Standorterhaltung und Arbeitskampf: Zur Zulässigkeit von Arbeitskämpfen anlässlich unternehmerischer Umstrukturierungsvorhaben am Beispiel des Standortarbeitskampfes [1 ed.] 9783428533909, 9783428133901

Klaus Olschewski befasst sich in der vorliegenden Dissertation mit dem Phänomen des Standortarbeitskampfes. Ziel der Arb

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Standorterhaltung und Arbeitskampf: Zur Zulässigkeit von Arbeitskämpfen anlässlich unternehmerischer Umstrukturierungsvorhaben am Beispiel des Standortarbeitskampfes [1 ed.]
 9783428533909, 9783428133901

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 292

Standorterhaltung und Arbeitskampf Zur Zulässigkeit von Arbeitskämpfen anlässlich unternehmerischer Umstrukturierungsvorhaben am Beispiel des Standortarbeitskampfes

Von

Klaus Olschewski

Duncker & Humblot · Berlin

KLAUS OLSCHEWSKI

Standorterhaltung und Arbeitskampf

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 292

Standorterhaltung und Arbeitskampf Zur Zulässigkeit von Arbeitskämpfen anlässlich unternehmerischer Umstrukturierungsvorhaben am Beispiel des Standortarbeitskampfes

Von

Klaus Olschewski

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2010 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-13390-1 (Print) ISBN 978-3-428-53390-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-83390-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Anna Maria Bardong Olschewski (1947–2009) zum Gedenken

Vorwort Die vorliegende Abhandlung ist von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Sommersemester 2010 als Dissertation angenommen worden. Anlässlich ihrer Veröffentlichung wurde die im November 2009 abgegebene Arbeit nochmals aktualisiert. Die Änderungen, die mit dem In-Kraft-Treten des „Vertrags von Lissabon“ verbunden sind, wurden dabei insofern berücksichtigt, als dass auf die nunmehr geltenden Vorschriften des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hingewiesen wird, sofern eine Vorschrift des EG-Vertrags, der bei Erstellung des Manuskripts herangezogen wurde, zitiert wird. Mein Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Professor Dr. Raimund Waltermann, der mich in vielfältiger Weise fachlich und persönlich unterstützt und gefördert hat. Die Zeit an seinem Lehrstuhl wird mir in bester Erinnerung bleiben. Professor Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard) danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und seinen stetigen Ansporn, die Arbeit zu einem guten Abschluss zu bringen. Für die sorgfältige Durchsicht des Manuskripts und ihre stetige Diskussionsbereitschaft bin ich Sebastian Neumann, Sacha Reichelt, Wolfgang Schorn und nicht zuletzt meinem Vater, Dr.-Ing. Bernd Eckart Olschewski, zu Dank verpflichtet. Darüber hinaus möchte ich allen danken, die mich auf meinem Weg begleitet und unterstützt haben. Besonderer Dank gilt dabei meinen Eltern, die mir mein Studium erst ermöglichten, und Anna Hartmann, ohne die ich nicht die Kraft gefunden hätte, die Arbeit fertigzustellen. Leider konnte meine geliebte Mutter die Promotion ihres Sohnes nicht mehr miterleben, obwohl sie es sich so sehr gewünscht hatte. Ihr widme ich diese Arbeit. Bonn, im März 2010

Klaus Olschewski

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Anlass der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 23 28

Kapitel 1 Ausgangspunkt – Der Standortarbeitskampf als neues Phänomen im Arbeitskampfrecht A. Der Standortarbeitskampf in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Standortarbeitskampf in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31 31 56

Kapitel 2 Die Standortdrohung des Arbeitgebers A. B. C. D.

69

Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

Kapitel 3

A. B. C. D.

Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

111

Tarifliche Regelungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tarifliche Regelungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

112 140 157 200

Kapitel 4 Zulässigkeit des Tarifsozialplans

203

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 B. Tarifliche Regelungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

10

Inhaltsübersicht

C. Verstoß gegen höherrangiges Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

Kapitel 5

A. B. C. D.

Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

277

Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Friedenspflichten als Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Arbeitgeber im „Zangengriff“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

278 309 321 348

Kapitel 6

A. B. C. D.

Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

351

Einführung und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

351 353 373 400

Kapitel 7 Schlussbemerkungen

403

A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 B. Vorschlag zur Lösung von Tarifkonflikten aus Anlass sonstiger Unternehmensorganisationsentscheidungen des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

A. Anlass der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

B. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

Kapitel 1 Ausgangspunkt – Der Standortarbeitskampf als neues Phänomen im Arbeitskampfrecht

31

A. Der Standortarbeitskampf in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entwicklung der Standorttarifstreitigkeiten im Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der traditionelle Rationalisierungsschutz als Ausgangspunkt . . . . . . . . . 2. Weiterentwicklung tariflichen Rationalisierungsschutzes . . . . . . . . . . . . 3. Betriebsnahe Tarifpolitik seit Beginn der 90er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strategiewechsel der IG Metall im Jahr 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hintergründe und Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Standortpolitik der Arbeitgeber und ihre Folgen . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalte und Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Transnationale Gewerkschaftspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Heutiges Erscheinungsbild des Standortarbeitskampfes . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Streik um Tarifsozialpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Typischer Ablauf von Standorttarifstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besonderheiten des Vorgehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bedeutung in der Tarifpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reaktionsmöglichkeiten der Arbeitgeberseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31 32 32 34 36 38 38 38 40 42 45 46 46 46 48 51 53 55

B. Der Standortarbeitskampf in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. LAG Hamm – Urteil v. 31.5.2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. LAG Schleswig-Holstein – Urt. v. 27.5.2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. LAG Niedersachsen – Urt. v. 2.6.2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. LAG Hessen – Urt. v. 2.2.2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. LAG Berlin-Brandenburg – Urt. v. 28.9.2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56 56 56 57 59 60 61

12

Inhaltsverzeichnis II. Höchstrichterliche Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. BAG – Urt. v. 24.4.2007 – „Tarifsozialplan“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. EuGH – Urt. v. 11.12.2007 – „Viking Line“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62 62 64 66

Kapitel 2 Die Standortdrohung des Arbeitgebers

69

A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

B. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

C. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verlagerungsankündigung und Unternehmerfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Arbeitskampfbegriff als Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktion des Arbeitskampfbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weiter Kampfbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Enger Kampfbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Paritätsgrundsatz als Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Arbeitsniederlegungen als Reaktion auf eine Standortdrohung . . . . . . . . . . 1. Einschränkung der Friedenspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Streik als Notwehrrecht der Arbeitnehmer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Herleitung von Streikbefugnissen aus Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC? . . . . . . a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Systematik, Sinn und Zweck der ESC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fazit und Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ausblick: Art. 28 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73 73 76 81 81 82 86 87 92 93 96 100 101 103 103 105 107 108

D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

Kapitel 3 Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung A. Tarifliche Regelungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Methodische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

111 112 113 115 116 119

Inhaltsverzeichnis

13

a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sinn und Zweck der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Schlussfolgerungen für die unternehmerische Standortpolitik . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . 1. Art. 12 Abs. 1 GG als Funktionsgrenze der Tarifautonomie . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung der Schutzbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verfolgung beschäftigungspolitischer Ziele als Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . V. Abgrenzung zum Recht der Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

119 120 121 121 123 125 125 126 128 129 132 137 137 138 139

B. Tarifliche Regelungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einordnung in die Normenarten des § 1 Abs. 1 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abschließender Charakter des TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Umfang der schuldrechtlichen Vereinbarungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eingrenzung durch § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erweiternder Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) . . . für die Vereinbarung von Firmentarifverträgen . . . . . . . . . . . . . . . b) . . . für die Vereinbarung von Verbandstarifverträgen . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

140 140 142 142 144 148 149 149 152 154 154 155 157

C. Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Freiwillige Standortsicherungsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangspunkt: Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien . . . . . . . 2. Grundrechtseingriff oder -ausübung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grenzen der Grundrechtsbetätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erstreikbarkeit von Standortzusagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rückschluss von der Regelbarkeit auf die Erstreikbarkeit? . . . . . . . . . . . 2. Streik um lediglich schuldrechtlich regelbare Tarifforderungen . . . . . . . 3. Streik um die Standortverlagerung als unternehmenspolitische Grundlagenentscheidung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

157 157 158 158 162 166 171 171 171 175 178

14

Inhaltsverzeichnis a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausgangspunkt: Maßstab der Grundrechtsprüfung . . . . . . . . . . . bb) Abwägung von Berufsfreiheit und Tarifautonomie . . . . . . . . . . . (1) Einführende Gedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Aufgabe unternehmerischer Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Verlagerung trotz Rentabilität des Standorts . . . . . . . . . . . . . (4) Kernbereich von Berufsfreiheit und Tarifautonomie . . . . . . (5) Schutzzweck der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Einfachgesetzliche Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Berufsfreiheit der Arbeitnehmer als Rechtfertigungsgrund? . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179 182 182 185 185 187 188 190 195 195 196 197 199

D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Kapitel 4 Zulässigkeit des Tarifsozialplans A. Tarifliche Regelungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sperrwirkung der §§ 111 ff. BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung in die Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Analyse der Sperrwirkungslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dogmatisches Grundverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Begründungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfassungsrecht als Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einfachgesetzliche Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Praktische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auslegung der §§ 111 ff. BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfassungswidrigkeit der Sperrwirkungsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Eingriff in die Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausgestaltung der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

203 203 203 205 205 207 207 209 211 211 213 215 216 216 218 218 219 219 222 224 224 227 229

Inhaltsverzeichnis

15

III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 B. Tarifliche Regelungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Normative Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verlängerung der Kündigungsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abfindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Qualifizierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schuldrechtliche Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

233 233 233 234 234 235 236 240 242

C. Verstoß gegen höherrangiges Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einfachgesetzliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Grenzen eines Firmentarifsozialplans . . . . . . . . . . . . III. Besonderheiten beim firmenbezogenen Verbandstarifvertrag . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Praktische Bedeutung des Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. These vom Legitimationsdefizit des Verbands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zustimmung des Arbeitgebers als Grundrechtsverzicht? . . . . . . . . . . . . . 5. Lehre vom Verbandsbeitritt als Grundrechtsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Höchstgrenzen des Tarifsozialplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bisherige Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnismäßigkeitskontrolle von Tarifnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Justitiabilität der quantitativen Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verhältnismäßigkeit von exorbitanten Tarifsozialplänen . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

242 242 243 246 246 248 249 252 254 257 257 260 262 268 274

D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

Kapitel 5 Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen A. Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Standorterhalt als „wahres“ Kampfziel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Umfang der Streikforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einführende Gedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

277 278 278 279 280 285 285 287 290 290

16

Inhaltsverzeichnis b) Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG: Verbot der Existenzvernichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Evidenzkontrolle als angemessener Ausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bezugspunkt der Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Umschlag von der Quantität in die Qualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

293 296 301 304 307 308

B. Friedenspflichten als Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Keine Analogie aus § 74 Abs. 2 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verstoß gegen tarifliche Friedenspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachliche Reichweite der Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Friedenspflichten aus Rationalisierungsschutzabkommen . . . . . . . . . b) Anknüpfung am Forderungsgegenstand eines Tarifsozialplans . . . . . 2. Zeitliche Grenzen der Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenforderung . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

309 309 310 311 311 314 316 318 320

C. Der Arbeitgeber im „Zangengriff“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verstoß gegen das Ultima-ratio-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Problemstellung und Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangspunkt: Bezugspunkt der Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnis von Betriebs- und Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verstoß gegen den Paritätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Paritätswidrigkeit eines Streiks um Sozialplaninhalte? . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorrang von Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Situationsbedingte Intensität der Kampfführung . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Exkurs: Arbeitskampfbedingte Einschränkung der §§ 111 ff. BetrVG? a) Suspendierung nur bei unmittelbarem Arbeitskampfbezug . . . . . . . . b) Wechselwirkungen zwischen Tarif- und Betriebsebene . . . . . . . . . . . c) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aussperrungsbefugnis des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösende Abwehraussperrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Angriffsaussperrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

321 321 321 323 323 324 326 327 327 328 329 330 333 333 334 336 338 340 341 344 348

D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348

Inhaltsverzeichnis

17

Kapitel 6 Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

351

A. Einführung und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 B. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bindung der Gewerkschaften an die Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . 1. Lösung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik aus dem Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit bei Streikmaßnahmen . . . . . . . . 1. Art. 137 Abs. 5 EG (nunmehr Art. 153 Abs. 5 AEUV) als Einwand . . . 2. Analogie zum Urteil des EuGH in der Rechtssache Albany? . . . . . . . . . 3. Bereichsausnahme für die Ausübung des Streikrechts? . . . . . . . . . . . . . . a) Arbeitskampf als Gemeinschaftsgrundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein genereller Vorrang des Streikrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tatbestand von Art. 43 Abs. 1 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) . . . . . . . . . . . 1. Standortverlagerung als Niederlassung i. S. v. Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundfreiheitsbeschränkung durch Standortarbeitskampf . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

353 353 353 354 355 358 359 361 362 362 366 370

C. Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . I. Bisheriger Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik aus dem Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgen für die deutsche Arbeitskampfrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangspunkt: Notwendigkeit eines verhältnismäßigen Ausgleichs . . 2. Inhalt des Gemeinschaftsgrundrechts auf Kollektivmaßnahmen . . . . . . 3. Abwägung mit der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausübung des Gemeinschaftsgrundrechts und Allgemeininteresse . . b) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

373 374 374 376 378 379 379 384 390 390 392 395

370 371 373

D. Zusammenfassung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400

18

Inhaltsverzeichnis Kapitel 7 Schlussbemerkungen

403

A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 B. Vorschlag zur Lösung von Tarifkonflikten aus Anlass sonstiger Unternehmensorganisationsentscheidungen des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 I. Unmittelbare Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 II. Mittelbare Einflussnahme durch Sozialplanstreik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446

Abkürzungsverzeichnis a. A. AEUV AiB AöR AP ArbGG ArbRGegw AuA AÜG Aufl. AuR BAG BB BBiG Bd. Beil. BetrVG BGB Bl. BMAS bspw. BVerfG bzw. DB db ders. d.h. dies. DJT DÖV EG EGMR ehem. ELR EMRK ESC

andere Ansicht Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Arbeitsrecht im Betrieb Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrecht der Gegenwart Arbeit und Arbeitsrecht Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Auflage Arbeit und Recht Bundesarbeitsgericht Betriebs-Berater Berufsbildungsgesetz Band Beilage Betriebsverfassungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Blatt Bundesministerium für Arbeit und Soziales beispielsweise Bundesverfassungsgericht beziehungsweise Der Betrieb der betriebsrat derselbe das heißt dieselbe(n) Deutscher Juristentag Die Öffentliche Verwaltung Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ehemalige(r) European Law Reporter Europäische Menschenrechtskonvention Europäische Sozialcharta

20 etc. EU EuGH EuGRZ EuR EUV EuZA EuZW EWS EzA FA FS FSU GDL GewO GG GMH GRC GS h.A. h. M. Hrsg. IAO i. e. S. ILJ insb. IRLR JbArbR JR JurA Jura JuS JZ KJ KSchG LAG(e) m.w. N. NGG NJW Nr. NVwZ NZA

Abkürzungsverzeichnis et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte Zeitschrift Europarecht Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Entscheidungen zum Arbeitsrecht Fachanwalt Arbeitsrecht Festschrift Finnish Seamen’s Union Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer Gewerbeordnung Grundgesetz Gewerkschaftliche Monatshefte Europäische Grundrechtecharta Gedächtnisschrift herrschende Ansicht herrschende Meinung Herausgeber Internationale Arbeitsorganisation im engeren Sinne Industrial Law Journal insbesondere Industrial Relations Law Reports Jahrbuch des Arbeitsrechts Juristische Rundschau Juristische Analysen Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kritische Justiz Kündigungsschutzgesetz Landesarbeitsgericht(e) mit weiteren Nachweisen Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht

Abkürzungsverzeichnis NZA-RR ÖJZ RdA Rn. S. SAE SGB TVG TV-ZUSI-L u. UG u. U. v. ver.di vgl. WBl. WRV WSI-Mitt. ZESAR ZfA ZIAS ZInsO ZIP ZSchR ZTR

21

NZA – Rechtsprechungsreport Arbeitsrecht Österreichische Juristenzeitung Recht der Arbeit Randnummer Seite Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen Sozialgesetzbuch Tarifvertragsgesetz Tarifvertrag zur Zukunftssicherung der Krankenhäuser der Länder vom 12. Oktober 2006 und Unternehmensgestaltung unter Umständen vom Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft vergleiche Wirtschaftsrechtliche Blätter Weimarer Reichsverfassung Monatszeitschrift des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in der Hans-Böckler-Stiftung Zeitschrift für europäisches Arbeits- und Sozialrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Zeitschrift für schweizerisches Recht Zeitschrift für Tarifrecht

Wegen nicht aufgeführter Abkürzungen wird verwiesen auf Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 6. Aufl., 2008, Berlin/New York.

Einleitung A. Anlass der Untersuchung „Die Möglichkeiten zum Abschluss von Tarifverträgen sind im Zeitalter der Globalisierung begrenzt. Denn die Unternehmen können Arbeitsplätze leichter an einen anderen Ort verlagern. Damit können die Gewerkschaften vieles, was sie einst taten, heute nicht mehr tun.“

So beschreibt der Ökonom Freeman1 das Dilemma der Gewerkschaften in Zeiten fortschreitender Globalisierung. Betriebsstätten werden geschlossen, nicht etwa weil sie unproduktiv sind oder eine finanzielle Notlage vorliegt, sondern vielmehr weil der Arbeitgeber erkannt hat, dass er an einem anderen Standort gewinnbringender produzieren kann, weil dort die Personalkosten geringer sind. War eine Verlagerung ins Ausland früher undenkbar, ist sie heute gängige Praxis der Unternehmensführung. Arbeitgeber sind daher, falls sie den Verlagerungsentschluss endgültig gefasst haben, an einer tariflichen Lösung, die darauf abzielt, den Erhalt der Betriebsstätte durch einen Lohnverzicht der Arbeitnehmer zu sichern, vielfach nicht interessiert. Die Verhandlungsposition bei solchen Standortkonflikten scheint aus gewerkschaftlicher Sicht also denkbar ungünstig. Gewerkschaften haben darauf jedoch reagiert, sich auf ihr traditionelles Druckmittel, den Streik, besonnen und eine neue Kampfstrategie entwickelt. Der globalen Standortpolitik von Unternehmen wird die Waffe des Firmenstreiks2 entgegengesetzt, um so die Arbeitnehmerinteressen durchzusetzen. So soll der „tarifpolitischen Machtlosigkeit“ 3 bei Umstrukturierungsvorhaben, die mit Entlassungen verbunden sind, entgegengewirkt werden. Spätestens der Streik anlässlich der Standortverlagerung des Nürnberger AEG-Stammwerks im Jahr 2006 hat auch die Öffentlichkeit auf diese Entwick-

1 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 8.1.2006, S. 31 – „Das Kapital hat viel Macht“. 2 Unter diesem Begriff soll im Folgenden der Streik um einen Firmentarifvertrag oder einen firmenbezogenen Verbandstarifvertrag verstanden werden. So auch das Begriffsverständnis von Fischinger, ZTR 2006, 518 Fn. 4; Sutschet, ZfA 2005, 581 ff.; anders dagegen Gisbertz, Parität, S. 24, welche nur Rechtsfragen von Arbeitskämpfen um Firmentarifverträge unter diesem Begriff problematisiert. 3 So Frank Teichmüller (ehem. Bezirksleiter der IG Metall), in: IG Metall Küste (Hrsg.), Qualifizieren statt Entlassen, S. 1.

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Einleitung

lungen aufmerksam gemacht und die gesellschafts- und rechtspolitische Diskussion um Folgewirkungen der Globalisierung4 befeuert. In der Praxis versuchen die Gewerkschaften nunmehr, mittels Streiks das Ziel einer Abmilderung der sozialen Folgen für die betroffenen Arbeitnehmer zu erreichen und den Abschluss eines tariflichen Sozialplans herbeizuführen, welcher über den Umfang eines betrieblichen Sozialplans hinausgeht. So soll dem Unternehmer seine Verlagerungsentscheidung so schwer wie möglich gemacht werden.5 Die Streikforderung zielt dabei in den meisten Fällen formal nicht direkt darauf ab, den Arbeitgeber zum Verbleib zu zwingen, also die Standorterhaltung zum Kampfziel zu erheben, sondern soll die Verlagerung mit Folgekosten belasten, die sie als ökonomisch sinnlos erscheinen lässt. Neu ist dabei, dass von Seiten der Arbeitnehmervertreter versucht wird, die „Fesseln der Betriebsverfassung“ 6 zu sprengen. Nicht nur der Betriebsrat soll Partner bei Sozialplanverhandlungen zur Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen sein, ohne die Forderung bezüglich der Dotierung des Sozialplanvolumens mittels Streiks durchsetzen zu können.7 Betriebsrat und Gewerkschaft koordinieren ihre Vorgehensweise bei Standorttarifkonflikten: Der Betriebsrat verweigert sich einer schnellen Einigung bei Interessenausgleich- und Sozialplanverhandlungen; die Gewerkschaft schaltet sich ein, stellt ergänzende tarifliche Forderungen und bekräftigt diese mit einer Streikandrohung, wenn der Arbeitgeber bereits die Aufnahme von Tarifvertragsverhandlungen ablehnt oder das Angebot der Gewerkschaft nicht akzeptiert.8 Diese aus Arbeitgebersicht unliebsame Drucksituation wurde im Schrifttum vielfach als „Zangengriff“ von Gewerkschaft und Betriebsrat umschrieben.9 Verlagerungswillige Arbeitgeber würden „in die Zange genommen“ 10, befänden sich zwischen „Skylla und Charybdis“ 11. Diese Aussagen deuten darauf hin, dass es den Gewerkschaften gelungen ist, ihre Verhandlungsschwäche in gewissem Maße zu kompensieren. Fraglich ist jedoch, ob damit die Grenzen des arbeitskampfrechtlich Zulässigen überschritten werden. Legitimiert die Arbeitskampfrechtsordnung diese neuartige Vorgehensweise, aus Anlass unternehmerischer Standortentscheidungen zur Verhinderung

4 Siehe dazu Ahlers/Öz/Ziegler, Standortverlagerung, S. 69 ff.; Eylert/Gotthardt, RdA 2007, 91 ff. 5 Vgl. die Zitate bei Mitbestimmung 6/2007, S. 48 ff. – ,,Nicht zum Billigpreis“. 6 Kappenhagen/Lambrich, BB 2007, 2238 (2239); Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 30. 7 Vgl. IG Metall Küste (Hrsg.), Qualifizieren statt Entlassen, S. 1; Zabel, AiB 1998, 615. 8 Vgl. Reichhold, BB 2004, 2814 (2816); Willemsen/Stamer, NZA 2007, 413 (416). 9 Vgl. Henssler, in: FS Richardi, S. 553; Nicolai, RdA 2006, 33 (38); Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46. 10 So selbst gewerkschaftsnahe Autoren, vgl. etwa Ziegenhagen, AiB 2008, 585 (586). 11 Kaiser, in: Heinrich (Hrsg.), Krisen im Aufschwung, S. 65 ff.

A. Anlass der Untersuchung

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der Maßnahme oder zumindest um die Abmilderung der sozialen Folgen zu streiken? Ihre Beantwortung hat eine kontrovers geführte Auseinandersetzung im Schrifttum und vor den Gerichten nach sich gezogen. Neben Unterstützungsstreiks12, Streiks von Spartengewerkschaften13 haben insbesondere Standortarbeitskämpfe die der arbeitskampfrechtlichen Diskussion ureigenen Gegenströmungen heftig aufeinander treffen und die Wellen um den Arbeitskampf als kollektivrechtliches Konfliktlösungsinstrument hochschlagen lassen. Firmenarbeitskämpfe, die nach Bekanntgabe von Verlagerungsabsichten des Arbeitgebers geführt werden, stehen im Blickpunkt von Wissenschaft, Rechtsprechung und Tarifpolitik. Der Erste Senat des BAG14 hat im April 2007 diese neue Strategie der Gewerkschaften in einem mit Spannung erwarteten Urteil grundsätzlich gebilligt. Die Reaktionen darauf konnten unterschiedlicher kaum sein: Während die Gewerkschaften von einem „historischen Sieg“ 15 sprachen, sahen andere in dem Urteil, das sich „gegen die Betriebsräte richte und ihre Verhandlungsmöglichkeiten beschneide“ 16, einen „schwarzen Tag für Unternehmen“ 17, ein „üppiges Geschenk“ 18 an die Gewerkschaften oder gar eine Gefahr für die Tarifautonomie19. Dies verwundert nicht, wenn man sich einige vor dem Urteil veröffentlichte Stellungnahmen aus dem Schrifttum zur Bewertung dieser Streiktaktik vor Augen führt: Während etwa Dieterich20 darauf verweist, dass es sich beim sozialen Ausgleich von Betriebsänderungen um klassische Aufgaben der Tarifautonomie handle, sehen Löwisch21 und Reichold22 darin einen Rechtsmissbrauch tarifvertraglicher und arbeitskampfrechtlicher Handlungsmöglichkeiten. Auch nach der Entscheidung sind kritische Stimmen keineswegs verstummt.23 12

Vgl. BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, AP Nr. 173 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Siehe zum Arbeitskampf der GDL im Jahr 2007 LAG Sachsen v. 2.11.2007 – 7 SaGa 19/07, NZA 2008, 59 ff.; Bayreuther, NZA 2008, 12 ff.; Buchner, BB 2008, 106 ff.; dens., in: FS Hromadka, S. 39 (49 ff.); Greiner, NZA 2007, 1023 ff., jeweils m.w. N. 14 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 ff. 15 Mitbestimmung 6/2007, S. 48 (49) – „Nicht zum Billigpreis“. 16 Süddeutsche Zeitung v. 26.4.2007 – „Sozial-Tarifverträge dürfen erstreikt werden“. 17 Lipinski/Ferme, DB 2007, 1250 (1252). 18 Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 30.3.2007, S. 13 – „Geschenk für die Gewerkschaften“. 19 Wolf, SAE 2007, Heft 4, III. 20 Dieterich, AuR 2007, 65 (70). 21 Löwisch, in: FS 25 Jahre AG ArbR DAV, S. 941 (945). 22 Reichold, BB 2004, 2814 (2817 f.). 23 Vgl. Benecke, in: FS Buchner, S. 96 (98); Buchner, in: FS Hromadka, S. 39 (44 ff.); dens., in: Lehmann (Hrsg.), Tarifverträge der Zukunft, S. 109 ff.; Fischinger, Anm. zu BAG v. 24.4.2007, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Sozialplan Bl. 17 ff.; Grau, NJW 13

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Einleitung

Weitere Dynamik hat die Diskussion um die Zulässigkeitsgrenzen des Standortarbeitskampfes durch das Urteil des EuGH24 in der Rechtssache Viking Line aus dem Dezember 2007 erhalten. In der Entscheidung ging es um die Beurteilung von Streikmaßnahmen aus Anlass des Umflaggens eines Fährschiffs.25 Dies ist mit einer Standortverlagerung von Betriebsstätten vergleichbar. Spätestens seit dieser Entscheidung stellt sich daher die Frage, ob bei grenzüberschreitenden Standortverlagerungen ein im Vergleich zur nationalen Rechtslage abweichender Maßstab bezüglich der Rechtmäßigkeitsgrenzen eines Arbeitskampfes gilt. Die Deutung dieses Urteils war wiederum höchst unterschiedlich: In den Medien interpretierte man es zumeist als Einschränkung der gewerkschaftlichen Kampfbefugnis bei Standortverlagerungen.26 Einige Autoren aus dem arbeitsrechtlichen Schrifttum teilen diese Einschätzung.27 Benecke konstatiert, dass Arbeitskämpfen um Tarifsozialpläne „europarechtlich ein Riegel vorgeschoben“ 28 wurde und begrüßt diese Entwicklung. Junker29 weist darauf hin, dass die nationalen Gerichte künftig Standortstreiks aus Anlass grenzüberschreitender Verlagerung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterwerfen, die über das „rein formale Ultima-ratio-Postulat des BAG“ deutlich hinausgehe. Die Entscheidung wurde von großen Teilen des Schrifttums dagegen scharf kritisiert, weil sie letztendlich zum Ausdruck bringe, dass die Niederlassungsfreiheit Vorrang gegenüber der Streikfreiheit genieße; die in der Solange-Rechtsprechung des BVerfG entwickelten Voraussetzungen für die Zurückhaltung bei der Kontrolle sekundären Gemeinschaftsrechts anhand des Grundgesetzes, die im Lissabon-Urteil 30 vom 30.6.2009 bestätigt und ausgebaut wurden, gerieten in

2007, 3660 f.; Höfling, ZfA 2008, 1 ff.; Ricken, ZfA 2008, 283 ff.; Kaiser, in: Heinrich (Hrsg.), Krisen im Aufschwung, S. 65 ff.; dies., in: FS Buchner, S. 385 ff.; Wank, RdA 2009, 1 (5 ff.); Wolf, in: Lehmann (Hrsg.), Tarifverträge der Zukunft, S. 101 ff.; siehe auch Lobinger, ZfA 2009, 319 (426 ff.). 24 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 ff. – Viking Line. 25 Siehe die Darstellung des zugrunde liegenden Sachverhalts in Kapitel 1 B. II. 2. 26 Beispielhaft Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 12.12.2007, S. 14 – „Niederlassungsfreiheit geht vor“. 27 Blanke, in: Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 131; Däubler, AuR 2008, 409 ff.; Kocher, AuR 2008, 13 (17 f.); Supiot, AuR 2009, 151 ff.; Zwanziger, DB 2008, 294 (298). 28 Benecke, in: FS Buchner, S. 96 (101). 29 Junker, ZfA 2009, 281 (291). 30 BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08, NJW 2009, 2267 ff. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde auch vorgetragen, dass das Streikrecht nach jüngeren Urteilen des Gerichtshofs nur dann gelte, wenn durch dessen Wahrnehmung die Grundfreiheiten nicht unverhältnismäßig eingeschränkt würden, siehe Rn. 117 der Entscheidungsgründe. Das BVerfG stellte jedoch in den Vordergrund, dass der EuGH ein Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen anerkannt habe, siehe Rn. 398 der Entscheidungsgründe; kritisch dazu Kocher, AuR 2009, 332 (337).

