“ und „Arbeitnehmer“ lassen sich ohne besondere Schwierigkeiten aktuell erfragen. Da das Gesetz schweigt und es nach dem Sinn und Zweck des § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 auf die aktuelle Schutzbedürftigkeit des Betroffenen ankommt, ist auf möglichst aktuelle Unternehmenswerte abzustellen und mithin auf einen Zeitraum von zwölf Monaten vor Anzeige der Restrukturierungssache.

32

Die Bilanzsumme wie der hiervon in Abzug zu bringende nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag ist dem Jahresabschluss zu entnehmen. Veröffentlichte Bilanzen und weitere zugängliche Unternehmensdaten sind auf der vom Bundesanzeiger Verlag GmbH im Auftrag des BMJV gemäß § 8 b i. V. m. § 9a HGB geführten Internetseite www.unternehmensregister.de elektronisch abrufbar. Auch wenn der Jahresabschluss noch nicht erstellt ist, verfügt das Unternehmen mitunter bereits über eine Entwurfsfassung oder Daten aus der Buchhaltung. Anhaltspunkte für eine Schätzung28) kann auch der letzte vorliegende Jahresabschluss liefern.

33

Gemäß § 277 Abs. 1 HGB sind Umsatzerlöse die Erlöse aus dem Verkauf und der Vermietung oder Verpachtung von Produkten sowie aus der Erbringung von Dienstleistungen der Kapitalgesellschaft nach Abzug von Erlösschmälerungen und der Umsatzsteuer sowie sonstiger direkt mit dem Umsatz verbundener Steuern. Die Umsatzerlöse sind der Buchhaltung des Unternehmens (Betriebswirtschaftliche Auswertungen, BWA) zu entnehmen. Pandemiebedingte Einbrüche der Umsatzerlöse sind zu berücksichtigen.

_____________ 25) Der allerdings auf das Erreichen der Größenklassen für kleine Kapitalgesellschaften nach § 267 Abs. 1 HGB abstellt. 26) Z. B. Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22a Rz. 12. 27) Bogumil/Pollmächer in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch Gläubigerausschuss, B. Rz. 15 f.; K. Schmidt-Hölzle, InsO, § 22a Rz. 19. 28) zu der Möglichkeit einer Schätzung zu § 22a InsO: Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22a Rz. 15, K. Schmidt-Hölzle, InsO, § 22a Rz. 17, AG Essen, Beschl. v. 25.3.2015 – 166 IN 22/15, juris.

964

Langer

§ 73

Bestellung von Amts wegen

Nach der Rechtsprechung des BAG29) ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags in den Diensten eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Arbeitnehmer sind mithin auch Teilzeitkräfte, Auszubildende, geringfügig Beschäftigte, unselbständige Handelsvertreter, wegen Mutterschutz beurlaubte Arbeitnehmerinnen sowie vergütete Praktikanten und Volontäre.30)

34

Kein Arbeitnehmer ist, wer kein Arbeitsentgelt aus einer abhängigen Beschäftigung vom Unternehmen bezieht, z. B. Personen in einer Eingliederung nach § 16d SGB II („1-Euro-Jobs“), Arbeitnehmer in Elternzeit, Leiharbeitnehmer i. S. des AÜG und freie Mitarbeiter.31)

35

Der angestellte Geschäftsführer ist jedenfalls dann als Arbeitnehmer anzusehen, wenn er nicht am Stammkapital beteiligt ist.32)

36

Die jahresdurchschnittliche Arbeitnehmerzahl ist gemäß § 267 Abs. 5 HGB ist zu errechnen aus dem Durchschnitt der jeweils zum kalendermäßigen Quartalsende beschäftigten Arbeitnehmer, einschließlich der im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer, jedoch ohne Berücksichtigung der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Die Durchschnittszahl entspricht damit dem Viertel der addierten Vierteljahresstichtagszahlen. Zum Teil wird bei Teilzeitkräften eine analoge Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG vertreten.33) Pandemiebedingt rückgängige Arbeitnehmerzahlen sind zu berücksichtigen.

37

c) Ermittlungspflicht des Gerichts Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 sind von dem Gericht von Amts wegen zu ermitteln, sofern Anlass zu der Annahme besteht, dass die Rechte von Verbrauchern oder KMU betroffen sind. Hat der Schuldner in seiner Anzeige nach § 31 Abs. 2 Satz 2 Angaben zu einer Beteiligung von Verbrauchern und KMU gemacht, dürfte den Angaben des Schuldners in der Regel zu folgen sein, denn die Bestellung liegt zuvörderst im Interesse der Beteiligten, so dass mit falschen Angaben nicht zu rechnen ist.

38

Hat der Schuldner in der Anzeige angegeben, dass keine Rechte von Verbrauchern und KMU betroffen sind, lassen sich seine Angaben spätestens nach Planeinreichung anhand der Informationen zu den Verbindlichkeiten (§ 14 Abs. 2 und Nr. 2 der Anlage zu § 5 Satz 2) plausibilisieren. Es ist zu erwarten, dass es für den Schuldner aus tatsächlichen Gründen nicht immer möglich ist, valide Angaben zu den persönlichen Tatbestandsvoraussetzungen zu machen. Sind die sensiblen Unter-

39

_____________ 29) Z. B. BAG, Beschl. v. 17.9.2014 – 10 AZB 43/14, juris. 30) Bogumil/Pollmächer in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch Gläubigerausschuss, B. Rz. 28. 31) Bogumil/Pollmächer in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch Gläubigerausschuss, B. Rz. 28. 32) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22a Rz. 19; weitergehend Bogumil/Pollmächer in: Göb/ Schnieders/Mönig, Praxishandbuch Gläubigerausschuss, B. Rz. 28, sofern unter 50 % der Anteile gehalten werden und keine Sperrminorität besteht. 33) K. Schmidt-Hölzle, InsO, § 22a Rz. 20; eingehend Bogumil/Pollmächer in: Göb/Schnieders/ Mönig, Praxishandbuch Gläubigerausschuss, B. Rz. 31.

Langer

965

§ 73

Bestellung von Amts wegen

nehmensdaten nicht allgemein zugänglich, so ist der Schuldner auf die freiwilligen Angaben des Planbetroffenen samt Überreichung plausibilisierender Unterlagen angewiesen. Die Planbetroffenen sind weder dem Schuldner noch dem Gericht gegenüber auskunftspflichtig. Eine missliche Situation, die sich im Ergebnis nur dahin lösen lässt, dass der Schuldner seine Bemühungen um Aufklärung in der Anzeige nach § 31 darlegt und das Restrukturierungsgericht die infrage kommenden Betroffenen nach Eingang der Anzeige und Freigabe durch den Schuldner bzw. spätestens nach Planzustellung zur Angabe einer Erklärung auffordert. Kommen dem Betroffenen der Aufforderung nicht nach, ist im Zweifel davon auszugehen, dass sie auf eine Begleitung durch einen Restrukturierungsbeauftragten im Verfahren verzichten und der Ausnahmetatbestand des § 73 Abs. 1 Satz 2 erfüllt ist. 2.

Allgemeine Stabilisierungsanordnung (Abs. 1 Satz 1 Nr. 2)

40

Auslösetatbestand für die zwingende Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten ist eine gegen alle bzw. im Wesentlichen alle Gläubiger gerichtete Vollstreckungsoder Verwertungssperre. Die Bestellung erfolgt, weil „in einem solchen Fall … die Restrukturierungssache das Gepräge eines insolvenzähnlichen Quasi-Gesamtverfahrens (annimmt).“34)

41

Ob alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger von der Stabilisierungsanordnung betroffen sind, lässt sich aus einem Vergleich zwischen der Aufstellung aller (nicht nur der planbetroffenen) Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt der Planvorlage gemäß der Anlage zum Restrukturierungsplan (Nr. 2 der Anlage zu § 5 Satz 2) und dem im Antrag auf Erlass der Stabilisierungsanordnung gemäß § 50 Abs. 1 zu benennenden Adressatenkreis der Anordnung entnehmen. Liegt ein Restrukturierungsplan im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht vor, fordert das Gericht zur Entscheidung über die Stabilisierungsanordnung eine Gläubigerliste an.

42

Eine Wesentlichkeitsgrenze nennt das Gesetz nicht. Für die Frage, wann im Wesentlichen alle Gläubiger adressiert sind, kommt dem Gericht damit ein Beurteilungsspielraum zu. Der maßgebliche Anteil der adressierten Gläubiger an der Gläubigergesamtheit sollte angesichts des Schutzzweck der Norm nicht nur an dem Kopfanteil, worauf der Wortlaut hindeutet, sondern unter Berücksichtigung der Gesamtsituation des Schuldners bemessen werden. Ist die Anzahl der vollstreckenden Titelgläubiger beträchtlich, die Höhe ihrer Forderungen hoch und finden Vollstreckungen bereits seit geraumer Zeit statt (und nicht erst als Reaktion auf die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens), so spricht dies typischerweise dafür, dass die wirtschaftliche Situation des Schuldners bereits von dem Vollstreckungsdruck und dem Wettlauf der Gläubiger bestimmt ist. Dies deutet typischerweise bereits auf das in naher Zukunft bevorstehende Insolvenzereignis hin, so dass das Restrukturierungsverfahren bereits das Gepräge eines Gesamtvollstreckungsverfahrens annimmt und eine Überwachung des Schuldners zum Schutz der Beteiligten angezeigt ist.

_____________ 34) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 170.

966

Langer

§ 73

Bestellung von Amts wegen

3.

Planüberwachung (Abs. 1 Satz 1 Nr. 3)

Auslösetatbestand für die Pflichtbestellung ist, dass der Restrukturierungsplan eine Planüberwachung i. S. des § 72 vorsieht. 4.

43

Ausnahmen (Abs. 1 Satz 2)

Das Restrukturierungsgericht kann von einer Pflichtbestellung des Beauftragten in den Fällen nach § 73 Abs. 1 Satz 1 gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 abgesehen werden, wenn eine Bestellung zur Wahrung der Rechte der Beteiligten nicht erforderlich oder offensichtlich unverhältnismäßig ist. Insbesondere der Pflichtbestellungsgrund des § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 – Beteiligung von KMU – wird häufiger verwirklicht sein, so dass bereits Befürchtungen geäußert werden, die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten könne zum Regelfall35) des Restrukturierungsverfahrens werden. Den beiden Ausnahmetatbeständen des § 73 Abs. 1 Satz 2 kommt damit eine besondere Bedeutung zu. Den Gesetzesbegründungen ist zu entnehmen, dass das Restrukturierungsverfahren „den Beteiligten im Vergleich zum Insolvenzverfahren weitergehende Spielräume für die privatautonome Organisation des Planerstellungs-, Aushandlungs- und Abstimmungsprozesses ein(räumt)“.36) Verhandlungen und Abstimmungsprozesse in Restrukturierungsverfahren unter Beteiligung von Verbrauchern und KMU werden nach dem gesetzgeberischen Willen aber im Regelfall von einem gerichtlich bestellten und beaufsichtigten Restrukturierungsbeauftragten „begleitet“ bzw. Abstimmungsprozesse von ihm gestaltet, so dass ein privatautonom geführtes und vertraglich geprägtes Restrukturierungsverfahren an dieser Stelle Einschränkungen unterliegt.37) Die vom Gesetzgeber formulierten Ausnahmetatbestände sind daher eng auszulegen.

44

Ob eine Pflichtbestellung des Restrukturierungsbeauftragten nicht erforderlich ist, ist an dem Schutzzweck des Pflichtbestellungsgrundes zu messen. Der Schutzzweck der Norm ist nicht betroffen, wenn der der Planbetroffene, der sogar auf sein Recht an sich verzichten kann, auf eine Pflichtbestellung des Beauftragten zum Schutz seiner Rechte verzichtet. Der Schutzzweck der Norm ist auch nicht betroffen, wenn die Beteiligten in ihrer Person nach Überzeugung des Gerichts keines Schutzes bedürfen, sprich im Falle des § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 aufgrund eigener Kenntnisse oder Erfahrungen oder aufgrund der Beratung durch einen erfahrenen Insolvenz- oder Restrukturierungsexperten in der Lage sind, ihre Interessen und Rechte im Restrukturierungsverfahren selbst wahrzunehmen.

45

Unverhältnismäßig ist die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten im konkreten Einzelfall, wenn die im Wege der Schätzung zu ermittelnde Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten nach §§ 80 ff. außer Verhältnis zu dem Wert des planbetroffenen Rechts des Beteiligten steht. Des Weiteren ist die Bestellung unverhältnismäßig, wenn der dem Restrukturierungsplan zugrunde liegende Sachverhalt (z. B. nach der Größe des schuldnerischen Unternehmens, nach Maßgabe der Anzahl der Beteiligten und des Regelungsinhalts des Plans) überschaubar ist und

46

_____________ 35) Frind, ZInsO 2020, 2241, 2247; Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2684. 36) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 89. 37) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 91 ff.

Langer

967

§ 73

Bestellung von Amts wegen

der Schuldner ein gerichtliches Erörterungs- und Abstimmungsverfahrens nach § 45 wählt, so dass die Verfahrensrechte der Beteiligten im Abstimmungsverfahren von dem Restrukturierungsgericht gewährleistet werden können. 5.

Gruppenübergreifender Cram-down (Abs. 2 Satz 1)

47

Auslösetatbestand Pflichtbestellungsgrundes des § 73 Abs. 2 Satz 1 sind absehbare Widersprüche Planbetroffener. Die Pflichtbestellung erfolgt aufgrund der gesetzlichen Erfordernisse, die eine (absehbare) gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung i. S. des § 28 nach sich zieht.38) Diese ergeben sich aus § 76 Abs. 2 Nr. 1 (Aufgaben i. R. des Planabstimmungsverfahrens) und § 76 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 (Stellungnahme zur Bestandsfähigkeitserklärung nach § 14 Abs. 1 und Prüfung der im Plan berücksichtigten Rechtspositionen in Vorbereitung auf die Planabstimmung bzw. auf die gerichtliche Planbestätigungsentscheidung)39).

48

Ob mit Widersprüchen der Planbetroffenen zu rechnen ist, hat der Schuldner bei Anzeige der Restrukturierungssache nach § 31 Abs. 2 Satz 3 anzugeben. Dabei hat er auch die Grundlage seiner Einschätzung dem Restrukturierungsgericht mitzuteilen. Regelmäßig wird dem Schuldner eine valide Einschätzung aufgrund bereits erfragter und signalisierter Bereitschaft und/oder aufgrund des Verhaltens der Beteiligten im Vorfeld möglich sein. Das Gericht kann aber nicht erwarten, dass den Beteiligten ein ggf. bereits erarbeiteter Restrukturierungsplan oder das Restrukturierungskonzept bereits vor der Anzeige der Restrukturierungssache übersandt worden ist, damit es dem Schuldner möglich ist, eine verlässliche Prognose zu dem Stimmverhalten abgeben zu können, wie dies z. B. im gerichtlichen Schuldenbereinigungsplanverfahren mit der Bescheinigung über das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuchs nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO der Fall ist. Für eine verpflichtende Kontaktaufnahme vor Anzeige der Restrukturierungssache findet sich weder im Gesetz noch in den Gesetzesbegründungen ein Anhaltspunkt, auch wenn der Gesetzgeber mit § 31 Abs. 2 Nr. 2 zu verstehen gibt, dass er von Verhandlungen im Vorfeld der Anzeige ausgeht. Es bleibt mithin dem Schuldner überlassen, zu welchem Zeitpunkt er an die Planbetroffenen herantritt. Informationsquelle für das Gericht können neben den Angaben des Schuldners in der Anzeige oder im weiteren Verlauf des Restrukturierungsverfahrens auch Erklärungen der Planbetroffenen zu dem Verfahren sein. 6.

49

Ausnahme (Abs. 2 Satz 2 bis 4)

Von der Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten ist trotz zu erwartender Widersprüche abzusehen, wenn es sich bei den widersprechenden Planbetroffenen um Inhaber von Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften allein um Unternehmen des Finanzsektors und deren Rechtsnachfolger bzw. Inhaber von geld- oder kapitalmarktgehandelten Instrumenten handelt. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass diese Beteiligten „in der Lage sind, ihre Interessen effektiv zur Geltung zu bringen“40) _____________ 38) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 170 f. 39) Vgl. die Kommentierung zu § 76. 40) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 171.

968

Langer

§ 73

Bestellung von Amts wegen

Die Formulierung „Unternehmen des Finanzsektors“ i. S. des § 73 Abs. 2 Satz 2 ist an volkswirtschaftliche Begrifflichkeiten angelehnt. Der Finanzsektor ist nach allgemeinem Sprachgebrauch zu definieren als Wirtschaftszweig, der Unternehmen umfasst, bei denen Finanzen oder Finanzierungen das Kerngeschäft darstellen. Gegenbegriff ist die Realwirtschaft, also der Wirtschaftszweig, der die Produktion, den Vertrieb und den Konsum von Gütern und Dienstleistungen umfasst. Der Begriff Finanzen enthält auch öffentliche Finanzen, also alle ökonomischen Aktivitäten des Staates und seiner Untergliederungen. Der Begriff Finanzierungen umfasst Fremdfinanzierungen (wie z. B. Darlehen, Anleihen, Schuldscheindarlehen, aber auch kurzfristige Kredite wie Lieferantenkredite, Kundenkredite, Kontokorrentkredite, Dispositionskredite, Avalkredite) sowie – bei planbetroffenen Anteilseignern – Eigenfinanzierungen (wie z. B. Gesellschafterdarlehen, partiarische Darlehen), aber auch besondere Finanzierungsformen wie das (unechte) Factoring oder Finanzierungsleasing. Auch Mezzanine-Finanzierungen sind darunter zu verstehen. Der eine Lieferantenforderung absichernde Warenkreditversicherer scheidet aus, weil nicht er, sondern der Lieferant planbetroffener Gläubiger ist. Bei einem Kreditinstitut bzw. Finanzdienstleistungsunternehmen i. S. des § 1 KWG handelt es sich jedenfalls um ein Unternehmen des Finanzsektors. Bei der Betätigung im Bereich des Finanzsektors muss es sich um das Kerngeschäft des Planbetroffenen handeln, also in Anlehnung an § 1 KWG gewerbsmäßig oder in einem Umfang erfolgen, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Im Zweifelsfall ist nach dem Sinn und Zweck der Norm darauf abzustellen, ob der Planbetroffene über ausreichende eigene Expertise verfügt oder schutzbedürftig ist. VII. 1.

50

Sachverständige Bestellung (Abs. 3)

Amtsermittlungsbefugnis des Gerichts als Bestellungsvoraussetzung

Die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten nach § 73 Abs. 3 setzt voraus, dass das Restrukturierungsgericht zur Amtsermittlung verpflichtet bzw. befugt ist.41) Die (kostenauslösende) Bestellung des sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten ist nur i. R. der Amtsermittlungsbefugnisse des Gerichts zulässig. § 39 Abs. 1 Satz 1 besagt, dass das Gericht von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln hat, die für das Verfahren in der Restrukturierungssache von Bedeutung sind, soweit das Gesetz nichts Abweichendes bestimmt. In Abweichung vom Amtsermittlungsgrundsatz sieht das StaRUG an verschiedenen Stellen eine Beschränkung des Amtsermittlungsgrundsatzes vor.42) Die Beschränkungen haben eine zeitliche und eine inhaltliche Komponente, betreffen also im ersten Fall den Bestellungszeitpunkt und im letzten Fall den Prüfungsumfang. Inhaltlich ist das Restrukturierungsgericht in der Prüfungstiefe beschränkt, wenn die anzuwendende Norm die Formulierungen wie z. B. „schlüssig“ oder „offensichtlich“ wählt. Eine zeitliche Beschränkung enthält zum einen der Umstand, dass der Schuldner es in der Hand hält, welche Restrukturierungshilfe i. S. des § 29 er zu welchem Zeitpunkt bean_____________ 41) Vallender, ZRI 2021, 165. 42) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 141.

Langer

969

51

§ 73

Bestellung von Amts wegen

tragt, und zum anderen die vom StaRUG vielfach verwandte Formulierung „Umstände bekannt“. 52

Formuliert die Norm „Umstände bekannt“, ist das Gericht ohne konkrete Hinweise nicht befugt, Nachforschungen zum Sachverhalt anzustellen, die ggf. erst „Umstände bekannt“ werden ließen (siehe dazu § 39 Rz. 10). Bei beschränkter Amtsermittlungspflicht ist der Anwendungsbereich des § 73 Abs. 3 erst nach dem Bekanntwerden von Umständen aus konkretem Anlass eröffnet. Soweit das Gericht aufgrund der bekannt gewordenen Umstände nicht bereits in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen, wird es als ein Minus zur Zurückweisung des Antrags bzw. Aufhebung der Restrukturierungsverfahrens/-instruments einen Sachverständigen mit den weiteren Ermittlungen beauftragen. 2.

53

Abgrenzung zu dem isolierten Sachverständigen nach § 39 Abs. 1 Satz 2

Unabhängig davon, dass die Bestellung eines isolierten Sachverständigen grundsätzlich möglich und abhängig von dem Gegenstand der Begutachtung auch erforderlich sein kann (siehe ausführlich zu den Auswahlkriterien § 63 Rz. 79 und § 64 Rz. 163), ist die Bestellung des sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten der gesetzgeberische Regelfall.43) Dabei sollte der Umstand, dass die Vergütung des isolierten Sachverständigen sich ggf. günstiger (siehe dazu § 39 Rz. 11) und der Art nach unkomplizierter darstellen könnte als diejenige des Restrukturierungsbeauftragten nach §§ 80 ff., die Auswahlentscheidung des Gerichts nicht leiten. Denn der Gesetzgeber hat sich gerade dafür entschieden, dem Sachverständigen in Restrukturierungssachen höhere Stundensätze zuzubilligen. 3.

Gegenstand der Begutachtung

a) Entscheidungserhebliche Tatsachen 54

Das Gericht kann i. R. der Amtsermittlungspflicht nach § 73 Abs. 3 Halbs. 1 einen Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständigen mit der sachverständigen Aufbereitung des entscheidungserheblichen Sachverhalts beauftragen. Gegenstand der Begutachtung sind die in Rechtsanwendung der jeweiligen Norm konkret entscheidungserheblichen Tatsachen. Dabei greift das Gericht auf das Fachwissen des Restrukturierungsbeauftragten zurück, wenn es zur Tatsachenfeststellung einer besonderen Expertise oder Erfahrung bedarf. Der Restrukturierungsbeauftragte kann aber auch mit Ermittlungen „vor Ort“ oder lediglich zur Entlastung des Gerichts unterstützend beauftragt werden. Die entscheidungserheblichen Tatsachen sind von dem Gericht in einem Gutachterauftrag konkret zu benennen.

55

Gegenstand der sachverständigen Begutachtung können auch die örtliche Zuständigkeit oder die Pflichtbestellungsvoraussetzungen nach § 73 Abs. 1 und Abs. 2 sein,44) selbst wenn ein Interesse des Beauftragten am Erhalt der eigenen Aufgabe nicht zu verkennen ist. Denn die einheitliche Befassung einer qualifizierten Person in der Funktion als Sachverständiger und später (mit erweiterten Aufgabenkatalog) als obligatorischer Restrukturierungsbeauftragter ist aufgrund der Synergieeffekte _____________ 43) A. A. Frind, ZRI 2021, 397, 399. 44) A. A. s. oben Blankenburg, § 39 Rz. 11; Frind, ZRI, 2021, 2021, 397, 399.

970

Langer

§ 73

Bestellung von Amts wegen

in einem eiligen Verfahren grundsätzlich zu begrüßen. Falschbegutachtungen ist im Wege der Aufsicht zu begegnen. b) Regelfälle des Absatz 3 Nr. 1 und Nr. 2 § 73 Abs. 3 führt lediglich beispielhaft in § 73 Abs. 3 Nr. 1 die Planbestätigungsvoraussetzungen des § 63 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und § 64 Abs. 1 und in der § 73 Abs. 3 Nr. 2 die Angemessenheit einer Entschädigung bei einem Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten oder die Beschränkung der Haftung von unbeschränkt haftenden Gesellschaftern auf. Bei den in § 73 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 aufgeführten Tatsachen liegt es auf der Hand, dass das Gericht um Feststellungen i. R. des Planbestätigungsverfahrens treffen zu können, regelmäßig auf externen Sachverstand und Fachexpertise angewiesen ist. Feststellungen zu der Frage der (nur) drohenden Zahlungsunfähigkeit i. S. des § 63 Abs. 1 Nr. 1 und zu der Schlüssigkeit des Restrukturierungskonzepts samt tatsächlicher Grundlagen und Erfolgsaussichten i. S. des § 63 Abs. 2 erfordern einen betriebswirtschaftlichen Sachverstand, über den der Restrukturierungsrichter regelmäßig nicht verfügt.

56

Die Frage, ob der Restrukturierungsplan eine angemessene Entschädigung bei einem Eingriff in gruppeninterne Sicherheiten i. S. des § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 vorsieht, erforderlich die sachverständige Begutachtung der Werthaltigkeit der Sicherheit einschließlich der Frage, inwieweit dem gesicherten Gläubiger ein Zugriff auf die Sicherheit aufgrund der kapitalerhaltungsrechtlichen Bindungen des Vermögens des Sicherheiten gewährenden Tochterunternehmens überhaupt möglich ist.45)

57

Gleiches gilt für die Frage, ob die in dem Restrukturierungsplan vorgesehene Entschädigung bei einem Ausschluss bzw. der Beschränkung der persönlichen Haftung eines Gesellschafters angemessen ist. Hierzu bedarf der Begutachtung der Einbringlichkeit des Anspruchs des Gläubigers, insbesondere der Ermittlung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Gesellschafters.

58

VIII. Rechtsfolge 1.

Bestellung

a) Obligatorischer Restrukturierungsbeauftragter (Abs. 1 und Abs. 2) aa) Anforderungsprofil und Auswahlverfahren Liegen die Voraussetzungen der Bestellung vor, erfolgt die Auswahl der konkreten Person nach Maßgabe des § 74 Abs. 1 unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben zur Geeignetheit und Unabhängigkeit und nach Maßgabe des § 74 Abs. 2 unter Berücksichtigung ggf. bindender Vorschläge der Verfahrensbeteiligten zur Person des Restrukturierungsbeauftragten.46)

59

bb) Aufgaben und Befugnisse Dem Restrukturierungsbeauftragten kommen gemäß § 76 Aufgaben kraft Gesetzes und solche kraft gerichtlicher Anordnung zu (siehe dazu die Übersicht bei Rz. 16 f.). Die kraft Gesetzes bestehenden Aufgaben und Befugnisse bedürfen im _____________ 45) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 113 f. 46) Vgl. die Kommentierung zu § 74.

Langer

971

60

§ 73

Bestellung von Amts wegen

Falle der Bestellung des Beauftragten keiner gesonderten Benennung durch das Gericht. Eine klarstellende Benennung im Beschlusswege dürfte aber für die Verfahrensbeteiligten hilfreich sein. Sofern das Gericht über den kraft Gesetzes vorgesehen Aufgabenkatalog dem Beauftragten (ggf. auch im weiteren Verfahrensverlauf nach der Bestellung des Beauftragten) weitere Aufgaben zuweisen möchte, sind diese explizit in einem Beschluss anzuordnen. Die Befugnisse des Restrukturierungsbeauftragten i. R. seiner Aufgabenwahrnehmung leiten sich aus § 76 Abs. 5 ab. Hier dürfte es sich zur Klarstellung für die Verfahrensbeteiligten ebenfalls anbieten, wenn das Gericht Auskunfts- und Einsichtsrechte im Zusammenhang mit der Bestellungsentscheidung im Beschluss formuliert. cc) Vergütung, Vorschuss und Kostentragung 61

Die Vergütung des von Amts wegen zu bestellenden Restrukturierungsbeauftragten richtet sich nach §§ 80 ff.47) Die Verpflichtung zur Zahlung eines Auslagenvorschusses ergibt sich aus § 81 Abs. 5 Satz 2. Danach soll das Restrukturierungsgericht über einen Antrag des Schuldners auf Inanspruchnahme eines Restrukturierungsinstruments erst nach Zahlung des Auslagenvorschusses gemäß Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum GKG entscheiden.

62

Im Falle einer Bestellung nach § 73 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 und § 73 Abs. 1 Nr. 3 kann bereits zu einem früheren Zeitpunkt als dem der Antragstellung die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten erforderlich sein (siehe Rz. 22). Da der Gesetzgeber von einer Vorschusspflicht des Schuldners ausgeht und die Bestellung in Vorbereitung eines z. B. zu erwartenden Antrags auf Planbestätigung nach §§ 60 ff. geschieht, ist in diesem Fall § 81 Abs. 5 Satz 2 nach seinem Sinn und Zweck dahin auszulegen, dass auch bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine Vorschusspflicht des Schuldners besteht.48) Kommt der Schuldner seiner Vorschusspflicht auch nach Erinnerung nicht nach, so bleibt nur die Aufhebung des Verfahrens nach § 33 Abs. 1 Nr. 2, da die Restrukturierungssache ohne Einzahlung eines Vorschusses keine Aussicht auf Umsetzung hat.

63

Über die Frage, wer die Auslagen für den obligatorischen Restrukturierungsbeauftragten zu tragen hat, entscheidet das Gericht nach § 82 Abs. 2 Satz 1 i. R. der Festsetzung der Vergütung. Die Kostentragungspflicht trifft nach § 82 Abs. 2 Satz 2 den Schuldner. b) Sachverständiger Restrukturierungsbeauftragter (Abs. 3) aa) Anforderungsprofil und Auswahlverfahren

64

Das Anforderungsprofil richtet sich auch bei dem sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten nach § 74 Abs. 1. Bei dem sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten steht es dem Gericht aber frei, i. R. der Amtsermittlung eine Person seiner Wahl zu bestellen. § 74 Abs. 2 nimmt für das Auswahlverfahren und die Berücksichtigung von Vorschlägen der Verfahrensbeteiligten lediglich § 73 Abs. 1 und Abs. 2 in Bezug. Wegen der speziellen Regelung findet § 38 i. V. m. § 404 Abs. 5 _____________ 47) Vgl. die Kommentierungen zu §§ 80 ff. 48) So auch Frind, ZRI 2021, 397, 405 f.

972

Langer

§ 73

Bestellung von Amts wegen

ZPO, der die Möglichkeit einer verbindlichen Verständigung der Verfahrensbeteiligten auf einen Sachverständigen vorsieht, keine Anwendung. Die Auswahl des Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständiger erfolgt daher nach § 38 i. V. m. § 404 Abs. 1 Satz 1 ZPO allein durch das Gericht. Gemäß § 38 i. V. m. § 404 Abs. 2 ZPO kann das Gericht die Beteiligten aber zur Person des sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten anhören. Ein Abstimmungsversuch sollte mit kurzer Frist unternommen werden, um eine spätere Ablehnung des sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten (§ 38 i. V. m. § 406 ZPO) und die damit einhergehenden Verzögerungen zu vermeiden. Zu bedenken ist auch, dass der zunächst als Sachverständiger bestellte Restrukturierungsbeauftragte ggf. verpflichtend zu bestellen und erweiterte Pflichtaufgaben zu übernehmen hat. Vorausschauend sollte die erforderliche Qualifikation daher in seiner Person vorhanden sein. Da auch die Möglichkeit eines bindenden Vorschlags nach § 74 Abs. 2 besteht, ist eine Abstimmung mit den Verfahrensbeteiligten zur Person im Vorfeld sinnvoll. Ist bereits ein Restrukturierungsbeauftragter nach § 74 Abs. 1 und Abs. 2 bestellt und bestehen seitens des Gerichts keine Bedenken hinsichtlich der Geeignetheit seiner Person, so bietet es sich an, diesen ergänzend auch mit sachverständigen Prüfungen zu beauftragen.

65

bb) Aufgaben und Befugnisse Die Aufgaben des sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten, mithin der Gegenstand der Begutachtung, ist von dem Gericht in einem Beschluss konkret zu formulieren. Die Befugnisse des Beauftragten leiten sich nicht aus § 76 Abs. 5 ab. § 76 Abs. 5 betrifft die Befugnisse des obligatorischen Restrukturierungsbeauftragten, während die Rechtsstellung des sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten sich unmittelbar von den Befugnissen des Gerichts nach § 39 Abs. 2 ableitet.

66

Das Gericht kann klarstellend dem Schuldner die Auflage erteilen, den Sachverständigen alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen und alle erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Ist bereits ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, kann der Aufgabenkatalog um denjenigen der sachverständigen Prüfung erweitert werden.

67

cc) Vergütung, Vorschuss, Kostentragung Die Vergütung des sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten richtet sich nach §§ 80 ff.; die Vorschriften unterscheiden nicht zwischen dem obligatorischen Restrukturierungsbeauftragten und dem sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten nach § 73 Abs. 3. Den Schuldner trifft auch gemäß § 81 Abs. 5 Satz 2 eine Vorschusspflicht für den sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten, da auch die Bestellung nach § 73 Abs. 3 eine „Bestellung von Amts wegen“ bedeutet, wie die Überschrift des § 73 zeigt. Die Kostentragungspflicht ergibt sich aus § 82 Abs. 2 Satz 2. 2.

68

Form und Bekanntgabe

Die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten erfolgt in Beschlussform regelmäßig im schriftlichen Verfahren (§ 39 Abs. 3). Neben der Person des Bestellten richtet sich der Inhalt des Beschlusses nach den dem Beauftragten kraft Gesetzes, Langer

973

69

§ 74

Bestellung

kraft richterlicher Anordnung oder kraft (sachverständiger) Beauftragung übertragenen Aufgaben und Befugnissen. Die Begründung des Beschlusses ist nicht erforderlich, da ein Rechtsmittel nicht vorhanden ist. 70

Der Beschluss ist den Beteiligten zuzustellen. Es bietet sich an, die Zustellung dem Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 76 Abs. 6 zu übertragen. 3.

71

Rechtsmittel

Ein Rechtsmittel gegen den Bestellungsbeschluss ist nicht vorgesehen.

§ 74 Bestellung Blankenburg

(1) Zum Restrukturierungsbeauftragten ist ein für den jeweiligen Einzelfall geeigneter, in Restrukturierungs- und Insolvenzsachen erfahrener Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt oder eine sonstige natürliche Person mit vergleichbarer Qualifikation zu bestellen, die von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängig ist und die aus dem Kreis aller zur Übernahme des Amtes bereiten Personen auszuwählen ist. (2) 1Das Restrukturierungsgericht berücksichtigt bei der Auswahl eines Restrukturierungsbeauftragten nach § 73 Absatz 1 und 2 Vorschläge des Schuldners, der Gläubiger und der an dem Schuldner beteiligten Personen. 2Hat der Schuldner die Bescheinigung eines in Restrukturierungs- und Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers, Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation vorgelegt, aus der sich ergibt, dass der Schuldner die Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 und 2 erfüllt, kann das Gericht vom Vorschlag des Schuldners nur dann abweichen, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich ungeeignet ist; dies ist zu begründen. 3Wenn Planbetroffene, auf welche in jeder der nach § 9 gebildeten oder zu bildenden Gruppen von Inhabern von Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften mehr als 25 Prozent des Stimmrechts entfallen oder voraussichtlich entfallen werden, einen gemeinschaftlichen Vorschlag unterbreiten und wenn keine Bindung des Gerichts nach Satz 2 besteht, kann das Gericht vom gemeinsamen Vorschlag der Planbetroffenen nur dann abweichen, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich ungeeignet ist; dies ist zu begründen. (3) Folgt das Restrukturierungsgericht einem Vorschlag des Schuldners nach Absatz 2 Satz 2 oder der Planbetroffenen nach Absatz 2 Satz 3, kann es einen weiteren Restrukturierungsbeauftragten bestellen und diesem dessen Aufgaben übertragen; dies gilt nicht für die Aufgaben nach § 76 Absatz 2 Nummer 1 Halbsatz 1 und 2. Literatur: Beth, Die gerichtliche Prüfung der Voraussetzungen des Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO, ZInsO 2015, 369; Blankenburg/Kramer/Noll/Sauer-Colberg, Verwalterauswahl nach dem Hannoveraner Modell – Erwiderung auf Moderegger, NZI 2017, 241 ff. und Besprechung von OLG Celle, Beschl. v. 27.3.2017 – 16 VA 9/16, ZInsO 2017, 1018; Raab, Vorschlagsrecht zum Insolvenzverwalter Ein Plädoyer für die grundsätzliche Redlichkeit der Insolvenzverwalter, ZInsO, 2020, 67; Sämisch, Das Beschwerderecht und das Recht auf rechtliches Gehör im. Verfahren über die Einsetzung eines

974

Blankenburg

§ 74

Bestellung

Sachwalters nach § 270b InsO, ZInsO 2014, 1312; Bork, Die gerichtliche Informationsgewinnung im Vorfeld der Bestellung von Insolvenzverwaltern, ZIP 2017, 2173; Cranshaw, Berufsbilder des Insolvenzverwalters (und verwandter Berufe) vor dem Hintergrund von Koalitionsvertrag und Restrukturierungsrichtlinie, NZI 2020, 143; Deppenkemper, Ziel erreicht? Außergerichtliche Sanierung bereits ab 1.1.2021! ZIP 2020, 2432; Frind, Probleme bei der Bestellung und Verwendung des Restrukturierungsbeauftragten aus gerichtlicher Sicht, ZRI 2021, 397; Frind, Die Notwendigkeit des rechtzeitigen und vollständigen „conflict check“ und seiner Mitteilung durch Insolvenzverwalter/Sachwalter, ZInsO 2017, 363; Frind, Die Bescheinigung gem. § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO – Wann darf, soll, muss das Insolvenzgericht sie prüfen?, ZInsO 2012, 1546; Gutmann/Laubereau, Schuldner und Bescheiniger im Schutzschirmverfahren, ZInsO 2012, 1861; Hölzle, Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren nach ESUG – Herausforderungen für die Praxis, ZIP 2012, 158; Pape, Vorauswahl und Bestellung von Insolvenzverwaltern im Lichte der Rechtsprechung des BGH, ZInsO 2017, 1341; Raab, Vorschlagsrecht zum Insolvenzverwalter, ZInsO 2020, 67; Römermann/Hörmann, Emotionale Kompetenz im Insolvenzverfahren, NZI 2013, 623; Römermann/Praß, ESUG vs. BRAO, ZInsO 2011, 1576; Schröder/ Schulz, Schutzschirmbescheinigung nach § 270b InsO: Anforderungen an die Person des Ausstellers, ZIP 2017, 1096; Smid, „Kaltes Delisting“ – Versuch einer ersten Näherung an ein Rechtsanwendungsproblem, ZInsO 2018, 589; Spiekermann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters und Sachwalters, NZI 2020, 977, 981; Steffan/Solmecke, Die Bescheinigung als Eintrittskarte zum Schutzschirmverfahren – der IDW S 9, ZIP 2014, 2271; Thole, Zertifizierungen und Qualitätsmessung bei der Verwalterauswahl, ZIP 2017, 2183; Vallender, Große oder kleine Lösung? – Überlegungen zu einem künftigen Berufsrecht für Insolvenzverwalter, ZIP 2019, 158; Zipperer/Vallender, Die Anforderungen an die Bescheinigung für das Schutzschirmverfahren, NZI 2012, 729. Übersicht I. II. III. 1.

2.

Normzweck ........................................... 1 Normhistorie ........................................ 4 Bestellung (Abs. 1) ............................... 6 Vorauswahlliste ..................................... 9 a) Allgemeine Anforderungen an die Vorauswahlliste ...................... 10 b) Einzelne Kriterien für die Aufnahme in die Auswahlliste ........... 17 aa) Allgemeines .................................. 17 bb) Natürliche Person ........................ 20 cc) Qualifikation ................................ 23 (1) Berufliche Qualifikation .............. 24 (2) Erfahrung ...................................... 28 dd) Integrität ....................................... 34 ee) Bonität .......................................... 36 ff) Büroorganisation .......................... 37 gg) Ortsnähe/Erreichbarkeit ............. 38 hh) Höchstpersönliche Bearbeitung ... 40 ii) Unabhängigkeit ............................ 42 jj) Erfahrung ...................................... 44 kk) Berufshaftpflichtversicherung ..... 45 ll) Zertifikate ..................................... 46 mm) Unzulässige Kriterien ................ 47 c) Verfahren zur Erstellung der Liste .............................................. 50 d) Delisting ....................................... 56 e) Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Listenführung .............. 58 Bestellung im Einzelfall ...................... 59

a) Unabhängigkeit ............................ 60 b) Aufwertung von Sachverständigen/Sanierungsmoderatoren zum Restrukturierungsbeauftragten ........................................... 67 c) Einzelfallabwägung ...................... 71 d) Bestellungsentscheidung ............. 73 e) Beginn des Amtes ........................ 75 IV. Vorschlagsrecht (Abs. 2) ................... 76 1. Berücksichtigung von Vorschlägen .... 76 2. Bindung an Vorschläge ....................... 77 a) Voraussetzungen .......................... 77 aa) Allgemeines .................................. 77 bb) Vorschlagsrecht des Schuldners .... 81 (1) Form der Bescheinigung .............. 82 (2) Bescheinigende Person ................ 83 (3) Inhalt der Bescheinigung ............. 84 cc) Vorschlagsrecht der qualifizierten Gläubigermehrheit ................. 89 b) Rechtsfolgen ................................. 94 aa) Offensichtlich ungeeignete Person ........................................... 95 (1) Nicht geeignet .............................. 96 (2) Offensichtlichkeit ........................ 99 bb) Begründung ................................ 100 V. Weiterer Restrukturierungsbeauftragter (Abs. 3) ................................. 102 1. Person ................................................ 103 2. Rechtsstellung ................................... 104

Blankenburg

975

§ 74

Bestellung

3. Bestellung .......................................... VI. Rechtsmittel ..................................... 1. Aufnahme auf die Vorauswahlliste .... a) Zulässiger Rechtsbehelf .............

I.

107 109 110 110

2.

b) Antragsgegner ............................ 111 c) Form und Frist ........................... 112 Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten ....................................... 113

Normzweck

1

§ 74 setzt insbesondere Art. 26 Abs. 1 lit. b Restrukturierungsrichtlinie hinsichtlich der Bestellung von Restrukturierungsbeauftragten um.1) Danach haben die Mitgliedstaaten bei den Verwaltern in Restrukturierungsverfahren sicherzustellen, dass diese die erforderliche Erfahrung und Sachkunde haben und der Schuldner und die Gläubiger die Möglichkeit haben, die Auswahl bei einem Interessenkonflikt abzulehnen. Zudem müssen die Gerichte durch die Aufsicht gewährleisten, dass die Verwalter ihre Dienste wirksam und sachkundig und gegenüber den Parteien unparteiisch und unabhängig erbringen.

2

Die Zulassungsvoraussetzungen sowie das Verfahren für die Bestellung müssen klar, transparent und fair sein. Da im nationalen Recht bereits in § 56 InsO Voraussetzungen für eine Verwalterbestellung vorhanden sind, hat sich der nationale Gesetzgeber an dieser Norm orientiert.

3

In § 74 Abs. 1 sind zunächst die Voraussetzungen aufgeführt, die eine Person mitbringen muss, um als Restrukturierungsbeauftragter benannt zu werden. In § 74 Abs. 2 ist geregelt, wie mit Vorschlägen zur Person des Restrukturierungsbeauftragten umzugehen ist. Nach § 74 Abs. 3 kann das Gericht einen weiteren Restrukturierungsbeauftragten bestellen, wenn der eigentliche Restrukturierungsbeauftragte nur auf Vorschlag eingesetzt wird. Insoweit soll in diesen Fällen die für die Gerichte unabdingbare Unabhängigkeit gewährleistet werden. II. Normhistorie

4

Die Norm ist im Gesetzgebungsverfahren bis auf die Anpassung der Verweisungen unberührt geblieben. Im RefE2) war die Norm als § 79, im RegE3) dann als § 81 bezeichnet worden. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses4) hat die Norm dann die endgültige Nummerierung erhalten.

5

Die Norm ist an § 56 InsO angelehnt und setzt die Art. 26, 27 Restrukturierungsrichtlinie5) um (siehe dazu Rz. 1). _____________ 1) 2)

3) 4) 5)

976

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 171. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 30.7.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BTDrucks. 19/25303. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

Blankenburg

§ 74

Bestellung

III. Bestellung (Abs. 1) Die Voraussetzungen für die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten sind in § 74 Abs. 1 geregelt. Sie gelten nicht entsprechend für den Sanierungsmoderator (zur Aufwertung des Sanierungsmoderators zum Restrukturierungsbeauftragten siehe Rz. 70).6) Die Anforderungen lassen sich in mehrere Teilbereiche aufteilen. Es muss sich um eine natürliche Person handeln, die eine bestimmte Qualifikation aufweist. Sie muss aus dem Kreis aller zur Übernahme bereiten Personen kommen und unabhängig sein. Schließlich muss sie für den Einzelfall geeignet sein.

6

Das Merkmal „Kreis der zur Übernahme bereiten Personen“ in § 74 Abs. 1 Satz 1 ist bereits aus § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO bekannt. Nach der Gesetzesbegründung dürfte dies dazu führen, dass die Gerichte – wie bei Insolvenzverwaltern und Sachwaltern – allgemeine Vorauswahllisten führen werden.7) Auch wenn es sich bei der Tätigkeit des Restrukturierungsbeauftragten nicht um ein eigenständiges Berufsbild handelt (siehe dazu Rz. 10), erscheint es geboten, ebenso wie im Insolvenzverfahren eine Vorauswahlliste zu führen, da nur so willkürliche Bestellungsentscheidungen vermieden werden können.8)

7

Vorliegend erfolgt daher ein zweigliedriger Aufbau. Zunächst werden die in der Vorauswahlliste zu berücksichtigen allgemeinen Anforderungen dargestellt und im Anschluss daran die Anforderungen bei der konkreten Bestellungsentscheidung.

8

1.

Vorauswahlliste

Da die Vorauswahlliste aus den Insolvenzverfahren bekannt ist, können die dort gewonnenen Erkenntnisse zur Auslegung des StaRUG mit herangezogen werden. Es ist jedoch immer zu prüfen, ob Besonderheiten des StaRUG eine Übertragung der Erkenntnisse verbieten.

9

a) Allgemeine Anforderungen an die Vorauswahlliste Die Rechtsprechung zur Vorauswahlliste für Insolvenzverwalter ist durch die Rechtsprechung des BVerfG geprägt, das davon ausgeht, dass die Tätigkeit des Insolvenzverwalters nicht nur reine Nebentätigkeit anderer Berufsgruppen ist, sondern sich _____________ 6) 7) 8)

So wohl auch Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 21. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 172; a. A. Frind, ZRI 2021, 397. So auch Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 57; Braun-Blümle/Erbe, StaRUG, § 74 Rz. 13; wohl auch Pannen/Riedemann/Smid/Pannen, StaRUG, § 74 Rz. 7; fern der Praxis erscheint der Hinweis von Frind, ZRI 2021, 397, dass es ausreichen könnte, dass die Interessenten auf ihrer Internetseite die Bereitschaft erklären, als Restrukturierungsbeauftragter bestellt zu werden. Das Restrukturierungsgericht hätte in diesem Fall kaum eine Möglichkeit, solche Interessensbekundungen zur Kenntnis zu nehmen. Es erscheint unzumutbar, vor der Bestellung das Internet nach Interessenbekundungen zu durchsuchen. Auch der Hinweis, dass die erforderlichen Informationen den Vorauswahllisten für die Insolvenzverwalter entnommen werden können, vermag nicht zu überzeugen, da es nicht zwingend sein muss, dass ein Restrukturierungsrichter auch Insolvenzrichter ist, die Bezirke nicht identisch sind und nicht jeder Bewerber als Restrukturierungsbeauftragter gleichzeitig beim ortsansässigen Insolvenzgericht gelistet sein muss. Zudem konstatiert Frind selbst, dass an einen Restrukturierungsbeauftragten ganz andere Anforderungen als an einen Insolvenzverwalter zu stellen sind.

Blankenburg

977

10

§ 74

Bestellung

zu einem eigenständigen Beruf entwickelt hat.9) Bereits diese Prämisse erscheint in Bezug auf die Stellung des Restrukturierungsbeauftragten sehr zweifelhaft.10) Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters wird vom BVerfG deshalb als eigenständiger Beruf angesehen, da das Amt als Insolvenzverwalter zumeist als alleinige, vorrangige oder zumindest gleichgewichtige berufliche Tätigkeit mit dem Ziel der Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage ausgeübt wird.11) Hinsichtlich des StaRUG wird indes derzeit davon auszugehen sein, dass die Maßnahmen nur in einigen ausgewählten Fällen in Anspruch genommen werden, so dass mit einer Vielzahl von Verfahren bei den Gerichten nicht zu rechnen ist. Dementsprechend wird die Tätigkeit als Restrukturierungsbeauftragter neben der eigentlichen Tätigkeit als Rechtsanwalt, Steuerberater oder Insolvenzverwalter nur eine Nebentätigkeit bleiben. Stellt demnach die Auswahl der Personen keine Berufszulassungsbeschränkung, sondern lediglich eine Berufsausübungsschranke dar, sind die Anforderungen an die Rechtfertigung des Eingriffs geringer. Die Überlegungen zu § 56 InsO können daher nicht ohne weiteres übernommen werden, sondern bedürfen einer Prüfung, ob sie auch für das Restrukturierungsverfahren Geltung beanspruchen sollen. 11

Übertragen werden können allerdings die Überlegungen zum allgemeinen Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG. Auch dem Restrukturierungsgericht wird bei der Auswahlentscheidung ein weites Auswahlermessen bei der Bestimmung des Kreises der geeigneten Bewerber zukommen.12) Das Verbot einer willkürlichen Ungleichbehandlung begründet aber bei Einräumung von Ermessen eine Verpflichtung zu dessen sachgerechter Ausübung.13) Jeder Bewerber um das Amt muss eine faire Chance erhalten, entsprechend seiner in § 74 Abs. 1 vorausgesetzten Eignung berücksichtigt zu werden.14)

12

Bei der Auswahl des Insolvenzverwalters aus dem Kreis der geeigneten Bewerber sind nach der Rechtsprechung des BVerfG die Interessen der Gläubiger und des Schuldners des konkreten Insolvenzverfahrens maßgebend. Danach richtet sich die Auswahl sachgerechter Kriterien.15) Es könne nicht allein das Interesse der Bewerber an chancengleichem Zugang zum Insolvenzverwalteramt in den Blick genommen werden, sondern es sei auch – und in erster Linie – das Interesse der Gläubiger und des Schuldners an einem reibungslosen und zügigen Fortgang des Insolvenzverfahrens und damit insbesondere an einer schleunigen Bestellung des Insolvenzverwal_____________ 9) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00, 1 BvR 1086/01, ZIP 2004, 1649, 1652; krit. dazu Frind in: HambKomm-InsO, § 56 Rz. 14 ff. 10) So auch Frind, ZRI 2021, 397. 11) BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, Rz. 36, ZIP 2016, 321, 324. 12) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, Rz. 30, ZIP 2006, 1355, 1358; BVerfG, Beschl. v. 19.7.2006 – 1 BvR 1351/06, Rz. 6, ZIP 2006, 1541, 1542; BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08, Rz. 10, ZIP 2009, 1722, 1723. 13) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, Rz. 31, ZIP 2006, 1355, 1358. 14) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, Rz. 31, ZIP 2006, 1355, 1358; BVerfG, Beschl. v. 12.7.2006 – 1 BvR 1493/05, Rz. 10, ZIP 2006, 1956; BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08, Rz. 10, ZIP 2009, 1722, 1723; BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 1/15, Rz. 10, ZIP 2016, 876, 877. 15) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, Rz. 33, ZIP 2006, 1355, 1358.

978

Blankenburg

§ 74

Bestellung

ters zu berücksichtigen.16) Das weite Auswahlermessen des Insolvenzrichters erlaube es insbesondere, sachwidrige Verzögerungen des Insolvenzverfahrens zu vermeiden. Diesem Ziel stände bspw. das Erfordernis einer Bestenauslese entgegen. Sie würde insbesondere wegen der dann notwendigen Ausschreibung der zu besetzenden Position, wegen der erforderlichen Gelegenheit zu aussagekräftigen Bewerbungen, wegen der Sichtung und Prüfung der Bewerbungsunterlagen und schließlich wegen der Bewertung der Prätendenten mit dem Ziel der Auswahl des für das konkrete Verfahren am ehesten geeigneten Bewerbers erhebliche Zeit beanspruchen. Damit wären Verzögerungen zu befürchten, die das Insolvenzverfahren zur Erreichung der mit ihm verfolgten Ziele ungeeignet machen würden.17) Diese Überlegungen können auf die Auswahl des Restrukturierungsbeauftragten im Ansatz übertragen werden. Weiter ist aber zu berücksichtigen, dass das StaRUG deutlich schuldnerzentrierter als das Insolvenzverfahren ist. Es handelt sich um ein freiwilliges Vergleichsverfahren, nicht um ein Zwangsverfahren wie das Insolvenzverfahren. Es bedarf daher immer einer genauen Prüfung, inwieweit die Gläubigerinteressen Eingriffe in die Rechte des Schuldners rechtfertigen.

13

Ebenso wie bei § 56 InsO ist für die Listenführung ein Verfahren erforderlich, das dem Richter nicht nur eine zügige Eignungsprüfung für das konkrete Verfahren ermöglicht, sondern ihm außerdem hinreichende Informationen für eine pflichtgemäße Ausübung des Auswahlermessens verschafft und verfügbar macht.18) Um diese Funktion erfüllen zu können, darf sich ein der konkreten Entscheidung vorgelagertes allgemeines Vorauswahlverfahren nicht nur auf das Erstellen einer Liste mit Namen und Anschriften interessierter Bewerber beschränken. Es muss vielmehr auch die Erhebung, Verifizierung und Strukturierung der Daten gewährleisten, die nach der Einschätzung des jeweiligen Restrukturierungsrichters nicht nur für die Feststellung der Eignung eines Bewerbers im konkreten Fall maßgebend sind, sondern vor allem auch eine sachgerechte Ermessensausübung bei der Auswahl des Restrukturierungsbeauftragten aus dem Kreis der geeigneten Bewerber ermöglichen.19) Auch der Restrukturierungsrichter hat die Auswahlkriterien transparent zu machen, etwa durch Veröffentlichung im Internet oder durch Fragebögen. Dabei ist es ihm verwehrt, das Verfahren oder die Kriterien der Vergabe willkürlich zu bestimmen; darüber hinaus kann die tatsächliche Vergabepraxis zu einer Selbstbindung der Verwaltung führen.20)

14

Eine Liste ist daher so zu führen, dass in sie jeder Bewerber aufgenommen wird, der die grundsätzlich zu stellenden Anforderungen an eine generelle, von der

15

_____________ 16) 17) 18) 19)

BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, Rz. 40, ZIP 2006, 1355, 1359. BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, Rz. 41, ZIP 2006, 1355, 1359. BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, Rz. 43, ZIP 2006, 1355, 1359. BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, Rz. 44, ZIP 2006, 1355, 1359; BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 1/15, Rz. 24, ZIP 2016, 876, 880; BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 2/15, Rz. 23, ZIP 2016, 930, 933; BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15, Rz. 11, ZIP 2016, 2127, 2128. 20) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 1/15, Rz. 24, ZIP 2016, 876, 880; BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 2/15, Rz. 23, ZIP 2016, 930, 933; BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15, Rz. 11, ZIP 2016, 2127, 2128.

Blankenburg

979

§ 74

Bestellung

Typizität der einzelnen Restrukturierungssache gelöste Eignung für das Amt des Restrukturierungsbeauftragten erfüllt.21) Ebenso wenig kann es Aufgabe einer Auswahlliste sein, lediglich Bestellungsentscheidungen zu ermöglichen, die sich rein formal und turnusmäßig an der Reihenfolge der Anmeldungen zur Auswahlliste ausrichten („reine Listenlösung“). Eine solche Vorgehensweise kann nicht sicherstellen, dass eine mit Blick auf die Eigenheiten des konkreten Verfahrens und die spezielle Eignung der Bewerber sachgerechte und damit pflichtgemäße Ermessensausübung erfolgt.22) Dieses Risiko wird aufgrund der Größe der zu erwartenden Verfahren und der geringen Anzahl der Verfahren auch für das Restrukturierungsverfahren gelten, jedoch nicht eine gleiche Bedeutung wie im Insolvenzverfahren einnehmen. 16

Die Liste wird grundsätzlich von den einzelnen Restrukturierungsrichtern geführt. Es ist aber eine Übertragung der Listenführungsbefugnis auf andere Richter des gleichen Gerichts möglich. Insoweit können die Überlegungen aus dem Insolvenzverfahren übertragen werden. Auch in Restrukturierungssachen folgt aus der Funktion zur Vorbereitung einer zügigen Auswahlentscheidung im konkreten Fall, dass die Vorauswahlliste dem Richter alle für seine Entscheidung notwendigen Informationen verschaffen muss. Deshalb darf der einzelne Restrukturierungsrichter die Listenführung jedenfalls dann nicht einem anderen Restrukturierungsrichter oder Stellen der Gerichtsverwaltung überlassen, wenn nicht sichergestellt ist, dass die Liste entsprechend der von ihm selbst für maßgeblich befundenen Kriterien geführt wird.23) Die von einem Restrukturierungsrichter persönlich erstellte Vorauswahlliste wird deswegen gegenstandslos, wenn der Richter aus dem Restrukturierungsgericht ausscheidet und sein Nachfolger sich die Liste und die ihr zugrunde liegenden Auswahlkriterien nicht zu eigen macht.24) b) Einzelne Kriterien für die Aufnahme in die Auswahlliste aa) Allgemeines

17

Anders als bei der Auswahl der Insolvenzverwalter kommt es bei der Auswahl der Restrukturierungsbeauftragten nicht allein auf die Sachkunde an,25) vielmehr muss der Bewerber bestimmte berufliche Qualifikationen aufweisen, um auf die Liste aufgenommen zu werden (siehe dazu Rz. 24 ff.).

18

Ferner bedarf es einer abstrakten Prüfung der Geeignetheit der Bewerber. Insoweit ist nur zu prüfen, ob die Bewerber den allgemeinen Anforderungen genügen, die grundsätzlich jeder Bewerber aufweisen muss, um im Verfahren bestellt zu werden.26)

_____________ 21) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, Rz. 45, ZIP 2006, 1355, 1360; BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08, Rz. 11, ZIP 2009, 1722. 22) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, Rz. 45, ZIP 2006, 1355, 1360. 23) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08, Rz. 12, ZIP 2009, 1722, 1724; BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 5/15, Rz. 23, ZIP 2016, 935, 938. 24) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 5/15, Rz. 23, ZIP 2016, 935, 938. 25) Dazu für § 56 InsO Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 17 ff. 26) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 2/15, Rz. 28, ZIP 2016, 930, 934.

980

Blankenburg

§ 74

Bestellung

Es steht die persönliche und fachliche Eignung im Vordergrund.27) Durch den Richter müssen sachgerechte Kriterien in einem Anforderungsprofil für die Bewerber aufgestellt werden.28) Anders als in den Insolvenzverfahren ist es nicht möglich, dass sich ein Bewerber nur auf bestimmte Verfahren bewirbt.29) Da eine Auswahlliste nur für die Restrukturierungsbeauftragten vorgesehen ist, kann sich ein Bewerber nicht nur als Sanierungsmoderator bewerben.

19

bb) Natürliche Person Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 74 Abs. 1 können nur natürliche Personen zum Restrukturierungsbeauftragten ernannt werden. Dies entspricht auch dem durch das BVerfG bestätigten § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO.30) Da das StaRUG auch im Wettbewerb mit anderen europäischen Rechtsordnungen steht, die eine solche Begrenzung nicht kennen und juristische Personen zulassen, wird sich möglicherweise in Zukunft die Frage stellen, ob eine Beschränkung auf natürliche Personen europarechtlich zulässig ist. Insoweit werden durch die Restrukturierungsrichtlinie allerdings keine Vorgaben gemacht. Weder in den Art. 26, 27 Restrukturierungsrichtlinie noch in den Erwägungsgründen wird das Feld der zu bestellenden Personen auf juristische Personen erweitert oder eine Beschränkung auf natürliche Personen ausgeschlossen. Da die Beschränkung in Deutschland auf die Bestellung von natürlichen Personen auf europäischer Ebene bekannt waren, lässt sich aus diesem beredeten Schweigen schließen, dass auch der europäische Gesetzgeber von der Zulässigkeit einer entsprechenden Beschränkung ausgegangen ist.31)

20

Indes erscheint fraglich, ob neben der europarechtlichen Zulässigkeit eine Beschränkung auf natürliche Personen ebenso wie in Insolvenzverfahren gerechtfertigt ist. Das BVerfG ging hinsichtlich der Insolvenzverwalter davon aus, dass eine solche Beschränkung gerechtfertigt sei, da nur so eine effektive Kontrolle der Insolvenzverwalter gewährleistet sei. Die Beaufsichtigung des Insolvenzverwalters durch das Insolvenzgericht ziele auf den Schutz der Insolvenzmasse, solle die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger sichern, aber auch dem Schutz des Schuldners dienen, der gegen einzelne Maßnahmen des Insolvenzverwalters kein Beschwerderecht hat. Die Aufsichtsbefugnis sei daher umfassend zu verstehen, betreffe also das gesamte Handeln des Insolvenzverwalters im Zusammenhang mit der Ausübung seiner insolvenztypischen Pflichten und sei nicht auf die Vermögensverwaltung im engeren Sinne beschränkt.32) Hierbei erlange die Einschätzung des Insolvenzgerichts von

21

_____________ 27) BGH, Beschl. v. 19.12.2007 – IV AR(VZ) 6/07, Rz. 20, ZIP 2008, 515, 518; UhlenbruckZipperer, InsO, § 56 Rz. 14. 28) So auch Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 14. 29) Zu § 56 InsO Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 15. 30) BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, ZIP 2016, 321 ff.; so auch die h. M. Frind in: HambKomm-InsO, § 56 Rz. 3; Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 15; Blankenburg, ZIP 2016, 749 ff.; a. A. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 13; wohl auch Jahntz in: FKInsO, § 56 Rz. 8. 31) So ähnlich auch für die Insolvenzverwalterauswahl Frind in: HambKomm-InsO, § 56 Rz. 4. 32) BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, Rz. 46, ZIP 2016, 321, 325.

Blankenburg

981

§ 74

Bestellung

persönlicher und fachlicher Qualifikation des Insolvenzverwalters wie die Qualität der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen ihm und dem Gericht entscheidende Bedeutung. Die Dichte der Kontrolle ist nicht nur von der Schwierigkeit des jeweiligen Verfahrens abhängig, sondern auch von der nachgewiesenen Erfahrung des Verwalters und seiner bisher unter Beweis gestellten Zuverlässigkeit.33) Ob diese Kriterien ohne weiteres auf das Restrukturierungsverfahren anzuwenden sind, erscheint fraglich. Da der Restrukturierungsbeauftragte nicht die Pflicht hat, das Vermögen zu verwerten, sondern selbst nur eine Art Aufsichtsperson darstellt, ist die Kontrolldichte des Restrukturierungsgerichts viel geringer als in Insolvenzverfahren. Auch obliegt die Verfahrensabwicklung nicht allein dem Restrukturierungsbeauftragten, sondern primär dem Schuldner. Das Vertrauensverhältnis kann daher deutlich geringer ausfallen als in Insolvenzverfahren. 22

Weiterhin hat das BVerfG eine Einschränkung auf natürliche Personen deshalb für zulässig angesehen, da die Geeignetheit der konkreten Person des Verwalters sehr wichtig sei.34) Seine Entscheidungen und deren Folgen seien nur begrenzt korrigierbar und zu kompensieren. Zudem drohen bei nicht ordnungsgemäßer Amtsführung durch den Insolvenzverwalter nicht selten Vermögensschäden in beträchtlicher Höhe, die bisweilen sogar zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Schuldners oder einzelner Gläubiger führen können.35) Auch diese Erwägungen treffen nur begrenzt auf das Restrukturierungsverfahren zu. Hier bestimmt der Schuldner durch die entsprechenden Antragsrechte das Vorgehen und die Intensität der Eingriffe. Eine wirtschaftliche Existenzgefährdung durch das Handeln des Restrukturierungsbeauftragten erscheint nur in sehr seltenen Ausnahmefällen denkbar. Insgesamt sprechen die Erwägungen dafür, dass der Ausschluss von juristischen Personen nicht verfassungskonform ist und die Berufsausübungsregelung gegen Art. 12 GG verstoßen könnte.36) cc) Qualifikation

23

Während § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO bei der Auswahl des Insolvenzverwalters lediglich voraussetzt, dass die Person geschäftskundig ist, ist nach § 74 Abs. 1 für den Restrukturierungsbeauftragten gefordert, dass er eine bestimmte berufliche Qualifikation aufweist. Er muss Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt oder eine Person mit sonstigen vergleichbaren Qualifikationen sein. Zudem muss er in diesem Bereich erfahren sein. Diese Art der Qualifikation ist bereits in § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO a. F. für den Aussteller einer Bescheinigung im Schutzschirmverfahren normiert gewesen und findet sich nunmehr auch in § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO. (1) Berufliche Qualifikation

24

Die berufliche Qualifikation erfüllt zunächst jede natürliche Person, die als Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt bei einer Kammer in Deutschland _____________ 33) 34) 35) 36)

982

BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, Rz. 47, ZIP 2016, 321, 325. BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, Rz. 50, ZIP 2016, 321, 326. BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, Rz. 50, ZIP 2016, 321, 326. A. A. Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 28; resignierend zust. auch Braun-Blümle/ Erbe, StaRUG, § 74 Rz. 7.

Blankenburg

§ 74

Bestellung

zugelassen ist. Bei einer solchen Zulassung bedarf es keiner weiteren Prüfung durch das Gericht, ob abstrakt die Qualifikationen erfüllt sind.37) Bei ausländischen Bewerbern muss das Gericht hingegen prüfen, ob die Zulassung in den Heimatländern einem deutschen Pendant entspricht (siehe dazu Rz. 27). Ist dies der Fall, kann aufgrund der europäischen Dienstleistungsfreiheit die abstrakte Qualifikation nicht angezweifelt werden. Auslegungsbedürftig durch das Restrukturierungsgericht ist der Begriff der sonstigen vergleichbaren Qualifikation. Da die Qualifikationsbestimmung „Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt oder eine Person mit vergleichbarer Qualifikation“ bereits aus § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO a. F. (§ 270d Abs. 1 InsO n. F.) bekannt ist, könnte in Betracht gezogen werden, die dortigen Erkenntnisse auf § 74 zu übertragen.38) Indes sind die Aufgaben der dort genannten Personen kaum vergleichbar mit denen eines Restrukturierungsbeauftragten. Während bei § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO allein ein Insolvenzgrund und die Erfolgsaussichten für die Sanierung bescheinigt werden sollen, umfasst die Tätigkeit des Restrukturierungsbeauftragten ein deutlich komplexeres Feld an Aufgaben. Aufgrund der Möglichkeit, den Restrukturierungsbeauftragten zu beauftragen, den Zahlungsverkehr abzuwickeln, reicht allein die Kenntnis zur Auswertung von Bilanzen und Geschäftsbüchern nicht aus.39) Insoweit erscheint es fraglich, als Personen mit sonstigen Qualifikationen wie bei § 270d InsO auch Steuerbevollmächtigte und vereidigte Buchprüfer anzusehen.40)

25

Als einer sonstigen Qualifikation vergleichbar ist die Bestellung als Insolvenzverwalter oder Sachwalter anzusehen. Sind daher Personen (z. B. Diplomwirtschaftsjuristen, Betriebswirte) nicht schon den oben aufgeführten Berufsgruppen zugewiesen, indiziert die Bestellung als Insolvenzverwalter die Vergleichbarkeit. Da eine gewisse Erfahrung vorausgesetzt wird, kann auch ausgeschlossen werden, dass Personen, die bisher nur vereinzelt bestellt wurden, herangezogen werden. Während Unternehmensberater i. R. des § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO teilweise als nicht in Insolvenzsachen erfahrene Personen angesehen wurden,41) kann dies nicht ohne weiteres auch für § 74 gelten. Da es kein festes Bild des Unternehmensberaters gibt, indiziert allerdings nicht allein die Führung der Berufsbezeichnung „Unternehmensberater“ die entsprechende Erfahrung.42) Die Erfahrung kann sich aber daraus ergeben, dass Schuldner durch den Unternehmensberater federführend durch eine Sanierung begleitet wurden.

26

Bei ausländischen Bewerbern wird sich die Problematik stellen, die Vergleichbarkeit der Qualifikation innerhalb des bestehenden Zeitdrucks zu prüfen. Insoweit

27

_____________ 37) So auch zu § 270b InsO a. F. Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729, 730. 38) So scheinbar Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 171. 39) Dafür bei § 270d InsO Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rz. 17; Fiebig in: HambKommInsO, § 270b Rz. 23. 40) So bei § 270b InsO a. F. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rz. 17; Foltis in: FK-InsO, § 270b Rz. 23; Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270b Rz. 23. 41) So Gutmann/Laubereau, ZInsO 2012, 1861, 1867; Steffan/Solmecke, ZIP 2014, 2271, 2272; a. A. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rz. 17; Brünkmans in: HK-InsO, § 270b Rz. 24; Schulz/Schröder, ZIP 2017, 1096, 1101. 42) So auch Schulz/Schröder, ZIP 2017, 1096, 1101.

Blankenburg

983

§ 74

Bestellung

wird es zulässig sein, dass die Gerichte vom Schuldner den Nachweis der Vergleichbarkeit der Qualifikation des Bewerbers verlangen.43) (2) Erfahrung 28

Allein die abstrakte Qualifikation reicht nicht aus. Vielmehr muss die Person auch in Restrukturierungs- und Insolvenzsachen erfahren sein. Aus dem Begriff „erfahren“ lässt sich zunächst entnehmen, dass es sich bei der Person um keinen Anfänger in der Materie handeln darf. Vielmehr müssen die Erfahrungen in der Mitbetreuung von Restrukturierungs- oder Insolvenzsachen vorhanden sein.

29

Das Gesetz definiert nicht, was es unter Insolvenzsachen und Restrukturierungssachen versteht. Die Erfahrung in Insolvenzsachen wird voraussetzen, dass Kenntnisse in rechtlicher Hinsicht in Bezug auf die InsO bestehen. Soweit für die Bestellung als Insolvenzverwalter gefordert wird, dass Kenntnisse im Handels- und Gesellschaftsrechts, des Vertrags- und Prozessrechts, des Arbeits- und Sozialrechts, des Steuerrechts sowie der Betriebswirtschaftslehre einschließlich Rechnungswesen und Controlling bestehen,44) kann dies nicht ohne weiteres auf das StaRUG übertragen werden. Insbesondere das Arbeits- und Sozialrecht kann durch die Restrukturierungspläne nicht annähernd tangiert werden wie in Insolvenzverfahren, da Forderung von Arbeitnehmern gemäß § 4 Nr. 1 nicht in den Restrukturierungsplan mit aufgenommen werden können. Auch Kenntnisse im Prozessrecht erscheinen nicht erforderlich. Die Erfahrung in Restrukturierungssachen bezieht sich nicht nur auf StaRUG-Verfahren. Auch die außergerichtliche Sanierung ist miterfasst.45) Schwierig wird es aber zu fassen sein, was dann noch alles unter diesen Begriff fällt, da die Restrukturierung kein feststehender Begriff ist. Es ist dabei zu erwarten, dass der Bewerber mit daran beteiligt war, in finanzielle oder operative Schieflage geratene Unternehmen dabei zu unterstützen, durch ein Bündel an Maßnahmen die Krise zu entschärfen. Dabei muss dem Bewerber eine federführende Rolle zugekommen sein.

30

Problematisch könnte sich insoweit erweisen, dass die beiden Materien mit einem „und“ verknüpft sind. Dies könnte dahin ausgelegt werden, dass die Erfahrung in beiden Bereichen vorhanden sein muss. Dafür spricht, dass gerade bei der Anordnung nach § 76 Abs. 2 Nr. 2, 3 der Restrukturierungsbeauftragte dem vorläufigen Insolvenzverwalter stark angenähert ist. Anderseits werden diese Anordnungen nicht in jedem Verfahren getroffen. Insoweit erscheint es ausreichend, wenn bereits in Restrukturierungssachen Erfahrungen gesammelt wurden, ohne dass eine Bestellung als Insolvenzverwalter oder als Sachverwalter erfolgt ist.

31

Die Erfahrung ist nur vorhanden, wenn eine Tätigkeit vollumfänglich in der Materie erfolgt ist. Ebenso wie bei § 270d InsO reicht es nicht aus, wenn lediglich sanierungsferne Bereiche (Verbraucherinsolvenzverfahren, Vornahme der Forde-

_____________ 43) So Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rz. 17. 44) So Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 18; Jahntz in: FK-InsO, § 56 Rz. 28. 45) A. A. Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 37.

984

Blankenburg

§ 74

Bestellung

rungsanmeldungen) bearbeitet wurden.46) Die regelmäßige Bestellung als Insolvenzverwalter oder Sachwalter indiziert die Erfahrung im Insolvenzrecht,47) ist jedoch nicht erforderlich.48) In Restrukturierungssachen indiziert die Teilnahme an Verfahren nach dem 2. Teil des StaRUG die Erfahrung. Allein die Bestellung als Sanierungsmoderator erfüllt die Voraussetzungen nicht, kann jedoch ein Indiz für eine Erfahrung sein. Allein theoretische Kenntnisse i. R. der Fachanwaltsausbildung sind nicht ausreichend.49) Die Dauer der erforderlichen Tätigkeit lässt sich nicht allein am zeitlichen Moment festmachen. Soweit daher eine Mindesttätigkeit von vier Jahren gefordert wird,50) ist dem nicht pauschal zu folgen. Entscheidend ist vielmehr, in wie vielen Verfahren und in welchen Funktionen die Person eingesetzt war. Intensive Befassung mit der Materie für eine kürzere Zeit kann eine längere Berufserfahrung durchaus ausgleichen.51)

32

Um die Erfahrung des Bewerbers zu ermitteln, können Fragen dazu erfolgen, in wie vielen Verfahren der Bewerber in welchen Rollen beteiligt war. Dazu kann abgefragt werden, ob er bereits als Restrukturierungsbeauftragter, Sanierungsmoderator oder Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter bestellt wurde. Ebenso sollte abgefragt werden, ob er außergerichtliche oder gerichtliche Sanierungen als Teil der Geschäftsführung oder Generalbevollmächtigter begleitet hat oder beratend tätig geworden ist. Die Fragen sollten Staffelungen hinsichtlich der Unternehmensgröße aufweisen, damit die Erfahrung für das konkrete Verfahren eingeordnet werden kann. Kriterien für die Größe der Verfahren könnten die Anzahl der Mitarbeiter sowie der jeweilige Umsatz sein.

33

dd) Integrität Der Bewerber muss eine persönliche Integrität aufweisen. Relevant ist daher, ob Verurteilungen oder Anklagen wegen Insolvenzvergehen und Vermögensdelikten erfolgt sind. Diese müssen nicht im Zusammenhang mit der Tätigkeit als Insolvenzverwalter oder Restrukturierungsbeauftragter erfolgt sein.52) Ebenso wie im Insolvenzverfahren können solche Straftaten das Vertrauen in die Integrität des _____________ 46) Nerlich/Römermann-Riggert, InsO, § 270b Rz. 8; Hölzle, ZIP 2012, 158, 161; ähnlich Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rz. 18 „schwerpunkmäßige Befassung mit Insolvenzsachen“. 47) So auch für § 270b InsO Nerlich/Römermann-Riggert, InsO, § 270b Rz. 8; ähnlich Kern in: MünchKomm-InsO, § 270b Rz. 47; erfolgt keine Bestellung mehr als Insolvenzverwalter, können Zweifel an der aktuellen Erfahrung bestehen (AG München, Beschl. v. 29.3.2012 – 1507 IN 1125/12, ZInsO 2012, 745 = ZIP 2012, 789. 48) Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729, 730; Frind, ZInsO 2012, 1546, 1549; Schulz/Schröder, ZIP 2017, 1096, 1101. 49) Kern in: MünchKomm-InsO, § 270b Rz. 46; so auch für die Insolvenzverwalterauswahl Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 18; Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 19. 50) Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 37; Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rz. 18; Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729, 730; a. A. Kern in: MünchKomm-InsO, § 270b Rz. 49; Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270b Rz. 18; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ringstmeier, InsR, § 270b InsO Rz. 10. 51) So auch Kern in: MünchKomm-InsO, § 270b Rz. 49. 52) BGH, Beschl. v. 31.1.2008 – III ZR 161/07, Rz. 5, ZIP 2008, 466.

Blankenburg

985

34

§ 74

Bestellung

Bewerbers so erschüttern, dass eine Bestellung generell ausgeschlossen erscheint.53) Während bei Verbrechen in der Regel davon auszugehen ist, dass die Integrität des Verwalters nicht mehr gegeben ist, muss bei Vergehen und gar Ordnungswidrigkeiten eine individuelle Prüfung erfolgen, ob der Bewerber aufgrund der verwirklichten Tatbestände für die Übernehmen der Position als Restrukturierungsbeauftragter ungeeignet ist.54) 35

Grundsätzlich ist der Bewerber verpflichtet offenzulegen, wenn er wegen vermögensrechtlicher Straftaten verurteilt wurde.55) Dennoch sollte das Gericht eine entsprechende Frage dazu in einem von dem Bewerber auszufüllenden Fragebogen aufnehmen. Zur Verifizierung der Angaben kann ein Bundeszentralregisterauszug erbeten werden.56) Ebenso ist abzufragen, ob bereits ein Delisting von der Liste eines anderen Restrukturierungsgerichts oder Insolvenzgerichts erfolgt ist. Die Einreichung eines Leumundszeugnisses kann nicht gefordert werden.57) ee) Bonität

36

Da der Restrukturierungsbeauftragte gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 2 lit. b damit beauftragt werden darf, Geld entgegen zu nehmen, bedarf das Restrukturierungsgericht auch Informationen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen. Insoweit sollte der Bewerber versichern, dass er in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt.58) Daran fehlt es insbesondere, wenn über das Vermögen des Bewerbers ein Insolvenzverfahren durch ihn selbst beantragt wurde, ein solches eröffnet wurde oder wenn im wesentlichen Umfang Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen erfolgt sind.59) Nicht erforderlich, aber rechtlich zulässig60) ist es, dass das Restrukturierungsgericht selbst eine entsprechende Negativbescheinigung einholt. ff) Büroorganisation

37

Um beurteilten zu können, ob und in welchen Verfahren der Bewerber als Restrukturierungsbeauftragter eingesetzt werden kann, muss das Restrukturierungsgericht wissen, wie die Büroorganisation ausgestaltet ist.61) Unerheblich dabei ist, ob der Bewerber selbst Partner oder nur Angestellter einer Kanzlei oder einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ist, solange er Zugriff auf die Ressourcen nehmen kann. Abzufragen ist die Anzahl der Standorte, die Anzahl der Mitarbeiter der Büroorganisation an den jeweiligen Standorten und die EDV-Ausstattung. Letzteres ist entscheidend, wenn dem Restrukturierungsbeauftragten weitergehende Prüfungspflich_____________ 53) BGH, Beschl. vom 31.1.2008 – III ZR 161/07, Rz. 5, ZIP 2008, 466; BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 1/15, Rz. 27, ZIP 2016, 876, 880. 54) Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 79. 55) A. A. Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 79. 56) So auch Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 16. 57) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.1.2011 – I-3 VA 2/10, ZIP 2011, 341, 343. 58) So zu § 56 InsO OLG Düsseldorf, Beschl. v 20.1.2011 – I-3 VA 2/10, ZIP 2011, 341, 343; Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 35. 59) Bork, ZIP 2017, 2173, 2180. 60) Dazu Bork, ZIP 2017, 2173, 2180. 61) Dazu BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 2/15, Rz. 29, ZIP 2016, 930, 933; BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15, Rz. 17 f., ZIP 2016, 2127, 2129.

986

Blankenburg

§ 74

Bestellung

ten nach § 76 Abs. 2 übertragen werden sollen. Ebenso ist von Relevanz, ob und in welchem Umfang die Mitarbeiter im Restrukturierungs- und Insolvenzrecht geschult sind.62) gg) Ortsnähe/Erreichbarkeit Kein geeignetes Kriterium ist die Ortsnähe. Bereits im Insolvenzverfahren wird diese grundsätzlich nicht als allgemeines Kriterium für den Ausschluss von der Liste als ausreichend angesehen.63) Sie wird ggf. nur bei der konkreten Einzelfallbestellung berücksichtigt. Bei den Restrukturierungssachen wird dieses Kriterium keine Rolle spielen können.64) Da der Restrukturierungsbeauftragte nicht operativ in das Geschäft des Schuldners einsteigen muss und eine Aufsicht gemäß § 76 Abs. 2 auch auf größere Entfernung möglich ist, ist es vollkommen unerheblich, wo der Bewerber seinen Sitz hat. Insoweit kann sich lediglich im Einzelfall die Frage stellen, ob die Beauftragung mangels örtlicher Nähe nicht teurer wird, wenn in hohem Maße Reise- und Übernachtungskosten sowie Tagegeld geltend gemacht werden.65)

38

Ein zulässiges Auswahlkriterium ist es, ob der Bewerber für das Gericht hinreichend erreichbar ist.66) Es muss gewährleistet sein, dass das Gericht für Zwischenfragen den Restrukturierungsbeauftragten auch außerhalb der Geschäftszeiten erreichen kann. Dies begründet allerdings nicht den Bedarf einer Ortsnähe,67) vielmehr reicht es aus, wenn eine Mobilfunknummer und eine E-Mail-Adresse abgefragt werden.

39

hh) Höchstpersönliche Bearbeitung Im Rahmen der Bestellung eines Insolvenzverwalters geht die h. M. davon aus, dass die Beauftragung als solches bzw. seine Tätigkeit nicht auf einen anderen übertragen kann.68) Die wesentlichen Handlungen, insbesondere die Leitung der Abstimmung, kann er nur persönlich vornehmen, wenn auch der Einsatz von Mitarbeitern in größeren Verfahren praktisch unvermeidbar oder gar geboten sein kann.69) Insbesondere der Ausschluss von juristischen Personen wird damit begründet, dass die Tätigkeit höchstpersönlich wahrzunehmen ist. Deswegen sei ein Bewerber nicht auf die Vorauswahlliste aufzunehmen, wenn zu befürchten steht, dass er die nur durch den Insolvenzverwalter persönlich vorzunehmenden Tätigkeiten anderen überträgt. Für den Insolvenzverwalter wird dies angenommen, wenn der Bewerber nur als sog. _____________ 62) So auch OLG Hamburg, Beschl. v. 3.8.2011 • 2 VA 9/11, NZI 2011, 762, 765 f.; abl. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 27. 63) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08, Rz. 13, ZIP 2009, 1722, 1724; BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 2/15, Rz. 24 ff., ZIP 2016, 930, 933; BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15, Rz. 17 f., ZIP 2016, 2127, 2129. 64) Krit. dazu Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2436. 65) Ähnlich Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 70. 66) Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 65 f. 67) So noch OLG Koblenz, Beschl. v. 12.5.2005 – 12 VA 1/04, ZIP 2005, 1283, 1287. 68) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08, Rz. 26, ZIP 2009, 1722, 1724; BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15, Rz. 13, ZIP 2016, 2127, 2128; dazu nur UhlenbruckZipperer, InsO, § 56 Rz. 20 ff.; Pape, ZInsO 2017, 1341, 1349. 69) BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15, Rz. 13, ZIP 2016, 2127, 2128; ähnlich BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08, Rz. 23, ZIP 2009, 1722, 1724.

Blankenburg

987

40

§ 74

Bestellung

„Akquisitionsverwalter“ auftritt und nach dem „Subunternehmerprinzip“ arbeitet, also substantiell nicht an der Verwaltung mitwirkt.70) Allein der Umstand, dass der Bewerber zum Zeitpunkt der Bewerbung eine so große Anzahl von Restrukturierungs- oder Insolvenzverfahren bearbeitet, dass eine höchstpersönliche Bearbeitung in Frage steht, wenn er mit weiteren Verfahren beauftragt wird, rechtfertigt es nicht, ihn nicht auf die Vorauswahlliste aufzunehmen. Denn wenn die konkrete Bestellung ansteht, kann sich die Überlastungssituation des Bewerbers geändert haben. Daher berührt dieser Gesichtspunkt allein die konkrete Bestellungsentscheidung und spielt dort eine gewichtige Rolle.71) 41

Fraglich erscheint, inwieweit diese Erkenntnisse auf den Restrukturierungsbeauftragten zu übertragen sind. Auch wenn davon auszugehen ist, dass grundsätzlich auch juristische Personen mit der Aufgabenwahrnehmung betraut werden können, ist auch beim Restrukturierungsbeauftragten zu erwarten, dass die wesentlichen Aufgaben höchstpersönlich wahrgenommen werden. Bei einer natürlichen Person ist zu erwarten, dass die Tätigkeiten im Wesentlichen durch die bestellte Person koordiniert werden, da sich die Eignungsprüfung gerade auf die bestellte Person bezogen hat. Dies kann nicht dadurch umgegangen werden, dass der Bewerber nur seinen Namen hergibt, aber die Bearbeitung durch andere erfolgt. Sollten juristische Personen zugelassen werden, ist insoweit zu erwarten, dass einer der Gesellschafter bzw. Partner die Tätigkeiten wesentlich koordiniert. Ein Wechsel der betreuenden Person ist dann durchaus möglich. Insoweit besteht allerdings die Gefahr, dass bereits die Ungeeignetheit eines Partners auf die gesamte Gesellschaft durchschlägt, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Person dann in einem Verfahren eingesetzt wird. ii) Unabhängigkeit

42

Problematisch sind die Fragen der Unabhängigkeit des Bewerbers. Der BGH hat dazu bei der Insolvenzverwalterauswahl ausgeführt, dass der Verwalter verpflichtet ist, von sich aus dem Insolvenzgericht einen Sachverhalt anzuzeigen, der bei unvoreingenommener, lebensnaher Betrachtungsweise die ernstliche Besorgnis rechtfertigen kann, dass der Verwalter als befangen an seiner Amtsführung verhindert ist. Deswegen muss er, wenn er in einem konkreten Verfahren bestellt werden soll, dem Insolvenzgericht mitteilen, ob er den Schuldner oder einen Insolvenzgläubiger beraten hat, ob er in ständiger Geschäftsbeziehung zu diesen steht oder ob er am Schuldner oder an Insolvenzgläubigern wirtschaftlich beteiligt ist.72) Dies könne nicht in gleichem Maße für den Bewerber gelten, der auf eine Vorauswahlliste aufgenommen werden möchte, weil solange, wie der Bewerber nur auf der Vorauswahlliste geführt wird, die künftigen Verfahrensbeteiligten nicht bekannt sind und eine konkrete Abhängigkeit deswegen nicht geprüft werden kann. Nur wenn der Bewerber mit einem Großgläubiger wirtschaftlich verbunden sei, der auch aus _____________ 70) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08, Rz. 23, ZIP 2009, 1722, 1724; BGH, Beschl. v 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15, Rz. 14, ZIP 2016, 2127, 2128. 71) BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15, Rz. 14, ZIP 2016, 2127, 2128. 72) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 1/15, Rz. 26, ZIP 2016, 876, 879; BGH, Beschl. v 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15, Rz. 23, ZIP 2016, 2127, 2130.

988

Blankenburg

§ 74

Bestellung

seiner Sicht erfahrungsgemäß an vielen Insolvenzverfahren als Insolvenzgläubiger beteiligt ist, die an dem Insolvenzgericht geführt werden, bei dem er die Aufnahme auf die Vorauswahlliste begehrt, muss er dies von sich aus in seiner Bewerbungsschrift offenbaren.73) Das kann aber nur gelten, wenn der Bewerber nicht unerhebliche Beteiligungen an dem Großgläubiger hält, dort in die Führungsebene eingebunden ist oder diesen in bedeutendem Umfang regelmäßig berät. Es reicht nicht aus, dass ein Bewerber bei einer örtlichen Bank entweder persönlich oder über ein Unternehmen, an dem er beteiligt ist, oder als Insolvenzverwalter Konten führt oder Kredite aufgenommen hat, jedenfalls solange diese zu üblichen Bedingungen gewährt worden sind.74) Diese Grundsätze können zwar dem Grunde nach auch für das Restrukturierungsverfahren übernommen werden,75) sind dort jedoch noch restriktiver zu handhaben, wenn der Bezirk des Restrukturierungsgerichts über den eines einzelnen AG hinausgeht. Bei einem großen Gerichtsbezirk wird kaum damit zu rechnen sein, dass immer der mit dem Bewerber wirtschaftlich verbundene Gläubiger beteiligt ist. Die wirtschaftliche Beteiligung wird daher nur im Einzelfall zu prüfen sein. Insoweit kann es sich anbieten, dazu bereits in einem Fragebogen Fragen aufzunehmen, deren Bejahung dann noch nicht zum Ausschluss von der Liste führt, sondern lediglich der Vorbereitung der Einzelfallentscheidung dient.

43

jj) Erfahrung Grundsätzlich ist es auch möglich, Erfahrungen aus den bisherigen Bestellungen für die weiteren Bestellungen in Erwägung zu ziehen. Dies gilt sowohl für die Bestellung als Restrukturierungsbeauftragter als auch als Insolvenzverwalter. Für den Ausschluss von der Liste muss das Gericht den Bewerber allerdings grundsätzlich für jedes Verfahren als ungeeignet ansehen. Die Ungeeignetheit darf nicht aus einem einmaligen unbedeutenden Fehlverhalten, das jedem Restrukturierungsbeauftragten oder Insolvenzverwalter einmal unterlaufen kann, hergeleitet werden, sondern es muss sich auf einen gravierenden Verstoß beziehen, der die weitere Zusammenarbeit zwischen dem Gericht und dem Bewerber nachhaltig beeinträchtigt.76)

44

kk) Berufshaftpflichtversicherung Ein weiteres Kriterium, das zu prüfen ist, ist die Berufshaftpflichtversicherung. Da sich auch der Restrukturierungsbeauftragte für eine unterlassene Überwachung gegenüber den Gläubigern haftbarmachen kann, sollte grundsätzlich eine Berufshaftpflichtversicherung vorhanden sein. Auch wenn das Risiko einer Haftung geringer ist als in Insolvenzverfahren, da der Restrukturierungsbeauftragte nicht den Geschäftsbetrieb fortführt, ist dieses jedoch nicht nur abstrakt gegeben. Ähnlich wie

_____________ 73) 74) 75) 76)

So auch Weitergehend Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Lund, InsR, § 56 InsO Rz. 8. BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15, Rz. 23, ZIP 2016, 2127, 2130. So auch Spiekermann, NZI 2020, 977, 984. BGH, Beschl. v. 31.1.2008 – III ZR 161/07, Rz. 5, ZIP 2008, 466; BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 1/15, Rz. 27, ZIP 2016, 876, 880; so auch Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 16.

Blankenburg

989

45

§ 74

Bestellung

bei einem Sachwalter sollte eine ausreichende Haftpflichtversicherung vorhanden sein. Die Mindestdeckungssumme sollte bei 2 Mio. € liegen. ll) Zertifikate 46

In die Diskussion für die Auswahl der Insolvenzverwalter fließt immer wieder mit ein, dass durch die Insolvenzgerichte zu berücksichtigen sei, ob entsprechende Zertifikate vorhanden sind. Dies ist grundsätzlich abzulehnen. Allein ein Zertifikat vermag die Qualifikation für die Tätigkeit nicht zu belegen.77) Da es keinen allgemeingültigen Standard für Zertifizierungen gibt, bestünde die Gefahr, dass durch eine unübersichtliche Fülle von Anbietern Zertifikate ausgestellt würden und insoweit das Restrukturierungsgericht werten müsste, welches Zertifikat wie viel wert ist.78) Die Justiz darf sich nicht von der Einschätzung Dritter abhängig machen, da nicht ersichtlich ist, welche Vorgänge im Hintergrund ablaufen. Ein Zertifikat kann allerdings dazu dienen, die Angaben des Bewerbers plausibel erscheinen zu lassen. mm) Unzulässige Kriterien

47

Unzulässige Kriterien für die Auswahl sind das Alter79), das Geschlecht80) und die Nationalität.81) Das Erfordernis überdurchschnittlicher Examina ist ebenfalls ungeeignet.82) Ferner kann keine Obergrenze für die Anzahl der Bewerber eingeführt werden.83)

_____________ 77) Ebenso Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 62; Bork, ZIP 2017, 2173, 2181; a. A. Thole, ZIP 2017, 2183, 2191 (insoweit ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gutachten vom Gravenbrucher Kreis in Auftrag gegeben wurde, der die Zertifizierung InsOExcellence erteilt); wohl auch Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 56 Rz. 48. 78) So auch Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 27, 31. 79) KG Berlin, Beschl. v. 8.1.2008 – 1 VA 7/07, NZI 2008, 187, 188; OLG Hamburg, Beschl. v. 6.1.2012 – 2 VA 15/11, ZIP 2012, 336, 337; Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 37; Bork, ZIP 2017, 2173, 2179; a. A. Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 55a. 80) Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 32; für eine stärkerer Berücksichtigung von Frauen bei der Auswahlentscheidung AG Frankfurt/O., Beschl. v. 22.10.2013 – 3 IN 385/13, NJW-RR 2014, 164, 166 f. 81) Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 55b. 82) OLG Hamburg, Beschl. v. 8.10.2008 – 2 Va 4/07, NZI 2008, 744, 746 f.; zu emotionalen Kompetenz des Insolvenzverwalters ausführlich Römermann/Hörmann, NZI 2013, 623 ff. 83) So auch Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 36; Graf-Schlicker-Graf/Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 88; Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, § 56 Rz. 21; dafür AG Frankfurt/O., Beschl. v. 22.10.2013 – 3 IN 385/13, NJW-RR 2014, 164, 166 f., das seine Praxis nach einem Hinweis des Brandenburgischen OLG aber aufgegeben hat; nach Graeber in: MünchKommInsO, § 56 Rz. 92, 99b, stellt eine Liste ohne zahlenmäßige Begrenzung nur eine Farce dar, da eine Aktualisierung der Daten nicht möglich ist. Dem ist zu widersprechen, wie das Hannoveraner Modell zeigt. Wünschenswert wäre allerdings, dass es zu einer bundeseinheitlichen Erhebung der Daten kommt, so dass die einzelnen Insolvenzgerichte davon entlastet werden würden.

990

Blankenburg

§ 74

Bestellung

Soweit gefordert wird, dass der Bewerber „soft skills“ wie Konfliktlösungskompetenz oder Kreativität besitzt, mag dies zwar für die Tätigkeit nicht unerheblich sein, allerdings sind solche weichen Kriterien kaum justiziabel abfragbar.84)

48

Die Belastungssituation ist grundsätzlich nur bei der jeweiligen Einzelfallentscheidung zu berücksichtigen (siehe dazu Rz. 72) und führt nicht dazu, dass der Bewerber nicht auf die Liste zu nehmen wäre.85) Es ist allerdings zulässig, bereits im Bewerbungsverfahren entsprechende Zahlen zu erfragen, um das Gericht für den Einzelfall zu sensibilisieren.

49

c) Verfahren zur Erstellung der Liste Um eine hinreichend strukturierte Liste erstellen zu können, bedarf das Gericht der Information, welche Bewerber sich mit welchen Qualifikationen um die Bestellung als Restrukturierungsbeauftragter bewerben. Erforderlich ist daher, dass das Gericht einen Fragebogen anbietet, den die jeweiligen Bewerber ausfüllen.86) Damit eine Auswertung erfolgen kann, sollte der Fragebogen möglichst elektronisch erstellt werden. Hierzu bedarf der Richter grundsätzlich der Unterstützung der Justizverwaltung, da es in der Regel aufgrund fehlender EDV-Kenntnisse kaum möglich ist, einen Fragenbogen in adäquater technischer Form zu erstellen.

50

Der Fragebogen wird zunächst Fragen zur Person des Bewerbers enthalten müssen, wie Name, Anschrift und insbesondere die erzielte Qualifikation. Da die Einsetzung als Restrukturierungsbeauftragter bestimmte berufliche Qualifikationen voraussetzt, sind ebenfalls Angaben zur Kanzlei oder der sonstigen beruflichen Büroorganisation zu machen. Die Fragentiefe ist bedingt durch die einzelnen Kriterien, die für die Auswahlentscheidung als erheblich angesehen werden. Schließlich werden sich noch Fragen zur Berufserfahrung und ggf. Unabhängigkeit des Verwalters anschließen.

51

Für jeden Bewerber, der sich beim Restrukturierungsgericht bewirbt, sollte zunächst eine Akte angelegt werden.87) Die eingereichten Fragebögen sind dann in eine Liste einzulesen, die zumindest die Möglichkeit gibt, die Daten nach den vorgegebenen Kriterien zu sortieren. Diese Liste muss dann sämtlichen Richtern zugänglich gemacht werden, damit sie bei der konkreten Auswahlentscheidung umgehend _____________

52

84) So auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.1.2011 – I-3 VA 2/10, ZIP 2011, 341, 342; Bork, ZIP 2017, 2173, 2180; soweit Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 40, ausführt, dass es dazu erlernbare Techniken gibt, ist nicht klar, welche Konsequenz daraus gezogen werden soll. 85) BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15, Rz. 14, ZIP 2016, 2127, 2129. 86) So auch ausführlich dazu Bork, ZIP 2017, 2173 ff.; zum Hannoveraner Modell Blankenburg/ Kramer/Noll/Sauer-Colberg, ZInsO 2017, 1018 ff.; a. A. Ahrens/Gehrlein/RingstmeierLund, InsR, § 56 InsO Rz. 20, der einen Fragebogen nicht für erforderlich hält; UhlenbruckZipperer, InsO § 56 Rz. 11, der ein Bewerbungsgespräch für sachgerecht hält. Dies stellt allerdings neu an das Gericht kommende Kollegen vor erhebliche Herausforderungen, wenn sie mangels Datenlage zunächst zwischen 80 und 150 Bewerber mündlich anhören müssen. Bei neuen Bewerbern bietet es sich aber an, zusätzlich zum Fragebogen ein Bewerbungsgespräch zu führen, um die Bewerber persönlich kennenzulernen; zur Einführung einer bundeseinheitlichen Liste zuletzt Vallender, ZIP 2019, 158, 163 ff.; Cranshaw, NZI 2020, 143, 144 ff. 87) So auch Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 9.

Blankenburg

991

§ 74

Bestellung

auf sie zurückgreifen können. Da sich die Daten der Bewerber ggf. ändern, sollten die Daten der auf der Liste befindlichen Bewerber zumindest alle drei Jahre aktualisiert werden.88) 53

Da auch i. R. des Auswahlverfahrens der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, ist der Restrukturierungsrichter verpflichtet, sämtliche relevanten Umstände zu ermitteln.89) Fehlen daher Angaben, kann eine Ablehnung der Aufnahme nicht allein darauf gestützt werden. Vielmehr ist dem Bewerber dann eine Nachfrist zur Behebung etwaiger Mängel zu setzen.90)

54

Hinsichtlich der Aufnahme auf die Vorauswahlliste besteht anders als bei der Bestellung im Einzelfall (siehe dazu Rz. 59 ff.) kein Ermessen, sondern lediglich ein Beurteilungsspielraum.91) Die Aufnahme und die Ablehnung des Bewerbers hat durch einen schriftlichen Bescheid der listenführenden Richter zu erfolgen.92) Der Bescheid muss mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen werden (zu den Rechtsmitteln siehe Rz. 108 ff.). Die Ablehnung eines Bewerbers muss begründet werden.93)

55

Die Aufnahme von ausländischen Bewerbern kann nicht gemäß Art. 102a Satz 1 EGInsO über eine zentrale staatliche Stelle erfolgen, da Art. 102a EGInsO nur auf die Aufnahmen bei den Insolvenzgerichten anwendbar ist. Es stellt sich daher die Frage, ob die Umsetzung zur Auswahl des Restrukturierungsbeauftragten europarechtskonform zur Richtlinie 2006/123/EG94) erfolgt ist. Diese fordert insbesondere, dass es ein einheitliches Zulassungsverfahren für das gesamte Bundesgebiet gibt, damit keine Mehrfachbewerbungen erforderlich sind.95) Die Einordnung, ob ein Insolvenzverwalter unter den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, ist umstritten. Teilweise wird davon ausgegangen, dass eine Anwendung ausgeschlossen sei, da der Insolvenzverwalter in Ausübung öffentlicher Gewalt i. S. des Art. 2 Abs. 2 _____________ 88) So auch Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Lund, InsR, § 56 InsO Rz. 23; ähnlich Kübler/ Prütting/Botk-Lüke, InsO, § 56 Rz. 26; krit. zu der praktischen Umsetzbarkeit Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 99b; a. A. wohl Bork, ZIP 2017, 2173, 2176, nach dem das Gericht nur nach den Umständen fragen soll, die sich geändert haben, da das erneute Ausfüllen des Fragebogens unverhältnismäßig sei. Als Alternative wird vorgeschlagen, sich regelmäßig einer (kostenträchtigen) Zertifizierung zu unterziehen. Insoweit erscheint es mehr als bedenklich, dass sich das Gericht auf eine kostenpflichtige Prüfung durch Dritte verlassen können soll, ohne selbst die Daten zu erheben. Der Aufwand der Aktualisierung eines Fragebogens dürfte gegen eine erneute Zertifizierung marginal sein, zudem z. B. durch das AG Hannover die Funktion angeboten wird, die alten Daten aus dem Fragebogen zu übernehmen und so lediglich punktuell Aktualisierungen vorzunehmen. 89) Dazu Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 33. 90) Nur für einen Hinweis ohne Fristsetzung Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 33. 91) BGH, Beschl. v. 19.12.2007 – IV AR(VZ) 6/07, Rz. 20, ZIP 2008, 515, 517; BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 1/15, Rz. 24, ZIP 2016, 876, 880; ebenso Jahntz in: FK-InsO, § 56 Rz. 20; Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, § 56 Rz. 23a. 92) Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 9, 34; zur Frage der Listenführung durch mehrere Richter ausführlich Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, § 56 Rz. 21. 93) KG Berlin, Beschl. v. 11.1.2006 – 16 VA 5/05, ZIP 2006, 294, 296; Graeber in: MünchKommInsO, § 56 Rz. 100; Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 34; Ahrens/Gehrlein/RingstmeierLund, InsR, § 56 InsO Rz. 22; Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 51. 94) Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. (EU) L 376/36 v. 27.12.2006. 95) Dazu Graf-Schlicker-Graf-/Schlicker, InsO, § 56 Rz. 25.

992

Blankenburg

§ 74

Bestellung

lit. i Richtlinie 2006/123/EG tätig werde.96) Ob der EuGH diese Einschätzung teilen wird, erscheint fraglich. Sollte der EuGH von einer Anwendbarkeit ausgehen, wäre insoweit problematisch, dass es kein bundeseinheitliches Auswahlverfahren gibt. Aufgrund der vermutlich größeren Internationalität sowie des harmonisierten Rechts ist zu vermuten, dass sich für die Position des Restrukturierungsbeauftragten mehr ausländische Bewerber interessieren werden, so dass es ggf. in diesem Bereich zu einer Klärung durch den EuGH kommen wird. d) Delisting Ein Delisting bedeutet, dass der Bewerber von der Vorauswahlliste des Restrukturierungsgerichts genommen wird.97) Dies erfolgt, wenn der Bewerber die Kriterien für die Aufnahme auf die Vorauswahlliste nicht mehr erfüllt.98) Nicht erforderlich ist, dass die Voraussetzungen für eine Entlassung des Restrukturierungsbeauftragten in einem konkreten Verfahren vorliegen.99)

56

Soll ein Delisting erfolgen, ist dem Bewerber Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.100) Ebenso wie die ablehnende Aufnahmeentscheidung hat auch das Delisting durch einen schriftlichen Bescheid zu erfolgen.101) Dieser ist zu begründen und mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen.102) Es handelt es sich bei der DelistingEntscheidung auch um einen Justizverwaltungsakt gemäß § 23 EGGVG.103)

57

e) Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Listenführung Siehe dazu Rz. 108 ff. 2.

58

Bestellung im Einzelfall

Das Gericht muss bei der konkreten Bestellungsentscheidung prüfen, ob der einzusetzende Restrukturierungsbeauftragte die Anforderungen für die konkrete Situation erfüllt. Dem Restrukturierungsgericht kommt insoweit ein weites Auswahlermessen zu.104) Über die Voraussetzungen, die bereits durch die Vorauswahlliste verifiziert wurden, muss der Restrukturierungsbeauftragte im konkreten Fall unabhängig sowie fachlich und persönlich geeignet sein, die Aufgaben, die ihm zuge_____________ 96) Frind in: HambKomm-InsO, § 56 Rz. 4; a. A. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 5; Graf-Schlicker-Graf/Schlicker, InsO, § 56 Rz. 23. 97) So auch zur Insolvenzverwaltervorauswahlliste Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 36; zum „kalten“ Delisting ausführlich Smid, ZInsO 2018, 589 ff. 98) Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 58; nach Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 36, soll ein Delisting auch vorliegen, wenn der Bewerber nicht auf die Liste aufgenommen wird. Dies entspricht allerdings schon nicht dem Wortsinn, da ein Entfernen von der Liste nur möglich ist, wenn sich der Bewerber bereits auf der Liste befunden hat. 99) Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 36. 100) Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 36; Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 59. 101) Zum sog. kalten Delisting Smid, ZInsO 2018, 489 ff. 102) Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 37. 103) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 1/15, Rz. 8 ff., ZIP 2016, 876, 877. 104) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, Rz. 30, ZIP 2006, 1355, 1358; BVerfG, Beschl. v. 12.7.2006 – 1 BvR 1493/05, Rz. 10, ZIP 2006, 1956, 1957; BVerfG, Beschl. v. 19.7.2006 – 1 BvR 1351/06, Rz. 6, ZIP 2006, 1541, 1542.

Blankenburg

993

59

§ 74

Bestellung

wiesen werden sollen, erfüllen zu können. Soll eine Person, die nicht gelistet ist, bestellt werden,105) sind insoweit die Listenvoraussetzungen auch bei dieser Person zu prüfen. Nicht erforderlich für die Bestellung einer nicht gelisteten Person ist, dass sich auf der vom Gericht geführten Liste keine andere geeignete Person befindet, da die Listung nicht dazu führt, dass ein Anspruch auf vorrangige Bestellung besteht.106) a) Unabhängigkeit 60

Der zu bestellende Restrukturierungsbeauftragte muss von Schuldner und Gläubigern unabhängig sein (zur Unabhängigkeit im Allgemeinen siehe Rz. 42 f.). Unabhängig ist er, wenn er weder in rechtlicher Form im konkreten Verfahren mit einem der Beteiligten verbunden ist noch aufgrund der tatsächlichen Umstände sich verpflichtet sieht, die Interessen eines der Beteiligten zu bevorzugen.107) Anders als bei der Prüfung der Aufnahme auf die Vorauswahlliste muss die Unabhängigkeit nicht abstrakt, sondern auf den jeweiligen Einzelfall bezogen geprüft werden. Das Gericht hat daher zu ermitteln, ob rechtliche oder wirtschaftliche Verflechtungen zu einem Beteiligten bestehen. Insoweit reicht wie bei der Prüfung der Befangenheit die Besorgnis der Befangenheit aus.108) Von einer fehlenden Unabhängigkeit ist grundsätzlich auszugehen, wenn die zu bestellende Person als Schuldner oder Gläubiger in dem Verfahren beteiligt oder verwandtschaftlich mit dem Schuldner verbunden ist.109)

61

§ 56 Abs. 1 Satz 3 InsO beinhaltet zwei Umstände, die grundsätzlich nicht die Unabhängigkeit tangieren. Zum einen der Umstand, dass der Prätendent von einem Verfahrensbeteiligten vorgeschlagen wurde und zum anderen, dass er vor dem Eröffnungsantrag in allgemeiner Form über den Ablauf des Insolvenzverfahrens und dessen Folgen beraten hat. Ein entsprechender Passus findet sich in § 74 hingegen nicht. Insoweit wird zu differenzieren sein.

62

Dem Schuldner, den Gläubigern und den Anteilinhabern steht gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 ein Vorschlagsrecht zu. Dieses Vorschlagsrecht ist zwar nicht bindend, soll jedoch vom Gericht berücksichtigt werden (zur Bindungswirkung siehe Rz. 76). Soll dieses Vorschlagsrecht nicht vollkommen leerlaufen,110) muss der Rechtsgedanke des § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 InsO entsprechend übertragen werden. Daher führt allein der Vorschlag einer der oben aufgeführten Personen nicht zu der Vermutung der fehlenden Unabhängigkeit.111) Das Gericht wird dann aber gehalten sein, die Gründe für den Vorschlag zu eruieren. Beruht dieser auf verfahrensfremden Er_____________ 105) Zu dieser Möglichkeit im Insolvenzverfahren Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 40. 106) A. A. Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 82. 107) Ausführlich zum Begriff der Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters Spiekermann, NZI 2020, 977, 978 ff. 108) Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 49; Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 35; ähnlich Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 86, die den Kerngedanken der §§ 41 ff. ZPO heranziehen will; ebenso Frind, ZInsO 2017, 363, 364. 109) Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 92. 110) Raab, ZInsO 2020, 67, nennt dies „genannt, verbrannt“. 111) Dazu ausführlich Raab, ZInsO 2020, 67, 68.

994

Blankenburg

§ 74

Bestellung

wägungen (z. B. freundschaftliches Verhältnis), wird von einer Bestellung Abstand zu nehmen sein. Der Gesetzgeber scheint allerdings selbst Zweifel an der Unabhängigkeit von vorgeschlagenen Personen zu hegen, da es möglich ist, bei einem bindenden Vorschlag einen weiteren Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen. Eine solche weitere kostenverursachende Beteiligung erscheint nur dann sinnvoll, wenn davon auszugehen ist, dass die vorgeschlagene Person ihre Aufgaben nicht im Interesse aller wahrnehmen wird. Problematisch erscheint die allgemeine Beratung. Ein entsprechendes Pendant zu § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 InsO findet sich im StaRUG nicht. Da der Restrukturierungsbeauftragte eine unabhängige Kontrollfunktion wahrnehmen soll, wie sich insbesondere aus dem Institut des weiteren Restrukturierungsbeauftragten ergibt, führt eine Vorbefassung grundsätzlich dazu, dass eine unabhängige Wahrnehmung der Tätigkeit nicht mehr möglich ist. Eine Beteiligung im Sanierungsverfahren lässt daher die Unabhängigkeit entfallen. Gleiches gilt für die Beratung dahin, wie sich ein Beteiligter konkret im Verfahren verhalten soll.112) Aber auch bereits allgemeine Beratungen113) können den Schein der Abhängigkeit zu einem Beteiligten begründen und bedürfen einer genauen Prüfung.114)

63

Besonders kritisch ist die Unabhängigkeit, wenn der potentielle Restrukturierungsbeauftragte zu dem Schuldner früher in einer Mandatsbeziehung stand. Insoweit kann der Grundgedanke aus § 45 BRAO herangezogen werden. Durch den Ausschuss wegen einer früheren Mandatierung soll ein Interessenkonflikt vermieden werden und es soll verhindert werden, dass der Rechtsanwalt Insiderwissen für seine Tätigkeit als Restrukturierungsbeauftragter nutzen muss.115) Zu beachten ist zudem, dass durch § 45 Abs. 3 BRAO die Tätigkeitsverbote auch auf weitere Mitglieder einer Sozietät erstreckt werden.116) Diese Grundgedanken sind auch bei anderen Personen außerhalb des Anwendungsbereichs der BRAO entsprechend heranzuziehen.117) Es ist allerdings jeweils eine wertende Betrachtung vorzunehmen, so dass je nach Dauer, Aktualität und Umfang der früheren Tätigkeit zu differenzieren ist.118) Ein längerer zeitlicher Abstand spricht gegen eine mögliche Abhängigkeit.119)

64

_____________ 112) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 1/15, Rz. 27, ZIP 2016, 876, 880; so auch Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Lund, InsR, § 56 InsO Rz. 11. 113) Zum Inhalt einer allgemeinen Beratung Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 31b; Spiekermann, NZI 2020, 977, 981. 114) Nach Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Lund, InsR, § 56 InsO Rz. 10, ist die rechtskonforme allgemeine Beratung kaum von Bedeutung, da die Schuldner andere Erwartungen hätten; ähnlich Römermann/Praß, ZInsO 2011, 1576; Spiekermann, NZI 2020, 977, 981. 115) Dazu ausführlich Römermann/Praß, ZInsO 2011, 1576, 1577 f. 116) Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 32; Frind, ZInsO 2017, 363, 367. 117) Ähnlich Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 44; Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 33. 118) Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 44. 119) Der von Graeber vorgeschlagene Zeitraum von sechs Monaten erscheint zu knapp, da auch dann nur entsprechendes Insiderwissen vorhanden ist, dass ggf. verwertet werden muss (Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 31e).

Blankenburg

995

§ 74

Bestellung

65

Der Restrukturierungsbeauftragte ist gemäß § 38 Satz 1 StaRUG i. V. m. § 407 Abs. 2 Satz 2 ZPO verpflichtet, entsprechende Interessenskollisionen offenzulegen.120) Damit sich das Restrukturierungsgericht hinreichende Kenntnis von etwaigen Abhängigkeiten im Verfahren machen kann, erscheint es grundsätzlich erforderlich, mögliche Abhängigkeiten über einen Fragebogen im Vorfeld der Bestellung abzufragen.121) Dies ist in Insolvenzverfahren mittlerweile üblich und sollte standardmäßig auch in den Restrukturierungsverfahren erfolgen.

66

Eine Besonderheit hinsichtlich der Unabhängigkeit ergibt sich dann, wenn es innerhalb eines Konzerns zu einer Sanierung kommt und gemäß § 37 ein Gruppengerichtsstand begründet wird. Da es eine dem § 56b InsO entsprechende Norm nicht gibt, stellt sich die Frage, ob die Bestellung als Restrukturierungsbeauftragter oder gar Insolvenzverwalter bei einer anderen Konzerngesellschaft dazu führt, dass in anderen Verfahren eine Bestellung nicht mehr möglich ist. Unkritisch ist die Bestellung in mehreren Restrukturierungsverfahren.122) Da der Restrukturierungsbeauftragte keine Verwertungsbefugnis hat, sondern nur das Vermögen sichern soll, kommt er grundsätzlich nicht in den Konflikt zwischen den Verfahren. Problematischer erscheint die gleichzeitige Bestellung als Insolvenzverwalter bei Konzerngesellschaften, da dann die Vermögenserhaltungsfunktion mit der Verwertungsfunktion zusammenfällt. Da aber in der Regel alle Beteiligten bemüht sein werden, eine Sanierung des gesamten Konzerns in die Wege zu leiten, sollte der Rechtsgedanke des § 56b InsO herangezogen werden und auch in diesen Verfahren nicht per se von einer fehlenden Unabhängigkeit ausgegangen werden. b) Aufwertung von Sachverständigen/Sanierungsmoderatoren zum Restrukturierungsbeauftragten

67

Sonderfälle der Unabhängigkeit bilden die Bestellung eines bereits im Verfahren eingesetzten Sachverständigen, eines Sanierungsmoderators oder des Bescheinigers gemäß § 74 Abs. 2 Satz 2 zum Restrukturierungsbeauftragten.

68

Es ist grundsätzlich möglich, einen bereits im Verfahren bestellten Sachverständigen als Restrukturierungsbeauftragten einzusetzen. Dies wird zumeist auch der effektivste Weg sein, da sich der Sachverständige bereits mit dem Unternehmen beschäftigt hat. Lediglich wenn der Sachverständige eingesetzt wurde, um die Voraussetzungen für die Einsetzung eines Restrukturierungsbeauftragten zu prüfen, bestehen Bedenken, diesen dann auch als Restrukturierungsbeauftragten heranzuziehen.123) Er wäre dann faktisch in eigener Sache tätig geworden. Bei der Bestellung wird das Gericht aber immer zu werten haben, ob der Sachverständige auch geeignet ist, die Position des Restrukturierungsbeauftragten auszufüllen. Da die Anfor_____________ 120) So Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 44; Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 95; ausführlich Frind, ZInsO 2017, 363, 365; zur Pflicht der Anzeige von Umständen für die Besorgnis der Befangenheit BGH, Beschl. v. 26.4.2012 • IX ZB 31/11, Rz. 17, NJW-RR 2012, 953, 954; a. A. Spiekermann, NZI 2020, 977, 980. 121) So auch Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 53. 122) Zu den Bedenken, in Konzerninsolvenzverfahren einen Insolvenzverwalter zu bestellen ausführlich Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 44 ff. 123) So auch Frind, ZRI 2021, 397.

996

Blankenburg

§ 74

Bestellung

derungen sehr unterschiedlich sein können, ist es durchaus denkbar und stellt keinen Vertrauensentzug gegenüber dem Sachverständigen dar, wenn das Gericht eine andere Person als Restrukturierungsbeauftragten bestellt. Die Bestellung eines in einem vorausgegangenen Sanierungsmoderationsverfahren eingesetzten Sanierungsmoderators ist in § 100 Abs. 2 geregelt. Danach ist es grundsätzlich möglich, den Sanierungsmoderator zum Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen. Der Gesetzgeber hat sich in der Begründung allerdings zurückhaltender geäußert. Danach soll eine solche Bestellung insbesondere erfolgen, wenn der Restrukturierungsbeauftragten auf Antrag eingesetzt wird.124) § 100 Abs. 2 ist daher insoweit zu verstehen, dass die vorherige Sanierungsmoderation keinen Ausschlussgrund darstellt, allerdings auch nicht zu einer automatischen Aufwertung führt. Das Gericht hat vielmehr zu prüfen, ob der Sanierungsmoderator die Anforderungen des § 74 Abs. 1 erfüllt.125) Ist dies der Fall, kann eine Bestellung erfolgen. Es ist aber genauso möglich, eine andere Person als Restrukturierungsbeauftragten einzusetzen.

69

Problematisch ist die Bestellung des Ausstellers der Bescheinigung gemäß § 74 Abs. 2 Satz 2 als Restrukturierungsbeauftragten. Frind vertritt insoweit apodiktisch die Auffassung, dass eine Bestellung nicht möglich sei.126) Systematisch erscheint dies allerdings nicht so klar, da in § 74 anders als in § 270d Abs. 2 Satz 1 InsO die Bestimmung fehlt, dass der Aussteller der Bescheinigung nicht bestellt werden kann. Da der Gesetzgeber in demselben Gesetz, nämlich dem SanInsFoG, die Formulierung des § 270d Abs. 2 Satz 1 InsO sprachlich neu gefasst hat, kann kaum davon ausgegangen werden, dass die Nichterwähnung auf einem Gesetzesversehen beruht. Zu beachten ist ferner, dass durch die Bescheinigung nicht geprüft wird, ob ein Restrukturierungsbeauftragter erforderlich ist, sondern ob bestimmte Umstände für eine Stabilisierungsanordnung gegeben sind. Schließlich hat das Gericht die Möglichkeit, anders als bei der Eigenverwaltung, neben dem vorgeschlagenen Restrukturierungsbeauftragten einen weiteren Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen. Sollte daher die Unabhängigkeit durch die Bescheinigung angezweifelt werden, hat das Gericht gemäß § 74 Abs. 3 einen weiteren Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen.

70

c) Einzelfallabwägung Grundsätzlich ist immer zu prüfen, ob der in Aussicht genommene Bewerber für die Position des Restrukturierungsbeauftragten im konkreten Einzelfall geeignet ist. Das bedeutet, dass die Eignung für ein konkretes Verfahren an weitergehende Voraussetzungen geknüpft sein kann als die generelle, von der Typizität des einzelnen Verfahrens gelöste Eignung für die Tätigkeit als Restrukturierungsbeauftragter im Allgemeinen.127) Zur Prüfung bedarf es zunächst der Ermittlung seitens des Ge_____________ 124) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 185. 125) So auch Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 21. 126) Frind, ZRI 2021, 397; so auch Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 53; Pannen/ Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 74 Rz. 9. 127) So zu § 56 InsO BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08, Rz. 13, ZIP 2009, 1722, 1724.

Blankenburg

997

71

§ 74

Bestellung

richts, welche Anforderungen in dem konkreten Verfahren von Nöten sein werden. Soll lediglich eine Abstimmung zwischen professionellen Finanzgläubigern moderiert werden, sind die Anforderungen geringer als wenn dem Restrukturierungsbeauftragten umfangreiche Überwachungsaufgaben gemäß § 76 Abs. 2 übertragen werden sollen. Da in diesen Fällen die Stellung einem vorläufigen Insolvenzverwalter angenähert ist, wird insoweit zu erwarten sein, dass bereits Erfahrungen in konfliktträchtigen Verfahren gesammelt wurden, insbesondere als Insolvenzverwalter oder als Sachwalter. 72

Zu berücksichtigen ist insbesondere die Belastung des potentiellen Restrukturierungsbeauftragten durch bereits übernommene Verfahren.128) Wie oben dargelegt, ist auch die Tätigkeit des Restrukturierungsbeauftragten höchstpersönlich (siehe Rz. 40). Es muss daher sichergestellt sein, dass dieser die wesentlichen Aufgaben persönlich wahrnehmen kann. Insoweit hat der potentielle Restrukturierungsbeauftragte von sich selbst aus anzuzeigen, wenn seine Kapazitätsgrenzen überschritten sind.129) Sollten juristische Personen als Restrukturierungsbeauftragte zugelassen werden, müsste insoweit auf die Gesamtheit der geschäftsführenden Gesellschafter abgestellt werden. d) Bestellungsentscheidung

73

Die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten erfolgt durch Beschluss. In diesem Beschluss sind die Aufgaben gemäß § 76 konkret aufzuführen (siehe dazu § 76 Rz. 20 ff.). Zudem müssen gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 und 2 die Stundensätze und das Stundenbudget festgesetzt werden, wenn es sich um einen von Amts wegen einzusetzenden Restrukturierungsbeauftragten handelt.130) Bei der Bestellung eines fakultativen Restrukturierungsbeauftragten muss bereits vorab ein Vorschuss gefordert werden, so dass die Festsetzung in einem gesonderten Beschluss erfolgen muss (siehe dazu ausführlich § 81 Rz. 38).

74

Der Beschluss bedarf keiner Begründung.131) Er bedarf keiner Rechtsmittelbelehrung, da ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung nicht statthaft ist (siehe Rz. 111). Der Beschluss ist dem Restrukturierungsbeauftragten zuzustellen132) und dem Schuldner formlos zu übersenden. e) Beginn des Amtes

75

Die Tätigkeit des Restrukturierungsbeauftragten beginnt mit der Annahme des Amtes.133) Die Annahme kann ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen. Eine _____________ 128) So auch Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 40; Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 73; Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 83. 129) Dazu ausführlich Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 78. 130) Frind, ZRI 2021, 397, bezeichnet dies als unsinnigste Regelung des StaRUG. 131) Zu § 56 InsO s. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 44; Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 97; a. A. Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, § 56 Rz. 63. 132) A. A. Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 141. 133) Obwohl die Tätigkeit des Restrukturierungsbeauftragten nicht als hoheitliche Tätigkeit einzuordnen sein dürfte, bezeichnet der Gesetzgeber diese Tätigkeit in §§ 74, 75 Abs. 2 selbst als Amt.

998

Blankenburg

§ 74

Bestellung

Pflicht zur Übernahme besteht nicht, § 407 ZPO greift insoweit nicht.134) Der Restrukturierungsbeauftragte kann nach erfolgter Bestellung sein Amt nicht einseitig niederlegen. Eine Entlassung erfolgt nur nach § 75 Abs. 2 Satz 1.135) IV. Vorschlagsrecht (Abs. 2) 1.

Berücksichtigung von Vorschlägen

Nach § 74 Abs. 2 Satz 1 hat das Restrukturierungsgericht bei der Auswahl Vorschläge des Schuldners, der Gläubiger und der an dem Schuldner beteiligten Personen zu berücksichtigen. Die Forderungen der Gläubiger müssen nicht in den Plan mit einbezogen sein, da sie nicht als Planbetroffene bezeichnet werden.136) Wie sich aus der weiteren Systematik der Norm ergibt, ist das Gericht an einen Vorschlag nur unter den Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 Satz 2 und 3 gebunden. Daher begründet „berücksichtigen“ keine Bindung, sondern setzt nur voraus, dass das Restrukturierungsgericht die Vorschläge mit in die Erwägungen einbezieht. Es darf etwaige Vorschläge nicht von vorn herein als unzulässig zurückweisen. Da eine Begründungspflicht nur bei einem bindenden Vorschlag besteht, bedarf es keiner Begründung, wenn dem Vorschlag gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 nicht gefolgt wird.137) 2.

76

Bindung an Vorschläge

a) Voraussetzungen aa) Allgemeines Ein bindendes Vorschlagsrecht wird in § 74 Abs. 2 Satz 2 und 3 sowohl dem Schuldner als auch einer qualifizierten Mehrheit von Gläubigern gewährt. Ist ein Gläubigerbeirat eingesetzt, nimmt er an der Stelle der qualifizierten Mehrheit das Vorschlagsrecht wahr (§ 93 Abs. 2).

77

Das Vorschlagsrecht bezieht sich nur auf einen gemäß § 73 Abs. 1 und 2 vom Amts wegen einzusetzenden Restrukturierungsbeauftragten, nicht jedoch auf den sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 73 Abs. 3.138)

78

Das Vorschlagsrecht ist weder an eine Frist noch an eine Form gebunden.139) Er kann daher sowohl schriftlich (formloses Schreiben, Fax, E-Mail) als auch zur Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Zeitlich ist ein Vorschlag lediglich dahin begrenzt, dass nach der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten von der Natur der Sache keine Bindung mehr eintreten kann.

79

_____________ 134) So auch für den Insolvenzverwalter Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 139; Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 63; Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 104. 135) So für den Insolvenzverwalter Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 141. 136) So auch Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 66. 137) Eine Begründung empfiehlt Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 68. 138) I. E. auch Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 24, der zutreffend darauf hinweist, dass das Restrukturierungsgericht das Vorschlagsrecht nicht umgehen darf, indem es für die Prüfung der Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 im Vorfeld einen sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 73 Abs. 3 einsetzt (s. dazu auch § 39 Rz. 11 f.). 139) Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 71.

Blankenburg

999

§ 74 80

Bestellung

Da es sich bei dem Vorschlag um eine Prozesshandlung handelt, gelten die allgemeinen Vorschriften. Insbesondere muss eine Vertretungsbefugnis bestehen, was bei nichtnatürlichen Personen genau geprüft werden muss.140) bb) Vorschlagsrecht des Schuldners

81

Der Schuldner hat nicht allgemein ein bindendes Vorschlagsrecht, sondern nur unter den Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 Satz 2. Erforderlich ist, dass er eine Bescheinigung einer qualifizierten Person vorlegt, aus der sich ergibt, dass er die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und 2 erfüllt. (1) Form der Bescheinigung

82

Die Bescheinigung muss in Textform vorliegen.141) Sie ist von dem Aussteller persönlich zu erstellen und zu unterzeichnen.142) (2) Bescheinigende Person

83

Hinsichtlich der Qualifikation der Person werden die gleichen Voraussetzungen aufgestellt wie für die Bestellung einer Person als Restrukturierungsbeauftragten. Es muss sich um einen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt oder um eine Person mit vergleichbarer Qualifikation handeln (siehe dazu Rz. 21 ff.). Ferner muss die Person erfahren in Restrukturierungs- und Insolvenzsachen sein (siehe Rz. 28 ff.). Eine Beschränkung auf natürliche Personen lässt sich insoweit noch weniger rechtfertigten als bei der Person des Restrukturierungsbeauftragten.143) Da anders als in § 74 Abs. 1 Satz 1 der Passus „von den Gläubigern und Schuldner unabhängig ist“ fehlt, muss die Person nicht unabhängig sein.144) Die Voraussetzungen müssen durch den Schuldner dargelegt und bewiesen werden, wenn es sich nicht um eine dem Gericht von der Vorauswahlliste bekannte Person handelt.145) Ein Glaubhaftma-

_____________ 140) So auch Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 74. 141) Foltis in: FK-InsO, § 270b Rz. 23; Brünkmans in: HK-InsO, § 270b Rz. 23; Beth, ZInsO 2015, 369, 373. 142) So wohl auch Foltis in: FK-InsO, § 270b Rz. 23. 143) So auch Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 79; ebenso für § 270b InsO Beth, ZInsO 2015, 369, 373; Gutmann/Laubereau, ZInsO 2012, 1861, 1869; Schröder/Schulz, ZIP 2017, 1096, 1097 m. w. N.; a. A. Kern in: MünchKomm-InsO, § 270b Rz. 45; Foltis in: FKInsO, § 270b Rz. 23; Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729, 730. 144) I. E. auch Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 80; so auch zu § 270b InsO Kern in: MünchKomm-InsO, § 270b Rz. 59; Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270b Rz. 22; Brinkmann in: A. Schmidt, Sanierungsrecht, § 270b InsO Rz. 28; Ahrens/Gehrlein/RingstmeierRingstmeier, InsR, § 270b InsO Rz. 11; Brünkmans in: HK-InsO, § 270b Rz. 27; Frind, ZInsO 2012, 1546, 1549; Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729, 731; Beth, ZInsO 2015, 369, 373; Gutmann/Laubereau, ZInsO 2012, 1861, 1868; Schulz/Schröder, ZIP 2017, 1096, 1102; a. A. AG München, Beschl. v. 29.3.2012 – 1507 IN 1125/12, ZInsO 2012, 745, 746 = ZIP 2012, 789; Foltis in: FK-InsO, § 270b Rz. 23; Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, § 270b Rz. 43; Hölzle, ZIP 2012, 158, 161. 145) So auch Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ringstmeier, InsR, § 270b InsO Rz. 12; Brünkmans in: HK-InsO, § 270b Rz. 26; Beth, ZInsO 2015, 369, 373; Hölzle, ZIP 2012, 158, 161; a. A. K. Schmidt-Undritz, InsO, § 270b Rz. 7.

1000

Blankenburg

§ 74

Bestellung

chen, insbesondere durch die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung, genügt nicht.146) (3) Inhalt der Bescheinigung Durch die Bescheinigung muss dargelegt werden, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und 2 erfüllt sind. Eine solche Bescheinigung erscheint insoweit problematisch, als dass in § 51 als positive Voraussetzung für den Erlass einer Stabilisierungsanordnung nur geregelt ist, dass die vorgelegte Restrukturierungsplanung vollständig und schlüssig sein muss. Die übrigen Voraussetzungen sind derart geregelt, dass das Gericht sie nur beachten muss, falls es Kenntnis von bestimmten Umständen hat, die auf die Ausschlussgründe schließen lassen. Das Gesetz lässt offen, ob die Bescheinigung lediglich bescheinigen muss, dass (dem Gericht) keine Umstände bekannt sind, die auf das Vorliegen der Negativvoraussetzungen schließen lassen oder ob konkret dargelegt werden muss, dass die Ausschlussgründe nicht vorliegen.147) Insbesondere bei § 51 Abs. 1 Nr. 2 – 4 erscheint dies problematisch. Müsste der Aussteller positiv das Nichtvorliegen der Ausschlussgründe bescheinigen, müsste er darlegen, dass der Plan voraussichtlich Erfolg haben wird, dass der Schuldner zumindest drohend zahlungsunfähig ist und dass die Anordnung von Stabilisierungsmaßnahmen erforderlich ist, obwohl sie ggf. noch gar nicht beantragt sind.

84

Angesichts dieser Schwierigkeiten kann von der Bescheinigung hinsichtlich der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 nur erwartet werden, dass geprüft wird, ob die Restrukturierungsplanung vollständig und schlüssig ist, insbesondere dass nicht offensichtlich ist, dass sich das Restrukturierungsziel nicht auf Grundlage der in Aussicht genommen Maßnahmen erreichen lässt. Hierzu bedarf es einer Begründung des bescheinigten Ergebnisses. Hinsichtlich der weiteren Umstände muss nur bescheinigt werden, dass keine Umstände bekannt sind, die auf die angeführten Rechtsfolgen schließen lassen. Deuten möglicherweise Umstände in die Richtung einer dieser Rechtsfolgen, ist in der Bescheinigung aufzuführen, warum im konkreten Fall nicht mit dem Eintritt der Rechtsfolge zu rechnen ist.

85

Hinsichtlich der Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 Satz 1 wird zu bescheinigen sein, dass weder Zahlungsrückstände vorliegen noch ein Verstoß gegen die Buchführungspflicht vorliegt. Einer Begründung bedarf es dann nicht. Insoweit kann sich das Gericht auf die Vertrauensstellung des Bescheinigers verlassen. Liegen hingegen Zahlungsrückstände oder Verstöße vor, muss die Bescheinigung dazu Stellung nehmen, warum zu erwarten ist, dass der Schuldner trotz dieser Umstände bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten.

86

Bezüglich der Umstände des § 51 Abs. 2 Satz 2 ist zu bescheinigen, dass keine entsprechenden Anordnungen erfolgt sind. Sind welche erfolgt, müssen das Aktenzeichen der betreffenden Verfahren sowie die Anordnungsdaten angegeben werden.

87

_____________ 146) Beth, ZInsO 2015, 369, 373; a. A. Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270b Rz. 20; Kern in: MünchKomm-InsO, § 270b Rz. 55. 147) Krit. dazu auch Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 83.

Blankenburg

1001

§ 74

Bestellung

In diesem Fall muss auch bescheinigt werden, ob der Anlass durch eine nachhaltige Sanierung entfallen ist (siehe dazu ausführlich § 51 Rz. 35). 88

Sieht das Gericht den Inhalt der Bescheinigung als nicht ausreichend an oder hat es Zweifel an der fachlichen Qualifikation der bescheinigenden Person, insbesondere aufgrund Erfahrungen aus früheren Verfahren, hat es den Schuldner darauf hinzuweisen und zur Nachbesserung aufzufordern, wenn die Mängel behebbar erscheinen. Anderenfalls oder nach Ablauf der Frist kann es die Bescheinigung zurückweisen und die Auswahl des Restrukturierungsbeauftragten ohne die Bindung an den Vorschlag vornehmen. Insbesondere bedarf es dann keiner Begründung, warum das Restrukturierungsgericht den vorgeschlagenen Bewerber für offensichtlich ungeeignet hält. cc) Vorschlagsrecht der qualifizierten Gläubigermehrheit

89

Nach § 74 Abs. 2 Satz 3 können auch die Gläubiger einen Vorschlag hinsichtlich des Restrukturierungsbeauftragten unterbreiten. Erste Voraussetzung ist, dass der Schuldner keinen bindenden Vorschlag nach Satz 2 unterbreitet hat. Insoweit ist das Vorschlagsrecht der Gläubiger subsidiär. Weitere Voraussetzung ist ein bestimmtes Quorum, das durch die Gläubiger erreicht werden muss. Dazu müssen zunächst die Gruppen festgestellt werden, die für die Inhaber von Anwartschaften und die Restrukturierungsgläubiger geschaffen wurden. Fehlt es an einem konkreten Plan, kommt es darauf an, wie eine potentielle Einteilung erfolgen wird. Auf die ebenfalls in § 9 genannten Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten kommt es nach dem Wortlaut des § 74 Abs. 2 Satz 3 nicht an. In jeder dieser Gruppen müssen sich so viele Beteiligte für den Vorschlag aussprechen, dass sie jeweils 25 % der Stimmrechte in dieser Gruppe auf sich vereinen.

90

Das Vorschlagsrecht wird in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten bereiten und kaum handhabbar sein. Da ggf. früh im Verfahren ein Restrukturierungsbeauftragter zu bestellen ist, kann es passieren, dass noch kein Insolvenzplan vorliegt. Wie der Gesetzestext vorsieht, muss in diesem Fall auf die potentiellen Gruppen abgestellt werden. Hier kann es aber unterschiedliche Auslegungen durch das Gericht und die Gläubigerschaft geben, wie die Gruppen ggf. eingeteilt werden. Noch schwieriger wird es hinsichtlich der Feststellung der Stimmrechte. Gegebenenfalls müsste das Gericht die Stimmrechte schon vor der Abstimmung oder einer Vorprüfung dazu festsetzen, um zu wissen, ob das ausreichende Quorum erreicht wurde.148) Da dies unter einem erheblichen Zeitdruck erfolgen muss, insbesondere wenn Stabilisierungsmaßnahmen beantragt sind, besteht die Gefahr, dass durch diese komplizierte Konstruktion die Gerichte den Restrukturierungsbeauftragten ohne Mitwirkung der Gläubiger einsetzen.

91

Der Vorschlag der Gläubiger muss gemeinschaftlich erfolgen. Es ist nicht erforderlich, dass der Vorschlag in einem gemeinsamen Schreiben erfolgt, vielmehr können auch jeweils Einzelmitteilungen aus den betroffenen Gruppen erfolgen.149) Nicht ausreichend wird es sein, wenn nur einzelne Gläubiger vollkommen unabhängig _____________ 148) Auch die von Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 91, kursorische Prüfung bedarf hinreichender Anknüpfungstatsachen, soll sie nicht im vollkommen leeren Raum stattfinden. 149) So auch Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 94.

1002

Blankenburg

§ 74

Bestellung

voneinander Vorschläge unterbreiten, da das Gericht nicht verpflichtet ist, in diesem Fall von sich aus zu prüfen, ab wann ggf. das Quorum erreicht ist.150) Treten ein oder mehrere Gläubiger als Vertreter für andere Planbetroffene auf, bedarf es einer entsprechenden Vollmacht.151) Nicht durch das Gesetz geregelt ist die Konstellation, dass es divergierende bindende Vorschläge der Gläubiger gibt. Bei einer überschaubaren Anzahl von Planbetroffenen ist es durchaus denkbar, dass durch zwei Gläubigergruppen die erforderlichen Mehrheiten organisiert werden. In diesem Fall wird nicht auf die Priorität abzustellen sein, da diese eher zufällig ist. Vielmehr wird dann das Gericht von der Bindung befreit und hat die Vorschläge bei der Bestellung nur entsprechend § 74 Abs. 2 Satz 1 zu beachten.152)

92

Die Subsidiarität gegenüber dem Vorschlag des Schuldners führt dazu, dass das Gericht den Vorschlag der Gläubiger zunächst nicht beachten muss. Stellt sich indes heraus, dass der Vorschlag des Schuldners an solchen Mängeln leidet, dass eine Bindung nicht mehr gegeben ist, muss es dem Vorschlag der Gläubiger folgen.

93

b) Rechtsfolgen Liegt ein bindender Vorschlag des Schuldners oder einer Gläubigergruppe vor, hat das Gericht diesem grundsätzlich zu folgen. Bei der vorgeschlagenen Person kann es sich auch um den Aussteller der Bescheinigung handeln, da § 74 Abs. 2 Satz 1 anders als § 270d Abs. 2 Satz 1 InsO keine Personenverschiedenheit fordert (siehe dazu ausführlich Rz. 70). Eine Ausnahme sieht das Gesetz nur vor, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich ungeeignet ist. Dies muss dann begründet werden. Diese Art der Bindung ist bereits aus der InsO bekannt. Insoweit ist allerdings zu beachten, dass es bei einem Vorschlag des Gläubigerausschusses gemäß § 56a Abs. 2 Satz 1 InsO ausreicht, wenn der Bewerber nur ungeeignet ist. Lediglich bei dem Vorschlagsrecht des Schuldners zum Sachwalter im Schutzschirmverfahren wurde und wird auf die offensichtliche Ungeeignetheit abgestellt (§ 270d Abs. 2 Satz 2 InsO bzw. § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO a. F.). Die zu dieser Norm gemachten Ausführungen können daher bei der Auslegung mit herangezogen werden.

94

aa) Offensichtlich ungeeignete Person Eine Bindung tritt nicht ein, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich ungeeignet ist. Es bedarf daher durch das Gericht der Bestimmung, ob die Person ungeeignet ist. Dies muss für das Gericht offenkundig sein.

95

(1) Nicht geeignet Für die Eignung bedarf es zunächst der Feststellung, ob die Person die avisierten Aufgaben wahrnehmen kann, die sogenannte fachliche-sachliche Eignung.153) Da _____________ 150) Weitergehend wohl Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 94. 151) Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 95. 152) A. A. Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 102, wonach das Mehrheitsvotum bindend sein soll. 153) So für § 270b InsO Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rz. 61; für § 56a Graf-SchlickerGraf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 70.

Blankenburg

1003

96

§ 74

Bestellung

die Aufgaben des Restrukturierungsbeauftragten sehr unterschiedlich sind, je nach Umfang der Aufgabenübertragung, beurteilt sich die fachliche-sachliche Eignung nach den angedachten Aufgaben. Der Restrukturierungsbeauftragte muss grundsätzlich in der Lage sein, adäquat zu dem Restrukturierungsplan gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 Stellung zu nehmen. Aufgrund des besonderen Qualifikationserfordernisses kann bei den erwähnten Berufsgruppen davon ausgegangen werden, dass eine Prüfung des Plans grundsätzlich möglich ist, wenn nicht ausnahmsweise besondere rechtliche Konstellationen zu prüfen sind, die besondere Kenntnisse erfordern (z. B. im Gesellschaftsrecht). Sind Übertragungen von Aufgaben nach § 76 Abs. 2 geplant, muss der Bewerber eine hinreichend große Büroorganisation haben, dass entsprechend der Größe des schuldnerischen Unternehmens eine Prüfung und Überwachung möglich ist. Insbesondere wenn eine Anordnung zur Entgegenahme und Zahlung durch den Restrukturierungsbeauftragten nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 erlassen werden soll, ist bei großen schuldnerischen Unternehmen mit einer Vielzahl von zu bearbeitenden Geschäftsvorgängen zu rechnen. 97

Ferner muss die vorgeschlagene Person in Restrukturierungs- und Insolvenzsachen erfahren sein. Werden Berufsanfänger oder Personen vorgeschlagen, die bisher in diesem Bereich nicht tätig waren, kann ihnen die Eignung fehlen.

98

Fraglich ist, ob neben der fachlich-sachlichen Eignung auch die hinreichende Unabhängigkeit gegeben sein muss. Bei einem Vorschlag nach § 56a InsO geht die h. M. davon aus, dass auch die Unabhängigkeit zu prüfen ist.154) Ob diese Ansicht auf § 74 übertragen werden kann, erscheint aufgrund der Gesetzessystematik zweifelhaft.155) Bei einem bindenden Vorschlag hat das Gericht die Möglichkeit, gemäß § 74 Abs. 3 einen weiteren Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen. Dieser weitere Beauftragte ergibt nur dann einen Sinn, wenn er dazu dienen soll, ggf. bestehende Zweifel des Gerichts an der Unabhängigkeit der vorgeschlagenen Person auszugleichen. Dann muss es aber zwingend möglich sein, dass das Gericht zunächst einen Restrukturierungsbeauftragten einsetzt, der nicht als hinreichend unabhängig angesehen wird. Das Gericht hat dann die Möglichkeit, dies durch einen weiteren Restrukturierungsbeauftragten auszugleichen. (2) Offensichtlichkeit

99

Da der Begriff der Offensichtlichkeit weder im Gesetz noch der Gesetzesbegründung definiert ist, bietet es sich an, bei § 270b Abs. 2 Satz 1 InsO a. F. Anleihe zu nehmen. Dort ist der Begriff schon seit Jahren implementiert. Er wird dahin verstanden, dass die Ungeeignetheit für jeden erkennbar und mit den Händen greifbar sein muss.156) Durch diesen Begriff soll verhindert werden, dass das Gericht i. R. der Amtsermittlung die Umstände erst zeitaufwendig aufklärt. Es ist dem Gericht daher verwehrt, einen Sachverständigen mit der Ermittlung der Umstände

_____________ 154) Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 71. 155) A. A. Frind, ZRI 2021, 379. 156) Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rz. 60; Kern in: MünchKomm-InsO, § 270b Rz. 96.

1004

Blankenburg

§ 74

Bestellung

zu beauftragen157) oder selbst umfangreiche Recherchen vorzunehmen. Die Ungeeignetheit muss sich aus den Angaben und Umstände, die dem Gericht bereits aus diesem oder anderen Verfahren bekannt sind, ergeben. Hinsichtlich bekannter Umstände kann das Gericht eine Klarstellung vom Schuldner verlangen. Es kann jedoch keine neuen Umstände von ihm erfragen.158) bb) Begründung Das Gericht hat eine Abweichung von dem Vorschlag zu begründen. Die Begründungspflicht dient der Selbstkontrolle des Gerichts.159) Die Begründung soll nicht nur Leerformeln beinhalten, sondern die tragenden Gründe für die Entscheidung aufführen. Der abgelehnte Bewerber kann namentlich bezeichnet werden, erforderlich ist dies jedoch nicht.160)

100

Insbesondere wenn das Vertrauen aufgrund von früheren Verfahren fehlt und die Störung dieses Vertrauensverhältnis nicht hinreichend justiziabel dargelegt werden kann, könnte das Gericht geneigt sein, die Entscheidung nicht zu begründen. Eine fehlende Begründung führt nicht zur Nichtigkeit der Entscheidung. Die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten kann auch nicht mit einem Rechtsmittel angegriffen werden.161) Die fehlerhafte Begründung führt daher nicht dazu, dass der Antragsteller das Gericht zwingen kann, sich nochmals mit dem Antrag i. R. der Abhilfe zu befassen. Es ist lediglich möglich, gemäß § 321a ZPO eine Gehörsrüge zu erheben.162)

101

V. Weiterer Restrukturierungsbeauftragter (Abs. 3) Muss das Gericht einem bindenden Vorschlag des Schuldners oder der Gläubiger folgen, hat es gemäß § 74 Abs. 3 die Möglichkeit, einen weiteren Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen. Eine Bestellung ist nicht möglich, wenn nur einem nicht bindenden Vorschlag gefolgt wird.163) 1.

102

Person

Aus der Formulierung „einen weiteren Restrukturierungsbeauftragten“ ergibt sich, dass für diese Person die gleichen Voraussetzungen nach § 74 Abs. 1 wie für den _____________ 157) Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rz. 60, der zutreffend darauf hinweist, dass dann die Kosten für diese Gutachten nicht vom Schuldner zu tragen sind und ggf. eine Haftung gemäß § 839 BGB droht. 158) Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rz. 60; Nerlich/Römermann-Riggert, InsO, § 270b Rz. 24. 159) Zu § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO a. F. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rz. 63; nach Foltis in: FK-InsO, § 270b Rz. 36, besteht der Zweck darin, den Gläubigern Informationen für die Abwahl und die Neuwahl des Insolvenzverwalters zu erhalten. 160) A. A. Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, § 270b Rz. 65; Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rz. 63, nach dem die namentliche Nennung zu unterbleiben hat. 161) Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 111; So auch zu § 270b InsO a. F. AG Hamburg, Beschl. v. 2.7.2013 – 67•e IN 108/13, NZI 2013, 903; Kern in: MünchKomm-InsO, § 270b Rz. 98; K. Schmidt-Undritz, InsO, § 270b Rz. 10; a. A. Sämisch, ZInsO 2014, 1312 ff. 162) So auch zu § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO a. F. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rz. 63. 163) So auch Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 116.

Blankenburg

1005

103

§ 74

Bestellung

normalen Restrukturierungsbeauftragten gelten.164) Das Gericht hat daher grundsätzlich eine Person von der geführten Liste zu wählen. 2.

Rechtsstellung

104

Das Restrukturierungsgericht kann nach § 74 Abs. 3 Satz 1 bestimmen, welche Aufgaben dem weiteren Restrukturierungsbeauftragten zukommen. Da diesem keine originären Aufgaben zukommen, hat das Restrukturierungsgericht nicht nur die Berechtigung, sondern auch die Verpflichtung, den Aufgabenkreis zu bestimmen.

105

Nach der Formulierung des § 74 Abs. 3 Satz 1 kann das Restrukturierungsgericht nur die Aufgaben, die es dem eigentlichen Restrukturierungsbeauftragten übertragen hat, auf den weiteren Restrukturierungsbeauftragten übertragen. Es müsste daher zunächst in der Bestellung des ersten Restrukturierungsbeauftragten eine umfassende Aufgabenzuweisung vornehmen, um dann in einem weiteren Schritt die Aufgaben weiter zu delegieren. Dies wäre indes ein sehr formalistischer und umständlicher Weg. Dies entspricht auch nicht der Auffassung des Gesetzgebers, wonach das Restrukturierungsgericht mit Ausnahme der Entscheidung über die Durchführung und gegebenenfalls der Leitung des Abstimmungsverfahrens, alle Aufgaben eines Beauftragten übertragen kann.165) Aus Vereinfachungsgründen sollte daher in dem Bestellungsbeschluss für den weiteren Restrukturierungsbeauftragten eine Aufgabenzuweisung erfolgen, ohne dass es einer Zuweisung an den vorgeschlagenen Restrukturierungsbeauftragten bedarf.166)

106

Grundsätzlich können dem weiteren Restrukturierungsbeauftragten sämtliche Aufgaben nach § 74 Abs. 3 und § 76 Abs. 2 – 4 und 6 zugewiesen werden. Sollen Aufgaben nach § 76 Abs. 2 zugewiesen werden, muss es sich um eine Pflichteinsetzung nach § 73 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder Abs. 2 handeln. Nicht übertragbar ist nach § 74 Abs. 3 Satz 1 das Recht gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 1. Dies betrifft die Entscheidung über die Art der Planabstimmung und die Durchführung der außergerichtlichen Planabstimmung. Dies erscheint bedenklich, da eine möglicherweise wenig geeignete Person in dieser für das Restrukturierungsverfahren wesentlichen Phase falsche Entscheidungen treffen kann, die dann zum Scheitern des Verfahrens führen. Die gesetzgeberische Wertung ist von den Restrukturierungsgerichten allerdings hinzunehmen. 3.

107

Bestellung

Die Bestellung liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Grundsätzlich sollte von dieser Möglichkeit nur im Ausnahmefall Gebrauch gemacht werden, wenn anderenfalls mit einer Beeinträchtigung des Verfahrensergebnisses zulasten der Planbetroffenen zu rechnen ist.167) Die Bestellung des weiteren Restrukturierungsbeauftragten erfolgt durch Beschluss. Nicht geregelt ist, wie die Vergütung ausgestaltet ist. Mangels anderweitiger Angaben ist davon auszugehen, dass für die Be_____________ 164) Ebenso Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 119. 165) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 173. 166) Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 127, bezeichnet ein solch formalistisches Vorgehen als „sinnfrei“. 167) Ähnlich Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 74 Rz. 122.

1006

Blankenburg

§ 74

Bestellung

stellung und Vergütung § 81 entsprechend gilt. Demnach muss das Gericht bereits bei der Bestellung einen Stundensatz und einen Höchstbetrag für die Vergütung festsetzen. Dieser Betrag kann dann ggf. im laufenden Verfahren angepasst werden. Das StaRUG ist von dem Grundsatz geprägt, dass eine Tätigkeit des Gerichts nicht erfolgen soll, solange die Kosten nicht gedeckt sind oder ein umgehendes Handeln ohne Kostendeckung erforderlich ist. Der Restrukturierungsbeauftragte ist auf Antrag nur gegen einen Kostenvorschuss einzusetzen. Die amtswegige Einsetzung kann zwar ohne Kostenvorschuss erfolgen. Allerdings muss dieser beim nächsten Antrag nach dem StaRUG eingefordert werden. Da der weitere Restrukturierungsbeauftragte mit dem amtswegigen vergleichbar ist, ist auch für diesen bei dem nächsten Antrag ein Kostenvorschuss einzufordern. Weigert sich der Schuldner, diese Kosten zu übernehmen, kann das Gericht keine weiteren Anträge des Schuldners mehr bescheiden. Mangels Erfolgsaussicht wäre bei einer dauerhaften Weigerung dann die Restrukturierungssache gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 2 aufzuheben.