A. Anlass der Untersuchung

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Gefahr.31 Das verfassungsrechtlich gewährleistete Streikrecht werde entwertet.32 Die Entscheidung stelle aus diesem Grund „einen der Tiefpunkte des Gemeinschaftsrechts dar“ 33. Der Sozialwissenschaftler Scharpf rief gar dazu auf, „dem EuGH nicht zu folgen“ und „Widerstand zu leisten, gegen diese zu weit gehende Interpretation von Verträgen, die vor mehr als 50 Jahren geschlossen wurden“ 34. Deutscher und Europäischer Gewerkschaftsbund forderten als Reaktion, dass eine sog. soziale Fortschrittsklausel 35 verankert werde, die eine Unterordnung des nationalen Streikrechts gegenüber den Marktfreiheiten verhindern soll.36 Wendeling-Schröder37 schlägt die Vereinbarung einer Richtlinie vor, welche die Mindeststandards des sozialen Schutzes bei Verlagerungen regeln solle. Gegenüber dieser zum Teil harschen Kritik, welche hinsichtlich ihrer Argumentation zum Verhältnis der Rechtsprechung des EuGH zum nationalen Recht den zum EuGH-Urteil im Fall Mangold 38 vorgetragenen Einwänden gleicht,39 haben andere Autoren die mit den Aussagen des EuGH verbundenen Folgen für die nationalen Arbeitskampfrechtsordnungen gänzlich anders bewertet. Bayreuther40 sieht in der Rechtsprechung gar eine Erweiterung des gewerkschaftlichen Aktionsradius im Standortarbeitskampf. Weitere Stellungnahmen gelangen zum Ergebnis, dass diese Rechtsprechung jedenfalls nicht zu dazu führen werde, dass kollektive Maßnahmen gegen Standortverlagerungen künftig anders zu beurteilen seien als bisher.41 All dies verdeutlicht, dass die Verortung der europarechtlichen Grenzen eines Arbeitskampfes aus Anlass einer Standortverlagerung von Deutschland ins EU-Ausland ebenso wie die Folgen für die Arbeitskampfrechts31 Vgl. nur Däubler, AuR 2008, 409 (415); Nagel, AuR 2008, 155 (160); Wißmann, AuR 2009, 149 (151); siehe die Auflistung der wesentlichen Kritikpunkte bei Blanke, in: Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 131 (137 f.). 32 Joerges/Rödl, KJ 2008, 149 (161); Wendeling-Schröder, AiB 2008, 179 (182 f.). 33 Kocher, AuR 2009, 332 (338). 34 Zitiert nach Mitbestimmung 7+8/2008, S. 18 ff. – „Der einzige Weg ist, dem EuGH nicht zu folgen“; ähnlich kritisch auch Nagel, AuR 2008, 155 (160). 35 Dieser Vorschlag sieht vor, dass durch Vereinbarung eines besonderen Protokolls oder durch Aufnahme in den EG-Vertrag (nunmehr AEUV) klargestellt werden soll, dass den Markfreiheiten kein Vorrang vor den sozialen Zielsetzungen der Gemeinschaft zukommt. 36 Siehe den Beschluss des DGB-Bundesvorstandes v. 7.10.2008, abrufbar unter: www.dgb.de (zuletzt abgerufen am 1.3.2010); Entschließung des EGB-Exekutivausschusses v. 4.3.2008, abrufbar unter www.etuc.org (zuletzt abgerufen am 1.3.2010). 37 Wendeling-Schröder, db 2009, 16 (19). 38 EuGH v. 22.11.2005 – Rs. C144/04, Slg. 2005, I-9981 – Mangold. 39 Deutlich Herzog/Gerken, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 8.9.2008, S. 8 – „Stoppt den Europäischen Gerichtshof“; vgl. auch Gerken/Rieble/Roth/Stein/Streinz, Mangold, S. 17 ff. 40 Bayreuther, EuZA 2008, 395 (404); ähnlich Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, AKR Rn. 32b. 41 Vgl. etwa Franzen, in: FS Buchner, S. 231 (243); Schubert, RdA 2008, 289 (299).

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Einleitung

ordnungen noch weitgehend ungeklärt sind.42 Wie ein deutsches Arbeitsgericht einen Streik zu bewerten hätte, der von einem grenzüberschreitenden Verlagerungsvorhaben veranlasst wurde, ist offen.43 Diese Entwicklungen werden in Zeiten eines „Wandels im Arbeitskampfrecht“44 zum Anlass für die vorliegende Arbeit genommen. Ihr Ziel ist, zu untersuchen, ob und gegebenenfalls innerhalb welcher Grenzen es mit nationalem und europäischem Recht vereinbar ist, wenn Gewerkschaften zur Verhinderung oder zur sozialen Abmilderung einer Standortverlagerung streiken. Zugleich sollen Überlegungen angestellt werden, welche rechtliche Handhabe der Arbeitgeberseite zur Abwehr dieser Strategien zur Seite steht. Auf diesem Wege soll ein Beitrag zur Klärung der vielfältigen Rechtsfragen verfassungs-, arbeitskampf-, betriebsverfassungs-, und europarechtlicher Natur geleistet werden, die im Zusammenhang mit dem Standortarbeitskampf als neuartigem Phänomen bis heute kontrovers diskutiert werden.45 Insgesamt soll herausgestellt werden, welches Maß an Verhandlungsdruck bei Standortkonflikten ausgeübt werden darf und erduldet werden muss, um justitiable Maßstäbe zur Beurteilung von Standortarbeitskämpfen zu entwickeln. Diese Ergebnisse könnten zudem als Grundlage dienen, die Zulässigkeit eines Arbeitskampfes aus Anlass sonstiger Umstrukturierungsvorhaben mit Entlassungsfolgen zu beurteilen.

B. Gang der Darstellung Den Ausgangpunkt der Untersuchung bildet die Darstellung der Hintergründe der Entwicklung des Standortarbeitskampfes in der Tarifpraxis und seines heuti42 Vgl. Kerwer, EuZA 2008, 335 (348 f.): „Inwieweit sich daraus ein strengerer Maßstab ergibt, als er im deutschen Recht angezeigt ist, muss allerdings erst die Zukunft zeigen.“; ähnlich auch Temming, ELR 2008, 190 (194); Junker, ZfA 2009, 281 (290): „Die Konsequenzen des Viking Line-Urteils zeichnen sich bisher nur in Umrissen ab.“ 43 Siehe hierzu die Zusammenfassung des Vortrags von Ulrich Koch (Richter am BAG), gehalten am 26.6.2008 im Rahmen des vom BMAS veranstalteten Symposiums „Die Auswirkungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes auf das Arbeitsrecht der Mitgliedstaaten“, abrufbar unter www.bmas.de (zuletzt abgerufen am 1.3.2010): „These 2: Der Einfluss des nationalen Rechts auf Arbeitskämpfe mit Gemeinschaftsbezug ist für die deutschen Arbeitsgerichte durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nur teilweise geklärt.“ 44 Vgl. hierzu die Stellungnahmen von Bayreuther, NZA 2008, 12 ff.; Buchner, in: FS Hromadka, S. 39 ff.; dens., BB 2008, 106 ff.; Greiner, NZA 2007, 1023 ff.; Kerwer, EuZA 2008, 335 ff.; Kittner, Arbeitskampf, S. 711 ff.; dens., JbArbR 43 (2006), S. 107 ff.; Meyer, NZA 2004, 145 ff.; Rieble, BB 2008, 1506 ff.; Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 ff.; Sunnus, AuR 2008, 1 ff.; Wank, RdA 2009, 1 ff.; Zachert, NZA 2006, Beil. 2, 61 (64 ff.). 45 Siehe stellvertretend den Bericht vom 6. Europarechtlichen Symposiums 2009 in Erfurt von Kroeschel, NZA 2009, 1005 ff.; Klose/Strauß, RdA 2009, Beil. zu Heft 5, 48 ff.; vom 4. Tübinger Arbeitsrechtstag berichten Rein/Wilcke, NZA 2009, 1127 ff.

B. Gang der Darstellung

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gen Erscheinungsbildes, um so den Tatbestand zu erfassen, welcher einer arbeitskampfrechtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle unterzogen werden soll. Neben diesen rechtstatsächlichen Grundlagen werden zur Orientierung die wichtigsten Gerichtsentscheidungen zum Standortarbeitskampf kurz dargestellt. Dieser Teil der Arbeit dient als Grundlage für die Erarbeitung eigener Lösungsansätze, um die Besonderheiten des Standortarbeitskampfes heraus- und die im Arbeitskampfrecht bedeutsame Falljudikatur in ihren Grundzügen darzustellen, ohne bereits zu werten. Anlass eines Standortstreiks ist das Bekanntwerden von Verlagerungsplänen der Arbeitgeberseite. In Kapitel 2 der Arbeit soll daher zunächst der Blick auf die Beurteilung von Fallkonstellationen gerichtet werden, bei denen nicht die Gewerkschaft, sondern der Arbeitgeber in die Offensive geht und eine solche Umstrukturierung in Aussicht stellt, um eine Absenkung der Lohnkosten durch Abschluss eines Standortsicherungstarifvertrags zu erzielen. Dabei wird der Frage nachgegangen, wie eine bei Tarifverhandlungen geäußerte Drohung des Arbeitgebers, Betriebstätten zu verlagern, arbeitskampfrechtlich zu bewerten ist und welche Gegenmaßnahmen aus Gewerkschaftssicht ergriffen werden können, wenn der Arbeitgeber auf diesem Weg versucht, die aus seiner Sicht zu hohen Lohnkosten im Betrieb zu senken. Sodann soll in Kapitel 3 untersucht werden, ob ein Arbeitskampf zur Standortsicherung, also ein Streik gegen das „Ob“ der Standortverlagerung, nach Bekanntwerden einer „nationalen“ Standortverlagerungsentscheidung46 zulässig ist. Dazu wird in zwei Schritten vorgegangen: Zunächst wird untersucht, ob die Kampfforderung nach Standortsicherung in Form einer Zusage des Arbeitgebers, den Standort nicht zu schließen, zulässigerweise Eingang in einen Firmen- oder Verbandstarifvertrag finden kann. Anknüpfend an diese tarifrechtlichen Grenzen eines Streiks wird geprüft, ob ein Streik zur Erhaltung des Betriebsstandortes gegen eine „nicht-grenzüberschreitende“ Standortverlagerungsentscheidung mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit des Arbeitgebers vereinbar ist. Die Untersuchung wird sich dabei auf die Verortung der inhaltlichen Grenzen der Tarif- und Arbeitskampffreiheit bei Standorttarifkonflikten konzentrieren. Die Diskussion um die Zulässigkeitsgrenzen von Firmenarbeitskämpfen hat sich nach der Entscheidung des BAG47 vom 10.12.2002, in welcher der Erste Senat die Tarif- und Arbeitskampffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers grundsätzlich bejaht und grundlegende Fragen zum Streik um Firmentarifverträge beantwortet hat, zunehmend auf die Beurteilung der Inhalte der Tarif- und Streik46 Darunter soll im Folgenden die Entscheidung des Arbeitgebers verstanden werden, die Betriebsstätte innerhalb Deutschlands zu verlagern. 47 BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; zustimmend Lobinger, RdA 2006, 12 (13 ff.); kritisch Wank, in: FS 50 Jahre Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes, S. 141 (160 f.), jeweils m.w. N.

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forderungen verlagert.48 Auf diese Fragen soll daher nicht mehr vertieft eingegangen werden.49 Anschließend widmet sich die Arbeit in den Kapiteln 4 und 5 der Zulässigkeit und Erstreikbarkeit des Tarifsozialplans, also einem Streik, welcher auf die soziale Abmilderung einer Standortentscheidung abzielt, somit das „Wie“ der Standortverlagerung betrifft. Diese gewerkschaftliche Vorgehensweise ist schon auf den ersten Blick ebenso geeignet, unternehmerische Verlagerungsentscheidung zu blockieren, so dass sich die Frage nach ihrer Zulässigkeit stellt. Bei der rechtlichen Beurteilung wird wiederum zwischen der Regelbarkeit von Sozialplaninhalten im Firmen- und Verbandstarifvertrag [Kapitel 4] und den Grenzen der Streikfreiheit bei „inländischen“ Standortverlagerungen [Kapitel 5] unterschieden, um die Zulässigkeitsgrenzen gewerkschaftlicher Arbeitskämpfe und möglicher Gegenstrategien der Arbeitgeberseite zu untersuchen. Dabei wird hinterfragt werden, ob die §§ 111 ff. BetrVG einer Regelung von Sozialplaninhalten zwingend entgegenstehen, ob eine solche freiwillige firmenbezogene Regelung von Sozialplaninhalten oder eine entsprechende Streikforderung rechtswidrig ist, inwieweit tarifliche Friedenspflichten zu beachten sind und wie der „Zangengriff“ von Gewerkschaft und Betriebsrat zu bewerten und gegebenenfalls aufzulösen ist. In Kapitel 6 der Untersuchung werden die europarechtlichen Fragen gesondert behandelt, um auf diesem Wege mögliche Abweichungen für grenzüberschreitende Sachverhalte aufzeigen zu können, wenn der Arbeitgeber eine Verlagerung der Betriebsstätte von Deutschland in einen anderen Mitgliedsstaat der EU plant. Dazu sollen in einem ersten Schritt die Grundlagen zum Konflikt von Streik- und Niederlassungsfreiheit dargestellt und die Rechtsprechung des EuGH kritisch gewürdigt werden, um festzustellen, inwieweit von einem Standortstreik überhaupt eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit ausgehen kann. Daran anknüpfend wird untersucht, ob eine Rechtfertigung in Betracht kommt und diese Prüfung im Vergleich zur nationalen Rechtslage zu abweichenden Ergebnissen führt. In Kapitel 7 werden zunächst die wesentlichen Ergebnisse hinsichtlich der Rechtmäßigkeitsgrenzen eines Standortarbeitskampfes nochmals zusammengefasst, um sodann abschließende Überlegungen anzustellen, inwieweit die zum Standortstreik herausgearbeiteten Grundlagen auf vergleichbare Tarifkonflikte übertragen werden können.

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Vgl. Junker, NZA 2006, Beil. 3, 147 (148); Krause, Standortsicherung, S. 83 f. Siehe hierzu Gohritz, Der freiwillige und der durch Arbeitskampf erzwungene Abschluß von Firmentarifverträgen und firmenbezogenen Verbandstarifverträgen, 2005; Lohmann, Der Abschluss eines Firmentarifvertrages durch einen verbandstarifgebundenen Arbeitgeber, 2004; Richter, Die Erstreikbarkeit von Firmentarifverträgen mit verbandsangehörigen Arbeitgebern, 2005; Sutschet, ZfA 2005, 581 ff.; Wieland, Recht der Firmentarifverträge, 1998; Witt, Der Firmentarifvertrag, 2004. 49

Kapitel 1

Ausgangspunkt – Der Standortarbeitskampf als neues Phänomen im Arbeitskampfrecht A. Der Standortarbeitskampf in der Praxis Der Standortarbeitskampf ist Beweis für Kreativität der Protagonisten in der Sozialpartnerschaft. Zeigt doch der Tarifsozialplan1 als „neuer Typ Tarifvertrag“ 2, dass es auch „im Arbeitsrecht noch Entdeckungen gibt“ 3. Ein Blick in ältere Auflagen gängiger Kommentare und Handbücher verdeutlicht dies: Obwohl die aus Arbeitnehmersicht einschneidenden Folgen von Betriebsverlagerungen und Standortdrohungen schon früh erkannt wurden und man schon seit längerem im gewerkschaftsnahen Schrifttum die Möglichkeit eines Streiks gegen die 1 Zur Terminologie: Neben dem Begriff „Tarifsozialplan“ wird der tarifliche Sozialplan auch als „Sozialtarifvertrag“ oder „Sozialplantarifvertrag“ bezeichnet. Ein einheitlicher Begriff konnte sich bisher nicht durchsetzen. Es lässt sich feststellen, dass Kritiker dieser Strategie des Arbeitskampfes um die soziale Abmilderung von Betriebsstilllegungen vorwiegend auf die Begriffe „Tarifsozialplan“ oder „Sozialplantarifvertrag“ zurückgreifen, um so wohl auf die Nähe zum betrieblichen Sozialplan hinzuweisen, vgl. Fischinger, NZA 2007, 310 ff.; Gaul, RdA 2008, 13 ff.; Hennsler, in: FS Richardi, S. 553 ff.; Höfling, ZfA 2008, 1 ff.; Junker, NZA 2006, Beil. 3, 147 (148); Kock, ZIP 2007, 1775 ff.; Lipinski/Ferme, DB 2007, 1250 ff.; Meyer, DB 2005, 830 ff.; Ricken, ZfA 2008, 283 ff; Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 ff; Willemsen/Stamer, NZA 2007, 413 ff. Autoren, die sich für die Zulässigkeit und Erstreikbarkeit von Sozialplaninhalten aussprechen, verwenden stattdessen den Begriff „Sozialtarifvertrag“, um das Ziel des sozialen Ausgleichs in Vordergrund zu stellen, vgl. etwa Brecht-Heitzmann, NJW 2007, 3617; Lerch/Meyer, WSI-Mitt. 2007, 43 (44); Seebacher, AiB 2006, 70 ff.; Wechsler, in: Bispinck (Hsrg.), Tarifsystem, S. 104 ff. Teilweise verzichtet man gänzlich auf eine Verwendung dieser Begriffe, vgl. Hensche, AuR 2004, 443; Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 ff.; Paschke/Ritschel, AuR 2007, 110 ff. Das BAG spricht in seiner Entscheidung v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 ff. von „Tarifverträgen mit sozialplanähnlichen Inhalten“; den Begriff des „Tarifvertragssozialplans“ verwendet das LAG Hessen v. 2.2.2006 – 9 Sa 915/05, LAGE Nr. 75 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Unter dem Begriff des „Firmentarifsozialplans“ wird die tarifliche Regelung von Sozialplaninhalten in Firmentarifverträgen verstanden, vgl. Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019 ff.; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 143; Henssler, in: FS Richardi, S. 553 ff.; Meyer, DB 2005, 830 (831); Thüsing/Ricken, Anm. zu LAG Niedersachsen v. 2.6.2004, LAGE Nr. 74 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 13 ff. Im Folgenden sollen diese Begriffe verwendet werden, ohne dass damit eine rechtliche Wertung verbunden wäre. 2 Thüsing/Ricken, JbArbR 2005, S. 113; dies., Anm. zu LAG Niedersachsen v. 2.6. 2004, LAGE Nr. 74 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 13. 3 Kreft, BB 2008, Beil. 4, S. 14.

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Kap. 1: Ausgangspunkt

Umsetzung von unternehmenspolitischen Entscheidungen in Betracht zieht,4 wurden die rechtlichen Grenzen eines Streiks um einen Tarifvertrag mit Sozialplaninhalten zur Regelung einer konkreten Betriebsänderung in einem einzelnen Unternehmen vor einigen Jahren noch nicht problematisiert – hatte doch die Praxis bis dato keinen Anlass für solche Überlegungen gegeben. Nur in einer wenig beachteten Entscheidung setzte sich das BAG5 im Jahr 1993 mit der Frage der Zulässigkeit eines Tarifvertrags mit sozialplanähnlichen Inhalten auseinander und äußerte keine Bedenken hinsichtlich einer solchen Vereinbarung. Heute ist der tarifliche Sozialplan ein gängiger Begriff des Tarif- und Arbeitskampfrechts. Ausführungen zu diesem Problemfeld finden sich in den meisten Kommentaren, Hand- und Lehrbüchern.6 Tarifvertragsverhandlungen um Sozialplaninhalte werden bereits als „tarifpolitisches Alltagsgeschäft“ 7 bezeichnet. Im Folgenden sollen die Hintergründe dieser Entwicklung nachgezeichnet werden, um daran anknüpfend die Besonderheiten dieser neuartigen gewerkschaftlichen Strategie darzustellen.

I. Entwicklung der Standorttarifstreitigkeiten im Rückblick 1. Der traditionelle Rationalisierungsschutz als Ausgangspunkt Die gewerkschaftliche Forderung, die Folgen von Umstrukturierungen tariflich abzumildern, ist nicht neu. Schon seit den Anfängen des Tarifrechts streben es die Gewerkschaften an, beschäftigungssichernde Inhalte einer kollektivvertrag4 Deutlich Däubler, Tarifvertragsrecht, 2. Aufl., 1981, Rn. 445: „Wäre Vergleichbares auch in der Bundesrepublik möglich? Könnte etwa eine Gewerkschaft die Schließung eines Werks durch einen Tarifvertrag verhindern, um den notfalls auch gestreikt werden dürfte?“; Rn. 679: „[. . .] die Konzernspitze kann mit Produktionsverlagerung und Entlassungen drohen [. . .]“. 5 BAG v. 24.11.1993 – 4 AZR 241/93, NZA 1994, 471 ff. Der 4. Senat führt knapp aus: „Es sind auch keine Rechtsbedenken dagegen zu erheben, dass Sozialplanleistungen in einem Firmentarifvertrag und gleichzeitig in einem Sozialplan nach dem BetrVG vereinbart worden sind.“ 6 Vgl. nur Brox/Rüthers/Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 758; Küttner-Eisemann, Personalbuch, Sozialplan Rn. 4 ff.; ErfK-Franzen, TVG, § 1 Rn. 74; Däubler-Hensche, TVG, § 1 Rn. 827 ff.; HWK-Henssler, TVG, Einl. Rn. 35; HWK-Hohenstatt/Willemsen, BetrVG, § 112 Rn. 81; ErfK-Kania, BetrVG, § 112a Rn. 13; Krause, in: Jacobs/Krause/ Oetker, Tarifvertragsrecht, § 1 Rn. 80; Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 621; Moll-Liebers, Anwaltshandbuch, § 54 Rn. 122 ff.; Otto, Arbeitskampfrecht, § 3 Rn. 22, § 5 Rn. 6, 15, § 8 Rn. 43; Däubler-Peter, TVG, § 2 Rn. 139 ff.; Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 321 f.; Reichold, Arbeitsrecht, S. 325; MünchArbR-Ricken, § 200 Rn. 57; MünchArbR-Rieble/Klumpp, § 169 Rn. 92; Däubler-Schiek, TVG, Einl. Rn. 214, 270 ff.; Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 658; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 345 f., 705 ff.; Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 89, 326 ff., 449 f.; Zöllner/Loritz/ Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 354; Däubler-Zwanziger, TVG, § 4 Rn. 1017 ff. 7 Oberberg/Schoof, AiB 2002, 169.

A. Der Standortarbeitskampf in der Praxis

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lichen Vereinbarung zuzuführen. Erste Rationalisierungsschutzbestimmungen finden sich bereits im Tarifentwurf der Buchdrucker von 1848 und dem Setzmaschinentarifvertrag aus dem Jahr 1900.8 Sinzheimer9 weist in seiner Monographie aus dem Jahre 1907 auf einige Kollektivvereinbarungen hin, welche die Arbeitnehmer vor Kündigungen schützen sollen, die regelmäßig aufgrund fehlender Beschäftigungsmöglichkeiten ausgesprochen wurden: Entlassungen wegen Mangels an Arbeit durften in der Kofferbranche in Berlin zu dieser Zeit nur erfolgen, wenn die Arbeitszeit auf sieben Stunden verkürzt wurde; Kutscher durften im Winter nicht entlassen werden. In Form der sog. Rationalisierungsschutzabkommen, welche die Sozialpartner in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts vereinbarten, wurde die gewerkschaftliche Forderung nach tarifvertraglichem Rationalisierungsschutz erstmals flächendeckend in Deutschland umgesetzt, um auf die fortschreitende Tendenz der Rationalisierung aufgrund zunehmender Technisierung des Produktionsablaufs in den Unternehmen und dem damit verbundenen Arbeitsplatzabbau zu reagieren.10 Im Frühjahr 1970 waren 5,5 Millionen Arbeitnehmer vom Schutz durch tarifliche Rationalisierungsschutzabkommen erfasst; 1972 unterlagen bereits 9 Millionen Arbeitnehmer dem Geltungsbereich tariflichen Rationalisierungsschutzes.11 Enthalten waren in solchen Vereinbarungen, welche zum Teil bis heute gelten, allgemeine Regelungen, die für den Fall näher definierter Rationalisierungsmaßnahmen des Arbeitgebers Ausgleichsmaßnahmen für die betroffenen Arbeitnehmer vorsehen.12 Im Gegensatz zum heutigen Tarifsozialplan sollte also keine Regelung mit Bezug auf eine konkrete Rationalisierungsentscheidung eines einzelnen Arbeitgebers getroffen werden. Man beschränkte sich darauf, abstrakte Vorgaben für den Fall einer Umsetzung von Rationalisierungsmaßnahmen in Form eines Verbandstarifvertrags zu vereinbaren.13 Die eigentliche Rationalisierungsentscheidung wurde nicht tariflich geregelt, sondern lediglich ein finanzieller Ausgleich für die rationalisierungsbedingten Folgewirkungen gewährt wer8

Vgl. Konertz, Rationalisierung, S. 15 ff. Sinzheimer, Arbeitsnormenvertrag, S. 46. 10 Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 347; Konertz, Rationalisierung, S. 19 ff.; Weyand, Mitbestimmung, S. 44; grundlegend zu den Rationalisierungsschutzabkommen dieser Zeit Böhle/Lutz, Rationalisierungsschutzabkommen, 1974. 11 Konertz, Rationalisierung, S. 23. 12 Siehe bspw. das Rationalisierungsschutzabkommen zwischen der IG Metall und dem Gesamtverband der metallindustriellen Arbeitgeberverbände aus dem Jahr 1968 (abgedruckt in: RdA 1968, 260 ff.), welches gemeinhin als das bedeutendste seiner Art angesehen wird, vgl. Beck, AuR 1981, 333 (334); Konertz, Rationalisierung, S. 23; Weyand, Mitbestimmung, S. 45; Verweise auf weitere tarifliche Rationalisierungsschutzabkommen finden sich bei Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 348. 13 Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 22; Meyer, DB 2005, 830; Nicolai, RdA 2006, 33 (34). 9

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Kap. 1: Ausgangspunkt

den.14 Gleichwohl zählte die Teilhabe an der unternehmerischen Entscheidung schon damals zum gewerkschaftlichen Forderungskatalog.15 In der Praxis wurden solche weitgehenden, die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers bindenden Vereinbarungen allerdings nicht abgeschlossen. 2. Weiterentwicklung tariflichen Rationalisierungsschutzes In der Folgezeit entwickelten die Sozialpartner die tariflichen Rationalisierungsschutzabkommen weiter. Die vom Arbeitgeber im Rationalisierungsfall zu zahlenden Abfindungen wurden erhöht und den Umschulungsregelungen ein größeres Gewicht beigemessen.16 Darüber hinaus verhandelten die Tarifvertragsparteien vermehrt auch über den Abschluss von Kündigungserschwernissen, welche Eingang in einige tarifliche Rationalisierungsschutzabkommen fanden.17 Damit zeichnete sich der Beginn der Entwicklung ab, auf unternehmerische Personalund Sachentscheidungen verstärkt Einfluss nehmen zu wollen. Angesichts der Ende 1973 einsetzenden Wirtschaftskrise versuchten Gewerkschaften, weitergehende Regelungen zu vereinbaren, welche die gewerkschaftlichen Einflussnahmemöglichkeiten auf unternehmerische Rationalisierungsentscheidungen verbessern sollten, um so Massenentlassungen (insbesondere von Facharbeitern) aufgrund des branchenspezifischen technischen Fortschritts zu verhindern. Die Gewerkschaft NGG setzte in einem Manteltarifvertrag der Zigarettenindustrie von 1976 ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Rationalisierungsmaßnahmen durch.18 Nach einem dreiwöchigen Arbeitskampf gelang es der IG Druck und Papier im Frühjahr 1978, sog. qualitative Besetzungsregelungen19 mit den Arbeitgebern zu vereinbaren, um die Folgen der Einführung rechnergesteuerter Texterverarbeitungssysteme im Interesse der Arbeitnehmer zu gestalten.20 Der Gewerkschaft ging es bei der Tarifauseinandersetzung in erster 14

Wend, Arbeitsplatzbesetzungsregelungen, S. 3 f.; Weyand, Mitbestimmung, S. 44 ff. Vgl. Konertz, Rationalisierung, S. 133 f. m.w. N. 16 Konertz, Rationalisierung, S. 31. 17 Vgl. Däuber-Däubler, TVG, Einl. Rn. 44; Konertz, Rationalisierung, S. 30 ff. 18 Vgl. Konertz, Rationalisierung, S. 33 f. 19 In qualitativen Besetzungsregelungen wird festgelegt, welche Qualifikationsanforderungen ein Arbeitnehmer erfüllen muss, damit ihn der Arbeitgeber an einem bestimmten Arbeitsplatz beschäftigen darf; davon zu unterscheiden sind sog. quantitative Besetzungsregelungen, welche dem Arbeitgeber bspw. vorschreiben, wie viele Fachoder Hilfskräfte an einem bestimmten Arbeitsplatz zu beschäftigen sind, vgl. Löwisch/ Rieble, TVG, § 1 Rn. 806; Schleusener, Besetzungsregelungen, S. 23 ff. 20 Vgl. Kittner, Arbeitskämpfe, S. 700 f.; Konertz, Rationalisierung, S. 38 ff.; Pornschlegel, RdA 1978, 155 (161); Reuter, ZfA 1978, 1 (2 ff.); Rieth, Steuerung, S. 8 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 348; Wend, Arbeitsplatzbesetzungsregelungen, S. 1 ff. Ein Abdruck des Tarifvertrags findet sich in RdA 1978, 116; zur Zulässigkeit dieser Vereinbarung siehe BAG v. 13.9.1983 – 1 ABR 69/81, BAGE 44, 141 ff. 15

A. Der Standortarbeitskampf in der Praxis

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Linie ausdrücklich um die Sicherung der bestehenden Arbeitsplätze.21 Die IG Metall streikte ebenfalls im Frühjahr des Jahres 1978 um einen Tarifvertrag zur Abgruppierungs- und Verdienstsicherung.22 Obwohl das gewerkschaftliche Ziel eines generellen Verbots der individuellen Abgruppierung und die Forderung nach Absicherung des betrieblichen Einstufungsniveaus nicht durchgesetzt werden konnte, gelang es der IG Metall, die Inhalte des traditionellen Rationalisierungsschutzes fortzuentwickeln. Die Tarifvertragsvereinbarungen sahen vor, dass Abgruppierungen nur unter engen Voraussetzungen zulässig sein sollten.23 Beide Arbeitskämpfe zeichneten sich durch die ungewöhnliche Härte der Kampfführung aus: Beim Streik in der Druckindustrie legten 19.000 Arbeitnehmer die Arbeit nieder, 53.000 wurden von den Arbeitgebern ausgesperrt. Während des Konflikts in der Metallindustrie wurden 120.000 Arbeitnehmer ausgesperrt, 80.000 streikten zur Durchsetzung der Tarifforderung. Die IG Metall organisierte Massenklagen ihrer Mitglieder (43.000 Einzelklagen), die öffentlichkeitswirksam zu den Gerichten gebracht wurden.24 Im Gegensatz zum klassischen Rationalisierungsschutz wandten sich die Sozialpartner damit der Regelung von Unternehmerentscheidungen zu.25 Die bestehenden Rationalisierungsschutzabkommen hatten sich in dieser Krisenphase als wenig wirkungsvoll erwiesen: Die vorgesehenen Abfindungszahlungen schreckten die Arbeitgeber nicht ab, Arbeitnehmer rationalisierungsbedingt zu entlassen und die enge Definition des Rationalisierungsbegriffs in den Regelungen stellte die Anwendbarkeit der Abkommen von vorneherein in Frage.26 Rückblickend lässt sich festhalten, dass sich die Bedeutung der traditionellen Rationalisierungsschutzabkommen angesichts der Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der anhaltenden Arbeitslosigkeit verringerte. Sie konnten keine Schutzwirkung entfalten. Dies veranlasste die Gewerkschaften, nach der präventiven Phase tariflichen Rationalisierungsschutzes neue tarifvertragliche Konzeptionen zur Sicherung von Beschäftigung zu entwickeln, um so auf unternehmerische Personal- und Sachentscheidungen größeren Einfluss nehmen zu können. Das Ziel, durch tarifliche Regelungen Arbeitsplätze zu erhalten, rückte neben die traditionelle Aufgabe der Lohn- und Gehaltspolitik als neuer Schwerpunkt der Tarifpolitik. Schon zu dieser Zeit wurde darauf hingewiesen, dass die Tarifvertragsvereinbarungen in der Druck- und Metallindustrie, denen Vorbildcharakter zukam, im Hinblick auf Investitionsentscheidungen der Arbeit21

Beck, AuR 1981, 333 (334). Siehe Kittner, Arbeitskampf, S. 700 f.; Konertz, Rationalisierung, S. 42 ff. 23 Vgl. Konertz, Rationalisierung, S. 44; Pornschlegel, RdA 1978, 155 (161). 24 Vertiefend Kittner, Arbeitskampf, S. 700 f. 25 Vertiefend Mayer/Ralfs, Rationalisierung, S. 50 ff. 26 Böhle/Lutz, Rationalisierungsschutzabkommen, S. 63 ff.; Konertz, Rationalisierung, S. 37; Pornschlegel, RdA 1978, 155 (160); Weyand, Mitbestimmung, S. 47. 22

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Kap. 1: Ausgangspunkt

geber eine nicht unerhebliche Abschreckungswirkung entfalteten, weil die mit der Umsetzung von Rationalisierungsmaßnahmen bezweckte Kostenersparnis nicht in vollem Umfang realisiert werden könnte.27 3. Betriebsnahe Tarifpolitik seit Beginn der 90er Jahre Ein weiterer Schritt hin zum Standortarbeitskampf in seiner heutigen Erscheinung ist in den Entwicklungen seit Anfang der 90er Jahren des 20. Jahrhunderts zu sehen. Angesichts einer Wirtschaftskrise in den Jahren 1992/93 mussten die Sozialpartner wiederum neue tarifpolitische Wege beschreiten. Die Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen führten dazu, dass Bedingungen der Flächen- und Verbandstarifverträge nicht eingehalten werden konnten. Kritik am bestehenden Tarifsystem wurde angesichts der aus der Praxis geforderten Notwendigkeit flexiblerer Lösungen laut.28 Man suchte daher nach dezentralen Lösungen und vereinbarte vermehrt sog. betriebliche Bündnisse für Arbeit29. Nachdem das BAG30 im „Burda-Beschluss“ festgestellt hatte, dass den Betriebsparteien ein Eingriff in laufende Tarifverträge verwehrt sei und einen gewerkschaftlichen Unterlassungsanspruch gewährte, mussten wiederum neue Wege gefunden werden. Dabei konzentrierte man sich auf tarifliche Lösungen. So rückten Firmentarifvertrag und firmenbezogener Verbandstarifvertrag als Regelungsinstrumente in den Vordergrund der Tarifpolitik, die für eine Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einzelner Unternehmen genutzt wurden.31 Man vereinbarte Sanierungstarifverträge, um die Arbeitplätze in Unternehmen zu sichern, die in eine wirtschaftliche Notlage geraten waren. Inhalte solcher Vereinbarungen sind typischerweise ein Lohnverzicht der Arbeitnehmer oder die Verlängerung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich, während Arbeitgeber im Gegenzug einem Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen zustimmen.32 Beispielhaft ist bis heute der Tarifvertragsabschluss anlässlich der Unternehmenskrise der Philipp Holzmann AG33.

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Vgl. Konertz, Rationalisierung, S. 45 f.; Pornschlegel, RdA 1978, 155 (162). Vgl. hierzu Belling, NZA 1996, 906 ff.; Dieterich, DB 2001, 2398 ff.; Henssler, ZfA 1994, 487 ff.; Lieb, NZA 1994, 289 ff.; Löwisch, JZ 1996, 812 ff.; Walker, ZfA 1996, 353 ff., jeweils m.w. N. 29 Vgl. Flatau, Betriebliche Bündnisse für Arbeit, S. 106 ff. 30 BAG v. 20.4.1999 – 1 ABR 72/98, AP Nr. 89 zu Art. 9 GG. 31 Vgl. Wendeling-Schröder, NZA 1998, 624 ff.; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 8 Rn. 48 ff. 32 Buchner, DB 2001, Beil. 9, 1 (3). 33 In einem Sanierungstarifvertrag wurden die Arbeitnehmer verpflichtet, 18 Monate lang fünf unbezahlte Überstunden wöchentlich zu leisten, vertiefend Benedikt, Sanierung, S. 34; Rieble, NZA 2000, 225 ff.; weitere Beispiele bei Buchner, DB 2001, Beil. 9, 1 (3). 28

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Folge dieser Entwicklungen war, dass sich auf Seiten der Arbeitnehmervertreter hinsichtlich einiger Positionen Verhandlungsbereitschaft zeigte, die zuvor noch schwer verhandelbar waren. Der drohende Verlust von Arbeitsplätzen hat in vielen Fällen dazu geführt, dass man durch einen Verzicht der Arbeitnehmer eine Insolvenzgefahr abzuwenden versuchte. Ein derartiges „Tauschpaket“ 34 enthält jedoch auch Missbrauchspotential, ist es in vielen Fällen aus Gewerkschaftssicht schwer zu ermitteln, ob eine schwerwiegende wirtschaftliche Notlage vorliegt oder die realistische Möglichkeit besteht, die drohende Insolvenz noch abzuwenden.35 Arbeitgeber konnten ihre Zusagen oftmals nicht einhalten, so dass der Verzicht der Arbeitnehmerseite letztendlich umsonst war.36 Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde zudem die Ankündigung von Plänen, ausländische Standorte, an denen kostengünstiger produziert werden könne, als neues Druckmittel der Arbeitgeber bei Tarifvertragsverhandlungen wahrgenommen, um ein gewerkschaftliches Entgegenkommen zu erzielen.37 Gewerkschaften betrachten solche Vereinbarungen daher mittlerweile durchaus kritisch und verlangen zumindest das Vorliegen eines tragfähigen Konzepts, sowie den Nachweis einer Existenzbedrohung als Grundlage für Verhandlungen über einen Verzicht der Arbeitnehmer.38 Im Rückblick haben diese Sanierungsfälle zur Erkenntnis geführt, dass ein Mitwirken der Arbeitnehmer am Erhalt des Unternehmens sinnvoll sein kann, wenn dies im Ergebnis zum gewünschten Erfolg führt. Andererseits sind Arbeitnehmer im Fall des Misserfolgs nicht nur mit betriebsbedingten Kündigungen – eine Beschäftigungssicherungsklausel schützt Arbeitnehmer im Insolvenzfall nicht vor einer betriebsbedingten Kündigung durch den Insolvenzverwalter39 – sondern zusätzlich noch mit einem Lohnverzicht aus der Vergangenheit belastet, obwohl auch die bloße Verzögerung einer Insolvenz aus Sicht der Belegschaft durchaus von Vorteil ist. Es lässt sich festhalten, dass die Arbeitgeberseite durch dieses Vorgehen den Gewerkschaften die Tür zur Unternehmenspolitik weiter geöffnet haben, indem sie tarifliche Regelungen mit beschäftigungssichernden Inhalten verhandelten und so die Vorteile betriebsnaher Tarifpolitik nutzten. Dies musste langfristig auch zu arbeitskampfrechtlichen Konflikten führen. Die Erkenntnis, dass Fehler des Managements für die Belegschaft im schlimmsten Fall Arbeitsplatzverlust bedeuten können, schärfte den gewerkschaftlichen Blick auf eine Beteiligung an unternehmenspolitischen Richtungsentscheidungen. Angesichts der fortschreiten34

Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 85. Vgl. Vogt, AiB 2009, 127 ff. 36 Die Sanierung bei Holzmann scheiterte trotz Vorliegens eines vom Konsens der Parteien getragenen Konzepts, vgl. Benedikt, Sanierung, S. 45. 37 So etwa im Fall der Restrukturierung bei der Firma Viessmann, vgl. ArbG Marburg v. 7.8.1996 – 1 BV 6/96 u. a., NZA 1996, 1331. 38 Vgl. Wetzel, in: Bispinck (Hsrg.), Tarifsystem, S. 117 (121). 39 BAG v. 17.11.2005 – 6 AZR 107/05, BAGE 116, 213 ff. 35

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den Dezentralisierungstendenzen der Tarifebene sollte diese Entwicklung im „Häuserkampf“ um firmenbezogene Tarifverträge mit beschäftigungssichernden Inhalten münden.40 4. Strategiewechsel der IG Metall im Jahr 1998 Der entscheidende Impuls zur Entwicklung des Standortarbeitskampfes in seiner heutigen Form ist im Strategiepapier der IG Metall Bezirk Küste „Qualifizieren statt Entlassen“ aus dem Jahr 1998 zu sehen.41 Damit sollte auf die zunehmende Zahl von Betriebsstilllegungsentscheidungen einzelner Arbeitgeber reagiert werden, um die betroffenen Arbeitnehmer zumindest eine gewisse Zeit vor drohender Arbeitslosigkeit zu bewahren. Gewerkschaften wollten größeren Einfluss auf unternehmerische Standortverlagerungsvorhaben gewinnen, die insbesondere von „Global Playern“ zur Einsparung von Personalkosten gefasst werden.42 Dies hat zu einem grundsätzlichen Wandel der Tarifpolitik geführt. a) Hintergründe und Ursachen aa) Standortpolitik der Arbeitgeber und ihre Folgen Standortverlagerungen sind seit Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts zum Massenphänomen geworden.43 Stellt dieses Instrument der Unternehmensführung zwar keine gänzlich neue Option dar44, haben die zunehmenden Verflechtungen der Weltwirtschaft und die Öffnung neuer Märkte ihren Einsatz doch erst sinnvoll und einsetzbar gemacht. Die Motive, welche solche Unternehmerentscheidungen veranlassen, sind vielfältig. Man ist geneigt, lediglich den Aspekt „Gewinnmaximierung“ durch Senkung von Personalkosten, Erhaltung von Subventionszuschüssen und Steuerersparnisse als entscheidende Beweggründe einer solchen Entscheidung auszumachen.45 Gleichwohl darf dabei nicht übersehen werden, dass Standortverlage40 Treffend Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 19: „Vom heilbringenden Gral hat sich der Firmentarifvertrag mittlerweile zur Büchse der Pandora entwickelt.“ 41 IG Metall Küste (Hrsg.), Qualifizieren statt Entlassen, 1998. 42 Vgl. Zabel, AiB 1998, 615 (616). 43 Zu den unterschiedlichen Begriffsbestimmungen siehe Ahlers/Öz/Ziegler, Standortverlagerung, S. 9 ff. Wird im Folgenden von einer „Standortverlagerung“ gesprochen, sind nur solche Umstrukturierungsmaßnahmen gemeint, bei denen eine Betriebsstätte geschlossen wird und der Unternehmer diese Produktion an einem anderen Standort selbst fortführt. Rein rechtliche Vorgänge, wie Ausgliederungen oder Outsourcingmaßnahmen, sind von diesem Begriffsverständnis nicht gedeckt. 44 Ahlers/Öz/Ziegler, Standortverlagerung, S.10 ff.; Krause, Standortsicherung, S.11 f. 45 Vgl. Cohnen, in: FS ArG ArbR DAV, S. 595 f.; Wolter, RdA 2002, 218 (224). Sicherlich ist die Senkung von Personalkosten ein entscheidender Beweggrund, wenn man

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rungen auch mit dem Ziel einer Erschließung neuer Märkte und der Herstellung von räumlicher Nähe zu Zulieferbetrieben oder Großkunden durchgeführt werden.46 Über die gesamtvolkswirtschaftliche Bedeutung von Standortverlagerung besteht ein unklares Bild. Während einige Berichte belegen, dass in den letzten Jahren in bestimmten Branchen bereits umfassende Standortverlagerungsaktivitäten eingesetzt haben oder zu erwarten sind,47 wird andererseits von gegenläufigen Entwicklungen gesprochen und bereits eine „Rückzugswelle“ 48 ausgemacht. Ungeachtet dieser Unklarheiten lässt sich festhalten, dass eine Verlagerung von Betriebsstätten aus Unternehmersicht immenses Potential mit sich bringt. So ist es (natürlich branchen- und unternehmensabhängig) nunmehr möglich, für den deutschen Markt im Ausland zu produzieren und deutsche Standortvorteile mit denen anderer Volkswirtschaften zu kombinieren. Auch mittelständischen Unternehmen wird daher geraten, die Vorteile von Standortverlagerungen zu nutzen.49 Dennoch birgt diese aus Unternehmersicht scheinbar günstige Entwicklung auch Risiken, geht es für Unternehmen doch darum, im Standortwettbewerb gegen neue Konkurrenten zu bestehen. Gerade der zunehmende Konkurrenzkampf im globalisierten Wettbewerb und die Möglichkeiten feindlicher Übernahmen erfordern vielfach erhebliche Umstrukturierungsmaßnahmen.50 Einsparungen können vielfach auf schnellstem Weg durch den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen erreicht werden. Solche Ankündigungen führen regelmäßig zu Kursanstiegen bei börsennotierten Unternehmen.51

die Lohnstruktur in Osteuropa mit der in Deutschland vergleicht, siehe dazu die Übersicht in Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 1.4.2006, S. 53 – „Osteuropäische Gehälter in der Produktion im Vergleich“: Während in Deutschland ein gering qualifizierter Produktionsmitarbeiter im Vergleichszeitraum im Durchschnitt 26.000 EUR im Jahr verdiente, erhielt ein Arbeitnehmer in Rumänien mit vergleichbarer Qualifikation im Durchschnitt nur 3.000 EUR. Zum Anstieg der Löhne in Osteuropa siehe Handelsblatt v. 2.5.2007, S. 6 – „Das Kreuz mit den Kosten“. 46 Vgl. Ahlers/Öz/Ziegler, Standortverlagerung, S. 19. 47 Siehe BT-Drs. 14/9200, 49 ff.; Feudner, DB 2004, 982 (982 f.). Ein Überblick über die Ergebnisse einiger repräsentativer Studien zu Standortverlagerungsaktivitäten findet sich bei Ahlers/Öz/Ziegler, Standortverlagerung, S. 35 ff. 48 Siehe die Berichte in AiBplus 4/2008, 10 ff; Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.10.2006, S. 19 – „Rückzug aus dem Osten“. 49 Vgl. Breithaupt, in: Unternehmensgestaltung 3/2006, S. 16 ff. 50 Beispielhaft dafür ist der Ablauf des Standorttarifkonflikts bei AEG/Electrolux: Auslöser der Standortdiskussion waren Gerüchte einer feindlichen Übernahme von Electrolux, die das Unternehmen zu Einsparungen und erheblichen Umstrukturierungen zwang. Dies wurde von Gewerkschaftsseite als Gewinnmaximierungsstrategie gebrandmarkt, vgl. Wechsler, in: Bispinck (Hsrg.), Tarifsystem, S. 104 f. 51 So auch die Wahrnehmung von Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 31; Forst, NZA 2009, 294. Zum Beleg kann wiederum der Ablauf bei AEG/Electrolux angeführt werden, vgl. Wechsler, in: Bispinck, Tarifsystem, S. 104 (105).

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Auswirkungen von Standortentscheidungen sind zwar schwerlich in ihrer Gesamtheit zu erfassen, doch aus Sicht der von der Verlagerung betroffenen Arbeitnehmer wird man kaum bestreiten können, dass Standortverlagerungen im schlimmsten Fall längere Arbeitslosigkeit bedeuten können. Im Gegensatz zur neuen Mobilität unternehmerischer Betätigung ist der Faktor Arbeit sehr viel mehr ortsgebunden.52 Dies hat sich wiederum auf die Wahrnehmung kollektiver Interessen bei Vorliegen einer konkreten Verlagerungsgefahr ausgewirkt: Seit einiger Zeit wird aus Sicht der Arbeitnehmervertreter die Standortdrohung als neues taktisches Mittel der Arbeitgeber ausgemacht. Darunter ist die Ankündigung von Standortverlagerungsplänen durch den Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmervertretern zu verstehen, um so das Ziel einer Verschlechterung von tariflichen Arbeitsbedingungen im Rahmen von Tarifvertragsverhandlungen zu erreichen.53 Unbestritten kommt einer Bekanntgabe von Verlagerungsplänen ein „strategischer Wert“ zu.54 Es handelt sich sozusagen um das „Spiegelbild“ des Standortstreiks auf Seiten der Arbeitgeber, wenn sich diese die Vorteile der Standortverlagerungsoption bei einem Stillstand von Tarifvertragsverhandlungen zur Nutze machen, indem durch Verlagerungsankündigungen Druck auf die Arbeitnehmervertretungen ausgeübt wird. Der drohende „Standorttod“ führt vielfach zum Einlenken der Arbeitnehmervertreter.55 Der Vorwurf aus Arbeitnehmersicht lautet daher, „dass sich Standortdiskussionen in vielerlei Hinsicht erpresserisch auswirken“ 56. bb) Rechtlicher Hintergrund Als weiterer Grund für die Entwicklung des Standortstreiks wird die aus Arbeitnehmersicht unbefriedigende Rechtslage hinsichtlich der Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen jenseits von Tarif- und Arbeitskampfrecht angeführt: 52

Krause, Standortsicherung, S. 13 f.; Feudner, DB 2004, 982. Vgl. Däubler, NJW 2006, 30 (30 f.); Franzen, ZfA 2005, 315 (317 ff.); Jacobs, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 91 (91 ff.); Krause, Standortsicherung, S. 103. 54 Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 658. 55 Vgl. dazu die Studie bei Ahlers/Öz/Ziegler, Standortverlagerung, S. 49 ff., welche die Ergebnisse einer WSI-Betriebsrätebefragung bzgl. der Auswirkungen und Umsetzungen von Standortverlagerungsplänen aus Arbeitnehmersicht auswerten. Für den Fall einer Ankündigung von Standortverlagerungsvorhaben geben 47,4% der Befragten an, dass es im Laufe der Standortdiskussion zu einer Verschlechterung der Arbeitbedingungen in den betroffenen Betrieben gekommen sei (vgl. Ahlers/Fikret/Ziegler, Standortverlagerung, S. 61). Nicht nur die realisierte, sondern auch die angedrohte Standortverlagerung hat dabei im Ergebnis zu Einschnitten hinsichtlich der Lohngestaltung im Betrieb geführt. Insgesamt geben von 2000 befragten Betriebsräten 16% an, mit Standortdiskussionen konfrontiert gewesen zu sein; in nur 9% dieser Fälle sei es tatsächlich zu einer Verlagerung gekommen (vgl. Ahlers/Öz/Ziegler, Standortverlagerung, S. 67). Darstellungen einschlägiger Sachverhalte finden sich bei Apitzsch, in: FS Küttner, S. 435 (437 f.); Jacobs, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 92 (93 f.). 56 Ahlers/Öz/Ziegler, Standortverlagerung, S. 68. 53