108

VI. Rechtsmittel Hinsichtlich der Rechtsmittel ist zwischen der Aufnahme auf eine Vorauswahlliste und der eigentlichen Einsetzungsentscheidung zu unterscheiden. 1.

109

Aufnahme auf die Vorauswahlliste

a) Zulässiger Rechtsbehelf Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen gegen die Nichtaufnahme auf oder die Streichung von der Auswahlliste. Die Auswahl selbst ist keine rechtsprechende Gewalt und daher gemäß Art. 23 EGGVG anfechtbar.168) Unzulässig ist eine abstrakte Fortsetzungsfeststellungsklage auf eine regelmäßige Bestellung.169)

110

b) Antragsgegner Richtiger Antragsgegner in einem solchen Verfahren ist nach umstrittener Rechtsprechung des BGH das AG, vertreten durch den Vorstand, nicht der einzelne Richter.170) Der listenführende Richter ist auch kein Beteiligter gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1, 2, Abs. 3 FamFG. Da er als Teil der Behörde aber an die Entscheidung gebunden ist, führt dies dazu, dass er bei einem gestörten Verhältnis zur Behördenleitung selbst keinen Einfluss auf das Verfahren nehmen kann.171)

111

c) Form und Frist Über den Antrag nach Art. 23 EGGVG entscheidet gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 EGVGV das OLG. Der Antrag muss innerhalb eines Monats nach Zustellung oder schriftlicher Bekanntgabe des Bescheides schriftlich oder zur Niederschrift der _____________ 168) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, Rz. 24 ff., ZIP 2006, 1355, 1357; dazu mit jeweils m. w. N. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 35. 169) So zu § 56 m. w. N. Frind in: HambKomm-InsO, § 56 Rz. 25; Graf-Schlicker-GrafSchlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 61 f.; a. A. Jahntz in: FK-InsO, § 56 Rz. 24. 170) BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 1/15, Rz. 9, ZIP 2016, 876, 880; ausführlich dazu Frind in: HambKomm-InsO, § 56 Rz. 20. 171) So auch a. A. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 35.

Blankenburg

1007

112

§ 75

Rechtsstellung

Geschäftsstelle des OLG oder eines AG gestellt werden (§ 26 Abs. 1 EGGVG). Bei Versäumung der Frist ist eine Widereinsetzung nach § 26 Abs. 2 – 4 EGGVG möglich. 2. 113

Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten

Die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten ist nicht anfechtbar, insbesondere auch nicht durch unterlegene Bewerber.172) Auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes kann ein Bewerber nicht verhindern, dass eine andere Person eingesetzt wird.173) Ebenso wie im Insolvenzverfahren ist es nicht mit der Eilbedürftigkeit des Verfahrens zu vereinbaren, wenn durch die Anfechtung der Bestellung Verzögerungen eintreten würden.174) _____________ 172) So auch für § 56 InsO Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 54. 173) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, Rz. 48, ZIP 2006, 1355, 1360; zu den abweichenden vorherigen Meinungen Frind in: HambKomm-InsO, § 56 Rz. 16. 174) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, Rz. 53, ZIP 2006, 1355, 1361.

§ 75 Rechtsstellung Langer/Morgen

(1) 1Der Restrukturierungsbeauftragte steht unter der Aufsicht des Restrukturierungsgerichts. 2Das Gericht kann jederzeit einzelne Auskünfte oder einen Bericht über den Sachstand verlangen. (2) 1Das Restrukturierungsgericht kann den Restrukturierungsbeauftragten aus wichtigem Grund aus dem Amt entlassen. 2Die Entlassung kann von Amts wegen oder auf Antrag des Restrukturierungsbeauftragten, des Schuldners oder eines Gläubigers erfolgen. 3Auf Antrag des Schuldners oder eines Gläubigers erfolgt die Entlassung nur, wenn der Beauftragte nicht unabhängig ist; dies ist von dem Antragsteller glaubhaft zu machen. 4Vor der Entscheidung ist der Restrukturierungsbeauftragte zu hören. (3) 1Gegen die Entlassung steht dem Beauftragten die sofortige Beschwerde zu. 2 Gegen die Ablehnung des Antrags steht dem Antragsteller die sofortige Beschwerde zu. (4) 1Der Restrukturierungsbeauftragte erfüllt seine Aufgaben mit der gebotenen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit. 2Er nimmt seine Aufgaben unparteiisch wahr. 3 Verletzt er die ihm obliegenden Pflichten in schuldhafter Weise, ist er den Betroffenen zum Schadensersatz verpflichtet. 4Die Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des Schadens, der aus einer Pflichtverletzung des Restrukturierungsbeauftragten entstanden ist, richtet sich nach den Regelungen über die regelmäßige Verjährung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. 5Der Anspruch verjährt spätestens in drei Jahren nach der Beendigung der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache. 6Ist eine Planüberwachung angeordnet, tritt an die Stelle des Endes der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache der Abschluss der Planüberwachung. 1008

Langer/Morgen

§ 75

Rechtsstellung

Literatur: Frind, Die Notwendigkeit des rechtzeitigen und vollständigen „conflict check“ und seiner Mitteilung durch den Insolvenzverwalter/Sachwalter, ZInsO 2017, 363; Langer/ Bausch, Anforderungen des Insolvenzgerichts Aachen an die Berichte und die Schlussrechnungslegung in der Eigenverwaltung, ZInsO 2018, 1138; Pape, G., Die Insolvenzzweckwidrigkeit von Rechtshandlungen des vorläufigen und des endgültigen Insolvenzverwalters/Sachwalters, ZInsO 2016, 2149; Schulte-Kaubrügger/Dimassi, Der Restrukturierungsbeauftragte nach dem StaRUG; ZIP 2021, 936. Übersicht I. 1. 2. 3. 4.

5.

6.

Die Aufsicht des Restrukturierungsgerichts (Abs. 1 bis Abs. 3) ........ 1 Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie ................................................. 1 Gesetzgebungsverfahren ....................... 2 Zweck des § 75 Abs. 1 bis Abs. 3 ......... 3 Tatbestand des § 75 Abs. 1 Satz 1 ........ 5 a) Systematik der personenbezogenen und verfahrensbezogenen Aufsicht .......................................... 9 b) Adressat der Aufsicht .................. 13 c) Gegenstand der Aufsicht ............. 14 aa) Obligatorischer Restrukturierungsbeauftragter (§ 73 Abs. 1, Abs. 2) .......................................... 15 bb) Sachverständiger Restrukturierungsbeauftragter (§ 73 Abs. 3) .... 17 cc) Fakultativer Restrukturierungsbeauftragter ......................... 18 d) Pflichtwidrige Aufgabenerfüllung ....................................... 19 e) Verstoß gegen das Neutralitätsgebot ....................................... 20 Rechtsfolge des § 75 Abs. 1 Satz 1 ..... 24 a) Beginn und Intensität der gerichtlichen Aufsicht ..................... 24 b) Wahl der Aufsichtsmittel ............ 27 Die einzelnen Aufsichtsmaßnahmen ................................................. 29 a) Auskünfte und Sachstandsberichte (Abs. 1 Satz 2) ............... 29 b) Beanstandung ............................... 33 c) Entlassung (Abs. 2) ..................... 34 aa) Auf eigenen Antrag (Abs. 2 Satz 2 Alt. 2) ................... 35 bb) Von Amts wegen bei wichtigem Entlassungsgrund (Abs. 2 Satz 2 Alt. 1) ................... 36 cc) Auf Antrag des Schuldners oder eines Gläubigers bei fehlender Unabhängigkeit (Abs. 2 Satz 2 Alt. 3 und Alt. 4) ............... 38 dd) Entlassungsverfahren ................... 41 ee) Entscheidung des Gerichts .......... 42 ff) Rechtsmittel (Abs. 3) .................. 44

7.

Amtshaftung wegen Verletzung der Aufsicht ............................................... 45 II. Die Haftung des Restrukturierungsbeauftragten (Abs. 4) ............... 46 1. Zweck des § 75 Abs. 4 ......................... 46 2. Rechtsgrund der Haftung ................... 53 3. Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie ............................................... 58 4. Gesetzgebungsverfahren ..................... 60 5. Tatbestand des § 75 Abs. 4 ................. 62 a) Betroffenenbegriff ....................... 62 b) Verletzungen restrukturierungsrahmenspezifischer Pflichten ....................................... 66 aa) Pflichten des von Amts wegen bestellten Beauftragten ................ 69 (1) Grundpflichten ............................. 69 (2) Pflichten aufgrund besonderer Beauftragung durch das Gericht ............................................... 76 bb) Pflichten des auf Antrag bestellten Beauftragten .................... 83 (1) Grundpflichten ............................. 84 (2) Pflichten aufgrund besonderer Beauftragung ................................ 85 c) Verschulden .................................. 86 aa) Verschuldensmaßstab .................. 87 bb) Zurechnung fremden Verschuldens ...................................... 92 cc) Haftungsprivilegierungen ............ 93 (1) Analoge Anwendung des § 60 Abs. 2 InsO .......................... 93 (2) Keine Anwendbarkeit des § 831 BGB ..................................... 95 (3) Analoge Anwendung des § 839a BGB? ................................. 96 d) Kausalität ...................................... 98 e) Schaden ....................................... 101 f) Prozessuales ................................ 104 aa) Ordentliche Gerichtsbarkeit und ausschließlicher Gerichtsstand ............................................ 104 bb) Prozessführungsbefugnis .......... 106 6. Beweislast ........................................... 111

Langer/Morgen

1009

§ 75

Rechtsstellung

I.

Die Aufsicht des Restrukturierungsgerichts (Abs. 1 bis Abs. 3)

1.

Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie Langer

1

Die in § 75 Abs. 1 bis 3 normierte Aufsicht über den Restrukturierungsbeauftragten hat ihren Ursprung in Art. 26 Abs. 1 lit. d und Art. 27 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie.1) Nach Art. 27 Abs. 1 Satz 1 Restrukturierungsrichtlinie richten die Mitgliedstaaten geeignete Aufsichts- und Regulierungsmechanismen ein, um sicherzustellen, dass die Arbeit von „Verwaltern“2) wirksam überwacht wird, damit gewährleistet ist, dass ihre Dienste wirksam und sachkundig und gegenüber den beteiligten Parteien unparteiisch und unabhängig erbracht werden. Zur Gewährleistung des Anspruchs auf ein unabhängiges Verwalterhandeln sieht Art. 26 Abs. 1 lit. d und ihn umsetzend § 75 Abs. 2 Satz 3 vor, dass sowohl der Schuldner als auch einzelne Gläubiger die Entlassung des Restrukturierungsbeauftragten im Falle eines Interessenkonflikts verlangen können. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Restrukturierungsrichtlinie erlegt den Mitgliedstaaten auf, Maßnahmen vorzuhalten, sollten die „Verwalter“ ihren Pflichten nicht nachkommen. Entsprechend sieht § 75 Abs. 2 vor, dass der Restrukturierungsbeauftragte aus wichtigem Grund entlassen werden kann. 2.

2

3. 3

Gesetzgebungsverfahren

Im Gesetzgebungsverfahren zum StaRUG hat die Vorschrift keine Änderung erfahren. Zweck des § 75 Abs. 1 bis Abs. 3

Das StaRUG gibt dem Schuldner Instrumente an die Hand, mit denen er (das drohende Insolvenzereignis vor Augen) Rechtsverhältnisse auch gegen den Willen einer Minderheit zwangsweise gestalten kann, sollten privatautonome Verhandlungen zu keinem Konsens der Beteiligten führen. Bereits auf dem Weg dahin ist der Planbetroffene ggf. bereits aufgrund einer Stabilisierungsanordnung an der Verwirklichung seines Rechts zwangsweise gehindert. Das Restrukturierungsverfahren hat damit Bezüge zum Zwangsvollstreckungsrecht. Die beschriebenen zwangsweisen Eingriffe erfordern die hoheitliche Gewähr der Verfahrensrechte der Betroffenen. Des Weiteren sind die Zugangsvoraussetzungen zum Rahmen sowie die Anordnungsvoraussetzungen der beantragten Restrukturierungsinstrumente hoheitlich zu gewährleisten. Sofern das StaRUG kraft Gesetzes oder kraft richterlicher Anordnung die hiermit verbundenen hoheitlichen Aufgaben auf den Restrukturierungsbeauftragten überträgt, hat dem eine gerichtliche Aufsicht zu folgen. Die restrukturierungsgerichtliche Aufsicht erinnert damit an die insolvenzgerichtliche Aufsicht über den Insolvenzverwalter und den Sachwalter, wobei insbesondere die dem Insol_____________ 1)

2)

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Der „Practitioner in the Field of Restructuring“ wurde zunächst in der deutschen Übersetzung der Richtlinienentwürfe noch als „Restrukturierungsverwalter“ bezeichnet und später erst mit Restrukturierungsbeauftragter übersetzt.

1010

Langer

§ 75

Rechtsstellung

venzverwalter übertragene Aufgabe eine gänzlich andere ist. Denn dem Insolvenzverwalter ist als Partei kraft Amtes zum Zwecke der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger die Verwaltung- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners in eigener Wahrnehmung übertragen. Wegen der dem Restrukturierungsbeauftragten übertragenen Prüf- und Überwachungsaufgaben lassen sich eher Vergleiche zum Sachwalter ziehen. Auch der fakultative Restrukturierungsbeauftragte, für den § 78 Abs. 3 auf § 75 verweist, steht unter der Aufsicht des Gerichts. Zwar kommt ihm lediglich eine fördernde und unterstützende Aufgabe zu, sofern nicht gemäß § 77 Abs. 2 weitere Aufgaben nach § 76 übertragen werden. Gleichwohl steht seine moderierende Tätigkeit in Bezug zu den Rechten der Planbetroffenen und den zur Sanierung notwendigen Eingriffen und Verzichten, so dass insbesondere seine Unabhängigkeit und neutrale Stellung im Wege staatlicher Aufsicht zu gewähren ist. 4.

4

Tatbestand des § 75 Abs. 1 Satz 1

§ 75 Abs. 1 Satz 1 bestimmt, dass der Restrukturierungsbeauftragte unter der Aufsicht des Restrukturierungsgerichts steht. Die Aufsicht beinhaltet die Aufsichtspflicht des Restrukturierungsgerichts sowie die Aufsichtsbefugnis des Gerichts gegenüber dem Restrukturierungsbeauftragten. Da dem Beauftragten hoheitliche Aufgaben übertragen sind, definiert das StaRUG die Rechtsstellung des im Restrukturierungsverfahren Beauftragten anhand der Beziehung zu dem Restrukturierungsgericht. Der Schuldner und einzelne Gläubiger können lediglich Anträge stellen (§ 75 Abs. 2 Satz 3) bzw. (nicht explizit normiert) dem aufsichtsführenden Gericht Anregungen vortragen.

5

Als Instrumentarium der Aufsicht sind die Einholung einer Auskunft bzw. eines Berichts (§ 75 Abs. 1 Satz 2) sowie die nach § 75 Abs. 3 beschwerdefähige Entlassung des Restrukturierungsbeauftragten (§ 75 Abs. 2) genannt. Die Entlassung kann gemäß § 75 Abs. 2 Satz 2 von Amts wegen oder auf Antrag des Beauftragten aus wichtigem Grund erfolgen.

6

§ 75 Abs. 2 Satz 3 sieht vor, dass der Schuldner oder auch einzelne Gläubiger eine Entlassung (nur) gestützt auf die fehlende Unabhängigkeit des Restrukturierungsbeauftragten bei entsprechender Glaubhaftmachung beantragen können. Nach § 75 Abs. 2 Satz 4 ist dem Restrukturierungsbeauftragten im Entlassungsverfahren rechtliches Gehör zu gewähren.

7

Die Vorschrift des § 75 findet über den in § 78 Abs. 3 enthaltenen Verweis auf den fakultativen Restrukturierungsverwalter entsprechende Anwendung. In § 96 Abs. 5 ist die Aufsicht über den Sanierungsmoderator gesondert geregelt.

8

a) Systematik der personenbezogenen und verfahrensbezogenen Aufsicht Das StaRUG greift die Systematik der InsO auf und unterscheidet zwischen der personenbezogenen Aufsicht und der verfahrensbezogenen Aufsicht. Die personenbezogene Aufsicht bezieht sich auf die grundsätzliche Eignung der Person als Restrukturierungsbeauftragter losgelöst von einem konkreten Verfahren. Angelehnt an den Wortlaut des § 56 Abs. 1 InsO lässt sich für § 74 Abs. 1 die Rechtsprechung

Langer

1011

9

§ 75

Rechtsstellung

des BVerfG3) und des BGH4) zum Vorauswahlverfahren übertragen (zum Vorauswahlverfahren siehe ausführlich § 74 Rz. 6 ff.). Es wird daher auch der Restrukturierungsrichter eine persönliche Vorauswahlliste zu führen haben, in die jeder Bewerber einzutragen (bzw. bei Wegfall der Voraussetzungen zu entfernen) ist, der die grundsätzlich zu stellenden Anforderungen an eine generelle, von der Typizität des einzelnen Restrukturierungsverfahrens losgelöste Eignung für ein Tätigwerden als Restrukturierungsbeauftragter aufweist. 10

Von der personenbezogenen Aufsicht ist die in § 75 Abs. 1 Satz 1 normierte verfahrensbezogene Aufsicht zu unterscheiden. Die Aufsicht betrifft jedes einzelne Restrukturierungsverfahren und geschieht nicht nur stichpunktartig, z. B. i. R. einer turnusmäßigen Geschäftsprüfung. Verfahrensbezogene Pflichtverletzungen des Restrukturierungsbeauftragten veranlassen Aufsichtsmaßnahmen in dem konkreten Verfahren, sind aber nicht zwangsläufig relevant in Bezug auf die Vorauswahlliste. Gleichwohl können auch einzelne gewichtige verfahrensbezogene Pflichtverletzungen oder aber eine Vielzahl derer zu einer Entfernung der Person von der Vorauswahlliste führen. Festgestellte Pflichtverstöße in einem Verfahren, die die grundsätzliche Geeignetheit der Person betreffen, hat der Restrukturierungsrichter daher den Restrukturierungsrichtern seines Gerichts und (über die Landesjustizverwaltungen) auch anderen Restrukturierungsgerichten mitzuteilen.

11

Ausgehend von der insolvenzgerichtlichen Praxis ist zu erwarten, dass das Führen der Vorauswahlliste in der Regel einem Restrukturierungsrichter stellvertretend für alle Restrukturierungsrichter des Gerichts übertragen wird, nachdem ein gemeinsames Anforderungsprofil erarbeitet und das Prozedere der Vorprüfung des Bewerbers und seiner Aufnahme für den bzw. die Restrukturierungsrichter vereinbart worden ist. Bei einer gemeinsam geführten Vorauswahlliste wird für jeden Restrukturierungsbeauftragten eine Vorauswahlakte geführt, die alle auswahlrelevanten Informationen enthält. Stellt ein Restrukturierungsrichter in einem von ihm geführten Restrukturierungsverfahren eine Pflichtverletzung des Beauftragten fest, so ist dies zu der betreffenden Vorauswahlakte mitzuteilen und den anderen Restrukturierungsrichtern zur Kenntnis zu geben, damit (sofern veranlasst) personenbezogene Aufsichtsmaßnahmen eingeleitet und ggf. bezirksübergreifend kommuniziert werden können.

12

Der Wegfall der grundsätzlichen Eignungsvoraussetzungen schlägt sich umgekehrt auf die einzelnen Restrukturierungsverfahren nieder. Denn liegt ein Bestellungshindernis vor, weil die grundsätzliche Geeignetheit der Person entfallen ist, ist die Person aus allen Restrukturierungsverfahren zu entlassen.

_____________ 3)

4)

BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00, 1 BvR 186/01, ZIP 2004, 1649; BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, ZIP 2006, 1355, und BVerfG, Beschl. v. 12.7.2006 – 1 BvR 1493/05, NZI 2007, 14. BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 1/15, ZIP 2016, 876; BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 2/15, ZIP 2016, 930; BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 3/15, juris; BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 4/15, juris; BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 5/15, ZIP 2016, 935.

1012

Langer

§ 75

Rechtsstellung

b) Adressat der Aufsicht Adressat der Aufsicht ist der Restrukturierungsbeauftragte. Aufsichtspflichten bzw. -befugnisse des Restrukturierungsgerichts unmittelbar gegenüber dem Schuldner, wie sie im Eigenverwaltungsverfahren nach §§ 270 ff. InsO wegen des in § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO enthaltenen allgemeinen Verweises diskutiert werden können,5) bestehen nicht. Die Aufsicht ist damit gestaffelt, sprich das Restrukturierungsgericht überwacht den Restrukturierungsbeauftragten, der wiederum den Schuldner überwacht.

13

c) Gegenstand der Aufsicht Das Restrukturierungsgericht überwacht die pflichtgemäße Aufgabenerfüllung des Restrukturierungsbeauftragten nach den Vorschriften des StaRUG und ist bei einem pflichtwidrigen Verhalten zum Einschreiten verpflichtet. Die gerichtlichen Kontrollpflichten decken sich dabei mit dem Aufgaben- und Pflichtenkreis, der sich für den Restrukturierungsbeauftragten kraft Gesetzes oder kraft richterlicher Anordnung ergibt. Dabei ist auf die unterschiedlichen Funktionen des Restrukturierungsbeauftragten sowie auf die konkreten richterlichen Anordnungen im Einzelfall abzustellen.

14

aa) Obligatorischer Restrukturierungsbeauftragter (§ 73 Abs. 1, Abs. 2) Dem obligatorischen Restrukturierungsbeauftragten nach § 73 Abs. 1 und Abs. 2 kommen im gesetzlich oder richterlich angeordneten Umfang Prüfungs- und Überwachungsfunktionen bzw. eigene Aufgaben zu (siehe dazu § 73 Rz. 16 f. und § 76). Es besteht aber keine allgemeine Überwachungspflicht des Restrukturierungsbeauftragten (siehe dazu § 76 Rz. 3).

15

Die dem Restrukturierungsbeauftragten zusätzlich zu den gesetzlichen Aufgaben angeordneten Aufgaben ergeben sich i. E. aus dem Bestellungsbeschluss des Gerichts. Es sind anlassbezogene (z. B. § 76 Abs. 1) von fortlaufenden (z. B. § 76 Abs. 3) Prüf- und Überwachungspflichten des Restrukturierungsbeauftragten zu unterscheiden. Während bei den anlassbezogenen Prüfungspflichten ohne Anlass keine Prüfungspflicht besteht, ist der Restrukturierungsbeauftragte bei fortlaufender Pflichtenstellung von sich aus zur Prüfung verpflichtet. Damit einher gehen anlassbezogene bzw. fortlaufende Kontrollpflichten des Restrukturierungsgerichts. Bei den dem Restrukturierungsbeauftragten zur eigenen Wahrnehmung übertragenen Aufgaben (§ 76 Abs. 2 Nr. 1 bis 3) überwacht das Gericht deren Erfüllung.

16

bb) Sachverständiger Restrukturierungsbeauftragter (§ 73 Abs. 3) Für den sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten ist die nach § 75 Abs. 1 Satz 1 normierte Aufsichtsbefugnis bezogen auf den Norminhalt eher als eine Leitungsbefugnis des Gerichts i. S. des § 38 i. V. m. § 404a ZPO zu verstehen. Die Rechtsstellung des sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten dürfte sich eher nach den (über § 38 anwendbaren) §§ 402 ff. ZPO bestimmen. Denn der Restrukturie_____________ 5)

Dagegen wohl überwiegend: K. Schmidt-Undritz, InsO, § 270 Rz. 2 m. w. Hinw.; Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270 Rz. 28; Langer/Bausch, ZInsO 2018, 1138. Dafür: Hammes, Der Gläubigerausschuss in der Eigenverwaltung: Rechtsstellung und besondere Verantwortung, Kap. 2 H. Rz. 145 ff.

Langer

1013

17

§ 75

Rechtsstellung

rungsbeauftragte wird als „Gehilfe“ und „verlängerter Arm“ bei der Tatsachenfeststellung des Gerichts eingesetzt und hat keine eigenen im Wege einer gerichtlichen Aufsicht zu kontrollierenden Aufgaben. Seine Rechtsstellung gegenüber dem Planbetroffenen ergibt sich aus dem Gutachterauftrag. Da er als Sachverständiger ein Gutachten erstattet, ist er auch nicht gemäß § 75 Abs. 1 Satz 2 zur Auskunft oder Vorlage eines Berichts verpflichtet. Bei nicht fristgerechter Erstellung des Gutachtens bleibt § 38 i. V. m. § 411 Abs. 2 ZPO anwendbar und das Gericht kann unter den dort bestimmten Voraussetzungen ein Ordnungsgeld zur Erzwingung festsetzen. Bei Schlechtleistung bestimmt § 8a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JVEG, unter welchen Voraussetzungen die Vergütung abzuerkennen ist. Da der sachverständige Restrukturierungsbeauftragte allerdings zeitgleich vom Gericht auch mit Pflichtaufgaben nach § 73 Abs. 1 und Abs. 2 betraut sein kann, richtet sich die Entlassung des sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten aus wichtigem Grund nach § 75 Abs. 2 und 3. Insbesondere ist § 406 ZPO über § 38 bei Besorgnis der Befangenheit nicht anwendbar.6) cc) Fakultativer Restrukturierungsbeauftragter 18

Nach § 77 Abs. 1 und § 79 kommen dem fakultativen Restrukturierungsbeauftragten eigene unterstützende und fördernde Aufgaben bei den Verhandlungen über den Restrukturierungsplan zu (siehe dazu bei § 79), die von dem Restrukturierungsgericht deckungsgleich nach § 78 Abs. 3 i. V. m. § 75 zu kontrollieren sind. Werden dem fakultativen Restrukturierungsbeauftragten durch gerichtlichen Beschluss gemäß § 77 Abs. 2 zusätzliche Aufgaben nach § 76 übertragen, so erweitert sich die Aufsicht um den zusätzlichen Aufgabenkatalog. d) Pflichtwidrige Aufgabenerfüllung

19

Die Aufsicht des Restrukturierungsgerichts wird durch die Verletzung einer sich aus dem Restrukturierungsrahmen ergebenden Pflicht herbeigeführt. Dies ist bei einer Nicht- bzw. Schlechterfüllung der Fall. Eine Pflichtverletzung liegt auch vor, wenn der Restrukturierungsbeauftragte Aufgaben übernimmt, die ihm weder kraft Gesetzes noch kraft richterlicher Anordnung obliegen, sprich seine Aufgaben überschreitet. Wie bei einem eigenverwaltenden Schuldner im Insolvenzverfahren sind im Restrukturierungsverfahren die Aufgaben des Schuldners strikt von denen des Restrukturierungsbeauftragten zu trennen.7) Kommt es zu einer Vermengung von Aufgaben, führt dies in der Person des Restrukturierungsbeauftragten regelmäßig zu Interessenkonflikten, die einer unabhängigen Aufgabenwahrnehmung entgegenstehen. e) Verstoß gegen das Neutralitätsgebot

20

Das Gesetz misst der Unabhängigkeit des Restrukturierungsbeauftragten besondere Bedeutung bei, wie das eigens für diesen Fall bestimmte gesonderte Antragsrecht für den Schuldner und einzelne Gläubiger erkennen lässt. Das Restrukturie_____________ 6) 7)

So auch zum isolierten Sachverständigen im Insolvenzverfahren K. Schmidt-Stephan, InsO, § 5 Rz. 17 m. w. Hinw. OLG Dresden, Urt. v. 15.10.2014 – 13 U 1605/13, ZIP 2015, 1937: Masse beauftragt den vorläufigen Sachwalter mit Beratungsleistungen.

1014

Langer

§ 75

Rechtsstellung

rungsverfahren ist maßgeblich von den Interessen und Sanierungsvorstellungen des beratenen Schuldners bestimmt, der den Restrukturierungsprozess aufsetzt und das Restrukturierungsverfahren – soweit er keinen Einschränkungen unterliegt – als „Herr des Prozesses“8) gestaltet. Für den Schuldner bzw. seine haftenden Organe und Gesellschafter geht es angesichts drohender Insolvenz um den Erhalt zukünftiger Einnahmequellen und oftmals auch um die Vermeidung einer persönlichen Inanspruchnahme als Bürge oder aufgrund von Haftungsansprüchen. Diese Interessenlage birgt die Gefahr missbräuchlicher Gestaltung und bedarf daher eines starken Gegengewichts. Der den Plan initiierende Schuldner berücksichtigt die Interessen der Gläubiger nicht von Haus aus altruistisch, sondern weil und soweit er sie (mitunter auch nicht gleichbehandelnd) berücksichtigen muss, um im Verhandlungswege eine Planlösung mit seinen Gläubigern zu erreichen. Vor dem Hintergrund dieser Interessensituation kommt dem Restrukturierungsbeauftragten als neutrale „Gewährsperson“9) und als Gegengewicht zu den Interessen des Schuldners und/oder einzelner Gläubiger eine entscheidende Funktion im Verfahren zu. Eine Befangenheit des Restrukturierungsbeauftragten ist zu besorgen, wenn objektive Umstände feststehen, die aus der Sicht eines vernünftigen Verfahrensbeteiligten berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit oder Unparteilichkeit der Person begründen.10) Auf die subjektive Unparteilichkeit kommt es nicht an.

21

In der Praxis ist zu erwarten, dass die Restrukturierungsgerichte den von den Verbänden erarbeiteten Fragebogen zur Unabhängigkeit des Verwalters,11) der auch für die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten geeignet ist, zum Einsatz bringen. Der Fragebogen enthält eine umfassende Abfrage von Sachverhalten, die dem Grunde nach geeignet sind, die Unabhängigkeit des Verwalters bzw. des Beauftragten in Frage zu stellen. Sollten diese Sachverhalte erst nach der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten bekannt werden, liegt ein Bestellungshindernis vor und es ist über eine Entlassung des Beauftragten nach § 75 Abs. 2 zu entscheiden.

22

Die nachfolgenden Fallgestaltungen zum Verstoß gegen das Neutralitätsgebot, u. a. aus der Rechtsprechung zur neutralen Amtsführung des Insolvenzverwalters/Sachwalters im Insolvenzverfahren, können auf den Restrukturierungsbeauftragten übertragbar sein:

23



Beteiligung an dem Schuldner,12)



Bestehen einer früheren umfangreichen Geschäftsbeziehung zu dem Sanierungsberater-Geschäftsführer, insbesondere die gemeinsame Durchführung mehrerer Unternehmenssanierungen,13)

_____________ 8) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 175. 9) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 173. 10) Vgl. zur Befangenheit des Insolvenzverwalters/Sachwalters BGH, Beschl. v. 4.5.2017 – IX ZB 102/15, Rz. 11, NZI 2017, 667 m. w. N. z. Literatur. 11) VID, Fragebogen zur Unabhängigkeit des Verwalters, abrufbar unter http://www.vid.de/ wp-content/uploads/2016/09/fragebogen-zur-unabhaengigkeit-des-verwalters.pdf (Abrufdatum: 23.8.2021); Frind, ZInsO 2017, 363 ff. – zum „conflict-check“. 12) BGH, Urt. v. 24.1.1991 – IX ZR 250/89, BGHZ 113, 262. 13) AG Stendal, Beschl. v. 31.8.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 1875.

Langer

1015

§ 75

Rechtsstellung



Verheimlichung einer Vorberatung,14)



Beteiligung an einem Großgläubiger, Einbindung in die Führungsebene oder dessen regelmäßige Beratung,15)



Verschweigen einer persönlichen Beziehung zum Geschäftsführer und Tätigkeit als Treuhänder und Steuerberater für diesen,16)



Erbringung gesondert vergüteter Beratungsleistungen für den Schuldner im Verfahren,17)



grundlose Anerkennung bzw. Nichtanerkennung von Vermögenspositionen einzelner Betroffener i. R. der Prüfung nach § 76 Abs. 4 Satz 3,



Nichtanzeige der Begleichung oder Besicherung von Forderungen, die durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen gemäß § 76 Abs. 1 i. V. m. §§ 33 Abs. 2 Nr. 3, 32 Abs. 1 Satz 2.

5.

Rechtsfolge des § 75 Abs. 1 Satz 1

a) Beginn und Intensität der gerichtlichen Aufsicht 24

Die Aufsichtspflicht beginnt, sobald Anlass zur Kontrolle besteht. Die Aufsichtspflicht ist (auch im Insolvenzverfahren) nicht permanent und vorbeugend.18) Das Restrukturierungsgericht ist nach § 75 Abs. 1 Satz 1 zum Schutz der Interessen der Beteiligten nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet seine Aufsicht auszuüben. Die entscheidungserheblichen Tatsachen ermittelt es von Amts wegen und kann sich gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 eines Sachverständigen bedienen.

25

Anlass zur Überprüfung kann ein Tätigkeitsbericht des Restrukturierungsbeauftragten sein, der Antrag des Schuldners oder eines Gläubigers nach § 75 Abs. 2 Satz 2 oder eine bloße Anregung eines Verfahrensbeteiligten oder eines Dritten. Die Pflicht zum Einschreiten ergibt sich von Amts wegen, eines Antrags bedarf es nicht. Auch Mitteilungen anderer Abteilungen eines Gerichts oder anderer Gerichte können Anlass zur Aufsicht im Verfahren geben (siehe die Ausführungen bei Rz. 10 f.).

26

Die Intensität der gerichtlichen Aufsicht ist eine Frage des Einzelfalls. Es können bestimmte Fallkonstellationen eine intensivere Aufsicht des Restrukturierungsgerichts nach sich ziehen. Eine engere Kontrolldichte ist z. B. veranlasst, wenn das Restrukturierungsgericht noch keine Erfahrungen mit dem Restrukturierungsbeauftragten gemacht hat und sich von seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten überzeugen muss. Die Aufsicht ist auch zu intensivieren, wenn z. B. der laut Finanzplanung „ohne Plan“ prognostizierte Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit bekanntermaßen alsbald ansteht oder überschritten ist und kein Sachstandsbericht vorliegt. Fraglich ist, ob die Einsetzung eines Gläubigerbeirats, dessen _____________ 14) 15) 16) 17)

BGH, Beschl. v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 1/15, ZIP 2016, 876. BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15, NZI 2016, 913. BGH, Beschl. v. 4.5.2017 – IX ZB 102/15, NZI 2017, 667. OLG Dresden, Beschl. v. 15.10.2014 – 13 U 1605/13, ZIP 2015, 1937; hierzu Vill, ZInsO 2015, 2273 (Urteilsanm.), G. Pape, ZInsO 2016, 2149 ff. 18) BGH, Beschl. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, NZI 2015, 166.

1016

Langer

§ 75

Rechtsstellung

Mitglieder nach § 93 Abs. 3 den Schuldner in der Geschäftsführung unterstützen und überwachen, zu einer Herabsetzung der Aufsichtspflicht des Gerichts führt.19) b) Wahl der Aufsichtsmittel Die Wahl des Aufsichtsmittels steht im pflichtgemäßen Ermessen des Restrukturierungsgerichts. Es ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten und stufenweise vorzugehen. Danach ergibt sich die Ausübung der Aufsicht in folgenden Stufen: –

Einholung einer Auskunft oder eines Berichts (§ 75 Abs. 1 Satz 2),



Beanstandung,



Entlassung (§ 75 Abs. 2).

§ 75 sieht im Gegensatz zu § 58 Abs. 2 InsO kein Zwangsgeld zur Durchsetzung der sich aus dem StaRUG ergebenden Prüf- und Überwachungspflichten vor. Wenn der Restrukturierungsbeauftragte auf Beanstandungen nicht reagiert, bleibt als Mittel damit nur die Entlassung. 6.

27

28

Die einzelnen Aufsichtsmaßnahmen

a) Auskünfte und Sachstandsberichte (Abs. 1 Satz 2) Das Gericht kann jederzeit nach § 75 Abs. 1 Satz 1 Auskünfte zu einzelnen Fragestellungen oder einen allgemeinen Sachstandsbericht anfordern. Der Bericht ist Grundlage der Aufsicht über die Aufgabenwahrnehmung durch den Restrukturierungsbeauftragten. Aus diesem Grunde wird das Restrukturierungsgericht dem Restrukturierungsbeauftragten in bestimmten Turni einen allgemeinen Tätigkeitsbericht auferlegen. Die Berichtsfrist (sinnvoll ein Monat) ergibt sich in der Regel aus dem Bestellungsbeschluss. Gegenstand des Berichts sind die dem Beauftragten kraft Gesetzes bzw. kraft richterlicher Anordnung übertragenen Aufgaben und ihre Erfüllung.

29

Abhängig von Inhalt des Bestellungsbeschlusses hat der Restrukturierungsbeauftragte daher ausführlich und vollständig zu berichten über

30



den Sachstand zu den in eigener Person wahrzunehmenden Aufgaben nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 und



den Sachstand zu der Erstellung einer Stellungnahme nach § 76 Abs. 4. 31

Des Weiteren hat sich der Bericht darüber zu verhalten, ob –

die Anordnungsvoraussetzungen einer Stabilisierungsanordnung nach §§ 51 ff. fortbestehen bzw. ob ein Aufhebungsgrund nach § 59 vorliegt (§ 73 Abs. 3 Nr. 1),



„Umstände bekannt“ (geworden) sind, die Mitteilungspflichten nach § 76 Abs. 1 (Vorliegen von Aufhebungsgründen nach § 33) auslösen. _____________ 19) Zum Gläubigerausschuss im Insolvenzverfahren BGH, Beschl. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, Rz. 25, NZI 2015, 166, der von einer „weitergehenden Kontrolle des Verwalterhandelns durch den Gläubigerausschuss“ spricht; dafür: Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 58 Rz. 6 ff.; diff. K. Schmidt-Ries, InsO, § 58 Rz. 16; dagegen: Gräber in: MünchKommInsO, § 58 Rz. 15 – 19; Hammes, Der Gläubigerausschuss in der Eigenverwaltung, Rechtsstellung und besondere Verantwortung, Kap. 2 H. Rz. 154.

Langer

1017

§ 75 32

Rechtsstellung

Aus besonderem Anlass ist von dem Restrukturierungsbeauftragten unaufgefordert ein gesonderter Bericht jenseits der allgemeinen Berichtsroutine zu erwarten. b) Beanstandung

33

Die Beanstandung kann mündlich oder in einem Anschreiben an den Restrukturierungsbeauftragten erfolgen und gibt dem Restrukturierungsbeauftragten die Möglichkeit zur Abhilfe. Das Gericht kann dem Restrukturierungsbeauftragten keine Weisung erteilen.20) Eine Weisung ist das förmliche Einfordern einer bestimmten Handlung bzw. einer bestimmten Unterlassung. § 75 sieht die Weisung als Aufsichtsmaßnahme nicht vor. Die angewiesene Handlung wäre auch nicht erzwingbar, insbesondere nicht durch Festsetzung eines Zwangsgeldes, weil es auch an einer § 58 Abs. 2 InsO vergleichbaren Regelung fehlt. c) Entlassung (Abs. 2)

34

Gemäß § 75 Abs. 2 Satz 1 kann das Restrukturierungsgericht den Restrukturierungsbeauftragten aus wichtigem Grund entlassen. Die Vorschrift normiert die Entlassung von Amts wegen, auf eigenen Antrag oder auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten und enthält Regelungen für das Entlassungsverfahren. aa) Auf eigenen Antrag (Abs. 2 Satz 2 Alt. 2)

35

Der Restrukturierungsbeauftragte kann sein Amt, mit dem ihm hoheitliche Befugnisse übertragen worden sind, nicht auf eigenen Wunsch niederlegen, sondern muss förmlich von dem Restrukturierungsgericht entlassen werden. Erforderlich ist ein wichtiger Entlassungsgrund (z. B. Erkrankung oder andere persönliche Verhinderungsgründe). Hat der Restrukturierungsbeauftragte vor seiner Bestellung einen ordnungsgemäßen Conflict-Check durchgeführt, so dürfte ein Antrag auf Entlassung wegen einer Interessenkollision auf eigenen Antrag nicht zu erwarten. bb) Von Amts wegen bei wichtigem Entlassungsgrund (Abs. 2 Satz 2 Alt. 1)

36

Nicht jede Pflichtverletzung des Restrukturierungsbeauftragten führt zu einer Entlassung gegen seinen Willen, sondern – als ultima ratio der möglichen Aufsichtsmaßnahmen – nur diejenigen, die einen wichtigen Entlassungsgrund darstellen. In Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH21) zu § 59 InsO ist von einem wichtiger Entlassungsgrund auszugehen, wenn feststeht, dass ein Verbleiben im Amt, unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen des Beauftragten, die Belange der am Restrukturierungsverfahren Beteiligten und die Rechtmäßigkeit des Verfahrens objektiv nachhaltig beeinträchtigen würde.

37

Als wichtige Entlassungsgründe kommen insbesondere in Betracht: –

Kenntniserlangung von personenbezogenen Bestellungshindernissen i. S. des § 74 Abs. 1 (zu den persönlichen Eignungsvoraussetzungen siehe § 74 Rz. 20),



jedweder Verstoß gegen das Neutralitätsgebot im Verfahren (siehe Beispiele unter Rz. 23),

_____________ 20) Str. i. R. der Aufsicht nach § 58 InsO, abl. z. B. K. Schmidt-Ries, InsO, § 58 Rz. 17. 21) BGH, Beschl. v. 4.5.2017 – IX ZB 102/15, Rz. 8, NZI 2017, 667.

1018

Langer

§ 75

Rechtsstellung



Nichterfüllung von Auskunfts- und Berichtspflichten im Verfahren,



Schlechtleistung wegen Arbeitsüberlastung,



Begründung eines Haftungsanspruch gegen den Restrukturierungsbeauftragten im Verfahren,



ausnahmsweise: nachhaltig zerstörtes Vertrauensverhältnisses zwischen dem Restrukturierungsrichter und dem Restrukturierungsbeauftragten.

cc) Auf Antrag des Schuldners oder eines Gläubigers bei fehlender Unabhängigkeit (Abs. 2 Satz 2 Alt. 3 und Alt. 4) § 75 Abs. 2 Satz 2 Alt. 3 und Alt. 4 enthalten in Umsetzung von Art. 26 Abs. 1 lit. d Restrukturierungsrichtlinie im Gegensatz zu § 59 Abs. 1 Satz 1 InsO ein eigenes Antragsrecht des Schuldners oder eines Gläubigers im Falle fehlender Unabhängigkeit des Restrukturierungsbeauftragten. Die Ablehnung des Antrags berechtigt nach § 75 Abs. 3 Satz 2 zur sofortigen Beschwerde.

38

Antragsberechtigt ist nach dem Wortlaut nur der Restrukturierungsgläubiger, nicht jeder i. S. des § 2 betroffene Planbeteiligte. Auch Art. 26 Abs 1 lit. d Restrukturierungsrichtlinie führt als Antragsberechtigten neben dem Schuldner nur den Gläubiger auf, so dass die Vorschrift nicht erweiternd auszulegen ist.

39

Eine Interessenkollision ist in dem Antrag substantiiert darzulegen und gemäß § 75 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 glaubhaft zu machen. Damit soll vermieden werden, dass Entlassungsanträge „ins Blaue hinein“ gestellt werden. Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn sie mittels präsenter Beweismittel als überwiegend wahrscheinlich zu erkennen ist (§ 38 i. V. m. § 294 ZPO). Als präsente Beweismittel kommen die Einvernahme des Schuldners bzw. des Gläubigers, die Vernehmung präsenter Zeugen, die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung sowie die Vorlage von Urkunden in Betracht.

40

dd) Entlassungsverfahren § 75 Abs. 2 Satz 4 bestimmt, dass der Restrukturierungsbeauftragte vor der Entscheidung des Gerichts zu hören ist, um ihm Gelegenheit zu geben, zu dem Sachverhalt und den Vorwürfen Stellung zu nehmen und seine Belange vorzutragen.

41

ee) Entscheidung des Gerichts Auch bei Feststellung eines wichtigen Entlassungsgrundes steht die Entscheidung über die Entlassung des Restrukturierungsbeauftragten im Ermessen des Restrukturierungsgerichts. Das Ermessen ist rechtsfehlerfrei ausgeübt, wenn alle wesentlichen Umstände berücksichtigt und rechtsfehlerfrei gewürdigt worden sind und von dem Ermessen gemäß dem Gesetzeszweck unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Gebrauch gemacht worden ist.22) Insbesondere sind die von dem Restrukturierungsbeauftragten i. R. der Anhörung vorgebrachten Aspekte zu würdigen.

_____________ 22) Zu § 59 InsO z. B. BGH, Beschl. v. 4.5.2017 – IX ZB 102/15, Rz. 9, NZI 2017, 667.

Langer

1019

42

§ 75 43

Rechtsstellung

Die Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren durch zu begründenden Beschluss, da ein Rechtsmittel gegeben ist. Der Beschluss ist mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen. ff) Rechtsmittel (Abs. 3)

44

Gemäß § 75 Abs. 3 Satz 1 ist für den gegen seinen Willen entlassenen Restrukturierungsbeauftragten und gemäß § 75 Abs. 3 Satz 2 für den Schuldner bzw. den Gläubiger im Falle der Ablehnung eines Entlassungsantrags nach § 75 Abs. 2 Satz 3 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde vorgesehen. 7.

45

Amtshaftung wegen Verletzung der Aufsicht

Der Staat haftet bei einer Verletzung der Aufsichtspflicht durch den Restrukturierungsrichter nach Maßgabe des § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG. Eine unmittelbare Inanspruchnahme des verfahrensführenden Restrukturierungsrichters scheidet mangels bestehender Anspruchsgrundlage aus. II. Die Haftung des Restrukturierungsbeauftragten (Abs. 4) 1.

Zweck des § 75 Abs. 4 Morgen

46

§ 75 Abs. 4 normiert die Haftung des Restrukturierungsbeauftragten. Nach § 75 Abs. 4 Satz 1 hat der Restrukturierungsbeauftragte die ihm obliegenden Aufgaben mit der gebotenen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit zu erfüllen. Nach § 75 Abs. 4 Satz 2 hat er seine Aufgaben unparteiisch wahrzunehmen. Nach § 75 Abs. 4 Satz 3 haftet er den Betroffenen auf Schadensersatz, wenn er seine Pflichten schuldhaft verletzt.

47

Die Norm des § 75 Abs. 4 ist an die Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 Abs. 1 InsO angelehnt.23) Die Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 Abs. 1 InsO stellt ein Korrektiv für die mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter übergehende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis dar.24) Der Restrukturierungsbeauftragte wird hingegen außer im Ausnahmefall der Übernahme der Kassenführung nach § 76 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ausschließlich überwachend und beratend tätig. Der Grund für eine an § 60 Abs. 1 InsO angelehnte Haftung kann daher nicht sein, ein Korrektiv für eine umfassende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zu schaffen.

48

Die Gesetzesbegründung äußert sich nur sehr knapp und ausschließlich zur Haftung des von Amts wegen zu bestellenden Restrukturierungsbeauftragten. Solle dieser als „Gewährsperson“ fungieren, so müsse er gegenüber den Beteiligten auch eine zivilrechtliche Verantwortung für etwaiges Fehlverhalten übernehmen.25) Demnach sehe § 75 Abs. 4 in Anlehnung an § 60 Abs. 1 InsO vor, dass der Beauftragte seine Aufgabe mit der gebotenen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit erfüllen muss und bei schuldhafter Pflichtverletzung den Betroffenen zum Schadensersatz verpflich_____________ 23) Begr. RegE SanInsFoG z. § 82 Abs. 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 173. 24) Schoppmeyer in: MünchKomm-InsO, § 60 Rz. 1 f.; K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 1. 25) Begr. RegE SanInsFoG z. § 82 Abs. 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 173.

1020

Morgen

§ 75

Rechtsstellung

tet ist.26) Diese Haftung des von Amts wegen zu bestellenden Restrukturierungsbeauftragten für eine schuldhafte Verletzung der ihm obliegenden Pflichten gegenüber den Beteiligten erscheint angemessen, da er den Schuldner zum Schutz der Gläubigerinteressen überwacht27) und die Voraussetzungen für Eingriffe in Gläubigerrechte28) zu prüfen hat. Warum auch der auf Antrag zu bestellende Restrukturierungsbeauftragte über den Verweis in § 78 Abs. 3 auf § 75 nach § 75 Abs. 4 haftet, wird indes nicht begründet. Dessen Aufgabe besteht darin, „im Interesse aller Beteiligten den Restrukturierungsprozess voranzubringen, Informationsasymmetrien auszugleichen und als Mediator oder Vermittler der verschiedenen Interessen zu fungieren und mit seinem Knowhow in Sanierungsfragen zu helfen, diese unter einen Hut zu bringen.“29) Der Grund der Haftung des auf Antrag bestellten Beauftragten kann also nicht in der Rolle als „Gewährsperson“ liegen. Vielmehr liegt dieser in der durch die Bestellung als Restrukturierungsbeauftragter begründeten Sonderbeziehung zwischen dem Restrukturierungsbeauftragten und den Beteiligten und ist damit eine spezialgesetzliche Ausprägung der allgemeinen Haftung für schuldhafte Pflichtverstöße nach § 280 Abs. 1 BGB. Vergleichbar der Haftung eines Mediators haftet der auf Antrag bestellte Restrukturierungsbeauftragte daher ebenfalls für schuldhafte Pflichtverstöße.30)

49

Aus den sehr unterschiedlichen Aufgaben des von Amts wegen zu bestellenden Restrukturierungsbeauftragten und des auf Antrag zu bestellenden Restrukturierungsbeauftragten folgt mithin eine unterschiedliche Begründung für eine Haftung des Restrukturierungsbeauftragten nach § 82 Abs. 4. § 82 Abs. 4 ist somit letztlich nur eine spezialgesetzliche Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes, dass der Beauftragte i. R. der durch seine Bestellung begründeten Sonderbeziehung zu den Beteiligten für schuldhafte Pflichtverstöße diesen gegenüber haftet. Der eigentliche Haftungsgrund kann aber erst im Zusammenhang mit dem Schutzzweck der konkret verletzten Pflicht des Beauftragten bestimmt werden.31) Die Haftung ist somit im Einzelfall aufgabenspezifisch zu ermitteln.

50

_____________ 26) Begr. RegE SanInsFoG z. § 82 Abs. 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 173.; vgl. auch Schinkel in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 5 Rz. 116, die sich dafür ausgesprochen hat, die Vorgabe der EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen zur „Haftung des Restrukturierungsbeauftragten an § 60 InsO anzulehnen.“ 27) Z. B. § 75 Abs. 1: Pflicht, dem Restrukturierungsgericht festgestellte Aufhebungsgründe i. S. des § 33 anzuzeigen. 28) Z. B. § 76 Abs. 3: Pflicht zur laufenden Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen für eine Stabilisierungsanordnung. 29) Begr. RegE SanInsFoG z. § 82 Abs. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 173. 30) Zur Haftung eines anwaltlichen Mediators vgl. grundlegend BGH, Urt. v. 21.9.2017 – IX ZR 34/17, ZIP 2017, 2206. 31) Ähnlich zu § 60 InsO Schoppmeyer in: MünchKomm-InsO, § 60 Rz. 1a; § 60 Abs. 1 InsO stelle „eine Blankettnorm dar, deren eigentlicher Interessengehalt erst im Zusammenspielt mit der konkreten Pflicht erkennbar“ werde. Bei jeder einzelnen Norm sei „das Spannungsverhältnis zwischen möglichst effektiver Verwaltungstätigkeit und Schutz der von seiner Tätigkeit notwendig tangierten und auf pflichtgemäße Ausführung angewiesenen Beteiligten auszutarieren.“

Morgen

1021

§ 75

Rechtsstellung

51

Die aufgabenspezifische Bestimmung der Haftung erfordert zunächst im Einzelfall eine Bestimmung der dem Restrukturierungsbeauftragten übertragenen Aufgaben. Aufgrund des modularen Aufbaus des StaRUG und der großen Spannbreite des Umfangs der Beauftragung des Restrukturierungsbeauftragten, ist im jeweiligen Einzelfall darauf zu achten – und der Restrukturierungsbeauftragte sollte im eigenen Interesse darauf hinwirken – dass die Aufgaben im konkreten Einzelfall im Bestellungsbeschluss hinreichend klar aufgeführt werden. Eine Haftung kommt nur für sich aus dem Gesetz ergebende oder durch Beschluss übertragene Pflichten in Betracht, nicht aber für Pflichten, die einem Restrukturierungsbeauftragten zwar nach dem Gesetz übertragen werden könnten, im konkreten Fall aber nicht übertragen wurden.

52

Keinerlei spezifische Aussage enthält § 75 Abs. 4 zu der Frage der Haftung des Restrukturierungsbeauftragten, wenn er nach § 73 Abs. 3 beauftragt wird, Prüfungen als Sachverständiger vorzunehmen. Aufgrund der weiten Formulierung des § 75 Abs. 4, dass der Beauftragte für die Verletzung der ihm obliegenden Pflichten haftet, dürfte jedoch auch eine Haftung für seine Tätigkeit als Sachverständiger umfasst sein. Fraglich ist, ob ihm insoweit die Beschränkung der Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit nach § 839a BGB zugutekommt (siehe Rz. 87 zum Verschuldensmaßstab). 2.

Rechtsgrund der Haftung

53

§ 75 Abs. 4 ist an die Haftung des § 60 Abs. 1 InsO angelehnt, obgleich die Tätigkeiten des verwaltungs- und verfügungsbefugten Insolvenzverwalters mit der des rein überwachenden und beratenden Restrukturierungsbeauftragten nicht vergleichbar sind. Im Hinblick auf den Rechtsgrund der Haftung stellt sich daher die Frage, ob es sich bei der in § 75 Abs. 4 normierte Haftung des Restrukturierungsbeauftragten um eine dem § 839 BGB vergleichbare deliktische Haftung oder um eine schuldrechtliche Haftung aufgrund des durch die Bestellung begründeten Sonderrechtsverhältnisses handelt.

54

Die Frage ist deshalb von praktischer Bedeutung, da im Falle einer schuldrechtlichen Haftung § 278 BGB Anwendung findet, dem Restrukturierungsbeauftragten also Verschulden von Erfüllungsgehilfen zugerechnet wird, während im Falle der deliktischen Haftung bei Pflichtverstößen von Hilfspersonen lediglich eine Haftung nach § 831 BGB für Auswahlverschulden in Betracht kommt. Dies ist umso mehr von Bedeutung, da der Gesetzgeber trotz der Anlehnung an § 60 Abs. 1 InsO in das StaRUG keine dem § 60 Abs. 2 InsO vergleichbare Vorschrift zur Einschränkung der Verschuldenszurechnung nach § 278 BGB aufgenommen hat.

55

Nach § 60 Abs. 2 InsO wird dem Insolvenzverwalter ein Verschulden der von ihm eingesetzten Mitarbeiter des Schuldners nur dann zugerechnet, wenn diese offensichtlich ungeeignet waren.32) Im Übrigen haftet er nur für deren Überwachung und für Entscheidungen von besonderer Bedeutung.33) Auch der Restrukturierungsbeauftragte wird – wie auch der Sachwalter im Eigenveraltungsverfahren – bei der _____________ 32) K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 48. 33) K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 48.

1022

Morgen

§ 75

Rechtsstellung

Erfüllung seiner Überwachungspflichten Angestellte des Schuldners z. B. aus der Buchhaltung einsetzten müssen. Während der Sachwalter dabei in den Genuss der Haftungsprivilegierung des § 60 Abs. 2 InsO kommt,34) sieht das StaRUG eine solche Haftungsprivilegierung für den Restrukturierungsbeauftragten nicht vor. Der Rechtsgrund der Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 Abs. 1 InsO ist umstritten. Teilweise wird vertreten, dass es sich bei der Verwalterhaftung um eine deliktische Haftung handele und § 278 BGB daher keine Anwendung finde. Die h. M. geht indes davon aus, dass mit der Bestellung und Amtsannahme ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen dem Verwalter und den Beteiligten begründet werde und der Verwalter dann bei Pflichtverstößen aus diesem gesetzlichen Schuldverhältnis hafte, mithin die §§ 249 ff. BGB Anwendung finden. Karsten Schmidt will bei der Verwalterhaftung unterscheiden zwischen einer schuldrechtlichen Haftung im Innenverhältnis zum Schuldner, welche auf dem durch die Amtsannahme begründeten Sonderrechtsverhältnis beruhe und aufgrund einer deliktischen Amtshaftung des Verwalters gegenüber anderen Beteiligten. Diese zweigeteilte Haftung wurde vom Gesetzgeber jedoch nicht übernommen. Die in § 60 Abs. 2 InsO geregelte Einschränkung des § 278 BGB zeigt vielmehr, dass der Gesetzgeber bei der Haftung des Insolvenzverwalters von einer einheitlichen, auf dem durch die Amtsannahme begründeten gesetzlichen Schuldverhältnis beruhenden Haftung ausgeht.35)

56

Obgleich der Gesetzgeber im StaRUG keine dem § 60 Abs. 2 InsO vergleichbare Regelung vorgesehen hat, ist aufgrund des Verweises auf § 60 InsO und mangels entgegenstehender anderer Anhaltspunkte in der Gesetzesbegründung davon auszugehen, dass der Gesetzgeber auch bei der Haftung des Restrukturierungsbeauftragten von einer schuldrechtlichen Haftung aufgrund der durch die Bestellung und Amtsannahme begründeten Sonderrechtsbeziehung ausgeht. Eine dem § 60 Abs. 2 InsO vergleichbare Vorschrift fehlt vermutlich deshalb, weil der Gesetzgeber nicht erkannt hat, dass auch bei der Erfüllung der Aufgaben des Restrukturierungsbeauftragten wie bei der Erfüllung der Aufgaben des Sachwalters die Einschaltung von Mitarbeitern des Schuldners, insbesondere aus der Buchhaltung, erforderlich sein kann.

57

3.

Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie

Nach Art. 27 der Restrukturierungsrichtlinie36) soll der nationale Gesetzgeber neben einer wirksamen Überwachung der Restrukturierungsbeauftragten durch Aufsichtsmechanismen auch „Maßnahmen für die Verantwortlichkeit der Verwalter (vorsehen), die ihren Pflichten nicht nachkommen.“37) _____________ 34) K. Schmidt-Undritz, InsO, § 274 Rz. 5. 35) So auch Schoppmeyer in: MünchKomm-InsO, § 60 Rz. 7. 36) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. 37) Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Restrukturierungsrichtlinie.

Morgen

1023

58

§ 75 59

Rechtsstellung

Die von der Richtlinie geforderten Mechanismen zur Überwachung finden sich in § 82 Abs. 1 (Aufsicht durch das Restrukturierungsgericht) und in § 82 Abs. 2 (Entlassung aus dem Amt aus wichtigem Grund). Die geforderte „Verantwortlichkeit für Pflichtverstöße“ ist in § 82 Abs. 4 geregelt. Die Umsetzung in das nationale Recht entspricht damit den Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie.38) 4.

Gesetzgebungsverfahren

60

Bereits der RefE zum SanInsFoG39) enthielt in § 79 Abs. 4 RefE eine dem jetzigen § 75 Abs. 4 vergleichbare Regelung. In § 79 Abs. 4 Satz 2 RefE hieß es jedoch, dass der Restrukturierungsbeauftragte seine Aufgaben unparteiisch im Interesse aller Beteiligten sowie der Gesamtheit der Gläubiger wahrnehme. Demgegenüber spricht § 79 Abs. 4 Satz 2 nur noch davon, dass der Restrukturierungsbeauftragte seine Aufgaben unparteiisch wahrzunehmen habe. Nicht mehr enthalten ist, dass er im Interesse aller Beteiligten sowie im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger zu handeln habe. Die Gründe für die Streichung der Formulierung „im Interesse aller Beteiligten sowie im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger“ im Gesetzgebungsverfahren sind nicht ersichtlich, da dies weder in der Begründung zum RegE noch in der Gesetzesbegründung erwähnt wird.

61

Trotz der Streichung dieser Formulierung im Gesetzgebungsverfahren ist davon auszugehen, dass der Restrukturierungsbeauftragte sein Handeln am Interesse der Betroffenen und dem Interesse der Gesamtheit der Gläubiger auszurichten hat. Dies ergibt sich aus der Pflichtenbindung des Schuldners aus § 32 Abs. 1 Satz 1 und der Organe nach § 43 Abs. 1. Sowohl der Schuldner als auch dessen Organe haben die Restrukturierungssache im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger zu betreiben. Der den Schuldner und die Geschäftsleiter überwachende Restrukturierungsbeauftragte muss seine Tätigkeit daher zwingend am gleichen Maßstab ausrichten, also die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger beachten. 5.

Tatbestand des § 75 Abs. 4

a) Betroffenenbegriff 62

Der Restrukturierungsbeauftragte ist nach § 75 Abs. 4 Satz 3 den Betroffenen gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet. Das StaRUG enthält keine Definition des Betroffenenbegriffes. Nach dem Wortlaut haftet der Restrukturierungsbeauftragte allen gegenüber, die von seiner Pflichtverletzung betroffen sind. Betroffen ist derjenige, dessen Schutz die verletzte Pflicht bezweckt. Der Betroffenenbegriff ist mithin materiell-rechtlich auszulegen. Dies entspricht auch der Auslegung des Beteiligtenbegriffs nach § 60 Abs. 1 InsO. Es ist anerkannt, dass der Beteiligtenbegriff

_____________ 38) Vgl. zu den Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie auch Schinkel in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 5 Rz. 115 ff. 39) RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021).

1024

Morgen

§ 75

Rechtsstellung

der InsO materiell-rechtlich auszulegen ist. Beteiligter i. S. des § 60 Abs. 1 InsO ist derjenige, demgegenüber der Verwalter seine Amtspflichten zu erfüllen hat.40) Betroffen sind zunächst alle, deren Rechte durch Instrumente i. S. des § 29 unmittelbar berührt werden, namentlich Planbetroffene und Adressaten von Stabilisierungsanordnungen. Verletzt er diesen gegenüber bestehende Pflichten schuldhaft, wie z. B. die Pflicht zur fortlaufenden Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung nach § 76 Abs. 3 Nr. 1, ist er den Betroffenen zum Schadensersatz verpflichtet.

63

Neben diesen unmittelbar durch Instrumente Betroffenen können jedoch auch weitere Personen Betroffene i. S. des § 75 Abs. 4 sein, sofern der Restrukturierungsbeauftragte diesen gegenüber bestehende Amtspflichten verletzt. Von Amtspflichtverletzungen betroffen kann z. B. die Gesamtheit der Gläubiger sein. Der Schuldner ist nach § 32 Abs. 1 Satz 1 verpflichtet, die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren. Im Falle eines schwerwiegenden Verstoßes gegen diese Pflicht kann die Restrukturierungssache nach § 33 Abs. 2 Nr. 3 aufgehoben werden. Stellt der Restrukturierungsbeauftragte Umstände fest, die eine Aufhebung nach § 33 rechtfertigen hat er dies dem Restrukturierungsgericht unverzüglich mitzuteilen. Die schuldhafte Verletzung dieser Anzeigepflicht begründet mithin eine Schadensersatzpflicht gegenüber der Gesamtheit der Gläubiger. Offen ist freilich, wer diesen Schaden geltend machen kann (siehe dazu unten Rz. 106 ff.).

64

Wer noch Betroffener i. S. des § 75 Abs. 4 sein kann wird im Einzelnen i. R. des Tatbestandsmerkmals des Pflichtverstoßes untersucht, da sich die Betroffenenstellung aus der materiell-rechtlichen Pflicht des Restrukturierungsbeauftragten ableitet.

65

b) Verletzungen restrukturierungsrahmenspezifischer Pflichten Der Restrukturierungsbeauftragte haftet für die Verletzung der ihm obliegenden restrukturierungsrahmenspezifischen Pflichten (siehe zu dem Pflichten i. E. die Kommentierung zu § 76 und § 79). Aufgrund der modularen Ausgestaltung des Restrukturierungsrahmens steht der dem Restrukturierungsbeauftragten obliegende rahmenspezifische Pflichtenkreis nicht eindeutig fest.

66

Die Ausgestaltung kann von der Durchführung eines Verfahrens ohne Restrukturierungsbeauftragten (z. B. reine finanzielle Restrukturierung ohne Cross-Class Cram-down und ohne gegenüber allen Gläubigern wirkendem Moratorium), über die reine Rolle als Moderator im Fall des § 79 bis hin zu einer Sachwalter ähnlichen Rolle im Falle eines umfassenden Moratoriums, der Einbeziehung von Kleingläubigern und der Übertragung von Befugnissen nach § 76 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 reichen. Anders als die gesetzlich weitgehend normierten Pflichten des Sachwalters ergeben sich die restrukturierungsrahmenspezifischen Pflichten des Beauftragten erst aus der konkreten Aufgabenzuweisung durch den Bestellungsbeschluss. Im Bestellungsbeschluss sollte daher genau angegeben werden, mit welchen Aufgaben der Restrukturierungsbeauftragte im konkreten Fall beauftragt wird. Aus der konkreten

67

_____________ 40) BGH, Urt. v. 9.3.2006 – IX ZR 55/04, ZIP 2006, 859, 860; K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 5; Weizmann in: HambKomm-InsO, § 60 Rz. 6.

Morgen

1025

§ 75

Rechtsstellung

Beauftragung ergibt sich dann der restrukturierungsrahmenspezifische Pflichtenkreis im Einzelfall. Trotz der grundsätzlich gebotenen Bestimmung der Pflichten im Einzelfall lassen sich diese dennoch typisieren. Es gibt in der Regel

68



der Überwachung des Schuldners dienende Pflichten bei der Bestellung von Amts wegen und



eher der Beratung dienende Pflichten bei der Bestellung auf Antrag.

Innerhalb dieser beiden Obergruppen wiederum kann differenziert werden, nach restrukturierungsrahmenspezifischen Grundpflichten des Beauftragten, die er unabhängig von der Anordnung und den Umständen des Einzelfalls immer zu erfüllen hat und Pflichten aufgrund konkreter Beauftragung des Beauftragten durch das Gericht im Einzelfall. aa) Pflichten des von Amts wegen bestellten Beauftragten (1) Grundpflichten

69

Nach § 76 Abs. 1 ist der Restrukturierungsbeauftragte verpflichtet, dem Restrukturierungsgericht unverzüglich mitzuteilen, wenn er Umstände feststellt, die eine Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 rechtfertigen. Ausweislich der Gesetzesbegründung trifft ihn keine Pflicht, aktiv fortlaufend die Verhältnisse des Schuldners auf das Vorliegen dieser Gründe zu prüfen.41) Die Anzeigepflicht greife erst, wenn dem Beauftragten Umstände bekannt werden.42) Zweck der Anzeige ist es, das Restrukturierungsgericht in die Lage zu versetzen, über eine Aufhebung nach § 33 zu entscheiden. Wie sich aus den unterschiedlichen Regelungen des § 33 ergibt, soll die Aufhebung immer dann erfolgen, wenn dies im Interesse der Gläubigergesamtheit liegt (z. B. § 33 Abs. 2 Nr. 1 bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, es sei denn, die Aufhebung liegt nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger; bei § 33 Abs. 2 Nr. 3 bei Verstoß gegen die Pflicht nach § 32, im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger zu handeln). Unterlässt der Restrukturierungsbeauftragte die Anzeige schuldhaft, haftet er der Gesamtheit der Gläubiger daher für den dadurch entstehenden Schaden.

70

Fraglich ist, ob die Anzeige nach § 76 Abs. 1 auch dem Schutz Einzelner dient und sich eine Haftung des Restrukturierungsbeauftragten diesen gegenüber im Falle einer Pflichtverletzung ergibt. So könnte man z. B. vertreten, die Pflicht, die eingetretene Zahlungsunfähigkeit anzuzeigen (Aufhebungsgrund nach § 33 Abs. 2 Nr. 1), diene auch dem Schutz neuer Gläubiger wie Lieferanten, da die Insolvenzantragsgründe nicht nur den Schutz der Gläubigergesamtheit (gleichmäßige Gläubigerbefriedigung), sondern auch den Schutz des Wirtschaftsverkehrs bezwecken. Im Falle der Verletzung dieser Pflicht könnten daher auch Lieferanten, die weiterhin auf Ziel an die Schuldnerin liefern, bei einer materiell-rechtlichen Auslegung des Betroffenenbegriffs als von der Pflichtverletzung Betroffene anzusehen sein. Allerdings würde dies die Haftung des Restrukturierungsbeauftragten überspannen. Auch bei der Haftung i. R. des § 60 InsO ist anerkannt, dass die Haftung _____________ 41) Begr. RegE SanInsFoG z. § 83 Abs. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 173. 42) Begr. RegE SanInsFoG z. § 83 Abs. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 173.

1026

Morgen

§ 75

Rechtsstellung

überschaubar sein muss.43) Dasselbe muss hier gelten, so dass von einer Pflichtverletzung Betroffene i. S. des § 75 Abs. 4 nur die unmittelbar Betroffenen sein können. Mittelbar Betroffene wie z. B. die vorgenannten Weiterbelieferungsgläubiger sind in den Schutzbereich nicht einbezogen. In den Fällen des § 73 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 hat der Restrukturierungsbeauftragte – – –

71

gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 1 zu entscheiden, wie der Restrukturierungsplan zur Abstimmung gebracht wird, die Versammlung bei außergerichtlicher Abstimmung zu leiten und zu dokumentieren, die Forderungen, Absonderungsanwartschaften, gruppeninternen Drittsicherheiten und Anteils- und Mitgliedschaftsrechte zu prüfen und



für den Fall, dass diese strittig sind, die anderen Planbetroffenen darauf hinzuweisen und



auf eine Klärung des Stimmrechts im Wege der Vorprüfung nach den §§ 47 und 48 hinzuwirken.

Betroffene im Falle der Verletzung dieser Pflicht können die Schuldnerin und alle Planbetroffenen sein. Nicht Planbetroffene können, wenn es z. B. infolge der Verletzung dieser Pflicht zum Scheitern des Plans, Planverzögerungen etc. kommt ggf. auch mittelbar betroffen sein, allerdings gilt auch hier, dass der Umfang der Haftung vorhersehbar sein muss und daher der Schutzzweck auf die unmittelbar Planbetroffenen begrenzt ist.

72

Im Falle des Erlasses einer Stabilisierungsanordnung prüft der Beauftragte fortlaufend, ob die Anordnungsvoraussetzungen fortbestehen und ob ein Aufhebungsgrund vorliegt. Zu diesem Zweck untersucht der Beauftragte die Verhältnisse des Schuldners (§ 76 Abs. 3 Nr. 1). Zu diesem Zweck steht dem Beauftragten auch das Recht zu, die Gründe für die Anordnung geltend zu machen. Die Aufhebung der Stabilisierungsanordnung kommt in den in § 59 genannten Fällen in Betracht. Sie dient zum einen dem Schutz der Gläubigergesamtheit (z. B. erlaubt § 59 Abs. 1 Nr. 4 die Aufhebung, wenn der Schuldner seine Geschäftsführung nicht an den Interessen der Gesamtheit der Gläubiger ausrichtet), aber auch dem individuellen Schutz des von der Stabilisierungsanordnung betroffenen Gläubigers. Dies ergibt sich aus dem jedem einzelnen von der Anordnung betroffenen Gläubiger zustehenden Antragsrecht nach § 59 Abs. 2. Dementsprechend können von einer Verletzung der Pflicht nach § 76 Abs. 3 Nr. 1 sowohl die Gesamtheit der Gläubiger als auch individuelle Gläubiger, denen durch die unterlassene Aufhebung Nachteile entstehen, betroffen sein.

73

Schließlich hat der Restrukturierungsbeauftragte gemäß § 76 Abs. 4 zur Erklärung des Schuldners nach § 14 Abs. 1 Stellung zu nehmen und dabei auch Zweifel am Bestehen oder der Höhe einer Restrukturierungsforderung, einer Absonderungsanwartschaft, einer gruppeninternen Drittsicherheit oder eines Anteils oder Mitglied-

74

_____________ 43) Schoppmeyer in: MünchKomm-InsO, § 60 Rz. 1; Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, § 60 Rz. 1 ff.

Morgen

1027

§ 75

Rechtsstellung

schaftsrechts oder eines diesbezüglichen Streits mitzuteilen. Wie auch die Pflicht nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 dient die Pflicht soweit sie sich auf die Erklärung zu strittigen Forderungen bezieht dem Schutz der Schuldnerin und der Planbetroffenen (siehe oben Rz. 72). 75

Der Zweck des § 14 und damit auch der Schutzzweck der Pflicht des Restrukturierungsbeauftragten zur Abgabe einer Stellungnahme liegt zum einen im Schutz der Planbetroffenen, da diese auf Basis belastbarer Informationen über die Planannahme entscheiden sollen, so dass der Restrukturierungsbeauftragte im Falle eines Verstoßes gegen seine Pflicht zu Stellungnahme den Planbetroffenen gegenüber für deren dadurch entstandenen Schaden haftet (zum Umfang und zur Tiefe der Prüfungspflicht siehe unten Rz. 90 f.). Die Erklärung zur Bestandsfähigkeit nach § 14 Abs. 1 schützt aber auch den Rechtsverkehr insgesamt, da nicht bestandsfähige Unternehmen nicht durch einen Restrukturierungsplan zunächst künstlich am Leben gehalten werden sollen. Wie auch i. R. der Pflicht nach § 76 Abs. 1 käme also auch hier in Betracht, als von einer Pflichtverletzung Betroffene z. B. auch künftige Lieferanten anzusehen, die im Vertrauen auf die wiederhergestellte Bestandsfähigkeit auf Ziel liefern. Dies würde jedoch die Haftung uferlos werden lassen, so dass auch hier die Haftung nur gegenüber den unmittelbar Planbetroffenen, nicht aber gegenüber allen mittelbar Betroffenen besteht (siehe oben Rz. 70). (2) Pflichten aufgrund besonderer Beauftragung durch das Gericht

76

Neben den auch ohne gesonderte Beauftragung durch das Restrukturierungsgerichtes bestehenden Aufgaben gibt es weitere, nur im Falle der gesonderten Beauftragung bzw. Anordnung bestehende Pflichten. So kann das Insolvenzgericht den Restrukturierungsbeauftragten zur Vorbereitung eigener Entscheidungen nach § 73 Abs. 3 beauftragen, als Sachverständiger Prüfungen vorzunehmen. Die Frage, wem gegenüber der Restrukturierungsbeauftragte im Falle schuldhafter Pflichtverletzungen als Sachverständiger haftet, richtet sich aufgrund der materiell-rechtlichen Auslegung des Betroffenenbegriffs wiederum danach, wessen Schutz die sachverständige Prüfung dient.

77

Im Falle der Prüfung gemäß § 73 Abs. 3 Nr. 1 der Bestätigungsvoraussetzungen nach § 63 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und § 64 Abs. 1 ist auf den Zweck der jeweiligen Bestätigungsvoraussetzung abzustellen.

78

Nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 ist Voraussetzung, dass drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Der Zweck besteht darin, zu verhindern, dass ohne den sachlichen Grund des durch die drohenden Zahlungsunfähigkeit indizierten Ausfallrisikos der Gläubiger bzw. der indizierten Wertlosigkeit des Eigenkapitals nicht in die Rechtspositionen der Gläubiger bzw. Anteilsinhaber eingegriffen werden soll. Die Vorschrift schützt mithin vor einem ungerechtfertigten Rechtsverlust und damit individuell einzelne Gläubiger und Anteilsinhaber. Dementsprechend haftet der als Sachverständige eingesetzte Restrukturierungsbeauftragte, wenn er i. R. seiner Prüfungen zum Vorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit schuldhaft seine Pflichten verletzt, diesen gegenüber auf deren Einzelschaden (zur Prüfungstiefe siehe unten Rz. 90 f.; zur Anwendbarkeit des Haftungsprivilegs des § 839a BGB siehe Rz. 96 f.).

1028

Morgen

§ 75

Rechtsstellung

Nach § 63 Abs. 2 ist bei im Plan vorgesehenen neuen Finanzierungen die Bestätigung zu versagen, wenn das Restrukturierungskonzept unschlüssig ist oder Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass das Konzept nicht von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht oder keine begründete Aussicht auf Erfolg vermittelt. Der Schutzzweck dieser Bestätigungsvoraussetzungen ist das Vermeiden des Auszehrens des Vermögens durch Neufinanzierungen zulasten der Altgläubiger. Dementsprechend haftet der als Sachverständige eingesetzte Restrukturierungsbeauftragte im Falle der Verletzung dieser Pflicht der Gesamtheit der Altgläubiger auf deren Gesamtschaden (zur Prüfungstiefe siehe unten Rz. 90 f.; zur Anwendbarkeit des Haftungsprivilegs des § 839a BGB siehe Rz. 96 f.).

79

Nach § 64 Abs. 1 ist die Bestätigung des Plans auf Antrag eines Planbetroffenen zu versagen, wenn der Antragsteller gegen den Plan gestimmt hat und durch diesen voraussichtlich schlechtergestellt wird, als er ohne Plan stünde. Dies dient einerseits dem Schutz des Antragstellenden vor einer Schlechterstellung durch den Plan. Andererseits dient § 64 Abs. 1 auch dem Interesse des Schuldners an der Planumsetzung, da ein opponierender Gläubiger nur bei Schlechterstellung einen Versagungsantrag stellen können soll. Dementsprechend kann der Restrukturierungsbeauftragte bei einem Verstoß gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Prüfung als Sachverständiger (zur Prüfungstiefe siehe unten Rz. 90 f.; zur Anwendbarkeit des Haftungsprivilegs des § 839a BGB siehe Rz. 96 f.) gegenüber dem Antragsteller haften, wenn dieser entgegen der Feststellungen des Sachverständigen doch schlechtergestellt ist, oder aber gegenüber dem Schuldner und der Gesamtheit der Gläubiger, wenn er eine nicht gegebene Schlechterstellung bestätigt und dadurch das Restrukturierungsvorhaben verzögert oder gar verhindert wird.

80

Im Falle der sachverständigen Prüfung der Angemessenheit der Entschädigung bei einem Eingriff in Drittsicherheiten nach § 73 Abs. 3 Nr. 2 sind die Sicherheiteninhaber von der Prüfung des Restrukturierungsbeauftragten betroffen, so dass er diesen gegenüber im Falle eines aufgrund einer fehlerhaften Stellungnahme erfolgenden Eingriffs in deren Rechte haften kann.

81

In den sonstigen, nicht ausdrücklich benannten Fällen der Beauftragung als Sachverständiger ist der Kreis der Betroffenen anhand des Zwecks der konkret übertragenen Prüfung zu ermitteln.

82

bb) Pflichten des auf Antrag bestellten Beauftragten Die Aufgaben des auf Antrag bestellten Restrukturierungsbeauftragten nach § 77 sind in § 79 nur sehr pauschal umschrieben: Er unterstützt den Schuldner und die Gläubiger bei der Ausarbeitung und Aushandlung des Restrukturierungskonzeptes und des auf ihm basierenden Plans. Ihm können darüber hinaus auf Antrag weitere Pflichten nach § 76 zugewiesen werden (§ 77 Abs. 2).

Morgen

1029

83

§ 75

Rechtsstellung

(1) Grundpflichten 84

Die in jedem Fall der Bestellung nach § 77 bestehende Pflicht des Restrukturierungsbeauftragten besteht in der Unterstützung des Schuldners und der Gläubiger bei der Ausarbeitung und Aushandlung des Restrukturierungskonzeptes und des auf ihm basierenden Plans. Diese Moderationsaufgabe hat der Restrukturierungsbeauftragte unabhängig und mit der Sorgfalt eines gewissenhaften Restrukturierungsbeauftragten zu erfüllen. Dies bedeutet, dass er unparteiisch handeln, die zugrunde liegenden Sachverhalte sorgfältig prüfen44) und die Aushandlung eines umsetzbaren Restrukturierungsplans unterstützen muss (zu den Pflichten siehe i. E. § 79). Von Pflichtverletzungen Betroffen können je nach Pflichtverletzung einzelne Gläubiger, der Schuldner und die Anteilsinhaber sein. (2) Pflichten aufgrund besonderer Beauftragung

85

Dem Restrukturierungsbeauftragen können auf Antrag des Schuldners zusätzliche oder mehrere Aufgaben nach § 76 zugewiesen werden. Soweit ihm diese Aufgaben durch Beschluss des Gerichtes zugewiesen werden, kommen als Betroffene diejenigen in Betracht, die bei Verletzungen der Pflichten nach § 76 betroffen sein können (siehe dazu oben Rz. 62 ff.). c) Verschulden

86

Nach § 75 Abs. 4 haftet der Restrukturierungsbeauftragte den Betroffenen auf Schadensersatz, wenn er in schuldhafter Weise gegen seine Pflichten verstößt. Nicht klar geregelt sind der Maßstab für das Verschulden, die Zurechnung fremden Verschuldens über § 278 BGB sowie die Anwendbarkeit der Haftungsprivilegierungen des § 60 Abs. 2 InsO, des § 831 BGB und des § 839a BGB. aa) Verschuldensmaßstab

87

Der Restrukturierungsbeauftragte haftet nur für schuldhafte Pflichtverletzungen. Verschulden liegt vor, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig handelt. Nach § 75 Abs. 4 hat der Restrukturierungsbeauftragte seine Aufgaben mit der gebotenen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit zu erfüllen. Haftungsmaßstab ist also der sorgfältige und gewissenhafte Restrukturierungsbeauftragte.

88

Dies entspricht strukturell der Regelung des § 60 Abs. 1 InsO. Der Insolvenzverwalter hat für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters einzustehen.45) Für den Insolvenzverwalter ist anerkannt, dass auf diesen nicht die Haftungsmaßstäbe und Sorgfaltsanforderungen des Handels- und Gesellschaftsrechts für Geschäftsführer und Vorstände übertragen werden können, da der Insolvenzverwalter bei der Fortführung eines Betriebes regelmäßig unter ungünstigeren Bedingungen als der Geschäftsführer eines gesunden Unternehmens handeln muss.46) Der Verschuldensmaßstab sei je nach Eigenart der verletzten Pflicht und unter _____________ 44) Zur Haftung eines anwaltlichen Mediators vgl. grundlegend BGH, Urt. v. 21.9.2017 – IX ZR 34/17, ZIP 2017, 2206. 45) Schoppmeyer in: MünchKomm-InsO, § 60 Rz. 89. 46) Schoppmeyer in: MünchKomm-InsO, § 60 Rz. 89.

1030

Morgen

§ 75

Rechtsstellung

Berücksichtigung einer Einarbeitungszeit zu bestimmen.47) Im Rahmen der Betriebsfortführung komme dem Verwalter zwar nicht die Business Judgement Rule des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG zugute, aber er habe einen weiten Ermessenspielraum i. R. des Insolvenzzwecks.48) Beachte er diesen, fehle es schon an einer Pflichtverletzung.49) Diese Grundsätze können nicht ohne weiteres auf den Restrukturierungsbeauftragten übertragen werden, da dieser, anders als der Insolvenzverwalter, nicht als Verwaltungs- und Verfügungsberechtigter über das Vermögen des Schuldners verfügen kann und den Betrieb des Schuldners nicht selbst fortführt. Außerdem verfügt er wie auch ein Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren über deutlich geringere Einblicks- und Reaktionsmöglichkeiten als ein Insolvenzverwalter.50) Dementsprechend ist der besonderen, rein überwachenden bzw. beratenden Situation des Restrukturierungsbeauftragten nicht nur i. R. der Pflichtverletzung und Bestimmung der Betroffenen Rechnung zu tragen, sondern auch i. R. des Verschuldens.

89

Weiter wird bei der Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabes zu berücksichtigen sein, dass auch der Restrukturierungsbeauftragte oftmals innerhalb eines sehr engen Zeitrahmens zu umfangreichen Fragen Stellung nehmen muss, soll das Verfahren nicht durch intensive Prüfungen verzögert werden. Soll der Restrukturierungsbeauftragte bspw. innerhalb kurzer Zeit die Forderungen prüfen (§ 76 Abs. 2 Nr. 1), zur Erklärung nach § 14 im Restrukturierungsplan Stellung nehmen (§ 76 Abs. 4) und als Sachverständiger Prüfungen zu den Bestätigungsvoraussetzungen und zur Angemessenheit von Entschädigungen für Eingriffe in gruppeninterne Sicherheiten vornehmen, (§ 74 Abs. 3) wird er in großen, komplexen Fällen in der im Restrukturierungsrahmen begrenzt verfügbaren Zeit oftmals nur eine Schlüssigkeits- und Plausibilitätsprüfung vornehmen können, nicht aber eine vollumfängliche Detailprüfung aller relevanten Umstände.51) Der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Restrukturierungsbeauftragen entspricht es daher, wenn er seine Prüfungen in der im konkreten Zeitrahmen möglichen Prüfungstiefe vornimmt.

90

Eine weitere Beschränkung des Haftungsmaßstabs kann sich ergeben, wenn ihm vom Gericht i. R. der Vergütungsfestsetzung nur ein begrenztes Zeitbudget zugebilligt wird. Wenn er angezeigt hat, dass eine vollumfängliche Prüfung in dem ihm zugestanden Zeitrahmen nicht möglich ist, das Zeitbudget aber begrenzt bleibt, erfüllt er seine Pflichten schon dann, wenn er in der im gegebenen Zeitrahmen möglichen Prüfungstiefe prüft und den begrenzten Umfang der Prüfungstiefe offenlegt.

91

_____________ 47) 48) 49) 50) 51)

Schoppmeyer in: MünchKomm-InsO, § 60 Rz. 90. Vgl. K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 13; Schoppmeyer in: MünchKomm-InsO, § 60 Rz. 90a. Vgl. K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 13; Schoppmeyer in: MünchKomm-InsO, § 60 Rz. 90a. So für den Sachwalter auch Fiebig in: HambKomm-InsO, § 274 Rz. 22. Ähnlich auch Schulte-Kaubrügger/Dimassi, ZIP 2021, 936, 943: Dem Restrukturierungsbeauftragten werden Aufgaben aufgelegt, „die ggf. – insbesondere in Abhängigkeit von der Größe des Unternehmens und des zur Verfügung stehenden Zeit-Kontingents – kaum erfüllbar sein werden … Es dürfte daher nicht zu bewerkstelligen sein, die Prüfung mit der Tiefe, Intensität und Sorgfalt durchzuführen, wie sie ein Sachwalter im Insolvenzverfahren“ durchführen könnte und würde.

Morgen

1031

§ 75

Rechtsstellung

bb) Zurechnung fremden Verschuldens 92

Dem Restrukturierungsbeauftragten wird nach § 278 BGB das Verschulden der von ihm i. R. der Erfüllung seiner Amtspflichten eingesetzten Dritten zugerechnet. Dies ergibt sich daraus, dass Rechtsgrund der Haftung das aufgrund der Bestellung und Amtsannahme begründete gesetzliche Sonderrechtsverhältnis ist, nicht aber eine deliktische Haftung (siehe oben Rz. 49 und 53 ff.). Dies entspricht auch der Haftung des Insolvenzverwalters. Auch diesem wird über § 278 BGB das Verschulden von ihm zur Erfüllung seiner Amtspflichten eingesetzten Dritter zugerechnet.52) cc) Haftungsprivilegierungen (1) Analoge Anwendung des § 60 Abs. 2 InsO

93

Nach § 60 Abs. 2 InsO haftet der Insolvenzverwalter, soweit er zur Erfüllung der ihm als Verwalter obliegenden Pflichten Angestellte des Schuldners i. R. ihrer bisherigen Tätigkeiten einsetzen muss und diese Angestellten nicht offensichtlich ungeeignet sind, nur für deren Überwachung und für Entscheidungen von besonderer Bedeutung. Die Zurechnung fremden Verschuldens nach § 278 BGB wird durch § 60 Abs. 2 InsO auf ein Auswahl- und Überwachungsverschulden begrenzt.53) Die Vorschrift gilt über den Verweis in § 274 InsO auch für den Sachwalter, denn auch dieser kann bei der Erfüllung seiner Tätigkeiten auf die Mitarbeit von Mitarbeitern des Schuldners, z. B. aus der Buchhaltung angewiesen sein.54)

94

Das StaRUG enthält in § 75 Abs. 4 lediglich eine dem § 60 Abs. 1 InsO vergleichbare Vorschrift, nicht aber eine Haftungsprivilegierung wie § 60 Abs. 2 InsO. Aus der Gesetzesbegründung ist nicht ersichtlich, warum eine dem § 60 Abs. 2 InsO entsprechende Regelung nicht aufgenommen wurde. Insbesondere in Fällen, in denen die Rolle des Restrukturierungsbeauftragten der eines Sachwalters angenähert ist, wird er wie auch der Sachwalter oftmals auf Unterstützung von Mitarbeitern aus dem Unternehmen, insbesondere aus der Buchhaltung und dem Rechnungswesen, angewiesen sein. Es ist zu vermuten, dass der Gesetzgeber nicht davonausgegangen ist, dass auch der Restrukturierungsbeauftragte auf Mitarbeit aus dem Unternehmen angewiesen ist und daher des gleichen Schutzes über eine dem § 60 Abs. 2 InsO entsprechende Norm bedarf, wie der Sachwalter. Insoweit ist daher von einer planwidrigen Regelungslücke auszugehen, die aufgrund der Vergleichbarkeit der Interessenlage durch eine analoge Anwendung des § 60 Abs. 2 InsO auf den Restrukturierungsbeauftragten zu schließen ist. (2) Keine Anwendbarkeit des § 831 BGB

95

Nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB ist die Haftung für Verrichtungsgehilfen auf das Auswahl- und Überwachungsverschulden begrenzt.55) Eine Anwendung des § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB auf den Restrukturierungsbeauftragten kommt indes nicht in _____________ 52) 53) 54) 55)

Vgl. Andres/Leithaus-Andres, InsO, § 61 Rz. 36. Vgl. Andres/Leithaus-Andres, InsO, § 61 Rz. 36. Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 74. Palandt-Sprau, BGB, § 831 Rz. 10 f.

1032

Morgen

§ 75

Rechtsstellung

Betracht, da dessen Haftung wie oben dargelegt nicht deliktischer Natur ist, sondern auf der durch die Bestellung und Amtsannahme begründeten Sonderrechtsbeziehung beruht (siehe oben Rz. 49 und 53 ff.). (3) Analoge Anwendung des § 839a BGB? Nach § 839a BGB ist die Haftung eines vom Gericht ernannten Sachverständigen auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit begrenzt.56) Fraglich ist, ob diese Vorschrift auf den Restrukturierungsbeauftragten, soweit er gemäß § 73 Abs. 3 mit Prüfungen als Sachverständiger beauftragt wird, entsprechend anzuwenden ist. § 839a BGB verfolgt zwei Zwecke. Zum einen soll der gerichtliche Sachverständige für Vermögensschäden haften, was er ohne die Vorschrift nicht täte, da er weder mit den Parteien noch mit dem Gericht in einer zivilrechtlichen Vertragsbeziehung steht.57) Ohne § 839a BGB würde er nur nach § 823 BGB haften, der aber lediglich bei Verletzung der genannten Rechtsgüter, nicht aber bei reinen Vermögensschäden Anwendung findet.58) Neben der Haftungserweiterung enthält § 839a BGB aber auch eine Beschränkungsfunktion. Der Sachverständige soll seine Tätigkeit unabhängig und ohne Druck eines möglichen Haftungsrisikos ausüben können.59) Außerdem ist die Ausgestaltung des Gutachtenauftrages weitgehend der Privatautonomie entzogen, so dass der Sachverständige seine Haftung weder durch eine vertragliche Haftungsbegrenzung beschränken, noch das Haftungsrisiko durch seine Preisgestaltung kompensieren kann.60)

96

Zwar ist die Anwendung des § 839a BGB nicht geboten, um die Haftung des Restrukturierungsbeauftragten für Vermögensschäden zu begründen. Diese ergibt sich aus § 75 Abs. 4 aufgrund des Verstoßes gegen Amtspflichten. Allerdings ist eine entsprechende Anwendung der Haftungsprivilegierung geboten, soweit der Restrukturierungsbeauftragte als Sachverständiger tätig wird. Insoweit liegt eine vergleichbare Interessenlage vor. Auch der als Sachverständige eingesetzte Restrukturierungsbeauftragte kann seine Haftung nicht durch Vertrag auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit oder der Höhe nach begrenzen. Vielmehr haftet er höchstpersönlich und unbegrenzt. Außerdem kann auch er das Haftungsrisiko nur in den Ausnahmefällen des § 83 über eine höhere als die nach § 81 vorgesehene Vergütung kompensieren. Schließlich muss auch der als Sachverständige eingesetzte Restrukturierungsbeauftragte sein Gutachten unabhängig und ohne Haftungsdruck erstellen können. Aufgrund der insoweit gleichen Interessenlage ist i. R. der Verschuldensprüfung des § 75 Abs. 4 die Haftung analog § 839a BGB auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt, soweit der Restrukturierungsbeauftragte als Sachverständiger gemäß § 73 Abs. 3 vom Gericht für Prüfungen eingesetzt wird.

97

_____________ 56) 57) 58) 59) 60)

Palandt-Sprau, BGB, § 839a Rz. 1. Wagner in: MünchKomm-InsO, § 839a Rz. 2. Wagner in: MünchKomm-InsO, § 839a Rz. 2. Wagner in: MünchKomm-InsO, § 839a Rz. 2. Wagner in: MünchKomm-InsO, § 839a Rz. 4.

Morgen

1033

§ 75

Rechtsstellung

d) Kausalität 98

Die Pflichtverletzung des Restrukturierungsbeauftragten muss adäquat kausal zu einem Schaden geführt haben. Im Rahmen der Kausalität problematisch ist, dass die Pflichtverletzung des Restrukturierungsbeauftragten nahezu nie unmittelbar kausal einen Schaden verursachen dürfte, da der Restrukturierungsbeauftragte lediglich überwachend und beratend tätig ist.

99

Der Schaden dürfte in der Regel immer erst dadurch entstehen, dass das Gericht, der Schuldner oder Gläubiger aufgrund der nicht ordnungsgemäßen Pflichterfüllung des Restrukturierungsbeauftragten ihrerseits weitere Handlungen vornehmen, die dann den Schaden verursachen (z. B. Planbestätigung aufgrund einer fehlerhaften sachverständigen Prüfung der Voraussetzungen gemäß § 73 Abs. 3). Für die Kausalität ausreichend muss daher eine mittelbare Verursachung dadurch sein, dass die fehlerhafte Leistung des Restrukturierungsbeauftragten das Gericht oder einen Betroffenen zu schadensstiftendem Verhalten veranlasst.61) Insoweit dürften auch die Grundsätze der Annahme des aufklärungsgerechten Verhaltens62) entsprechend anzuwenden sein, so dass i. R. der Kausalitätsprüfung zu unterstellen ist, dass sich das Gericht und die Beteiligten bei einer fehlerfreien Leistung des Restrukturierungsbeauftragten anders verhalten und die unmittelbar schadensverursachende Handlung nicht vorgenommen hätten.

100

Keine Kausalität besteht, wenn der Schaden auch ohne die Pflichtverletzung des Restrukturierungsbeauftragten eingetreten wäre. Dies kann bspw. der Fall sein, wenn es der Restrukturierungsbeauftragte schuldhaft unterlässt, einen Aufhebungsgrund nach § 33 Abs. 2 Nr. 3 dem Gericht anzuzeigen und es zu weiteren, schadensstiftenden Pflichtverletzungen des Schuldners kommt, bevor ein Gericht auch bei pflichtgemäßer Anzeige der Restrukturierungssache einen Aufhebungsbeschluss hätte treffen können bzw. die schadensstiftenden Pflichtverletzungen trotz eines Aufhebungsbeschlusses hätten vorgenommen werden können. e) Schaden

101

Vom Restrukturierungsbeauftragten zu ersetzen ist der durch die Pflichtverletzung adäquat kausal verursachte Schaden.

102

Unproblematisch dürfte der Schaden zu bestimmen sein, wenn der Restrukturierungsbeauftragte gegen Pflichten verstößt, die dem Schutz eines einzelnen Beteiligten dienen und diesem dadurch ein Einzelschaden entsteht. Wird z. B. in gruppeninterne Drittsicherheiten eingegriffen und der Gläubiger aufgrund einer unvertretbar niedrigen Bewertung des Ausgleichsanspruchs geschädigt und hat der Restrukturierungsbeauftragte dazu als Sachverständiger grob fahrlässig falsche Prüfungen gemäß § 73 Abs. 3 Nr. 2 vorgenommen, kommt eine Haftung für die Differenz zwischen tatsächlichem Wert und der dem Gläubiger nach dem Plan zustehenden Entschädigung in Betracht. _____________ 61) Vgl. dazu Oetker in: MünchKomm-BGB, § 249 Rz. 141, wonach mittelbare Kausalität i. R. des § 249 BGB stets ausreichend ist. 62) Vgl. zur Annahme aufklärungsgerechten Verhaltens Oetker in: MünchKomm-BGB, § 249 Rz. 227.

1034

Morgen

§ 75

Rechtsstellung

Problematischer wird die Bestimmung des Schadens in Fällen sein, in denen der Restrukturierungsbeauftragte gegen Pflichten verstößt, die dem Schutz der Gesamtheit der Gläubiger dienen und diesen ein Gesamtschaden entsteht. In einem solchen Fall ist das für die Befriedigung der Gesamtheit der Gläubiger zur Verfügung stehende Vermögen des Schuldners ohne Pflichtverletzung mit dem infolge der Pflichtverletzung geminderten Vermögen des Schuldners zu vergleichen. Dies dürfte im Einzelfall erhebliche Darlegungsprobleme verursachen. f)

103

Prozessuales

aa) Ordentliche Gerichtsbarkeit und ausschließlicher Gerichtsstand Wie auch Haftungsansprüche gegen einen Insolvenzverwalter sind Haftungsansprüche gegen den Restrukturierungsbeauftragten vor den ordentlichen Gerichten einzuklagen.

104

Nach § 19b ZPO ist für Klagen, die sich auf Restrukturierungssachen nach dem StaRUG beziehen, ausschließlich das Gericht zuständig, in dessen Bezirk das für die Restrukturierungssache zuständige Restrukturierungsgericht seinen Sitz hat. Diese Konzentration dient nach der Begründung zum RegE dazu, eine Zersplitterung örtlicher Zuständigkeiten aufgrund der ansonsten in Betracht kommenden Gerichtsstände des Sitzes des Beklagten oder der unerlaubten Handlung zu vermeiden.63) Durch die so erreichte Konzentration könne sich eine die Pflichten der in Restrukturierungssachen Handelnden konkretisierende Rechtsprechung herausbilden.64) Eine – für die Insolvenzverwalterhaftung diskutierte Anwendung des § 32 ZPO65) – kommt damit nicht in Betracht.

105

bb) Prozessführungsbefugnis Sofern einem einzelnen Gläubiger durch die Pflichtverletzung des Restrukturierungsbeauftragten ein Schaden entstanden ist, kann dieser Gläubiger seinen Schaden im Zivilrechtsweg gegenüber dem Restrukturierungsbeauftragten verfolgen. Der individuell Geschädigte ist insoweit prozessführungsbefugt.66)

106

Problematisch ist, wer den Anspruch geltend machen kann, wenn durch die Pflichtverletzung ein Schaden für die Gesamtheit der Gläubiger entstanden ist. Im Falle der Pflichtverletzung durch einen Insolvenzverwalter würde ein solcher Schaden gemäß § 92 Satz 2 InsO von einem Sonderinsolvenzverwalter oder Sondersachwalter zugunsten der Masse und damit zugunsten der Gläubigergesamtheit geltend gemacht werden.67) Eine dem Sonderinsolvenzverwalter vergleichbare Person sieht das StaRUG indes nicht vor.68) Dies würde auch dem Konzept des StaRUG, einen modularen Rahmen zur Vertragshilfe zu schaffen, widersprechen.

107

_____________ 63) 64) 65) 66)

Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. Art. 3 Nr. 2 (ZPO), BT-Drucks. 19/24181, S. 190. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. Art. 3 Nr. 2 (ZPO), BT-Drucks. 19/24181, S. 190. Vgl. Plathner in: KölnKomm-WpÜG, § 60 Rz. 218. Vgl. für die Geltendmachung von Einzelschäden gegenüber dem Insolvenzverwalter K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 51. 67) Vgl. K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 51. 68) Schulte-Kaubrügger/Dimassi, ZIP 2021, 936, 944.

Morgen

1035

§ 75

Rechtsstellung

108

Sofern ein Gesamtschaden der Gläubiger entstanden ist und es im weiteren Verlauf zu einem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners kommt, dürfte der Gesamtschaden in der Regel gemäß § 92 Satz 2 InsO vom Insolvenzverwalter gegenüber dem Restrukturierungsbeauftragten geltend zu machen sein. Sofern der Restrukturierungsbeauftragte zum Insolvenzverwalter bestellt wurde, wäre der Schaden von einem dann zu bestellenden Sonderinsolvenzverwalter geltend zu machen.

109

Sofern ein Gesamtschaden der Gläubiger entstanden ist und es im weiteren Verlauf nicht zu einem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners kommt (z. B. weil die Restrukturierung noch gelingt) dürfte es in der Regel praktisch nicht dazu kommen, dass der Gesamtschaden überhaupt geltend gemacht wird. Sollte im Einzelfall ein Gesamtschaden geltend gemacht werden, ist fraglich, wer diesen geltend machen kann. Der Schuldner selbst dürfte allenfalls zur Geltendmachung von Gesamtschäden befugt sein, die sich aus einer auch ihm gegenüber bestehenden Pflicht des Restrukturierungsbeauftragten ergeben (z. B. Schäden aufgrund schuldhaft verzögerter Bearbeitung der Restrukturierungssache). Für die Geltendmachung von Gesamtschäden, die aufgrund schuldhaft pflichtwidriger Überwachung des Schuldners entstehen, dürften der Schuldner und dessen Organe indes nicht prozessführungsbefugt sein, da sie insoweit den Schaden selbst verursacht haben und als Gesamtschuldner im Innenverhältnis vorrangig vor dem Restrukturierungsbeauftragten auch selbst für die Schäden haften. In Betracht käme auch, dass einzelne Gläubiger zur Geltendmachung des Gesamtschadens prozessführungsbefugt sind. Dann müssten sie wohl Leistung an den Schuldner verlangen, so dass dessen Vermögen gemehrt wird und dadurch der Gläubigergesamtheit zur Verfügung steht. Allerdings dürfte der Restrukturierungsbeauftragte dann in der Regel einen Gesamtschuldnerausgleichsanspruch gegen den Schuldner in gleicher Höhe haben, da die Haftung regelmäßig auf einer Überwachungspflichtverletzung und damit unmittelbar auf einer Pflichtverletzung des Schuldners beruhen dürfte. Die Geltendmachung durch einen Gläubiger auf Leistung an den Schuldner nutzt den Gläubigern daher nicht. Schließlich käme in Betracht, dass jeder Gläubiger seinen individuellen durch die Pflichtverletzung des Restrukturierungsbeauftragten verursachten Quotenschaden geltend machen kann. Dies dürfte indes in der Regel an Darlegungsproblemen scheitern.

110

Festzustellen ist daher, dass ein aufgrund von Pflichtverletzungen des Restrukturierungsbeauftragten verursachter Gesamtschaden der Gläubiger in der Regel nur dann geltend gemacht werden wird, wenn es noch zu einem Insolvenzverfahren kommt (dann durch den Insolvenzverwalter) oder der Gesamtschaden durch die Verletzung einer auch gegenüber dem Schuldner bestehenden Pflicht verursacht wird (dann durch den Schuldner). In allen anderen Fällen dürften Pflichtverletzungen des Restrukturierungsbeauftragten praktisch nicht zu einer Haftung führen. 6.

111

Beweislast

Hinsichtlich der Beweislast gelten die gleichen Grundsätze wie sie für die Insolvenzverwalterhaftung entwickelt wurden. Die Beweislast für die Tatbestandsvoraussetzungen liegt auch im Hinblick auf das Verschulden beim Anspruchsteller.69) _____________ 69) Vgl. zu § 60 InsO K. Schmidt-Thole, InsO, § 60 Rz. 51.

1036

Morgen

§ 76

Aufgaben

§ 76 Aufgaben Morgen

(1) Stellt der Restrukturierungsbeauftragte Umstände fest, die eine Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 rechtfertigen, hat er diese dem Restrukturierungsgericht unverzüglich mitzuteilen. (2) Liegen die Voraussetzungen von § 73 Absatz 1 Nummer 1 oder 2 oder Absatz 2 vor, 1.

2.

steht dem Restrukturierungsbeauftragten die Entscheidung darüber zu, wie der Restrukturierungsplan zur Abstimmung gebracht wird; erfolgt die Abstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren, leitet der Beauftragte die Versammlung der Planbetroffenen und dokumentiert die Abstimmung; der Beauftragte prüft die Forderungen, Absonderungsanwartschaften, gruppeninternen Drittsicherheiten und Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der Planbetroffenen; ist eine Restrukturierungsforderung, Absonderungsanwartschaft oder gruppeninterne Drittsicherheit oder ein Anteils- und Mitgliedschaftsrecht dem Grunde oder der Höhe nach streitig oder zweifelhaft, weist er die anderen Planbetroffenen darauf hin und wirkt auf eine Klärung des Stimmrechts im Wege einer Vorprüfung nach den §§ 47 und 48 hin, kann das Gericht dem Beauftragten die Befugnis übertragen, a) die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und dessen Geschäftsführung zu überwachen, b) von dem Schuldner zu verlangen, dass eingehende Gelder nur von dem Beauftragten entgegengenommen und Zahlungen nur von dem Beauftragten geleistet werden können,

3.

kann das Gericht dem Schuldner aufgeben, dem Beauftragten Zahlungen anzuzeigen und Zahlungen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs nur zu tätigen, wenn der Beauftragte zustimmt.

(3) Wird zugunsten des Schuldners eine Stabilisierungsanordnung erlassen, 1.

prüft der Beauftragte fortlaufend, ob die Anordnungsvoraussetzungen fortbestehen und ob ein Aufhebungsgrund vorliegt; zu diesem Zweck untersucht der Beauftragte die Verhältnisse des Schuldners;

2.

steht dem Beauftragten das Recht zu, die Gründe für die Aufhebung der Anordnung geltend zu machen.

(4) 1Legt der Schuldner einen Restrukturierungsplan zur Bestätigung vor, nimmt der Beauftragte Stellung zur Erklärung nach § 14 Absatz 1. 2Erfolgt die Bestellung des Beauftragten vor der Planabstimmung, ist die Stellungnahme den Planbetroffenen als weitere Anlage beizufügen. 3Der Bericht nach Satz 1 stellt auch die Zweifel am Bestehen oder an der Höhe einer Restrukturierungsforderung, einer Absonderungsanwartschaft, einer gruppeninternen Drittsicherheit oder eines Anteils- und Mitgliedschaftsrechts nach Absatz 2 Nummer 1 Halbsatz 4 oder einen diesbezüglichen Streit dar.

Morgen

1037

§ 76

Aufgaben

(5) Der Schuldner ist verpflichtet, dem Beauftragten die erforderlichen Auskünfte zu erteilen, ihm Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere zu gewähren und ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. (6) 1Das Restrukturierungsgericht kann den Restrukturierungsbeauftragten beauftragen, die dem Gericht obliegenden Zustellungen durchzuführen. 2Zur Durchführung der Zustellung und zur Erfassung in den Akten kann der Beauftragte sich Dritter, insbesondere auch eigenen Personals, bedienen. 3Er hat die von ihm nach § 184 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung angefertigten Vermerke unverzüglich zu den Gerichtsakten zu reichen. Literatur: Smid, Der Restrukturierungsbeauftragte in den Regelungen des StaRUG, ZInsO 2020, 2184. Stellungnahmen der Verbände: BAKinso, Stellungnahme des Bundesarbeitskreises Insolvenzgerichte e. V. (BAKinso e. V.) zum Entwurf v. 22.11.2016 einer EU-Richtlinie zu vorbeugender Restrukturierung, Restschuldbefreiung und Effizienzsteigerung in Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren (COM [2016], 723 final), ZInsO 2017, 690 ff. (zit.: BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie). (Abrufdatum: 23.8.2021). Übersicht I. 1. 2. II.

Einleitung ............................................. 1 Normzweck ........................................... 2 Normhistorie ......................................... 4 Pflicht zur unverzüglichen Mittteilung (Abs. 1) ............................. 6 1. Mitteilungspflicht .................................. 8 2. Keine Ermittlungspflicht .................... 11 III. Weitere Aufgaben (Abs. 2) ................ 12 1. Zweck der Regelung ............................ 12 2. Entscheidung über den Planabstimmungsprozess (Abs. 2 Nr. 1) ...... 13 3. Übertragung weiterer Aufgaben (Abs. 2 Nr. 2) ...................................... 20 a) Prüfung der wirtschaftlichen Lage und der Überwachung der Geschäftsführung (Abs. 2 Nr. 2 lit. a) .................................... 21 b) Kassenführungsbefugnis (Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ...................... 23

I. 1

c) Pflicht zur Anzeige von Zahlungen, Zustimmungserfordernis (Abs. 2 Nr. 3) ......................... 26 IV. Stabilisierungsanordnung (Abs. 3) ................................................ 29 1. Zweck der Regelung ............................ 29 2. Fortlaufende Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen, Aufhebungsgründe (Abs. 3 Nr. 1) ............... 30 3. Geltendmachung der Aufhebungsgründe (Abs. 3 Nr. 2) ......................... 35 V. Stellungnahme zur Erklärung des Schuldners nach § 14 Abs. 1 (Abs. 4) ................................................ 36 VI. Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners (Abs. 5) .... 40 VII. Zustellungen (Abs. 6) ....................... 42

Einleitung

Der mit „Aufgaben“ überschriebene § 76 enthält neben den in den Absätzen 1 bis 4 und Absatz 6 genannten Aufgaben des Restrukturierungsbeauftragten in Absatz 5 eine Regelung zu Auskunfts- und Mitwirkungsobliegenheiten des Schuldners.1) _____________ 1)

Es handelt sich, obgleich der Wortlaut von einer Verpflichtung des Schuldners spricht, streng genommen nicht um Pflichten, sondern um Obliegenheiten, da die Verpflichtung nicht einklagbar bzw. durchsetzbar ist, sondern eine Nichterfüllung lediglich zur Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 Abs. 1 Nr. 3 führen kann. Vgl. zur Abgrenzung von Pflichten und Obliegenheiten auch Ernst in: MünchKomm-BGB, Einl. SchuldR Rz. 14.

1038

Morgen

§ 76

Aufgaben

1.

Normzweck

Der Zweck der Vorschrift besteht darin, entsprechend dem modularen Aufbau des Restrukturierungsrahmens modular Aufgaben des Restrukturierunsgebauftragten zu definieren. Je nach Ausgestaltung des Restrukturierungsrahmens im konkreten Fall und der damit einhergehenden Schutzbedürftigkeit der Betroffenen sieht § 76 Aufgaben vor, die –

stets zu erfüllen sind (§ 76 Abs. 1),



die in bestimmten Konstellationen auch ohne expliziter Anordnung des Gerichtes zu erfüllen sind (§ 76 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 und Abs. 4) und



solche die nur dann zu erfüllen sind, wenn das Gericht den Restrukturierungsbeauftragten entsprechend beauftragt (§ 76 Abs. 2 Nr. 2 lit. a und lit. b, Abs. 6).

Fraglich ist, ob § 76 die Aufgaben des Restrukturierungsbeauftragten abschließend festlegt oder ob aus der Überwachungsfunktion immer die ungeschriebene Aufgabe folgt, das Restrukturierungsvorhaben daraufhin zu prüfen, ob es für die Gesamtheit der Gläubiger nachteilig ist. So wird in der Gesetzesbegründung zum RegE zu § 76 Abs. 1 ausgeführt, dass der Restrukturierungsbeauftragte nur Umstände mitteilen müsse, die ihm „bei seiner Tätigkeit und Aufgabenerfüllung bekannt werden.“ Daraus könnte man schließen, dass er auch ohne spezielle Zuweisung weiterer Aufgaben nach § 76 immer Tätigkeiten und Aufgaben habe, es also die ungeschrieben Tätigkeiten und Aufgabe der Überwachung des Restrukturierungsvorhabens gibt. Dem steht jedoch § 76 Abs. 2 Nr. 2 lit. a entgegen, der vorsieht, dass der Restrukturierungsbeauftragte nur auf Anordnung durch das Gericht die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und die Geschäftsführung zu überwachen habe. Will das Gericht eine laufende Prüfung der wirtschaftlichen Lage und Überwachung der Geschäftsführung, muss es diese also ausdrücklich anordnen. Daraus folgt auch, dass § 76 eine abschließende Regelung der Aufgaben des Restrukturierungsbeauftragten enthält und er nur die danach vorgesehenen und ihm im Einzelfall vom Gericht zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen hat. Eine ungeschriebene allgemeine Überwachungspflicht besteht nicht. 2.

3

Normhistorie

Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 der Restrukturierungsrichtlinie2) enthält lediglich grobe Vorgaben zu den Aufgaben des Restrukturierungsbeauftragten. Nach Art. 5 Abs. 3 Restrukturierungsrichtlinie soll eine Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten „zur Unterstützung des Schuldners und der Gläubiger bei der Aushandlung und Ausarbeitung des Plans“ zumindest in den Fällen der Anordnung eines gegenüber allen Gläubigern wirkenden Moratoriums, bei der Planbestätigung im Falle des klassenübergreifenden Cram-down oder auf Antrag des Schuldners oder der Mehr_____________ 2)

2

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

Morgen

1039

4

§ 76

Aufgaben

heit der Gläubiger zwingend sein.3) Nähere Angaben zu dessen Aufgaben enthält die Begriffsbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 12 Restrukturierungsrichlinie. Danach soll der Restrukturierungsbeauftragte eine oder mehrere der folgenden Aufgaben erfüllen: „(a) Unterstützung des Schuldners oder der Gläubiger bei der Ausarbeitung oder Aushandlung eines Restrukturierungsplans und (b) Überwachung der Tätigkeit des Schuldners während der Verhandlungen über einen Restrukturierungsplan und Berichterstattung an eine Justiz- oder Verwaltungsbehörde.“ 5

Während § 76 die überwachenden Funktionen des obligatorisch nach § 73 zu bestellenden Restrukturierungsbeauftragten i. S. des Art. 2 Abs. 1 Nr. 12 lit. b Restrukturierungsrichtlinie regelt ist die Funktion als Moderator lediglich beim fakultativ auf Antrag nach § 77 zu bestellenden Restrukturierungsbeauftragten in § 79 geregelt. II. Pflicht zur unverzüglichen Mittteilung (Abs. 1)

6

§ 76 Abs. 1 regelt die in jedem Fall der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten nach § 73 zu erfüllende Pflicht des Restrukturierungsbeauftragten, dem Gericht festgestellte Umstände, die eine Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 rechtfertigen, unverzüglich mitzuteilen.

7

Die Vorschrift dient dazu, das Gericht in die Lage zu versetzen, über eine Aufhebung der Restrukturierungssache zu entscheiden. Wie auch der Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren dient der Restrukturierungsbeauftragte dem Gericht als neutrale und transparente Quelle zur Informationsgewinnung. Das Gericht ist auf diese Informationsgewinnung angewiesen, da es ansonsten nicht über die Kenntnisse verfügt, seiner Aufsicht über den Restrukturierungsrahmen nachzukommen und über die etwaige Aufhebung nach § 33 entscheiden zu können.4) 1.

8

Mitteilungspflicht

Der Restrukturierungsbeauftragte hat dem Gericht alle von ihm festgestellten Umstände, die eine Aufhebung nach § 33 rechtfertigen, mitzuteilen. Insbesondere hat er mitzuteilen, wenn –

der Schuldner Insolvenzantrag stellt oder ein Insolvenzverfahren eröffnet wird (§ 33 Abs. 1 Nr. 1),



das Restrukturierungsgericht unzuständig ist (§ 33 Abs. 1 Nr. 2),



der Schuldner in schwerwiegender Weise gegen seine Pflichten zur Mitwirkung und Auskunftserteilung verstößt (§ 33 Abs. 1 Nr. 3),



Umstände bekannt sind, aus denen sich die Insolvenzreife ergibt (§ 33 Abs. 2 Nr. 1),



das Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 33 Abs. 2 Nr. 2),



wenn ihm schwere Verstöße gegen die Pflichten aus § 32 bekannt sind (§ 33 Abs. 2 Nr. 3) oder

_____________ 3) 4)

Vgl. wegen der Einzelheiten Morgen in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 5. Vgl. dazu BAKinso, Stellungnahme z. Entwurf Restrukturierungsrichtlinie, ZInsO 2017, 690, 692.

1040

Morgen

§ 76

Aufgaben



ob der Schuldner in einer früheren Restrukturierungssache eine Stabilisierungsanordnung oder Planbestätigung erwirkt hat oder eine Aufhebung nach § 33 Abs. 1 Nr. 3 erfolgt ist (§ 33 Abs. 2 Nr. 4).

In den Fällen der Mitteilung nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 über eingetretene Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung sollte der Restrukturierungsbeauftragte zur Unterstützung sowohl des Gerichts und des Restrukturierungsvorhabens auch mitteilen, ob dennoch von einer Aufhebung abgesehen werden sollte. Dazu sollte er dem Gericht mitteilen, ob die Aufhebung der Restrukturierungssache seines Erachtens im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen würde oder nicht (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2). Außerdem sollte er mitteilen, ob die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung aus der Kündigung oder sonstigen Fälligstellung einer Forderung resultiert, die nach dem angezeigten Restrukturierungskonzept einer Gestaltung durch den Plan unterworfen werden soll und ob die Erreichung des Restrukturierungsziels seines Erachtens überwiegend wahrscheinlich ist (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 3).

9

In den Fällen des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 sollte der Restrukturierungsbeauftragte zur Unterstützung sowohl des Gerichts und des Restrukturierungsvorhabens mitteilen, ob nach seiner Einschätzung der Anlass für die Restrukturierungssache infolge einer nachhaltigen Sanierung bewältigt wurde oder nicht, da § 33 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 gemäß § 33 Abs. 2 Satz 2 in diesem Fall keine Anwendung findet.

10

2.

Keine Ermittlungspflicht

Nach § 76 Abs. 1 hat der Restrukturierungsbeauftragte Umstände, die eine Aufhebung rechtfertigen mitzuteilen, wenn er diese „feststellt“. Demgegenüber heißt es bspw. in § 76 Abs. 3 Nr. 1, dass der Restrukturierungsbeauftragte die Voraussetzungen einer Stabilisierungsanordnung fortlaufend zu prüfen habe. Die unterschiedliche Formulierung indiziert, dass im Fall des § 76 Abs. 1 anders als im Fall des § 76 Abs. 3 Nr. 1 keine Prüfungspflicht besteht. Dies bestätigt auch die Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf. Danach soll durch die Formulierung „Umstände bekannt werden“ verdeutlicht werden, dass der Restrukturierungsbeauftragte nicht aktiv fortlaufend die Verhältnisse des Schuldners auf das Vorliegen dieser Gründe prüfen muss, sondern dass die Anzeigepflicht eingreift, wenn dem Beauftragten bei seiner Tätigkeit und Aufgabenerfüllung entsprechende Umstände bekannt werden.“5)

11

III. Weitere Aufgaben (Abs. 2) 1.

Zweck der Regelung

§ 76 weist dem Restrukturierungsbeauftragten in den Fällen der zwingenden Bestellung nach § 73 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 oder Abs. 2 weitere Aufgaben zu (§ 76 Abs. 2 Nr. 1) und ermöglicht es dem Gericht, dem Restrukturierungsbeauftragten weitere Aufgaben zu übertragen (§ 76 Abs. 2 Nr. 2 lit. a und lit. b). Die in § 73 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 oder Abs. 2 bezeichneten Fälle zeichnen sich dadurch aus, dass ein besonderes Schutzbedürfnis für die Gläubiger besteht. Im Falle des § 73 Abs. 1 Nr. 1 besteht dieses Schutzbedürfnis, weil Verbraucher und Kleingläubiger betroffen sind, _____________ 5)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 83 Abs. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 173.

Morgen

1041

12

§ 76

Aufgaben

bei denen unterstellt wird, dass sie nicht in der Lage sind, ihre Interessen im Prozess angemessen selbst zu vertreten und daher einer neutralen Instanz bedürfen, die ihre Interessen wahrnimmt.6) In den Fällen des § 73 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 besteht dieses Bedürfnis, da die „erfassten Fälle von ihrem Zuschnitt und den Wirkungen der Verfahrenshilfen des Rahmens kaum mehr von den Wirkungen eines Eigenverwaltungsverfahrens zu unterscheiden sind. In diesen Fällen bedarf es einer neutralen Instanz, welche die Interessen der Beteiligten wahrt und unter Berücksichtigung des Interesses der Gesamtheit zwischen den Interessen der Beteiligten vermittelt.“7) 2.

Entscheidung über den Planabstimmungsprozess (Abs. 2 Nr. 1)

13

Nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 soll der Restrukturierungsbeauftragte über den Planabstimmungsprozess entscheiden können. Nicht der Entscheidungskompetenz des Restrukturierungsbeauftragten zugewiesen sind Entscheidungen zur Auswahl der Planbetroffenen und zum Inhalt des Plans. Diese materiell-rechtlichen Entscheidungen trifft der Schuldner.

14

Nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 1 steht dem Restrukturierungsbeauftragten zunächst das Recht zu, zu entscheiden, wie der Plan zur Abstimmung gebracht wird, also zu entscheiden, ob eine außergerichtliche Planabstimmung nach § 20 Abs. 1 erfolgen soll und ob diese mit oder ohne die Möglichkeit der elektronischen Teilnahme nach § 20 Abs. 2 erfolgen soll oder ob der Plan nach § 23 in einem gerichtlichen Verfahren zur Abstimmung gestellt werden soll. Bei der Entscheidung über die Wahl des Abstimmunsgverfahrens muss der Restrukturierungsbeauftragte beachten, dass nach § 25 Abs. 1 in jeder Gläubigergruppe 75 % der Gläubiger zustimmen müssen. Das Abstimmungsverfahren sollte daher so gewählt werden, dass nicht allein schon durch das Verfahren das Erreichen der Mehrheit vereitelt wird. Beispielsweise dürfte es in einem Verfahren mit vielen, nicht am Gerichtsstand ansässigen Gläubigern zweckmäßig sein, diesen die elektronische Teilnahme zu ermöglichen. Andernfalls – das zeigen die Erfahrungen aus Insolvenzverfahren – ist zu befürchten, dass Restrukturierungspläne schon deshalb scheitern, weil nicht genügend Gläubiger an der Abstimmung teilnehmen. Anderseits kann es bei einem Plan mit wenigen Großgläubigern, aber strittigen Stimmrechten sinnvoll sein, dass gerichtliche Abstimmungsverfahren zu wählen. Letztlich sollte sich der Restrukturierungsbeauftragte bei der Auswahl davon leiten lassen, wie der Gläubigerwille am effizientesten rechtssicher festgestellt werden kann.

15

Nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 2 leitet der Restrukturierungsbeauftrage die Abstimmung und dokumentiert das Ergebnis. Die Zuständigkeit des Schuldners für die Leitung der Versammlung nach § 20 Abs. 3 Satz 1 sowie für die Dokumentation des Abstimmungsergebnisses nach § 22 Abs. 1 werden insoweit in den in § 76 Abs. 2 Satz 1 genannten Fällen durch die Zuständigkeit des Restrukturierungsbeauftragten verdrängt. Allein dem Restrukturierungsbeauftragten steht in diesen Fällen das Recht der Versammlungsleitung und Dokumentation zu. Die Auslegung des Plans _____________ 6) 7)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 80 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 170 f. Begr. RegE SanInsFoG z. § 83 Abs. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 173.

1042

Morgen

§ 76

Aufgaben

und die etwaige Einladung zu einer Versammlung der Planbetroffenen obliegt jedoch weiterhin dem Schuldner, da das insoweit nach den §§ 17 bis 20 bestehende Initiativrecht des Schuldners nicht durch eine spezielle Aufgabenzuweisung an den Restrukturierungsbeauftragten verdrängt wird. Bei der Leitung der Versammlung und der Dokumentation des Abstimmungsergebnisses hat der Restrukturierungsbeauftragte besondere Sorgfalt anzuwenden, denn die Dokumentation des Abstimmungsergebnisses sowie Urkunden und Nachweise, aus denen sich ergibt, wie die Abstimmung durchgeführt wurde, sind dem Antrag auf Planbestätigung nach § 60 Abs. 1 Satz 2 beizufügen. Im Falle der Verletzung der Vorschriften über die verfahrensmäßige Behandlung des Restrukturierungsplans sowie über die Annahme droht ansonsten die Versagung der Bestätigung nach § 63 Abs. 1 Nr. 2.

16

Nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 3 muss der Restrukturierungsbeauftragte die Forderungen, Absonderungsanwartschaften, gruppeninternen Drittsicherheiten und Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der Planbetroffenen prüfen. Falls diese zweifelhaft oder streitig sind, hat er die anderen Planbetroffenen darauf hinzuweisen und auf eine Klärung des Stimmrechts im Wege einer Vorprüfung nach den §§ 47 und 48 hinzuwirken. Zu beachten ist, dass die Prüfung je nach Umfang und Komplexität zu zeitlichen Verzögerungen führen kann, da der Schuldner ggf. umfangreiche Dokumente liefern und der Restrukturierungsbeauftragte diese intensiv prüfen muss. Gerade die Erfahrung aus Insolvenzplanverfahren zeigt, dass es auch bei diesen regelmäßig eine große Herausforderung ist, die Tabellenbearbeitung bis zum Erörterungs- und Abstimmungstermin schon möglichst weit abzuschließen. In komplexen und umfangreichen Fällen ist dem Schuldner daher zu empfehlen, schon bei der Vorbereitung des Rahmens alle für die Forderungsprüfung erforderlichen Unterlagen aufzubereiten und geordnet zusammenzustellen, um so eine zügige Prüfung zu ermöglichen.

17

Wann und wie der Hinweis bezüglich streitiger oder zweifelhafter Forderungen an die Planbetroffenen ergehen soll, lässt § 76 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 3 offen. Da der Restrukturierungsbeauftragte den Hinweis erst nach Abschluss seiner Prüfung geben kann und auf eine gerichtliche Vorprüfung hinwirken soll, bei der die Planbetroffenen nach § 48 Abs. 1 anzuhören sind, dürfte es ausreichend sein, diese erst zusammen mit dem Antrag i. R. der Anhörung zu informieren. Falls der Schuldner trotz der Empfehlung des Restrukturierungsbeauftragten keinen Antrag auf Vorprüfung stellt, dürfte eine Information erst i. R. der Versammlung der Planbetroffenen zu spät sein, da dort nicht zwingend alle Planbetroffenen teilnehmen, der Restrukturierungsbeauftragte aber alle Planbetroffenen informieren muss. Praktisch dürfte dies aber nicht vorkommen, da auch der Schuldner bei streitigen oder zweifelhaften Forderungen ein Interesse an der Vorprüfung hat, da Zweifel an der ordnungsgemäßen Annahme des Plans zu seinen Lasten gehen und das Gericht bei streitigen Forderungen das nach Maßgabe des § 24 zu bestimmende Stimmrecht zugrunde legt (§ 63 Abs. 3).

18

Schließlich soll der Restrukturierungsbeauftragte auf die gerichtliche Vorprüfung streitiger oder zweifelhafter Forderungen hinwirken (§ 76 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 3). Wie die Formulierung „hinwirken“ zeigt, kann der Restrukturierungsbe-

19

Morgen

1043

§ 76

Aufgaben

auftragte die Vorprüfung nicht erzwingen. Insbesondere kann er den für die Vorprüfung erforderlichen Antrag nicht selbst stellen, da dieser gemäß § 47 vom Schuldner zu stellen ist. In dem privatautonomen Rahmen kann der Restrukturierungsbeauftragte ohne spezielle Zuweisung von Kompetenzen aber nicht für den Schuldner handeln. Letztlich wird der Schuldner wie dargestellt wegen der Zweifelsregelung des § 63 Abs. 3 jedoch in der Regel selbst ein Interesse an der Vorprüfung haben und der Anregung des Restrukturierungsbeauftragten, eine Vorprüfung zu beantragen, daher folgen. 3. 20

Übertragung weiterer Aufgaben (Abs. 2 Nr. 2)

§ 76 Abs. 2 Nr. 2 ermöglicht es dem Gericht, den Restrukturierungsbeauftragten in den Fällen des § 73 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 oder Abs. 2 mit weiteren Aufgaben zu beauftragen. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass der Restrukturierungsbeauftragte die dort genannten Aufgaben ohne Beauftragung nicht auszuführen braucht. Insbesondere besteht keine ungeschriebene allgemeine Überwachungspflicht (siehe oben Rz. 3). a) Prüfung der wirtschaftlichen Lage und der Überwachung der Geschäftsführung (Abs. 2 Nr. 2 lit. a)

21

Nach § 76 Abs. 2 Nr. 2 lit. a kann das Gericht dem Restrukturierungsbeauftragten die Befugnis übertragen, die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und dessen Geschäftsführung zu überwachen.

22

Wenn das Gericht den Restrukturierungsbeauftragten mit der Prüfung der wirtschaftlichen Lage und der Überwachung der Geschäftsführung beauftragt, treffen den Restrukturierungsbeauftragten die gleichen Pflichten, wie den Sachwalter gemäß § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO. Dazu hat er sich anhand der Geschäftsunterlagen und -papiere einen Überblick über die Vermögenslage, den Restrukturierungsplan, den Stand der Verhandlungen über den Plan, die Chance auf Umsetzung des Plans sowie die Liquiditätsplanung zu verschaffen.8) b) Kassenführungsbefugnis (Abs. 2 Nr. 2 lit. b)

23

Nach § 76 Abs. 2 Nr. 2 lit. b kann das Gericht vom Schuldner verlangen, dass eingehende Gelder nur vom Beauftragten entgegengenommen und Zahlungen nur vom Beauftragten geleistet werden können. Das Gericht kann mithin dem Restrukturierungsbeauftagten die Kassenführungsbefugnis übertragen. Die Regelung ist offensichtlich an das in § 275 Abs. 2 InsO geregelte Recht des Sachwalters, die Kassenführung an sich zu ziehen, angelehnt.

24

Schon im Eigenverwaltungsverfahren ist die Übernahme der Kassenführung praktisch die Ausnahme und in der Regel nur in Abstimmung mit dem Schuldner z. B. wegen der Frage des Bezahlens von Sozialversicherungsbeiträgen oder Steuern durchgeführt worden. Fälle, in denen das Ansichziehen der Kassenführungsbefugnis zum Schutz der Gläubiger erforderlich ist, sind praktisch die absolute Ausnahme und führen in der Regel dazu, dass die Eigenverwaltung aufgehoben wird. Umso über_____________ 8)

Vgl. zu § 274 Abs. 2 InsO u. a. Weizmann in: HambKomm-InsO, § 274; Graf-SchlickerGraf-Schlicker, InsO, § 274 Rz. 12.

1044

Morgen

§ 76

Aufgaben

raschender ist, dass die Möglichkeit der Übertragung der Kassenführung im StaRUG vorgesehen ist. Die Kassenführungsbefugnis ist eine der Kernfunktion des privatautonom seine Sanierung betreibenden Unternehmens. Außerdem hat die Übertragung der Kassenführung erhebliche Außenwirkung, denn sie erfordert in der Umsetzung die Information der eigenen Kunden, dass Zahlungen an den Restrukturierungsbeauftragten zu leisten sind und der Lieferanten, dass Zahlungen künftig von einem anderen Konto kommen. Hinzukommt, dass die Folgen der Anordnung unklar sind: Können Drittschuldner noch schuldbefreiend an den Schuldner leisten? Wenn nur noch an den Restrukturierungsbeauftragten schuldbefreiend geleistet werden kann, müsste der Beschluss über die Übertragung der Kassenführung den Gläubigern wohl zugestellt und dieser auch öffentlich bekannt gemacht werden. Muss der Restrukturierungsbeauftragte eine eigene, an die insolvenzrechtliche Einnahmen- Ausgabenrechnung angelehnte Buchhaltung führen? Das müsste wohl so sein, denn er „verwaltet“ dann ja fremdes Geld, so dass eine Rechenschaftspflicht geboten erscheint. Anhand welcher Kriterien muss der Restrukturierungsbeauftragte entscheiden, ob er Zahlungen ausführt oder nicht? Diese Fragen zeigen: Die Regelung des § 76 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ist ein Fremdkörper, der nicht zu der Privatautonomen Restrukturierung mittels der Instrumente des Rahmens passt. Es bleibt zu hoffen, dass die Gerichte von der Möglichkeit dieser Anordnung keinen Gebrauch machen und in Ausnahmefällen, in denen dies zum Schutz der Gesamtheit der Gläubiger erforderlich scheint, stattdessen eine Aufhebung nach § 33 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 2 Nr. 3 prüfen.

25

c) Pflicht zur Anzeige von Zahlungen, Zustimmungserfordernis (Abs. 2 Nr. 3) Nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 kann das Gericht dem Schuldner aufgeben, dem Beauftragten Zahlungen anzuzeigen und Zahlungen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes nur zu tätigen, wenn der Beauftragte zustimmt. Die Vorschrift ist erkennbar an § 275 InsO angelehnt, wobei im Unterschied zu § 275 InsO in § 76 Abs. 2 Nr. 3 nicht an das Eingehen von Verbindlichkeiten, sondern an Zahlungen angeknüpft wird.

26

Dabei kann das Gericht dem Schuldner aufgeben, dem Restrukturierungsbeauftragten alle Zahlungen anzuzeigen. Unklar ist, anhand welcher Kriterien der Restrukturierungsbeauftragte die angezeigten Zahlungen prüfen soll. Der Prüfungsumfang ergibt sich aus einer Zusammenschau des § 76 Abs. 2 Nr. 3 mit den Aufhebungsgründen nach § 33, denn letztlich ist die Aufhebung die einzige Möglichkeit, Fehlverhalten des Schuldners zu sanktionieren. Daraus folgt, dass der Restrukturierungsbeauftragte die Zahlungen daraufhin zu prüfen hat, ob diese Anlass für eine Aufhebung der Restrukturierungssache bieten, weil diese z. B. einen schwerwiegenden Verstoß gegen Gläubigerinteressen oder einen schwerwiegenden Verstoß der Geschäftsleitung gegen die Pflichten nach § 32 darstellen.

27

Anders als beim Sachwalter kann nicht darauf abgestellt werden, ob die Zahlungen gegen den Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung verstoßen, da der Restrukturierungsrahmen eine gleichmäßige Gläubigerbefriedigung aufgrund der Möglichkeit der Auswahl der Planbetroffenen nicht erfordert. Auch muss der Restrukturierungsbeauftragte nicht prüfen, ob die Zahlungen aus seiner Sicht zweckmäßig

28

Morgen

1045

§ 76

Aufgaben

sind. Bis zur Grenze der schweren Nachteile für die Gläubigergesamtheit i. S. der Aufhebungsgründe ist der Schuldner verfügungsbefugt und kann und muss selbst entscheiden, welche Zahlungen er für zweckmäßig hält. IV. Stabilisierungsanordnung (Abs. 3) 1. 29

Zweck der Regelung

§ 76 Abs. 3 verpflichtet den Restrukturierungsbeauftragten im Falle einer Stabilisierungsanordnung fortlaufend zu prüfen, ob die Anordnungsvoraussetzungen fortbestehen und ob ein Aufhebungsgrund vorliegt. Zweck der Vorschrift ist es, die von einer Stabilisierungsanordnung betroffenen Gläubiger zu schützen, da die Stabilisierungsanordnung einen schwerwiegenden Eingriff in deren grundrechtlich geschützte Eigentumsposition darstellt. Dieser Eingriff ist nur gerechtfertigt, solange die Voraussetzungen für eine Stabilisierungsanordnung nach § 51 vorliegen und kein Grund für eine Aufhebung vorliegt. Dementsprechend hat der Restrukturierungsbeauftragte dies laufend zu prüfen und das Recht, die Gründe für die Aufhebung geltend zu machen. 2.

Fortlaufende Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen, Aufhebungsgründe (Abs. 3 Nr. 1)

30

Nach § 76 Abs. 3 Nr. 1 hat der Restrukturierungsbeauftragte das Fortbestehen der Anordnungsvoraussetzungen des § 51 sowie das Vorliegen eines Aufhebungsgrundes nach § 59 fortlaufend zu prüfen und zu diesem Zweck die Verhältnisse des Schuldners zu untersuchen. Anders als bei § 76 Abs. 1 trifft den Restrukturierungsbeauftragten diesbezüglich eine echte Nachforschungspflicht.

31

Der Umfang der Nachforschungspflicht ergibt sich bezüglich der Anordnungsvoraussetzungen aus § 51 Abs. 1 und bezüglich der Aufhebungsgründe aus § 59.

32

Vom Restrukturierungsbeauftragten zu prüfende Anordnungsvoraussetzung ist nach § 51 Abs. 1 Satz 1 zunächst die Vollständigkeit und Schlüssigkeit der Restrukturierungsplanung. Schlüssigkeit soll nach § 51 Abs. 1 Satz 2 vorliegen, wenn nicht offensichtlich ist, dass sich das Restrukturierungsziel nicht auf Grundlage der in Aussicht genommenen Maßnahmen erreichen lässt. Dieser Maßstab muss auch für die Prüfung durch den Restrukturierungsbeauftragten gelten. Er muss daher nur die Vollständigkeit und die offensichtliche Ungeeignetheit des Restrukturierungskonzeptes prüfen.

33

Weitere Anordnungsvoraussetzung des § 51 Abs. 1 ist, dass keine Umstände bekannt sind, aus denen sich die in § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 – 4 genannten Umstände ergeben. Trotz dieser Formulierung in § 51 Abs. 1 kann sich der Restrukturierungsbeauftragte nach hier vertretener Auffassung nicht auf die Prüfung „bekannter Umstände“ beschränken. Vielmehr ergibt sich aufgrund der Formulierung in § 76 Abs. 3 Nr. 1, dass er die Verhältnisse zu untersuchen habe, dass auch in Bezug auf die Anordnungsvoraussetzungen nach § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 – 4 eine echte Nachforschungspflicht besteht. Der Restrukturierungsbeauftragte muss mithin prüfen, dass die Restrukturierungsplanung nicht in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1), die Restrukturierung nicht aussichtslos ist (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2), der Schuldner bereits drohend zahlungsunfähig ist 1046

Morgen

§ 76

Aufgaben

(§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3) und die Anordnung zur Erreichung des Restrukturierungsziels erforderlich ist (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4). In Bezug auf das Nichtvorliegen von Aufhebungsgründe hat der Restrukturierungsbeauftragte zu prüfen, ob die Anzeige nach § 31 Abs. 4 ihre Wirkungen verloren hat (§ 59 Abs 1 Nr. 1 Alt. 1), ob die Voraussetzungen einer Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 vorliegen (§ 59 Abs 1 Nr. 1 Alt. 2) und ob Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner nicht bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten (§ 59 Abs 1 Nr. 4). Eine Prüfungspflicht hinsichtlich der Aufhebungsgründe nach § 59 Abs 1 Nr. 1 (Antrag des Schuldners) und § 59 Abs. 1 Nr. 3 (Nichtvorlage des Restrukturierungsplans innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist) erübrigt sich, da dies dem Gericht selbst unmittelbar bekannt ist. 3.

34

Geltendmachung der Aufhebungsgründe (Abs. 3 Nr. 2)

Stellt der Restrukturierungsbeauftragte bei seiner Prüfung Gründe für eine Aufhebung der Stabilisierungsanordnung nach § 59 fest, steht ihm das Recht zu, diese Aufhebungsgründe geltend zu machen (Abs. 3 Nr. 2). Die Formulierung, dass ihm das Recht zur Geltendmachung zustehe suggeriert, dass er zur Geltendmachung aber nicht verpflichtet ist. Dies ist nicht der Fall. Stellt der Restrukturierungsbeauftragte Aufhebungsgründe fest, ist er verpflichtet diese geltend zu machen. Dies ergibt sich daraus, dass es sich bei der Aufhebung nach § 59 Abs. 1 um eine gebundene Entscheidung ohne Ermessen des Gerichtes handelt. Lediglich zur geordneten Überleitung in ein Insolvenzverfahren kann das Gericht nach § 59 Abs. 3 von einer Aufhebung zeitlich begrenzt abweichen. Wenn dem Gericht kein Ermessen zusteht, kann auch dem Restrukturierungsbeauftragten kein Ermessen zustehen, ob er Aufhebungsgründe geltend macht. Die Formulierung, ihm stehe das Recht zur Geltendmachung zu, bezieht sich mithin nur auf das formale Antragsrecht, meint aber inhaltlich, dass er verpflichtet und berechtigt ist, Aufhebungsgründe geltend zu machen.

35

V. Stellungnahme zur Erklärung des Schuldners nach § 14 Abs. 1 (Abs. 4) Nach § 76 Abs. 4 soll der Beauftragte zur Erklärung des Schuldners nach § 14 Abs. 1 Stellung nehmen und sich in seinem Bericht auch zu etwaigen Zweifeln und Streitigkeiten um das Bestehen und die Höhe von Restrukturierungsforderungen äußern. Nach § 14 Abs. 1 ist dem Restrukturierungsplan eine begründete Erklärung zu den Aussichten zur Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und Wiederherstellung und Sicherstellung der Bestandsfähigkeit beizufügen. Zweck der Stellungnahme des Restrukturierungsbeauftragten ist es mithin, zum einen das Gericht zu entlasten, denn diese muss sich i. R. der Planbestätigung jedenfalls im Fall des § 63 Abs. 2, aber auch im Fall des § 63 Abs. 1 Nr. 3 mit der Frage der Erfolgsaussicht des Restrukturierungsplans beschäftigen und prüfen, ob die Vorschriften über die Planannahme eingehalten wurden (§ 63 Abs. 1 Nr. 2) und ggf. der Entscheidung eine eigene Stimmrechtsfestsetzung zugrunde legen (§ 63 Abs. 3).9) Außerdem ver_____________ 9)

S. Begr. RegE SanInsFoG z. § 83 Abs. 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 174: „Dies entfaltet gerichtsentlastende Wirkung.“

Morgen

1047

36

§ 76

Aufgaben

folgt § 76 Abs. 4 den Zweck, eine Entscheidungsgrundlage für die planbetroffenen Gläubiger zu schaffen. Zu diesem Zweck ist den Planbetroffenen der Plan vor der Abstimmung zur Verfügung zu stellen, wenn der Restrukturierungsbeauftragte dann schon bestellt ist. 37

Nach § 76 Abs. 4 soll der Beauftragte zu der Erklärung des Schuldners zu den Aussichten zur Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und Wiederherstellung und Sicherstellung der Bestandsfähigkeit Stellung nehmen. Im Falle seiner Bestellung vor der Abstimmung ist die Stellungnahme dem Plan als Anlage beizufügen (Abs. 4 Satz 2). Offen lässt § 76 Abs. 4 in welchem Umfang der Restrukturierungsbeauftragte die Erklärung des Schuldners prüfen soll. Die Gesetzesbegründung verweist auf Art. 8 Abs. 1 lit. h der Restrukturierungsrichtlinie, wonach vorgesehen werden kann, dass die Begründung durch den Restrukturierungsbeauftragten bestätigt werden muss.10)

38

Eine Bestätigung der Erklärung zur Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der Sicherstellung und Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit erfordert eine vollumfängliche Prüfung aller für die Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und Sicherstellung der Bestandsfähigkeit erforderlichen Umstände. Die Wiederherstellung und Sicherstellung der Bestandsfähigkeit kann sich neben den im Restrukturierungsplan vorgesehenen Maßnahmen aus vielen weiteren Maßnahmen (wie z. B. geplanter operativer Veränderungen und Annahmen zur Marktentwicklung etc.) ergeben. Sollte der Restrukturierungsbeauftragte die Erklärung vollumfänglich prüfen, würde dies erheblichen Aufwand und damit entsprechende Kosten und Zeitbedarf verursachen. Dies kann nach hiesiger Auffassung nicht gemeint sein. Vielmehr stellt das StaRUG i. R. der Aufhebungsgründe auf die Aussichtslosigkeit der Umsetzung (§ 33 Abs. 2 Nr. 2), i. R. der Anordnung von Stablisierungsanordungen auf die Schlüssigkeit der Planung (§ 51 Abs. 1), i. R. der Aufhebung von Stabilisierungsanordnungen auf wesentlich unzutreffende Tatsachen (§ 59 Abs. 1 Nr. 4 lit. a) und i. R. der Planbestätigung, auf die Offensichtliche nicht Erfüllbarkeit von Ansprüchen (§ 63 Abs. 1 Nr. 3) ab. Dementsprechend sollte aus Kosten- und Effizienzgründen die Prüfungspflicht des Restrukturierungsbeauftragten auf die Vollständigkeit und Schlüssigkeit begrenzt sein und er auch nur insoweit Stellung nehmen.

39

Nach § 76 Abs. 4 Satz 3 soll die Stellungnahme auch die Zweifel am Bestehen oder der Höhe von Restrukturierungsforderungen, einer Absonderungsanwartschaft, einer gruppeninternen Drittsicherheit oder eines Anteils- und Mitgliedschaftsrechts oder einen diesbezüglichen Streit darstellen. VI. Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners (Abs. 5)

40

§ 76 Abs. 5 normiert keine Aufgabe des Beauftragten, sondern die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners. Zweck der Vorschrift ist es, den Restrukturierungsbeaufragten in die Lage zu versetzen, seinen Aufgaben nachzukommen.11) _____________ 10) Begr. RegE SanInsFoG z. § 83 Abs. 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 174. 11) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 83 Abs. 5 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 174.

1048

Morgen

§ 76

Aufgaben

Analog der Regelungen der §§ 22 Abs. 3, 97 InsO ist der Schuldner zur Auskunftserteilung und Duldung der Einsichtnahme in Geschäftsbücher und -papiere verpflichtet.12) Allerdings besteht ein struktureller Unterschied zu den insolvenzrechtlichen Pflichten. Bei den insolvenzrechtlichen Pflichten handelt es sich um erforderlichenfalls mit Zwangsmitteln durchsetzbare Pflichten. Die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nach § 76 Abs. 5 hingegen sind nicht zwangsweise durchsetzbar. Ein Verstoß führt lediglich zur Verschlechterung der Position des Schuldners, da bei einem schwerwiegenden Verstoß ein Aufhebungsgrund nach § 33 Abs. 1 Nr. 3 entsteht und es ggf. unter der Schwelle der Aufhebung zu Verfahrensverzögerungen kommt, da der Restrukturierungsbeauftragte erforderliche Stellungnahmen nicht rechtzeitig abgeben kann. Es handelt sich bei den Auskunfts- und Mitwirkungspflichten mithin rechtstechnisch um Obliegenheiten, nicht um echte Leistungspflichten.13) VII.

41

Zustellungen (Abs. 6)

Nach § 76 Abs. 6 soll das Gericht den Restrukturierungsbeauftragten mit der Durchführung der dem Gericht obliegenden Zustellungen beauftragen können. Die Vorschrift dient der Entlastung des Gerichtes und einer effizienten Prozessgestaltung.14)

42

Die Norm entspricht dem § 8 Abs. 3 InsO. Das Gericht kann den Restrukturierungsbeauftragten nach § 76 Abs. 6 mit den ihm obliegenden Zustellungen beauftragen. Die Übertragung der Zustellungen sollte durch förmlichen Beschluss erfolgen, damit die Wirksamkeit der Zustellungen nicht in Frage stehen kann.15) Der Restrukturierungsbeauftragte kann die Zustellung durch Aufgabe zur Post und Einlieferungsvermerk, Empfangsbekenntnis, Einschreiben mit Rückschein, oder Zustellungsurkunde bewirken.16) Praktisch erfolgt die Zustellung in der Regel durch Aufgabe zur Post und Einlieferungsvermerk. Der Nachweis der Aufgabe zur Post erfolgt durch einen Vermerk des Restrukturierungsbeauftragten oder des von ihm nach § 76 Abs. 6 Satz 2 beauftragten Dritten. Dieser Vermerk ist unverzüglich zur Gerichtsakte zu reichen.

43

_____________ 12) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 83 Abs. 5 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 174. 13) Vgl. zur Abgrenzung von Pflichten und Obliegenheiten auch Ernst in: MünchKommBGB, Einl. SchuldR Rz. 14. 14) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 83 Abs. 6 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 174. 15) Vgl. zu § 8 Abs. 3 InsO insoweit Graf-Schlicker-Kexel, InsO, § 8 Rz. 5. 16) Vgl. zu § 8 Abs. 3 InsO insoweit Andres/Leithaus-Andres, InsO, § 8 Rz. 13.

Morgen

1049

§ 77

Antrag

Abschnitt 2 Bestellung auf Antrag § 77 Antrag Morgen

(1) 1Auf Antrag des Schuldners bestellt das Restrukturierungsgericht einen Restrukturierungsbeauftragten zur Förderung der Verhandlungen zwischen den Beteiligten (fakultativer Restrukturierungsbeauftragter). 2Gläubigern steht dieses Recht gemeinschaftlich zu, wenn auf sie mehr als 25 Prozent der Stimmrechte in einer Gruppe entfallen oder voraussichtlich entfallen werden und wenn sie sich zur gesamtschuldnerischen Übernahme der Kosten der Beauftragung verpflichten. (2) Der Antrag kann darauf gerichtet sein, dem Beauftragten zusätzlich eine oder mehrere Aufgaben nach § 76 zuzuweisen. Literatur: Smid, Der Restrukturierungsbeauftragte in den Regelungen des StaRUG, ZInsO 2020, 2184; Thole, Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz, ZIP 2020, 1985; Schulte-Kaubrügger/Dimassi, Der Restrukturierungsbeauftragte nach dem StaRUG, ZIP 2021, 936. Übersicht I. II. III. 1.

I.

Normzweck ........................................... Normhistorie ........................................ Norminhalt ........................................... Antragsrecht des Schuldners (Abs. 1 Satz 1) .......................................

1 4 7

2. 3.

Antragsrecht von Gläubigern (Abs. 1 Satz 2) ....................................... 8 Zuweisung weiterer Aufgaben (Abs. 2) ................................................ 11

7

Normzweck

1

Die Norm dient der Schaffung der neuen, bislang so auch im Eigenverwaltungsverfahren nicht gesetzlich vorgesehenen Rolle des moderierenden Restrukturierungsbeauftragten.1) Anders als der von Amts wegen nach § 73 zu bestellenden Restrukturierungsverwalter und der Sachwalter hat der fakultative Restrukturierungsbeauftragte ohne spezielle Zuweisung nach § 77 Abs. 2 keine überwachenden Aufgaben.

2

Vielmehr soll der auf Antrag zu bestellende Restrukturierungsbeauftragte die Verhandlungen fördern und unterstützen, indem er als Moderator der verschiedenen Interessen auftritt, Informationsasymmetrien ausgleicht und mit seinem Knowhow in Sanierungsfragen hilft, die verschiedenen Interessen der an der Restrukturierung Beteiligten zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen.2)

3

Ob es praktische Fälle geben wird, in denen kein Restrukturierungsbeauftragter nach § 73 von Amts wegen zu bestellen ist, aber dennoch die Einsetzung eines fakultativen Restrukturierungsbeauftragten vom Schuldner oder den Gläubigern beantragt _____________ 1) 2)

Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 84 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 174 f. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 84 Abs. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 175; Thole, ZIP 2020, 1985, 1997; Schulte-Kaubrügger/Dimassi, ZIP 2021, 936, 939.

1050

Morgen

§ 77

Antrag

wird, bleibt abzuwarten. In Betracht kommen insbesondere Fälle rein finanzieller Restrukturierungen von Verbindlichkeiten gegenüber Unternehmen des Finanzsektors, in denen nach § 73 Abs. 2 Satz 2 von einer Bestellung abgesehen werden kann. In solchen Fällen könnte ein unabhängiger Moderator zur Analyse und Erfassung der verschiedenen Interessenlagen und Erarbeitung eines ausgewogenen Vorschlags durchaus sinnvoll sein.3) II. Normhistorie Die Einführung des fakultativen, auf Antrag des Schuldners oder bei Kostenübernahme auf Antrag einer Gruppe der Gläubiger zu bestellenden moderierenden Restrukturierungsbeauftragten erfolgt in Umsetzung des Art. 2 Abs. 1 Nr. 12 lit. a i. V. m. Art. 5 Abs. 3 lit. c der Restrukturierungsrichtlinie4). Nach Art. 5 Abs. 3 lit. c der Restrukturierungsrichtlinie ist die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten „zur Unterstützung des Schuldners und der Gläubiger bei der Aushandlung und Ausarbeitung des Plans vorzusehen, wenn der Schuldner oder die Mehrheit der Gläubiger dies beantragen, in letztgenannten Fall sofern die Kosten des Beauftragten von den Gläubigern getragen werden.“ § 77 setzt diese Vorgaben der Richtlinie nahezu wortgetreu um. § 77 schießt jedoch über den zwingenden Inhalt nach der Restrukturierungsrichtlinie hinaus, da bei einem Gläubigerantrag anstatt der Mehrheit nur ein Quorum von 25 % verlangt wird.

4

Nach der Restrukturierungsrichtlinie war unklar, ob dem auf Antrag zu bestellenden Restrukturierungsbeauftragten nur moderierende Funktionen oder aber auch kontrollierende Aufgaben zugewiesen werden können.5) Der Gesetzgeber hat sich nach § 77 Abs. 2 dafür entschieden, dass dem Beauftragten auf Antrag zusätzlich zu den moderierenden Aufgaben auch kontrollierende Aufgaben nach § 76 zugewiesen werden können. Eine Zuweisung weiterer Aufgaben von Amts wegen kommt indes nicht in Betracht; dies ist nur in Fällen der obligatorischen Bestelllung nach §§ 73 ff. möglich)6).

5

Nach der Richtlinie war weiterhin unklar, wie die Mehrheit bei einem Gläubigerantrag zu bestimmen ist.7) Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, eine 25 %Mehrheit der Stimmrechte der Gläubiger einer Gruppe ausreichen zu lassen.

6

_____________ 3) 4)

5) 6) 7)

Vgl. zur Bedeutung bei Verbrauchern und Kleingläubigern: Smid, ZInsO 2020, 2184, 2186. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Morgen in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 5 Rz. 33. Pannen/Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 77 Rz. 3; Braun-Blümle/Erbe, StaRUG, § 77 Rz. 4. Morgen in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 5 Rz. 33.

Morgen

1051

§ 77

Antrag

III. Norminhalt 1. 7

Antragsrecht des Schuldners (Abs. 1 Satz 1)

Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 bestellt das Restrukturierungsgericht einen Restrukturierungsbeauftragten zur Förderung der Verhandlungen zwischen den Beteiligten (fakultativer Restrukturierungsbeauftragte). Das Gericht hat den Restrukturierungsbeauftragten auf Antrag zu bestellen. Gemäß § 81 Abs. 5 ist jedoch Voraussetzung, dass zunächst die Gerichtsgebühren und ein Vorschuss auf die Auslagen bezahlt werden. Weitere Voraussetzungen hat der Antrag nicht. Er kann mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens gemäß § 31 oder auch jederzeit später gestellt werden. Eine besondere Form für den Antrag sieht § 77 Abs. 1 Satz 1 nicht vor. Die schriftliche Antragstellung dürfte praktisch die Regel sein. 2.

Antragsrecht von Gläubigern (Abs. 1 Satz 2)

8

Nach § 77 Abs. 1 Satz 2 steht den Gläubigern das Antragsrecht gemeinsam zu, wenn auf sie mehr als 25 % der Stimmrechte in einer Gruppe entfallen oder voraussichtlich entfallen werden und wenn sie sich zur gesamtschuldnerischen Übernahme der Kosten der Beauftragung verpflichten.

9

Das Abstellen auf die Mehrheit von 25 % der Stimmrechte in einer Gruppe erscheint zirkelschlüssig: Der Beauftragte soll die Aushandlung und Ausarbeitung eines Plans unterstützen, also tätig werden, bevor es überhaupt einen Plan gibt. Der Antrag der Gläubiger ist aber erst möglich, wenn die Gruppen schon abrechenbar sind, da erst dann geprüft werden kann, ob 25 % der (voraussichtlichen) Gläubiger der Gruppe den Antrag stellen. Ist die Planerstellung – gerade die Auswahl der Planbetroffenen und die Gruppenbildung sind Kernelemente der Plangestaltung – schon so weit fortgeschritten, dass die Gruppen feststehen, dürfte regelmäßig nur noch sehr geringer Moderationsbedarf bestehen. Fraglich ist in diesem Zusammenhang auch, wie das Gericht im Falle eines Gläubigerantrages prüfen soll, ob dieser von einer Mehrheit von 25 % der Stimmrechte einer Gruppe gestellt wurde. Insbesondere, wenn der Antrag gestellt wird, bevor ein Plan vorliegt, ist die Zuordnung von Gläubigern in eine Gruppe schwierig. Ausreichend dürfte ein schlüssiger Vortrag der Antragsteller sein, dass sie möglicherweise einer zu bildenden Gruppe angehören werden. Andernfalls liefe das Antragsrecht leer. Bei Zweifeln wird das Gericht in Umsetzung des gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 bestehenden Amtsermittlungsgrundsatzes einen Sachverständigen zur Prüfung einsetzen.

10

Praktisch wird das Antragsrecht der Gläubiger jedoch nicht nur aus diesem Grund wohl kaum Bedeutung erlangen. Vielmehr ist zu erwarten, dass Gläubiger, wenn sie die Einsetzung eines Moderators für sinnvoll halten, den Schuldner auffordern werden, die Einsetzung selbst zu beantragen, um so eine frühere Einsetzung zu erreichen und vor allem, um der Kostenregelung des § 77 Abs. 1 Satz 2 zu entkommen. Der Schuldner wird dann – jedenfalls wenn ihn maßgebliche Gläubigergruppen auffordern – gut daran tun, diesem Wunsch nachzukommen, um sich so weiterhin die Unterstützung dieser Gläubiger zu sichern.

1052

Morgen

§ 78

Bestellung und Rechtsstellung

3.

Zuweisung weiterer Aufgaben (Abs. 2)

Nach § 77 Abs. 2 können dem Beauftragten auf Antrag zusätzlich eine oder mehrere Aufgaben nach § 76 zugewiesen werden. Eine Zuweisung weiterer Aufgaben von Amts wegen ist nicht möglich (siehe oben Rz. 5). Der Verweis bezieht sich auf alle in § 76 genannten Aufgaben. Insbesondere können daher auch die in § 76 Abs. 2 genannten Aufgaben auf Antrag zugewiesen werden, obgleich die Voraussetzungen nach § 73 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 oder Abs. 2 nicht vorliegen. Lägen diese vor wäre nach § 73 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 oder Abs. 2 nämlich – von der Ausnahme nach § 73 Abs. 2 Satz 2 abgesehen – zwingend ein Restrukturierungsbeauftragter von Amts wegen einzusetzen.

11

Nach der Gesetzesbegründung soll es nicht möglich sein, den Beauftragten spezifisch und ausschließlich dazu zu ermächtigen, die Geschäftsräume des Schuldners zu betreten oder Nachforschungen anzustellen.8) Die Unzulässigkeit isolierter Nachforschungen schränkt die Möglichkeit der Übertragung von Aufgaben nach § 76 Abs. 2 Nr. 2 lit. a ein. § 76 enthält auch im Falle der Bestellung auf Gläubigerantrag keine Möglichkeit anzuordnen, dass der Beauftragte die Geschäftsräume betreten darf. Ohne gesetzliche Ermächtigung verbietet sich eine solche Anordnung, so dass es der Klarstellung in der Gesetzesbegründung nicht bedurft hätte.

12

Unklar ist, ob die Möglichkeit, dem Beauftragten auf Antrag die in § 76 genannten Aufgaben zuzuweisen auch umfasst, dass dem Schuldner die Verpflichtung zur Auskunftserteilung nach § 76 Abs. 5 aufgegeben werden kann. Soweit dem Restrukturierungsbeauftragten auf Gläubigerantrag Aufgaben nach § 76 zugewiesen werden, muss nach hiesiger Ansicht auch die Auskunftspflicht des § 76 Abs. 5 greifen, denn andernfalls kann der Beauftragte seine Aufgaben nicht erfüllen. Bei einer Bestellung und Zuweisung weiterer Aufgaben auf Antrag des Schuldners dürfe die Auskunftspflicht indes nicht greifen, denn der Schuldner kann den Antrag jederzeit zurücknehmen. Kann der Restrukturierungsbeauftragte in einem solchen Fall seine Aufgaben mangels Mitwirkung und Auskunftserteilung nicht erfüllen, so hat er dies zur Vermeidung eigener Haftung dem Gericht anzuzeigen. In Fällen, in denen ein Restrukturierungsbeauftragter von Amts wegen zu stellen ist, kommt aufgrund der unterschiedlichen Aufgaben grundsätzlich daneben auch die Bestellung eines fakultativen Restrukturierungsbeauftragten in Betracht.9) Allerdings ist ein Antrag, diesem weitere Aufgaben gemäß § 76 zuzuweisen in diesem Fall mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.10)

13

_____________ 8) Begr. RegE SanInsFoG z. § 84 Abs. 2 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 175. 9) Schulte-Kaubrügger/Dismassi, ZIP 2021, 936, 940. 10) Schulte-Kaubrügger/Dismassi, ZIP 2021, 936, 940.

§ 78 Bestellung und Rechtsstellung Blankenburg

(1) Auf die Bestellung des fakultativen Restrukturierungsbeauftragten findet § 74 Absatz 1 entsprechende Anwendung. Blankenburg

1053

§ 78

Bestellung und Rechtsstellung

(2) Wird von Gläubigern, die zusammen alle voraussichtlich in den Restrukturierungsplan einbezogenen Gruppen repräsentieren, ein Vorschlag zur Person des fakultativen Restrukturierungsbeauftragten gemacht, kann das Gericht von diesem nur dann abweichen, wenn die Person offensichtlich ungeeignet ist oder, falls der Beauftragte lediglich zum Zwecke der Förderung der Verhandlungen zwischen den Beteiligten bestellt werden soll, der Schuldner dem Vorschlag widerspricht; eine Abweichung ist zu begründen. (3) Auf die Rechtsstellung des fakultativen Restrukturierungsbeauftragten findet § 75 entsprechende Anwendung. Übersicht I. II. III. 1.

I. 1

Normzweck ........................................... Normhistorie ........................................ Tatbestand ............................................. Bestellung (Abs. 1, Abs. 2) ................... a) Voraussetzungen für die Bestellung (Abs. 1) ............................ b) Vorschlagsrecht (Abs. 2) ............... aa) Vorschlagsrecht des Schuldners .....

bb) (1) (2) (3)

1 2 3 3 3 5 6

2.

Vorschlagsrecht der Gläubiger ...... 9 Quorum ........................................ 10 Gemeinsamer Vorschlag .............. 13 Widerspruchsrecht des Schuldners ................................................ 15 cc) Bindung des Gerichts ................... 17 Rechtsstellung (Abs. 3) ...................... 19

Normzweck

§ 78 Abs. 1 setzt ebenso wie § 74 Art. 26 Abs. 1 lit. b der Restrukturierungsrichtlinie1) hinsichtlich der Bestellung von Restrukturierungsbeauftragen um, wonach die Zulassungsvoraussetzungen sowie das Verfahren für die Bestellung klar, transparent und fair sein müssen (siehe dazu § 74 Rz. 4). Ferner werden unter entsprechenden Verweis auf § 75 die Aufgaben des Restrukturierungsbeauftragten geregelt. II. Normhistorie

2

Die Norm ist im Gesetzgebungsverfahren bis auf die Anpassung der Verweisungen unberührt geblieben. Im RefE2) war die Norm als § 82, im RegE3) dann als § 85 bezeichnet worden. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses4) hat die Norm dann die endgültige Nummerierung erhalten.

_____________ 1)

2)

3) 4)

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BTDrucks. 19/25303.

1054

Blankenburg

§ 78

Bestellung und Rechtsstellung

III. Tatbestand 1.

Bestellung (Abs. 1, Abs. 2)

a) Voraussetzungen für die Bestellung (Abs. 1) Für die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten auf Antrag wird § 74 Abs. 1 StaRUG für entsprechend anwendbar erklärt. Es kann daher grundsätzlich auf die Ausführungen zu § 74 verwiesen werden (siehe § 74 Rz. 59 ff.).

3

Hinsichtlich der entsprechenden Anwendung könnte fraglich sein, ob für den Restrukturierungsbeauftragten auf Antrag die gleichen Anforderungen an die Unabhängigkeit zu stellen sind, wie bei dem Beauftragten von Amts wegen (siehe dazu § 74 Rz. 60 ff.). Dagegen könnte sprechen, dass aufgrund des freiwilligen Charakters der Beteiligung eine Unabhängigkeit nicht erforderlich ist. Dafür spricht allerdings, dass der Antrag auf Bestellung nicht von sämtlichen Beteiligten mitgetragen werden muss, sondern allein von dem Schuldner oder einer Gläubigerminderheit ausgehen kann. Da der Restrukturierungsbeauftragte gemäß § 78 Abs. 3 i. V. m. § 75 mit den gleichen Befugnissen wie der von Amts wegen einzusetzende Beauftragte ausgestattet werden kann, haben auch die gleichen Anforderungen an die Unabhängigkeit zu gelten.5)

4

b) Vorschlagsrecht (Abs. 2) Hinsichtlich des Vorschlagsrechts weist § 78 eine eigenständige Bestimmung gegenüber § 74 auf.

5

aa) Vorschlagsrecht des Schuldners § 78 Abs. 2 regelt nur das Vorschlagsrecht der Gläubiger. Dem Schuldner selbst wird kein Vorschlagsrecht zugebilligt. Ihm steht lediglich ein Widerspruchsrecht gegen den Vorschlag der Gläubiger zu.

6

Offen bleibt daher, wie das Gericht damit umzugehen hat, wenn der Schuldner selbst die Einsetzung eines Restrukturierungsbeauftragten beantragt, ohne dass gemäß § 78 Abs. 2 ein Vorschlag der Gläubiger zur Person erfolgt. Die Gesetzesbegründung verhält sich zu dieser Frage nicht. Sie stellt jedoch fest, dass letztlich der Schuldner „Herr des Prozesses“ sei, was seine Widerspruchsbefugnis rechtfertigt.6) Für das Gericht stellt sich daher die Frage, ob es bei einem Antrag des Schuldners über die Person des Restrukturierungsbeauftragten frei entscheiden kann. Dies erschiene verwunderlich, da es bei einem vom Amts wegen einzusetzenden Restrukturierungsbeauftragten unter den Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 Satz 2 an einen Vorschlag des Schuldners im gewissen Maße gebunden werden kann. Beantragt der Schuldner nunmehr freiwillig einen Restrukturierungsbeauftragten, für den er im Wege des Kostenvorschusses sogar die Kosten tragen muss und auf dessen Aufgabenkreis er gemäß § 77 Abs. 2 Einfluss nehmen kann, ist es schwerer zu rechtfertigen, dem Schuldner jegliche Einflussmöglichkeit auf die Person des Restrukturierungsbeauftragten zu nehmen.

7

_____________ 5) 6)

Wohl auch Braun-Blümle/Erbe, StaRUG, § 78 Rz. 6. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 175.

Blankenburg

1055

§ 78 8

Bestellung und Rechtsstellung

Insoweit könnte überlegt werden, entgegen dem Wortlaut des § 78 Abs. 2 eine Bindung des Gerichts an den Vorschlag des Schuldners anzunehmen. Dagegen spricht indes, dass auch den antragstellenden Gläubigern grundsätzlich kein originäres Vorschlagsrecht zukommt. Das Vorschlagsrecht zur Person besteht nur unter erheblich höheren Voraussetzungen als das Antragsrecht. Da es somit auch den antragstellenden Gläubigern, die ebenfalls als Kostenschuldner haften, passieren kann, dass das Gericht eine andere Person als die avisierte einsetzt, kann für den Schuldner kein bindendes Vorschlagsrecht allein aus dem Antrag abgeleitet werden.7) Zudem wäre auch das Widerspruchsrecht des Schuldners bei einem Gläubigervorschlag systematisch nicht erklärbar, wenn er bereits mit dem Antrag einen für das Gericht bindenden Vorschlag machen könnte. Demnach kann der Schuldner zwar einen Vorschlag machen, jedoch ist das Gericht dann nicht verpflichtet, eine abweichende Entscheidung zu begründen. bb) Vorschlagsrecht der Gläubiger

9

Ebenso wie bei der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten von Amts wegen kommt den Gläubigern bei der Bestellung auf Antrag ein bindendes Vorschlagsrecht zu. Dieses besteht gemäß § 78 Abs. 2 allerdings nicht schon bereits aufgrund des Antrags. Vielmehr muss ein besonderes Quorum erreicht werden. Zudem steht dem Schuldner gegen das Vorschlagsrecht ein Widerspruchsrecht zu. (1) Quorum

10

Ein bindendes Vorschlagsrecht der Gläubiger besteht nur dann, wenn der Vorschlag von den Gläubigern kommt, die zusammen alle voraussichtlich in den Restrukturierungsplan einbezogene Gruppen repräsentieren. Damit weicht das Quorum signifikant von den Quoren beim Antragsrecht (§ 77 Abs. 1 Satz 2) sowie dem Vorschlagsrecht beim Restrukturierungsbeauftragten von Amts wegen (§ 74 Abs. 2 Satz 2) ab. Während es für einen Antrag auf Einsetzung eines Restrukturierungsbeauftragten bereits reicht, dass dieser von einer Gläubigergemeinschaft kommt, die mehr als 25 % der Stimmrechte in einer Gruppe auf sich vereint, müssen bei dem Vorschlagsrecht nach § 74 Abs. 2 Satz 2 die Stimmrechte in jeder Gruppe mit 25 % vertreten sein.

11

Für das Vorschlagsrecht nach § 78 Abs. 2 Satz 2 müssen zunächst alle Gruppen den Vorschlag mit unterstützen. Für das Gericht ergibt sich ebenso wie bei § 74 die Schwierigkeit festzulegen, welche Gruppen im Restrukturierungsplan bestehen werden (siehe dazu § 74 Rz. 89). Liegt lediglich ein Konzept für die Restrukturierung vor, steht das Gericht vor der Aufgabe, die voraussichtlichen Gruppen selbst zu bestimmen. Für die Gläubiger ist es insoweit problematisch, dass sie vorher noch gar nicht wissen, wie das Gericht die Lage einschätzen wird und welche Gläubiger damit den Antrag unterstützen müssen.8) _____________ 7) 8)

Im Ergebnis auch Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 78 Rz. 5; a. A. Braun-Blümle/Erbe, StaRUG, § 78 Rz. 11 ff. Braun-Blümle/Erbe, StaRUG, § 78 Rz. 8, äußern ebenfalls Bedenken an der praktischen Umsetzbarkeit.

1056

Blankenburg

§ 78

Bestellung und Rechtsstellung

Für den Vorschlag müssen sämtliche Gruppen repräsentiert sein. Unklar ist insoweit, was eine Repräsentanz bedeutet. Dies kann entweder bedeuten, dass aus jeder vorhandenen oder potentiellen Gruppe lediglich ein Gläubiger dem Vorschlag zugestimmt haben muss oder dass ein bestimmtes Quorum für die Gruppe erforderlich ist, wodurch diese dann repräsentiert wird. Gegen letztere Auslegung spricht, dass in § 78 Abs. 2 im Gegensatz zu § 74 und § 77 ein bestimmter Prozentsatz für die jeweilige Gruppe nicht angegeben ist. Es wird daher ausreichen, wenn lediglich ein Gläubiger aus jeder Gruppe beteiligt ist. Damit von einer Repräsentanz ausgegangen werden kann, muss diesem Gläubiger allerdings mindestens ein Stimmrecht von 1 € zukommen. Ist die Forderung des Gläubigers bestritten und sieht sich das Restrukturierungsgericht nicht in der Lage, das Bestehen der Forderung zu prüfen, kann der Gläubiger keine Gruppe repräsentieren.

12

(2) Gemeinsamer Vorschlag Der Vorschlag muss von den Gläubigern gemeinsam gemacht werden. Erforderlich ist insoweit, dass die Willensäußerung jedes an diesem Vorschlag beteiligten Gläubigers beim Restrukturierungsgericht eingeht. Die Erklärung kann entweder schriftlich oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle erfolgen. Aus Beweiszwecken sollte die Erklärung jedoch schriftlich eingereicht werden.

13

Keine Regelung ist für den Fall getroffen, dass zwei Gläubigergruppen konkurrierende Vorschläge einreichen. Da es nicht im Interesse der Gläubigergemeinschaft ist, das Verfahren durch einen Streit zwischen zwei Gläubigergruppen zu belasten, besteht in diesen Fällen keine Bindung des Gerichts.9) Dieses kann vielmehr zwischen einem der beiden vorgeschlagenen Personen auswählen oder eine dritte Person einsetzen.

14

(3) Widerspruchsrecht des Schuldners Gegen den Vorschlag der Gläubiger kann sich der Schuldner mit einem Widerspruch wenden. Damit der Schuldner sein Widerspruchsrecht ausüben kann, bedarf es seiner Anhörung zum Gläubigervorschlag.10) Der Widerspruch kann schriftlich oder mündlich gegenüber dem Gericht zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Dem Schuldner steht allerdings kein uneingeschränktes Widerspruchsrecht zu, vielmehr ist dieses nur dann gegeben, wenn der Restrukturierungsbeauftragte lediglich zum Zwecke der Förderung der Verhandlungen zwischen den Beteiligten bestellt werden soll. Nach der Gesetzesbegründung ist dies dann nicht mehr der Fall, wenn der Restrukturierungsbeauftragte zumindest auch mit prüfenden oder überwachenden Aufgaben betraut ist.11) Das Widerspruchsrecht dürfte demnach ausgeschlossen sein, wenn die Gläubiger oder der Schuldner selbst gemäß § 77 Abs. 2 beantragt haben, dem Restrukturierungsbeauftragten nach § 76 Abs. 2 Nr. 2 weitere Aufgaben zu übertragen. _____________ 9) So wohl auch Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 78 Rz. 7; offengelassen von Braun-Blümle/ Erbe, StaRUG, § 78 Rz. 8. 10) Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 78 Rz. 8. 11) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 175.

Blankenburg

1057

15

§ 79 16

Aufgaben

Dies erscheint inkonsequent, wenn der Schuldner tatsächlich als „Herr des Prozesses“ angesehen wird.12) Die Intention, die Überwachung durch einen vom Schuldner unabhängigen Restrukturierungsbeauftragten zu ermöglichen, ist zwar nachvollziehbar, passt jedoch eigentlich nicht zum grundsätzlich freiwilligen Restrukturierungsverfahren. Über § 78 erhält ggf. eine Minderheit der Gläubiger die Möglichkeit, das Verfahren über einen eigenen Restrukturierungsbeauftragten zu konterkarieren. Sinnvoller wäre es insoweit gewesen, diese Gläubiger auf die Aufhebungsmöglichkeiten zu verweisen. cc) Bindung des Gerichts

17

Liegt ein bindender Vorschlag der Gläubiger vor und steht diesem kein wirksamer Widerspruch des Schuldners entgegen, hat das Gericht diesem grundsätzlich zu folgen. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich ungeeignet ist. Dies muss dann begründet werden. Hinsichtlich der Ungeeignetheit der Person wird auf die Ausführungen zu § 74 verwiesen (siehe § 74 Rz. 95 ff.).

18

Das Gericht muss die Abweichung begründen. Dies gilt sowohl für den Fall, dass es die Person als offensichtlich ungeeignet ansieht als auch für den Fall, dass ein Widerspruch des Schuldners vorliegt. Bei letzterem muss das Gericht begründen, warum es davon ausgeht, dass der Restrukturierungsbeauftragte nur zur Förderung der Verhandlungen bestellt wurde. Zum Verstoß gegen die Begründungspflicht siehe § 74 Rz. 99. 2.

19

Rechtsstellung (Abs. 3)

Hinsichtlich der Aufsichtsbefugnisse des Restrukturierungsgerichts über den fakultativen Restrukturierungsbeauftragten wird auf die Kommentierung zu § 75 verwiesen, siehe insbesondere § 75 Rz. 5 ff., 18. _____________ 12) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 175.

§ 79 Aufgaben Morgen

Der fakultative Restrukturierungsbeauftragte unterstützt den Schuldner und die Gläubiger bei der Ausarbeitung und Aushandlung des Restrukturierungskonzepts und des auf ihm basierenden Plans. Literatur: Smid, Der Restrukturierungsbeauftragte in den Regelungen des StaRUG, ZInsO 2020, 2184; Thole, Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz, ZIP 2020, 1985; Schulte-Kaubrügger/Dimassi, Der Restrukturierungsbeauftragte nach dem StaRUG, ZIP 2021, 936. Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 2

1058

III. Norminhalt ........................................... 3

Morgen

§ 79

Aufgaben

I.

Normzweck

§ 79 dient der Ergänzung und Konkretisierung der Aufgaben des Beauftragten.1) Danach fördert er die Verhandlungen in dem er den Schuldner und die Gläubiger bei der Ausarbeitung und Aushandlung des Restrukturierungskonzeptes und des auf ihm basierenden Plans unterstützt.2)

1

II. Normhistorie Wie oben (siehe § 77 Rz. 4) dargestellt, beruht die Schaffung der Rolle des moderierenden Restrukturierungsbeauftragten und die Ausgestaltung seiner Aufgaben auf der Umsetzung des Art. 2 Abs. 1 Nr. 12 lit. a und Art. 5 Abs. 3 der Restrukturierungsrichtlinie3).

2

III. Norminhalt § 79 beschreibt die Aufgaben des moderierenden Restrukturierungsbeauftragten. Dieser soll den Schuldner und die Gläubiger unterstützen. Nicht in § 79 genannt sind die Anteilsinhaber. Diese sind weder Schuldner noch Gläubiger. Allerdings kann durch den Restrukturierungsplan in deren Rechte eingegriffen werden (§ 2 Abs. 3). Außerdem sind die Anteilsinhaber i. R. der Verhandlung von Restrukturierungsplänen regelmäßig eine wichtige Partei, denn die Fremdkapitalgeber fordern ihnen üblicherweise Beiträge ab und sie haben über die Gesellschafterstellung oftmals eine Blockadeposition. Eine sinnvolle Moderation zwischen den „Interessen aller Beteiligten“4) kann daher durch den Beauftragten nur erfolgen, wenn er nicht nur den Schuldner und die Gläubiger bei der Aushandlung des Restrukturierungsplans unterstützt. Gläubiger i. S. des § 79 sind daher nach Sinn und Zweck der Vorschrift alle von einer Plangestaltung möglicherweise betroffenen, mithin auch Anteilsinhaber.

3

Aus der Tätigkeit für die Schuldner und die Gläubiger ergibt sich, dass der Beauftragte neutral sein muss und sich nicht auf die Seite des Schuldners, der Gläubiger, einzelner Gläubigergruppen oder Anteilsinhaber stellen darf.5) Dies ergibt sich auch aus dem Verweis in § 78 Abs. 1 auf die entsprechende Anwendung des § 75. Auch nach § 75 Abs. 4 muss der Restrukturierungsbeauftragte seine Aufgaben unparteiisch wahrnehmen.

4

Aufgabe des Beauftragten ist es, bei der Ausarbeitung und Aushandlung des Restrukturierungskonzeptes und des auf ihm basierenden Plans zu unterstützen. Dazu soll er nach der Gesetzesbegründung im Interesse der Beteiligten den Restrukturierungsprozess voranbringen, Informationsasymmetrien ausgleichen, als Mediator oder _____________

5

1) 2) 3)

4) 5)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 86 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 175; Schulte-Kaubrügger/ Dimassi, ZIP 2021, 936, 943. Pannen/Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 79 Rz. 3. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Begr. RegE SanInsFoG z. § 84 Abs. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 175. So auch Braun-Blümle/Erbe, StaRUG, § 79 Rz. 5.

Morgen

1059

§ 80

Vergütungsanspruch

Vermittler der verschiedenen Interessen fungieren und mit seinem Knowhow in Sanierungsfragen helfen, diese Interessen unter einen Hut zu bringen.6) 6

Unterstützung bei der Ausarbeitung des Restrukturierungskonzeptes und des darauf beruhenden Plans bedeutet nicht, dass der Beauftragte das Konzept oder den Plan selbst erstellt.7) In der Praxis ist zu erwarten, dass das Restrukturierungskonzept regelmäßig vom Unternehmen ggf. mit externer Unterstützung erstellt und von Wirtschaftsprüfern in Anlehnung an ein Sanierungsgutachten nach IDW S 6 plausibilisiert wird. Im Rahmen dieses Prozesses wird es Aufgabe des Restrukturierungsbeauftragten sein, zwischen den unterschiedlichen Interessen der Beteiligten zu vermitteln, um so die Kerninteressen der Gläubiger (möglichst geringe Eingriffe in ihre Forderungen), des Unternehmens (möglichst weitgehende Entschuldung) und der Anteilsinhaber (möglichst niedrige Sanierungsbeiträge und möglichst weitgehender Erhalt der Anteile) zu einem für die erforderliche Mehrheit akzeptablen und die Bestandsfähigkeit des Unternehmens sichernden Ausgleich zu bringen.

7

Die Moderationsaufgabe steht besondere Anforderungen an die Person des Restrukturierungsbeauftragten. Dieser muss nicht nur in Restrukturierungssachen erfahren sein. Er muss auch kommunikationsstark und von allen Beteligten als neutrale Instanz akzeptiert sein.8) _____________ 6) 7) 8)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 84 Abs. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 174. Begr. RegE SanInsFoG z. § 86 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 175. So auch Braun-Blümle/Erbe, StaRUG, § 79 Rz. 5.

Abschnitt 3 Vergütung § 80 Vergütungsanspruch Schinkel

1

Der Restrukturierungsbeauftragte hat nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen Anspruch auf Vergütung (Honorar und Auslagen). 2Vereinbarungen über die Vergütung sind nur dann wirksam, wenn die nachfolgenden Bestimmungen zum zulässigen Inhalt und zum Verfahren beachtet sind. Literatur: Blersch, Wege zur Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten, NZI-Beilage 2019, 77; Cranshaw, Berufsbilder des Insolvenzverwalters (und verwandter Berufe) vor dem Hintergrund von Koalitionsvertrag und Restrukturierungsrichtlinie, NZI 2020, 143; Deppenkemper, Heute an morgen denken – der Restrukturierungsbeauftragte kommt!, ZIP 2020, 1041; Frind, Probleme bei der Bestellung und Verwendung des Restrukturierungsbeauftragten aus gerichtlicher Sicht, ZRI 2021, 397; Frind, Überreguliert statt saniert? Zum RefE eines „StaRUG“, ZInsO 2020, 2241; Ganter, Paradigmenwandel bei der Insolvenzverwaltervergütung?, ZIP 2014, 2323; Morgen, Das StaRUG – Aufbau, Inhalt, erste Fragen und Einschätzungen, Lücke für die Praxis passend geschlossen?, INDat Report 9/2020, S. 30; Thole, Das Amt des Restrukturierungsbeauftragten – Umsetzungsperspektiven für den deutschen Gesetzgeber, ZRI 2020, 393; Vallender, Die Zuständigkeit des Restrukturierungsgerichts, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 30; Vallender,

1060

Schinkel

§ 80

Vergütungsanspruch

Aufgaben und Befugnisse des Restrukturierungsgerichts nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Teil 2), ZInsO 2020, 2677; Zimmer, Die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten i. S. d. Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2019/1023 – Problemfelder einer Kodifizierung, ZInsO 2020, 2117. Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: BRAK, Stellungnahme Nr. 61/2020 zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 10/2020 (zit.: BRAK, Stellungnahme Nr. 61/2020 z. RefE SanInsFoG, v. 10/2020), abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/ Downloads/100220_Stellungnahme_BRAK_RefE_Fortenwicklung_Insolvenzrecht.pdf?__ blob=publicationFile&v=2; Flöther, Stellungnahme als Sachverständiger zur öffentlichen Anhörung am 25. November 2020 im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung: Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz -SanInsFoG) (BT-Drs. 19/24181 BR-Drs. 619/20) zum Antrag der Fraktion der FDP (BT-Drs. 19/20560) sowie zum Antrag der Fraktion der BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN (BT-Drs. 19/24379), v. 23.11.2020 (zit.: Flöther, Stellungnahme z. RegE SanInsFoG, v. 23.11.2020), abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/ 808760/732d416d97b7596b0fc183a74ada8bb7/floether-data.pdf; Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme des Gravenbrucher Kreises zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 30.9.2020 (zit.: Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 30.9.2020), abrufbar unter https://www.gravenbrucher-kreis.de/2020/10/02/gravenbrucher-kreisnimmt-stellung-zum-referentenentwurf-eines-gesetzes-zur-fortentwicklung-des-sanierungsund-insolvenrechts/; Greve, Stellungnahme zum SanInsFoG, Bundestagsdrucksache 19/24181 (BR-Drucks. 619/20) sowie zum diesbezüglichen Antrag der Fraktion der FDP, v. 17.11.2020 (zit.: Greve, Stellungnahme zum SanInsFoG, v. 17.11.2020), abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/807018/4a663d992e1f9acecc31058895ae1bba/ greve-data.pdf; TMA Deutschland, Stellungnahme der Gesellschaft für Restrukturierung – TMA Deutschland e. V. zur Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen (Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019), ZInsO 2020, 488 (zit.: TMA, Stellungnahme z. Richtlinie); VID, Stellungnahme des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), v. 2.10.2020 (zit.: VID, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020), abrufbar unter https://www.vid.de/ wp-content/uploads/2020/10/VID-Stellungnahme-zum-RefE-SanInsFoG.pdf. (Abrufdatum jeweils 23.8.2021). Übersicht I. 1.

Normhistorie der §§ 80 ff. .................. 1 Richtlinienvorgaben zur Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten ...... 1 2. Verlauf des nationalen Gesetzgebungsverfahrens .................................... 3 a) Gesetzgeberische Begründungsansätze .................................. 4 b) Diskussion in der Literatur sowie in Berufs- und Interessenverbänden .................................. 7 II. Vergütungssystem nach StaRUG ...... 8 1. Überblick ............................................... 8 2. Wesentliche Abweichungen vom insolvenzrechtlichen Vergütungssystem .................................................. 12

3. Richtlinienkonforme Umsetzung? .... 16 III. Gesetzlich bestimmter Vergütungsanspruch (Satz 1) ...................... 20 1. Anspruchsinhaber ............................... 21 2. Vergütungsbestandteile ...................... 22 3. Vergütungsschuldner .......................... 23 4. Zuständigkeit ....................................... 28 5. Punktuelle Relevanz der Vergütung in weiteren Vorschriften ..................... 29 a) Darstellung der Vergütung im Planangebot (§ 17 Abs. 1 Satz 2) ........................................... 29 b) Bestellung eines weiteren Restrukturierungsbeauftragten (§ 74 Abs. 3) ................................. 31

Schinkel

1061

§ 80

Vergütungsanspruch

IV. Vergütungsvereinbarungen (Satz 2) ................................................. 32 1. Zulässiger Inhalt von Vergütungsvereinbarungen .................................... 34

2.

Verfahrensrechtliche Bestimmungen ................................................ 37

I.

Normhistorie der §§ 80 ff.

1.

Richtlinienvorgaben zur Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten

1

Die §§ 80 ff. setzen den von Art. 27 Abs. 4 der Restrukturierungsrichtlinie1) vorgegebenen Rahmen für die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten um. Danach müssen die Mitgliedstaaten zum einen Vorschriften über die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten aufstellen, die mit dem Ziel eines effizienten Abschlusses der Verfahren im Einklang stehen (Art. 27 Abs. 4 Satz 1 der Restrukturierungsrichtlinie). Und zum anderen wird den Mitgliedstaaten aufgegeben, dass geeignete Verfahren zur Verfügung stehen, damit Streitigkeiten über die Vergütung in einer effizienten Weise beigelegt werden können (Art. 27 Abs. 4 Satz 2 Restrukturierungsrichtlinie).

2

Die Vorgaben der Richtlinie zur Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten sind weit gefasst und haben den Mitgliedstaaten einen flexiblen Umsetzungsspielraum eröffnet. 2.

3

Verlauf des nationalen Gesetzgebungsverfahrens

Im Entstehungsverlauf des StaRUG sind die Vorschriften über die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten (mit Ausnahme nummerischer Aktualisierungen aufgrund von Normstreichungen2) und einiger redaktionellen Änderungen) im Wesentlichen unverändert geblieben.3) Die §§ 80 ff. standen dennoch im Fokus einer Diskussion zur grundlegenden Ausgestaltung des Vergütungsmodells des Restrukturierungsbeauftragten sowohl i. R. der gesetzgeberischen Aktivitäten als auch auf Ebene der Literatur sowie bei den Berufs- und Interessenverbänden. a) Gesetzgeberische Begründungsansätze

4

In der Begründung der StaRUG-Gesetzesentwürfe wird mit Blick auf die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten festgehalten, dass die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten die Ziele des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens vereiteln würde, wenn sich daraus Kostenbelastungen für den Schuldner ergäben, welche die durch die Sanierungsbeiträge der Planbetroffenen bewirkten Verbesserungen der finanziellen Situation des Schuldners weitestgehend oder sogar _____________ 1)

2)

3)

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. RefE SanInsFoG z. §§ 84 ff. StaRUG, S. 194, abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob= publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021); RegE SanInsFoG z. §§ 87 ff. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176. S. i. E. bei der jeweiligen Norm.

1062

Schinkel

§ 80

Vergütungsanspruch

vollständig aufzehren würden.4) Auch wenn die Kosten von Planbetroffenen zu tragen wären, würden sie mittelbar den Schuldner belasten, weil sich dadurch die Bereitschaft oder Fähigkeit der Planbetroffenen zur Leistung von Sanierungsbeiträgen verringern würde.5) Deshalb bedürfe es verbindlicher Vorgaben für die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten.6) Die Frage nach einem konkreten Vergütungsmodell für den Restrukturierungsbeauftragten wird an seinem im Einzelfall übertragenen Aufgabenprofil i. R. des Restrukturierungsvorhabens des Schuldners abgeleitet.7) Danach kommt ihm in erster Linie die Aufgabe zu, das Vorliegen und Fortbestehen der Zugangsvoraussetzungen zum Verfahren zu überprüfen und ggf. die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens als Gutachter zu prüfen.8) Eine allumfassende Aufsicht über die Geschäftsführung und die Ausübung der Verfügungsbefugnis des Schuldners werde in der Regel nicht vorgesehen.9) Daher werde seine Vergütung im Grundsatz nicht – wie bei der Sachwaltervergütung – als Bruchteil des Werts des schuldnerischen Vermögens, sondern auf der Grundlage von festzulegenden Stundensätzen berechnet.10) Um aber dem Umstand Rechnung zu tragen, dass im Fall der Einbeziehung aller oder im Wesentlichen aller Gläubiger in den Restrukturierungsrahmen dieser sich einem Eigenverwaltungsverfahren in wesentlichen Zügen annähert, soll es dem Gericht möglich sein, dem Beauftragten auch weitergehende Befugnisse einzuräumen und _____________ 4) Begr. RegE SanInsFoG z. § 87 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176; Begr. RefE SanInsFoG z. § 84 StaRUG, S. 194, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 5) Begr. RegE SanInsFoG z. § 87 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176; Begr. RefE SanInsFoG z. § 84 StaRUG, S. 194, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 6) Begr. RegE SanInsFoG z. § 87 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176; Begr. RefE SanInsFoG z. § 84 StaRUG, S. 194, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 7) Allg. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 87; Allg. Begr. RefE SanInsFoG z. StaRUG, S. 97, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 8) Allg. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 87; Allg. Begr. RefE SanInsFoG z. StaRUG, S. 97, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 9) Allg. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 87; Allg. Begr. RefE SanInsFoG z. StaRUG, S. 97, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 10) Allg. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 87; Allg. Begr. RefE SanInsFoG z. StaRUG, S. 97, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021).

Schinkel

1063

5

§ 80

Vergütungsanspruch

seine Rechtsstellung der eines Sachwalters im Insolvenzverfahren anzunähern.11) Dies könne sich dann auch auf der Ebene der Vergütung in einer sachwalterähnlich strukturierten Vergütung niederschlagen.12) 6

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) des Deutschen Bundestages hat sich den vorstehenden Erwägungen zu einem stundensatzbasierten Vergütungsmodell im Grundsatz angeschlossen und die unveränderte Annahme des Gesetzesentwurfs empfohlen.13) Danach seien die Erörterungen der Regelungen zur Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten geprägt gewesen von der Frage, ob und aus welchen Gründen sich ein von der Insolvenzverwaltervergütung abweichendes Vergütungsmodell empfiehlt und wie sich die Angemessenheit und Transparenz der Kosten im Allgemeinen und der Vergütung im Besonderen sicherstellen lässt.14) Die Tätigkeit des Beauftragten sei nicht vermögensbezogen und weise in vielen Punkten strukturelle Ähnlichkeiten zur Tätigkeit von Gutachtern auf. Zudem sei das Aufgabenspektrum des Restrukturierungsbeauftragten deutlich weniger umfangreich als das eines Sachwalters.15) Schließlich spiegele die stundenbasierte Vergütung die Nähe des Restrukturierungsverfahrens zur Praxis der freien Sanierung wider, in der ebenfalls nach Zeitaufwand abgerechnet werden kann.16) Zwar könne ein stundensatzbasiertes System den Fehlanreiz setzen, zwecks Maximierung der Vergütung möglichst viele Arbeitsstunden abzurechnen.17) Die im Gesetzesentwurf verankerten Mechanismen zur Bestimmung der Vergütung enthielten jedoch verlässliche Vorkehrungen zur Kontrolle der Kosten und deren Begrenzung auf ein angemessenes Niveau.18) Zu diesen würden die ex-ante-Festlegung von Stundenbudgets und Höchstgrenzen gehören, die sich nach dem zu erwartenden Aufwand bemessen müssten und deren Erhöhung nur in begründeten Fällen erfolgen könne.19) b) Diskussion in der Literatur sowie in Berufs- und Interessenverbänden

7

Das Vergütungsmodell des Restrukturierungsbeauftragten wurde in der Literatur sowie in den Berufs- und Interessenverbänden im Kontext seines Aufgabenspektrums erörtert. Seitens der Saniererbranche wurde dem Gesetzgeber angeraten, die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten aufgrund seiner moderierenden, unterstützenden und überwachenden Funktion i. R. einer Honorarvereinbarung mit dem _____________ 11) Allg. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 87; Allg. Begr. RefE SanInsFoG z. StaRUG, S. 97, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 12) Allg. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 87; Allg. Begr. RefE SanInsFoG z. StaRUG, S. 97, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 13) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 5. 14) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 5. 15) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 5. 16) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 5. 17) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 6. 18) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 6. 19) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 6.

1064

Schinkel

§ 80

Vergütungsanspruch

Schuldner zu regeln, eine Orientierung an der InsVV sei nicht angemessen und ein Rückgriff auf die in der InsVV niedergelegten Grundsätze lediglich bei kleineren und mittleren Unternehmen denkbar.20) Teilweise erachteten die Stimmen in der Literatur ein differenziertes Stundenvergütungsmodell für angemessen.21) Die überwiegende Mehrheit plädierte aufgrund der Nähe des Aufgabenprofils des Restrukturierungsbeauftragten zu dem eines Sachwalters in einem Eigenverwaltungsverfahren jedoch dafür, die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten an die Vergütung eines Sachwalters anzulehnen.22) Die §§ 63 bis 65 InsO wurden insoweit für die Umsetzung des Art. 27 Abs. 4 der Restrukturierungsrichtlinie als hinreichend befunden, allerdings könne die Richtlinie zum Anlass genommen werden, die InsVV zu überarbeiten.23) II. Vergütungssystem nach StaRUG 1.

Überblick

Bei der Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten wird zwischen der Regelvergütung und der Vergütung in besonderen Fällen unterschieden. Die Regelvergütung wird auf der Grundlage von angemessenen Stundensätzen ermittelt (§ 81). Die Angemessenheit der Stundensätze soll anhand bestimmter Kriterien vom Gericht bestimmt werden (§ 81 Abs. 3) und für die Tätigkeit des Restrukturierungsbeauftragten bis zu 350 € sowie für qualifizierte Mitarbeiter bis zu 200 € betragen. Neben der verbindlichen Festsetzung der Stundensätze bestimmt das Gericht bereits mit der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten auf der Grundlage von Stundenbudgets einen Höchstbetrag für das Honorar (§ 81 Abs. 4). Dazu hört das Restrukturierungsgericht die zu bestellende Person und diejenigen an, die die Vergütung (als Auslage nach Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum GKG) letztlich schulden (§ 81 Abs. 4 Satz 3 StaRUG).

8

Soweit die Stundenbudgets später nicht ausreichen, muss der Restrukturierungsbeauftragte dem Gericht den Erhöhungsbedarf unverzüglich mitteilen, welches sodann nach Anhörung der Auslagenschuldner über eine Anpassung des Stundenbudgets entscheidet (§ 81 Abs. 6).

9

Vergütungsschuldner ist die Staatskasse. Daher ist vor der Bestellung des Beauftragten bzw. vor der Anordnung von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens sowie bei späteren Erhöhungen des Honorars durch eine nachträgliche Stundenbudgetanpassung ein Kostenvorschuss einzuzahlen (§ 81 Abs. 5). Die aus der Staatskasse an den Restrukturierungsbeauftragten gezahlte Vergütung ist als Teil der Gerichtskosten den nach Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses

10

_____________ 20) TMA, Stellungnahme z. Richtlinie, ZInsO 2020, 488, 491. 21) U. a. Blersch, NZI Beilage Heft 16 – 17/2019, S. 77, 79; ausführlich Zimmer, ZInsO 2020, 2117, 2124. 22) U. a. Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 30.9.2020, S. 10 f.; BRAK, Stellungnahme Nr. 61/2020 z. RefE SanInsFoG, v. 10/2020, S. 7; Flöther, Stellungnahme z. RegE SanInsFoG, v. 23.11.2020, S. 7; Thole, ZRI 2020, 393, 401 f.; Deppenkemper, ZIP 2020, 1041, 1047 f. 23) Cranshaw, NZI 2020, 143, 146.

Schinkel

1065

§ 80

Vergütungsanspruch

zum GKG in voller Höhe zu erstattenden Auslagen zuzuordnen, die in den meisten Fällen dem Schuldner als Kostenschuldner auferlegt werden (§ 25a GKG). 11

Neben der Regelvergütung ist in § 83 eine Vergütung in besonderen Fällen vorgesehen. Danach können höhere Stundensätze als die in § 81 Abs. 3 festgelegten Höchstbeträge festgesetzt werden, insbesondere, wenn alle voraussichtlichen Auslagenschuldner zustimmen, sich sonst keine geeignete Person zur Amtsübernahme bereit erklärt oder die dem Beauftragten übertragenen Aufgaben denen eines Sachwalters nahe kommen. Im letzten Fall sind statt einer Vergütungsbemessung nach Stunden auch andere Maßstäbe, wie etwa eine Bemessung auf der Grundlage des Wertes der in den Restrukturierungsplan einbezogenen Forderungen gegen den Schuldner oder des Unternehmensvermögens, möglich (§ 83 Abs. 1 Satz 2). Vereinbarungen über die Vergütung sind nur wirksam, wenn sie die Bestimmungen zum zulässigen Inhalt und zum Verfahren beachten (§ 80 Satz 2). Bei einem auf Antrag und auf Vorschlag aller voraussichtlichen Auslagenschuldner bestellten Restrukturierungsbeauftragten hat das Gericht die Vereinbarung der Vergütungsbemessung zugrunde zu legen, wenn sie nicht zu einer unangemessenen Vergütung führt (§ 83 Abs. 2). 2.

Wesentliche Abweichungen vom insolvenzrechtlichen Vergütungssystem

12

In systematischer Hinsicht hat der Gesetzgeber mit den §§ 80 ff. den Vergütungsanspruch des Restrukturierungsbeauftragten sowohl dem Grunde nach als auch im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung abschließend im Gesetz geregelt. Damit hat er sich nicht dem Prinzip der Vergütungsregelungen des Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters angeschlossen, deren Vergütungsanspruch zwar aus der InsO folgt (§ 63 InsO bzw. § 274 Abs. 1 i. V. m. § 63 InsO), aber die Vergütungs- und Auslagenbemessung sowie das hierfür maßgebliche Verfahren über eine Verordnungsermächtigung (§ 65 InsO) in der InsVV besonders geregelt ist. Die abschließende Regelung im StaRUG hat den Vorteil, dass jedenfalls kein Streit über das Vorliegen einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage entstehen kann.24) Die gesetzliche Verankerung der Vergütungsreglungen, insbesondere im Hinblick auf die normierten Höchst-Stundensätze, erschwert gleichwohl spätere Anpassungen.25)

13

Die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten ist im Regelfall tätigkeitsbezogen und deren Bemessung erfolgt auf der Grundlage von Stundensätzen nach Zeitaufwand. Die Öffnungsklausel in § 83 Abs. 1 Satz 2 erlaubt in Fällen, in denen dem Beauftragten sachwalterähnliche Aufgaben übertragen werden, auch eine Vergütung nach anderen Grundsätzen, mithin ist auch eine erfolgs- bzw. vermögensbezogene Vergütung denkbar. Dabei richtet sich der Vergütungsanspruch stets gegen die Staatskasse. Geleistete Zahlungen gelten als i. R. der Gerichtskosten zu erstattende Auslagen gemäß Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum GKG und werden als solche gegen den Schuldner oder die Gläubiger als Auslagenschuldner geltend macht (§ 82 Abs. 2 i. V. m. § 25a GKG). Dagegen ist die insolvenzrechtliche Vergütung grundsätzlich keine reine Tätigkeitsvergütung.26) In der Berechnungs_____________ 24) Zur Frage „Gesetz oder Verordnung?“ bei der Insolvenzverwaltervergütung, Ganter, ZIP 2014, 2323, 2333 m. w. N. 25) Morgen, INDat Report 9/2020, S. 30. 26) Haarmeyer/Mock, InsVV, Vor § 1 Rz. 64.

1066

Schinkel

§ 80

Vergütungsanspruch

grundlage ist die Vergütung des Insolvenzverwalters erfolgsbezogen, weil sich die Verwertungserfolge im Endstand der Insolvenzmasse i. S. des § 1 InsVV ausdrücken; die Zu- und Abschläge des § 3 InsVV sind indes tätigkeitsbezogen.27) Eine Bemessung der Vergütung nach dem exakten Zeitaufwand ist dem System des § 63 Abs. 1 Satz 3 InsO i. V. m. § 3 InsVV fremd.28) Der insolvenzrechtliche Vergütungsanspruch richtet sich grundsätzlich gegen die Insolvenzmasse (§§ 53, 54 Nr. 2 InsO) und nur bei einer gegenüber einer natürlichen Person gewährten Kostenstundung ausnahmsweise gegen die Staatskasse (§ 63 Abs. 2 InsO). Ein Novum im Vergleich zu den insolvenzrechtlichen Vergütungsregelungen ist die gesetzlich in § 80 Satz 2 vorgesehene Möglichkeit, Vergütungsvereinbarungen mit dem Restrukturierungsbeauftragten abzuschließen (siehe Rz. 32 ff.). Da das Erfordernis einer gerichtlichen Festsetzung von Vergütung und Auslagen (§ 64 Abs. 1 InsO) die Unabhängigkeit des Verwalters gegenüber den Beteiligten sichern soll, ist nach ganz allgemeiner Auffassung eine Vergütungsvereinbarung (sei sie mit dem Schuldner, mit dem Gläubiger oder mit Dritten geschlossen) nach § 134 BGB nichtig.29) Dies gilt auch für Vereinbarungen mit dem Insolvenzgericht, wenn z. B. der Verwalter die Übernahme des Amtes von der Zusage einer bestimmten Vergütung abhängig macht.30)

14

Schließlich sieht § 81 Abs. 5 eine Vorwegleistungs- bzw. Vorschusspflicht hinsichtlich der Zahlung der Gerichtsgebühr für die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten sowie Zahlung eines Vorschusses auf die Auslagen nach Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum GKG vor. Der gegen die Staatskasse gerichtete und mit einer Vorschusspflicht korrespondierende Vergütungsanspruch des Restrukturierungsbeauftragten ist dem insolvenzrechtlichen Vergütungssystem fremd. Selbst im Fall der Kostenstundung nach § 4a InsO ist der primäre Kostenschuldner die Insolvenzmasse. Der Eintritt der Staatskasse erfolgt nur, soweit die Insolvenzmasse die Kosten des Verfahrens nicht deckt und macht die Durchführung des Verfahrens gerade nicht von der Vorauszahlung der Kosten abhängig.

15

3.

Richtlinienkonforme Umsetzung?

Dem Gesetzgeber ist auf den ersten Blick der „Spagat“ zwischen einer an den unterschiedlichen Aufgaben und Befugnissen des Restrukturierungsbeauftragten orientierten Vergütungssystematik gelungen, die viel Flexibilität für den Einzelfall lässt. Eine stundensatzorientierte Vergütung erscheint bei einer Tätigkeit des Beauftragten als Sachverständiger für das Gericht oder bei der Übertragung beschränkter Kontrollund Mitwirkungsbefugnisse auf den Beauftragten mit lediglich moderierender Rolle angemessen. Demgegenüber bleibt bei komplexeren, sich dem Tätigkeitsfeld des _____________ 27) BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 104/05, ZIP 2006, 1403, 1407. 28) BGH, Beschl. v. 27.4.2010 – IX ZB 172/08, Rz. 3, BeckRS 2010, 11717; BGH, Beschl. v. 25.6.2009 – IX ZB 118/08, Rz. 3, BeckRS 2009, 19755. 29) Kübler/Prütting/Bork-Prasser/Stoffler, InsO, Vor § 1 InsVV Rz. 61 m. w. N.; Stephan in: MünchKomm-InsO, § 63 Rz. 53; Keller in: HK-InsO, § 64 Rz. 36; a. A. Haarmeyer/ Mock, InsVV, Vor § 1 Rz. 83. 30) Stephan in: MünchKomm-InsO, § 63 Rz. 53 m. w. N.

Schinkel

1067

16

§ 80

Vergütungsanspruch

Sachwalters annähernden Aufgaben, eine flexiblere Gestaltung der Vergütungsbemessung möglich. 17

Wie sich das gewählte Vergütungsmodell und seine Facetten in der Praxis etablieren wird, bleibt abzuwarten. Zu erwarten ist, dass der Restrukturierungsrahmen vor allem dazu genutzt werden wird, um ein von der Mehrheit der Gläubiger unterstütztes Sanierungskonzept gegen den Widerstand opponierender Gläubigerminderheiten durchzusetzen und i. R. des Restrukturierungsplans von der Möglichkeit einer gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung nach §§ 26 ff. zwecks Überstimmung von Akkordstörern Gebrauch zu machen. Dabei ist die zwingende Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten von Amts wegen erforderlich (es sei denn, die sich dem Plan widersetzende Gläubiger sind Unternehmen des Finanzsektors, § 73 Abs. 2). Neben den in § 73 Abs. 1 und 2 vorgesehenen Fällen einer zwingenden Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten von Amts wegen ist außerdem zu erwarten, dass das Gericht insbesondere von der Möglichkeit einer fakultativen Bestellung gemäß § 73 Abs. 3 umfassend Gebrauch machen und den Restrukturierungsbeauftragten als maßgebliche Erkenntnisquelle mit der sachverständigen Prüfung und Vorbereitung der für das Gericht entscheidungserheblichen Fragen beauftragen wird.31) In Anbetracht der dabei stets geltenden unbeschränkten persönlichen Haftung des Beauftragten gemäß § 75 Abs. 4 ist jedenfalls eine Vergütung in größeren und komplexeren Restrukturierungen mit den Stundensätzen für den Regelfall nach § 81 Abs. 3, die nicht den marktüblichen Vergütungsstundensätzen entsprechen, unzureichend (näher siehe § 81 Rz. 19 f.).32) Die Annahme, die für den Regelfall vorgesehene Vergütung auf Stundensatzbasis spiegele die Nähe des Verfahrens zur Praxis der freien Sanierung wider, wird dabei von der fehlenden Möglichkeit, vertragliche Haftungsbeschränkungen zu vereinbaren, konterkariert.

18

Nach Art. 27 Abs. 4 Satz 1 der Restrukturierungsrichtlinie sollen die Vorschriften für die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten mit dem Ziel eines effizienten Abschlusses der Verfahren im Einklang stehen. Es wird vertreten, dass mit der Einführung einer Stundenvergütung des Beauftragten die Restrukturierungsrichtlinie nicht umgesetzt werde, weil es für ihn vergütungsrechtlich keinen Sinn mache, die Angelegenheit schnell zu bearbeiten, sondern im Gegenteil, ein unnötiges Verkomplizieren der Angelegenheit seinen Verdienst steigere.33) Nach dem Richtlinienvorschlag der Kommission sollten die Vorschriften über die Vergütung des Beauftragten (seinerzeit „Restrukturierungsverwalter“) insbesondere auch Anreize für eine zügige Verfahrensdurchführung bieten („governed by rules which incentivise a timely and efficient resolution of procedures with due regard to the complexity of the case“34).35) _____________ Morgen, INDat Report 9/2020, S. 29. Im Ergebnis auch Morgen, INDat Report 9/2020, S. 30. Greve, Stellungnahme zum SanInsFoG, v. 17.11.2020, S. 14. Englische Fassung des Richtlinienvorschlags der Kommission, COM(2016) 723 final, Art. 27 Abs. 2 Satz 1, S. 52, abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/ TXT/PDF/?uri=CELEX:52016PC0723&from=DE (Abrufdatum: 23.8.2021). 35) Richtlinienvorschlag der Kommission, COM(2016) 723 final, Art. 27 Abs. 2 Satz 1, S. 59, abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX: 52016PC0723&from=RO (Abrufdatum: 23.8.2021). 31) 32) 33) 34)

1068

Schinkel

§ 80

Vergütungsanspruch

Dieser Aspekt von Vorschriften, die den zeitnahen Verfahrensabschluss unter gebührender Berücksichtigung der Komplexität der Sache fördern, wurde im finalen Richtlinientext des Art. 27 Abs. 4 Satz 1 nicht übernommen. Jedenfalls dürfte aber die Einhaltung der komplexen, teilweise unklaren und mit einem hohen Zeitaufwand verbundenen Vergütungsregelungen für den Abschluss des Verfahrens nicht förderlich sein.36) Kritisch zu betrachten ist insbesondere, dass der Vergütungsrahmen bereits vor der Bestellung des Beauftragten festzulegen ist. Dadurch wird das Verfahren einerseits verzögert und andererseits dem Gericht eine aus ex-ante Sicht nur schwer kalkulierbare und aus ex-post Sicht eine nur schwer überprüfbare Entscheidung abverlangt.37) Der weiteren Vorgabe in Art. 27 Abs. 4 Satz 2 der Restrukturierungsrichtlinie, geeignete Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten über die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten zu schaffen, dürfte mit dem in § 82 Abs. 3 vorgesehenen Rechtsmittelverfahren angemessen Rechnung getragen worden sein. Danach kann bei möglichen Streitigkeiten über die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten eine gerichtliche Entscheidung über den Weg der sofortigen Beschwerde herbeigeführt werden.

19

III. Gesetzlich bestimmter Vergütungsanspruch (Satz 1) Gemäß § 80 Satz 1 wird der Vergütungsanspruch des Restrukturierungsbeauftragten mit Verweis auf die nachfolgenden Bestimmungen der §§ 81 ff. dem Grunde nach gesetzlich festgestellt und abschließend gesetzlich geregelt. So wird in § 1 Abs. 2 Satz 2 RVG der Geltungsbereich des RVG für die Vergütung einer Tätigkeit als Restrukturierungsbeauftragter klarstellend ausgeschlossen. 1.

Anspruchsinhaber

Die §§ 80 ff. gelten sowohl für die Vergütung des vom Gericht von Amts wegen bestellten Restrukturierungsbeauftragten (§ 73) als auch für den auf Antrag des Schuldners bzw. von Gläubigern bestellten fakultativen Restrukturierungsbeauftragten (§ 77). Gemäß § 98 Abs. 2 werden die §§ 80 bis 83 entsprechend auf den Vergütungsanspruch des Sanierungsmoderators angewandt (siehe § 98 Rz. 5 ff.). 2.

20

21

Vergütungsbestandteile

Die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten setzt sich gemäß § 80 Satz 1 aus seinem Honorar und seinen Auslagen zusammen. Die Einzelheiten zur Bestimmung des Honorars, welches im Regelfall auf der Grundlage eines festgelegten Stundensatzes und eines bestimmten Stundenbudgets errechnet wird, ergeben sich aus §§ 81, 83. Hinsichtlich der Einzelheiten zum Auslagenersatz verweist § 81 Abs. 7 auf die entsprechend für den Restrukturierungsbeauftragten geltenden Vorschriften des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, §§ 6, 7 und § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 des JVEG.

_____________ 36) Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 80 Rz. 12. 37) Thole, ZRI 2020, 393, 402; ausführlich Frind, ZRI 2021, 397, 405.

Schinkel

1069

22

§ 80 3.

Vergütungsanspruch

Vergütungsschuldner

23

Vergütungsschuldner ist die Staatskasse. Es sollen sich keine Kostenbelastungen für den Schuldner ergeben, welche die durch die Sanierungsbeiträge der Planbetroffenen bewirkten Verbesserungen der finanziellen Situation des Schuldners weitestgehend oder sogar vollständig aufzehren würden.38) Auch wenn die Kosten von Planbetroffenen zu tragen wären, würden sie nach der Gesetzesbegründung mittelbar die Schuldnerin belasten, weil sich dadurch die Bereitschaft oder Fähigkeit der Planbetroffenen zur Leistung von Sanierungsbeiträgen verringern würde.39) Daher soll die Vergütung der Restrukturierungsbeauftragten verbindlichen Vorgaben folgen.40) Zur Sicherstellung der Einhaltung dieser Vorgaben ist vorgesehen, dass die Vergütung vom Restrukturierungsgericht festgesetzt wird und dass unmittelbare Zahlungen an den Restrukturierungsbeauftragten nur aus der Staatskasse erfolgen.41)

24

Die aus der Staatskasse an den Restrukturierungsbeauftragten gezahlte Vergütung gehört als Teil der Gerichtskosten zu den nach Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum GKG in voller Höhe zu erstattenden Auslagen.42) Der Auslagentatbestand Nr. 9017 wurde i. R. des SanInsFoG entsprechend ergänzt:43) Nr.

Auslagentatbestand

Höhe

9017

An den vorläufigen Insolvenzverwalter, den Insolvenzverwalter, die Mitglieder des Gläubigerausschusses oder die Treuhänder auf der Grundlage der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung aufgrund einer Stundung nach § 4a InsO sowie an den Restrukturierungsbeauftragten, den Sanierungsmoderator und die Mitglieder des Gläubigerbeirats nach dem StaRUG zu zahlende Beträge ……….

in voller Höhe

_____________ 38) Begr. RegE SanInsFoG z. § 87 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176; Begr. RefE SanInsFoG z. § 84 StaRUG, v. 19.9.2020, S. 194, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 39) Begr. RegE SanInsFoG z. § 87 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176; Begr. RefE SanInsFoG z. § 84 StaRUG, v. 19.9.2020, S. 194, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 40) Begr. RegE SanInsFoG z. § 87 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176; Begr. RefE SanInsFoG z. § 84 StaRUG, v. 19.9.2020, S. 194, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 41) Begr. RegE SanInsFoG z. § 87 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176; Begr. RefE SanInsFoG z. § 84 StaRUG, v. 19.9.2020, S. 194, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 42) Begr. RegE SanInsFoG z. § 87 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176; Begr. RefE SanInsFoG z. § 84 StaRUG, v. 19.9.2020, S. 194, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021) 43) Vgl. Art. 11 Nr. 6 lit. e SanInsFoG (Änderung des GKG).

1070

Schinkel

§ 80

Vergütungsanspruch

Die an den Restrukturierungsbeauftragten gezahlte Vergütung wird damit auf diejenigen Beteiligten übergeleitet, die sie als Kostenschuldner (in den meisten Fällen der Schuldner) gemäß des mit dem SanInsFoG in das GKG eingefügten § 25a GKG44) letztlich leisten sollen:45)

25

§ 25a Verfahren nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (1) Die Kosten der Verfahren nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz vor dem Restrukturierungsgericht sowie die Gebühren nach den Nummern 2510 und 2513 des Kostenverzeichnisses schuldet nur der Schuldner des Verfahrens, soweit nichts anderes bestimmt ist. (2) Wird ein fakultativer Restrukturierungsbeauftragter auf Antrag von Gläubigern bestellt, schulden die Gebühr nach Nummer 2513 des Kostenverzeichnisses und die Auslagen nach Nummer 9017 des Kostenverzeichnisses nur die antragstellenden Gläubiger, soweit sie ihnen nach § 82 Absatz 2 des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes auferlegt sind.

Gemäß § 25a Abs. 1 GKG ist grundsätzlich der Schuldner des Verfahrens auch alleiniger Kostenschuldner und muss die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten tragen. Die von § 25a Abs. 1 GKG erfassten Gebühren sind in den Nr. 2510 bis 2514 des Kostenverzeichnisses zum GKG benannt.46) Bei der Gebühr nach Nr. 2510, die bei Entgegennahme der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens fällig wird, und bei der Gebühr nach Nr. 2513, die bei Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten fällig wird, handelt es sich um gerichtliche Handlungsgebühren außerhalb eines weitergehenden gerichtlichen Verfahrens, weshalb sich der Gesetzgeber veranlasst sah, diese explizit mit in § 25a Abs. 1 GKG aufzunehmen.47)

26

Von dem Grundsatz der alleinigen Kostentragungspflicht des Schuldners macht § 25a Abs. 2 GKG eine Ausnahme für die Fälle, in denen ein Restrukturierungsbeauftragter nicht von Amts wegen, sondern auf Antrag einer qualifizierten Gläubigerfraktion nach § 77 Abs. 1 Satz 2 bestellt wird.48) Neben der Gebühr nach Nr. 2513 des Kostenverzeichnisses zum GKG für die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten sollen in diesen Fällen auch für die Vergütung des Beauftragten nur diejenigen Gläubiger als Gesamtschuldner haften müssen, die die Bestellung des fakultativen Restrukturierungsbeauftragten beantragt haben.49) Welchen Gläubigern in welchem Umfang die Auslagen und somit die Vergütung des Beauftragten im konkreten Einzelfall aufzuerlegen sind, entscheidet das Gericht i. R. der Vergütungsfestsetzung (siehe § 82 Rz. 8).50) Soweit dem auf Antrag von Gläubigern bestellten

27

_____________ 44) In Kraft getreten am 1.1.2021. 45) Begr. RegE SanInsFoG z. § 87 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176; Begr. RefE SanInsFoG z. § 84 StaRUG, v. 19.9.2020, S. 194, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 46) Semmelbeck in: BeckOK-KostR, § 25a GKG Rz. 5. 47) Semmelbeck in: BeckOK-KostR, § 25a GKG Rz. 5. 48) Begr. RegE SanInsFoG z. § 25a Abs. 2 GKG, BT-Drucks. 19/24181, S. 218 f. 49) Begr. RegE SanInsFoG z. § 25a Abs. 2 GKG, BT-Drucks. 19/24181, S. 218 f. 50) Begr. RegE SanInsFoG z. § 25a Abs. 2 GKG, BT-Drucks. 19/24181, S. 219.

Schinkel

1071

§ 80

Vergütungsanspruch

Restrukturierungsbeauftragten weitere Aufgaben auf Antrag des Schuldners oder von Amts wegen vom Gericht übertragen worden sind, muss das Gericht differenzieren und kann den antragstellenden Gläubigern die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten nur insoweit auferlegen, als die entsprechende Tätigkeit auf ihren Antrag zurückzuführen ist (§ 82 Abs. 2 Satz 3). 4. 28

Zuständigkeit

Die funktionelle Zuständigkeit für die Bearbeitung von Restrukturierungssachen liegt beim Richter51) und damit auch die mit der Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten zu treffenden gerichtlichen Entscheidungen. Anders als im Insolvenzverfahren liegt die Festsetzung der Vergütung im ausschließlichen Zuständigkeitsbereich des Restrukturierungsrichters. Da im Insolvenzverfahren mit Eröffnung des Verfahrens die funktionelle Zuständigkeit zur Festsetzung der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Eröffnung des Verfahrens auf den Rechtspfleger übergeht (sofern sich nicht der Richter die Entscheidung vorbehalten hat)52), ist der Insolvenzrichter nur noch in wenigen Fällen im Gerichtsalltag mit Vergütungsangelegenheiten befasst.53) Die funktionelle Zuständigkeit des Richters für die Vergütungsfestsetzung bleibt auch dann bestehen, wenn der Schuldner die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens gemäß § 31 Abs. 4 Nr. 1 zurücknimmt und sich ggf. ein Insolvenzverfahren anschließt (selbst wenn bei Insolvenzeröffnung noch keine Vergütungsentscheidung getroffen wurde).54) 5.

Punktuelle Relevanz der Vergütung in weiteren Vorschriften

a) Darstellung der Vergütung im Planangebot (§ 17 Abs. 1 Satz 2) 29

Auf Empfehlung des Rechtsausschusses wurde § 17 Abs. 1 Satz 2 im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens dahingehend ergänzt, dass dem Planangebot nicht nur der vollständige Restrukturierungsplan nebst Anlagen beizufügen ist, sondern auch eine Darstellung der bereits angefallenen und der noch zu erwartenden Kosten des Restrukturierungsverfahrens einschließlich der Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten.

30

Diese flankierende Maßnahme bezweckt eine Verbesserung der Kostentransparenz.55) Die Planbetroffenen sollen bei der von ihnen vorzunehmenden Bewertung der Eignung des Restrukturierungsplans zur Sicherung oder Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit des Schuldners auch die Höhe der Kosten der Restrukturierungssache einschließlich der Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten berücksichtigen können.56) Denn diese Kosten belasten einerseits die ohnehin schon angespannte Liquidität des Schuldners und sind andererseits bei wirtschaftlicher Betrachtung von den Planbetroffenen mitzufinanzieren, da der um die Restrukturierungskosten er_____________ 51) Vallender, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 30, was sich aus § 21 Abs. 6 GVG und der Begr. des Gesetzesentwurfs ergibt. 52) BGH, Beschl. v. 22.9.2010 – IX ZB 195/09, ZInsO 2010, 2103 ff. 53) Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2686. 54) Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2686. 55) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 6. 56) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 7.

1072

Schinkel

§ 80

Vergütungsanspruch

höhte Finanzierungsbedarf den Bedarf an Sanierungsbeiträgen der Planbetroffenen erhöht.57) Bei ihrer Entscheidung über die Zustimmung zum Plan sollen die Gläubiger damit mittelbar Einfluss auf eine kosteneffiziente Bearbeitung nehmen können.58) Zu den vom Schuldner darzulegenden Kosten der Restrukturierungssache gehören auch die Aufwendungen, die der Schuldner für von ihm beauftragte Sanierungsberater tätigt.59) b) Bestellung eines weiteren Restrukturierungsbeauftragten (§ 74 Abs. 3) Das Nebeneinander von zwei Restrukturierungsbeauftragten bedeutet das Nebeneinander von zwei Vergütungsansprüchen und damit eine Erhöhung der Kosten.60) Gemäß § 74 Abs. 3 hat das Gericht die Möglichkeit, in den Fällen eines auf Vorschlag des Schuldners (§ 74 Abs. 2 Satz 2) oder auf Vorschlag der Gläubiger (§ 74 Abs. 2 Satz 3) bestellten Restrukturierungsbeauftragten, einen weiteren Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen und diesem dessen Aufgaben zu übertragen (mit Ausnahme der Entscheidung über die Durchführung und ggf. der Leitung des Abstimmungsverfahrens nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 1, 2). Hintergrund ist, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit, bindende Vorschläge für die Auswahl des Restrukturierungsbeauftragten zu unterbreiten, befürwortet und gleichzeitig dem Gericht bei verbleibenden Zweifeln an der Unabhängigkeit der vorgeschlagenen Person die Möglichkeit geben will, einen weiteren Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen.61) Es bleibt abzuwarten, in welchem Umfang die gerichtliche Praxis von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird und ob sich die in den Kreisen der Verbände geäußerte Befürchtung realisiert, das Gericht könne den Schuldner mit der „Androhung“ einen Sonderbeauftragten zu bestellen (dessen Vergütungsbudget das Gericht bestimmt, § 81 Abs. 4), dazu nötigen, vor allem aus Kostengründen einen Vorschlag nicht weiterzuverfolgen, den das Gericht nicht akzeptieren möchte.62)

31

IV. Vergütungsvereinbarungen (Satz 2) Gemäß § 80 Satz 2 sind Vereinbarungen über die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten nur wirksam, wenn die Regelungen in §§ 81 ff. zum zulässigen Inhalt und zum Verfahren beachtet sind. Aufgrund dieser strengen Bindung an die materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen der §§ 81 ff. wird der Gestaltungsspielraum, die Vergütung durch Parteivereinbarung zu regeln, erheblich eingeschränkt. Die Regelung in § 83 Abs. 2 konkretisiert den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung mit dem fakultativen Restrukturierungsbeauftragten.

32

In der Literatur wird kritisch hinterfragt, ob die notwendige Neutralität des Restrukturierungsbeauftragten nicht tendenziell durch eine Vergütungsvereinbarun-

33

_____________ 57) 58) 59) 60)

Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 7. Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 6. Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 7. Vgl. krit. BRat, Stellungnahme des BRat und Gegenäußerung der BReg z. RegE z. SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24903, S. 17 f. 61) Stellungnahme des BRat und Gegenäußerung der BReg z. RegE z. SanInsFoG, BTDrucks. 19/24903, S. 34. 62) U. a. VID, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 58.

Schinkel

1073

§ 80

Vergütungsanspruch

gen gefährdet sei.63) Denn bei den Anforderungen an den Restrukturierungsbeauftragten orientiert sich § 74 Abs. 1 für dessen Bestellung an den Voraussetzungen der Bestellung des Insolvenzverwalters gemäß § 56 InsO und Sachwalters gemäß § 274 Abs. 1 InsO, und das bedeutet vor allem, dass der Beauftragten unabhängig und unparteiisch sein muss.64) Zudem greifen strukturelle Bedenken, wenn er durch hoheitlichen Ernennungsakt vom Gericht bestellt und beaufsichtigt wird, aber gleichzeitig die Modalitäten der Rechtsstellung durch den Abschluss privatautonomer Stundenvereinbarungen den Beteiligten überlassen werden könne.65) Zu berücksichtigen ist jedoch, dass eine Vergütungsvereinbarung nach § 80 Satz 2 nur wirksam ist, wenn die gesetzlichen Vorgaben in §§ 81 ff. beachtet sind (u. a. bedarf es des gerichtlichen Festsetzungsverfahrens, § 82) und die vereinbarte Vergütung einer Angemessenheitskontrolle durch das Gericht standhält.66) 1.

Zulässiger Inhalt von Vergütungsvereinbarungen

34

Gemäß § 80 Satz 2 ist Wirksamkeitsvoraussetzung für Vergütungsvereinbarungen mit dem Restrukturierungsbeauftragten, dass die in §§ 81 ff. normierten Bestimmungen zum zulässigen Inhalt beachtet sind.

35

Inhaltlich sind für die Wirksamkeit der Vergütungsvereinbarung im Regelfall der Stundensatzrahmen und die festgelegten Höchstbeträge nach § 81 Abs. 3 Satz 2 zu beachten. Sofern höhere Stundensätze als die in § 81 Abs. 3 Satz 2 normierten Grenzbeträge vereinbart werden sollen, bedarf es eines besonderen Falles gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1. So ist insbesondere denkbar, dass die Vereinbarung bereits die Zustimmung der voraussichtlichen Auslagenschuldner zu höheren Stundensätzen i. S. des § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 beinhaltet. Dabei steht es im Ermessen des Gerichts, ob es einer vom Regelfall abweichenden Vergütungsvereinbarung folgt, es sei denn, es handelt sich um einen Fall des § 83 Abs. 2, der das Gericht an die Vereinbarung bindet, soweit diese nicht die darin vorgeschriebene Grenze der Angemessenheit überschreitet (siehe § 83 Rz. 31 f.). Für eine von der Stundensatzvergütung abweichende Bemessungsgrundlage müssen die Voraussetzungen des § 83 Abs. 1 Satz 2 vorliegen. Insbesondere im Bereich der „besonderen Fälle“, in denen oftmals hoch- und mehrfachqualifizierte oder branchenaffine Restrukturierungsbeauftragte unter Hinzuziehung einer Vielzahl qualifizierter Mitarbeiter geeignet erscheinen, dürfte schon aufgrund von Planbarkeit und Kostentransparenz der Hauptanwendungsbereich für Vergütungsvereinbarungen liegen. Ein Gestaltungsspielraum für Vergütungsvereinbarungen dürfte sich darüber hinaus bei der Festlegung von Stundensätzen im Regelrahmen des § 81 Abs. 3 auch unterhalb der darin normierten Höchststundensätze ergeben, um liquiditätsschwächeren Schuldnern den Weg zum Verfahren zu eröffnen.67) Denkbar ist auch, dass sich der Restrukturierungsbeauf_____________ 63) Näher Thole, ZRI 2020, 393, 402; Frind, ZInsO 2020, 2241, 2248. 64) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 81 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 171. 65) Ausführlich Thole, ZRI 2020, 393, 402; gegen die Zulässigkeit von Vergütungsvereinbarungen: Zimmer, ZInsO 2020, 2117, 2129 f. 66) Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 80 Rz. 6. 67) Zur erwartenden Marktanpassung der Preise aus Perspektive der „Vergütungsgläubiger“: Zimmer, ZInsO 2020, 2117, 2123.

1074

Schinkel

§ 80

Vergütungsanspruch

tragte in der Vergütungsvereinbarung verpflichtet, von seinem Antragsrecht auf Stundenbudgetanpassung gemäß § 81 Abs. 6 nur in einem bestimmten Rahmen Gebrauch zu machen. Welche konkreten Vereinbarungen inhaltlich wirksam sind, werden die Praxis und die Rechtsprechung in naher Zukunft entscheiden. Jedenfalls werden solche Vergütungsvereinbarungen mangels hinreichender Bestimmtheit als inhaltlich unwirksam ausscheiden, in denen die Vergütung in das Ermessen des Restrukturierungsbeauftragten gestellt wird (vgl. §§ 315, 316 BGB).68) Es stellt sich die Frage, ob eine Vereinbarung über die Vergütung des Reststrukturierungsbeauftragten nur zwischen diesem und den Auslagenschuldnern, d. h. dem Schuldner oder den Gläubigern, die die vom Staat gezahlte Vergütung des Beauftragten letztlich als Kostenschuldner i. S. des § 25a GKG tragen, abgeschlossen werden kann oder auch Dritte als Partei einer Vergütungsvereinbarung in Betracht kommen können. Im Hinblick auf die Eigenschaft als Auslagenschuldner gibt § 82 Abs. 2 zwar vor, dass die Auslagen nur dem Schuldner oder den die Bestellung des Beauftragten beantragenden Gläubigern auferlegt werden können. Zudem erscheint ein Unternehmen, das schon die Kosten des Restrukturierungsverfahrens nicht decken kann, dem Gesetzgeber als ungeeignet für den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen.69) Gleichwohl ist bspw. denkbar, dass ein Dritter sich für die Kostenhaftung verbürgt und damit weiterer Kostenschuldner i. S. des § 29 Nr. 2 GKG wird.70) Gerade bei der Restrukturierung von Konzerngesellschaften oder im Fall der zu befürchtenden Bestellung eines weiteren Restrukturierungsbeauftragten kann die Hinzuziehung weiterer Kostenschuldner sach- und interessengerecht sein. 2.

36

Verfahrensrechtliche Bestimmungen

Die Wirksamkeit einer Vereinbarung über die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten setzt nach § 80 Satz 2 auch die Beachtung der verfahrensrechtlichen Bestimmungen der §§ 81 ff. voraus. Folglich wird in der Vergütungsvereinbarung u. a. nicht wirksam davon abgewichen werden können, dass unmittelbare Zahlungen an den Restrukturierungsbeauftragten nur aus der Staatskasse erfolgen71) und grundsätzlich mit der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten eine ex-ante-Festlegung der zwischen dem Beauftragten und den (voraussichtlichen) Auslagenschuldnern vereinbarten Vergütung durch das Gericht erfolgt (§ 81 Abs. 4).72) Gleiches gilt für die Festsetzung der Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten auf Antrag bei Amtsbeendigung durch das Gericht (§ 82 Abs. 1).73) Im Vorfeld bereits _____________ 68) Vgl. entsprechend zu dem nach JVEG vergüteten Sachverständigen: Bleutge in: BeckOKKostR, § 13 JVEG Rz. 17. 69) Stellungnahme des BRat und Gegenäußerung der BReg z. RegE z. SanInsFoG, BTDrucks. 19/24903, S. 19 mit Verweis auf d. Begr. z. § 13a GKG des RegE SanInsFoG v. 16.10.2020, BR-Drucks. 619/20, S. 255. 70) Für den Fall einer Verbürgung des Rechtsanwalts für die Vorschusszahlung i. S. des § 370 ZPO: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.10.1990 – 10 W 85/90, Rpfleger 1991, 128. 71) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176; Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, v. 16.10.2020, BR-Drucks. 619/20, S. 194; Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 80 Rz. 10. 72) A. A. Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 80 Rz. 7. 73) Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 80 Rz. 6; a. A. Braun-Wolf, StaRUG, § 83 Rz. 8.

Schinkel

1075

37

§ 81

Regelvergütung

abgestimmte und dem Gericht rechtzeitig vorgelegte Vereinbarungen zu Stundensatzhöhen, Stundenbudgets etc. dürften insbesondere zu einer Verfahrensbeschleunigung im Hinblick auf eine Anhörung der Beteiligten durch das Gericht (§ 81 Abs. 4 Satz 3) beitragen. 38

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist ferner beachtlich, dass eine zum Zeitpunkt der Bestellung des (fakultativen) Restrukturierungsbeauftragten bestehende Vereinbarung über seine Vergütung mit Gläubigern als Auslagenschuldnern (§ 77 Abs. 1 Satz 2) nicht dadurch unwirksam werden dürfte, weil sich der Schuldner während des laufenden Verfahrens durch die Beantragung von weiteren Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens selbst auch zum Auslagenschuldner macht und der vereinbarten Vergütung nicht zustimmt (vgl. § 82 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 3).74) _____________ 74) Klarstellend hat der Gesetzgeber bei der Formulierung in § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 StaRUG ergänzt, dass bei einer vereinbarten Vergütung auf die „voraussichtlichen“ Auslagenschuldner abzustellen ist, vgl. Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 10.

§ 81 Regelvergütung Schinkel

(1) Der Restrukturierungsbeauftragte erhält, soweit er persönlich tätig wird, ein Honorar auf der Grundlage angemessener Stundensätze. (2) Soweit der unterstützende Einsatz qualifizierter Mitarbeiter erforderlich ist, erhält der Restrukturierungsbeauftragte auch für deren Tätigkeit ein Honorar auf der Grundlage angemessener Stundensätze. (3) 1Bei der Bemessung der Stundensätze berücksichtigt das Restrukturierungsgericht die Unternehmensgröße, Art und Umfang der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners und die Qualifikation des Restrukturierungsbeauftragten sowie der qualifizierten Mitarbeiter. 2Im Regelfall beläuft sich der Stundensatz für die persönliche Tätigkeit des Restrukturierungsbeauftragten auf bis zu 350 Euro und für die Tätigkeit qualifizierter Mitarbeiter auf bis zu 200 Euro. (4) 1Mit der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten setzt das Restrukturierungsgericht die Stundensätze fest. 2Zugleich bestimmt es auf der Grundlage von Stundenbudgets, die dem voraussichtlichen Aufwand und der Qualifikation des Beauftragten und der qualifizierten Mitarbeiter angemessen Rechnung tragen, einen Höchstbetrag für das Honorar. 3Dazu hört das Restrukturierungsgericht die zu bestellende Person und diejenigen an, die die Auslagen nach Nummer 9017 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz schulden (Auslagenschuldner). (5) 1Die Bestellung eines fakultativen Restrukturierungsbeauftragten soll erst nach Zahlung der Gerichtsgebühr für die Bestellung nach Nummer 2513 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz und eines Vorschusses auf die Auslagen nach Nummer 9017 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz erfolgen. 2Erfolgt eine Bestellung von Amts wegen, soll das Restrukturie1076

Schinkel

§ 81

Regelvergütung

rungsgericht auch über jeden Antrag des Schuldners auf Inanspruchnahme eines Instruments des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens erst nach Zahlung der Gerichtsgebühr für die Bestellung nach Nummer 2513 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz und eines Vorschusses auf die Auslagen nach Nummer 9017 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz entscheiden. (6) 1Reichen die der Ermittlung des Höchstbetrags zugrunde gelegten Stundenbudgets für eine sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben und Befugnisse nicht aus, legt der Beauftragte Grund und Ausmaß des Erhöhungsbedarfs unverzüglich dem Restrukturierungsgericht dar. 2Das Restrukturierungsgericht hat in diesem Fall nach Anhörung der Auslagenschuldner unverzüglich über eine Anpassung der Budgets zu entscheiden. 3Absatz 5 gilt entsprechend. (7) Für den Ersatz der Auslagen gelten § 5 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und die §§ 6, 7 und 12 Absatz 1 Satz 2 Nummer 4 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes entsprechend. Literatur: Flöther, Der Restrukturierungsbeauftragte: Neue Figur in altbekanntem Gewand?, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 48; Frind, Überreguliert statt saniert? Zum RefE eines „StaRUG“, ZInsO 2020, 2241; Morgen, Das StaRUG – Aufbau, Inhalt, erste Fragen und Einschätzungen, Lücke für die Praxis passend geschlossen?, INDat Report 9/2020, S. 30; Seagon, Die Rolle des Restrukturierungsbeauftragten, Zur Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019, NZI Beilage Heft 16 – 17/2019, S. 73; Smid, Der Restrukturierungsbeauftragte in den Regelungen des StaRUG, ZInsO 2020, 2184; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Thole, Das Amt des Restrukturierungsbeauftragten – Umsetzungsperspektiven für den deutschen Gesetzgeber, ZRI 2020, 393. Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: DRB, Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts Nr. 10/20, v. 10/2020 (zit.: DRB, Stellungnahme z. SanInsFoG Nr. 10/20), abrufbar unter https://www.drb.de/fileadmin/DRB/pdf/Stellungnahmen/2020/DRB_ 201002_Stn_Nr_10_InsO_StARUG.pdf; Flöther, Stellungnahme als Sachverständiger zur öffentlichen Anhörung am 25. November 2020 im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung: Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) (BT-Drs. 19/24181, BR-Drs. 619/20), zum Antrag der Fraktion der FDP (BT-Drs. 19/20560) sowie zum Antrag der Fraktion der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BT-Drs. 19/24379) v. 23.11.2020 (zit.: Flöther, Stellungnahme z. RegE SanInsFoG, v. 23.11.2020), abrufbar unter https://www.bundestag.de/ resource/blob/808760/732d416d97b7596b0fc183a74ada8bb7/floether-data.pdf; Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme des Gravenbrucher Kreises zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 30.9.2020 (zit.: Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 30.9.2020), abrufbar unter https://www.gravenbrucher-kreis.de/2020/10/02/gravenbrucher-kreis-nimmt-stellung-zum-referentenentwurf-eines-gesetzes-zur-fortentwicklungdes-sanierungs-und-insolvenrechts/; Thole, Stellungnahme als Sachverständiger zur öffentlichen Anhörung am 25.11.2020 im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags zu dem Gesetzentwurf des SanInsFoG (BR-Drucks. 619/20) und dem Antrag der FDP-Fraktion (BT-Drucks. 19/20560) sowie zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BT-Drucks. 19/24379), v. 18.11.2020 (zit.: Thole, Stellungnahme z. RegE SanInsFoG, v. 18.11.2020, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/

Schinkel

1077

§ 81

Regelvergütung

resource/blob/807272/56e4f277fcfd5bb33b01d7b954e5793d/thole-data.pdf; VID, Stellungnahme des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), v. 2.10.2020 (zit.: VID, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020), abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/2020/10/VID-Stellungnahme-zum-RefESanInsFoG.pdf. (Abrufdatum jeweils 23.8.2021). Übersicht I. Normzweck und Normhistorie .......... 1 II. Honorar für persönliche Tätigkeiten des Restrukturierungsbeauftragten (Abs. 1) .................................... 3 III. Honorar für den Einsatz qualifizierter Mitarbeiter (Abs. 2) ................. 6 IV. Bemessungskriterien und Stundensatzgrenzen (Abs. 3) ............ 12 1. Bemessungskriterien der Stundensätze (Abs. 3 Satz 1) ............................ 14 2. Stundensatz-Höchstbeträge für den Regelfall (Abs. 3 Satz 2) ..................... 17 V. Bestimmung eines HonorarHöchstbetrages (Abs. 4) .................... 21 1. Festsetzung der Stundensätze (Abs. 4 Satz 1) ..................................... 22 2. Bestimmung des HonorarHöchstbetrages (Abs. 4 Satz 2) ......... 24 3. Gerichtliche Anhörung (Abs. 4 Satz 3) .................................................. 29

I.

VI. Vorwegleistungs- bzw. Vorschusspflicht (Abs. 5) ......................... 32 1. Vorleistungs- und Vorschusspflichtige .............................................. 35 2. Zahlung der Gerichtsgebühr nach Nr. 2513 KV GKG .............................. 36 3. Zahlung des Auslagenvorschusses nach Nr. 9017 KV GKG ..................... 37 4. Entscheidung des Gerichts ................. 38 VII. Nachträgliche Anpassung der Stundenbudgets (Abs. 6) ................... 39 1. Antrag auf Budgetanpassung (Abs. 6 Satz 1) ..................................... 40 2. Entscheidung des Gerichts nach Anhörung der Auslagenschuldner (Abs. 6 Satz 2) ..................................... 44 3. Vorschusspflicht bei Stundenbudgeterhöhung (Abs. 6 Satz 3) ........ 46 VIII. Auslagenersatz nach den Regelungen des JVEG (Abs. 7) ......... 48

Normzweck und Normhistorie

1

§ 81 normiert die Regelvergütung des Restrukturierungsbeauftragten. Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens haben insbesondere die in § 81 Abs. 3 vorgesehenen Höchstgrenzen für die Stundensätze der Tätigkeiten des Restrukturierungsbeauftragten und der qualifizierten Mitarbeiter (siehe Rz. 19) einen beachtlichen Diskussionsbedarf ausgelöst. Gleiches gilt für die verfahrensrechtlichen Regelungen in § 81, die zu Verfahrensverzögerungen führen können und dem Gericht u. a. mit der frühzeitigen Bestimmung von Studenbudgets schwierige Prognoseentscheidungen abverlangen (siehe Rz. 26 f.).

2

Bis auf klarstellende Ergänzungen bzw. Änderungen hinsichtlich der für alle Fälle der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten (siehe Rz. 35) sowie der nachträglichen Anpassung von Stundenbudgets (siehe Rz. 46 f.) geltenden Vorleistungs- bzw. Vorschusspflicht in § 81 Abs. 5 ist die Vorschrift in den Gesetzesentwürfen inhaltlich nicht verändert worden. Mit dem Ziel des Gesetzgebers, verbindliche Vorgaben für die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten aufzustellen,1) soll § 81 den Regelfall einer stundensatzbasierten Vergütung abbilden.

_____________ 1)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 87 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176.

1078

Schinkel

§ 81

Regelvergütung

II. Honorar für persönliche Tätigkeiten des Restrukturierungsbeauftragten (Abs. 1) Gemäß § 81 Abs. 1 erhält der Restrukturierungsbeauftragte ein Honorar auf der Grundlage angemessener Stundensätze, soweit er persönlich tätig wird.

3

Die Norm statuiert den Regelfall, in dem sich das nach Stundensätzen bemessene Honorar des Restrukturierungsbeauftragten nach seinem Zeitaufwand richten soll. Der Gesetzgeber begründet diese deutliche Abweichung der Regelvergütung von der Vergütung des in einem Insolvenzverfahren mit Eigenverwaltung tätigen Sachwalters mit dem davon deutlich (die in § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 genannten Fälle ausgenommen) abweichenden Aufgaben- und Tätigkeitsprofil eines Restrukturierungsbeauftragten.2) Das Amt des Restrukturierungsbeauftragten ist höchstpersönlich und erfordert ein persönliches Tätigwerden. Bei der Angemessenheit der seinem Honorar zugrunde liegende Stundensätze ist zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit als Restrukturierungsbeauftragter Berufsausübung i. S. des Art. 12 Abs. 1 GG ist und seiner Vergütung daher eine einkommenssichernde Funktion zukommt, d. h. seine Kosten decken und ihm einen Überschuss belassen muss.

4

Die Angemessenheit des Stundensatzes hat sich im Einzelfall an den besonderen Umständen des konkreten Restrukturierungsvorhabens und damit am Inhalt der Tätigkeit des Restrukturierungsbeauftragten zu orientieren. Denn die konkrete Aufgabenstellung im jeweiligen Einzelfall bestimmt auch die Anforderungen an die fachliche und persönliche Qualifikation des Restrukturierungsbeauftragten. Maßgeblich ist, dass die vom Gericht bei der Festsetzung des Stundensatzes zu berücksichtigenden Bemessungskriterien des § 81 Abs. 3 Satz 1 (siehe Rz. 14) eine angemessene Vergütung gewährleisten. Systematische Bedenken ergeben sich im Zusammenhang mit § 81 Abs. 4 Satz 1, denn das Gericht muss eine Festsetzung der Stundensatzhöhe verbindlich mit der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten vornehmen, ohne dass in diesem Zeitpunkt hinreichend sicher sein wird, welche Aufgaben und Befugnisse ihm im Verfahren übertragen werden. Die Stundensatzobergrenze beträgt gemäß § 81 Abs. 3 Satz 2 im Regelfall 350 €. Dieser Höchstbetrag kann in besonderen Fällen gemäß § 83 Abs. 1 (siehe § 83 Rz. 3 ff.) überschritten werden.

5

III. Honorar für den Einsatz qualifizierter Mitarbeiter (Abs. 2) Gemäß § 81 Abs. 2 erhält der Restrukturierungsbeauftragte auch für die Tätigkeit qualifizierter Mitarbeiter ein Honorar auf Grundlage angemessener Stundensätze, soweit ihr unterstützender Einsatz erforderlich ist.

6

Eine gesonderte Vergütung für den notwendigen Einsatz qualifizierter Mitarbeiter ist nach der Gesetzesbegründung bei einer stundensatzbasierten Vergütung erforderlich, um auch solche Restrukturierungsvorhaben sachgerecht abbilden zu können, in denen mehr qualifizierte Tätigkeiten anfallen, als ein Restrukturierungsbe-

7

_____________ 2)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 88 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176; Begr. RefE SanInsFoG z. § 85 StaRUG, S. 194, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021).

Schinkel

1079

§ 81

Regelvergütung

auftragter in eigener Person in der knappen zur Verfügung stehenden Zeit bewältigen kann.3) 8

Qualifizierte Mitarbeiter werden vom Gesetzgeber definiert als solche, deren Aufgaben über rein administrative Tätigkeiten hinausgehen und sich auf spezifisch i. R. der Restrukturierung zu erfüllende Tätigkeiten beziehen, welche besondere rechtliche oder betriebswirtschaftliche Kenntnisse voraussetzen, und die solche Kenntnisse auch aufgrund einer entsprechenden Ausbildung nachweislich besitzen.4) Daraus folgt, dass mit dem Honorar des Restrukturierungsbeauftragten jedenfalls die rein administrativen Tätigkeiten seiner Mitarbeiter und die sonstige personelle Infrastruktur bereits abgegolten sind.

9

Als Qualifikationsmerkmal für die einzusetzenden Mitarbeiter sollte sachgerechter Weise auf eine Ausbildung und Berufszugehörigkeit abgestellt werden, die grundsätzlich dazu befähigt, einzelne spezifische und über administrative Tätigkeiten hinausgehende Aufgaben i. R. des Restrukturierungsvorhabens zu erfüllen. Der eingesetzte Mitarbeiter muss nicht das gleiche Qualifikationsniveau des Restrukturierungsbeauftragten bzw. eine mit dem Beauftragten vergleichbare Expertise aufweisen.5) Dies folgt bereits aus den deutlich voneinander abweichenden Stundensatzobergrenzen in § 81 Abs. 3 Satz 2 (für den Restrukturierungsbeauftragten bis zu 350 € und für die qualifizierten Mitarbeiter bis zu 200 €). Zu der Personengruppe können neben Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern auch z. B. Wirtschaftsjuristen, Betriebswirte, wissenschaftliche Mitarbeiter bis hin zu besonders qualifizierten Rechtsanwalts- oder Steuerfachangestellten gehören. Bei besonders komplexen Restrukturierungsfällen kann der Restrukturierungsbeauftragte nicht nur auf den Einsatz von Mitarbeitern angewiesen sein, deren Qualifikations- und Kostenlevel sich unterhalb des Beauftragten selbst bewegt, sondern auch auf ähnlich qualifizierte Mitarbeiter. Hier können Vergütungsvereinbarungen sinnvoll sein, wenn der Stundensatz der Regelvergütung das Kostenlevel des Mitarbeiters im Innenverhältnis zum Restrukturierungsbeauftragten voraussichtlich nicht decken wird.6) Der Begriff „Mitarbeiter“ ist hinsichtlich der rechtlichen Ausgestaltung des Innenverhältnisses zum Beauftragen weit auszulegen. Neben Mitarbeitern, die zum Beauftragten im Angestelltenverhältnis stehen oder dessen Unternehmen oder auf selbstständiger Basis für ihn tätig sind,7) sollten insbesondere bei komplexen Restrukturierungsvorhaben auch Partner sowie ggf. hinzuziehende externe Dritte mit besonderer Sachkunde eingeschlossen sein. _____________ 3)

4)

5) 6) 7)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 88 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176; Begr. RefE SanInsFoG z. § 85 StaRUG, S. 194, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). Begr. RegE SanInsFoG z. § 88 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176; Begr. RefE SanInsFoG z. § 85 StaRUG, S. 194, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). Braun-Wolf, StaRUG, § 81 Rz. 3. Braun-Wolf, StaRUG, § 83 Rz. 9. Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 80 Rz. 1.

1080

Schinkel

§ 81

Regelvergütung

In welchen Fällen die normierte Erforderlichkeitsschwelle des unterstützenden Einsatzes von qualifizierten Mitarbeitern erreicht ist, wird im Wesentlichen vom Aufgabenumfang des Restrukturierungsbeauftragten abhängen und eine Einzelfallentscheidung notwendig machen. Dabei besteht die Schwierigkeit, bereits vor dem Beginn der Tätigkeit zu prognostizieren, welche qualifizierten Tätigkeiten er bei dem Restrukturierungsvorhaben nicht persönlich wird ausführen können und wie viele Mitarbeiter – die er gegenüber dem Gericht einzeln zu benennen hat8) – er miteinbezieht.

10

Die Angemessenheit der Stundensätze für die qualifizierten Mitarbeiter hat das Gericht im Einzelfall anhand der Bemessungskriterien des § 81 Abs. 3 Satz 1 (siehe Rz. 14) festzulegen. Die Stundensatzobergrenze für den Einsatz von qualifizierten Mitarbeitern beträgt gemäß § 81 Abs. 3 Satz 2 im Regelfall 200 €. Dieser Höchstbetrag kann in besonderen Fällen gemäß § 83 Abs. 1 überschritten werden.

11

IV. Bemessungskriterien und Stundensatzgrenzen (Abs. 3) Gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 hat das Gericht bei der Bemessung der jeweils für den Restrukturierungsbeauftragten (§ 81 Abs. 1) und die einzelnen von ihm benannten Mitarbeiter (§ 81 Abs. 2) festzulegenden Stundensätze die Unternehmensgröße, die Art und den Umfang der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners und die Qualifikation des Restrukturierungsbeauftragten sowie der qualifizierten Mitarbeiter zu berücksichtigen.9)

12

Dabei handelt es sich nicht um abschließende Bemessungskriterien. Jedenfalls werden Kriterien wie die voraussichtliche Dauer des Verfahrens und der zeitliche Gesamtumfang der Tätigkeit bereits vom Zeitaufwand nach § 81 Abs. 4 Satz 2 abgedeckt.10) Zusätzlich sind auch die Haftungsrisiken des Beauftragten bei der Bemessung einer angemessenen Stundensatzhöhe zu berücksichtigen.11) Dies ergibt sich bereits aus den Erwägungen des Gesetzgebers zu § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, wonach die Höchstbeträge der Regelvergütung u. a. in solchen besonderen Fällen überschritten werden können, in denen ein außergewöhnlich hohes Haftungsrisiko einem durchschnittlichen Zeitaufwand gegenübersteht.12) Auch die Stundensatzhöhen der am Verfahren beteiligten Sanierungsberater des Schuldners oder von Gläubigern können berücksichtigt werden.13) Schließlich spiegelt die stundenbasierte Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten nach dem Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz die Nähe des Restrukturierungsverfahrens zur Praxis der freien Sanierung wider.14)

13

_____________ 8) Begr. RegE SanInsFoG z. § 88 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176. 9) Begr. RegE SanInsFoG z. § 88 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176; Begr. RefE SanInsFoG z. § 85 StaRUG, S. 194, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 10) Entsprechend zur Vergütung der Gläubigerausschussmitglieder: BGH, Beschl. v. 14.1.2021 – IX ZB 71/18, ZIP 2021, 420, 422. 11) So auch Braun-Wolf, StaRUG, StaRUG, § 81 Rz. 5; Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 81 Rz. 4. 12) Begr. RegE SanInsFoG z. § 90 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 178. 13) Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 81 Rz. 4. 14) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 5.

Schinkel

1081

§ 81 1.

Regelvergütung

Bemessungskriterien der Stundensätze (Abs. 3 Satz 1)

14

Die Höhe der Stundensätze bemisst sich gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 zunächst an der Unternehmensgröße des Schuldners. In der Gesetzesbegründung fehlt es an einer näheren Definition dieses Parameters. Daher kann nur gemutmaßt werden, dass insbesondere Faktoren wie die Zahl der Arbeitnehmer und die Bilanzsumme (in Anlehnung an § 267 HGB)15) gemeint sind und die mit der zunehmenden Größe des Unternehmens in der Regel steigende Komplexität des Verfahrens (internationale Bezüge, Konzernstrukturen etc.) abgedeckt werden soll. Dabei muss der (ggf.) mit steigender Unternehmensgröße erhöhte Arbeitsaufwand ausgeblendet werden, der erst bei der Frage von angemessenen Stundenbudgets zu berücksichtigen ist.

15

Das Kriterium der Art und Weise der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners zielt darauf ab, welche Maßnahmen erforderlich sein werden, um eine Restrukturierungslösung zu realisieren und welcher Verbindlichkeitentypus im Wesentlichen betroffen ist: Handelt es sich um eine auf Finanzverbindlichkeiten und die zu deren Sicherung bestellten Sicherheiten konzentrierte Restrukturierung, bei der professionelle, gut beratene Gläubiger beteiligt sind (dann in der Regel höherer Stundensatz)? Oder stehen die Forderungen von Kleingläubigern, insbesondere Verbrauchern, Klein- und Kleinstunternehmen oder mittleren Unternehmen (dann in der Regel niedrigerer Stundensatz), im Vordergrund?16) Ein Indiz für den Grad der wirtschaftlichen Schwierigkeiten können auch die vom Schuldner ausgewählten Berater (und die von diesen angesetzten Stundensätze) sein. So ist anzunehmen, dass vom Schuldner in einfachen und wirtschaftlich weniger bedeutenden Fällen niedrigere Stundensätze für Berater als in rechtlich komplexen und wirtschaftlich bedeutenden Fällen aufgewendet werden.17)

16

Schließlich sind mit dem Kriterium der Qualifikation die in der Person des Restrukturierungsbeauftragten sowie der qualifizierten Mitarbeiter begründeten Umstände bei der Bemessung der Stundensatzhöhe heranzuziehen. Der Besitz der im Einzelfall erforderlichen Sachkunde spiegelt sich danach in der Vergütung wider. So werden die Prüfung und Überwachung des Restrukturierungsplans voraussichtlich eine andere fachliche Qualifikation (dann in der Regel höherer Stundensatz) erfordern, als die Rolle eines Verhandlungsmoderators (dann in der Regel niedriger Stundensatz). Maßgeblich für alle Bemessungskriterien ist eine Ausrichtung am konkreten Einzelfall, die sich im Ergebnis sowohl erhöhend als auch erniedrigend auf den zu bestimmenden Stundensatz auswirken kann. 2.

17

Stundensatz-Höchstbeträge für den Regelfall (Abs. 3 Satz 2)

In § 81 Abs. 3 Satz 2 werden die Stundensätze im Regelfall für die persönliche Tätigkeit des Restrukturierungsbeauftragten auf bis zu 350 € und für die Tätigkeit _____________ 15) Vgl. die „Unternehmensgröße“ als Kriterium der Zuschlagsbemessung einer Betriebsfortführung, Kübler/Prütting/Bork-Prasser/Stoffler, InsO, § 3 InsVV Rz. 7; Keller in: HKInsO, § 3 InsVV Rz. 20. 16) Entsprechend zur Auswahl der Planbetroffenen nach Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners gemäß § 10 Nr. 2 StaRUG: Begr. RegE SanInsFoG z. § 10 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 118. 17) Vgl. Morgen, INDat Report 9/2020, S. 31.

1082

Schinkel

§ 81

Regelvergütung

der qualifizierten Mitarbeiter auf bis zu 200 € gesetzlich begrenzt. Die Regelstundensätze können nach § 81 Abs. 3 Satz 1 an den konkreten Umständen und Verhältnissen des Falls nach unten angepasst werden.18) Dabei stellt der Gesetzgeber in der Begründung der Vorschrift klar, dass der genannte Regelrahmen der Stundensätze in besonders gelagerten Einzelfällen nach Maßgabe von § 83 Abs. 1 Satz 1 überschritten werden kann (siehe § 83 Rz. 3 ff.).19) Sofern der Restrukturierungsbeauftragte im Hinblick auf seine Aufgaben der Stellung eines Sachwalters in Eigenverwaltung nahekommt, eröffnet ihm § 83 Abs. 1 Satz 2 außerdem die Möglichkeit, von einem stundensatzorientierten Vergütungsmodell abzuweichen (siehe § 83 Rz. 19 ff.). Der Regelrahmen der Stundensätze gilt für den Regelfall. Das Gesetz selbst definiert keinen Regelfall. Sein Vorliegen kann aber von den (voraussichtlichen) Aufgaben und Befugnissen des Restrukturierungsbeauftragten im Verfahren nach seiner Bestellung abgeleitet werden: Je weiter sich sein Tätigkeitsbereich von einer unterstützenden und beratenden Funktion (z. B. bei der Ausarbeitung und Aushandlung des Restrukturierungsplan) sowie überwachenden Funktion (z. B. zum Vorliegen und Fortbestehen der Zugangsvoraussetzungen zum Verfahren) hin zu einer sachwalterähnlichen Tätigkeit (vgl. § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3) verdichtet und damit kein deutlich abweichendes Aufgaben- und Tätigkeitsprofil mehr zum Sachwalter besteht, desto eher wird kein „Regelfall“ mehr vorliegen.

18

Die gesetzlich normierten Stundensatz-Höchstbeträge stehen zu Recht im Fokus der Kritik in der Literatur. In kleineren, weniger komplexen Verfahren werden die Stundensätze von bis zu 350 € für den Restrukturierungsbeauftragten und bis zu 200 € für seine qualifizierten Mitarbeiter auskömmlich sein.20) Mit Blick auf größere Restrukturierungen, insbesondere mit internationalen Bezügen, bleiben die Stundensätze des § 81 Abs. 3 deutlich hinter einer marktüblichen Vergütung zurück.21) Der Restrukturierungsbeauftragte wird in entsprechenden Verfahren regelmäßig auf hochqualifizierte und hochbezahlte Berater des Schuldners und der Gläubiger treffen (mit Partnerstundensätzen von 600 – 700 €, in internationalen Fällen auch jenseits von 1.000 €), deren Arbeit er überwachen und Verhandlungen moderieren muss.22) Die dafür erforderliche Expertise setzt ein hohes Maß an Erfahrungen in der vorinsolvenzlichen Sanierungsberatung voraus, die nur eingeschränkt mit den Tätigkeiten eines Insolvenzverwalters/Sachwalters vergleichbar ist.23) Dies gilt nicht nur für den Restrukturierungsbeauftragten persönlich, sondern auch für das von ihm vorzuhaltende hochqualifizierte und marktgerecht bezahlte Personal, was mit einer Stundensatzobergrenze von 200 € kaum abgedeckt werden kann.24) Zudem wird der

19

_____________ 18) Smid, ZInsO 2020, 2184, 2195. 19) Begr. RegE SanInsFoG z. § 88 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176; Begr. RefE SanInsFoG z. § 85 StaRUG, S. 194, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 20) Morgen, INDat Report 9/2020, S. 31. 21) Thole, Stellungnahme z. RegE SanInsFoG, S. 7. 22) Morgen, INDat Report 9/2020, S. 31. 23) Seagon, NZI Beilage Heft 16 – 17/2019, S. 73, 75. 24) Morgen, INDat Report 9/2020, S. 31.

Schinkel

1083

§ 81

Regelvergütung

Beauftragte bei komplexeren Restrukturierungsfällen nicht nur auf den Einsatz von Mitarbeitern angewiesen sein, deren Qualifikations- und Kostenlevel sich unterhalb des Beauftragten selbst bewegt, sondern auch gleichqualifizierte Partner mit einbeziehen, deren Vergütung aber nicht auf sein Kostenlevel angehoben werden kann.25) Zutreffenderweise wird hierzu auch angemerkt, dass über § 83 zwar eine höhere Vergütung in besonderen Fällen möglich ist, darauf aber kein Anspruch besteht.26) 20

Schließlich steht die Regelvergütung in einem Missverhältnis zur umfangreichen Haftung des Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 75 Abs. 4 (i. V. m. § 78 Abs. 3 entsprechend für den fakultativen Restrukturierungsbeauftragten).27) Denn in größeren und komplexeren Restrukturierungsfällen, in denen oftmals Entscheidungen von erheblichem Wert vorbereitet und geprüft werden müssen (z. B. Forderungs- und Sicherheitenprüfung), ist die unbeschränkte persönliche Haftung des Beauftragten mit den vorgesehenen Stundensatzgrenzen unzureichend vergütet.28) Zwar besteht die Möglichkeit, bei Aufgaben mit einem hohen Haftungsrisiko, von der Regelvergütung des § 81 abzuweichen, einen durchsetzbaren Anspruch auf eine höhere Vergütung gemäß § 83 hat der Restrukturierungsbeauftragte aber nicht.29) Fälle, in denen ein außergewöhnlich hohes Haftungsrisiko einem durchschnittlichen Zeitaufwand gegenübersteht, wollte der Gesetzgeber insbesondere mit § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 abdecken, wenn sich sonst keine geeignete Person zur Übernahme des konkreten Amtes zu dem gesetzlichen Regelhöchstsatz bereit erklärt (siehe § 83 Rz. 8 ff.). Schließlich erschwert die betragsmäßige Normierung der Stunden-Höchstsätze spätere gesetzliche Anpassungen.30) V. Bestimmung eines Honorar-Höchstbetrages (Abs. 4)

21

Das Gericht setzt gemäß § 81 Abs. 4 bereits mit der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten die Stundensätze für seine Tätigkeit und die der qualifizierten Mitarbeiter fest (§ 81 Abs. 4 Satz 1) und bestimmt zugleich auf der Grundlage von Stundenbudgets, die dem voraussichtlichen Aufwand und der Qualifikation des Beauftragten und der qualifizierten Mitarbeiter angemessen Rechnung tragen, einen Höchstbetrag für das Honorar (§ 81 Abs. 4 Satz 2). Zuvor hat es sowohl die zu bestellende Person als auch diejenigen anzuhören, die die Auslagen nach Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum GKG schulden (Auslagenschuldner) (§ 81 Abs. 4 Satz 3) und damit letztlich die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten zu tragen haben (siehe § 80 Rz. 23 ff.). Mit der frühzeitigen Festsetzung der Stundensätze und Bestimmung von Stundenbudgets wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass der Restrukturierungsbeauftragte und die Kostenschuldner i. S. des § 25a GKG (siehe § 80 Rz. 25 ff.) von vornherein – nämlich schon vor dem Beginn der Tätig_____________ 25) VID, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 67. 26) VID, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 67. 27) U. a. Flöther, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 48, 51; Morgen, INDat Report 9/2020, S. 31; Thole, ZRI 2020, 393, 401; Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 30.9.2020, S. 11. 28) Morgen, INDat Report 9/2020, S. 31. 29) VID, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 63. 30) U. a. Thole, ZIP 2020, 1985, 1997 f.; Morgen, INDat Report 9/2020, S. 30.

1084

Schinkel

§ 81

Regelvergütung

keit des Restrukturierungsbeauftragten – die finanziellen Grundlagen für seine Tätigkeit einschätzen können.31) 1.

Festsetzung der Stundensätze (Abs. 4 Satz 1)

Gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 setzt das Gericht mit der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten die nach den Kriterien des § 81 Abs. 3 bemessenen Stundensätze sowohl für die Tätigkeit des Restrukturierungsbeauftragten als auch für die Tätigkeit der qualifizierten Mitarbeiter fest. Die Stundensätze sind nach dem Willen des Gesetzgebers dauerhaft verbindlich.32) Daraus folgt, dass sie – im Gegensatz zu den Stundenbudgets – weder nachträglich erhöht noch reduziert werden können. Das Gericht ist bei der Bestimmung der konkreten Stundensatzhöhen bis zum Erreichen der normierten Höchstbeträge frei in seiner Entscheidung (ohne an tabellarische Vorgaben, wie etwa nach dem JVEG, gebunden zu sein).33) Es bleibt zu erwarten, dass sich bei den einzelnen Restrukturierungsgerichten gewisse Gepflogenheiten bei der Festlegung der Stundensatzhöhe einpendeln und sich regionale Unterschiede bei der Bemessung der Regelvergütung ergeben werden. In Anbetracht der bezweckten Kostentransparenz dürfte jedenfalls die Festsetzung von „bis zu“ Stundensatzbeträgen abzulehnen und feste Beträge zu fordern sein. Gegen die gerichtliche Entscheidung der Festsetzung der Stundensätze nach § 81 Abs. 4 Satz 1 steht dem Restrukturierungsbeauftragten und jedem Auslagenschuldner das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach § 82 Abs. 3 zu.

22

Hinweis: Die nach § 81 Abs. 4 Satz 1 mit der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten festgesetzten Stundensätze haben sowohl für seine Tätigkeit als auch die Tätigkeit seiner Mitarbeiter verbindlichen Charakter und sind keiner nachträglichen Anpassung über § 81 Abs. 6 zugänglich. Daher sollte das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Vergütung in besonderen Fällen i. S. des § 83 Abs. 1 und die damit einhergehende Möglichkeit, von dem Regelrahmen der Stundensätze abzuweichen, rechtzeitig geprüft und i. R. der Anhörung nach § 81 Abs. 4 Satz 3 mit dem Gericht erörtert werden.

23

2.

Bestimmung des Honorar-Höchstbetrages (Abs. 4 Satz 2)

Das Gericht bestimmt mit der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten – neben der Festsetzung der Stundensätze – gemäß § 81 Abs. 4 Satz 2 einen Höchstbetrag für das Honorar. Den Höchstbetrag hat das Gericht auf der Grundlage von Stundenbudgets, die dem voraussichtlichen Aufwand und der Qualifikation des Beauftragten und der qualifizierten Mitarbeiter angemessen Rechnung tragen, zu ermitteln (Stundensatz x Stundenbudget = Honorar-Höchstbetrag). _____________ 31) Begr. RegE SanInsFoG z. § 88 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176; Begr. RefE SanInsFoG z. § 85 StaRUG, S. 195, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 32) Begr. RegE SanInsFoG z. § 88 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176; Begr. RefE SanInsFoG z. § 85 StaRUG, S. 195, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 33) Thole, ZIP 2020, 1985, 1997.

Schinkel

1085

24

§ 81

Regelvergütung

25

Nach der Gesetzesbegründung begrenzen die Stundenbudgets die Vergütungs- und Auslagenersatzansprüche des Restrukturierungsbeauftragten nach oben, solange keine Anpassung nach § 81 Abs. 6 erfolgt.34) Die gewählte Formulierung verwirrt, würde sie doch bedeuten, dass nicht nur das Honorar des Restrukturierungsbeauftragten der Höhe nach beschränkt würde, sondern darin auch schon seine ihm zu erstattenden Auslagen i. S. des § 81 Abs. 7 eingepreist sein müssten. Für den Umstand, dass auch die Auslagen bei der frühzeitigen Kostenschätzung zu berücksichtigen sind, spricht zwar das im Zusammenhang mit dem Vergütungsanspruch des Beauftragten (gemäß § 80 Satz 1: Honorar und Auslagen) vom Gesetzgeber angestrebte Ziel der frühzeitigen und verbindlichen Kostentransparenz. Eine realistische Prognostizierung von Auslagen zum Zeitpunkt der Bestellung dürfte jedoch kaum möglich sein. Auch die Systematik des § 81 lässt darauf schließen, dass der Erstattungsanspruch von Auslagen i. S. des § 81 Abs. 7 nicht von der ex-ante-Festlegung der Stundensätze und -budgets in § 81 Abs. 4 erfasst ist. Daher ist anzunehmen, dass durch eine Stundenbudgetbegrenzung für das Honorar mittelbar aufgrund einer zeitlichen Beschränkung auch der Auslagenersatzanspruch begrenzt werden soll.

26

Die Stundenbudgets müssen dem voraussichtlichen Aufwand und der Qualifikation des Beauftragten und seiner qualifizierten Mitarbeiter angemessen Rechnung tragen. Im Hinblick auf den voraussichtlichen Aufwand hat das Gericht eine Prognoseentscheidung zu treffen. Dem Umstand, dass nicht immer im Zeitpunkt der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten hinreichend klar vorhersehbar sei, welchen zeitlichen Aufwand die Erfüllung der Aufgaben des Reststrukturierungsbeauftragten für ihn und seine qualifizierten Mitarbeiter verursachen, will der Gesetzgeber mit der Möglichkeit einer nachträglichen Stundenbudgetanpassung gemäß § 81 Abs. 6 Rechnung tragen.35) Diese Vorab-Budgetierung ist (berechtigterweise) erheblicher Kritik ausgesetzt, da die vom Gericht geforderte Prognoseentscheidung als vollkommen praxisfern zu deklarieren ist.36) Der vermeintlich „nicht immer“ hinreichend klar vorhersehbare zeitliche Aufwand, wird grundsätzlich nicht hinreichend klar vorsehbar sein. Eine realistische Abschätzung des Zeitaufwandes ist nicht möglich, da zum Zeitpunkt der Bestellung des Beauftragten nicht absehbar ist, wie intensiv und langwierig Verhandlungen mit Gläubigern werden, welche Stabilisierungsanordnungen notwendig werden, welche Kontrolldichte erforderlich ist etc.37)

27

Die Gerichte werden vor eine Herausforderung gestellt, wenn sie zu einem derart frühen Verfahrenszeitpunkt den gesamten Stundenaufwand für den Beauftragten und die einzelnen, von ihm benannten Mitarbeiter festzulegen haben. Wird der Stundenaufwand zu niedrig angesetzt, folgt daraus sowohl für den Restrukturie_____________ 34) Begr. RegE SanInsFoG z. § 88 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176; Begr. RefE SanInsFoG z. § 85 StaRUG, S. 195, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 35) Begr. RegE SanInsFoG z. § 88 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 177. 36) Morgen, INDat Report 9/2020, S. 30; Flöther, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 48, 51. 37) Morgen, INDat Report 9/2020, S. 30: Daher wird das erste Budget regelmäßig „ein Schuss ins Blaue“ sein.

1086

Schinkel

§ 81

Regelvergütung

rungsbeauftragten als auch für das Gericht der Aufwand, sich mit einer Budgetanpassung nach § 81 Abs. 6 beschäftigen zu müssen. Wird der Stundenaufwand zu hoch angesetzt, könnte sich dies als Wettbewerbsnachteil des Restrukturierungsbeauftragten bei einer künftigen Berücksichtigung erweisen. Im letzteren Fall sollte mit dem Gericht erörtert werden, wie sich ein von vornherein großzügig bemessenes Stundenbudget als Multiplikator für den Honorar-Höchstbetrag auf die im Ermessen des Gerichts festzulegende Höhe des zu zahlenden Auslagenvorschusses nach Nr. 9017 Kostenverzeichnis zum GKG auswirkt (siehe Rz. 38). Gegen die Bestimmung des Honorar-Höchstbetrages nach § 81 Abs. 4 Satz 2 steht dem Restrukturierungsbeauftragten und jedem Auslagenschuldner das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach § 82 Abs. 3 zu. 3.

28

Gerichtliche Anhörung (Abs. 4 Satz 3)

Aufgrund des dauerhaft verbindlichen Charakters der festgesetzten Stundensätze und der begrenzten Stundenbudgets, die nur noch im begründeten Einzelfall einer Anpassung nach § 81 Abs. 6 zugänglich sind, ist dem Restrukturierungsbeauftragten und allen Kostenschuldnern vor der Entscheidung des Gerichts rechtliches Gehör zu gewähren.38) Anzuhören ist als Kosten- bzw. Auslagenschuldner der Schuldner (§ 25a Abs. 1 GKG) oder bei einer fakultativen Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten die entsprechende Gläubigerfraktion (§ 25a Abs. 2 GKG) (siehe auch § 80 Rz. 27).

29

Das Anhörungsgebot dient rechtsstaatlichen Grundsätzen (Art. 103 Abs. 1 GG). Dadurch kann rechtzeitig die Angemessenheit der angesetzten Stundensätze (insbesondere für den Fall von erhöhten Stundensätzen, § 83 Abs. 1 Satz 1) und der Stundenbudgets geprüft werden. Vorteilhaft ist, dass durch die vorherige Möglichkeit der Stellungnahme des designierten Restrukturierungsbeauftragten sowie der Auslagenschuldner (in den meisten Fällen der Schuldner) eventuelle Ungereimtheiten zur Vergütung bereits im Vorfeld ausgeräumt (bzw. ausgehandelt) werden können und für Kostentransparenz gesorgt ist. Insbesondere kann damit verhindert werden, dass sich nach Beendigung des Amtes des Beauftragten im Vergütungsfestsetzungsverfahren eine kontroverse Diskussion zur Frage seiner Vergütung entwickelt.

30

Nachteilhaft ist jedoch, dass das in § 81 Abs. 4 vorgesehene Prozedere, insbesondere die vorherige Anhörung der Beteiligten, zu Verfahrensverzögerungen führen kann. Einerseits ist der zu Beauftragende gezwungen, vorab mit dem Restrukturierungsgericht in (ggf. schwierige) Verhandlungen über seine „billable hours“ einzutreten.39) Andererseits kann es mit steigender Anzahl der anzuhörenden Personen, weil etwa gesamtschuldnerische Auslagenschuldner eine die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten beantragende Gläubigergruppe ist (§ 77 Abs. 1 Satz 2), zu zeitlichen Verzögerungen kommen. Insoweit liegt es auch an den Beteiligten, dem Gericht die für die Festsetzung des Stundensatzes und Bestimmung des Honorar_____________

31

38) Begr. RegE SanInsFoG z. § 88 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176; Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, v. 16.10.2020, BR-Drucks. 619/20, S. 204; Begr. RefE SanInsFoG z. § 85 StaRUG, S. 195, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 39) Vgl. Thole, Stellungnahme z. RegE SanInsFoG, v. 18.11.2020, S. 7.

Schinkel

1087

§ 81

Regelvergütung

Höchstbetrages wesentlichen „Eckdaten“ des Verfahrens und den Umfang der zu regelnden Sachverhalte rechtzeitig und gut vorbereitet darzulegen.40) VI. Vorwegleistungs- bzw. Vorschusspflicht (Abs. 5) 32

§ 81 Abs. 5 regelt die für alle Fälle der gerichtlichen Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten vorgesehene Vorwegleistungs- bzw. Vorschusspflicht hinsichtlich der Zahlung der Gerichtsgebühr für die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten nach Nr. 2513 des Kostenverzeichnisses zum GKG sowie der Zahlung eines Vorschusses auf die Auslagen nach Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum GKG. Über den Verweis in § 81 Abs. 6 Satz 3 gilt die Vorschusspflicht zudem für die Auslagen im Fall einer Vergütungserhöhung des Restrukturierungsbeauftragten infolge der nachträglichen Anpassung der Stundenbudgets.

33

Da der Restrukturierungsbeauftragte seine Vergütung ausschließlich aus der Staatskasse erhält, soll die öffentliche Hand davor geschützt werden, mit den Kosten in Vorleistung (Vorwegleistungspflicht) gehen zu müssen und u. U. den gegen den Auslagenschuldner bestehenden Ersatzanspruch später nicht realisieren zu können.41) Dabei hat der Gesetzgeber insbesondere die Erwägung zugrunde gelegt, dass ein Unternehmen, das die mit einer Restrukturierung einhergehenden Kosten nicht decken kann, für den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ungeeignet erscheint.42)

34

Im RefE wurde zunächst nur die Bestellung eines fakultativen Restrukturierungsbeauftragten an die Zahlung eines Vorschusses auf die Auslagen nach Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum GKG gebunden.43) Erst im RegE wurde als weitere Voraussetzung für die Bestellung des fakultativen Restrukturierungsbeauftragten die Zahlung der Gerichtsgebühr für den Bestellungsakt ergänzt und mit einem Satz 2 auch die Fälle der notwendigen Bestellung eines Beauftragten abgedeckt, indem alle weiteren Entscheidungen über vom Schuldner beantragte Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens erst erfolgen, wenn die Gerichtsgebühr und ein entsprechender Auslagenvorschuss eingezahlt wurde.44) Bei der Formulierung des Gesetzestextes wurde zuletzt in § 81 Abs. 5 Satz 2 einem Änderungsvorschlag des Bundesrates entsprochen, der die Vorwegleistungspflicht für alle Fälle einer gerichtlichen Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten sichergestellt wissen _____________ 40) Vgl. DRB, Stellungnahme z. SanInsFoG Nr. 10/20, S. 8; Frind, ZInsO 2020, 2241, 2248. 41) Begr. RegE SanInsFoG z. § 88 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 177; Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, v. 16.10.2020, BR-Drucks. 619/20, S. 204; Begr. RefE SanInsFoG z. § 85 StaRUG, S. 195, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 42) Stellungnahme des BRat und Gegenäußerung der BReg z. RegE z. SanInsFoG, BTDrucks. 19/24903, S. 19 mit Verweis auf d. Begr. z. § 13a GKG des RegE SanInsFoG, v. 16.10.2020, BR-Drucks. 619/20, S. 255. 43) Begr. RefE SanInsFoG z. § 85 StaRUG, S. 195, abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob= publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 23.8.2021). 44) Begr. RegE SanInsFoG z. § 88 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 177; Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, v. 16.10.2020, BR-Drucks. 619/20, S. 204.

1088

Schinkel

§ 81

Regelvergütung

wollte.45) Neben einer Bestellung auf Antrag soll bei einer von Amts wegen zu treffenden Entscheidung die Vorschusspflicht nicht nur bei einer zwingend zu erfolgenden Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten gelten, sondern auch, wenn die Entscheidung im Ermessen des Restrukturierungsgerichts liegt (vgl. §§ 73 Abs. 3, 74 Abs. 3).46) 1.

Vorleistungs- und Vorschusspflichtige

Schuldner der Gerichtsgebühr und des Auslagenvorschusses ist im Fall der fakultativen Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten nach § 81 Abs. 5 Satz 1 entweder der die Bestellung anstrebende Schuldner (§ 77 Abs. 1 Satz 1) oder gesamtschuldnerisch die den Antrag stellenden Gläubiger (§ 77 Abs. 1 Satz 2). Handelt es sich um eine von Amts wegen erfolgende Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten (§ 73) hat der Schuldner für dessen Vergütung einzustehen, weshalb das Gericht die weiteren Entscheidungen über seine Anträge auf Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens gemäß § 81 Abs. 5 Satz 2 auch erst nach der durch ihn erfolgten Zahlung der Gerichtsgebühr sowie eines Auslagenvorschusses treffen soll. 2.

Zahlung der Gerichtsgebühr nach Nr. 2513 KV GKG

Die Gerichtsgebühr nach Nr. 2513 des Kostenverzeichnisses zum GKG i. H. von 500 € fällt an, wenn in einer Restrukturierungssache ein Restrukturierungsbeauftragter von Amts wegen oder auf Antrag bestellt wird.47) Es handelt sich um eine Festgebühr, mit der sämtliche Tätigkeiten des Gerichts im Zusammenhang mit der Bestellung und insbesondere auch die Aufsicht über den Restrukturierungsbeauftragten abgegolten sind.48) Die Einführung einer Festgebühr verhindere nach dem Gesetzgeber unbillige Ergebnisse vor dem Hintergrund des sich nicht ohne weiteres aus den Nennbeträgen der betroffenen Forderungen, Rechte und Beteiligungen abzuleitenden wirtschaftlichen Interesses des Schuldners an dem Verfahren.49) Diese Vorwegleistungspflicht steht insoweit im Einklang mit § 13a Abs. 2 GKG, nach dem über den Antrag auf Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten oder eines Sanierungsmoderators erst nach Zahlung der entsprechenden Akt- oder Verfahrensgebühr entschieden wird (vgl. § 13a GKG).50) 3.

35

36

Zahlung des Auslagenvorschusses nach Nr. 9017 KV GKG

Die Höhe des zu zahlenden Vorschusses auf die Auslagen nach Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum GKG wird in § 81 Abs. 5 nicht vorgegeben. Der Vorschuss sollte indes ausreichen, um die voraussichtlichen Auslagen, d. h. die aus der Staats_____________ 45) Stellungnahme des BRat und Gegenäußerung der BReg z. RegE z. SanInsFoG, BTDrucks. 19/24903, S. 18. 46) Stellungnahme des BRat und Gegenäußerung der BReg z. RegE z. SanInsFoG, BTDrucks. 19/24903, S. 18. Statt „Hat eine Bestellung von Amts wegen zu erfolgen“ beginnt § 81 Abs. 5 Satz 2 nunmehr mit „Erfolgt eine Bestellung von Amts wegen“. 47) Begr. RegE SanInsFoG z. Gebühr 2513 KV GKG, BT-Drucks. 19/24181, S. 220. 48) Begr. RegE SanInsFoG z. Gebühr 2513 KV GKG, BT-Drucks. 19/24181, S. 220. 49) Begr. RegE SanInsFoG z. Gebühr 2513 KV GKG, BT-Drucks. 19/24181, S. 220. 50) Begr. RegE SanInsFoG z. GKG, BT-Drucks. 19/24181, S. 218; Begr, RegE SanInsFoG z. GKG, v. 16.10.2020, BR-Drucks. 619/20, S. 255.

Schinkel

1089

37

§ 81

Regelvergütung

kasse an den Restrukturierungsbeauftragten nach Beendigung seines Amtes zu zahlende Vergütung als Teil der Gerichtskosten, zu decken. Dementsprechend bleibt zu erwarten, dass sich das Gericht bei der vom Auslagenschuldner anzufordernden Vorschusszahlung an der Höhe der prognostizierten Kosten des Restrukturierungsbeauftragten i. S. des § 81 Abs. 4 Satz 2 und damit an dem zu ermittelnden Honorar-Höchstbetrag orientieren wird. Dies steht im Einklang mit dem Verweis in § 81 Abs. 6 Satz 3, wonach bei einer nachträglichen Erhöhung des Vergütungsbudgets des Restrukturierungsbeauftragten das weitere gerichtliche Tätigwerden erneut an eine Vorschusszahlung gebunden werden soll, um die Mehrkosten des bereits bestellten Restrukturierungsbeauftragten zu decken. 4. 38

Entscheidung des Gerichts

§ 81 Abs. 5 ist als „Soll“-Vorschrift ausgestaltet, so dass dem Gericht nur ein begrenzter Ermessensspielraum verbleibt, ob es eine Vorwegleistung der Gerichtsgebühr bzw. einen Vorschuss auf die Auslagen (und falls ja, deren Höhe) vor der Bestellung des fakultativen Restrukturierungsbeauftragten bzw. vor der Entscheidung über ein vom Schuldner beantragtes Instrument i. S. des § 29 bei einer von Amts wegen erfolgten Bestellung des Beauftragten anfordert.51) Denkbar sind begründete Ausnahmefälle, bei denen das fiskalische Interesse der Justizkasse an entsprechenden Zahlungen noch vor einer gerichtlichen Entscheidung hinter etwa drohenden, besonders unbilligen Verfahrensverzögerungen zurücktritt. VII.

39

1. 40

Nachträgliche Anpassung der Stundenbudgets (Abs. 6)

Sofern sich im Verlauf einer Restrukturierungssache ergibt, dass die bei Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten für die Ermittlung des Honorar-Höchstbetrages angenommenen Stundenbudgets nicht ausreichen, um seine Aufgaben und Befugnisse sachgerecht wahrnehmen zu können, kann das Gericht gemäß § 81 Abs. 6 über eine Anpassung der Stundenbudgets und damit über eine Erhöhung des Honorar-Höchstbetrages entscheiden. Der Gesetzgeber wollte dem Umstand Rechnung tragen, dass im Zeitpunkt der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten nicht immer hinreichend klar vorhersehbar sei, welchen zeitlichen Aufwand die Erfüllung der Aufgaben des Reststrukturierungsbeauftragten für ihn und seine qualifizierten Mitarbeiter verursachen.52) Bei der Entwicklung der Norm wurde zuletzt mit dem in § 81 Abs. 6 Satz 3 eingefügten Verweis auf § 81 Abs. 5 der vom Bundesrat begehrten Änderung entsprochen, die Vorschusspflicht im Interesse der Staatskasse entsprechend für die mit einer Anpassung des Stundenbudgets verbundenen Mehrkosten des Restrukturierungsbeauftragten gelten zu lassen.53) Antrag auf Budgetanpassung (Abs. 6 Satz 1)

Wenn die der Ermittlung des Honorar-Höchstbetrags zugrunde gelegten Stundenbudgets i. S. des § 81 Abs. 4 Satz 2 für eine sachgerechte Wahrnehmung der Auf_____________ 51) Vgl. Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 81 Rz. 7. 52) Begr. RegE SanInsFoG z. § 88 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 177. 53) Stellungnahme des BRat und Gegenäußerung der BReg z. RegE SanInsFoG, BTDrucks. 19/24903, S. 19 f.

1090

Schinkel

§ 81

Regelvergütung

gaben und Befugnisse des Restrukturierungsbeauftragten für ihn und/oder seine Mitarbeiter nicht ausreichen, legt der Beauftragte Grund und Ausmaß des Erhöhungsbedarfs gemäß § 81 Abs. 6 Satz 1 unverzüglich dem Gericht dar. Zu beachten ist, dass der Gesetzgeber eine spätere Honorarfestsetzung über das ursprüngliche Stundenbudget oder das vom Gericht erhöhte Budget hinaus ausdrücklich ausgeschlossen hat.54) Im Gegensatz zum Stundenbudget kann der bei der Bestellung des Beauftragten festgesetzte Stundensatz nicht nachträglich auf Basis des § 81 Abs. 6 angepasst werden. Der Restrukturierungsbeauftragte kann eine Stundenbudgetanpassung beantragen, muss dafür aber den Erhöhungsbedarf hinreichend begründen.55) In dem Antrag auf Anpassung der Stundenbudgets ist folglich darzulegen, warum und in welchem Umfang die zum Bestellungszeitpunkt bestimmten Budgets i. S. des § 81 Ab. 4 Satz 2 (die dem voraussichtlichen Aufwand sowie der Qualifikation des Beauftragten und seiner Mitarbeiter angemessen Rechnung tragen sollen) zu erhöhen sind. Denkbare Begründungsansätze sind, dass der zeitliche Aufwand der zum Bestellungszeitpunkt bereits definierten Aufgaben entgegen der ex-ante-Festlegung tatsächlich höher ausgefallen ist (z. B. weil sich der Arbeitsaufwand im Verfahren als komplexer herausgestellt hat, weitere Gläubiger einzubeziehen waren etc.) oder schlicht weitere Aufgaben im Verlauf des Verfahrens hinzugekommen sind. Die Anträge über eine Budgetanpassung können mehrfach gestellt werden.56)

41

Die nachträgliche Erhöhung des Vergütungsbudgets setzt ein unverzügliches Tätigwerden des Restrukturierungsbeauftragten voraus. Analog § 121 Abs. 1 BGB wird eine Antragstellung und Geltendmachung des Erhöhungsbedarfs bei Gericht „ohne schuldhaftes Zögern” erfolgen müssen. Er ist in seinem eigenen Interesse gehalten, einen erkennbaren Budgetanpassungsbedarf so rechtzeitig beim Gericht anzumelden, dass über den Anpassungsantrag entschieden werden kann, bevor das Budget aufgebraucht ist.57) Denn wird der Beauftragte über das Budget hinaus tätig, bevor über den Antrag auf Budgetanpassung entschieden ist, läuft er Gefahr, dass dem Antrag nicht stattgegeben wird und er deshalb für die das Budget übersteigenden Stunden endgültig nicht vergütet wird.58) Danach gehen sämtliche Verzögerungen nach der Antragstellung auf Budgetanpassung im Zeitraum bis zur gerichtlichen Entscheidung im Zweifel zu Lasten des Restrukturierungsbeauftragten, dessen Tätigkeit nur im bis dahin verbleibenden Stundenbudget vergütet wird. Dabei sollte berücksichtigt werden, ob etwaige Verzögerungen auf ein Verschulden des Restrukturierungsbeauftragten zurückzuführen sind (etwa in Anlehnung an § 8a Abs. 4 JVEG, der die Vergütungshöhe des gerichtlich bestellten Sachverständigen auf die Höhe des vorhandenen Auslagenvorschusses begrenzt, sofern er den nicht rechtzeitig erteilten Hinweis auf den die Vergütung erheblich übersteigenden Auslagenvorschuss zu vertreten hat).

42

_____________ 54) 55) 56) 57) 58)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 88 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 177. Begr. RegE SanInsFoG z. § 88 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 177. Braun-Wolf, StaRUG, § 81 Rz. 9. Begr. RegE SanInsFoG z. § 88 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 177. Begr. RegE SanInsFoG z. § 88 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 177.

Schinkel

1091

§ 81 43

Regelvergütung

Hinweis: Bei der späteren Honorarfestsetzung ist eine Überschreitung des zum Zeitpunkt der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten bestimmten Stundenbudgets oder des durch das Gericht nach § 81 Abs. 6 nachträglich erhöhten Budgets ausgeschlossen. Daher sollte auf eine gründliche Tätigkeits- und Zeiterfassung und Stundenbudgetkontrolle geachtet werden, um so früh wie möglich eine Stundenbudgeterhöhung beim Gericht zu beantragen und eine Angleichung der Stundenbudgets mit dem tatsächlich zu erwartenden Erfüllungsaufwand zu erreichen. Um Nachteile zu vermeiden, sollte sich der Beauftragte nach einer beantragten Budgetanpassung, aber noch vor dem Verbrauch des ursprünglichen Budgets mit dem Gericht abstimmen, wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist und ob er seine Tätigkeit nur bis zur Erschöpfung des Budgets fortführen soll. 2.

Entscheidung des Gerichts nach Anhörung der Auslagenschuldner (Abs. 6 Satz 2)

44

Das Restrukturierungsgericht hat über den Antrag des Restrukturierungsbeauftragten nach Anhörung der Auslagenschuldner gemäß § 81 Abs. 6 Satz 2 unverzüglich über eine Anpassung der Budgets zu entscheiden. Anknüpfend an die bereits vor der Bestellung des Beauftragten erfolgte Anhörung der Auslagenschuldner zu den u. a. ursprünglich bestimmten Stundenbudgets gemäß § 81 Abs. 4 Satz 3, hat das Gericht diejenigen anzuhören, die die Auslagen nach Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz schulden und damit letztlich auch die durch eine Erhöhung des Stundenbudgets verursachten Mehrkosten des Restrukturierungsbeauftragten zu tragen haben. Anzuhören ist folglich der Schuldner (§ 25a Abs. 1 GKG) oder bei einer auf Antrag von Gläubigern erfolgten fakultativen Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten die entsprechende Gläubigerfraktion (§ 25a Abs. 2 GKG). Das Gericht ist daran gehalten, nach einer entsprechenden Anhörung der Auslagenschuldner unverzüglich eine Entscheidung zu treffen.

45

Gegen die Entscheidung des Gerichts über die Budgetanpassung und damit des Honorar-Höchstbetrages steht dem Restrukturierungsbeauftragten und jedem Auslagenschuldner die sofortige Beschwerde nach § 82 Abs. 3 zu. 3.

Vorschusspflicht bei Stundenbudgeterhöhung (Abs. 6 Satz 3)

46

Über den Verweis in § 81 Abs. 6 Satz 3 gilt die Vorschusspflicht des § 81 Abs. 5 für eine nachträgliche Erhöhung des Stundenbudgets des Restrukturierungsbeauftragten entsprechend.

47

Dem erst in den letzten Zügen des Gesetzgebungsverfahrens aufgenommene Verweis in Satz 3 liegt die Erwägung des Bundesrates zugrunde, dass es nicht hingenommen werden könne, dass die mit einer Budgetanpassung verbundenen Mehrkosten des Restrukturierungsbeauftragten erst nach Beendigung der Restrukturierungssache erhoben werden können.59) Insbesondere in Restrukturierungssachen, in denen eine drohende Zahlungsunfähigkeit Verfahrensvoraussetzung ist, müsse eine Schlecht-

_____________ 59) Stellungnahme des BRat und Gegenäußerung der BReg z. RegE z. SanInsFoG, BTDrucks. 19/24903, S. 12.

1092

Schinkel

§ 81

Regelvergütung

erstellung der Staatskasse vermieden werden.60) Dabei hat der Bundesrat durchaus gesehen, dass die Vorschusspflicht zu Verzögerungen führen könnte. Unbillige Verfahrensverzögerungen seien jedoch nicht zu erwarten, da der Restrukturierungsbeauftragte vor einem Aufbrauchen des zunächst bestimmten Honorars verpflichtet sei, den Erhöhungsbedarf so rechtzeitig anzumelden, dass dem Restrukturierungsgericht weitere Veranlassungen möglich sind.61) Daraus folgt, dass eine nachträgliche Erhöhung des Budgets durch das Gericht grundsätzlich erst nach Zahlung eines weiteren Vorschusses auf die Auslagen nach Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum GKG erfolgen soll. Auch hier handelt es sich aber um eine Ermessensentscheidung des Gerichts, so dass es in Anbetracht der vom Gesetzgeber in § 81 Abs. 6 Satz 2 geforderten unverzüglichen Entscheidung die Budgetanpassung nicht von einer erfolgten Vorschusszahlung abhängig machen muss. VIII. Auslagenersatz nach den Regelungen des JVEG (Abs. 7) Als weiteren Vergütungsbestandteil neben seinem Honorar kann der Restrukturierungsbeauftragte auf Grundlage des Verweises in § 81 Abs. 7 den Ersatz seiner Auslagen nach §§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 (Fahrtkostenersatz/Benutzung eines Kraftfahrzeuges), § 6 (Entschädigung für Aufwand), § 7 (Ersatz für sonstige Aufwendungen) und § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 (Ersatz für besondere Aufwendungen/die auf die Vergütung entfallende Umsatzsteuer) des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) verlangen. Gleiches gilt für die Auslagen der ggf. eingesetzten qualifizierten Mitarbeiter des Restrukturierungsbeauftragten.62) Bislang unklar ist, ob i. R. der Regelvergütung die Kosten einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung gesondert als Auslagen erstattet werden.63) Dagegen spricht, dass für den Auslagenersatz des Beauftragten die genannten Vorschriften des JVEG entsprechend gelten und anteilige Kosten für den Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung nicht zu den erstattungsfähigen besonderen Aufwendungen gehören, sondern mit der Vergütung als Gemeinkosten abgegolten sind.64) Zudem wurde eine gesetzliche Regelung, wonach dem Beauftragten die Kosten einer angemessenen Haftpflichtversicherung als Auslagen zu erstatten sind, entgegen der ausdrücklichen Empfehlung,65) nicht im Gesetz implementiert. Da die Kosten einer Haftpflichtversicherung nur über § 83 Abs. 1 Satz 2 als Bestandteil der Vergütung festgesetzt werden können, sollte in Abhängigkeit vom im Einzelfall bestehenden Haftungsrisiko entschieden werden, ob diese i. S. des § 12 Abs. 1 Satz 1 JVEG als Auslagen i. S. des § 81 Abs. 7 zu erstatten sind.66)

_____________ 60) Stellungnahme des BRat und Gegenäußerung der BReg z. RegE z. SanInsFoG, BTDrucks. 19/24903, S. 12. 61) Stellungnahme des BRat und Gegenäußerung der BReg z. RegE z. SanInsFoG, BTDrucks. 19/24903, S. 12. 62) Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 81 Rz. 11. 63) VID, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 59. 64) Bleutge in: BeckOK-KostR, § 12 JVEG Rz. 49. 65) U. a. Flöther, Stellungnahme z. RegE SanInsFoG, v. 23.11.2020, S. 9. 66) Vgl. Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 81 Rz. 11.

Schinkel

1093

48

§ 82

Festsetzung der Vergütung

§ 82 Festsetzung der Vergütung Schinkel

(1) Auf Antrag des Restrukturierungsbeauftragten setzt das Restrukturierungsgericht nach Beendigung des Amtes des Restrukturierungsbeauftragten die Vergütung durch Beschluss fest. (2) 1Das Restrukturierungsgericht entscheidet bei der Festsetzung der Vergütung nach Absatz 1 auch darüber, wer in welchem Umfang die Auslagen nach Nummer 9017 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz zu tragen hat. 2Die Auslagen sind dem Schuldner aufzuerlegen. 3Abweichend von Satz 2 sind die Auslagen bei Bestellung eines fakultativen Restrukturierungsbeauftragten auf Antrag von Gläubigern den antragstellenden Gläubigern aufzuerlegen, soweit sie nicht für Tätigkeiten entstehen, die das Restrukturierungsgericht dem Restrukturierungsbeauftragten von Amts wegen oder auf Antrag des Schuldners übertragen hat. (3) Gegen die Festsetzung des Stundensatzes nach § 81 Absatz 4, gegen die Bestimmung oder Anpassung des Höchstbetrags nach § 81 Absatz 4 und 6 und gegen die Festsetzung der Vergütung steht dem Restrukturierungsbeauftragten und jedem Auslagenschuldner die sofortige Beschwerde zu. (4) Auf Antrag des Restrukturierungsbeauftragten ist ein angemessener Vorschuss auszuzahlen, wenn ihm erhebliche Auslagen entstanden sind oder voraussichtlich entstehen werden oder wenn die zu erwartende Vergütung für bereits erbrachte Arbeiten einen Betrag von 10.000 Euro übersteigt. Übersicht I. II. 1. 2. III.

Normzweck und Normhistorie .......... 1 Vergütungsfestsetzung (Abs. 1) ......... 3 Festsetzungsantrag ................................ 4 Festsetzungsbeschluss .......................... 7 Bestimmung der Auslagenschuldner (Abs. 2) ........................................... 8 IV. Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde (Abs. 3) ........................... 11

I.

V. Auszahlung eines Vorschusses (Abs. 4) ................................................ 14 1. Antrag des Restrukturierungsbeauftragten ......................................... 16 2. Vorschuss auf Auslagen und Vergütung ............................................ 17 3. Entscheidung des Gerichts ................. 19

Normzweck und Normhistorie

1

Die im Gesetzgebungsverfahren des StaRUG inhaltlich unverändert gebliebene Norm zur Festsetzung der Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten ist in § 82 geregelt.

2

Nach dem Willen des Gesetzgebers bedarf es verbindlicher Vorgaben für die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten, deren Umgehung u. a. dadurch sichergestellt werden soll, dass die Vergütung vom Restrukturierungsgericht festgesetzt wird.1) Funktionell zuständig für das Festsetzungsverfahren der Vergütung ist der Richter (siehe § 80 Rz. 28). Soweit die Norm keine konkreten Regelungen zum

_____________ 1)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 87 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176.

1094

Schinkel

§ 82

Festsetzung der Vergütung

Festsetzungsverfahren enthält oder in Zweifelsfragen, gelten die Bestimmungen der ZPO i. V. m. § 38 entsprechend.2) II. Vergütungsfestsetzung (Abs. 1) Gemäß § 82 Abs. 1 richtet sich der Anspruch des Restrukturierungsbeauftragten auf Zahlung des Honorars und Erstattung der Auslagen gegen die Staatskasse und ist vom Restrukturierungsgericht nach Beendigung des Amtes des Restrukturierungsbeauftragten auf dessen Antrag festzusetzen.3) 1.