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Im Betriebsverfassungsrecht ist die Beteiligung des Betriebsrats in den §§ 111 ff. BetrVG auf die Regelung der Folgen von unternehmenspolitischen Grundlagenentscheidungen beschränkt.57 Zwar muss der Unternehmer versuchen, sich mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich gemäß § 112 BetrVG zu einigen, der regeln soll, „ob“, „wie“ und „wann“ die Betriebsänderung erfolgt.58 Für den Fall, dass keine Einigung zustande kommt, ist der Arbeitgeber jedoch rechtlich nicht gehindert, die Betriebsänderung durchzuführen.59 Im Gegensatz dazu ist der betriebliche Sozialplan gemäß § 112 Abs. 4 BetrVG erzwingbar; das bedeutet, dass die Einigungsstelle zu entscheiden hat, wenn eine Einigung von den Betriebsparteien nicht erzielt werden konnte. Ein solcher betriebsverfassungsrechtlicher Sozialplan regelt den sozialen Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern aufgrund der geplanten Betriebsänderung entstehen (§ 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG). Beim Verfahren des erzwungenen Sozialplans hat die Einigungsstelle gemäß § 112 Abs. 5 S. 1 BetrVG neben den sozialen Belangen der Arbeitnehmer ausdrücklich auch die wirtschaftliche Vertretbarkeit zu berücksichtigen. Bei der Bemessung des Gesamtbetrages der Sozialplanleistungen darf der Fortbestand des Unternehmens und die verbleibenden Arbeitsplätze nicht gefährdet werden (§ 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 BetrVG). Ob dem Betriebsrat bei einer Verletzung von Informationspflichten ein Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Betriebsänderung zusteht, ist im Schrifttum heftig umstritten und bisher nicht höchstrichterlich geklärt.60 Den von Verlagerungsentscheidungen betroffenen Arbeitnehmern ist es nicht möglich, in einem Kündigungsschutzprozess gegen betriebsbedingte Kündigungen der Arbeitgeber vorzugehen, weil die für die Kündigung ursächliche Standortentscheidung aus ihrer Sicht „willkürlich“ erscheint. Das bestehende Kündigungsschutzrecht sieht nur geringe Hürden für betriebsbedingte Kündigungen aufgrund standortverlagerungsbedingter Betriebsschließungen vor.61 Die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer gebietet zwar einen Mindestbestandsschutz, der durch die geltenden Regelungen zum Kündigungsschutzrecht aber gewährleistet wird.62 Die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit der Unternehmerentscheidung unterliegt gerade nicht der Kontrolle der Arbeitsgerichte, so dass es nicht von Bedeutung 57

Vgl. Fitting, BetrVG, § 111 Rn. 5. Vgl. ErfK-Kania, BetrVG, § 112a Rn. 1; Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a Rn. 13; HWK-Hohenstatt/Willemsen, BetrVG, § 112 Rn. 4. 59 Zu den faktischen Beschränkungen HWK-Hohenstatt/Willemsen, BetrVG, § 112 Rn. 10. 60 Vgl. HWK-Hohenstatt/Willemsen, BetrVG, §§ 112 Rn. 80; ErfK-Kania, BetrVG, § 111 Rn. 24; Fitting, § 111 BetrVG, Rn. 131 ff.; Walker, FA 2008, 290 ff.; Lobinger, in: FS Richardi, S. 657 (661 ff.). 61 Vgl. Feudner, DB 2004, 982 (983 ff.); Krause, Standortsicherung, S. 17 ff., deutlich auch BAG v. 8.11.2007 – 2 AZR 554/05, AP Nr. 28 zu § 17 KSchG 1969. 62 Vgl. Krause, Standortsicherung, S. 23 ff. 58

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ist, ob die unternehmerische Entscheidung wirtschaftlich sinnvoll ist.63 Dies folgt aus der verfassungsrechtlich geschützten Unternehmerfreiheit.64 Zwar soll die unternehmerische Entscheidung daraufhin kontrolliert werden, ob sie offenbar unsachlich oder unvernünftig ist.65 Damit soll jedoch lediglich einem möglichen Rechtsmissbrauch der Arbeitgeberseite vorgebeugt werden. Es handelt sich nicht um die gerichtliche Kontrolle, ob es sich um die „beste“ Unternehmerentscheidung handelt.66 Unabhängig von diesem Grundsatz der eingeschränkten Rechtskontrolle der Unternehmerentscheidung im Kündigungsschutzrecht ist der Kündigungsschutzprozess als bipolares Verfahren für die Bewältigung solcher kollektiver Auseinandersetzungen kaum geeignet.67 § 613a BGB vermittelt in der Regel ebenfalls keinen Schutz. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist nicht eröffnet, da die Verlagerungen in der Praxis so ausgestaltet werden, dass ein Betriebsübergang vermieden wird. Liegt eine Betriebsstilllegung vor, schließt dies das Vorliegen eines Betriebsübergangs aus.68 Insbesondere die betriebsverfassungsrechtliche Rechtslage wurde von Seiten der Arbeitnehmervertreter als unbefriedigend empfunden.69 Dies wurde zum Anlass genommen, neue Wege zu finden, um verlagerungswillige Arbeitgeber unter Druck zu setzen und Betriebsschließungen zumindest zu verzögern. b) Inhalte und Ziele Das Konzept betriebsnaher Tarifpolitik zielt darauf ab, diese „Schwächen“ durch einen Wechsel auf die tarifliche Ebene zu überwinden. Die zuständige Gewerkschaft soll im Fall einer drohenden Betriebsschließung Tarifforderungen an den Arbeitgeber richten, die auf den Abschluss eines Firmentarifvertrags oder firmenbezogenen Verbandstarifvertrags abzielen. Notfalls sollen diese auch mittels Streiks durchgesetzt werden, um so die Unternehmerentscheidung beeinflussen zu können. 63 Vgl. BAG v. 13.3.2008 – 2 AZR 1037/06, NZA 2008, 878 ff.; BAG v. 4.5.2006 – 8 AZR 299/05, AP Nr. 304 zu BGB § 613a; HWK-Quecke, KSchG, § 1 Rn. 267 m.w. N. 64 Deutlich zuletzt BAG v. 13.3.2008 – 2 AZR 1037/06, NZA 2008, 878, Orientierungssatz 2. 65 St. Rspr., vgl. nur BAG v. 22.9.2005 – 2 AZR 208/05, AP Nr. 141 zu KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, NZA 1991, 181 ff.; BAG v. 7.12.1978 – 2 AZR 155/77, BB 1980, 1103 ff. 66 Krause, Standortsicherung, S. 19. 67 Vgl. Krause, Standortsicherung, S. 39 f. 68 Vgl. BAG v. 16.5.2002, NZA 2003, 93 (96); BAG v. 20.4.1989 – 2 AZR 431/88, AP Nr. 81 zu § 613a BGB; a. A. Kania, ZESAR 2010, 112 (113 ff.). 69 IG Metall Küste (Hrsg.), Qualifizieren statt Entlassen, S. 1; Zabel, AiB 1998, 617 (617 f.).

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Die wichtigsten Forderungen der IG Metall Bezirk Küste im Strategiepapier „Qualifizieren statt Entlassen“ lauten: Verschiebung und gegebenenfalls Aufgabe geplanter Betriebsstilllegungen; Vereinbarung von Qualifizierungsmaßnahmen, die bis zu sechs Monate andauern sollen und zu Lasten der Arbeitgeber vereinbart werden; Beschäftigungsgarantien von bis zu fünf Jahren; Erhöhung der Grundkündigungsfristen bei betriebsbedingten Kündigungen; Anspruch betriebsbedingt gekündigter Arbeitnehmer auf Qualifizierungsmaßnahmen mit einer Laufzeit bis zu 24 Monaten unter Fortzahlung des Lohns; Abfindungszahlungen in Höhe von bis zu zwei Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr.70 Ziel dieser Vorgehensweise ist es, dass Betriebsstilllegungsentscheidungen vom Arbeitgeber zurückgenommen werden oder zumindest ein höherer Ausgleich für die Arbeitnehmer erreicht wird, als dies im Rahmen von betrieblichen Sozialplanvereinbarungen typischerweise der Fall ist. Inhalte eines betrieblichen Sozialplans sollen demnach in größerem Umfang zusätzlich auf tariflicher Ebene eingefordert werden.71 Weitere Forderungen können die Errichtung einer sog. Beschäftigungsgesellschaft72 oder eine Erweiterung der Mitbestimmungsrechte73 des Betriebsrates in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten sein. Daneben wird der Abschluss von Standortsicherungstarifverträgen angestrebt. In diesen Tarifverträgen wird der Verzicht einer Betriebsstilllegung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretern (oftmals unter Beteiligung von Gewerkschaft und Betriebsrat74) vereinbart.75 Ein tariflicher Ausschluss des Rechts zur betriebsbedingten Kündigung trägt im Fall einer Betriebsschließung nicht, da es dem Arbeitgeber möglich ist, durch Ausspruch außerordentlicher betriebsbedingter Kündigung sinnentleerte Arbeitsverhältnisse zu beenden und den Standortverlagerungsbeschluss umzusetzen.76 Daher macht es aus Sicht der Gewerkschaft 70

IG Metall Küste (Hrsg.), Qualifizieren statt Entlassen, S. 8 ff. Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019 (1020). 72 So etwa bei AEG/Electrolux, vgl. Wechsler, in: Bispinck (Hrsg.), Tarifsystem, S. 104 (112). 73 Vgl. Hensche, AuR 2004, 443 (444); Zabel, AiB 1997, 431 f. 74 BAG v. 7.11.2000 – 1 AZR 175/00, NZA 2001, 727 ff; BAG v. 15.4.2008 – 1 AZR 86/07, NZA 2008, 1074 ff. Werden Betriebsrat und Gewerkschaft beteiligt, spricht man von sog. „dreigliedrigen Standortvereinbarungen“, vgl. dazu Thüsing, NZA 2008, 201 ff.; Grau/Döring, NZA 2008, 1335 ff.; Gravenhorst, FA 2008, 330 f.; umfassend jüngst Ruch, Dreiseitige Vereinbarungen, 2010. 75 Vgl. Wolter, RdA 2002, 218 f. 76 Vgl. BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, BAGE 88, 10 (15); BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 587/05, AP Nr. 201 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49 (50 f.); Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 207 ff. Bereits aus diesem Grund spielt der Arbeitskampf um einen Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen bei Standorttarifkonflikten eine untergeordnete Rolle. In einem vom ArbG Köln v. 21.6.2007 – 1 Ga 104/07 (juris); ArbG Köln v. 18.12.2007 – 14 Ca 5411/07 (juris) zu entscheidenden Fall wurde diese Forderung nach Bekanntgabe einer Standortschließung dennoch ge71

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Kap. 1: Ausgangspunkt

Sinn, nicht an der unternehmerischen Personal-, sondern an der unternehmenspolitischen Sachentscheidung des Arbeitgebers anzusetzen, um die Interessen der Arbeitnehmer zu wahren. Während also der Tarifsozialplan die soziale Abmilderung einer Unternehmerentscheidung regeln soll, wird bei der Forderung nach einem Standortsicherungstarifvertrag das Ziel der Standorterhaltung angestrebt. Der Arbeitgeber soll sich im Rahmen einer solchen Vereinbarung verpflichten, bestimmte Betriebsstandorte über einen gewissen Zeitraum aufrechtzuerhalten und nicht zu verlagern. Neben der Forderung nach Standortsicherung sind in solchen Beschäftigungspakten weitere Inhalte denkbar, die auch Ziele eines Arbeitskampfes sein können: Im Fall der Planung von Ausgliederung und Ausgründung könnte ähnlich wie bei der Standortverlagerung ein Verzicht auf die Umsetzung der Pläne gefordert werden.77 Eine tarifliche Zusicherung von Produktionslinien, Vereinbarungen über die Aufrechterhaltung bestimmter Produktionsprogramme oder die Zusicherungen von Investitionen erhalten den Beschäftigungsstand an einem bestimmten Standort.78 Rückblickend lässt sich feststellen, dass die IG Metall die Hinweise aus dem gewerkschaftsnahen Schrifttum, unternehmerische Entscheidungen auf tariflicher Ebene gegebenenfalls mittels Streiks zu beeinflussen,79 aufgegriffen und fortentwickelt hat, um auf die zunehmenden Umstrukturierungsaktivitäten zur Senkung von Personalkosten in den Betrieben reagieren zu können. Es hat ein Strategiewechsel in der Art der Interessenvertretung hinsichtlich von Fragen der Beschäftigungssicherung stattgefunden. Es sollte versucht werden, auf Unternehmerentscheidungen mit negativen Folgewirkungen für die Arbeitnehmer Einfluss zu nehmen. stellt. Im Gegensatz zu den bei Standortkonflikten typischerweise vorliegenden Sachverhalten beabsichtigte der Arbeitgeber jedoch, die Arbeitnehmer an den verbleibenden Standorten weiterzubeschäftigen, also nicht den Standort, sondern die Arbeitsplätze zu verlagern. Die Gewerkschaft erhob in der Folge neben der Forderung nach Abschluss eines Tarifsozialplans auch die Streikforderung „Ausschluss betriebsbedingter Änderungskündigungen“. Im Laufe des Gerichtsverfahrens wurde wiederum darüber gestritten, ob das „wahre“ Kampfziel der Gewerkschaft die Abwendung der Standortschließung war. 77 Vgl. Greiner, NZA 2008, 1274; HK-ArbR-Hensche, Art. 9 GG Rn. 102; beispielhaft ist die, allerdings ohne Arbeitskampf zustande gekommene Regelung in § 8 Abs. 3 des TV-ZUSI-L: „Während der Laufzeit der Anwendungsvereinbarung dürfen keine Neu-, Um- oder Ausgründungen mit dem Ziel der Anwendung eines anderen als des in § 1 genannten Tarifrechts vorgenommen werden, es sei denn, sie sind Bestandteil der Vereinbarung in der Anwendungsvereinbarung oder die neue Gesellschaft wird tarifgebundenes Mitglied in einem Mitgliedverband der TdL.“ 78 Vgl. Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, § 1 TVG Rn. 88; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 18; Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 328; Däubler-Schiek, TVG, Einl. Rn. 273; Löwisch, in: Bitburger Gespräche, S. 19 (23). 79 Vgl. nur Däubler-Schumann, Arbeitskampfrecht, 1. Aufl., Rn. 158.

A. Der Standortarbeitskampf in der Praxis

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Erprobt wurde diese neue Vorgehensweise u. a. in einem Tarifkonflikt bei der Firma Weyburn-Bartel 80, der beispielhaft für zukünftige Standorttarifstreitigkeiten sein sollte: Der Arbeitgeber plante eine Betriebsstilllegung. Daraufhin trat die IG Metall an ihn heran und erreichte nach Durchführung von Streikmaßnahmen den Abschluss eines Firmentarifvertrags, welcher einen Rechtsanspruch der Arbeitnehmer auf Qualifizierungsmaßnahmen unter Fortzahlung ihrer Bezüge vorsah. Nach Aussagen der IG Metall gelang es damit erstmals, eine unternehmerische Entscheidung einzuschränken.81 5. Transnationale Gewerkschaftspolitik Auch auf transnationaler Ebene haben die Gewerkschaften auf die Internationalisierung der Arbeitsbeziehungen reagiert und sich auf europäischer Ebene zusammengeschlossen.82 In der „Frankfurter Erklärung“ vom 10.5.2002 wurde nach einer Einladung der IG Metall vom Europäischen Metallarbeiterbund (EMB) im Rahmen einer gemeinsamen Beratung während eines Arbeitskampfes für die Zukunft eine engere Zusammenarbeit für grenzüberschreitende Konflikte vereinbart.83 Vor dem Hintergrund der globalisierungsbedingten Entwicklungen ist auch die Gründung der Gewerkschaft Europäischer Verband der Wanderarbeiter zu sehen.84 Auf internationaler Ebene besonders hervorzuheben sind die Aktivitäten der International Transport Workers’ Federation (ITF), die den Kampf gegen die Billigflaggenpolitik in der globalen Seeschifffahrt zu einer ihrer zentralen Aufgaben gemacht hat: „Seit über 50 Jahren führt die ITF in Gestalt der ihr angeschlossenen Gewerkschaften der Seeleute und der Hafenbeschäftigten eine nachdrückliche Kampagne gegen Reeder, die sich auf der Suche nach möglichst billigen Besatzungen und möglichst niedrigen Ausbildungs- und Sicherheitsanforderungen für ihre Schiffe von der Flagge ihres Herkunftslandes verabschieden. [. . .] Eine politische Kampagne soll durch eine internationale Vereinbarung auf Regierungsebene eine echte Verbindung zwischen der Flagge, unter der ein Schiff fährt, und der Nationalität bzw. dem Wohnsitz seines Reeders, seiner Verwalter und der Besatzungsmitglieder herstellen und auf diese Weise das Billigflaggensystem völlig beseitigen. Eine gewerkschaftliche Kampagne soll gewährleisten, dass Seeleute an Bord von Billigflaggenschiffen unabhängig von ihrer Nationalität vor Ausbeutung durch Reeder geschützt sind.“85

80 Siehe zum näheren Ablauf des Tarifkonflikts IG Metall Küste (Hrsg.), Qualifizieren statt Entlassen, S. 5 ff.; Zabel, AiB 1998, 615 ff. 81 IG Metall Küste (Hrsg.), Qualifizieren statt Entlassen, S. 5. 82 Vgl. hierzu Jeschke, Streik, S. 18 f. 83 Abgedruckt in TRANSFER 2002, 714 f. 84 Vgl. Knoche-Gattringer, Der Grundstein, 10/2007, 6 (7). 85 Abrufbar unter www.itfglobal.org (zuletzt abgerufen am 1.3.2010); zur Historie der „ITF-Billigflaggenpolitik“ siehe auch Zwanziger, ITF, S. 6 ff.

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Kap. 1: Ausgangspunkt

Ungeachtet dieser noch am Anfang stehenden Versuche86 einer transnationalen Bündelung von Arbeitnehmerinteressen erscheint eine Koordination von Streikmaßnahmen jedoch schon deshalb schwierig, weil die Interessen der Arbeitnehmerschaft oftmals noch national geprägt sind und der Wunsch, den eigenen Standort zu sichern, das Ziel eines gemeinschaftlichen Vorgehens vielfach überwiegen wird. Es bleibt daher abzuwarten, ob es den Gewerkschaften etwa gelingen würde, dass bei einem „Global-Player“ beschäftigte Arbeitnehmer die Arbeit niederlegen, um einen Streik aus Anlass einer Standortschließung desselben Unternehmens in einem anderen Staat zu unterstützen, selbst wenn sie von den Maßnahmen nicht unmittelbar betroffen wären und der Arbeitgeber den Erhalt ihres Standorts ausdrücklich zusichern würde. Ob ein solcher Arbeitskampf, wenn er in Deutschland geführt wird, zulässig wäre, ist eine weitere Frage, auf die im Rahmen dieser Untersuchung aber nicht eingegangen werden soll.87 Der Schwerpunkt liegt in der Verortung der Grenzen der Streikfreiheit eines in Deutschland geführten Hauptarbeitskampfes im Betrieb, der verlagert werden soll.

II. Heutiges Erscheinungsbild des Standortarbeitskampfes 1. Streik um Tarifsozialpläne Das Beispiel des Arbeitskampfes bei Weyburn-Bartel88 „hat Schule gemacht“. Das Konzept der IG Metall wurde von anderen Gewerkschaften aufgegriffen. Arbeitgeber müssen nunmehr damit rechnen, dass Gewerkschaften versuchen, Standortverlagerungsvorhaben zu verhindern oder zumindest zu verzögern. a) Typischer Ablauf von Standorttarifstreitigkeiten Werden Standortverlagerungspläne der Unternehmensführung bekannt, etwa weil Betriebsrat oder Wirtschaftsausschuss informiert werden,89 oder tritt der Arbeitgeber selbst an die Arbeitnehmerseite heran, um Arbeitskosten zu senken, da

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Vgl. Kluge, in: Stützel (Hrsg.), Streik im Strukturwandel, S. 7 f. Für die Zulässigkeit eines in Deutschland geführten Arbeitskampfes zur Unterstützung eines Hauptarbeitskampfes, der in einem Mitgliedsstaat der EU aus Anlass eines Standortverlagerungsvorhabens der Arbeitgeberseite geführt wird, Gumnior, Rechtmäßigkeit, S. 263 ff. m.w. N. 88 Siehe Kapitel 1 A. I. 4. b). 89 Vgl. die Sachverhalte, welche BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 ff.; LAG Niedersachsen v. 2.6.2004 – 7 Sa 819/04, AP Nr. 164 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ArbG Lübeck v. 29.5.2001 – 6 Ga 21/01, AiB 2002, 122 ff., zugrunde lagen. 87

A. Der Standortarbeitskampf in der Praxis

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ansonsten eine Aufrechterhaltung der Betriebsstätte gefährdet sei,90 reagieren Betriebsrat und zuständige Gewerkschaft nach folgendem Muster: Nach der Unterrichtung des Betriebsrats über die Pläne beginnen betriebliche Verhandlungen über den Abschluss von Interessenausgleich und Sozialplan. In deren Verlauf versucht der Betriebsrat regelmäßig eine Einigung möglichst lange hinauszuzögern, um so die Grundlage für flankierende gewerkschaftliche Forderungen zu bereiten.91 Im Anschluss daran tritt auch die Gewerkschaft an den Arbeitgeber heran und stellt zusätzliche tarifliche Forderungen. Oftmals wird dabei von Gewerkschaftsseite eine Doppelstrategie verfolgt. Zunächst wird versucht, mittels Standortsicherungstarifvertrags einen Erhalt der Betriebsstätte zu erreichen. Verweigert sich der Arbeitgeber einer solchen Lösung endgültig, wird die Forderung nach Abschluss eines Tarifsozialplans erhoben und mit einer Streikandrohung verbunden.92 Obgleich damit vordergründig nur eine Regelung der Folgen dieser bevorstehenden Verlagerungsentscheidung zum Inhalt der Tarifauseinandersetzung gemacht wird, verfolgt man von Seiten der Gewerkschaft weiterhin das Ziel der Standortsicherung, wenn man öffentliche Äußerungen von Gewerkschaftsvertretern als Beleg gelten lässt.93 Dies wird von Gewerkschaftsseite jedoch bestritten und auf den sozialen Ausgleich der Standortentscheidung als offizielles Kampfziel verwiesen; der Standorterhalt wird als politische Forderung bezeichnet.94 Adressaten der Forderungen sind entweder der einzelne verlagerungswillige Arbeitgeber oder der zuständige Arbeitgeberverband.95 90 So bspw. bei DaimlerChrysler, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 13.7.2004, S. 9 – „Daimler stellt 6000 Arbeitsplätze in Frage“; bei Siemens VDO, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 27.10.2004, S. 16 – „Siemens VDO vor Stellenabbau“. 91 Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019 (1023); Reichold, BB 2004, 2814 (2816); Willemsen/Stamer, NZA 2007, 413 (416). 92 Vgl. Wechsler, in: Bispinck (Hrsg.), Tarifsystem, S. 104 (106 f.). 93 Vgl. das Zitat von Hartmut Meine (IG Metall Bezirksleiter) anlässlich des Standorttarifkonflikts bei der Firma Otis: „Wir werden es nicht länger widerspruchslos hinnehmen, dass größere Betriebe schließen und ins Ausland verlagert werden.“ Presseerklärung v. 12.4.2004, abrufbar unter: www.igmetall-nieder-sachsen-anhalt.de (zuletzt abgerufen am 1.3.2010). Ähnlich auch Werner Dreibus (Erster Bevollmächtigter der IG Metall), in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 20.3.2003, S 51 – „MAN Roland plant weiteren Stellenabbau“. Beim Arbeitskampf um einen Tarifsozialplan anlässlich der Schließung des Norgren-Werks in Großbettlingen erklärte die IG Metall: „Ziel der IG Metall bleibt weiterhin der Erhalt der Arbeitsplätze.“ Presseerklärung v. 20.3.2007, abrufbar unter: www.esslingen.igm.de (zuletzt abgerufen am 1.3.2010). 94 Vgl. Mitbestimmung 6/2007, S. 50. 95 Im Fall des LAG Niedersachsen v. 2.6.2004 – 7 Sa 819/04, AP Nr. 164 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, war der einzelne Arbeitgeber Adressat der Tarifforderung, obgleich vorher ein Ergänzungstarifvertrag mit dem Arbeitgeberverband angestrebt wurde. Im Fall des LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, wurde die Tarifforderung sowohl an den Arbeitgeberverband als auch an den einzelnen Arbeitgeber gerichtet. In anderen Fällen wurde die Tarifforderung ausschließlich an den Verband gerichtet: BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 ff; LAG Hessen v. 2.2.2006 – 9 Sa 915/05, LAGE Nr. 75 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG

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Kap. 1: Ausgangspunkt

Von Arbeitgeberseite wurde in der Vergangenheit vielfach bereits die Aufnahme von Tarifverhandlungen verweigert.96 Die Gewerkschaften reagierten daraufhin mit Warnstreiks und unbefristeten Arbeitsniederlegungen. Nach teilweise lang andauerndem Arbeitskampf lenken die bestreikten Arbeitgeber oftmals ein. In manchen Fällen wurden Streikmaßnahmen nach dem Abschluss eines betrieblichen Sozialplans beendet.97 Die Standortverlagerung konnte auf diesem Weg bisher zumeist nicht verhindert werden.98 Dennoch ist die Umsetzung der Verlagerungsentscheidung mit teilweise erheblichen Folgekosten belastet.99 Zukünftigen Standortverlagerungsvorhaben anderer Arbeitgeber soll so vorgebeugt werden, da sie damit rechnen müssen, nach Bekanntgabe von Verlagerungsvorhaben Streikmaßnahmen ausgesetzt zu sein, welche die Umsetzung der Umstrukturierungsmaßnahme verzögern und mit weiteren Folgekosten belasten. b) Besonderheiten des Vorgehens Eine Neuartigkeit der gewerkschaftlichen Strategie des Standortstreiks wurde bereits angesprochen:100 Durch das Taktieren von Gewerkschaft und Betriebsräten entfaltet der Standortstreik eine besondere Drohkulisse, sieht sich der Arbeitgeber doch zwei Verhandlungsgegnern gegenüber, welche nach seinem Empfinden die Vorteile von betrieblicher und tariflicher Verhandlungsebene auszuspielen wissen (Stichwort: „Der Arbeitgeber in der Zange“ 101). Dieser Druck auf den Arbeitgeber wird zusätzlich durch den exorbitanten Forderungsumfang von Tarifsozialplänen erhöht. Das Volumen der tariflichen Forderungen liegt deutlich über dem, was in der Vergangenheit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbart wurde. Dies hat sich auch in den erzielten Verhandlungsergebnissen niedergeschlagen. Im Fall des Arbeitskampfes bei der Firma Heidelberger Druckmaschinen AG wurde vorgetragen, dass eine Erfüllung der tariflichen Forderungen einer Belastung mit 200 Millionen EUR gleichkäme.102 Schleswig-Holstein v. 27.5.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG; ArbG Lübeck v. 29.5.2001 – 6 Ga 21/01, AiB 2002, 122 ff. 96 So in BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 ff; LAG Hessen v. 2.2.2006 – 9 Sa 915/05, LAGE Nr. 75 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG SchleswigHolstein v. 27.5.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 97 Vgl. BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 f. 98 Zu einer Rücknahme der Standortentscheidung kam es bisher in den wenigsten Fällen. Eine Ausnahme bildet der Standortkonflikt bei der Firma Norgren in Großbettlingen, siehe dazu die Presseerklärung der IG Metall v. 4.5.2007, abrufbar unter: www. esslingen.igm.de (zuletzt abgerufen am 1.3.2010); Mitbestimmung 6/2007, S. 50 – „Nicht zum Billigpreis“. 99 Vgl. Gotthardt, NZA 2005, 737 ff. 100 Siehe Einleitung A. 101 Henssler, in: FS Richardi, S. 553. 102 Vgl. dazu BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (988).