3

Festsetzungsantrag

Die Festsetzung des Honorars und der zu erstattenden Auslagen setzt einen Antrag des Restrukturierungsbeauftragten voraus. Der Beauftragte ist insoweit allein antragsberechtigt. Der Vergütungsantrag ist dem Restrukturierungsgericht vorzulegen, sobald seine Amtstätigkeit beendet ist (§ 82 Abs. 1). Damit der Restrukturierungsbeauftragte bei lang andauernden Verfahren für die bereits von ihm erbrachten Arbeiten nicht in unzumutbarem Umfang in Vorleistung tritt, kann er bereits vor der Beendigung seines Amtes nach § 82 Abs. 4 einen Vorschuss beantragen.

4

In dem Antrag auf Festsetzung der Vergütung sind im Regelfall die bereits bei Bestellung des Beauftragten verbindlich festgelegten Stundensätze für ihn und seine qualifizierten Mitarbeiter sowie der jeweils angefallene Stundenaufwand (begrenzt durch die Stundenbudgets nach § 81 Abs. 4 bzw. Abs. 6) als Berechnungsgrundlage darzulegen und der daraus resultierende konkrete Honorarbetrag sowie die einzelnen Auslagen zu benennen. Damit der Schuldner zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, wird auch die Umsatzsteuer gesondert auszuweisen sein müssen. Auch bereits im Laufe des Verfahrens ausgezahlte Vorschüsse gemäß § 82 Abs. 4 sind darzulegen. Sofern andere, nicht stundensatzbasierte Berechnungs- bzw. Vergütungsgrundlagen i. S. des § 83 Abs. 1 Satz 2 gewählt wurden, sind alle Faktoren für das Gericht im Antrag nachvollziehbar darzulegen, die für eine Berechnung des Honorars und der Auslagen relevant sind.

5

Der Festsetzungsantrag muss insoweit nach den allgemeinen Grundsätzen der ZPO hinreichend bestimmt sein (§ 38). Nicht ausreichend dürfte ein Verweis auf die bereits bei Bestellung des Beauftragten getroffenen gerichtlichen Entscheidungen zu den Stundensätzen, den Stundenbudgets und dem Honorar-Höchstbetrag sein (i. S. von „beantragt wie ex-ante festgelegt“). Wenn die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten auf einen Gläubigerantrag gemäß § 77 Abs. 1 Satz 2 zurückzuführen ist, ihm aber weitere Aufgaben von Amts wegen oder auf Antrag des Schuldners übertragen worden sind (siehe Rz. 8 ff.), sollte dem Antrag auf Festsetzung der Vergütung im Hinblick auf die vom Gericht nach § 82 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 vorzunehmende Auslagenaufteilung entnommen werden können, für welche seiner jeweiligen Tätigkeiten welche Vergütung angefallen ist.

6

_____________ 2) 3)

Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 38 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 142. Begr. RegE SanInsFoG z. § 89 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 177.

Schinkel

1095

§ 82 2. 7

Festsetzung der Vergütung

Festsetzungsbeschluss

Die Vergütung wird vom Restrukturierungsgericht (§ 34) durch Beschluss festgesetzt. Eine Anhörung der Auslagenschuldner zum Vergütungsantrag des Restrukturierungsbeauftragten ist gesetzlich nicht vorgesehen, dürfte aber im Einzelfall geboten sein. Eine Honorarfestsetzung über das ursprüngliche (§ 81 Abs. 4) oder das vom Gericht ausdrücklich erhöhte Budget (§ 81 Abs. 6) hinaus ist ausgeschlossen.4) Etwaige nach § 82 Abs. 4 an den Restrukturierungsbeauftragten ausgezahlte Vorschüsse sind auf die Vergütung anzurechnen, ohne dass sich aus der Bemessung des Vorschusses für die Festsetzung der Vergütung nach § 82 Abs. 1 Bindungswirkungen ergeben.5) Der Festsetzungsbeschluss ist zu begründen. Dies folgt – wie bei Vergütungsfestsetzungsbeschlüssen des Insolvenzgerichts auch –6) aus der Natur der Sache: Es handelt sich um rechtsmittelfähigen Beschluss, den sowohl der Restrukturierungsbeauftragte als auch die Auslagenschuldner mit der sofortigen Beschwerde anfechten können (vgl. § 82 Abs. 3). III. Bestimmung der Auslagenschuldner (Abs. 2)

8

Bei der Festsetzung der Vergütung hat das Gericht gemäß § 82 Abs. 2 Satz 1 auch darüber zu entscheiden, wer in welchem Umfang die Auslagen nach Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum GKG zu tragen hat. Damit setzt das Gericht fest, wem die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten nach der unmittelbaren Zahlung aus der Staatskasse letztlich aufzuerlegen ist. Denn diese wird nach Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum GKG den i. R. der Gerichtskosten zu erstattenden Auslagen zugeordnet (siehe § 80 Rz. 26 ff.). Mit der entsprechenden Ergänzung des Auslagentatbestandes (u. a. um die an den Restrukturierungsbeauftragten gezahlten Beträge) wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass die aus der Staatskasse gezahlte Vergütung als Teil der Gerichtskosten in die Schlusskostenrechnung aufgenommen wird und mit den gezahlten Vorschüssen verrechnet werden kann.7)

9

An die Systematik des mit dem SanInsFoG eingeführten § 25a GKG anknüpfend, bestimmt § 82 Abs. 2 Satz 2, dass grundsätzlich dem Schuldner die Auslagen aufzuerlegen sind (§ 25a Abs. 1 GKG). Davon abweichend werden bei einer auf den Antrag von Gläubigern erfolgten Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten (§ 77 Abs. 1 Satz 2) den antragstellenden Gläubigern nach § 82 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 gesamtschuldnerisch die Auslagen und damit die Vergütung des Beauftragten auferlegt (§ 25a Abs. 2 GKG), welche das Gericht in seinem Festsetzungsbeschluss zu benennen und über den Umfang ihrer Auslagenschuld zu entscheiden hat.8) Letzteres folgt aus § 82 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2: Den antragstellenden Gläubigern sind die Auslagen nur aufzuerlegen, soweit sie nicht für Tätigkeiten entste_____________ 4) 5) 6) 7) 8)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 89 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 177. Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 10. Näher Haarmeyer/Mock, InsVV, § 8 Rz. 34. Begr. RegE SanInsFoG z. GKG, BT-Drucks. 19/24181, S. 220. Entgegen des missverständlichen Wortlauts von § 25a Abs. 2 GKG erfolgt eine gerichtliche Entscheidung über die Kostentragungspflicht nach § 82 Abs. 2 StaRUG nur über die Auslagen nach Nr. 9017 KV GKG und nicht über die Gebühr nach Nr. 2513 KV GKG: Semmelbeck in: BeckOK-KostR, § 25a GKG Rz. 8.1.

1096

Schinkel

§ 82

Festsetzung der Vergütung

hen, die das Gericht dem Restrukturierungsbeauftragten von Amts wegen oder auf Antrag des Schuldners übertragen hat. In diesen Fällen muss das Gericht folglich differenzieren und kann den antragstellenden Gläubigern die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten nur insoweit auferlegen, als die entsprechende Tätigkeit auf ihren Antrag zurückzuführen ist. Das Tätigkeitsfeld des auf einen Gläubigerantrag fakultativ bestellten Restrukturierungsbeauftragten kann sich insbesondere um die in § 76 normierten Aufgaben erweitern, wenn im Verfahrensverlauf Gründe für eine notwendige Bestellung von Amts wegen i. S. des § 73 eintreten oder der Schuldner eine entsprechende Aufgabenzuweisung nach § 77 Abs. 2 beantragt.9) Um in derartigen Fällen dem Gericht eine sachgerechte Aufteilung der Auslagen zwischen Schuldner und den betroffenen Gläubigern zu ermöglichen, bedarf es einer nachvollziehbaren Einzelerfassung der für die jeweiligen Aufgabengebiete vorgenommen Tätigkeiten.

10

IV. Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde (Abs. 3) Gegen die nachfolgenden gerichtlichen Entscheidungen ist gemäß § 82 Abs. 3 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde statthaft: –

die mit der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten erfolgte Festsetzung der Stundensätze nach § 81 Abs. 4,



die mit der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten auf Grundlage der Stundenbudgets erfolgte Bestimmung des Honorar-Höchstbetrages nach § 81 Abs. 4 oder dessen nachträgliche Anpassung nach § 81 Abs. 6 sowie



die nach Beendigung des Amtes des Restrukturierungsbeauftragten erfolgte Festsetzung der Vergütung nach § 82 Abs. 1.

11

Neben der Festsetzung der Vergütung und der zu ersetzenden Auslagen sind nach der Gesetzesbegründung auch die Entscheidungen über die Festsetzung des Stundensatzes und die Bestimmung des Höchstbetrages oder dessen Anpassung mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, weil diese eine Bindungswirkung für die Festsetzung der Vergütung insoweit entfalten, als von den Stundensätzen nicht abgewichen und der Höchstbetrag nicht überschritten werden kann.10)

12

Beschwerdebefugt sind gemäß § 82 Abs. 3 der Restrukturierungsbeauftragte und jeder Auslagenschuldner. Durch die in § 82 Abs. 2 genannten Entscheidungen sind neben dem Schuldner nur die Personen beschwert, welche die Auslagen nach Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum GKG zu tragen haben.11) Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 beim Restrukturierungsgericht einzulegen. Abweichend von § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist eine Einlegung der sofortigen Beschwerde beim Beschwerdegericht (iudex ad quem) nicht möglich.12) Die Beschwerdefrist beträgt zwei Wochen (§ 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und beginnt mit Verkün-

13

_____________ 9) Begr. RefE SanInsFoG z. GKG, S. 239, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 25.8.2021). 10) Begr. RegE SanInsFoG z. § 89 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 177. 11) Begr. RegE SanInsFoG z. § 89 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 177. 12) Begr. RegE SanInsFoG z. § 42 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 143.

Schinkel

1097

§ 82

Festsetzung der Vergütung

dung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung (§ 40 Abs. 2).13) Im Übrigen gelten gemäß § 38 die §§ 567 ff. ZPO (siehe Kommentierung zu § 40). V. Auszahlung eines Vorschusses (Abs. 4) 14

Gemäß § 82 Abs. 4 kann der grundsätzlich vorleistungspflichtige Restrukturierungsbeauftragte bereits vor der Festsetzung seiner Vergütung nach § 82 Abs. 1 beim Gericht die Auszahlung eines angemessenen Vorschusses geltend machen. Erforderlich ist, dass ihm erhebliche Auslagen entstanden sind oder voraussichtlich entstehen werden oder die zu erwartende Vergütung für bereits erbrachte Arbeiten einen Betrag von 10.000 € übersteigt.

15

Die Vorschrift soll verhindern, dass der Restrukturierungsbeauftragte in einem unzumutbaren Umfang in Vorleistung treten muss, wenn die Auslagen oder die Vergütung für bereits erbrachte Arbeiten ein auch unter Berücksichtigung der Höhe der festzusetzenden Stundensätze erhebliches Ausmaß erreichen.14) Der im Gesetzgebungsverfahren zunächst vorgesehene Mindestbetrag für bereits erbrachte Arbeiten von 1.000 €15) wurde auf 10.000 € angehoben. Die Vorschrift orientiert sich an § 3 JVEG.16) Bei der Formulierung des § 82 Abs. 4 ist der Gesetzgeber zuletzt der Empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz gefolgt, so dass nunmehr statt einer „Festsetzung“ des angemessenen Vorschusses nur eine „Auszahlung“ desgleichen an den Beauftragten erfolgt.17) Da der Vorschuss auf die später nach § 82 Abs. 1 festzusetzende Vergütung angerechnet wird, ohne dass sich aus der Bemessung des Vorschusses für die spätere Festsetzung der Vergütung Bindungswirkungen ergeben, bedarf es keiner Festsetzung des Vorschusses vor Auszahlung.18) Erforderlich ist allein eine Auszahlungsanweisung des Gerichts an die Justizkasse.19) Der Vorschuss, den der Restrukturierungsbeauftragte aus der Staatskasse nach § 82 Abs. 4 verlangen kann, ist zu unterscheiden von dem Vorschuss, den das Gericht von den Auslagenschuldnern nach § 81 Abs. 5 einfordern kann. 1.

16

Antrag des Restrukturierungsbeauftragten

Voraussetzung für die Auszahlung eines Vorschusses gemäß § 82 Abs. 4 ist ein Antrag des Restrukturierungsbeauftragten beim Restrukturierungsgericht. Welche inhaltlichen Anforderungen an den Antrag zu stellen sind, ist gesetzlich nicht geregelt. Um dem Gericht eine sachgerechte Prüfung hinsichtlich der Angemessenheit des Vorschusses zu ermöglichen, sollte der Restrukturierungsbeauftragte in _____________ 13) Vgl. zur Zustellung von Amts wegen § 38 StaRUG i. V. m. § 329 Abs. 3 ZPO. 14) Begr. RegE SanInsFoG z. § 89 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 177. 15) Begr. RefE SanInsFoG z. GKG, S. 196, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 25.8.2021). 16) Begr. RefE SanInsFoG z. GKG, S. 196, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 25.8.2021). 17) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 10. 18) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 10. 19) Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 82 Rz. 9.

1098

Schinkel

§ 82

Festsetzung der Vergütung

dem Antrag das Vorliegen des jeweils gesetzlich bestimmten Falls für eine Vorschussgewährung gemäß § 82 Abs. 4 Alt. 1 – 3 begründen und die geltend gemachte Vorschusshöhe für die Auslagen bzw. die Vergütung durch entsprechende Unterlagen glaubhaft machen. Soweit die Voraussetzungen des § 82 Abs. 4 im Laufe der Restrukturierungssache wiederholt erfüllt werden, sind auch mehrere Vorschussanträge (und -auszahlungen) möglich.20) 2.

Vorschuss auf Auslagen und Vergütung

Der Beauftragte kann einen Vorschuss beanspruchen, wenn ihm erhebliche Auslagen entstanden sind (Alt. 1) oder voraussichtlich entstehen werden (Alt. 2) oder die zu erwartende Vergütung für bereits erbrachte Arbeiten einen Betrag von 10.000 € übersteigt (Alt. 3). Um einen Vorschuss für die bereits entstandenen oder voraussichtlich entstehenden Auslagen i. S. des § 82 Abs. 4 Alt. 1 und Alt. 2 zu erhalten, müssen die Kosten i. S. des § 81 Abs. 7 (Fahrtkosten etc.) erheblich sein. Die Frage, wann diese Erheblichkeitsschwelle überschritten ist, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Denn nach der Gesetzesbegründung sind für die Gewährung eines Vorschusses subjektive Kriterien wie die „Unzumutbarkeit“ des Umfangs der Vorleistungen sowie die Höhe der festzusetzenden Stundensätze des Restrukturierungsbeauftragten zu berücksichtigen.21) Gleichwohl bleibt es wünschenswert, dass die Rechtsprechung im Interesse der Rechtssicherheit gewisse Richtgrenzen für den Erhalt eines Auslagenvorschusses im Regelfall aufstellt, die überschritten worden sind oder voraussichtlich überschritten werden. Eine Orientierung gibt der für den Auslagenvorschuss des Insolvenzverwalters gemäß § 9 InsVV angenommene Grenzwert für hohe Auslagen, die einen Betrag von 500 € überschritten haben.22)

17

Der Restrukturierungsbeauftragte kann zudem einen Vorschuss beanspruchen, wenn die zu erwartende Vergütung für bereits erbrachte Arbeiten einen Betrag von 10.000 € übersteigt, § 82 Abs. 4 Alt. 3. Die Vorschrift ist ausweislich der Gesetzesbegründung an § 3 JVEG angelehnt, nach der Berechtigte i. S. des JVEG (wie gerichtlich bestellte Sachverständige oder Dolmetscher) einen Vorschuss beanspruchen können, wenn die zu erwartende Vergütung für bereits erbrachte Teilleistungen einen Betrag von 1.000 € übersteigt. Sowohl im Schrifttum als auch in der Rechtsprechung ist streitig, ob unter „Vergütung“ i. S. des § 3 Alt. 2 JVEG nur das Honorar für Leistungen oder zudem alle Aufwendungen sowie die darauf entfallende Umsatzsteuer zu berücksichtigen sind.23) Wie bei § 3 JVEG24) ist es auch i. R. des § 82 Abs. 4 Alt. 3 sachgerecht und vorzugswürdig, bei der Berechnung der zu erwartenden Vergütung für bereits erbrachte Arbeiten i. H. von mindestens 10.000,01 € neben dem (Stunden-)Honorar des Beauftragten und seinen ggf. eingesetzten Mitarbeitern

18

_____________ Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 82 Rz. 9. Begr. RegE SanInsFoG z. § 89 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 177. Lorenz in: FK-InsO, § 9 InsVV Rz. 13 m. w. N. Ausführlich zum Streitstand: LG Düsseldorf, Beschl. v. 14.1.2019 – 8 OH 5/16, BeckRS 2019, 204. 24) LG Düsseldorf, Beschl. v. 14.1.2019 – 8 OH 5/16, Rz. 11 ff., BeckRS 2019, 204; Bleutge in: BeckOK-KostR, § 3 JVEG Rz. 8. 20) 21) 22) 23)

Schinkel

1099

§ 83

Vergütung in besonderen Fällen

auch die zu erstattenden Auslagen gemäß § 81 Abs. 7 (Fahrtkosten etc.), einschließlich der darauf entfallenden Umsatzsteuer zu berücksichtigen. Die Schwelle von 10.000 € ist als Bruttobetrag zu verstehen.25) Dies steht im Einklang mit § 80 Satz 1, der bestimmt, dass der Vergütungsanspruch „Honorar und Auslagen“ beinhaltet. 3. 19

Entscheidung des Gerichts

Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 82 Abs. 4 vor, hat der Restrukturierungsbeauftragte einen Anspruch auf den Vorschuss. Der Umfang des Vorschusses sollte den bereits angefallenen Auslagen bzw. den bereits bestimmbar demnächst anfallenden Auslagen entsprechen. Handelt es sich um einen Vorschuss auf die Vergütung, sollte der auszuzahlende Betrag der zu erwartenden Vergütung für die bereits erbrachten Leistungen des Beauftragten entsprechen. Der Gesetzgeber hat es offengelassen, ob die Vorschussgewährung voraussetzt, dass zuvor ein ausreichender Vorschuss i. S. des § 81 Abs. 5 von den Auslagenschuldnern an die Staatskasse gezahlt wurde. Dafür spricht, dass sich die Vorschrift an § 3 JVEG orientiert, wonach die Auszahlung eines Vorschusses über den eingezahlten Betrag hinaus nicht möglich ist.26) Die Höhe des ausgezahlten Vorschusses hat keine Bindungswirkung auf die spätere Festsetzung der Vergütung,27) dürfte aber Erfüllungswirkung gemäß § 362 BGB haben. _____________ 25) Hänel in: BeckOK-StaRUG, § 82 Rz. 10. 26) Vgl. entsprechend zu § 3 JVEG: Bleutge in: BeckOK-KostR, § 3 JVEG Rz. 11. 27) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 10.

§ 83 Vergütung in besonderen Fällen Schinkel

(1) 1In besonderen Fällen können Stundensätze als Grundlage für das Honorar festgesetzt werden, welche die Höchstbeträge des § 81 Absatz 3 übersteigen, insbesondere, wenn 1.

alle voraussichtlichen Auslagenschuldner zustimmen,

2.

sich ansonsten keine geeignete Person zur Übernahme des Amtes bereit erklärt oder

3.

die dem Restrukturierungsbeauftragten übertragenen Aufgaben unter den besonderen Umständen der Restrukturierungssache den Aufgaben nahekommen, die einem Sachwalter in einem in Eigenverwaltung geführten Insolvenzverfahren übertragen sind, insbesondere, weil eine allgemeine Stabilisierungsanordnung ergeht oder weil in den Restrukturierungsplan mit Ausnahme der nach § 4 auszunehmenden Gläubiger alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger und an dem Schuldner beteiligten Personen einbezogen werden.

2

Im Fall des Satzes 1 Nummer 3 kommt auch eine Vergütung nach anderen Grundsätzen, insbesondere eine Bemessung auf Grundlage des Wertes der in

1100

Schinkel

§ 83

Vergütung in besonderen Fällen

den Restrukturierungsplan einbezogenen Forderungen gegen den Schuldner oder des Unternehmensvermögens in Betracht. (2) Wenn der Restrukturierungsbeauftragte auf Antrag und auf Vorschlag aller voraussichtlichen Auslagenschuldner bestellt wird und der Restrukturierungsbeauftragte und sämtliche Auslagenschuldner eine Vereinbarung über die Vergütung vorlegen, hat das Gericht diese Vereinbarung der Bemessung der Vergütung zugrunde zu legen, wenn die Vereinbarung nicht zu einer unangemessenen Vergütung führt. Literatur: Blersch, Wege zur Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten, NZI Beilage Heft 16 – 17/2019, S. 77; Deppenkemper, Ziel erreicht? Außergerichtliche Sanierung bereits ab dem 1.1.2021!, ZIP 2020, 2432; Fritz/Scholtis, Die künftige Rolle des Restrukturierungsbeauftragten im Lichte des präventiven Restrukturierungsrahmens, NZI 2020, 49; Frind, Überreguliert statt saniert? Zum RefE eines „StaRUG“, ZInsO 2020, 2241; Morgen, Das StaRUG – Aufbau, Inhalt, erste Fragen und Einschätzungen, Lücke für die Praxis passend geschlossen?, INDat Report 9/2020, S. 30; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985. Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: BRAK, Stellungnahme Nr. 61/2020 zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 10/2020 (zit.: BRAK, Stellungnahme Nr. 61/2020 z. RefE SanInsFoG, v. 10/2020), abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/ Downloads/100220_Stellungnahme_BRAK_RefE_Fortenwicklung_Insolvenzrecht.pdf?__ blob=publicationFile&v=2; Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme des Gravenbrucher Kreises zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 30.9.2020 (zit.: Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 30.9.2020), abrufbar unter https:// www.gravenbrucher-kreis.de/2020/10/02/gravenbrucher-kreis-nimmt-stellung-zumreferentenentwurf-eines-gesetzes-zur-fortentwicklung-des-sanierungs-und-insolvenrechts/; TMA Deutschland, Stellungnahme zum Referentenentwurf v. 18.9.2020 eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), v. 2.10.2020 (zit.: TMA, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020), abrufbar unter https:// www.tma-deutschland.org/presse-nf-leser/tma-stellungnahme-zum-referentenentwurf-v18-9-2020-eines-gesetzes-zur-fortentwicklung-des-sanierungs-und-insolvenzrechts-sanier .html. (Abrufdatum jeweils 25.8.2021). Übersicht I. Normzweck und Normhistorie .......... 1 II. Überblick über die besonderen Vergütungsmodelle des § 83 ............... 2 III. Erhöhte Stundensätze in besonderen Fällen (Abs. 1 Satz 1) .................... 3 1. Zustimmung aller voraussichtlichen Auslagenschuldner (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) ..................................................... 4 2. Ansonsten keine geeignete Person zur Amtsübernahme bereit (Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) .......................................... 8 3. Annäherung an Aufgaben eines Sachwalters (Abs. 1 Satz 1 Nr. 3) ....... 14 4. Entscheidung des Gerichts ................. 17

IV. Vergütung nach anderen Grundsätzen (Abs. 1 Satz 2) ............. 19 1. Sachwalterähnliches Aufgabenprofil ..................................................... 20 2. Vergütung nach anderen Grundsätzen ................................................... 21 V. Vergütungsvereinbarung mit dem fakultativen Restrukturierungsbeauftragten (Abs. 2) ......................... 28 1. Vergütungsvereinbarung mit dem fakultativen Restrukturierungsbeauftragten ......................................... 30 2. Entscheidung des Gerichts ................. 31

Schinkel

1101

§ 83 I. 1

Vergütung in besonderen Fällen

Normzweck und Normhistorie

§ 83 normiert für den Restrukturierungsbeauftragten eine Vergütung in besonderen Fällen. Diese besonderen Fälle, deren Aufzählung in § 83 Abs. 1 nicht abschließend ist („insbesondere“), rechtfertigen ausnahmsweise eine vom Regelfall nach § 81 abweichende Vergütungshöhe bzw. -bemessungsgrundlage. Anknüpfend an die allgemeine Regelung zur Wirksamkeit von Vergütungsvereinbarungen in § 80 Satz 2 präzisiert § 83 Abs. 2 die Möglichkeit einer bindenden Vergütungsvereinbarung. Klarstellend hat der Gesetzgeber bei der Formulierung in § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 zuletzt auf Empfehlung des Rechtsausschuss ergänzt, dass auf die Zustimmung der „voraussichtlichen“ Auslagenschuldner abzustellen ist. Denn zum Zeitpunkt der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten stehe der Kreis der Auslagenschuldner im Hinblick auf die in § 82 Abs. 2 Satz 3 vorgesehene Möglichkeit, ein Teil der Auslagen dem Schuldner aufzuerlegen, noch nicht in jedem Fall abschließend fest.1) II. Überblick über die besonderen Vergütungsmodelle des § 83

2

§ 83 regelt drei verschiedene Möglichkeiten, von der Regelvergütung in § 81 abzuweichen: –

In § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 – 3 werden besondere Fälle beschrieben, die jeweils eine Überschreitung der für den Regelfall in § 81 Abs. 3 genannten Stundensatzhöchstbeträge für die Tätigkeiten des Restrukturierungsbeauftragten (bis zu 350 €) und der qualifizierten Mitarbeiter (bis zu 200 €) erlauben (siehe Rz. 3 ff.).



In dem besonderen Fall des § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 (Annäherung der Tätigkeit des Beauftragten an die Aufgaben des Sachwalters) kann gemäß § 83 Abs. 1 Satz 2 auch ein Vergütungsmodell nach anderen Grundsätzen in Betracht kommen (siehe Rz. 19 ff.).



Unter den strengen Voraussetzungen des § 83 Abs. 2 ist eine Vergütungsvereinbarung zwischen dem fakultativen Restrukturierungsbeauftragten und sämtlichen Auslagenschuldnern für das Gericht bei der Vergütungsbemessung bindend, soweit die Vereinbarung nicht zu einer unangemessenen Vergütung führt (siehe Rz. 28 ff.).

III. Erhöhte Stundensätze in besonderen Fällen (Abs. 1 Satz 1) 3

Gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1 können in besonderen Fällen über die in § 81 Abs. 3 geregelten Höchstbeträge hinausgehende Stundensätze als Grundlage für das Honorar festgesetzt werden und damit der Stundensatz für die Tätigkeiten des Restrukturierungsbeauftragten über 350 € und für die Tätigkeiten der qualifizierten Mitarbeiter über 200 € betragen. Das Gesetz erlaubt dies bei der Zustimmung aller voraussichtlichen Auslagenschuldner (§ 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1), wenn sich ansonsten keine geeignete Person zur Übernahme des Amtes des Restrukturierungsbeauftragten bereit erklärt (§ 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) oder die dem Restrukturierungsbeauftragten übertragenen Aufgaben an die eines Sachwalters angenähert sind _____________ 1)

Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 10.

1102

Schinkel

§ 83

Vergütung in besonderen Fällen

(§ 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3). Diese „besonderen Fälle“ sind nicht abschließend festgelegt, sondern bezeichnen Regelbeispiele („insbesondere“). 1.

Zustimmung aller voraussichtlichen Auslagenschuldner (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1)

Die Festsetzung von höheren Stundensätzen für das Honorar des Restrukturierungsbeauftragten als die in § 81 Abs. 3 Satz 2 genannten Höchstbeträge ist gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 möglich, wenn alle voraussichtlichen Auslagenschuldner zustimmen.

4

Dem Gesetzgeber erschien eine von den Grundsätzen des § 81 abweichende Vergütung regelmäßig sachgerecht, wenn sich der Restrukturierungsbeauftragte, welcher die Vergütung erhalten soll, und die Beteiligten, welche sie letztlich als Schuldner der Auslagen nach Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum GKG zu tragen haben, über die festzusetzende Vergütung einig sind.2) Gleichzeitig habe aber auch in diesen Fällen das Restrukturierungsgericht zu kontrollieren, ob die konsentierte Vergütung sachgerecht ist, insbesondere nicht zu erheblichen Fehlanreizen für den Restrukturierungsbeauftragten oder zu einer erheblichen Gefährdung der Befriedigungsaussichten nicht an der Vereinbarung beteiligter Gläubiger führt.3)

5

Tatbestandlich setzt der Fall des § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 eine Einigung zwischen dem Restrukturierungsbeauftragten und allen voraussichtlichen Auslagenschuldnern über höhere Stundensätze als den in § 81 Abs. 3 genannten Höchstbeträgen voraus. Die Frage, ob die Vorschrift nur auf den Fall anzuwenden ist, wenn die Gläubiger die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten beantragen und damit allein auf ihre Zustimmung abzustellen ist,4) dürfte zu verneinen sein. Dafür spricht zwar die Begründung des Gesetzgebers, der u. a. die nicht an der Vereinbarung beteiligten Gläubiger (also neben den an der Vereinbarung beteiligten Gläubiger?) durch eine gerichtliche Kontrolle geschützt wissen wollte. Gleiches gilt für die Ergänzung des Wortes „voraussichtlichen“ vor „Auslagenschuldner“ im Gesetzgebungsverfahren, da der Kreis der Auslagenschuldner im Zeitpunkt der Bestellung des Beauftragten noch nicht abschließend feststehe, weil im Fall des § 82 Abs. 2 Satz 3 dem Schuldner ein Teil der Auslagen aufzuerlegen sein kann.5) Dagegen spricht jedoch, dass der Schuldner bereits definitionsgemäß (vgl. § 81 Abs. 4 Satz 3) auch, und in der Regel alleiniger, „Auslagenschuldner“ (§ 25a Abs. 1 GKG) ist. Hätte der Gesetzgeber nur den Fall einer gläubigerseitigen Bestellung mit § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 regeln wollen, hätte er die Vorschrift sicher anders formuliert (vgl. differenzierend in § 82 Abs. 2).

6

Zudem sind Vergütungsvereinbarungen zur Sicherung des Gläubigereinflusses nur bedingt erforderlich, da diese auch bei der Abstimmung über den Restrukturierungsplan über die darin dargelegte Vergütung des Beauftragten entscheiden können.6)

7

_____________ 2) 3) 4) 5) 6)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 90 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 178. Begr. RegE SanInsFoG z. § 90 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 178. Thole, ZIP 2020, 1985, 1998. Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 10. Blersch, NZI Beilage Heft 16 – 17/2019, S. 78, 79.

Schinkel

1103

§ 83

Vergütung in besonderen Fällen

Liegt ein Fall mit gläubigerseitiger Bestellung des Beauftragten vor, verhindert jedenfalls das Abstellen auf „alle voraussichtlichen Auslagenschuldner“, dass eine im Zeitpunkt der Bestellung des Beauftragten mit den Gläubigern als Auslagenschuldnern abgeschlossene Vereinbarung deshalb unwirksam wird, weil sich der Schuldner während des laufenden Verfahrens durch die Beantragung von weiteren Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens selbst auch zum Auslagenschuldner macht, seine Zustimmung zur vereinbarten Vergütung aber verweigert (vgl. § 82 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 3). 2.

Ansonsten keine geeignete Person zur Amtsübernahme bereit (Abs. 1 Satz 1 Nr. 2)

8

Eine Überschreitung der Höchstbeträge des Regelrahmens für die Stundensätze des Restrukturierungsbeauftragten ist gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 zulässig, wenn sich ansonsten keine geeignete Person zur Übernahme des Amtes bereit erklärt.

9

Nach dem Gesetzgeber seien Fälle denkbar, in denen sich zu den Bedingungen der Regelvergütung nach § 81 keine geeignete Person zur Übernahme des Amtes bereit erklärt.7) Beispielsweise wenn Fälle ein Spezialwissen des Restrukturierungsbeauftragten erfordern, welches nur bei Personen vorhanden sei, die damit typischerweise anderweitig erheblich höhere Einkünfte pro Stunde verdienen können, oder in denen ein außergewöhnlich hohes Haftungsrisiko einem durchschnittlichen Zeitaufwand gegenüberstehe und deshalb in einer Vergütung nach Stundensätzen nicht angemessen abgebildet werden könne.8)

10

Im Schrifttum werden überzeugende Bedenken hinsichtlich der praktischen Relevanz dieser Möglichkeit, höhere Stundensätze auf Grundlage von § 83 Abs. 1 Nr. 2 festzusetzen, geäußert. Denn es wird sich voraussichtlich immer jemand finden, der zur Übernahme des Amtes auf Basis der Höchstsätze des Regelrahmens bereit ist, nach § 81 Abs. 4 ein geringes Stundenbudget vorschlägt und dann versucht, über Nachträge gemäß § 81 Abs. 6 und ggf. einen hohen Stundenaufwand zu einer auskömmlichen Vergütung zu gelangen.9) Eine Steigerung der Qualität der Leistungen des Beauftragten ist dadurch nicht zu erwarten.10)

11

Auch die praktische Umsetzung der Norm stellt das Gericht vor Herausforderungen. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für die Festsetzung der nach § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 höheren Stundensätze ist wie bei der Regelvergütung die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1. Das Vorliegen einer zu diesem Zeitpunkt mangelnden Bereitschaft einer anderen geeigneten Person, sich als Restrukturierungsbeauftragter bestellen zu lassen, setzt voraus, dass andere geeignete Personen die Gelegenheit zur Erklärung der Amtsübernahme bzw. Kenntnis von dem zu vergebenen Amt erhalten. Dies würde eine vorherige Ausschrei_____________ 7) Begr. RegE SanInsFoG z. § 90 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 178. 8) Begr. RegE SanInsFoG z. § 90 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 178. 9) Morgen, INDat Report 9/2020, S. 31, vergleichend mit den Verhältnissen in der Bauindustrie, wo der billigste Anbieter den Auftrag erhält, um dann über das Nachtragsmanagement zu einer auskömmlichen Vergütung zu gelangen. 10) Morgen, INDat Report 9/2020, S. 31.

1104

Schinkel

§ 83

Vergütung in besonderen Fällen

bung der Aufgabe erfordern, was vom Gesetzgeber weder gewollt sein kann, noch praktisch durchführbar ist.11) Die zu erwartenden Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung zeigt auch ein Vergleich mit § 13 Abs. 2 Satz 2 JVEG a. F., in dem der Halbsatz „und sich zu dem gesetzlich bestimmten Honorar keine geeignete Person zur Übernahme der Tätigkeit bereit erklärt“ zum 21.12.2020 ersatzlos gestrichen wurde.12) Danach musste das Gericht vor seiner Zustimmung zu einer besonderen Vergütung des Sachverständigen prüfen, ob sich jemand anderes findet, der das Gutachten auch zum gesetzlichen Honorar erstattet.13) Diese Bestimmung hatte sich in der praktischen Anwendung nicht bewährt und verzögerte die Verfahren, da beim Gericht Unsicherheit darüber bestand, was es unternehmen muss, um die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zustimmungsersetzung zu erfüllen (insbesondere ob und ggf. bei wie vielen Personen angefragt werden muss und ob die zeitliche Komponente der Leistungserbringung eine Rolle spielt).14)

12

Dem Gericht wird i. R. des § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ein weiter Ermessensspielraum bei der Beurteilung der Frage eingeräumt werden müssen, ob im Einzelfall eine gleichsam geeignete Person zur Amtsübernahme zu den gesetzlichen Regelsätzen nach § 81 Abs. 3 verfügbar ist. Hierbei sollte das Gericht auf Erfahrungswerte zurückgreifen, Anregungen der Verfahrensbeteiligten berücksichtigen und sich bei ggf. dann noch erforderlichen Anfragen nach einem (billigeren, aber trotzdem) geeignet erscheinenden Restrukturierungsbeauftragten auf den Personenkreis seiner Vorauswahlliste beschränken dürfen (vgl. § 74 Abs. 1).

13

3.

Annäherung an Aufgaben eines Sachwalters (Abs. 1 Satz 1 Nr. 3)

Im Fall des § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 können höhere Stundensätze für das Honorar des Restrukturierungsbeauftragten als die in § 81 Abs. 3 vorgesehenen Regelhöchstsätze festgesetzt werden, wenn die dem Restrukturierungsbeauftragten übertragenen Aufgaben unter den besonderen Umständen der Restrukturierungssache den Aufgaben nahekommen, die einem Sachwalter in einem in Eigenverwaltung durchgeführten Insolvenzverfahren übertragen sind. Dies kann nach der Vorschrift insbesondere so sein, weil eine allgemeine Stabilisierungsanordnung ergeht oder weil in den Restrukturierungsplan mit Ausnahme der nach § 4 auszunehmenden Gläubiger alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger und an dem Schuldner beteiligten Personen einbezogen werden.

14

Der Gesetzgeber hält es in besonderen Fällen, in denen die Aufgaben des Restrukturierungsbeauftragen denen ähneln, die auch ein Sachwalter in einem in Eigenverwaltung eröffneten Insolvenzverfahren zu erfüllen hat (insbesondere bei Vorliegen

15

_____________ 11) Frind, ZInsO 2020, 2241, 2248. 12) Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 (KostRÄG 2021), v. 21.12.2020, BGBl. I 2020, 3229, 3241. 13) Näher Bleutge in: BeckOK-KostR, § 13 JVEG Rz. 22. 14) Begr. RegE z. KostRÄG 2021, v. 25.9.2020, BR-Drucks. 565/20, S. 79.

Schinkel

1105

§ 83

Vergütung in besonderen Fällen

der beiden in Nr. 3 genannten Regelbeispiele) für sachgerecht, den Restrukturierungsbeauftragten ähnlich wie einen Sachwalter zu vergüten.15) 16

Neben den gesetzlich genannten Regelbeispielen einer allgemeinen Stabilisierungsanordnung (siehe Kommentierung zu § 49) oder der Einbeziehung aller oder im Wesentlichen aller Gläubiger und an dem Schuldner beteiligter Personen in den Plan (siehe Kommentierung zu § 8) nähert sich das Profil des Restrukturierungsbeauftragten insbesondere dem eines Sachwalters bei der Planüberwachung (entsprechend § 284 Abs. 2 InsO, siehe Kommentierung zu § 76), bei der Übertragung der in § 76 Abs. 2 Nr. 2 genannten Befugnisse (Überwachung der Geschäftsführung und Kassenführungsrecht, siehe Kommentierung zu § 76) sowie bei der Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts bei Zahlungen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs (siehe Kommentierung zu § 76). 4.

Entscheidung des Gerichts

17

Das Restrukturierungsgericht hat in den Fällen des § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 – 3 über die festzusetzende Höhe der Stundensätze nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Das Gesetz erlaubt Stundensätze, die den Regelrahmen nach § 81 Abs. 3 übersteigen (über 350 € für den Restrukturierungsbeauftragten und über 200 € für seine qualifizierten Mitarbeit), ohne eine Grenze durch Höchstbeträge für besondere Fälle aufzustellen. Bei der Bestimmung der konkreten Stundensatzhöhe ist das Gericht frei in seiner Entscheidung, solange die Stundensätze angemessen sind (vgl. §§ 81 Abs. 1, Abs. 2) und dabei die Bemessungskriterien nach § 81 Abs. 3 Satz 1 berücksichtigt wurden. Bei der Frage, ob die Stundensätze bereits übersetzt sind, wird das Gericht vor die Herausforderung gestellt, dass es keine festgesetzten Richtgrößen heranziehen kann, wie sie der Gesetzgeber bspw. in § 13 Abs. 2 Satz 2 JVEG für den Fall einer vom Sachverständigen begehrten erhöhten Vergütung normiert hat (Zustimmung des Gerichts nur, wenn das Doppelte der in §§ 9 – 11 JVEG festgelegten Honorare nicht überschritten wird).

18

Bei einer Vergütungsvereinbarung nach § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 hat das Gericht insbesondere im Blick zu behalten, dass es nicht zu einer erheblichen Gefährdung der Befriedigungsaussichten der nicht an der Vereinbarung beteiligten Gläubiger kommt. Als Vergleichsmaßstab für die Angemessenheit der Stundensätze dürfte auch die Höhe der Stundensätze der vom Schuldner/Gläubiger beauftragten Sanierungsberater in Betracht kommen. Schließlich spiegelt die stundenbasierte Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten nach dem Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz die Nähe des Restrukturierungsverfahrens zur Praxis der freien Sanierung wider.16) Die Aufwendungen, die der Schuldner für von ihm beauftragte Sanierungsberater tätigt, sind als Kosten der Restrukturierungssache im Planangebot gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 darzulegen und damit ohnehin bekannt zu machen.

_____________ 15) Begr. RegE SanInsFoG z. § 90 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 178. 16) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 5.

1106

Schinkel

§ 83

Vergütung in besonderen Fällen

IV. Vergütung nach anderen Grundsätzen (Abs. 1 Satz 2) Sofern die dem Restrukturierungsbeauftragten übertragenen Aufgaben den Aufgaben eines Sachwalters nahekommen und damit ein Fall des § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 vorliegt, kann die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 83 Abs. 1 Satz 2 auch nach anderen Grundsätzen bemessen werden und eine nicht stundensatzbasierte Vergütung erfolgen. 1.

Sachwalterähnliches Aufgabenprofil

Der Anwendungsbereich des § 83 Abs. 1 Satz 2 ist eröffnet, wenn dem Restrukturierungsbeauftragten in dem Verfahren Aufgaben zukommen, die denen eines Sachwalters in einem in Eigenverwaltung eröffneten Insolvenzverfahren ähneln und daher ein Fall des § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 (siehe Rz. 14 ff.) vorliegt. 2.

19

20

Vergütung nach anderen Grundsätzen

Nach dem Wortlaut des § 83 Abs. 1 Satz 2 kommt eine „Vergütung nach anderen Grundsätzen“ in Betracht. Als möglichen, aber nicht abschließenden Grundsatz („insbesondere“) nennt die Vorschrift eine Bemessung der Vergütung auf Grundlage des Wertes der in den Restrukturierungsplan einbezogenen Forderungen gegen den Schuldner oder des Unternehmensvermögens. In der Literatur werden darüber hinaus als denkbare Ansätze für die Bemessung der Vergütung betriebswirtschaftliche Kriterien oder eine Pauschalvergütung genannt.17) Auch eine erfolgsbezogene Vergütung, die sich z. B. an den im Restrukturierungsplan vorgesehenen Ausschüttungsbeträgen orientiert, ist nicht ausgeschlossen.18)

21

Im Gegensatz zu § 83 Abs. 1 Satz 1 bezieht sich der Anwendungsbereich des § 83 Abs. 1 Satz 2 nach dem Wortlaut der Vorschrift auf die „Vergütung“ und beschränkt sich nicht allein auf das „Honorar“ des Restrukturierungsbeauftragten. Daher können Gegenstand einer nicht stundensatzorientieren Vergütung auch Auslagen i. S. des § 81 Abs. 7 sein, die mithin höher angesetzt werden könnten als die im JVEG normierten Pauschalbeträge.

22

Der Gesetzgeber wollte mit § 83 Abs. 1 Satz 2 die Möglichkeit schaffen, den Restrukturierungsbeauftragten ähnlich einem Sachwalter zu vergüten. In der Begründung der Vorschrift wird klargestellt, dass soweit die Vergütung nach dem Vorbild von § 63 Abs. 1 InsO als Prozentsatz einer bestimmten Bemessungsgrundlage bemessen werden soll, regelmäßig kein unmodifizierter Rückgriff auf die für die Vergütung des Insolvenzverwalters maßgebliche Insolvenzmasse in Betracht kommen werde, weil sich die Tätigkeit eines Restrukturierungsbeauftragten typischerweise nicht auf das gesamte Vermögen beziehen wird, welche im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse zählen würde.19) Danach könnte bspw. der Vergütungsanspruch des Restrukturierungsbeauftragten an der Höhe des Vergütungsanspruchs des Sachwalters gemäß §§ 63 ff. InsO i. V. m. §§ 12 ff. InsVV

23

_____________ 17) Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2442. 18) Blersch, NZI Beilage Heft 16 – 17/2019, S. 77, 79; Fritz/Scholtis, NZI 2020, 49, 54. 19) Begr. RegE SanInsFoG z. § 90 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 178.

Schinkel

1107

§ 83

Vergütung in besonderen Fällen

analog ausgerichtet werden,20) der sich an dem Wert des Unternehmensvermögens des Schuldners unter Fortführungsgesichtspunkten – wie im Restrukturierungsplan abgebildet – bemisst.21) 24

Alternativ könnte als Berechnungsgrundlage für die Vergütung der ausdrücklich in der Öffnungsklausel des § 83 Abs. 1 Satz 2 genannte (Nominal-)Wert der in den Restrukturierungsplan einbezogenen Forderungen gegen den Schuldner dienen. Eine darüberhinausgehende Heranziehung von Zu- und Abschlagsfaktoren nach dem Vorbild von § 3 InsVV erscheint insbesondere aufgrund des abweichenden Tätigkeitsfelds nur schwer möglich.22)

25

Nur benannt und erst von der Praxis und Rechtsprechung beantwortet werden kann die Frage, welche Reichweite der von dem Wortlaut des § 83 Abs. 1 Satz 2 eröffnete Gestaltungsspielraum mit der „Vergütung nach anderen Grundsätzen“ zulässt. Denn neben der Bemessungsgrundlage der Vergütung könnten auch die verfahrensrechtlichen Regelungen zur gerichtlichen Vergütungsfestsetzung i. S. des § 64 InsO i. V. m. § 8 InsVV analog herangezogen und damit von den verfahrensrechtlichen Bestimmungen des §§ 81, 82 abgewichen werden (z. B. Verzicht auf eine Vorab-Festsetzung der Vergütung mit der Bestellung i. S. des § 81 Abs. 4 sowie auf die Vorschusspflicht i. S. des § 81 Abs. 5 etc.).23)

26

Unter Umständen wäre dies in Anbetracht der sich sonst ergebenden praktischen Schwierigkeiten bei einer an die InsVV angelehnte, sachwalterähnliche Vergütung sogar erforderlich. Denn zum Zeitpunkt der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten, die etwa schon mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens bei Gericht von Amts wegen erfolgen muss (vgl. 73 Abs. 1 Nr. 1), liegt ggf. noch kein Restrukturierungsplan vor, so dass die Bemessungsgrundlage „Wert der in den Restrukturierungsplan einbezogenen Forderungen“ oder auch der „Wert des Unternehmensvermögens“ und damit eine i. S. des § 81 Abs. 4 zu treffende Prognoseentscheidung über die Vergütung des Beauftragten nur schwer erfolgen könnte. Mangels einer kaum bestimmbaren ungefähren Endsumme der Vergütung wäre es dem Gericht zudem nicht möglich, einen ausreichenden Betrag vom vorschusspflichtigen Auslagenschuldner i. S. des § 81 Abs. 5 einzufordern.

27

Entscheidend wird bleiben, dass die einzelnen Berechnungsfaktoren für die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten auch bei einem vom Regelfall des §§ 80 ff. abweichenden Vergütungsmodell konkret bestimmt sind oder durch Berechnung bestimmbar werden und der verfahrensrechtliche Rahmen des Festsetzungsver_____________ 20) Vgl. Thole, ZIP 2020, 1985, 1998; Blersch, NZI Beilage Heft 16 – 17/2019, S. 77, 79. 21) Vgl. Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 30.9.2020, S. 10 f., und BRAK, Stellungnahme Nr. 61/2020 z. RefE SanInsFoG, v. 10/2020, S. 7: ein prozentualer Abschlag von 20 % auf die Vergütung des Sachwalters sei in der Regel angemessen, da es sich beim Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen um kein Kollektivverfahren handele. 22) Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2442. 23) Vgl. Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 30.9.2020, S. 10 und BRAK, Stellungnahme Nr. 61/2020 z. RefE SanInsFoG, v. 10/2020, S. 7 („Im Übrigen gelten die Regelungen der InsVV, die die Vergütung des Sachwalters betreffen, entsprechend.“).

1108

Schinkel

§ 83

Vergütung in besonderen Fällen

fahrens vom Gericht gesteuert wird, um dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel der Kostentransparenz für die Beteiligten und den verbindlichen Vorgaben für die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten Rechnung zu tragen. V. Vergütungsvereinbarung mit dem fakultativen Restrukturierungsbeauftragten (Abs. 2) Wenn der Restrukturierungsbeauftragte zum einen auf Antrag und auf Vorschlag aller voraussichtlichen Auslagenschuldner bestellt wird und zum anderen mit sämtlichen Auslagenschuldnern eine Vergütungsvereinbarung vorlegt, hat das Gericht diese Vereinbarung gemäß § 83 Abs. 2 bei der Bemessung der Vergütung zugrunde zu legen, sofern die Vereinbarung nicht zu einer unangemessenen Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten führt.

28

Mit der Vorschrift knüpft der Gesetzgeber an § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 an und bindet das Restrukturierungsgericht an die zwischen dem Restrukturierungsbeauftragten und den Auslagenschuldnern getroffene Vereinbarung über seine Vergütung. Denn wenn die Auslagenschuldner nicht nur entsprechend § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 einer Anwendung abweichender Vergütungsgrundsätze zustimmen, sondern die Bestellung des Beauftragten auf ihren Antrag oder Vorschlag erfolgt ist und sie mit dem Beauftragten eine Vergütungsvereinbarung geschlossen haben, darf das Restrukturierungsgericht eine von dieser Vereinbarung abweichende Vergütungsregelung nur dann anwenden, wenn ansonsten eine unangemessene Vergütung entstünde.24) Befürwortet wird die Regelung insbesondere, soweit mit dieser dem erhöhten Aufwand und dem erhöhten Haftungsrisiko in größeren finanziellen Restrukturierungen Rechnung getragen werden kann.25)

29

1.

Vergütungsvereinbarung mit dem fakultativen Restrukturierungsbeauftragten

Der Tatbestand setzt voraus, dass es sich um einen fakultativen Restrukturierungsbeauftragten (§ 77) handelt, der auf Vorschlag aller voraussichtlichen Auslagenschuldner bestellt wird. Wie bei § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 (siehe Rz. 4 ff.) dürfte damit nicht nur der Fall einer Bestellung des Beauftragten auf Antrag von Gläubigern gemeint sein, sondern auch, wenn eine Bestellung auf den Antrag des Schuldners zurückzuführen ist und er daher Auslagenschuldner ist. Weitere Voraussetzung ist, dass der Restrukturierungsbeauftragte mit sämtlichen Auslagenschuldnern eine Vergütungsvereinbarung geschlossen und diese dem Gericht vorgelegt hat. Zu fordern ist, dass es sich um eine wirksame Vergütungsvereinbarung handelt, die inhaltlich und verfahrensrechtlich gemäß § 80 Satz 2 die Bestimmungen der §§ 81 ff. beachtet (siehe § 80 Rz. 32 ff.). 2.

30

Entscheidung des Gerichts

Wird der Restrukturierungsbeauftragte auf Antrag und auf Vorschlag aller voraussichtlichen Auslagenschuldner bestellt und eine Vereinbarung mit sämtlichen Auslagenschuldnern über die Vergütung getroffen, ist diese gemäß § 83 Abs. 2 der Ver_____________ 24) Begr. RegE SanInsFoG z. § 90 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 178. 25) TMA, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 9.

Schinkel

1109

31

§ 83

Vergütung in besonderen Fällen

gütungsbemessung zugrunde zu legen. Die Norm entfaltet eine Bindungswirkung für das Gericht. Im Gegensatz zu den Fällen des § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 hat das Gericht nach der Gesetzesbegründung kein Ermessen bei seiner Entscheidung.26) Die Prüfung des Gerichts beschränkt sich hier schon dem Wortlaut nach ausschließlich auf die Frage, ob die Vergütungsvereinbarung zu einer unangemessenen Vergütung führt. 32

Nur im Fall einer Unangemessenheit der Vergütung entfällt die Bindungswirkung der Vereinbarung. Das in § 83 Abs. 1 vorgesehene gerichtliche Ermessen bei der Entscheidung über erhöhte Honorar-Stundensätze bzw. einer nicht-stundensatzorientierten Vergütung des Beauftragten als Korrektiv zum Schutz vor einer unsachgerecht hohen Vergütung in besonderen Fällen findet letztlich sein Pendant in der gerichtlichen Angemessenheitsprüfung des § 83 Abs. 2. Denn bei seiner Prüfung wird das Gericht ähnliche Kriterien heranzuziehen haben, wie im Fall des § 83 Abs. 1 Satz 1 (Führt die vereinbarte Vergütung zu Fehlanreizen für den Beauftragten? Werden die Befriedigungsaussichten der nicht an der Vereinbarung beteiligten Gläubiger gefährdet? Etc.).

_____________ 26) Begr. RegE SanInsFoG z. § 90 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 178.

1110

Schinkel

Kapitel 4 Öffentliche Restrukturierungssachen § 84 Antrag und erste Entscheidung Abel/Herbst

(1) 1In Verfahren über Restrukturierungssachen erfolgen öffentliche Bekanntmachungen nur, wenn der Schuldner dies beantragt. 2Der Antrag ist vor der ersten Entscheidung in der Restrukturierungssache zu stellen und kann nur bis zur ersten Entscheidung zurückgenommen werden. 3Auf den Antrag findet Artikel 102c § 5 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung entsprechende Anwendung. (2) 1Hat der Schuldner beantragt, dass in den Verfahren in der Restrukturierungssache öffentliche Bekanntmachungen erfolgen sollen, sind in der ersten Entscheidung, die in der Restrukturierungssache ergeht, anzugeben: 1.

die Gründe, auf denen die internationale Zuständigkeit des Gerichts beruht, sowie

2.

ob die Zuständigkeit auf Artikel 3 Absatz 1 oder Absatz 2 der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (ABl. L 141 vom 5.6.2015, S. 19; L 349 vom 21.12.2016, S. 6) in der jeweils geltenden Fassung beruht.

2 Öffentlich bekannt zu machen sind die in Artikel 24 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2015/848 genannten Angaben. 3Artikel 102c § 4 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung ist entsprechend anzuwenden.

Literatur: Bork, Pflichten der Geschäftsführung in Krise und Sanierung, ZIP 2011, 101; Brinkmann, Grenzüberschreitende Sanierung und europäisches Insolvenzrecht, KTS 2014, 381; Cranshaw/Portisch, Paradigmen des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) nach dem Regierungsentwurf aus Gläubigersicht (Teil 1), ZInsO 2020, 2561; Kranzfelder/Ressmann, Geschäftsleiter im Fokus: Haftungserweiterung und Haftungserleichterung nach SanInsFoG, ZInsO 2021, 191; Madaus, Einstieg in die ESUGEvaluation – Für einen konstruktiven Umgang mit den europäischen Ideen für einen präventiven Restrukturierungsrahmen, NZI 2017, 329; Müller, Sanierung nach der geplanten EU-Restrukturierungs-Richtlinie, ZGR 2018, 56; Seibt, Pflichten der Geschäftsleitung bei Eingehung von Finanzierungsgeschäften – in Normal- und Krisenzeiten des Unternehmens, ZIP 2013, 1597; Seibt/v. Treuenfeld, Gesellschafts-und kapitalmarktrechtliche Aspekte der EU-Restrukturierungsrechtlinie, DB 2019, 1190; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Vallender, Aufgaben und Befugnisse des Restrukturierungsgerichts nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Teil 1), ZInsO 2020, 2579. Übersicht I. Zeitlicher Anwendungsbereich .......... 1 II. Grundsätzliche Vertraulichkeit, aber Möglichkeit der öffentlichen Bekanntmachung der Restrukturierungssache auf Antrag des Schuldners ............................................ 2 III. Antragstellung ................................... 12

1. 2. 3.

Keine Veröffentlichung von Amts wegen (Abs. 1 Satz 1) ......................... 12 Zeitpunkt und erste Entscheidung (Abs. 1 Satz 2) ..................................... 13 Zuständigkeit und Kompetenzen ....... 24 a) Zuständiges Gericht ..................... 24 b) Beteiligung und Kompetenzen ..... 25

Abel/Herbst

1111

§ 84

Antrag und erste Entscheidung

4. Form und Angaben (Abs. 1 Satz 3) ... IV. Angaben in der ersten Entscheidung der Restrukturierungssache (Abs. 2) ................................................ V. Anfechtung der ersten Entscheidung ..................................................... 1. Anfechtung aus Gründen der internationalen Zuständigkeit (Art. 5 Abs. 1 EuInsVO i. V. m. Art. 102c § 4 EGInsO) .......................

I. 1

29 32 35

2.

Anfechtung aus anderen Gründen und durch andere Personen (Art. 5 Abs. 2 EuInsVO) ................................ 40 VI. Rechtsfolgen der öffentlichen Bekanntmachung ............................... 41 1. Folgen für Anerkennung und Vollstreckung ...................................... 41 2. Folgen für die Stabilisierungsanordnung ............................................ 42

36

Zeitlicher Anwendungsbereich

Die Regelungen der §§ 84 bis 88 treten gemäß Art. 25 Abs. 3 Nr. 1 SanInsFoG erst zum 17.7.2022 in Kraft, um den notwendigen Vorlauf für die technische Umsetzung zu gewähren. Der deutsche Gesetzgeber hat daher die maximale Umsetzungsfrist nach Art. 34 Abs. 2 der Restrukturierungsrichtlinie1) in Anspruch genommen2). II. Grundsätzliche Vertraulichkeit, aber Möglichkeit der öffentlichen Bekanntmachung der Restrukturierungssache auf Antrag des Schuldners

2

Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, das Restrukturierungsverfahren grundsätzlich nicht öffentlich auszugestalten, wie sich aus einem Umkehrschluss aus § 84 Abs. 1 Satz 1 ergibt. Er lehnt sich an das Modell anderer europäischer Rechtsordnungen an, etwa an das des französischen Schiedsverfahrens der „Conciliation“.3) Er geht dabei davon aus, dass Restrukturierungen zur Vermeidung negativer Publizitätseffekte überwiegend in vertraulichem Rahmen durchgeführt werden.4) § 84 Abs. 1 Satz 1 ermöglicht es dem Schuldner aber, die Restrukturierungssache auf Antrag öffentlich bekannt zu machen. Entscheidet sich der Schuldner gegen eine öffentliche Bekanntmachung, besteht die sog. Parteiöffentlichkeit.5) Das bedeutet, dass jede Partei das Recht innehat, von allen Handlungen des Gerichts und des Gegners unterrichtet zu werden, Einsicht in die Gerichtsakten zu erhalten sowie ggf. an mündlichen Verhandlung teilzunehmen.

3

Die öffentliche Bekanntmachung von Insolvenzverfahren ist in zahlreichen Einzelvorschriften der InsO vorgeschrieben.6) § 9 InsO regelt deren Ausgestaltung. Sie erfolgt unter www.insolvenzbekanntmachungen.de. Demgegenüber soll dem Schuldner außerhalb eines Insolvenzverfahrens eine stillen Bewältigung der Krise ermöglicht werden, wenngleich diese in der Praxis nur begrenzt still bewältigt werden kann. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass Unternehmen, die sich (bereits) im Stadium _____________ 1)

2) 3) 4) 5) 6)

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Begr. RegE SanInsFoG z. Art. 25, BR-Drucks. 619/20, S. 261. Vgl. Vallender, ZInsO, 2020, 2579, 2586. Begr. RegE SanInsFoG z. § 91 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 179. Vgl. BGH, Urt. v. 30.11.1960 – VIII ZR 187/59, NJW 1961, 363. Vgl. Rüther in: HambKomm-InsO, § 9 Rz. 2.

1112

Abel/Herbst

§ 84

Antrag und erste Entscheidung

drohender Zahlungsunfähigkeit ihrer wirtschaftlichen Probleme annehmen, eine Sanierungschance „außerhalb der Öffentlichkeit“ erlangen sollen.7) Liegen dagegen bereits Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung als zwingende Insolvenzgründe vor, sind die Gläubiger in einem solchen Ausmaß gefährdet, dass diese Chance – gerade auch zum Schutz potenzieller neuer Geschäftspartner vor vorprogrammierten Forderungsausfällen – nicht mehr besteht. Ähnlich wie der Gesetzgeber geht auch die Literatur überwiegend davon aus, dass der Schuldner außerhalb des Anwendungsbereichs grenzüberschreitender Sanierungen überwiegend daran interessiert sein wird, Restrukturierungssachen vertraulich durchzuführen.8) Macht der Schuldner seine wirtschaftliche Krise öffentlich, hat er eine schlechte Bonitätseinstufung zu fürchten, die schnell zu einer weiteren Verschärfung der Krise und zu Hindernissen bei der angestrebten Sanierung führen kann. Im Gegensatz zum angelsächsischen Rechtsraum erfährt der „Second-Chance-Ansatz“ in Deutschland noch keine breite Akzeptanz.9) Die öffentliche Sanierung wirkt sich in aller Regel negativ auf den Marktwert des Unternehmens aus. Bei natürlichen Personen leidet zudem das gesellschaftliche Ansehen, wie auch prominente Beispiele in jüngerer Vergangenheit zeigen.10)

4

Eine gewisse Öffentlichkeitswirksamkeit erfolgt jedoch auch bei einer unterbliebenen öffentlichen Bekanntmachung zwangsläufig durch die Einbindung der planbetroffenen Gläubiger sowie der Arbeitnehmervertreter, soweit außerhalb des Plans Maßnahmen stattfinden. Darüber hinaus führen eventuelle Mitteilungspflichten bei publikationspflichtigen Kapitalgesellschaften zu einer Öffentlichkeitswirksamkeit. Ob und in welchem Umfang es gegenüber den Lieferanten oder Kunden erforderlich ist, Informationen über das Restrukturierungsvorhaben zu erteilen, bevor diese solche Informationen u. U. von Dritten erlangen, ist eine Frage des Einzelfalls.11)

5

Für den Schuldner besteht bei grenzüberschreitenden Restrukturierungen allerdings regelmäßig ein Bedürfnis, die öffentliche Bekanntmachung der Restrukturierungssache zu beantragen. Die eigentliche Funktion der öffentlichen Bekanntmachung der Restrukturierungssache besteht dann aus Sicht des Schuldners darin, die Wirkungen des Restrukturierungsplans automatisch auf alle Unionsstaaten und die dort ansässigen einbezogenen Gläubiger zu erstrecken.12) Nachdem Art. 1 Abs. 1 EuInsVO den Anwendungsbereich der EuInsVO nur auf öffentliche Gesamtverfahren begrenzt, bildet die öffentliche Bekanntmachung der Restrukturierungssache eine zwingende Voraussetzung dafür, die europaweite Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen

6

_____________ 7) Vgl. Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 193. 8) Vgl. Brinkmann KTS 2014, 381, 383, 384; Begr. RegE SanInsFoG z. § 91 StaRUG, BTDrucks. 19/24181, S. 179; Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 193. 9) So auch Geiwitz, Zwischen Gläubigerinteressen und Fortführungswillen, v. 23.8.2019, unternehmeredituon.de, abrufbar unter https://www.unternehmeredition.de/wissen/zwischen-glaeubigerinteressen-und-fortfuehrungswillen/ (Abrufdatum: 20.8.2021). 10) Vgl. Naumann, Die „öffentliche“ Sanierung, v. 15.11.2017, euroforum.de, abrufbar unter https://www.euroforum.de/news/Die-‚oeffentliche‘-Sanierung_1001052069 (Abrufdatum: 20.8.2021). 11) Vgl. Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2561, 2567. 12) Vgl. Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2561, 2567.

Abel/Herbst

1113

§ 84

Antrag und erste Entscheidung

auf der Grundlage der EuInsVO zu erlangen, die im modularen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen des StaRUG ergehen. Es liegt nahe, die Annahme der Öffentlichkeit i. S. des Art. 1 Abs. 1 EuInsVO immer dann zu bejahen, wenn eine öffentliche Bekanntmachung erfolgt ist und in anderen Fällen von einer nicht öffentlichen Restrukturierungssache zu sprechen. Unter Heranziehung der ErwG 12 und 13 zur EuInsVO, die auf die öffentliche Bekanntmachung und die Erkennbarkeit im Ausland abstellen, bleibt die begriffliche Unterscheidung nach Auffassung von Paulus unklar. Dies gilt insbesondere für die Frage, wie weit der Bekanntheitsgrad eines Verfahrens reichen darf, um als nicht öffentlich angesehen zu werden.13) Aus Gründen der Rechtsklarheit sollte daher mit Paulus der Auffassung gefolgt werden, wonach als öffentliches Verfahren nur ein solches anzusehen ist, bei dem eine gesetzlich angeordnete Verlautbarung in einem öffentlichen Register unabdingbar ist, bevor die Parteien ein endgültiges Resultat erzielt haben.14) Die Aufnahme öffentlicher Restrukturierungssachen in Anhang A der EuInsVO ist vom StaRUG Gesetzgeber beabsichtigt.15) Somit kann die automatische Anerkennung der in öffentlichen Restrukturierungssachen ergangenen gerichtlichen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten nach den Regelungen der EuInsVO erfolgen (siehe dazu i. E. den Anhang zu § 86 Rz. 117 ff.). Dabei ist eine frühzeitige Einbindung aller an der Restrukturierung Beteiligten sowie eine gute Pressearbeit des Schuldners bzw. des Restrukturierungsbeauftragten auch im Vorfeld der öffentlichen Bekanntmachungen nach §§ 84 ff. unerlässlich, um negative Publizität zu vermeiden. 7

Aus Sicht der Gläubiger und Geschäftspartner hat die öffentliche Bekanntmachung darüber die Funktion, die Allgemeinheit und damit auch eventuellen neuen Gläubigern und Geschäftspartnern, die vom Schuldner nicht ausdrücklich einbezogen wurden, die Kenntniserlangung von der Restrukturierungssache zu ermöglichen.

8

Aus Sicht der (Restrukturierungs-)Gerichte in den Unionsstaaten hat die öffentliche Bekanntmachung die Funktion, die unkoordinierte Eröffnung mehrerer paralleler vorinsolvenzlicher Sanierungsverfahren zu verhindern.

9

Eine wesentliche Zielsetzung des StaRUG liegt darin, Unternehmen zu einem frühen Zeitpunkt den Zugang zum Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen zu ermöglichen, um damit eine ansonsten drohende Insolvenz zu vermeiden. Dieses Ziel kommt in § 1 zum Ausdruck, der Regelungen zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement enthält. Keine Verpflichtung des Schuldners zur öffentlichen Bekanntmachung anzuordnen entspricht auch der Zielsetzung, den Anreiz zur frühzeitigen Inanspruchnahme des Restrukturierungs- und Stabilisierungsrahmen nicht durch die mit der öffentlichen Bekanntmachung einhergehenden negativen Publizität zu gefährden.

10

Die öffentliche Bekanntmachung einer Restrukturierungssache nach den Regelungen des StaRUG ist zwar qualitativ nicht mit der öffentlichen Bekanntmachung eines Insolvenzverfahrens gleichzusetzen, da sie zu einem früheren Verfahrensstadium erfolgt, in dem die Krise sich nur begrenzt manifestiert hat. Allerdings dürfte aller Voraus_____________ 13) Vgl. Paulus, EuInsVO, Art. 1 Rz. 19. 14) Vgl. Paulus, EuInsVO, Art. 1 Rz. 19. 15) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BR-Drucks. 619/20, S. 206.

1114

Abel/Herbst

§ 84

Antrag und erste Entscheidung

sicht nach alleine die begriffliche Unterscheidung zwischen „Restrukturierungsache“ und „Insolvenzverfahren“ nicht ausreichen, um die Restrukturierungssache in der Außenwahrnehmung vom Stigma der Insolvenz(nähe) zu befreien. Möchte der Schuldner von der Zustellung der Stabilisierungsanordnung an die von ihr betroffenen Gläubiger gemäß § 51 Abs. 4 Satz 1 absehen, muss er die Restrukturierungssache jedoch öffentlich bekannt machen, da die Vertraulichkeit in diesem Fall mit dem in Art. 19 Abs. 4 GG garantierten effektiven Rechtschutz nicht vereinbar wäre.

11

III. Antragstellung 1.

Keine Veröffentlichung von Amts wegen (Abs. 1 Satz 1)

In Verfahren über Restrukturierungssachen erfolgen öffentliche Bekanntmachungen nur, wenn der Schuldner dies beantragt. Damit stellt die vertrauliche Handhabung von Restrukturierungssachen den gesetzlichen Regelfall dar, von dem der Schuldner abweichen kann. Entscheidet er sich für eine öffentliche Bekanntmachung, erfolgt diese auf Antrag des Schuldners beim Restrukturierungsgericht. 2.

12

Zeitpunkt und erste Entscheidung (Abs. 1 Satz 2)

Der Schuldner muss den Antrag nach § 84 Abs. 1 Satz 2 vor der ersten Entscheidung in der Restrukturierungssache stellen. Hiermit ist die erste Entscheidung des Restrukturierungsgerichts gemeint.16) Eine formale Eröffnungsentscheidung sieht das StaRUG auf nationaler Ebene nicht vor, da es sich bei Restrukturierungssachen nach dem StaRUG um kein neues formalisiertes gerichtliches Verfahren, sondern den Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie folgend um einen allgemeinen „Restrukturierungsrahmen“ („restructuring framework“) handelt.17) Die Anerkennung öffentlicher Restrukturierungssachen nach der EuInsVO erfordert aber auf europäischer Ebene nach der Systematik der EuInsVO eine Eröffnungsentscheidung. Die erste Entscheidung in einer Restrukturierungssache gilt daher innerhalb des grenzüberschreitenden Anwendungsbereichs der EuInsVO als Eröffnungsentscheidung i. S. des Art. 2 Nr. 7 EuInsVO.18) Die erste Entscheidung des Restrukturierungsgerichts wird vielfach eines der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens i. S. des § 29 betreffen, könnte aber auch die Aufhebung der Restrukturierungsache von Amts wegen gemäß § 33 oder eine Verweisung nach § 33 Abs. 2 Nr. 2 sein.

13

Sie kann dagegen nicht schon in der Anzeige der Restrukturierungssache durch den Schuldner gesehen werden.

14

Grundsätzlich befasst sich das Gericht nach der Anzeige des Schuldners gemäß § 31 zum ersten Mal mit der Restrukturierungssache bzw. dem Entwurf des Restrukturierungsplans. Die Anzeige ist eine einseitige Verfahrenshandlung und stellt keinen durch das Gericht zu verbescheidenden Antrag da. Sie soll insbesondere sicherstellen, dass das Restrukturierungsgericht eine ausreichende Informationsgrundlage bekommt,

15

_____________ 16) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BR-Drucks. 619/20, S. 207. 17) Vgl. Madaus, NZI 2017, 329, 330. 18) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BR-Drucks. 619/20, S. 207.

Abel/Herbst

1115

§ 84

Antrag und erste Entscheidung

um in einem ersten Schritt über seine Zuständigkeit und zu einem späteren Zeitpunkt über die in der Folge beantragten Instrumente des § 29 entscheiden zu können.19) Die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache tritt automatisch ein (§ 31 Abs. 3) und dauert an, bis sie gemäß § 31 Abs. 4 ihre Wirkung verliert. 16

Worin die erste Entscheidung des Restrukturierungsgerichts zu sehen ist, ist letztlich eine Frage des Einzelfalls.

17

In Betracht kommen etwa die folgenden Entscheidungen: –

Entscheidung bezüglich einer gerichtlichen Planabstimmung, §§ 45 f.,



Bestimmung eines Vorprüfungstermins §§ 47 f.,



Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten, §§ 73, 77,



Erlass einer Stabilisierungsanordnung, § 29 Abs. 2 Nr. 3,



Aufhebungsentscheidung gemäß § 33.

18

Vielfach wird die erste Entscheidung in der Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten liegen. Die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten erfolgt von Amts wegen in den unter § 73 Abs. 1 genannten Fällen, also dem Fall eines Eingriffs in die Rechte von Verbrauchern oder kleinen oder Kleinstunternehmen (§ 73 Abs. 1 Nr. 1), eines Antrags auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung (§ 73 Abs. 1 Nr. 2) oder der Überwachung der Befriedigung der Gläubigeransprüche nach den Regelungen des Restrukturierungsplans (§ 73 Abs. 1 Nr. 3). Im Übrigen erfolgt die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten auf Antrag des Schuldners gemäß § 77 (fakultativer Restrukturierungsbeauftragter).

19

Als weitere erste Entscheidung i. S. des § 84 Abs. 1 kommt der gerichtliche Erlass einer Stabilisierungsanordnung gemäß §§ 29 Abs. 2 Nr. 3, 49 in Betracht. Der Erlass einer Stabilisierungsanordnung setzt dabei stets einen Antrag des Schuldners gemäß § 49 Abs. 1 voraus. In aller Regel geht die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten dem Erlass einer Stabilisierungsanordnung voraus. Denn das Gericht hat einen (obligatorischen) Restrukturierungsbeauftragten immer dann von Amts wegen zu bestellen, wenn der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung beantragt, welche sich mit Ausnahme der nach § 4 ausgenommenen Forderungen gegen alle oder im Wesentlichen gegen alle Gläubiger richten soll, § 73 Abs. 1 Nr. 2. Daher dürfte der Erlass einer Stabilisierungsanordnung als erste Entscheidung einen Ausnahmefall darstellen, der dann zum Tragen kommt, wenn die Stabilisierungsanordnung sich nur gegen einzelne ausgewählte Gläubiger richtet.

20

Denkbar ist aber auch, dass das Gericht nach Anzeige der Restrukturierungsache eine Aufhebungsentscheidung gemäß § 33 trifft bzw. die Restrukturierungssache aufgrund fehlender Zuständigkeit nach § 33 Abs. 1 Nr. 2 verweist, noch bevor der Schuldner einen zu verbescheidenden Antrag stellt. Im Fall einer Aufhebungsentscheidung stellt sich die Frage nach der Veröffentlichung zukünftiger Entscheidung der Restrukturierungssache allerdings nicht mehr.

_____________ 19) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BR-Drucks. 619/20, S. 152.

1116

Abel/Herbst

§ 84

Antrag und erste Entscheidung

Hat der Schuldner bis zur ersten Entscheidung keinen Antrag gestellt, unterleibt die öffentliche Bekanntmachung während der gesamten Restrukturierungssache. Umgekehrt kann der Schuldner einen einmal gestellten Antrag nur bis zur ersten Entscheidung zurücknehmen, vgl. § 84 Abs. 1 Satz 2 a. E. Die Wahl des Schuldners bleibt also über das ganze Verfahren hinweg bindend.20) Er sollte sich daher zur Vermeidung von Nachteilen, die ihm aus einer überraschenden schnellen ersten Entscheidung des Restrukturierungsgerichts drohen, möglichst bereits vor der Anzeige entschieden haben, ob er die Restrukturierungssache öffentlich bekannt machen möchte oder nicht.

21

Beabsichtigt der Schuldner die Restrukturierungssache öffentlich zu betreiben, dann sollte er den Antrag auf öffentliche Bekanntmachung nach § 84 bereits mit der Anzeige nach § 31 verbinden.

22

Die Bestellung eines Sanierungsmoderators auf Antrag des Schuldners gemäß § 94 Abs. 1 stellt dagegen keine Entscheidung in der Restrukturierungssache dar. Die Sanierungsmoderation wird als eine Vorstufe verstanden und ist kein Instrument des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens i. S. des § 29 Abs. 2.21)

23

3.

Zuständigkeit und Kompetenzen

a) Zuständiges Gericht Der Antrag auf Veröffentlichung ist beim zuständigen Restrukturierungsgericht zu stellen.

24

b) Beteiligung und Kompetenzen Der Antrag ist durch den Schuldner, bei juristischen Personen im Außenverhältnis durch das nach nationalem Gesellschaftsrecht zuständige Vertretungsorgan, zu stellen. Auch die Kompetenzzuweisung im Innenverhältnis richtet sich nach dem nationalen Recht.22) Hier können sich insbesondere Fragen zur Beteiligung der Gesellschafter bzw. des Aufsichtsrats stellen:

25

Bei der AG besteht vor der Entscheidung über die Öffentlichkeit des Verfahrens (genau wie für die Einleitung des Restrukturierungs- und Sanierungsrahmens an sich) kein Beschlusserfordernis der Hauptversammlung.23) Ein bestehender Aufsichtsrat ist wiederum aufgrund der möglichen negativen Publizitätswirkung (siehe Rz. 6, 9 f.) und den damit einhergehenden Risiken über die Antragsstellung, gemäß § 90 Abs. 1 Nr. 4 AktG zu informieren.24) Eine Informationspflicht für Maßnahmen des Krisenmanagements folgt zudem direkt aus § 1 Abs. 1 Satz 2.25) Die Frage, ob eine Restrukturierungssache öffentlich betrieben wird, ist aufgrund der oben aufgeführten Erwägungen eine wesentliche und aufgrund der Bindungswirkung für das weitere Verfahren auch eine der ersten Entscheidungen des Krisenmanagements (siehe Rz. 9 f.).

26

_____________ 20) 21) 22) 23) 24)

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BR-Drucks. 619/20, S. 207. Vgl. Thole, ZIP 2020, 2000; Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BR-Drucks. 619/20, S. 207. Vgl. Müller, ZGR 2018, 56, 60. Vgl. Seibt/v. Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1195. Bzgl. der Einleitung des Restrukturierungsverfahrens Seibt/v. Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1195; bei Insolvenzantrag wg. drohender Zahlungsunfähigkeit Lutter, ZIP 1999, 641, 642. 25) Vgl. Seibt/Bulgin, DB 2020, 2226, 2229.

Abel/Herbst

1117

§ 84

Antrag und erste Entscheidung

27

Über die Informationspflicht hinaus können sich aufgrund des Öffentlichkeitsbezugs auch Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrates gemäß eines bestehenden Vorbehaltskataloges bzw. ad-hoc ergeben (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG).26) Dafür spricht insbesondere, dass sich die Überwachungspflicht des Vorstandes bei besonders kritischen Geschäften bzw. in der Krise intensiviert.27)

28

Bei der GmbH erfordert das „Interesse der Gesellschaft“ gemäß § 49 Abs. 2 GmbHG die Entscheidungskompetenz der Gesellschafterversammlung im Innenverhältnis.28) Die Frage, ob eine Restrukturierungssache öffentlich bekannt gemacht wird, stellt insbesondere wegen des dadurch drohenden Reputationsverlusts ein außergewöhnliches Geschäft mit nachhaltigem Einfluss auf die Interessen des Unternehmens und der Gesellschafter dar (für weitere Gründe, die gegen eine öffentliche Bekanntmachung sprechen siehe Rz. 2 ff.).29) 4.

Form und Angaben (Abs. 1 Satz 3)

29

Das Gesetz sieht keine besonderen Formerfordernisse vor. Der Antrag auf öffentliche Bekanntmachung sollte schon aus Dokumentationsgründen schriftlich erfolgen. Nachdem das Gericht zudem gemäß § 39 Abs. 3 aus Beschleunigungsgründen seine Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung trifft, wird der Antrag nahezu zwangsläufig schriftlich zu stellen sein.

30

Soweit § 84 Abs. 1 Satz 3 auf Art. 102c § 5 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung (EGInsO) verweist, hat der Antrag, soweit Anhaltspunkte dafür bestehen, dass auch die internationale Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats der EU für die Eröffnung eines Hauptverfahrens nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO bestehen könnte, die in Art. 102c § 5 Satz 2 Nr. 1 bis 4 EGInsO benannten Angaben zu enthalten:

31



seit wann der Sitz, die Hauptniederlassung oder der gewöhnliche Aufenthalt an dem im Antrag genannten Ort besteht,



Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen in der Bundesrepublik Deutschland nachgeht,



in welchen anderen Mitgliedstaaten sich Gläubiger oder wesentliche Teile des Vermögens befinden oder wesentliche Teile der Tätigkeit ausgeübt werden und,



ob bereits in einem anderen Mitgliedstaat ein Eröffnungsantrag gestellt oder ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wurde.

Diese Angaben dienen zur Ermittlung der hauptsächlichen Interessen (COMI) i. S. des Art. 3 EuInsVO und damit zur Klärung der Angaben, die die erste Entscheidung nach § 84 Abs. 2 zu enthalten hat.

_____________ 26) Vgl. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111 Rz. 126. 27) Vgl. Grigoleit-Grigoleit/Tomasic, AktG, § 111 Rz. 88; Seibt, ZIP 2013, 1597, 1606; OLG Stuttgart, Urt. v. 29.12.2012 – 20 U 3/11; ZIP 2012, 626, 627. 28) Ausführlich zur Einleitung des Restrukturierungsverfahrens Seibt/v. Treuenfeld, DB 2019, 1190 ff.; zu Sanierungsmaßnahmen im Allgemeinen Bork, ZIP 2011, 101, 108. 29) Vgl. Liebscher in: MünchKomm-GmbHG, § 49 Rz. 51.

1118

Abel/Herbst

§ 84

Antrag und erste Entscheidung

IV. Angaben in der ersten Entscheidung der Restrukturierungssache (Abs. 2) Der Gesetzgeber sieht die Aufnahme öffentlicher Restrukturierungssachen in den Anhang A der EuInsVO vor. Nach der Aufnahme in Anhang A handelt es sich bei den öffentlichen Restrukturierungssachen auf europäischer Ebene um ein Insolvenzverfahren i. S. der EuInsVO. Die erste Entscheidung in einer Restrukturierungssache gilt dann als Eröffnungsentscheidung i. S. des Art. 2 Nr. 7 EuInsVO.30) Daher hat sie auch die Gründe zu enthalten, aus denen sich die internationale Zuständigkeit des Gerichts ergibt (§ 84 Abs. 1 Satz 1).

32

Nach § 84 Abs. 2 Satz 2 sind die in Art. 24 Abs. 2 EuInsVO genannten Informationen öffentlich bekannt zu machen. Dabei handelt es sich um Pflichtinformationen, insbesondere das Datum der Eröffnungs-/ersten Entscheidung, das zuständige Restrukturierungsgericht, Name, Sitz und Registernummer des Schuldners.

33

§ 84 Abs. 2 Satz 3 verweist bezüglich der Rechtmittel gegen die erste Entscheidung auf Art. 102c § 4 des EGInsO (siehe nachfolgend Rz. 35 ff.).

34

V. Anfechtung der ersten Entscheidung Dass in öffentlichen Restrukturierungssachen – wie bereits dargelegt – die erste Entscheidung des Restrukturierungsgerichts zugleich die Eröffnungsentscheidung i. S. des Art. 2 Nr. 7 EuInsVO darstellt, hat auch Bedeutung für die Rechtsmittelfähigkeit dieser Entscheidung.31) Denn Art. 5 Abs. 1 EuInsVO garantiert unionsrechtlich ein eigenständiges Rechtsmittel gegen die Eröffnungsentscheidung und damit gegen die erste Entscheidung in einer grenzüberschreitenden öffentlichen Restrukturierungssache.32) 1.

35

Anfechtung aus Gründen der internationalen Zuständigkeit (Art. 5 Abs. 1 EuInsVO i. V. m. Art. 102c § 4 EGInsO)

§ 84 Abs. 2 Satz 3 verweist bezüglich der Rechtmittel gegen die erste Entscheidung auf Art. 102c § 4 EGInsO. Dieser dient der Durchsetzung der Rechtsmittelfähigkeit gemäß Art. 5 Abs. 1 EuInsVO.33)

36

Als statthaftes Rechtsmittel sieht der deutsche Gesetzgeber i. S. des Art. 102c § 4 EGInsO die sofortige Beschwerde nach § 40 vor.34) Gegen die Entscheidung über die sofortige Beschwerde erklärt Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO die Vorschriften der §§ 574-577 ZPO zur Rechtsbeschwerde für entsprechend anwendbar.

37

Der Beschwerdegegenstand nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO ist auf die in der Eröffnungsentscheidung/ersten Entscheidung ausdrücklich oder konkludent bejahte internationale Zuständigkeit beschränkt.35) Die Ablehnung der ersten Entscheidung

38

_____________ 30) 31) 32) 33) 34)

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BR-Drucks. 619/20, S. 207. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BR-Drucks. 619/20, S. 207. Vgl. Mankowski/Müller/J. Schmidt-Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 5 Rz. 4. Vgl. Nerlich/Römermann-Hübler, InsO, Art. 102c § 4 EGInsO Rz. 1. Zur Anwendung von § 6 InsO vgl. Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Art. 102c § 4 EGInsO Rz. 2. 35) Vgl. Vallender-Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rz. 2; AG Berlin-Charlottenburg, Beschl. v. 4.1.2018 – 36 N IN 6433/17, ZInsO 2018, 111.

Abel/Herbst

1119

§ 84

Antrag und erste Entscheidung

durch das Restrukturierungsgericht ist nicht nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO i. V. m. Art. 102c § 4 EGInsO anfechtbar.36) Ebenfalls nicht möglich ist eine Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 aus Gründen der örtlichen, sachlichen oder funktionellen Zuständigkeit.37) 39

Anfechtungsbefugt ist nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO der Schuldner oder jeder Gläubiger. 2.

40

Anfechtung aus anderen Gründen und durch andere Personen (Art. 5 Abs. 2 EuInsVO)

Die erste Entscheidung in der Restrukturierungssache kann auch aus anderen Gründen, als demjenigen der fehlenden internationalen Zuständigkeit und durch andere Anfechtungsberechtigte angefochten werden. Art. 5 Abs. 2 EuInsVO stellt hierzu deklaratorisch klar, dass sich eine Anfechtung insoweit nach nationalem Recht richtet.38) Gemäß § 40 Abs. 1 sieht das StaRUG nur in besonders angeordneten Fällen ein Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts vor (vgl. § 51 Abs. 5, § 66, § 75 Abs. 3). VI. Rechtsfolgen der öffentlichen Bekanntmachung 1.

41

Folgen für Anerkennung und Vollstreckung

Die auf Antrag des Schuldners erfolgte öffentliche Bekanntmachung einer Restrukturierungssache hat demnach in erster Linie Rechtsfolgen für die Anerkennung und Vollstreckung der gerichtlichen Entscheidungen in der Restrukturierungssache in den anderen Mitgliedstaaten gemäß den Regelungen der EuInsVO. Die Anerkennung von Eröffnungsentscheidungen erfolgt gemäß Art. 19 EuInsVO. Die Anerkennung und Vollstreckbarkeit sonstiger Entscheidungen eines Gerichts zur Durchführung, Beendigung sowie Annexentscheidungen und Entscheidungen über Sicherungsmaßnahmen regelt Art. 32 Abs. 1 EuInsVO. Sofern die Entscheidungen in einer öffentlichen Restrukturierungssache einen vollstreckbaren Inhalt haben, verweist Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 auf die EuGVVO. 2.

Folgen für die Stabilisierungsanordnung

42

Gemäß § 53 Abs. 1, 2 und 4 bleibt die Anordnungsdauer für vertrauliche Restrukturierungssachen auf maximal vier Monate begrenzt, wenn der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten vor Einreichung eines Antrags auf Eröffnung eines präventiven Restrukturierungsverfahrens aus einem anderen Mitgliedstaat der EU in das Inland verlegt wurde.

43

Diese Regelung dient der Umsetzung von Art. 6 Abs. 8 Unterabs. 2 der Restrukturierungsrichtlinie. Sie soll verhindern, dass Unternehmen ihren Sitz in das Inland verlegen, um in den Genuss langer Aussetzungsfristen zu kommen ohne ein öffentliches Verfahren zu betreiben. Angesichts der Tatsache, dass den Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung der Länge der Aussetzungsfristen ein gewisser Umsetzungs_____________ 36) Vgl. Vallender-Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rz. 4. 37) Vgl. Mankowski/Müller/J. Schmidt-Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 5 Rz. 6. 38) Vgl. Prager/Keller in: Bork/Hölzle, Hdb. Insolvenzrecht, Kap. 20 Rz. 55.

1120

Abel/Herbst

§ 85

Besondere Bestimmungen

spielraum zugebilligt wurde (ErwG 35 der Richtlinie), soll kein Anreiz bestehen, dass Unternehmen sich i. R. von vertraulichen Restrukturierungsverfahren den Mitgliedstaat mit den günstigsten Bedingungen für eine Stabilisierungsanordnung auswählen (sog. Forum Shopping). Auf die Zustellung der Stabilisierungsanordnung kann in öffentlichen Restrukturierungssachen verzichtet werden, wenn sich die Anordnung mit Ausnahme der in § 4 genannte Gläubiger gegen alle Gläubiger richtet, vgl. § 51 Abs. 4.

44

§ 85 Besondere Bestimmungen Abel/Herbst

(1) Öffentlich bekannt zu machen sind neben den in § 84 Absatz 2 Satz 2 genannten Angaben: 1.

Ort und Zeit gerichtlicher Termine,

2.

die Bestellung und Abberufung eines Restrukturierungsbeauftragten,

3.

sämtliche gerichtliche Entscheidungen, die in der Restrukturierungssache ergehen.

(2) 1Erfolgen öffentliche Bekanntmachungen nach Absatz 1, ist eine Zustellung von Ladungen zu Terminen gegenüber Aktionären, Kommanditaktionären und Inhabern von Schuldverschreibungen nicht erforderlich. 2Handelt es sich bei dem Schuldner um eine börsennotierte Aktiengesellschaft, findet § 121 Absatz 4a des Aktiengesetzes entsprechende Anwendung. Übersicht I.

Inhalt der öffentlichen Bekanntmachung (Abs. 1) ................................. 1

II. Öffentliche Bekanntmachung bei Gesellschaften nach dem AktG (Abs. 2) .................................................. 3

I.

Inhalt der öffentlichen Bekanntmachung (Abs. 1)

§ 85 Abs. 1 benennt Informationen, die in öffentlichen Restrukturierungssachen zwingend öffentlich bekanntzumachen sind. Neben sämtlichen Entscheidungen, die in der Restrukturierungssache ergehen, sind dies auch Ort und Zeit gerichtlicher Termine.1) Der Umfang der veröffentlichten Informationen orientiert sich an dem Zweck der öffentlichen Bekanntmachung, ihren Adressaten diejenigen Daten und Informationen bereitzustellen, die diese für eine effektive Wahrnehmung ihrer Verfahrensrechte benötigen.2) Zugleich enthält sie diejenigen Mindestangaben, die die (Restrukturierungs-)Gerichte der Mitgliedstaaten benötigen, um die unkoordinierte Eröffnung paralleler präventiver Sanierungsverfahren nach den anderen europäischen Rechtsordnungen zu vermeiden und um das sich aus Art. 3 Abs. 3 EuInsVO ergebende Prioritätsprinzip zu beachten. _____________ 1) 2)

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BR-Drucks. 619/20, S. 207. Im Zusammenhang mit § 9 InsO: Uhlenbruck-Pape, InsO, § 9 Rz. 4.

Abel/Herbst

1121

1

§ 86 2

Öffentliche Bekanntmachung

Beschränkt wird die öffentliche Bekanntmachung von Informationen durch die Regelungen des Datenschutzes, insbesondere durch den auf das StaRUG anwendbaren § 1 Satz 2 InsBekV (siehe § 86 Rz. 16 ff.).3) II. Öffentliche Bekanntmachung bei Gesellschaften nach dem AktG (Abs. 2)

3

§ 85 Abs. 2 orientiert sich an den §§ 235 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 3, Satz 4, 241 Abs. 2 Satz 2 InsO.4)

4

Erfolgen in der Restrukturierungssache öffentliche Bekanntmachungen können Zustellungen von Ladungen zu Terminen gegenüber Aktionären, Kommanditaktionären und Inhabern von Schuldverschreibungen unterbleiben. Die Vorschrift dient der Verfahrensbeschleunigung und der Einsparung hoher Kosten.

5

Börsennotierte Gesellschaften haben gemäß § 85 Abs. 2 Satz 4 nach Maßgabe des § 121 Abs. 4a AktG die Ladung solchen Medien zur Veröffentlichung zuzuleiten, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass sie die Information in der gesamten EU verbreiten. _____________ 3) 4)

Für § 9 InsO: Madaus in: BeckOK-InsO, § 9 Rz. 8. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BR-Drucks. 619/20, S. 207.

§ 86 Öffentliche Bekanntmachung Abel/Herbst

(1) 1Die öffentliche Bekanntmachung erfolgt durch eine zentrale und länderübergreifende Veröffentlichung im Internet; diese kann auszugsweise geschehen. 2 Die Bekanntmachung gilt als bewirkt, sobald nach dem Tag der Veröffentlichung zwei weitere Tage verstrichen sind. (2) 1Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Einzelheiten der zentralen und länderübergreifenden Veröffentlichung im Internet zu regeln. 2 Dabei sind insbesondere Löschungsfristen vorzusehen sowie Vorschriften, die sicherstellen, dass die Veröffentlichungen 1.

unversehrt, vollständig, sachlich richtig und aktuell bleiben,

2.

jederzeit ihrem Ursprung nach zugeordnet werden können.

(3) Die öffentliche Bekanntmachung genügt zum Nachweis der Zustellung an alle Beteiligten, auch wenn dieses Gesetz neben ihr eine besondere Zustellung vorschreibt. Übersicht I. Anwendung .......................................... 1 II. Zweck der öffentlichen Bekanntmachung ................................................ 2 III. Art der öffentlichen Bekanntmachung (Abs. 1 Satz 1) ........................... 5 IV. Wirkung der öffentlichen Bekanntmachung ............................... 11

1122

1. 2.

Zustellungswirkung (Abs. 3) .............. 11 Folgen der fehlerhaften Bekanntmachung ............................................... 15 V. Umgang mit veröffentlichten Daten nach der InsBekV (Abs. 2) ................................................ 16

Abel/Herbst

§ 86

Öffentliche Bekanntmachung VI. Öffentliche Bekanntmachung in einem anderen Mitgliedstaat (Art. 28 EuInsVO) ............................. 20 1. Allgemeines ......................................... 20

I.

2. 3.

Sinn und Zweck ................................... 22 Antragsverpflichteter und Antragsbefugter (Art. 28 EuInsVO) .............. 24

Anwendung

Die Norm betrifft nur die Fälle, in denen die Restrukturierungssache öffentlich geführt wird und das Gesetz ausdrücklich eine öffentliche Bekanntmachung vorsieht. Sie entspricht § 9 Abs. 1 InsO.1)

1

II. Zweck der öffentlichen Bekanntmachung Da nur öffentliche Restrukturierungssachen in den Anhang A der EuInsVO aufgenommen werden, beanspruchen nur die Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts in öffentlichen Restrukturierungssachen die weitreichende automatische Anerkennung in anderen Mitgliedstaaten nach den Regelungen der EuInsVO. Vertraulichen Verfahren ist die Anerkennung nach der EuInsVO versagt, da Gläubiger und Gerichte in anderen Mitgliedstaaten von den Entscheidungen keine Kenntnis erlangen können.2) Insbesondere Gläubiger, die von einer Stabilisierungsanordnung betroffen sind, sollen über diese unterrichtet werden, gemäß § 51 Abs. 4. Damit verschafft die öffentliche Bekanntmachung der Restrukturierungssache Geltung im Rechtsverkehr.

2

Schließlich dient die öffentliche Bekanntmachung auch der Verfahrensökonomie, indem etwa auf zeit- und kostenintensivere Einzelzustellungen verzichtet werden kann, § 51 Abs. 4. Zu weiteren Gründen die aus Sicht des Schuldners dafür sprechen, eine Restrukturierungssache öffentlich zu betreiben siehe § 84 Rz. 4 ff.

3

4

III. Art der öffentlichen Bekanntmachung (Abs. 1 Satz 1) Die Erwägungsgründe zu § 93 RegE (nun § 86) sprechen von einer zentralen und länderübergreifenden Plattform.3) Das von Nordrhein-Westfalen betriebene Internet Portal (www.insolvenzbekanntmachungen.de) stellt eine solche zentrale und länderübergreifende Plattform dar.

5

Allerdings sollte schon aufgrund der Zielsetzung der Restrukturierung, ein Insolvenzverfahren durch rechtzeitige Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens gerade zu vermeiden, das Internet Portal www.insolvenzbekanntmachungen.de nicht verwendet werden. Es würde die öffentlich bekannt gemachte Restrukturierungssache in unnötiger und letztlich auch inhaltlich unzutreffender Weise mit dem weitergehenden Stigma der Insolvenz belasten. Auch in diesem Zusammenhang sollte, wie auch schon bei der Kodifizierung des Restrukturierungs- und Stabilisierungsrahmens außerhalb der InsO, eine klare Trennung vollzogen werden. Bis zum Inkrafttreten der §§ 84 ff. zum 17.7.2022 ist daher eine neue Plattform für „Restrukturierungsbekanntmachungen“ zu schaffen.

6

Eine Veröffentlichung über Printmedien dürfte aufgrund der zu erreichenden Verkehrskreise dagegen ausscheiden. Über das Internet wird eine weltweite Publizität _____________

7

1) 2) 3)

Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BR-Drucks. 619/20, S. 207. ErwG 12 und 13 EuInsVO. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BR-Drucks. 619/20, S. 207.

Abel/Herbst

1123

§ 86

Öffentliche Bekanntmachung

erzeugt, auf die wegen des Zwecks der öffentlichen Bekanntmachung (siehe Rz. 2), Gläubiger und Gerichte in anderen Mitgliedstaaten über die getroffenen Entscheidungen zu informieren, nicht verzichtet werden kann. 8

In den Art. 24 und 25 EuInsVO ist die internetbasierte Vernetzung der nationalen Insolvenzregister vorgeschrieben. Zugriff auf die bereits veröffentlichten Register ist unter https://ejustice.europa.eu/content_interconnected_insolvency_registers_ search-246-de.do möglich.

9

Bei Bekanntmachungen im Internet verzichtet Nr. 9004 Abs. 1 KV GKG auf eine Auslagenerstattung, sodass sie gegenüber einer Veröffentlichung in Printmedien auch kostengünstiger ist. Der Gesetzgeber hat den Geltungsbereich des GKG in § 1 Abs. 1 Nr. 3a um das StaRUG ergänzt.

10

Die Bekanntmachung soll gemäß Art. 24 EuInsVO so bald als möglich nach der Eröffnungsentscheidung, hier also der ersten Entscheidung des Restrukturierungsgerichts über eines der Instrumente i. S. des § 29, erfolgen.4) Sie kann gemäß § 86 Abs. 1 Halbs. 2 auch auszugsweise erfolgen. IV. Wirkung der öffentlichen Bekanntmachung 1.

11 12

13

14

Zustellungswirkung (Abs. 3)

Die Bekanntmachung gilt mit dem Ablauf von zwei Tagen nach dem Tag der Veröffentlichung als bewirkt. Das BVerfG hat für die Zustellungsfiktion in Masseverfahren nach der VerglO entschieden, dass sie aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden ist, solange der gerichtliche Rechtsschutz dadurch nicht unzumutbar eingeschränkt wird. Die Zustellungsfiktion des § 119 Abs. 4 VerglO finde ihre Rechtfertigung darin, dass Insolvenzverfahren regelmäßig eine hohe Zahl von Beteiligten aufweisen, deren Person und Wohnort nicht immer bekannt sind.5) Insbesondere bei grenzüberschreitenden Sanierungsverfahren nach dem StaRUG wird der Kreis der Betroffenen regelmäßig groß und unüberschaubar sein, sodass eine klare Regelung zur Zustellungswirkung in Form der Zustellungsfiktion sachgerecht ist. Der Gesetzgeber hat sie in § 9 Abs. 3 InsO auch für Insolvenzverfahren allgemein vorgesehen. Der öffentlichen Bekanntmachung kommt die Wirkung einer Zustellung zu. Der Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung ist damit relevant für den Beginn des Laufs der Beschwerdefrist (§ 40 Abs. 2). Diese berechnet sich nach § 188 Abs. 2 Alt. 2 BGB. Das Zivilprozessrecht knüpft darüber hinaus die Wirksamkeit von Beschlüssen zudem an den Zugang bei den Betroffenen.6) Zuzustellende Beschlüsse, bspw. der Beschluss über die Stabilisierungsanordnung nach § 51 Abs. 5, werden erst mit ihrer Zustellung, bzw. der öffentlichen Bekanntmachung, wirksam. Vor diesem Zeitpunkt handelt es sich lediglich um sog. gerichtsinterne Entwürfe.7) Erst mit der Wirksamkeit treten die bestimmungsgemäßen Rechtsfolgen des Beschlusses ein.8) _____________ 4) 5) 6) 7) 8)

ErwG 19 EuInsVO. BVerfG, Beschl. v. 2.12.1987 – 1 BvR 1291/85, NJW 1988, 1255, 1256 = ZIP 1988, 379. Vgl. Musielak in: MünchKomm-ZPO, § 329 Rz. 6. Vgl. Musielak in: MünchKomm-ZPO, § 329 Rz. 8. KG Berlin, Beschl. v. 21.12.1999 – 1 W 1578/99, NJW-RR 2000, 1239.

1124

Abel/Herbst

§ 86

Öffentliche Bekanntmachung

2.

Folgen der fehlerhaften Bekanntmachung

Eine fehlerhafte Bekanntmachung löst ggf. die Zustellungswirkung des § 86 Abs. 3 nicht aus, wenn dadurch der effektive Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG unverhältnismäßig beschränkt wird. Für die Parallelnorm § 9 Abs. 2 InsO hat dies der BGH etwa für den Fall entschieden, dass die öffentliche Bekanntmachung des Vergütungsbeschlusses den vorläufigen Insolvenzverwalter als (endgültigen) Insolvenzverwalter bezeichnet.9) Denkbar ist diese Konstellation i. R. des StaRUG etwa bei unrichtiger oder fehlerhafter Bezeichnung des Schuldners in der Bekanntmachung des Beschlusses über den Erlass einer Stabilisierungsanordnung nach § 51 Abs. 5.

15

V. Umgang mit veröffentlichten Daten nach der InsBekV (Abs. 2) Die Verordnungsermächtigung dient dazu, den Gesetzestext von technischen Einzelheiten der öffentlichen Bekanntmachung zu entlasten.10) § 1 der geänderten InsBekV ordnet die entsprechende Geltung der InsBekV für öffentliche Bekanntmachungen in Restrukturierungssachen an, soweit die Vorschriften der Verordnung ansonsten nichts Abweichendes regeln.

16

Um i. R. der öffentlichen Bekanntmachung über das Internet eine ausreichende Datensicherheit und den Schutz der Daten vor Missbrauch zu gewährleisten, verpflichtet § 2 Abs. 1 Nr. 1 InsBekV das Restrukturierungsgericht und den Restrukturierungsbeauftragten, durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass Daten bei der Übermittlung an die für die Veröffentlichung zuständige Stelle mindestens fortgeschritten elektronisch signiert werden. Überdies regelt § 2 Abs. 2 Nr. 2 InsBekV, dass die Daten auch während der Veröffentlichung unversehrt, vollständig und aktuell bleiben müssen.

17

§ 3 Abs. 4 InsBekV sieht eine sechsmonatige Speicherfrist für veröffentlichte Daten vor. Im Internet veröffentlichte Daten aus einer Restrukturierungssache werden spätestens sechs Monate nach der Anordnung des jeweiligen Stabilisierung- oder Restrukturierungsinstruments, bei Stabilisierungsanordnungen nach dem Ende ihrer Wirkungsdauer gelöscht.

18

Die Restrukturierungsgerichte haben nach § 4 InsBekV dafür Sorge zu tragen, dass jedermann von den öffentlichen Bekanntmachungen in angemessenem Umfang unentgeltlich Kenntnis nehmen kann. Die Vorschrift hat vor allem Menschen ohne Internetzugang im Blick.

19

VI. Öffentliche Bekanntmachung in einem anderen Mitgliedstaat (Art. 28 EuInsVO) 1.

Allgemeines

In öffentlichen Restrukturierungsverfahren, die künftig dem Anwendungsbereich der EuInsVO unterliegen, hat der Verwalter oder der Schuldner in Eigenverwaltung gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO zu beantragen, dass eine Bekanntmachung der Entscheidung zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens und ggf. der Entscheidung zur Bestellung des Verwalters in jedem anderen Mitgliedstaat, in dem _____________ 9) BGH, Beschl. v. 17.11.2011 – IX ZB 85/11, NZI 2011, 978. 10) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BR-Drucks. 619/20, S. 207.

Abel/Herbst

1125

20

§ 86

Öffentliche Bekanntmachung

sich eine Niederlassung des Schuldners befindet, nach den in diesem Mitgliedstaat vorgesehenen Verfahren veröffentlicht wird. 21

Art. 28 Abs. 1 EuInsVO statuiert eine Pflicht zur Veröffentlichung in dem Niederlassungsstaat, während Art. 28 Abs. 2 EuInsVO ein ermessensabhängiges Antragsrechts vorsieht, bspw. in den Fällen, in denen der Schuldner zwar über keine Niederlassung in anderen Mitgliedstaaten, wohl aber über erhebliche Vermögensgegenstände verfügt.11) Gemäß Art. 28 Abs. 2 EuInsVO kann beantragt werden, dass die Bekanntmachung nach Art. 28 Abs. 1 EuInsVO in jedem anderen Mitgliedstaat, in dem er dies für notwendig hält, nach dem in diesem Mitgliedstaat vorgesehenen Verfahren der Bekanntmachung veröffentlicht wird. 2.

Sinn und Zweck

22

Wie sich aus ErwG 75 Satz 1 der EuInsVO ergibt, bezweckt die Vorschrift den Schutz des gesamten Geschäfts- und Wirtschaftsverkehrs im Bekanntmachungsstaat.12) Ausländische Gläubiger sollen gleichermaßen wie nationale Gläubiger (in Deutschland gemäß der §§ 84 – 86) über die Verfahrenseröffnung informiert werden. Neben der Pflicht zur öffentlichen Bekanntmachung hat der Verordnungsgeber hierfür in Art. 24 bis 27 EuInsVO Regelungen zu nationalen Insolvenzregistern und deren Vernetzung geschaffen. Die durch die Veröffentlichung erlangte Publizität dient insbesondere dem Gläubigerschutz vor gutgläubigem Erwerb von massezugehörigen Vermögen und vor schuldbefreiender Leistung an den Schuldner (statt an die Masse), gemäß Art. 31 EuInsVO.

23

Wie ErwG 75 Satz 3 der EuInsVO ausdrücklich klarstellt, ist die öffentliche Bekanntmachung nach Art. 28 EuInsVO aber keine Voraussetzung für die Anerkennung des ausländischen Verfahrens. 3.

Antragsverpflichteter und Antragsbefugter (Art. 28 EuInsVO)

24

Der deutsche Gesetzgeber folgte der Anregung der Restrukturierungsrichtlinie13), die es den Mitgliedstaaten nach ihren ErwG 10 und 10a nahegelegt hatte, Entscheidungen des präventiven Restrukturierungsrahmens in den Anwendungsbereich der EuInsVO aufzunehmen. Er hat sich dafür entschieden, öffentliche Restrukturierungssachen in den Anhang A der EuInsVO anzumelden.14)

25

Es stellt sich daher die Frage, wer in öffentlichen Restrukturierungssachen Antragverpflichteter gemäß Art. 28 Abs. 1 bzw. Antragsberechtigter gemäß Art. 28 Abs. 2 EuInsVO ist.

_____________ 11) Vgl. Vallender-Vallender, EuInsVO, Art. 28 Rz. 2. 12) Vgl. Vallender-Vallender, EuInsVO, Art. 28 Rz. 3. 13) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. 14) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BR-Drucks. 619/20, S. 206.

1126

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

Entschließt sich der deutsche Gesetzgeber dazu, dass der Restrukturierungsbeauftragten in Anhang B aufgenommen werden soll, ist er „Verwalter“ i. S. des Art. 2 Nr. 5 EuInsVO und somit auch Antragsverpflichteter gemäß Art. 28 EuInsVO.15) Da der Schuldner der Restrukturierungssache die Kontrolle über sein Vermögen behält, ist er als Schuldner in Eigenverwaltung i. S. des Art. 2 Nr. 3 ebenso Antragsverpflichteter.16) Denn anerkanntermaßen gilt i. R. der EuInsVO als Schuldner in Eigenverwaltung sowohl der Schuldner in einem Insolvenzverfahren, in welchem kein Verwalter bestellt wurde, als auch in einem Verfahren, in welchem zwar ein Verwalter bestellt wurde, diesem aber nicht alle Rechte und Pflichten zur Verwaltung des Vermögens übertragen wurden.17) _____________ 15) Vgl. Vallender-Vallender, EuInsVO, Art. 28 Rz. 6. 16) Vgl. Braun-Ehret, InsO, Art. 28 EuInsVO Rz. 4. 17) Vgl. Vallender-Vallender, EuInsVO, Art. 2 Rz. 9.

Anhang zu § 86 Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen in öffentlichen und nicht öffentlichen Restrukturierungssachen Abel/Herbst

Literatur: Brinkmann, Grenzüberschreitende Sanierung und europäisches Insolvenzrecht, KTS 2014, 381; Hoegen, Schutz für Sanierungsfinanzierungen, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 30; Hoegen/Kranz, Neue Möglichkeiten der Konzernsanierung durch SanInsFoG und StaRUG; NZI 2021, 105; Madaus, Einstieg in die ESUG-Evaluation – Für einen konstruktiven Umgang mit den europäischen Ideen für einen präventiven Restrukturierungsrahmen, NZI 2017, 329; Mankowski, Orientierung des Vergütungssatzes des Insolvenzverwalters am bisherigen Vergütungssatz des Treuhänders, NZI 2017, 459; Parzinger, Die neue EuInsVO auf einen Blick, NZI 2016, 63; Paulus, EuInsVO: Änderungen am Horizont und ihre Auswirkungen, NZI 2012, 297; Paulus, Das englische Scheme of Arrangement – ein neues Angebot auf dem europäischen Markt für außergerichtliche Restrukturierungen, ZIP 2011, 1077; Piepenbrock, Insolvenzrechtliche Annexverfahren im Europäischen Justizraum, KTS 2015, 379; Prager/Keller, Der Entwicklungsstand des Europäischen Insolvenzrechts, WM 2015, 805; Schmidt, H., Der Richtlinienvorschlag für präventive Restrukturierungsrahmen aus Bankensicht, WM 2017, 1735; Skauradszun, Die Restrukturierungsrichtlinie und das „verschwitzte“ internationale Zivilverfahrensrecht, ZIP 2019, 1501; Smid, Der Restrukturierungsbeauftragte in den Regelungen des StaRUG, ZInsO 2020, 2184; Smid, Strukturvorgaben der Restrukturierungsrichtlinie für den „Bestätigten Restrukturierungsplan“ und seine Umsetzung im deutschen Recht, ZInsO 2020, 266; Stahlschmidt, Die Möglichkeiten des neuen Sanierungsrechts anhand eines Fallbeispiels, ZInsO 2021, 205; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Wuschek, Die präventive Sanierung, InsbürO, 2021, 67. Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: Skauradszun/Nijnens, Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts, Stellungnahme Hochschule Fulda z. RefE StaRUG, v. 2.10.2020 (zit.: Skauradszun/Nijnens, Stellungnahme Hochschule Fulda z. RefE StaRUG), abrufbar unter https://www.hs-fulda.de/fileadmin/ user_upload/1_Fotoware/Skauradszun-Nijnens_Stellungnahme_StaRUG__final_.pdf (Abrufdatum: 18.8.2021).

Abel/Herbst

1127

26

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen Übersicht

I. 1.

Grundlagen ........................................... 1 Terminologie und Gegenstand der Untersuchung ........................................ 1 a) Der Begriff der Anerkennung ....... 2 b) Die Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen ...... 5 c) Die Anerkennung von Insolvenzverfahren und vergleichbarer präventiver Restrukturierungsverfahren ............................... 6 d) Die „Zwitterstellung“ nicht öffentlicher präventiver Restrukturierungsverfahren ............... 9 2. Die Anerkennung öffentlicher Restrukturierungsverfahren nach der EuInsVO ....................................... 14 3. Die Anerkennung nicht öffentlicher Restrukturierungsverfahren ............... 16 a) Der Meinungsstand ..................... 16 b) Eigene Stellungnahme: Anerkennung nach internationalem Privat- und Zivilverfahrensrecht .............................................. 20 aa) Die Abgrenzung der in Betracht kommenden Regelwerke ............. 22 bb) Materiell-rechtliche Grundlage präventiver Restrukturierungsverfahren im Insolvenz- und Restrukturierungsrecht ............... 29 cc) Funktion der Veröffentlichung .... 31 dd) Kein Schutzbedürfnis des Schuldners .................................... 35 ee) Der verfahrensrechtliche Gegenstand der Anerkennung in der präventiven Restrukturierung ............................................... 36 II. Die Anerkennung nicht öffentlicher Restrukturierungsverfahren nach internationalem Zivilverfahrensrecht ............................................. 41 1. Beschränkung der Untersuchung (auf die Anerkennung von Entscheidungen europäischer Gerichte in Deutschland) ................................... 41 2. Rechtlicher Rahmen für die Anerkennung von Entscheidungen der nicht öffentlichen präventiven Restrukturierung ..................................... 42 3. Die Anerkennung im Einzelnen ......... 49

1

a) Die Stabilisierungsanordnung ..... 49 b) Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten .................... 58 aa) Aufgaben und Rechtstellung ....... 58 bb) Anerkennung ................................ 63 c) Der gerichtlich bestätigte Restrukturierungsplan ...................... 70 aa) Funktion und gerichtliche Planbestätigung ............................ 70 bb) Die Planregelungen ...................... 75 cc) Die Anerkennung ........................ 76 d) Der gerichtlich bestätigte Sanierungsvergleich ......................... 83 aa) Funktion des Sanierungsvergleichs ........................................... 83 bb) Anerkennung ................................ 85 e) Die Vertragsbeendigung in der präventiven Restrukturierung ..... 86 f) Schutz vor Anfechtbarkeit in einem späteren Insolvenzverfahren ....................................... 94 III. Die Anerkennung öffentlicher Restrukturierungssachen nach der EuInsVO ............................................. 98 1. Die Systematik nach der EuInsVO .... 99 a) Entscheidungen nach der EuInsVO .................................... 103 b) Universalitäts- und Prioritätsprinzip ......................................... 108 c) Kollisionsrecht (Art. 8 und Art. 11 EuInsVO) ...................... 109 2. Internationale Zuständigkeit ............ 113 3. Die Anerkennung im Einzelnen ....... 117 a) Die Stabilisierungsanordnung ... 122 b) Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten ...................... 132 c) Der gerichtlich bestätigte Restrukturierungsplan .................... 134 d) Die Vertragsbeendigung in der präventiven Restrukturierung ... 149 e) Schutz vor Anfechtbarkeit in einem späteren Insolvenzverfahren .......................................... 153 IV. Zusammenfassung ........................... 156 1. Entscheidungen in nicht öffentlichen Restrukturierungsverfahren ............................................ 160 2. Entscheidungen in öffentlichen Restrukturierungsverfahren .............. 165

I.

Grundlagen

1.

Terminologie und Gegenstand der Untersuchung

Entscheidungen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens (vgl. §§ 2 – 93 StaRUG) entfalten ihre Wirkung in grenzüberschreitenden Sanierungen nur, wenn 1128

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

sie in den jeweiligen Mitgliedstaaten anerkannt werden. Ohne die unionsweite Anerkennung wäre die Erreichung der Zielsetzung des StaRUG und der zugrunde liegenden Restrukturierungsrichtlinie1) ernsthaft gefährdet. Bei unzureichender Anerkennung würden sich die Unterschiede in den Mitgliedstaaten weiter verfestigen und die Zielsetzung der Restrukturierungsrichtlinie, die Verbesserung des Binnenmarkts und der Kapitalverkehrsfreiheit i. S. des Art. 26 AEUV verfehlt. Die europaweite Anerkennung deutscher Restrukturierungssachen in den europäischen Mitgliedstaaten ist zudem erforderlich, um im Wettbewerb des Sanierungs- und Restrukturierungsrechts bestehen zu können.2) a) Der Begriff der Anerkennung Gerichtsentscheidungen wirken als Akte hoheitlicher Gewalt grundsätzlich nicht über die Grenzen des die Entscheidung erlassenden Staats hinaus, so dass sie in einem anderen Staat nur dann Wirkung entfalten, wenn dieser sie anerkennt.3) Ob und in welchem Umfang ein Staat ausländische Entscheidungen anerkennt ist seine souveräne Entscheidung, insbesondere besteht keine Anerkennungspflicht kraft allgemeinen Völkerrechts.4) Zahlreiche Staatsverträge sehen die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen vor. Weder § 328 ZPO noch Art. 36 EuGVVO enthalten eine Begriffsbestimmung der Anerkennung. Art. 1 Abs. 1 Satz 3 des deutsch-belgischen Abkommens beschreibt das Wesen der Anerkennung in der Weise, dass den anzuerkennenden Entscheidungen „die Wirkungen zukommen, die ihnen in dem Staat, in dessen Hoheitsgebiet sie ergangen sind, zukommt“.5) Diese Definition bildet die Grundlage der allgemein vertretenen Theorie der Wirkungserstreckung.6) Auf dieser Grundlage entfaltet eine anerkannte ausländische Entscheidung in Deutschland dieselbe Wirkung wie eine entsprechende deutsche Entscheidung.7) Mithin ist unter einer grenzüberscheitenden Anerkennung innerhalb der Mitgliedstaaten die Wirkungserstreckung einer ausländischen Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat zu verstehen.8)

2

Die Anerkennung i. S. einer Wirkungserstreckung ist abzugrenzen von der Frage, ob einzelne Verfahrensbeteiligte, insbesondere Gläubiger oder Anteilsinhaber gerichtliche Entscheidungen i. R. eines Insolvenzverfahrens oder eines präventiven Sanierungsverfahrens missachten, obwohl sie nach den der Anerkennung zugrunde liegenden

3

_____________ 1)

2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Vgl. hierzu auch Hoegen, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 30, 34; Kranz, Die Rescue Culture in Großbritannien, S. 231 ff. Vgl. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, § 17 Rz. 923, S. 335. Vgl. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, § 17 Rz. 923, S. 336. Vgl. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, § 17 Rz. 939, S. 340. Vgl. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, § 17 Rz. 939, S. 340 m. w. N. Vgl. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, § 17 Rz. 941, S. 341. Vgl. Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 129 Rz. 32.

Abel/Herbst

1129

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Vorschriften in der für sie maßgeblichen Rechtsordnung Wirkungen entfalten. Soweit ein Verfahrensbeteiligter sich trotz der grenzüberschreitenden Wirkungserstreckung nicht an die Entscheidung des Gerichts eines anderen Mitgliedstaates gebunden fühlt und diese missachtet, verhält er sich (zivil)rechtswidrig gegenüber den anderen Verfahrensbeteiligten. Die Frage, welche Möglichkeiten den durch eine solche Missachtung beeinträchtigten Personen zusteht, ist von der Frage der Anerkennung abzugrenzen. Ob und ggf. welche Rechtsmittel für die in ihrer Rechtstellung beeinträchtigten Verfahrensbeteiligten dann zur Verfügung stehen, ist keine Fragen der Anerkennung. Soweit die anwendbaren Rechtsordnungen Rechtsmittel vorsehen, bildet die Anerkennung vielmehr eine Vorfrage für deren Begründetheit. 4

Ferner sind dann regelmäßig Fragen der (internationalen) Zuständigkeit der Gerichte zu klären, die über solche Rechtsmittel zu entscheiden haben. Wenngleich die Frage des effektiven Rechtsschutzes der Verfahrensbeteiligten in grenzüberschreitenden Sanierungen für deren Funktionsweise von entscheidender Bedeutung ist, bleibt sie aufgrund der Beschränkung auf die Frage der grenzüberschreitenden Anerkennung i. R. der vorliegenden Untersuchung außer Betracht. b) Die Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen

5

Die Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen kann auf unterschiedlicher rechtlicher Grundlage beruhen. Rechtsquellen bilden Staatsverträge, darunter das europäische Recht mit den Art. 36 ff. EuGVVO, Art. 33 ff. LugÜ, andere multilaterale Abkommen,9) bilaterale Abkommen10) sowie das autonome deutsche Recht in den §§ 328, 722 f. ZPO. Die Bedeutung der bilateralen Abkommen geht in dem Maße zurück, wie Vertragsstaaten der EU oder dem Luganer Übereinkommen angehören, da Art. 69, 70 Abs. 1 EuGVVO und Art. 65, 66 Abs. 1 LugÜ in ihrem Anwendungsbereich Vorrang zukommt. c) Die Anerkennung von Insolvenzverfahren und vergleichbarer präventiver Restrukturierungsverfahren

6

Wenngleich auch Insolvenzverfahren als förmliche gerichtliche Verfahren auf gerichtlichen Entscheidungen beruhen, die rechtssystematisch dem Zivilrecht zuzuordnen sind, beruht ihre grenzüberschreitende Anerkennung auf anderen rechtlichen Grundlagen. So erfolgt die europaweite Anerkennung von Insolvenzverfahren und vergleichbarer öffentlicher präventiver Restrukturierungsverfahren nach den Regelungen der EuInsVO.11) Die Definition des Insolvenzverfahrens i. S. der EuInsVO reicht weiter als diejenige nach nationalem deutschem Recht und beinhaltet öffentliche präventive Restrukturierungsverfahren, die auf Insolvenzvermeidung gerichtet sind. Voraussetzung für die Anerkennung eines solchen Verfahrens nach der _____________ 9) Das Haager Übereinkommen vom 1.2.1971 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen hat kaum Verbreitung gefunden, vgl. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, § 17 Rz. 951, S. 344. 10) Es bestehen elf bilaterale Abkommen Deutschlands mit der Schweiz, Italien, Belgien, Österreich, dem Vereinigten Königreich, Griechenland, den Niederlanden, Tunesien, Norwegen, Israel und Spanien. 11) Verordnung (EU/EG) 2015/848 des Europäischen Parlament und des Rates v. 20.5.2015 über Insolvenzverfahren – EuInsVO, ABl. (EU) L 141/1 v. 5.6.2015.

1130

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

EuInsVO ist dabei stets deren Aufnahme in den Anhang A der EuInsVO, vgl. Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 3 EuInsVO. Aufgrund des Vorrangs der EuInsVO erfolgt die Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren aus Drittstaaten (außerhalb des Bereichs der Europäischen Union) nach dem autonomen internationalen Insolvenzrecht der §§ 335 ff., 343 InsO. § 335 InsO gilt für alle Insolvenzverfahren mit grenzüberschreitendem Bezug.12) Die Anerkennung i. R. des internationalen Insolvenzrechts setzt gemäß § 343 InsO ein ausländisches Insolvenzverfahren voraus. Die Begriffsbestimmung erfolgt abweichend von der Begriffsbestimmung der EuInsVO i. S. einer funktionellen Qualifikation. Mithin kommt es darauf an, ob das ausländische Verfahren funktional einem deutschen Insolvenzverfahren vergleichbar ist.13)

7

Innerhalb des Anwendungsbereichs der EuInsVO wird der öffentliche Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen des StaRUG wie ein Insolvenzverfahren behandelt. Demnach stellt innerhalb des Anwendungsbereichs der EuInsVO ein Verstoß gegen den Ordre Public das einzig denkbare Anerkennungshindernis dar, vgl. Art. 33 EuInsVO. Die EuInsVO unterscheidet gerichtliche Entscheidungen hinsichtlich des Anerkennungsgegenstands nach dem Eröffnungsbeschluss, Entscheidungen zur Durchführung oder Beendigung des Verfahrens, Sicherungsmaßnahmen und Annexentscheidungen. Sowohl bei einem Insolvenzplan als auch bei einem Restrukturierungsplan, der nach der gesetzgeberischen Konzeption in weitem Umfang unter Zugrundelegung der Gläubigerautonomie frei ausgestaltet werden können, erlangen diese in ihrem Ursprung privatautonom durch die Gläubiger und den Schuldner gesetzten materiell-rechtlichen Regelungen des gestaltenden Teils (Stundung und Teilverzicht auf Forderungen, Beschränkung von Sicherheiten, Eingriffe in Anteilsrechte) erst durch die gerichtliche Entscheidung, die der Planbestätigung zugrunde liegt, die Anerkennung i. S. einer Wirkungserstreckung in einem anderen Mitgliedstaat.

8

d) Die „Zwitterstellung“ nicht öffentlicher präventiver Restrukturierungsverfahren Der Unterscheidung zwischen öffentlichen und nicht öffentlichen präventiven Sanierungsverfahren kommt mit Blick auf das anwendbare Anerkennungsregime grundlegende Bedeutung zu. Der deutsche Gesetzgeber des StaRUG hat das Restrukturierungsverfahren im Grundsatz nicht öffentlich ausgestaltet, dem Schuldner aber (frühestens mit Inkrafttreten des § 84 am 17.7.2022) das Recht eingeräumt, die öffentliche Bekanntmachung zu beantragen. Zu den weiteren Einzelheiten sei zunächst auf die vorstehende Kommentierung zu § 84 verwiesen. Nachdem der Anwendungsbereich der EuInsVO auf öffentliche Gesamtverfahren begrenzt ist, vgl. Art. 1 Abs. 1 EuInsVO, bildet die öffentliche Bekanntmachung eine zwingende Voraussetzung für die europaweite Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen auf der Grundlage der EuInsVO. Aus Sicht der (Restrukturierungs-)Gerichte in den Unionsstaaten ist die öffentliche Bekanntmachung erforderlich, um unter Anwendung des Prioritäts_____________ 12) Vgl. Reinhart in: MünchKomm-InsO, § 335 Rz. 1. 13) Vgl. Thole in: MünchKomm-InsO, § 343 Rz. 13.

Abel/Herbst

1131

9

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

prinzips eine unkoordinierte Eröffnung mehrerer paralleler vorinsolvenzlicher Sanierungsverfahren mangels Kenntnis der Gerichte anhängigen Verfahren in anderen Mitgliedstaaten zu verhindern. Während die Anerkennung öffentlicher präventiver Sanierungsverfahren und Restrukturierungsrahmen nach der EuInsVO anerkannt und gesetzlich geregelt ist, verbleiben erhebliche Unsicherheiten, was die Reichweite und die Grundlagen der Anerkennung nicht öffentlicher Sanierungsverfahren und Restrukturierungsrahmen anbelangt. Die rechtliche Qualifikation des Anerkennungsregimes für europäische nicht öffentliche präventive Restrukturierungsverfahren bereitet Schwierigkeiten, die letztlich auf der Zwitterstellung solcher Verfahren zwischen einem förmlichen Insolvenzverfahren und einer rein privatautonom zu gestaltenden außergerichtlichen Sanierung beruhen. 10

Von Insolvenzverfahren i. S. der deutschen Regelungen des internationalen Insolvenzrechts unterscheiden sie sich in zweifacher Hinsicht. Sie stellen nicht zwingend Gesamtverfahren dar, sondern können teilkollektiv in der Form ausgestaltet werden, dass je nach der Entscheidung des Schuldners nur eine begrenzte Zahl von Gläubigern einbeziehen. Darüber hinaus können sie vertraulich, d. h. ohne öffentliche Bekanntmachung in allgemein zugänglichen Insolvenzregistern durchgeführt werden.

11

Auch vom Begriff des Insolvenzverfahrens i. S. der EuInsVO unterscheiden sie sich. Denn die abstrakte Begriffsbestimmung des Art. 1 Abs. 1 EuInsVO erfordert gleichfalls eine öffentliche Bekanntmachung. Hinzu kommt, dass der präventive Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen im Gegensatz zu einem Insolvenzverfahren kein förmliches Verfahren darstellt, sondern einen modularen Rahmen („restructuring framework“). Dementsprechend kennt das StaRUG selbst keine formale Eröffnungsentscheidung, noch hat die Anzeige und Rechtshändigkeit eines Restrukturierungsvorhabens – anders als ein Insolvenzverfahren – per se materiell-rechtliche oder unmittelbare verfahrensrechtliche Auswirkungen auf die Rechtsstellung der einbezogenen Gläubiger und Beteiligten. Insbesondere hat die Rechtshängigkeit einer Restrukturierungsache keine Beschlagnahme des Schuldnervermögens zur Folge. Verfügungsbeschränkungen für bestimmte Gläubiger ergeben sich erst aus den Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts über bestimmte vom Schuldner beantragte und in die Wege geleitete Maßnahmen innerhalb des modular ausgestalteten Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens wie bspw. in Form der Anordnung eines Vollstreckungsverbots (§ 49 Abs. 1 Nr. 1).

12

Es erscheint allerdings denkbar, dass andere europäische Rechtsordnungen bei der Ausgestaltung vorinsolvenzlicher Sanierungsverfahren von dieser deutschen Konzeption im StaRUG abweichen (werden) indem sie nicht nur einen modularen Rahmen, sondern ein formalisiertes Verfahren und eine gerichtliche Zugangs- bzw. Eröffnungsentscheidung vorsehen. Von außergerichtlichen Sanierungen unterscheiden sich nicht öffentliche Restrukturierungsverfahren dadurch, dass der Schuldner zur Realisierung des Sanierungsziels in aller Regel auf gerichtliche Entscheidungen innerhalb des in der jeweils einschlägigen Rechtsordnung vorgesehenen Rahmens angewiesen ist.

13

Diese Betrachtung macht deutlich, dass den gerichtlichen Entscheidungen, die i. R. eines nicht öffentlichen präventiven Restrukturierungsverfahrens ergehen, eine

1132

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

Zwitterstellung zukommt. Einerseits stellen sie Elemente gerichtlicher Mitwirkung innerhalb eines Verfahrensrahmens mit insolvenz- und restrukturierungsrechtlichen Zielsetzungen dar. Dadurch unterscheiden sie sich – vergleichbar einem Insolvenzverfahren – von rein zivilrechtlichen Entscheidungen, insbesondere Urteilen, die Wirkung nur gegenüber den jeweiligen Prozessparteien entfalten und sich das Ergebnis originärer Rechtsprechungstätigkeit darstellen. Andererseits ergehen gerichtliche Entscheidungen in einem modularen nicht öffentlichen Restrukturierungsrahmen außerhalb gerade eines förmlichen Insolvenzverfahrens mit Beschlagnahmewirkung für das Schuldnervermögen. Zudem steht es dem Schuldner dabei grundsätzlich frei, in welchem Umfang er gerichtliche Hilfe in Anspruch nimmt. Diese Zwitterstellung hat Folgen für das Anerkennungsregime der in einem nicht öffentlichen Restrukturierungsverfahren ergehenden gerichtlichen Entscheidungen. 2.

Die Anerkennung öffentlicher Restrukturierungsverfahren nach der EuInsVO

Dem deutschen Gesetzgeber des StaRUG stand es grundsätzlich frei, die unionsweite Anerkennung den Regelungen der EuInsVO, denjenigen der EuGVVO oder den Regelungen des Internationalen Zivilverfahrens- und Insolvenzrechts zu unterwerfen. Er folgte der Anregung des Richtliniengebers (ErwG 10 und 10a der Restrukturierungsrichtlinie), und hat sich dafür entschieden, öffentliche Restrukturierungssachen in den Anhang A der EuInsVO aufnehmen zu lassen. Die Entscheidung, nur öffentliche Restrukturierungssachen in den Anhang A der EuInsVO aufzunehmen, entspricht Art. 1 Abs. 1 EuInsVO, wonach vertraulich geführte Verfahren vom Anwendungsbereich der EuInsVO ausgenommen sind. Der Gesetzgeber begründet seine Entscheidung damit, dass der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen im Falle seiner Öffentlichkeit alle Merkmale eines Insolvenzverfahrens i. S. des Art. 1 Abs. 1 der EuInsVO) erfülle.14) Die Aufnahme neuer Verfahren in den Anhang A zur EuInsVO erfordert ein ordentliches Gesetzgebungsverfahrens nach Art. 81 Abs. 2, 289 Abs. 1, 294 AEUV,15) das bis zu drei Lesungen im Europäischen Parlament vorsieht16) und dessen Umsetzung nicht vor Mitte 2022 zu erwarten ist.

14

Über die Anerkennungsmechanismen der EuInsVO sollen öffentliche Restrukturierungssachen i. S. des StaRUG auch in anderen Mitgliedsländern Wirkungen entfalten. Zu beachten ist allerdings, dass gemäß Art. 25 Abs. 3 SanInsFoG die §§ 84 bis 88 erst am 17.7.2022 in Kraft treten, so dass in der Übergangszeit bis zu diesem Zeitpunkt für den Schuldner keine Möglichkeit besteht, Stabilisierungs- und Restrukturierungssachen öffentlich zu führen. Mithin werden alle Stabilisierungs- und Restrukturierungssachen nach dem StaRUG, in denen vor dem 17.7.2022 eine erste Entscheidung i. S. des § 84 Abs. 1 Satz 2 ergeht, nicht öffentlich sein.

15

_____________ 14) Vgl. Begr. RefE SanInsFoG z. zu Kap. 4 (Öffentliche Restrukturierungssachen) StaRUG, v. 19.9.2020, S. 197, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 10.7.2021). 15) Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. 16) Vgl. Parzinger, NZI 2016, 63, 65.

Abel/Herbst

1133

Anhang zu § 86 3.

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Die Anerkennung nicht öffentlicher Restrukturierungsverfahren

a) Der Meinungsstand 16

Die Frage, ob und auf welcher Grundlage nicht öffentlich geführte Restrukturierungsverfahren unionsweit anzuerkennen sind, wird in der Rechtswissenschaft und Praxis bislang durch eine begrenzte Anzahl von Autoren kontrovers diskutiert.17) Diese Autoren untersuchten die Frage der Anerkennung nicht öffentlicher Restrukturierungsverfahren bereits vor dem Inkrafttreten des StaRUG. Wie der EuGH diese Frage beantworten wird, lässt sich derzeit nur schwer absehen. Einige Autoren sprechen sich für eine unionsweite Anerkennung öffentlicher Restrukturierungsverfahren nach den Regelungen der EuGVVO.18) Vertreter dieser Auffassung sind Madaus, Skauradszun und Nijnens. Dafür, dass der EuGH nicht öffentliche Restrukturierungssachen doch als dem Insolvenzverfahren „ähnliche“ Verfahren anerkennen würde, sieht Madaus keine guten Gründe.19)

17

Skauradszun spricht sich für eine europaweite Anerkennung nicht öffentlich geführter Restrukturierungsverfahren durch die EuGVVO aus, solange und soweit die EuInsVO nicht anwendbar ist und der Anhang A für jeden Mitgliedstaat nicht individuell erweitert wurde.20) Nachdem die Aufnahme in Anhang A der EuInsVO ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren erfordere, das für die Umsetzung eine gewisse Zeit in Anspruch nehme, sei zumindest in dieser Übergangszeit die EuGVVO anzuwenden. Außerdem handele es sich beim Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen im Kern um Vertragsrecht, Sachenrecht und Gesellschaftsrecht und damit um eine Zivilsache, die als solche dem Anwendungsbereich der EuGVVO zuzuordnen sei.21) Er weist darauf hin, dass die Anerkennungs- und Vollstreckungsregime der EuGVVO und der EuInsVO gleichermaßen von einem anerkennungsfreundlichen Geist getragen seien, so dass Entscheidungen von Gerichten aus Mitgliedstaaten ohne Weiteres anerkannt werden, ohne dass sie vorher nochmals inhaltlich überprüft werden. In einer Stellungnahme der Hochschule Fulda an das BMJV i. R. des Gesetzgebungsverfahrens legen Skauradszun/Nijnens dar, dass die Regelungen der EuInsVO, anders als diejenigen der EuGVVO, für die Anerkennung präventiver Restrukturierungsverfahren, unabhängig davon, ob sie öffentlich oder vertraulich geführt werden, in wesentlichen Bereichen zu inhaltlich unstimmigen Ergebnissen führten. Im Ergebnis halten sie die sich aus der EuGVVO ergebenden Wirkungen inhaltlich für die europaweite Anerkennung des Restrukturierungsrahmens für besser geeignet. _____________ 17) Vgl. etwa Skauradszun, ZIP 2019, 1501; Skauradszun/Nijnens, Stellungnahme der Hochschule Fulda z. RefE StaRUG, v. 2.10.2020, S. 11; Thole, ZIP 2020, 1985, 1998; Graf-SchlickerBornemann, InsO, Art. 1 EuInsVO Rz. 46; Madaus, Auf in die Moderne! Das SanInsFOG macht den Restrukturierungsstandort Deutschland 2021 wettbewerbsfähig, https://stephanmadaus.de/tag/stabilisierung/ (Abrufdatum: 18.8.2021). 18) Die Kurzbezeichnungen EuGVVO, EuGVO oder Brüssel Ia-Verordnung werden synonym verwendet für die VO Nr. 1215/2012 v. 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. 19) Madaus, Auf in die Moderne! Das SanInsFoG macht den Restrukturierungsstandort Deutschland 2021 wettbewerbsfähig, https://stephanmadaus.de/tag/stabilisierung/ (Abrufdatum: 18.8.2021). 20) Skauradszun, ZIP 2019, 1501, 1503. 21) Skauradszun, ZIP 2019, 1501, 1503.

1134

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

Hierzu verweisen sie auf die Restriktionen aus Art. 8 EuInsVO, mit denen sich der Referentenentwurf nicht befasst habe.22) Dingliche Rechte an Gegenständen, die sich im Zeitpunkt der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats befinden, würden von den Entscheidungen in der Restrukturierungssache nicht berührt. Eine weitere Unstimmigkeit sei darin zu sehen, dass mit der Aufnahme in Anhang A der EuInsVO in Deutschland auch partikulare bzw. sekundäre präventive Restrukturierungsmaßnahmen möglich werden. Einzige Voraussetzung hierfür sei, dass die Schuldnerin in Deutschland über eine Niederlassung verfüge, vgl. Art. 2 Nr. 10, Art. 3 Abs. 2 und 4 EuInsVO. Aufgrund der Regelung in Art. 34 EuInsVO sei dann die in einem anderen Mitgliedstaat geprüfte wahrscheinliche Insolvenz in Deutschland nicht erneut zu prüfen, um einen sekundären präventiven Restrukturierungsrahmen zu eröffnen. Daraus ergebe sich Missbrauchspotenzial, etwa dann, wenn in anderen Mitgliedstaaten der Zugang zu einem präventiven Restrukturierungsrahmen bereits zu einem früheren Zeitpunkt vor Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit gegeben sei. Skauradszun/Nijnens kritisieren, dass das deutsche Schrifttum sich noch nicht ausreichend mit der Frage befasst habe, ob Restrukturierungssachen Zivil und Handelssachen seien, vgl. Art. 1 Abs. 1 EuGVVO. Insbesondere sei noch nicht ausreichend diskutiert worden, ob sie als „Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren“ der Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. a EuGVVO unterfielen. Ferner verweisen sie auf die Rechtsprechung des EuGH zur sog. Lückenlosigkeitstheorie, die eine Auslegung beider Verordnungen in einer Art und Weise erfordert, dass jede Regelungslücke vermieden wird.23) Thole und Bornemann vertreten demgegenüber die Auffassung, dass vertrauliche Restrukturierungsverfahren nicht dem Anwendungsbereich der EuGVVO unterliegen. Thole spricht sich für eine Anerkennung nach den Regelungen des deutschen internationalen Privat- und Verfahrensrechts aus und verweist darauf, dass diese Frage in letzter Konsequenz vom EuGH zu entscheiden sei.24) Auch Bornemann widerspricht der Anerkennung nicht öffentlicher Restrukturierungsverfahren nach der EuGVVO.25) Ein insolvenzabwendendes Verfahren, das nicht die Anforderungen des Art. 1 Abs. 1 EuInsVO erfülle, könne nicht automatisch dem Anwendungsbereich der EuGVVO zugeordnet werden. Aus der Lückenlosigkeitstheorie des EuGH lasse sich dies nicht ableiten, denn diese besage nur, dass Lücken zu schließen seien, enthalte aber keine Vorgaben darüber, auf welche Weise dies zu erfolgen habe. Der zur Lückenlosigkeitstheorie ergangenen Rechtsprechung des EuGH lägen zudem ausnahmslos zweiseitige Klageverfahren zugrunde, bei denen es zu klären galt, ob diese wegen ihres Zusammenhangs mit einem Insolvenzverfahren als in den Anwendungsbereich der EuInsVO fallende Annexverfahren anzusehen seien.26) Auch der EuGH _____________ 22) Vgl. Skauradszun/Nijnens, Stellungnahme der Hochschule Fulda z. RefE StaRUG, v. 2.10.2020, S. 11, 13. 23) EuGH, Urt. v. 6.2.2019 – Rs. C-535/17 (NK/BNP), Rz. 34, ZIP 2019, 524; EuGH, Urt. v. 4.9.2014 – Rs. C-157/13 (Nickel & Goeldner), ZIP 2015, 96. 24) Vgl. Thole, ZIP 2020, 1985, 1998. 25) Vgl. Graf-Schlicker-Bornemann, InsO, Art. 1 EuInsVO Rz. 46. 26) Vgl. Graf-Schlicker-Bornemann, InsO, Art. 1 EuInsVO Rz. 44.

Abel/Herbst

1135

18

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

habe wiederholt Verfahren und Entscheidungen identifiziert, die weder in den Anwendungsbereich der EuInsVO noch der EuGVVO fielen.27) 19

Bornemann verweist ferner auf die Entwicklungsgeschichte der EuGVVO und der EuInsVO. Der EuGVVO war das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ) vorangegangen. Bei der EuGVÜ, die auch kurz als „Brüsseler Übereinkommen“, bezeichnet wird, handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und Art und Weise der Vollstreckung von Entscheidungen in Sachen des Zivil- und Handelsrechts, der als der Beginn eines einheitlichen „Justizraumes“ in Europa angesehen werden kann. Die EuGVVO baue direkt auf der Verordnung EG/44/2001 vom 22.12.2000 auf. Die erste EuGVVO (VO EG/44/2001) trat am 1.3.2002 in Kraft und ersetzte die bis dahin geltende EuGVÜ. Beim Abschluss des EuGVÜ habe die Vorstellung vorgeherrscht, dass die durch die insolvenzrechtliche Bereichsausnahme in Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 EuGVÜ geschaffene Lücke für Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren alsbald durch ein Konkursübereinkommen geschlossen werden würde.28) Dem geplanten Konkursübereinkommen war dabei ein sehr weiter Anwendungsbereich zugedacht worden, der auch insolvenzabwendende Moratorial- und Zwangsvergleichsverfahren, die neben der Insolvenz auch an die Erschütterung des schuldnerischen Kredits anknüpften, umfassen sollte.29) Der breite Anwendungsbereich hatte die funktionalen Besonderheiten in Bezug genommen, die alle Verfahren aufweisen, die der kollektiven Bewältigung einer finanziellen Krise des Schuldners dienen. Von dieser Vorstellung des historischen Normgebers sei Art. 1 Abs. 1 EuInsVO durch die Schaffung weiterer Voraussetzungen bewusst abgerückt. Allerdings sei der Verordnungsgeber nicht davon abgerückt, auf der Öffentlichkeit des Verfahrens auch weiterhin zu bestehen. Dies beruhe auf dem Gedanken, dass sich eine EU-weite Anerkennung nur rechtfertigen lasse, wenn die Gerichte und Gläubiger im Ausland von dem Verfahren eine zumutbare Möglichkeit der Kenntniserlangung haben (ErwG 13 EuInsVO). Schlüge man vertrauliche Verfahren ohne weiteres der EuGVVO zu, würde diese bewusste Entscheidung des Verordnungsgebers unterlaufen.30) Bornemann verweist darauf, dass sich dieses Argument auf alle Normativmerkmale des Art. 1 Abs. 1 EuInsVO übertragen lasse, die neben das Erfordernis der Kollektivität und der insolvenzgesetzlichen Grundlage treten. Nachdem der Verordnungsgeber das Vorliegen dieser Merkmale für die EU-weite Anerkennung von Verfahren für wesentlich ansah, würde der dahinterstehende Wille des Verordnungsgebers ignoriert, wenn man beim Fehlen dieser Voraussetzungen kurzerhand den Anwendungsbereich der EuGVVO eröffne, um so gewissermaßen über Umwege zur selben weitreichen_____________ 27) EuGH, Urt. v. 8.11.2012 – Rs. C-461/11 (Raziejewski), Rz. 35, NZI 2012, 996 = EuZW 2013, 72; EuGH, Urt. v. 10.9.2009 – Rs. C-292/08 (German Graphics), Rz. 25, ZIP 2009, 2345. 28) Vgl. Graf-Schlicker-Bornemann, InsO, Art. 1 EuInsVO Rz. 47, der in Fn. 74 auf den erläuternden Bericht von Noel/Lemontey, Report of the Concention Relating to Bankruptcies, Compositions and Analogous Procedures, Commission document 16.775/XIV/70-E, S. 18 verweist. 29) Vgl. Piepenbrock, KTS 2015, 379, 398. 30) Vgl. Graf-Schlicker-Bornemann, InsO, Art. 1 EuInsVO Rz. 48.

1136

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

den unionsweiten Anerkennung zu gelangen. Auch wenn sich hieraus eine rechtspolitisch bedauerliche Regelungslücke ergeben sollte, sei sie als Resultat einer bewussten Regelungsentscheidung hinzunehmen.31) b) Eigene Stellungnahme: Anerkennung nach internationalem Privat- und Zivilverfahrensrecht Im Ergebnis sprechen i. R. der eigenen Stellungnahme überzeugende Argumente dafür, nicht öffentliche Restrukturierungsverfahren unionsweit (nur) nach den Regelungen des autonomen internationalen Zivilverfahrensrechts anzuerkennen. Allerdings darf die Anerkennung nach dem autonomen internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht im Einzelfall nicht über diejenige nach der EuInsVO hinausgehen. Ansonsten ergäbe sich ein Wertungswiderspruch, der darin begründet liegt, dass der Verordnungsgeber der EuInsVO für die weitreichende Anerkennung i. S. des Art. 7 EuInsVO Grenzen durch die Kollisionsnormen der Art. 8 bis 18 EuInsVO gesetzt hat. Soweit die Anerkennung nicht öffentlicher Restrukturierungssachen demnach nach den weniger anerkennungsfreundlichen Regelungen des deutschen internationalen Zivilverfahrensrechts erfolgt, müssen sich die Ergebnisse an den sich aus den Art. 8 bis 18 EuInsVO ergebenden Grenzen messen lassen. Andernfalls könnte im Einzelfall die Anerkennung von Entscheidungen in nicht öffentlichen Restrukturierungssachen weiterreichen, als die Anerkennung nach der EuInsVO. Der Schuldner, der beabsichtigt, sein Restrukturierungsvorhaben vertraulich durchzuführen, kann keine weiterreichende Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen für sich beanspruchen, als derjenige, der sich trotz der damit verbundenen negativen Publizität für eine Veröffentlichung entscheidet und dadurch den (ausländischen) Gläubigern und Gerichten die Möglichkeit der Kenntnisnahme des Verfahrens einräumt.

20

Für die Anwendbarkeit des internationalen Zivilverfahrensrechts (modifiziert durch die vorstehenden Grundsätze) sprechen folgende Argumente:

21

aa) Die Abgrenzung der in Betracht kommenden Regelwerke Die EuInsVO regelt für die europäischen Mitgliedstaaten im grenzüberschreitenden Bereich Fragen des anwendbaren materiellen Insolvenzrechts, des internationalen Verfahrensrechts, darunter der internationalen Zuständigkeit für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowie der Anerkennung der unionsweiten Wirkungen eines in einem Mitgliedstaat eröffneten Insolvenzverfahrens.32) In ihrem Anwendungsbereich hat die EuInsVO als unmittelbar geltendes europäisches Recht Vorrang vor den Regelungen zum internationalen Insolvenzrecht in der deutschen Insolvenzordnung in den §§ 335 bis 348 InsO.33) Die letzte Reform der EuInsVO zielte darauf ab, auch vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren, die auf eine Rettung wirtschaftlich angeschlagener, aber sanierungsfähiger Unternehmen gerichtet sind, dem An_____________ 31) Vgl. Graf-Schlicker-Bornemann, InsO, Art. 1 EuInsVO Rz. 48; ähnlich Brinkmann, KTS 2014, 381, 385, zur generellen Unanwendbarkeit der EuInsVO auf effiziente nicht öffentliche Verfahrenstypen in den einzelnen europäischen Mitgliedstaaten. 32) Vgl. Parzinger, NZI 2016, 63. 33) Vgl. Parzinger, NZI 2016, 63.

Abel/Herbst

1137

22

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

wendungsbereich der Verordnung zuzuordnen.34) Die EuInsVO unterscheidet zwischen dem abstrakten Anwendungsbereich, vgl. Art. 1 Abs. 1 EuInsVO und dem durch Anhang A festgelegten (engeren) effektiven Anwendungsbereich.35) Der abstrakte Anwendungsbereich wird dadurch begrenzt, dass für die sachliche Anwendbarkeit der EuInsVO auf ein Verfahren alleine entscheidend ist, ob es im Anhang A der Verordnung aufgeführt wird.36) Nach dem EuGH ist der Katalog des Anhang A der EuInsVO auch dann abschließend und verbindlich, wenn ein Verfahrenstyp nicht den Kriterien des Art. 1 Abs. 1 EuInsVO genügt.37) Daher dienen die Kriterien, die Art. 1 Abs. 1 EuInsVO für die Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs der EuInsVO festlegt, in erster Linie als Leitlinien i. R. des Gesetzgebungsverfahrens, das zur Aufnahme eines Verfahrens in den Anhang A der EuInsVO durchzuführen ist.38) Erfüllt ein Verfahren die Anforderungen des Art. 1 Abs. 1 EuInsVO kommt eine Anwendung der EuGVVO nicht mehr in Betracht.39) 23

Die EuGVVO regelt die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Die Abgrenzung der Anwendungsbereiche der EuInsVO und der EuGVVO ergibt sich aus der insolvenzrechtlichen Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO, aus der folgt, dass die EuGVVO auf Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren nicht anwendbar ist. Auch einem vertraulichen präventiven Restrukturierungsverfahren liegt im Kern ein in einem weiteren Sinne materiell-insolvenzrechtlich geprägter Lebenssachverhalt zugrunde. Daher würde eine Anwendung der EuGVVO aufgrund der Erfüllung der insolvenzrechtlichen Bereichsausnahme die zulässigen Grenzen der Auslegung überschreiten.40)

24

Finden weder die EuGVVO noch die EuInsVO oder bilaterale Abkommen41) Anwendung, ist mit Vallender das autonome internationale Zivilverfahrensrecht heranzuziehen.42) Nicht öffentliche präventive Restrukturierungsverfahren unterliegen im Ergebnis der Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO, so dass sie nicht unter die EuGVVO fallen. Zudem erfüllen sie nicht die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 EuInsVO und werden nach dem Willen des Gesetzgebers auch nicht in den Anhang A der EuInsVO aufgenommen. Soweit die Anerkennung nicht öffentlicher präventiver Restrukturierungsverfahren anderer europäischer Mitgliedstaaten in Deutschland zu untersuchen ist, kommt eine Anerkennung nach den Vorschriften des autonomen internationalen Insolvenzrechts, §§ 335, 343 InsO als auch die

_____________ 34) 35) 36) 37) 38) 39) 40) 41)

Vgl. Vallender-Vallender, EuInsVO, Art. 1 Rz. 1. Vgl. Graf-Schlicker-Bornemann, InsO, Art. 1 EuInsVO Rz. 44. Vgl. Prager/Keller, WM 2015, 805; Parzinger, NZI 2016, 63, 64. EuGH, Urt. v. 8.12.2012 – Rs. C-461/11 (Radziejewski), NZI 2012, 996 = EuZW 2013, 72. Vgl. Brinkmann, KTS 2014, 381, 385. Vgl. Graf-Schlicker-Bornemann, InsO, Art. 1 EuInsVO Rz. 45. Vgl. Graf-Schlicker-Bornemann, InsO, Art. 1 EuInsVO Rz. 48. Es bestehen elf bilaterale Abkommen Deutschlands mit der Schweiz, Italien, Belgien, Österreich, dem Vereinigten Königreich, Griechenland, den Niederlanden, Tunesien, Norwegen, Israel und Spanien. 42) Vgl. Vallender-Vallender, EuInsVO; Art. 1 Rz. 6.