A. Der Standortarbeitskampf in der Praxis

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Das Volumen des betrieblichen Sozialplans belief sich in diesem Fall lediglich auf 41,9 Millionen EUR.103 Der Streik bei Infineon wurde mit dem Abschluss eines Tarifsozialplans mit einem Gesamtvolumen von mehr als 50 Millionen EUR beendet.104 Diese exorbitanten Forderungen in Tarifsozialplänen sind charakteristisch für den Streik um solche Inhalte und führen dazu, dass es regelmäßig zu hohen Tarifvertragsabschlüssen kommt.105 Den Gewerkschaften geht es bei diesem Vorgehen gerade darum, neben dem bestmöglichen Ausgleich der Verlagerungsfolgen für ihre Mitglieder auch die wirtschaftliche Vertretbarkeit der Verlagerungsentscheidung in Frage zu stellen, in dem diese mit hohen Folgekosten für Abfindungen, Qualifizierungsmaßnahmen und verlängerten Kündigungsfristen belastet wird.106 Die Forderung nach Erhaltung des Standortes wird dabei nicht zum Kampfziel erhoben,107 was nicht verwundert, wenn man sich vor Augen hält, dass im Schrifttum erhebliche rechtliche Bedenken gegen die Erstreikbarkeit der Standortbeibehaltung schon vor oder zu Beginn der Entwicklung dieser Kampfstrategie geäußert wurden,108 die später das LAG Hamm109 bestätigte. Nach dieser Entscheidung wurde von Gewerkschaftsseite darauf verzichtet, einen Arbeitskampf aus Anlass einer Standortverlagerungsentscheidung ausdrücklich mit dem Ziel einer Standortsicherung zu führen. Man versuchte stattdessen, die Standortverlagerungsentscheidung durch exorbitante Forderungen nach Abschluss eines Tarifsozialplans zu torpedieren. Dabei ist zu bedenken, dass mit der besonderen Höhe der Forderungen eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft in weite Ferne rückt und die Grundlage für einen langen Arbeitskampf bereitet wird. So entstehen weitere Folgekosten und Schäden, falls das Standortverlagerungsvorhaben aufrechterhalten wird. Eine weitere, aus Arbeitgebersicht höchst unliebsame Nebenerscheinung des Standortstreiks ist die Öffentlichkeitswirksamkeit gewerkschaftlicher Aktionen.110 103 Siehe Süddeutsche Zeitung v. 24.6. 2003, S. 22 – „Sozialplan bei Heidelberger Druck“. 104 Siehe Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 24.01.2006, S. 13 – „Gewerkschaften und Betriebsrat nehmen Unternehmen in die Zange“. 105 Weitere Beispiele bei Otto, Arbeitskampfrecht, § 8 Rn. 43. 106 Von einer immer wiederkehrenden „Dreifaltigkeit der Forderungen“ spricht in diesem Zusammenhang Christian Schoof (Gewerkschaftssekretär der IG Metall), zitiert in: Mitbestimmung 6/2007, S. 50 – „Nicht zum Billigpreis“. 107 Krause, Standortsicherung, S. 109. 108 Vgl. an dieser Stelle nur Buchner, DB 2001, Beil. 9, 1 (9 f.); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 345 ff.; Hanau/Thüsing, in: Thüsing (Hrsg.), Tarifautonomie, S. 7 (29 ff.); Papier, RdA 1989, 137 ff.; Wiedemann, RdA 1986, 237 ff. 109 LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; siehe hierzu sogleich in Kapitel 1 B. I. 1. 110 Bauer/Göpfert/Haussmann/Krieger, Umstrukturierung, Teil 2 C Rn. 39; Junker, NZA 2006, Beil. 3, 147 (149); Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590. Zur gewerkschaftli-

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Kap. 1: Ausgangspunkt

Gewerkschaften wussten es in der Vergangenheit zu nutzen, dass die Sympathien in der Öffentlichkeit zumeist auf Seiten der betroffenen Arbeitnehmer liegen. Aus Sicht der verlagerungswilligen Arbeitgeber birgt dies zusätzliche Risiken: Der Fall AEG/Electrolux hat gezeigt, dass Standortverlagerungen einen Boykott von Produkten des Herstellers nach sich ziehen können, was mit erheblichen Umsatzeinbußen verbunden ist.111 Auch nach einer Verlagerungsankündigung von Nokia waren Boykottaufrufe zu vernehmen.112 Selbst wenn die zuständige Gewerkschaft darauf verzichtet, Streikforderungen anlässlich von Verlagerungsplänen zu erheben, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass Unternehmer ihre Pläne ohne jeglichen Widerstand der Belegschaft umsetzen können. Der Standortarbeitskampf der Arbeitnehmer beschränkte sich in der bisherigen Arbeitskampfpraxis nicht auf den gewerkschaftlich geführten Standortstreik um Tarifsozialpläne. Mittels sog. wilder Streiks versuchten Teile der Belegschaft, zum Teil unter dem „Deckmantel“ der betrieblichen Informationsveranstaltung gemäß §§ 42 ff. BetrVG geführt, Druck auf verlagerungswillige Arbeitgeber ausüben.113 Treibende Kraft war in diesen Fällen nicht die Gewerkschaft, sondern der Betriebsrat. Ausdrücklich erklärten zuständige Gewerkschaftsvertreter, dass es sich chen Öffentlichkeitsarbeit bei Standortkonflikten am Beispiel AEG/Electrolux Wechsler, in: Bispinck (Hrsg.), Tarifsystem, S. 104 (111); siehe hierzu auch Spiegel v. 13.2. 2006, S. 66 ff. – „Kampf um die Meinungshoheit“. 111 Der eigentliche Streikschaden bei AEG/Electrolux soll sich auf ca. 600 Millionen EUR belaufen, da es durch die Arbeitsniederlegungen zu Lieferengpässen kam, vgl. Wechsler, in: Bispinck (Hrsg.), Tarifsystem, S. 104 ff. Ein Imageverlust der Marke AEG ist dabei noch nicht eingerechnet. Obgleich ein Nachweis, dass Umsatzeinbußen in unmittelbaren Zusammenhang mit Arbeitskampfmaßnahmen stehen, schwer zu führen ist und eine Abgrenzung zwischen unmittelbaren Belastungen durch den Arbeitskampf und Folgekosten durch einen Imageverlust ebenso schwer fällt, wird angenommen, dass dieser Standortarbeitskampf bei AEG/Electrolux mit erheblichen weiteren Folgekosten wegen einer „Beschädigung“ der Marke AEG verbunden war, vgl. dazu die Erklärung von Electrolux, in der ein deutlicher Absatzrückgang eingestanden wird, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 19.7.2006, S. 16 – „AEG-Streik kostet Electrolux Marktanteile“; Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 25.4.2006, S. 21 – „Streik in Nürnberg belastet die Marke AEG“; Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 15.2.2006, S. 19 – „AEG-Schließung belastet Ergebnis“; im Handelsblatt v. 25.4.2007, S. 18 – „Arbeitgeber im Schraubstock“, wird ein Umsatzeinbruch in Höhe von 46 Prozent angegeben. 112 Diese wurden nicht von Gewerkschaftsseite geäußert. Beispielhaft ist die „indirekte“ Aufforderung von Kurt Beck (ehem. SPD-Vorsitzender), zitiert in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 21.1.2008, S. 1 – „Verheugen: Wegen Nokia Subventionen prüfen“: „Mir persönlich kommt kein Nokia-Handy mehr ins Haus.“ Zum Boykott weiterer Politiker anlässlich der Verlagerung des Nokia-Werks von Bochum nach Rumänien siehe Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 21.1.2008, S. 1 – „Boykott der Populisten“. 113 So etwa in den Fällen der Arbeitsniederlegungen bei Opel in Bochum und DaimlerChrysler in Sindelfingen aus dem Jahr 2004 anlässlich der geplanten Standortschließungen, siehe dazu die Beschreibung der Sachverhalte bei Rieble, RdA 2005, 200 f.; Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 25 insb. Fn. 1. Zum Streik bei Opel siehe auch Die Zeit Nr. 44/2004, S. 25 – „Erst 20000, jetzt 10000, bald nur noch 6000?“.

A. Der Standortarbeitskampf in der Praxis

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nicht um ein von der Gewerkschaft getragenes Vorgehen der Belegschaft handelte.114 Diese hat den Streik also nicht übernommen, was rechtlich durchaus möglich gewesen wäre.115 Betrachtet man diese Abläufe, liegt es näher, von Streik als von Informationsveranstaltungen zu sprechen. Demonstrationsfahrten der Gabelstaplerfahrer und Werkstorblockaden weisen den Charakter eines Arbeitskampfes auf.116 Ziel dieser Aktionen war es, die Konzernspitze von ihren Plänen abzubringen. Treffend hat anlässlich dieser Geschehnisse Rieble117 solche Ausprägungen des Phänomens Standortstreiks als „faktischen Arbeitskampf um Standorterhaltung“ bezeichnet. Arbeitgeber sind in der Vergangenheit gegen solche Maßnahmen nicht vorgegangen und haben weitestgehend auf Kündigungen verzichtet.118 Es ist zu vermuten, dass man den Betriebsfrieden nicht erneut aufs Spiel setzten wollte. c) Bedeutung in der Tarifpraxis Betrachtet man die Arbeitskämpfe aus Anlass von Standortentscheidungen in den letzten Jahren, muss man zum Ergebnis kommen, dass sich der Streik um den Tarifsozialplan bereits fest in der Tarifpraxis etabliert hat. Werden Umstrukturierungsvorhaben mit Entlassungsfolgen bekannt, fordert die zuständige Gewerkschaft tariflichen Ausgleich, notfalls mittels Streiks. Vom Standortstreik als Einzelerscheinung kann man daher nicht mehr sprechen.119 Zeugnis dieser Entwicklung sind die bekanntesten Beispiele der Tarifauseinandersetzungen, die aus Anlass von Standortentscheidungen in den letzten Jahren geführt wurden. Arbeitskämpfe bei den Unternehmen Brandt 120, Heidelberger Druckmaschinen121, Otis122, Infineon123, CNH124 und AEG/Electrolux125 haben 114 Deutlich Jürgen Peters (ehem. Erster Vorsitzender der IG Metall) zu den Abläufen bei Opel, zitiert in: Financial Times v. 20.10.2004, S. 9 – „Opelaner legen Produktion lahm“. 115 Vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 25 Rn. 15 ff.; Otto, Arbeitskampfrecht, § 6 Rn. 28 ff. 116 Siehe zu den Abläufen Rieble, RdA 2005, 200 (200 f.). 117 Rieble, RdA 2005, 200. 118 Lediglich bei Opel wurden nach Beendigung der Streikmaßnahmen zwei Kündigungen ausgesprochen, vgl. Rieble, RdA 2005, 200 (201). 119 Anders dagegen Sybille Wankel (Tarifsekretärin und Justitiarin der IG Metall-Bezirksleitung Bayern), zitiert in: Berrisch, FA 2007, 43 (44), welche betont, dass die IG Metall den Arbeitskampf um Tarifsozialpläne als seltenen Ausnahmefall ansehe. 120 Siehe Kapitel 1 B. I. 1. 121 Siehe Kapitel 1 B. I. 2. 122 Siehe Kapitel 1 B. I. 3. 123 Siehe dazu Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 16 f. 124 Siehe dazu Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 17 f. 125 Siehe Wechsler, in: Bispinck (Hrsg.), Tarifsystem, S. 104 ff.; metall 3/2006, S. 16 ff.

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Kap. 1: Ausgangspunkt

gezeigt, dass es sich nicht um seltene Ausnahmefälle handelt. In der Tarifpraxis der letzten Jahre finden sich weitere, zum Teil weniger bekannt gewordene Fälle des gewerkschaftlich geführten Standortarbeitskampfes, bei denen die Gewerkschaft diese Strategie verfolgte.126 Zudem beschränken sich Arbeitskämpfe aus Anlass von Umstrukturierungsvorhaben mittlerweile nicht mehr ausschließlich auf Standortverlagerungsvorhaben der Arbeitgeber. Arbeitskämpfe mit dem Ziel des Abschlusses von Tarifsozialplänen wurden auch in ähnlich gelagerten Umstrukturierungsprozessen geführt. Die Abläufe der Tarifauseinandersetzungen bei der Deutschen Telekom127 anlässlich von Ausgliederungsvorhaben und die Auseinandersetzungen um die Umstrukturierungsvorhaben bei Airbus128 und der Allianz129 zeigen dies. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Entwicklung zukünftig fortsetzt.130 Angesichts sinkender Mitgliederzahlen der großen Gewerkschaften und der Tendenz zur Vereinzelung des Tarif- und Arbeitskampfrechts durch Spartengewerkschaften bietet dieser Strategiewechsel den großen Gewerkschaften neue Möglichkeiten. Durch offensive Tarifpolitik kann das Ziel verfolgt werden, die Verlagerung Gewinn erwirtschaftender Betriebsstätten gegen den Willen der Arbeitgeberseite zumindest zu verzögern und so erheblichen Einfluss auf Umstrukturierungsprozesse zu gewinnen.131 Die Bekanntgabe von Standortverlagerungsabsichten und das offensive Auftreten der Gewerkschaften haben in den betroffenen Betrieben zu „Massenbeitritten“ geführt.132 Die neue Strategie des 126 Siehe zur Übersicht weiterer Standortarbeitskämpfe Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 11 ff. 127 Anlässlich der Notwendigkeit von Umstrukturierungsmaßnahmen und die Planung einer Ausgliederung in Servicegesellschaften kam es im Jahr 2007 zu Arbeitskampfmaßnahmen der Gewerkschaft ver.di, siehe dazu Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 11.5.2007, S. 1 – „Streik bei der Telekom“; Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 21.6.2007, S. 13 – „Deutsche Telekom einigt sich mit ver.di“; Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 30.6.2007, S. 15 – „Der Weg für den Umbau der Telekom ist frei“. 128 Nach Bekanntgabe des Sanierungsplans kam es europaweit zu Arbeitsniederlegungen, siehe dazu Handelsblatt v. 2.3.2007, S. 16 – „Arbeitskampf gefährdet AirbusUmbau“. Die IG Metall stellte im Verlauf der Verhandlungen Forderungen nach Standortgarantien, Investitionszusagen und Kündigungsschutz, siehe dazu Handelsblatt v. 6.12.2007, S. 16 – „IG Metall erhöht Druck auf Airbus“. 129 Nachdem die Firma Allianz Umstrukturierungspläne trotz positiver Bilanz bekannt gegeben hatte, die u. a. Entlassungen vorsahen, rief die Gewerkschaft ver.di im Jahr 2006 mehrfach die Beschäftigten zu Arbeitsniederlegungen auf, siehe dazu Handelsblatt v. 22.6.2006, S. 22 – „Gewerkschaft droht der Allianz mit Streik“; Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 14.9.2006, S. 15 – „Ver.di will Allianz bestreiken“. 130 Vgl. die Handlungshinweise von Göritz/Hase/Rupp, Interessenausgleich, S. 101: „Im Fall einer beabsichtigten Tarifflucht durch Ausgründung und rechtliche Verselbstständigung von Teilbetrieben ist der Tarifvertrag die einzige Möglichkeit, das Vorhaben des Arbeitgebers zu vereiteln.“ 131 Zabel, AiB 2007, 379 (382). 132 Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (554).

A. Der Standortarbeitskampf in der Praxis

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Standortarbeitskampfes ist also durchaus ein „Werbeinstrument“ der großen Gewerkschaften, welches ihnen den „Weg zurück in die Betriebe“ ebnen könnte. Gerade bei grundlegenden Umstrukturierungsvorhaben in Großunternehmen, deren Umsetzung aus Gewerkschaftssicht Signalwirkung zukommen könnte und die vorwiegend zur Gewinnsteigerung angestrebt werden, greifen die Gewerkschaften zur Waffe des Streiks um den Tarifsozialplan. Es bleibt abzuwarten, ob sie zukünftig bei sonstigen Betriebsänderungen ebenfalls auf diese Streiktaktik zurückgreifen werden. 2. Reaktionsmöglichkeiten der Arbeitgeberseite Die Situation des bestreikten Arbeitgebers, welcher eine Standortentscheidung gegen den Druck der Gewerkschaft umzusetzen versucht, wird vielfach als „misslich“ empfunden. Dies wurde im arbeitgebernahen Schrifttum zum Anlass genommen, Abwehrstrategien zu entwickeln, um sich dem „Kampf an zwei Fronten“ zu entziehen und Druck auf die Gewerkschaft auszuüben.133 Es wird darauf hingewiesen, dass bereits im ersten Planungsstadium einer umfangreichen Betriebsänderung ins Kalkül mit einbezogen werden muss, dass die zuständige Gewerkschaft die Forderung nach Abschluss eines Tarifsozialplans stellt und diese gegebenenfalls mittels Streiks durchzusetzen versucht.134 Es wird geraten, die Folgekosten eines Streiks und mögliche Verpflichtungen aus einem Tarifsozialplan bei der Planung von Umstrukturierungsvorhaben von vorneherein in die Berechnungen einzustellen. Sei ein Standortstreik nicht mehr zu vermeiden, wird den bestreikten Arbeitgebern vorgeschlagen, zu versuchen, den Zangengriff durch eine Suspendierung der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsrechte zu lösen.135 Wurde zu diesem Zeitpunkt bereits ein Verfahren vor der Einigungsstelle eingeleitet, solle dieses bis zur Beendigung der Streikaktivitäten ruhen.136 Zur Vorbeugung von Standortstreiks sollte darüber hinaus bereits auf Verbandsebene klargestellt wer133 Vgl. nur Bauer/Göpfert/Haußmann/Krieger, Umstrukturierung, Teil 2 C Rn. 34 ff.; Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019 (1024); Gaul, RdA 2008, 13 (21 ff.); Grau, NJW 2007, 3660 (3661); Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (568 ff.); Kappenhagen/Lambrich, BB 2007, 2238 (2240); Lipinski/Ferme, DB 2007, 1250 ff.; Löw, AuA 2007, 463 ff.; Schweibert, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung, C 285b; Stück, MDR 2008, 127 (128 f.); Willemsen/Stamer, NZA 2007, 412 ff. 134 Bauer/Göpfert/Haußmann/Krieger, Umstrukturierung, Teil 2 C Rn. 34 ff.; Lipinski/Ferme, DB 2007, 1250; Schweibert, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung, C 285b. 135 So Löwisch, DB 2005, 554 (559); Willemsen/Stamer, NZA 2007, 412 (415 ff.); zustimmend Bayreuther, NZA 2007, 413 (416); Gaul, RdA 2008, 13 (22); Kappenhagen/Lambrich, BB 2007, 2238 (2240); Lipinski/Ferme, DB 2007, 1250 (1252); Schweibert, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung, C 285d. 136 Vgl. Löwisch, DB 2005, 554 (559); Willemsen/Stamer, NZA 2007, 412 (416 ff.).

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Kap. 1: Ausgangspunkt

den, dass tarifvertragliche Kündigungsschutzregelungen auch im Fall von Betriebsänderungen abschließend sind.137 Die relative Friedenspflicht würde somit einem Standortstreik im Fall einer Betriebsverlagerung zwingend entgegenstehen. Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob sich Gewerkschaften auf eine solche Regelung einlassen würden, um somit die Waffe des Standortstreiks wieder aus den Händen zu geben. Manche Autoren weisen allerdings darauf hin, dass sich bestehende Rationalisierungsschutzabkommen auf Verbandsebene, welche vor Entwicklung der Kampfstrategie des Tarifsozialplans vereinbart wurden, aufgrund ihrer Friedenspflicht noch als sehr „nützlich und vorteilhaft erweisen“ könnten.138 Darüber hinaus hält Kock139 den „Versuch einer Angriffsaussperrung“ der Arbeitgeber für „interessant“. Manche Autoren140 wollen sogar eine lösende Abwehraussperrung zulassen. Bisher wurde dies von den bestreikten Arbeitgebern aber nicht in Erwägung gezogen. Insgesamt zeigen die bisherigen Gegenstrategien das „Dilemma“ der Arbeitgeberseite auf. Sie verdeutlichen, welchen Einfluss Gewerkschaften auf unternehmenspolitische Grundsatzentscheidungen bereits gewonnen haben. Arbeitgeber werden daher zukünftig versuchen, Standortentscheidungen längerfristiger zu planen. Zunächst werden neue Betriebsstätten aufgebaut, ohne die bestehenden Betriebsstätten in Frage zu stellen; erst wenn die neue Betriebsstätte produktionsbereit ist, werden „alte“ Betriebsstätten geschlossen. So könnten Betriebsverlagerungen „verschleiert“ werden. Ist dies nicht möglich, etwa weil die zuständige Gewerkschaft Schließungsabsichten hinter den Plänen vermutet, wird auf die Vorbereitung zusätzlicher Produktionskapazitäten oder den Einsatz von Subunternehmern verwiesen.141 Einem drohenden Standortstreik könnte so die Grundlage entzogen werden. Diese Vorgehensweise scheint bisher der einzig gangbare Weg zu sein, Streikmaßnahmen der Gewerkschaften bei Standortkonflikten vorzubeugen.

137 Diller, DB 2006, Heft 16, Gastkommentar; Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (568); Kock, ZIP 2007, 1775 (1778). 138 Vgl. Schweibert, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung, C 285b m.w. N. 139 Kock, ZIP 2007, 1775 (1778); skeptisch dagegen Gaul, RdA 2008, 13 (22); Löwisch, in: FS Richardi, S. 679 (682). 140 Rieble, BB 2008, 1506 (1509); wohl auch Greiner, NZA 2008, 1274 (1278); Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 352; Temming, ELR 2008, 190 (201). 141 So Bauer/Göpfert/Haußmann/Krieger, Umstrukturierung, Teil 2 C Rn. 37; Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (568 ff.); Schweibert, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/ Seibt, Umstrukturierung, C 285c.

A. Der Standortarbeitskampf in der Praxis

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III. Fazit 1. Der Blick auf die rechtstatsächliche Entwicklung des Phänomens Standortarbeitskampf zeigt, dass Gewerkschaften und Arbeitgeberseite neue tarifpolitische Wege beschritten haben, um auf eine Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der daraus folgenden Notwendigkeit unternehmerischer Umstrukturierungen zu reagieren. Die Standortverlagerungsoption spielt den Arbeitgebern in die Karten. Gewerkschaften setzten dem die Waffe des Standortstreiks entgegen. 2. Das unternehmerische Interesse an einer Standortverlagerung aufgrund des internationalen Wettbewerbdrucks erscheint ebenso wie das Ziel der Erhaltung von produktiven Standorten und der sozialverträglichen Gestaltung von Verlagerungen durchaus legitim. Eine Abwägung der gegenläufigen Interessen, die beide bestmöglich zur Entfaltung gelangen lässt, scheint schon auf den ersten Blick schwer. Eine Lösung wird stets dem Einwand ausgesetzt sein, dass man sich bei der Entscheidungsfindung von rechtspolitischen Wertungen habe leiten lassen. So verwundert es nicht, dass der Standortarbeitskampf, bei dem Aussagen hinsichtlich der Rechtmäßigkeitsgrenzen aus dem Spannungsverhältnis von Streikund Unternehmerfreiheit zu suchen sind, zum Anlass genommen wurde, den Gesetzgeber an seine Regelungskompetenz für das Arbeitskampfrecht zu erinnern und dabei auch den rechtlichen Rahmen der Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen aus Anlass von Standortverlagerungsentscheidungen verbindlich festzulegen.142 Eine Regelung ist in näherer Zukunft jedoch nicht zu erwarten.143 3. Aus Sicht der bestreikten Arbeitgeber stellt sich angesichts des Fehlens einer eindeutigen gesetzlichen Norm die entscheidende Frage, in welchem Maße das Arbeitnehmerkollektiv Betriebsschließungen verhindern kann und welches Maß an schädigendem Verhandlungsdruck erduldet werden muss. Für die Gewerkschaften gilt es zu klären, ob auch eine Schließung rentabler Betriebe zur Steigerung des Unternehmensgewinns hingenommen werden muss, oder ob man diese mittels Streiks verhindern oder zumindest zeitlich verzögern kann. Nicht zu vergessen ist der einzelne Arbeitnehmer, für den eine Teilnahme an einem rechtswidrigen Standortstreik gegebenenfalls individualarbeitsrechtliche Sanktionen nach sich ziehen kann.144 4. Die Notwendigkeit eines Ordnungsrahmens und das Bedürfnis nach Rechtssicherheit sind angesichts der einschneidenden Folgen einer Durchführung von Kampfmaßnahmen für den Gegner im Arbeitskampfrecht besonders hoch. Es be142 Vgl. nur Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 207; dens., NZA 2007, 310 (313); Höfling, ZfA 2008, 1 (29); siehe auch die Anfrage der FDP-Fraktion v. 16.1.2008, BT-Drs. 16/7789. 143 Siehe zuletzt BT-Drs. 16/10003. 144 Vgl. hierzu Otto, Arbeitskampfrecht, § 15 Rn. 48 ff.

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Kap. 1: Ausgangspunkt

darf eines „Kampfes nach Regeln“ 145, damit nicht „rechtsstaatswidriges Chaos und Recht des Stärkeren herrschen“ 146. Beim Standortarbeitskampf wird dies besonders deutlich: Für die verlagerungswilligen Arbeitgeber gilt es, notwendige Umstrukturierungsmaßnahmen zeitnah umsetzen zu können. Die Gewerkschaften halten den Einsatz der Waffe des Standortstreiks für unabdingbar, um vom Arbeitgeber „Schadensersatz“ für die „Vernichtung von Arbeitsplätzen“ einfordern zu können.147 All dies verdeutlicht die Brisanz der rechtlichen Fragen, die mit dem Standortarbeitskampf verbunden sind.

B. Der Standortarbeitskampf in der Rechtsprechung Der Rechtsprechung kommt angesichts des „Schweigens“ des Gesetzgebers zum Arbeitskampfrecht hinsichtlich der Beurteilung neuer Kampftaktiken eine besondere Bedeutung zu. Auslegung und Fortentwicklung des Arbeitskampfrechts liegen gänzlich in den Händen der Judikatur als Ersatzgebesetzgeber.148 Im Folgenden sollen daher die Leitlinien der Rechtsprechung zum Standortarbeitskampf dargestellt werden.

I. Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte 1. LAG Hamm – Urteil v. 31.5.2000 Gegen die Zulässigkeit eines Streiks zur Abwendung einer Standortverlagerungsgefahr hat sich in einem der ersten Verfahren das LAG Hamm149 ausgesprochen und so der Streiktaktik eines Arbeitskampfes gegen die Verlagerungsentscheidung eine Absage erteilt.150 Im zugrunde liegenden Sachverhalt bestreikte die Gewerkschaft NGG die Betriebsstätte des Zwiebackherstellers Brandt GmbH & Co. KG in Hagen, in welcher 632 Arbeitnehmer beschäftigt waren. Die 145 Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 272; vgl. auch Zachert, in: FS Wißmann, S. 202 (212). 146 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 1 Rn. 13. 147 Deutlich auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, § 1 Rn. 91b: „Wer abholzt, muss aufforsten.“ 148 Kritisch Höfling/Engels, NJW 2007, 3102 (3103); umfassend Engels, Arbeitskampfrecht, S. 311 ff. 149 LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = NZA-RR 2000, 535 ff. 150 Siehe auch LAG Schleswig-Holstein v. 25.11.1999 – 4 Sa 584/99, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. In diesem Verfahren war ebenfalls über die Rechtmäßigkeit eines Arbeitskampfes um beschäftigungssichernde Inhalte in Form des Tarifsozialplans zu entscheiden; das Gericht musste aber nicht mit dem Inhalt der Streikforderungen auseinandersetzen, da die Rechtswidrigkeit der Streikmaßnahmen schon damit begründet wurde, dass sie auf den Abschluss eines Firmentarifvertrags gegen einen verbandsangehörigen Arbeitgeber gerichtet waren, vgl. Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 23.

B. Der Standortarbeitskampf in der Rechtsprechung

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Unternehmensführung beabsichtigte, die Betriebsstätte zu verlagern. Grundstücksverträge für die neue Betriebsstätte waren bereits unterzeichnet. Nach Bekanntwerden der Verlagerungspläne hatte sich die NGG an das Unternehmen und den zuständigen Arbeitgeberverband mit der Tarifforderung nach Abschluss eines Standortsicherungstarifvertrags gewandt, welcher in Form eines Firmentarifvertrags oder firmenbezogenen Verbandstarifvertrags abgeschlossen werden sollte. Die Aufnahme von Verhandlungen wurde abgelehnt. Daraufhin rief die NGG ihre Mitglieder im Betrieb zur Urabstimmung auf: „Auf zur Urabstimmung! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, in den vergangenen Wochen haben wir mit vielen gemeinsamen Aktionen versucht, Herrn B. davon zu überzeugen, dass H. der richtige Standort für eine neue Zwieback-Fabrik ist. Leider hat er alle Signale nicht verstanden. Deshalb bleibt uns jetzt keine andere Wahl mehr. Der nächste Schritt heißt: Arbeitskampf! Darüber entscheidet allein ihr, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ob wir in einen Streik gehen sollen oder nicht, das entscheidet Ihr mit Eurer Stimme bei der Urabstimmung.“151

Die Urabstimmung erbrachte eine Zustimmung von 90,8%. Die Brandt GmbH & Co. KG beantragte daraufhin per einstweiliger Verfügung, die Streikmaßnahmen zu untersagen. Das ArbG Hagen152 hatte diesem Antrag im Wesentlichen stattgegeben. Die Berufung der NGG vor dem LAG Hamm blieb ebenfalls ohne Erfolg: Der beabsichtigte Streik zur Erzwingung des Abschlusses eines Firmentarifvertrags bzw. firmenbezogenen Verbandstarifvertrags zur Standortsicherung sei unzulässig, da dieser gegen die in Art. 12 Abs. 1 GG verwurzelte Unternehmensautonomie verstoßen würde. Die Streikforderung sei nicht auf den Ausgleich der Folgen der unternehmerischen Entscheidung gerichtet, sondern ziele darauf ab, den Unternehmer durch Druck des Arbeitskampfes von den Plänen der Betriebsverlagerung abzubringen. Dieser tatsächliche Wille sei dem Aufruf zur Urabstimmung zu entnehmen. Ein solcher Druck sei von der Tarifautonomie nicht mehr gedeckt. Des Weiteren könnten die Regelungen der §§ 111 ff. BetrVG einer tariflichen Regelung einer konkreten Betriebsänderung in einem Betrieb begrenzend entgegengesetzt werden. Der Betriebsrat würde ansonsten faktisch funktionslos gestellt. 2. LAG Schleswig-Holstein – Urt. v. 27.5.2003 Das LAG Schleswig-Holstein153 hatte im Frühjahr 2003 über die Erzwingbarkeit eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrags zur Regelung der Folgen einer 151 Zitiert nach LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 1R. 152 ArbG Hagen v. 16.5.2000 – 4 Ga 9/00 (juris). 153 LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = DB 2003, 1336 = NZA-RR 2003, 592 ff. = SAE 2004, 227 ff. = ZTR 2003, 449 = AiB 2004, 565 ff.

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Kap. 1: Ausgangspunkt

geplanten Betriebsverlagerung zu entscheiden. Die Heidelberger Druckmaschinen AG wandte sich im einstweiligen Verfügungsverfahren gegen angekündigte Streikmaßnahmen der IG Metall, nachdem man bekannt gegeben hatte, Teile der Produktion in die USA und zum Standort des Hauptbetriebs verlagern zu wollen. 562 der 1000 Mitarbeiter waren von Kündigungen bedroht. Verhandlungen mit dem Betriebsrat mit dem Ziel eines Interessenausgleichs wurden daraufhin begonnen. Parallel dazu forderte die IG Metall vom Arbeitgeberverband die Aufnahme von Tarifverhandlungen. Die Tarifforderungen beinhalteten u. a. eine erhebliche Verlängerung der Kündigungsfristen, Ansprüche betriebsbedingt gekündigter Arbeitnehmer auf Qualifizierungsmaßnahmen und Abfindungen. Der Arbeitgeberverband weigerte sich, diese Forderungen zu erfüllen. Danach kam es zur Streikmaßnahmen der IG Metall in dem betroffenen Betrieb. Anträge der Heidelberger Druckmaschinen AG auf einstweilige Untersagung von Arbeitskampfmaßnahmen lehnte das ArbG Kiel154 ab. Auch die Berufung vor dem LAG Schleswig-Holstein blieb ohne Erfolg: Ein Verfügungsanspruch scheitere an der fehlenden Rechtswidrigkeit der angekündigten Streikmaßnahmen. Ein Eingriff in das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Rechte auf freie Unternehmerentscheidung liege nicht vor, da die im Schreiben gegenüber dem Arbeitgeberverband erhobenen Forderungen nach Verlängerung der Kündigungsfristen, Abfindungen und Qualifizierungsmaßnahmen tariflich regelbar seien. Die Forderung des Standorterhalts sei nicht Ziel des Arbeitskampfes, da für die Rechtmäßigkeitsprüfung lediglich auf die im Streikbeschluss aufgeführten Tarifforderungen der IG Metall abzustellen sei. Ein rechtswidriger Eingriff in die Unternehmensautonomie sei auch nicht im Umfang der Forderungen nach Verlängerung der Kündigungsfristen zu sehen. Der Kernbereich der Unternehmensautonomie würde damit nicht berührt. Zwar könne man annehmen, dass durch exorbitant lange Kündigungsfristen die im Kernbereich des Art. 12 Abs. 1 GG unantastbare Freiheit des Arbeitgebers, seinen Produktionsbetrieb zu verlagern, faktisch ausgehebelt werden könnten. An eine Prüfung des Umfangs von Tarifforderungen seien jedoch strenge Anforderungen zu stellen. Es müsse der Tarifforderung „augenscheinlich auf der Stirn geschrieben sein, dass sie den Kernbereich der Unternehmensautonomie verletzt, ansonsten liefe es auf eine unzulässige Tarifzensur durch die Gerichte hinaus“ 155. Tarifforderungen bildeten die Ausgangsbasis für die eigentlichen Tarifverhandlungen und nicht das Ergebnis durchgeführter und gescheiterter Verhandlungen. In diesem Fall könne daher mit Verweis auf die Höhe der Tarifforderungen keine Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfes begründet werden. Ferner sei der Streik nicht unzulässig, weil die Abmilderung der sozialen Folgen einer Betriebsänderung gemäß §§ 111 ff. BetrVG dem Betriebsrat vorbehalten sei. 154 155

ArbG Kiel v. 14.3.2003 – 5 Ga 10b/03 (juris). So das Gericht unter 1.2.3. der Entscheidungsbegründung.

B. Der Standortarbeitskampf in der Rechtsprechung

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3. LAG Niedersachsen – Urt. v. 2.6.2004 Das LAG Niedersachsen156 hatte im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens über die Zulässigkeit eines Arbeitskampfes zu entscheiden, der im Mai 2004 beim Fahrtreppenhersteller Otis anlässlich einer Standortverlagerung der Betriebsstätte von Stadthagen in die Tschechische Republik und nach China durchgeführt wurde. Trotz einer Verpflichtung des Arbeitgebers aus dem Jahre 1999, den Standort Stadthagen zu erhalten, fasste Otis den Verlagerungsbeschluss und informierte Betriebsrat und Wirtschaftsausschuss.157 Die IG Metall forderte daraufhin zunächst den zuständigen Arbeitgeberverband auf, einen Ergänzungstarifvertrag mit Geltung für den betroffenen Betrieb zu vereinbaren. Die tariflichen Forderungen beinhalteten Qualifizierungsmaßnahmen für betriebsbedingt gekündigte Arbeitnehmer für bis zu 36 Monate nach Ablauf der Kündigungsfrist unter Fortzahlung eines Entgelts in Höhe der bisherigen Vergütung, Abfindungen in Höhe von zwei Monatseinkommen pro Beschäftigungsjahr und die Einrichtung eines Fonds für besondere Härtefälle. Eine Aufnahme von Tarifverhandlungen wurde von Seiten des Arbeitgeberverbands abgelehnt. Daraufhin wandte sich die Gewerkschaft an Otis und stellte dieselben Tarifforderungen unter Androhung von Arbeitskampfmaßnahmen. Ziel war der Abschluss eines Firmentarifvertrags. Auch Otis lehnte die Aufnahme von Tarifverhandlungen ab; Gespräche der Beteiligten blieben erfolglos. Daraufhin kam es zu einem warnstreikbedingten Ausfall von 1080 Arbeitsstunden. Zu einem unbefristeten Streik kam es vom 13.4.2004 bis zum 17.6.2004. Der Arbeitgeber versuchte daraufhin gerichtlich gegen diese Arbeitskampfmaßnahmen vorzugehen. Otis scheiterte mit einem einstweiligen Verfügungsantrag gegen den Streik vor dem ArbG Hameln158. Auch die Berufung vor dem LAG Niedersachsen hatte keinen Erfolg: Die §§ 111 ff. BetrVG stünden einem solchem Tarifvertrag nicht entgegen. Die betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen über Interessenausgleich und Sozialplan sollten die Möglichkeiten der Tarifvertragsparteien, die Folgen von Entlassungen zu regeln, nicht ausschließen. Sei eine Tarifforderung grundsätzlich zulässig, könne sie auch erstreikt werden. Eine gesetzeswidrige Tarifforderung könne dagegen nicht mittels Streiks durchgesetzt werden. Die in diesem Fall gestellten Forderungen seien jedoch vom Regelungsgehalt des § 1 TVG umfasst. Die Zahlung von Abfindungen und die Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen 156 LAG Niedersachsen v. 2.6.2004 – 7 Sa 819/04, AP Nr. 164 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = LAGE Nr. 74 zu Art 9 GG Arbeitskampf = NZA-RR 2005, 200 ff. = SAE 2004, 235 ff. = AiB 2004, 636 ff. = BB 2004, 2191 f. = ZTR 2004, 524. 157 Die Verpflichtung zur Erhaltung des Standortes wurde mit dem Betriebsrat in einem Interessenausgleich vereinbart. Über die Wirksamkeit dieser Betriebsvereinbarung wurde in einem gesonderten Verfahren gestritten. 158 ArbG Hameln v. 7.5.2004 – 3 Ga 3/04, AiB 2004, 574 ff.

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Kap. 1: Ausgangspunkt

könnten als tariffähige Regelungen zur sozialen Absicherung der Folgen von Entlassungen angesehen werden, wie sie auch in Rationalisierungsschutzabkommen von den Tarifvertragsparteien vereinbart worden seien. Die Forderung nach Standorterhalt, wie sie in Standortsicherungstarifverträgen vereinbart würde, sei nicht zum Inhalt der Tarifauseinandersetzung gemacht worden. Es gehe nicht um das „Ob“ der Betriebsschließung, sondern lediglich um das „Wie“, welches tariflich regelbar sei und somit auch zum Ziel eines Arbeitskampfes gemacht werden könne. Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, korrigierend in die Höhe einer dem Grunde nach berechtigten Tarifforderung einzugreifen. Ferner sei auch kein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz anzunehmen. Die Möglichkeit, das Ziel des Tarifvertragsabschlusses durch ein milderes Mittel zu erreichen, sei nicht ersichtlich. 4. LAG Hessen – Urt. v. 2.2.2006 Nachdem die Heidelberger Druckmaschinen AG erfolglos im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes versuchte hatte, den Streik der IG Metall abzuwenden, führte der Arbeitgeberverband ein weiteres Verfahren, um im Rahmen eines Schadenersatzprozesses – eingeklagt wurden zunächst 63.025 EUR – die Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfes gerichtlich feststellen zu lassen. So hatte im Jahr 2006 auch das LAG Hessen159 über die Rechtmäßigkeit der Arbeitsniederlegungen zu entscheiden.160 Der klagende Arbeitgeberverband stütze sich neben den Arbeitskampfmaßnahmen bei der Firma Heidelberger Druckmaschinen AG zudem auf einen Standortstreik bei der Yageo Europe GmbH. Dort wurde ein Warnstreik durchgeführt, um tarifliche Sozialplaninhalte durchzusetzen. Nachdem bereits das ArbG Frankfurt161 die Klage abgewiesen hatte, blieb auch die Berufung erfolglos: Zunächst stellte das Gericht klar, dass Arbeitskampfmaßnahmen gegen verbandsgebundene Arbeitgeber nicht alleine schon deshalb rechtswidrig seien, weil ein Firmentarifvertrag erzwungen werden soll. Eine Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfes könne sich auch nicht aus den in diesem Fall gestellten Tarifforderungen ergeben. Für die Bestimmung der Tarifforderung sei lediglich auf den Streikbeschluss abzustellen. „Überschießende verbale Begleiterscheinungen“162 seien grundsätzlich nicht Gegenstand der Rechtmäßigkeitsprüfung. Des Weiteren sei der Streik um einen Tarifsozialplan nicht mit Hinweis auf betriebsverfassungsgesetzliche Wertungen als rechtswidrig anzusehen. Dagegen spreche das Verhältnis von Tarifvertragsordnung und im BetrVG

159 LAG Hessen v. 2.6.2006 – 9 Sa 915/05, LAGE Nr. 75 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = AuA 2006, 238 f. = FA 2006, 118. 160 Zum Sachverhalt siehe Kapitel 1 B. 2. 161 ArbG Frankfurt am Main v. 15.3.2005 – 5 Ca 4542/04 (juris). 162 So unter III. der Urteilsbegründung.

B. Der Standortarbeitskampf in der Rechtsprechung

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vorgesehener Mitbestimmung. Aus dem Betriebsverfassungsrecht könne man außerdem nicht ableiten, dass das Mitbestimmungsverfahren gemäß §§ 111 ff. BetrVG beendet sein müsse, um einen rechtmäßigen Streik um Sozialplaninhalte durchführen zu können. Auch ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG sei nicht ersichtlich. Zwar werde die Unternehmensautonomie ebenso wie die Tarifautonomie verfassungsrechtlich gewährleistet. Beide Grundrechtsgewährleistungen müssten also so ausgedeutet werden, dass sie bestmöglich wirksam werden. Würden rechtliche, wirtschaftliche oder soziale Belange der Arbeitnehmer berührt, die sich gerade aus ihrer Eigenschaft als abhängige Beschäftigte ergeben, verstoße eine Streikforderung nach Abschluss von Sozialplaninhalten nicht gegen die Freiheitsrechte des Arbeitgebers. Aufgrund der Gefährdung der Existenz der Arbeitsplätze durch die Verlagerung verstießen auch sehr weitreichende Tarifforderungen nicht gegen die Grundrechtsposition des Arbeitgebers und seien als Erschwernisse der Durchsetzung von Unternehmensentscheidungen nicht generell unzulässig. Es sei nicht Aufgabe der Arbeitsgerichte, korrigierend in die Höhe einer Tarifforderung einzugreifen, wenn diese auf ein tariflich regelbares Ziel gerichtet sei. Die Höhe einer Tarifforderung unterliege keiner gerichtlichen Kontrolle. 5. LAG Berlin-Brandenburg – Urt. v. 28.9.2007 Mit dem Verhältnis von Tarifsozialplänen zu bestehenden Rationalisierungsschutzabkommen beim Standortarbeitskampf beschäftigte sich das LAG BerlinBrandenburg163 im Jahr 2007, als es über die Zulässigkeit eines Warnstreiks zu entscheiden hatte, der anlässlich der Umstrukturierungspläne des Allianz-Konzerns durchgeführt wurde. Der für die Versicherungswirtschaft zuständige Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen in Deutschland (AGV) hatte mit der Gewerkschaft ver.di u. a. Tarifverträge zur Altersteilzeit und ein Rationalisierungsschutzabkommen abgeschlossen. Die Gewerkschaft ver.di kündigte den geltenden Gehaltstarifvertrag zum 30.9.2005 und drängte darauf, das bestehende Rationalisierungsschutzabkommen von 1983 zu modifizieren. Trotz Verhandlungen konnte man sich darauf nicht einigen. Im Juni 2006 trat ver.di an den Vorstand der Holdinggesellschaft der Allianz heran, um einen Zusatztarifvertrag anlässlich der geplanten Betriebsänderung abzuschließen. Tarifforderungen waren u. a. eine Regelung Vermittlung von Beschäftigten im Konzern und eine Gehaltssicherungsvereinbarungen. Dies wurde von der Arbeitgeberseite abgelehnt. Daraufhin rief ver.di zu Warnstreiks auf. Der Arbeitgeberverband versuchte, diese Arbeitskampfmaßnahmen zu untersagen und deren Rechtswidrigkeit feststellen zu lassen. Das ArbG Berlin164 hatte diese Klage zunächst abgewiesen. 163 LAG Berlin-Brandenburg v. 28.9.2007 – 8 Sa 916/07, LAGE Nr. 78a zu Art. 9 GG Arbeitskampf = DB 2008, 415 f. 164 ArbG Berlin v. 23.3.2007 – 85 Ca 22911/06 (unveröffentlicht).

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Kap. 1: Ausgangspunkt

Die Berufung vor dem LAG Berlin-Brandenburg war teilweise erfolgreich: Das Gericht stellte fest, dass der Warnstreik rechtswidrig war. Ein Streik um einen firmenbezogenen Tarifvertrag gegen einen verbandsangehörigen Arbeitgeber um den Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile einer geplanten Betriebsänderung sei zwar grundsätzlich nicht ausgeschlossen, jedoch unterliege ein solcher Arbeitskampf den Grenzen der tariflichen Friedenspflicht. Wenn die Tarifvertragsparteien eine Materie erkennbar umfassend geregelt hätten, sei anzunehmen, dass sie diesen Bereich einer Friedenspflicht unterwerfen und von Arbeitskampfmaßnahmen über diese Fragen während der Laufzeit dieses Tarifvertrags ausschließen wollten. Der Fall einer ganz ungewöhnlichen, bei Abschluss des Verbandstarifvertrags nicht vorhergesehenen und daher von der Vereinbarung offensichtlich nicht erfassten Entwicklung sei nicht gegeben, da neben dem Manteltarifvertrag auch ein Rationalisierungsschutzabkommen bestehe. Damit hätten die Parteien die Sachmaterie umfassend geregelt, so dass auch der zum Streikanlass genommene Sachverhalt der geplanten Umstrukturierungsmaßnahme von der Friedenspflicht umfasst sei. Ein Streik um weitere Regelungen, die im sachlichen Zusammenhang mit der bestehenden Vereinbarung stünden, sei daher rechtswidrig. Des Weiteren stellte das Gericht klar, dass die Forderung nach „Vereinbarung von Instrumenten zur langfristigen Sicherung von Standorten der Mitgliedsunternehmen“ zu unbestimmt sei und daher nicht zum Streikaufruf berechtigte. Diese Forderung habe nicht ausreichend deutlich gemacht, wie die Forderung nach Standortsicherung umgesetzt werden sollte.

II. Höchstrichterliche Entscheidungen 1. BAG – Urt. v. 24.4.2007 – „Tarifsozialplan“ Im April 2007 hatte der Erste Senat des BAG165 erstmals über die Zulässigkeit eines Standortstreiks um einen Tarifsozialplan zu entscheiden. Der Arbeitgeberverband hatte gegen die ablehnende Entscheidung des LAG Hessen vom 2.2.2006 Revision eingelegt.166 Wie schon die Vorinstanzen teilte auch der Erste Senat die Bedenken hinsichtlich der neuen Strategie nicht und entschied zugunsten der Streikfreiheit.167

165 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 ff. = DB 2007, 1924 ff. = ZIP 2007, 1768 ff. = DB 2007, 1924 ff. = BB 2007, 2235 ff. = ZTR 2007, 535 ff. = NJW 2007, 3660 f. = AiB 2007, 732 ff. 166 Zum Sachverhalt siehe Kapitel 1 B. I. 2. 167 Bereits im Dezember 2006 hatte der 4. Senat festgestellt, dass Sozialplaninhalte auch in einem Firmentarifvertrag geregelt werden können und die §§ 111 ff. BetrVG die Befugnis der Tarifvertragsparteien zum Abschluss von Tarifverträgen nicht einschränken, vgl. BAG v. 6.12.2006 – 4 AZR 798/05, BAGE 120, 281 ff. Dem Sachverhalt lag jedoch kein Tarifkonflikt zugrunde.

B. Der Standortarbeitskampf in der Rechtsprechung

63

Ein Streik um den Abschluss eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrags sei nicht schon deshalb rechtswidrig, weil die Tarifvertragsparteien zur gleichen Zeit Verhandlungen über den Abschluss eines Flächentarifvertrags führten. Weder Art. 3 Abs. 1 GG noch der vereinsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz stünden dem entgegen. Ferner könnte einem Streik um einen firmenbezogenen Verbandstarifvertrag nicht der Einwand einer Verletzung der individuellen Koalitionsfreiheit oder das Gebot der Kampfparität entgegen gesetzt werden. Auch die zeitliche Parallelität der Verhandlungen führe weder zu einem Verstoß der tarifvertraglichen Friedenspflicht, noch könne damit ein Verstoß gegen den Paritätsoder den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begründet werden. Zulässig sei es ferner, wenn die Tarifvertragsparteien Abfindungsregelungen, Verlängerungen der Kündigungsfristen und Ansprüche auf Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen vereinbaren, die dem Ausgleich und der Milderung der Nachteile einer geplanten Betriebsänderung dienen sollen. Streiks um solche Inhalte würden um tariflich regelbare Ziele geführt, da sie sich den in § 1 TVG aufgeführten Gegenständen zuordnen ließen. Eine Einschränkung der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Koalitionsbetätigungsfreiheit ergebe sich auch nicht aus den Regelungen der §§ 111 ff. BetrVG. Diesen Normen könne nicht entnommen werden, dass sie eine Sperre für tarifliche Regelungen anordnen. Einer Erstreikbarkeit von firmenbezogenen Verbandstarifverträgen zur Regelung von Abfindungen stünde weder der Grundsatz der Kampfparität noch das Verhältnismäßigkeitsprinzip entgegen. Es fehle nicht an der Erforderlichkeit des Arbeitskampfes, da der Hinweis, dass mit dem friedlichen Verfahren gemäß §§ 111 ff. BetrVG ein milderes Mittel zur Verfügung stünde, nicht mit Art. 9 Abs. 3 GG zu vereinbaren sei. Das Verhandlungsgleichgewicht bei solchen Tarifkonflikten sei durch die Existenz der §§ 111 ff. BetrVG nicht strukturell zu Lasten der Arbeitgeberseite verschoben. Darüber hinaus könne nicht angenommen werden, dass die Gewerkschaften das betriebliche Interessenausgleichs- oder Sozialplanverfahren abwarten müssen, um zum Streik um Sozialplaninhalte aufzurufen. Auch eine Verletzung der tariflichen Friedenspflicht sei in diesem Fall nicht ersichtlich. Streikforderungen, die tariflich regelbar seien, dürften zudem keiner gerichtlichen Übermaßkontrolle unterzogen werden. Dies würde zu einem Verstoß gegen die Koalitionsbetätigungsfreiheit führen und die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie grundsätzlich in Frage stellen. Eine Kontrolle der Höhe von Tarifforderungen sei auch in dieser besonderen Situation nicht zum Schutz von Grundrechten des Koalitionspartners geboten. Eine Grenze sei lediglich dort zu ziehen, wo die Streikforderung auf die wirtschaftliche Existenzvernichtung des Gegners gerichtet und damit nicht mehr vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt sei. Zur Bestimmung des konkreten Streikziels sei lediglich auf den Streikbeschluss abzustellen. Unmaßgeblich seien sonstige Verlautbarungen nicht vertre-

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Kap. 1: Ausgangspunkt

tungsberechtigter Mitglieder aus Gründen der Rechtssicherheit und zum Schutz der freien Meinungsbildung innerhalb der Gewerkschaft. Somit dürfe man bei der Rechtmäßigkeitskontrolle die Forderung auf den Verzicht der geplanten Betriebsänderung nicht berücksichtigen. Ob ein Arbeitskampf um dieses Ziel zulässig wäre, wurde offenlassen. 2. EuGH – Urt. v. 11.12.2007 – „Viking Line“ In der Rechtssache Viking Line hatte der EuGH168 im Dezember 2007 über die Frage zu entscheiden, ob Arbeitskampfmaßnahmen gegen die Ausflaggung des Fährschiffs „Rosella“, welche nach nationalem Recht zulässig waren, gegen europarechtliche Freiheiten verstoßen können. Im zugrunde liegenden Sachverhalt entschloss sich die finnische Reederei Viking Line die „Rosella“, welche die Strecke zwischen Helsinki und Tallinn befährt, aufgrund jahrelanger Verluste wegen der günstigeren estnischen Konkurrenz „auszuflaggen“. Die „Rosella“ sollte an eine estnische Tochtergesellschaft übereignet werden, um damit zu erreichen, dass estländisches Arbeitsrecht auf die Besatzung angewendet werden könnte und man so in den Genuss des niedrigeren Lohniveaus käme. Daraufhin drohte die Gewerkschaft Finnish Seamen’s Union (FSU) mit Streik, um so das Unternehmen zur Aufgabe der Pläne zu bewegen. Viking Line sollte sich verpflichten, keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen und auch zukünftig die bisher geltenden Tarifverträge anwenden. Zudem wandte sich die FSU an die ITF. Diese internationale Gewerkschaftsorganisation wendet sich u. a. gegen das „Umflaggen“ von Schiffen.169 Daraufhin forderte die ITF ihre estnischen Mitgliedsgewerkschaften auf, keine Tarifverhandlungen mit Viking aufzunehmen, die Geltung für die Besatzung der „Rosella“ haben würden. Viking Line entschied sich zunächst, die Umstrukturierungspläne aufzugeben. Nachdem Estland zum 1.5.2004 Mitglied der EU wurde, beantragte das Unternehmen, gegen die Gewerkschaften am Sitz der ITF in London eine einstweilige Verfügung zur Untersagung von Arbeitskampfmaßnahmen zu erlassen. Der High Court of Justice entsprach diesem Antrag, da ein solcher Arbeitskampf die Niederlassungsfreiheit des Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) verletze.170 Der daraufhin angerufene Court of Appeal hob das Urteil auf, setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH zehn Fragen zum Verhältnis von Niederlassungsfreiheit und Streikrecht zur Vorabentscheidung vor.171

168 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (129 f.), NZA 2008, 124 ff. = EuZW 2008, 246 ff. = EuGRZ 2008, 50 ff. = JuS 2008, 447 f. = DB 2008, 298 ff. = ZESAR 2008, 140 ff. = AuR 2008, 55 ff. = SAE 2008, 218 ff. – Viking Line. 169 Siehe hierzu Kapitel 1 A. I. 5. 170 Vgl. hierzu Langenfeld, in: FS Isensee, S. 815 (816 f.). 171 Court of Appeal für England und Wales v. 23.11.2005, IRLR 2006, 58 ff.