1138

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

Anerkennung als ausländische zivilrechtliche Entscheidungen gemäß § 328 Abs. 1 ZPO in Betracht. Darüber hinaus stellen sich nach internationalem Privatrecht bei grenzüberschreitenden nicht öffentlichen Restrukturierungen Fragen nach dem anwendbaren materiellen Recht. Denn neben der Anerkennung nach den Regeln des internationalen Zivilverfahrensrechts ist auch die Beurteilung und Anerkennung des Erlöschens einer einmal entstandenen Forderung als internationalprivatrechtliche Vorfrage zu klären. Vertragliche zivil- und handelsrechtliche Schuldverhältnisse mit Auslandsbezug unterliegen innerhalb Europas dem Anwendungsbereich der Rom I-VO.43) Die Rom I-VO steht im Kontext von Art. 1 Abs. 1 EVÜ, Art. 1 Abs. 1 Rom II-VO sowie Art. 1 Abs. 1 EuGVVO.44) Allen diesen Regelungen liegt der Gedanke einer aus diesen Rechtsnormen und Übereinkommen resultierenden Gesamtregelung für das Kollisionsrecht der Schuldverhältnisse zugrunde.45) Die Zuordnung eines Schuldverhältnisses zu den Zivil- und Handelssachen erfolgt dabei im Wege autonomer unionsrechtlicher Auslegung. Die Restrukturierung und Sanierung eines privaten Unternehmensträgers außerhalb eines Insolvenzverfahrens, das in Anhang A der EuInsVO aufgelistet ist, insbesondere eine solche i. R. eines Restrukturierungsplans in einem nicht öffentlichen präventiven Restrukturierungsverfahren, stellt sich als Zivil- und Handelssache dar.

25

Art. 12 Abs. 1 Rom I-VO ordnet an, dass das nach dieser Verordnung auf einen Vertrag anzuwendende Recht insbesondere maßgebend ist für

26



seine Auslegung,



die Erfüllung der durch ihn begründeten Verpflichtungen,



die Folgen der vollständigen oder teilweisen Nichterfüllung dieser Verpflichtungen, in den Grenzen der dem angerufenen Gericht durch sein Prozessrecht eingeräumten Befugnisse, einschließlich der Schadensbemessung, soweit diese nach Rechtsnormen erfolgt,



die verschiedenen Arten des Erlöschens der Verpflichtungen sowie die Verjährung und die Rechtsverluste, die sich aus dem Ablauf einer Frist ergeben,



die Folgen der Nichtigkeit des Vertrags.

Das für einen Vertrag anwendbare materielle Zivilrecht ist demnach nicht nur maßgeblich für sein Zustandekommen, sondern auch für seine Erfüllung sowie die verschiedenen Arten des Erlöschens, die Verjährung und Rechtsverluste, die sich aus dem Ablauf einer Frist ergeben. Daher sind ein Erlass, eine Stundung oder ein Vergleichsvertrag von Art. 12 Abs. 1 Rom I-VO erfasst. Unterliegt bei grenzüberschreitenden Sanierungen die in einem Restrukturierungsplan zu gestaltende Restrukturierungsforderung dem materiellen Zivilrecht eines anderen Mitgliedstaates, kommt dieses auch für deren Umgestaltung in einem gestaltenden Teil, insbeson_____________ 43) Vgl. Martiny in: MünchKomm-BGB, Art. 1 Rom I-VO Rz. 5. 44) Vgl. Martiny in: MünchKomm-BGB, Art. 1 Rom I-VO Rz. 5. 45) Vgl. Martiny in: MünchKomm-BGB, Art. 1 Rom I-VO Rz. 5.

Abel/Herbst

1139

27

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

dere einen durch (Teil-)Verzicht, Stundung etc. zur Anwendung.46) Denn der Zweck der Norm ist es, eine Forderung einem einheitlichen Rechtsregime für die gesamte Dauer ihrer Existenz zu unterwerfen.47) 28

Ausnahmen könnten sich nur in sehr engen Grenzen nach dem gemeinschaftsrechtlichen (Art. 21 Rom I-VO) bzw. dem nationalen Ordre Public (Art. 6 EGBGB) ergeben, wenn die Anwendung des ausländischen Sachrechts im Einzelfall (offensichtlich) nicht mit der öffentlichen Ordnung des Forumsstaats zu vereinbaren ist. Diese Ausnahmen greifen jedoch nur ein, wenn ein Ergebnis im Einzelfall gegen wesentliche Grundsätze des jeweiligen materiellen Rechts (bei Art. 21 Rom I-VO unter Berücksichtigung europäischer Auslegung) verstößt. bb) Materiell-rechtliche Grundlage präventiver Restrukturierungsverfahren im Insolvenz- und Restrukturierungsrecht

29

Wenngleich nicht öffentliche präventive Restrukturierungsverfahren nach den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten damit in aller Regel keine formalisierten gerichtlichen Verfahren darstellen, sind sie darauf gerichtet, mit partieller gerichtlicher Unterstützung eine Lücke zu schließen, die das Sanierungsrecht zwischen einem Insolvenzverfahren und einer außergerichtlichen Sanierung gelassen hat.48) Damit findet auch die präventive Restrukturierung ihre materiell-rechtliche Grundlage im Insolvenz- und Restrukturierungsrecht. Sie ist auf eine finanzielle Sanierung gerichtet, die zugleich eine Befriedigung der Gläubiger vorsieht, der die Gläubiger (mehrheitlich) zuzustimmen haben. Die Beteiligtenautonomie und die über sie abgesicherte Marktkonformität der Verfahrensergebnisse sind anerkanntermaßen tragende Säulen des Insolvenzrechts.

30

Der wesentliche Unterschied präventiver Restrukturierungsverfahren liegt darin, in einem früheren Stadium die Sanierung zu ermöglichen und drohende weitere Gefährdung der Ansprüche der Gläubiger zu vermeiden. Die Einschätzung, durch rechtzeitiges Handeln einen Substanzverlust abzuwenden, ist dann zutreffend, wenn rechtzeitig effiziente Maßnahmen zur Sanierung eingeleitet werden. Die Sanierungsinstrumente der präventiven Restrukturierung stellen demnach Mechanismen zur Bewältigung der sog. Common-Pool-Problematik dar.49) Die Grundstruktur und Wirkungsweise des Restrukturierungsplans im StaRUG weist erhebliche Parallelen zu derjenigen des Insolvenzplans auf. Wenngleich die präventive Restrukturierung eines Unternehmens naturgemäß auch zivilrechtliche, handels- und gesellschaftsrechtliche Elemente aufweist, ist sie im Wesentlichen in einer materiell-rechtlich dem Insolvenz- und Restrukturierungsrecht im weiteren Sinne zuzuordnenden Ausgangslage verankert.

_____________ 46) 47) 48) 49)

Vgl. Paulus, ZIP 2011, 1077, 1082. Vgl. Paulus, ZIP 2011, 1077, 1082. So für das StaRUG: RegE SanInsFoG, v. 16.10.2020, BR-Drucks. 619/20, S. 1. Vgl. Pannen/Weitzmann in: HambKomm-InsO, Anh. § 1 Rz. 19.

1140

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

cc) Funktion der Veröffentlichung Die Folgen der öffentlichen Bekanntmachung stellen sich für den Schuldner in aller Regel negativ dar, sind sie doch mit dem Verlust an Kreditwürdigkeit und des Ansehens im Geschäftsleben verbunden. Der wesentliche Zweck der öffentlichen Bekanntmachung besteht im Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Gläubiger und Geschäftspartner und verfahrensrechtlich in der Gewährleistung einer effizienten Verfahrensabwicklung.

31

Im nationalen Umfeld verschafft die öffentliche Bekanntmachung einem Insolvenz(eröffnungs)verfahren im Rechtsverkehr Geltung.50) Die Zustellung des Eröffnungsbeschlusses an die Gläubiger erfolgt erst nach Verfahrenseröffnung. Die Gläubiger und Geschäftspartner haben aber bereits zuvor ein wirtschaftliches Interesse, etwa über Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren, insbesondere die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters informiert zu werden. Darüber hinaus dient die öffentliche Bekanntmachung auch dem Schutz der Insolvenzmasse, indem sie verhindert, dass Drittschuldner an den Schuldner mit schuldbefreiender Wirkung leisten können (§ 82 InsO) oder, dass Vertragspartner sich auf die Fortdauer von Aufträgen oder Geschäftsbesorgungsverträgen berufen können (§§ 115 Abs. 3, 116 InsO). Schließlich verhindert sie die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs von Massegegenständen (§§ 81 Abs. 1 Satz 2, 91 Abs. 2 InsO).

32

Im grenzüberschreitenden Bereich dient die Veröffentlichung darüber hinaus dem Schutz des Rechtsverkehrs, dem Schutz vor Parallelverfahren und der Wahrung des Prioritätsprinzips. Durch die Veröffentlichung sollen Gläubiger und künftige Vertragspartner über das Insolvenzverfahren bzw. ein präventives Restrukturierungsverfahren informiert werden. Im Anwendungsbereich der EuInsVO verpflichtet Art. 24 EuInsVO daher die Mitgliedstaaten, Insolvenzregister in ihrem Hoheitsgebiet zu errichten und zu unterhalten, um bestimmte Informationen zu grenzüberschreitenden Insolvenzfällen bekannt zu machen. Die von den Mitgliedstaaten unterhaltenen Insolvenzregister enthalten die in Art. 24 Abs. 2 EuInsVO genannten Pflichtinformationen, die so bald als möglich nach Eröffnung eines solchen Verfahrens bekanntgemacht werden. Neben der Information der Gläubiger erfolgt dadurch auch eine Information der Gerichte der europäischen Mitgliedstaaten. Die Veröffentlichung stellt eine wesentliche Voraussetzung dafür dar, die zeitgleiche Eröffnung mehrerer parallel laufender (Haupt-)Insolvenzverfahren zu verhindern.51)

33

Diese Überlegungen gelten auch für präventive Restrukturierungsverfahren. Das Festhalten der EuInsVO am Publizitätserfordernis beruht im Wesentlichen darauf, die Durchführung mehrerer paralleler vorinsolvenzlicher Sanierungsverfahren zu vermeiden, die dann drohen, wenn die Gerichte in einem Mitgliedstaat keine Kenntnis über ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffneten Sanierungsverfahren haben.52) Das Publizitätserfordernis steht im Zusammenhang mit dem Prioritätsprinzip des Art. 3 Abs. 3 EuInsVO. Die damit verbundene ratio legis des Art. 1 Abs. 1 EuInsVO,

34

_____________ 50) Vgl. Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 9 Rz. 5. 51) ErwG 76 EuInsVO. 52) Vgl. Brinkmann, KTS 2014, 381, 386.

Abel/Herbst

1141

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

nur öffentlichen Sanierungsverfahren, von denen die Gerichte und Gläubiger in allen europäischen Mitgliedstaaten Kenntnis nehmen können, die weitreichende Anerkennung nach der EuInsVO zukommen zu lassen, würde unterlaufen, wenn man durch eine analoge Anwendung der EuInsVO nicht öffentlichen Sanierungsverfahren eine vergleichbar weitreichende Anerkennung schaffen würde.53) Da der Verordnungsgeber der EuInsVO die öffentliche Bekanntmachung als wesentliche Voraussetzung für die EU-weite Anerkennung von Restrukturierungsverfahren fordert, würde der Wille des Verordnungsgebers zudem ignoriert, wenn man nicht öffentliche Restrukturierungsverfahren dem Anwendungsbereich der EuGVVO zuordnete. Denn die EuGVVO ist vom gleichermaßen anerkennungsfreundlichen Geist geprägt wie die EuInsVO. Die bewusste Regelungsentscheidung des Verordnungsgebers der EuInsVO, nicht öffentlichen Restrukturierungsverfahren keine weitreichende unionsweite Anerkennung zukommen zu lassen, ist vielmehr anzuerkennen. dd) Kein Schutzbedürfnis des Schuldners 35

Ein Schuldner, der sich entschließt, sein grenzüberschreitendes Restrukturierungsvorhaben vertraulich zu führen, hat in der Abwägung zwischen dem mit einer öffentlichen Bekanntmachung verbundenen Nachteil der negativen Publizität und dem Vorteil der Wirkungserstreckung nach der EuInsVO eine Entscheidung getroffen. Unterlässt er die Veröffentlichung, nimmt er die begrenzte Anerkennung nach den Regeln des weniger anerkennungsfreundlich ausgestalteten internationalen Zivilverfahrensrechts bewusst in Kauf. Dies erscheint mit Blick auf die Schutzwirkungen der Veröffentlichung für die Gläubiger, Geschäftspartner und das Informationsbedürfnis der Gerichte und der Allgemeinheit auch angemessen und ausgewogen. Würde man dem Schuldner, der seine Restrukturierungssache vertraulich führt, und seinen Gläubigern, Geschäftspartnern, den Gerichten und der Allgemeinheit die mit der öffentlichen Bekanntmachung einhergehenden Schutzmechanismen vorenthält, in gleichem Umfang die Anerkennung gewähren, wie einem Schuldner, der sein Restrukturierungsvorhaben öffentlich verfolgt, würde dies zu Wertungswidersprüchen führen. Ein weitergehendes Schutzbedürfnis des Schuldners ist demnach nicht anzuerkennen. ee) Der verfahrensrechtliche Gegenstand der Anerkennung in der präventiven Restrukturierung

36

Verfahrensrechtlich können den Gegenstand der Anerkennung in der präventiven Restrukturierung sowohl eine gerichtliche Eröffnungsentscheidung als auch gerichtliche Einzelentscheidungen bilden, die für die Funktionsweise der präventiven Restrukturierung von Bedeutung sind. Der präventive Restrukturierungsrahmen, wie er der Restrukturierungsrichtlinie zugrunde lag, stellt anders als ein Insolvenzverfahren im nationalen Sinne kein neues formalisiertes gerichtliches Verfahren dar. Vielmehr enthält er Sanierungselemente als Bestandteil eines allgemeinen „Restrukturierungsrahmens“ („restructuring framework“).54) Der Richtliniengeber überließ es der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten, die zur außergerichtlichen Sanierung erforderlichen _____________ 53) Vgl. Graf-Schlicker-Bornemann, InsO, Art. 1 EuInsVO Rz. 48. 54) Vgl. Madaus, NZI 2017, 329, 330.

1142

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

Sanierungselemente bzw. Tools55) in einem oder mehreren Verfahren zu verankern (Art. 4 Abs. 2). Der Gesetzgeber des StaRUG setzte diese Vorgaben in der Weise um, dass er außerhalb eines formalisierten Verfahrens nach einer Anzeige der Restrukturierungssache beim Restrukturierungsgericht durch den Schuldner Sanierungselemente und -instrumente zur Verfügung stellt, die nur in beschränktem Umfang gerichtlichen Entscheidungen vorsieht.56) Vom sanierungswilligen Schuldner können folgende Sanierungsinstrumente in Anspruch genommen werden können: –

die gerichtliche Anordnung von Regelungen zur Einschränkung von Maßnahmen der individuellen Rechtsdurchsetzung (Stabilisierung),



das gerichtliche Planabstimmungsverfahren (gerichtliche Planabstimmung),



die Vorprüfung von Fragen, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich sind auf der Grundlage gerichtlicher Hinweise (Vorprüfung),



gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungsplans (Planbestätigung).

An die Stelle einer Zugangsentscheidung bzw. eines Eröffnungsbeschlusses tritt die schriftliche Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim zuständigen Restrukturierungsgericht. Obwohl der Restrukturierungsrahmen des StaRUG demnach modular angelegt ist und nur in begrenztem Umfang auf gerichtliche Mitwirkung und Entscheidungen angewiesen ist, werden öffentliche Restrukturierungssachen aufgrund der Regelungssystematik der EuInsVO einem formalisierten gerichtlichen Insolvenzverfahren gleichgestellt, mit der Folge, dass alle gerichtlichen Entscheidungen innerhalb des „Rahmens“ europaweit anzuerkennen sind.

37

Dies spricht dafür, gerichtliche Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten, die i. R. eines präventiven Restrukturierungsverfahren ergehen, im Grundsatz als zivilrechtliche Entscheidungen gemäß § 328 Abs. 1 ZPO und nicht als ausländische Insolvenzverfahren i. S. des §§ 335, 343 InsO anzuerkennen. Eine andere Betrachtung wäre nur ausnahmsweise geboten, wenn die Rechtsordnung eines Mitgliedstaates die präventive Restrukturierung innerhalb eines formalisierten Verfahrens vorsieht, bei dem bereits die Zugangsentscheidung eine unmittelbare Auswirkung auf die Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten, etwas in Form einer Verfügungsbeschränkung zulasten des Schuldners, entfaltet.

38

Demgegenüber dürfen nicht öffentliche präventive Restrukturierungsverfahren für die Frage der unionsweiten Anerkennung nach internationalem Privat- und Zivilverfahrensrechts keinem formalisierten gerichtlichen Insolvenzverfahren gleichgesetzt werden. Sie unterscheiden sich dadurch grundlegend von einem Insolvenzverfahren, dass sie keine Kollektivverfahren sind und je nach Wahl des Schuldners ggf. nur einzelne Gläubiger einbeziehen können. Dass keine öffentliche Bekanntmachung erfolgt, stellt eine weitere grundlegende Unterscheidung zu einem förmlichen Insolvenzverfahren dar und begrenzt die Möglichkeit der Kenntniserlangung für die betroffenen Gläubiger. Damit unterscheiden sich nicht öffentliche präventive Re-

39

_____________ 55) Vgl. Madaus, NZI 2017, 329, 330. 56) Vgl. Wuschek, InsbürO, 2021, 67, 68.

Abel/Herbst

1143

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

strukturierungsverfahren weitergehend als öffentliche Restrukturierungsverfahren von einem förmlichen Insolvenzverfahren. 40

Soweit präventive Restrukturierungen auf die Unterstützung der Restrukturierungsgerichte angewiesen sind, um der beabsichtigten Sanierung zum Erfolg zu verhelfen, geschieht dies demnach nicht auf der Grundlage der Wirkungserstreckung einer Verfahrenseröffnung, welche die Beschlagnahme von Schuldnervermögen vorsieht, sondern alleine auf der Grundlage einzelner Entscheidungen, etwa einer Stabilisierungsanordnung, der gerichtlichen Bestätigung eines Restrukturierungsplans oder der gerichtlichen Bestätigung eines Sanierungsvergleichs. Damit bilden in der präventiven Restrukturierung diese einzelnen gerichtlichen Entscheidungen und keine Eröffnungsentscheidung sowie sonstige Entscheidungen wie unter dem Anwendungsbereich der EuInsVO (vgl. Art. 19 und 32 EuInsVO) den Gegenstand der (unionsweiten) Anerkennung. II. Die Anerkennung nicht öffentlicher Restrukturierungsverfahren nach internationalem Zivilverfahrensrecht 1.

41

Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich auf die Anerkennung von Entscheidungen in nicht öffentlichen präventiven Restrukturierungsverfahren europäischer Gerichte in Deutschland nach den Regelungen des deutschen internationalen Zivilverfahrens- und Insolvenzrechts. Die Anerkennung von Entscheidungen deutscher Restrukturierungsgerichte nach dem StaRUG in den anderen europäischen Mitgliedstaaten richtet sich demgegenüber nach den jeweils einschlägigen Vorschriften des autonomen internationalen Zivilverfahrens- und Insolvenzrechts der anderen 26 EUMitgliedstaaten. Angesichts des Umfangs der zu untersuchenden Rechtsordnungen unterbleibt die Darstellung der Anerkennung der Entscheidungen deutscher Gerichte in nicht öffentlichen Restrukturierungsverfahren in den anderen europäischen Mitgliedstaaten. 2.

42

Beschränkung der Untersuchung (auf die Anerkennung von Entscheidungen europäischer Gerichte in Deutschland)

Rechtlicher Rahmen für die Anerkennung von Entscheidungen der nicht öffentlichen präventiven Restrukturierung

Es wird unterstellt, dass die Mitgliedstaaten die Restrukturierungsrichtlinie trotz deren Öffnungsklauseln im Wesentlichen ähnlich umgesetzt haben, wie der deutsche Gesetzgeber des StaRUG. Die Rechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten verfügen danach – als Prämisse für die weitere Untersuchung – in einer dem StaRUG vergleichbaren Weise über einen präventiven Restrukturierungsrahmen („restructuring framework“), der dadurch gekennzeichnet ist, dass er kein förmlich ausgestaltetes Verfahren darstellt, mithin keine formale Eröffnungsentscheidung mit Verfügungsbeschränkungen zulasten des Schuldners enthält und zugleich modulare Sanierungsinstrumente vorsieht, die (teilweise) durch gerichtliche Einzelentscheidungen und Maßnahmen bestätigt oder angeordnet werden.

1144

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

Das StaRUG sieht folgende gerichtliche Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts vor, die für den Erfolg eines grenzüberschreitenden Restrukturierungsvorhabens und die unionsweite Anerkennung von Bedeutung sind: –

Bestellung und Entlassung eines (obligatorischen oder fakultativen) Restrukturierungsbeauftragten, §§ 73 ff.,



Erlass und Aufhebung einer Stabilisierungsanordnung, §§ 49 ff.,



Bestätigung eines Restrukturierungsplans, §§ 60 ff.,



Bestätigung eines Sanierungsvergleichs, § 97,



Hinweis i. R. der Vorprüfung eines Restrukturierungsplans (kein Beschluss), § 46.

Weitere gerichtliche Entscheidungen des StaRUG sind für den Erfolg einer grenzüberschreitenden präventiven Restrukturierung nur von untergeordneter Bedeutung: –

Vergütungsfestsetzungsbeschluss, §§ 80 ff., 98,



Beschluss über die Aufhebung der Restrukturierungssache, § 33.

43

44

Unter Zugrundelegung der vorstehenden Annahmen sind gerichtliche Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten, die i. R. eines nicht öffentlichen präventiven Restrukturierungsverfahren ergehen als zivilrechtliche Entscheidungen gemäß § 328 Abs. 1 ZPO und nicht als ausländische Insolvenzverfahren i. S. des §§ 335, 343 InsO anzuerkennen. Denn § 343 InsO würde ein ausländisches Insolvenzverfahren voraussetzen. Ein solches liegt bei einem nicht öffentlichen, zudem nicht zwingend kollektiv durchzuführenden präventiven Restrukturierungsverfahren, wie bereits dargelegt, gerade nicht vor.

45

Auf Tatbestandsebene ist anerkannt, dass unter den Urteilbegriff des § 328 Abs. 1 ZPO alle Entscheidungen ausländischer Gerichte unabhängig von ihrer formalen Bezeichnung als Urteil, Beschluss usw. und unabhängig von ihrem zusprechenden oder abweisenden Inhalt fallen, soweit es sich bei ihnen um eine endgültige Entscheidung über einen aus deutscher Sicht zivilrechtlichen Streitgegenstand im Sinn des § 13 GVG handelt.57) Auch auf die Bezeichnung des ausländischen Spruchkörpers kommt es nicht an. Urteile, die in ihrem Ursprungsstaat nicht formell rechtskräftig sind, also nach dem für sie geltenden ausländischen Prozessrecht unanfechtbar geworden sind, werden dabei nach der h. M. nicht nach § 328 Abs. 1 ZPO anerkannt.58)

46

Nach der Lehre der automatischen Wirkungserstreckung entfaltet eine ausländische Entscheidung dann Inlandswirkung, wenn im konkreten Fall kein Anerkennungshindernis besteht. § 328 Abs. 1 ZPO ordnet an, dass die Anerkennung von Urteilen ausländischer Gerichte in Deutschland ausgeschlossen ist, wenn eines der enumerativ aufgeführten fünf Anerkennungshindernisse gegeben ist, namentlich

47



wenn die Gerichte des Staates, dem das ausländische Gericht angehört, nach den deutschen Gesetzen nicht zuständig sind;

_____________ 57) Vgl. Gottwald in: MünchKomm-ZPO, § 328 Rz. 60. 58) Vgl. Bach in: BeckOK-ZPO, § 328 Rz. 3.

Abel/Herbst

1145

Anhang zu § 86

48

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen



wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat und sich hierauf beruft, das verfahrenseinleitende Dokument nicht ordnungsmäßig oder nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte;



wenn das Urteil mit einem hier erlassenen oder einem anzuerkennenden früheren ausländischen Urteil oder wenn das ihm zugrunde liegende Verfahren mit einem früher hier rechtshängig gewordenen Verfahren unvereinbar ist;



wenn die Anerkennung des Urteils zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist;



wenn die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist.

Wenngleich § 328 ZPO die Anerkennungsvoraussetzungen als Versagungsgründe formuliert, kann daraus keine Vermutung zugunsten oder zuungunsten der Anerkennung abgeleitet werden. Abgesehen von § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO sind die Anerkennungsvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen. Kann das deutsche Gericht die Anerkennungsvoraussetzungen nicht positiv feststellen, trägt die Partei, die die Anerkennung erreichen will, die Beweislast. Für Verstöße gegen den Ordre Public gemäß der Regelung des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO trägt dagegen die Partei die Beweislast, die die Anerkennung verhindern will. 3.

Die Anerkennung im Einzelnen

a) Die Stabilisierungsanordnung 49

Um den operativen Geschäftsbetrieb bis zur erfolgreichen Abstimmung über einen Restrukturierungsplan fortzuführen, kann der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung i. S. einer Vollstreckungs- oder Verwertungssperre für die Dauer von drei Monaten beantragen (vgl. §§ 49 Abs. 1, 53 Abs. 1). Auf der Grundlage einer Vollstreckungssperre können Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagt oder einstweilen eingestellt werden (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 1). Eine vom Restrukturierungsgericht angeordnete Verwertungssperre führt demgegenüber dazu, dass Rechte an Gegenständen des beweglichen Vermögens, die im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Ab- oder Aussonderungsrecht geltend gemacht werden könnten, von deren Gläubiger nicht durchgesetzt werden können (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 2). So bleiben Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners erhalten, die hierfür von erheblicher Bedeutung sind. So kann der Schuldner verhindern, dass seinem Restrukturierungsvorhaben zur Betriebsfortführung benötigte fremdfinanzierte bzw. in fremdem Eigentum stehende Gegenstände entzogen werden.

50

Das Restrukturierungsgericht ordnet Stabilisierungsanordnungen auf Antrag an, dem der Schuldner den Entwurf des Restrukturierungsplans und einen Finanzplan über den Zeitraum von sechs Monaten beizufügen hat. Abzulehnen ist der Antrag, wenn die Restrukturierungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht oder die Restrukturierung aussichtslos und damit nicht plausibel ist. Liegen erhebliche Zahlungsrückstände gegenüber Arbeitnehmern, aus Pensionszusagen oder dem Steuerschuldverhältnis, gegenüber den Sozialversicherungsträgern und Lieferanten oder Verstößen gegen die handelsrechtlichen Offenlegungspflichten vor, ist zwar die Anordnung einer Stabilisierungsordnung nicht generell ausgeschlos1146

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

sen, aber an besondere Voraussetzungen gebunden (vgl. § 51 Abs. 2). Das Gericht muss überzeugt sein, dass der Schuldner gleichwohl bereit und in der Lage ist, die Interessen der Gläubigergesamtheit zu wahren. Ist eine Verwertungssperre ergangen, hat der Schuldner den betroffenen Gläubigern nach § 54 Abs. 1 die geschuldeten Zinsen zu zahlen und den durch die Nutzung eintretenden Wertverlust durch laufende Zahlungen auszugleichen. Zieht der Schuldner nach Maßgabe der vertraglichen Vereinbarungen mit dem Berechtigten Forderungen ein, die zur Sicherung eines Anspruchs abgetreten sind, oder veräußert oder verarbeitet er bewegliche Sachen, an denen Rechte bestehen, die im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Aus- oder Absonderungsrechte geltend gemacht werden könnten, sind die erzielten Erlöse, an die Berechtigten auszukehren oder unterscheidbar zu verwahren falls keine andere Abrede getroffen ist (vgl. § 54 Abs. 2).

51

Die von Stabilisierungsmaßnahmen betroffenen Gläubiger sind aufgrund der europarechtlichen Vorgaben daran gehindert, in Bezug auf ihre vor der Aussetzung entstandenen Forderungen und allein aufgrund der Tatsache, dass diese unbezahlt geblieben sind, Leistungen aus wesentlichen noch zu erfüllenden Verträgen zu verweigern, die bestehenden Verträge zu kündigen, vorzeitig fällig zu stellen oder in sonstiger Weise zum Nachteil des Schuldners zu ändern. Ist der Schuldner bei Anordnung der Stabilisierungsmaßnahme mit vertraglichen Leistungen in Rückstand, so kann der Gläubiger nicht allein wegen dieser rückständigen Leistung eine ihm im Anordnungszeitraum obliegende Leistung verweigern oder Vertragsbeendigungsoder -abänderungsrechte geltend machen (vgl. § 55 Abs. 1), sofern der Schuldner für die Betriebsfortführung auf die dem Gläubiger obliegende Leistung angewiesen ist (§ 55 Abs. 2). Allerdings bleibt der Gläubiger gemäß § 320 BGB berechtigt, die Erbringung desjenigen Teils der ihm obliegenden Gegenleistung zu verweigern, der auf die rückständige Leistung des Schuldners entfällt. Zudem besteht das Recht eines Darlehensgebers fort, den Darlehensvertrag vor der Auszahlung des Darlehens wegen einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners oder der Werthaltigkeit der für das Darlehen gestellten Sicherheit zu kündigen (Abs. 3).

52

Die Rechtsordnungen der europäischen Mitgliedstaaten dürften nach der Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie eine der Stabilisierungsanordnung i. S. des § 49 Abs. 1 vergleichbar ausgestaltete Vollstreckungs- und Verwertungssperre enthalten. Die Frage der Anerkennung solcher Stabilisierungsanordnungen anderer europäischer Mitgliedstaaten in Deutschland richtet sich nach § 328 Abs. 1 ZPO.

53

Eine Stabilisierungsanordnung eines ausländischen Gerichts fällt unter den Urteilsbegriff des § 328 Abs. 1 ZPO, da sie sowohl in der Form der Vollstreckungssperre als auch in Form der Verwertungssperre Rechtstellung bestimmter Gläubiger nach materiellem Zivilrecht im Verhältnis zum Schuldner beschränkt und damit einen zivilrechtlichen Streitgegenstand i. S. des § 13 GVG darstellt.

54

Allerdings stellt sich die Frage, ob es sich bei einer Stabilisierungsanordnung um eine endgültige Entscheidung handelt. Urteile, die in ihrem Ursprungsstaat nicht formell rechtskräftig sind, also nach dem für sie geltenden ausländischen Prozessrecht unanfechtbar geworden sind, werden nach der h. M. nicht nach § 328 ZPO an-

55

Abel/Herbst

1147

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

erkannt.59) Entscheidungen, die im vorläufigen Rechtsschutz ergehen, werden ebenfalls nicht nach § 328 Abs. 1 ZPO anerkannt, soweit sie nicht ausnahmsweise endgültigen Charakter besitzen.60) Die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten werden voraussichtlich eine dem § 59 Abs. 2 vergleichbare Regelung enthalten, wonach Stabilisierungsanordnungen auf Antrag eines von der Anordnung betroffenen Gläubigers aufgehoben werden, wenn dieser einen Beendigungsgrund glaubhaft macht. Als Beendigungsgrund kommen vergleichbar mit § 59 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 insbesondere in Betracht, dass Voraussetzungen für die Aufhebung der Restrukturierungssache vorliegen oder Umstände bekannt geworden sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner nicht bereit oder in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten. Stabilisierungsanordnungen werden nach den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgrund der Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie zudem ähnlich wie in Deutschland zeitlich beschränkt sein und können von Amts wegen aufgehoben werden, wenn das Restrukturierungskonzept nicht mehr umsetzbar erscheint. Diese Gründe sprechen dafür, Stabilisierungsanordnungen nicht als endgültige Entscheidungen anzusehen. 56

Damit sind Stabilisierungsanordnungen durch (Restrukturierungs-)Gerichte eines Mitgliedstaats in Deutschland nicht gemäß § 328 Abs. 1 ZPO anzuerkennen. Soweit nicht durch bilaterale Abkommen im Einzelfall etwas Anderes geregelt ist, wird in nicht öffentlichen Restrukturierungssachen eine in den europäischen Mitgliedstaaten ergangene Stabilisierungsanordnung in Deutschland nicht anerkannt. Nachdem der Erlass einer Stabilisierungsanordnung in nicht öffentlichen Restrukturierungssachen nicht europaweit anerkannt wird, kann für deren Aufhebung als actus contrarius nichts anderes gelten.

57

Dieses Ergebnis erscheint innerhalb einer Gesamtbetrachtung auch als angemessen. Zwar mag sich in der Übergangszeit bis in allen Mitgliedstaaten eine öffentliche Bekanntmachung des Restrukturierungsvorhabens möglich sein wird, bei einzelnen grenzüberschreitenden Restrukturierungen eine Schutzlücke ergeben. Sobald die Möglichkeit der öffentlichen Bekanntmachung in allen Mitgliedstaaten eingeführt ist, hat der Schuldner es aber selbst in der Hand, die Restrukturierungssache öffentlich bekannt zu machen, wenn er auf die Anerkennung einer Stabilisierungsanordnung nach den Regelungen der EuInsVO angewiesen ist. b) Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten aa) Aufgaben und Rechtstellung

58

§ 76 weist dem obligatorischen Restrukturierungsbeauftragten weitreichendere Aufgaben zu als dem fakultativen (auf Antrag) zu bestellenden Restrukturierungsbeauftragten (vgl. § 79). Die dem obligatorischen Restrukturierungsbeauftragten zugewiesenen Aufgaben decken sich in Teilbereichen mit denjenigen des Insolvenz-/ oder Sachwalters in einem Insolvenzverfahren mit dem Unterschied, das Restrukturierungsverfahren keine insolvenzrechtliche Haftungsverwirklichung vorsehen und demnach keine Verfügungsbefugnis und keinen Insolvenzbeschlag i. S. des § 35 InsO _____________ 59) Vgl. Bach in: BeckOK-ZPO, § 328 Rz. 3. 60) OLG München, Urt. v. 26.6.1991 – 12 UF 1540/90, IPrax 1992, 174, 175.

1148

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

kennt.61) Dementsprechend handelt der Restrukturierungsbeauftragte auch nicht als Partei kraft Amtes oder als Amtswalter. Der obligatorische Restrukturierungsbeauftragte hat zunächst als Ermittlungsorgan das Restrukturierungsgericht in der Amtsermittlung zu unterstützen (vgl. § 73 Abs. 1 Nr. 1 bis 3). Insoweit kommen ihm Mitteilungs-, Hinweis- und Warnpflichten gegenüber dem Restrukturierungsgericht zu. Stellt er Umstände fest, die eine Aufhebung der Restrukturierungssache rechtfertigen, hat er das Restrukturierungsgericht unverzüglich hierüber zu unterrichten (vgl. § 76 Abs. 1). In den Fallgruppen des § 73 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder Abs. 2 hat er darüber zu entscheiden, ob der Restrukturierungsplan gerichtlich oder außergerichtlich zur Abstimmung gebracht wird (vgl. § 76 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Halbs. 1). Erfolgt die Abstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren, leitet er die Versammlung der Planbetroffenen und dokumentiert die Abstimmung (vgl. § 76 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Halbs. 2). Ferner prüft er die Forderungen, Absonderungsanwartschaften, gruppeninternen Drittsicherheiten und Anteilsund Mitgliedschaftsrechte der Planbetroffenen (vgl. § 76 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 Halbs. 3). Ist eine Restrukturierungsforderung, Absonderungsanwartschaft oder gruppeninterne Drittsicherheit oder ein Anteils- und Mitgliedschaftsrecht dem Grunde oder der Höhe nach streitig oder zweifelhaft, weist er die anderen Panbetroffenen darauf hin und wirkt auf eine Klärung des Stimmrechts im Wege einer Vorprüfung nach §§ 47 bis 48 hin (vgl. § 76 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Halbs. 4). Eine Klärung bestrittener Restrukturierungsforderungen i. R. eines Tabellenfeststellungsprozesses kennt das StaRUG seiner Rechtsnatur als „Restrukturierungsrahmen“ außerhalb eines formalisierten gerichtlichen Verfahrens nicht. Insbesondere zur Klärung der Stimmrechte der Gläubiger gemäß §§ 47, 48 bei der Abstimmung über einen Restrukturierungsplan außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens ist der Schuldner in besonderem Maße auf die Unterstützung des Restrukturierungsbeauftragten angewiesen.

59

Darüber hinaus kann das Restrukturierungsgericht die Aufgaben des Restrukturierungsbeauftragten erweitern, so dass sie mit denjenigen eines Sachwalters nach den §§ 270 ff. InsO vergleichbar sind. So kann das Gericht dem Restrukturierungsbeauftragten die Befugnis übertragen, die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und dessen Geschäftsführung zu überwachen (vgl. § 76 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) sowie von dem Schuldner verlangen, dass eingehende Gelder nur von dem Beauftragten entgegengenommen und Zahlungen nur von dem Beauftragten geleistet werden können (vgl. § 76 Abs. 2 Nr. 2 lit. a). Ferner kann das Gericht dem Schuldner aufgeben, dem Beauftragten Zahlungen anzuzeigen und Zahlungen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs nur zu tätigen, wenn der Beauftragte zustimmt (vgl. § 76 Abs. 2 Nr. 3).

60

Für den Fall, dass zugunsten des Schuldners eine Stabilisierungsanordnung erlassen wird, prüft der Beauftragte fortlaufend, ob die Anordnungsvoraussetzungen fortbestehen und ob ein Aufhebungsgrund vorliegt; zu diesem Zweck untersucht der Beauftragte die Verhältnisse des Schuldners (vgl. § 76 Abs. 3 Nr. 1). Zudem steht

61

_____________ 61) Vgl. Smid, ZInsO 2020, 2184, 2191.

Abel/Herbst

1149

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

dem Beauftragten das Recht zu, die Gründe für die Aufhebung der Anordnung geltend zu machen (vgl. § 76 Abs. 2 Nr. 3).62) 62

Demgegenüber sind die Aufgaben des fakultativen Restrukturierungsbeauftragten, der auf Antrag des Schuldners oder einer Gruppe von Gläubigern bestellt wird, zunächst darauf begrenzt, den Schuldner und die Gläubiger bei der Ausarbeitung und Aushandlung des Restrukturierungskonzeptes zu unterstützen. Nicht zu unterschätzen ist allerdings, dass das Restrukturierungsgericht diesem weiteren Restrukturierungsbeauftragten nach Maßgabe des § 74 Abs. 3 sämtliche Aufgaben – bis auf die Entscheidung, ob über den Plan (außer)gerichtlich abgestimmt wird und damit verbunden die Versammlungsleitung in der außergerichtlichen Planabstimmung (§ 76 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 1 und 2) – übertragen und den obligatorischen Restrukturierungsbeauftragten damit faktisch entmachten kann. bb) Anerkennung

63

Wenngleich damit die Aufgaben des Restrukturierungsbeauftragten und die Möglichkeiten seiner Einflussnahme auf den Verfahrensverlauf sehr weitreichend sind, greifen sie, anders als der Erlass einer Stabilisierungsanordnung oder die gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungsplans nicht unmittelbar in die Rechtstellung von Gläubigern aus Restrukturierungsforderungen, Absonderungsanwartschaften oder gruppeninternen Drittsicherheiten ein. Daher besteht aus Sicht des Schuldners und der betroffenen Gläubiger mit Sitz in den europäischen Mitgliedstaaten nicht im selben Umfang wie für Stabilisierungsanordnungen oder Planbestätigungen ein Bedürfnis dafür, die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten europaweit anzuerkennen.

64

Was die Anerkennung der Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten durch die Gerichte der europäischen Mitgliedstaaten in Deutschland betrifft, ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Restrukturierungsrichtlinie den Mitgliedstaaten durch verschiedene Öffnungsklauseln den Raum verschafft hat, Aufgaben und Befugnisse des Restrukturierungsbeauftragten gegenüber den Regelungen der Restrukturierungsrichtlinie abweichend zu regeln.

65

Ungeachtet dessen kommt in Deutschland die Anerkennung der Rechtstellung eines gerichtlich bestellten Restrukturierungsbeauftragten in nicht öffentlichen Restrukturierungssachen nur gemäß § 328 Abs. 1 ZPO in Betracht.

66

Der Bestellungsakt des ausländischen Gerichts dürfte unter den Urteilbegriff des § 328 Abs. 1 ZPO fallen, da dieser alle Entscheidungen ausländischer Gerichte unabhängig von ihrer formalen Bezeichnung als Urteil oder Beschluss umfasst, soweit sie einen aus deutscher Sicht zivilrechtlichen Streitgegenstand i. S. des § 13 GVG betreffen.63)

67

Allerdings stellt sich die Frage, ob es sich bei der Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten um eine endgültige Entscheidung handelt. Urteile, die in ihrem Ursprungsstaat nicht formell rechtskräftig sind, also nach dem für sie geltenden ausländischen Prozessrecht unanfechtbar geworden sind, werden nach der vorherr_____________ 62) Vgl. Smid, ZInsO 2020, 2184, 2192. 63) Vgl. Gottwald in: MünchKomm-ZPO, § 328 Rz. 60.

1150

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

schenden Meinung nicht nach § 328 ZPO anerkannt.64) Wenngleich das StaRUG kein Rechtsmittel gegen die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten vorsieht, sondern lediglich die sofortige Beschwerde des Restrukturierungsbeauftragten gegen seine Entlassung kennt, liegt es nahe, dass die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten dies ggf. anders regeln. Soweit Rechtsmittel gegen die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten vorgesehen sind, würde dessen Bestellung jedenfalls so lange nicht anerkannt, wie die Bestellungsentscheidung noch nicht formell rechtskräftig ist. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass die zuständigen Gerichte der Mitgliedstaaten den Restrukturierungsbeauftragten aus bestimmten Gründen von Amts wegen aus seinem Amt entlassen können. Aus diesem Grund kann in der Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten im Ergebnis keine endgültige Entscheidung gesehen werden. Damit ist in nicht öffentlichen Restrukturierungsverfahren die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten durch die zuständigen Gerichte der europäischen Mitgliedstaaten in Deutschland nicht anzuerkennen. Wird die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten in nicht öffentlichen Restrukturierungssachen in Deutschland nicht anerkannt, kann für die Aufhebung dieser Entscheidung und die Entlassung des Restrukturierungsbeauftragten aus seinem Amt als actus contrarius nichts anderes gelten.

68

Dieses Ergebnis erscheint auch angemessen. Soweit sich in der Übergangszeit – bis in allen Mitgliedstaaten eine öffentliche Bekanntmachung des Restrukturierungsvorhabens möglich sein wird – bei grenzüberschreitenden Restrukturierungen überhaupt Schutzlücken für Schuldner ergeben, haben sie es, sobald die Möglichkeit der öffentlichen Bekanntmachung in allen Mitgliedstaaten eingeführt ist, in der Hand, die Restrukturierungssache öffentlich bekannt zu machen, um die Anerkennung der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten nach den Regelungen der EuInsVO zu erreichen.

69

c) Der gerichtlich bestätigte Restrukturierungsplan aa) Funktion und gerichtliche Planbestätigung Der Restrukturierungsplan stellt das Kernstück des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens dar. Seine Struktur und Wirkungsweise orientiert sich in weiten Teilen an derjenigen des Insolvenzplans. Wie der Insolvenzplan besteht auch der Restrukturierungsplan aus einem darstellenden Teil (vgl. § 6) und einem gestaltenden Teil (vgl. § 7). Eine Vergleichsrechnung, in welcher die bilanziellen Aktiva zu Fortführungswerten anzusetzen sind, dokumentiert ferner, dass die Gläubiger durch den Restrukturierungsplan nicht schlechter gestellt werden. Außerdem besteht die Möglichkeit nur einen Teil der Gläubiger nach sachgerechten Kriterien einzubeziehen, was den teilkollektiven Charakter des Stabilisierungs- und Restrukturierungrahmens kennzeichnet.

70

Während eine außergerichtliche Sanierung die Zustimmung aller einbezogenen Gläubiger i. S. einer einstimmigen Entscheidung erfordert, ermöglicht ein Restrukturie-

71

_____________ 64) Vgl. Bach in: BeckOK-ZPO, § 328 Rz. 3.

Abel/Herbst

1151

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

rungsplan eine Restrukturierung über Mehrheitsentscheidungen. Die vom Schuldner einbezogenen Gläubiger werden in verschiedenen Gruppen zusammengefasst. Der Plan ist angenommen, wenn innerhalb jeder Gruppe 75 % Zustimmung zum Restrukturierungsplan erreicht werden und im Grundsatz eine Mehrheit der gebildeten Gläubigergruppen dem Plan zugestimmt hat. Der Restrukturierungsplan trägt dem Umstand Rechnung, dass bei drohender Zahlungsunfähigkeit eine vollständige Befriedigung der Gläubiger vielfach nicht mehr gewährleistet ist. Dabei sind auch Eingriffe in Nebenbestimmungen der Vereinbarungen mit mehreren Beteiligten möglich, insbesondere Konsortialkreditverträge und Sicherheitenpoolverträge mit mehreren Finanzinstituten. Lediglich die Forderungen von Arbeitnehmern sowie Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen und Geldstrafen dürfen nicht in den Restrukturierungsplan einbezogen werden. Auch Drittsicherheiten können mit dem Ziel der Vermeidung von Folgeinsolvenzen auf der Konzernebene einbezogen werden. 72

Der Schuldner kann den Restrukturierungsplan nach den §§ 17 bis 22 ohne Mitwirkung des Restrukturierungsgerichts zur Abstimmung stellen, wenn er davon ausgeht, dass alle betroffenen Gläubiger dem Plan zustimmen werden. In der Mehrzahl der Fälle wird der Schuldner aber die Mitwirkung des Restrukturierungsgerichts in Anspruch nehmen. Soweit fehlende Zustimmungen der abstimmenden Gläubigergruppen ersetzt werden müssen, ist der Schuldner auf die gerichtliche Planbestätigung nach den §§ 60 ff. angewiesen. Darüber hinaus kann der Schuldner den Restrukturierungsplan vom Restrukturierungsgericht vorprüfen lassen. Gegenstand der Prüfung kann jede Frage sein, die für die Planbestätigung erheblich ist. Das Ergebnis dieser Prüfung teilt das Gericht dann i. R. eines Hinweisbeschlusses mit.

73

Die gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans nach dem StaRUG erfolgt wahlweise nach einer außergerichtlichen oder gerichtlichen Planabstimmung in einem Bestätigungsverfahren ähnlich dem des Insolvenzplans nach §§ 248 ff. InsO. So ist die Planbestätigung etwa bei wesentlichen Mängeln des Planinhalts oder der verfahrensmäßigen Behandlung zu versagen (vgl. § 63 Abs. 1 Nr. 2). Gleiches gilt, wenn der Plan offensichtlich nicht erfüllt werden kann (§ 63 Abs. 1 Nr. 3).65) Darüber hinaus hat die Planbestätigung auch eine Schutzfunktion, indem sie für die betroffenen Gläubiger und Anteilsinhaber den Rechtsweg eröffnet.66) Auch was die Wirkungen des Restrukturierungsplans anbelangt, kommt der Planbestätigung eine grundlegende Bedeutung zu. So treten mit der Planbestätigung die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen ein (vgl. § 67 Abs. 1 Satz 1). Dies gilt auch im Verhältnis zu Planbetroffenen, die gegen den Plan gestimmt haben oder an der Abstimmung nicht teilgenommen haben, obgleich sie ordnungsgemäß an dem Abstimmungsverfahren beteiligt worden sind (vgl. § 67 Abs. 1 Satz 2). Gegen den Beschluss, durch den der Restrukturierungsplan bestätigt wird, steht jedem Planbetroffenen als Rechtsmittel die sofortige Beschwerde zu (vgl. § 66 Abs. 1 Satz 1). Gegen den Beschluss, mit dem die Planbestätigung abgelehnt wurde, steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu (vgl. § 66 Abs. 1 Satz 2). _____________ 65) Vgl. Stahlschmidt, ZInsO 2021, 205, 210. 66) Vgl. Smid, ZInsO 2020, 266, 276.

1152

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

Die Regelungen eines rechtskräftig durch das Restrukturierungsgericht bestätigten Restrukturierungsplans und Rechtshandlungen, die im Vollzug eines solchen Plans erfolgen, können ferner bis zum Ende der Restrukturierung der Insolvenzanfechtung entzogen sein. Eine Anfechtbarkeit besteht nur dann, wenn die gerichtliche Planbestätigung auf der Grundlage unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Schuldners erfolgte und dies dem anderen Teil bekannt war (§ 90 Abs. 1). Eine weitergehende Ausnahme gilt ferner für Forderungen im Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO und Sicherheitsleistungen, die nach § 135 InsO oder § 6 AnfG anfechtbar sind.

74

bb) Die Planregelungen Im Restrukturierungsplan können verschiedene Rechtsverhältnisse gestaltet werden. Hierunter fallen zunächst sog. Restrukturierungsforderungen, die gegenüber dem Schuldner bei Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache begründet sind (§ 2 Abs. 1 Nr. 1). Ferner zählen hierzu sog. Absonderungsanwartschaften an Gegenständen des schuldnerischen Vermögens, die im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Absonderung (§ 49 InsO) berechtigen würden (§ 2 Abs. 1 Nr. 1). Ferner können auch Einzelbestimmungen in mehrseitigen Rechtsverhältnissen, soweit Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften auf diesen beruhen (§ 2 Abs. 2) oder Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldnerunternehmen beteiligten Personen gestaltet werden (etwa durch Kapitalmaßnahmen, Debt to Equity Swaps oder durch die Übertragung der Geschäftsanteile).

75

cc) Die Anerkennung Es kann davon ausgegangen werden, die Mitgliedstaaten dürften in Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie auch für nicht öffentliche präventive Restrukturierungen einen Restrukturierungsplan vorsehen, der in seiner Struktur und Funktionsweise derjenigen des StaRUG zumindest in weiten Teilen vergleichbar ist. Für Entscheidungen über die Planbestätigung oder deren Ablehnung durch die in den europäischen Mitgliedstaaten zuständigen Gerichte ist in nicht öffentlichen Restrukturierungssachen in Deutschland die Anerkennung nach dem autonomen internationalen Zivilverfahrensrecht gemäß § 328 Abs. 1 ZPO zu prüfen.

76

Da der Restrukturierungsplan in die vertragliche und gesetzliche Rechtstellung bestimmter Gläubiger nach materiellem Zivilrecht im Verhältnis zum Schuldner eingreift, insbesondere durch Eingriffe in Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften, ist er als zivilrechtlicher Streitgegenstand im Sinn des § 13 GVG anzusehen. Fraglich ist aber, ob es sich bei der gerichtlichen Planbestätigung um eine gerichtliche Entscheidung handelt. Die gerichtliche Bestätigung oder Ablehnung eines Restrukturierungsplans unterscheidet sich von der materiellen Rechtsprechung des Spruchrichters dadurch, dass sie materiell keine Rechtsprechungstätigkeit im eigentlichen Sinne darstellt. Der den Restrukturierungsplan bestätigende Richter bestätigt der Sache nach eine ihrem Ursprung nach gläubigerautonom getroffene Regelung sowie die Einhaltung der Form- und Verfahrensvorschriften für eine ordnungsgemäße Abstimmung und ggf. Überstimmung von Gläubiger(gruppen). Insoweit ist die Bestätigung des Restrukturierungsplans mit einer gerichtlichen Entscheidung vergleichbar, die aufgrund eines Parteivergleichs ergangen ist. Solche ge-

77

Abel/Herbst

1153

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

richtlichen Entscheidungen sind nach h. M. gemäß § 328 Abs. 1 ZPO grundsätzlich anerkennungsfähig.67) 78

Um eine endgültigen Entscheidung handelt es sich bei der Planbestätigung oder deren Ablehnung aber erst, wenn sie formell rechtskräftig geworden, diese also nach dem für sie geltenden ausländischen Prozessrecht für die planbetroffenen Gläubiger, Anteilsinhaber und den Schuldner unanfechtbar geworden ist.68)

79

Soweit demnach keines der in § 328 Abs. 1 ZPO aufgezählten Anerkennungshindernisse vorliegen, ist ein gerichtlich bestätigter Restrukturierungsplan nach Eintritt der formalen Rechtskraft der Planbestätigung grundsätzlich gemäß § 328 Abs. 1 ZPO anzuerkennen.

80

In Betracht zu ziehen sind Beschränkungen bei einer Verletzung des Ordre Public i. S. des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. Sies setzt voraus, dass wenn die Anerkennung der Entscheidung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Grundsätzlich darf der deutsche Richter die Richtigkeit der ausländischen Entscheidung nicht nachprüfen, es gilt das Verbot der révision au fond.69) Von der Regel, dass fehlerhafte ausländische Urteile in gleicher Weise hinzunehmen sind wie fehlerhafte inländische, muss jedoch dann eine Ausnahme zugelassen werden, wenn höherwertige Interessen eine Durchbrechung dringend gebieten.70) Eine Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts ergibt sich jedoch nicht schon bei einem Verstoß gegen zwingendes deutsches Recht, sondern erst dann, wenn der Inhalt des ausländischen Urteils zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und der in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach inländischer Vorstellung untragbar erscheint.71)

81

In diesem Zusammenhang sind die Wertungen des Art. 8 Abs. 1 EuInsVO (dingliche Rechte) zu beachten, der anordnet, dass das dingliche Recht eines Gläubigers oder eines Dritten an körperlichen oder unkörperlichen, beweglichen oder unbeweglichen Gegenständen des Schuldners – sowohl an bestimmten Gegenständen als auch an einer Mehrheit von nicht bestimmten Gegenständen mit wechselnder Zusammensetzung –, die sich zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats befinden, von der Eröffnung des Verfahrens nicht berührt wird. In seinem sachlichen Anwendungsbereich wird dinglichen Rechten ein besonderer Status eingeräumt, so dass diese vom Anwendungsbereich der lex fori concursus ausgenommen sind.72)

82

Die Wertung des Art. 8 Abs. 1 EuInsVO ist nicht als wesentlicher Grundsatz des deutschen Rechts anzusehen. Wie bereits dargestellt ergäbe sich jedoch ein Wer_____________ 67) 68) 69) 70) 71) 72)

Vgl. Gottwald in: MünchKomm-ZPO, § 328 Rz. 78. Vgl. Bach in: BeckOK ZPO, § 328 Rz. 3. Vgl. Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 328, Rz. 23. Vgl. Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 328, Rz. 23. Vgl. Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 328, Rz. 23. Vgl. Paulus, EuInsVO, Art. 8 Rz. 1.

1154

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

tungswiderspruch, wenn die Anerkennung nach den grundsätzlich weniger anerkennungsfreundlichen Regelungen des deutschen internationalen Zivilverfahrensrechts für Entscheidungen in nicht öffentlichen Restrukturierungssachen weiterreichen würde, als die Anerkennung nach der EuInsVO. Daher gelten die sich aus Art. 8 Abs. 1 EuInsVO ergebenden Beschränkungen auch für die Anerkennung eines gerichtlich bestätigten Restrukturierungsplans i. R. einer nicht öffentlichen Restrukturierungssache in Deutschland. Im Ergebnis verbietet sich demnach die Anerkennung von Eingriffen in Absonderungsanwartschaften durch einen gerichtlich bestätigten Restrukturierungsplan, soweit dinglichen Rechten i. S. des Art. 8 EuInsVO unterliegende Gegenstände in einem anderen Mitgliedstaat belegen sind. d) Der gerichtlich bestätigte Sanierungsvergleich aa) Funktion des Sanierungsvergleichs Das StaRUG enthält in den §§ 94 bis 100 Vorschriften zur Sanierungsmoderation, die auf den Abschluss eines Sanierungsvergleichs gerichtet sind. Die Sanierungsmoderation setzt zunächst einen Antrag des Schuldners beim zuständigen Restrukturierungsgericht auf Bestellung einer von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängigen natürlichen Person zum Sanierungsmoderator voraus (vgl. § 94 Abs. 1). Die Bestellung eines Sanierungsmoderators setzt voraus, dass der Schuldner nicht offensichtlich zahlungsunfähig ist, sowie, wenn er keine natürliche Person ist, auch nicht offensichtlich überschuldet ist. Der vom Restrukturierungsgericht bestellte Sanierungsmoderator hat sodann für einen Zeitraum von drei Monaten, der auf sechs Monate verlängert werden kann, die Möglichkeit, durch Vermittlung und Verhandlungen mit den betroffenen Gläubigern einen Sanierungsvergleich herbeizuführen. Die Bestellung des Sanierungsmoderators wird nicht öffentlich bekannt gemacht (vgl. § 95 Abs. 2). Der erfolgreiche Abschluss eines Sanierungsvergleichs setzt in Deutschland gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 voraus, dass sich der Schuldner mit allen einbezogenen Gläubigern einigt. Weder ein Überstimmen von Gläubigern durch Mehrheitsentscheidungen anderer Gläubiger, noch eine gerichtliche Zustimmungsersetzung kommen in Betracht. Der Sanierungsvergleich kann auf Antrag des Schuldners durch das Restrukturierungsgericht bestätigt werden (vgl. § 97 Abs. 1).

83

Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird unterstellt, dass die Rechtsordnungen der europäischen Mitgliedstaaten zur präventiven Restrukturierung gleichfalls die gerichtliche Bestätigung eines Sanierungsvergleichs vorsehen.

84

bb) Anerkennung Der gerichtlich bestätigte Sanierungsvergleich ist im selben Umfang wie der gerichtlich bestätigte Restrukturierungsplan gemäß § 328 Abs. 1 ZPO anzuerkennen. Grenzen der Anerkennung ergeben sich analog Art. 8 EuInsVO, soweit durch den Sanierungsvergleich entsprechende Rechte beschränkt werden, die sich auf in anderen Mitgliedstaaten belegene Gegenstände erstrecken.

85

e) Die Vertragsbeendigung in der präventiven Restrukturierung Während die Vertragsbeendigung i. R. einer präventiven nicht öffentlichen Restrukturierung im Gesetzgebungsverfahren vorgesehen war, wurde sie letztlich nicht in

Abel/Herbst

1155

86

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

das final verabschiedete StaRUG übernommen. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass andere europäische Rechtsordnungen das Sanierungsinstrument der Vertragsbeendigung vorsehen werden. So trat am 1.1.2021 insbesondere das niederländische Gesetz über die Genehmigung von privaten Restrukturierungsplänen (WHOA) in Kraft. Es sieht ein Recht des Schuldners vor, vom Gericht die Beendigung von Verträgen aussprechen zu lassen, wenn dies nach dem von den Gläubigern getragenen Restrukturierungskonzept erforderlich ist und eine privatautonome Vertragsanpassung gescheitert ist. Der Schuldner, der für eine nachhaltige Restrukturierung auf eine leistungswirtschaftlich wirkende Vertragsanpassung oder -beendigung angewiesen ist, kann diese nach den Regelungen des niederländischen Rechts sowohl öffentlichen als auch im nicht öffentlichen präventiven Restrukturierungsverfahren des WHOA erlangen. 87

Für den Fall, dass die Vertragsbeendigung in einem nicht öffentlich geführten WHOA Verfahren erfolgt, stellt sich daher die Frage, ob die Vertragsbeendigung durch das zuständige niederländische Gericht in Deutschland nach § 328 Abs. 1 ZPO anzuerkennen ist. Als praktisches Fallbeispiel kommt in der nicht öffentlichen Restrukturierungssache eines niederländischen Schuldners die Beendigung eines Mietvertrags mit einem deutschen Immobilieneigentümer in Betracht. Unabhängig von der formalen Bezeichnung betrifft die gerichtliche Entscheidung über die Vertragsbeendigung einen aus deutscher Sicht zivilrechtlichen Streitgegenstand i. S. des § 13 GVG.73)

88

Zwar dürfte es sich bei der Entscheidung über die Vertragsbeendigung materiellrechtlich nicht um einen Akt der der Rechtsprechungstätigkeit im eigentlichen Sinne handeln. Allerdings ist die gerichtliche Entscheidung vergleichbar mit der Bestätigung eines Parteivergleichs. Gerichtlichen Entscheidungen dieser Art, sind nach allgemeiner Auffassung gemäß § 328 Abs. 1 ZPO anerkennungsfähig.74)

89

Um eine endgültige Entscheidung handelt es sich bei der Planbestätigung oder deren Ablehnung nach erst, wenn sie formell rechtskräftig geworden, diese also nach dem für sie geltenden ausländischen Verfahrensrecht unanfechtbar geworden ist.75) Nach der Lehre der automatischen Wirkungserstreckung entfaltet die ausländische Entscheidung Inlandswirkung, wenn im konkreten Fall kein Anerkennungshindernis gemäß § 328 Abs. 1 ZPO besteht.

90

Anerkenntnishindernisse liegen im Ergebnis nicht vor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sowohl der RefE76) als auch der RegE77) des SanInsFoG eine vergleichbare Regelung zur Vertragsbeendigung vorsahen, die nach intensiven Beratungen und Diskussionen letztlich zu einem späten Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens aufgrund des Widerstands des Bundesrats nicht in die finale Fassung des StaRUG aufgenommen _____________ Vgl. Gottwald in: MünchKomm-ZPO, § 328 Rz. 60. Vgl. Gottwald in: MünchKomm-ZPO, § 328 Rz. 78. Vgl. Bach in: BeckOK-ZPO, § 328 Rz. 3. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 18.8.2021). 77) RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. 73) 74) 75) 76)

1156

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

wurde. Allerdings kann insbesondere nicht erkannt werden, dass die Anerkennung der Vertragsbeendigung in einem präventiven Restrukturierungsverfahren eines anderen Mitgliedstaates zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist (vgl. § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Ein Verstoß gegen den deutschen Ordre Public liegt im Ergebnis aber nicht vor. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der deutsche Gesetzgeber selbst die Vertragsbeendigung als Instrument der präventiven Restrukturierung erwogen hatte, bevor er sie im weiteren Gesetzgebungsverfahren im Ergebnis verworfen hat. Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme78) angeregt, die im Gesetzentwurf vorgesehene Regelung zur Vertragsbeendigung zu streichen, da sie einen „schwerwiegenden Eingriff in Vertragsverhältnisse zulasten der Gläubiger unter Verstoß gegen den Grundsatz pacta sunt servanda darstelle79). Alleine daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass eine Vertragsbeendigung in der finanziellen Krise mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Im eröffneten Insolvenzverfahren sehen die §§ 103 ff. InsO eine Vertragsbeendigung durch den Insolvenzverwalter vor, sei es in Form des allgemeinen Erfüllungswahlrechtes, sei es in Form verkürzter Kündigungsfristen für langfristige Mietverträge. Nachdem der Insolvenzschuldner einen Insolvenzantrag über sein Vermögen auch schon bei drohender Zahlungsunfähigkeit stellen kann, vgl. § 18 Abs. 1 InsO, sind Vertragspartner nach dem geltendem Insolvenzrecht nicht vor einer Vertragsbeendigung geschützt. Daher stellt die Vertragsbeendigung in einem präventiven Restrukturierungsverfahren keinen Verstoß gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts dar. Zudem ist die Gegenseitigkeit verbürgt, vgl. § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, durch den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen vom 30.8.196280) mit AusfG vom 15.1.196581). Damit wäre die Vertragsbeendigung durch ein niederländisches Gericht i. R. eines nicht öffentlichen WHOA Verfahrens in Deutschland grundsätzlich anzuerkennen.

91

Etwas Anderes gilt nach der Wertung des Art. 11 Abs. 1 EuInsVO, soweit von der Vertragsbeendigung ein Vertrag über einen unbeweglichen Gegenstand betroffen ist. Selbst in einem öffentlichen Restrukturierungsverfahren wäre eine Anerkennung der Vertragsbeendigung gemäß Art. 11 Abs. 1 EuInsVO ausgeschlossen, soweit der nach dem Vertragsinhalt vom Erwerb oder der Nutzung betroffene Gegenstand sich in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen der Verfahrenseröffnung befindet. Für die Wirkungen des „Insolvenzverfahrens“ auf den Vertrag wäre vielmehr ausschließlich das Recht des Mitgliedstaats maßgebend, in dessen Hoheitsgebiet sich der Gegenstand befindet. Zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs kann die Anerkennung einer

92

_____________ 78) Stellungnahme des BRat z. SanInsFoG, v. 27.11.2020, BR-Drucks. 619/20. 79) Empfehlungen der Ausschüsse z. RegE SanInsFoG, v. 16.11.2020, BR-Drucks. 619/1/20, S. 12. 80) BGBl. II 1965, 27. 81) BGBl. II 1965, 17.

Abel/Herbst

1157

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Vertragsbeendigung in einem nicht öffentlichen präventiven Restrukturierungsverfahren keine weitergehende Anerkennung finden als in einem öffentlichen präventiven Restrukturierungsverfahren. 93

In dem genannten praktischen Fallbeispiel findet die Vertragsbeendigung des Mietvertrags über eine in Deutschland belegene Immobilie i. R. eines nicht öffentlichen WHOA-Verfahrens des niederländischen Schuldners daher keine Anerkennung in Deutschland. f)

Schutz vor Anfechtbarkeit in einem späteren Insolvenzverfahren

94

Sowohl im Fall der gerichtlichen Bestätigung eines Restrukturierungsplans, als auch der gerichtlichen Bestätigung eines Sanierungsvergleichs ergeben sich Einschränkungen der Anfechtbarkeit, sollte über das Vermögen des Schuldners zu einem späteren Zeitpunkt ein Insolvenzverfahren eröffnet werden. Dies folgt für die gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungsplans unmittelbar aus § 90 Abs. 1, bei der gerichtlichen Bestätigung eines Sanierungsvergleichs aus §§ 96 Abs. 2, 90 Abs. 1. Die Regelungen eines rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplans und Rechtshandlungen, die im Vollzug eines solchen Plans erfolgen, sind bis zur nachhaltigen Restrukturierung einer Anfechtung nur zugänglich, wenn die Bestätigung auf der Grundlage unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Schuldners erfolgte und dies dem anderen Teil bekannt war (vgl. § 90 Abs. 1). Dies gilt nicht für Forderungen im Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO und Sicherheitsleistungen, die nach § 135 InsO oder § 6 AnfG anfechtbar sind. Es kann davon ausgegangen werden, dass die einschlägigen Rechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten für die nicht öffentliche präventive Restrukturierung einen ähnlichen, ggf. sogar einen weiter reichenden Anfechtungsschutz vorsehen (werden).

95

Die relevante Fallgestaltung mit grenzüberschreitendem Bezug dürfte sich im Regelfall wie folgt darstellen: Ein im EU-Ausland ansässiger Schuldner reicht einen Restrukturierungsplan ein, der auch in Deutschland ansässige Gläubiger betrifft und durch das Gericht des Mitgliedstaates bestätigt wird. Dieselbe Konstellation ist denkbar, wenn ein Sanierungsvergleich einen durch das zuständige Gericht des Mitgliedstaates des Schuldners bestätigt wird. Nach den Regelungen des Restrukturierungsplans oder Sanierungsvergleichs erlangt der in Deutschland ansässige Gläubiger anschließend Zahlungen. Beantragt der Schuldner zu einem späteren Zeitpunkt die Insolvenzeröffnung über sein Vermögen, droht dem in Deutschland ansässigen Gläubiger die Insolvenzanfechtung der erhaltenen Zahlungen durch den Insolvenzverwalter des Eröffnungsstaates.

96

Soweit die Rechtsordnung des Eröffnungsstaates jedoch eine materiell-rechtliche Beschränkung des Anfechtungsrechts des Insolvenzverwalters vorsieht, handelt es sich nicht um eine Frage der Anerkennung i. S. einer Wirkungserstreckung in einem anderen Mitgliedstaat. Vielmehr ist der Eröffnungsstaat des nicht öffentlichen präventiven Restrukturierungsverfahrens mit demjenigen des späteren Insolvenzverfahrens identisch. Fragen der Anerkennung i. S. einer Wirkungserstreckung in einem anderen Mitgliedstaat sind demnach nicht betroffen.

97

Überschreitet der ausländische Insolvenzverwalter des Eröffnungsstaates gleichwohl seine Kompetenzen und missachtet die Beschränkung des nach seiner Rechtsord1158

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

nung maßgeblichen Insolvenzanfechtungsrechts, stellen sich lediglich Fragen nach dem effektiven Rechtsschutz für den hiervon betroffenen Gläubiger, die jedoch nicht den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung bilden. III. Die Anerkennung öffentlicher Restrukturierungssachen nach der EuInsVO Der Gesetzgeber des StaRUG hat sich entschieden, nur öffentliche Restrukturierungssachen in den Anhang A der EuInsVO aufzunehmen. Er orientiert sich damit an Art. 1 Abs. 1 EuInsVO, der vertraulich geführte Verfahren vom abstrakten Anwendungsbereich der EuInsVO ausnimmt und folgt damit zugleich der Empfehlung der Restrukturierungsrichtlinie. Nach dem ErwG 10a hat der Richtliniengeber die nationale Einbeziehung öffentlicher Restrukturierungsverfahren in den Anwendungsbereich der EuInsVO angeraten, um auf Grundlage des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO (COMI) einem Forum Shopping effektiv entgegenzuwirken. Die Aufnahme öffentlicher Restrukturierungssachen in den Anhang A der EuInsVO hat i. R. eines europäischen Gesetzgebungsverfahrens zu erfolgen, das bis Mitte 2022 abgeschlossen sein könnte. Die §§ 84 bis 88 treten gemäß Art. 25 SanInsFoG („Inkrafttreten“) zum 17.7.2022 in Kraft. 1.

98

Die Systematik nach der EuInsVO

Die Zuweisung öffentlicher Restrukturierungssachen zum Anwendungsbereich der EuInsVO erfordert, dass es sich um Regelungen handelt, die ihre Grundlage im Insolvenzrecht finden. Dabei liegt dem Normgeber der EuInsVO ein gegenüber dem deutschen Gesetzgeber erweitertes Verständnis des Insolvenzrechts zugrunde. Neben förmlichen Reorganisations- und Liquidationsverfahren sind auch solche präventiven Verfahren dem Insolvenzrecht zuzuordnen, die primär auf Insolvenzvermeidung ausgerichtet sind.82) Zudem lässt Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz genügen.83)

99

Die Regelungen zur präventiven Restrukturierung im StaRUG finden ihre rechtlichen Grundlagen nach diesem europarechtlichen Verständnis im Insolvenzrecht. Restrukturierungssachen nach dem StaRUG zielen rechtsformunabhängig auf die Insolvenzvermeidung und Verbesserung der Bedingungen für eine vorinsolvenzliche Sanierung ab. Die Zuweisung zum Anwendungsbereich der EuInsVO ist insoweit nur konsequent, als sich öffentliche Restrukturierungssachen dadurch etwa vom Scheme of Arrangement (SoA) unterscheiden, das seine rechtliche Grundlage im englischen Gesellschaftsrecht (Companies Act) findet, weshalb auch der BGH dessen Qualifikation als Insolvenzverfahren ablehnt.84)

100

Öffentliche Restrukturierungssachen sind auch als Gesamtverfahren nach Art. 1 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO anzusehen. Die EuInsVO fasst unter den Begriff des Gesamtverfahrens i. S. des Art. 1 Abs. 1 auch partielle Kollektivverfahren. Davon ist auszugehen, wenn das Verfahren einen wesentlichen Teil der Gläubiger einschließt, es

101

_____________ 82) Vgl. Paulus, EuInsVO, Art. 1 Rz. 1. 83) Vgl. ErwG 10 zur Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz und ErwG 17 zur drohenden Zahlungsunfähigkeit der EuInsVO. 84) BGH, Urt. v. 15.2.2012 – IV ZR 194/09, Rz. 19 ff., ZIP 2012, 740.

Abel/Herbst

1159

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

die Rettung des Schuldners zum Ziel hat und die Forderungen der nicht an dem Verfahren beteiligten Gläubiger unberührt bleiben.85) Die Frage, ob öffentliche Restrukturierungssachen, die sich auf einzelne Gläubigergruppen beschränken, den inhaltlichen Maßstab eines „wesentlichen“ Gläubigerbezugs erfüllt, kann im Ergebnis dahinstehen. Denn der Gesetzgeber hat die Anforderungen an „Insolvenzverfahren“ über Art. 2 Nr. 4 EuInsVO so konkretisiert, dass ein im Anhang A aufgenommenes Verfahren auch dann der EuInsVO unterliegt, wenn es die in Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 EuInsVO festgelegten Normativanforderungen nicht erfüllt.86) Umgekehrt bleibt ein Verfahren – ohne Aufnahme in den Anhang A – aus dem Anwendungsbereich der EuInsVO auch dann ausgeschlossen, wenn es dessen Bedingungen i. Ü. erfüllt.87) 102

Mit der Aufnahme in den Anhang A werden öffentliche Restrukturierungssachen daher als „Insolvenzverfahren“ der Art. 1 und 2 EuInsVO gelten. Soweit die öffentliche Bekanntmachung gemäß §§ 84 bis 86 erfolgt und eine Aufnahme in Anhang A erfolgt ist, wird der sachliche Anwendungsbereich der EuInsVO eröffnet und i. S. des Art. 288 Abs. 2 Satz 2 AEUV damit alle Vorschriften der EuInsVO auf öffentliche Restrukturierungssachen unmittelbar anwendbar sein. Art. 1 Abs. 2 EuInsVO grenzt den persönlichen Anwendungsbereich der EuInsVO dadurch negativ ab, dass die an sich in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung fallenden Verfahren lediglich dann aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen bleiben, wenn sie sich auf bestimmte Schuldner beziehen, vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. a bis lit. d EuInsVO. Im Ergebnis werden nach Aufnahme in Anhang A gerichtliche Entscheidungen eines Restrukturierungsgerichts in öffentlichen Restrukturierungssachen – wie oben beschrieben – frühestens ab dem 17.7.2022 in den Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Art. 19, 20 und 32 EuInsVO automatisch anzuerkennen sein. a) Entscheidungen nach der EuInsVO

103

Die Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen nach der EuInsVO richtet sich für die Eröffnungsentscheidung eines in Anhang A aufgeführten Insolvenzverfahrens nach Art. 19 EuInsVO und für alle sonstigen Entscheidungen nach Art. 32 EuInsVO. In den Anwendungsbereich des Art. 32 EuInsVO fallen die zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangenen Entscheidungen eines Gerichts, ein von einem Gericht geschlossener Vergleich (Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO), sowie Annexentscheidungen (Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO) und die Entscheidung über Sicherungsmaßnahmen (Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 3 EuInsVO). Die Anerkennung einzelner Entscheidungen nach Art. 32 EuInsVO setzt voraus, dass zuvor eine Eröffnungsentscheidung i. S. des Art. 2 Nr. 7 EuInsVO ergangen ist, die ihrerseits nach Art. 19 EuInsVO anerkannt wurde.

104

Dabei tritt die Wirkung der Anerkennung der Eröffnungsentscheidung erst mit deren Wirksamkeit ein, die an die formellen Wirksamkeitsvoraussetzungen der jeweiligen _____________ 85) Vgl. Vallender-Vallender, EuInsVO, Art. 1 Rz. 17. 86) Vgl. ErwG 9 Satz 3, in diesem Fall findet die EuInsVO ohne Nachprüfung Anwendung. 87) Vgl. Graf Schlicker-Bornemann, InsO, Art. 1 EuInsVO Rz. 13; Parzinger, NZI 2016, 63, 64; Paulus, NZI 2012, 297, 30; vgl. ErwG 9 Satz 4 EuInsVO.

1160

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

lex fori concurus anknüpfen.88) Liegen die Voraussetzungen des Art. 19 EuInsVO vor, kommt es automatisch zur Anerkennung der Verfahrenseröffnung in allen anderen Mitgliedstaaten (außer Dänemark), ohne dass es eines Anerkennungsverfahrens, etwa in Form eines Exequaturverfahrens, bedürfte.89) Den Gegenstand der Anerkennung bilden dabei die Tatsache der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der rechtsgestaltende Eröffnungsbeschluss als solcher.90) Wirkungserstreckung bedeutet insoweit zunächst, dass das eröffnete Insolvenzverfahren in den anerkennenden Staaten nicht in Frage gestellt werden darf. Art. 32 EuInsVO enthält eine Sonderregelung für sonstige gerichtliche Entscheidungen. Der Begriff der Entscheidung ist dabei autonom auszulegen. Erfasst wird jede Entscheidung unabhängig von ihrer Bezeichnung als Urteil, Beschluss oder Verfügung.91) Gemäß Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO werden die Entscheidungen zur Durchführung und Beendigung des Insolvenzverfahrens anerkannt, darunter die Verwalterbestellung, die Anordnung bestimmter Verfügungsbeschränkungen, verfahrensleitende Verfügungen sowie Aufhebungs- und Einstellungsentscheidungen.92) Erfasst werden insoweit alle Entscheidungen, die nach der jeweiligen lex fori concursus erlassen werden können. Dies würde auch für die Anordnung von Stabilisierungsmaßnahmen durch das Restrukturierungsgericht in künftigen öffentlichen Restrukturierungssachen nach dem StaRUG gelten. Insbesondere würden diese nicht nach Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 3 EuInsVO zu Entscheidungen über Sicherungsmaßnahmen zählen. Darunter fallen nur die Entscheidungen eines Gerichts i. S. des Art. 2 Nr. 7 EuInsVO, die in einem Eröffnungsverfahren vor der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung getroffen werden.93)

105

Unter Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO fällt ferner die Bestätigung eines Insolvenzplans nach § 248 InsO.94) Aufgrund der vergleichbaren Rechtsnatur und Wirkungsweise des Restrukturierungsplans ist auch dessen Bestätigung durch das zuständige Restrukturierungsgericht gemäß Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO anzuerkennen. Gemäß Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO werden auch Annexentscheidungen anerkannt. Dabei handelt es sich um unmittelbar aufgrund eines Insolvenzverfahrens ergehende und in engem Zusammenhang mit diesem stehende Entscheidungen, selbst wenn sie von einem anderen Gericht getroffen werden.95) Zu den Annexentscheidungen zählen etwa Entscheidungen über Anfechtungsklagen, über Haftungsklagen gegen Verwalter sowie über Streitigkeiten zwischen Verwalter und Schuldner in Bezug auf die Massezugehörigkeit.96)

106

_____________ 88) 89) 90) 91) 92) 93) 94) 95) 96)

Vallender-Sutschet, EuInsVO, Art. 19 Rz. 11. Vgl. Vallender-Sutschet, EuInsVO, Art. 19 Rz. 12. Vgl. Vallender-Sutschet, EuInsVO, Art. 19 Rz. 13. Vgl. Vallender-Reutershan, EuInsVO, Art. 32 Rz. 2. Vgl. Vallender-Reutershan, EuInsVO, Art. 32 Rz. 4. Vgl. Vallender-Reutershan, EuInsVO, Art. 32 Rz. 17. Vgl. Paulus, EuInsVO, Art. 32 Rz. 7. Vgl. Vallender-Reutershan, EuInsVO, Art. 32 Rz. 1. Vgl. Vallender-Reutershan, EuInsVO, Art. 32 Rz. 14 m. w. N. sowie weitere Beispiele bei Paulus, EuInsVO, Art. 32 Rz. 16.

Abel/Herbst

1161

Anhang zu § 86 107

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Auch die Anerkennung von Entscheidungen nach Art. 32 EuInsVO erfolgt automatisch ohne gesondertes Anerkennungsverfahren.97) Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens verbietet eine Prüfung der Sache nach. Auch eine Prüfung der Versagungsgründe (Art. 45 ff. EuInsVO) findet nicht statt. Die Grenze der Anerkennung findet sich im Ordre Public (Art. 33 EuInsVO). b) Universalitäts- und Prioritätsprinzip

108

Art. 7 EuInsVO normiert als Sachnormverweisung für ein grenzüberschreitendes Verfahren die Anwendbarkeit der lex fori concursus, was Art. 20 EuInsVO als Wirkung der Anerkennung bestätigt.98) Die Anerkennung i. S. des Art. 20 EuInsVO fördert so die von der Verordnung verfolgten Ziele der Einheit und des Grundsatzes der Universalität des Insolvenzverfahrens.99) Mit Blick auf die Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen i. S. der Art. 19, 20, 32 EuInsVO ist unter einer grenzüberscheitenden Anerkennung innerhalb der Mitgliedstaaten die Wirkungserstreckung einer ausländischen Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat zu verstehen. Der Anerkennung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 19 EuInsVO ist in ihren Wirkungen gekennzeichnet durch das Universalitäts- sowie das Prioritätsprinzip. Nach dem Universalitätsprinzip wirkt die Eröffnungsentscheidung universell, also im gesamten Geltungsbereich der Verordnung und umfasst das gesamte schuldnerische Vermögen ungeachtet seiner Belegenheit. Nach dem Prioritätsprinzip entfaltet ein in einem Mitgliedstaat eröffnetes Hauptinsolvenzverfahren eine Sperrwirkung in den übrigen Mitgliedstaaten. Die Eröffnungsentscheidung in einem Mitgliedstaat ist zudem in anderen Mitgliedstaaten nicht (mehr) auf ihre inhaltliche Richtigkeit hin zu überprüfen.100) c) Kollisionsrecht (Art. 8 und Art. 11 EuInsVO)

109

Die Wirkungen gerichtlicher Entscheidungen i. E. ergeben sich grundsätzlich aus der lex fori concursus (Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 20 EuInsVO), ausnahmsweise aus den Regelungen der Art. 7 bis 18 EuInsVO als Kollisionsrecht. Die automatische Wirkungserstreckung erfolgt nur, „sofern diese Verordnung nichts anderes bestimmt“ (Art. 20 Abs. 1 EuInsVO). Anderweitige Bestimmungen in diesem Sinne ergeben sich zum einen durch die Sonderanknüpfungen der Art. 8 bis 18 EuInsVO. Diese dienen dem Schutz der Gläubigerinteressen und verwirklichen damit das Prinzip der kontrollierten Universalität.101) Weitere Ausnahmen zur automatischen Wirkungserstreckung finden sich bei Art. 21 EuInsVO (Befugnisse des Verwalters).102) Im Rahmen öffentlicher Restrukturierungssachen werden in der Praxis als Kollisionsrecht insbesondere die Regelungen des Art. 8 und Art. 11 EuInsVO von Bedeutung sein.

_____________ 97) 98) 99) 100) 101) 102)

Vgl. ErwG 65 EuInsVO. Vgl. Paulus, EuInsVO, Art. 7 Rz. 1. Vgl. ErwG 22 EuInsVO. Vgl. Vallender-Sutschet, EuInsVO, Art. 19 Rz. 9. Vgl. Kindler/Nachmann/Bitzer-Kindler, Handbuch Insolvenzrecht in Europa, § 4 Rz. 7. Vgl. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2, Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und Art. 3 EuInsVO.

1162

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

Dingliche Rechte werden von dem durch Art. 7 Abs. 2 lit. b, f und lit. i EuInsVO an sich eröffneten Anwendungsbereich der lex fori concursus durch Art. 8 Abs. 1 EuInsVO ausgenommen, wenn sie an einem Gegenstand des Schuldners bestehen, der in einem anderen Mitgliedstaat belegen ist als dem der Verfahrenseröffnung. In diesem Fall erfolgt keine Anerkennung einer gerichtlichen Entscheidung in diesem Mitgliedstaat. Der Begriff des dinglichen Rechts weist dabei zwei Kernmerkmale auf. Einerseits muss eine direkte und unmittelbare Bindung des in Rede stehenden Rechts an die Sache oder die Forderung gegeben sein. Andererseits muss es sich um ein absolutes Recht handeln, das seinen Inhaber zur Durchsetzung gegenüber jedermann berechtigt.103) Neben den klassischen Kategorien der Kreditsicherungsrechte an Mobilien, Immobilien und Forderungen fallen hierunter bspw. auch Geschäftsanteile und Immaterialgüter wie Software, Website und Daten.104) Mit Blick auf den durch Art. 8 EuInsVO gewährten Vertrauensschutz105) kann es sich bei den geschützten dinglichen Rechten nur um solche handeln, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats – als dem des Eröffnungsstaats – begründet worden und zudem bereits vor Verfahrenseröffnung entstanden sind.106) Sollten sie danach entstehen, findet Art. 7 EuInsVO wieder Anwendung.107) Maßgeblicher Zeitpunkt für die betreffenden Rechtsverhältnisse ist dabei bspw. – soweit eine Stabilisierungsanordnung gemäß § 49 vor Planeinreichung oder Antrag auf gerichtliche Planabstimmung erfolgt – der Zeitpunkt des Erlasses der Stabilisierungsanordnung, § 2 Abs. 5 i. V. m. § 49.

110

Ferner ist die Anerkennung und Wirkungserstreckung auf Verträge über unbewegliche Gegenstände, die sich in anderen Mitgliedsländern befinden, beschränkt (Art. 11 EuInsVO). Art. 7 Abs. 2 lit. e EuInsVO regelt, wie sich das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung, also das lex fori concursus, auf laufende Verträge des Schuldners auswirkt. Eine Ausnahme hiervon enthält Art. 11 Abs. 1 EuInsVO. Danach ist für die Wirkungen einer nach der Begriffsbestimmung der EuInsVO als Insolvenzverfahren anzusehende öffentliche Restrukturierungssache auf einen Vertrag, der zum Erwerb oder zur Nutzung eines unbeweglichen Gegenstands berechtigt, ausschließlich das Recht des Mitgliedstaates maßgebend, in dessen Hoheitsgebiet sich dieser Gegenstand befindet.

111

Der Normzweck des Art. 11 EuInsVO liegt darin, dass Verträge, die sich auf den Erwerb oder die Nutzung einer Immobilie beziehen, in den Mitgliedstaaten seit jeher eigenständig behandelt werden. Damit dient Art. 11 Abs. 1 EuInsVO dem Schutz des Rechts des Mitgliedstaates, in dem die vom Vertrag betroffene Immobilie belegen ist. Da die dinglichen Rechte insbesondere auch an unbeweglichen Gegenständen in Art. 8 EuInsVO einer Sonderregelung unterliegen, liegt der eigenständige Anwendungsbereich des Art. 11 EuInsVO darin, dass er obligatorische Rechte vom Anwendungsbereich der lex fori concursus des Art. 7 EuInsVO ausnimmt.

112

_____________ 103) 104) 105) 106) 107)

Vgl. Kindler/Nachmann/Bitzer-Kindler, Hdb. Insolvenzrecht in Europa, § 4 Rz. 14, 15. Vgl. Paulus, EuInsVO, Art. 8 Rz. 3. Vgl. ErwG 67 EuInsVO. Vgl. Paulus, EuInsVO, Art. 8 Rz. 6, 7. Vgl. Paulus, EuInsVO, Art. 8 Rz. 7.

Abel/Herbst

1163

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Diese müssen aus einem Vertrag über unbewegliche Gegenstände resultieren, der – als aus der Entstehungsgeschichte abzuleitende ungeschriebene Voraussetzung – bereits vor Verfahrenseröffnung geschlossen wurde.108) Erfasst werden Kauf-, Miet-, Leasing-, und Pacht- oder Erbpachtverträge über unbewegliche Gegenstände. Demgegenüber ist ein Vertrag, durch den ein Sicherungsrecht an einem unbeweglichen Gegenstand eingeräumt wird, vom Anwendungsbereich des Art. 11 EuInsVO ausgenommen.109) 2.

Internationale Zuständigkeit

113

Die Frage der internationalen Zuständigkeit für eine gerichtliche Entscheidung ist von der Frage des anwendbaren Rechts zu unterscheiden. Die internationale Zuständigkeit betrifft die Frage, welche Gerichte eines Staates eine Zuständigkeit für die Entscheidung in Anspruch nehmen dürfen.110)

114

Mit der Aufnahme öffentlicher Restrukturierungssachen in den Anhang A der EuInsVO wird nach Art. 3 EuInsVO zu beurteilen sein, ob deutsche Gerichte international zuständig sind. Deutsche Gerichte sind für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens international zuständig, wenn der jeweilige Schuldner den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (COMI) in Deutschland hat (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO).111)

115

In der Eröffnungsentscheidung sind die Gründe anzugeben, auf denen die internationale Zuständigkeit beruht (Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO, § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1). Ferner ist in der ersten Entscheidung – als inzidenter Eröffnungsentscheidung i. S. des Art. 2 Nr. 7 EuInsVO – klarzustellen, ob die internationale Zuständigkeit auf dem Interessenmittelpunkt (vgl. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO) oder auf dem Vorhandensein einer Niederlassung als Entscheidung zur Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens i. S. des Art. 3 Abs. 2 EuInsVO beruht (§ 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2).

116

Die gerichtliche Nachprüfung einer Entscheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens i. S. des Art. 5 EuInsVO hat der deutsche Gesetzgeber im SanInsFoG noch nicht geregelt. Das Schrifttum hat darauf hingewiesen, dass sich der deutsche Gesetzgeber bei der noch nachzuholenden Entwicklung eines besonderen Rechtsbehelfs i. S. des Art. 5 EuInsVO an Art. 102c § 4 EGInsO orientieren und eine sofortige Beschwerde nach § 567 ZPO einführen könnte.112) 3.

117

Die Anerkennung im Einzelnen

Mit Blick auf die zu erwartende Aufnahme öffentlicher Restrukturierungssachen in den Anhang A der EulnsVO soll im Folgenden eine erste Einordnung veröffent_____________ 108) Vgl. Kindler/Nachmann/Bitzer-Kindler, Hdb. Insolvenzrecht in Europa, § 4 Rz. 74; Paulus, EuInsVO, Art. 11 Rz. 3. 109) Vgl. Paulus, EuInsVO, Art. 11 Rz. 4 m. w. N. (Art. 8 EuInsVO); vgl. unter Hinweis auf eine autonome Auslegung dagegen Kindler in: MünchKomm-BGB, EuInsVO, Art. 11 Rz. 2 – 7. 110) Vgl. Thole in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 40 Rz. 1. 111) Zu dem COMI-Prinzip im Detail vgl. etwa Paulus, EuInsVO, Art. 3 Rz. 5 ff.; VallenderVallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 3 Rz. 10 ff. 112) Vgl. Skauradszun/Nijnens, Stellungnahme Hochschule Fulda z. RefE StaRUG, v. 2.10.2020, S. 12, https://www.hs-fulda.de/fileadmin/user_upload/1_Fotoware/Skauradszun-Nijnens_ Stellungnahme_StaRUG__final_.pdf.

1164

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

lichter Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts erfolgen. Die Regelungen des StaRUG zu öffentlichen Restrukturierungssachen sehen verschiedene gerichtliche Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts vor, je nachdem welche Instrumente des modularen Restrukturierungsrahmens zum Einsatz gebracht werden (vgl. § 29 Abs. 3). Eine ausdrückliche Eröffnungsentscheidung des zuständigen Restrukturierungsgerichts hat der Gesetzgeber i. R. des StaRUG für den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nicht vorgesehen. Die Restrukturierungssache wird mit Anzeige des Schuldners gegenüber dem Restrukturierungsgericht rechtshängig (§ 31 Abs. 1, Abs. 3). Die Rechtshängigkeit erfolgt damit ohne gerichtliche Entscheidung und ohne vorherige Prüfung von Eingangsvoraussetzungen. In der Anzeige der Restrukturierungssache durch den Schuldner kann keine gerichtliche Eröffnungsentscheidung gesehen werden. Vielmehr ist in der ersten Entscheidung des Restrukturierungsgerichts inzident die Eröffnungsentscheidung i. S. des Art. 2 Nr. 7 EuInsVO zu erkennen.

118

Das Restrukturierungsgericht kann in öffentlichen Restrukturierungssachen folgende Entscheidungen treffen die ggf. inzident auch eine Eröffnungsentscheidung darstellen können:

119



Bestellung und Entlassung eines Restrukturierungsbeauftragten, §§ 73 ff.,



Erlass einer Stabilisierungsanordnung sowie etwaiger Folge- oder Neuanordnungen, §§ 49 ff.,



Vorprüfung des Restrukturierungsplans, §§ 46 ff.,



Bestätigung eines Restrukturierungsplans, §§ 60 ff.,



Aufhebung der Restrukturierungssache, § 33.

Die Eröffnungsentscheidung wird vielfach (inzident) in der Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten zu erkennen sein (Art. 73 Abs. 1 bis 3, 77 Abs. 1). Ferner kann (inzident) in einer ersten Entscheidung des Restrukturierungsgerichts zur Anordnung einer Stabilisierungsmaßnahme nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 (Vollstreckungssperre) oder einer Verwertungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 die Eröffnungsentscheidung zu sehen sein (§ 51 Abs. 5). In aller Regel geht die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten dem Erlass einer Stabilisierungsanordnung voraus. Denn das Gericht hat einen Restrukturierungsbeauftragten immer dann von Amts wegen zu bestellen, wenn der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung beantragt, welche sich mit Ausnahme der nach § 4 ausgenommenen Forderungen gegen alle oder im Wesentlichen gegen alle Gläubiger richten soll. Daher dürfte der Erlass einer Stabilisierungsanordnung als erste Entscheidung eher einen Ausnahmefall darstellen, der dann zum Tragen kommt, wenn die Stabilisierungsanordnung sich nur gegen einzelne ausgewählte Gläubiger richtet. In der Literatur wurde die Frage aufgeworfen, ob die isolierte Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten die Entscheidung über eine Eröffnung darstellen kann, solange der Restrukturierungsbeauftragte nicht Verwalter i. S. der Art. 2 Nr. 5 i. V. m. Anhang B (Art. 2 Nr. 7 Ziff. ii EuInsVO) anzusehen wäre und hat aus diesem Grund die Aufnahme des Restrukturierungsbe-

Abel/Herbst

1165

120

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

auftragten in Anhang B der EuInsVO empfohlen.113) Auch ohne diese Klarstellung ist im Ergebnis davon auszugehen, dass – nach der Aufnahme öffentlicher Restrukturierungssachen in Anhang A – jede dieser Entscheidungen als Eröffnungsentscheidung per se die mit dem Prioritätsprinzip i. S. des Art. 19 Abs. 1 EuInsVO verbundene Sperrwirkung auslösen kann.114) 121

Soweit im Ausgangspunkt Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. j EuInsVO bestimmt, dass sich die Wirkungen eines Insolvenzverfahrens grundsätzlich nach der lex fori concursus (also vorliegend dem StaRUG) richtet, stellt sich für den (künftig) veröffentlichten Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen zudem die Frage, zu welchen Ergebnissen insbesondere die Sonderanknüpfungen nach Art. 8 und Art. 11 EuInsVO führen und wie diese Regelungen des Kollisionsrechts die grundsätzliche Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen modifizieren. a) Die Stabilisierungsanordnung

122

Das StaRUG sieht in §§ 49 ff. den Erlass, die Folge- oder Neuanordnung sowie die Aufhebung und Beendigung einer sog. Stabilisierungsanordnung vor. Diese wird, soweit sie zur Wahrung der Aussichten der Verwirklichung des Restrukturierungsziels erforderlich ist, auf Antrag des Schuldners erlassen (§§ 49 Abs. 1, 59 Abs. 1 Nr. 4). Die Entscheidung hierüber trifft das Restrukturierungsgericht. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 kommt es einerseits in Betracht, Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner zu untersagen oder einstweilig einzustellen (Vollstreckungssperre). Andererseits eröffnet § 49 Abs. 1 Nr. 2 zur Unterstützung der Sanierung für den Schuldner auf Antrag die Möglichkeit, dass Gläubigerrechte an Gegenständen des beweglichen Vermögens, die im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Absonderungs- oder Aussonderungsrechte geltend gemacht werden könnten, nicht durchgesetzt werden dürfen und dass solche Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners eingesetzt werden können, soweit sie hierfür von erheblicher Bedeutung sind (Verwertungssperre). § 53 Abs. 2 enthält Regelungen zur Folge- oder Neuanordnung. Die Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsmaßnahmen ist in § 59 geregelt.

123

§ 49 Abs. 3 sieht zudem die Möglichkeit vor, das Recht von Gläubigern zur Durchsetzung von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 2 Abs. 4 i. V. m. § 15 AktG) zu sperren. Der Gesetzgeber ergänzt insoweit auch die Instrumente einer Konzernsanierung, um durch Eingriffe in Drittsicherheiten Konzernfinanzierungen mit Up- und Cross-Stream-Sicherheiten aufrechtzuerhalten und auch Unternehmensgruppen stabilisieren zu können. Der Anwendungsbereich des § 15 AktG umfasst dabei auch verbundene Unternehmen, die ihren COMI in anderen Mitgliedstaaten

_____________ 113) Vgl. Thole, ZIP 2020, 1998; Kübler/Prütting/Bork-Skauradszun, InsO, Art. 19 EuInsVO Rz. 8, unter Hinweis auf die mit der Eröffnungsentscheidung zusammenhängenden Bestellung eines Verwalters. 114) Vgl. dazu Paulus, EuInsVO, Art. 2 Rz. 25: Art. 2 Nr. 7 EuInsVO sieht für eine Eröffnungsentscheidung nicht vor, dass die Sachverhalte „Eröffnung“ und „Verwalterbestellung“ kumulativ vorliegen müssen.

1166

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

haben. Insoweit sollten grundsätzlich auch Eingriffe gegenüber Gläubigern dieser Gesellschaften möglich sein.115) Als Entscheidungen zur Durchführung eines Insolvenzverfahrens i. S. des Art. 2 Nr. 4 EuInsVO sind die Anordnung, Folge- und Neuanordnung sowie die Aufhebung von Stabilisierungsmaßnahmen nach Art. 20, 32 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO in Mitgliedsländern anzuerkennen. Die hiermit verbundene Wirkungserstreckung ist schon deshalb von Bedeutung, weil bei einer öffentlichen Restrukturierungssache mit einer Eröffnungsentscheidung i. S. des Art. 19 EuInsVO noch keine Beschlagnahme des ausländischen Schuldnervermögens folgt, wie dies die deutsche lex fori concursus etwa bei einem in Deutschland eröffneten Regelinsolvenzverfahren als Gesamtvollstreckungsverfahren vorsieht. Gerade deshalb ist die Anordnung eines Vollstreckungsverbots oder einer Verwertungssperre gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 1 und 2 von besonderer Bedeutung, um auch grenzüberschreitende Sanierungen stabilisieren zu können.

124

Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO ist nicht einschlägig, soweit die Anordnung der Stabilisierungsmaßnahme ausnahmsweise als erste Entscheidung des Restrukturierungsgerichts inzident als Eröffnungsentscheidung anzusehen und in der Folge gemäß Art. 19 EuInsVO anzuerkennen ist.116) Aufgrund der Regelung in § 73 Abs. 1 Nr. 2 wird aber – wie bereits dargestellt – in aller Regel vor dem Erlass einer Stabilisierungsanordnung ein obligatorischer Restrukturierungsbeauftragter bestellt, so dass dessen Bestellung dann als vorangehende erste Entscheidung inzident die Eröffnungsentscheidung darstellt. Der isolierte Erlass einer Stabilisierungsanordnung ohne vorherige Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten wird wie dargelegt nur dann in Betracht kommen, wenn diese sich gegen einzelne ausgewählte Gläubiger, nicht aber alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger richtet (vgl. § 73 Abs. 1 Nr. 2).

125

Für die Anerkennung der Aufhebung der Stabilisierungsanordnung nach § 59 als actus contrarius kann nichts Anderes gelten als für die Anordnung. Gleiches gilt naturgemäß auch für die Folge- oder Neuanordnung nach § 53 Abs. 2 bis zu einer Maximaldauer von acht Monaten.

126

Allerdings erfolgt keine Anerkennung der Wirkung einer Stabilisierungsanordnung in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten, soweit dingliche Rechte an einem Gegenstand des Schuldners bestehen, der in einem anderen Mitgliedstaat belegen ist als dem der Verfahrenseröffnung und somit von dem durch Art. 7 Abs. 2 lit. b, f und lit. i EuInsVO an sich eröffneten Anwendungsbereich der lex fori concursus durch Art. 8 Abs. 1 EuInsVO ausgenommen werden.117) Dies kann in der Praxis insbesondere für die Kreditsicherheiten von Bedeutung sein. Insofern würde etwa eine in Deutschland durch das zuständige Restrukturierungsgericht gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 angeordnete Verwertungssperre nach Art. 8 Abs. 2 lit. a EuInsVO bspw. keine Wirkung entfalten, wenn eine in den Niederlanden belegene Maschine an eine nie-

127

_____________ 115) Vgl. dazu Hoegen/Kranz, NZI 2021, 109. 116) Vgl. Kübler/Prütting/Bork-Skauradszun, EuInsVO, Art. 19 Rz. 8. 117) Vgl. Paulus, EuInsVO, Art. 8 Rz. 1.

Abel/Herbst

1167

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

derländische Gläubigerbank vor der wirksamen Eröffnungsentscheidung (Art. 2 Nr. 8 EuInsVO) sicherungsübereignet wurde. 128

Sollten demgegenüber bei einer für ein niederländisches Warenlager vereinbarten Raumsicherungsübereignung erst nach der Eröffnungsentscheidung Lagergegenstände neu eingebracht werden, wäre insoweit die deutsche lex fori concursus nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO anwendbar. Dies hätte zur Folge, dass eine durch ein deutsches Restrukturierungsgericht ausgesprochene Verwertungssperre auch für eine niederländische Finanzierungsgläubigerin – trotz einer vertraglichen Verwertungsreife i. Ü. – zu beachten wäre.

129

Dieselbe Differenzierung würde im Grundsatz für die Einziehung von Forderungen, die einer Globalzession unterliegen, gegenüber niederländischen Drittschuldnern gelten, Art 8 Abs. 2 lit. b i. V. m. Art. 2 Nr. 9 Ziff. viii EuInsVO, soweit die Forderungen vor und nach der ersten gerichtlichen Entscheidung in der Restrukturierungssache der Globalzession unterfallen.

130

Dass Vollstreckungs- und Verwertungssperren in grenzüberschreitenden öffentlichen Restrukturierungssachen keine Anerkennung und damit keine Wirksamkeit beanspruchen, wenn die dinglichen Rechte an den im jeweiligen Mitgliedstaat der Belegenheit der beweglichen Sache vor der ersten Entscheidung in der Restrukturierungssache entstanden waren, wird sich regelmäßig nachteilig auf die bestehenden Sanierungschancen des Schuldnerunternehmens auswirken. Soweit die gesicherten Gläubiger trotz einer Stabilisierungsanordnung auf die zur Betriebsfortführung dringend benötigten beweglichen Gegenstände in anderen Mitgliedstaaten zugreifen können, steht etwa mit Blick auf die Betriebsfortführung des Schuldners zu befürchten, dass dem Unternehmen wesentliche betriebliche Grundlagen entzogen werden.

131

Ein Lösungsansatz könnte in der Beantragung einer weiteren Restrukturierungssache als Sekundärinsolvenzverfahren i. S. des § 34 EuInsVO nach dem Recht des Mitgliedstaates der Belegenheit liegen. Allerdings dürfte alleine die Rechtshändigkeit einer weiteren Restrukturierungssache im Mitgliedstaat der Belegenheit und die darin zu sehende Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens noch nicht ausreichen, um die Zugriffsrechte des dinglichen Gläubigers zu beschränken. Vielmehr müsste darüber hinaus der Schuldner i. R. des Sekundärinsolvenzverfahrens nach dem Recht des Mitgliedstaates der Belegenheit (lex fori concursus secundariae) eine Stabilisierungsanordnung beantragen. Gemäß Art. 35 EuInsVO finden auf das Sekundärinsolvenzverfahren die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates Anwendung, in dessen Hoheitsgebiet das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet wird. Erst der Erlass einer solchen weiteren Stabilisierungsanordnung durch das zuständige Gericht des Mitgliedstaates der Belegenheit i. R. des Sekundärinsolvenzverfahrens führt dazu, dass der Zugriff des dinglich berechtigten Gläubigers im Mitgliedstaat der Belegenheit beschränkt wird. b) Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten

132

Entsprechend der vom Richtliniengeber gewollten flexiblen Ausgestaltung des präventiven Restrukturierungsrahmens ist die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten auch durch den deutschen Gesetzgeber nicht in jedem Fall vorgeschrieben

1168

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

(§§ 73 Abs. 1, 77 Abs. 1).118) Obwohl dem Restrukturierungsbeauftragten keine Verwertungsbefugnis im Stabilisierungs- und Restrukturierungrahmen zukommt, besteht gleichwohl ein Anerkennungsbedürfnis für grenzüberschreitende Sachverhalte, da ihm etwa Zustimmungsbefugnisse bei Zahlungen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs (§ 76 Abs. 2 Nr. 3), die Überwachung von Aufhebungsgründen für die Restrukturierungssache (§ 76 Abs. 3) oder die Befugnis, darüber zu entscheiden, ob ein Restrukturierungsplan gerichtlich oder außergerichtlich zur Abstimmung gebracht wird (§ 76 Abs. 2 Nr. 1) zusteht. Die europaweite Anerkennung der Entscheidungen über die Auswahl, Bestellung, Überwachung und Entlassung erfolgt im Fall der Aufnahme des präventiven Restrukturierungsrahmens in Anhang A EuInsVO sowie bei Aufnahme des Restrukturierungsbeauftragten in Anhang B EuInsVO119) ebenfalls in Anwendung des Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 3 EuInsVO, alternativ gemäß Art. 19 EuInsVO. Die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten dürfte wie dargelegt oftmals die erste Entscheidung des Restrukturierungsgerichts und damit die inzidente Eröffnungsentscheidung gemäß Art. 19 EuInsVO darstellen.

133

c) Der gerichtlich bestätigte Restrukturierungsplan Der Restrukturierungsplan bildet im Wesentlichen die Grundlage für die Neuordnung und Restrukturierung insbesondere der Passivseite des Schuldnerunternehmens. Er weist Ähnlichkeiten mit einem Insolvenzplan nach deutschem Insolvenzrecht auf (§§ 217 ff. InsO) und beinhaltet ebenfalls einen gestaltenden Teil, in dem verschiedene Rechtsverhältnisse gestaltet werden können. Hierunter fallen zunächst sog. Restrukturierungsforderungen, die gegenüber dem Schuldner bei Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache begründet sind (§ 2 Abs. 1 Nr. 1). Auch in sog. Absonderungsanwartschaften an Gegenständen des schuldnerischen Vermögens, die im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Absonderung (§ 49 InsO) berechtigen würden, § 2 Abs. 1 Nr. 1, kann eingegriffen werden. Ferner können Einzelbestimmungen in mehrseitigen Rechtsverhältnissen, soweit Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften auf diesen beruhen (§ 2 Abs. 2) oder Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldnerunternehmen beteiligten Personen gestaltet werden (etwa durch Kapitalmaßnahmen, Debt to Equity Swaps oder durch die Übertragung der Geschäftsanteile). Es sind auch sonstige gesellschaftsrechtlich zulässige Regelungen wie etwa Änderungen der Satzung oder eine Sitzverlegung gestaltbar (§ 2 Abs. 3). Zudem kann in gruppeninterne Drittsicherheiten an verbundenen Unternehmen i. S. des § 15 AktG eingegriffen werden (§ 2 Abs. 4). Darüber hinaus besteht zur Erreichung von Restrukturierungszielen die Möglichkeit, auch in gruppeninterne Drittsicherheiten auf Konzernebene einzugreifen, die in Form von Up- und Cross-Stream-Besicherungen regelmäßig Bestandteil der Haftungsgemeinschaft zentraler Konzernfinanzierungen sind.120)

_____________ 118) Vgl. H. Schmidt, WM 2017, 1735, 1737. 119) Vgl. Vallender-Hänel, EuInsVO, Art. 21 Rz. 8 f. 120) Vgl. dazu Hoegen/Kranz, NZI 2021, 107.

Abel/Herbst

1169

134

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

135

Maßgeblich sind im Fall einer Abstimmung im gerichtlichen Planabstimmungsverfahren diejenigen Rechtsverhältnisse zum Zeitpunkt der Antragstellung, § 2 Abs. 5 i. V. m. § 45 und soweit der Schuldner den Restrukturierungsplan selbst zur Abstimmung stellt (§ 20) diejenigen Rechtsverhältnisse im Zeitpunkt der Unterbreitung des Planangebots gemäß § 2 Abs. 5.

136

Die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen gelten auch für diejenigen Planbetroffenen, die gegen den Plan gestimmt haben oder die an der Abstimmung nicht teilgenommen haben, obgleich sie ordnungsgemäß an dem Abstimmungsverfahren beteiligt worden sind (§ 67 Abs. 1 Satz 2). Werden Rechte an Gegenständen begründet, geändert, übertragen oder aufgehoben oder sollen Geschäftsanteile an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung abgetreten werden, gelten die in den Restrukturierungsplan aufgenommenen Willenserklärungen der Planbetroffenen und des Schuldners als in der vorgeschriebenen Form abgegeben (§ 68 Abs. 1). Die in den Restrukturierungsplan aufgenommenen Beschlüsse und sonstigen Willenserklärungen der Planbetroffenen und des Schuldners gelten als in der vorgeschriebenen Form abgegeben. Gesellschaftsrechtlich erforderliche Ladungen, Bekanntmachungen und sonstige Maßnahmen zur Vorbereitung von Beschlüssen der Planbetroffenen gelten als in der vorgeschriebenen Form bewirkt (§ 68 Abs. 2). Entsprechendes gilt für die in den Restrukturierungsplan aufgenommenen Verpflichtungserklärungen, die einer Maßnahme nach § 68 Abs. 1 oder Abs. 2 zugrunde liegen.

137

Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. j EuInsVO bezieht sich auf die Voraussetzungen und die Wirkung der Beendigung des Insolvenzverfahrens, insbesondere durch Vergleich. Die Regelungen des bestätigten Restrukturierungsplans oder einer sonstigen verfahrensbeendenden Form des Vergleichs sind demnach der lex fori concursus zu entnehmen. Zumal auch Gläubigerrechte nach Verfahrensbeendigung dem Insolvenzrecht unterliegen, spricht dies wie auch schon Art. 7 Abs. 2 Satz 1 EuInsVO für eine insolvenzrechtliche Qualifikation der Forderungsmodifikation. Die Art und Weise, wie die Forderung – auch über eine Mehrheitsentscheidung – modifiziert werden kann, ist im Restrukturierungsplan nach deutschem Recht des StaRUG zu beurteilen121) und in Mitgliedstaaten entsprechend anzuerkennen.

138

So können etwa folgende Regelungen innerhalb des gestaltenden Teils mit der rechtskräftigen gerichtlichen Bestätigung des Restrukturierungsplans wirksam werden: Die Modifikation von Restrukturierungsforderungen etwa in Form des Verzichts oder der Stundung bzw. der Verlängerung der Laufzeit eines Darlehensvertrags (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3). Die Modifikation richtet sich nach dem StaRUG als lex fori concursus und wird als solche in den Mitgliedsländern grundsätzlich anerkannt.

139

Beruhen in einer deutschen öffentlichen Restrukturierungssache Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften auf einem mehrseitigen Rechtsverhältnis zwischen dem Schuldner und mehreren Gläubigern, können in einem Restrukturierungsplan zudem Bedingungen und Nebenbestimmungen gestaltet bzw. angepasst werden (§§ 2 Abs. 2, 7 Abs. 3). Insbesondere bei Konsortialfinanzierungen _____________ 121) Vgl. zum Insolvenzplan Thole in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 40 Rz. 27; Paulus, EuInsVO, Art. 7 Rz. 20, 40.

1170

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

oder Schuldscheinbedingungen können hierunter sog. Financial Covenants, Geschäftsführungsmaßnahmen oder ein sog. Negative Pledge im Verhältnis des Schuldners zum Gläubiger aber auch im Verhältnis der Gläubiger untereinander fallen (§ 2 Abs. 2 Satz 2). Die Reichweite der Modifikation ist nach dem deutschen Recht des StaRUG zu beurteilen und nach rechtskräftiger Planbestätigung in den Mitgliedstaaten entsprechend anzuerkennen (Art. 7 Abs. 1, 20 EuInsVO). Soweit im Restrukturierungsplan auch sog. Absonderungsanwartschaften, § 2 Abs. 1 Nr. 2 gestaltet werden können, erlaubt Art. 8 EuInsVO keinen Eingriff in ausländische dingliche Rechte an Vermögensgegenständen, die in anderen EU-Mitgliedstaaten belegen sind. Dingliche Rechte in diesem Sinne werden vom Insolvenzverfahren „nicht berührt“. Dies bedeutet, dass das dingliche Recht weder den Beschränkungen des Insolvenzrechts des Eröffnungsstaates des Hauptverfahrens, noch denen der lex rei sitae unterliegt. Der Gläubiger des dinglichen Rechts behält sämtliche Ansprüche, insbesondere auch Absonderungsanwartschaften. Der Sicherungsgläubiger kann sich demnach ohne Zustimmung der anderen Gläubiger oder des Schuldners oder eines Restrukturierungsbeauftragen bei Verwertungsreife aus dem Gegenstand befriedigen. Insbesondere hat er auch ungeachtet des anhängigen Restrukturierungsverfahrens als Insolvenzverfahren i. S. der EuInsVO die Möglichkeit zu einer Verwertung, selbst wenn das Insolvenzrecht des Belegenheitsstaates die Einschränkung des dinglichen Rechts im Interesse der übrigen Gläubiger des Sicherungsgebers vorsieht.122)

140

Mit Blick auf Planregelungen, die – auch in Kombination mit einem sog. Asset Deal – die Verwertung von in anderen Mitgliedstaaten belegenen Mobilien vorsehen, an denen dingliche Rechte i. S. des Art. 8 EuInsVO bestehen, stellt sich die Frage nach Verwertungsmöglichkeiten im Kontext des Art. 8 EuInsVO. Für Art. 8 EuInsVO wird unterschiedlich beurteilt, ob überhaupt ein Verwertungsrecht des Verwalters eines Hauptinsolvenzverfahrens denkbar sein soll.123) Dies würde mit Blick auf die öffentliche Restrukturierungssache zunächst voraussetzen, den im Mitgliedstaat der Restrukturierungssache grundsätzlich verfügungsberechtigten Schuldner als „Schuldner in Eigenverwaltung“ (Art. 2 Nr. 3 EuInsVO) oder als „Verwalter“ i. S. des Art. 2 Nr. 5 EuInsVO ansehen zu können.

141

Nach dem richtigen Verständnis von Art. 8 EuInsVO sollen Sicherungsgläubiger in anderen Mitgliedstaaten als demjenigen der Eröffnung gerade in die Lage versetzt werden, ihre dinglichen Rechte so wahrzunehmen, als ob kein Hauptinsolvenzverfahren in einem anderen Mitgliedstaat stattfinden würde.124) Diesem Verständnis würde es widersprechen, eine Regelung über die Verwertungsbefugnis in einem rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplan unionsweit anzuerkennen. Hierauf deutet auch ErwG 68 der EuInsVO hin. Demnach soll der Inhaber des dinglichen Rechts sein Recht an dem Sicherungsgegenstand weiter geltend machen können. Das Verwertungsrecht des ausländischen Sicherungsnehmers unangetastet zu lassen ist schon mit Blick auf den eindeutigen Regelungsgehalt des Art. 8 Abs. 1 EuInsVO

142

_____________ 122) Vgl. Kindler/Nachmann/Bitzer-Kindler, Handbuch Insolvenzrecht in Europa, § 4 Rz. 23. 123) Vgl. Paulus, EuInsVO, Art. 8 Rz. 24 f. 124) Vgl. Mankowski, NZI 2017, 459 (Anm. zu BGH, Beschl. v. 8.12.2006 – V ZB 41/14).

Abel/Herbst

1171

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

als Sachnorm („nicht berührt“) und aus praktischen Erwägungen geboten, da ein in einem Restrukturierungsplan geregeltes grenzüberschreitendes Verwertungsrecht in den anderen Mitgliedsländern aller Voraussicht nach bestritten werden würde. 143

Mit Blick auf Sachverhalte i. S. des Art. 8 EuInsVO kann es aus Sicht des Schuldners i. R. einer öffentlichen Restrukturierungssache auch sinnvoll sein, sich mit dem Sicherungsnehmer in einem Mitgliedstaat bezüglich der Verwertung und der Auskehr eines Übererlöses abzustimmen. Insoweit liegt es nahe, die Modalitäten einer Verwertung und Abrechnung auf Grundlage einer den Restrukturierungsplan flankierenden – grundsätzlich immer in Betracht kommenden – Verwertungsvereinbarung zu regeln. Daneben käme in Betracht, die Forderung des Sicherungsgläubigers in einem anderen Mitgliedsland i. R. einer bilateralen Vereinbarung abzulösen, um in diesem Kontext eine Verwertung i. R. eines Restrukturierungsplans ohne dingliches Recht i. S. des Art. 8 EuInsVO zu ermöglichen.

144

Liegt in dem Mitgliedstaat eine Niederlassung i. S. des Art. 2 Nr. 10 EuInsVO vor, käme es ferner in Betracht zur Verfolgung der Sanierungsziele und Umsetzung einer Verwertung in dem Mitgliedsland ein Sekundärinsolvenzverfahren einzuleiten. Da präventive Sanierungsverfahren mit Aufnahme in Anhang A als Hauptinsolvenzverfahren i. S. der EuInsVO anzusehen sind,125) können in Mitgliedsländern, in denen Niederlassungen bestehen, Sekundärinsolvenzverfahren beantragt werden.126) Eine erneute Überprüfung der Insolvenz des Schuldners durch das für die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens zuständigen Gerichts nach Art. 34 Satz 2 EuInsVO ist nur dann nicht erforderlich, wenn auch für das angestrebte Sekundärinsolvenzverfahren nach dessen lex fori concursus secundariae eine drohende Zahlungsunfähigkeit ausreicht.127)

145

Mit Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens unterfällt der Vermögensgegenstand dessen Insolvenzstatut (lex fori concursus secundariae). Auf dieser Grundlage kann ein Sekundärinsolvenzverwalter die i. S. der Sanierung angestrebte Verwertung im Mitgliedsland umsetzen. Insofern erschiene es bspw. denkbar, auf Grundlage eines anhängigen deutschen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens als Hauptinsolvenzverfahren für eine Niederlassung in den Niederlanden ein Sekundärinsolvenzverfahren als präventives Restrukturierungsverfahren zu beantragen und nach dessen Regelungen einen mit einem dinglichen Recht belasteten Vermögensgegenstand zu verwerten.

146

Zusammenfassend werden mit der rechtskräftigen gerichtlichen Bestätigung des Restrukturierungsplans die Regelungen des gestaltenden Teils des Restrukturierungsplans wirksam und sind entsprechend Art. 7 Abs. 1 EuInsVO anzuerkennen. Der vom zuständigen Restrukturierungsgericht bestätigte Restrukturierungsplan wirkt

_____________ 125) Vgl. Vallender-Ch. Keller, EuInsVO, Art. 34 Rz. 14. 126) Vgl. im Kontext Sekundärinsolvenzverfahren ErwG 40 und 41 EuInsVO zur effizienten Verwaltung der Masse und ErwG 68 EuInsVO zur Verwertung dinglicher Rechte. 127) Vgl. Paulus, EuInsVO, Art. 34 Rz. 11, der als Verhaltensregel für Art. 34 Satz 2 EuInsVO eine Überprüfung der Insolvenz immer dann empfiehlt, wenn das Hauptverfahren nicht explizit die bestehende Insolvenz des Schuldners festgestellt hat.

1172

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

grundsätzlich gegenüber allen Planbetroffenen. Die Planbestätigung ist eine Entscheidung nach Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO. Da der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens eine Prüfung der Sache nach verbietet, ist es den in den Restrukturierungsplan einbezogenen Gläubigern aus anderen Mitgliedstaaten nicht möglich, außerhalb der im StaRUG vorgesehenen Rechtsmittel, gegenüber den Gerichten an ihrem jeweiligen Sitz geltend zu machen, dass sie etwa aufgrund fehlerhafter Abstimmung, der Nichtbeachtung der Regelungen zum Cross-Class Cram-down oder eines Verstoßes gegen den Best-Interest-ofCreditors-Test nicht an den Restrukturierungsplan gebunden seien.

147

Art. 8 EuInsVO steht einer Anerkennung als Kollisionsrecht wie dargelegt entgegen, soweit in dingliche Rechte in Mitgliedstaaten eingegriffen werden soll. Alternativ können Verwertungsvereinbarungen getroffen, Forderungen der Sicherungsnehmer abgelöst oder bei einer Niederlassung ein geeignetes Sekundärinsolvenzverfahren erwogen werden.

148

d) Die Vertragsbeendigung in der präventiven Restrukturierung Die Möglichkeit einer Vertragsbeendigung etwa von Mietverträgen als Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrument hat der deutsche Gesetzgeber im StaRUG nicht umgesetzt. Der Regierungsentwurf hatte diese noch vorgesehen und auf den niederländischen präventiven Restrukturierungsrahmen (WHOA) und des vorgesehenen Modells einer Vertragsbeendigung verwiesen.128) Auf Empfehlung des Rechtsausschusses hat der Gesetzgeber die §§ 51 bis 55 RegE-StaRUG schließlich gestrichen.129)

149

Auch die Anerkennung einer Vertragsbeendigung nach dem präventiven Restrukturierungsrahmen eines Mitgliedstaats in Deutschland erscheint fraglich. Beispielsweise beabsichtigen die Niederlande, öffentlich geführte WHOA Verfahren in den Anhang A der EuInsVO aufzunehmen, so dass im Anschluss daran öffentliche WHOA Verfahren nach der EuInsVO anzuerkennen sein werden. Für den Fall, dass die Vertragsbeendigung in einem öffentlichen WHOA Verfahren erfolgt, stellt sich daher die Frage, ob die Vertragsbeendigung durch das zuständige niederländische Gericht in Deutschland anzuerkennen wäre.

150

Die Entscheidung der Beendigung ist nach Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO als eine solche i. R. der Durchführung eines Insolvenzverfahrens anzuerkennen. Der grundsätzlichen Anerkennung nach Art. 20 EuInsVO steht allerdings die Sonderanknüpfung des Art. 11 EuInsVO als explizite Ausnahme von Art. 7 Abs. 2 lit. e EuInsVO entgegen. In dem Beispiel kommt insofern eine Wirkungserstreckung wegen Art. 11 EuInsVO nicht in Betracht. Eine Vertragsbeendigung durch ein niederländisches Gericht wäre i. R. eines öffentlichen WHOA Verfahrens in Deutschland daher nicht anzuerkennen.

151

_____________ 128) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 150. 129) Zur Diskussion vgl. auch RegE SanInsFoG z. StaRUG, v. 16.10.2020, BR-Drucks. 619/20, S. 171 f.

Abel/Herbst

1173

Anhang zu § 86 152

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Bei einer Niederlassung in Deutschland käme es in Betracht, ein Sekundärinsolvenzverfahren zu beantragen, bei dem das lex fori concursus secundariae anwendbar wäre. Bei der Frage des geeigneten Insolvenzverfahrens gibt Art. 34 EuInsVO lediglich vor, ein Insolvenzverfahren i. S. des Anhang A als Sekundärinsolvenzverfahren durch das Art. 3 Abs. 2 EuInsVO zuständige Gericht eröffnen zu lassen. Denkbar erscheint hierbei – auch mit Blick auf das nach Art. 35 EuInsVO anwendbare und für die Verwertung maßgebliche Recht (lex fori concursus secundariae) – eine Auswahl des angestrebten Sekundärinsolvenzverfahrens aus Anhang A zu treffen. In dem Beispiel wäre es etwa denkbar, anstelle eines deutschen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens, der keine Vertragsbeendigung vorsieht, in Deutschland als Sekundärinsolvenzverfahren ein Insolvenzverfahren als Gesamtvollstreckungsverfahren ggf. i. V. m. einem Insolvenzplan anzustreben, um das Sanierungsziel einer Vertragsbeendigung verwirklichen zu können. e) Schutz vor Anfechtbarkeit in einem späteren Insolvenzverfahren

153

Gemäß § 90 Abs. 1 sind die Regelungen eines rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplans genauso wie die Rechtshandlungen, die in dessen Vollzug erfolgen, einer Anfechtung bis zu einer nachhaltigen Restrukturierung nur dann zugänglich, wenn die Bestätigung auf der Grundlage unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Schuldners erfolgt sind und dem Gläubiger dies bekannt war.

154

Eine grenzüberschreitende Fallgestaltung könnte sich wie folgt darstellen: Ein in Deutschland ansässiger Schuldner reicht i. R. einer öffentlichen Restrukturierungssache einen Restrukturierungsplan ein, der auch einen in einem europäischen Mitgliedstaat ansässigen Gläubiger betrifft und anschließend durch ein deutsches Restrukturierungsgericht rechtskräftig bestätigt wird. Auf der Grundlage des Restrukturierungsplans erlangt ein Gläubiger in einem Mitgliedstaat anschließend Zahlungen. Anschließend beantragt der Schuldner, dem es nicht gelingt, die wirtschaftliche Krise dauerhaft zu überwinden, beim zuständigen deutschen Insolvenzgericht über sein Vermögen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Der deutsche Insolvenzverwalter macht gegenüber dem Gläubiger die Anfechtung geltend.

155

Die Beschränkung der Rechtstellung des deutschen Insolvenzverwalters folgt in diesem Fall unmittelbar aus § 90. An diese Beschränkung ist der deutsche Insolvenzverwalter unmittelbar gebunden. Erklärt der Insolvenzverwalter gleichwohl entgegen der sich aus § 90 geltenden Beschränkungen des Insolvenzanfechtungsrechts gegenüber dem ausländischen Gläubiger die Anfechtung, stellt dies keine Frage der europaweiten Anerkennung dar. Eine Anwendung des Art. 16 EuInsVO scheidet schon deshalb aus, da für die betreffende Handlung nicht das Recht eines anderen Mitgliedstaats maßgeblich ist (Art. 16 lit. a EuInsVO). Vielmehr müsste der im EUAusland ansässige Gläubiger in dem gegen ihn gerichteten Anfechtungsprozess die sich aus § 90 ergebenden materiell-rechtlichen Einwendungen erheben, wonach die Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung nicht gegeben sind.

1174

Abel/Herbst

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

Anhang zu § 86

IV. Zusammenfassung Für die unionsweite Anerkennung präventiver Restrukturierungsverfahren ist zwischen öffentlichen und nicht öffentlichen Restrukturierungsverfahren zu unterscheiden.

156

Öffentliche Restrukturierungsverfahren werden nach ihrer Aufnahme in Anhang A der EuInsVO nach den Regelungen der EuInsVO anerkannt. Dabei erfolgt über Art. 7 eine umfassende unionsweite Anerkennung nach dem Recht der lex fori concursus, soweit nicht im Einzelfall Ausnahmen nach den Kollisions- und Sachnormen der Art. 8 bis 18 EuInsVO eingreifen. Soweit sich aufgrund der Kollisionsund Sachnorm des Art. 8 EuInsVO unangemessene Ergebnisse ergeben, können diese durch die Beantragung eines Sekundärinsolvenzverfahrens im jeweiligen Mitgliedstaat der Belegenheit des von dem dinglichen Recht betroffenen Gegenstandes und der entsprechenden Beantragung paralleler Entscheidungen im Sekundärinsolvenzverfahren korrigiert werden.

157

Die Anerkennung nicht öffentlicher Restrukturierungsverfahren anderer Mitgliedstaaten in Deutschland erfolgt auf der Ebene der i. R. der jeweiligen Verfahren ergehenden gerichtlichen Einzelentscheidungen nach den Regelungen des deutschen internationalen Zivilverfahrensrechts in § 328 Abs. 1 ZPO. Das Anerkennungsregime der §§ 335, 343 InsO kommt grundsätzlich nicht zur Anwendung, denn nicht öffentliche Restrukturierungsverfahren stellen keine ausländischen Insolvenzverfahren i. S. des § 343 InsO dar. Dies gilt immer dann, wenn das nicht öffentliche Restrukturierungsverfahren kein förmlich ausgestaltetes Verfahren darstellt und keine Verfügungsbeschränkungen zulasten des Schuldners aufgrund einer förmlichen Zugangs- oder Eröffnungsentscheidung vorsieht.

158

Über den Wortlaut des § 328 Abs. 1 ZPO hinaus ergibt sich eine Grenze der Anerkennung auch für nicht öffentliche präventive Restrukturierungsverfahren aus einer entsprechenden Heranziehung der Art. 8 bis 18 EuInsVO. Andernfalls ergäbe sich ein Wertungswiderspruch daraus, dass gerichtliche Entscheidungen im Einzelfall in einer nicht öffentlichen Restrukturierung weiterreichende unionsweite Anerkennung erfahren würden als in der öffentlichen Restrukturierung. Der Schuldner, der beabsichtigt, sein Restrukturierungsvorhaben vertraulich durchzuführen, kann jedoch keine weiterreichende Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen beanspruchen, als derjenige, der sich trotz der damit verbundenen negativen Publizität für eine Veröffentlichung entscheidet und dadurch den (ausländischen) Gläubigern und Gerichten eine weiterreichende Möglichkeit der Kenntnisnahme des Verfahrens einräumt.

159

1.

Entscheidungen in nicht öffentlichen Restrukturierungsverfahren

Ein gerichtlich bestätigter Sanierungsvergleich wird gemäß § 328 Abs. 1 ZPO unionsweit anerkannt, soweit nicht im Einzelfall einer der enumerativen Hinderungsgründe vorliegt und sich nicht aus den zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen entsprechend heranzuziehenden Wertungen der Art. 8 bis 18 EuInsVO etwas Anderes ergibt.

160

Die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten in einem nicht öffentlichen Restrukturierungsverfahren wird nicht unionsweit anerkannt, da es sich nicht um

161

Abel/Herbst

1175

Anhang zu § 86

Europaweite Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen

eine endgültige Entscheidung i. S. des § 328 Abs. 1 ZPO handelt. Die Bestellung kann vom zuständigen Gericht wieder aufgehoben werden. 162

Eine Stabilisierungsanordnung in einem nicht öffentlichen Restrukturierungsverfahren wird nicht unionsweit anerkannt, da es sich nicht um eine endgültige Entscheidung i. S. des § 328 Abs. 1 ZPO handelt. Eine Stabilisierungsanordnung kann jederzeit vom zuständigen Gericht aufgehoben werden.

163

Ein gerichtlich bestätigter Restrukturierungsplan in einem nicht öffentlichen Restrukturierungsverfahren ist nach § 328 Abs. 1 ZPO anzuerkennen, soweit nicht im Einzelfall einer der enumerativen Hintergründe vorliegt und sich nicht aus den zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen entsprechend heranzuziehenden Wertungen der Art. 8 bis 18 EuInsVO etwas Anderes ergibt.

164

Eine Vertragsbeendigung in einem nicht öffentlichen Restrukturierungsverfahren ist gemäß § 328 Abs. 1 ZPO anzuerkennen, es sei denn sie betrifft Kauf-, Miet- und Pachtverträge über eine Immobilie, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen der „Eröffnung“ belegen ist. Außerdem bestünde ein Wertungswiderspruchmit der entsprechend anwendbaren Kollisionsnorm des Art. 11 EuInsVO. 2.

Entscheidungen in öffentlichen Restrukturierungsverfahren

165

Eine Stabilisierungsanordnung in einem öffentlichen Restrukturierungsverfahren wird grundsätzlich als Eröffnungs- oder weitere Entscheidung gemäß Art. 19, 20, 32 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO anerkannt, es sei denn, dass den Regelungen des Kollisionsrechts, etwa im Anwendungsbereich des Art. 8 EuInsVO (dingliche Rechte), entgegenstehen. Ist Art. 8 EuInsVO einschlägig, kann in einem Sekundärinsolvenzverfahren im Staat der Belegenheit des betroffenen Gegenstands eine gesonderte Stabilisierungsanordnung beantragt werden oder alternativ eine bilaterale Regelung in Form einer Verwertungsvereinbarung mit dem dinglich berechtigten Gläubiger verhandelt werden.

166

Die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten in einem öffentlichen Restrukturierungsverfahren wird unionsweit ebenfalls als Eröffnungs- oder weitere Entscheidung gemäß Art. 19, 20, 32 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO anerkannt.

167

Ein gerichtlich bestätigter Restrukturierungsplan in einem öffentlichen Restrukturierungsverfahren wird gemäß Art. 20, 32 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO anerkannt, es sei denn Kollisionsnormen wie Art. 8 EuInsVO (dingliche Rechte) sind tatbestandlich betroffen. Ist dies der Fall, kann in einem Sekundärinsolvenzverfahren im Staat der Belegenheit des betroffenen Gegenstands ein gesonderter Restrukturierungsplan eingereicht und bestätigt oder alternativ eine bilaterale Regelung etwa in Form einer Verwertungsvereinbarung mit dem dinglich berechtigten Gläubiger getroffen werden.

168

Soweit ein präventives Restrukturierungsverfahren in einem Mitgliedstaat die Vertragsbeendigung vorsieht, wird die gerichtliche Entscheidung in einem öffentlichen Restrukturierungsverfahren gemäß Art. 20, 32 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO der EuInsVO anerkannt, außer Kollisionsrecht (Art. 11 EuInsVO) steht dem entgegen. Liegt eine Niederlassung vor, kann alternativ ein Sekundärinsolvenzverfahren beantragt werden. Dies setzt allerdings voraus, dass das betreffende Sekundärinsolvenzverfahren das Recht des Schuldners oder des Insolvenzverwalters zur Vertragsbeendigung vorsieht. 1176

Abel/Herbst

Restrukturierungsforum; Verordnungsermächtigung

§ 87

§ 87 Restrukturierungsforum; Verordnungsermächtigung Brackmann

(1) Planbetroffene können im Restrukturierungsforum des Bundesanzeigers andere Planbetroffene auffordern, das Stimmrecht im Rahmen einer Planabstimmung in bestimmter Weise auszuüben, eine Stimmrechtsvollmacht zu erteilen oder einen Vorschlag zur Änderung des vorgelegten Restrukturierungsplans zu unterstützen. (2) Die Aufforderung hat die folgenden Angaben zu enthalten: 1.

den Namen und eine Anschrift des Planbetroffenen,

2.

den Schuldner,

3.

das Restrukturierungsgericht und das Aktenzeichen der Restrukturierungssache,

4.

den Vorschlag für die Stimmrechtsausübung, für die Stimmrechtsvollmacht oder zur Änderung des Plans und

5.

den Tag der Versammlung der Planbetroffenen oder des Fristablaufs zur Annahme des Planangebots.

(3) Die Aufforderung kann auf eine Begründung auf der Internetseite des Auffordernden und deren elektronische Adresse hinweisen. (4) Der Schuldner kann im Restrukturierungsforum des Bundesanzeigers auf eine Stellungnahme zu der Aufforderung auf seiner Internetseite hinweisen. (5) Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, die äußere Gestaltung des Restrukturierungsforums und weitere Einzelheiten insbesondere zu der Aufforderung, dem Hinweis, den Entgelten, zu Löschungsfristen, zum Löschungsanspruch, zu Missbrauchsfällen und zur Einsichtnahme zu regeln. Literatur: Bayer/Hoffmann, Das Aktionärsforum im Dornröschenschlaf, AG-Report 2013, R61; Seibt/Danwerth, Aktionärskommunikation und (Online-)Hauptversammlung: Das Vorfeld ist das Hauptfeld!; AG 2021, 369; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66. Übersicht I. II. III. IV.

Normzweck ........................................... 1 Historie ................................................. 4 Inkrafttreten ......................................... 5 Gegenstand der Aufforderung (Abs. 1) .................................................. 6 V. Inhalt der Aufforderung (Abs. 2) ................................................ 11

I.

VI. Begründung der Aufforderung (Abs. 3) ................................................ 14 VII. Stellungnahme der Gesellschaft (Abs. 4) ................................................ 16 VIII. Rechtsverordnungs-Kompetenz (Abs. 5) ................................................ 17 IX. Ausblick ............................................... 18

Normzweck

Zweck des Restrukturierungsforums soll es sein, den Planbetroffenen, insbesondere auch denen mit geringfügigen Stimmrechten,1) eine Plattform zur Verfügung zu _____________ 1)

Gehrlein, BB 2021, 66, 77.

Brackmann

1177

1

§ 87

Restrukturierungsforum; Verordnungsermächtigung

stellen, auf der sie im Vorfeld des Planabstimmungsverfahrens miteinander in Kontakt treten und sich im Hinblick auf die Planabstimmung koordinieren können.2) 2

Mit Spannung darf die praktische Ausgestaltung des Restrukturierungsforums erwartet werden. Da die Regelung des § 87 stark an die Regelung zum Aktionärsforum in § 127a AktG angelehnt ist, spricht vieles dafür, dass sich die praktische Ausgestaltung des Restrukturierungsforums an dem Aktionärsforum orientieren wird. Das Aktionärsforum hat – allerdings mit Blick auf Hauptversammlungen – einen ähnlichen Zweck wie ihn der Gesetzgeber mit der Einführung des Restrukturierungsforums verfolgt. Das Forum soll Aktionären dabei helfen, andere Aktionäre mit gleichgerichteten Interessen ausfindig zu machen, um bei der Stimmrechtsausübung i. R. der Hauptversammlung die notwendigen Quoren zu erreichen. Es hat dabei allerdings eher die Funktion einer Pinnwand als die einer Plattform zum aktiven Austausch von Aktionären und ermöglicht damit insbesondere keinen Dialog, wie die Bezeichnung „Forum“ vermuten ließe.

3

Unklar ist außerdem, ob das Restrukturierungsforum auch von Gläubigern nicht öffentlich gemachter Restrukturierungssachen genutzt werden kann. Denn die Vorschrift ist in Kapitel 4 (Öffentliche Restrukturierungssachen) des Gesetzes eingebettet, was vermuten lässt, dass das Restrukturierungsforum nur für öffentliche Restrukturierungssachen zur Verfügung stehen wird.3) II. Historie

4

Die Einführung des Restrukturierungsforums beruht nicht auf den Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie.4) Die Norm war in der vorliegenden Fassung im RefE5) (dort als § 91) sowie im RegE6) (dort als § 94) enthalten. Mit der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses7) wurde die Norm schließlich inhaltlich unverändert als § 87 final in das Gesetz übernommen. III. Inkrafttreten

5

§ 87 soll gemäß Art. 25 Abs. 3 SanInsFoG zusammen mit den §§ 84 – 86 sowie § 88 zum 17.7.2022 in Kraft treten. IV. Gegenstand der Aufforderung (Abs. 1)

6

Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll das Restrukturierungsforum den Planbetroffenen dazu dienen, sich organisieren und abstimmen zu können sowie ihre _____________ 2) 3) 4)

5)

6) 7)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 94 Abs. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 180. Braun-Tashiro, StaRUG, § 87 Rz. 5. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. RefE SanInsFoG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 22.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303.

1178

Brackmann

Restrukturierungsforum; Verordnungsermächtigung

§ 87

Interessen geschlossen zu vertreten und sich auf eine gemeinsame Abstimmungsstrategie oder Änderungsvorschläge zum Restrukturierungsplan zu verständigen.8) Dementsprechend sind in § 87 Abs. 1 die möglichen Aufforderungsgegenstände enumerativ aufgelistet: –

die Aufforderung zur taktischen Ausübung von Stimmrechten bei der Abstimmung über den Restrukturierungsplan,



die Erstellung einer Stimmrechtsvollmacht, oder



die Unterstützung eines Vorschlags zur Änderung des vorgelegten Restrukturierungsplans.

7

Die zulässigen Aufforderungsgegenstände betreffen damit alle nach dem StaRUG zulässigen Maßnahmen im Hinblick auf die Abstimmung über und Einflussnahme auf den Restrukturierungsplan. Darunter fallen neben der Abstimmung zur konzertierten Stimmrechtsausübung ebenso Vorschläge zur Änderung des Plans vor der Abstimmung.

8

Ein Blick in den Bundesanzeiger verrät, dass das Aktionärsforum seit seiner Einführung im Jahr 2005 am häufigsten für Aufforderungen zur Erteilung von Stimmrechtsvollmachten bzw. zur Übertragung von Stimmrechten genutzt wurde, was wohl wiederum an der überwiegenden Nutzung des Forums durch Aktionärsvereinigungen zu erklären ist.9) Es bleibt abzuwarten, ob es sich bei dem Restrukturierungsforum ähnlich verhalten wird. Wegen der hohen Zustimmungshürden von 75 % der gesamten Stimmrechte der jeweils abstimmenden Gläubigergruppe (und nicht nur der abstimmenden Gläubiger) ist jedoch aus heutiger Sicht zu vermuten, dass das Restrukturierungsverfahren eher für die Restrukturierung von Forderungen überschaubar besetzter und weniger granularer Gläubigergruppen zum Einsatz kommen wird. Vor diesem Hintergrund und da es sich bei dem Restrukturierungsverfahren lediglich um eine teilkollektive Verfahrenshilfe handelt, ist fraglich, ob die Erteilung von Stimmrechtsvollmachten tatsächlich einen signifikanten praktischen Anwendungsbereich haben wird.

9

Hinzu kommt, dass die Aufforderung in dem Gläubigerforum des Bundesanzeigers frei zugänglich veröffentlicht wird. Im Hinblick auf die taktische Abstimmung zur konzertierten Ausübung von Stimmrechten i. R. der Planabstimmung dürfte aber eher ein Bedürfnis nach einer nicht-öffentlichen Abstimmung zu erwarten sein.

10

V. Inhalt der Aufforderung (Abs. 2) § 87 Abs. 2 schreibt die folgenden Mindestinhalte für die Aufforderung vor: –

Name und Anschrift des Planbetroffenen,



Schuldner,



Restrukturierungsgericht und Aktenzeichen der Restrukturierungssache,

11

_____________ 8) 8) 9)

Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. Begr. RegE SanInsFoG z. § 94 Abs. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 180. Bayer/Hoffmann, AG 2013, R61, R62.

Brackmann

1179

§ 87

Restrukturierungsforum; Verordnungsermächtigung



Vorschlag für die Stimmrechtsausübung, für die Stimmrechtsvollmacht oder zur Änderung des Plans,



Tag der Versammlung der Planbetroffenen oder des Fristablaufs zur Annahme des Planangebots.

12

Mit den Angaben soll nach dem Willen des Gesetzgebers sichergestellt werden, dass es den anderen Planbetroffenen ermöglicht wird, den Inhalt und die Zielrichtung der Aufforderung nachzuvollziehen und entsprechend mit dem Auffordernden in Kontakt zu treten.10)

13

Da es bei dem Vorbildmodell des Aktionärsforums eines Nachweises über die Aktionärsstellung bspw. nicht bedarf,11) bleibt anzunehmen, dass auch ein Nachweis über die Planbetroffenenstellung nicht erforderlich sein wird. Interessant dürfte auch sein, ob das BMJV i. R. der noch zu erstellenden Umsetzungsverordnung Schutzund Präventionsmaßnahmen für Missbrauchsfälle regeln wird.12) In dem Aktionärsforum sind missbräuchliche Aufforderungen vom Betreiber unverzüglich zu löschen (§ 3 Abs. 5 Satz 2 AktFoV).13) Dabei soll eine Aufforderung dann missbräuchlich sein, wenn sie nicht den Voraussetzungen des § 127a AktG oder der AktFoV entspricht, wobei § 3 Abs. 5 Satz 1 AktFoV einen nicht abschließenden Katalog an Regelbeispielen enthält, wie bspw. die Kundgabe von bloßen Meinungsäußerungen, die über den gesetzlich vorgeschriebenen Inhalt der Aufforderung hinausgehen. Es ist denkbar, dass das BMJV im Hinblick auf die Rechtsverordnung zum Betrieb des Gläubigerforums auf ähnliche Mechanismen zurückgreifen wird. VI. Begründung der Aufforderung (Abs. 3)

14

Der auffordernde Planbetroffene kann für weitere Einzelheiten zu der veröffentlichten Aufforderung auf eine gesonderte Begründung auf seiner Webseite verweisen. Dies lässt vermuten, dass im Hinblick auf zu veröffentlichende Beiträge bestimmte umfangmäßige Begrenzungen vorgegeben werden, um zu gewährleisten, dass die Aufforderung nur relevante Fakten enthält und damit das Gläubigerforum und die einzelnen Beiträge nicht überfrachtet werden. Der Umstand, dass die jeweils anderen Planbetroffenen zur vollständigen Ermittlung des der Aufforderung zugrunde liegenden Sachverhalts auf mehrere Informationsquellen zugreifen müssen, könnte die Handhabung des Restrukturierungsforums jedoch wiederum umständlich machen.

15

Zur Erleichterung der weiteren Abstimmung kann der auffordernde Planbetroffene zudem seine Daten für Zwecke einer elektronischen Kontaktaufnahme veröffentlichen lassen.14) VII.

16

Stellungnahme der Gesellschaft (Abs. 4)

Es ist anzunehmen, dass das Restrukturierungsforum den Planbetroffenen weder eine Plattform für einen aktiven Austausch noch dem Schuldner eine Möglichkeit zur _____________ 10) 11) 12) 13) 14)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 94 Abs. 2 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 180. Rieckers in: BeckOGK-AktG, § 127a Rz. 8; Hölters-Drinhausen, AktG, § 127a Rz. 2 – 4. Braun-Tashiro, StaRUG, § 87 Rz. 9. Hölters-Drinhausen, AktG § 127a Rz. 6. Begr. RegE SanInsFoG z. § 94 Abs. 3 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 180.

1180

Brackmann

Restrukturierungsforum; Verordnungsermächtigung

§ 87

Stellungnahme bieten wird. Dem Schuldner bleibt es allerdings unbenommen, eine Gegenäußerung auf der eigenen Webseite zu veröffentlichen und in dem Restrukturierungsforum auf diese Stellungnahme hinzuweisen. Vor diesem Hintergrund dürfte Schuldnern künftig anzuraten sein, den Bundesanzeiger während des Restrukturierungsverfahrens regelmäßig im Hinblick auf Aufforderungen seiner planbetroffenen Gläubiger zu monitoren.15) In Fällen missbräuchlicher Handhabung des Restrukturierungsforums dürfte zudem die Möglichkeit bestehen, derlei Verstöße bei dem Forumsbetreiber anzuzeigen und diesen zur Löschung des Beitrags aufzufordern, sofern die Umsetzungsverordnung hierzu nicht ohnehin entsprechende Eskalationsmechanismen regeln wird. VIII. Rechtsverordnungs-Kompetenz (Abs. 5) Die technischen Einzelheiten der Umsetzung des Gläubigerforums sollen i. R. einer Verordnung des BMJV gesondert geregelt werden.

17

IX. Ausblick Da die Regelung des § 87 erst am 17.7.2022 in Kraft treten wird, kann im Hinblick auf die praktische Ausgestaltung und tatsächliche Relevanz des Gläubigerforums nur gemutmaßt werden.

18

Die Regelung des § 87 ist eng an die aktienrechtliche Regelung zum Aktionärsforum in § 172a AktG angelehnt, sodass zu erwarten ist, dass sich das Gläubigerforum auch im Hinblick auf die Funktionsweise und praktische Handhabe dem Aktionärsforum strukturell ähneln wird.

19

Ein Blick in den Bundesanzeiger verrät, dass sich Stand März 2021 seit 2019 sechs Einträge zu fünf AGs in dem Aktionärsforum befinden. Ähnlich gering war die Aktivität in den Jahren nach dem Start des Gläubigerforums in 2005.16) Vor diesem Hintergrund scheint das Aktionärsforum kein praktischer Erfolg gewesen zu sein und es ist zu befürchten, dass es dem Restrukturierungsforum nicht anders ergehen wird, wenn nicht aus dem mangelnden Erfolg des Aktionärsforums entsprechende Lehren gezogen werden.17)

20

Dass sich das Aktionärsforum nicht wie erhofft durchgesetzt hat, könnte zum einen daran liegen, dass der Aktionärsaufruf kostenpflichtig und öffentlich einsehbar ist.18) Zum anderen war es die Intention des Gesetzgebers, dem zunehmend breiten Streubesitz zu begegnen und vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Internationalisierung der Aktionärsstruktur den Aktionären eine Plattform zur erleichterten Kontaktaufnahme zu ermöglichen.19) Das Aktionärsforum ist jedoch eher als „Pinwand“ ausgestaltet und erlaubt damit gerade keinen aktiven Dialog der Aktionäre.20) Diese Defizite machen sich besonders bemerkbar durch die Konkurrenz von privat organisierten Aktionärsforen, die sich durch Privatsphäre, bessere Handhabbarkeit _____________

21

15) 16) 17) 18) 19) 20)

Braun-Tashiro, StaRUG, § 87 Rz. 11. Bayer/Hoffmann, AG 2013, R61. Vgl. zum Aktionärsforum Seibt/Danwerth, AG 2021, 369, 376. Bayer/Hoffmann, AG 2013, R61. Rieckers in: BeckOGK-AktG, § 127a Rz. 1. Rieckers in: BeckOGK-AktG, § 127a Rz. 19.

Brackmann

1181

§ 88

Anwendbarkeit des Artikels 102c des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung

und eine interaktivere Funktionsweise von dem staatlich installierten Aktionärsforum abgrenzen. 22

Sollte dieses in der Vergangenheit wenig erfolgreiche Modell nun in anderem Gewand neu aufgelegt werden, bestehen die gleichen Bedenken im Hinblick auf die praktische Handhabbarkeit auch für das Restrukturierungsforum. Es bleibt insbesondere abzuwarten, ob planbetroffene Gläubiger zur taktischen Abstimmung über die Ausübung ihrer Stimmrechte auf eine öffentlich einsehbare Plattform zurückgreifen werden. Zudem dürfte es aus Gläubigersicht wünschenswert sein, die Abstimmung über eine Plattform vorzunehmen, die den Gläubigern die Möglichkeit zum aktiven Austausch bietet. Daher wäre aus Sicht des Schuldners möglicherweise in Betracht zu ziehen, den Gläubigern zu Abstimmungszwecken ein von einem privaten Betreiber eingerichtetes Forum zur Verfügung zu stellen, das einen einfachen Zugang, effiziente und intuitiv handhabbare Kommunikations-Tools sowie eine private Abstimmung erlaubt. Ein Blick in den Markt verrät, dass diverse Anbieter im Bereich Legal Tech bereits in den Startlöchern stehen dürften.