B. Der Standortarbeitskampf in der Rechtsprechung

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Der EuGH sah sich nicht an die Bereichsausnahme des Art. 137 Abs. 5 EG (nunmehr Art. 153 Abs. 5 AEUV) gebunden und bejahte zudem die Anwendbarkeit von Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) auf kollektive Arbeitskampfmaßnahmen einer Gewerkschaft, die darauf gerichtet sind, einen Tarifvertrag abzuschließen, dessen Inhalt geeignet ist, den Unternehmer von dem Gebrauch seiner Niederlassungsfreiheit abzubringen. Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) habe horizontale Wirkung gegenüber Gewerkschaften, die Kampfmaßnahmen aus Anlass einer Ausübung der Niederlassungsfreiheit durchführen. Diese Kollektivmaßnahmen stellten nach Ansicht des Gerichts auch eine Beschränkung der Grundfreiheit dar, so dass weiterhin zu fragen war, inwieweit diese gerechtfertigt sein könnten. Der EuGH verwies zunächst auf die Notwendigkeit einer Abwägung von Niederlassungsfreiheit und dem gemeinschaftsrechtlich garantierten Recht auf Kollektivmaßnahmen, um so dem Ziel der Sozialpolitik gerecht zu werden. Im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung stellt das Gericht dann auf den Schutz der Arbeitnehmer ab, um festzustellen, ob die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt war. Arbeitskampfmaßnahmen aus Anlass einer Ausübung der Niederlassungsfreiheit müssten ein berechtigtes und mit dem EGVertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgen. Sie könnten durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses, zu dem auch der Arbeitnehmerschutz zähle, gerechtfertigt sein, wenn sie geeignet seien, die Erreichung des verfolgten legitimen Ziels zu gewährleisten und nicht über das hinausgingen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich sei. Im vorliegenden Fall müsse das vorlegende Gericht daher prüfen, ob Ziele verfolgt wurden, die dem Arbeitnehmerschutz galten. Die Billigflaggenpolitik der ITF bewertete der EuGH dagegen in der gegenwärtigen Form als europarechtswidrig. Eine Rechtfertigung dieser von den Maßnahmen der ITF ausgehenden Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit komme nicht in Betracht, da diese auch dann ergriffen würden, wenn die Umstrukturierungsmaßnahmen nicht mit einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer verbunden seien. In den Schlussanträgen hatte der Generalanwalt Maduro172 dagegen vorgeschlagen, es gänzlich den nationalen Gerichten zu überlassen, festzustellen, ob Kampfmaßnahmen aus Anlass einer Ausübung von Markfreiheiten im Licht des geltenden innerstaatlichen Rechts über die Ausübung des Rechts auf kollektive Maßnahmen rechtmäßig seien. Er forderte lediglich, dass Fälle innergemeinschaftlicher Standortverlagerungen nicht ungünstiger als Standortverlagerungen im Inland behandelt werden dürften.

172

Schlussanträge v. 23.5.2007 – Rs. C-438/05, Rn. 65 – Viking Line.

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Kap. 1: Ausgangspunkt

III. Fazit 1. Der Überblick über die Rechtsprechung zum Standortarbeitskampf zeigt, dass die überwiegende Mehrzahl der Entscheidungen die gewerkschaftliche Taktik des Streiks um den Tarifsozialplan billigt. Weder der „Zangengriff“ von Gewerkschaft und Betriebsrat noch der ungewöhnliche hohe Umfang der Forderungen wurden zum Anlass genommen, die zu beurteilenden Standortstreiks als rechtswidrig zu bewerten. Lediglich das LAG Hamm173 hat einen Regelungsvorrang der betrieblichen Ebene und die Unzulässigkeit eines solchen Arbeitkampfes befürwortet, wenn die Vorgehensweise der Gewerkschaft darauf hindeute, dass der Arbeitskampf auf den Standorterhalt und nicht auf die soziale Abmilderung der Standortentscheidung gerichtet sei. Der Erste Senat174 des BAG ist dieser Ansicht ebenso wie die sonstige instanzgerichtliche Rechtsprechung jedoch nicht gefolgt und erkennt die Zulässigkeit eines Arbeitskampfes um die soziale Abmilderung von Standortverlagerungsentscheidungen grundsätzlich an. Kurz gesagt: Nach Ansicht der Gerichte lässt sich anhand der bestehenden Dogmatik des Arbeitskampfrechts nicht ausmachen, dass die Gewerkschaften bisher den Rahmen des rechtlich Zulässigen überschritten hätten. Entscheidend für die weitere Entwicklung des Arbeitskampfrechts über den Standortarbeitskampf hinaus werden dabei insbesondere die Aussagen des Ersten Senats175 sein, nach denen eine Grundrechtskontrolle des Umfangs von Streikforderungen während eines schwelenden Tarifkonflikts den nationalen Gerichten verwehrt sei und zur Bestimmung des Kampfzieles ausschließlich auf den Streikbeschluss abzustellen sei. Dies lässt erkennen, dass man einer liberalen Interpretation des Arbeitskampfrechts zugeneigt scheint: Statt reglementierend in den Ablauf von Arbeitskämpfen einzugreifen, wird darauf gesetzt, dass angemessene Lösungen durch ein freies Spiel der Kräfte in der Sozialpartnerschaft zustande kommen.176 Es liegt auf der Hand, dass dies gewerkschaftliche Strategien fördert, Umstrukturierungen durch den Sozialplanstreik zu beeinflussen. Wie ein Arbeitskampf zu beurteilen ist, der auf den Standorterhalt abzielt, indem eine Tarifforderung nach Abschluss einer Standortzusage des Arbeitgebers erhoben wird, hat das BAG177 ausdrücklich offen gelassen. Einige instanzgerichtliche Entscheidungen lassen jedoch erkennen, dass man einen solchen Arbeits-

173 LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4 f. 174 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 ff. 175 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (996 f.). 176 Vgl. Krause, in: FS Otto, S. 267 (268); Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 345. 177 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (997).

B. Der Standortarbeitskampf in der Rechtsprechung

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kampf als rechtswidrig bewertet hätte.178 Weitere Rechtsfragen wie etwa, ob eine Standortdrohung des Arbeitgebers der Arbeitskampfrechtsordnung unterliegt oder zumindest gewerkschaftliche Streikoptionen zur Abwehr eröffnet sind, ob der Arbeitgeber den Zangengriff mittels Suspendierung der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsrechte „lockern“ kann und ob eine Aussperrung im Standortarbeitskampf denkbar wäre, waren bisher nicht Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass dieser Einzelfallrechtsprechung zwar sehr ähnlich gelagerte Fallkonstellationen zugrunde lagen, diese jedoch nur begrenzt Rückschlüsse auf die Beantwortung der Frage zulassen, inwieweit Fallgestaltungen denkbar sind, die eine abweichende Verortung der Grenzen der Streikfreiheit gebieten. Dies gilt ebenso für eine zukünftige Entwicklung der Streikaktivitäten, da es nahe liegt, nicht bloß Standortverlagerungsentscheidungen, sondern auch sonstige Umstrukturierungsvorhaben zum Anlass für einen Arbeitskampf zum Ausgleich der sozialen Folgen zu nehmen. Folgt man der Rechtsprechung des LAG Berlin-Brandenburg179, könnten „lediglich“ relative Friedenspflichten aus Verbandstarifverträgen, welche Rationalisierungsfolgen regeln, zu Einschränkungen der Streikfreiheit bei Standortkonflikten, bei denen die Gewerkschaft die soziale Abmilderung der Unternehmerentscheidung anstrebt, führen. Daran anknüpfend stellt sich die Frage, wie weit die Friedenspflicht bei Standorttarifstreitigkeiten überhaupt reicht.180 2. Neben dieser Einzelfalljudikatur der nationalen Arbeitsgerichte ist die Entscheidung des EuGH181 in der Rechtssache Viking Line für die zukünftige Beurteilung grenzüberschreitender Sachverhalte bedeutsam. Während auf nationaler Ebene die Grenzen der Streikfreiheit bei Standorttarifkonflikten nicht ausschließlich durch eine Abwägung mit Freiheitsrechten der Unternehmer zu bestimmen waren, löste der EuGH182 den Konflikt von Arbeitskampffreiheit und Niederlassungsfreiheit, ohne dabei vertieft auf den Inhalt des von ihm anerkannten Gemeinschaftsgrundrechts auf Kollektivmaßnahmen einzugehen. Dennoch hat der EuGH einige richtungweisende Aussagen zu den europarechtlichen Grenzen der Streikfreiheit bei Standortkonflikten getroffen. Ob ein Streik gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt, sei danach zu beantworten, ob diese dem Ziel des Arbeitnehmerschutzes dienten und die damit verbundene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit verhältnismäßig sei. 178 Vgl. LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 5 f.; ArbG Frankfurt am Main v. 15.3.3005 – 5 Ca 4542/04 (juris) Rn. 90 der Entscheidungsgründe. 179 LAG Berlin-Brandenburg v. 28.9.2007 – 8 Sa 916/07, LAGE Nr. 78a zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 180 Vgl. Bayreuther, NZA 2007, 1017 (1018 f.); Bennecke, in: FS Buchner, S. 96 (98). 181 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 ff. – Viking Line. 182 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (129 f.) – Viking Line.

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Kap. 1: Ausgangspunkt

Dies lässt für die zukünftige Beurteilung von Arbeitskämpfen aus Anlass grenzüberschreitender Verlagerungsvorhaben allerdings vieles offen.183 Hier liegt gerade der Grund für die höchst unterschiedliche Bewertung der Folgen dieses Urteils im Schrifttum.184 Im Rahmen dieser Untersuchung soll daher nach der Bestimmung der nationalen Grenzen der Arbeitskampffreiheit bei Standorttarifkonflikten der Frage nachgegangen werden, inwieweit im Fall grenzüberschreitender Verlagerungsvorhaben im Vergleich zur Rechtslage bei Standortarbeitskämpfen ohne europarechtlichen Bezug besondere Maßstäbe gelten, die zukünftig zu beachten sind und möglicherweise Rückwirkungen auf die Ausgestaltung des nationalen Arbeitskampfrechts haben könnten.

183 Vgl. Bücker, NZA 2008, 212 (215); Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (465); Sunnus, AuR 2008, 1 (10). 184 Siehe Einleitung A.

Kapitel 2

Die Standortdrohung des Arbeitgebers A. Problemstellung Der Beginn eines Tarifkonflikts um die Bedingungen, unter denen der Arbeitgeber eine Betriebsstätte schließen und an einen anderen Standort verlagern kann, setzt zunächst voraus, dass die zuständige Gewerkschaft Kenntnis von den Verlagerungsplänen erlangt und an den Arbeitgeber herantritt, um die drohende Verlagerung noch abzuwenden oder zumindest einen möglichst hohen Ausgleich der sozialen Folgen für die Arbeitnehmer zu erzielen. Die Arbeitgeber werden im Fall eines feststehenden Verlagerungsbeschlusses daher versuchen, zu verhindern, dass der zuständigen Gewerkschaft die Verlagerungspläne bekannt werden.1 Ebenso denkbar ist es jedoch, dass der Arbeitgeber an die Arbeitnehmervertreter herantritt und erklärt, dass man eine Standortverlagerung in Erwägung ziehe, weil an einem anderen Standort kostengünstiger produziert werden könne, er einen Verlagerungsentschluss aber noch nicht endgültig gefasst habe. Planungen hätten bereits begonnen, man müsse aber noch erörtern, ob eine solche Entscheidung überhaupt sinnvoll sei. Es stellt sich somit die Frage, wie solche Konstellationen arbeitskampfrechtlich einzuordnen und zu bewerten sind, bei denen der Arbeitgeber durch Bekanntgabe der Verlagerungspläne seinerseits in die Offensive geht und Druck auf die Gewerkschaftsvertreter ausübt, um die Bedingungen eines Standorterhalts neu zu verhandeln und dabei auf eine Senkung der Personalkosten am „alten“ Standort hinzuwirken. Vielfach bricht eine solche Ankündigung von Verlagerungsplänen den Widerstand der Arbeitnehmervertreter hinsichtlich solcher Tarifforderungen des Arbeitgebers, die vorher nur schwer verhandelbar gewesen wären.2 Die Bekanntgabe von Standortverlagerungsplänen kann daher von der Arbeitgeberseite daher als „Waffe“ eingesetzt werden, um eine Entgeltabsenkung im Betrieb herbeizuführen. Arbeitnehmervertreter können dem in der Praxis wenig entgegensetzen und vielfach nur mit Bereitschaft zu einer Anpassung der Lohnstruktur reagieren, um so dem Interesse ihrer Mitglieder zu entsprechen, dass der Arbeitgeber den Be1 2

Siehe Kapitel 1 A. II. 2. Siehe Kapitel 1 A. I. 4. a) aa).

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Kap. 2: Die Standortdrohung des Arbeitgebers

trieb am bisherigen Standort weiterführt. Im Gegensatz zur globalisierungsbedingten, neuen Flexibilität der Arbeitgeberseite sind die Arbeitnehmer regelmäßig regional gebunden. Die Standortverlagerung zur Senkung der Personalkosten zielt gerade darauf ab, am neuen Standort auf Arbeitnehmer zurückgreifen zu können, denen im Vergleich zur Belegschaft am „alten“ Standort weitaus weniger Lohn zu zahlen ist. Das Druckpotential einer Verlagerung liegt damit auf der Hand. Besonders deutlich wird dies in einem vom ArbG Leipzig3 entschiedenen Fall: Der Arbeitgeber veröffentlichte einen Aushang, in dem er ankündigte, dass der Betriebsrat eine Verlagerung ins Ausland zu verantworten habe, weil er Kostenübernahme beanspruche. Offensichtlich wollte er die Arbeitnehmer gegen den Betriebsrat anstacheln. Das ArbG Leipzig4 äußerte sich dazu mit klaren Worten und billigte dem Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG zu: „Die Mitteilung, dass durch das Verhalten des Betriebsrates (Beschluss zur Kostenübernahme aus Gerichtsverfahren) der Betrieb geschlossen und Produktion ins Ausland verlagert werde, enthält den klaren Hinweis, dass damit einhergehend der Verlust von Arbeitsplätzen verbunden ist. Eine solch eindeutige Drohung ist objektiv geeignet, die Belegschaft gegen den Betriebsrat aufzubringen, zumindest jedoch den Eindruck zu erwecken, der Betriebsrat habe es letztendlich zu vertreten, dass Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit entlassen werden müssten.“

Aufgrund des Grundsatzes der vertrauensvollen Zusammenarbeit gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG und dem Schutz der Betriebsratstätigkeit durch § 78 BetrVG ist diese Entscheidung im Schrifttum auf Zustimmung gestoßen.5 Nun stellt sich aber die Frage, inwieweit dieses Ergebnis auf die tarifrechtliche Ebene übertragbar ist. Steht auch der Gewerkschaft ein Unterlassungsanspruch zu oder kann sie auf eine Standortdrohung mit Arbeitskampfmaßnahmen reagieren, um diese abzuwehren? Dazu gilt es zu untersuchen, inwieweit solche Erklärungen der Arbeitgeberseite, die von den Gewerkschaften als „Erpressungsversuche“ 6 bezeichnet werden, die Qualität eines Arbeitskampfmittels aufweisen, so dass man den Grundsatz der Kampfparität, der Verhältnismäßigkeit oder die tarifliche Friedenspflicht als rechtliche Grenzen dieser Betätigung heranziehen könnte oder gar müsste. Dies würde voraussetzen, dass solche Maßnahmen der Sonderrechtsordnung des Arbeitskampfrechts unterlägen. Selbst wenn die Standortdrohung als arbeitskampffremde Reaktion der Arbeitgeberseite auf die Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu klassifizieren wäre, bliebe die Frage, ob eine An3

ArbG Leipzig v. 5.9.2002 – 7 BVGa 54/02, NZA-RR 2003, 142 f. ArbG Leipzig v. 5.9.2002 – 7 BVGa 54/02, NZA-RR 2003, 142 (143). 5 Vgl. Däubler, NJW 2005, 30 ff.; Rieble, RdA 2005, 200 (201). 6 Siehe die Nachweise bei Jacobs, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 91 (95). 4

B. Meinungsstand

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wendung der arbeitskampfrechtlichen Grenzen geboten erscheint oder Streikmaßnahmen gegen dieses Vorhaben der Arbeitgeberseite, die Personalkosten im Betrieb zu senken, durchgeführt werden dürfen.

B. Meinungsstand Ausgelöst wurde die rechtliche Diskussion um die Frage, ob die Standortdrohung als Arbeitskampfmittel zu behandeln ist, durch Aussagen, welche die Standortverlagerung oder deren Bekanntgabe in Bezug zum anerkannten Kampfarsenal der Arbeitgeberseite stellten. Rieble hat im Zusammenhang mit der von ihm postulierten „faktischen Verunmöglichung der Aussperrung“7 durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die endgültige Betriebsstilllegung als das „zentrale Arbeitskampfmittel“ der Arbeitgeber ausgemacht. Gamillscheg8 und Kissel9 stellten die These auf, dass man angesichts der Möglichkeit einer Standortverlagerung auf die Aussperrung in der Praxis gänzlich verzichten könne. Däubler10 regte an, zu überdenken, ob man zwar nicht die Verlagerung selbst, aber durchaus eine Drohung mit Verlagerung seitens des Arbeitgebers in bestimmten Fällen als Arbeitskampfmittel einordnen müsse.11 In der Praxis würde augrund einiger Schwächen der sonstigen Kampfmittel der Arbeitgeber vermehrt auf diese Möglichkeit zurückgegriffen, um Verhandlungsdruck auf die Gewerkschaften auszuüben. Im Ergebnis gesteht Däubler12 jedoch ein, dass eine Einordnung der Standortdrohung als Kampfmittel mit grundlegenden systematischen Problemen verbunden wäre, zumal das geltende Recht keine Beschränkung unternehmerischer Verlagerungsvorhaben vorsehe.13 In der Folge ist diesem Gedanken, zumindest die Bekanntgabe einer Standortverlagerungsplanung in die Nähe eines Arbeitskampfmittels zu rücken, im Schrifttum fast einhellig Kritik entgegengebracht worden.14 Die Bekanntgabe von Standortverlagerungsplänen entspreche nicht dem, was man gemeinhin unter Arbeitskampf verstehe. Auch eine Modifikation dieser Definitionen oder eine Unterwerfung unter die Arbeitskampfrechtsordnung aus Paritätsgründen sei nicht geboten. Teilweise wird dabei nicht genau unterschieden, ob man sich nun gegen eine Einordnung der Verlagerung als solcher, ihrer Ankündigung oder der 7

Rieble, ZfA 2004, 1 (7). Gamillscheg, RdA 2005, 79 (81). 9 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn. 71. 10 Däubler, Arbeitsrecht, Rn. 620c f., zurückhaltender in 189c. 11 Däubler, NJW 2005, 30 ff. 12 Däubler, NJW 2005, 30 (31). 13 Däubler, Arbeitsrecht, Rn. 620c f. 14 Vgl. etwa Franzen, ZfA 2005, 315 (317 ff.); Jacobs, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 91 ff.; Junker, NZA 2006, Beil. 3, 147 (149 f.); Otto, Arbeitskampfrecht, § 1 Rn. 23; Krause, Standortsicherung, S. 103 ff. 8

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Kap. 2: Die Standortdrohung des Arbeitgebers

Drohung mit ihr als Arbeitskampfmittel ausspricht.15 Die Mehrzahl der Autoren schließt aber die Einordnung der Verlagerung als Kampfmaßnahme explizit aus.16 Wenige Autoren haben sich bisher mit der Frage befasst, inwieweit für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Arbeitsniederlegungen aus Anlass von Standortdrohungen besondere Maßstäbe im Vergleich zu sonstigen Standorttarifkonflikten gelten, bei denen der Arbeitgeber auf solche Drohungen verzichtet. Es stellt sich die Frage, ob Streikmaßnahmen allein deswegen gerechtfertigt sein könnten, um der Drohung der Arbeitgeberseite mit Kampf begegnen zu können. Franzen17 hat die in der rechtspolitischen Diskussion vielfach angeführte „Notwehrargumentation“ aufgegriffen und beurteilt die Rechtmäßigkeit von Arbeitsniederlegungen aus Anlass solcher Drohungen anhand von § 227 BGB. Dies bedeutet im Ergebnis, dass ein individuelles Recht des einzelnen Arbeitnehmers gegeben wäre, ohne gewerkschaftliche Führung als Reaktion auf eine Standortdrohung die Arbeit niederlegen zu dürfen. Vorauszusetzen wäre, dass die Bekanntgabe von Verlagerungsabsichten als eine widerrechtliche Drohung gemäß § 123 BGB zu qualifizieren sei. Man wird anhand dieser Lösung aber nur im Ausnahmefall18 ein Recht zur Niederlegung der Arbeit ableiten können: Nur wenn die Äußerungen des Arbeitgebers auf eine Absenkung von Personalkosten abzielen, an dem betreffenden Standort aber nicht günstiger produziert werden kann, dürften die Arbeitnehmer die Standortdrohung mittels Streik abwehren. Krause19 argumentiert stattdessen mit der Notwendigkeit einer Wiederherstellung von Verhandlungsgleichgewicht, stellt also auf das Paritätsprinzip ab. Er will für den Fall, dass trotz tarifvertraglicher Verpflichtungen die Standortdrohung vom Arbeitgeber als Waffe zur Entgeltabsenkung eingesetzt wird, einen Streik zur Abwendung dieser Kostensenkungsversuche zulassen, wenn mit den Kampfmaßnahmen kein Verstoß gegen die unternehmerische Freiheit des verlagerungswilligen Arbeitgebers einhergeht. In diesem Fall entfalte der Tarifvertrag, welcher mittels Standortdrohung angegriffen wurde, keine Friedenspflicht. Däubler20 leitet dagegen ein Recht zu spontanen Arbeitsniederlegungen aus Anlass von Standortdrohungen der Arbeitgeberseite unmittelbar aus der ESC ab. 15 Ausschließlich an die Verlagerung anknüpfend Junker, NZA 2006, Beil. 3, 147 (149 f.); lediglich die Bekanntgabe von Verlagerungsplänen problematisierend Franzen, ZfA 2005, 315 (317 ff.); beides diskutierend Jacobs, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 91 ff. Krause, Standortsicherung, S. 103 ff, bezieht seine Wertungen nur auf die Standortdrohung. 16 Franzen, ZfA 2005, 315 (317); Krause, Standortsicherung, S. 103; ders, in: FS Otto, S. 267 (276); Schwarze, RdA 1993, 264 (268, Fn. 67). 17 Franzen, ZfA 2005, 315 (324 ff.). 18 Deutlich Franzen, ZfA 2005, 315 (350): „seltene Fälle“. 19 Krause, Standortsicherung, S. 106 ff. 20 Däubler, AuR 1998, 144 (148).

C. Stellungnahme

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Selbst wenn Gewerkschaften keine Streikforderung erheben, wäre es den von der Standortdrohung betroffenen Arbeitnehmern danach möglich, mittels Arbeitsniederlegung gegen die Standortdrohung vorzugehen.

C. Stellungnahme I. Ausgangspunkt Das Aufkommen neuer Kampfformen hat stets die Frage nach der Zulässigkeit einer Entwicklung neuartiger Arbeitskampfmittel neben den klassischen Kampfmitteln Streik, Aussperrung und Boykott aufgeworfen. Im Zentrum der Diskussion stand dabei insbesondere die Einordnung und Bewertung des Grundsatzes der Kampfmittelfreiheit als Legitimation der Sozialpartner zur Fortentwicklung neuer Arbeitskampftaktiken.21 Die Rechtsprechung22 führt hierzu an, dass die Wahl der Mittel, mit denen die Koalitionen eine Regelung durch Tarifvertrag anstreben, ihnen selbst überlassen sei. Arbeitskampfmaßnahmen seien von der Koalitionsfreiheit umfasst, sofern sie erforderlich seien, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen.23 Dies deutet darauf hin, nicht nur die Ausübung oder Fortentwicklung der klassischen Arbeitskampfmittel, sondern ebenso die Entdeckung und Erprobung neuer Kampfformen durch die Koalitionen unter den Schutz von Art. 9 Abs. 3 GG zu stellen, sofern dies zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit geboten erscheint und es sich um eine koalitionsspezifische Verhaltensweise handelt.24 Dennoch gehen einige Stimmen aus dem Schrifttum davon aus, dass sich dem Grundsatz der Kampfmittelfreiheit keine Rechte entnehmen ließen.25 Manche Autoren befürworten gar einen Typenzwang, also eine Bindung an die anerkann21 Siehe stellvertretend Glietsch, Zulässigkeit, S. 6 ff.; Picker, Arbeitskampffreiheit, S. 13 f.; Zöllner, in: FS Bötticher, S. 427 (430 ff.). 22 St. Rspr., vgl. BVerfG v. 16.6.1991 – 1 BvR 779/85, AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BVerfG v. 2.3.1993 – 1 BvR 1213/85, AP Nr. 126 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG v. 28.1.1955 – GS 1/54, BAGE 1, 291 (308 f.); BAG v. 13.7.1993 – 1 AZR 676/92, AP Nr. 127 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/ 06, AP Nr. 173 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Baden-Württemberg v. 21.4.1982 – 3 Sa 2/82, DB 1982, 1409 ff.; LAG Hessen v. 22.2.1990 – 12 Sa 294/89, DB 1991, 554 ff.; zuletzt LAG Berlin-Brandenburg v. 29.9.2008 – 5 Sa 967/08, NZA-RR 2009, 149 (150). 23 Vgl. BVerfG v. 16.6.1991 – 1 BvR 779/85, AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, AP Nr. 173 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 2R. 24 Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 305. 25 Vgl. Hanau, S. 29; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 612; Konzen, in: FS Molitor, S. 181 (199); Rieble, Arbeitsmarkt, S. 405; dens., NZA 2008, 796 (797); Seiter, Streikrecht, S. 143; Wank, RdA 1989, 263 (269).