§ 88 Anwendbarkeit des Artikels 102c des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung Blankenburg

In öffentlichen Restrukturierungssachen ist Artikel 102c §§ 1, 2, 3 Absatz 1 und 3, die §§ 6, 15, 25 und 26 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung entsprechend anwendbar. EGInsO (Auszug) Art. 102c Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren §1 Örtliche Zuständigkeit; Verordnungsermächtigung (1) Kommt in einem Insolvenzverfahren den deutschen Gerichten nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (ABl. L 141 vom 5.6.2015, S. 19; L 349 vom 21.12.2016, S. 6), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2017/353 (ABl. L 57 vom 3.3.2017, S. 19) geändert worden ist, die internationale Zuständigkeit zu, ohne dass nach § 3 der Insolvenzordnung ein Gerichtsstand begründet wäre, so ist das Insolvenzgericht ausschließlich örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. (2) 1Besteht eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2015/848, so ist das Insolvenzgericht ausschließlich örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Niederlassung des Schuldners liegt. 2§ 3 Absatz 2 der Insolvenzordnung gilt entsprechend. (3) 1Unbeschadet der Zuständigkeiten nach diesem Artikel ist für Entscheidungen oder sonstige Maßnahmen nach der Verordnung (EU) 2015/848 jedes Insolvenzgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk sich Vermögen des Schuldners befindet. 2Zur sachdienlichen Förderung oder schnelleren Erledigung von Verfahren nach der Verordnung (EU) 2015/848 werden die Landesregierungen ermächtigt, 1182

Blankenburg

Anwendbarkeit des Artikels 102c des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung

§ 88

diese Verfahren durch Rechtsverordnung für die Bezirke mehrerer Insolvenzgerichte einem von diesen zuzuweisen. 3Die Landesregierungen können die Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. §2 Vermeidung von Kompetenzkonflikten (1) 1Hat das Gericht eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet, so ist, solange dieses Insolvenzverfahren anhängig ist, ein bei einem deutschen Insolvenzgericht gestellter Antrag auf Eröffnung eines solchen Verfahrens über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen unzulässig. 2Ein entgegen Satz 1 eröffnetes Verfahren ist nach Maßgabe der Artikel 34 bis 52 der Verordnung (EU) 2015/848 als Sekundärinsolvenzverfahren fortzuführen, wenn eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2015/848 besteht; liegen die Voraussetzungen für eine Fortführung nicht vor, ist es einzustellen. (2) Hat das Gericht eines Mitgliedstaats der Europäischen Union die Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgelehnt, weil nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2015/848 die deutschen Gerichte zuständig seien, so darf ein deutsches Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mit der Begründung ablehnen, dass die Gerichte des anderen Mitgliedstaats zuständig seien. §3 Einstellung des Insolvenzverfahrens zugunsten eines anderen Mitgliedstaats (1) 1Vor der Einstellung eines bereits eröffneten Insolvenzverfahrens nach § 2 Absatz 1 Satz 2 soll das Insolvenzgericht den Insolvenzverwalter, den Gläubigerausschuss, wenn ein solcher bestellt ist, und den Schuldner hören. 2Wird das Insolvenzverfahren eingestellt, so ist jeder Insolvenzgläubiger beschwerdebefugt. (2) … (3) 1Vor der Einstellung nach § 2 Absatz 1 Satz 2 hat das Insolvenzgericht das Gericht des anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union, bei dem das Verfahren anhängig ist, und den Insolvenzverwalter, der in dem anderen Mitgliedstaat bestellt wurde, über die bevorstehende Einstellung zu unterrichten. 2Dabei soll angegeben werden, wie die Eröffnung des einzustellenden Verfahrens bekannt gemacht wurde, in welchen öffentlichen Büchern und Registern die Eröffnung eingetragen wurde und wer Insolvenzverwalter ist. 3In dem Einstellungsbeschluss ist das Gericht des anderen Mitgliedstaats zu bezeichnen, zu dessen Gunsten das Verfahren eingestellt wird. 4Diesem Gericht ist eine Ausfertigung des Einstellungsbeschlusses zu übersenden. 5§ 215 Absatz 2 der Insolvenzordnung ist nicht anzuwenden. §6 Örtliche Zuständigkeit für Annexklagen (1) Kommt den deutschen Gerichten infolge der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die Zuständigkeit für Klagen nach Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2015/848 zu, ohne dass sich aus anderen Vorschriften eine örtliche Zustän-

Blankenburg

1183

§ 88

Anwendbarkeit des Artikels 102c des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung

digkeit ergibt, so wird der Gerichtsstand durch den Sitz des Insolvenzgerichts bestimmt. (2) Für Klagen nach Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2015/848, die nach Artikel 6 Absatz 2 der Verordnung in Zusammenhang mit einer anderen ziviloder handelsrechtlichen Klage gegen denselben Beklagten stehen, ist auch das Gericht örtlich zuständig, das für die andere zivil- oder handelsrechtliche Klage zuständig ist. § 15 Insolvenzplan 1 Sieht ein Insolvenzplan in einem in der Bundesrepublik Deutschland eröffneten Sekundärinsolvenzverfahren eine Stundung, einen Erlass oder sonstige Einschränkungen der Rechte der Gläubiger vor, so darf er vom Insolvenzgericht nur bestätigt werden, wenn alle betroffenen Gläubiger dem Insolvenzplan zugestimmt haben. 2Satz 1 gilt nicht für Planregelungen, mit denen in Absonderungsrechte eingegriffen wird.

§ 25 Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nach Artikel 69 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2015/848 1

Gegen die Entscheidung des Koordinators nach Artikel 69 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2015/848 ist die Erinnerung statthaft. 2§ 573 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. § 26 Rechtsmittel gegen die Kostenentscheidung nach Artikel 77 Absatz 4 der Verordnung (EU) 2015/848 1 Gegen die Entscheidung über die Kosten des Gruppen-Koordinationsverfahrens nach Artikel 77 Absatz 4 der Verordnung (EU) 2015/848 ist die sofortige Beschwerde statthaft. 2Die §§ 574 bis 577 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend, wobei die Entscheidung über die Beschwerde gemäß § 6 Absatz 3 der Insolvenzordnung erst mit Rechtskraft wirksam wird.

Übersicht I. Normzweck ........................................... II. Normhistorie ........................................ III. Örtliche Zuständigkeit (Art. 102c § 1 EGInsO) .......................................... IV. Kompetenzkonflikte (Art. 102c §§ 2, 3 EGInsO) ....................................

I. 1

1 2 3 6

V. Örtliche Zuständigkeit von Annexklagen (Art. 102c § 6 EGInsO) ......... 10 VI. Restrukturierungspläne (Art. 102c § 15 EGInsO) ................... 11 VII. Gruppenkoordinationsverfahren (Art. 102c §§ 25, 26 EGInsO) ........... 13

Normzweck

Art. 102c EGInsO, auf den § 88 verweist, dient der Anpassung des deutschen Rechts an die EuInsVO, die als Verordnung grds. keiner Transformation des nationalen Gesetzgebers bedarf. Es soll sichergestellt werden, dass durch das nationale Recht die europarechtlichen Vorgaben nicht konterkariert werden. Die entsprechenden Regelungen im StaRUG sind erforderlich, sobald das Restrukturierungs- und Stabili1184

Blankenburg

Anwendbarkeit des Artikels 102c des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung

§ 88

sierungsverfahren in Anhang A zur EuInsVO aufgenommen wurde. Eine entsprechende Anmeldung ist vom nationalen Gesetzgeber beabsichtigt.1) Da die Anwendbarkeit der EuInsVO ein öffentliches Verfahren voraussetzt, ist der Verweis auf Art. 102c EGInsO im Kapitel zum öffentlichen Restrukturierungsverfahren aufgenommen worden. In Kraft tritt die Regelung gemäß Art. 25 Abs. 3 SansInsFoG2) erst zum 17.7.2022. II. Normhistorie Die Norm ist bis auf die Anpassung der Verweisungen im Gesetzgebungsverfahren unberührt geblieben. Im RefE3) war die Norm als § 92, im RegE4) dann als § 95 bezeichnet worden. Durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses5) hat die Norm die endgültige Nummerierung erhalten.

2

III. Örtliche Zuständigkeit (Art. 102c § 1 EGInsO) Art. 102c § 1 Abs. 1 EGInsO regelt den Fall, dass zwar eine internationale Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO in Deutschland gegeben ist, jedoch nach der nationalen Rechtsordnung (§ 35) keine örtliche Zuständigkeit begründet ist. Dies kann sich daraus ergeben, dass nach dem nationalen Recht für die Zuständigkeit auf den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit (siehe dazu § 35 Rz. 4 ff.), für die EuInsVO hingegen auf den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen abgestellt wird.6) Für die Interessen wird auf die wirtschaftlichen Belange oder die allgemeine wirtschaftliche Tätigkeit abgestellt.7) Als Anwendungsfall werden natürliche Personen herangezogen, die in Deutschland wohnen und angestellt arbeiten, jedoch einer nebenberuflichen Tätigkeit im Ausland nachgehen.8) Es erscheint fraglich, ob es dafür bei Restrukturierungsverfahren überhaupt Anwendungsfälle geben mag, da es bei einem wirtschaftlich tätigen Schuldner kaum denkbar ist, dass der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Interessen ein anderer ist als der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen. Findet die Norm Anwendung, ist das Restrukturierungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat.

3

Art. 102c § 1 Abs. 2 EGInsO betrifft die Partikularinsolvenzverfahren, die sich nur auf im Inland belegenes Vermögen beschränken. Es ist schwerlich vorstellbar, dass es ein entsprechendes Restrukturierungsverfahren gibt. Die Restrukturierungsver_____________

4

1) 2) 3)

4) 5) 6) 7) 8)

Begr. RegE SanInsFoG z.StaRUG, BT-Drucks. 18/24181, S. 180. Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BTDrucks. 19/25303. Ausführlich dazu Vallender-Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 3 Rz. 10 ff. Dazu Vallender-Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 3 Rz. 12. Wenner/Schuster in: FK-InsO, Art. 102c § 1 EGInsO Rz. 4; Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Art. 102c § 1 Rz. 4; Vallender-Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 1 EGInsO Rz. 7.

Blankenburg

1185

§ 88

Anwendbarkeit des Artikels 102c des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung

fahren sind nicht vermögensgegenstandbezogen, sondern gläubigerbezogen. Sollte dennoch ein Anwendungsfall auftreten, ist das Restrukturierungsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner seine Niederlassung hat. Bestehen mehrere Niederlassungen, ist auf die Hauptniederlassung abzustellen.9) Der Verweis in Art. 102c § 1 Abs. 2 Satz 2 EGInsO auf § 3 Abs. 2 InsO dürfte ein Reaktionsversehen sein, da der ursprüngliche Absatz 2 durch das SanInsFoG zu Absatz 3 wurde.10) Demnach schließt das erstbefasste Gerichte die Zuständigkeit weiterer Gerichte aus. Die kann z. B. bei mehreren Niederlassungen er Fall sein.11) 5

Art. 102c § 1 Abs. 3 EGInsO betrifft die Unterstützungsleistung der Insolvenzgerichte, die sie gegenüber anderen ausländischen Gerichten zu erbringen haben.12) Die Vorschrift dürfte für die Restrukturierungsverfahren keine Rolle spielen, da solche Leistungen für die Restrukturierungsgerichte kaum denkbar sind. IV. Kompetenzkonflikte (Art. 102c §§ 2, 3 EGInsO)

6

Art. 102c § 2 EGInsO regelt den positiven und negativen Kompetenzkonflikt verschiedener Gerichte der Mitgliedstaaten der EU hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit.13) Ein positiver Kompetenzkonflikt liegt dann vor, wenn in einem anderen Mitgliedstaat der EU ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wurde. In diesem Fall kann nach Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 1 EGInsO kein weiteres Hauptinsolvenzverfahren mehr eröffnet werden. Für die Restrukturierungsverfahren bedeutet dies, dass national ein Restrukturierungsverfahren nicht zulässig ist, wenn es bereits in einem anderen Staat ein Restrukturierungs- oder Insolvenzverfahren gibt.

7

Da die Umwandlung in ein Sekundärinsolvenzverfahren nicht möglich ist, muss das Restrukturierungsverfahren gemäß Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 EGInsO eingestellt werden.14) Diese bereits für das Insolvenzverfahren kritisierte Regelung15) ist auf die Restrukturierungsverfahren nur entsprechend anzuwenden. Dies bedeutet, dass eine Aufhebung des Restrukturierungsverfahrens entsprechend § 33 erfolgen sollte, so dass die Anzeige gemäß § 31 Abs. 4 Nr. 3 ihre Wirkung verliert (zu den formellen Voraussetzungen für die Aufhebung siehe § 33 Rz. 23 ff.).

8

Für die „Einstellung“ nach Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO sind in Art. 102c § 3 EGInsO Besonderheiten geregelt, die hinsichtlich der Absätze 1 und 3 nach § 88 entsprechend anzuwenden sind. Erforderlich ist daher eine Anhörung des Schuldners, des Restrukturierungsbeauftragten sowie des Gläubigerbeirates, wenn ein solcher eingesetzt wurde. Umstritten ist, ob auch der Insolvenzverwalter des ausländischen Verfahrens anzuhören ist.16) Dies wird bei den Restrukturierungsverfahren nicht _____________ 9) Wenner/Schuster in: FK-InsO, Art. 102c § 1 EGInsO Rz. 6; Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Art. 102c § 1 Rz. 4. 10) Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 88 Rz. 9. 11) So auch Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 88 Rz. 9. 12) Dazu ausführlich Vallender-Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 1 EGInsO Rz. 12 ff. 13) Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Art. 102c § 1 Rz. 1; Vallender-Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 2 EGInsO Rz. 2 f. 14) A. A. Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 88 Rz. 11. 15) Dazu Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Art. 102c § 2 Rz. 15. 16) So Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Art. 102c § 3 Rz. 4.

1186

Blankenburg

Anwendbarkeit des Artikels 102c des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung

§ 88

erforderlich sein, da insoweit kein Insolvenzbeschlag eintritt, der für das ausländische Verfahren von Interesse wäre. Gemäß Art. 102c § 3 Abs. 3 EGInsO muss der ausländische Insolvenzverwalter vor der Einstellung unterrichtet werden. Zudem muss im Aufhebungsbeschluss das ausländische Verfahren bezeichnet werden. Zu beachten ist, dass nach Art. 102c § 3 Satz 3 EGInsO gegen diese Aufhebung jeder Restrukturierungsgläubiger beschwerdebefugt ist, während § 33 Abs. 4 grundsätzlich nur die Beschwerdebefugnis des Schuldners vorsieht. Art. 102c § 2 Abs. 2 EGInsO betrifft den negativen Kompetenzkonflikt. Hat ein ausländisches Gericht sich für ein Insolvenzverfahren oder eine Restrukturierungssache für international unzuständig erklärt, darf durch das nationale Restrukturierungsgericht nicht auf die internationale Zuständigkeit dieses Gerichts verwiesen werden. Entgegen dem Wortlaut der Norm muss das ausländische Gericht nicht die deutsche Zuständigkeit bejaht haben.17) Dementsprechend ist das nationale Gericht nur an die Rechtsauffassung gebunden, dass dort die Zuständigkeit fehlt. Es kann jedoch von der Zuständigkeit eines anderen Staates ausgehen.18)

9

V. Örtliche Zuständigkeit von Annexklagen (Art. 102c § 6 EGInsO) Art. 102c § 6 EGInsO wurde geschaffen für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit für Annexverfahren, d. h. für Rechtsstreitigkeiten, die mit dem Insolvenzverfahren in unmittelbarem Zusammenhang stehen.19) Die Norm ist gemäß § 88 auch auf Klagen anwendbar, die in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Restrukturierungsverfahren stehen. Da Klagen im Zusammenhang mit dem Restrukturierungsverfahren in der Regel erst nach Beendigung des Verfahrens anhängig gemacht werden (z. B. Schadensersatzanspruch nach § 66 Abs. 5 Satz 4), hängt die Anwendung des Art. 102c § 6 EGInsO davon ab, ob die Norm auch nach der Aufhebung noch Wirkung entfaltet.20) Dagegen spricht, dass gemäß Art. 6 Abs. 3 EuInsVO erreicht werden soll, dass keine divergierenden Entscheidungen ergehen. Eine solche Gefahr besteht nach der Beendigung des Verfahrens nicht. Werden daher Klage nach der Aufhebung der Restrukturierungssache erhoben, greift Art. 102c § 6 EGInsO nicht ein.

10

VI. Restrukturierungspläne (Art. 102c § 15 EGInsO) Art. 102c § 15 Satz 1 EGInsO betrifft den Fall, dass in einem Sekundärinsolvenzverfahren durch einen Insolvenzplan in die Rechte der Gläubiger eingegriffen werden soll. In diesem Fall darf eine Bestätigung des Plans nur erfolgen, wenn alle betroffenen Gläubiger zugestimmt haben. Nach § 88 soll die Norm für die Restrukturierungsverfahren entsprechend anwendbar sein. Der Zweck der Norm besteht darin zu verhindern, dass Gläubiger des Hauptinsolvenzverfahrens in ihren Rechten durch das Sekundärinsolvenzverfahren beeinträchtigt werden, indem Rechtswirkungen _____________ 17) Vallender-Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 2 EGInsO Rz. 12. 18) Vallender-Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 2 EGInsO Rz. 12; Thole in: MünchKomm-InsO, Art. 102 § 2 EGInsO Rz. 16; wohl auch Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Art. 102c § 2 Rz. 18. 19) Dazu Vallender-Hänel, EuInsVO, Art. 6 Rz. 1. 20) Ausführlich dazu Vallender-Hänel, EuInsVO, Art. 6 Rz. 15 ff.

Blankenburg

1187

11

§ 88

Anwendbarkeit des Artikels 102c des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung

dieses Verfahrens auch im Hauptinsolvenzverfahren zu berücksichtigen sind.21) Daher wird Art. 102c § 15 EGInsO einschränkend dahin ausgelegt, dass ein Zustimmungserfordernis nur dann besteht, wenn durch den Plan Vermögen betroffen ist, dass nicht vom Sekundärinsolvenzverfahren erfasst wird.22) 12

Die Norm wird bei den Restrukturierungsverfahren keinen Anwendungsbereich haben. Wie bereits oben dargestellt (siehe Rz. 7), können Restrukturierungsverfahren nicht als Sekundärinsolvenzverfahren geführt werden. Insoweit kann bereits die Grundkonfliktsituation nicht entstehen. VII.

Gruppenkoordinationsverfahren (Art. 102c §§ 25, 26 EGInsO)

13

Ferner sind nach § 88 zwei Normen zum Gruppenkoordinationsverfahren anwendbar. Ein Gruppenkoordinationsverfahren erscheint auch bei Restrukturierungsverfahren denkbar, wenn für unterschiedliche Unternehmensteile in unterschiedlichen Ländern entweder Insolvenzverfahren oder Restrukturierungsverfahren anhängig sind.

14

Nach Art. 102c § 25 EGInsO ist gegen die Opt-in-Entscheidung des Verwalters gemäß Art. 69 Abs. 1 EuInsVO die Erinnerung und im Weiteren die sofortige Beschwerde statthaft. Im Rahmen des Restrukturierungsverfahrens stellt sich dann das Problem, wer insoweit als Verwalter anzusehen ist und daher die Entscheidung zu treffen hat. Man wird dazu den Restrukturierungsbeauftragten als Verwalter ansehen. Gemäß Art. 2 Nr. 5 lit. v EuInsVO sind die Personen Verwalter, die die Geschäftstätigkeit des Schuldners überwachen sollen. Trotz der Schuldnerautonomie steht daher dem Restrukturierungsbeauftragten diese Entscheidung zu.

15

Nach Art. 102c § 26 Satz 1 EGInsO kann gegen Entscheidungen über die Kosten des Gruppen-Koordinationsverfahrens die sofortige Beschwerde eingelegt werden. Gegen die Beschwerdeentscheidung kann gemäß Satz 2 zudem die Rechtsbeschwerde erhoben werden.

_____________ 21) Dazu Vallender-U. Keller, EuInsVO, Art. 15 Rz. 1. 22) Skauradszun in: BeckOK-StaRUG, § 88 Rz. 20.

1188

Blankenburg

Kapitel 5 Anfechtungs- und Haftungsrecht § 89 Rechtshandlungen, die während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache vorgenommen werden Bork

(1) Die Annahme eines sittenwidrigen Beitrags zur Insolvenzverschleppung oder einer Rechtshandlung, die mit dem Vorsatz einer Benachteiligung der Gläubiger vorgenommen wurde, kann nicht allein darauf gestützt werden, dass ein an der Rechtshandlung Beteiligter Kenntnis davon hatte, dass die Restrukturierungssache rechtshängig war oder dass der Schuldner Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Anspruch nahm. (2) Hebt das Gericht nach einer Anzeige der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung die Restrukturierungssache nicht nach § 33 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 auf, so gilt Absatz 1 auch für die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. (3) 1Hat der Schuldner eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nach § 32 Absatz 3 angezeigt, so gilt bis zur Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 jede Zahlung im ordnungsgemäßen Geschäftsgang, insbesondere Zahlungen, die für die Fortführung der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit und die Vorbereitung und Umsetzung des angezeigten Restrukturierungsvorhabens erforderlich sind, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar. 2Das gilt nicht für Zahlungen, die bis zu der absehbar zu erwartenden Entscheidung des Restrukturierungsgerichts zurückgehalten werden können, ohne dass damit Nachteile für eine Fortsetzung des Restrukturierungsvorhabens verbunden sind. Literatur: Bork, Die Regelungen zur Insolvenzanfechtung im StaRUG, ZInsO 2020, 2177; Bork, Die insolvenzrechtliche Anfechtung: Sanierungsmittel oder Sanierungshindernis?, in: Festschrift für Hans P. Runkel, 2009, S. 241; Brinkmann, Die Haftung der Geschäftsleiter in der Krise nach dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), ZIP 2020, 2361; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Hölzle, Präventiver Restrukturierungsrahmen – Beitrag zu einer Verbesserung der Restrukturierungskultur in Europa und ergänzende Sanierungsoption oder „Schlachtbank“ für die Motive des ESUG?, ZIP 2017, 1307; Hölzle/Curtze, Eine Krise – Ein Verfahren! – Folgen eines vorangegangenen Restrukturierungsverfahrens nach StaRUG in der späteren Insolvenz, ZIP 2021, 1293; Madaus, Die (begrenzte) Insolvenzfestigkeit des Restrukturierungsplans, der Planleistungen sowie unterstützender Rechtshandlungen während der Restrukturierungssache, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 35; Müller, Die Umsetzung der EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen – Kritische Anmerkungen zum StaRUG-RegE, ZIP 2020, 2253; Proske/ Streit, Rettende Restrukturierung durch Rechtsrahmen? Lob und Kritik zum Regierungsentwurf des StaRUG, NZI 2020, 969; Schluck-Amend/Hefner, Das StaRUG und seine Auswirkungen auf die Geschäftsleiterhaftung, ZRI 2020, 570; Schmittmann, Steuerliche Privilegierung der vorläufigen Eigenverwaltung, Haftung der Geschäftsleiter für Steuer-

Bork

1189

§ 89

Rechtshandlungen

zahlungen und Haftung von Berufsträgern nach dem SanInsFoG-RegE, ZRI 2020, 649; Schoppmeyer, Sanierungsprivilegien im Insolvenzanfechtungsrecht nach dem StaRUG. ZIP 2021, 869; Schulz, Haftungs- und Pflichtenregime für Geschäftsleiter in der Krise – Was bringt das SanInsFoG?, NZI 2020, 1073; Stohrer, Der Gläubigerschutz im präventiven Restrukturierungsrahmen, ZInsO 2018, 660; Thole, Der Entwurf eines Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetzes (StaRuG-RefE), ZIP 2020, 1985. Übersicht I. II. III. IV.

Einführung ........................................... 1 Normzweck ........................................... 3 Normhistorie ........................................ 6 Verhältnis zu § 90 StaRUG und § 142 Abs. 1 InsO ................................. 9 V. Kenntnis der Rechtshängigkeit eines Restrukturierungsverfahrens oder der Inanspruchnahme des Rahmens (Abs. 1) ............................... 11 1. Tatbestand des Absatz 1 ..................... 12 a) Relevante Rechtshandlung .......... 13 b) Beteiligter ..................................... 16 c) Kenntnis ....................................... 19 2. Rechtsfolge .......................................... 24 a) Irrelevanz ...................................... 25 b) „alleinig“ ....................................... 26 c) Auswirkungen auf die Anfechtungstatbestände .......................... 29

I.

VI. Kenntnis der Insolvenzreife (Abs. 2) ................................................ 33 1. Tatbestand des Absatzes 2 .................. 34 a) Anzeige der materiellen Insolvenz ............................................... 35 b) Restrukturierungssache nicht aufgehoben ................................... 36 2. Rechtsfolge des Absatzes 2 ................. 40 VII. Zahlungen nach Anzeige der materiellen Insolvenz (Abs. 3) ......... 42 1. Tatbestand des Absatzes 3 .................. 43 a) Zahlungszeitraum ........................ 44 b) Zahlung im ordnungsgemäßen Geschäftsgang (Abs. 3 Satz 1) .... 48 c) Unaufschiebbarkeit (Abs. 3 Satz 2) ........................................... 51 2. Rechtsfolge .......................................... 52 VIII. Darlegungs- und Beweislast ........... 53

Einführung

1

§§ 89 – 91 beschäftigen sich mit der Situation, dass die im präventiven Restrukturierungsverfahren angestrebte Sanierung scheitert und es zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners kommt.1) Ziel ist es, die beteiligten Akteure für diesen Fall gegen eine Anfechtung der im Restrukturierungsverfahren ergriffenen Maßnahmen und eine persönliche Inhaftungnahme abzusichern. Banken, Beratern und anderen Geschäftspartnern des Schuldners soll die Sorge genommen werden, dass ihnen gegenüber erfolgte gläubigerbenachteiligende Rechtshandlungen später allein deshalb erfolgreich angefochten oder zur Grundlage einer deliktischen Haftung (§ 826 BGB) gemacht werden, weil sie – oftmals zwangsläufig – Kenntnis von der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder der schuldnerischen Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens (§ 29 Abs. 2) hatten.

2

Das Anfechtungs- und Haftungsprivileg setzt insoweit an einer (vermeintlichen) Schwachstelle der außergerichtlichen Sanierung an. Um kurzfristig den Betrieb des Unternehmens aufrechterhalten und währenddessen das Sanierungskonzept ausarbeiten, verhandeln und umsetzen zu können, ist der Schuldner oftmals entscheidend auf finanzielle Hilfe und kompetente Beratung angewiesen.2) Vor allem für die Sanierungsfinanzierer stellen die mögliche Anfechtung der Sicherungsgeschäfte und _____________ 1) 2)

Bork, ZInsO 2020, 2177, 2180. ErwG 66 der Restrukturierungsrichtlinie; noch zum Vorschlag der Kommission Heß, Restrukturierung des Insolvenzrechts, S. 209 („wichtige Säule“); Hölzle, ZIP 2017, 1307, 1312 („tragende Säule“); Stohrer, ZInsO 2018, 660, 667 („wichtige Stellschraube“).

1190

Bork

§ 89

Rechtshandlungen

etwaiger zwischenzeitlicher Rückführungen sowie potentielle Haftungsansprüche ein erhebliches juristisches Risiko dar,3) das je nach Stadium und Kenntnis der schuldnerischen Krise eine Kreditvergabe von vorneherein zunichte machen kann. II. Normzweck Aus diesem Grund statuiert § 89 unterschiedliche Anfechtungs- und Haftungsprivilegien: Unterstützungswillige Personen sollen sich durch die Rechtshängigkeit und Inanspruchnahme der Instrumente des Restrukturierungsrahmens nicht (mehr) von einer Fortführung oder Eingehung einer Geschäftsbeziehung mit dem Schuldner abschrecken lassen,4) sondern sich – im Vertrauen auf die Rechtssicherheit und Insolvenzfestigkeit der von ihnen erbrachten und empfangenen Leistungen – auch i. R. der Restrukturierung weiterhin engagieren.5)

3

Mit den Absätzen 1 und 2 zielt § 89 StaRUG auf die Vorsatzanfechtung des § 133 InsO bzw. § 3 AnfG,6) im Haftungsrecht auf § 826 BGB ab.7) Diese in besonderem Maße richterrechtlich geprägten Haftungsinstitute stehen und fallen regelmäßig mit dem Nachweis des subjektiven Tatbestands, der oft nur anhand von Indizien festgestellt werden kann.8) Nicht als Indiz ausreichen soll dabei fortan der Umstand, dass ein Beteiligter Kenntnis von der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder der Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens hatte. Im Ergebnis dasselbe gilt für die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners, allerdings nur, solange das Gericht das Restrukturierungsverfahren trotz materieller Insolvenz nicht aufhebt (§ 89 Abs. 2). Abgesichert werden die Privilegien durch die flankierende Regelung des § 89 Abs. 3, die den Geschäftsleitern auch nach Insolvenzreife die Möglichkeit einräumt, die erforderlichen Zahlungen ohne Risiko der persönlichen Inanspruchnahme nach § 15b Abs. 4 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 InsO zu veranlassen.

4

Anfechtungs- und Haftungsprivilegierungen sind als Ausnahmeregelung grundsätzlich, d. h. nach Maßgabe ihres Regelungszwecks,9) eng auszulegen.10) Bei § 89 Abs. 1 ist jedoch zu beachten, dass der Regelungszweck ersichtlich darauf ausgerichtet ist, ein weitreichendes, neben § 90 eigenständig bestehendes Privileg zu statuieren, was im Einzelfall gegen eine allzu enge Auslegung sprechen kann.

5

_____________ 3) 4) 5) 6) 7) 8)

ErwG 67 der Restrukturierungsrichtlinie. Bork, ZInsO 2020, 2177, 2180 („antizipierte Anfechtungssorgen“); Gehrlein, BB 2021, 66, 77. Bork in: FS Runkel, S. 242. Bork, ZInsO 2020, 2177, 2178; Thole, ZIP 2020, 1985, 1998. Begr. RegE SanInsFoG z. § 96 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 182. Vgl. nur BGH, Urt. v. 22.10.2020 – IX ZR 208/18, Rz. 27, NZI 2021, 26 = NZG 2021, 81, dazu EWiR 2020, 723 (Bork); BGH, Urt. v. 17.9.2020 – IX ZR 174/19, Rz. 17, NZI 2020, 1101 m. Anm. Huber, dazu EWiR 2020, 661 (Jacoby); Kayser/Freudenberg in: MünchKommInsO, § 133 Rz. 27 ff.; Staudinger-Oechsler, BGB, § 826 Rz. 96 ff. 9) Dazu Bork, BGB AT, Rz. 135; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 176. 10) Bork, ZInsO 2020, 2177, 2181.

Bork

1191

§ 89

Rechtshandlungen

III. Normhistorie 6

§ 8911) beruht auf Art. 17, 18 der Restrukturierungsrichtlinie12). Europarechtlich erforderlich ist das Anfechtungs- und Haftungsprivileg in seiner in § 89 verankerten Form indessen nicht.13) Art. 17, 18 der Restrukturierungsrichtlinie verlangen lediglich, dass neue Finanzierungen, Zwischenfinanzierungen und sonstige Transaktionen nicht allein deshalb angreifbar sind, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen. Diesen Mindestschutz hat das deutsche (Anfechtungs-)Recht bereits bisher schon mehr als hinreichend gewährleistet. Sowohl §§ 129 ff. InsO als auch §§ 1 ff. AnfG erfordern neben der bloßen Gläubigerbenachteiligung stets mindestens ein weiteres Tatbestandsmerkmal, den sog. Anfechtungsgrund.14) Insbesondere zum Schutz von Sanierungsbemühungen bieten das Bargeschäfts- (§ 142 InsO) und das Sanierungsprivileg15) darüber hinaus weitere effektive und bewährte Schutzinstrumente.16)

7

Dass der Gesetzgeber mit den §§ 89 f. dennoch – in überschießendem Eifer und im Grunde schon wieder17) – ein weiteres Anfechtungs- und Haftungsprivileg statuiert hat, ist nicht ohne Kritik geblieben. Im Schrifttum wurde ihm angeraten, die §§ 89 ff. ersatzlos zu streichen18) bzw. mangels Umsetzungsbedarfs von einer Umsetzung abzusehen19). Andere zeigten sich zwar offen gegenüber einer behutsamen Weiterentwicklung des Gesellschafterdarlehensrechts, lehnten die Regelung insgesamt in ihrer vorgelegten Form jedoch „klar ab“.20)

_____________ 11) Die heutige Fassung hat ihre Vorläufer in § 93 RefE (RefE SanInsFoG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/ RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 [Abrufdatum: 23.8.2021]) und § 96 RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. In den weiteren Beratungen blieb sie unverändert, vgl. Stellungnahme des BRat und Gegenäußerung der BReg v. 2.12.2020, BT-Drucks. 19/24903; Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/25303. 12) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. 13) RegE SanInsFoG, v. 16.10.2020, BR-Drucks. 619/20, S. 209; Bork in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 17 Rz. 47, Art. 18 Rz. 18; Gehrlein, BB 2021, 66, 75, 77; Müller, ZIP 2020, 2253, 2257. A. A. Proske/Streit, NZI 2020, 969, 975. 14) So etwa die Kenntnis des anderen Teils von der Zahlungsunfähigkeit oder dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners oder die bereits für sich genommen hinreichend verdächtige Inkongruenz der Deckung, vgl. Bork, ZInsO 2020, 2177, 2178; Gehrlein, BB 2021, 66, 75, 77; Müller, ZIP 2020, 2253, 2257; anerkennend insoweit auch Begr. RegE §§ 96 ff. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 181. 15) S. die Nachweise in Fn. 38. 16) Ausführlich Bork in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 18 Rz. 20 f. 17) So zuletzt etwa auch i. R. des § 2 Abs. 1 Nr. 2 – 4 COVInsAG und i. R. des § 142 Abs. 2 Satz 2 InsO. 18) Bork, ZInsO 2020, 2177, 2184. 19) Thole, ZIP 2020, 1985, 1999. 20) Müller, ZIP 2020, 2253, 2257.

1192

Bork

§ 89

Rechtshandlungen

Von der geäußerten Kritik hat sich der Gesetzgeber weitgehend unbeeindruckt gezeigt. Im Rahmen des § 89 sind lediglich das klarstellende Merkmal, wonach eine Anfechtung oder Haftung nicht „allein“ auf die Kenntnis gestützt werden kann, sowie die Rückausnahme in § 89 Abs. 3 Satz 2 nachträglich in den Regierungsentwurf21) aufgenommen worden.22) Im Übrigen ist die mit dem Referentenentwurf vorgelegte Fassung mit Ausnahme einiger redaktioneller Änderungen unverändert Gesetz geworden.

8

IV. Verhältnis zu § 90 StaRUG und § 142 Abs. 1 InsO § 89 wird ergänzt durch den Anfechtungsausschluss des § 90, der grundsätzlich sämtliche im Restrukturierungsplan enthaltenen Regelungen und die zu dessen Vollzug vorgenommenen Rechtshandlungen anfechtungsfest stellt. In anfechtungsrechtlicher Hinsicht fungiert § 89 insoweit überwiegend als Auffangtatbestand. Er erfasst vor allem nicht im Restrukturierungsplan enthaltene Maßnahmen. Daneben kommt er in den Fällen zum Tragen, in denen der vorgelegte Plan nicht bestätigt wurde oder die Ausnahme des § 90 Abs. 1 a. E. eingreift.23) Indes schützt § 90 ausschließlich vor einer späteren Anfechtung der Rechtshandlung, während § 89 die Beteiligten auch vor einer (deliktischen) Inanspruchnahme nach § 826 BGB schützt.

9

Überschneidungen ergeben sich zudem im Verhältnis zum anfechtungsrechtlichen Bargeschäftsprivileg, das oftmals bereits einen Großteil der im Restrukturierungsverfahren erfolgten Beratervergütungen und Lohnzahlungen an Arbeitnehmer anfechtungsfest stellt. Die für die Vorsatzanfechtung des Bargeschäfts nach § 142 Abs. 1 InsO erforderliche, vom Anfechtungsgegner erkannte „Unlauterkeit“ wird aus dem Wissen der Beteiligten um die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache kaum abgeleitet werden können. Bedeutung entfaltet § 89 Abs. 1 damit künftig vor allem für die Rückführung eines Überbrückungskredits, die oft weder im Plan enthalten noch vom Schutz des § 142 Abs. 1 InsO umfasst ist,24) außerdem nicht-bargeschäftliche Zahlungen an Lieferanten, Arbeitnehmer, Finanzbehörden oder Sozialversicherungsträger.

10

V. Kenntnis der Rechtshängigkeit eines Restrukturierungsverfahrens oder der Inanspruchnahme des Rahmens (Abs. 1) § 89 Abs. 1 spricht der Kenntnis eines Beteiligten von der Rechtshängigkeit eines Restrukturierungsverfahrens oder von der Inanspruchnahme von den in § 29 Abs. 2 genannten Instrumenten die anfechtungs- und haftungsrechtliche Indizwirkung für den subjektiven Tatbestand ab.

_____________ 21) 22) 23) 24)

RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Insoweit auf Vorschlag von Thole, ZIP 2020, 1985, 1998 f. Bork, ZInsO 2020, 2177, 2183. Vgl. BGH, Urt. v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, Rz. 27, NZI 2013, 483 = WM 2013, 708, dazu EWiR 2013, 393 (Delaveaux); OLG Celle, Beschl. v. 8.10.2012 – 13 U 95/12, NZI 2012, 890 = ZIP 2012, 2114, 2115; K. Schmidt-Ganter/Weinland, InsO, § 142 Rz. 14; Thole in: HK-InsO, § 142 Rz. 3.

Bork

1193

11

§ 89 1. 12

Rechtshandlungen

Tatbestand des Absatz 1

§ 89 Abs. 1 hat im Wesentlichen drei Tatbestandsmerkmale: –

Es muss sich um eine Rechtshandlung innerhalb einer rechtshängigen Restrukturierungssache oder nach Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens handeln und



ein Beteiligter muss



Kenntnis von der Restrukturierungssache oder der Inanspruchnahme der Instrumente haben.

a) Relevante Rechtshandlung 13

§ 89 Abs. 1 erfasst – anders als § 90 – Rechtshandlungen aller Art.25) Erforderlich ist zunächst, dass eine Rechtshandlung innerhalb einer rechtshängigen Restrukturierungssache oder nach Inanspruchnahme eines oder mehrerer der in § 29 Abs. 2 genannten Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens. Das ergibt sich einerseits aus der Überschrift des § 89 und andererseits aus dem Umstand, dass sich Absatz 1 mit der Kenntnis der Restrukturierungssache oder der Inanspruchnahme eines oder mehrerer der in § 29 Abs. 2 genannten Instrumente befasst. § 89 Abs. 1 entfaltet seine Privilegierungswirkung also nur für potentiell anfechtbare oder haftungsbegründende Rechtshandlungen, die während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache wirksam geworden sind (§ 140 InsO).26) Hingegen bleibt es bei den allgemeinen Regeln, wenn die inkriminierte Rechtshandlung noch vor Rechtshängigkeit oder erst nach Aufhebung des Restrukturierungsverfahrens erfolgt bzw. wirksam geworden ist. Anfechtungsschutz erfährt der andere Teil – bei entsprechender Kenntnis – hier auch künftig nur i. R. des Bargeschäfts- und des bei § 133 Abs. 1 InsO angewandten Sanierungsprivilegs.27) Unerheblich ist hingegen, ob die Gläubiger einen Restrukturierungsplan angenommen haben oder ob das Gericht ihn bestätigt hat, und zwar unabhängig davon, ob das zugrundeliegende Konzept ggf. unschlüssig war, nicht auf den tatsächlichen Begebenheiten beruhte oder keine begründete Aussicht auf Erfolg vermittelte oder ob der Schuldner seine Anzeige zurückgenommen hat.28)

14

Rechtshängig wird die Restrukturierungssache mit Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim Restrukturierungsgericht (§ 31 Abs. 3). Dass Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Anspruch genommen werden, ohne dass eine Restrukturierungssache rechtshängig wäre, wird praktisch nicht vorkommen, da die Inanspruchnahme gemäß § 31 Abs. 1 die Anzeige und damit die Rechtshängigkeit voraussetzt. _____________ 25) Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 874. – Vgl. aber Braun-Tashiro, StaRUG, § 89 Rz. 7: nur angemessene und unmittelbar notwendige Transaktionen; Pannen/Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 89 Rz. 45 ff.: Zahlungen an Berater. 26) Bork, ZInsO 2020, 2177, 2180; ferner Schmittmann, ZRI 2020, 649, 659; Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 876. 27) S. die Nachweise in Fn. 32 sowie Fn. 38 samt Begleittext. 28) Bork, ZInsO 2020, 2177, 2181 f.; Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 875.

1194

Bork

§ 89

Rechtshandlungen

Das Gesetz setzt nicht voraus, dass die inkriminierte Rechtshandlung gerade vom Schuldner stammt. Diese Voraussetzung ergibt sich freilich bei der in § 89 Abs. 1 angesprochenen Vorsatzanfechtung aus § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO. Auch die Haftung des Anspruchsgegners wegen Mitwirkung an einer Insolvenzverschleppung ist ohne einen Tatbeitrag des Schuldners kaum vorstellbar.

15

b) Beteiligter Mit dem Ziel, sämtliche denkbaren Anfechtungs- und Haftungskonstellationen zu erfassen, erklärt § 89 Abs. 1 die Kenntnis eines jedweden an der Rechtshandlung Beteiligten für unbeachtlich, wenn allein auf ihrer Grundlage ein sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung oder eine vorsätzlich gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung angenommen werden soll. Die gesetzliche Formulierung adressiert damit sowohl den Schuldner als auch den Anspruchsgegner und trägt damit dem Vorsichtsprinzip Rechnung. Es hätte zwar eigentlich genügt, die Kenntnis des (potentiellen) Anfechtungs- oder Haftungsschuldners für unbeachtlich zu erklären. Denn selbst wenn der Schuldner mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehandelt hat, ist eine Anfechtung nur erfolgreich, wenn der andere Teil auch hiervon gewusst hat.29) Dasselbe gilt im deliktischen Umfeld, wo potentielle Anspruchsgegner ohne relevante Kenntnis der gläubigerbenachteiligenden Umstände ebenso wenig in Anspruch genommen werden können.30) Es ist aber sicherer, den subjektiven Tatbestand der relevanten Normen insgesamt zu adressieren und vorsichtshalber sämtliche Beteiligte in den Blick zu nehmen.

16

Erfasst sind damit auch die organschaftlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertreter der Parteien, deren Wissen der jeweiligen Partei als eigenes (§ 31 BGB analog) oder zumindest als fremdes (§ 166 Abs. 2 BGB analog) zugerechnet wird.

17

Im deliktischen Kontext ist der Beteiligtenkreis weiter zu ziehen und umfasst grundsätzlich sämtliche Personen, die als Täter i. S. von § 826 BGB, Mittäter i. S. des §§ 826, 830 Abs. 1 BGB, aber auch als Anstifter oder Gehilfe (§ 830 Abs. 2 BGB) in Betracht kommen. Erfasst sind hier vor allem die involvierten Kreditinstitute,31) daneben die Geschäftspartner, die Organwalter, die Berater und die Wirtschaftsprüfer des Schuldners sowie sämtliche anderen mit der Restrukturierung Befassten.

18

c) Kenntnis Die Kenntnis des Beteiligten muss sich auf die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens beziehen. Das Tatbestandsmerkmal ist weit zu verstehen. Insbesondere hängt die Privilegierung nicht davon ab, wie der Beteiligte Kenntnis erlangt hat. Dass unterstützungswillige Geschäftspartner des Schuldners oftmals mehr _____________ 29) Vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 22.10.2020 – IX ZR 208/18, Rz. 27, NZI 2021, 26 = NZG 2021, 81, dazu EWiR 2020, 723 (Bork); BGH, Urt. v. 17.9.2020 – IX ZR 174/19, Rz. 16, NZI 2020, 1101, m. Anm. Huber, dazu EWiR 2020, 661 (Jacoby); Bork, ZInsO 2020, 2177, 2181. 30) Das folgt schon aus dem erforderlichen Schädigungsvorsatz bei § 826 BGB, vgl. BGH, Urt. v. 14.6.2000 – VIII ZR 218/99, NJW 2000, 2896, 2897; allgemein dazu ErmanWilhelmi, BGB, § 826 Rz. 14 f., 34; Staudinger-Oechsler, BGB, § 826 Rz. 352, 356. 31) Ausführlich Erman-Wilhelmi, BGB, § 826 Rz. 31 ff.; Staudinger-Oechsler, BGB, § 826 Rz. 352 ff.

Bork

1195

19

§ 89

Rechtshandlungen

oder weniger gezwungenermaßen von der Rechtshängigkeit des Restrukturierungsverfahrens erfahren, soll ihnen deshalb rückwirkend nicht zum Nachteil gereichen.32) 20

Erst recht erfasst ist demnach die fahrlässige Unkenntnis des anderen Teils von der Rechtshängigkeit bzw. der Inanspruchnahme der Restrukturierungsinstrumente: Wenn schon die Kenntnis als Indiz unberücksichtigt bleibt, dann erst recht die fahrlässige Unkenntnis. Das ist insofern von Bedeutung, als der BGH der Kenntnis von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit in ständiger Rechtsprechung die Kenntnis von Umständen gleichstellt, die bei zutreffender rechtlicher Beurteilung zwingend und zweifelsfrei auf eine drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit schließen lassen.33)

21

Im Fokus stehen dürfte die Kenntnis von der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache. Rechtshängig wird die Restrukturierungssache mit Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim Restrukturierungsgericht (§ 31 Abs. 3); siehe oben Rz. 14). § 89 Abs. 1 erfasst insofern sowohl den Fall, dass der Beteiligte positive Kenntnis von der Anzeige erlangt hat – sei es, weil sie ihm vom Schuldner offengelegt wurde, sei es, weil er hiervon vom Gericht, aus der Presse oder von Dritten erfahren hat –, als auch den Fall, dass er aus den ihm bekannten Umständen auf die Anzeige hätte schließen müssen. Für den Schuldner selbst stellt sich diese Frage ohnehin nicht; er hat in jedem Fall positive Kenntnis von der Rechtshängigkeit des von ihm selbst mit der Anzeige eingeleiteten Verfahrens.

22

Das Gleiche gilt sinngemäß für die Kenntnis der Inanspruchnahme der Instrumente. Ihre Erwähnung in § 89 Abs. 1 dient lediglich der Klarstellung und Absicherung des Anfechtungs- und Haftungsprivilegs. Weiß ein geschäftskundiger Beteiligter von der Inanspruchnahme der einschlägigen Instrumente, kann er in aller Regel auf die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache schließen, da diese gemäß § 31 Abs. 1 zwingende Voraussetzung für die Inanspruchnahme ist (siehe oben Rz. 14).

23

Die drohende Zahlungsunfähigkeit (zu Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung siehe unten Rz. 33) ist gemäß § 29 Abs. 1 zwingende Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Restrukturierungsinstrumente. Kennt der Anspruchsgegner nur die drohende Zahlungsunfähigkeit, aber nicht die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder die Inanspruchnahme der Instrumente des § 29 Abs. 2, kommt ihm die Privilegierung des § 89 Abs. 1 nicht zugute. Dasselbe gilt für Rechtshandlungen, die außerhalb des oben beschriebenen Anwendungsbereichs liegen (siehe Rz. 13). Umgekehrt gilt aber, dass die nach § 89 Abs. 1 relevante Kenntnis auch den Rückgriff _____________ 32) Vgl. auch Begr. RegE SanInsFoG z. §§ 96 ff. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 181. 33) Vgl. nur BGH, Urt. v. 22.6.2017 – IX ZR 111/14, Rz. 18, NZI 2017, 718 = ZInsO 2017, 1616, dazu EWiR 2017, 637 (Breitenströter-Brüggemann); BGH, Urt. v. 9.6.2016 – IX ZR 174/15, Rz. 17, NZI 2016, 736 = ZIP 2016, 1348, dazu EWiR 2016, 537 (Huber); BGH, Urt. v. 21.1.2016 – IX ZR 32/14, Rz. 21, NZI 2016, 222 = ZIP 2016, 481, dazu EWiR 2016, 345 (Egerlandt); BGH, Urt. v. 17.12.2015 – IX ZR 61/14, Rz. 23, NZI 2016, 134 = ZIP 2016, 173, dazu EWiR 2016, 175 (Laroche); BGH, Urt. v. 8.1.2015 – IX ZR 203/12, Rz. 25, NZI 2015, 369 = ZIP 2015, 437, dazu EWiR 2015, 323 (Vosberg); BGH, Urt. v. 24.1.2013 – IX ZR 11/12, Rz. 28, NZI 2013, 249 = ZIP 2013, 371, dazu EWiR 2013, 391 (Luttmann); BGH, Urt. v. 10.1.2013 – IX ZR 13/12, Rz. 25, NJW 2013, 611 = ZInsO 2013, 179, dazu EWiR 2013, 123 (Römermann).

1196

Bork

§ 89

Rechtshandlungen

auf das Indiz der drohenden Zahlungsunfähigkeit ausschließt, da beide notwendig miteinander verknüpft sind. Das wirkt sich vor allem auf der Schuldnerseite aus, da der Schuldner die in Absatz 1 angesprochene Kenntnis ohne weiteres hat (siehe oben Rz. 21]. 2.

Rechtsfolge

Regelungstechnisch wirkt § 89 Abs. 1 ähnlich wie § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO: Kraft gesetzlicher Anordnung darf ein bestimmtes Indiz – die Kenntnis eines Beteiligten – bei der Ermittlung des subjektiven Tatbestands der Vorsatzanfechtung bzw. i. R. der Insolvenzverschleppungshaftung34) nicht (ohne weiteres, siehe unten Rz. 26) berücksichtigt werden.35) § 89 Abs. 1 schließt eine Vorsatzanfechtung oder deliktische Inhaftungnahme mithin nicht pauschal aus, sondern greift lediglich in die Ermittlung des subjektiven Tatbestands ein.36)

24

a) Irrelevanz Im anfechtungsrechtlichen Kontext kann die entsprechende Kenntnis der oder des Beteiligten nicht als alleiniges Indiz für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners oder dessen Kenntnis durch den anderen Teil herangezogen werden. § 89 Abs. 1 verhindert damit zum einen, dass die Kenntnis vom rechtshängigen Restrukturierungsverfahren als „neues“ Beweisanzeichen für die Annahme des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes bzw. der Kenntnis von diesem Vorsatz herangezogen wird. Zugleich nimmt er unter den oben (siehe Rz. 23) angesprochenen Voraussetzungen auch dem gefestigten Beweisanzeichen der drohenden Zahlungsunfähigkeit den Wind aus den Segeln und statuiert dadurch ein weitreichendes Anfechtungsund Haftungsprivileg, das über das richterrechtlich entwickelte und als Gegenindiz ausgestaltete Sanierungsprivileg37) deutlich hinausgeht. Unerheblich ist insoweit etwa, ob das gemäß § 31 Abs. 2 mit der Anzeige vorzulegende Restrukturierungs-

_____________ 34) 35) 36) 37)

Näher dazu Braun-Tashiro, StaRUG, § 89 Rz. 14 ff. Bork, ZInsO 2020, 2177, 2178. Bork, ZInsO 2020, 2177, 2178; Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 876. Vgl. BGH, Urt. v. 14.6.2018 – IX ZR 22/15, Rz. 9 f., NZI 2018, 840 = ZIP 2018, 1794 m. w. N., dazu EWiR 2018, 755 (Egerlandt); BGH, Urt. v. 17.11.2016 – IX ZR 65/15, Rz. 31, NZI 2017, 64 = ZIP 2016, 2423, dazu EWiR 2017, 115 (Opp); BGH, Urt. v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, Rz. 14, BGHZ 210, 249 = NZI 2016, 636, dazu EWiR 2016, 403 (Jacoby); BGH, Urt. v. 17.12.2015 – IX ZR 61/14, Rz. 32 ff., NZI 2016, 134 = ZIP 2016, 173, dazu EWiR 2016, 175 (Laroche); BGH, Urt. v. 10.7.2014 – IX ZR 192/13, Rz. 43, NZI 2014, 775 = ZIP 2014, 1491, dazu EWiR 2014, 561 (Ries); BGH, Urt. v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, Rz. 11, NZI 2013, 500 = NZG 2013, 827, dazu EWiR 2013, 555 (Hölzle); BGH, Urt. v. 10.1.2013 – IX ZR 13/12, Rz. 17, NJW 2013, 611 = ZInsO 2013, 179, dazu EWiR 2013, 123 (Römermann); BGH, Urt. v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09, Rz. 11, NZI 2012, 142 = ZIP 2012, 137, dazu EWiR 2012, 147 (Freudenberg); BGH, Urt. v. 5.3.2009 – IX ZR 85/07, Rz. 17, BGHZ 180, 98 = NZI 2009, 372, dazu EWiR 2009, 485 (Wallner); BGH, Urt. v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04, Rz. 18, NZI 2007, 517 = ZIP 2007, 1469; BGH, Urt. v. 1.4.2004 – IX ZR 305/00, NZI 2004, 376, 378 = ZIP 2004, 957, 959, dazu EWiR 2004, 933 (Huber); BGH, Urt. v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1198, 1641, 1563 f. = ZIP 1998, 248, 251; OLG Dresden, Urt. v. 3.12.2009 – 8 U 305/09, NZI 2010, 104.

Bork

1197

25

§ 89

Rechtshandlungen

konzept bereits in den Anfängen in die Tat umgesetzt ist.38) Auch, ob es überhaupt ernsthafte Erfolgsaussichten vermittelt, ist nur unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 relevant, hindert also nicht die Rechtshängigkeit, sondern kann allenfalls zur Aufhebung der Restrukturierungssache führen.39) b) „alleinig“ 26

Allerdings besteht nach § 89 Abs. 1 für das Indiz der Kenntnis von der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder der Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens kein generelles Verwertungsverbot. Es ist vielmehr nur dann irrelevant, wenn es das einzige Indiz zur Annahme eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners oder eines sittenwidrigen Beitrags zur Insolvenzverschleppung darstellt. Möglich bleibt daher eine Vorsatzanfechtung oder Inhaftungnahme der Beteiligten, wenn die Annahme des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes bzw. der sittenwidrigen Insolvenzverschleppung auf mindestens einem weiteren Indiz beruht. Das folgt unmittelbar aus dem Wortlaut der Norm, der lediglich vor einer Anfechtung/Inhaftungnahme schützt, die „allein“ auf die

_____________ 38) Wirklich überzeugen kann dieses vom BGH aufgestellte Kriterium (zuletzt BGH, Urt. v. 14.6.2018 – IX ZR 22/15, Rz. 10, NZI 2018, 840 = ZIP 2018, 1794 m. w. N., dazu EWiR 2018, 755 [Egerlandt]) ohnehin nicht. Die Anfechtbarkeit von Vorbereitungs- oder anderen Maßnahmen, die in das Anfangsstadium einer Sanierung fallen, kann bei Vorliegen eines akzeptablen Sanierungsgutachtens bzw. -konzepts nicht davon abhängen, welche Maßnahme zuerst umgesetzt wurde. So auch noch BGH, Urt. v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561, 1654 = ZIP 1998, 248, 252; vgl. zudem Bork in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 17 Rz. 51 (dort Fn. 69); Bork in: FS Runkel, S. 246; hierzu auch Raupach in: BeckOK-InsO, § 133 Rz. 20.1. 39) Unrichtig ist deshalb die Auffassung des Gesetzgebers, es handele sich bei § 89 nur um eine Klarstellung der bisherigen Rechtslage (vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. §§ 96 ff. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 181; zust. Desch-Biendl, Das neue Restrukturierungsrecht, § 1 Rz. 42; Madaus, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 35, 37; wie hier Gehrlein, BB 2021, 66, 75, 77; Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 874). Tatsächlich kann außerhalb dieser Norm schon die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit, die ihrerseits Voraussetzung für die Einleitung des Restrukturierungsverfahrens ist, genügen, um den subjektiven Tatbestand des § 133 Abs. 1 InsO zu indizieren, jedenfalls solange das Gegenindiz der Leistung i. R. eines ernsthaften Sanierungsversuchs auf der Grundlage eines schlüssigen, von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgehenden Sanierungskonzepts nicht verwirklicht ist, vgl. BGH, Urt. v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, Rz. 14 ff., 21 ff., BGHZ 210, 249 = NZI 2016, 636, dazu EWiR 2016, 403 (Jacoby); BGH, Urt. v. 5.3.2009 – IX ZR 85/07, Rz. 10, BGHZ 180, 98 = NZI 2009, 372, dazu EWiR 2009, 485 (Wallner); BGH, Urt. v. 29.11.2007 – IX ZR 121/06, Rz. 32, BGHZ 174, 314 = NZI 2008, 167, dazu EWiR 2008, 539 (Göb); BGH, Urt. v. 13.4.2006 – IX ZR 158/05, Rz. 14, BGHZ 167, 190 = NJW 2006, 2701, dazu EWiR 2007, 117 (Pape); BGH, Urt. v. 7.5.2020 – IX ZR 18/19, Rz. 9, 12, ZRI 2020, 350 = NZI 2020, 682, m. Anm. Schubert, dazu EWiR 2020, 529 (Mitlehner); BGH, Urt. v. 30.4.2020 – IX ZR 162/16, Rz. 52 f., ZRI 2020, 361 = NJW 2020, 2399, dazu EWiR 2020, 401 (Bork); BGH, Beschl. v. 5.3.2020 – IX ZR 171/18, Rz. 10, ZRI 2020, 265 = NZI 2020, 520; BGH, Beschl. v. 12.9.2019 – IX ZR 342/18, Rz. 8, ZRI 2020, 82 = NZI 2019, 850; BGH, Urt. v. 19.9.2019 – IX ZR 148/18, Rz. 14, ZRI 2020, 43 = NZG 2020, 25, dazu EWiR 2020, 47 (Jakobs); BGH, Urt. v. 21.11.2019 – IX ZR 238/18, Rz. 23, NZI 2020 170 = WM 2020, 100; BGH, Urt. v. 12.9.2019 – IX ZR 264/18, Rz. 29, NZI 2019, 851 = ZIP 2019, 1921; BGH, Urt. v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, Rz. 11, NZI 2013, 500 = NZG 2013, 827, dazu EWiR 2013, 555 (Hölzle).

1198

Bork

§ 89

Rechtshandlungen

Kenntnis der Rechtshängigkeit des Verfahrens oder der Instrumenteninanspruchnahme gestützt werden kann. Diese – gerade im Vergleich zu § 90 – erhebliche Einschränkung des Privilegs erlaubt den Rückgriff auf die in der Praxis über Jahrzehnte herausgebildeten weiteren Beweisanzeichen für einen Benachteiligungsvorsatz und dessen Kenntnis durch den anderen Teil. Hierzu zählen u. a. die Inkongruenz der Schuldnerleistung bei ernsthaften Zweifeln an der Liquidität des Schuldners,40) die unmittelbar benachteiligende Wirkung für die Gläubiger,41) die nachteilige Vereinbarung für den Insolvenzfall42) oder das Näheverhältnis zwischen Schuldner und Anfechtungsgegner43). Das Indiz der bekannten Zahlungsunfähigkeit ist in § 89 Abs. 2 gesondert geregelt (siehe unten Rz. 33). Unberücksichtigt bleiben muss aber die Kenntnis aller sonstigen Umstände, die zwingend mit der Rechtshängigkeit etc. einhergehen.44) Nicht ausreichen dürfte es daher, dem anderen Teil neben seiner Kenntnis der drohenden Vermögensunzulänglichkeit des Schuldners anzulasten, zwingend von der benachteiligenden Wirkung weiterer Vermögensabflüsse gewusst haben zu müssen.45) Schließlich tritt dieser Umstand regelmäßig nicht neben die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit, wie es Sinn und Zweck des § 89 Abs. 1 erfordern, sondern wird unmittelbar aus dieser abgeleitet.

27

Insoweit obliegt es dem Prozessgericht, sich i. R. der vorzunehmenden Gesamtwürdigung (§ 286 ZPO) unter Einbeziehung sämtlicher einschlägiger Beweisanzeichen

28

_____________ 40) BGH, Urt. v. 20.4.2017 – IX ZR 252/16, Rz. 24, BGHZ 214, 350 = NJW 2017, 2199, dazu EWiR 2017, 403 (Jacoby); BGH, Urt. v. 17.9.2020 – IX ZR 174/19, Rz. 18, NZI 2020, 1101, m. Anm. Huber, dazu EWiR 2020, 661 (Jacoby); BGH, Urt. v. 10.7.2014 – IX ZR 50/12, Rz. 11, NZI 2014, 811 = WM 2014, 1586, dazu EWiR 2014, 625 (Huber). 41) BGH, Urt. v. 17.9.2020 – IX ZR 174/19, Rz. 18, NZI 2020, 1101, m. Anm. Huber, dazu EWiR 2020, 661 (Jacoby); BGH, Urt. v. 16.4.2015 – IX ZR 68/14, Rz. 20, NZI 2015, 654 = WM 2015, 1335; BGH, Urt. v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561, 1563 = ZIP 1998, 248. Allerdings kann die unmittelbare Benachteiligung – wie auch die Unentgeltlichkeit der Leistung – nur im Zusammenwirken mit anderen Umständen den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und dessen Kenntnis indizieren, was sich schon aus dem Verhältnis des § 133 Abs. 1 InsO zu § 129 Abs. 1 InsO und § 134 InsO ergibt, eingehend Kübler/ Prütting/Bork-Bork, InsO, § 133 Rz. 52 f. 42) BGH, Urt. v. 7.11.2013 – IX ZR 248/12, Rz. 15, NJW 2014, 467 = ZIP 2013, 2368, dazu EWiR 2013, 781 (Huber); BGH, Beschl. v. 26.4.2012 – IX ZR 73/11, Rz. 8, WM 2012, 1079 = ZInsO 2012, 971; BGH, Urt. v. 19.4.2007 – IX ZR 59/06, Rz. 27, NZI 2007, 462 = NJW 2007, 2325. 43) BGH, Urt. v. 17.9.2020 – IX ZR 174/19, Rz. 18, NZI 2020, 1101, m. Anm. Huber, dazu EWiR 2020, 661 (Jacoby); BGH, Urt. v. 22.12.2016 – IX ZR 94/14, Rz. 18, NZI 2017, 358 = NZG 2018, 191, dazu EWiR 2017, 309 (Tillmann); BGH, Urt. v. 16.4.2015 – IX ZR 68/14, Rz. 20, NZI 2015, 654 = WM 2015, 1335; BGH, Urt. v. 10.7.2014 – IX ZR 50/12, Rz. 11, NZI 2014, 811 = WM 2014, 1586, dazu EWiR 2014, 625 (Huber). 44) Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 875. 45) So aber grundsätzlich (außerhalb des Restrukturierungsverfahrens) der BGH, vgl. BGH, Urt. v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, Rz. 22, BGHZ 210, 249 = NZI 2016, 636, dazu EWiR 2016, 403 (Jacoby); BGH, Urt. v. 7.5.2020 – IX ZR 18/19, Rz. 21, ZIP 2020, 1191 = NZI 2020, 682, m. Anm. Schubert, dazu EWiR 2020, 529 (Mitlehner); BGH, Urt. v. 4.5.2017 – IX ZR 285/16, Rz. 8, NZI 2017, 620, m. Anm. Riewe = NZG 2018, 72, dazu EWiR 2017, 433 (Huber); BGH, Urt. v. 18.1.2018 – IX ZR 144/16, Rz. 10, NZI 2018, 264 = ZIP 2018, 432; Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 133 Rz. 84.

Bork

1199

§ 89

Rechtshandlungen

und Erfahrungswerte eine eigene Überzeugung davon zu bilden, ob mindestens ein weiteres Beweisanzeichen gegeben ist, das die Annahme eines Benachteiligungsvorsatzes und dessen Kenntnis durch den anderen Teil rechtfertigt.46) Dabei muss das Gericht die Kenntnis von der Rechtshängigkeit des Restrukturierungsverfahrens oder der Inanspruchnahme seiner Instrumente nicht ausklammern.47) Im Gegenteil: Da kein generelles Verwertungsverbot besteht (siehe oben Rz. 26), kann die festgestellte Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit bzw. des rechtshängigen Restrukturierungsverfahrens im Verbund mit weiteren Beweisanzeichen uneingeschränkt in die Überzeugungsfindung des Gerichts einfließen und deren Ergebnis (zusätzlich) stützen. Selbst wenn mehrere Beweisanzeichen zusammentreffen, kann ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz jedoch auch künftig noch abzulehnen sein, wenn die infrage stehende Rechtshandlung i. R. eines ernsthaften und erfolgversprechenden Sanierungsversuchs erfolgt ist. Maßgebend ist dann allerdings nicht § 89, sondern der Maßstab des zur Eindämmung des § 133 Abs. 1 InsO entwickelten Sanierungsprivilegs.48) c) Auswirkungen auf die Anfechtungstatbestände 29

Im Anfechtungsrecht wirkt sich § 89 Abs. 1 ausschließlich auf die Vorsatzanfechtung des § 133 Abs. 1 InsO aus. Das wird schon dadurch unterstrichen, dass die Norm ausdrücklich auf die Annahme eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes abstellt, der nur von der Vorsatzanfechtung unmittelbar vorausgesetzt wird.

30

§ 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO ist demgegenüber schon deshalb nicht betroffen, weil er an die eingetretene und nicht schon an die lediglich drohende Zahlungsunfähigkeit anknüpft, die den Schuldner mit Zugang zu den Restrukturierungsinstrumenten des StaRUG auszeichnet (§ 29 Abs. 1).49) Eingeschränkt wird die Kongruenzanfechtung lediglich in dem seltenen Fall, dass das Restrukturierungsverfahren trotz mittlerweile eingetretener Zahlungsunfähigkeit des Schuldners fortgesetzt wird, allerdings auch dann nur unter den in § 89 Abs. 2 verankerten Bedingungen50) (siehe unten Rz. 40).

31

Keine Auswirkungen hat das Restrukturierungsverfahren auf die Anfechtungstatbestände der §§ 131, 132, 134, 135 InsO.51) Wenngleich sie schon gar nicht an einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners anknüpfen,52) erfordern sie mit der Inkongruenz der Leistung, der unmittelbar benachteiligenden Wirkung des Rechts_____________ 46) BGH, Urt. v. 22.10.2020 – IX ZR 208/18, Rz. 27, NZG 2021, 81 = ZIP 2020, 2348; BGH, Urt. v. 13.8.2009 – IX ZR 159/06, Rz. 8, NZI 2009, 768 = ZIP 2009, 1966; Kayser/Freudenberg in: MünchKomm-InsO, § 133 Rz. 27; Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 133 Rz. 61. 47) Desch-Biendl, Das neue Restrukturierungsrecht, § 10 Rz. 43; Hölzle/Curtze, ZIP 2021, 1293, 1301; Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 875; Thole, ZIP 2020, 1985, 1998. – A. A. Madaus, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 35, 37. 48) An dieser Stelle wird das Sanierungsprivileg (dazu oben Fn. 38) mithin unverändert Anwendung und Bedeutung erfahren, vgl. auch Gehrlein, BB 2021, 66, 78; Desch, BB 2020, 2498, 2506. 49) Gehrlein, BB 2021, 66, 77; Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 874. 50) Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 876. – A. A. Hölzle/Curtze, ZIP 2021, 1293, 1301. 51) Vgl. auch Gehrlein, BB 2021, 66, 77 f.; Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 874. 52) Ebenso (mit Blick auf § 131 Abs. 1 InsO) Schmittmann, ZRI 2020, 649, 659.

1200

Bork

§ 89

Rechtshandlungen

geschäfts, seiner Unentgeltlichkeit oder der Gesellschafterstellung des anderen Teils jedenfalls stets einen hinreichenden zusätzlichen Umstand i. S. des § 89 Abs. 1. Unberührt bleibt aus demselben Grund die Vermutungsregelung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO. Denn im Umkehrschluss zu § 133 Abs. 3 Satz 1 InsO greift ihre Beweislastumkehr bei drohender Zahlungsunfähigkeit ohnehin nur, wenn die Leistung inkongruent erfolgt ist. Dann aber lässt sich – wie gesehen – auch der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz annehmen, weil er eben zusätzlich auf die Inkongruenz der Deckung gestützt werden kann. Es spricht nichts dagegen, dem anderen Teil in dieser Konstellation auch künftig aufzugeben, seine vermutete Kenntnis des Vorsatzes zu widerlegen, wenn er im Wissen um die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder die Inanspruchnahme der Restrukturierungsinstrumente eine inkongruente Deckung erhalten hat.53)

32

VI. Kenntnis der Insolvenzreife (Abs. 2) § 89 Abs. 2 enthält eine Verlängerung des Absatzes 1. Die Norm erstreckt den gewährten Schutz auf den (voraussichtlich seltenen)54) Fall, dass das Gericht die Restrukturierungssache trotz zwischenzeitlicher Anzeige der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung55) des Schuldners nicht aufhebt und die Beteiligten im maßgeblichen Zeitpunkt Kenntnis der Insolvenzreife hatten. Dahinter steht die Überlegung, dass es widersinnig wäre, die Beteiligten einem höheren Haftungs- und Anfechtungsrisiko auszusetzen als seit Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache, wenn das Gericht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass eine Beendigung der Restrukturierungssache und damit auch der fortgesetzten, ordnungsgemäßen Geschäftsbeziehungen gerade nicht im Interesse der Gläubigergesamtheit liegt.56) 1.

33

Tatbestand des Absatzes 2

§ 89 Abs. 2 setzt voraus, dass das Restrukturierungsgericht eine rechtshängige Restrukturierungssache gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 nicht aufgehoben hat, obwohl der Schuldner gemäß § 32 Abs. 3 den Eintritt seiner materiellen Insolvenz angezeigt hat.

34

a) Anzeige der materiellen Insolvenz Erste Voraussetzung des Anfechtungs- und Haftungsprivilegs in § 89 Abs. 2 ist die Anzeige der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Zu dieser Anzeige ist der Schuldner nach § 32 Abs. 3 verpflichtet. Dieselbe Verpflichtung trifft bei juristischen Personen und Verbänden ohne natürliche Person als Vollhafter (§ 15a _____________ 53) Abhilfe schaffen kann auch hier in erster Linie das Sanierungsprivileg (s. oben Fn. 38), vgl. BGH, Urt. v. 5.3.2009 – IX ZR 85/07, Rz. 17, BGHZ 180, 98 = NZI 2009, 372, dazu EWiR 2009, 485 (Wallner); BGH, Urt. v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04, Rz. 18, NZI 2007, 517 = WM 2007, 1616. 54) Begr. RegE SanInsFoG z. §§ 96 ff. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 181; Desch, BB 2020, 2498, 2506; Thole, ZIP 2020, 1985, 1999. 55) Der Eintritt der Überschuldung ist allerdings nur dann verpflichtend anzuzeigen, wenn es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit handelt, für deren Verbindlichkeiten keine natürliche Person als unmittelbarer oder mittelbarer Gesellschafter haftet, § 32 Abs. 3 Satz 2. 56) Begr. RegE SanInsFoG z. § 96 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 182.

Bork

1201

35

§ 89

Rechtshandlungen

Abs. 1 InsO) die antragspflichtigen Geschäftsleiter nach § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG.57) § 89 Abs. 2 fragt indessen weder nach der Rechtsgrundlage der Anzeige noch nach ihrem Urheber. Auch für die Entscheidung nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ist die Anzeige des Schuldners nach § 32 Abs. 3 nur der Regelfall, da es nach dem Wortlaut genügt, dass das Restrukturierungsgericht irgendwie von der materiellen Insolvenz erfahren hat, also z. B. durch eine Anzeige der Geschäftsleiter. Da diese freilich in aller Regel im Namen der Gesellschaft handeln werden, ergibt sich in der Praxis kein Unterschied. b) Restrukturierungssache nicht aufgehoben 36

Allerdings genügt die Anzeige allein nicht, um das Anfechtungsprivileg des § 89 Abs. 2 auszulösen. Ungehindert weiter am Geschäftsverkehr teilnehmen darf der Schuldner nämlich erst, wenn das Gericht sich trotz seiner angezeigten materiellen Insolvenz gegen eine Aufhebung der Restrukturierungssache entscheidet. Erst wenn beide Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind, gilt das zu Absatz 1 Gesagte auch für das nochmals gewichtigere Beweisanzeichen der Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners. Hat also bspw. der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit angezeigt und sodann an einen existenziell wichtigen Gläubiger, der die Anzeige kennt, auf dessen Drängeln gezahlt, dann gilt mangels Entscheidung des Gerichts nicht § 89 Abs. 2, sondern Absatz 1.58) Bei dessen Anwendung tritt aber neben die Kenntnis der Rechtshängigkeit ein weiteres Indiz für den subjektiven Tatbestand des § 133 InsO, nämlich die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit,59) so dass auf die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners geschlossen werden kann.

37

Erforderlich ist zusätzlich eine Entscheidung des Restrukturierungsgerichts nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 die Restrukturierungssache trotz materieller Insolvenz des Schuldners nicht aufzuheben.60) In der Praxis dürfte das freilich die Ausnahme sein.61) Letztlich liegt es allerdings im Ermessen des Gerichts, von der Aufhebung abzusehen.

38

§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 nennt in den Halbsätzen 2 und 3 zwei Fälle, in denen das Gericht von der Aufhebung der Restrukturierungssache absehen kann. Zulässig ist eine solche Entscheidung zum einen, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit Blick auf den erreichten Stand in der Restrukturierungssache offensichtlich nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen würde. Zum anderen kann das Gericht von einer Aufhebung absehen, wenn die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung aus der Kündigung oder sonstigen Fälligstellung einer Forderung resultiert, die nach dem angezeigten Restrukturierungskonzept einer Gestaltung durch _____________ 57) § 42 Abs. 1 ersetzt insoweit für die Dauer des rechtshängigen Restrukturierungsverfahrens die Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO, näher dazu Gehrlein, BB 2021, 66, 75. 58) Für Rückwirkung aber Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 877. 59) Dazu grundlegend BGH, Urt. v. 6.5.2021 – IX ZR 72/20 Rz. 30 ff., ZRI 2021, 645. 60) Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 876. 61) Begr. RegE SanInsFoG z. §§ 96 ff. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 181; Desch, BB 2020, 2498, 2506; Gehrlein, BB 2021, 66, 75; Schluck-Amend/Hefner, ZRI 2020, 570, 581; Thole, ZIP 2020, 1985, 1999.

1202

Bork

§ 89

Rechtshandlungen

den Plan unterworfen werden soll, sofern die Erreichung des Restrukturierungsziels überwiegend wahrscheinlich ist. Nimmt der materiell insolvente Schuldner mit der ausdrücklichen Billigung des über die Gläubigerinteressen wachenden Gerichts weiterhin am Geschäftsverkehr teil, kann dieser Umstand später nicht zur Grundlage einer Vorsatzanfechtung oder Insolvenzverschleppungshaftung gemacht werden. Fraglich ist, ob die Privilegierung auch dann eingreift, wenn das Gericht die Restrukturierungssache gemäß § 33 Abs. 3 i. V. m. § 59 Abs. 4 nur deshalb (noch) nicht aufhebt, um mithilfe einer fortdauernden Stabilisierungsanordnung im Interesse der Gläubigergesamtheit einen geordneten Übergang ins Insolvenzverfahren zu gewährleisten. Innerhalb dieser maximal drei Wochen andauernden Überleitungsphase dürfte – mit Blick auf das bevorstehende Insolvenzverfahren – aus Sicht der Gläubigergesamtheit der Erhalt der haftenden Vermögensmasse im Vordergrund stehen. Der Privilegierungszweck des § 89 Abs. 2 rückt dagegen mit dem offensichtlichen Scheitern des Restrukturierungsvorhabens in den Hintergrund. Der Wortlaut der Vorschrift ist insoweit zwar nicht eindeutig. Es lässt sich aber vermuten, dass der Gesetzgeber die Privilegierung in erster Linie an die gerichtlichen Erwägungen zum Gläubigerinteresse i. R. des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 knüpfen wollte. Soll sich das Gericht bei materieller Insolvenz des Schuldners allerdings nur im Ausnahmefall gegen eine Aufhebung der Restrukturierungssache entscheiden, sprechen die besseren Gründe dafür, § 89 Abs. 2 dann auch nur in dem Fall anzuwenden, dass das Gericht die Fortsetzung des Verfahrens ausdrücklich für vorzugswürdig erklärt. Ist die Aufhebung dagegen beschlossene Sache und gemäß § 33 Abs. 3 i. V. m. § 59 Abs. 4 lediglich aufgeschoben, können sich die Geschäftspartner nicht mehr auf das allgemeine Gläubigerinteresse an einer fortgesetzten Privilegierung gläubigerbenachteiligender(!) Geschäfte berufen. 2.

39

Rechtsfolge des Absatzes 2

Liegen die eben genannten Voraussetzungen vor, bleibt die Kenntnis der Beteiligten von der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners i. R. eines späteren Anfechtungs- oder Haftungsprozesses bei der Ermittlung des subjektiven Tatbestands grundsätzlich außer Betracht. Die gerichtlich gebilligte Fortsetzung des Restrukturierungsvorhabens über den Eintritt der Insolvenzreife hinaus kann den Beteiligten im Nachhinein nicht anfechtungs- oder haftungsrechtlich zur Last gelegt werden. Geschützt wird der andere Teil dadurch nicht nur vor einer Vorsatzanfechtung – wie bei § 89 Abs. 1 –, sondern darüber hinaus auch vor einer Kongruenzanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO (siehe oben Rz. 29 f.). Hingegen bleiben alle anderen Anfechtungstatbestände unberührt.62)

40

Unbeachtlich bleibt § 89 Abs. 2 hingegen auch hier, sobald weitere Umstände und Beweisanzeichen zur entsprechenden Kenntnis der materiellen Insolvenz hinzutreten. Dasselbe gilt, wenn die infrage stehende Rechtshandlung vor der Entscheidung des Restrukturierungsgerichts über die Aufhebung oder nach Beendigung des Restrukturierungsverfahrens erfolgt ist.63)

41

_____________ 62) Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 876. 63) Für Rückwirkung hingegen Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 877; s. o. Fn. 57.

Bork

1203

§ 89 VII. 42

Zahlungen nach Anzeige der materiellen Insolvenz (Abs. 3)

Abgesichert wird der Anfechtungsschutz des § 89 Abs. 2 durch notwendige Anpassungen beim nunmehr in § 15b InsO zusammengefassten Zahlungsverbot.64) Dahinter steht der Gedanke, dass es kaum zielführend wäre, etwaige Restrukturierungsbemühungen über den Eintritt der materiellen Insolvenz hinaus anfechtungs- und haftungsrechtlich zu privilegieren (§ 89 Abs. 2), die Geschäftsleiter des Schuldners aber der Haftung aus § 15b InsO zu unterwerfen.65) Deshalb privilegiert die Norm Zahlungen nach Anzeige der materiellen Insolvenz, sofern sie im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen. Sie gelten – im Wege einer gesetzlichen Fiktion, wenngleich unter dem Vorbehalt des § 89 Abs. 3 Satz 2 – gemäß § 89 Abs. 3 Satz 1 als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar (§ 15b Abs. 1 Satz 2 InsO). 1.

43

Rechtshandlungen

Tatbestand des Absatzes 3

Der Tatbestand des § 89 Abs. 3 knüpft zunächst an Absatz 2 an, indem er die Anzeige der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung66) zur Voraussetzung erhebt. Privilegiert werden aber grundsätzlich nur Zahlungen, die bis zur Aufhebung der Restrukturierungssache (siehe i. E. oben Rz. 36 ff.) im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere, wenn sie zur Fortführung der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit oder zur Vorbereitung und Umsetzung des angezeigten Restrukturierungsvorhabens erforderlich sind. a) Zahlungszeitraum

44

§ 89 Abs. 3 Satz 1 privilegiert nur solche Zahlungen, die zwischen der Anzeige der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung und der Aufhebung der Restrukturierungssache geleistet werden. Gegenüber § 89 Abs. 2 setzt der Schutz des Absatz 3 früher ein, und zwar mit der verpflichtenden Anzeige selbst (§ 32 Abs. 3), nicht erst mit der Entscheidung des Gerichts über die Aufhebung bzw. Fortsetzung der Restrukturierungssache.

45

Zeigen die Geschäftsleiter den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung nicht an, greift auch die Privilegierung des § 89 Abs. 3 Satz 1 nicht ein.67) Nicht privilegiert sind damit auch Zahlungen, die nach Eintritt der materiellen Insolvenz, aber vor der Anzeige erfolgen. Ob solche – vermutlich seltenen – Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar sind, muss dann anhand der allgemeinen Regeln des § 15b InsO festgestellt werden. Auch hier werden freilich Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen, grundsätzlich durch § 15b Abs. 2 Satz 1 InsO geschützt. Da aber die Anzeige an die Stelle des _____________ 64) Grundsätzlich ist es den Geschäftsleitern nach Eintritt der Insolvenzreife auch im Restrukturierungsverfahren haftungsbewehrt untersagt, weitere masseschmälernde Auszahlungen zu veranlassen, vgl. Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2368. 65) Begr. RegE SanInsFoG z. § 96 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 182; vgl. auch SchluckAmend/Hefner, ZRI 2020, 570, 581 (kein Unterlaufen des Privilegs durch verpflichtende Umstellung auf Notgeschäftsführung); ferner Gehrlein, BB 2021, 66, 78. 66) Zu den Einzelheiten kann auf Rz. 35 verwiesen werden. – Anders als bei § 89 Abs. 2 wird hier übrigens ausdrücklich der Schuldner als Urheber der Anzeige genannt. 67) Vgl. Desch, BB 2020, 2498, 2501; ferner Schulz, NZI 2020, 1073, 1078.

1204

Bork

§ 89

Rechtshandlungen

Insolvenzantrags tritt,68) wird man insoweit § 15b Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 InsO analog anwenden müssen. Das bedeutet, dass Zahlungen nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind, wenn die Anzeige entgegen §§ 32 Abs. 3, 42 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 nicht unverzüglich abgegeben wird. Damit wird zugleich ein wirksamer Anreiz für die Geschäftsleiter gesetzt, ihrer aus § 42 Abs. 1 Satz 2 resultierenden Pflicht zu genügen und den Eintritt der materiellen Insolvenz ohne schuldhaftes Zögern anzuzeigen. Erlaubt sind hingegen nach der Wertung des § 15b Abs. 2 Satz 2 all diejenigen Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung der Anzeige oder eines Insolvenzantrags veranlasst wurden und bis zur unverzüglichen Anzeige beim Restrukturierungsgericht erfolgt sind.

46

Der Schutz des § 89 Abs. 3 endet mit der Aufhebung der Restrukturierungssache durch das Restrukturierungsgericht nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1. Über diesen Zeitpunkt hinaus kann eine veranlasste Zahlung gleichwohl weiterhin nach der allgemeinen Regelung des § 15b Abs. 2 InsO privilegiert sein. Besonderheiten ergeben sich, wenn das Gericht die Restrukturierungssache nicht sofort aufhebt, um mithilfe einer fortdauernden Stabilisierungsanordnung einen geordneten Übergang ins Insolvenzverfahren zu ermöglichen, § 33 Abs. 3 i. V. m. § 59 Abs. 4 (siehe bereits oben Rz. 39). Zahlungen zur Vorbereitung und Umsetzung des offensichtlich gescheiterten Restrukturierungsvorhabens sind in dieser Konstellation nicht mehr veranlasst. Überhaupt rückt das formell noch rechtshängige Restrukturierungsverfahren in den Hintergrund; das Gericht gibt dem Schuldner zwingend auf, einen Insolvenzantrag zu stellen, und setzt ihm hierzu eine Frist von höchstens drei bzw. sechs Wochen. Das ist nichts anderes als die Ausgangskonstellation der §§ 15a Abs. 1, 15b InsO. Als privilegierende Ausnahmeregelung muss § 89 Abs. 3 auf diejenigen Fälle beschränkt bleiben, die tatsächlich die Fortsetzung des Restrukturierungsvorhabens betreffen. Steht dessen Aufhebung aber bereits fest, haben die Geschäftsleiter ab diesem Zeitpunkt auf Notgeschäftsführung umzustellen und sich an den allgemeinen Privilegierungsmöglichkeiten des § 15b Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 InsO zu orientieren.

47

b) Zahlung im ordnungsgemäßen Geschäftsgang (Abs. 3 Satz 1) § 89 Abs. 3 Satz 1 privilegiert nicht alle Zahlungen, sondern nur solche im ordnungsgemäßen Geschäftsgang. Erfasst sind damit nicht nur die Notgeschäftsführungsmaßnahmen, also Zahlungen zur Vermeidung des Zusammenbruchs des Geschäftsbetriebs und zur Verfolgung weiterhin erfolgversprechender Sanierungsaussichten.69) Im Gegenteil wollte der Gesetzgeber die Umstellung auf die Notgeschäftsführung gerade vermeiden.70) Es geht weniger um die schlichte Aufrechterhaltung des Be_____________ 68) Vgl. oben Fn. 57. 69) Derartige Notgeschäftsführungsmaßnahmen sind in der Regel ohnehin privilegiert i. R. des § 15b Abs. 1 Satz 2 InsO, wenn sie dazu dienen, weit überwiegende Nachteile für die Masse zu verhindern, vgl. BGH, Beschl. v. 5.11.2007 – II ZR 262/06, Rz. 6, NZI 2008, 126 = NZG 2008, 75; ferner BGH, Urt. v. 3.6.2015 – II ZR 366/13, Rz. 24, BGHZ 206, 52 = NZG 2015, 998, dazu EWiR 2015, 565 (Kleindiek); BGH, Beschl. v. 24.9.2019 – II ZR 248/17, Rz. 19, NZI 2020, 180, m. Anm. Baumert = ZInsO 2020, 141, dazu EWiR 2020, 485 (Schodder). 70) Begr. RegE SanInsFoG z. § 96 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 182.

Bork

1205

48

§ 89

Rechtshandlungen

triebs als um eine unveränderte Fortsetzung der ordentlichen Geschäftstätigkeit, jedenfalls bis zur Aufhebung der Restrukturierungssache. Entscheidend ist, dass die Zahlung dem ordnungsgemäßen Geschäftsgang zugeordnet werden kann. Ob dies der Fall ist, hat sich notwendigerweise an der aktuellen Situation der Gesellschaft, d. h. an der von ihr im laufenden Restrukturierungsverfahren fortgeführten Geschäftstätigkeit auszurichten. Zwar muss die infrage stehende Zahlung nicht zwingend für die Fortführung der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit oder die Vorbereitung und Umsetzung des Restrukturierungsvorhabens erforderlich gewesen sein („insbesondere“). Die im Gesetz genannten Regelbeispiele vermitteln aber einen Eindruck davon, dass eine privilegierte Zahlung zumindest einen klaren Bezug zur Restrukturierung aufweisen muss. 49

Problematisch sein dürfte dementsprechend die Befriedigung von Altforderungen, insbesondere wenn diese eigentlich der Gestaltung durch den Plan unterliegen sollen. Sie wird allenfalls dann als ordnungsgemäß angesehen werden können, wenn sie in den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb eingebettet ist und für dessen ungestörte Fortführung erforderlich ist, etwa weil sie die fortgesetzte Belieferung durch den Geschäftspartner sicherstellt. Nicht erfasst ist dagegen bspw. das „Vorziehen“ einzelner Zahlungen zugunsten ausgewählter Gläubiger, das schon außerhalb, erst recht aber in der Krise eine ungewöhnliche Maßnahme darstellt.

50

Unerheblich ist i. R. des § 89 Abs. 3, ob der Gesellschaft für die Zahlung eine gleichwertige Gegenleistung zugeflossen ist. Die Norm erlaubt Zahlungen, die für sich genommen die Masse schmälern und damit überhaupt erst einen Erstattungsanspruch gegenüber den Geschäftsleitern in Frage kommen lassen. Hingegen liegt schon keine masseschmälernde Zahlung i. S. des § 15b Abs. 1 Satz 1 InsO vor, wenn der Gesellschaft in unmittelbarem wirtschaftlichen, nicht notwendigerweise zeitlichen Zusammenhang mit dem Mittelabfluss eine für die Gläubiger verwertungsgeeignete Gegenleistung in gleicher Höhe zufließt, sodass lediglich ein Aktiventausch vorliegt.71) c) Unaufschiebbarkeit (Abs. 3 Satz 2)

51

Nach der Rückausnahme des § 89 Abs. 3 Satz 2 sind Zahlungen allerdings nur dann privilegiert, wenn sie nicht ohne Nachteile für eine Fortsetzung des Restrukturierungsvorhabens bis zu einer absehbar zu erwartenden gerichtlichen Entscheidung hätten zurückgehalten werden können.72) Die Zahlung muss mit anderen Worten „unaufschiebbar“ gewesen sein. Schließlich sind die Geschäftsleiter der materiell insolventen Schuldnerin auch im fortlaufenden Restrukturierungsverfahren zur Wahrung des Gesamtgläubigerinteresses73) und damit zur Massesicherung verpflichtet. _____________ 71) Vgl. etwa BGH, Urt. v. 31.3.2003 – II ZR 150/02, NJW 2003, 2316, 2317; BGH, Urt. v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, Rz. 21, NZG 2010, 1393; BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, Rz. 9 f., BGHZ 203, 218 = ZIP 2015, 71; BGH, Urt. v. 4.7.2017 – II ZR 319/15, Rz. 10, 17 ff., NZI 2017, 809 = NZG 2017, 1034; BGH, Urt. v. 27.10.2020 – II ZR 355/18, Rz. 26, 58, ZRI 2021, 29. 72) Desch, BB 2020, 2498, 2501 („Rückausnahme“); eingefügt auf Vorschlag von Thole, ZIP 2020, 1985, 1999; krit. Braun-Tashiro, StaRUG, § 89 Rz. 19. 73) Begr. RegE SanInsFoG z. § 96 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 182.

1206

Bork

§ 89

Rechtshandlungen

Ein Zuwarten ist dabei bei oftmals kurzfristig zu erwartender Entscheidung des Gerichts in aller Regel zumutbar. Tatsächlich privilegiert sein werden deshalb in der Mehrzahl der Fälle lediglich die im Zuge der bereits gerichtlich gebilligten Fortsetzung des Restrukturierungsverfahrens veranlassten Zahlungen,74) was faktisch wiederum zu einem begrüßenswerten (zeitlichen) Gleichlauf mit § 89 Abs. 2 führt. 2.

Rechtsfolge

§ 89 Abs. 3 StaRUG konkretisiert – ähnlich wie bereits § 15b Abs. 2 InsO – die Exkulpationsmöglichkeit des § 15b Abs. 1 Satz 2 InsO für den Fall, dass der Schuldner im laufenden Restrukturierungsverfahren in die materielle Insolvenz fällt:75) Die zwischen Anzeige und Aufhebung des Restrukturierungsvorhabens im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgten Zahlungen gelten unwiderleglich als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar. Die Geschäftsleiter können für die veranlassten Zahlungen also nicht gemäß § 15b Abs. 4 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 InsO persönlich in Haftung genommen werden.

52

VIII. Darlegungs- und Beweislast Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 89 Abs. 1 und 2 trifft den Anfechtungsgegner bzw. Haftungsschuldner, also regelmäßig den Beklagten. Zwar richtet sie sich hinsichtlich der Voraussetzungen eines Anfechtungs- oder Haftungsanspruchs nach den allgemeinen Grundsätzen und liegt damit grundsätzlich beim Kläger, d. h. in der Regel beim Insolvenzverwalter. Das Anfechtungs- und Haftungsprivileg des § 89 Abs. 1 und 2 führt aber unter den dort genannten Voraussetzungen insofern zu einer stärkeren Belastung, als selbst die Kenntnis der materiellen Insolvenz nicht als (alleiniges) Indiz zur Ermittlung des subjektiven Tatbestands herangezogen werden kann, wenn sich der Schuldner zum maßgeblichen Zeitpunkt in einem (fortgesetzten) Restrukturierungsverfahren befunden hat. Da somit § 89 Abs. 1 und 2 dem Anspruchsgegner günstig sind, liegt die Beweislast für die Voraussetzungen dieser Anfechtungs- und Haftungsausschlüsse bei diesem.

53

Im Rahmen des Haftungsprivilegs des § 89 Abs. 3 obliegt es ebenfalls dem (in der Regel beklagten) Geschäftsleiter, die Voraussetzungen des Privilegs darzulegen und zu beweisen. Er hat nachzuweisen, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung dem Restrukturierungsgericht angezeigt wurde und dass die infrage stehende Zahlung im ordnungsgemäßen Geschäftsgang und noch vor Aufhebung der Restrukturierungssache erfolgt ist. Der klagende Insolvenzverwalter kann dem die Rückausnahme des § 89 Abs. 3 Satz 2 entgegenhalten, deren Voraussetzungen er folglich zu beweisen hat. Es liegt dann am ihm, nachzuweisen, dass die Zahlung auch ohne Nachteile für die Fortsetzung des Restrukturierungsvorhabens bis zu einer gerichtlichen Entscheidung über die Aufhebung hätte zurückgehalten werden können.

54

_____________ 74) Anders Braun-Tashiro, StaRUG, § 89 Rz. 20: ab Fälligkeit fehlt die Aufschiebbarkeit. 75) Desch, BB 2020, 2498, 2501.

Bork

1207

§ 90

Planfolgen und Planvollzug

§ 90 Planfolgen und Planvollzug Bork

(1) Die Regelungen eines rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplans und Rechtshandlungen, die im Vollzug eines solchen Plans erfolgen, sind mit Ausnahme von Forderungen im Rang des § 39 Absatz 1 Nummer 5 der Insolvenzordnung und Sicherheitsleistungen, die nach § 135 der Insolvenzordnung oder § 6 des Anfechtungsgesetzes anfechtbar sind, bis zur nachhaltigen Restrukturierung einer Anfechtung nur zugänglich, wenn die Bestätigung auf der Grundlage unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Schuldners erfolgte und dem anderen Teil dies bekannt war. (2) Sieht der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans die Übertragung des gesamten schuldnerischen Vermögens oder wesentlicher Teile davon vor, gilt Absatz 1 nur, soweit sichergestellt wird, dass die Gläubiger, die nicht planbetroffen sind, sich gegenüber den Planbetroffenen vorrangig aus der dem Wert des Gegenstands der Übertragung angemessenen Gegenleistung befriedigen können. Literatur: Bitter, Corona und die Folgen nach dem COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG), ZIP 2020, 685; Bork, Die Regelungen zur Insolvenzanfechtung im StaRUG, ZInsO 2020, 2177; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Gehrlein, Anfechtung versus Sanierung – Anfechtungsgefahren für Sanierungszahlungen?, WM 2011, 577; Haarmeyer, Stellungnahme des Deutschen Instituts für angewandtes Insolvenzrecht (DIAI) e. V. zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz: Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG, ZInsO 2020, 2368; Haas, Das neue Kapitalersatzrecht nach dem RegE-MoMiG, ZInsO 2007, 617; Hirte/Knof, Das „neue“ Sanierungsprivileg nach § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO, WM 2009, 1961; Hirte/Knof/Mock, Das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (Teil I), DB 2011, 632; Hoegen, Schutz für Sanierungsfinanzierungen – Zu Art. 16 und 17 des Richtlinienvorschlags der Europäischen Kommission vom 22.11.2016, COM(2016) 723 final, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 30; Hölzle/Curtze, Eine Krise – Ein Verfahren! – Folgen eines vorangegangenen Restrukturierungsverfahrens nach StaRUG in der späteren Insolvenz, ZIP 2021, 1293; Krafczyk, Stundung und Prolongation als neue Finanzierung gem. § 12 StaRUG, ZRI 2021, 313; Madaus, Die (begrenzte) Insolvenzfestigkeit des Restrukturierungsplans, der Planleistungen sowie unterstützender Rechtshandlungen während der Restrukturierungssache, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 35; Müller, Die Umsetzung der EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen – Kritische Anmerkungen zum StaRUG-RegE, ZIP 2020, 2253; Proske/Streit, Rettende Restrukturierung durch Rechtsrahmen? Lob und Kritik zum Regierungsentwurf des StaRUG, NZI 2020, 969; Schoppmeyer, Sanierungsprivilegien im Insolvenzanfechtungsrecht nach dem StaRUG. ZIP 2021, 869; Thole, Der Entwurf eines Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRuG-RefE), ZIP 2020, 1985; Thole, Der Richtlinienvorschlag zum präventiven Restrukturierungsrahmen, ZIP 2017, 101; Wittig, Das Sanierungsprivileg für Gesellschafterdarlehen im neuen § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO, in: Festschrift für Karsten Schmidt, 2009, S. 1743. Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: DIAI, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, (zit.: DIAI, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG), 2.10.2020, ZInsO 2020, 2368, abrufbar unter https:// www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/ 100220_Stellungnahme_DIAI_RefE_Fortenwicklung_Insolvenzrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (Abrufdatum: 10.8.2021).

1208

Bork

§ 90

Planfolgen und Planvollzug Übersicht I. Normzweck und -inhalt ...................... 1 II. Normhistorie ........................................ 5 III. Planregelungen und Planvollzug (Abs. 1) .................................................. 7 1. Tatbestand des Absatz 1 ....................... 8 a) Regelungen eines rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplans .............................................. 10 b) Rechtshandlungen im Vollzug eines solchen Plans ....................... 11 c) Ausnahme bei Gesellschaftern des Schuldners .............................. 14 2. Rechtsfolge .......................................... 16 a) Nachhaltige Restrukturierung als zeitliche Schranke ................... 17

I.

b) Kenntnis des schutzunwürdigen anderen Teils ................................ 22 IV. Übertragung des gesamten Vermögens (Abs. 2) ........................... 26 1. Tatbestand des Absatz 2 ..................... 27 a) Übertragung des gesamten schuldnerischen Vermögens oder wesentlicher Teile davon ............................................. 28 b) Sicherstellung der vorrangigen Befriedigung der nicht planbetroffenen Gläubiger ................. 31 2. Rechtsfolge .......................................... 35 V. Darlegungs- und Beweislast ............. 36

Normzweck und -inhalt

§ 90 Abs. 1 statuiert einen weitreichenden1) Anfechtungsausschluss für die Regelungen eines bestätigten Restrukturierungsplans und die Rechtshandlungen, die in seinem Vollzug erfolgen.2) Während § 89 Abs. 1 sich noch in erster Linie der Vorsatzanfechtung widmet, zielt § 90 Abs. 1 auf die Insolvenzanfechtung insgesamt ab.3) Grundsätzlich sollen die Beteiligten von der Stabilität des Plans ausgehen und auf den rechtlichen Bestand der in seinem Vollzug vorgenommenen Handlungen vertrauen dürfen.4) Es ist zu erwarten, dass die Restrukturierungspraxis den Schutz des § 90 Abs. 1 durch umfangreiche Restrukturierungspläne, die soweit wie möglich alle potentiell anfechtbaren Handlungen erfassen, für sich zu nutzen wissen wird.

1

Dienen soll der Anfechtungsausschluss zum einen dem Schutz des Schuldners, den die (potentielle) Anfechtbarkeit seiner Rechtshandlungen in seiner Privatautonomie beschränkt. Zum anderen und vor allem dient er aber dem Vertrauensschutz der potentiellen Anfechtungsgegner, die gegen das Risiko eines unerwarteten Scheiterns des Restrukturierungsplans abgesichert werden sollen.5) Damit misst der Gesetzgeber diesen beiden Prinzipien – dem Schuldner- und Vertrauensschutz – mehr Gewicht bei als dem Prinzip der bestmöglichen und gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger nach Scheitern der Restrukturierung. Schutzwürdig ist gleichwohl nur, wer nicht im maßgeblichen Zeitpunkt (§ 140 InsO) Kenntnis davon hatte, dass die gerichtliche Bestätigung des Plans auf der Grundlage unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Schuldners und damit in der Sache zu Unrecht erfolgt ist, § 90 Abs. 1 Halbs. 2.

2

_____________ 1) 2) 3) 4) 5)

Skeptisch hinsichtlich der praktischen Reichweite des Privilegs Desch, BB 2020, 2498, 2506; krit. auch DIAI (Haarmeyer), Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, ZInsO 2020, 2368, 2370. Thole, ZIP 2020, 1985, 1999. Krit. zu dieser Erstreckung auf sämtliche Anfechtungsgründe Bork, ZInsO 2020, 2177, 2179, 2183. Begr. RegE SanInsFoG z. § 97 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 182; Desch, BB 2020, 2498, 2506 („gewisse Planungssicherheit“). Begr. RegE SanInsFoG z. § 97 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 182.

Bork

1209

§ 90

Planfolgen und Planvollzug

3

Bedenkt man, dass den Geschäftspartnern des Schuldners mit dem Bargeschäftsprivileg des § 142 Abs. 1 InsO und der Rechtsprechung zum Sanierungsprivileg (§ 133 InsO) bereits wirksame Schutzinstrumente zur Verfügung stehen,6) nähren sich Zweifel an der Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit des umfassenden Anfechtungsausschlusses, zumal für das ähnlich gelagerte Insolvenzplanverfahren keine vergleichbare Regelung getroffen wurde.7) Vertan ist zudem die Chance, Restrukturierungsplan und Sanierungskonzept auch marktseitig auf ihre Stichhaltigkeit überprüfen zu lassen. Stattdessen dürfte § 90 Abs. 1, indem er den Beteiligten so gut wie sämtliches Anfechtungsrisiko nimmt, einen Anreiz zur mitunter leichtfertigen Zusage von Sanierungsbeiträgen setzen, ohne dass hierbei auf ein überzeugendes Sanierungskonzept Wert gelegt würde.8)

4

Für den Fall, dass das gesamte schuldnerische Vermögen oder wesentliche Teile davon übertragen werden, schränkt § 90 Abs. 2 den Anfechtungsausschluss zumindest insoweit ein, als sichergestellt sein muss, dass sich die nicht planbetroffenen Gläubiger gegenüber den Planbetroffenen vorrangig aus der dem Wert des übertragenen Vermögens angemessenen Gegenleistung, in der Regel dem Kaufpreis, befriedigen können.9) II. Normhistorie

5

§ 9010) beruht wie § 89 auf Art. 17, 18 der Restrukturierungsrichtlinie11), insbesondere auf Art. 18 Abs. 5.12) Europarechtlich erforderlich ist der Anfechtungsausschluss des § 90 nicht; den Anforderungen der Richtlinie hat das deutsche Insolvenzanfechtungsrecht schon zuvor hinreichend Genüge getan.13)

6

Ausgehend vom RefE des BMJV14) wurde § 90 im Gesetzgebungsverfahren geringfügig, aber spürbar zurückgestutzt. So wurde das Anfechtungsprivileg zum einen _____________ 6) Ausführlich Bork in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 18 Rz. 20 f. 7) Das wiederum erscheint schon vor dem Hintergrund von Art. 3 GG fragwürdig, s. Bork, ZInsO 2020, 2177, 2184; krit. auch Müller, ZIP 2020, 2253, 2257. 8) Bork, ZInsO 2020, 2177, 2183. 9) Bork, ZInsO 2020, 2177, 2178; Gehrlein, BB 2021, 66, 78. 10) Die heutige Fassung hat ihre Vorläufer in § 94 RefE (RefE SanInsFoG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/ RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 [Abrufdatum: 10.8.2021]) und § 97 RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. In den weiteren Beratungen blieb sie unverändert, vgl. Stellungnahme des BRat und Gegenäußerung der BReg, v. 2.12.2020, BT-Drucks. 19/24903; Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/25303. 11) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. 12) Begr. RegE SanInsFoG z. § 97 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 182. 13) RegE SanInsFoG, v. 16.10.2020, BR-Drucks. 619/20, S. 209; Bork in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 17 Rz. 47, Art. 18 Rz. 18; Müller, ZIP 2020, 2253, 2257; a. A. Proske/ Streit, NZI 2020, 969, 975; s. ausführlich unter § 89 Rz. 7. 14) S. Fn. 10.

1210

Bork

§ 90

Planfolgen und Planvollzug

auf den Zeitraum bis zur nachhaltigen Restrukturierung begrenzt. Zum anderen sind Forderungen im Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO sowie Sicherheitsleistungen, die nach § 135 InsO oder § 6 AnfG anfechtbar sind, entgegen dem RefE ausdrücklich nicht mehr vom Privileg des § 90 umfasst. III. Planregelungen und Planvollzug (Abs. 1) Dass der Plan von gerichtlicher Seite bestätigt wurde, entzieht die in ihm enthaltenen Rechtshandlungen nicht per se der Anfechtung.15) Unabhängig von der streitigen Rechtsnatur des Restrukturierungsplans16) ist er als solcher von den in ihm enthaltenen Regelungen zu trennen.17) Vor diesem Hintergrund schützt § 90 Abs. 1 den Restrukturierungsplan, die in ihm enthaltenen Regelungen und die in seinem Vollzug erbrachten Leistungen vor einer späteren Anfechtung. Ausnahmen bestehen für die Anfechtung nach § 135 InsO sowie für den Fall, dass der Plan auf unrichtigen oder unvollständigen Angaben beruht und dem Anfechtungsgegner dies bekannt war. 1.

7

Tatbestand des Absatz 1

Auf tatbestandlicher Ebene erstreckt sich der Umfang des Anfechtungsausschlusses auf sämtliche Regelungen des rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplans (siehe Rz. 10) sowie die im Vollzug eines solchen Plans erfolgenden Rechtshandlungen (siehe Rz. 11 ff.). Ausgenommen sind Forderungen im Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO und Sicherheitsleistungen, die nach § 135 InsO oder § 6 AnfG anfechtbar sind (siehe Rz. 14 f.).

8

Nicht ausdrücklich anfechtungsfest gestellt ist der Plan als solcher, obgleich er als schuldrechtliches Geschäft grundsätzlich der Anfechtung über § 133 InsO18) oder § 132 InsO zugänglich wäre.19) Aus dem Schutz der im Plan enthaltenen Regelungen folgt jedoch, dass der Plan insgesamt erst recht anfechtungsfest sein muss, jedenfalls solange er vom Gericht auf der Grundlage richtiger und vollständiger Angaben des Schuldners bestätigt wurde.20)

9

a) Regelungen eines rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplans Als anfechtungsrechtlich relevante Regelungen eines Restrukturierungsplans kommen diejenigen im gestaltenden Teil des Plans aufgenommenen gläubigerbenachteiligenden Rechtsänderungen in Betracht, die gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 ohne weiteren Vollzug bereits mit der rechtskräftigen Bestätigung des Plans wirksam werden. Hierzu zäh_____________ 15) Bork, ZInsO 2020, 2177, 2180. 16) Insoweit ist davon auszugehen, dass sich der Streit um die Rechtsnatur des Insolvenzplans auf den Restrukturierungsplan überträgt. Ausführlich zum Meinungsstand beim Insolvenzplan Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 6 ff.; Jaeger-Münch, InsO, Vor §§ 217 – 269 Rz. 210 ff. 17) Bork, ZInsO 2020, 2177, 2180; für den Insolvenzplan so auch zutreffend Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 8. 18) Vgl. nur § 133 Abs. 4 InsO; ferner BGH, Urt. v. 9.6.2016 • IX ZR 153/15, Rz. 13, NZI 2016, 773 (Mitlehner) = WM 2016, 1455, dazu EWiR 2016, 469 (Eckardt); BGH, Urt. v. 1.7.2010 – IX ZR 58/09, Rz. 9, NZI 2010, 738 = WM 2010, 1659. 19) Bork, ZInsO 2020, 2177, 2180; Madaus, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 35 f. 20) Madaus, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 35; Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 877.

Bork

1211

10

§ 90

Planfolgen und Planvollzug

len etwa die Aufgabe von Rechten oder die Begründung von Sicherungsübereignungen oder Sicherungszessionen, bei denen sowohl die Sicherungsabrede als auch die dingliche Einigung in den gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans aufgenommen worden sind (§ 68 Abs. 1),21) ferner die Abgabe von Vertragserklärungen, etwa bei der Aufnahme eines Darlehensvertrages in den Plan. Ebenso erfasst sind gesellschaftsrechtliche Änderungen wie etwa ein Debt Equity Swap, sofern auch sie im gestaltenden Teil enthalten sind. b) Rechtshandlungen im Vollzug eines solchen Plans 11

Unter Rechtshandlungen, die im Vollzug des rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplans erfolgen, sind demgegenüber die Handlungen zu verstehen, die seiner Umsetzung dienen.22) Erfasst sind nach dem klaren Wortlaut nur Rechtshandlungen, die nach Rechtskraft der Planbestätigung vorgenommen wurden.23) Hierher gehören bspw. die Übertragung von Vermögensgegenständen durch den Schuldner, sofern sie nicht bereits mit der Bestätigung des Plans wirksam werden (§§ 13, 68 Abs. 1). Das betrifft etwa die Bestellung von Pfandrechten, bei denen nach Planbestätigung noch die Übergabe (§ 1205 BGB) bzw. die Anzeige an den Drittschuldner (§ 1280 BGB) erforderlich ist. Weitere Beispiele sind Ausgleichs- und Abfindungszahlungen an Gläubiger und Anteilsinhaber (§ 64 Abs. 3), vor allem aber die plangemäße Ausschüttung24) an die betroffenen Gläubiger sowie neue Finanzierungen25) und deren Besicherung (§ 12).26)

12

Bei Darlehen zählt nur ihre Begründung27) oder Prolongation,28) nicht aber ihre spätere Rückführung zu den anfechtungssicheren Handlungen,29) denn sie erfolgt nicht in Vollzug des Planes, sondern in Vollzug des Darlehensvertrages. Das muss _____________ 21) Bork, ZInsO 2020, 2177, 2180. 22) Begr. RegE SanInsFoG z. § 97 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 182. 23) A. A. (Rückwirkung der rechtskräftigen Bestätigung) Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 879; wieder anders und gegen den Wortlaut der Norm Pannen/Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 90 Rz. 2: Rechtskraft nicht erforderlich. 24) Vgl. allgemein Thole, ZIP 2017, 101, 111 („plangemäße Ausschüttung darf naturgemäß ebenfalls nicht angreifbar sein“). 25) Der Begriff der „neuen Finanzierung“ ist dabei weit zu verstehen. Er soll nach Vorgabe des Richtliniengebers jedenfalls, aber nicht abschließend, Unterstützungsleistungen in Form von finanziellen Mitteln, bspw. durch Kreditvergabe, Bürgschaften Dritter, aber auch durch Bereitstellung von Waren, Vorräten, Rohstoffen oder Versorgungsdienstleistungen, bspw. durch Gewährung eines längeren Rückzahlungszeitraums, mit einschließen, vgl. ErwG 66 der Restrukturierungsrichtlinie sowie Bork in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 17 Rz. 11 ff. 26) Gehrlein, BB 2021, 66, 78; ferner Desch, BB 2020, 2498, 2506. 27) Nach der Gesetzesbegründung soll auch die Auszahlung des Darlehens erfasst sein (Begr. RegE SanInsFoG z. § 97 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 182). Ausgezahlt wird das Darlehen aber vom Gläubiger, nicht vom Schuldner, so dass es schon an einer Gläubigerbenachteiligung fehlt. 28) Braun-Tashiro, StaRUG, § 90 Rz. 3; Krafczyk, ZRI 2021, 313, 316 f. 29) So ausdrücklich Begr. RegE SanInsFoG z. § 97 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 182; Gehrlein, BB 2021, 66, 78; Hölzle/Curtze, ZIP 2021, 1293, 1302; Krafczyk, ZRI 2021, 313, 317; dazu bereits Thole, ZIP 2020, 1985, 1999; abl. Braun-Tashiro, StaRUG, § 90 Rz. 4 ff.; Madaus, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 36; Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 877 f.; krit. auch DeschBiendl, Das neue Restrukturierungsrecht, § 10 Rz. 50; Proske/Streit, NZI 2020, 969, 975.

1212

Bork

§ 90

Planfolgen und Planvollzug

auch dann gelten, wenn der Zins- und Tilgungsplan zum Bestandteil des Restrukturierungsplans gemacht worden ist. Kreditgeber werden daher auf ausreichende Sicherheiten Wert legen, da die Sicherheitenbestellung, anders als die Kreditrückführung, von § 90 Abs. 1 umfasst ist.30) In der Konsequenz sind bei anfechtungsfester Besicherung auch die Rückführungen nicht mehr anfechtbar, da es dann insoweit an einer Gläubigerbenachteiligung fehlt.31) In der Regel nicht erfasst sind dagegen Überbrückungskredite, die die Restrukturierungsvorbereitungen und -verhandlungen finanzieren sollen und damit nicht Bestandteil des erst noch auszuhandelnden und zu bestätigenden Plans sein können.32) Nicht selten dürfte der Schuldner bereits vor Einleitung des Verfahrens auf Überbrückungskredite angewiesen sein, jedenfalls wenn die mitunter aufwändige fachkundige Vorbereitung (vgl. § 31 Abs. 2)33) nicht aus bestehenden Liquiditätsreserven finanziert werden kann. Dann greift indes nicht einmal der (Auffang-)Tatbestand des § 89 Abs. 1 InsO, der seinerseits die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache voraussetzt. Umso relevanter wird in diesem Fall die anfechtungsfeste Bestellung von Kreditsicherheiten bei Auszahlung des Überbrückungskredits nach Maßgabe des § 142 Abs. 1 InsO sein.34) Außerdem kann eine Lösung darin liegen, in den Plan eine Umschuldung, also eine Ablösung des kurzfristigen Überbrückungskredits durch einen längerfristigen Sanierungskredit aufzunehmen, was dann seinerseits dem Schutz des § 90 unterfällt.

13

c) Ausnahme bei Gesellschaftern des Schuldners Vom Anfechtungsausschluss des § 90 Abs. 1 ausgenommen sind Forderungen im Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO sowie Sicherheitsleistungen, die nach § 135 InsO oder § 6 AnfG anfechtbar sind. Verhindert werden soll, dass Gesellschafter das Restrukturierungsverfahren missbrauchen, indem sie nachteilige Kredite an den Schuldner vergeben oder bestehende Gesellschafterdarlehen anfechtungsfest zurückführen oder besichern. Daher erfasst die Ausnahme sämtliche Planregelungen und Rechtshandlungen gegenüber Gesellschaftern des Schuldners, die im Zusammenhang mit der Vereinbarung weiterer Darlehen (einschließlich gleichgestellter Forderungen i. S. von §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 Abs. 1 InsO, § 6 Abs. 1 Satz 1 AnfG) oder der Rückführung bzw. Besicherung bestehender Darlehen stehen. Sie müssen sich weiterhin am Maßstab der §§ 129 ff. InsO, mithin an ihrer gläubigerbenachteiligenden Wirkung und der reduzierten Schutzwürdigkeit des beteiligten Gesellschafters messen lassen. _____________ 30) Gehrlein, BB 2021, 66, 78; Desch, BB 2020, 2498, 2506. Das folgt zudem auch daraus, dass nach § 135 InsO bzw. § 6 AnfG anfechtbare Sicherheitenbestellungen ausdrücklich vom Anfechtungsausschluss ausgenommen sind. 31) BGH, Urt. v. 22.1.2004 – IX ZR 39/03, BGHZ 157, 350, 355; BGH, Urt. v. 10.2.2005 – IX ZR 211/02, BGHZ 162, 143, 156; BGH, Urt. v. 9.10.2008 – IX ZR 138/06, Rz. 22, BGHZ 178, 171. 32) Bork, ZInsO 2020, 2177, 2180 f. 33) S. auch Begr. RegE SanInsFoG z. § 33 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 134 („Verfahrenshilfen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens [sind] ernsthaft betriebenen Vorhaben [vorbehalten], die mit der gebotenen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit vorbereitet und umgesetzt werden.“). 34) Vgl. BGH, Urt. v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, Rz. 13, BGHZ 184, 101 = NZI 2010, 339, dazu EWiR 2010, 395 (Knof); eingehend Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 142 Rz. 45 ff.

Bork

1213

14

§ 90 15

Unverändert anzuwenden sind gleichwohl § 39 Abs. 4 und 5 InsO, auf die sowohl § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO als auch § 135 Abs. 4 InsO verweisen. Sanierungs- und Kleinbeteiligtenprivileg des Gesellschafterdarlehensrechts finden damit auch bei § 90 Abs. 1 Berücksichtigung. Hierunter fallende Gesellschafter können uneingeschränkt auf den Anfechtungsschutz des § 90 Abs. 1 vertrauen. 2.

16

Planfolgen und Planvollzug

Rechtsfolge

Ist die infrage stehende, potentiell anfechtbare Rechtshandlung nach den eben genannten Anforderungen als schutzwürdige Regelung des gerichtlich bestätigten Restrukturierungsplans oder als zu dessen Vollzug erfolgende Handlung zu qualifizieren, entzieht § 90 Abs. 1 sie grundsätzlich und vollumfänglich der Anfechtung nach den §§ 129 ff. InsO bzw. §§ 1 ff. AnfG (zur Ausnahme für § 135 InsO siehe oben Rz. 14). Das gilt – vorbehaltlich § 90 Abs. 2 – allerdings nur bis zur nachhaltigen Restrukturierung des Schuldners und sofern zumindest dem anderen Teil nicht bekannt war, dass der Plan auf der Grundlage unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Schuldners bestätigt wurde. a) Nachhaltige Restrukturierung als zeitliche Schranke

17

Mit der erst im RegE eingefügten zeitlichen Schranke der nachhaltigen Restrukturierung35) wird der Anfechtungsausschluss des § 90 Abs. 1 an und für sich sinnvoll eingeschränkt. Der gewährte Schutz soll die Geschäftspartner des Schuldners gegen ein Scheitern der konkreten (finanzierten) Sanierung absichern. Dieses Ziel ist mit der nachhaltigen Restrukturierung des Schuldners erreicht. Gerät er aus anderen, mit der ursprünglichen Krise nicht (mehr) zusammenhängenden Umständen erneut in Schieflage, besteht kein Grund, zwischen den Gläubigern des abgeschlossenen Restrukturierungsverfahrens und den übrigen Gläubigern des Schuldners zu unterscheiden. Nach erfolgreichem Abschluss der Restrukturierung tragen sie gleichermaßen das Insolvenzrisiko des Schuldners und müssen ihre Geschäftsbeziehungen an den Maßstäben des Anfechtungsrechts messen lassen.36) Dasselbe gilt, wenn das vor Eintritt der nachhaltigen Sanierung eröffnete Insolvenzverfahren nicht auf dem Scheitern des Restrukturierungsplans, sondern auf neuen, anderen Umständen beruht.37) Mangels schutzwürdigen Vertrauens sind ferner Rechtshandlungen anfechtbar, die vorgenommen werden, nachdem das Scheitern der Sanierung feststeht.38)

18

Gleichwohl wird man davon ausgehen müssen, dass diese Ausnahme weitgehend ohne Anwendungsbereich bleibt. Sie war notwendig, solange Darlehensrückzahlungen in den Anfechtungsschutz des § 90 fielen. Nachdem diese aber nach dem Willen des Gesetzgebers von der Norm nicht mehr erfasst werden (siehe oben Rz. 12), ist für sie auch keine zeitliche Ausnahme mehr nötig. Andere Planumsetzungsmaß_____________ 35) Sie geht zurück auf eine Anregung von Bork, ZInsO 2020, 2177, 2183 f. 36) Vgl. auch Begr. RegE SanInsFoG z. § 97 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 182 („Ein weitergehender Anfechtungsschutz, falls es später aus anderen Gründen zu einer Insolvenz kommt, wäre gegenüber nicht in den Plan einbezogenen Gläubigern oder Neugläubigern nicht zu rechtfertigen.“). 37) Madaus, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 35; Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 879. 38) Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 879.

1214

Bork

§ 90

Planfolgen und Planvollzug

nahmen werden aber nach Eintritt des Sanierungserfolgs nicht mehr umgesetzt werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass nicht nur der Plan selbst und damit auch die im gestaltenden Teil des Plans vorgesehenen und unmittelbar wirksam werdenden Maßnahmen, sondern auch die Vollzugsmaßnahmen in zeitlicher Nähe zur Rechtskraft des Planbestätigungsbeschlusses (und damit vor der nachhaltigen Sanierung) wirksam werden. Darauf kommt es aber nach § 140 InsO an. Deshalb kann die Ausnahme auch nicht so verstanden werden, dass der Plan selbst, die in ihm enthaltenen Regelungen und die Vollzugsmaßnahmen insgesamt nach Eintritt der nachhaltigen Sanierung (doch noch) anfechtbar werden, denn das würde im Nachhinein den gesamten Restrukturierungsprozess konterkarieren. Relevant wird die Ausnahme daher nur dann, wenn Planvollzugsmaßnahmen ausnahmsweise doch erst nach Eintritt des nachhaltigen Restrukturierungserfolgs wirksam werden sollten. Kommt es ausnahmsweise doch einmal auf den nachhaltigen Sanierungserfolg an, dann stellt sich die Frage, wann von einer nachhaltigen Restrukturierung gesprochen werden kann. Dabei ist zunächst zwischen der „Restrukturierung“ (d. h. der Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit) und deren „Nachhaltigkeit“ zu unterscheiden.39) Zu letzterer ist darauf hinzuweisen, dass die zeitliche Schranke des § 90 Abs. 1 Parallelen zur Regelung des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO aufweist,40) die die Nachranganordnung für Neugesellschafter41) i. R. des Sanierungsprivilegs bis zur nachhaltigen Sanierung des Schuldnerunternehmens aussetzt. Sowohl das Gesetz als auch die Gesetzesbegründung – bei § 90 Abs. 1 wie bei § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO – lassen jedoch offen, ab wann von einer „nachhaltigen Restrukturierung“ auszugehen ist.42) Bei § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO wird teilweise angenommen, dass dies bereits zwölf Monate nach Erwerb der Anteile durch den Neugesellschafter der Fall sei.43) Anderen zufolge muss der Schuldner seine Kreditwürdigkeit wiederhergestellt haben, und das für einen Zeitraum von mindestens einem Jahr.44) Wiederum andere verlangen, dass der Schuldner den bestandsgefährdenden Insolvenzgrund zumindest für das laufende und das gesamte folgende Geschäftsjahr beseitigt haben muss.45)

19

Auf § 90 Abs. 1 lassen sich diese umstrittenen Erwägungen nur bedingt übertragen, da die Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit notwendigerweise mit einem _____________

20

39) Vgl. aber Braun-Tashiro, StaRUG, § 90 Rz. 11. 40) Desch, BB 2020, 2498, 2506; ferner Hoegen, NZI Beilage Heft 5/2017, S. 30, 33, der sich insofern noch für eine feste Anfechtungsfrist ausgesprochen hat. 41) Zur Beschränkung des Sanierungsprivilegs auf Neugesellschafter und Gesellschafter unterhalb der Schwelle des Kleinbeteiligtenprivilegs Behme in: MünchKomm-InsO, § 39 Rz. 90; K. Schmidt-Herchen, InsO, § 39 Rz. 45. 42) Für § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO Behme in: MünchKomm-InsO, § 39 Rz. 91; Bitter, ZIP 2020, 685, 694 („offener Begriff, der Interpretationsspielräume lässt“); Haas in: HK-InsO, § 225a Rz. 34; Schulz, Der Debt Equity Swap in der Insolvenz, S. 291. 43) Haas, ZInsO 2007, 617, 625; ferner Kübler/Prütting/Bork-Spahlinger, InsO, § 225a Rz. 51 („ein Jahr ab rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans angemessen“). 44) Gehrlein, WM 2011, 577, 584 f.; Gehrlein/Born/Simon-Gehrlein, GmbHG, Vor § 64 Rz. 314; Kübler/Prütting/Bork-Preuß, InsO, § 39 Rz. 63; Wittig in: FS K. Schmidt, S. 1758 f; zust. Schulz, Der Debt Equity Swap in der Insolvenz, S. 293 f. 45) Hirte/Knof, WM 2009, 1961, 1969 f.; Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632, 643; Uhlenbruck/ Hirte, InsO, § 39 Rz. 67.

Bork

1215

§ 90

Planfolgen und Planvollzug

Prognosezeitraum von 24 Monaten einhergeht, § 18 Abs. 2 Satz 2 InsO.46) Nachhaltig beseitigt wäre sie damit also erst, wenn feststeht, dass der Schuldner auch in 48 Monaten noch seine fälligen Verbindlichkeiten wird begleichen können. Praktisch ist ein derart langer Prognosezeitraum kaum zutreffend abzubilden und damit weitgehend unbrauchbar. Anderweitig hergeleitete starre Fristen, wie sie etwa zu § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO vorgeschlagen werden, dürften den Umständen des Einzelfalls jedoch ebenso wenig gerecht werden.47) Sofern man aus Gründen der Rechtssicherheit gleichwohl auf Zeiträume abstellen will, liegt es nahe, die Wertung des § 33 Abs. 2 Satz 3 heranzuziehen.48) Sind demnach seit dem Ende des Anordnungszeitraums oder der Entscheidung über den Antrag auf Planbestätigung weniger als drei Jahre vergangen, ist im Zweifel anzunehmen, dass eine nachhaltige Sanierung nicht erfolgt ist. Wenn dagegen bereits mehr als drei Jahre verstrichen sind, ließe sich vermuten, dass der Schuldner in der Zwischenzeit nachhaltig restrukturiert werden konnte. 21

Für die Frage, ob die Restrukturierung nachhaltig abgeschlossen wurde, ist letztlich auf die Einzel- und Besonderheiten der konkreten Restrukturierung abzustellen. Anhaltspunkte bieten können dabei u. a. ein dem Restrukturierungsplan zugrunde gelegter Zeitrahmen49) und ein Abgleich der erzielten Erfolge mit den im Konzept enthaltenen Sanierungsvorgaben. Nur ergänzend kann auf die Wertung des § 33 Abs. 2 Satz 3 rekurriert werden (siehe oben Rz. 20). b) Kenntnis des schutzunwürdigen anderen Teils

22

Geschäftspartner, die im nach § 140 InsO maßgeblichen Zeitpunkt Kenntnis davon hatten, dass der Restrukturierungsplan auf der Grundlage unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Schuldners bestätigt wurde, unterliegen von vorneherein nicht dem Schutz des § 90 Abs. 1. Ausgeschlossen werden soll in erster Linie, dass der Schuldner mithilfe eines zu Unrecht erwirkten Restrukturierungsplans einzelnen, eingeweihten Geschäftspartnern anfechtungsfeste Sondervorteile verschafft. Denkbar ist etwa, dass der Schuldner seine drohende Zahlungsunfähigkeit nur vortäuscht, ein Sanierungskonzept vorlegt, das nicht auf den tatsächlichen Begebenheiten beruht, oder Planbetroffenen wider besseres Wissen Ansprüche zuweist, die er nicht wird erfüllen können (§ 63 Abs. 1 und 2).

23

Indes reicht es nicht aus, dass der Schuldner gegenüber dem Gericht allein nebensächliche Informationen unrichtig oder unvollständig angegeben hat und der andere Teil hiervon wusste. Vielmehr müssen die unrichtigen oder unvollständigen Angaben zur Grundlage der gerichtlichen Bestätigung geworden sein. Es darf mit anderen Worten nicht ausgeschlossen sein, dass das Gericht bei zutreffender Information _____________ 46) Thole, ZIP 2020, 1985, 1991. 47) Ebenso krit. zu starren Fristen Behme in: MünchKomm-InsO, § 39 Rz. 91. 48) Ähnlich Thole, ZIP 2020, 1985, 1991, ferner zum Insolvenzplanverfahren K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 225a Rz. 32 (dreijährige Planüberwachungsfrist als Indiz für Dauer einer nachhaltigen Sanierung, § 268 Abs. 1 Nr. 2 InsO); Haas in: HK-InsO, § 225a Rz. 34 (Drei-JahresFrist der Planüberwachung als äußerste Grenze). 49) Für § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO so auch Behme in: MünchKomm-InsO, § 39 Rz. 90.

1216

Bork

§ 90

Planfolgen und Planvollzug

durch den Schuldner zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, die Bestätigung des Plans also versagt hätte. Auf der subjektiven Ebene ist es strenggenommen, auch wenn es normalerweise der Fall sein dürfte, nicht erforderlich, dass der Schuldner selbst Kenntnis hatte von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit seiner Angaben, geschweige denn den Vorsatz, einzelne Geschäftspartner gezielt zu bevorteilen.50) Maßgeblich ist allein die Kenntnis des anderen Teils. Sie entscheidet darüber, ob er den Anfechtungsschutz des § 90 Abs. 1 verdient, weil er (gutgläubig) auf den gerichtlich bestätigten Plan vertraut, oder eben nicht, weil er um die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der ihm zugrunde liegenden Angaben weiß.

24

Um ihm den gewährten Schutz zu versagen, bedarf es insoweit seiner positiven Kenntnis. Grob fahrlässige Unkenntnis genügt nicht.51) Allerdings wird er sich einer Kenntnisnahme auch nicht verschließen dürfen.52)

25

IV. Übertragung des gesamten Vermögens (Abs. 2) § 90 Abs. 2 enthält eine weitere Einschränkung des Anfechtungsausschlusses. Sie betrifft den Fall, dass der gestaltende Teil des Plans die Übertragung des gesamten schuldnerischen Vermögens oder wesentlicher Teile davon vorsieht und dadurch die wirtschaftlichen Interessen der nicht planbetroffenen Gläubiger am Erhalt der Haftungsmasse in besonderem Maße beeinträchtigt.53) 1.

26

Tatbestand des Absatz 2

§ 90 Abs. 2 setzt im Tatbestand voraus, dass der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans die Übertragung des gesamten schuldnerischen Vermögens oder wesentlicher Teile davon vorsieht. Verhält es sich so, greift das Anfechtungsprivileg des § 90 Abs. 1 nur dann, wenn sichergestellt ist, dass sich die nicht planbetroffenen Gläubiger gegenüber den Planbetroffenen vorrangig aus der dem Wert des Gegenstands der Übertragung angemessenen Gegenleistung befriedigen können.

27

a) Übertragung des gesamten schuldnerischen Vermögens oder wesentlicher Teile davon Die Übertragung des gesamten schuldnerischen Vermögens oder wesentlicher Teile davon muss im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans enthalten sein. Als Übertragung des gesamten schuldnerischen Vermögens kommt insbesondere ein Asset Deal in Betracht, im Zuge dessen sämtliche Aktiva des schuldnerischen Unterneh_____________ 50) Ebenso Hölzle/Curtze, ZIP 2021, 1293, 1303. 51) Zur ähnlich gelagerten Fragestellung bei § 133 Abs. 1 InsO BGH, Urt. v. 30.6.2011 • IX ZR 155/08, Rz. 21, BGHZ 190, 201 = NZI 2011, 684, dazu EWiR 2011, 577 (Eckardt); BGH, Urt. v. 22.6.2017 – IX ZR 111/14, Rz. 22, NZI 2017, 718 = WM 2017, 1424, dazu EWiR 2017, 637 (Breitenströter-Brüggemann); Jaeger-Henckel, InsO § 133 Rz. 47; Kayser/Freudenberg in: MünchKomm-InsO, § 133 Rz. 19a; Nerlich/Römermann-Nerlich, InsO, § 133 Rz. 39; Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 133 Rz. 51. 52) Zu § 133 Abs. 1 InsO BGH, Urt. v. 30.6.2011 • IX ZR 155/08, Rz. 21, BGHZ 190, 201 = NZI 2011, 684, dazu EWiR 2011, 577 (Eckardt); Kayser/Freudenberg in: MünchKommInsO, § 133 Rz. 19a; Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 133 Rz. 51. 53) Begr. RegE SanInsFoG z. § 97 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 182.

Bork

1217

28

§ 90

Planfolgen und Planvollzug

mens übertragen werden. Hierbei dürfte es sich jedoch allenfalls um Ausnahmefälle handeln. Schließlich geht es dem Schuldner in dem von ihm eingeleiteten Restrukturierungsverfahren um Restrukturierung und anschließende Fortsetzung der Geschäftstätigkeit und nicht um den Ausverkauf des Unternehmens mit anschließender stiller Liquidation des vormaligen Unternehmensträgers. 29

Praktisch relevanter sein dürfte demnach die Alternative des Verkaufs wesentlicher Teile des Schuldnervermögens. Was darunter konkret zu verstehen ist, bleibt allerdings offen. Den Gesetzgebungsmaterialien lässt sich hierzu nichts entnehmen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der wesentliche Teil zwar nicht an die vollumfängliche Veräußerung heranreichen, wohl aber eine gewisse Vergleichbarkeit begründen muss.54) Orientierung bieten kann insoweit die Rechtsprechung des BGH55) zur ungeschriebenen Kompetenz der Hauptversammlung bei maßgeblichen unternehmerischen Entscheidungen über wesentliche Unternehmensteile („Holzmüller-Gelatine“).56) Betroffen sind in beiden Fällen die wirtschaftlichen Interessen der nicht unmittelbar an der Strukturmaßnahme beteiligten Akteure – einerseits der nicht befragten Aktionäre der Gesellschaft, andererseits der nicht vom Plan betroffenen57) und damit auch nicht in dessen Ausarbeitung involvierten Gläubiger des Schuldners.58)

30

Ob es sich bei dem zur Veräußerung vorgesehenen Teil demnach um einen wesentlichen Teil des Schuldnervermögens handelt, ist i. R. einer Gesamtabwägung aller im konkreten Einzelfall relevanten Umstände anhand einer Reihe von Kriterien zu beantworten, etwa dem wertmäßigen Anteil der zu veräußernden Aktiva an der Bilanzsumme bzw. am Stammkapital der Gesellschaft. Aussagekräftig ist zudem der Anteil der zu veräußernden Vermögenswerte am Gesamtumsatz des Schuldners sowie der Anteil der in den betroffenen Betriebsteilen beschäftigten Mitarbeiter an der Gesamtbelegschaft.59) Ein Schwellenwert von 80 %, wie ihn der BGH für eine obligatorische Befragung der Hauptversammlung als Richtgröße zugrunde legt,60) dürfte bei § 90 Abs. 2 jedoch zu hoch gegriffen sein. Angesichts des vollständigen Austauschs der Haftungsmasse erscheint es angemessen, den Anfechtungsausschluss regelmäßig bereits ab einem Schwellenwert von 50 % den erhöhten Anforderungen des § 90 Abs. 2 zu unterwerfen.

_____________ 54) A. A. Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 880, der eine Gefährdung der Gläubigerbefriedigung verlangt. 55) Ausführlich zur Entwicklung dieser Rechtsprechung des II. Zivilsenats Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 119 Rz. 16 ff. 56) BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80 (Holzmüller), BGHZ 83, 122 = NJW 1982, 1703; BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 (Gelatine), BGHZ 159, 30 = NJW 2004, 1860. 57) Begr. RegE SanInsFoG z. § 97 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 182. 58) Können die Aktionäre infolge der infrage stehenden Maßnahme nicht mehr unmittelbar über das Gesellschaftsvermögen entscheiden (sog. Mediatisierungseffekt), müssen die nicht planbetroffenen Gläubiger mit einer anderen Haftungsmasse, der Gegenleistung, Vorlieb nehmen. 59) S. hierzu Henssler/Strohn-Liebscher, GesR, § 119 AktG Rz. 14 f. 60) BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80 (Holzmüller), BGHZ 83, 122 = NJW 1982, 1703; BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 (Gelatine), BGHZ 159, 30 = NJW 2004, 1860.

1218

Bork

§ 90

Planfolgen und Planvollzug

b) Sicherstellung der vorrangigen Befriedigung der nicht planbetroffenen Gläubiger Das Anfechtungsprivileg des § 90 Abs. 1 kommt in den Fällen des Absatz 2 von vornherein nur dann zum Zuge, wenn für das veräußerte Vermögen bzw. die Vermögensteile eine angemessene Gegenleistung vereinbart wurde. Nachteilige, weil unter Wert erfolgte Veräußerungen sind demnach unverändert und ungeachtet der Bemühungen der planbetroffenen Gläubiger in jedem Fall der Anfechtung zugänglich. Angemessen ist die Gegenleistung nur dann, wenn sie dem Wert der übertragenen Gegenstände mindestens gleichwertig ist. Maßgeblich ist dabei der objektive Vergleich der im Veräußerungszeitpunkt anzusetzenden Marktwerte der Leistungen, wobei marktübliche Beurteilungsspielräume zu akzeptieren sind.

31

Damit die Übertragung des gesamten schuldnerischen Vermögens oder wesentlicher Teile davon – trotz der widerstreitenden Interessen der nicht planbetroffenen Gläubiger am Erhalt ihrer Haftungsmasse – gemäß § 90 Abs. 1 der Anfechtung entzogen ist, muss sichergestellt sein, dass letztere sich gegenüber den Planbetroffenen vorrangig aus der Gegenleistung befriedigen können. § 90 Abs. 2 adressiert damit in erster Linie ein Verteilungsproblem zwischen den planbetroffenen und den nicht planbetroffenen Gläubigern, allen voran den Arbeitnehmern (§ 4), wenngleich der Anfechtungsausschluss letzten Endes vor allem dem Erwerber zugutekommt. Anders gewendet sollen die über den Plan abstimmenden Gläubiger (die Planbetroffenen) nur dann anfechtungsfest über die Veräußerung des gesamten Schuldnervermögens bzw. wesentlicher Teile davon verfügen können, wenn sie die Interessen der außen vor bleibenden Arbeitnehmer und der übrigen nicht vom Plan betroffenen Gläubiger hinreichend berücksichtigen.

32

Die Angemessenheit der Gegenleistung vorausgesetzt bleibt die Herausforderung, sicherzustellen, dass sich die nicht planbetroffenen Gläubiger vorrangig aus der angemessenen Gegenleistung befriedigen können. Das geschieht idealerweise im Plan selbst61) und setzt zunächst voraus, dass die Gegenleistung auch tatsächlich verwertbar ist. Die Organisation der Absicherung des Zugriffs der nicht planbetroffenen Gläubiger wird die Praxis nicht selten vor erhebliche Schwierigkeiten stellen. So kann eine vorrangige Befriedigung der nicht planbetroffenen Gläubiger aus dem zugeflossenen Veräußerungserlös schon daran scheitern, dass die betroffenen Forderungen, insbesondere die Pensionsforderungen der Arbeitnehmer (§ 4 Satz 1 Nr. 1), nicht fällig sind oder den Veräußerungserlös komplett aufzehren. Häufig wird daher, wo nicht eine umgehende vollständige Befriedigung der nicht planbetroffenen Gläubiger in Betracht kommt, eine Separierung des erzielten Erlöses bis zur nachhaltigen Restrukturierung des Schuldners erforderlich sein, idealerweise auf einem offenen Treuhandkonto, verbunden mit einer Vorrangregelung zugunsten der begünstigten nicht planbetroffenen Gläubiger im Restrukturierungsplan.62) Ob eine solche Regelung bei der Abstimmung über den Restrukturierungsplan allerdings mehrheitsfähig ist, steht zu bezweifeln, wenn man bedenkt, dass die planbetroffenen Gläubiger oftmals darauf setzen werden, die ihnen zugesagten Quoten zeitnah aus den erzielten Ver-

33

_____________ 61) Braun-Tashiro, StaRUG, § 90 Rz. 18; Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 880 f. 62) Insofern angelehnt an die Grundsätze zum Vertrag zugunsten Dritter, § 328 BGB.

Bork

1219

§ 90

Planfolgen und Planvollzug

kaufserlösen ausgeschüttet zu bekommen. Alternativ kommt eine Ausschüttung des Erlöses an die Planbetroffenen nach den Vorgaben des Restrukturierungsplans in Betracht, die dann allerdings durch werthaltige Rückforderungsansprüche im Insolvenzfall abgesichert werden müsste. Denkbar sind auch Bankgarantien zugunsten der nicht planbetroffenen Gläubiger. 34

Ob sich diese Möglichkeiten als praktikabel erweisen, wird sich zeigen müssen. Jedenfalls fordern sie allesamt einen hohen Preis für einen Anfechtungsschutz, der sich auch anderweitig durch gezielten Einsatz der bereits existierenden Anfechtungsprivilegien, insbesondere durch § 142 InsO, erreichen lässt und den planbetroffenen Gläubigern letztlich auch nur mittelbar zugutekommt. 2.

35

Rechtsfolge

Enthält der Plan im gestaltenden Teil Regelungen zur Übertragung des gesamten Schuldnervermögens oder wesentlicher Teile davon, sind Rechtshandlungen – und zwar alle, nicht nur die, die der Übertragung dienen63) – der Anfechtung nur insoweit entzogen, als sichergestellt ist, dass sich die nicht planbetroffenen Gläubiger gegenüber den Planbetroffenen vorrangig aus der angemessenen Gegenleistung befriedigen können. Ist die vorrangige Befriedigung nur zu einem Teil sichergestellt, erfasst der Anfechtungsausschluss nur – aber immerhin – den sichergestellten Teil („soweit“). Eine Anfechtung der gesamten Regelung, wie sie § 129 Abs. 1 InsO grundsätzlich vorsieht,64) ist dann nicht möglich. V. Darlegungs- und Beweislast

36

Die Darlegungs- und Beweislast liegt grundsätzlich beim Anfechtungsgegner.65) Zwar trägt sie hinsichtlich der Voraussetzungen eines Anfechtungsanspruchs grundsätzlich der Insolvenzverwalter, der den Anspruch für die Insolvenzmasse geltend macht. Er hat darzulegen und zu beweisen, dass die infrage stehende Rechtshandlung die Gläubiger benachteiligt (§ 129 Abs. 1 InsO) und die weiteren Voraussetzungen zumindest eines der in den §§ 130 ff. InsO statuierten Anfechtungsgründe erfüllt sind. Beruft sich aber der andere Teil auf den Anfechtungsausschluss des § 90 Abs. 1, ist er hinsichtlich der Voraussetzungen dieses für ihn günstigen Umstandes darlegungsund beweisbelastet. Ihm obliegt es, nachzuweisen, dass die infrage stehende Rechtshandlung in einem rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplan geregelt oder zumindest in dessen Vollzug erfolgt ist und der Schuldner im Zeitpunkt des anfechtbaren Rechtserwerbs (§ 140 InsO) nicht bereits nachhaltig restrukturiert war. Ersteres kann durch Vorlage des Insolvenzplans im Anfechtungsprozess geschehen, wobei Zweifel an dessen Reichweite zulasten des Anfechtungsgegners geschehen. Letzteres erfordert erheblichen Sachvortrag und wird häufig auf einen Sachverständigenbeweis hinauslaufen.

37

Den Insolvenzverwalter trifft dann wiederum die Darlegungs- und Beweislast für die Kenntnis des anderen Teils davon, dass die gerichtliche Bestätigung des Plans – was der Insolvenzverwalter ebenfalls zu beweisen hat – auf der Grundlage unrichtiger _____________ 63) Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 880. 64) Kübler/Prütting/Bork-Bartels, InsO, § 129 Rz. 363. 65) Ebenso Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 880.

1220

Bork

§ 91

Berechnung von Fristen

oder unvollständiger Angaben des Schuldners erfolgt ist. Gleichermaßen beweisbelastet ist der Verwalter, wenn er vorträgt, dass es sich bei der infrage stehenden Rechtshandlung um eine von § 90 Abs. 1 ausgenommene Begründung oder Zahlung auf eine Forderung im Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder um eine nach § 135 InsO bzw. § 6 AnfG anfechtbare Sicherheitsleistung handele. Im Rahmen des § 90 Abs. 2 obliegt es dem Insolvenzverwalter, nachzuweisen, dass der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans die Übertragung des gesamten Schuldnervermögens oder wesentlicher Teile davon zum Gegenstand hatte. Der andere Teil hat demgegenüber darzulegen und zu beweisen, dass die erbrachte Gegenleistung angemessen und zugleich sichergestellt war, dass die nicht planbetroffenen Gläubiger sich vorrangig hieraus befriedigen können.

38

§ 91 Berechnung von Fristen Bork

In die Fristen der §§ 3 bis 6a des Anfechtungsgesetzes sowie der §§ 88, 130 bis 136 der Insolvenzordnung wird die Zeit der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache nicht eingerechnet. Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 2 III. Tatbestand ............................................. 3

I.

IV. Rechtsfolge ........................................... 5 V. Darlegungs- und Beweislast ............... 9

Normzweck

§ 91 verlängert die Anfechtungszeiträume der InsO bzw. des AnfG sowie den Zeitraum der Rückschlagsperre des § 88 InsO um den Zeitraum der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache.1) Die Vorschrift dient dem Gläubigerschutz: Die Gesamtheit der Gläubiger eines etwaigen späteren Insolvenzverfahrens soll nicht durch die Dauer des präventiven Restrukturierungsverfahrens und währendessen etwaig fortlaufende Fristen schlechter gestellt werden.2)

1

II. Normhistorie Im RefE des BMJV war eine Regelung zur Berechnung der Anfechtungszeiträume noch nicht enthalten. Aufgenommen wurde sie erst als § 98 in den RegE, der in diesem Punkt unverändert Gesetz geworden ist.

2

III. Tatbestand Tatbestandlich knüpft § 91 an die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache an. Rechtshängig wird die Restrukturierungssache gemäß § 31 Abs. 3 mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim Restrukturierungsgericht, ohne dass es einer

_____________ 1) 2)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 98 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 183. Begr. RegE SanInsFoG z. § 98 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 183.

Bork

1221

3

§ 91

Berechnung von Fristen

darauf bezogenen Entscheidung durch das Gericht bedürfte.3) Die Anzeige ist kein zu bescheidender Antrag, sondern eine einseitige Verfahrenshandlung des Schuldners.4) 4

Die Rechtshängigkeit endet, wenn die Anzeige ihre Wirkung verliert (§ 31 Abs. 4). Das ist der Fall, wenn der Schuldner sie zurücknimmt (§ 31 Abs. 4 Nr. 1), die Entscheidung über die Planbestätigung rechtskräftig wird (§ 31 Abs. 4 Nr. 2),5) das Gericht die Restrukturierungssache nach § 33 aufhebt (§ 31 Abs. 4 Nr. 3) oder seit der Anzeige sechs Monate oder, sofern der Schuldner die Anzeige zuvor erneuert hat, zwölf Monate vergangen sind (§ 31 Abs. 4 Nr. 4). Die nur einmal mögliche Erneuerung der Anzeige soll allerdings ein Ausnahmefall bleiben.6) Insgesamt ist daher die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache auf höchstens zwölf Monate beschränkt. IV. Rechtsfolge

5

In die in den §§ 88, 130 ff. InsO und §§ 3 ff. AnfG relevanten (Anfechtungs-)Zeiträume wird die Zeit der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache nicht eingerechnet. Für die Dauer des rechtshängigen Restrukturierungsverfahren sind damit die maßgeblichen Fristen, die regelmäßig bereits vor Anhängigkeit der Resrukturierungssache zu laufen begonnen haben, gehemmt und können sich dadurch faktisch um bis zu zwölf Monate verlängern. Diese grundsätzlich anfechtungsfreundliche Verlängerung hilft gleichwohl nicht darüber hinweg, dass für eine Anfechtung auch die übrigen Anfechtungsvoraussetzungen erfüllt sein müssen.

6

Kaum relevant sein dürfte § 91 deshalb für die Kongruenzanfechtung (§ 130 InsO) und die Anfechtung nach § 132 Abs. 1 Nr. 1 InsO, die beide an die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners anknüpfen. Gerade hieran dürfte es zumindest bei den unmittelbar vor Anzeige des Restrukturierungsvorhabens erfolgten Rechtshandlungen fehlen, weil der Restrukturierungsschuldner zu diesem Zeitpunkt (§ 140 InsO) in aller Regel nur drohend zahlungsunfähig war.

7

Bedeutender ist die Fristverlängerung demnach im Rahmen der §§ 133 – 136 InsO bzw. der §§ 3 – 6a AnfG, mithilfe derer bei zeitigem Übergang vom Restrukturierungs- ins Insolvenzverfahren nicht nur etwaige in der Restrukturierung vorgenommene, sondern teils noch deutlich davor erfolgte Rechtshandlungen angefochten werden können. Zu beachten sind hier gleichwohl die §§ 89, 90, die wiederum einen Großteil der im Restrukturierungsverfahren erfolgten Rechtshandlungen der Anfechtung entziehen dürften.

_____________ 3)

4) 5)

6)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 98 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 136. Nicht erforderlich ist es dagegen, dass der Schuldner sein Vorhaben beim zuständigen Restrukturierungsgericht anzeigt, § 33 Abs. 1 Nr. 2; ebenso Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 881. Begr. RegE SanInsFoG z. § 33 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 133 f. Bedarf der rechtskräftig bestätigte Restrukturierungsplan nur mehr seines Vollzugs, kann die Restrukturierungssache bereits aufgehoben werden. Wird die Bestätigung hingegen versagt, soll demgegenüber nicht durch eine vorschnelle Aufhebung ausgeschlossen werden, dass der Schuldner sein Vorhaben auf der Grundlage eines neuen Plans oder Konzepts weiterbetreibt, vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 33 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 136. Begr. RegE SanInsFoG z. § 33 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 136.

1222

Bork

§ 91

Berechnung von Fristen

Über das Ziel hinausschießen könnte § 91 mit Blick auf die Rückschlagsperre des § 88 InsO und die Inkongruenzanfechtung nach § 131 InsO, insbesondere nach § 131 Abs. 1 Satz 1 InsO. Zwar ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass inkongruente Deckungen ggfs. auch noch aus der Zeit unmittelbar vor Anzeige des Restrukturierungsvorhabens der Anfechtung unterworfen werden. Es lässt sich aber daran zweifeln, dass eine derartige Deckung die für sie typische „besondere Verdächtigkeit“ aufweist, wenn der im maßgeblichen Zeitpunkt in der Regel erst drohend zahlungsunfähige Schuldner noch in der Lage war, ein ggf. mehrmonatiges Restrukturierungsverfahren zu durchlaufen. Im Rahmen des § 88 Abs. 1 InsO führt § 91 dazu, dass sämtliche Sicherungen, die ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat vor Anzeige des Restrukturierungsvorhabens durch Zwangsvollstreckung erlangt hat, mit Verfahrenseröffnung unwirksam werden, wenn das Restrukturierungsverfahren nahtlos in ein Insolvenzeröffnungsverfahren übergeht.

8

V. Darlegungs- und Beweislast Die Darlegungs- und Beweislast liegt beim Insolvenzverwalter. Stützt er bzw. ein Gläubiger seine Anfechtungsklage maßgeblich auf die Fristverlängerung des § 91, obliegt es ihm, die konkrete Dauer der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache, um die sich der relevante Anfechtungszeitraum verlängern soll, darzulegen und im Bestreitensfalle zu beweisen.

Bork

1223

9

Kapitel 6 Arbeitnehmerbeteiligung; Gläubigerbeirat § 92 Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz Röger

Die Verpflichtungen des Schuldners gegenüber den Arbeitnehmervertretungsorganen und deren Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz bleiben von diesem Gesetz unberührt. Literatur: Giese/Jungbauer, Arbeitsrechtliche Implikationen des vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens nach der Restrukturierungsrichtlinie und dem StaRUG-Regierungsentwurf, BB 2020, 2679; Göpfert/Giese, Der Arbeitnehmer im Gefüge des StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 55; Göpfert/Giese, Die EU-Richtlinie im Arbeitsrecht: Verschärfte Konsultationspflichten in der vorinsolvenzlichen Sanierung?, NZI Beilage Heft 16 – 17/2019, S. 29; Salamon/Krimm, Arbeitsrechtliche Aspekte und Herausforderungen im außerinsolvenzlichen Sanierungsverfahren, NZA 2021, 235. Übersicht I. II. III. IV. V. VI. 1. 2.

Normzweck ........................................... 1 Normhistorie ........................................ 2 Einführung ........................................... 3 Arbeitnehmervertretungsorgane ....... 4 Beteiligungsrechte ............................... 6 Beispiele für Beteiligungsrechte ........ 8 Rechte des Betriebsrats ......................... 9 Rechte des Wirtschaftsausschusses .......................................... 10 VII. Rechtsfolge ......................................... 11 1. Ungekürzter Erhalt gegebener Beteiligungsrechte ............................... 11

I.

2.

Beteiligung von Arbeitnehmervertretern im Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen ........... 12 a) Originäre Beteiligungsrechte gemäß StaRUG ............................ 13 b) Abgeleitete Beteiligungsrechte .... 15 aa) Grundlagen der Restrukturierungsrichtlinie .............................. 15 bb) Beteiligung von Arbeitnehmervertretungsorganen im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen .......................................... 18

Normzweck

Die Norm nimmt den in der Restrukturierungsrichtlinie mehrfach erwähnten Grundsatz auf, Arbeitnehmern im präventiven Restrukturierungsmaßnahmen ein ungekürztes arbeitsrechtliches Schutzniveau zu gewährleisten und ihre aus den maßgeblichen europäischen Richtlinien und den zur Umsetzung erlassenen nationalen Vorschriften erwachsenen Rechte, vor allem auf Anhörung und Unterrichtung,1) ungemindert zu erhalten. § 92 setzt diese europarechtliche Vorgabe mit Blick auf die im deutschen Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen Arbeitnehmervertretungsorgane nur sehr knapp durch die klarstellende Gewährleistung um, dass deren Beteiligungsrechte nicht _____________ 1)

Anhörung i. S. der Restrukturierungsrichtlinie ist, anders als der im deutschen Arbeitsrecht verwendete Begriff, als Meinungsaustausch und Dialog, d. h. als Konsultation (wie bei § 17 Abs. 2 KSchG) gemeint, s. Art. 2 lit. g der Richtlinie 2002/14/EG v. 11.3.2002 (Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.3.2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft, ABl. (EU) L 80/29 v. 23.3.2002) und ErwG 10 der Restrukturierungsrichtlinie.

Röger

1225

1

§ 92

Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz

dadurch verkürzt werden, dass beteiligungspflichtige Angelegenheiten Teil eines Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens sind.2) II. Normhistorie 2

Während im RefE3) keine Regelung zur Beteiligung von Arbeitnehmervertretungsorganen für vorinsolvenzliche Sanierungsvorhaben vorgesehen war, nahm die Norm erst mit dem RegE4) Eingang ins Gesetz, seinerzeit noch als § 99 und einzige Vorschrift eines neuen Kapitels 6 (Arbeitnehmerbeteiligung) im 2. Teil (Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen). Nach den Änderungen durch die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 15.12.20205) fand die Vorschrift ihren endgültigen Platz in § 92 und bildete zusammen mit der ebenfalls neu eingefügten Vorschrift des § 93 (Gläubigerbeirat) das Kapitel 6 (Arbeitnehmerbeteiligung; Gläubigerbeirat). III. Einführung

3

§ 92 betrifft den Erhalt von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmervertretungsorgane nach dem BetrVG und die damit korrespondierenden Pflichten des Schuldners als Arbeitgeber im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen6) gegenüber diesen Organen. IV. Arbeitnehmervertretungsorgane

4

Vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst sind nur Arbeitnehmervertretungsorgane des BetrVG. Dies sind der Betriebsrat (§ 1 BetrVG), der Gesamtbetriebsrat (§ 47 BetrVG), der Konzernbetriebsrat (§ 54 BetrVG), etwaige von diesen Vorgaben abweichende betriebsverfassungsrechtliche Organe (§ 3 BetrVG) und der in Unternehmen mit in der Regel mehr als 100 ständig beschäftigten Arbeitnehmern zu bildende Wirtschaftsausschuss (§ 106 BetrVG). Daneben gilt die Norm auch für die Arbeitnehmervertretungsorgane nach dem BetrVG in der Seeschifffahrt (§§ 114 ff. BetrVG) und im Flugbetrieb (§ 117 Abs. 1 Satz 2 BetrVG).

5

Nicht von § 92 erfasst, sind angesichts des in Überschrift und Text auf Arbeitnehmervertretungsorgane des Betriebsverfassungsgesetzes beschränkten Wortlauts der Norm der Sprecherausschuss der leitenden Angestellten nach dem SprAUG. Auch die im BetrVG vorkommenden Gremien der Jugend- und Auszubildenden-Vertretung (§ 60 JAV), der Gesamt- Jugend- und Auszubildenden-Vertretung (§ 72 JAV) und der Konzern- Jugend- und Auszubildenden-Vertretung (§ 73a BetrVG) _____________ 2) 3)

4) 5) 6)

S. Begr. RegE SanInsFoG z. § 99 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 183; krit. zur knappen Regelung auch Göpfert/Giese, NZI-Beilage 2021, 55, 55. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 2.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181. Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25303. Im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen bleibt der Schuldner fortwährend in der Arbeitgeberstellung, anders als im eröffneten Regelinsolvenzverfahren, in dem der Insolvenzverwalter in die Arbeitgeberstellung einrückt; s. Hützen in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 5 Rz. 2.

1226

Röger

Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz

§ 92

fallen nicht in den Anwendungsbereich von § 92 BetrVG, weil sie keine selbständigen, dem Betriebsrat gleichberechtigt gegenüberstehenden Organe der Betriebsverfassung sind und ihnen gegenüber dem Schuldner keine eigenständigen Beteiligungsrechte zustehen.7) Auch außerhalb des BetrVG stehende Arbeitnehmervertretungsorgane (wie Personalvertretungen gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG und die Personalvertretungen des öffentlichen Dienstes gemäß § 130 BetrVG, gemäß BPersVG bzw. den Personalvertretungsgesetzen der Länder, sowie Mitarbeitervertretungen des Kirchenarbeitsrechts) sind von § 92 nicht erfasst.8) V. Beteiligungsrechte Der Begriff der Beteiligungsrechte nach dem BetrVG ist umfassend und schließt sowohl Mitwirkungsrechte, als auch Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmernehmervertretungsorgane ein.9) Wie die Restrukturierungsrichtlinie und ihre ErwG erkennen lassen, steht vor allem der Erhalt des Rechts auf Unterrichtung und Anhörung im Zuge des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens im Vordergrund.

6

§ 92 nennt ausschließlich den Erhalt von Beteiligungsrechten nach dem BetrVG. Beteiligungsrechte außerhalb des BetrVG (etwa in § 17 Abs. 2 KSchG zum Konsultationsrecht bei Massenentlassungen) sind nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift zwar nicht erfasst.10) Das StaRUG enthält jedoch ohnehin keine Vorschriften, die diese außerhalb des BetrVG geregelten Beteiligungsrechte einschränken würden.11)

7

VI. Beispiele für Beteiligungsrechte In einem Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen spielen vor allem folgende Beteiligungsrechte nach dem BetrVG des jeweiligen betriebsverfassungsrechtlichen Gremiums eine Rolle und bleiben gemäß § 92 ungemindert gewährt: 1.

Rechte des Betriebsrats

Folgende Beteiligungsrechte eines Betriebsrats12) sind im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen vor allem von zentraler Bedeutung: –

8

Das Recht des Betriebsrats zur Unterrichtung, Beratung und Verhandlung eines Interessenausgleichs und Sozialplans bei geplanten Betriebsänderungen (§§ 111, 112 BetrVG);

_____________ 7) Fitting/Engels/Schmidt/u. a., § 60 Rz. 4. 8) A. A. Braun-v. Saenger, StaRUG, § 92 Rz. 3, der eine weite Auslegung von § 92 favorisiert. Dieser Auslegung von § 92 bedarf es nicht, da der Norm ohnehin nur klarstellender Charakter zukommt. 9) Fitting/Engels/Schmidt/u. a., § 1 Rz. 242. 10) A. A. Braun-v. Saenger, StaRUG, § 92 Rz. 6. 11) Angesichts der umfassenden arbeitsrechtlichen Schutzanordnung der Richtlinie kann sogar eine richtlinienkonforme (erweiternde) Auslegung dieser Beteiligungsrechte in Betracht kommen. 12) I. R. der Zuständigkeitszuweisung nach § 50 BetrVG und § 58 BetrVG können statt dem (örtlichen) Betriebsrat dem Gesamt- oder dem Konzernbetriebsrat die Beteiligungsrechte zustehen.

Röger

1227

9

§ 92

10



das allgemeine Recht des Betriebsrats auf Unterrichtung zur Durchführung seiner Aufgaben (§ 80 Abs. 2 BetrVG);



das Recht des Betriebsrats auf Unterrichtung und Beratung zur Personalplanung (§ 92 Abs. 1 BetrVG);



das Recht des Betriebsrats auf Unterrichtung und Einholung der Zustimmung zu personellen Einzelmaßnahmen (§ 99 Abs. 1 BetrVG);



das Recht des Betriebsrats zur Anhörung bei beabsichtigten Kündigungen (§ 102 BetrVG);



das Recht des Betriebsrats auf Unterrichtung bei der Übernahme des Unternehmens mit Kontrollerwerb, wenn hiermit der Erwerb der Kontrolle verbunden ist (§ 109a, § 106 Abs. 3 Nr. 9a BetrVG);



das Recht des Betriebsrats auf vorherige Abstimmung eines Quartalsberichts (§ 110 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 BetrVG).

2.

Rechte des Wirtschaftsausschusses

Was die Beteiligungsrechte eines Wirtschaftsausschusses angeht, sind im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen vor allem zwei Rechte von Bedeutung: –

Das Recht des Wirtschaftsausschusses auf Unterrichtung und Beratung in wirtschaftlichen Angelegenheiten (§ 106 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BetrVG);



das Recht auf vorherige Abstimmung eines Quartalsberichts (§ 110 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BetrVG).

VII. 1. 11

Rechtsfolge

Ungekürzter Erhalt gegebener Beteiligungsrechte

§ 92 ordnet an, dass die gegebenen Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretungsorgane nach dem BetrVG und die gegenüber diesen Organen bestehenden Verpflichtungen des Schuldners unberührt bleiben und demnach durch die Vorschriften des StaRUG nicht verkürzt werden. Die Rechtsfolge der Vorschrift beschränkt sich allerdings auf den Erhalt der bestehenden Beteiligungsrechte. Weder fügt die Norm zusätzliche Beteiligungsrechte hinzu noch modifiziert sie bestehende Beteiligungsrechte.13) 2.

12

Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz

Beteiligung von Arbeitnehmervertretern im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen

Auch wenn sich die Norm des § 92 BetrVG nur auf den Erhalt bestehender Beteiligungsrechte nach dem BetrVG beschränkt, hat der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen darüber hinaus praktische Auswirkungen auf die Beteiligung von Arbeitnehmervertretern. a) Originäre Beteiligungsrechte gemäß StaRUG

13

Über § 93 Abs. 1 mit der entsprechenden Anwendung von § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO und § 67 Abs. 2 Satz 2 InsO sowie durch die Öffnungsklausel in § 93 Abs. 1 _____________ 13) Göpfert/Giese, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 55, 55.

1228

Röger

Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz

§ 92

Satz 3 sind auch Arbeitnehmervertreter als Mitglieder eines Gläubigerbeirats zugelassen, der in „Restrukturierungssachen mit gesamtverfahrensartigen Zügen“ eingerichtet werden kann (siehe § 93 Rz. 4 ff.).14) Auf diese Weise ermöglicht das StaRUG eine Beteiligung von Arbeitnehmervertretern im Stabilisierungs- und Restrukturierungsverfahren über ein Unterstützungs- und Überwachungsgremium (§ 93 Abs. 3), ähnlich der Beteiligung über einen vorläufigen Gläubigerausschuss in einem (vorläufigen) Eigenverwaltungsverfahren nach §§ 270 ff. InsO, obwohl Arbeitnehmer gemäß § 4 Satz 1 Nr. 1 nicht zu den Planbetroffenen gemäß § 7 Abs. 1 gehören.15) Neben der Arbeitnehmervertreterbeteiligung gemäß § 93 sieht das StaRUG keine weiteren originären Beteiligungsrechte von Arbeitnehmervertretern im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen vor.16) Insbesondere normiert das StaRUG wegen der Beschränkung der Gestaltungswirkung des Restrukturierungsplans auf nur bestimmte Rechtsverhältnisse gemäß § 2 (siehe § 2 Rz. 6 ff.) und wegen der Sperrwirkung des § 4 Satz 1 Nr. 1 für Forderungen und Rechte von Arbeitnehmern (siehe § 4 Rz. 13 ff.) keine speziellen Mitwirkungsrechte eines Betriebsrats bei der Aufstellung und der Abstimmung des Restrukturierungsplans, wie sie die Insolvenzordnung beim Insolvenzplan kennt.17) Der Verzicht auf solche originären Beteiligungsrechte steht im Einklang mit ErwG 43 Restrukturierungsrichtlinie, wonach die Unterstützung von Arbeitnehmern für die Annahme eines Restrukturierungsplans nicht erforderlich ist, wenn die Forderungen von Arbeitnehmern – wie es in § 4 Satz 1 Nr. 1 erfolgt ist – von der Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan ausgenommen sind.

14

b) Abgeleitete Beteiligungsrechte aa) Grundlagen der Restrukturierungsrichtlinie Die Restrukturierungsrichtlinie spricht in ihren ErwG und in Art. 13 mehrfach die Notwendigkeit einer Beteiligung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmervertretern im präventiven Restrukturierungsrahmen an. –

Nach ErwG 10 der Restrukturierungsrichtlinie sollen Restrukturierungen im Dialog und mit Einbindung der Arbeitnehmervertreter erfolgen.

_____________ 14) Der Verweis von § 93 Abs. 1 auf § 21a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO und § 67 Abs. 3 InsO bewirkt, dass auch Gewerkschaftsvertreter als Arbeitnehmervertreter dem Gläubigerbeirat angehören können, aber nicht angehören sollen; so auch Göpfert/Giese, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 55, 57. 15) Näher zur Ausgestaltung Göpfert/Giese, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 55, 56 f., und unten § 93 Rz. 11 f., 14. 16) Göpfert/Giese, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 55, 55; Giese/Jungbauer, BB 2020, 2679, 2683. 17) Nämlich § 218 Abs. 3 InsO für die Mitwirkung des Betriebsrats bei der Aufstellung des Insolvenzplans, § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO für die Stellungnahme des Betriebsrats zum Insolvenzplan nach Weiterleitung durch das Gericht und § 235 Abs. 3 Satz 1 InsO für die Teilnahme des Betriebsrats am Erörterungs- und Abstimmungstermin.

Röger

1229

15

§ 92

Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz



ErwG 60 Satz 2 und Satz 3 Restrukturierungsrichtlinie betonen, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter ihre aus bestehenden Richtlinien18) und den nationalen Umsetzungsvorschriften garantierten Rechte auch im präventiven Restrukturierungsrahmen ungekürzt behalten sollen.



ErwG 60 Satz 4 Restrukturierungsrichtlinie präzisiert die Pflicht zur Unterrichtung und Anhörung aus der Richtlinie 2002/14/EG (Unterrichtungs- und Anhörungsrichtlinie), wonach Arbeitnehmervertreter über den Beschluss, ein präventives Restrukturierungsverfahren in Anspruch zu nehmen, zu unterrichten und anzuhören sind.



Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter sollten zudem gemäß ErwG 61 Satz 1 Restrukturierungsrichtlinie i. R. der gegebenen europäischen Vorschriften Informationen zu dem vorgeschlagenen Restrukturierungsplan erhalten, damit sie die verschiedenen Szenarien eingehend prüfen können.



Gemäß ErwG 61 Satz 2 Restrukturierungsrichtlinie sollen Arbeitnehmer und ihre Vertreter durch ihre Anhörung in dem i. R. der europäischen Vorschriften vorgegebenem Umfang zum vorgeschlagenen Restrukturierungsplan einbezogen werden.

16

Auf diesen ErwG aufbauend hat die Restrukturierungsrichtlinie in Art. 13 Abs. 1 normiert, dass die individuellen und kollektiven Rechte der Arbeitnehmer nach europäischem und nationalem Arbeitsrecht durch den präventiven Restrukturierungsrahmen nicht beeinträchtigt werden.19)

17

Zugleich wird in ErwG 43 Restrukturierungsrichtlinie jedoch betont, dass die Beteiligung von Arbeitnehmern am Restrukturierungsplan niedriger ausfallen kann, wenn ein Mitgliedstaat von der Option des Art. 1 Abs. 5 lit. a Restrukturierungsrichtlinie Gebrauch macht, Arbeitnehmerforderungen von einem präventiven Restrukturierungsrahmen auszuschließen.

_____________ 18) Richtlinie (EG) 98/59/EG des Rates v. 20.7.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (Massenentlassungsrichtlinie), ABl. (EG) L 225/16 v. 12.8.1998; Richtlinie 2001/23/EG des Rates v. 12.3.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (Betriebsübergangsrichtlinie), ABl. (EG) L 82/16 v. 22.3.2001; Richtlinie 2002/14/EG v. 11.3.2002 (Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.3.2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft, ABl. (EU) L 80/29 v. 23.3.2002; Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 22.10.2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (Zahlungsunfähigkeitsrichtlinie), ABl. (EU) L 283/36 v. 28.10.2008, und Richtlinie 2009/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 6.3.2009 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen (Neufassung) (Europäische Betriebsräte-Richtlinie), ABl. (EU) L 122/28 v. 16.5.2009; s. dazu Röger in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 13 Rz. 10 ff. 19) S. Röger in: Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 13 Rz. 4 ff.

1230

Röger

Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz

§ 92

bb) Beteiligung von Arbeitnehmervertretungsorganen im Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen Ausgehend von den Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie und der begrenzten Regelung im StaRUG lassen sich aus den neben dem StaRUG existierenden Beteiligungsrechten von Arbeitnehmervertretern des deutschen Kollektivarbeitsrechts20) folgende praktische Folgerungen für die Beteiligung von Arbeitnehmervertretungsorganen im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ziehen, wenn in diesem Zusammenhang personalwirtschaftliche Restrukturierungsmaßnahmen vorgesehen sind:

18

Die beabsichtigte Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens gemäß § 31 Abs. 1 verpflichtet den Schuldner vorrangig dazu, einem bei ihm bestehenden Wirtschaftsausschuss vorab nach § 106 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Nr. 10 BetrVG zu unterrichten und die beabsichtigte Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens mit dem Wirtschaftsausschuss zu beraten.21) Dessen Aufgabe nach § 106 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist es, den Betriebsrat im Anschluss zu unterrichten. Die beabsichtigte Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens ist zudem in den Quartalsbericht nach § 110 BetrVG aufzunehmen.22) Daneben besteht in aller Regel eine Pflicht des Schuldners zur (einfachen) Unterrichtung des Betriebsrats nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Zudem verpflichtet § 92 Abs. 1 BetrVG den Schuldner zur Unterrichtung und Beratung, wenn das Restrukturierungsvorhaben Bedeutung für die Personalplanung hat.23)

19

Eine Pflicht zur Unterrichtung des zuständigen Betriebsratsgremiums, der Beratung und der Verhandlung eines Interessenausgleichs und Sozialplans nach §§ 111, 112 BetrVG24) besteht zu diesem Zeitpunkt nur, wenn der Schuldner bereits mit der (beabsichtigten) Anzeige eine Betriebsänderung i. S. von § 111 Satz 1 BetrVG (etwa eine Stilllegung von Betrieben oder Betriebsteilen, eine Einschränkung oder Verlagerung von Betrieben oder grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation) fest _____________

20

20) Giese/Jungbauer, BB 2020, 2679, 2683, sprechen von einer „mit dem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren harmonisierten externen Beteiligung von Betriebsrat und Wirtschaftsausschuss gemäß §§ 106 ff., 111 ff. BetrVG“. 21) Salamon/Krimm, NZA 2021, 235, 238; Pannen/Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 92 Rz. 6; angesichts des weiten Wortlauts des § 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG bedarf es keiner richtlinienkonformen Auslegung der Vorschrift. 22) Salamon/Krimm, NZA 2021, 235, 238. 23) Salamon/Krimm, NZA 2021, 235, 239. Eines Rückgriffs auf eine richtlinienkonform auszulegende Vorschrift des § 110 Abs. 2 BetrVG, um eine Unterrichtung und Anhörung gemäß Art. 13 Abs. 1 lit. b Ziff. ii der Restrukturierungsrichtlinie auch in kleineren Betrieben ohne Wirtschaftsausschuss zu gewährleisten, bedarf es deshalb nicht; a. A. Giese/Jungbauer, BB 2020, 2679, 2683; Göpfert/Giese, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 55, 56; Göpfert/Giese, NZI Beilage Heft 16-17/2019, S. 29, 30. 24) Das Beteiligungsrecht des zuständigen Betriebsratsgremiums zu einem Sozialplan besteht auch dann, wenn sich die geplante Betriebsänderung in der Entlassung von Arbeitnehmern in den Zahlengrenzen des § 112a Abs. 1 BetrVG erschöpft oder von einem neugegründeten Schuldner gemäß § 112a Abs. 2 BetrVG geplant wird. Auch in den Fällen des § 112a BetrVG muss der Schuldner ggf. über einen Sozialplan verhandeln, selbst in einer Einigungsstelle. § 112a BetrVG befreit den Schuldner nur von dem zwingenden Mitbestimmungsrecht, dass die Einigungsstelle die fehlende Einigung zwischen ihm und dem Betriebsratsgremium ersetzt (insoweit missverständlich Salamon/Krimm, NZA 2021, 235, 239 und Braun-v. Saenger, StaRUG, § 92 Rz. 12).

Röger

1231

§ 92

Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz

geplant hat, d. h. wenn ihm Art und Umfang einer Betriebsänderung bekannt sind und er die Betriebsänderung bereits hinreichend konkretisiert hat. Solange bei der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens nur Vorüberlegungen zu Betriebsänderungen existieren, besteht noch keine Unterrichtungspflicht nach § 111 BetrVG, selbst wenn diese Vorüberlegungen zu diesem Zeitpunkt schon in einem Restrukturierungskonzept oder gar im Entwurf eines Restrukturierungsplans skizziert sind (§ 31 Abs. 2 Nr. 1).25) 21

Erreicht der Schuldner nach der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens im Laufe des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen das Stadium der Planung einer Betriebsänderung i. S. von § 111 Satz 1 BetrVG, wird die Pflicht zur Unterrichtung und Beratung nach § 111 Satz 1 BetrVG gegenüber dem zuständigen Betriebsratsgremium ausgelöst. In der Regel wird zeitgleich eine Pflicht zur (ergänzenden) Unterrichtung nach § 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG gegenüber dem Wirtschaftsausschuss begründet sein. Diese Pflicht besteht gemäß § 106 Abs. 3 BetrVG insbesondere dann, wenn sich im Restrukturierungsvorhaben wirtschaftliche Angelegenheiten oder Vorhaben konkretisieren, welche die Interessen der Arbeitnehmer des Schuldners wesentlich berühren können (etwa die Verhandlung von Sanierungstarifverträgen, die Einstellung bestimmter Produktlinien oder ein Kapitalschnitt).26) Hinzukommt in Fällen, in denen das Restrukturierungsvorhaben die Voraussetzungen einer anzeigepflichtigen Massenentlassung nach § 17 KSchG erfüllt, die Pflicht zur Einleitung des Konsultationsverfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG, das sich in der Praxis mit dem Beteiligungsverfahren nach § 111 BetrVG verbinden lässt.27) Führt die Restrukturierung zu einem Kapitalschnitt und Gesellschafterwechsel, besteht ein Recht des Wirtschaftsausschusses bzw. des Betriebsrats auf Unterrichtung nach § 109a, § 106 Abs. 3 Nr. 9a BetrVG.

22

Bei der Aufstellung und Vorlage eines Restrukturierungsplans beim Restrukturierungsgericht (§ 45), der in seinem darstellenden Teil gemäß § 6 Abs. 1 Satz 3 personalwirtschaftliche Restrukturierungsmaßnahmen vorsieht, oder bei der außergerichtlichen Unterbreitung des Angebots gemäß § 17 an die Planbetroffenen i. S. von § 7 Abs. 1 einen solchen Restrukturierungsplan anzunehmen (Planangebot), haben etwaige als Teil der personalwirtschaftliche Restrukturierungsmaßnahmen vorgesehene Betriebsänderungen in aller Regel das Stadium einer Planung i. S. von § 111 Satz 1 BetrVG erreicht und verpflichten den Schuldner zur Unterrichtung, Beratung und Verhandlung gemäß §§ 111, 112 BetrVG. Aufgrund der begrenzten Gestaltungswirkung des Restrukturierungsplans auf Rechtsverhältnisse von Inhabern von Re_____________ 25) A. A. Giese/Jungbauer, BB 2020, 2679, 2683 und Göpfert/Giese, NZI Beilage Heft 16-17/2019, S. 29, 30, die sogar schon dann eine Pflicht zur Beteiligung des Betriebsrats gemäß § 111 BetrVG für erforderlich halten, wenn es bei der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens noch gar keine konkreten Pläne (bspw. zu einem Personalabbau) geben sollte. Eine vorsorgliche Unterrichtung und Anhörung zum Stand des Restrukturierungsvorhabens kann gleichwohl Einwendungen des Restrukturierungsgerichts im Vorprüfungsverfahren (§§ 46, 47) und im Bestätigungsverfahren (§ 63) vorbeugen. 26) Pannen/Riedemann/Smid-Pannen, StaRUG, § 92 Rz. 8. 27) Salamon/Krimm, NZA 2021, 235, 239; siehe auch Braun-v. Saenger, StaRUG, § 92 Rz. 15; zu Details zum Konsultations- und Anzeigeverfahren nach § 17 KSchG siehe Stütze in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 5 Rz. 452 ff.

1232

Röger

§ 93

Gläubigerbeirat

strukturierungsforderungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1), Absonderungsanwartschaften (§ 2 Abs. 1 Nr. 2), Anteils- und Mitgliedschaftsrechten (§ 2 Abs. 3) und gruppeninternen Sicherheiten (§ 2 Abs. 4) und der daraus folgenden Notwendigkeit, personalwirtschaftliche Restrukturierungsmaßnahmen in den darstellenden Teil des Restrukturierungsplans (§ 6 Abs. 1 Satz 3) aufzunehmen, bewirken weder Aufstellung und Vorlage, noch das Planangebot unumkehrbare Maßnahmen, die eine Verletzung des Beteiligungsrechts nach §§ 111, 112 BetrVG mit der Folge von Nachteilsausgleichsansprüchen (§ 113 BetrVG) oder Bußgeldern wegen verspäteter Erfüllung von Auskunftspflichten (§ 121 BetrVG) bedeuten würden.28) Der Schuldner ist stattdessen nunmehr verpflichtet, das Beteiligungsverfahren nach §§ 111, 112 BetrVG vor der Umsetzung der im Restrukturierungsplan vorgesehenen Betriebsänderungen abgeschlossen zu haben. Davon geht auch das StaRUG in der Anlage zu § 5 Satz 2 aus, der in Nr. 7 als Mindestangabe für den Restrukturierungsplan auch Angaben zu den Modalitäten der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertretung fordert. Soweit der Restrukturierungsplan als Restrukturierungsvorhaben Angelegenheiten vorsieht, die eine Mitbestimmung nach § 87 BetrVG erfordern (etwa die Einführung von Kurzarbeit, die Änderung von Schichtplänen oder die Einführung von technischen Einrichtungen), ist die Einigung zwischen Schuldner und Betriebsrat oder deren Ersetzung durch einen Spruch der Einigungsstelle gemäß § 87 Abs. 2 BetrVG für die Umsetzung dieser Maßnahmen im Stabilisierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen zwingend erforderlich. Unberührt bleiben zudem die weiteren Mitwirkungsrechte des Betriebsrats aus § 99 BetrVG (etwa bei Versetzungen und Umgruppierungen) und aus § 102 BetrVG (bei beabsichtigten Kündigungen).

23

In der Praxis wird es sich häufig empfehlen, die Wirkungen des Restrukturierungsplans auf die Rechtsverhältnisse der Planbetroffenen von der Erfüllung bestimmter personalwirtschaftlicher Restrukturierungsmaßnahmen und der Wahrung der dazu erforderlichen Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretungsorgane abhängig zu gestalten, insbesondere über Planbedingungen gemäß § 62 (siehe § 62 Rz. 20 und § 4 Rz. 32).29)

24

_____________ 28) A. A. Salamon/Krimm, NZA 2021, 235, 238 f. 29) Diese Verzahnung von personalwirtschaftlichen Restrukturierungsmaßnahmen und den Wirkungen des Restrukturierungsplans wird in vielen Fällen gleichsam der Wahrung der Rechte der Planbetroffenen, des Schuldners und der Arbeitnehmervertretungsorgane dienen.

§ 93 Gläubigerbeirat Blankenburg

(1) 1Sollen in einer Restrukturierungssache mit Ausnahme der in § 4 genannten Forderungen die Forderungen aller Gläubiger durch einen Restrukturierungsplan gestaltet werden, und weist die Restrukturierungssache gesamtverfahrensartige Züge auf, kann das Gericht einen Gläubigerbeirat einsetzen. 2§ 21 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1a der Insolvenzordnung gilt entsprechend. 3In dem Beirat können auch nicht planbetroffene Gläubiger vertreten sein.

Blankenburg

1233

§ 93

Gläubigerbeirat

(2) Ist ein Gläubigerbeirat eingerichtet, tritt an die Stelle des gemeinschaftlichen Vorschlags der Planbetroffenen nach § 74 Absatz 2 Satz 3 der einstimmige Beschluss des Gläubigerbeirats. (3) 1Die Mitglieder des Beirats unterstützen und überwachen den Schuldner bei seiner Geschäftsführung. 2Der Schuldner zeigt dem Beirat die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens an. (4) 1Die Mitglieder des Gläubigerbeirates haben Anspruch auf Vergütung für ihre Tätigkeit und auf Erstattung angemessener Auslagen. 1Die Höhe der Vergütung richtet sich nach § 17 der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung. Literatur: Ahrens, Der Gläubigerbeirat gem. § 93 StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 57. Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 3 III. Einsetzung des Gläubigerbeirates (Abs. 1) .................................................. 4 1. Formelle Voraussetzungen ................... 5 2. Materielle Voraussetzungen ................. 6 a) Einbeziehung aller Gläubiger ........ 7 b) Gesamtverfahrensartige Züge .............................................. 10 3. Zusammensetzung des Gläubigerbeirates (Abs. 1 Satz 2) ....................... 11 4. Einsetzungsentscheidung ................... 15 IV. Rechten und Pflichten ...................... 20 1. Vorschlagsrecht (Abs. 2) .................... 20 2. Unterstützung des Schuldners (Abs. 3 Alt. 1) ..................................... 24

I. 1

3.

Überwachung des Schuldners (Abs. 3 Alt. 2) ...................................... 25 V. Vergütung (Abs. 4) ............................ 29 1. Vergütung ............................................ 30 2. Auslagen ............................................... 36 3. Umsatzsteuer ....................................... 38 4. Fälligkeit und Verjährung ................... 39 5. Festsetzung der Vergütung ................ 41 a) Gerichtliche Festsetzung ............. 42 b) Vorschüsse .................................... 46 VI. Entlassung ........................................... 48 1. Entlassungsvoraussetzungen .............. 49 a) Formelle Voraussetzungen .......... 49 b) Materielle Voraussetzungen ........ 50 2. Verfahren ............................................. 53 VII. Haftung .............................................. 58

Normzweck

Die Norm soll es ermöglichen, dass die Gläubiger in einer Restrukturierungssache ihre Interessen gebündelt geltend machen können und mit einem eigenen Organ im Verfahren vertreten sind. Der Gläubigerbeirat ist durch die Verweisung auf § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO an den vorläufigen Gläubigerausschuss angelehnt. Der Gesetzgeber hat allerdings nicht grundsätzlich die Möglichkeit der Einsetzung eines Gläubigerbeirates geschaffen, vielmehr kann dieser nur von Amts wegen eingesetzt werden, wenn die Restrukturierungssache gesamtverfahrensartige Züge aufweist. Dies ist darin begründet, dass es der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ermöglicht, dass nur Teile der Gläubigerschaft einbezogen werden. In diesen Fällen wäre es nach Ansicht des Gesetzgebers schädlich, wenn eine verfahrensmäßige Vertretung sämtlicher Gläubiger erfolgen würde.1) Anders bewertet dies der Gesetzgeber, wenn der Schuldner mit Ausnahme der nach § 4 ausgenommenen Gläubiger von allen Gläubigern Sanierungsbeiträge einfordert.2) In diesen Fällen kann das Verfahren aus Sicht der Gläubigerschaft Züge aufweisen, die einem (vorläufigen) Eigenverwaltungsverfahren ähneln. _____________ 1) 2)

Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 16.12.2020, BT-Drucks. 19/29353, S. 10. Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 16.12.2020, BT-Drucks. 19/29353, S. 10.

1234

Blankenburg

§ 93

Gläubigerbeirat

Der Norm ist anzumerken, dass sie erst in den letzten Zügen des Gesetzgebungsverfahrens ihren Weg in das Gesetz gefunden hat. Über die Verweisung auf § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO werden die §§ 67 Abs. 2, 69 – 73 InsO für entsprechend anwendbar erklärt. Der Regelungsinhalt dieser Normen kollidiert jedoch zumeist mit den weiteren Regelungen des § 93 und der Systematik des Restrukturierungsverfahrens. Daher bedarf es einer genauen Betrachtung, ob die Verweisungen sinnvoll sind.

2

II. Normhistorie Die Erforderlichkeit der kollektiven Interessenvertretung ergibt sich nicht aus der Restrukturierungsrichtlinie3). Allerdings ist die Möglichkeit eines Gläubigerausschusses in ErwG 88 erwähnt.4) Die Norm ist erst spät im Gesetzgebungsverfahren implementiert worden. Erst einen Tag vor der endgültigen Lesung hat der Rechtsausschuss sie in die Beschussempfehlung5) mitaufgenommen.

3

III. Einsetzung des Gläubigerbeirates (Abs. 1) Die Voraussetzungen für die Einsetzung des Gläubigerbeirats bestimmen sich nach § 93 Abs. 1 Satz 1. 1.

Formelle Voraussetzungen

Der Gläubigerbeitrat ist kein Instrument des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen und wird daher nicht erst auf Antrag des Schuldners eingesetzt.6) Auch sonstige Beteiligte haben kein Antragsrecht.7) Die Einsetzung des Gläubigerbeirats erfolgt vielmehr von Amts wegen durch das Restrukturierungsgericht. Voraussetzung ist insoweit, bereits eine Anzeige gemäß § 31 anhängig ist. 2.

_____________

4) 5) 6)

7) 8)

5

Materielle Voraussetzungen

In materieller Hinsicht hat das Gericht zu prüfen, ob in die Restrukturierungssache sämtliche Gläubiger mit einbezogen sind und ob das Verfahren gesamtverfahrensartige Züge aufweist. Bejaht es diese Züge, ist das Gericht allerdings nicht zur Einsetzung des Gläubigerbeirates verpflichtet, vielmehr liegt dies im Ermessen des Gerichts.8)

3)

4

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Ausführlich dazu Pannen/Riedemann/Smid-Riedemann, StaRUG, § 93 Rz. 18. Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303. Nach Pannen/Riedemann/Smid-Riedemann, StaRUG, § 93 Rz. 30, soll sich aus dem Im Zusammenspiel mit § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO ist § 22a Abs. 2 InsO ergeben, dass der Schuldner die Einsetzung anregen kann. Dazu bedarf es aber keiner Regelung im Gesetz, da eine Anregung von sämtlichen Verfahrensbeteiligten möglich ist. Es tritt allerdings keine Bindung des Gerichts an die Anregung ein (siehe dazu Rz. 16). So auch Ahrens, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 58, 59. Ebenso Mock in: BeckOK-StaRUG, § 93 Rz. 7.

Blankenburg

1235

6

§ 93

Gläubigerbeirat

a) Einbeziehung aller Gläubiger 7

In die Restrukturierungssache müssen sämtliche Gläubiger mit Ausnahme der in § 4 StaRUG aufgeführten Gläubiger einbezogen sein. Nicht beachtlich sind daher Forderungen der Arbeitnehmer (§ 4 Nr. 1), Forderungen aus unerlaubten Handlungen (§ 4 Nr. 2) sowie Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungs- und Zwangsgelder (§ 4 Nr. 3).

8

Das Restrukturierungsgericht hat zu jeder Zeit im Verfahren zu prüfen, ob nunmehr sämtliche Gläubiger des Schuldners mit in die Restrukturierungssache einbezogen sind. Es kann nicht allein auf den Zeitpunkt der Anzeige ankommen, da zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt ist, welche Gläubiger betroffen sein werden. Der Schuldner ist in der Anzeige nach § 31 nicht verpflichtet, eine Liste der betroffenen Gläubiger aufzustellen. Er muss gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 1 lediglich den Verhandlungsstand mit den Gläubigern angeben. Nur wenn er bereits den Entwurf eines Restrukturierungsplans mit einreicht, wird erkennbar sein, welche Gläubiger alle einbezogen sind.

9

Erst wenn der Schuldner die Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragt oder einen Restrukturierungsplan vorlegt, wird das Gericht hinreichende Kenntnisse von der Gläubigerstruktur erhalten. Nach Nr. 2 der Anlage zum StaRUG ist der Schuldner verpflichtet, sämtliche seiner Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt der Planvorlage anzugeben. Insoweit wird eine parallele Prüfung zu erfolgen haben, ob die Einsetzung eines Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 73 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist und ob ein Gläubigerbeirat einzusetzen ist. Da die Einsetzung des Gläubigerbeirates weiter voraussetzt, dass die Restrukturierungssache gesamtverfahrensartige Züge aufweist, muss die Einsetzung des Gläubigerbeirates nicht immer parallel mit der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten erfolgen. b) Gesamtverfahrensartige Züge

10

Das Verfahren muss gesamtverfahrensartige Züge aufweisen. Dieses Merkmal muss kumulativ mit der Einbeziehung sämtlicher Gläubiger vorliegen.9) Der Begriff ist in der Norm selbst nicht definiert. Nach der Gesetzesbegründung liegen derartige Züge dann vor, wenn eine Vielzahl von Gläubigern mit inhomogenen Interessen vertreten ist.10) Daran fehlt es, wenn sich die Gläubigerschaft ausschließlich aus wenigen Gläubigern mit vergleichbaren Interessen zusammensetzt. Das Restrukturierungsgericht muss daher die Gläubigerzusammensetzung genau prüfen. Von inhomogenen Interessen wird bereits dann auszugehen sein, wenn der potentielle Restrukturierungsplan mehr als eine Gruppe vorsieht, da die Gruppenbildung indiziert, dass unterschiedliche Interessen vorliegen. 3.

11

Zusammensetzung des Gläubigerbeirates (Abs. 1 Satz 2)

Die Zusammensetzung des Gläubigerbeirates bestimmt sich nach § 93 Abs. 1 Satz 2 StaRUG, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO i. V. m. § 67 Abs. 2 InsO. Danach sollen die absonderungsberechtigten Gläubiger, die Insolvenzgläubiger mit den höchsten Forderungen und die Kleingläubiger vertreten sein. Zudem soll dem Beirat ein Ver_____________ 9) Ahrens, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 57, 58. 10) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 16.12.2020, BT-Drucks. 19/29353, S. 10.

1236

Blankenburg

§ 93

Gläubigerbeirat

treter der Arbeitnehmer angehören.11) Ferner können aufgrund der Bestimmung des § 93 Abs. 1 Satz 3 auch sonstige Personen bestellt werden, auch wenn sie nicht durch den Plan betroffen sind. Zu Mitgliedern des Gläubigerausschusses können sowohl natürliche als auch juristische Personen bestellt werden.12) Da anders als beim vorläufigen Gläubigerausschuss auch nicht planbetroffene Personen eingesetzt werden können, kommt es nicht darauf an, dass die Mitglieder selber Forderungsinhaber sind.13) Ebenso wie beim endgültigen Gläubigerausschuss gemäß § 67 InsO können daher auch die gesetzlichen Vertreter oder gewillkürte Vertreter der Gläubiger eingesetzt werden. Für die Arbeitnehmer können auch Gewerkschaftsmitglieder eingesetzt werden.14) Keine Mitglieder des Gläubigerbeirates können der Schuldner, der gesetzliche Vertreter sowie persönlich haftende Gesellschafter oder der Restrukturierungsbeauftragte sein.15) Gleiches gilt für die Mitglieder des Aufsichtsrates des Schuldners, da insoweit ein Interessenkonflikt besteht.16) Behörden selbst können mangels Rechtsfähigkeit nicht Mitglieder werden. Einzusetzen ist dann vielmehr der Rechtsträger oder ein Vertreter der Behörde.17)

12

Die Anzahl der Mitglieder des Gläubigerbeirates hat der Gesetzgeber nicht geregelt. Ebenso wie der Gläubigerausschuss muss dieses Gremium aus mindestens zwei Mitgliedern bestehen.18) Aufgrund der erforderlichen Repräsentanz der beteiligten Gruppen wird jedoch in der Regel eine Mindestanzahl von vier Personen einzusetzen sein.19) Diese ist nur zu unterschreiten, wenn die entsprechenden Interessensgruppen in der Restrukturierungssache nicht vertreten sind oder sich kein Vertreter für diese Gruppe zur Teilnahme bereiterklärt.20) Da dem Gläubigerbeirat anders als dem Gläubigerausschuss keine weiterreichenden Zustimmungsfunktionen zukommen, erscheint es nicht erforderlich, das Gremium möglichst mit einer ungeraden Zahl von Mitgliedern zu besetzen.21)

13

_____________ 11) Dafür explizit Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 16.12.2020, BT-Drucks. 19/ 29353, S. 10. 12) Ebenso Pannen/Riedemann/Smid-Riedemann, StaRUG, § 93 Rz. 46; ausführlich zu Bestellung von juristischen Personen Uhlenbruck-Knof, InsO, § 67 Rz. 10 ff. 13) Dazu für den vorläufigen Gläubigerausschuss ausführlich Kübler/Prütting/Bork-Blankenburg, InsO, § 21 Rz. 77. 14) So auch Ahrens, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 57, 58; unklar Mock in: BeckOK-StaRUG, § 93 Rz. 14; zum Begriff des Arbeitnehmervertreters AG Hannover, Beschl. v. 14.9.2015 – 908 IN 594/15, ZInsO 2015, 1982 ff.; Kübler/Prütting/Bork-Blankenburg, InsO, § 21 Rz. 80. 15) So auch zu § 67 InsO Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 22; Schmitt in: FKInsO, § 67 Rz. 11; Uhlenbruck-Knof, InsO, § 67 Rz. 16. 16) Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 22; Schmitt in: FK-InsO, § 67 Rz. 11; Uhlenbruck-Knof, InsO, § 67 Rz. 16. 17) Dazu Kübler/Prütting/Bork-Blankenburg, InsO, § 21 Rz. 77; Schmitt in: FK-InsO, § 67 Rz. 10; Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 20; Uhlenbruck-Knof, InsO, § 67 Rz. 15. 18) BGH, Beschl. v. 5.3.2009 – IX ZB 148/08, Rz. 4, ZIP 2009, 727. 19) Kübler/Prütting/Bork-Blankenburg, InsO, § 21 Rz. 84; Frind in: HambKomm-InsO, § 67 Rz. 8; Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 11. 20) Kübler/Prütting/Bork-Blankenburg, InsO, § 21 Rz. 84. 21) So für den Gläubigerausschuss Kübler/Prütting/Bork-Blankenburg, InsO, § 21 Rz. 84; Frind in: HambKomm-InsO, § 67 Rz. 8; Uhlenbruck-Knof, InsO, § 67 Rz. 20; relativierend Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 11.

Blankenburg

1237

§ 93 14

Gläubigerbeirat

Durch den Verweis auf § 67 Abs. 1 Satz 2 StaRUG soll dem Gläubigerbeirat auch grundsätzlich ein Arbeitnehmervertreter angehören. Da allerdings die Forderungen der Arbeitnehmervertreter gemäß § 4 Satz 1 Nr. 4 StaRUG der Restrukturierung unzugänglich sind, stellt sich die Frage, in welchen Fällen die Arbeitnehmervertreter zu bestellen sind. Da es nicht auf die unmittelbare Betroffenheit ankommt, muss eine mittelbare Betroffenheit in Form der Gefährdung der Arbeitsplätze ausreichen. Da dies grundsätzlich der Fall ist, erscheint es erforderlich, auch grundsätzlich einen Arbeitnehmervertreter zu bestellen 4.

Einsetzungsentscheidung

15

Das Restrukturierungsgericht hat ein Ermessen, ob es einen Gläubigerbeirat einsetzt.22) Nicht geregelt ist das Einsetzungsverfahren. Es ist weder die Anhörung des Schuldners noch der sonstigen Beteiligten vorgesehen.23) Da dem Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen in § 81 Abs. 5 die Prämisse zugrunde liegt, dass kostenauslösende Maßnahmen erst dann erfolgen sollen, wenn ein Vorschuss geleistet wurde, sollte dies entsprechend auf den Gläubigerbeirat angewendet werden. Vor der Einsetzung hat das Gericht demnach einen entsprechenden Kostenvorschuss einzufordern. Dabei sind neben der Vergütung insbesondere die Auslagen zu beachten, die einen erheblichen Teil der Zahlungsansprüche der Gläubigerbeiratsmitglieder ausmachen können. Um sich eine aufwendige Berechnung der Kosten zu ersparen, sollte das Gericht vor der Einforderung des Kostenvorschusses den Schuldner Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Weigert sich der Schuldner den Vorschuss einzuzahlen und hält das Gericht den Gläubigerbeirat zur Wahrung der Interessen für die Gläubiger zwingend geboten, hat es in Erwägung zu ziehen, ob die Restrukturierungssache mangels der erforderlichen Mitwirkung des Schuldners gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG aufzuheben ist.

16

Da bereits kein Antragsrecht für die Einsetzung besteht, können erst Recht keine bindenden Vorgaben für die Zusammensetzung des Ausschusses gemacht werden. Werden Vorschläge gemacht, sollte das Gericht sie dennoch mit in die Abwägung mit einbeziehen.24)

17

Das Gericht setzt die Gläubigerbeiratsmitglieder durch Beschluss ein. Gegen den Einsetzungsbeschluss ist kein Rechtsmittel gegeben, insbesondere kann nicht die Zusammensetzung angefochten werden.25) Mit dem Beschluss ist der Gläubigerbeirat eingerichtet. Die bestellten Personen werden allerdings erst mit der Annahme der Bestellung Mitglieder des Gläubigerbeirates, so dass das Gericht diese zur Annahme unter Fristsetzung aufzufordern hat.26) Nicht ausreichend ist eine im Vorfeld der Bestellung abgegebene Einverständniserklärung.27) _____________ Ebenso Mock in: BeckOK-StaRUG, § 93 Rz. 7; Ahrens, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 57, 58. A. A. für die Anhörung des Schuldners Mock in: BeckOK-StaRUG, § 93 Rz. 9. So auch Mock in: BeckOK-StaRUG, § 93 Rz. 1. Ebenso Mock in: BeckOK-StaRUG, § 93 Rz. 12; Ahrens, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 57, 58. So auch für den Gläubigerausschuss gemäß § 67 InsO LG Duisburg, Beschl. v. 29.9.2003 – 7 T 203/03, NZI 2004, 95, 96; Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 27. 27) Kübler/Prütting/Bork-Blankenburg, InsO, § 21 Rz. 89; a. A. wohl Pannen/Riedemann/ Smid-Riedemann, StaRUG, § 93 Rz. 33 ff. 22) 23) 24) 25) 26)

1238

Blankenburg

§ 93

Gläubigerbeirat

Das Restrukturierungsgericht muss nicht begründen, wenn es von der Einsetzung eines Gläubigerbeirates absieht. Mangels eines Beschlusses ist gegen diese Entscheidung kein Rechtsmittel gegeben.

18

Der Beschluss bedarf mangels einer Rechtsmittelmöglichkeit keiner Zustellung. Damit die Mitglieder allerdings Kenntnis von ihrer Bestellung erhalten, sollte diesen der Beschluss per Zustellungsurkunde oder elektronisch über einen sicheren Übermittlungsweg zugestellt werden. Ferner sollte der Beschluss dem Schuldner und falls vorhanden dem Restrukturierungsbeauftragten formlos übersandt werden. Handelt es sich um eine öffentliche Restrukturierungssache, ist der Beschluss zu veröffentlichen. Auch in diesem Fall sollte eine förmliche Zustellung an die Mitglieder erfolgen.

19

IV. Rechten und Pflichten 1.

Vorschlagsrecht (Abs. 2)

Den Planbetroffenen steht hinsichtlich der Person des Restrukturierungsbeauftragten ein Vorschlagsrecht gemäß § 74 Abs. 2 Satz 3 zu (siehe dazu ausführlich § 74 Rz. 76 ff.). Da dieses Recht voraussetzt, dass in jeder Plangruppe 25 % der Planbetroffenen für den Vorschlag stimmen, ist es insbesondere in großen Verfahren kaum handhabbar. Zur Vereinfachung des Vorschlagsrechts hat sich der Gesetzgeber an § 56a Abs. 2 Satz 1 InsO orientiert28) und dem Gläubigerbeirat das Recht eingeräumt, einen Vorschlag für die Person des Restrukturierungsbeauftragten zu unterbreiten. Anders als nach § 56a Abs. 2 Satz 1 InsO kann der Gläubigerbeirat kein bindendes Anforderungsprofil für den Restrukturierungsbeauftragten bestimmen.

20

Der Gläubigerbeirat muss eine konkrete Person als Restrukturierungsbeauftragten vorschlagen. Es müssen der Name und eine ladungsfähige Anschrift angegeben werden, allein die Bestimmbarkeit reicht nicht aus.29) Der Vorschlag einer mehrstufigen Liste ist nicht möglich.30) Dieser Vorschlag muss einstimmig durch sämtliche Mitglieder der Gläubigerbeirates erfolgen. Es ist nicht nur auf die anwesenden Mitglieder abzustellen, so dass Enthaltungen und Abwesenheiten einzelner Mitglieder einer Einstimmigkeit entgegenstehen.31) Die Zustimmung sämtlicher Mitglieder entbindet das Gericht von der Prüfung, ob der Vorschlag wirksam zustande gekommen ist. Der Vorschlag ist dem Gericht zur Kenntnis zu bringen. Da weder § 93 Abs. 2 noch § 74 Abs. 2 Satz 3 eine besondere Form vorsieht, kann dies formlos erfolgen, außer der Gläubigerbeirat hat sich eine bestimmte Verfahrensordnung auferlegt.32)

21

_____________ 28) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 16.12.2020, BT-Drucks. 19/29353, S. 11. 29) So auch Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 25 – m. Bsp. für unzulässige Vorschläge; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Lind, InsR, § 56a InsO Rz. 8; Jahntz in: FK-InsO, § 56a Rz. 31. 30) So auch zu § 56a InsO Jahntz in: FK-InsO, § 56a Rz. 28; a. A. K. Schmidt-Ries, InsO, § 56a Rz. 17; Frind in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 23; Hölzle in: A. Schmidt-Sanierungsrecht, § 56a InsO Rz. 75. 31) So zu § 56a Abs. 2 Satz 1 InsO Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 25; Jahntz in: FK-InsO, § 56a Rz. 29; Hölzle in: A. Schmidt-Sanierungsrecht, § 56a InsO Rz. 72; a. A. Ahrens, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 57, 59; Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56a Rz. 7; K. Schmidt-Ries, InsO, § 56a Rz. 18. 32) Dazu ausführlich Frind in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 21.

Blankenburg

1239

§ 93

Gläubigerbeirat

Der Vorschlag muss nicht begründet werden.33) Der Vorlage des Originalbeschlusses oder einer beglaubigten Abschrift bedarf es nicht,34) verhindert aber Rückfragen des Gerichts, die zu einer Verzögerung der Bestellung führen. 22

Da der Vorschlag des Gläubigerbeirates an die Stelle des Vorschlags der Gläubiger tritt, gilt für diesen ebenfalls, dass er gegenüber einem Vorschlag des Schuldners subsidiär ist. Anders als im Insolvenzverfahren ist die Restrukturierungssache grundsätzlich schuldnerzentriert, da es sich nicht um einen Pflichtantrag handelt. Entgegen dem Willen des Schuldners können die Gläubiger daher keine bestimmte Person zum Restrukturierungsbeauftragten durchsetzen. Erfolgt zunächst ein Vorschlag des Gläubigerbeirates und schlägt der Schuldner gemäß § 74 Abs. 2 Satz 2 dann eine andere Person vor, gilt sein Vorschlag als bindend. Die zeitliche Reihenfolge der Vorschläge ist insoweit unerheblich. Zu beachten ist, dass eine Bindung an den Vorschlag des Schuldners nur dann eintritt, wenn auch eine entsprechende Bescheinigung gemäß § 74 Abs. 2 Satz 2 vorliegt. Erfolgt ein Vorschlag des Schuldners ohne Einhaltung dieser Voraussetzungen, kann der Gläubigerbeirat dennoch einen bindenden Vorschlag machen.

23

Das Gericht ist an einen Vorschlag des Gläubigerbeirates insoweit gebunden, als es bei der Einsetzung einer anderen Person begründen muss, dass die vorgeschlagene Person offensichtlich ungeeignet ist. Eine Missachtung der Bindungswirkung zieht allerdings keine Folgen nach sich, da gegen die Bestellungsentscheidung kein Rechtsmittel gegeben ist.35) Zur Reichweite der Bindungswirkung § 74 Rz. 94 ff. 2.

24

Unterstützung des Schuldners (Abs. 3 Alt. 1)

Nach § 93 Abs. 3 Alt. 1 haben die Mitglieder des Gläubigerbeirates den Schuldner bei seiner Geschäftsführung zu unterstützen. Die Norm ist an § 69 Satz 1 InsO angelehnt.36) Ebenso wie bei § 69 Satz 1 InsO muss sich die Unterstützung nach der jeweiligen Notwendigkeit und am Verfahrensziel orientieren.37) Da anders als im Insolvenzverfahren nicht eine fremde Person als Insolvenzverwalter die Steuerung des Unternehmens übernimmt, werden Unterstützungsleistungen im operativen Geschäft nicht erforderlich sein und allenfalls auf Anforderung durch den Schuldner erfolgen. Die Unterstützung muss sich insbesondere auf die Ausarbeitung des Sanierungskonzepts und des Restrukturierungsplans beziehen. _____________ 33) Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 25; K. Schmidt-Ries, InsO, § 56a Rz. 19; Hölzle in: A. Schmidt-Sanierungsrecht, § 56a InsO Rz. 73; a. A. Frind in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 24, wonach auch ein Anforderungsprofil miterstellt werden muss; abgeschwächt „sollte enthalten“ Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Lind, InsR, § 56a InsO Rz. 8; Jahntz in: FKInsO, § 56a Rz. 30. 34) So zu § 56a Abs. 2 Satz 1 InsO Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56a Rz. 7; a. A. Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 24. 35) Ausführlich zu dieser Problematik Hölzle in: A. Schmidt-Sanierungsrecht, § 56a InsO Rz. 77 ff. 36) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 16.12.2020, BT-Drucks. 19/29353, S. 11; zur Unterstützungspflicht gemäß § 69 InsO ausführlich Uhlenbruck-Knof, InsO, § 69 Rz. 21; Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 69 Rz. 18 f. 37) Uhlenbruck-Knof, InsO, § 69 Rz. 21.

1240

Blankenburg

§ 93

Gläubigerbeirat

3.

Überwachung des Schuldners (Abs. 3 Alt. 2)

Nach § 93 Abs. 3 Alt. 2 haben die Mitglieder des Gläubigerbeirates den Schuldner bei seiner Geschäftsführung zu überwachen. Da die Norm an § 69 Satz 1 InsO angelehnt ist, sollen die Aufgaben denen eines Gläubigerausschusses im Insolvenzverfahren entsprechen.38) Die wichtigste Pflicht des Gläubigerausschusses im Insolvenzverfahren ergibt sich aus § 69 Satz 2 InsO, wonach der Geldverkehr und -bestand zu prüfen ist.39) Dieser Satz ist allerdings in § 93 Abs. 2 nicht mit aufgenommen worden. Anwendung könnte er über § 93 Abs. 1 StaRUG i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO finden, der § 69 InsO insgesamt für anwendbar erklärt. Indes widerspricht es der Systematik des Restrukturierungsverfahrens, dass die Gläubiger umfassend den Geschäftsverkehr des Schuldners überwachen sollen.40) Dementsprechend es ist nicht Aufgabe des Gläubigerbeirates, den Zahlungsverkehr des Schuldners zu überwachen. Ferner ist § 276 InsO nicht für entsprechend anwendbar erklärt worden. Diese Norm ist die entscheidende Vorschrift für die Tätigkeit des Gläubigerausschusses in der Eigenverwaltung. Die mangelnde Anwendbarkeit auf den Gläubigerbeirat intendiert, dass dieser nicht das operative Geschäft des Schuldners überwachen soll.

25

Der Gläubigerbeirat hat zu überwachen, dass der Schuldner seine Pflichten gemäß § 32 erfüllt. Er muss prüfen, ob Handlungen des Schuldners die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger wahren. Da es nach § 32 Abs. 1 Satz 3 mit dem Restrukturierungsziel in der Regel nicht vereinbar ist, Forderungen zu begleichen oder zu besichern, die durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen, wird sich der Gläubigerbeirat durch den Schuldner anzeigen lassen müssen, welche Forderungen erfüllt wurden. Da kein Zustimmungserfordernis des Gläubigerbeirates besteht, ist es nicht erforderlich, dass der Schuldner vor der Erfüllung die Zahlung anzeigt. Stellt der Gläubigerbeirat allerdings beeinträchtigende Erfüllungshandlungen fest, hat er diese beim Restrukturierungsgericht und dem Restrukturierungsbeauftragten zur Anzeige zu bringen.

26

Darüber hinaus hat sich der Gläubigerausschuss ständig über den Stand der Verhandlungen zu informieren. Stellt er fest, dass diese nicht mehr voranschreiten, ist er zu einer Anzeige beim Restrukturierungsgericht verpflichtet, damit dieses gegenüber dem Schuldner tätig werden und ggf. die Restrukturierungssache gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 2 aufheben kann.

27

Da der Gesetzgeber ein besonderes Augenmerk auf die Erfüllung von Ansprüchen der Gläubiger in § 50 Abs. 3 Nr. 1 sowie auf die Einhaltung der Buchführungspflichten gelegt hat (§§ 50 Abs. 2 Satz 1, 63 Abs. 1 Nr. 3), muss der Gläubigerbeirat auch die Einhaltung dieser Pflichten prüfen. Er muss sich daher vom Schuldner anzeigen lassen, wenn Verbindlichkeiten gemäß § 50 Abs. 3 Nr. 1 in erheblichem Maße nicht erfüllt werden.

28

_____________ 38) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, v. 16.12.2020, BT-Drucks. 19/29353, S. 11. 39) Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 69 Rz. 18. 40) Ebenso Mock in: BeckOK-StaRUG, § 93 Rz. 20.1; a. A. Braun-Hirte, StaRUG, § 93 Rz. 11.

Blankenburg

1241

§ 93

Gläubigerbeirat

V. Vergütung (Abs. 4) 29

Die Vergütung der Mitglieder des Gläubigerbeirates ist in § 93 Abs. 4 normiert. Angelehnt an § 73 Abs. 1 Satz 1 InsO regelt die Norm, dass die Mitglieder einen Anspruch auf Vergütung der Tätigkeit und Erstattung der angemessenen Auslagen haben. 1.

Vergütung

30

Die Höhe der Vergütung bestimmt sich gemäß § 93 Abs. 4 Satz 2 StaRUG nach § 17 InsVV. Es wird eine stundenanteilige Vergütung gewährt. Der Stundensatz liegt zwischen 50 € und 300 €. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 InsVV sind dabei der Umfang der Tätigkeit und die berufliche Qualifikation zu berücksichtigen. Letzterer Umstand wurde mit dem SanInsFoG eingeführt, um die Tätigkeit auch für höher qualifizierte Personen attraktiver zu gestalten. Auch wenn es aufgrund der gleichen Haftung für sämtliche Ausschussmitglieder zweifelhaft erscheint, die Höhe nach der Qualifikation zu bestimmen, ist diese gesetzgeberische Entscheidung hinzunehmen.

31

Da die Restrukturierungsverfahren je nach Umfang der einbezogenen Planbetroffenen sowie der Art der Restrukturierung sehr unterschiedlich ausfallen können und es keine Durchschnittsqualifikation gibt, kann nicht auf einen Mittelwert für die Bestimmung des Stundensatzes abgestellt werden.41) Eine Überschreitung des Rahmens ist möglich,42) bedarf jedoch einer ausführlichen Begründung durch das Restrukturierungsgericht.43) Die Überschreitung muss erforderlich sein, um eine angemessene Vergütung unter Würdigung der Gesamtumstände zu gewährleisten.44) Nicht erforderlich ist, dass die Tätigkeit im Umfang oder der Schwierigkeit außerordentlich oder außergewöhnlich war.45) Da die Aufgaben des Restrukturierungsbeauftragten in der Regel komplexer und haftungsträchtiger als die der Mitglieder der Gläubigerbeirates sind, sollte eine Überschreitung des Stundensatzes des Restrukturierungsbeauftragten besonders begründet werden. Die Höhe der Stundensätze kann bei den einzelnen Mitgliedern variieren, da die Qualifikation für die Tätigkeit ein entscheiden-

_____________ 41) So jedoch bisher für § 17 InsVV LG Bückeburg, Beschl. v. 8.7.2020 – 4 T 49/16, ZInsO 2020, 2062, 2063; LG Münster, Beschl. v. 27.9.2016 – 5 T 253/16, ZInsO 2017, 1053, 1055; AG Konstanz, Beschl. v. 11.8.2015 – 40 IN 408/14, NZI 2015, 959, 960; Stephan in: MünchKomm-InsO, § 17 InsVV Rz. 18; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Lissner, InsR, § 73 InsO Rz. 7; Schmitt in: FK-InsO, § 73 Rz. 5; Nerlich/Römermann-Stephan, InsVV, § 17 Rz. 4 (65 €); a. A. Frind in: BeckOK-InsO, § 73 Rz. 7; auch weiterhin Budnik in: BeckOK-InsO, § 17 InsVV Rz. 22 (175 €). 42) BGH, Beschl. v. 14.1.2021 – IX ZB 71/18, Rz. 13, ZIP 2021, 421, 422. 43) LG Duisburg, Beschl. v. 13.9.2004 – 7 T 221/04, NZI 2005, 116, 117; AG Bremen, Beschl. v. 15.12.2015 – 40 IN 588/05 L, ZIP 2016, 633; Stephan in: MünchKomm-InsO, § 17 InsVV Rz. 24. 44) BGH, Beschl. v. 14.1.2021 – IX ZB 71/18, Rz. 14, ZIP 2021, 421, 422. 45) BGH, Beschl. v. 14.1.2021 – IX ZB 71/18, Rz. 14, ZIP 2021, 421, 422; so aber noch LG Bückeburg, Beschl. v. 8.7.2020 – 4 T 49/16, ZInsO 2020, 2062, 2063.

1242

Blankenburg

§ 93

Gläubigerbeirat

des Bemessungsmerkmal ist.46) Bei gleicher Qualifikation sollte der Stundensatz aber in der Regel in gleicher Höhe festgesetzt werden.47) Die Dauer des Verfahrens und der Umfang der Tätigkeit sind kein Kriterium für die Bemessung des Stundensatzes.48) Da die Vergütung auf Stundensatzbasis gewährt wird, haben die Mitglieder den angefallenen Zeitaufwand abzurechnen. Dabei ist nicht nur der Zeitaufwand für die Sitzungen des Gläubigerbeirates oder Besprechungstermine, sondern auch für das häusliche Aktenstudium sowie Reisen zu berücksichtigen.49) Überflüssige und unnötige Tätigkeiten sind nicht zu vergüten.50) Gleiches gilt für die allgemeine Fortbildung der Mitglieder.51) Besprechungen innerhalb der Gläubigergruppe sind nicht zu vergüten.52) Über die Tätigkeit haben die Beiratsmitglieder Aufzeichnungen zu fertigen.53) Fehlen solche Aufzeichnungen, ist eine Schätzung der Tätigkeit möglich.54)

32

Ausnahmsweise ist eine pauschale Vergütung der Mitglieder möglich. Dies ist dann der Fall, wenn eine Vergütung auf Stundensatzbasis nicht zu einer angemessenen Vergütung führt.55)

33

Der Anspruch steht auch Behördenvertretern oder sonstigen intentionellen Gläubigern zu.56)

34

_____________ 46) BGH, Beschl. v. 14.1.2021 – IX ZB 71/18, Rz. 9, 15, ZIP 2021, 421, 422; LG Münster, Beschl. v. 27.9.2016 – 5 T 253/16, ZInsO 2017, 1053, 1055; LG Bückeburg, Beschl. v. 8.7.2020 – 4 T 49/16, ZInsO 2020, 2064; LG Hamburg, Beschl. v. 3.8.2018 – 326 T 41/17, ZInsO 2018, 2050, 2052; AG Detmold, Beschl. v. 6.3.2008 – 10 IN 214/07, NZI 2008, 505, 506; Stephan in: MünchKomm-InsO, § 17 InsVV Rz. 23; Riedel in: MünchKommInsO, § 73 Rz. 15; ähnlich Kübler/Prütting/Bork-Prasser, InsO, § 73 Rz. 8. 47) A. A. BGH, Beschl. v. 14.1.2021 – IX ZB 71/18, Rz. 26, ZIP 2021, 421, 423, bei einem Fremdmitglied, das keinen Gläubiger vertritt. 48) BGH, Beschl. v. 14.1.2021 – IX ZB 71/18, Rz. 11, ZIP 2021, 421, 422. 49) LG Bückeburg, Beschl. v. 8.7.2020 – 4 T 49/16, ZInsO 2020, 2062, 2065; LG Hamburg, Beschl. v. 3.8.2018 – 326 T 41/17, ZInsO 2018, 2050, 2052; LG Münster, Beschl. v. 27.9.2016 – 5 T 253/16, ZInsO 2017, 1053, 1055; LG Duisburg, Beschl. v. 13.9.2004 – 7 T 221/04, NZI 2005, 116; Stephan in: MünchKomm-InsO, § 17 InsVV Rz. 21; Riedel in: MünchKommInsO, § 73 Rz 14. 50) LG Bückeburg, Beschl. v. 8.7.2020 – 4 T 49/16, ZInsO 2020, 2062, 2065; LG Göttingen, Beschl. v. 10.1.2005 – 10 T 1/05, NZI 2005, 339, 340; Kübler/Prütting/Bork-Prasser, InsO, § 73 Rz. 14. 51) LG Hamburg, Beschl. v. 3.8.2018 – 326 T 41/17, ZInsO 2018, 2050, 2052. 52) LG Duisburg, Beschl. v. 13.9.2004 – 7 T 221/04, NZI 2005, 116. 53) LG Aurich, Beschl. v. 6.3.2013 – 4 T 204/10, ZInsO 2013, 631, 634; LG Duisburg, Beschl. v. 13.9.2004 – 7 T 221/04, NZI 2005, 116; Frind in: BeckOK-InsO, § 73 Rz. 13; Frind in: HambKomm-InsO, § 73 Rz. 3. 54) LG Aurich, Beschl. v. 6.3.2013 – 4 T 204/10, ZInsO 2013, 631, 634; LG Duisburg, Beschl. v. 13.9.2004 – 7 T 221/04, NZI 2005, 116; Stephan in: MünchKomm-InsO, § 17 InsVV Rz. 22; Kübler/Prütting/Bork-Prasser, InsO, § 73 Rz. 9. 55) BGH, Beschl. v. 8.10.2009 – IX ZB 11/08, Rz. 11, ZIP 2009, 2453; Nerlich/RömermannStephan, InsO, § 17 InsVV Rz. 7; ausführlich dazu Budnik in: BeckOK-InsO, § 17 InsVV Rz. 28 ff.; Kübler/Prütting/Bork-Prasser, InsO, § 73 Rz. 11 ff.; Riedel in: MünchKommInsO, § 73 Rz. 17; gegen eine prozentuale Beteiligung an der Insolvenzverwaltervergütung LG Aurich, Beschl. v. 6.3.2013 – 4 T 204/10, ZInsO 2013, 631, 633; Frind in: BeckOK-InsO, § 73 Rz. 10; Frind in: HambKomm-InsO, § 73 Rz. 4; dafür Schmitt in: FK-InsO, § 73 Rz. 7. 56) Dazu ausführlich Schmitt in: FK-InsO, § 73 Rz. 9.

Blankenburg

1243

§ 93 35

Gläubigerbeirat

Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsVV haben die Mitglieder eines Gläubigerausschusses einen Anspruch auf Zahlung von 500 €, wenn sie bei der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters oder Sachwalters mitwirken. Da § 93 Abs. 2 StaRUG an § 56a InsO angelehnt ist, ist eine entsprechende Vergütung den Mitgliedern des Gläubigerbeirates zu gewähren, wenn sie bei der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten mitgewirkt haben. Wird daher ein Vorschlag unterbreitet, haben die Mitglieder pro Person einen Anspruch auf Zahlung von 500 €.57) Dies gilt auch dann, wenn der Schuldner später einen eigenen Vorschlag unterbreitet, der dem Vorschlag des Gläubigerbeirates vorgeht. Ist hingegen nach dem bindenden Vorschlag des Schuldners ein Vorschlag des Gläubigerbeirates erfolgt, kann diese Tätigkeit mangels Erforderlichkeit nicht vergütet werden. 2.

Auslagen

36

Die Mitglieder haben einen Anspruch auf Erstattung der angemessenen Auslagen. Die Auslagen sind in entsprechender Anwendung von § 18 Abs. 1 InsVV einzeln aufzuführen und zu belegen. Eine Auslagenpauschale kann nicht gewährt werden.58) Zu erstatten sind nur angemessene Auslagen.59) Dies sind solche, die das Beiratsmitglied für erforderlich halten durfte und die üblichen Rahmen liegen.60) Hierzu gehören Fahrtkosten, Telefongebühren, Fernschreib- und Telefaxgebühren sowie der Aufwand für Schreibmaterial oder Ablichtungen.61) Auch die Erstattung von Auslagen für Hilfskräfte, die zur Beratung herangezogen wurden, kann erstattungsfähig sein.62)

37

Ebenso wie beim Gläubigerausschuss sind die Prämien für eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung erstattungsfähig, wenn diese zur Abwendung eines besonderen Haftungsrisikos abgeschlossen wird.63) Hinsichtlich der Prüfung der Angemessenheit bedarf es der Einholung von Vergleichsangeboten. Die Überschreitung von 10 % des günstigsten Angebots wird in der Regel nicht angemessen sein.64) Zum Vorschuss siehe Rz. 46. 3.

38

Umsatzsteuer

Hinsichtlich der Umsatzsteuer fehlt es an einer Verweisung auf § 18 InsVV, der wiederum auf § 7 InsVV verweist. Da die Norm erst in den letzten Tagen des Gesetzgebungsverfahrens in das Gesetz mit aufgenommen wurde, ist davon auszugehen, dass es sich dabei um ein Versehen des Gesetzgebers handelt. Es ist nicht ersichtlich, _____________ 57) Der Anspruch ist personenbezogen, nicht ausschussbezogen, ebenso Stephan in: MünchKomm-InsO, § 17 InsVV Rz. 27; Nerlich/Römermann-Stephan, InsO, § 17 InsVV Rz. 9; Frind in: BeckOK-InsO, § 73 Rz. 9. 58) So zu § 73 InsO Uhlenbruck-Knof, InsO, § 73 Rz. 20; Kübler/Prütting/Bork-Prasser, InsO, § 73 Rz. 21; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Lissner, InsR, § 73 InsO Rz. 10; a. A. zu den Reisekosten AG Duisburg, Beschl. v. 13.1.2004 – 62 IN 167/02, NZI 2004, 325, 327. 59) LG Bückeburg, Beschl. v. 8.7.2020 – 4 T 49/16, ZInsO 2020, 2062, 2066. 60) So zu § 73 InsO Uhlenbruck-Knof, InsO, § 73 Rz. 20. 61) Uhlenbruck-Knof, InsO, § 73 Rz. 20. 62) LG Bückeburg, Beschl. v. 8.7.2020 – 4 T 49/16, ZInsO 2020, 2062, 2065. 63) So auch Braun-Hirte, StaRUG, § 93 Rz. 23; für den Gläubigerausschuss BGH, Beschl. v. 29.3.2012 – IX ZB 310/11, Rz. 9, ZIP 2012, 876, 877; BGH, Beschl. v. 14.1.2021 – IX ZB 71/18, Rz. 11, ZIP 2021, 421, 422; dazu ausführlich Uhlenbruck-Knof, InsO, § 73 Rz. 21 f. 64) AG Hannover, Beschl. v. 30.8.2016 – 908 IN 460/16, ZInsO 2016, 1875, 1876.

1244

Blankenburg

§ 93

Gläubigerbeirat

weshalb umsatzsteuerpflichtigen Beiratsmitgliedern die Umsatzsteuer nicht ausgewiesen werden könnte. Insoweit ist entsprechend § 18 InsVV bei der Vergütungsfestsetzung auch die Umsatzsteuer festzusetzen. 4.

Fälligkeit und Verjährung

Der Anspruch auf Vergütung entsteht mit der Erbringung der Arbeitsleistung,65) der Anspruch auf Aufwendungen, wenn die Aufwendungen getätigt werden.66) Voraussetzung ist, dass die Bestellung zum Ausschussmitglied wirksam ist.67) Fällig wird der Anspruch auf Vergütung allerdings erst mit der Beendigung der Tätigkeit, d. h. mit der Aufhebung des Verfahrens, der Entlassung oder dem Tod des Mitglieds.68) Es kann allerdings ein Anspruch auf Kostenvorschuss geltend gemacht werden (siehe Rz. 46).

39

Der Anspruch auf Festsetzung verjährt gemäß § 195 BGB innerhalb von drei Jahren.69) Eine Festsetzung ist auch nach Aufhebung des Verfahrens noch möglich.70) Ist der Anspruch festgesetzt worden, greift gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB die 30-jährige Verjährung ein.71)

40

5.

Festsetzung der Vergütung

Die Festsetzung der Vergütung für den Gläubigerausschuss erfolgt gemäß § 73 Abs. 2 InsO nach den §§ 64, 65 InsO. Eine entsprechende Verweisung in § 93 Abs. 4 fehlt allerdings. Aufgrund der kurzfristigen Einführung des § 93 in das Gesetz ist davon auszugehen, dass es sich dabei um ein Versehen handelt. Anderenfalls wäre eine gerichtliche Festsetzung nicht möglich und es wäre auch keine Rechtsmittelmöglichkeit gegeben. Es ist daher davon auszugehen, dass über § 93 Abs. 1 Satz 1 StaRUG i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, § 73 Abs. 2 InsO die §§ 64, 65 InsO entsprechend gelten, soweit der Regelungsgehalt mit dem Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen kompatibel ist.

41

a) Gerichtliche Festsetzung Die gerichtliche Festsetzung erfolgt auf Antrag durch Beschluss. Erforderlich ist ein bei dem Restrukturierungsgericht einzureichender schriftlicher Antrag. Das Antragsrecht steht jedem einzelnen Mitglied, nicht aber dem Gläubigerausschuss als Ganzem zu.72) Weder der Schuldner noch der Restrukturierungsbeauftrage sind berechtigt, _____________ 65) Uhlenbruck-Knof, InsO, § 73 Rz. 4; Kübler/Prütting/Bork-Prasser, InsO, § 73 Rz. 5; Riedel in: MünchKomm-InsO, § 73 Rz. 11. 66) Kübler/Prütting/Bork-Prasser, InsO, § 73 Rz. 5; Riedel in: MünchKomm-InsO, § 73 Rz. 11. 67) LG Duisburg, Beschl. v. 29.9.2003 – 7 T 203/03, NZI 2004, 95, 96; Riedel in: MünchKommInsO, § 73 Rz. 11; Frind in: BeckOK-InsO, § 73 Rz. 16. 68) So auch Uhlenbruck-Knof, InsO, § 73 Rz. 4; Riedel in: MünchKomm-InsO, § 73 Rz. 12; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Lissner, InsR, § 73 InsO Rz. 3. 69) Riedel in: MünchKomm-InsO, § 73 Rz. 13. 70) So wohl auch LG Hamburg, Urt. v. 14.2.2020 – 322 O 321/19, ZInsO 2020, 604, 606; a. A. Frind in: BeckOK-InsO, § 73 Rz. 19. 71) Uhlenbruck-Knof, InsO, § 73 Rz. 4; Riedel in: MünchKomm-InsO, § 73 Rz. 13. 72) Uhlenbruck-Knof, InsO, § 73 Rz. 28; Kübler/Prütting/Bork-Prasser, InsO, § 73 Rz. 24; Frind in: HambKomm-InsO, § 73 Rz. 2a.

Blankenburg

1245

42

§ 93

Gläubigerbeirat

für die Mitglieder die Vergütungsanträge zu stellen.73) Dem Antrag ist eine Aufzeichnung über den Zeitaufwand beizufügen.74) 43

Die Gewährung von rechtlichem Gehör hinsichtlich des Vergütungsfestsetzungsantrags ist weder im StaRUG noch der InsO oder dem InsVV geregelt. Da allerdings der Schuldner für die Kosten haftet und ihm insoweit ein Rechtsmittel zusteht, ist diesem die Möglichkeit zu einer Stellungnahme zu gewähren. Da weder die Planbetroffenen noch der Restrukturierungsbeauftragte für die Kosten einzustehen haben, bedarf es deren Anhörung nicht.

44

Im Festsetzungsbeschluss sind die Höhe der Vergütung, die Höhe der Auslagen sowie die Umsatzsteuer gesondert auszuweisen. Der Auszahlungsanspruch richtet sich ebenso wie beim Restrukturierungsbeauftragten gegen die Landeskasse, nicht gegen den Schuldner selbst. Der Beschluss ist dem Schuldner zuzustellen. Soweit § 64 Abs. 2 vorzieht, dass der Festsetzungsbeschluss zu veröffentlichen ist, kann diese Norm nicht auf den Gläubigerbeirat angewendet werden. Veröffentlichungen erfolgen nur dann, wenn eine öffentliche Restrukturierungssache gemäß §§ 84 ff. vorliegt. Eine Veröffentlichung scheint auch nicht erforderlich, da nur dem Schuldner ein Rechtsmittel zusteht.

45

Die Rechtsmittelbefugnis ist im StaRUG selbst nicht geregelt. Über §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, 73a Abs. 2 InsO ist § 64 Abs. 2 InsO entsprechend anwendbar. Diese Norm gewährt dem Schuldner, dem Insolvenzverwalter und den Gläubigern ein Rechtsmittel. Dies ist darin begründet, dass der Insolvenzverwalter für die Masse handelt und die Gläubiger ihre eigene Masse schützen können sollen. Für den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen gilt dies indes nicht. Da nur der Schuldner selbst der Kostenschuldner ist, ist allein dieser rechtsmittelbefugt. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen einzulegen. b) Vorschüsse

46

Es ist nicht geregelt, dass den Mitgliedern des Gläubigerbeirates ein Vorschuss auf die Vergütung gewährt werden kann. Gleiches gilt für den Gläubigerausschuss. Insoweit geht die h. M. allerdings davon aus, dass den Mitgliedern ein Anspruch auf Vorschussgewährung zusteht.75) Für den Gläubigerbeirat stellt sich grundsätzlich nicht das Problem der langen Verfahrensdauer, da die Restrukturierungssachen in der Regel innerhalb eines überschaubaren Zeitraums ablaufen. Hinsichtlich der Vergütung bedarf es daher keines Vorschusses. Anders gilt dies für die Auslagen. Insbesondere die Versicherungsprämie und die Reisekosten können einen erheblichen Aufwand für die Mitglieder darstellen. Insoweit wird ein Vorschussanspruch gegen die Lan_____________ 73) Uhlenbruck-Knof, InsO, § 73 Rz. 28; auch eine Stellvertretung für die Mitglieder ist nicht möglich, da dies mit der Unabhängigkeit unvereinbar ist, so auch Frind in: HambKommInsO, § 73 Rz. 2a; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Lissner, InsR, § 73 InsO Rz. 6. 74) Uhlenbruck-Knof, InsO, § 73 Rz. 28. 75) BGH, Beschl. v. 29.3.2012 – IX ZB 310/11, Rz. 9, ZIP 2012, 876; AG Hannover, Beschl. v. 30.8.2016 – 908 IN 460/16, ZInsO 2016, 1875; AG Konstanz, Beschl. v. 11.8.2015 – 40 IN 408/14, NZI 2015, 959, 960; Riedel in: MünchKomm-InsO, § 73 Rz. 24; Uhlenbruck-Knof, InsO, § 73 Rz. 23 m. w. N.; Budnik in: BeckOK-InsO, § 17 InsVV Rz 34.

1246

Blankenburg

§ 93

Gläubigerbeirat

deskasse zu bejahen sein. Dies kann allerdings nur dann gelten, wenn ein entsprechender Kostenvorschuss durch den Schuldner gezahlt wurde. Eine Anhörung vor der Zahlung eines Vorschusses bedarf es nicht. Das Gericht hat darüber durch Beschluss zu entscheiden. Der Vorschuss darf nicht höher als die endgültige Vergütung sein.76)

47

VI. Entlassung Über den Verweis in § 93 Abs. 1 Satz 1 StaRUG, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO ist § 70 InsO entsprechend auf den Gläubigerbeirat anwendbar. Danach kann auch ein Mitglied des Gläubigerbeirates aus wichtigem Grund entlassen werden. 1.

48

Entlassungsvoraussetzungen

a) Formelle Voraussetzungen Die Entlassung kann sowohl von Amts wegen erfolgen als auch auf Antrag des Mitglieds des Gläubigerbeirates. Die anderen Mitglieder sind in Bezug auf andere Mitglieder nicht antragsbefugt.77) Mangels der Möglichkeit einer Gläubigerversammlung in Restrukturierungssachen kann ebenfalls durch die Gläubigerschaft kein Antrag gestellt werden.78) Auch dem Restrukturierungsbeauftragten steht kein Antragsrecht zu.79) Grundsätzlich ist es aber möglich, die Entlassung eines Mitglieds anzuregen.80) Das Gericht hat dann zu prüfen, ob eine Entlassung von Amts wegen erforderlich ist.81)

49

b) Materielle Voraussetzungen Die Entlassung kann nur aufgrund eines wichtigen Grundes erfolgen. Insoweit ist danach zu differenzieren, ob die Entlassung von Amts wegen durch das Gericht oder auf Antrag des Gläubigerausschussmitglieds erfolgt.

50

Bei einer Entlassung von Amts wegen ist ein wichtiger Grund gegeben, wenn die weitere Mitarbeit des zu entlassenden Mitgliedes die Erfüllung der Aufgaben des Gläubigerbeirates nachhaltig erschwert oder unmöglich macht und die Erreichung der Verfahrensziele objektiv nachhaltig gefährdet.82) Ein wichtiger Grund kann auf wertneutralen Umständen wie Krankheit, fehlender fachliche Eignung oder beruflicher Überlastung, aber auch auf einer schuldhaften Pflichtwidrigkeit beruhen.83) Als entsprechende Pflichtwidrigkeit wurden insoweit die Begünstigung eines Gläu-

51

_____________ 76) Uhlenbruck-Knof, InsO, § 73 Rz. 26; Riedel in: MünchKomm-InsO, § 73 Rz. 22. 77) Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 70 Rz. 9; Uhlenbruck-Knof, InsO, § 70 Rz. 4. 78) Ebenfalls zweifelnd Ahrens, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 57, 59; a. A. Mock in: BeckOKStaRUG, § 93 Rz. 15, der auf die Versammlung der Planbetroffenen abstellen will. 79) So für den Insolvenzverwalter BGH, Beschl. v. 17.7.2003 – IX ZB 448/02, ZInsO 2003, 751. 80) Ein unzulässiger Antrag kann in eine entsprechende Anregung umgedeutet werden (Frind in: HambKomm-InsO, § 70 Rz. 2). 81) AG Hamburg, Beschl. v. 2.8.2017 – 67g IN 173/17, ZIP 2017, 2213; Uhlenbruck-Knof, InsO, § 70 Rz. 4; Frind in: HambKomm-InsO, § 70 Rz. 2. 82) BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, Rz. 7, ZIP 2008, 652, 653; BGH, Beschl. v. 29.3.2012 – IX ZB 310/11, Rz. 6, ZIP 2012, 876; ähnlich BGH, Beschl. v. 1.3.2007 – IX ZB 47/06, Rz. 8, ZInsO 2007, 444. 83) BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, Rz. 7, ZIP 2008, 652, 653.

Blankenburg

1247

§ 93

Gläubigerbeirat

bigers zugunsten der anderen Gläubiger,84) Ausnutzung der durch die Tätigkeit gewonnener Informationen zugunsten eines Gläubigers85) oder des Geschäftsführers86) angesehen. Eine Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Mitglied und dem Insolvenzgericht, die nur auf persönlichem Zwist beruht, reicht niemals für eine Entlassung aus.87) Gleiches gilt für das Vertrauen zwischen den Gläubigerbeiratsmitgliedern, dem Schuldner und dem Restrukturierungsbeauftragten.88) Grundsätzlich ist immer zu prüfen, ob einem Interessenkonflikt durch eine partielle Beschränkung des Stimmrechts begegnet werden kann.89) Nur wenn dies nicht möglich ist, kommt ein Ausschluss in Betracht. Ein Verschulden des Mitglieds ist nicht erforderlich.90) 52

Auch bei der Entlassung auf Antrag des Gläubigerbeiratsmitglieds muss ein wichtiger Grund vorliegen.91) Das Gläubigerbeiratsmitglied hat nicht die Möglichkeit, das Amt einfach so niederzulegen.92) Ein wichtiger Grund ist gegeben, wenn sich bei Abwägung der Interessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die Fortsetzung der Tätigkeit als Mitglied des Gläubigerbeirates für dieses als unzumutbar erweist.93) Die Motive für die Entlassung dürfen nicht offenkundig sachfremd sein.94) Allein der mangelnde Wille zur Fortführung des Amtes reicht nicht aus.95) Insbesondere wenn der bisherige Vorschuss für die Auslagen nicht ausreicht und der Kostenschuldner keinen weiteren Vorschuss leistet, ist ein wichtiger Grund gegeben.96) Nicht ausreichend ist der Verkauf der Forderung oder ein Wechsel des Arbeitgebers, der der Forderungsinhaber ist.97) 2.

53

Verfahren

Vor der Entlassung muss das Gläubigerbeiratsmitglied angehört werden. Eine schriftliche Anhörung ist ausreichend.98) Sonstige Beteiligte des Verfahrens müssen nicht angehört werden. Eine Abmahnung ist nicht erforderlich.99) _____________ 84) BGH, Beschl. v. 15.5.2003 – IX ZB 448/02, ZIP 2003, 1259. 85) BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, Rz. 9, ZIP 2008, 652, 653, wobei keine allgemeine Schweigepflicht besteht. 86) LG Kleve, Beschl. v. 15.5.2020 – 4 T 17/20, ZIP 2020, 1365, 1367. 87) BGH, Beschl. v. 1.3.2007 – IX ZB 47/0, Rz. 8, ZIP 2007, 781. 88) BGH, Beschl. v. 1.3.2007 – IX ZB 47/0, Rz. 13, ZIP 2007, 781, 782; dazu m. w. N. Uhlenbruck-Knof, InsO, § 70 Rz. 9. 89) AG Hamburg, Beschl. v. 2.8.2017 – 67g IN 173/17, Rz. 31, ZIP 2017, 2213; ebenso Uhlenbruck-Knof, InsO, § 70 Rz. 7. 90) Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 70 Rz. 7; Frind in: HambKomm-InsO, § 70 Rz. 4. 91) BGH, Beschl. v. 29.3.2012 – IX ZB 310/11, Rz. 6, ZIP 2012, 876; Uhlenbruck-Knof, InsO, § 70 Rz. 6. 92) Ebenso Braun-Hirte, StaRUG, § 93 Rz. 9; so auch den für Gläubigerausschuss Frind in: HambKomm-InsO, § 70 Rz. 6. 93) BGH, Beschl. v. 29.3.2012 – IX ZB 310/11, Rz. 6, ZIP 2012, 876. 94) AG Duisburg, Beschl. v. 3.7.2003 – 62 IN 41/03, ZInsO 2003, 861, 862. 95) Uhlenbruck-Knof, InsO, § 70 Rz. 6. 96) So zu § 70 InsO BGH, Beschl. v. 29.3.2012 – IX ZB 310/11, Rz. 9, ZIP 2012, 876, 877. 97) Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 70 Rz. 16. 98) Uhlenbruck-Knof, InsO, § 70 Rz. 10; Frind in: HambKomm-InsO, § 70 Rz. 7. 99) K. Schmidt-Jungmann, InsO, § 70 Rz. 27; a. A. Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 70 Rz. 18; wohl auch Schmitt in: FK-InsO, § 70 Rz. 8; Frind in: HambKomm-InsO, § 70 Rz. 2.

1248

Blankenburg

§ 93

Gläubigerbeirat

Die Entlassung erfolgt durch Beschluss. Er bedarf einer Begründung.100) Liegt ein wichtiger Grund vor, hat das Restrukturierungsgericht keinen Ermessensspielraum bei der Entscheidung.101) Der Beschluss ist dem Gläubigerbeiratsmitglied zuzustellen.102) Die anderen Mitglieder sollten nur formlos unterrichtet werden.103) Die Entscheidung wird erst mit der Rechtskraft wirksam.104) Sowohl gegen die Entlassung als auch gegen die Zurückweisung seines eigenen Entlassungsantrags steht dem betroffenen Gläubigerbeiratsmitglied die sofortige Beschwerde zu (§ 70 Satz 2 Halbs. 2 InsO). Die Beschwerdefrist beträgt zwei Wochen ab Verkündung oder Zustellung der Entscheidung an das Gläubigerbeiratsmitglied.

54

Eine einstweilige Suspendierung ist in Restrukturierungssachen nicht möglich.105) Der Gläubigerbeirat nimmt nicht solch eine Position ein, dass eine weitere Mitwirkung es rechtfertigen würde, das Amt umgehend zu suspendieren. Gegebenenfalls kann aber eine weitere Akteneinsicht bis zur endgültigen Entscheidung verweigert werden, wenn die Gefahr der Weitergabe von Informationen besteht. Nach der Entlassung kann das Gericht ein weiteres Mitglied bestellen.106) Die Auswahl obliegt wie bei der Ersteinsetzung dem Gericht.

56

VII.

55

57

Haftung

Die Mitglieder des Gläubigerbeirates haften gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 StaRUG, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO i. V. m. § 71 InsO für die Schäden, die sie durch eine schuldhafte Pflichtverletzung verursachen. Die Haftung ist gemäß § 71 Satz 1 InsO auf Schäden gegenüber Absonderungs- und Insolvenzgläubigern beschränkt.107) Übertragen auf den Gläubigerbeirat bedeutet dies, dass dieser nicht gegenüber dem Schuldner und aussonderungsberechtigten Gläubigern haftet, sondern nur den planbetroffenen Gläubigern.

58

Eine Haftung entsteht, wenn die Gläubigerbeiratsmitglieder schuldhaft gegen ihre Pflichten verstoßen haben. Dabei kommt insbesondere die Pflicht zu Überwachung des Schuldners in Betracht. Da der Gläubigerbeirat allerdings nicht verpflichtet ist, das operative Geschäft des Schuldners sowie den Zahlungsverkehr proaktiv zu beobachten,108) wird eine Pflichtverletzung nur dann vorliegen, wenn dem Gläubigerbeirat retrospektiv keine Unregelmäßigkeiten aufgefallen sind und er dann weiteren Schaden bei den geschützten Gläubigern nicht verhindert hat.109)

59

_____________ 100) Frind in: HambKomm-InsO, § 70 Rz. 7; Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, § 70 Rz. 12. 101) Uhlenbruck-Knof, InsO, § 70 Rz. 11, Frind in: HambKomm-InsO, § 70 Rz. 7; K. SchmidtJungmann, InsO, § 70 Rz. 6; Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, § 70 Rz. 12. 102) So auch Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, § 70 Rz. 12. 103) Uhlenbruck-Knof, InsO, § 70 Rz. 12. 104) Frind in: HambKomm-InsO, § 70 Rz. 7. 105) Dazu für § 70 InsO Uhlenbruck-Knof, InsO, § 70 Rz. 2; K. Schmidt-Jungmann, InsO, § 70 Rz. 30. 106) AG Duisburg, Beschl. v. 3.7.2003 – 62 IN 41/03, ZInsO 2003, 861, 862; Frind in: HambKomm-InsO, § 70 Rz. 8; a. A. Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, § 70 Rz. 12. 107) Dazu BGH, Urt. v, 9.10.2014 – IX ZR 140/11, Rz. 44, ZIP 2014, 2242, 2247. 108) Zu den Pflichten des Gläubigerausschusses s. umfassend Frind in: HambKomm-InsO, § 71 Rz. 3 ff. m. w. N. 109) Ähnlich Pannen/Riedemann/Smid-Riedemann, StaRUG, § 93 Rz. 52.

Blankenburg

1249

§ 93

Gläubigerbeirat

60

Die Pflichtverletzung muss schuldhaft begangen worden sein. Dabei reicht leichte Fahrlässigkeit aus. Objektiver Sorgfaltsmaßstab ist derjenige des ordentlichen und gewissenhaften Beiratsmitgliedes.110) Werden Dritte zur Erfüllung der Pflicht herangezogen, kommt es auf ein Auswahl- und Überwachungsverschulden an.111) Exkulpieren kann sich ein Beiratsmitglied nur dann, wenn es gegen die Entscheidung des Beirats gestimmt hat. Enthaltungen beseitigen den Kausalzusammenhang nicht.112)

61

Es haftet immer das Gläubigerbeiratsmitglied persönlich. Ist eine juristische Person gewählt, haftet diese und nicht der entsandte Vertreter.113) Bei einer Delegation der Pflichten auf ein Mitglied haften die Übrigen für dessen regelmäßige Überwachung.114)

62

Gemäß §§ 71 Satz 2, 62 Satz 1 InsO verjährt der Anspruch innerhalb von drei Jahren. Gemäß § 199 Abs. 1 BGB beginnt die Verjährung mit dem Schluss des Jahres, in dem der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Die eigentliche Höchstgrenze sind dann 30 Jahre. Diese Höchstgrenze wird allerdings durch § 62 Satz 2 InsO modifiziert, nach der Haftungsansprüche spätestens drei Jahre nach Aufhebung des Verfahrens verjähren. Bei den Restrukturierungsverfahren ist insoweit auf den Verlust der Wirkung der Anzeige gemäß § 31 Abs. 4 abzustellen.

_____________ 110) 111) 112) 113) 114)

So zum Gläubigerausschuss Frind in: HambKomm-InsO, § 71 Rz. 6. BGH, Urt. v, 9.10.2014 – IX ZR 140/11, Rz. 20, ZIP 2014, 2242, 2243. Dazu ausführlich Frind in: HambKomm-InsO, § 71 Rz. 7. Frind in: HambKomm-InsO, § 71 Rz. 5. OLG Celle, Urt. v. 3.6.2010 – 16 U 135/09, ZIP 2010, 1862, 1864.

1250

Blankenburg

Teil 3 Sanierungsmoderation § 94 Antrag Ziegenhagen

(1) 1Auf Antrag eines restrukturierungsfähigen Schuldners bestellt das Gericht eine geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zum Sanierungsmoderator. 2Dies gilt nicht, wenn der Schuldner offensichtlich zahlungsunfähig ist. 3Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder eine Person ohne Rechtspersönlichkeit, für deren Verbindlichkeiten keine natürliche Person als unmittelbarer oder mittelbarer Gesellschafter haftet, gilt Satz 2 auch bei einer offensichtlichen Überschuldung.*) (2) 1Im Antrag sind anzugeben: 1.

der Gegenstand des Unternehmens und

2.

die Art der wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten.

2

Dem Antrag sind ein Verzeichnis der Gläubiger und ein Verzeichnis des Vermögens sowie die Erklärung des Schuldners beizufügen, nicht zahlungsunfähig zu sein. 3Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder eine Person ohne Rechtspersönlichkeit, für deren Verbindlichkeiten keine natürliche Person als unmittelbarer oder mittelbarer Gesellschafter haftet, hat sich die Erklärung auch darauf zu erstrecken, dass keine Überschuldung vorliegt.*) (3) Der Antrag ist an das für Restrukturierungssachen zuständige Gericht zu richten. Literatur: Arnold/Slawik, „La boîte à outils française“ und seine Einflüsse auf das StaRUG, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 79; Cranshaw/Portisch, Paradigmen des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) nach dem Regierungsentwurf aus Gläubigersicht (Teil 1), ZInsO 2020, 2561; Gruber, Das StaRUG: Auftakt zu einer deutsch-französischen Vereinheitlichung?, NZI 2021, 249; Hoegen, Die Sanierungsmoderation, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 59; Kebekus, Synopse Restrukturierungsrichtlinie/ Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz, KTS 2020, 439; Vallender, Aufgaben und Befugnisse des Restrukturierungsgerichts nach dem Gesetz über die Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen, ZInsO 2020, 2677; Ziegenhagen, Sechs Monate StaRUG – Bewertung der ersten Rechtsprechung zur Anwendung des neuen Restrukturierungsgesetzes, ZInsO 2021, 2053.

_____________ *)

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 94 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 3 jeweils die Wörter „Person ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft.

Ziegenhagen

1251

§ 94

Antrag Übersicht

I. II. III. IV. 1.

2.

I. 1

Einleitung ............................................. 1 Normzweck/-inhalt ............................. 2 Normhistorie ........................................ 7 Sanierungsmoderation (Abs. 1) ....... 10 Person des Sanierungsmoderators ..... 13 a) Qualifikation des Sanierungsmoderators ................................... 15 b) Unabhängigkeit ............................ 26 c) Berücksichtigung von Vorschlägen ........................................ 30 Keine Insolvenzreife ........................... 34 a) Offensichtliche Zahlungsunfähigkeit .................................... 35

b) Offensichtliche Überschuldung .... 38 V. Antrag auf Bestellung eines Sanierungsmoderators (Abs. 2) ........ 41 1. Art der wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten ............... 42 2. Gläubiger- und Vermögensverzeichnis ........................................... 47 3. Erklärung des Schuldners zum Nichtvorliegen der maßgeblichen Insolvenzeröffnungsgründe ................ 52 VI. Zuständigkeit (Abs. 3) ....................... 55 VII. Bestellung erst nach Vorschussgewährung ........................................... 57

Einleitung

Der mit „Sanierungsmoderation“ überschriebene Teil 3 des StaRUG mit den §§ 94 – 100 steht dem schuldnerischen Unternehmen als konsensuales Sanierungsvergleichsverfahren unabhängig vom Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen im Teil 2 des StaRUG zur Verfügung. Es handelt sich um eine freiwillige Sanierungsoption des schuldnerischen Unternehmens als vertraulich geführtes Verfahren mit Unterstützung eines gerichtlich bestellten Sanierungsmoderators, jedoch ohne die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens. Auch in diesem Sanierungsverfahren werden nur die jeweils vom Schuldner zu einer Sanierungsmaßnahme aufgeforderten Gläubiger einbezogen, so dass es sich wie beim Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen grundsätzlich um ein teilkollektives Verfahren – auf konsensualer Grundlage – handelt. Im Wesentlichen entspricht die Sanierungsmoderation der üblichen außergerichtlichen Sanierungsverhandlung unter zusätzlicher Einschaltung eines gerichtlich bestellten unabhängigen Sanierungsmoderators als Mediator zwischen den betroffenen Gläubigern und dem Schuldner. II. Normzweck/-inhalt

2

Der Zweck der Sanierungsmoderation besteht darin, entsprechend dem modularen Aufbau des StaRUG eine zusätzliche Sanierungsoption in einem nicht öffentlichen Verfahren mit der Unterstützung eines gerichtlich bestellten Sanierungsmoderators zu eröffnen. Im Rahmen der Sanierungsmoderation soll das schuldnerische Unternehmen unter Vermittlung des gerichtlich bestellten restrukturierungserfahrenen Sanierungsmoderator als neutralem Mediator eine Vergleichslösung mit den betroffenen Gläubigern zur Überwindung seiner wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten herbeiführen.1) Der Sanierungsmoderator soll insoweit als unabhängige geschäftskundige Person die potentiellen Sanierungsoptionen ermitteln und die Verhandlungen zwischen dem schuldnerischen Unternehmen und seinen betroffenen Gläubigern vertraulich moderieren. Da keine Zwangswirkungen gegen die betroffenen Gläubiger i. R. der Sanierungsmoderation erwirkbar sind, kann der Sanierungsmoderator nur durch die Überzeugung der betroffenen Gläubiger sowie des _____________ 1)

Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. Teil 3 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 183.

1252

Ziegenhagen

§ 94

Antrag

schuldnerischen Unternehmens die jeweilige Zustimmung zu einem konsensualen Sanierungsvergleich bewirken. Nach der Gesetzesbegründung wird der künftige Anwendungsbereich der Sanierungsmoderation insbesondere bei Kleinst- und kleinen Unternehmen erwartet, die sich über die Sanierungsmoderation eine professionelle und kostengünstige Unterstützung bei der Ausarbeitung des Sanierungsvergleichs organisieren können.2) Da der Sanierungsmoderator gemäß § 98 nach denselben Grundsätzen wie der Restrukturierungsbeauftragte vergütet wird, erscheint eine Kostenersparnis nur dann möglich, wenn aufgrund der „neutralen“ Sanierungsmoderation weitere zusätzliche Berater auf der Schuldner- und der Gläubigerseite eingespart werden.3) Die Unabhängigkeit des Sanierungsmoderators als neutrale Vermittlungsperson könnte daher in bestimmten Fallkonstellationen durch Einsparung weiterer Beraterkosten zu einer effizienten und damit auch kostengünstigen Sanierungslösung führen. Je professioneller die betroffenen Beteiligten der Sanierungsverhandlung bereits durch eigene Berater vertreten sind, desto geringer werden dagegen die Überzeugungsmöglichkeiten des unabhängigen Sanierungsmoderators sein, die jeweils bereits ausgiebig verhandelte entgegengesetzte Verhandlungsposition aufzugeben.

3

Ein weiterer wesentlicher Vorteil der Sanierungsmoderation kann aus Sicht der Gläubiger die erhöhte Transparenz durch das umfassende Auskunfts- und Einsichtsrecht des Sanierungsmoderators in Geschäftsunterlagen des schuldnerischen Unternehmens gemäß § 96 Abs. 2 sowie dessen Berichtspflicht gegenüber dem Restrukturierungsgericht gemäß § 96 Abs. 3 bewirken. Dies kann auch als zusätzliche vertrauensfördernde Maßnahme die Vergleichsbereitschaft der betroffenen einbezogenen Gläubiger erhöhen.

4

Erweist sich i. R. der Sanierungsmoderation, dass der vorgelegte Sanierungsvergleich von der überwiegenden einbezogenen Gläubigermehrheit unterstützt und nur von einzelnen einbezogenen dissentierenden Gläubigern abgelehnt wird, so kann der Schuldner gemäß § 100 in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen übergehen und die dort zur Verfügung stehenden Instrumente i. S. des § 29 nutzen. In dieser Konstellation kann die Sanierungsmoderation auch bereits von Anfang an als glaubhafte Vorstufe und „Drohkulisse“ für den Übergang in den Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen zwecks Überwindung der dissentierenden Gläubigerminderheit genutzt werden.4)

5

Die Sanierungsmoderation beginnt mit einem Antrag des restrukturierungsfähigen schuldnerischen Unternehmens auf Bestellung eines Sanierungsmoderators gemäß § 94 Abs. 1 an das für Restrukturierungssachen gemäß Absatz 3 zuständige Gericht. In § 94 Abs. 2 sind die Mindestangaben zur Antragstellung auf Sanierungsmoderation normiert.

6

_____________ 2) 3) 4)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 100 Abs. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 183. Vgl. krit. zu den zusätzlichen Kosten des Sanierungsmoderators Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2687. Ebenso Hoegen, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 59 f.

Ziegenhagen

1253

§ 94

Antrag

III. Normhistorie 7

Die Sanierungsmoderation beruht nicht auf Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie5), die insoweit keinerlei Vorgaben für die Einführung einer Sanierungsmoderation gemacht hat.6) Art 4 Abs. 5 der Restrukturierungsrichtlinie lässt aber ausdrücklich zu, dass der jeweilige nationale Restrukturierungsrahmen aus mehreren Verfahren bestehen kann, von denen einige außergerichtlich durchgeführt werden können.

8

Die Sanierungsmoderation ist mit dem französischen Schlichtungsverfahren „Conciliation“ als vertrauliche konsensuale Vergleichslösung unter Zuhilfenahme eines unabhängigen gerichtlich bestellten „Conciliateurs“ vergleichbar, die in Frankreich seit 2005 eine Schlüsselrolle in der französischen Restrukturierungslandschaft einnimmt.7) Der Gesetzgeber hat i. R. der Gesetzesbegründung zum StaRUG selbst keinen Bezug auf das französische Schlichtungsverfahren „Conciliation“ als Vorbild für die neue Sanierungsmoderation genommen, dessen Einflüsse sind aber eindeutig erkennbar.8)

9

Im ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung waren die Vorschriften zur Sanierungsmoderation in §§ 100 – 106 RegE normiert und wurden im weiteren Gesetzgebungsverfahren materiell nicht mehr verändert. IV. Sanierungsmoderation (Abs. 1)

10

Die Sanierungsmoderation beginnt gemäß § 94 Abs. 1 Satz 1 mit dem Antrag auf Bestellung eines Sanierungsmoderators. In Satz 1 werden die Voraussetzungen der auf Antrag des Schuldners zu bestellenden Person des Sanierungsmoderators und in Satz 2 und 3 die offensichtliche Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des schuldnerischen Unternehmens als Ausschlussgrund der Sanierungsmoderation normiert.

11

Ebenso wie im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ist ausschließlich der Schuldner antragsberechtigt und den Gläubigern steht insoweit kein eigenes Antragsrecht auf die Sanierungsmoderation zu.

12

Formal ist zwar kein ausdrückliches Schriftformerfordernis entsprechend § 13 Abs. 1 Satz 1 InsO normiert, aufgrund der obligatorischen Angabepflichten gemäß § 94 Abs. 2 inklusive der erforderlichen Verzeichnisse wird aber nur die Schriftform in Betracht kommen und die theoretische Möglichkeit den Antrag auf der Geschäftsstelle zu Protokoll abzugeben – wie bei der Restrukturierungsanzeige gemäß § 31 – nicht praxisrelevant. Zur Form der Restrukturierungsanzeige siehe § 31 Rz. 14 f.). _____________ 5)

6) 7) 8)

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Vgl. Kebekus, KTS 2020, 439, 526 ff., mit der Synopse zwischen der Restrukturierungsrichtlinie und dem StaRUG. Vgl. Dammann in: BeckOK-InsO, Int. InsR Frankreich, Rz. 96. Vgl. Gruber, NZI 2021, 249, 250; Arnold/Slawik, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 79, 80; Hoegen, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 59 f.

1254

Ziegenhagen

§ 94

Antrag

1.

Person des Sanierungsmoderators

Nach dem ausdrücklichen Wortlaut können wie beim Restrukturierungsbeauftragten nur natürliche Personen zum Sanierungsmoderator bestellt werden. Es erscheint fraglich, ob eine Beschränkung des Sanierungsmoderators auf natürliche Personen ebenso wie im Insolvenzverfahren gerechtfertigt ist (weitergehende Ausführungen zum Restrukturierungsbeauftragten siehe § 74 Rz. 17 ff.). Europarechtliche Zulässigkeitsfragen ergeben sich bei der Beschränkung der Person des Sanierungsmoderators nicht zusätzlich aus der Restrukturierungsrichtlinie, da die Sanierungsmoderation nicht deren unmittelbare Umsetzung betrifft.

13

Diese natürliche Person muss zudem als Sanierungsmoderator geeignet sein, wobei für die Geeignetheit insbesondere eine entsprechende Geschäftskunde als Qualifikation sowie die Unabhängigkeit von den Gläubigern und dem Schuldner vorliegen muss. Entgegen § 74 Abs. 1 Satz 1 beim Restrukturierungsbeauftragten sieht § 94 Abs. 1 Satz 1 ausdrücklich nicht vor, dass die Person des Sanierungsmoderators aus dem Kreis der zur Übernahme bereiten Personen auszuwählen ist. Nach der Gesetzesbegründung muss der zu bestellende Sanierungsmoderator daher nicht – wie bei Insolvenzverwaltern, Sachwaltern und Restrukturierungsbeauftragten – auf einer Vorauswahlliste des Restrukturierungsgerichts geführt werden.9) Da sich die Anforderungen an den Sanierungsmoderator aufgrund des konsensualen Charakters der Sanierungsmoderation auch erheblich von den Insolvenz- und eingriffsorientierten Restrukturierungsverfahren unterscheiden, kommen insbesondere die in außergerichtlichen Restrukturierungsverhandlungen erfolgreichen Berater als geeignete Sanierungsmoderatoren in Betracht.10)

14

a) Qualifikation des Sanierungsmoderators Nach § 94 Abs. 1 Satz 1 ist eine geeignete Person zum Sanierungsmoderator zu bestellen, die insbesondere geschäftskundig ist. Diese Formulierung entspricht der Regelung zur Bestellung des Insolvenzverwalters gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Sanierungsmoderator bei Scheitern der Sanierungsmoderation auch gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 InsO – mit Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses – zum (vorläufigen) Insolvenzverwalter bestellt werden kann.

15

Bei der als Restrukturierungsbeauftragten zu bestellenden Person wird dagegen gemäß § 74 Abs. 1 verlangt, dass dieser eine bestimmte berufliche Qualifikation als Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt hat oder eine Person mit sonstigen vergleichbaren Qualifikationen ist. Die zu bestellende Person des Restrukturierungsbeauftragten muss zudem in Restrukturierungs- und Insolvenzsachen erfahren sein. Die unterschiedliche gesetzliche Regelung zur Qualifikation des Sanierungsmoderators gegenüber dem Restrukturierungsbeauftragten ist insoweit überraschend, als i. R. des Übergangs von der Sanierungsmoderation in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen gemäß § 100 Abs. 1 die Bestellung des Sanierungsmoderators zum Restrukturierungsbeauftragten ausdrücklich gemäß § 100 Abs. 2 zugelassen wird.

16

_____________ 9) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 100 Abs. 2 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 183. 10) Ebenso Hoegen, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 59, 61.

Ziegenhagen

1255

§ 94

Antrag

Der Gesetzgeber geht mithin selbst davon aus, dass der Sanierungsmoderator dem Grunde nach trotz der unterschiedlichen Definition die Eignung zum Restrukturierungsbeauftragten hat. Es ist davonauszugehen, dass die unterschiedliche gesetzliche Formulierung zur geeigneten Person des Sanierungsmoderators und des Restrukturierungsberaters in der Praxis zu keinen wesentlichen Unterschieden i. R. der jeweiligen Bestellpraxis führen wird, da die fachliche-sachliche Eignung in jeweils vergleichbaren konkreten Fallgestaltungen objektiv inhaltsgleich beurteilt werden wird.11) 17

Im Zusammenhang mit der Anforderung an die Geschäftskundigkeit des Insolvenzverwalters gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 InsO ist allgemein anerkannt, dass insbesondere fundierte rechtliche und wirtschaftliche Kenntnisse im Zusammenhang mit der Abwicklung eines Insolvenzverfahrens als erforderliche Qualifikation verlangt wird.12)

18

Das Anforderungsprofil des Sanierungsmoderators unterscheidet sich vom Insolvenzverwalter, der aufgrund seiner umfassenden Befugnisse das Insolvenzverfahren maßgeblich steuert, wohingegen der Sanierungsmoderator eher einem Mediator in einer außergerichtlichen konsensualen Sanierungsverhandlung zwischen den betroffenen Gläubigern und dem Schuldner entspricht. Trotz dieser unterschiedlichen Aufgaben des Sanierungsmoderators im Vergleich zum Insolvenzverwalter ist auch hinsichtlich der gesetzlich vorgegebenen Geschäftskunde auf rechtliche und wirtschaftliche Kenntnisse im Zusammenhang mit Sanierungsverfahren als Qualifikationsmerkmal abzustellen. Zusätzlich sollte noch stärker auf die Mediationsfähigkeit des Sanierungsmoderators abgestellt werden. Es kommt maßgeblich auf sein Verhandlungsgeschick und seine Überzeugungsfähigkeit an, einen für alle Beteiligten wirtschaftlich und rechtlich objektiv umsetzbaren Sanierungsvergleich zu realisieren.13) Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Sanierungsmoderator gegenüber den betroffenen einzubeziehenden Gläubigern sowie dem Schuldner bzw. dessen Anteilseignern keine zusätzlichen Instrumente zur Verfügung hat, die Zustimmung zu erzwingen und es mithin überwiegend auf seine Mediationsfähigkeit ankommt.

19

Die wirtschaftliche Qualifikation des Sanierungsmoderators erfordert, dass er in der Lage ist das Restrukturierungskonzept des schuldnerischen Unternehmens inklusive der integrierten Bilanz-, Gewinn-und Verlust- und Finanzplanung vollständig nachvollziehen sowie etwaige kritische Fragen hierzu mit den Beteiligten und dem etwaigen Sanierungsgutachter zu erörtern und zu klären. Diese wirtschaftliche Qualifikation des Sanierungsmoderators umfasst daher insbesondere umfassende Kenntnisse über die Anforderungen an schlüssige Sanierungskonzepte nach der BGHRechtsprechung14) bzw. dem maßgeblichen IDW Standard „S 6“ des Instituts für Wirtschaftsprüfer e. V. (IDW S 6)15). _____________ 11) Vgl. ebenso Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2561, 2576 f. 12) Vgl. Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, § 56 Rz. 38 ff.; Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 56 Rz. 17 – 19. 13) Vgl. zu den zusätzlichen Anforderungen als Mediator ebenso Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2686. 14) Vgl. grundlegend BGH, Urt. v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, ZIP 2016, 1235 ff. 15) IDW, Anforderungen an Sanierungskonzepte (IDW S 6) i. d. F. v. 16.5.2018, IDW Life 8/2018, S. 813.

1256

Ziegenhagen

§ 94

Antrag

Die rechtliche Qualifikation des Sanierungsmoderators umfasst sowohl die Kenntnis über die insolvenzrechtlichen Rahmenbedingungen inklusive dem Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen ebenso wie die juristische Beurteilung der jeweiligen Sanierungsmaßnahmen hinsichtlich gesellschafts-, steuer- oder beihilferechtlicher Umsetzbarkeit gemäß dem vorgelegten Sanierungskonzept.

20

Neben den umfassenden wirtschaftlichen und rechtlichen Kenntnissen zwecks Beurteilung der Umsetzung des Sanierungskonzepts muss der Sanierungsmoderator die Beteiligten auch über die etwaigen Auswirkungen des Scheiterns der Sanierungsverhandlungen umfassend informieren können. Der Sanierungsmoderator wird insoweit eine vergleichsweise Einigung mit allen Beteiligten nur dann realisieren können, wenn er objektiv und transparent über die Umsetzungsrisiken des Sanierungskonzepts sowie über die etwaigen Szenarien bei Scheitern der Sanierungsmoderation aufklären kann. Er muss insoweit versuchen alle Beteiligten von der bestmöglichen Umsetzung eines Sanierungsvergleichs zu überzeugen und ggf. zusätzliche Optimierungsvorschläge vorbringen. Da die etwaigen Alternativszenarien sowohl den Übergang in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen als auch den direkten Übergang in ein Insolvenzverfahren mit der Eigenverwaltungsoption umfassen können, sind umfassende Kenntnisse des Sanierungsmoderators über die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens sowie über die Sanierung oder ordnungsgemäße Abwicklung i. R. eines Insolvenzverfahrens erforderlich.

21

Schließlich muss der Sanierungsmoderator fachlich in der Lage sein, eine qualifizierte schriftliche Stellungnahme zu der vernünftigen Erfolgsaussicht des zugrunde gelegten Sanierungskonzepts gemäß § 97 Abs. 2 i. R. der gerichtlichen Bestätigung des Sanierungsvergleichs abzugeben.

22

Aufgrund des besonderen Qualifikationserfordernisses kann bei den Berufsgruppen der Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater regelmäßig davon ausgegangen werden, dass bei nachgewiesener Restrukturierungserfahrung die erforderliche Geschäftskunde als erforderliche Qualifikation für die Bestellung zum Sanierungsmoderator dem Grunde nach vorliegt. Es kommen aber auch Personen ohne die entsprechende besondere berufsrechtliche Qualifikation als Sanierungsmoderator in Betracht, wenn die erforderlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Qualifikationen bspw. bei restrukturierungserfahrenen Unternehmensberatern oder Investmentbankern (Debt Advisory) vorhanden sind.

23

Eine hinreichend große Büroorganisation des Sanierungsmoderators ist aufgrund seiner Aufgaben i. R. der Sanierungsmoderation nicht zwingend erforderlich, da nicht wie beim Restrukturierungsbeauftragten weitergehende Aufgaben nach § 76 Abs. 2 übertragen werden können.

24

Allerdings sollte das Restrukturierungsgericht i. R. der Beurteilung der geeigneten Person des zu bestellenden Sanierungsmoderators zusätzlich die Wahrscheinlichkeit eines etwaigen Übergangs von der Sanierungsmoderation in den Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmens gemäß § 100 Abs. 1 berücksichtigen, da der Sanierungsmoderator dann auch gemäß § 100 Abs. 2 als etwaiger geeigneter Restrukturierungsbeauftragter bestellt werden kann.

25

Ziegenhagen

1257

§ 94

Antrag

b) Unabhängigkeit 26

Der zu bestellende Sanierungsmoderator muss von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängig sein. Dies entspricht den Anforderungen an die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters gemäß § 56 InsO, der jedoch zusätzlich zwei Klarstellungen in Abs. 1 Satz 4 beinhaltet. Nach § 56 Abs. 1 Satz 4 InsO wird die Unabhängigkeit der Person des Insolvenzverwalters grundsätzlich nicht dadurch beeinträchtigt, dass der Kandidat von einem Verfahrensbeteiligten vorgeschlagen wurde oder die betreffende Person vor dem Eröffnungsantrag in allgemeiner Form über den Ablauf des Insolvenzverfahrens und dessen Folgen beraten hat. Obwohl diese Klarstellung nicht in den Wortlaut des § 94 Abs. 1 aufgenommen wurde, ist diese entsprechend auf den Sanierungsmoderator anzuwenden. In der Praxis wird sich das schuldnerische Unternehmen regelmäßig über potentielle Sanierungsmoderatoren erkundigen und mit diesen auch Vorgespräche über den Ablauf einer Sanierungsmoderation führen, um dann ggf. beim Restrukturierungsgericht den Antrag mit einem konkreten Vorschlag zur Person des Sanierungsmoderators zu verbinden. Dies beeinträchtigt noch nicht die Unabhängigkeit der vorgeschlagenen Person.

27

Der Begriff der Unabhängigkeit ist bereits im Zusammenhang mit der Bestellung des Insolvenzverwalters gemäß § 56 InsO umstritten.16) Unabhängig ist der Sanierungsmoderator, wenn er weder in rechtlicher Form im konkreten Verfahren mit einem der Beteiligten verbunden ist noch aufgrund der tatsächlichen Umstände sich verpflichtet sieht, die Interessen eines der Beteiligten zu bevorzugen. Die Unabhängigkeit ist nicht abstrakt zu bestimmen, sondern auf den jeweiligen Einzelfall bezogen. Nach der Rechtsprechung des BGH zur Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters fehlt diese bereits dann, wenn objektive Umstände feststehen, die aus Sicht eines vernünftigen Gläubigers oder Schuldners berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit oder Unparteilichkeit der potentiell zu bestellender Person begründen.17) Diese Grundsätze sind auf die zu bestellende Person des unabhängigen Sanierungsmoderators entsprechend anzuwenden, auch wenn die Befugnisse des Sanierungsmoderators nicht so weitgehend sind wie die des Insolvenzverwalters i. R. der ordnungsgemäßen Abwicklung des Insolvenzverfahrens.

28

Das Restrukturierungsgericht hat daher zu ermitteln, ob rechtliche oder wirtschaftliche Verflechtungen zu den betroffenen Gläubigern oder zu dem Schuldner oder dessen Anteilseignern bestehen, die Zweifel an der Unabhängigkeit der potentiell als Sanierungsmoderator zu bestellenden Person begründen.

29

Wie bereits in Insolvenzverfahren üblich, kann das Restrukturierungsgericht mögliche Abhängigkeiten des Sanierungsmoderators über einen Fragebogen im Vorfeld der Bestellung abfragen.18) Die potentiell als Sanierungsmoderator zu bestellende Person hat i. R. des standardisierten Fragebogens zur Unabhängigkeit sämtliche Umstände _____________ 16) Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, § 56 Rz. 48 m. w. N. 17) Vgl. BGH, Beschl. v. 4.5.2017 – IX ZB 102/15, ZIP 2017, 1230, 1231 f. 18) Vgl. den Unabhängigkeitsfragebogen für Insolvenzverwalter des VID, abrufbar unter www.vid.de/wp-content/uploads/2018/02/fragebogen-unabhaengigkeit-d-verwalters_ 28022018.pdf (Abrufdatum: 10.8.2021); ebenso BAKinso Fragebogen zur Unabhängigkeit des Verwalters, abrufbar unter www.bak-inso.de/dokumente-stellungnahmen/verwalterauswahl/ (Abrufdatum: 27.8.2021).

1258

Ziegenhagen

§ 94

Antrag

offenzulegen, die eine Besorgnis der Unabhängigkeit im konkreten Fall begründen können (zum Restrukturierungsbeauftragten siehe § 74 Rz. 42 f., 60 ff.). In der Praxis ist insbesondere eine etwaige vorherige Beratung des schuldnerischen Unternehmens offenzulegen, da diese grundsätzlich – wie beim Insolvenzverwalter, Sachwalter oder Restrukturierungsbeauftragten – auch die Zweifel an der Unabhängigkeit der Person des Sanierungsmoderators begründen kann. Entsprechend den Rechtsgrundsätzen bei der Insolvenzverwalterauswahl ist die potentiell auszuwählende Person verpflichtet, von sich aus dem Restrukturierungsgericht einen Sachverhalt anzuzeigen, der bei unvoreingenommener, lebensnaher Betrachtungsweise die ernstliche Besorgnis an der Unabhängigkeit rechtfertigen kann. Deswegen muss die Person, die in einem konkreten Verfahren bestellt werden soll, dem Restrukturierungsgericht mitteilen, ob sie einen Gläubiger oder den Schuldner oder dessen Anteilseigner beraten hat, ob sie in ständiger Geschäftsbeziehung zu diesen steht oder ob sie am Schuldner oder an Gläubigern wirtschaftlich beteiligt ist.19) c) Berücksichtigung von Vorschlägen Entgegen der Regelung zur Bestellung des obligatorischen Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 hat das Restrukturierungsgericht bei der Auswahl der Person des Sanierungsmoderators dem Grunde nach weder Vorschläge des Schuldners, der Gläubiger oder der an dem Schuldner beteiligten Personen zu berücksichtigen. Dies entspricht insoweit der Regelung zum fakultativen Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 78, wo dem Schuldner selbst ebenfalls kein Vorschlagsrecht zugebilligt wird.

30

Nach dem Gesetzeswortlaut könnte der Schuldner wie beim fakultativen Restrukturierungsbeauftragten zwar einen Vorschlag machen, jedoch wäre das Gericht ausdrücklich nicht an diesen Vorschlag gebunden. Beim fakultativen Restrukturierungsbeauftragten muss die vom Vorschlag abweichende Bestellung vom Gericht auch nicht begründet werden (zum fakultativen Restrukturierungsbeauftragten siehe § 78 Rz. 5 ff.).

31

Im vergleichbaren französischen Schlichtungsverfahren „Conciliation“ kann dagegen der Schuldner die Person des „Concilateur“ vorschlagen und gegen die Bestellung einer vom Vorschlag abweichenden Person Rechtsmittel einlegen.20) Der Gesetzesbegründung ist nicht zu entnehmen, warum dem Schuldner i. R. der Sanierungsmoderation nicht ebenfalls ein Vorschlagsrecht zur Person des Sanierungsmoderators gewährt wird. Es ist insoweit nicht nachvollziehbar, warum i. R. der Sanierungsmoderation als konsensuales Sanierungsverfahren ohne Eingriffsrechte gegenüber den betroffenen Gläubigern und ausdrücklich als Vorstufe zum Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nicht ausdrücklich ein dem Grunde nach bindendes Vorschlagrecht zur Person des Sanierungsmoderators gewährt wird.21)

32

_____________ 19) Vgl. zur Anzeigepflicht beim Insolvenzverwalter: BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15, Rz. 23, ZIP 2016, 2127. 20) Vgl. Dammann in: BeckOK-InsO, Int. InsR Frankreich, Rz. 104 f. 21) Vgl. ebenso krit. Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2686; Hoegen, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 59, 61.

Ziegenhagen

1259

§ 94 33

Das Restrukturierungsgericht sollte i. R. der Sanierungsmoderation als vom Schuldner initiiertes Verfahren ohne jegliche Eingriffsrechte gegenüber den Gläubigern dessen konkreten Vorschlag zur Bestellung der Person als Sanierungsmoderator berücksichtigen, sofern an dessen Geeignetheit keine Zweifel bestehen. Bei abweichender Entscheidung des Gerichts stehen dem Schuldner allerdings keine Rechtsmittel hiergegen zu. 2.

34

Antrag

Keine Insolvenzreife

Der Zugang zur Sanierungsmoderation soll ausgeschlossen sein, wenn das schuldnerische Unternehmen offensichtlich zahlungsunfähig oder offensichtlich überschuldet ist. Maßgeblich ist insoweit, dass das Unternehmen dann bereits insolvenzreif und damit nicht mehr restrukturierungsfähig i. R. der Sanierungsmoderation ist. a) Offensichtliche Zahlungsunfähigkeit

35

Nach § 94 Abs. 1 Satz 2 wird kein Sanierungsmoderator bestellt, wenn der Schuldner offensichtlich zahlungsunfähig ist. Weder das Gesetz noch die Gesetzesbegründung definieren das Kriterium der Offensichtlichkeit. Es wird insoweit nur ausgeführt, dass die Inanspruchnahme einer Sanierungsmoderation nur solange möglich sein soll, wie das schuldnerische Unternehmen noch zahlungsfähig ist und dass dies zugleich dem Schutz der Gläubigergesamtheit vor Insolvenzverschleppungen dient.22)

36

In Anlehnung an sog. offenkundige Tatsachen i. S. von § 291 ZPO ist eine Tatsache offensichtlich, wenn sie von einer beliebigen Zahl von Personen ohne besondere Sachkunde jederzeit wahrgenommen werden kann, sei es unmittelbar, sei es durch Zugriff auf allgemein zugängliche, zuverlässige Quellen, weil sie dann allgemeinkundig sind.23) Bezogen auf die Zahlungsunfähigkeit liegt insoweit in jedem Fall bei einer Zahlungseinstellung des Schuldners eine offensichtliche Zahlungsunfähigkeit vor, wenn das äußere Verhalten des Schuldners darauf schließen lässt, dass dieser nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Nach der Rechtsprechung des BGH wird die Zahlungseinstellung insbesondere bei Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, Löhnen und sonst fälligen Verbindlichkeiten über einen Zeitraum von mehr als drei Wochen nach Fälligkeit angenommen.24) Die Offensichtlichkeit der Zahlungsunfähigkeit kann sich auch aus den eigenen Einlassungen des schuldnerischen Unternehmens i. R. der Antragstellung ergeben.25)

37

Umgekehrt kommt eine offensichtliche Zahlungsunfähigkeit nicht in Betracht, wenn das schuldnerische Unternehmen darlegt, dass es entsprechend der eigenen Liquiditätsplanung seine fälligen Verbindlichkeiten jeweils fristgerecht erfüllt.

_____________ 22) Begr. RegE SanInsFoG z. § 100 Abs. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181. 23) Vgl. Saenger, ZPO, § 291 Rz. 3; Bacher in: BeckOK-ZPO, § 291 Rz. 3. 24) Vgl. zuletzt BGH, Beschl. v. 15.11.2018 – IX ZR 81/18, ZInsO 2019, 192; BGH, Urt. v. 7.5.2015 – IX ZR 95/14, ZIP 2015, 1234. 25) Vgl. AG Düsseldorf, Beschl. v. 5.3.2021 – 601 SAN 1/21, ZInsO 2021, 1453.

1260

Ziegenhagen

§ 94

Antrag

b) Offensichtliche Überschuldung Handelt es sich bei dem schuldnerischen Unternehmen um einen haftungsbeschränkten Rechtsträger, so ist der Zugang zur Sanierungsmoderation gemäß § 94 Abs. 1 Satz 3 auch bei einer offensichtlichen Überschuldung versagt.

38

Auch insoweit gelten für die Auslegung der Offensichtlichkeit die Grundsätze für offenkundige Tatsachen i. S. von § 291 ZPO, wonach die Tatsache von einer beliebigen Zahl von Personen ohne besondere Sachkunde jederzeit wahrgenommen werden können muss. Da die Überschuldung i. S. von § 19 InsO einen Überschuldungsstatus hinsichtlich der Vermögensdeckung der bestehenden Verbindlichkeiten bzw. eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Fortführung als Zahlungsfähigkeitsprognose beinhaltet, werden regelmäßig bereits dem Grunde nach die erforderlichen Tatsachen und Prognosegrundlagen für eine ordnungsgemäße Überschuldungsprüfung noch nicht ausreichend ermittelt sein.

39

Eine offensichtliche Überschuldung wird daher in der Praxis nur in seltenen Ausnahmefällen vorliegen, da deren Voraussetzungen nicht ohne weiteres einfach erkennbar sind.

40

V. Antrag auf Bestellung eines Sanierungsmoderators (Abs. 2) Dem Antrag auf Bestellung eines Sanierungsmoderators sind als Mindestinformationen der Gegenstand des Unternehmens und die Art der wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten beizufügen. Die ordnungsgemäße Vertretung des Schuldners richtet sich nach den allgemeinen Vertretungsregeln, ohne etwaige Erleichterungen bei einer Gesamtvertretung wie bei Insolvenzantragstellung gemäß § 15 Abs. 2 InsO. 1.

41

Art der wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten

Der Zugang zur Sanierungsmoderation setzt ausdrücklich keine besonderen Mindestanforderungen an die wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten des schuldnerischen Unternehmens voraus. Das schuldnerische Unternehmen soll gerade den freien Zugang zur Sanierungsmoderation frühzeitig nutzen können, um die wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten mithilfe eines unabhängigen gerichtlich bestellten Sanierungsmoderators zu überwinden.

42

Die Angaben des Schuldners müssen daher nicht wie beim Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen eine drohende Zahlungsunfähigkeit i. S. des § 18 InsO belegen, da der Gesetzgeber gerade keine konkrete Definition der i. R. der Sanierungsmoderation zu überwindenden wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten normiert hat. Dies kann auch nicht damit begründet werden, dass die Sanierungsmoderation nach der Gesetzesbegründung „als Vorstufe zur möglichen Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens“ genutzt werden kann.26)

43

Da weder dem Schuldner noch dem Sanierungsmoderator Eingriffsbefugnisse gegenüber den betroffenen Gläubigern gewährt werden, besteht auch kein Missbrauchsrisiko i. R. der frühzeitigen Nutzung der Sanierungsmoderation. In der Praxis wird diese Streitfrage keine große Rolle spielen, denn die betroffenen Gläubiger werden nur dann – wie i. R. der üblichen außergerichtlichen Sanierungsverhandlung – einem Sanierungsvorschlag mit eigenen Sanierungsbeiträgen zustimmen, wenn dies tatsäch_____________

44

26) So aber Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2561, 2576.

Ziegenhagen

1261

§ 94

Antrag

lich für die Überwindung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und damit auch für die Vermeidung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit erforderlich ist.27) 45

Diese drohende Zahlungsfähigkeit kann aber auch außerhalb des 24-monatigen Prognosezeitraums gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 InsO liegen. Zeitlich könnte die Einleitung der Sanierungsmoderation bspw. als Vorstufe zur möglichen Inanspruchnahme des Stabilisierungsrahmens sogar unmittelbar darauf abgestimmt sein. So könnte die Einleitung der Sanierungsmoderation 27 Monate vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit – z. B. bei entsprechender Endfälligkeit der nach aktueller Prognose nicht refinanzierbaren Darlehen – bewirkt werden, um dann ggf. drei Monate später bei Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit i. S. des § 18 Abs. 2 Satz 2 InsO durch Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen gemäß § 100 den Übergang des Verfahrens zu bewirken.

46

Der Schuldner muss insoweit konkrete Angaben zur Art der wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten machen, ohne dass hierzu bereits die Anforderungen an ein Sanierungsgutachten entsprechend der BGH-Rechtsprechung28) oder dem Standard IDW S 6 zu erfüllen sind. 2.

Gläubiger- und Vermögensverzeichnis

47

Dem Antrag auf Sanierungsmoderation gemäß § 94 Abs. 2 Satz 2 ist ein Gläubigerund Vermögensverzeichnis beizufügen.29)

48

Das Gläubigerverzeichnis sollte zugleich die Hauptforderungen der Gläubiger mit deren zutreffender Firmierung beinhalten. Die teilweise überzogenen Anforderungen30) an das Gläubigerverzeichnis i. R. der Insolvenzantragstellung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 InsO hinsichtlich vollständiger Anschrift und zusätzlichen Kontaktdaten jedes Gläubigers sind dagegen nicht i. R. der Sanierungsmoderation anzuwenden. Die Sanierungsmoderation ist ein freiwilliges teilkollektives und vertrauliches Sanierungsverfahren. Es wird insoweit in keine Gläubigerrechte eingegriffen und es bestehen auch keine Zustellungserfordernisse an die Gläubiger des schuldnerischen Unternehmens i. R. der Sanierungsmoderation. Es besteht daher auch kein Rechtschutzbedürfnis für erhöhte Anforderungen an das Gläubigerverzeichnis hinsichtlich der jeweiligen zustellfähigen Anschrift. Die vollständige Gläubigerliste mit der Hauptforderung und der richtigen Bezeichnung des jeweiligen Gläubigers sollte insoweit für die Anlage zum Antrag auf Sanierungsmoderation ausreichen.

49

Das Vermögensverzeichnis wird gesetzlich nicht näher definiert. Es sollte das vorhandene Vermögen des Schuldners umfassen und sich insoweit an der Bilanz des schuldnerischen Unternehmens mit seiner Aktiva entsprechend § 266 Abs. 2 HGB orientieren.

50

In der Praxis kann der letzte Jahresabschluss verwendet werden, wenn dieser zeitlich und hinsichtlich des vorhandenen Vermögens noch aktuell ist. Alternativ kann _____________ 27) Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2561, 2576. 28) Vgl. grundlegend BGH, Urt. v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, ZIP 2016, 1235 ff. 29) Vgl. AG Düsseldorf, Beschl. v. 5.3.2021 – 601 SAN 1/21, ZInsO 2021, 1453; Ziegenhagen, ZInsO 2021, 2053, 2060. 30) Ebenso Hoegen, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 59, 60.

1262

Ziegenhagen

§ 94

Antrag

auch eine aktuelle Summen- und Saldenliste mit dem gesamten Vermögen des Unternehmens als Vermögensverzeichnis verwendet werden. Es ist das gesamte Vermögen anzugeben, unabhängig von etwaigen dinglichen Belastungen. Es sollten keine zusätzlichen erhöhten Anforderungen an das Vermögensverzeichnis hinsichtlich weiterer konkreter Angaben zu den einzelnen Vermögensgegenständen sowie einzelnen Forderungen oder anderen Vermögenswerte verlangt werden, da dies bereits bei mittleren Unternehmen erheblichen zusätzlichen Aufwand zur Folge hätte. Da mit der Sanierungsmoderation keine Eingriffe in die Gläubigerrechte verbunden sind, besteht auch kein Rechtsschutzbedürfnis für höhere Anforderungen an das Vermögensverzeichnis. Der strengere Maßstab an die Vermögensauskunft gemäß § 802c ZPO bzw. dem Vermögensverzeichnis gemäß § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO beim Verbraucherinsolvenzverfahren mit jeweils konkreten Angaben zu den jeweiligen Vermögensgegenständen sind daher nicht auf das Vermögensverzeichnis i. S. des § 94 Abs. 2 Satz 2 anwendbar. 3.

51

Erklärung des Schuldners zum Nichtvorliegen der maßgeblichen Insolvenzeröffnungsgründe

Des Weiteren ist dem Antrag die Erklärung des Schuldners beizufügen, wonach dieser nicht zahlungsunfähig ist.

52

Bei den haftungsbeschränkten Rechtsträgern hat sich die Erklärung neben dem Nichtvorliegen der Zahlungsunfähigkeit zusätzlich auf das Nichtvorliegen der Überschuldung zu beziehen. Nach der Regierungsbegründung sollen bei den haftungsbeschränkten Rechtsträgern zusätzlich die Verbindlichkeiten i. R. einer Übersicht beigefügt werden. Dies entspricht jedoch nicht dem Wortlaut des Gesetzestextes, der diese Übersicht über die Verbindlichkeiten als eigene zusätzliche Anlage nicht normiert.

53

Stellt sich im Nachhinein heraus, dass die Erklärung des Schuldners unzutreffend und das schuldnerische Unternehmen insolvenzreif war, so hat das Restrukturierungsgericht von Amts wegen gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 2 die Sanierungsmoderation durch Abberufung des Sanierungsmoderators zu beenden. Dies setzt zuvor die entsprechende Anzeige der Insolvenzreife durch den Sanierungsmoderator gemäß § 96 Abs. 4 voraus. Des Weiteren kommen die zivilrechtliche Haftung wegen Insolvenzverschleppung gemäß § 823 Abs. 2 i. V. m. § 15a InsO sowie für Zahlungen gemäß § 15b InsO und die strafrechtliche Verantwortung gemäß § 15a Abs. 4 InsO nach den allgemeinen Grundsätzen in Betracht.

54

VI. Zuständigkeit (Abs. 3) Der Antrag auf die Sanierungsmoderation ist an das für Restrukturierungssachen sachlich zuständige Gericht i. S. von §§ 34 ff. zu richten. Grundsätzlich ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk ein Oberlandesgericht seinen Sitz hat, als Restrukturierungsgericht für den Bezirk des Oberlandesgerichts ausschließlich zuständig (siehe dazu i. E. die Kommentierung zu § 34). Die örtliche Zuständigkeit regelt § 35. Wenn der anzeigende Schuldner sich auf einen Gruppengerichtsstand nach § 37 beruft, muss er dessen Voraussetzungen darlegen (siehe dazu i. E. die Kommentierung zu § 37). Es wird insoweit auf die entsprechende Kommentierung verwiesen. Ziegenhagen

1263

55

§ 95 56

Im Ergebnis wird durch dieselbe gerichtliche Zuständigkeit sichergestellt, dass der gesetzlich vorgesehene Übergang in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nicht zu einem Zuständigkeitswechsel beim Gericht führt. VII.

57

Bestellung

Bestellung erst nach Vorschussgewährung

Die Bestellung des Sanierungsmoderators soll wie beim fakultativen Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 81 Abs. 5 erst nach Zahlung eines Vorschusses für die Gerichtskosten gemäß § 13a Abs. 2 GKG i. H. von 500 € (Nr. 2514 Anlage 1 des Kostenverzeichnisses zum GKG) sowie die Auslagen des Sanierungsmoderators gemäß §§ 98 Abs. 2, 81 Abs. 5 erfolgen. Das Restrukturierungsgericht muss insoweit dem Schuldner vorab die Zahlung eines angemessenen Vorschusses unter Berücksichtigung des festzusetzenden Stundensatzes sowie des geschätzten Aufwands der Sanierungsmoderation gem. §§ 98 Abs. 2, 81 Abs. 4 aufgeben.31) _____________ 31) Vgl. AG Düsseldorf, Beschl. v. 5.3.2021 – 601 SAN 1/21, ZInsO 2021, 1453.

§ 95 Bestellung Ziegenhagen

(1) 1Die Bestellung des Sanierungsmoderators erfolgt für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten. 2Auf Antrag des Moderators, welcher der Zustimmung des Schuldners und der in die Verhandlungen einbezogenen Gläubiger bedarf, kann der Bestellungszeitraum um bis zu drei weitere Monate verlängert werden. 3Wird innerhalb dieses Zeitraums die Bestätigung eines Sanierungsvergleichs nach § 97 beantragt, verlängert sich die Bestellung bis zur Entscheidung über die Bestätigung des Vergleichs. (2) Die Bestellung wird nicht öffentlich bekannt gemacht. Literatur: Kebekus, Synopse Restrukturierungsrichtlinie/Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz, KTS 2020, 439. Übersicht I. II. III. 1. 2.

I.

Normzweck/-inhalt ............................. 1 Normhistorie ........................................ 3 Zeitraum der Bestellung (Abs. 1) ....... 5 Erstmalige Bestellung (Abs. 1 Satz 1) .................................................... 5 Verlängerung der Bestellung (Abs. 1 Satz 2) ....................................... 9

3.

Verlängerung der Bestellung (Abs. 1 Satz 3) ..................................... 14 4. Begleitung durch Sanierungsmoderator nach Bestätigung des Sanierungsvergleichs ..................... 15 IV. Keine Bekanntmachung (Abs. 2) ................................................ 16

Normzweck/-inhalt

1

Der Normzweck dieser Vorschrift besteht in der zeitlichen Begrenzung der Sanierungsmoderation sowie der Vertraulichkeit dieses Verfahrens.

2

§ 95 normiert den jeweiligen Bestellungszeitraum des Sanierungsmoderators in Absatz 1 und bestimmt in Absatz 2, dass die Bestellung nicht öffentlich bekannt zu machen ist.

1264

Ziegenhagen

§ 95

Bestellung

II. Normhistorie Die Bestellung eines Sanierungsmoderators beruht nicht auf der Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie1), die insoweit keinerlei Vorgaben für die Einführung einer Sanierungsmoderation gemacht hat.2) Art. 4 Abs. 5 der Restrukturierungsrichtlinie lässt aber ausdrücklich zu, dass der jeweilige nationale Restrukturierungsrahmen aus mehreren Verfahren bestehen kann, von denen einige außergerichtlich durchgeführt werden können.

3

Im ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung3) war die Bestellung des Sanierungsmoderators in § 101 RegE normiert, materiell wurde die Vorschrift im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht mehr verändert.

4

III. Zeitraum der Bestellung (Abs. 1) 1.

Erstmalige Bestellung (Abs. 1 Satz 1)

Die Bestellung des Sanierungsmoderators erfolgt gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 für einen Zeitraum bis zu drei Monate. Der Schuldner sollte insoweit i. R. seines Antrags den maximalen Zeitraum von drei Monaten für die Bestellung des Sanierungsmoderators beantragen, da dieser Zeitraum regelmäßig für eine erfolgreiche Sanierungsmoderation benötigt wird. Eine maximale Drei-Monats-Frist ist auch hinsichtlich der erstmaligen Stabilisierungsanordnung in § 53 Abs. 1 normiert und auch im Schutzschirmverfahren beträgt die maximale Frist zur Vorlage des Insolvenzplans gemäß § 270d Abs. 1 Satz 2 InsO drei Monate.

5

In der Praxis sollte es innerhalb des Drei-Monats-Zeitraums möglich sein, die Einigungsmöglichkeiten über einen Sanierungsvergleich einzuschätzen. Konnte man den ausformulierten Sanierungsvergleich noch nicht endverhandeln, so sollte zumindest ein Term Sheet mit den wesentlichen Eckpunkten des Sanierungsvergleichs zwischen dem Schuldner und den einbezogenen Gläubigern unterzeichnet werden, um zugleich die Verlängerung des Zeitraums gemäß § 95 Abs. 1 Satz 2 zu beantragen.

6

Nach der Regierungsbegründung soll die Begrenzung des Zeitraums auf grundsätzlich drei Monate insbesondere etwaige Ineffizienzen, Missbrauch oder gar Insolvenzverschleppungen verhindern.4) Da i. R. der Sanierungsmoderation die gesetzliche Insolvenzantragspflicht nicht ausgesetzt wird, keine Eingriffsrechte gegenüber den Gläubigern gewährt werden und zudem der Sanierungsmoderator gemäß § 96 Abs. 4 eine ihm bekannt gewordene Insolvenzreife des schuldnerischen Unternehmens dem Restrukturierungsgericht anzuzeigen hat, sollte weder eine erhöhte Missbrauchsgefahr noch ein erhöhtes Insolvenzverschleppungsrisiko i. R. der Sanierungsmoderation be-

7

_____________ 1)

2) 3) 4)

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Vgl. Kebekus, KTS 2020, 439, 526 ff., mit der Synopse zwischen der Restrukturierungsrichtlinie und dem StaRUG. RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181, S. 51. Begr. ReGE SanInsFoG z. § 101 Abs. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 183 f.

Ziegenhagen

1265

§ 95

Bestellung

stehen. Ein Missbrauch zwecks Erreichung etwaiger Begünstigungen i. R. der Sanierungsmoderation ist insoweit nicht möglich. 8

Es bleibt insoweit lediglich das allgemeine Risiko, dass eine angeordnete Sanierungsmoderation gegenüber den einzelnen betroffenen Gläubigern den falschen Eindruck erwecken könnte, das Unternehmen sei noch nicht insolvenzreif, obwohl es tatsächlich bereits zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Auch insoweit steigt aber das Aufdeckungsrisiko für den etwaigen missbräuchlichen Schuldner aufgrund des bestellten Sanierungsmoderators mit dessen Auskunfts- und Einsichtsrechten gemäß § 96 Abs. 2 und der Anzeigepflicht bei Insolvenzreife gemäß § 96 Abs. 4, die zu einer Aufhebung der Sanierungsmoderation von Amts wegen gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 2 führt. 2.

9

10

11

Verlängerung der Bestellung (Abs. 1 Satz 2)

Der maximale Drei-Monats-Zeitraum kann auf Antrag des Sanierungsmoderators mit Zustimmung des Schuldners sowie der in die Verhandlung einbezogenen Gläubiger um drei weitere Monate verlängert werden. Diese Verlängerungsoption wird in der Praxis regelmäßig in Betracht kommen, wenn die Beteiligten eine überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Einigung auf eine Sanierungsvereinbarung bzw. einen Sanierungsvergleich bestätigen können, jedoch die vollständig ausformulierte Vereinbarung noch nicht unterzeichnungsreif ist. Es bietet sich insoweit an, wenn die Beteiligten sich insoweit zumindest bereits über ein Term Sheet mit den wesentlichen Eckpunkten und kommerziellen Rahmenbedingungen des noch endzuverhandelnden, vollständig ausformulierten Sanierungsvergleichs einigen können. Die finale Verhandlung und Ausformulierung des Sanierungsvergleichs kann dann in dem Verlängerungszeitraum realisiert werden. Das Zustimmungserfordernis des Schuldners und vor allem der einbezogenen Gläubiger dokumentiert das Wohlwollen der Beteiligten, weiterhin eine Sanierungslösung unter der Vermittlung des Sanierungsmoderators anzustreben. Fraglich ist, ob wirklich die Zustimmung sämtlicher in die Verhandlungen einbezogener Gläubiger erforderlich ist oder eine Mehrheitsentscheidung ausreichen kann. Aus der praktischen Sanierungsverhandlungserfahrung wäre es zumindest sinnvoll, wenn die Sanierungsmoderation auch bei einzelnen Enthaltungen der einbezogenen Gläubiger verlängert werden könnte. Es ist regelmäßig schwierig, eine fristgerechte Zustimmungserklärung zu einer bestimmten Verfahrenshandlung – wie vorliegend die Verlängerung der Sanierungsmoderation – zu erhalten. Obwohl sich ein einbezogener Gläubiger noch in aussichtsreichen Verhandlungen mit dem Schuldner und den übrigen Gläubigern befindet, könnte er aus prinzipiellen oder formalen Gremiengründen aufgrund offener Verhandlungspunkte eine Zustimmung zur Verlängerung gegenüber dem Restrukturierungsgericht verweigern, ohne fundamental endgültig eine Sanierungslösung abzulehnen und ausdrücklich gegen die Verlängerung zu stimmen. Daher sollte eine Verlängerung des Sanierungszeitraums nur bei eindeutiger Ablehnung eines in die Verhandlungen einbezogenen Gläubigers verweigert werden: Nur wenn ein einbezogener Gläubiger eindeutig gegen die Verlängerung stimmt, weil er sich endgültig der Sanierungslösung verweigert, obwohl diese ohne diesen Gläubiger nicht realisiert werden kann. Da die Sanierungsmoderation ausschließlich eine konsensuale Sanierungsvergleichslösung mit Zustimmung aller einbezogenen Gläubiger beinhaltet, sollte eine endgültige nachhaltige Ablehnung der Sanierungsmoderation durch einen einzelnen 1266

Ziegenhagen

§ 95

Bestellung

Gläubiger bereits ausreichen, diese zu beenden und ggf. den Übergang in einen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen gemäß § 100 zu bewirken. Dies muss dann der Schuldner als Folge der Ablehnung der Sanierungsmoderation durch einzelne Gläubiger entscheiden. Eine Fortsetzung der Sanierungsmoderation gegen den ausdrücklichen Willen eigenbezogener Gläubiger sollte im Interesse eines effizienten Sanierungsverfahrens nach Ablauf der Drei-Monats-Frist zu einer Entscheidung des Schuldners für die geeignete Umsetzung des Sanierungsprojektes führen. Die Verlängerungsmöglichkeit mit Zustimmung der einbezogenen Gläubiger ist insoweit sinnvoll, da es regelmäßig noch der Umsetzung der Detailregelung des Sanierungsvergleichs bedarf, obwohl man sich über die wesentlichen kommerziellen Punkte innerhalb des Drei-Monats-Zeitraums dem Grunde nach einigen konnte. Die endgültige Sanierungsvergleichsvereinbarung wird insoweit regelmäßig erneut von den jeweiligen Gremien des einbezogenen Gläubigers genehmigt werden müssen. Der bereits eingesetzte Sanierungsmoderator soll insoweit die erfolgversprechenden Gespräche fortführen können und sie kontinuierlich zu einer finalen Sanierungsvergleichslösung zu Ende führen.

12

Die jeweilige zeitliche Begrenzung der anfänglichen Bestellung und der Verlängerung führen aufgrund dieses klaren gesetzlichen Rahmens zugleich zu einem sinnvollen Einigungsdruck der Beteiligten. Der Sanierungsmoderator sollte daher von Anfang an dem Schuldner eine zeitliche Planung der Sanierungsmoderationen mit vorgegebenen Meilensteinen vorlegen, um diesen Prozess effizient und transparent mit dem Schuldner und den einbezogenen Gläubigern zu führen.

13

3.

Verlängerung der Bestellung (Abs. 1 Satz 3)

Die Bestellung des Sanierungsmoderators verlängert sich schließlich gemäß § 95 Abs. 1 Satz 3 automatisch, wenn die gerichtliche Bestätigung eines Sanierungsvergleichs gemäß § 97 beantragt wird, bis zur gerichtlichen Entscheidung über die Bestätigung des Vergleichs. Diese automatische Verlängerung ist im Wesentlichen für etwaige Rückfragen oder Anpassungen des vorgelegten Sanierungsvergleichs gegenüber dem Restrukturierungsgericht sinnvoll. Der Sanierungsmoderator bleibt trotz gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 eingereichten Sanierungsvergleichs im Amt und steht insoweit auch weiterhin für Auskünfte und Rückfragen dem Gericht gegenüber zur Verfügung. Gegenüber dem Schuldner und den einbezogenen Gläubigern wird der Sanierungsmoderator nach Einreichung des Sanierungsvergleichs zwecks Bestätigung gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 darüber hinaus grundsätzlich nicht mehr tätig. Bei erforderlichen Anpassungen des Sanierungsvergleichs müsste er die Beteiligten insoweit hiervon unter Bezugnahme auf seine Abstimmung mit dem Restrukturierungsgericht entsprechend unterrichten und von den Änderungen zwecks Zustimmung überzeugen. 4.

14

Begleitung durch Sanierungsmoderator nach Bestätigung des Sanierungsvergleichs

Eine weitergehende Begleitung der Sanierung nach erfolgreichem Abschluss der Sanierungsmoderation oder eine Überwachung nach gerichtlicher Bestätigung des Sanierungsvergleichs ist gesetzlich nicht vorgesehen. Der Schuldner kann aber mit seinen Gläubigern vereinbaren, dass er den Sanierungsmoderator auch nach Abschluss des Sanierungsvergleichs für eine Überwachung privatrechtlich beauftragt. Der SanieZiegenhagen

1267

15

§ 95

Bestellung

rungsmoderator verliert dann selbstverständlich seine Unabhängigkeit, wenn er im Anschluss der Sanierungsmoderation für das schuldnerische Unternehmen tätig ist. Er wäre insoweit von künftigen Sanierungsmoderationsverfahren in derselben Sache ausgeschlossen. In der Praxis könnte trotzdem ein Bedürfnis bestehen, nach einer erfolgreichen Sanierungsmoderation den Sanierungsmoderator in die Überwachung der Umsetzung der Sanierung einzubinden und ihm bspw. die Organisation eines Lenkungsausschusses i. R. der operativen Sanierungsphase zu übertragen. Es entspricht auch der außergerichtlichen Sanierungspraxis, die Sanierungsphase extern durch einen Sanierungsberater begleiten zu lassen und dies sollte – insbesondere bei Kleinst- und kleinen Unternehmen – auch durch die Person des ehemaligen Sanierungsmoderators als effiziente und kostengünstige Option möglich sein. IV. Keine Bekanntmachung (Abs. 2) 16

Die Bestellung des Sanierungsmoderators i. R. des Beschlusses des Restrukturierungsgerichts wird lediglich dem Schuldner und dem Sanierungsmoderator zugestellt, jedoch gemäß § 95 Abs. 2 nicht öffentlich bekannt gemacht, um die Vertraulichkeit der Sanierungsmoderation und damit deren Erfolgschancen zu erhöhen.5) Maßgebend ist insoweit, dass i. R. der Sanierungsmoderation als teilkollektives Verfahren nur mit den in die Sanierungsverhandlung einbezogenen Gläubigern verhandelt wird. Die Vertraulichkeit des Verfahrens erhöht die Erfolgschancen, weil Kunden, Lieferanten und Wettbewerber des schuldnerischen Unternehmens nicht über die Sanierungsverhandlungen Kenntnis erlangen und die wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten über die einbezogenen Gläubiger hinaus nicht bekannt werden.

17

Bei öffentlich bekannten Sanierungen ergeben sich regelmäßig umgehend negative Folgen für die Unternehmensfortführung, weil neue Kundenaufträge nur noch zurückhaltend vergeben werden, weil Warenkreditversicherer die Linien der Lieferanten kürzen, die Lieferanten selbst ihre Zahlungsziele verkürzen oder sogar Vorkasse verlangen etc. Diese potentiellen Risiken werden zusätzlich durch Wettbewerber verschärft, die ein eigenes Interesse haben, die Reputation des schuldnerischen Unternehmens aufgrund der offenen Sanierungsverhandlungen zu beschädigen. Die Vertraulichkeit der Sanierungsmoderation soll diese Risiken für die erfolgreiche Unternehmensfortführung vermeiden. Die Vertraulichkeit der Sanierungsmoderation dient damit auch dem Reputationsschutz des schuldnerischen Unternehmens, welches rechtzeitig vor der Insolvenzreife die Unterstützung eines Sanierungsmoderators zwecks Realisierung einer konsensualen Sanierungslösung in Anspruch nimmt. Gerade mit der Sanierungsmoderation sollte insofern keinerlei Stigma verbunden sein.

18

Das schuldnerische Unternehmen sollte insoweit vorsorglich mit den einbezogenen Gläubigern privatrechtlich die Vertraulichkeit der Sanierungsverhandlungen vereinbaren, um die Vertraulichkeit auch diesen gegenüber rechtlich abzusichern. Da die Sanierungsmoderation nicht öffentlich bekannt gemacht wird und mithin keine gesetzliche Veröffentlichungspflicht besteht, kommt auch die Anwendung der EuInsVO nicht in Betracht.6) Die internationale Anerkennung des Sanierungsvergleichs richtet sich daher nach dem jeweiligen internationalen Prozessrecht.

19

_____________ 5) 6)

Begr. ReGE SanInsFoG z. § 101 Abs. 2 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 184. Vallender, EuInsVO, Art. 1 Rz. 22.

1268

Ziegenhagen

§ 96

Sanierungsmoderation

§ 96 Sanierungsmoderation Ziegenhagen

(1) Der Sanierungsmoderator vermittelt zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern bei der Herbeiführung einer Lösung zur Überwindung der wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten. (2) Der Schuldner gewährt dem Moderator Einblick in seine Bücher und Geschäftsunterlagen und erteilt ihm die angeforderten zweckmäßigen Auskünfte. (3) 1Der Sanierungsmoderator erstattet dem Gericht über den Fortgang der Sanierungsmoderation monatlich schriftlich Bericht. 2Der Bericht enthält mindestens Angaben über 1. die Art und Ursachen der wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten; 2.

den Kreis der in die Verhandlungen einbezogenen Gläubiger und sonstigen Beteiligten;

3.

den Gegenstand der Verhandlungen und

4.

das Ziel und den voraussichtlichen Fortgang der Verhandlungen. 1

(4) Der Sanierungsmoderator zeigt dem Gericht eine ihm bekannt gewordene Zahlungsunfähigkeit des Schuldners an. 2Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, bei der kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, gilt dies auch für die Überschuldung des Schuldners.*) (5) 1Der Sanierungsmoderator steht unter der Aufsicht des Restrukturierungsgerichts. 2Das Restrukturierungsgericht kann den Sanierungsmoderator aus wichtigem Grund aus dem Amt entlassen. 3Vor der Entscheidung ist der Sanierungsmoderator zu hören. Literatur: Cranshaw/Portisch, Paradigmen des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) nach dem Regierungsentwurf aus Gläubigersicht – Teil 1, ZInsO 2020, 2561; Kebekus, Synopse Restrukturierungsrichtlinie/Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz, KTS 2020, 439; Smid, Der Restrukturierungsbeauftragte in den Regelungen des StaRUG, ZInsO 2020, 2184. Übersicht I. II. III. IV.

Normzweck/-inhalt ............................. 1 Normhistorie ........................................ 3 Sanierungsmoderation (Abs. 1) ......... 5 Einsichts- und Auskunftsrecht (Abs. 2) .................................................. 9 V. Berichterstattung (Abs. 3) ................ 12 1. Art und Ursachen der wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten ...... 16 2. Der Kreis der einbezogenen Gläubiger und sonstigen Beteiligten .......... 18 *)

3. 4.

Gegenstand der Verhandlungen ......... 20 Ziel und der voraussichtliche Fortgang der Verhandlungen .............. 21 5. Einsichtsrecht in den Bericht ............. 23 VI. Anzeige der Insolvenzreife (Abs. 4) ................................................ 26 VII. Aufsicht des Restrukturierungsgerichts (Abs. 5) ................................. 32 VIII. Haftung des Sanierungsmoderators .......................................... 35

_____________ *)

Durch Art. 38 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetzes – MoPeG), v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, werden in § 96 Abs. 4 die Wörter „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch die Wörter „rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt. Die Änderungen treten zum 1.1.2024 in Kraft.

Ziegenhagen

1269

§ 96 I.

Sanierungsmoderation

Normzweck/-inhalt

1

§ 96 normiert die eigentliche Sanierungsmoderation mit den Befugnissen und Aufgaben des Sanierungsmoderators in diesem Zusammenhang gegenüber dem Schuldner, den einbezogenen Gläubigern sowie dem Restrukturierungsgericht. Zwecks Erfüllung seiner Vermittlungsaufgabe müssen dem Sanierungsmoderator einerseits Informationen über das schuldnerische Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, andererseits soll er hierüber gegenüber dem Restrukturierungsgericht berichten, welches ihn zu beaufsichtigen hat. Hierdurch soll auch die Transparenz des Verfahrens für die Beteiligten sichergestellt werden.

2

In § 96 Abs. 1 wird die eigentliche Vermittlungstätigkeit des Sanierungsmoderators und in Absatz 2 der Kernbereich seines Einsichts- und Auskunftsrechts definiert. § 96 Abs. 3 regelt dann die Berichtspflicht des Sanierungsmoderators gegenüber dem Restrukturierungsgericht und Absatz 4 seine Anzeigepflicht bei Insolvenzreife des Schuldners. Schließlich normiert § 96 Abs. 5 die Aufsicht des Restrukturierungsgerichts inklusive der Abberufung des Sanierungsmoderators aus wichtigem Grund. II. Normhistorie

3

Die Sanierungsmoderation beruht nicht auf der Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie1), die insoweit keinerlei Vorgaben für die Einführung einer Sanierungsmoderation gemacht hat.2) Art. 4 Abs. 5 der Restrukturierungsrichtlinie lässt aber ausdrücklich zu, dass der jeweilige nationale Restrukturierungsrahmen aus mehreren Verfahren bestehen kann, von denen einige außergerichtlich durchgeführt werden können.

4

Im ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung3) war die Sanierungsmoderators in § 102 RegE normiert, materiell wurde die Vorschrift im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht mehr verändert. III. Sanierungsmoderation (Abs. 1)

5

Im Rahmen der Sanierungsmoderation gemäß § 96 Abs. 1 soll der Sanierungsmoderator eine Sanierungslösung zwischen dem Schuldner und seinen einbezogenen Gläubigern zwecks Überwindung der wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten vermitteln. Dies stellt die wesentliche Kernaufgabe des Sanierungsmoderators dar. Diese Vermittlungsaufgabe entspricht einerseits einer Mediation zwischen den Beteiligten und andererseits der Herbeiführung des bestmöglichen Sanierungsvorschlags im Interesse aller Beteiligten.

_____________ 1)

2) 3)

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Vgl. Kebekus, KTS 2020, 439, 526 ff., mit der Synopse zwischen der Restrukturierungsrichtlinie und dem StaRUG. RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181, S. 52.

1270

Ziegenhagen

§ 96

Sanierungsmoderation

Die Unabhängigkeit und Neutralität des Sanierungsmoderators ist insoweit für die Überzeugungsmöglichkeit und das Vertrauen in die objektiv beste Sanierungslösung der einbezogenen Gläubiger wichtig. Die Mediationsfähigkeit sowie die Professionalität des Sanierungsmoderators zur Beurteilung der konkreten Sanierungssituation des schuldnerischen Unternehmens und seiner Überwindungsmöglichkeiten sind daher von überragender Bedeutung für die Realisierung einer konsensualen Sanierungslösung mit Zustimmung aller Beteiligter.

6

Der Sanierungsmoderator wird insoweit zu Beginn seiner Tätigkeit zunächst den bisherigen Sanierungsvorschlag des schuldnerischen Unternehmens prüfen und insbesondere hinsichtlich Angemessenheit und Realisierungswahrscheinlicht plausibilisieren. Er sollte sich dann mit den einbezogenen Gläubigern über deren Position abstimmen, um sich insoweit ein vollständiges Bild über die Einschätzung der konkreten Sanierungssituation und Einigungsmöglichkeiten zu machen. Danach kann der Sanierungsmoderator potentielle Verbesserungs- und Kompromissvorschläge zwischen den Beteiligten erörtern, um auf eine angemessene und umsetzbare Sanierungsvergleichslösung hinzuwirken.

7

In der Praxis ist in Sanierungsverhandlungen regelmäßig nicht nur zwischen dem Schuldner und den einbezogenen Gläubigern, sondern insbesondere auch unter den Gläubigern untereinander aufgrund unterschiedlicher wirtschaftlicher und rechtlicher Positionen zu vermitteln. Die Unterschiede können in der Besicherung, der Art des Kredites – Tilgungskredit, Kontokorrentkreditlinie, Avalkreditlinie, Immobilienkredit etc. – oder den unterschiedlichen Laufzeiten liegen. Regelmäßig erwarten die einbezogenen Gläubiger, dass die übrigen vergleichbaren Gläubiger sich ebenfalls an der Sanierungslösung beteiligen („Konsortialvorbehalt“). Der Sanierungsmoderator muss daher insbesondere auch zwischen den Interessen der unterschiedlichen einbezogenen Gläubiger vermitteln, um eine Sanierungslösung zu realisieren.

8

IV. Einsichts- und Auskunftsrecht (Abs. 2) Der Schuldner hat dem Sanierungsmoderator gemäß § 96 Abs. 2 Einblick in seine Bücher und Geschäftsunterlagen zu gewähren und ihm zweckmäßige Auskünfte zu erteilen. Dieses Einsichts- und Auskunftsrecht des Sanierungsmoderators ist erforderlich, um die konkrete Sanierungssituation des schuldnerischen Unternehmens analysieren zu können und eine Plausibilisierung der beabsichtigten Sanierungslösung durchzuführen.

9

Der Schuldner muss dem Sanierungsmoderator daher vollständige Transparenz hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse inklusive der rechtlichen und wirtschaftlichen Position der in die Sanierungslösung einbezogenen Gläubiger gewähren. Sollte der Schuldner insoweit auf die entsprechenden Anforderungen des Sanierungsmoderators nicht angemessen und zeitnah durch Offenlegung der entsprechenden Informationen reagieren, so hat der Sanierungsmoderator dies sowohl dem Restrukturierungsgericht als auch gegenüber den einbezogenen Gläubigern offenzulegen. Gegenüber dem Restrukturierungsgericht besteht insoweit bereits eine ausdrückliche Berichtspflicht gemäß § 96 Abs. 3.

10

Ziegenhagen

1271

§ 96 11

Sanierungsmoderation

Die Analyse der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse des schuldnerischen Unternehmens sollte jeweils unmittelbar nach Bestellung des Sanierungsmoderators beginnen, da der Sanierungsmoderator zunächst in die Lage versetzt werden muss, seine eigene Einschätzung zur internen Organisation sowie zur Plausibilität der Sanierungsplanung des schuldnerischen Unternehmens zu machen. Aufgrund des maximalen Drei-Monats-Zeitraums i. R. der erstmaligen Bestellung des Sanierungsmoderators ist die Analyse auch für die Erstellung einer angemessenen Zeitplanung mit entsprechenden Meilensteinen zu Beginn der Sanierungsmoderation wichtig. Die Einschätzung einer realistischen Zeitplanung kann erst nach der Erstanalyse der finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie der Einschätzung der Organisation des schuldnerischen Unternehmens erfolgen. Dies beinhaltet auch die Einschätzung der Geeignetheit der Geschäftsführung zur Umsetzung des Sanierungskonzepts.4) V. Berichterstattung (Abs. 3)

12

Der Sanierungsmoderator hat dem Restrukturierungsgericht gemäß § 96 Abs. 3 monatlich einen schriftlichen Bericht über den Fortgang der Sanierungsmoderation zu erstatten. Aufgrund des beschränkten Drei-Monats-Zeitraums der Sanierungsmoderation gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 sind vom Sanierungsmoderator grundsätzlich zwei Monatsberichte an das Restrukturierungsgericht zu erstatten, sofern keine Verlängerung seiner Bestellung gemäß § 95 Abs. 1 Satz 2 erfolgt.

13

Die Berichterstattung dient der Rechenschaftslegung des Sanierungsmoderators gegenüber dem Restrukturierungsgericht, unter dessen Aufsicht er steht.5) Es dient aber vor allem auch der Information über die tatsächliche Sanierungssituation – ggf. abweichend von den Angaben des Schuldners bei Antragstellung – als auch über die Fortentwicklung der Sanierungsverhandlungen und der Aussicht auf eine Sanierungslösung.

14

Zugleich ist auch dem Schuldner bewusst, dass i. R. der Berichtspflicht des Sanierungsmoderators über seine Unternehmensführung und seine Offenlegungspflichten gemäß § 96 Abs. 2 berichtet wird und etwaige unrichtige Angaben oder etwaiges Fehlverhalten seinerseits auch gegenüber dem Restrukturierungsgericht berichtet und damit aktenkundig wird. Dies dient auch der Transparenz des Verfahrens und sollte auch einem etwaigen Missbrauch der Sanierungsmoderation vorbeugen.

15

Die Mindestanforderungen an den Bericht des Sanierungsmoderators sind in § 96 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 aufgezählt: 1.

16

Art und Ursachen der wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten

Der Mindestinhalt des Berichts des Sanierungsmoderators an das Restrukturierungsgericht enthält die Stellungnahme zur Art und Ursache der wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Schuldner bei seiner Antragstellung bereits gemäß § 94 Abs. 2 Nr. 2 die Art der wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten des Unternehmens anzugeben _____________ 4) 5)

Vgl. IDW, Anforderungen an Sanierungskonzepte (IDW S 6) i. d. F. v. 16.5.2018, IDW Life 8/2018, S. 813, Rz. 23. Vgl. RegE SanInsFoG z. § 102 Abs. 3 und 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 184.

1272

Ziegenhagen

§ 96

Sanierungsmoderation

hat. Der Sanierungsmoderator wird daher in seinem Bericht insbesondere auf die Angaben des Schuldners i. R. der Antragstellung Bezug nehmen und seine eigene Analyse auf Basis der Einsichtnahme und Auskünfte darlegen. Da der Sanierungsmoderator zusätzlich über die Ursachen der wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten berichten soll, muss er die Krisenursachen und das konkrete Krisenstadium des schuldnerischen Unternehmens ermitteln. Als Krisenstadium kommt i. R. der Sanierungsmoderation die sog. Liquiditätskrise grundsätzlich noch nicht in Betracht, da das Unternehmen weder zahlungsunfähig noch überschuldet sein darf. Dagegen kommen die Stakeholder-, Strategie-, Produkt- bzw. Absatzkrise sowie die Erfolgskrise als typische Krisenstadien in Betracht.6) Der Sanierungsmoderator sollte insoweit das Krisenstadium ermitteln und zugleich die konkreten identifizierten Krisenursachen. Er sollte zusätzlich in seinem Bericht ausführen, ob die identifizierten Krisenursachen bereits durch das schuldnerische Unternehmen behoben wurden oder ob sie erst durch künftige Sanierungsmaßnahmen behoben werden sollen. Der Sanierungsmoderator kann sich insoweit anhand der Anforderungen an Sanierungskonzepte des Instituts der Wirtschaftsprüfer gemäß dem Standard IDW S 6 orientieren.7) 2.

17

Der Kreis der einbezogenen Gläubiger und sonstigen Beteiligten

Des Weiteren muss der Sanierungsmoderator in seinem Bericht an das Restrukturierungsgericht den Kreis der in die Verhandlungen einbezogenen Gläubiger und sonstigen Beteiligten darlegen. Dies beinhaltet die jeweiligen einbezogenen Gläubiger mit den jeweils unterschiedlichen vertraglichen Ansprüchen und Rahmenbedingungen gegenüber dem schuldnerischen Unternehmen. Hierbei wird insbesondere auf unterschiedliche Besicherungen, Tilgungsstrukturen und Fälligkeiten der jeweiligen Forderungen inklusive der konkreten Konditionen abgestellt werden. Der Bericht sollte insoweit dem Restrukturierungsgericht darlegen, wie sich die unterschiedlichen einbezogenen Gläubigergruppen unterscheiden, soweit das der Fall ist.

18

Die sonstigen Beteiligen betreffen insbesondere sonstige Stakeholder, die i. R. der Sanierung einen Beitrag leisten sollen, ohne zugleich einbezogener Gläubiger zu sein. Dies können die bestehenden Gesellschafter oder neue Investoren mit finanziellen Beiträgen sein. Es kommen aber auch andere, nicht einbezogenen Gläubiger, wie z. B. der Pensionssicherungsverein, bei Beteiligung an einem außergerichtlichen Vergleich gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG oder der Betriebsrat i. R. von Sanierungsbetriebsvereinbarungen in Betracht. Maßgeblich sind sämtliche Beteiligte, die an der angestrebten Sanierungslösung maßgeblich mitwirken müssen, auch wenn sie nicht die formale Gläubigerstellung – wie bspw. auch bei Warenkreditversicherern – gegenüber dem schuldnerischen Unternehmen haben.

19

_____________ 6) 7)

IDW, Anforderungen an Sanierungskonzepte (IDW S 6) i. d. F. v. 16.5.2018, IDW Life 8/2018, S. 813, Rz. 31 ff. – zu den Krisenstadien. IDW, Anforderungen an Sanierungskonzepte (IDW S 6) i. d. F. v. 16.5.2018, IDW Life 8/2018, S. 813, Rz. 61 ff. – zur Feststellung der Krisenursachen und der Krisenstadien.

Ziegenhagen

1273

§ 96 3. 20

Sanierungsmoderation

Gegenstand der Verhandlungen

Der Sanierungsmoderator soll auch über den Gegenstand der Verhandlungen berichten. Da dies nicht bereits i. R. des Antrags auf Sanierungsmoderation – anders als bei der Restrukturierungsanzeige gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 – anzugeben ist, wird das Gericht insoweit erstmalig durch den Sanierungsmoderator über den Gegenstand der Verhandlungen unterrichtet. Der Sanierungsmoderator sollte insoweit den Gegenstand der Verhandlungen zu Beginn der Sanierungsmoderation darlegen und dann ggf. über den Fortschritt der Sanierungsverhandlungen unter seiner Vermittlung berichten. Das Restrukturierungsgericht sollte hierdurch auch eine Information über den Fortschritt der Sanierungsverhandlungen erhalten. Zugleich kann der Sanierungsmoderator hierdurch dokumentieren, wie er seine aktive Vermittlerrolle umsetzt und ob aus seiner Sicht Fortschritte im Hinblick auf die angestrebte Sanierungslösung erzielt werden konnten. 4.

Ziel und der voraussichtliche Fortgang der Verhandlungen

21

Schließlich hat der Sanierungsmoderator über das Ziel und den voraussichtlichen Fortgang der Verhandlungen i. R. der Sanierungsmoderation zu berichten. Dies knüpft unmittelbar an den aktuellen Stand der Verhandlungen an und der Sanierungsmoderator sollte insoweit zusätzlich das Ziel der Sanierungslösung sowie seine Einschätzung zum Fortgang der Verhandlungen darlegen. Dies beinhaltet die Darlegung wie die wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten durch die Sanierungsvergleichslösung überwunden werden können und welchen Beitrag die insoweit einbezogenen Gläubiger und Beteiligten jeweils erbringen müssen, um diese konsensuale Lösung zu realisieren.

22

Zum voraussichtlichen Fortgang der Verhandlungen sollte der Sanierungsmoderator insoweit auch seinen Zeitplan mit den entsprechenden Meilensteinen in seinen Bericht mit aufnehmen. Sofern sich noch gegensätzliche Verhandlungspositionen gegenüberstehen, kann er auch aus seiner Sicht ausführen, welche Kompromisslösung er anstrebt und für wie wahrscheinlich er eine Einigung hält. Das Restrukturierungsgericht sollte insoweit auf Basis des Berichtes des Sanierungsmoderators in die Lage versetzt werden, einzuschätzen, ob die konsensuale Sanierungslösung oder der Übergang in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen überwiegend wahrscheinlich sind. 5.

Einsichtsrecht in den Bericht

23

Fraglich ist, ob der Schuldner und die Gläubiger oder sonstige Beteiligte ein Einsichtsrecht in den Bericht des Sanierungsmoderators geltend machen können. Da die Sanierungsmoderation als vertrauliches Verfahren geführt wird, sollte das Einsichtsrecht in jedem Fall auf die an der Sanierung Beteiligten begrenzt werden. Diesen unmittelbar Beteiligten sollte bereits aus Transparenzgründen das Einsichtsrecht in den Bericht des Sanierungsmoderators gewährt werden.

24

Noch vertrauensfördernder wäre es, wenn der Sanierungsmoderator den Bericht von Anfang an von sich aus in Abstimmung mit dem Restrukturierungsgericht an den Schuldner und die einbezogenen Gläubiger sowie sonstige Beteiligte sendet.

1274

Ziegenhagen

§ 96

Sanierungsmoderation

Dagegen sollte den übrigen nicht einbezogenen Gläubigern oder sonstigen nicht unmittelbar am beabsichtigten Sanierungsvergleich beteiligten Stakeholdern kein Einsichtsrecht in den Restrukturierungsbericht gewährt werden, da dies der Vertraulichkeit des Sanierungsmoderationsverfahrens widerspricht. Die Vertraulichkeit des Sanierungsmoderationsverfahrens wurde gerade als positive Rahmenbedingung zwecks Vermeidung von Reputationsschäden und Beeinträchtigungen des operativen Geschäfts hervorgehoben und sollte daher nicht durch ein unbegrenztes Einsichtsrecht in die Berichte des Sanierungsmoderators konterkariert werden.

25

VI. Anzeige der Insolvenzreife (Abs. 4) Der Sanierungsmoderator hat dem Gericht eine ihm bekannt gewordene Insolvenzreife durch Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung bei haftungsbeschränkten Rechtsträgern anzuzeigen. Der Sanierungsmoderator sollte insoweit zu Beginn seiner Tätigkeit als erstes das Krisenstadium hinsichtlich einer etwaigen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Unternehmens analysieren, ohne dass es hierzu eines eigenen Gutachtenauftrags durch das Gericht bedarf. Hierdurch kann von Anfang an ein etwaiger Missbrauch der Sanierungsmoderation betreffend die Verschleierung der Insolvenzreife bei den einbezogenen Gläubigern vermieden werden. Die etwaigen unrichtigen Angaben i. R. der Erklärung des Schuldners zum Nichtvorliegen der Insolvenzreife bei Antragstellung gemäß § 94 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 sollte möglichst unverzüglich nach Verfahrensbeginn durch die Anzeige gemäß § 96 Abs. 4 aufgeklärt werden.

26

Der Erfolg einer Sanierungsmoderation ist immer von der zutreffenden Beurteilung des Krisenstadiums und damit dem Nichtvorliegen der Insolvenzreife abhängig. Auch wenn der Sanierungsmoderator kein gerichtlicher Gutachter ist, so sollte er in jedem Fall eine etwaige offenkundige Insolvenzreife erkennen können. Er ist dann auch verpflichtet, dies unverzüglich dem Restrukturierungsgericht anzuzeigen.

27

Hinsichtlich der Erkennbarkeit der Insolvenzreife ist zu berücksichtigen, dass die Zahlungsunfähigkeit einfacher und schneller zu erkennen ist, als die Überschuldung. Im Rahmen der Überschuldungsprüfung ist bereits die Ermittlung etwaiger stiller Reserven in der Überschuldungsbilanz schwierig zu beurteilen, darüber hinaus ist die Einschätzung der positiven Fortführungsprognose gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO schwieriger i. R. einer Liquiditätsplanung mit valider Einschätzung der zugrunde zu legenden Prämissen zu ermitteln. Diese qualifizierte Einschätzung wird auf Grundlage der vorgelegten Informationen des schuldnerischen Unternehmens nicht ohne vertiefte Prüfung bzw. Plausibilisierung zu ermitteln sein.

28

Besteht allerdings bereits nach der vorgelegten Unternehmensplanung eine drohende Zahlungsunfähigkeit innerhalb des zwölfmonatigen Prognosezeitraums gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO, so muss der Sanierungsmoderator eine Einschätzung zur überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Einigung mit den einbezogenen Gläubigern treffen, da ansonsten eine rechtliche Überschuldung i. S. des § 19 InsO vorliegt und dem Restrukturierungsgericht anzuzeigen ist.

29

Diese Anzeige der Insolvenzreife des Sanierungsmoderators führt gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 2 von Amts wegen zu seiner Abberufung und damit zur Aufhebung der Sanierungsmoderation.

30

Ziegenhagen

1275

§ 96 31

Sanierungsmoderation

Unterlässt der Sanierungsmoderator trotz Kenntnis der Insolvenzreife die Anzeige der Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung, so kann er vom Restrukturierungsgericht aus wichtigem Grund gemäß § 96 Abs. 5 Satz 2 entlassen werden. VII.

Aufsicht des Restrukturierungsgerichts (Abs. 5)

32

Der Sanierungsmoderator steht gemäß § 96 Abs. 5 unter der Aufsicht des Restrukturierungsgerichts. Dies entspricht der Regelung zum Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 75 Abs. 1. Das Restrukturierungsgericht hat insoweit den Sanierungsmoderator hinsichtlich dessen Aufgaben und Befugnisse zu überwachen. Dies betrifft insbesondere die monatliche Berichtspflicht, da die Berichte fristgerecht eingereicht und inhaltlich den Mindestinformation gemäß § 96 Abs. 3 entsprechen müssen. Diese formale Prüfung ist in jedem Fall vorzunehmen, eine darüber hinausgehende inhaltliche Prüfung der dargelegten Tatsachen ist dagegen nicht erforderlich. Lediglich bei offensichtlichen Fehlern oder offensichtlich falschen Annahmen muss das Gericht seine Aufsichtspflicht gegenüber dem Sanierungsmoderator nachkommen8).

33

Verletzt der Sanierungsmoderator seine Pflichten, so kann das Restrukturierungsgericht ihn aus wichtigem Grund gemäß § 96 Abs. 5 Satz 2 entlassen. Hiergegen sind keine Rechtsmittel des Sanierungsmoderators oder des Schuldners oder der einbezogenen Gläubiger vorgesehen.

34

Das Gericht hat den Sanierungsmoderator gemäß § 96 Abs. 5 Satz 3 vor seiner Abberufungsentscheidung anzuhören. Eine Anhörung des Schuldners oder der einbezogenen Gläubiger ist nicht gesetzlich vorgesehen, jedoch sollte das Restrukturierungsgericht auch diese vor der Entlassungsentscheidung anhören, um etwaige Missverständnisse vorab zu beseitigen. VIII. Haftung des Sanierungsmoderators

35

Die Haftung des Sanierungsmoderators ist nicht wie beim Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 75 Abs. 4 gesetzlich normiert. Dies überrascht insoweit, als die Aufgaben des fakultativen Restrukturierungsbeauftragten, der über § 78 Abs. 3 wie ein obligatorischer Restrukturierungsbeauftragter haftet, sich hinsichtlich Moderation und Förderung der Verhandlungen grundsätzlich decken, solange ihm keine zusätzlichen Aufgaben gemäß § 77 Abs. 2 zugewiesen werden.9)

36

Teilweise wird daher von einer analogen Anwendung des § 75 Abs. 4 ausgegangen.10) Dagegen spricht jedoch, dass der Gesetzgeber bewusst keine Verweisung auf die Haftung des Restrukturierungsbeauftragten normiert hat, obwohl er diese Verweisungstechnik bspw. bei der Vergütung des Sanierungsmoderators in § 98 Abs. 2 genutzt hat.

37

Aufgrund der Aufgaben des Sanierungsmoderators, die einer Mediatorentätigkeit vergleichbar sind, könnten sich auch insoweit die allgemeinen Haftungsgrundsätze wie bei Pflichtverletzungen i. R. der entgeltlichen Geschäftsbesorgung eines Mediators _____________ 8) Vgl. RegE SanInsFoG z. § 102 Abs. 5 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 184. 9) Vgl. Smid, ZInsO 2020, 2184, 2189. 10) Vgl. Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2561, 2577.

1276

Ziegenhagen

§ 97

Bestätigung eines Sanierungsvergleichs

ergeben.11) Mangels vertraglicher Vereinbarungen zu den Leistungsstandards des Sanierungsmoderators, kann insoweit hinsichtlich etwaiger Pflichtverletzungen nur auf die beschränkten gesetzlichen Pflichten des Sanierungsmoderators abgestellt werden. Fraglich ist, welche konkreten etwaigen Pflichtverletzungen des Sanierungsmoderators dem Grunde nach zu einer Haftung führen könnten. Hinsichtlich seiner originären Vermittlerrolle als Mediator und neutrale Person kann der Sanierungsmoderator nicht für ein etwaiges Scheitern einer Sanierungslösung haften. Es kommen daher nur offensichtliche Pflichtverletzungen, wie unbegründete Nichteinreichung von Berichten, Verstoß gegen die Vertraulichkeit des Verfahrens, fehlerhafte Anzeige der Insolvenzreife gemäß § 96 Abs. 4 oder fehlerhafte Stellungnahme zum Sanierungsvergleich gemäß § 97 Abs. 2 in Betracht.

38

Weitere Voraussetzung für die Haftung des Sanierungsmoderators ist der Schadenseintritt infolge der konkreten Pflichtverletzung. Es muss insoweit ein kausaler Zurechnungszusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetreten Schaden bestehen.

39

_____________ 11) Vgl. für die Anwendung des Haftungsmaßstab der Anwaltshaftung: Smid, ZInsO 2020, 2184, 2195; vgl. zur Haftung des anwaltlichen Mediators BGH, Urt. v. 21.9.2017 – IX ZR 34/17, ZIP 2017, 2206 ff.

§ 97 Bestätigung eines Sanierungsvergleichs Ziegenhagen

(1) 1Ein Sanierungsvergleich, den der Schuldner mit seinen Gläubigern schließt und an dem sich auch Dritte beteiligen können, kann auf Antrag des Schuldners durch das Restrukturierungsgericht bestätigt werden. 2Die Bestätigung wird versagt, wenn das dem Vergleich zugrunde liegende Sanierungskonzept 1.

nicht schlüssig ist oder nicht von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht oder

2.

keine vernünftige Aussicht auf Erfolg hat.

(2) Der Sanierungsmoderator nimmt zu den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 schriftlich Stellung. (3) Ein nach Absatz 1 bestätigter Sanierungsvergleich ist nur unter den Voraussetzungen des § 90 anfechtbar. Literatur: Cranshaw/Portisch, Paradigmen des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) nach dem Regierungsentwurf aus Gläubigersicht – Teil 1, ZInsO 2020, 2561; Ebenroth/Grashoff, Die Bindung des Akkordstörers an den außergerichtlichen Sanierungsvergleich, BB 1992, 865; Hoegen, Die Sanierungsmoderation, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 59; Kebekus, Synopse Restrukturierungsrichtlinie/Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz, KTS 2020, 439; Smid, Der Restrukturierungsbeauftragte in den Regelungen des StaRUG, ZInsO 2020, 2184; Steffan/Oberg/Poppe, Vom Grobkonzept zum Vollkonzept – Anforderungen an die betriebswirtschaftlichen Konzepte in Restrukturierungsplan, Eigenverwaltungsplanung und Insolvenzplan ZIP 2021, 617; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Vallender, Aufgaben und Befugnisse des Re-

Ziegenhagen

1277

§ 97

Bestätigung eines Sanierungsvergleichs

strukturierungsgerichts nach dem Gesetz über die Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen, ZInsO 2020, 2677. Übersicht I. Normzweck/-inhalt ............................. 1 II. Normhistorie ........................................ 3 III. Bestätigung durch das Gericht (Abs. 1) .................................................. 5

I.

IV. Stellungnahme des Sanierungsmoderators (Abs. 2) ........................... 15 V. Anfechtungsprivilegierung (Abs. 3) ................................................ 18

Normzweck/-inhalt

1

Im Rahmen der Sanierungsmoderation ist der Abschluss eines Sanierungsvergleichs zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern zwecks Überwindung der wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten das primäre Verfahrensziel. Der Abschluss des konsensualen Sanierungsvergleichs ist zivilrechtlich ein Vergleich gemäß § 779 BGB, der das Rechtsverhältnis zwischen dem Schuldner und den einbezogenen Gläubigern anpasst.1) Dieser Sanierungsvergleich kann auf Antrag des Schuldners durch das Restrukturierungsgericht bestätigt werden, um hierdurch zusätzliche Rechtssicherheit und Insolvenzanfechtungsprivilegierungen zu erlangen.

2

§ 97 normiert in Absatz 1 die Voraussetzungen für die gerichtliche Bestätigung des Sanierungsvergleichs. Nach § 97 Abs. 2 muss der Sanierungsmoderator im Zusammenhang mit der gerichtlichen Bestätigung eine eigene Stellungnahme zu den Erfolgsaussichten des zugrunde liegenden Sanierungskonzepts abgeben. Schließlich werden in § 97 Abs. 3 i. R. des Verweises auf § 90 Insolvenzanfechtungsprivilegierungen gewährt. II. Normhistorie

3

Die Sanierungsmoderation beruht nicht auf der Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie2), die insoweit keinerlei Vorgaben für die Einführung einer Sanierungsmoderation gemacht hat.3) Art. 4 Abs. 5 der Restrukturierungsrichtlinie lässt aber ausdrücklich zu, dass der jeweilige nationale Restrukturierungsrahmen aus mehreren Verfahren bestehen kann, von denen einige außergerichtlich durchgeführt werden können.

4

Im ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung4) war die Bestätigung des Sanierungsvergleichs in § 103 RegE normiert, materiell wurde die Vorschrift im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht mehr verändert. _____________ 1)

2)

3) 4)

Vgl. zur Rechtsnatur des außergerichtlichen Sanierungsvergleichs: Ebenroth/Grashoff, BB 1992, 865; ebenso zum Sanierungsvergleich gemäß StaRUG vgl. Smid, ZInsO 2020, 2184, 2189; Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2561, 2576. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Vgl. Kebekus, KTS 2020, 439, 526 ff., mit einer Synopse der Restrukturierungsrichtlinie und des StaRUG. RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181, S. 52.

1278

Ziegenhagen

§ 97

Bestätigung eines Sanierungsvergleichs

III. Bestätigung durch das Gericht (Abs. 1) Der Sanierungsvergleich zwischen den Beteiligten kann auf Antrag des Schuldners gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 durch das Restrukturierungsgericht bestätigt werden. Das Restrukturierungsgericht hat die Bestätigung gemäß § 97 Abs. 1 Satz 2 zu versagen, wenn das dem Sanierungsvergleich zugrunde liegende Sanierungskonzept nicht schlüssig ist oder nicht von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht oder keine vernünftige Aussicht auf Erfolg hat.

5

Im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung des zugrunde liegenden Sanierungskonzepts sind die allgemein anerkannten Anforderungen maßgeblich.5) Diese grundsätzlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte des BGH6) bzw. entsprechend dem IDW S 67) werden von den einbezogenen Gläubigern i. R. der Sanierungspraxis bei außergerichtlichen Sanierungen vorausgesetzt und sogar regelmäßig rechtlich als (aufschiebende) Bedingung für die Wirksamkeit der Sanierungsvereinbarung normiert. Da auch i. R. der Sanierungsmoderation die konsensuale Zustimmung zum Sanierungsvergleich erforderlich ist, muss der Schuldner regelmäßig dieselben Anforderungen an sein Sanierungskonzept erfüllen wie bei konsensualen Sanierungsvereinbarungen. Bei kleinen Unternehmen sind insoweit die Anforderungen an das Sanierungskonzept aufgrund geringerer Komplexität angemessen zu reduzieren.8)

6

An die Schlüssigkeitsprüfung des Restrukturierungsgerichts sollten aufgrund der bereits vorliegenden konsensualen Zustimmungen der einbezogenen Gläubiger nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden, so dass eine formale Prüfung der Kernbestandteile und deren Plausibilität ausreichen sollte. Im Ergebnis sollten daher nur offenkundige Mängel zu einer Versagung führen.

7

Der Sanierungsvergleich sollte auf das zugrunde liegende schlüssige Sanierungskonzept Bezug nehmen und mit Unterstützung des Sanierungsmoderators rechtlich eindeutig und hinsichtlich der Rechtsfolgen umsetzbar gestaltet werden. In der Praxis sollte der Sanierungsmoderator vor Abschluss des Sanierungsvergleichs die Anforderungen an die Schlüssigkeit des Sanierungskonzepts sowie die konkreten Formulierungen des Sanierungsvergleichs mit dem Restrukturierungsgericht abstimmen, um eine Versagung oder Verzögerung der gerichtlichen Bestätigung wegen etwaiger Unstimmigkeiten aus Sicht des Gerichts zu vermeiden.

8

Eine weitergehende vertiefte Prüfung kommt aufgrund der enumerativ in § 97 Abs. 1 aufgezählten Versagungsgründe nicht in Betracht. Es wurde zwar zutreffend auf das Risiko der gerichtlichen Bestätigung trotz gläubigerbenachteiligender Rechtshandlungen i. R. des Sanierungsvergleichs betreffend die nicht einbezogenen Gläubiger hingewiesen.9) Deren Interessen sollten nicht offensichtlich durch etwaige Vermögensverschiebungen i. R. des vorgelegten Sanierungsvergleichs verletzt werden und

9

_____________ 5) 6) 7) 8) 9)

Vgl. Steffan/Oberg/Poppe, ZIP 2021, 617 ff. Vgl. BGH, Urt. v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, ZIP 2016, 1235 ff. IDW, Anforderungen an Sanierungskonzepte (IDW S 6) i. d. F. v. 16.5.2018, IDW Life 8/2018, S. 813. IDW, Anforderungen an Sanierungskonzepte (IDW S 6) i. d. F. v. 16.5.2018, IDW Life 8/2018, S. 813, Rz. 39 ff. Vgl. Thole, ZIP 2020, 1985, 2000.

Ziegenhagen

1279

§ 97

Bestätigung eines Sanierungsvergleichs

schließlich aufgrund der gerichtlichen Bestätigung auch noch der Anfechtungsprivilegierung gemäß § 97 Abs. 3 unterfallen. Eine vertiefte Prüfung der etwaigen Gläubigerbenachteiligung ist aber aufgrund der eindeutig gesetzlich enumerativ begrenzten Versagungsgründe nicht geboten.10) Sollte sich in der Praxis insoweit eine Missbrauchsgefahr zulasten der nicht in den gerichtlich bestätigten Sanierungsvergleich einbezogenen Gläubiger entwickeln, so müsste der Gesetzgeber die gesetzlichen Versagungsgründe erweitern. 10

Aus dem gerichtlich bestätigten Sanierungsvergleich kann entgegen dem Restrukturierungsplan mangels entsprechender Regelung i. S. des § 71 nicht unmittelbar vollstreckt werden. Der gerichtlich bestätigte Sanierungsvergleich ist auch kein Prozessvergleich i. S. des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, da die Voraussetzung eines kontradiktorischen Verfahrens11) i. R. der Sanierungsmoderation nicht erfüllt ist.12) Im Ergebnis bewirkt die gerichtliche Bestätigung – anders als beim gerichtlich bestätigten und rechtskräftigen Restrukturierungsplan entsprechend § 71 – den einbezogenen Gläubigern nicht die günstige und schnelle Möglichkeit, einen Titel über die Forderungen zu erlangen und bei ausbleibenden Zahlungen ihre Forderungen gegen den Schuldner unmittelbar im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen.

11

Im Übrigen sollten die in der außergerichtlichen Sanierungspraxis üblichen vertraglichen Wiederauflebensklauseln in den Sanierungsvergleich aufgenommen werden.

12

Streitigkeiten über den Sanierungsvergleich müssen gemäß §§ 71 Abs. 2 Nr. 6, 72a Abs. 1 Nr. 7 GVG vor der für Restrukturierungssachen spezialisierten Zivilkammer des Landgerichts geltend gemacht werden.

13

Eine Überwachung der Erfüllung des Sanierungsvergleichs durch den Sanierungsmoderator ist – anders als beim Restrukturierungsplan gemäß § 72 – nicht als gesetzliche Option vorgesehen. Der Schuldner kann aber mit seinen Gläubigern vereinbaren, dass er den Sanierungsmoderator auch nach Abschluss des Sanierungsvergleichs für eine Überwachung privatrechtlich beauftragt. Der Sanierungsmoderator verliert dann selbstverständlich seine Unabhängigkeit, wenn er im Anschluss an die Sanierungsmoderation für das schuldnerische Unternehmen tätig ist. In der außergerichtlichen Praxis ist es aber üblich, dass bspw. der Sanierungsgutachter regelmäßig – z. B. quartalsweise – die Sanierung hinsichtlich der operativen Entwicklung sowie der Erfüllung operativer Sanierungsmaßnahmen überwacht und hierüber einen entsprechenden Bericht an die einbezogenen Gläubiger fertigt. Es könnte daher auch nach einer erfolgreichen Sanierungsmoderation ein Bedürfnis bestehen, den Sanierungsmoderator in die Überwachung der Umsetzung der Sanierung einzubinden und ihm bspw. neben der Überwachung auch mit der Organisation eines Lenkungsausschusses während der Sanierungsphase einzubeziehen. Gerade bei einer erfolgreichen Sanierungsmoderation sollte die Möglichkeit der Einbeziehung des Sanierungsmoderators i. R. einer Überwachung der Sanierungsphase nicht ausgeschlossen sein. Es ist zudem insbesondere bei Kleinst- und kleinen Unternehmen eine effiziente und kostengünsti_____________ 10) Vgl. Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2687; Hoegen, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 59, 63. 11) Vgl. Wolfsteiner in: MünchKomm-ZPO, § 794 Rz. 21. 12) Vgl. Thole, ZIP 2020, 1985, 2000; a. A. Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2561, 2576, die die Vollstreckbarkeit gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bejahen.

1280

Ziegenhagen

§ 97

Bestätigung eines Sanierungsvergleichs

ge Lösung im Interesse aller Beteiligten. Eine Vereinbarung hierzu ist aber erst nach Abschluss der Sanierungsmoderation nach Beendigung der formalen Stellung als Sanierungsmoderator zulässig. Zivilrechtlich hat die Versagung der Bestätigung des Sanierungsvergleichs durch das Restrukturierungsgericht keine unmittelbare Auswirkung auf die Wirksamkeit des privatautonomen Sanierungsvergleichs gemäß § 779 BGB. Die Privilegierung gemäß § 97 Abs. 3 kommt dagegen ohne gerichtliche Bestätigung nicht zur Anwendung. Ein Rechtsmittel gegen die Versagungsentscheidung besteht nicht, diese sollte vom Gericht trotzdem begründet werden.13)

14

IV. Stellungnahme des Sanierungsmoderators (Abs. 2) Der Sanierungsmoderator hat zu den Versagungsvoraussetzungen der gerichtlichen Bestätigung des Sanierungsvergleichs gemäß § 97 Abs. 2 schriftlich Stellung zu nehmen. Danach beschränkt sich die Stellungnahme des Sanierungsmoderators auf die Beurteilung der vernünftigen Erfolgsaussicht des Sanierungskonzepts.

15

Die Schlüssigkeitsprüfung des Sanierungsmoderators entspricht insoweit nicht einer vertieften Prüfung eines Sanierungskonzeptes nach dem IDW S 6 des Instituts der Wirtschaftsprüfer, wonach der Sanierungsgutachter zu der abschließenden Einschätzung gelangen muss, dass aufgrund der im vorliegenden Sanierungskonzept beschriebenen Sachverhalte, Erkenntnisse, Maßnahmen und plausiblen Annahmen das Unternehmen bei objektiver Betrachtung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit saniert werden kann.14) Die Anforderung an die Schlüssigkeitsprüfung des Sanierungsmoderators mit der vernünftigen Aussicht auf Erfolg ist insoweit weniger als die Anforderung des Sanierungsgutachters i. R. des IDW S 6 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit des Sanierungserfolgs.

16

Für die Bejahung einer vernünftigen Aussicht auf Erfolg muss der Sanierungsmoderator die Plausibilität der Kernanforderungen an Sanierungskonzepte prüfen. Diese Prüfung beinhaltet die Darlegung der Krisenursachen und deren Beseitigung i. R. des vorgelegten Sanierungskonzepts auf Schlüssigkeit und die Richtigkeit der zugrunde gelegten Tatsachen sowie die Eintrittswahrscheinlichkeit der getätigten Prognosen. Auch in diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass das Sanierungskonzept bereits die miteinbezogenen Gläubiger derart überzeugt hat, einen eigenen Sanierungsbeitrag zwecks Überwindung der wirtschaftlichen und/oder finanziellen Schwierigkeiten zu leisten. Die Anforderungen an die Schlüssigkeitsprüfung des Sanierungsmoderators sollten daher ebenso wie bei der Prüfung der Versagung durch das Restrukturierungsgericht nicht zu hoch sein. Die Plausibilisierung der Kernbestandteile des Sanierungskonzepts, deren vernünftige Prognosebeurteilung zur Eintrittswahrscheinlichkeit sowie die Prüfung offenkundiger Mängel sollten als Grundlage für die Stellungnahme des Sanierungsmoderators ausreichen.

17

_____________ 13) Vgl. Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2687; Hoegen, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 59, 63. 14) Vgl. IDW, Anforderungen an Sanierungskonzepte (IDW S 6) i. d. F. v. 16.5.2018, IDW Life 8/2018, S. 813, Anlage 1 „Muster für die Schlussbemerkung zur Zusammenfassung“.

Ziegenhagen

1281

§ 97

Bestätigung eines Sanierungsvergleichs

V. Anfechtungsprivilegierung (Abs. 3) 18

Der gerichtlich bestätigte Sanierungsvergleich kann nur noch unter den Voraussetzungen des § 90 angefochten werden. § 90 Abs. 1 statuiert einen weitreichenden Anfechtungsausschluss für die Regelungen eines bestätigten Restrukturierungsplans und die Rechtshandlungen, die in seinem Vollzug erfolgen (siehe dazu § 90 Rz. 1 f.).15) Dies gilt mithin auch für die Regelungen des gerichtlich bestätigten Sanierungsvergleichs und dessen Rechtshandlungen zwecks Umsetzung. Es ist zu erwarten, dass in der Praxis bei Anwendung der Sanierungsmoderation durch gerichtliche Bestätigung des Sanierungsvergleichs auch die Privilegierung des § 90 Abs. 1 hinsichtlich der potentiell anfechtbaren Rechtshandlungen durch entsprechende Regelungen genutzt wird.

19

Die Anfechtungsprivilegierung dient dem Vertrauensschutz der einbezogenen Gläubiger oder Beteiligten als potentielle Anfechtungsgegner, die gegen das Risiko eines unerwarteten Scheiterns des gerichtlich bestätigten Sanierungsvergleichs abgesichert werden und auf dessen Stabilität vertrauen sollen.16)

20

Der Umfang des Anfechtungsausschlusses gemäß § 90 Abs. 1 erstreckt sich auf sämtliche Regelungen des gerichtlich bestätigten Sanierungsvergleichs sowie die im Vollzug dieser Regelungen erfolgenden Rechtshandlungen. Ausgenommen sind Forderungen im Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO und Sicherheitsleistungen, die nach § 135 InsO oder § 6 AnfG anfechtbar sind (siehe dazu § 90 Rz. 14 f.).

21

Zu den Regelungen im Sanierungsvergleich zählen die Begründung von Sicherungsübereignungen oder Sicherungszessionen, die Abgabe von Vertragserklärungen, etwa bei der Aufnahme eines neuen Darlehensvertrages in dem Sanierungsvergleich. Ebenso erfasst sind etwaige gesellschaftsrechtliche Änderungen wie etwa eine Kapitalmaßnahme oder ein Debt Equity Swap. Allerdings ist die etwaige Formbedürftigkeit der jeweiligen Rechtshandlungen zu beachten, da der gerichtlich bestätigte Sanierungsvergleich nicht wie der Restrukturierungsplan die Wirkung in der jeweils vorgeschriebenen Form wie bei § 68 entfaltet.

22

Die von der Anfechtungsprivilegierung umfassten Rechtshandlungen betreffen insoweit, die im Vollzug des gerichtlich bestätigten Sanierungsvergleichs realisierten Leistungen wie bspw. die Übertragung von Vermögensgegenständen durch den Schuldner, die Bestellung von Pfandrechten, die sonstigen Besicherungen der Forderungen einbezogener Gläubiger.

23

Dagegen ist die Rückzahlung eines Darlehens selbst nicht unmittelbar eine Rechtshandlung des Vollzugs des Sanierungsvergleichs, selbst wenn der Zins- und Tilgungsplan im Sanierungsvergleich direkt mitgeregelt wird. Es bleibt letztlich der Vollzug des Darlehensvertrages selbst. Wird das Darlehen bspw. später wegen Verfehlung der Sanierung zum Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens zurückgezahlt, so ist die Rückzahlung unter den Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO grundsätzlich anfechtbar, jedoch bleibt die i. R. des Sanierungsvergleichs gewährte Besicherung auch im Anschlussinsolvenzverfahren insolvenz_____________ 15) Vgl. Thole, ZIP 2020, 1985, 1999. 16) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. § 97 Abs. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181.

1282

Ziegenhagen

§ 98

Vergütung

fest. Bei anfechtungsfester und werthaltiger Besicherung ist im Ergebnis auch die Rückzahlung des Darlehens mangels objektiver Gläubigerbenachteiligung i. S. des § 129 Abs. 1 InsO nicht mehr anfechtbar. Zeitlich ist der Anfechtungsschutz bis zur nachhaltigen Restrukturierung begrenzt. Da der maßgebliche Vollzug wie bspw. die neue Besicherung i. R. des Sanierungsvergleichs regelmäßig umgehend nach der gerichtlichen Bestätigung realisiert und die Rückzahlung eines Darlehens gerade nicht vom Anfechtungsschutz umfasst wird, bleibt in der Praxis kein Anwendungsbereich für den Wegfall des Anfechtungsschutzes aufgrund nachhaltiger Sanierung (siehe dazu § 90 Rz. 18).

24

Im Ergebnis entspricht die Anfechtungsprivilegierung des gerichtlich bestätigten Sanierungsvergleichs gemäß § 97 Abs. 3 i. V. m. § 90 den Grundsätzen zum Ausschluss des Benachteiligungsvorsatzes bei Umsetzung eines schlüssigen, von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgehenden Sanierungskonzepts, welches zumindest ansatzweise bereits umgesetzt worden ist und Aussicht auf Erfolg hat.17) Aufgrund der gesetzlichen Anfechtungsprivilegierung kommt es auf die Erfüllung der vorgenannten Voraussetzungen i. E. aber nicht an.

25

_____________ 17) Vgl. BGH, Urt. v. 14.6.2018 – IX ZR 22/15, ZIP 2018, 1794 ff.

§ 98 Vergütung Schinkel

(1) 1Der Sanierungsmoderator hat Anspruch auf eine angemessene Vergütung. 2 Diese bemisst sich nach dem Zeit- und Sachaufwand der mit der Sanierungsmoderation verbundenen Aufgaben. (2) Die §§ 80 bis 83 finden entsprechende Anwendung. Literatur: Cranshaw/Portisch, Paradigmen des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) nach dem Regierungsentwurf aus Gläubigersicht (Teil 1), ZInsO 2020, 2561; Flöther, Der Restrukturierungsbeauftragte: Neue Figur in altbekanntem Gewand?, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 48; Frind, Überreguliert statt saniert? Zum RefE eines „StaRUG“, ZInsO 2020, 2241. Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Vergütungsanspruch des Sanierungsmoderators (Abs. 1) ................... 3 III. Entsprechende Anwendung der Vergütungsregelungen des Restrukturierungsbeauftragten (Abs. 2) .................................................. 5

I.

1. 2. 3. 4.

Regelvergütung entsprechend § 81 ...... 6 Vergütungsschuldner ............................ 7 Vorwegleistungs- und Vorschusspflicht ..................................................... 8 Alternative Vergütungsmodelle/ Vergütungsvereinbarungen ................. 10

Normzweck

§ 98 normiert die Vergütung des Sanierungsmoderators. Die Vergütung des Sanierungsmoderators soll den Grundsätzen folgen, nach denen auch die Vergütung

Schinkel

1283

1

§ 98

Vergütung

der Restrukturierungsbeauftragten bemessen wird.1) Grundsätzlich hat der Sanierungsmoderator daher einen Anspruch auf eine stundensatzbasierte Vergütung.2) Nach der Gesetzesbegründung sollen auch andere Vergütungsmodelle im Einverständnis mit dem Schuldner, der insoweit allein als Kostenschuldner der Auslagen nach Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum GKG in Betracht kommt, und dem Sanierungsmoderator zulässig sein.3) Klarstellend wird in § 1 Abs. 2 Satz 2 RVG der Geltungsbereich des RVG für eine Tätigkeit als Sanierungsmoderator ausgeschlossen. 2

Die gesetzgeberische Ausgestaltung der Vorschriften zur Vergütung des Sanierungsmoderators erfährt in der Literatur beachtliche Kritik. Denn trotz des deutlich geringeren Aufgabenprofils des Sanierungsmoderators und seiner damit einhergehenden deutlich reduzierten Haftungsrisiken wird über § 98 Abs. 2 eine Gleichstellung zur Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten hergestellt.4) Unstimmig ist auch die Begründung zur Sanierungsmoderation, die in Betracht kommt, wenn der Schuldner (vor allem Kleinst- und kleine Unternehmen) externe Beratung und Unterstützung für die Verhandlungen mit seinen Gläubigern benötigt, sich aber „professionelle Sanierungsberater“ zur Herbeiführung einer freien Sanierung nicht leisten kann,5) gleichwohl aber der professionelle Sanierungsmoderator entsprechend zu vergüten ist.6) II. Vergütungsanspruch des Sanierungsmoderators (Abs. 1)

3

Der Sanierungsmoderator kann eine angemessene Vergütung beanspruchen, die sich nach dem Zeit- und Sachaufwand der mit der Sanierungsmoderation verbundenen Aufgaben bemisst. Aus dem Verweis in § 98 Abs. 2 i. V. m. § 80 Satz 1 folgt, dass die an ihn zu entrichtende Vergütung aus einem Honorar und ihm zu erstattenden Auslagen besteht. Die Einzelheiten zur Bestimmung des Honorars, welches im Regelfall auf der Grundlage eines festgelegten Stundensatzes und eines bestimmten Stundenbudgets errechnet wird, ergeben sich aus § 98 Abs. 2 i. V. m. §§ 81, 83. Hinsichtlich der Einzelheiten zum Auslagenersatz gelten gemäß § 98 Abs. 2 i. V. m. § 81 Abs. 7 die Vorschriften des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, §§ 6, 7 und § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes.

4

Der Sanierungsmoderator wird inhaltlich im Vergleich zum Restrukturierungsbeauftragten auf einer Vorstufe zum Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen tätig. Er nimmt im Wesentlichen eine vermittelnde Rolle zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern zwecks Ermöglichung einer konsensualen Vergleichslösung wahr (§ 96 Abs. 1), die grundsätzlich auf einen Zeitraum von drei Monaten begrenzt ist (vgl. § 95 Abs. 1). Damit dürfte die Vergütung des Sanierungsmoderators im Vergleich zur Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten grundsätzlich im Hinblick auf die Ermittlung der Stundenbudgets wegen des beschränkten Zeitaufwands nach § 98 _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6)

Begr. RegE SanInsFoG z. § 104 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 184. Begr. RegE SanInsFoG z. § 104 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 184. Begr. RegE SanInsFoG z. § 104 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 184. U. a. Flöther, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 48, 51 f. Begr. RegE SanInsFoG z. § 100 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 183. Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2561, 2576 f. („ein gewisses Paradoxon“); Frind, ZInsO 2020, 2241, 2248.

1284

Schinkel

§ 98

Vergütung

Abs. 2 i. V. m. § 81 Abs. 4 einfacher zu ermitteln sein. Bei der Frage nach seiner notwendigen Qualifikation und der zu berücksichtigen schuldnerseitigen Bemessungskriterien nach § 98 Abs. 2 i. V. m. § 81 Abs. 3 zur Ermittlung angemessener Stundensätze sind dagegen kaum nennenswerte Unterschiede zu erwarten.7) III. Entsprechende Anwendung der Vergütungsregelungen des Restrukturierungsbeauftragten (Abs. 2) Gemäß § 98 Abs. 2 finden die Vorschriften über die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten in §§ 80 bis 83 entsprechende Anwendung auf die Vergütung des Sanierungsmoderators. 1.

Regelvergütung entsprechend § 81

Die Regelvergütung des Sanierungsmoderators wird auf der Grundlage von angemessenen Stundensätzen ermittelt (entsprechend § 81). Die Angemessenheit der Stundensätze wird anhand bestimmter Kriterien vom Gericht bestimmt (entsprechend § 81 Abs. 3: die Unternehmensgröße, die Art und der Umfang der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners und die Qualifikation des Sanierungsmoderators sowie, falls erforderlich, seiner qualifizierten Mitarbeiter, siehe § 81 Rz. 12 ff.) und beträgt für die Tätigkeit des Moderators bis zu 350 € sowie für qualifizierte Mitarbeiter bis zu 200 €. Es bleibt abzuwarten, ob die Stundensätze für die Tätigkeit des Sanierungsmoderators in der Praxis von den Gerichten eher im unteren Bereich des Regelrahmens angesetzt werden, um sein weniger komplexes Tätigkeitsfeld von dem des Restrukturierungsbeauftragten abzugrenzen. Neben der verbindlichen Festsetzung der Stundensätze (entsprechend § 81 Abs. 4 Satz 1) bestimmt das Gericht mit der Bestellung des Sanierungsmoderators auf der Grundlage von Stundenbudgets einen Höchstbetrag für sein Honorar (entsprechend § 81 Abs. 4 Satz 2). Soweit die Stundenbudgets später nicht ausreichen, muss der Sanierungsmoderator dem Gericht den Erhöhungsbedarf unverzüglich mitteilen, welches sodann über eine Anpassung des Stundenbudgets entscheidet (entsprechend § 81 Abs. 6). Wie im Fall des Restrukturierungsbeauftragten überzeugt die Vergütung nach Stundensätzen mit einem anfänglichen Höchstbetrag nach Budgetierung nicht (siehe § 81 Rz. 26 f.).8) Denn trotz eines überschaubareren Aufgabenprofils wird auch der Sanierungsmoderator vor Beginn seiner Tätigkeit kaum realistisch abschätzen können, welcher Zeitaufwand mit seiner Tätigkeit anfallen wird. 2.

6

Vergütungsschuldner

Vergütungsschuldner ist die Staatskasse. Die aus der Staatskasse an den Sanierungsmoderator gezahlte Vergütung ist als Teil der Gerichtskosten den nach Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum GKG in voller Höhe zu erstattenden Auslagen zuzuordnen, die dem Schuldner als Kostenschuldner auferlegt werden (§ 25a Abs. 1 GKG) (siehe § 80 Rz. 25 ff.).

_____________ 7) 8)

5

Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2561, 2576. Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2561, 2577.

Schinkel

1285

7

§ 98 3.

Vergütung

Vorwegleistungs- und Vorschusspflicht

8

Vor der Bestellung des Moderators soll zunächst die Gerichtsgebühr für die Bestellung nach Nr. 2514 des Kostenverzeichnisses zum GKG sowie ein Kostenvorschuss auf die Auslagen nach Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum GKG (Vergütung des Sanierungsmoderators) gezahlt werden (entsprechend § 81 Abs. 5). Bei der Vorwegleistungs- und Vorschusspflicht vor der Bestellung eines Sanierungsmoderators ist insoweit entsprechend § 81 Abs. 5 zu beachten, dass sich die Zahlung der Verfahrensgebühr für den Antrag auf Bestellung eines Sanierungsmoderators nach Nr. 2514 des Kostenverzeichnisses zum GKG richtet und 500 € beträgt. Mit der Gebühr sind sämtliche Tätigkeiten des Gerichts in dem Verfahren abgegolten. Dies betrifft insbesondere die Kenntnisnahme des Berichts des Sanierungsmoderators und die Aufsicht über ihn, sowie die etwaige gerichtliche Bestätigung eines Sanierungsvergleichs.9) Wie beim Restrukturierungsbeauftragten verhindere nach der Gesetzesbegründung auch im Fall des Sanierungsmoderators die Einführung einer Festgebühr unbillige Ergebnisse vor dem Hintergrund des sich nicht ohne Weiteres aus den Nennbeträgen der betroffenen Forderungen, Rechte und Beteiligungen abzuleitenden wirtschaftlichen Interesses des Schuldners an dem Verfahren.10)

9

Die Höhe des zu zahlenden Vorschusses auf die Auslagen nach Nr. 9017 des Kostenverzeichnisses zum GKG wird gesetzlich nicht vorgegeben. Der Vorschuss sollte indes ausreichen, um die voraussichtlichen Auslagen, d. h. die aus der Staatskasse an den Sanierungsmoderator nach Beendigung seines Amtes zu zahlende Vergütung als Teil der Gerichtskosten, zu decken. Dementsprechend bleibt zu erwarten, dass sich das Gericht bei der vom Auslagenschuldner anzufordernden Vorschusszahlung an der Höhe der prognostizierten Vergütung des Moderators entsprechend § 81 Abs. 4 Satz 2 und damit an dem zu ermittelnden Honorar-Höchstbetrag orientieren wird. Kostenschuldner der Gerichtsgebühr und des Auslagenvorschusses ist stets der Schuldner (§ 25a Abs. 1 GKG). Die Vorschusspflicht gilt entsprechend § 81 Abs. 6 Satz 3 zudem bei einer Vergütungserhöhung infolge der nachträglichen Anpassung des Stundenbudgets des Sanierungsmoderators. 4.

10

Alternative Vergütungsmodelle/Vergütungsvereinbarungen

Neben der Regelvergütung kommt gemäß § 98 Abs. 2 i. V. m. § 83 auch eine Vergütung des Sanierungsmoderators in besonderen Fällen in Betracht. Danach können höhere Stundensätze als die in § 81 Abs. 3 festgelegten Höchstbeträge festgesetzt werden, insbesondere, wenn der Schuldner als Auslagenschuldner zustimmt (entsprechend § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, siehe § 83 Rz. 4 ff.) oder sich sonst keine geeignete Person zur Amtsübernahme als Sanierungsmoderator bereit erklärt (entsprechend § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 siehe § 83 Rz. 8 ff.). Eine entsprechende Anwendung des in § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 für den Restrukturierungsbeauftragten geregelten Falls, der ebenfalls einen vom Regelfall nach oben abweichenden Honorar-Stundensatz rechtfertigt und i. V. m. § 83 Abs. 1 Satz 2 sogar eine Vergütung nach anderen Grundsäten zulässt, scheidet für den Sanierungsmoderator aus. Denn danach müssten _____________ 9) Begr. RegE SanInsFoG z. Gebühr 2514 KV GKG, BT-Drucks. 19/24181, S. 220. 10) Begr. RegE SanInsFoG z. Gebühr 2514 KV GKG, BT-Drucks. 19/24181, S. 220.

1286

Schinkel

§ 99

Abberufung

ihm Aufgaben vom Gericht übertragen werden, die den Aufgaben eines Sachwalters in einem in Eigenverwaltung geführten Insolvenzverfahren nahekommen (entsprechend § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 2). Eine sachwalterähnliche Tätigkeit ist für den Sanierungsmoderator in § 96 nicht vorgesehen. Allerdings hat der Gesetzgeber diese „Lücke“ erkannt und in der Gesetzesbegründung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „auch andere Vergütungsmodelle im Einverständnis mit dem Schuldner“ in Betracht kommen können.11) Damit dürfte sich ein vergleichbarer Gestaltungsspielraum für den Sanierungsmoderator und den Schuldner im Hinblick auf Vergütungen nach anderen Grundsätzen entsprechend § 83 Abs. 1 Satz 2 (z. B. eine Bemessung auf der Grundlage des Wertes des Unternehmensvermögens, siehe § 83 Rz. 21 ff.) sowie im Hinblick auf Vergütungsvereinbarungen entsprechend § 83 Abs. 2 (siehe § 83 Rz. 28 ff.) eröffnen.

11

_____________ 11) Begr. RegE SanInsFoG z. § 104 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 184.

§ 99 Abberufung Ziegenhagen

(1) Der Sanierungsmoderator wird abberufen: 1.

auf eigenen Antrag oder auf Antrag des Schuldners,

2.

von Amts wegen, wenn dem Restrukturierungsgericht durch den Moderator die Insolvenzreife des Schuldners angezeigt wurde.

(2) Wird der Moderator nach Absatz 1 Nummer 1 abberufen, bestellt das Gericht auf Antrag des Schuldners einen anderen Moderator. Literatur: Hoegen, Die Sanierungsmoderation, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 59; Kebekus, Synopse Restrukturierungsrichtlinie/Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz, KTS 2020, 439. Übersicht I. Normzweck/-inhalt ............................. II. Normhistorie ........................................ III. Voraussetzungen der Abberufung (Abs. 1) .................................................. 1. Abberufung auf eigenen Antrag (Abs. 1 Nr. 1) ........................................ 2. Abberufung auf Antrag des Schuldners (Abs. 1 Nr. 1) .....................

I.

1 3

3. 4.

5 5. 5

Abberufung von Amts wegen (Abs. 1 Nr. 2) ...................................... 10 Kein Antragsrecht der Gläubiger auf Abberufung ................................... 13 Bestellung eines neuen Sanierungsmoderators (Abs. 2) ............................ 15

8

Normzweck/-inhalt

Zweck des § 99 ist die Abberufung des Sanierungsmoderators auf eigenen Antrag oder auf Antrag des Schuldners zu ermöglichen, und zwar inklusive der Möglichkeit der Bestellung eines neuen Sanierungsmoderators. Schließlich wird durch Abberufung des Sanierungsmoderators von Amts wegen bei Anzeige der Insolvenzreife die Beendigung der Sanierungsmoderation bewirkt, weil dann die Voraussetzungen für dieses Verfahren entfallen sind. Ziegenhagen

1287

1

§ 99 2

Abberufung

§ 99 Abs. 1 Nr. 1 regelt die Abberufung des Sanierungsmoderators auf dessen eigenen Antrag oder Antrag des Schuldners, die zugleich gemäß § 99 Abs. 2 auf Antrag des Schuldners zur Bestellung eines neuen Sanierungsmoderators führen kann. § 99 Abs. 1 Nr. 2 regelt die Beendigung der Sanierungsmoderation wegen Anzeige der Insolvenzreife durch Abberufung des Sanierungsmoderators von Amts wegen. II. Normhistorie

3

Die Sanierungsmoderation beruht nicht auf der Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie1), die insoweit keinerlei Vorgaben für die Einführung einer Sanierungsmoderation gemacht hat.2) Art. 4 Abs. 5 der Restrukturierungsrichtlinie lässt aber ausdrücklich zu, dass der jeweilige nationale Restrukturierungsrahmen aus mehreren Verfahren bestehen kann, von denen einige außergerichtlich durchgeführt werden können.

4

Im ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung3) war die Abberufung des Sanierungsmoderators in § 105 RegE normiert, materiell wurde die Vorschrift im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht mehr verändert. III. Voraussetzungen der Abberufung (Abs. 1) 1.

Abberufung auf eigenen Antrag (Abs. 1 Nr. 1)

5

Dem Sanierungsmoderator wird ein eigenes Antragsrecht auf seine Abberufung eingeräumt. Er kann insoweit seine eigene Abberufung beantragen, wenn er die Sanierung als aussichtslos bzw. endgültig gescheitert ansieht, obwohl noch keine Insolvenzreife gemäß § 96 Abs. 4 anzuzeigen ist. Dies betrifft insbesondere die endgültige ernsthafte Verweigerung einbezogener Gläubiger die geforderte Sanierungsmaßnahme durch Zustimmung zu unterstützen ohne jegliche Aussicht auf eine Kompromisslösung. Der Antrag auf eigene Abberufung kommt auch in Betracht, wenn das Vertrauensverhältnis zum Schuldner gestört ist oder dieser seiner Mitwirkung durch Gewährung der Einsichts- und Auskunftsanforderungen gemäß § 96 Abs. 2 nicht ausreichend nachkommt. Es können natürlich auch persönliche oder gesundheitliche Gründe des Sanierungsmoderators zum eigenen Antrag auf Abberufung führen.

6

Der Antrag auf eigene Abberufung des Sanierungsmoderators ist zwar gesetzlich nicht begründungspflichtig, der Sanierungsmoderator sollte jedoch i. R. eines Abschlussberichtes kurz die Gründe seines Antrags auf Abberufung bezeichnen.

7

Auf Antrag des Schuldners kann das Restrukturierungsgericht mit der Abberufung zugleich gemäß § 99 Abs. 2 einen neuen Sanierungsmoderator als Nachfolger bestellen. _____________ 1)

2) 3)

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Vgl. Kebekus, KTS 2020, 439, 526 ff., mit einerSynopse der Restrukturierungsrichtlinie und des StaRUG. RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181, S. 53.

1288

Ziegenhagen

§ 99

Abberufung

2.

Abberufung auf Antrag des Schuldners (Abs. 1 Nr. 1)

Auch der Schuldner hat das Recht, die Abberufung des Sanierungsmoderators zu beantragen. Dies wird insbesondere die Fälle betreffen, wo der Schuldner kein Vertrauensverhältnis zum Sanierungsmoderator entwickeln konnte oder der Sanierungsmoderator keine effiziente Betreibung des Sanierungsvergleichs realisiert. Da der Schuldner die Sanierungsmoderation durch seinen Antrag einleitet und gleichzeitig kein bindendes Vorschlagsrecht auf Bestellung einer bestimmten Person zum Sanierungsmoderator hat, ist es gerechtfertigt, dass er selbst die Abberufung des Sanierungsmoderators beantragen kann, wenn dieser nach seiner Einschätzung nicht in der Lage ist, durch eine professionelle Vermittlerrolle die Realisierung eines Sanierungsvergleichs mit den einbezogenen Gläubigern zu bewirken.

8

Der Abberufungsantrag des Schuldners muss nicht begründet werden.4) Diese nicht zu begründende Abberufungsmöglichkeit kann der Schuldner ggf. als Druckmittel gegenüber dem aus seiner Sicht nicht ausreichend in seinem Interesse agierenden Sanierungsmoderator nutzen.5) Der Schuldner wird insoweit zugleich die Bestellung eines anderen Sanierungsmoderators gemäß Absatz 2 beantragen, um eine durchgehende Sanierungsmoderation sicherzustellen.

9

3.

Abberufung von Amts wegen (Abs. 1 Nr. 2)

Das Restrukturierungsgericht hat den Sanierungsmoderator von Amts wegen abzuberufen, wenn dieser die Insolvenzreife gemäß § 96 Abs. 4 angezeigt hat. Diese Abberufung von Amts wegen beendet dann automatisch das Sanierungsmoderationsverfahren. Eine eigene Prüfung der Insolvenzreife durch das Restrukturierungsgericht ist nicht gesetzlich vorgegeben. Es sollte aber zumindest eine Anhörung des Schuldners vor der Abberufung des Sanierungsmoderators erfolgen, sofern dieser nicht bereits von sich aus zu der Anzeige der Insolvenzreife des Sanierungsmoderators Stellung genommen hat.

10

Bleibt die angezeigte Insolvenzreife zwischen dem Schuldner und dem Sanierungsmoderator streitig, so hat das Gericht noch einmal auf die gesetzliche Insolvenzantragspflicht des Schuldners zu verweisen. Bei einer unberechtigten Anzeige der Insolvenzreife stellt sich wiederum das Problem der Haftung des Sanierungsmoderators, die nicht gesetzlich normiert ist.

11

Der Sanierungsmoderator kann bei Insolvenzantragstellung gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 InsO zum (vorläufigen) Insolvenzverwalter bestellt werden, wobei in Verfahren gemäß § 22a Abs. 1 InsO der vorläufige Gläubigerausschuss zustimmen muss. Der Gesetzgeber hat insoweit zum Ausdruck gebracht, dass der Vorteil der Kontinuität der Person des Sanierungsmoderators als zu bestellender (vorläufiger) Insolvenzverwalter im Interesse der Gläubiger sein muss. Dies muss im Einzelfall das Insolvenzgericht entscheiden, wenn kein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt ist.

12

4.

Kein Antragsrecht der Gläubiger auf Abberufung

Den einbezogenen Gläubigern der Sanierungsmoderation wird gesetzlich kein eigenes Antragsrecht zur Abberufung des Sanierungsmoderators eingeräumt. Dies verdeutlicht, dass das Sanierungsmoderationsverfahren ausschließlich vom Schuldner betrieben _____________ 4) 5)

Vgl. RegE SanInsFoG z. § 105 Abs. 1 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 185. Vgl. Hoegen, NZI Beilage Heft 5/2021, S. 59, 62.

Ziegenhagen

1289

13

§ 99

Abberufung

wird und die Gläubiger selbst keine Einflussmöglichkeiten auf die Auswahl oder Abberufung des Sanierungsmoderators haben. Da das Ziel der Sanierungsmoderation einer konsensualen Vergleichslösung nur mit Zustimmung aller einbezogenen Gläubiger möglich ist und keinerlei Eingriffsmöglichkeiten gegenüber den jeweiligen Gläubigern i. R. der Sanierungsmoderation gewährt werden, erscheint dies grundsätzlich sachgerecht. Allerdings ist bei fehlendem Vertrauensverhältnis der Gläubiger gegenüber dem bestellten Sanierungsmoderator die Fortführung der Sanierungsmoderation bis zum Ablauf des Drei-Monats-Zeitraums nicht sinnvoll und effizient, da dann keine Aussichten auf eine erfolgreiche Sanierungslösung mit den einbezogenen Gläubigern besteht. 14

Auch ohne das eigene Antragsrecht zur Abberufung sollten die Gläubiger sowohl den Sanierungsmoderator, den Schuldner als auch das Restrukturierungsgericht darüber informieren, wenn aus deren Sicht kein Vertrauensverhältnis zum Sanierungsmoderator besteht und daher die Sanierungsmoderation nicht mehr aussichtsreich ist. Da diese Einschätzung nicht unmittelbar zur Insolvenzreife des Unternehmens führen muss, sollten der Sanierungsmoderator und/oder der Schuldner im eigenen Interesse eine etwaige Abberufung auf eigenen Antrag in die Wege leiten. 5.

Bestellung eines neuen Sanierungsmoderators (Abs. 2)

15

Das Restrukturierungsgericht bestellt gemäß § 99 Abs. 2 auf Antrag des Schuldners einen neuen Sanierungsmoderator, wenn der bisherige Sanierungsmoderator gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1 auf eigenen Antrag oder auf Antrag des Schuldners abberufen wurde. Der Schuldner muss insoweit durch seinen expliziten Antrag zum Ausdruck bringen, dass er trotz Abberufung des Sanierungsmoderators weiterhin die Sanierungsmoderation betreiben will. Neben seinem Antrag müssen auch weiterhin die materiellen Voraussetzungen des § 94 vorliegen.

16

In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu prüfen, ob der Abberufungsantrag des Schuldners nicht ausschließlich zwecks Vermeidung der Anzeige der Insolvenzreife durch den bestellten Sanierungsmoderator gestellt wird. Das Restrukturierungsgericht sollte insoweit vor der Abberufung auf Antrag des Schuldners den betreffenden Sanierungsmoderator anhören und ggf. einen kurzen Bericht vor Abberufung einfordern, um hierdurch etwaige Hinweise auf das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen des § 94, insbesondere auf eine etwaige unmittelbar bevorstehende Insolvenzreife i. S. der Anzeigepflicht gemäß § 96 Abs. 4, zu erhalten.

17

Da sich die maximale Drei-Monats-Frist gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 durch den Wechsel des Sanierungsmoderators nicht verlängert, wird regelmäßig aufgrund der zusätzlichen Einarbeitungszeit des neuen Sanierungsmoderators eine Verlängerung der Sanierungsmoderation mit Zustimmung des Schuldners und der einbezogenen Gläubiger gemäß § 95 Abs. 1 Satz 2 erforderlich werden.

18

Das Risiko eines Wechsels des Sanierungsmoderators gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1 könnte erheblich vermindert werden, wenn i. R. der Auswahl des Sanierungsmoderators dem Schuldner zumindest eine Einflussmöglichkeit bei der Auswahl der geeigneten Person des Sanierungsmoderators gewährt würde.

1290

Ziegenhagen

Übergang in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen

§ 100

§ 100 Übergang in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen Ziegenhagen

(1) Nimmt der Schuldner Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Anspruch, bleibt der Sanierungsmoderator im Amt, bis der Bestellungszeitraum abläuft, er nach § 99 abberufen wird oder ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt wird. (2) Das Restrukturierungsgericht kann den Sanierungsmoderator zum Restrukturierungsbeauftragten bestellen. Literatur: Kebekus, Synopse Restrukturierungsrichtlinie/Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz, KTS 2020, 439; Vallender, Aufgaben und Befugnisse des Restrukturierungsgerichts nach dem Gesetz über die Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen, ZInsO 2020, 2677; Ziegenhagen, Sechs Monate StaRUG – Bewertung der ersten Rechtsprechung zur Anwendung des neuen Restrukturierungsgesetzes, ZInsO 2021, 2053. Übersicht I. Normzweck/-inhalt ............................. 1 II. Normhistorie ........................................ 3 III. Übergang in den Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen (Abs. 1) .................................................. 5

I.

IV. Bestellung des Sanierungsmoderators zum Restrukturierungsbeauftragten (Abs. 2) .................................................. 7

Normzweck/-inhalt

§ 100 ermöglicht den Übergang von der Sanierungsmoderation in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen. Dies verdeutlicht, dass die Sanierungsmoderation eine Vorstufe für die Nutzung der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens gemäß § 29 sein kann. Dies entspricht dem modularen System des StaRUG, wonach der Schuldner selbst seine bestmögliche Sanierungsoption auswählt und bei Bedarf weitergehende Instrumente in Anspruch nimmt.

1

§ 100 regelt in Absatz 1 mit der Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens den Übergang von der Sanierungsmoderation in dieses Verfahren. In § 100 Abs. 2 wird klargestellt, dass i. R. des Übergangs in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen der bisherige Sanierungsmoderator auch zum Restrukturierungsbeauftragten bestellt werden kann.

2

II. Normhistorie Die Sanierungsmoderation beruht nicht auf der Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie1), die insoweit keinerlei Vorgaben für die Einführung einer Sanierungsmoderation gemacht hat.2) Art. 4 Abs. 5 der Restrukturierungsrichtlinie lässt aber ausdrücklich zu, dass der jeweilige nationale Restrukturierungsrahmen aus mehreren _____________ 1)

2)

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. Vgl. Kebekus, KTS 2020, 439, 526 ff. mit einer Synopse der Restrukturierungsrichtlinie und des StaRUG.

Ziegenhagen

1291

3

§ 100

Übergang in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen

Verfahren bestehen kann, von denen einige außergerichtlich durchgeführt werden können. 4

Im ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung3) war der Übergang von der Sanierungsmoderation in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen in § 106 RegE normiert, materiell wurde die Vorschrift im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht mehr verändert. III. Übergang in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (Abs. 1)

5

6

Der Schuldner kann gemäß § 100 Abs. 1 die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens gemäß § 29 in Anspruch nehmen mit der Folge, dass der Sanierungsmoderator so lange im Amt bleibt, bis der Bestellungszeitraum abläuft, er gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1 abberufen wird oder ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt wird. Es wird insoweit sichergestellt, dass ein fließender Übergang von der Sanierungsmoderation in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ohne vorübergehendes Vakuum realisiert wird. Rechtstechnisch bleibt der Sanierungsmoderator daher sowohl nach Anzeige des Restrukturierungsvorhabens gemäß § 31 sowie nach Inanspruchnahme der Instrumente i. S. des § 29 im Amt, sofern kein Restrukturierungsbeauftragter bestellt wird. Der Sanierungsmoderator sollte die einbezogenen Gläubiger bereits proaktiv i. R. der Verhandlungen der Sanierungsmoderation über die Möglichkeit des Übergangs von der Sanierungsmoderation in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen informieren. Dies kann insbesondere gegenüber dissentierenden Minderheitsgläubigern, die sich der konsensualen Sanierungslösung verweigern, als Druckmittel genutzt werden. Maßgeblich ist insoweit, dass der vom Schuldner sowie der qualifizierten 75 %-Mehrheit der einbezogenen Gläubiger befürwortete Sanierungsvergleich trotz fehlender konsensualer Zustimmung sämtlicher einbezogenen Gläubiger mittels Restrukturierungsplan gegenüber der dissentierenden Gläubigerminderheit durchgesetzt werden kann.4) Der durch § 100 ermöglichte Übergang eröffnet insoweit eine Durchsetzungsmöglichkeit und führt in der Praxis zu einem höheren Einigungsdruck i. R. der zeitlich begrenzten Sanierungsmoderation. IV. Bestellung des Sanierungsmoderators zum Restrukturierungsbeauftragten (Abs. 2)

7

Das Restrukturierungsgericht kann den Sanierungsmoderator zum Restrukturierungsbeauftragten bestellen. Grundsätzlich besteht hinsichtlich der Effizienz des Restrukturierungsverfahrens ein Vorteil in der Kontinuität der Person des bisherigen Sanierungsmoderators und künftigen Restrukturierungsbeauftragten, da dieser sich nicht erneut einarbeiten muss und zugleich besser einschätzen kann, ob der Restrukturierungsplan die Zustimmungsvoraussetzungen der qualifizierten Gläubigermehrheit erreichen kann.

8

Da die Voraussetzungen eines obligatorischen Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 73 regelmäßig nicht vorliegen werden, kommt insbesondere die Bestellung des fakultativen Restrukturierungsbeauftragten auf Antrag des Schuldners gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 zur Förderung der Verhandlungen zwischen den Beteiligten in Betracht. _____________ 3) 4)

RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181, S. 185. Vgl. Ziegenhagen, ZInsO 2021, 2053, 2055 ff.

1292

Ziegenhagen

Übergang in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen

§ 100

In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass auch dem fakultativen Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 77 Abs. 2 zusätzlich zu den moderierenden Aufgaben auch kontrollierende Aufgaben nach § 76 zugewiesen werden können. Als weitere Voraussetzung ist gemäß § 81 Abs. 5 zu berücksichtigen, dass vorab die Gerichtsgebühren und ein Vorschuss auf die Auslagen des zu bestellenden fakultativen Restrukturierungsbeauftragten bezahlt werden müssen.

9

Neben dem Schuldner steht den Gläubigern das Antragsrecht auf Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 77 Abs. 1 Satz 2 gemeinsam zu, wenn auf sie mehr als 25 % der Stimmrechte in einer Gruppe entfallen oder voraussichtlich entfallen werden und wenn sie sich zur gesamtschuldnerischen Übernahme der Kosten der Beauftragung verpflichten. Dies kommt auch beim Übergang von der Sanierungsmoderation in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen in Betracht, wird aber in der Praxis aufgrund der Kostenregelung des § 77 Abs. 1 Satz 2 kaum zur Anwendung kommen. Halten die Gläubiger die Einsetzung des bisherigen Sanierungsmoderators für sinnvoll, so werden sie den Schuldner auffordern, dessen Einsetzung als Restrukturierungsbeauftragten selbst zu beantragen. Der Schuldner wird dies zwecks Sicherung der Unterstützung durch diese Gläubigergruppe regelmäßig im eigenen Interesse umsetzen (siehe dazu § 77 Rz. 11).

10

Aus der Sicht des Schuldners ist die Kontinuität der Unterstützung und Vermittlung durch den bisherigen Sanierungsmoderator sinnvoll, wenn dieser zugleich das Vertrauen der überwiegenden Mehrheit der einbezogenen Gläubiger genießt. Die Fortsetzung der Sanierungsverhandlungen kann dann mit dem bisherigen Sanierungsmoderator effizient fortgesetzt werden, der insoweit ohne zeitlichen Verzug als Restrukturierungsbeauftragter die bereits i. R. der Sanierungsmoderation vom Schuldner initiierte Sanierungslösung mittels Planabstimmung und gerichtlich zu bestätigendem Restrukturierungsplan gegen den Willen der dissentierenden Minderheitsgläubiger unterstützen kann. Das Restrukturierungsgericht sollte vor der Bestellung des Sanierungsmoderators zum Restrukturierungsbeauftragten auf Antrag des Schuldners gemäß § 77 die einbezogenen Gläubiger anhören, um bei den Beteiligten die Vertrauenswürdigkeit und fortbestehende Unabhängigkeit des bisherigen Sanierungsmoderators in der künftigen Stellung als Restrukturierungsbeauftragter aus Sicht der Gläubiger zu beurteilen. Der Gesetzgeber hat insoweit jedenfalls klargestellt, dass die Vorbefassung als Sanierungsmoderator dem Grunde nach nicht die Unabhängigkeit als potentieller Restrukturierungsbeauftragter beeinträchtigt. Vor Ablauf des Bestellungszeitraums des Sanierungsmoderators gemäß § 95 Abs. 1 endet dessen Amt erst mit Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 100 Abs. 1.

11

Liegen die Voraussetzungen eines obligatorischen Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 73 vor, so ist bei Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten auf Antrag des Schuldners gemäß § 74 Abs. 2 ggf. dessen abweichendes Vorschlagsrecht gegenüber dem bisherigen Sanierungsmoderator zu berücksichtigen. Das Restrukturierungsgericht sollte dem Schuldner daher vor Bestellung des Sanierungsmoderators zum Restrukturierungsbeauftragten gemäß § 100 Abs. 2 die Gelegenheit zu einem abweichenden Personalvorschlag geben.5)

13

_____________ 5)

Vgl. Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2687.

Ziegenhagen

1293

12

Teil 4 Frühwarnsysteme § 101 Informationen zu Frühwarnsystemen Gerig

Informationen über die Verfügbarkeit der von öffentlichen Stellen bereitgestellten Instrumentarien zur frühzeitigen Identifizierung von Krisen werden vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz unter seiner Internetadresse www.bmjv.bund.de bereitgestellt. Literatur: Giese/Jungbauer, Arbeitsrechtliche Implikationen des vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens nach der Restrukturierungsrichtlinie und dem StaRUG-Regierungsentwurf, BB 2020, 2679. Übersicht I. Normzweck ........................................... 1 II. Normhistorie ........................................ 4

I.

III. Tatbestand ............................................. 9 IV. Rechtsfolge ......................................... 12

Normzweck

Die Vorschrift des § 101 dient ausweislich der Gesetzesbegründung der Absicherung der dauerhaften Bereitstellung der von Art. 3 Abs. 3 und 4 der Restrukturierungsrichtlinie geforderten Online-Informationsplattform mit gebündelten Informationen über die zur Verfügung stehenden Frühwarnsysteme.

1

Gemäß ErwG 22 der Restrukturierungsrichtlinie soll eine frühzeitige Krisenerkennung und Einleitung geeigneter Sanierungsmaßnahmen erleichtert werden, um die Wahrscheinlichkeit zu steigern, dass eine drohende Insolvenz abgewendet wird, beziehungsweise – im Falle eines Unternehmens mit dauerhaft verminderter Bestandsfähigkeit – der Abwicklungsprozess möglichst geordnet und effizient verläuft. Aus diesem Grund gibt die Restrukturierungsrichtlinie vor, dass klare, aktuelle, prägnante und nutzerfreundliche Informationen über ein oder mehrere Frühwarnsysteme sowie die zur Verfügung stehenden präventiven Restrukturierungsverfahren bereitgestellt werden, die für Schuldner einen Anreiz bieten, bei beginnenden finanziellen Schwierigkeiten frühzeitig zu handeln.

2

Ferner soll die Vorschrift des § 101 auch den Arbeitnehmervertretern Zugang zu Informationen über verfügbare Frühwarninstrumente sowie Verfahren und Maßnahmen zur Restrukturierung durch die Einrichtung einer dauerhaften Online-Informationsplattform geben, damit diese dem Schuldner ihre Bedenken hinsichtlich der Geschäftssituation und in Bezug auf die Notwendigkeit, Restrukturierungsmechanismen in Betracht zu ziehen, mitteilen können.

3

Gerig

1295

§ 101

Informationen zu Frühwarnsystemen

II. Normhistorie 4

Mit § 101 soll die Vorgabe der Restrukturierungsrichtlinie1) hinsichtlich der Informationen zu Frühwarnsystemen i. S. des Art. 3 Abs. 3 und 4 umgesetzt werden; diese verpflichten die Mitgliedstaaten sicherzustellen, –

dass die Schuldner und die Arbeitnehmervertreter Zugang zu relevanten und aktuellen Informationen über die Verfügbarkeit von Frühwarnsystemen sowie zu Verfahren und Maßnahmen zur Restrukturierung und Entschuldung haben, und



dass Informationen über die Verfügbarkeit des Zugangs zu Frühwarnsystemen öffentlich online zur Verfügung stehen und dass diese Informationen insbesondere für KMU leicht zugänglich sind und nutzerfreundlich aufbereitet werden.

5

Gemäß ErwG 22 der Restrukturierungsrichtlinie soll hierfür als Regelbeispiel eine eigens eingerichtete Website des Mitgliedstaates dienen, die entsprechend in § 101 geregelt wird. Diese Regelung war bereits wortgleich in § 3 RefE2) enthalten, seinerzeit noch im Teil 1 (Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement). Sie wurde im RegE3) in den Teil 4 (Frühwarnsysteme) verschoben (siehe unter § 107).

6

Die in Art. 3 Abs. 3 der Restrukturierungsrichtlinie vorgesehene Verpflichtung der Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass Schuldner auch Zugang zu relevanten und aktuellen Informationen zu Verfahren und Maßnahmen zur Restrukturierung haben, ist in § 101 nicht explizit umgesetzt worden, aber teilweise hinsichtlich der in Art. 8 Abs. 2 der Restrukturierungsrichtlinie vorgegebenen „Checkliste für Restrukturierungspläne“ in § 16 reflektiert; diese Checkliste soll praktische Leitlinien dazu enthalten, wie der Restrukturierungsplan nach dem StaRUG zu erstellen ist.

7

Die Restrukturierungsrichtlinie beinhaltet in Art. 3 Abs. 3 demnach die Verpflichtung der Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass nicht nur die Schuldner (bzw. deren Geschäftsleitungen), sondern auch die Arbeitnehmervertreter Zugang zu Informationen über verfügbare Frühwarninstrumente sowie Verfahren und Maßnahmen zur Restrukturierung haben. Diese Vorgabe wird im § 101 erfüllt, der die Bereitstellung von Informationen über die Verfügbarkeit der von öffentlichen Stellen bereitgestellten Instrumentarien zur frühzeitigen Identifizierung von Krisen auf der Webseite des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vorsieht.

8

Art. 3 Abs. 5 der Restrukturierungsrichtlinie enthält zudem die Kann-Vorschrift, Arbeitnehmervertretern besondere Unterstützung zur Bewertung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens zu gewähren. Das StaRUG führt bezüglich der Information über Frühwarnsysteme keine spezifisch arbeitsrechtlichen Regelungen _____________ 1)

2)

3)

Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. RefE SanInsFoG z. StaRUG, v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 20.8.2021). RegE SanInsFoG, v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181.

1296

Gerig

§ 101

Informationen zu Frühwarnsystemen

ein, insbesondere keine weitergehenden Informationsrechte der Arbeitnehmervertreter, sondern beschränkt sich ausweislich der Gesetzesbegründung auf Hinweise auf bestehende Beratungsangebote, Hinweispflichten und staatliche Förderprogramme sowie die Einrichtung einer dauerhaften Online-Informationsplattform.4) III. Tatbestand Gemäß § 101 sollen Informationen über die Verfügbarkeit der von öffentlichen Stellen bereitgestellten Instrumentarien zur frühzeitigen Identifizierung von Krisen auf einer Online-Informationsplattform bereitgestellt werden. Diese soll im Einflussbereich des BMJV eingerichtet und in den Internetauftritt des BMJV unter der Internetadresse www.bmjv.bund.de integriert werden.

9

Darüber hinaus soll auf dieser Internetseite gemäß § 16 eine Checkliste für Restrukturierungspläne veröffentlicht werden, die speziell auf die Bedürfnisse von kleinen und mittleren Unternehmen ausgerichtet ist.

10

Ausweislich der Gesetzesbegründung kann sie zur Vermeidung von Doppelungen an den geeigneten Stellen auf das Existenzgründungsportal des BMWi sowie auf die von diesem Ministerium geführte Förderdatenbank weiterverweisen. Ferner wird ausgeführt, dass sich die Bereitstellung auf die öffentlich angebotenen Informationen sowie die Informationen über staatliche Beratungsangebote und Fördermöglichkeiten beschränken kann, da eine Dauerhaftigkeit nur für diese Informationen und nicht für solche privater Informationsanbieter gewährleistet werden kann.

11

IV. Rechtsfolge § 101 stellt lediglich sicher, dass Informationen über die Verfügbarkeit der von öffentlichen Stellen bereitgestellten Instrumentarien zur frühzeitigen Krisenerkennung unter www.bmjv.bund.de bereitgestellt werden; um welche Informationen es sich hier handeln soll, wird nicht näher ausgeführt, so dass keine Mindestanforderungen für die Online-Informationsplattform definiert werden.

12

Derzeit enthält das Existenzgründungsportal des BMWi (www.existenzgruender.de) in der Rubrik „Unternehmen führen“ zwei Checklisten zur Erkennung von Krisenanzeichen, die „Früherkennungstreppe“ und einen „Crashtest zur SchwachstellenFrüherkennung“, sowie verschiedene Merkblätter und Broschüren zum richtigen Verhalten bei Anzeichen einer Unternehmenskrise; dieses Portal wurde parallel zum Gesetzgebungsverfahren angepasst.

13

Wie bereits ausgeführt, ist die in Art. 3 Abs. 3 der Restrukturierungsrichtlinie vorgesehene Verpflichtung der Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass Schuldner auch Zugang zu relevanten und aktuellen Informationen zu Verfahren und Maßnahmen zur Restrukturierung haben, in § 101 nicht explizit umgesetzt worden. Allerdings gibt § 16 dem BMJV vor, eine Checkliste für Restrukturierungspläne auf der Internetseite www.bmjv.bund.de zu veröffentlichen, welche an die Bedürfnisse von kleinen und mittleren Unternehmen angepasst ist (wie im ErwG 17 der Restrukturierungsrichtlinie vorgegeben).

14

_____________ 4)

Vgl. Giese/Jungbauer, BB 2020, 2679.

Gerig

1297

§ 101 15

Informationen zu Frühwarnsystemen

Hinsichtlich der Kann-Vorschrift der Restrukturierungsrichtlinie, Arbeitnehmervertretern besondere Unterstützung zur Bewertung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens zu gewähren, sieht das StaRUG keine spezifisch arbeitsrechtlichen Regelungen vor. In Deutschland haben Arbeitnehmervertreter von Unternehmen mit mehr als 100 ständigen Beschäftigten bereits Informationsrechte hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung ihres Unternehmens. Diese Unternehmen sind gemäß § 106 BetrVG verpflichtet, einen Wirtschaftsausschuss zu bilden. Zu den wirtschaftlichen Berichtspflichten eines Unternehmens an den Wirtschaftsausschuss zählen u. a.5) –

die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens,



die Produktions- und Absatzlage,



das Produktions- und Investitionsprogramm sowie



Rationalisierungsvorhaben.

16

Der Wirtschaftsausschuss ist grundsätzlich rechtzeitig und umfassend zu informieren, damit dieser Einfluss auf die Planung nehmen kann.6) Nach jeder Sitzung muss der Wirtschaftsausschuss den Betriebsrat vollständig und umfänglich berichten.7)

17

Allerdings profitieren von dieser Regelung nicht die Arbeitnehmer (-vertreter) in Kleinstunternehmen und einem Teil der kleinen Unternehmen, auf die aber gerade ein Hauptaugenmerk der Restrukturierungsrichtlinie liegt.8) Für die Arbeitnehmervertreter von Kleinst- und kleinen Unternehmen besteht zwar nach § 1 BetrVG die Möglichkeit, einen Betriebsrat einzurichten, wenn diese fünf ständige und wahlberechtigte Mitarbeiter haben, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und von denen mindestens drei zum Betriebsrat wählbar sind. Allerdings hat der Betriebsrat lediglich das Recht auf Unterrichtung durch den Arbeitgeber in Bereichen wie z. B. der Planung der Gestaltung von Arbeitsplatz, -ablauf und -umgebung sowie der personellen Einzelmaßnahmen und Arbeitsschutz. Über eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens hat der Arbeitgeber den Betriebsrat hingegen erst dann zu unterrichten, wenn diese zu Betriebsänderungen führt, also in der Regel erst in einem fortgeschrittenen Krisenstadium.9) _____________ 5) 6) 7) 8)

9)

Vgl. § 106 Abs. 3 BetrVG sowie BAG, Beschl. v. 17.9.1991 – 1 ABR 74/90, ZIP 1992, 798. Vgl. § 106 Abs. 2 BetrVG sowie BAG, Beschl. v. 20.11.1984 – 1 ABR 64/82, ZIP 1985, 498. Vgl. § 108 Abs. 4 BetrVG. Nach den Größenkriterien der hier einschlägigen Bilanzrichtlinie v. 26.6.2013, werden als Kleinstunternehmen solche definiert, die während des Geschäftsjahres durchschnittlich maximal zehn Beschäftigte haben, und als kleine Unternehmen solche mit maximal 50 Beschäftigten, wobei die Beschäftigtenzahl neben der Bilanzsumme und den Nettoumsatzerlösen nur eines von drei Größenmerkmalen darstellt, von denen zwei Größenmerkmale bestimmte Schwellenwerte nicht überschreiten dürfen (Richtlinie 2013/34/EU v. 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/ EWG und 83/349/EWG des Rates – Bilanzrichtlinie, ABl. (EU) L 182/19 v. 29.6.2013). So ist selbst die Insolvenz eines Unternehmens keine Betriebsänderung, aus der sich Beteiligungsrechte des Betriebsrats ergeben würden; vgl. Tillmanns in: Tillmanns/Heise/u. a., BetrVG, § 111 Rz. 6.

1298

Gerig

§ 102

Hinweis- und Warnpflichten

§ 102 Hinweis- und Warnpflichten Gerig

Bei der Erstellung eines Jahresabschlusses für einen Mandanten haben Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte den Mandanten auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes nach den §§ 17 bis 19 der Insolvenzordnung und die sich daran anknüpfenden Pflichten der Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist. Literatur: Cranshaw/Portisch, Paradigmen des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) nach dem Regierungsentwurf aus Gläubigersicht (Teil 2), ZInsO 2020, 2617; Groß, Zur Beurteilung der „handelsrechtlichen Fortführungsprognose“ durch den Abschlussprüfer, WPg 2010, 119; Küting/Strauß, „Coronomics“: Krise(n) und (potenzielle) Krisenbewältigung im betriebswirtschaftlichen Spiegel der Vorgaben des IDW S 6 (2018), DB 2020, 2193; Weitzmann, Ein Frühwarnsystem muss früh warnen, in ZInsO 2019, 1627; Wohlmannstetter, Risikomanagement nach dem BilMoG, ZGR 2010, 472. Stellungnahmen deutscher Institutionen/Verbände: BStBK, Stellungnahme der Bundessteuerberaterkammer zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (BT-Drs. 19/24181) vom 20.11.2020 (zit.: BStBK, Stellungnahme z. RegE SanInsFoG, v. 20.11.2020), abrufbar unter https://www.bstbk.de/downloads/bstbk/steuerrecht-und-rechnungslegung/fachinfos/BStBK-Stellungnahme_Regierungsentwurf_Insovlenzrecht.pdf; IDW, Stellungnahme des Instituts der Wirtschaftsprüfer zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts, v. 2.10.2020 (zit.: IDW, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020), abrufbar unter https://www.idw.de/blob/126248/53d68c73c6a1168f7f18ea7aa3cc7931/downbmjv--saninsfog-data.pdf. (Abrufdatum jeweils 20.8.2021). Übersicht I. II. III. 1.

Normzweck ........................................... 1 Normhistorie ........................................ 4 Hinweis- und Warnpflichten ........... 22 Hinweis- und Warnpflichten von Steuerberatern und Steuerbevollmächtigten ........................................... 23

I.

Normzweck

2.

Hinweis- und Warnpflichten von Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern ......................................... 27 3. Hinweis- und Warnpflichten von Rechtsanwälten .................................... 35 IV. Rechtsfolge ......................................... 39

Für Steuerberater bestehen nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH und für Wirtschaftsprüfer gemäß des Standards S 7 des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW S 7)1) Hinweis- und Warnpflichten bezüglich der Fortführungsfähigkeit des betroffenen Unternehmens gegenüber ihren Mandanten i. R. der Erstellung von Jahresabschlüssen.

1

Mit § 102 soll ausweislich der Gesetzesbegründung eine gesetzliche Klarstellung der bestehenden Hinweis- und Warnpflichten der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer bezüglich der Fortführungsfähigkeit eines Unternehmens ihrer Mandanten i. R. der

2

_____________ 1)

Vgl. IDW, Grundsätze für die Erstellung von Jahresabschlüssen (IDW S 7), Stand: 26.3.2021, IDW Life 6/2021, S. 565.

Gerig

1299

§ 102

Hinweis- und Warnpflichten

Erstellung von Jahresabschlüssen als wichtiges Frühwarnsystem zur Erkennung einer Unternehmenskrise vorgenommen werden. 3

Darüber hinaus sollen diese Hinweis- und Warnpflichten berufsstandsübergreifend auf andere Berufsgruppen, die entsprechende Tätigkeiten erbringen dürfen, ausgeweitet werden; gemäß § 3 Nr. 1 StBerG, der die Befugnis zu unbeschränkter Hilfeleistung in Steuersachen regelt, sind dies neben Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern auch Steuerbevollmächtigte, vereidigte Buchprüfer, Rechtsanwälte sowie niedergelassene europäische Rechtsanwälte. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist kein Grund ersichtlich, die Rechtsprechung des BGH zu den Pflichten des Steuerberaters bei der Erstellung eines Jahresabschlusses isoliert nur für die Erstellungs- und Unterstützungstätigkeiten eines Steuerberaters in das geltende Recht zu übernehmen, da entsprechende Tätigkeiten der Angehörigen anderer Berufsgruppen insoweit vergleichbar sind. II. Normhistorie

4

Ausweislich der Gesetzesbegründung soll mit dem § 102 die Vorgabe der Richtlinie umgesetzt werden, ein oder mehrere Instrumente zur Früherkennung der Bestandsgefährdung von Unternehmen i. S. des Art. 3 Abs. 1 und 2 zu schaffen; demnach müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Unternehmen Zugang zu einem oder mehreren klaren und transparenten Frühwarnsystemen haben, die Umstände erkennen können, die zu einer wahrscheinlichen Insolvenz führen können, und Geschäftsleitern signalisieren können, dass unverzüglich gehandelt werden muss.

5

Die Restrukturierungsrichtlinie enthält keine konkreten Vorgaben für die tatsächliche Ausgestaltung und Wirkweise geeigneter Frühwarnsysteme bzw. -instrumente, sondern belässt es bei der Aufführung einiger Regelbeispiele (Art. 3 Abs. 2 Restrukturierungsrichtlinie); hierzu zählen –

Mechanismen zur Benachrichtigung des Schuldners, wenn dieser bestimmte Arten von Zahlungen nicht getätigt hat;



von öffentlichen oder privaten Organisationen angebotene Beratungsdienste;



Anreize nach nationalem Recht für Dritte, die über relevante Informationen über den Schuldner verfügen, z. B. Wirtschaftsprüfer, Steuerbehörden oder Sozialversicherungsträger, den Schuldner auf negative Entwicklungen aufmerksam zu machen.

6

Grundsätzlich konstatiert der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung, dass es in der Bundesrepublik Deutschland bereits diverse Beratungsangebote, Hinweispflichten und staatliche Förderprogramme gibt, die den Anforderungen der Richtlinie an Frühwarnsysteme genügen. Vor diesem Hintergrund belässt es der Gesetzgeber bei der Kodifizierung der Hinweis- und Warnpflichten der Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer, vereidigten Buchprüfer und Rechtsanwälte bei Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes und somit bei der expliziten Umsetzung eines Teils der Vorgabe in Art. 3 Abs. 2 lit. c der Restrukturierungsrichtlinie in § 102.

7

Die Regelung des § 102 war noch nicht im RefE enthalten, sondern seinerzeit im Berufsrecht als Hinzufügung eines Absatz 5 zum § 57 StBerG bzw. eines Absatz 7 1300

Gerig

§ 102

Hinweis- und Warnpflichten

zum § 43 WpO vorgesehen. Im RegE wurde diese Regelung auf Anwälte ausgeweitet und zusammengefasst berufsstandsübergreifend unter § 108 normiert, woraus nach diversen Streichungen § 102 im BGBl. wurde. Unter den Mechanismen zur Benachrichtigung des Schuldners, wenn dieser bestimmte Arten von Zahlungen nicht getätigt hat (Art. 3 Abs. 2 lit. a Restrukturierungsrichtlinie), können sowohl unternehmensinterne als auch -externe Mechanismen zu verstehen sein. Unternehmensintern sind insbesondere die (in ErwG 16 des Richtlinienentwurfs noch aufgeführten) Frühwarninstrumente der Buchführungs-, Bilanzierungs- und laufenden Überwachungspflichten zu nennen, denen Geschäftsleiter i. R. einer ordentlichen Führung eines Unternehmens nach kaufmännischen Grundsätzen ohnehin obliegen und die sich mit zunehmender Krise sogar noch ausweiten. Soweit die Restrukturierungsrichtlinie darüber hinaus auch direkte Benachrichtigungspflichten staatlicher Stellen an den Schuldner als geeignete Frühwarninstrumente benennt, wird ausweislich der Gesetzesbegründung im Interesse der Vermeidung zusätzlichen Erfüllungsaufwands von einer Implementierung des Art. 3 Abs. 2 lit. a Restrukturierungsrichtlinie in das nationale Recht abgesehen.

8

Von öffentlichen Organisationen angebotene Beratungsdienste i. S. des Art. 3 Abs. 2 lit. b Restrukturierungsrichtlinie sind insbesondere die staatlichen Angebote der Industrie- und Handelskammern sowie der Handwerkskammern, bei denen es sich um berufsständische Körperschaften des öffentlichen Rechts handelt, in welcher die Unternehmen bzw. Handwerksbetriebe einer Region im Wege der Pflichtmitgliedschaft eingebunden sind. Industrie- und Handelskammern basieren auf dem Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern (in der im BGBl. Teil III, Gliederungsnummer 701-1, veröffentlichten bereinigten Fassung). Die Handwerkskammern beruhen auf den §§ 90, 91 HwO (i. d. F. der Bekanntmachung vom 24.9.1998). Da die Beratungsangebote in beiden Regelwerken nicht explizit benannt waren, erfolgt mit dem SanInsFoG2) eine gesetzliche Klarstellung in § 1 Abs. 2 des IHK-Gesetzes bzw. § 91 Abs. 3a der HwO (siehe Art. 19 bzw. Art. 21 SanInsFoG).

9

Ferner wird in der Gesetzesbegründung auf das staatliche Online-Beratungsangebot des Existenzgründungsportals des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (www.existenzgruender.de) verwiesen, das in der Rubrik „Unternehmen führen“ zwei Checklisten zur Erkennung von Krisenanzeichen, die „Früherkennungstreppe“ sowie einen „Crashtest zur Schwachstellen-Früherkennung“ enthält.

10

Von privaten Organisationen angebotene Beratungsdienste i. S. des Art. 3 Abs. 2 lit. b Restrukturierungsrichtlinie können entweder die Erarbeitung unternehmensspezifisch krisenrelevanter Informationen oder die Bereitstellung allgemeiner Frühwarnindikatoren umfassen, die eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage einer Branche oder der Wirtschaft insgesamt anzeigen.

11

Hier sind an erster Stelle Unternehmensberater zu nennen. Insbesondere in mittleren und größeren Unternehmen kommt Unternehmensberatern regelmäßig eine zentrale

12

_____________ 2)

Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256.

Gerig

1301

§ 102

Hinweis- und Warnpflichten

Rolle bei der Krisenerkennung und -prävention zu. So wird auch in ErwG 70 der Restrukturierungsrichtlinie erläutert, dass die Geschäftsleitung u. a. eine professionelle Beratung rund um Restrukturierungs- und Insolvenzthemen in Anspruch nehmen sollte, wenn ein Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten gerät. 13

Sonstige Organisationen, die allgemeine Frühwarnindikatoren veröffentlichen, wie z. B. die Wirtschaftsforschungsinstitute Ifo und ZEW, die Dienstleister IHS Markit und GfK sowie die Deutsche Bundesbank, stellen diese in der Regel monatlich auf ihrer Webseite online ohne Zugriffsbeschränkung zur Verfügung. Diese Frühwarnindikatoren werden zwar nicht unternehmensspezifisch erstellt, geben aber einem Unternehmen Hinweise auf eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit einer Krise oder gar Insolvenz, wenn sich die Lage einer ganzen Branche oder der Wirtschaft insgesamt verschlechtert und die Auswirkungen auf das eigene Unternehmen gewürdigt werden müssen.

14

Den Zugang zu Beratungsangeboten privater Organisationen unterstützt die Bundesregierung durch das Förderprogramm „Förderung unternehmerischen Knowhows“ des BMWi.3) Das Programm fördert anteilig die Inanspruchnahme von Beratungsdienstleistungen zu allen wirtschaftlichen, finanziellen, personellen und organisatorischen Fragen von Unternehmen mit bis zu 249 Beschäftigten (KMUs i. S. des europäischen Rechts). Das Förderprogramm ist ausweislich der Gesetzesbegründung mithin ein staatliches Instrument zur Sicherstellung des Zugangs zu einem Frühwarnsystem i. S. des Art. 3 Restrukturierungsrichtlinie.

15

Nach Art. 3 Abs. 2 lit. c Restrukturierungsrichtlinie können Frühwarnsysteme Anreize nach nationalem Recht für Dritte – wie z. B. Wirtschaftsprüfer, Steuerbehörden oder Sozialversicherungsträger – umfassen, den Schuldner auf negative Entwicklungen seines Unternehmens aufmerksam zu machen.

16

An erster Stelle nennt die Gesetzesbegründung die Hinweispflichten der Abschlussprüfer i. R. der Abschlussprüfung der mittelgroßen und großen Unternehmen i. S. des § 267 HGB. Nach § 321 Abs. 1 Satz 2 und 3 HGB haben die Abschlussprüfer zur Beurteilung der Lage des Unternehmens durch die gesetzlichen Vertreter Stellung zu nehmen und über Tatsachen zu berichten, die den Bestand des geprüften Unternehmens gefährden oder die Entwicklung des Unternehmens beeinflussen können. Nach § 322 Abs. 2 Satz 3 HGB ist im Bestätigungsvermerk gesondert einzugehen auf Risiken, die den Fortbestand des Unternehmens gefährden; nach § 322 Abs. 6 Satz 2 HGB ist anzugeben, ob die Chancen und Risiken der künftigen Entwicklung zutreffend dargestellt sind. Eine ähnliche Berichtspflicht ist auch bei Prüfung von Unternehmen von öffentlichem Interesse vorgesehen.4)

_____________ 3)

4)

Das Programm basiert auf der Rahmenrichtlinie zur Förderung des unternehmerischen Know-hows in der derzeit geltenden Fassung v. 28.12.2015, BAnz AT 31 31.12.2015, B4; die Fortsetzung des Programms für den Anschlusszeitraum 2021 bis 2025 ist bereits beschlossen. Vgl. Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. i der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.4.2014 über spezifische Anforderungen an die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse und zur Aufhebung des Beschlusses 2005/909/EG der Kommission, ABl. (EU) L 158/77 v. 27.5.2014; L 170/66 v. 11.6.2014).

1302

Gerig

§ 102

Hinweis- und Warnpflichten

Diese Regelungen stellen ausweislich der Gesetzesbegründung Frühwarnmechanismen i. S. des Art. 3 Abs. 2 lit. c der Richtlinie dar, wobei der „Anreiz“ darin besteht, die gesetzlichen Vorgaben der Abschlussprüfung und mithin die berufsständischen Pflichten der WpO einzuhalten.

17

Die Pflicht zum Hinweis auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes nach den §§ 17 bis 19 InsO, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist, stellt der § 102 künftig auch für die Tätigkeiten von Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern im Kontext der Erstellung eines Jahresabschlusses und insoweit unabhängig von einem Abschlussprüfungsmandat klar.

18

Anders als Wirtschaftsprüfer sind Steuerberater und Steuerbevollmächtigte sowie Rechtsanwälte in der exemplarischen Liste der Dritten gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. c Restrukturierungsrichtlinie, die über relevante Informationen über den Schuldner verfügen, nicht aufgeführt. Dennoch kodifiziert § 102 künftig berufsstandsübergreifend eine Hinweispflicht auch für die Berufsgruppe der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten sowie der Rechtsanwälte.

19

Für den Berufsstand der Steuerberater resultiert eine Hinweispflicht auf einen möglichen Insolvenzgrund bei Erstellung eines Jahresabschlusses für den Mandanten aus der werkvertraglichen Verpflichtung mit Geschäftsbesorgungscharakter des Auftrags.5) Der „Anreiz“ i. S. des Art. 3 Abs. 2 lit. c Restrukturierungsrichtlinie besteht ausweislich der Richtlinie hier darin, die berufsständischen Pflichten aus dem Steuerberatungsgesetz (§ 57 Abs. 1 StBerG) ordnungsgemäß zu erfüllen.

20

Vergleichbare Anreize oder gar Pflichten werden weiteren Dritten, die als wesentliche Gläubiger kraft ihrer rechtlichen und tatsächlichen Gläubigerposition über aktuelle Informationen über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens verfügen und diese auch verifizieren können,6) im StaRUG nicht auferlegt. Letztere umfassen z. B. Steuerbehörden und Sozialversicherungsträger, die in Art. 3 Abs. 2 lit. c Restrukturierungsrichtlinie genannt werden, sowie insbesondere Banken, auch wenn diese nicht explizit in Art. 3 Abs. 2 lit. c Restrukturierungsrichtlinie aufgeführt sind.7) Ebenfalls

21

_____________ 5) 6) 7)

Vgl. BGH, Urt. v. 26.1.2017 – IX ZR 285/14, Rz. 14, 38, 44 ff, BGHZ 213, 374 = ZIP 2017, 427. Vgl. Sinz/Spliedt in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in der Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 1.205, 1.271. Vgl. Europäisches Parlament, Niebler-Bericht v. 21.8.2018, S. 15, der im Kontext des Art. 3 Abs. 2 lit. c „Berichts- oder Unterrichtungspflichten Dritter, zum Beispiel Wirtschaftsprüfer, Steuerbehörden und Sozialversicherungsträger oder bestimmter Arten von Gläubigern“ vorgeschlagen hatte; Letztere wurden im Zuge der Trilogverhandlungen zwischen der Kommission, dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament wieder gestrichen (Europäisches Parlament, Bericht des Rechtsausschusses über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU (COM(2016)0723 – C8-0475/2016 [2016/0359(COD)), (A80269/2018), v. 21.8.2018 (Niebler-Bericht), abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/ doceo/document/A-8-2018-0269_DE.pdf [Abrufdatum: 20.8.2021]).

Gerig

1303

§ 102

Hinweis- und Warnpflichten

nicht aufgeführt werden hier Kreditversicherer, obwohl diese einzelne Unternehmen und meist ganze Branchen intensiv auf Risikoanzeichen „monitoren“.8) III. Hinweis- und Warnpflichten 22

Die Hinweis- und Warnpflichten sämtlicher Berufsangehöriger, die mit der Erstellung von Jahresabschlüssen betraut sein können, werden nachfolgend für Steuerberater und Steuerbevollmächtigte, für Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer sowie für Rechtsanwälte dargestellt; sie ersetzen ausweislich der Gesetzesbegründung nicht die eigenen Pflichten der Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement nach § 1 sowie weiteren Gesetzen, sondern ergänzen diese vielmehr. 1.

Hinweis- und Warnpflichten von Steuerberatern und Steuerbevollmächtigten

23

Nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH besteht für Steuerberater i. R. der Erstellung von Jahresabschlüssen für ihre Mandanten eine Pflicht zur Prüfung, ob sich auf der Grundlage der ihnen zur Verfügung stehenden Unterlagen und der ihnen sonst bekannten Umstände tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten ergeben, die einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen können. Darüber hinaus haben Steuerberater eine Hinweis- und Warnpflicht, ihre Mandanten auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht ihres Geschäftsleiters hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass die mögliche Insolvenzreife ihren Mandanten nicht bewusst ist. Dies gilt insbesondere, wenn die Gefahr Interessen des Auftraggebers betrifft, die mit dem beschränkten Auftragsgegenstand in engem Zusammenhang stehen.9)

24

Der BGH hat in seinem Urteil vom 26.1.2017 klargestellt, dass der mit der Erstellung des Jahresabschlusses beauftragte Steuerberater grundsätzlich einen den handelsrechtlichen Vorschriften entsprechenden, die Grenzen der zulässigen Gestaltungsmöglichkeiten nicht überschreitenden und in diesem Sinne richtigen Jahresabschluss schulde. Gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB ist in einer Handelsbilanz bei der Bewertung von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen. Von diesen Grundsätzen darf gemäß § 252 Abs. 2 HGB nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden. § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB bestimmt zudem, dass der Jahresabschluss unter Beachtung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft zu vermitteln hat. Angesichts der fachlichen Kompetenz des Steuerberaters dürfe der Mandant erwarten, dass der Steuerberater den Jahresabschluss entsprechend dem Inhalt der dem Steuerberater zur Verfügung gestellten Unterlagen und den sonst dem Steuerberater bekannten Umständen vollständig erstelle, Bewertungsfragen – im Zusammenwirken mit dem Mandanten – kläre und bei offenen _____________ 8) 9)

Vgl. Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2619. Vgl. BGH, Urt. v. 26.1.2017 – IX ZR 285/14, Rz. 19 und 44, BGHZ 213, 374 = IX ZR 285/14.

1304

Gerig

§ 102

Hinweis- und Warnpflichten

Fragen über die damit zusammenhängende Problematik aufkläre sowie eine Entscheidung des Mandanten herbeiführe. Entsprechende Hinweis- und Warnpflichten sind den Verlautbarungen der Bundessteuerberaterkammer zu den Grundsätzen für die Erstellung von Jahresabschlüssen zu entnehmen; demnach hat der Steuerberater gegenüber dem Mandanten eine Hinweis- und Warnpflicht, „wenn der Steuerberater i. R. seines Auftrages einen Insolvenzgrund (Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO, drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO sowie Überschuldung nach § 19 InsO) erkennt oder ernsthafte Anhaltspunkte für einen möglichen Insolvenzgrund offenkundig sind und er annehmen muss, dass die mögliche Insolvenzreife dem Mandanten nicht bewusst ist.“10) Der Steuerberater ist jedoch ohne einen expliziten Auftrag nicht verpflichtet, über die zur Verfügung gestellten Informationen und die ihm sonst bekannten Umstände hinaus eine entsprechende Prüfung hinsichtlich des Bestehens einer Insolvenzreife durchzuführen.

25

Ausweislich der Gesetzesbegründung werden die Hinweis- und Warnpflichten als Instrument zur Früherkennung i. S. des Art. 3 Abs. 1 und 2 lit. c Restrukturierungsrichtlinie künftig auch gesetzlich klargestellt, woraus sich für den Steuerberater keine neuen Pflichten und daraus resultierend keine neuen Haftungstatbestände ergeben, da sie gemäß der Rechtsprechung des BGH aus der Mandantenbeziehung resultieren.

26

2.

Hinweis- und Warnpflichten von Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern

Für den (in der Praxis im Vergleich zu Steuerberatern etwas selteneren) Fall, dass ein Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer mit der Erstellung eines Jahresabschlusses beauftragt ist, gibt der IDW S 7 entsprechende Hinweispflichten gegenüber dem jeweiligen Unternehmen vor. Demnach werden bei der Erstellung von Jahresabschlüssen unterschiedliche Auftragsarten (mit und ohne Plausibilitätsbeurteilungen) unterschieden, nach denen sich die Tiefe der Analyse der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens bestimmt. Unabhängig davon muss der Wirtschaftsprüfer gemäß des IDW S 7 das Unternehmen jedoch auf bestandsgefährdende Risiken hinweisen, soweit er solche bei der Durchführung des Erstellungsauftrags festgestellt hat. Diese Pflicht ergibt sich aus der Treuepflicht gegenüber dem Mandanten (vgl. IDW S 7 Rz. 78) und verlangt eine Adressierung im Erstellungsbericht oder in sonst geeigneter Weise, soweit die ihm vorgelegten Unterlagen und ggf. die Ausführungen im Lagebericht eine solche Beurteilung erlauben.

27

Insoweit stellen ausweislich der Gesetzesbegründung die Hinweis- und Warnpflichten eines Wirtschaftsprüfers ebenfalls ein Instrument zur Früherkennung von Unternehmenskrisen i. S. des Art. 3 Abs. 1 und 2 lit. c Restrukturierungsrichtlinie dar und

28

_____________ 10) Rz. 98 der Hinweise zu den Verlautbarungen der BStBK zu den Grundsätzen für die Erstellung von Jahresabschlüssen in Bezug auf Gegebenheiten, die der Annahme der Unternehmensfortführung entgegenstehen, abrufbar unter https://www.bstbk.de/downloads/ bstbk/steuerrecht-und-rechnungslegung/fachinfos/BStBK_FAQs_Krisenunternehmen.pdf (Abrufdatum: 20.8.2021).

Gerig

1305

§ 102

Hinweis- und Warnpflichten

werden im Lichte der oben erläuterten aktuellen Rechtsprechung des BGH zu den Hinweis- und Warnpflichten eines Steuerberaters künftig gesetzlich klargestellt. 29

Die berufsständische Auffassung ist aber immer noch strenger als die höchstrichterliche Rechtsprechung (zur Haftung des Steuerberaters siehe oben Rz. 24): Ein Jahresabschluss darf nach IDW S 7 auch dann nicht von einem Wirtschaftsprüfer zu Fortführungswerten erstellt werden, wenn die Geschäftsleitung vom Wirtschaftsprüfer auf eine möglicherweise vorliegende Insolvenzreife hingewiesen wurde, sie aber explizit eine Erstellung zu Fortführungswerten anweist.

30

Im Rahmen der Prüfung von Jahresabschlüssen sind entsprechende Pflichten des Wirtschaftsprüfers bereits hinreichend in § 321 Abs. 1 Satz 1 HGB gesetzlich verankert. Darüber hinaus erfüllen Wirtschaftsprüfer i. R. umfangreicher Prüfungs-, Berichts- und Hinweispflichten (z. B. § 322 Abs. 2 HGB, § 317 Abs. 2 und Abs. 4a HGB sowie IDW EPS 270, Rz. A 12) die wichtige Funktion, Unternehmen frühzeitig auf eine Krise hinzuweisen.11)

31

Der Wirtschaftsprüfer in seiner Kernfunktion als Abschlussprüfer ist in der Krise seines Mandanten mit der Fragestellung des Going Concern, also der Fortführungsfähigkeit der Unternehmenstätigkeit, konfrontiert. Dem Wirtschaftsprüfer drohen Haftungsrisiken, wenn die Fragestellung des Going Concern, die originär von der Geschäftsleitung des Unternehmens beantwortet werden muss, nicht oder falsch entschieden wird. Gleichwohl ist festzuhalten, dass der Fokus der Abschlussprüfung auf der Einhaltung der einschlägigen Rechnungslegungsvorschriften liegt.

32

Im Rahmen der Abschlussprüfung hat der Wirtschaftsprüfer eine Redepflicht, wenn er Tatsachen identifiziert, die den Bestand des geprüften Unternehmens gefährden oder seine Entwicklung wesentlich beeinträchtigen können. Solche Tatsachen hat der Wirtschaftsprüfer gemäß § 321 Abs. 1 Satz 2 HGB in der Vorwegberichterstattung über die Beurteilung des Fortbestandes und der künftigen Entwicklung des Unternehmens in seinem Prüfungsbericht aufzuführen.12)

33

Besteht ein bestandsgefährdendes Risiko, ist ein eigener Abschnitt „Wesentliche Unsicherheit im Zusammenhang mit der Fortführung der Unternehmenstätigkeit“ im Bestätigungsvermerk des Prüfungsberichts i. S. eines Bestandsgefährdungshinweises erforderlich (vgl. IDW EPS 270 n. F.13) zur Beurteilung der Fortführung der Unternehmenstätigkeit i. R. der Abschlussprüfung). Besteht eine wesentliche Unsicherheit hinsichtlich der Fähigkeit zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit, muss die Geschäftsleitung eine Einschätzung zur Fortführung des Unternehmens im Jahresabschluss (im Anhang oder Lagebericht) vornehmen.

34

Schließlich hat der Wirtschaftsprüfer zu prüfen, ob die im Lagebericht aufgeführten Chancen und Risiken der zukünftigen Entwicklung zutreffend dargestellt sind (§ 317 Abs. 2 Satz 2 HGB); als Basis für eine fundierte Einschätzung muss sich der Wirt-

_____________ 11) Vgl. IDW, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 2.10.2020, S. 3. 12) Vgl. Groß, WPg 2010, 119, 130. 13) Vgl. IDW, Die Beurteilung der Fortführung der Unternehmenstätigkeit im Rahmen der Abschlussprüfung (IDW EPS 270 n. F.), Stand: 29.4.2021, IDW Life 7/2021, S. 611.

1306

Gerig

§ 102

Hinweis- und Warnpflichten

schaftsprüfer auch mit dem zugrunde liegenden Risikomanagementsystem des Unternehmens beschäftigen.14) 3.

Hinweis- und Warnpflichten von Rechtsanwälten

Im Zuge der berufsstandsübergreifenden Regelung der Hinweis- und Warnpflichten i. R. der Erstellung von Jahresabschlüssen sind auch Rechtsanwälte sowie niedergelassene europäische Rechtsanwälte von der Kodifizierung der Rechtsprechung zu den Hinweis- und Warnpflichten eines Steuerberaters bei Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes in § 102 betroffen.

35

In der Praxis sind Rechtsanwälte jedoch eher punktuell mit der Jahresabschlusserstellung ihrer Mandanten befasst, z. B. mit der Würdigung bedeutsamer Unternehmensverträge, mit der Risikoeinschätzung i. R. der Bildung von Rückstellungen oder mit der Beratung der Geschäftsleiter im Kontext der Fortführungsprognose.

36

Sofern sich aus solchen Tätigkeiten Anhaltspunkte für Rechtsanwälte auf der Grundlage der ihnen zur Verfügung stehenden Unterlagen und der ihnen sonst bekannten Umstände ergeben, die einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen können, müssen sie ihre Mandanten auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht ihres Geschäftsleiters hinweisen, wenn sie annehmen müssen, dass die mögliche Insolvenzreife ihren Mandanten nicht bewusst ist.

37

Ansonsten liegt bei Rechtsanwälten die Befassung mit der wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Mandanten im Regelfall außerhalb ihres Auftragsverhältnisses. Allerdings kann sich i. R. einer umfassenden Betreuung der Geschäftsleitung, insbesondere auch mit Sanierungsaufgaben, aus dem besonderen Vertrauensverhältnis eine Hinweispflicht auf rechtliche und finanzielle Risiken in der Unternehmensentwicklung ergeben.15)

38

IV. Rechtsfolge Die in § 102 vorgegebenen Hinweis- und Warnpflichten für sämtliche Berufsangehörige, die mit der Erstellung von Jahresabschlüssen i. R. von Mandantenbeziehungen betraut sein können, setzen überwiegend an den Daten der externen Rechnungslegung aus der Buchhaltung und damit an vergangenheitsorientierten Informationen an. Daher stellen die Hinweis- und Warnpflichten ein Frühwarninstrument dar, das infolge der veralteten Datenbasis in der Regel zu spät anschlägt.16) Lediglich die Beschäftigung der die Jahresabschlüsse erstellenden Berufsangehörigen mit der Unternehmensplanung i. R. der Fortführungsprognose der Geschäftsleiter ermöglicht einen zweckmäßigen Beitrag zu einem funktionierenden Frühwarnsystem.

39

Im Gegensatz zur Einschätzung in der Gesetzesbegründung als gesetzliche Klarstellung hält die Bundessteuerberaterkammer die Implementierung von Hinweis- und Warnpflichten für Steuerberater im § 102 durch die Kodifizierung des BGH-Urteils

40

_____________ 14) Vgl. Wohlmannstetter, ZGR 2010, 472, 474. 15) Vgl. Spliedt in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in der Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 1.277 f. 16) Vgl. Weitzmann, ZInsO 2019, 1627, 1632.

Gerig

1307

§ 102

Hinweis- und Warnpflichten

vom 26.1.2017 weder für tauglich noch zielführend. Einerseits weist die Bundessteuerberaterkammer darauf hin, dass die Leitsätze des BGH-Urteils in der Fachliteratur kontrovers diskutiert werden und ggf. noch nicht den Abschluss aller Fragen der Steuerberaterhaftung darstellen; daher sei die Aufbereitung des BGH-Urteils in den oben genannten Hinweisen zur Verlautbarung der Bundessteuerberaterkammer ausreichend und einer kurzfristigen Anpassung im Falle von weiteren Urteilen zugänglich. Andererseits können Hinweis- und Warnpflichten für Steuerberater im StaRUG nach Ansicht der Bundessteuerberaterkammer bestenfalls ein „Spätwarnsystem“ darstellen, da Jahresabschlüsse stets nachlaufend erstellt werden. Zudem könnten nach Ansicht der Bundessteuerberaterkammer nicht überschaubare Haftungsrisiken für Steuerberater in Folge einer möglicherweise drittschützenden Wirkung des § 102 resultieren.17) 41

Für den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer und der vereidigten Buchprüfer dürfte sich hingegen keine Veränderung der aktuellen Rechtslage durch die Verankerung der Warn- und Hinweispflichten auf einen möglichen Insolvenzgrund in § 102 ergeben – nicht bei der Erstellung eines Jahresabschlusses und erst recht nicht bei der Prüfung eines Jahresabschlusses für den Mandanten.

42

Wie oben ausgeführt, werden vergleichbare Anreize oder gar Pflichten weiteren Dritten, die als wesentliche Gläubiger kraft ihrer rechtlichen und tatsächlichen Gläubigerposition über aktuelle Informationen über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens verfügen und diese auch verifizieren können, im StaRUG nicht auferlegt (siehe oben Rz. 21); hier sind die Steuerbehörden und Sozialversicherungsträger sowie insbesondere Kreditinstitute, aber auch (indirekt) Kreditversicherer zu nennen.

43

Für die Finanzbehörden gilt das Ausbleiben der regelmäßigen Steuervorauszahlungen durch das Unternehmen als wirksamer Krisenindikator.18) Die Finanzbehörden verfügen über wirksame Mittel, um den Wahrheitsgehalt der Informationen zu überprüfen (insbesondere durch die Durchführung von Betriebsprüfungen vor Ort beim Unternehmen), und qua Gesetz über wirksame Sanktionen bei Nichtzahlung von Steuern: Es drohen Säumniszuschläge oder Vollstreckungsmaßnahmen durch das Finanzamt. Dabei müssen die Finanzbehörden die Zwangsvollstreckung weder beantragen noch benötigen sie einen Vollstreckungsbescheid oder Titel gegen den Schuldner; vielmehr können die Finanzbehörden direkt aus dem wirksamen Steuerbescheid vollstrecken.

44

Für den Sozialversicherungsträger gilt schon das Ausbleiben der regelmäßigen Beitragszahlungen durch das Unternehmen als wirksamer Krisenindikator. Auch die Sozialversicherungsträger verfügen qua Gesetz über die Möglichkeit, i. R. von Betriebsprüfungen den Wahrheitsgehalt der Unternehmensinformationen zu validieren, und über wirksame Sanktionen bei Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen: Die Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen am Gesamtsozialversicherungsbeitrag ist – wenn sie vorsätzlich erfolgt – eine Straftat (§ 266a StGB). Dabei haftet der Arbeitgeber nicht nur für die richtige Berechnung, sondern auch für die Abführung _____________ 17) Vgl. BStBK, Stellungnahme z. RegE SanInsFoG, v. 20.11.2020, S. 6 ff. 18) Vgl. Sinz in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in der Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 1.217 ff.

1308

Gerig

§ 102

Hinweis- und Warnpflichten

der Beiträge zur Sozialversicherung (§ 28e SGB IV). Besondere Wirksamkeit entfalten diese Rechtsfolgen angesichts der erleichterten Antragsvoraussetzungen im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitsgebers, für deren Nachweis schon ein Leistungsbescheid ohne Zahlungseingang ausreicht.19) Die Abführung der Arbeitnehmeranteile hat gemäß der aktuellen Rechtsprechung gegenüber etwaiger anderer Zahlungsverpflichtungen des Arbeitgebers immer Vorrang. Dies führt aber auch dazu, dass Geschäftsleitungen in der Regel ihre Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Sozialversicherungsträger im Zuge ihres Liquiditätsmanagements prioritär erfüllen werden, weshalb zu vermuten ist, dass Sozialversicherungsträger die Krise des betreffenden Unternehmens tendenziell später realisieren als andere Gläubiger. Kreditinstitute als Risikospezialisten und externe Risikofrüherkenner werden weder in der Richtlinie noch im StaRUG aufgeführt, obwohl die Risikofrüherkennung bei Kreditkunden eine wesentliche Geschäftsgrundlage der Finanzierung darstellt und auch aufsichtsrechtlich auferlegt ist (Unionsrecht, inländisches Recht nach KWG und MaRisk).20) Oftmals in der Rolle des Hauptgläubigers haben die Kreditinstitute ein gesteigertes Interesse daran, eine aufkommende Krise ihres Kreditnehmers möglichst frühzeitig zu erkennen, um geeignete Maßnahmen zur Abwehr einer Insolvenz, die oftmals mit einem signifikanten Verlust des Kreditengagements einhergeht, zu initiieren.21) Kreditinstitute haben zudem die Ressourcen, komplexere Methoden der externen Bilanzanalyse i. R. von Kreditwürdigkeitsprüfungen zur Krisenfrüherkennung einzusetzen, wie z. B. die Diskriminanzanalyse oder die Nutzung sog. neuronaler Netze.22) In einer Sanierung fordern Kreditinstitute ein in der Regel externes Sanierungskonzept bzw. -gutachten mit der objektiven Feststellung der Sanierungsfähigkeit durch einen auf Sanierungen und Restrukturierungen spezialisierten Wirtschaftsprüfer oder Unternehmensberater.23)

45

Auch die Kreditversicherer verfügen über sachdienliche Informationen, die eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens anzeigen können. Kreditversicherer sammeln Informationen über ein Unternehmen und ganze Branchen, um den möglichen Ausfall von Forderungen bei Warenlieferungen oder Dienstleistungen, der Gegenstand ihres Versicherungsschutzes ist, zu überwachen. Hierbei besteht das Vertragsverhältnis aus dem Kreditversicherungsvertrag allerdings nicht zum Unternehmen selbst, sondern zum Lieferanten oder Dienstleister des Unternehmens, der die Bezahlung von Warenlieferungen oder Dienstleistungen durch das Unternehmen absichern will.

46

_____________ 19) Vgl. Sinz in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in der Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 1.215 ff. 20) Vgl. Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2619. 21) Vgl. Kuder/Unverdorben in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in der Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 1.231 ff. 22) Vgl. Küting/Strauß, DB 2020, 2193, 2200. 23) Vgl. hierzu den Standard IDW, Anforderungen an Sanierungskonzepte (IDW S 6) i. d. F. v. 16.5.2018, IDW Life 8/2018, S. 813, der auf der höchstrichterlichen Rspr. zum Komplex der Sanierungskonzepte beruht.

Gerig

1309

C. Sanierungssteuerrecht

Steuerliche Fragen der Sanierung i. R. des Restrukturierungsverfahrens Mayer

Literatur: Bogenschütz, Regresslose Schuldübernahme als Sanierungsinstrument, Ubg 2010, 407; Born, Aktuelle Steuerfragen im Zusammenhang mit Debt-Equity-Swap-Transaktionen, BB 2009, 1730; Briese, Forderungsverzicht gegen Besserungsschein sowie qualifizierter Rangrücktritt in Handels- und Steuerbilanz, DStR 2017, 799; Desens, Die neue Besteuerung von Sanierungserträgen, FR 2017, 981; Eilers/Tiemann, Alles geklärt bei der Steuerfreiheit von Sanierungserträgen? Warum der Gesetzgeber nachbessern muss, Ubg 2020, 190; Eilers/Walter-Yadegardjam, Die wirtschaftlichen Folgen der Covid-19 Pandemie: Eine Bewährungsprobe für das deutsche Sanierungssteuerrecht, FR 2020, 481; Förster, Steuerliche Aspekte der Entlastung einer Kapitalgesellschaft von Verbindlichkeiten durch ihre Gesellschafter, Ubg 2010, 758; Gosch, Rechtsmissbrauch durch Erwerb einer nicht werthaltigen Forderung statt eines Forderungsverzichts, StBp 2001, 180; Gragert, Steuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen, Fortentwicklung der Verwaltungsauffassung bei der Gewährung von Billigkeitsmaßnahmen, NWB 2013, 2141; Häuselmann, Restrukturierung von Finanzverbindlichkeiten und ihre Abbildung in der Bilanz, BB 2010, 944; Hölzle, Die Sanierung des Insolvenzsteuerrechts – oder: die Besteuerung von Sanierungsgewinnen, ZIP 2020, 301; Kahlert, Bilanzierung des qualifizierten Rangrücktritts – Erwiderung zu W. Müller, BB 2016, 491, BB 2016, 878; Kahlert/Schmidt, Löst ein Forderungsverzicht zu Sanierungszwecken nach § 7 Abs. 8 ErbStG Schenkungsteuer aus?, DStR 2012, 1208; Ley, Ertragsteuerbrennpunkte bei der Liquidation einer GmbH & Co. KG, kösdi 2005, 14815; Mayer, Asset Deal wegen § 73 AO? – Reichweite der Haftung bei Unternehmensverkäufen, DStR 2011, 109; Müller, Bilanzierung des qualifizierten Rangrücktritts, BB 2016, 491; Oser, Auflösung von Verbindlichkeiten mit Rangrücktritt in Handels- und Steuerbilanz, DStR 2017, 1889; Rödding/Bühring, Neue Transaktionsformen als Folge der Finanzmarktkrise – Überblick über die steuerlichen Aspekte, DStR 2009, 1933; Scheifele/ Nees, Der Rangrücktritt aus steuerrechtlicher Sicht – Unter Berücksichtigung von BGH vom 5.3.2015 – IX ZR 133/14 und BFH vom 15.04.2015 – I R 44/14, Der Konzern 2015, 417; Scheunemann/Mandelsloh/Preuß, Negativer Kaufpreis beim Unternehmenskauf – Bilanzielle und steuerliche Behandlung, DB 2011, 201; Scheunemann/Preuß, Auflösung passiver Ausgleichsposten nach Erwerb von Mitunternehmeranteilen mit negativem Kaufpreis, DB 2011, 674; Schmidt/Mielke, Steuerfolgen von Sanierungsmaßnahmen, Ubg 2009, 395; Schulte/Petschulat, Die subjektive Seite der disquotalen Einlage im Schenkungsteuerrecht – § 7 Abs. 8 S. 1 ErbStG, BB 2013, 471; Schulte-Krumpen, Bilanz- und ertragsteuerliche Wirkungsanalyse finanz-wirtschaftlicher Sanierungsmaßnahmen bei Kapitalgesellschaften, Hamburg 2010 (Diss.); Sedlitz, Das Ping-Pong um den Sanierungserlass, DStR 2017, 2785; Töben/Lohbeck/Specker, Rettungsmaßnahmen auf der Schuldenseite zur Überwindung der Krise, NWB 2009, 1484; Wagner, § 8c KStG: Verschonungsregelung bei stillen Reserven – Neuerungen und Zweifelsfragen, DB 2010, 2751. Übersicht I. Einleitung ............................................. 1 II. Forderungsverzicht und Besteuerung von Sanierungsgewinnen .......... 5 1. Sanierungsgewinn auf Ebene der Gesellschaft durch Forderungsverzicht .................................................. 5 2. § 3a EStG kodifiziert die bisherige Sanierungserlasspraxis ........................... 7 3. Voraussetzungen und Rechtsfolgen des § 3a EStG ......................................... 9 a) Zeitlicher Anwendungsbereich ..... 9 b) Tatbestand .................................... 10

4.

aa) Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens ....................... 13 bb) Sanierungsfähigkeit des Unternehmens ........................................ 14 cc) Sanierungseignung des Schuldenerlasses .................................... 16 dd) Sanierungsabsicht/betrieblich veranlasster Schuldenerlass .......... 17 c) Verfahrensrechtliche Absicherung ................................. 21 d) Rechtsfolgen ................................. 23 Schenkungsteuer ................................. 27

Mayer

1313

Steuerliche Fragen der Sanierung 5. 6.

Alternative Gestaltungen .................... Exkurs: Debt Equity/Mezzanine Swap ..................................................... III. Debt Push-up ...................................... 1. Vor- und Nachteile im Vergleich zum Forderungsverzicht ................................................

I.

29 32 36 38

2.

Kernmerkmal: (vollwertige) Einlage durch Gesellschafter ............................ 40 3. Kritische Aspekte ................................ 42 IV. Rangrücktritt ...................................... 45 V. Distressed M&A ................................. 50 VI. Internationale Aspekte ...................... 51 VII. Fazit .................................................... 55

Einleitung

1

Ein erfolgreiches Sanierungskonzept setzt zwingend die Berücksichtigung der steuerlichen Folgen der Sanierungsmaßnahmen voraus. Im Mittelpunkt steht dabei in aller Regel, unliebsame Konsequenzen für das zu sanierende Unternehmen zu vermeiden (wie etwa die Besteuerung eines Sanierungsgewinns infolge eines Forderungsverzichts). Dies setzt eine sehr sorgfältige steuerliche Strukturierung voraus.

2

Die steuerlichen Rahmenbedingungen für Restrukturierungen sind verbesserungsfähig. Zwar wurde durch das JStG 2018 § 3a EStG (sowie § 7b GewStG) in Kraft gesetzt und damit der frühere Sanierungserlass der Finanzverwaltung endlich in ein Gesetz gegossen; von diesem Sanierungsinstrument ist seitdem in Deutschland wieder rege Gebrauch gemacht worden. Auch ist z. B. erfreulich, dass Absatz 1a des § 8c KStG für europarechtskonform erklärt worden ist. Im Übrigen haben aber die in einer Krisensituation relevanten Steuernormen nach wie vor in den meisten Fällen eine unangemessen belastende Wirkung. So ist etwa die Verlustnutzung durch die Mindestbesteuerung (§ 10d Abs. 2 EStG) oder Verlustvernichtungsvorschriften wie § 8c KStG (außerhalb der eng definierten Ausnahmen) stark eingeschränkt. Auch die Zinsschranke stellt eine enorme Belastung gerade für Krisenunternehmen dar: Obwohl diese wegen drückender Schuldenlast handelsbilanziell Verluste erzielen, führt die Versagung des Zinsabzugs nicht selten dazu, dass diese Unternehmen nach wie vor steuerlich ein positives Ergebnis ausweisen und entsprechend versteuern müssen. Und Gesellschafter, die Unternehmen mit Fremdkapital versorgen, können etwaige Wertverluste ihrer Darlehen steuerlich nicht geltend machen (§ 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG). Positiv zu vermerken ist, dass die Finanzbehörden in aller Regel mit Augenmaß Restrukturierungen i. R. des gesetzlich Zulässigen begleiten.

3

Im Steuerrecht geht es daher auch nicht darum, Restrukturierung steuerlich zu optimieren, sondern mit den negativen Folgen der einschlägigen Steuernormen besser umzugehen und „steuerliche GAUs“ wie einen steuerpflichtigen Sanierungsgewinn in Millionenhöhe zu vermeiden, der das Unternehmen in den Ruin treiben und damit das Gegenteil der beabsichtigten Restrukturierung bewirken würde. Der folgende Abschnitt konzentriert sich auf die in der Praxis typischen Sanierungsinstrumente in der Krise eines deutschen Unternehmens und damit zusammenhängende wesentliche Steuerfragen mit Fokus auf die Kapitalgesellschaft bzw. den kapitalistischen Konzern. Er versteht sich insoweit als kleiner Leitfaden der klassischen Problemfelder im Sanierungssteuerrecht.1)

4

_____________ 1)

Das weite Feld des Insolvenzsteuerrechts wird in diesem Beitrag nicht vertieft – vgl. hierzu die ausführliche Darstellung etwa bei König in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 36 S. 821 ff.; Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, Kap. 7 bis 9 S. 361 ff.; Damaschke in: MünchAHB Insolvenz und Sanierung, § 28 S. 786 ff.

1314

Mayer

Steuerliche Fragen der Sanierung II. Forderungsverzicht und Besteuerung von Sanierungsgewinnen 1.

Sanierungsgewinn auf Ebene der Gesellschaft durch Forderungsverzicht

Neben der Zuführung von Kapital/Liquidität durch die Unternehmenseigner oder fremde Dritte (was in aller Regel ohne steuerliche Komplikationen möglich ist) steht bei der Sanierung eines Unternehmens in fast allen Fällen der Abbau von Verbindlichkeiten im Vordergrund. Die hierfür am häufigsten ins Auge gefasste Maßnahme ist der (teilweise) Verzicht auf Forderungen.

5

Der (teilweise) Wegfall einer Verbindlichkeit infolge des Verzichts durch den Gläubiger führt auf Ebene des Schuldnerunternehmens zu einem steuerpflichtigen Ertrag („Sanierungsgewinn“). Dies gilt auch dann, wenn der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft auf eine nicht werthaltige Forderung gegenüber der Gesellschaft verzichtet.2) Die Einlagegrundsätze kommen nach einer Entscheidung des Großen Senats des BFH nur zur Anwendung, soweit die Forderung werthaltig ist; i. H. des nicht werthaltigen Teils der Forderung liegt eine steuerpflichtige Gewinnrealisierung vor.3)

6

2.

§ 3a EStG kodifiziert die bisherige Sanierungserlasspraxis

Die Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen war zunächst durch § 3 Nr. 66 EStG a. F. kodifiziert. Diese Vorschrift wurde abgeschafft4) und in der Folge regelte der sog. Sanierungserlass der Finanzverwaltung5) eine entsprechende Steuerbefreiung. Am 28.11.2016 entschied allerdings der Große Senat des BFH, dass die bisherige Sanierungserlasspraxis nicht mit dem Grundsatz der gesetzmäßigen Verwaltung in Einklang steht.6) Daraufhin hat der Gesetzgeber reagiert und mit dem „Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechtsüberlassung“ vom 27.6.2017 die bisherige Verwaltungspraxis durch Einführung des § 3a EStG (wieder) in ein Gesetz gegossen.7) Diese Regelung stand zunächst unter dem Anwendungsvorbehalt der Feststellung du