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ten Kampfmittel, und wollen Wahlfreiheit nur hinsichtlich der bisher zugelassenen Kampfmittel anerkennen.26 Ein Tarifkonflikt könnte demnach ausschließlich mit den traditionellen Kampfmitteln ausgefochten werden. Eine Qualifikation neuer Handlungsformen als Kampfmaßnahme wäre folglich schwer zu begründen. Diese Sichtweise würde jedoch auf eine erhebliche Beschränkung der Koalitionsbetätigungsfreiheit hinauslaufen und wäre mit ihrer Entwicklungsoffenheit der Tarifautonomie27 schwerlich zu vereinbaren. Der Grundsatz der Kampfmittelfreiheit bringt gerade zum Ausdruck, dass die Sozialpartner auf eine Veränderung der Rahmenbedingungen angemessen reagieren können müssen, indem sie neue Wege finden, eine Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen anzustreben. Dies erfordert zwingend die Möglichkeit, auch die Mittel, mit denen eine Regelung angestrebt wird, den neuen Gegebenheiten anzupassen. Die Wahlfreiheit ist daher nicht auf die bisher legitimierten Kampfmittel zu beschränken. Das bisherige Arsenal der Kampfmittel ist nicht als abschließender Katalog zu deuten. Vielmehr ist auch die freie Typenbildung von neuen Arbeitskampfmitteln von dem aus Art. 9 Abs. 3 GG abzuleitenden Gestaltungsauftrag umfasst.28 Dies darf allerdings nicht dazu verleiten, von der Legitimation zur Fortentwicklung der Kampfformen auf die Rechtmäßigkeit des neuen Kampfmittels zu schließen.29 Die freie Wahl der Kampfmittel setzt stets voraus, dass eine Maßnahme gewählt wird, die vom Schutzbereich der Koalitionsfreiheit umfasst ist und auch die Art und Weise der Kampfführung mit den Schranken der Arbeitskampfrechtsordnung vereinbar ist. Festhalten lässt sich somit, dass die Standortdrohung nicht schon deswegen aus dem Kreis potentieller Arbeitskampfmittel ausgeklammert werden kann, weil sie nicht dem klassischen Arsenal der Kampfmittel der Arbeitgeberseite zuzuordnen ist. Aus der Kampfmittelfreiheit folgt, dass es möglich ist, neben dem klassischen Arsenal auch neue Kampfmittel zu entwickeln und es ebenso nicht von vorneherein ausgeschlossen erscheint, neuartige Verhaltensweisen als Arbeitskampf zu bezeichnen und der Arbeitskampfrechtsordnung zu unterwerfen. 26 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 984; Lieb, ZfA 1982, 113 (139); Söllner, in: FS Molitor, S. 333 (346); wohl auch Otto, Arbeitskampfrecht, § 4 Rn. 25. 27 Siehe hierzu Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 9 Rn. 163, 259. 28 So im Ergebnis auch Däubler-Bieback, Arbeitskampfrecht, Rn. 318, 320; ErfKDieterich, GG, Art. 9 Rn. 271; Engels, Arbeitskampfrecht, S. 255; Glietsch, Zulässigkeit, S. 6 ff.; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht, Band 2, S. 149; Jacobs, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 91 (98); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 14 Rn. 31; Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 305; Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 9 Rn. 282; Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 689; BeckOK RGKU-Waas, GG, Art. 9 Rn. 164; Wank, RdA 1989, 263 (269); Wesch, Neue Arbeitskampfmittel, S. 194; Zöllner, in: FS Bötticher, S. 427 (442). 29 Vgl. Engels, Arbeitskampfrecht, S. 255; Löwisch, RdA 1987, 219 (220); Richter, Grenzen, S. 141 m.w. N.

C. Stellungnahme

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Offen bleibt damit allerdings die Frage, anhand welcher Kriterien festzustellen ist, ob und inwieweit es überhaupt in Betracht kommt, eine bestimmte Handlung als Ausübung der Kampffreiheit zu deuten. Wann nehmen die Koalitionen das Recht zur freien Kampfmittelwahl in Anspruch? Die Aussagen der Rechtsprechung zur Kampfmittelfreiheit geben hier keinen Halt.30 Dass Kampfmaßnahmen von der Koalitionsfreiheit umfasst sind, sofern sie erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen, lässt offen, wann von Kampfmitteleinsatz gesprochen werden kann. In der Vergangenheit stellten sich solche Probleme bei der arbeitskampfrechtsdogmatischen Einordnung neuer Kampfphänomene zumeist nicht. Oftmals handelte es sich bei neuen Kampfformen um Weiterentwicklungen des Arbeitskampfmittels Streik, also um Sonderformen der klassischen Arbeitsniederlegung.31 Auch bei der Einordnung und Bewertung von Betriebsbesetzungen, Betriebsblockaden32 oder der jüngst bei Tarifkonflikten eingesetzten Strategie des sog. Flashmob33 käme man kaum auf den Gedanken, dass diese Maßnahmen keinen Kampfbezug aufweisen würden. Den handelnden Parteien war bewusst, dass sie kämpfen. Ihr Verhalten zielte darauf ab, die Koalitionsbetätigungsfreiheit wahrzunehmen. Daher rückte in den Vordergrund der rechtswissenschaftlichen Diskussion, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Rechtfertigung dieser Maßnahmen durch Art. 9 Abs. 3 GG in Betracht kam.34 Hier geht es dagegen um die Vorfrage, wann bestimmte Handlungen des Arbeitgebers, die durchaus im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Tarifvertrags stehen, noch als neutral, also arbeitskampffremd zu qualifizieren sind. Wann handelt es sich dagegen um eine Kampfmaßnahme, die eine Anwendung arbeitskampfrechtlicher Grenzen nach sich zieht? Beginnt man wie hier die arbeitskampfrechtsdogmatische Einordnung aus dem Blickwinkel von Art. 9 Abs. 3 GG, gilt es im Folgenden zu untersuchen, welche Qualität die einschlägige Maßnahme aufweisen muss, um als Ausübung der Arbeitskampffreiheit aufgefasst werden zu können.

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Ebenso Jacobs, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 91 ff. Vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 14 Rn. 4 ff., 9 ff.; Otto, Arbeitskampfrecht, § 1 Rn. 11 ff. 32 Vgl. Wesch, Neue Arbeitskampfmittel, S. 19 ff. 33 Der Flashmob ist eine neue Aktionsform, bei der sich Aktivisten öffentlicher Räume bemächtigen und durch gleichförmige Handlungen ihren politischen oder künstlerischen Willen ausdrücken. Im Zusammenhang mit Tarifkonflikten im Einzelhandel wurde diese Strategie angewandt, um den Betrieb in Supermärkten zu stören und so der Forderung nach Abschluss eines Tarifvertrags zusätzlichen Nachdruck zu verleihen, vgl. dazu BAG v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347 ff.; LAG Berlin-Brandenburg v. 29.9.2008 – 5 Sa 967/08, NZA-RR 2009, 149 ff.; Rieble, NZA 2008, 796 ff. 34 Vgl. Rieble, NZA 2008, 796 (797 f.); Stahlhacke, Zulässigkeit, S. 5 ff.; Wesch, Neue Arbeitskampfmittel, S. 126 ff.; Zöllner, in: FS Bötticher, S. 427 (433 ff.). 31

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Daher stellt sich die Frage, welche Besonderheiten einer Standortdrohung eine Einordnung als Kampfmittel rechtfertigen könnten: Eröffnet der Arbeitgeber der Gewerkschaft die Möglichkeit einer Standortverlagerung, weil am bisherigen Standort zu teuer produziert werde, entfaltet dies ohne Zweifel psychischen Druck auf die Gewerkschaft, welche geneigt sein wird, eine tarifvertragliche Reduzierung der Lohnkosten in Aussicht zu stellen. Andererseits wird der Arbeitgeber, wenn sein Interesse am Abschluss eines Standortsicherungstarifvertrags gering ist, diese Erklärung nicht als Ausübung von Arbeitskampffreiheit verstehen. Die Gewerkschaft wird sein Verhalten dennoch oftmals als Angriff deuten, welcher mit Tarifvertragsverhandlungen in unmittelbarem Zusammenhang steht. Daher wird im Folgenden zu untersuchen sein, anhand welcher Kriterien bestimmte Handlungen im Rahmen der Ausübung seiner unternehmerischen Tätigkeit, welche psychischen Druck auf die Gegenseite entfalten, als potentiell koalitionsspezifische Betätigung qualifiziert werden können, so dass auch eine Anwendung der Arbeitskampfrechtsordnung in Betracht kommt. Richtet man den Blick ausschließlich auf die Anwendung der Grenzen der Arbeitskampfrechtsordnung, liegt der Gedanke nahe, bestimmte Handlungsformen einer Tarifvertragspartei, welche in einem gewissen Zusammenhang mit der Durchsetzung einer tariflichen Vereinbarung stehen, den Grenzen des Arbeitskampfrechts zu unterwerfen, die dem Schutz des Verhandlungspartners dienen. Im Zusammenhang mit Standorttarifkonflikten sind Fälle denkbar, in denen der Arbeitgeber die Standortdrohung instrumentell dazu einsetzt, um einen Tarifvertragsabschluss anzustreben, der einen Lohnverzicht der Arbeitnehmer enthält. Wiederum stellt sich die Frage, welche Qualität die einschlägige Maßnahme aufweisen muss, damit sie arbeitskampfrechtlichen Schranken unterliegt oder welche Rechtsgrundsätze neben dem Grundsatz der freien Kampfmittelwahl herangezogen werden könnten, um dies im Ergebnis zu begründen.

II. Verlagerungsankündigung und Unternehmerfreiheit Die bisherigen Ausführungen haben bereits angedeutet, dass eine Bekanntgabe von Standortverlagerungsplänen je nach zugrunde liegenden Motiven des Arbeitgebers in die Nähe eines Kampfmittels rückt oder als unternehmerische Betätigung angesehen werden kann. Daher verwundert es nicht, dass einige Autoren ihre Zweifel hinsichtlich der Aussage, dass es sich bei einer Standortdrohung um ein Kampfmittel handeln könnte, mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Standortverlagerungsentscheidung35 und dem Umstand, dass die Rechtsordnung unternehmerische Verlagerungsaktivitäten legitimiere,36 begründen. Nicht nur 35 So Jacobs, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 91 (102 f.); Junker, NZA 2006, Beil. 3, 147 (150). 36 So Däubler, NJW 2005, 30 (31).

C. Stellungnahme

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die Standortverlagerung selbst, sondern ebenso die Bekanntgabe von Verlagerungsplänen gegenüber Gewerkschaftsvertretern könne daher schwerlich als Arbeitskampf bezeichnet werden, da es nicht einleuchte, dass der Arbeitgeber zwar seinen Betrieb verlagern dürfe, ihm möglicherweise aber eine Bekanntgabe seiner Pläne verwehrt sei, weil dies gegen arbeitskampfrechtliche Grenzen verstoße.37 Diese Argumentation vermag jedoch nicht zu überzeugen. Für die Frage, ob eine bestimmte Maßnahmen als Arbeitskampf zu qualifizieren ist, lässt der Umstand, dass Standortentscheidungen verfassungsrechtlichen Schutz genießen oder solche Maßnahmen nach einfachem Recht rechtmäßig sind, keine verbindlichen Rückschlüsse zu: Es ist zwar richtig, dass die unternehmerische Entscheidung, die Betriebstätte zu verlagern, von der Rechtsordnung gebilligt wird, existiert doch keine gesetzliche Norm, welche die unternehmerische Standortwahl beschränkt. Zuzustimmen ist den genannten Autoren weiterhin darin, dass dies gerade im verfassungsrechtlichen Schutz der freien Standortwahl begründet liegt. Die Entscheidung, eine Betriebsstätte zu verlagern, ist der sog. Unternehmerfreiheit38 zuzuordnen. Eine ausdrückliche grundrechtliche Garantie unternehmerischer Freiheitsrechte findet sich im GG zwar nicht. Dass der unternehmerischen Freiheit verfassungsrechtlicher Schutz zukommt, ist dennoch anerkannt. Umstritten ist ausschließlich die genaue Verortung der Unternehmerfreiheit im GG. Während größtenteils ausschließlich auf Art. 12 Abs. 1 GG abgestellt wird,39 werden teilweise zusätzlich Art. 14 GG und Art. 2 Abs. 1 GG herangezogen40. An dieser Stelle bleibt anzu37 Jacobs, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 91 (102 f.); Junker, NZA 2006, Beil. 3, 147 (150). Deutlich Ehmann, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 111: „Es kann doch niemals Kampf sein, was Ausübung von Freiheit ist.“ Dagegen ließe sich bereits einwenden, dass auch die Durchführung von rechtmäßigen Kampfmaßnahmen stets die Ausübung von Freiheit, namentlich der Arbeitskampffreiheit darstellt. 38 Andere sprechen von „Unternehmensautonomie“ oder „managerial prerogatives“, vgl. Beuthien, ZfA 1984, 1 (12); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 339; Krause, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 1 Rn. 75; Däubler-Schiek, TVG, Einl. Rn. 239; Thüsing, NZA 2008, 201 (203); Thüsing/Ricken, JbArbR 2005, S. 113 (131). 39 Vgl. BAG v. 3.4.1990 – 1 AZR 123/89, BAGE 64, 284 (295); LAG Hessen v. 2.6.2006 – 9 Sa 915/05, LAGE Nr. 75 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 19 f.; LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4 f.; LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 3R f.; ArbG Frankfurt am Main v. 15.3.2005 – 5 Ca 4542/04 (juris) unter Rn. 89 der Entscheidungsgründe; Breuer, in: HdBStR, Band VI, § 147 Rn. 23; Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 206 ff.; Dieterich, AuR 2007, 65 (66 f.); Franzen, ZfA 2005, 315 (317); Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 1; Krause, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 1 Rn. 75; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 168; Däubler-Schiek, TVG, Einl. Rn. 239. 40 Vgl. BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (996 f.); Beuthien, ZfA 1984, 1 (12); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 686; Höfling, ZfA 2008, 1 (19); Jacobs, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 92 (102); Münch-

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merken, dass der Schutz unternehmerischer Freiheitsrechte aufgrund der Vielfältigkeit unternehmerischer Betätigungen nicht auf ein einzelnes Grundrecht beschränkt ist. Vielmehr ist durch Abgrenzung der Schutzbereiche zu ermitteln, welches Grundrecht einschlägig ist, um dem betreffenden Verhalten verfassungsrechtlichen Schutz zuzuweisen.41 Das BVerfG42 hat im Mitbestimmungsurteil festgestellt, dass Art. 12 Abs. 1 GG das Recht der freien Gründung und Führung von Unternehmen gewährleiste. Zwangsläufig kommt es zu Berührungspunkten mit Art. 14 GG, da durch dieses Grundrecht der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb verfassungsrechtlich geschützt wird.43 Zur Abgrenzung zwischen diesen Gewährleistungen wird auf den Grundsatz zurückgegriffen, dass die Eigentumsgarantie das bereits Erworbene erfasse und auf die Vergangenheit gerichtet sei, während die Berufsfreiheit die Chance zum Erwerb schütze und somit zukunftsgerichtet interpretiert werden müsse.44 Aufgrund seines subsidiären Charakters kann auf Art. 2 Abs. 1 GG nur dann zurückgegriffen werden, wenn die Schutzbereiche von Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 GG nicht eröffnet sind.45 Standortentscheidungen des Arbeitgebers genießen demnach ausschließlich Schutz durch Art. 12 Abs. 1 GG. Der Arbeitgeber darf über den Bestand, den Umfang und die Zielsetzung seines Unternehmens grundsätzlich frei entscheiden (sog. Dispositionsfreiheit des Unternehmers).46 Durch das Grundrecht der Berufsfreiheit wird auch das Recht des Unternehmers geschützt, Grundsatzentscheidungen zu treffen, also etwa seinen Betrieb zu verkleinern, zu schließen und an einen anderen Ort zu verlagern. Ihm muss zudem die Möglichkeit verbleiben, seine berufliche und somit auch unternehmerische Tätigkeit aufzugeben.47 Grundrechtsschutz genießen über Art. 19 Abs. 3 GG auch inländische juristische Personen, soweit ein zu Erwerbszwecken dienendes Unternehmen geführt wird. Der personale Bezug der Berufsfreiheit darf nicht dazu verleiten, Kapitalgesellschaften den Schutz durch Art. 12 Abs. 1 GG gänzlich zu versagen.48 ArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., § 259 Rn. 56; Meik, Tarifautonomie, S. 97; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 167 Fn. 1010. 41 Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 100 ff.; Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1024 f.); Walker, ZfA 2004, 501 (509 f.); Wiedemann, RdA 1986, 231 (235 f.). 42 BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (363). 43 Vgl. di Fabio, JZ 1993, 693 ff.; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 99; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 14 Rn. 14. 44 Vgl. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 99. 45 BVerfG v. 16.1.1957 – 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, 32. 46 Vgl. Breuer, in: HdbStR, Band VI, § 147 Rn. 63; Manssen, in: v. Mangold/Klein/ Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rn. 65; Wiedemann, RdA 1986, 235 f. 47 Vgl. BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771 (773); Papier, RdA 1989, 137 (139). 48 Vgl. BVerfG v. 19.7.2000 – 1 BvR 539/96, BVerfGE 102, 197 (212 f.); Breuer, in: HdbStR, Band VI, § 147 Rn. 23; ErfK-Dieterich, GG, Art. 12 Rn. 13; v. Münch/Kunig-

C. Stellungnahme

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Zweifelhaft erscheint es jedoch, in einem weiteren Gedankenschritt vom verfassungsrechtlichen Schutz der Verlagerungsentscheidung darauf zu schließen, dass auch Bekanntgabeakten zwangsläufig dieser Schutz zu Teil käme und dies zugleich die Frage nach ihrer arbeitskampfrechtlichen Einordnung beantwortet. Handelt es sich um eine Erklärung der Arbeitgeberseite, der nicht der Wunsch zugrunde liegt, über die Lohnkosten am Standort neu verhandeln zu wollen, die also in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ziel einer Absenkung bestehender tarifvertraglicher Vereinbarungen steht, trifft dies ohne weiteres zu. Ebenso wie die Verlagerung genießt auch ihre Bekanntgabe grundsätzlich den Schutz durch die Berufsfreiheit.49 Anders zu beurteilen ist allerdings der Fall, dass der Arbeitgeber seine Verlagerungsabsicht lediglich vortäuscht, um die Gewerkschaft im Glauben an eine drohende Verlagerung unter Druck zu setzen und zum Abschluss eines Standortsicherungstarifvertrags zu bewegen. Es ist nicht ersichtlich, in welchem Zusammenhang solche Erklärungen noch mit der Ausübung der Berufsfreiheit durch den Arbeitgeber stehen. Ferner kann die Frage nach der Einschlägigkeit der Arbeitskampfrechtsordnung nicht ohne weitere Überlegungen aus dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Schutzes durch die Unternehmerfreiheit beantwortet werden. Dies würde bedeuten, vom Ergebnis, einer bestimmten Verhaltensweise Schutz durch Art. 12 Abs. 1 GG zuzuweisen, darauf zu schließen, dass Art. 9 Abs. 3 GG nicht mehr einschlägig sein kann. Vielmehr ist zunächst davon auszugehen, dass ein bestimmtes Verhalten typischerweise vom Schutzbereich mehrerer Grundrechte erfasst ist. Wie im Fall der Unternehmerfreiheit stellt sich sodann die Frage nach der Auflösung dieser Grundrechtskonkurrenz. Obwohl angesichts der oft undeutlichen Vorgehensweise des BVerfG diesbezüglich vieles im Unklaren ist, gilt doch die Spezialitätsregel, nach der danach abzugrenzen ist, welches Grundrecht „im Vordergrund steht“ oder „die stärkere sachliche Beziehung zum zu prüfenden Sachverhalt aufweist“.50 Im Fall der Bekanntgabe von Standortverlagerungsabsichten würde also aus dem Umstand, dass die Standortwahl Schutz durch Art. 12 Abs. 1 GG genießt, darauf geschlossen, dass eine sachliche Beziehung zu Art. 9 Abs. 3 GG zwangsläufig ausgeschlossen wäre. Hinsichtlich der Umsetzung einer Standortverlagerung mag dies im Ergebnis zutreffen, wenn sie keinerlei Kampfbezug aufweist. Nicht überzeugend ist es allerdings, dies ohne weitere Überlegungen für sämtliche Bekanntgabeakte des Arbeitgebers im Rahmen einer TarifauseinandersetGubelt, GG, Art. 12 Rn. 18; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 19 Rn. 25; MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., § 259 Rn. 56; Sachs-Sachs, GG, Art. 19 Rn. 81; a. A. AK-Rittstieg, GG, Art. 12 Rn. 158; ähnlich Hensche, AuR 2004, 443 (445). 49 Vgl. Jacobs, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 91 (103). 50 Siehe stellvertretend ErfK-Dieterich, GG, Einl. Rn. 69; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 351.

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zung anzunehmen. Dies gilt insbesondere für die Einordnung von Standortdrohungen, bei denen der Arbeitgeber zwar vorgibt, seine Berufsfreiheit ausüben zu wollen, andererseits aber der Wunsch des Arbeitgebers, durch Abschluss eines Standortsicherungstarifvertrags in den Genuss einer Personalkostenreduzierung zu gelangen, nicht zu übersehen ist. Ob der Schwerpunkt auch in diesem Fall nicht doch in der Ausübung der Arbeitskampffreiheit zu sehen ist, weil durch diese Erklärung Druck auf die Gegenseite ausgeübt werden soll und wird, um einen Tarifvertragsabschluss zu erzielen, kann daher nicht allein aus dem Blickwinkel der Berufsfreiheit beantwortet werden. Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass in diesem Fall nicht die Abgrenzung von grundrechtlichen Schutzbereichen, sondern vielmehr die Frage nach der Anwendbarkeit arbeitskampfrechtlicher Grenzen zu beantworten ist. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass eine Anwendung der Arbeitskampfrechtsordnung auch für solche Maßnahmen in Betracht kommen kann, welche verfassungsrechtlichen Schutz durch die Berufsfreiheit genießen. Die Einschlägigkeit der Arbeitskampfrechtsordnung lässt sich auch nicht danach beantworten, ob die betreffende Handlung nach allgemeinen Grundsätzen jenseits des Arbeitskampfrechts rechtswidrig wäre.51 Die Funktion einer Einordnung bestimmter kollektiver Maßnahmen als Kampfmittel besteht nicht allein darin, auf diesem Wege potentielle Handlungen zu bestimmen, für die eine Rechtfertigung durch den Schutz von Art. 9 Abs. 3 GG in Frage kommt und die ansonsten rechtswidrig wären.52 Insofern kommt auch eine „doppelte“ Legitimation durch einfaches Recht und Arbeitskampfrecht durchaus in Betracht und steht einer Einordnung der betreffenden Maßnahme als Kampfmittel nicht zwingend entgegen. Stattdessen ist es vielmehr durchaus denkbar, dass das einfache Recht eine bestimmte Verhaltensweise, welcher der Charakter einer Arbeitskampfmaßnahme nicht ohne weiteres abgesprochen werden kann, legitimiert und ihr dennoch wegen ihres Kampfcharakters und eines Verstoßes gegen arbeitskampfrechtliche Grenzen Rechtswidrigkeit zu bescheinigen ist.53 Gestützt wird diese These durch einen Blick auf die Phänomene Massenkündigungen und Kollektivwiderspruch: Beides sind Handlungen, welche nach einfachem Recht rechtmäßig sind, aufgrund ihres kollektiven Charakters aber dennoch an den Grenzen der Arbeitskampfrechtsordnung gemessen werden.54 Auf die einfachgesetzliche Rechtmä-

51 So Däubler, NJW 2005, 30 (31); Jacobs, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 91 (103). 52 So im Ergebnis auch Krause, Standortsicherung, S. 104; Franzen, ZfA 2005, 315 (318). 53 Vgl. Otto, Arbeitskampfrecht, § 11 Rn. 3; Schwarze, RdA 1993, 264 (265); vgl. auch Richter, Grenzen, S. 125 f.; Wesch, Neue Arbeitskampfmittel, S. 127 ff. 54 Vgl. Krause, Standortsicherung, S. 104.

C. Stellungnahme

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ßigkeit einer Verlagerungsdrohung kommt es demnach bei der Beantwortung der Frage, ob es sich um ein Arbeitskampfmittel handelt, nicht an.

III. Der Arbeitskampfbegriff als Anknüpfungspunkt Zielführender erscheint es dagegen, eine Antwort zu den aufgeworfenen Fragen aus dem Wesen des Arbeitskampfes heraus zu suchen. Dies könnte mittels der im Schrifttum und Rechtsprechung entwickelten und verwendeten Begriffsdefinitionen zum Phänomen Arbeitskampf geschehen. 1. Funktion des Arbeitskampfbegriffs Eine klarstellende Legaldefinition des Arbeitskampfes existiert nicht, obgleich an unterschiedlichster Stelle im einfachen Recht der Arbeitskampf als Rechtsbegriff gebraucht wird.55 Diesen Vorschriften liegt aber kein einheitlicher Arbeitskampfbegriff zugrunde, die Bedeutung ist stets im Sinne der jeweiligen Vorschrift zu ermitteln.56 Im Schrifttum finden sich dagegen unterschiedlichste Vorschläge zur Definition eines allgemeinen Arbeitskampfbegriffs, die man zur arbeitskampfrechtlichen Einordnung von Standortdrohungen heranziehen könnte. Diese Vorgehensweise scheint allerdings schon auf den ersten Blick mit Aussagen aus der Literatur schwer zu vereinbaren, die darauf hindeuten, dass die Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit von Arbeitskämpfen durch diese Begriffsprägung nicht berührt werde, also die begriffliche Einordnung nicht über Rechtmäßigkeit und Rechtsfolgen entscheide.57 Hinsichtlich des Rückschlusses einer Subsumtion unter den Kampfbegriff auf die Rechtmäßigkeit des Vorgehens ist dem zuzustimmen. Ebenso wie die der Grundsatz der freien Kampfmittelwahl nichts über die Rechtmäßigkeit eines neuen Kampfmittels aussagt, darf aus den bisher im Schrifttum entwickelten Begriffsdefinitionen kein Rückschluss auf die rechtliche Zulässigkeit der Maßnahme gezogen werden. Dabei würde übersehen, dass die unter dem Schlagwort Arbeitskampfbegriff entwickelten Definitionen von vielen Autoren nicht als „Subsumtionsbegriff“ verstanden werden, sondern schlicht das soziale Phänomen des Arbeitskampfes erfassen sollen. Dies darf aber nicht dazu führen, dem Ar55 Siehe §§ 36 Abs. 3, 146, 174 SGB III, § 91 SGB IX, § 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, § 74 Abs. 2 BetrVG, § 11 Abs. 5 AÜG, § 25 KSchG. 56 Brox/Rüthers-Brox, Arbeitskampfrecht, Rn. 16; Schaub-Koch, ArbRHdB, § 192 Rn. 2. 57 Vgl. Brox/Rüthers-Brox, Arbeitskampfrecht, Rn. 24; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 592; Nikisch, Arbeitsrecht, Band II, § 62 I 1a; Otto, Arbeitskampfrecht, § 1 Rn. 1; Staudinger-Richardi, BGB, Vor § 611 Rn. 817 ff.; Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 659; Wesch, Neue Arbeitskampfmittel, S. 19.

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beitskampfbegriff keinerlei rechtliche Bedeutung zuzusprechen. Die Begriffsdefinition des Arbeitskampfes kann vielmehr als Indiz dafür dienen, ob ein bestimmtes Verhalten einer Kampfpartei von vorneherein nicht der Arbeitskampfrechtsordnung unterliegt.58 Otto59 führt hierzu treffend aus: „Der Begriff dient also nur zur Beschreibung und Abgrenzung eines Lebenssachverhaltes, für den eine besondere rechtliche Beurteilung grundsätzlich in Betracht kommen kann, ohne dass aus der Bezeichnung als Arbeitskampf unmittelbar Rechtsfolgen abgeleitet werden könnten.“

Käme man also zum Ergebnis, dass eine begriffliche Einordnung als Arbeitskampf ausscheidet, müssten schon gewichtige Gründe vorgetragen werden, um die betreffende Verhaltensweise unter den Schutz der Arbeitskampffreiheit zu stellen und den Schranken der Arbeitskampfrechtsordnung zu unterwerfen.60 Man kann die Funktion des Arbeitskampfbegriffs also gerade darin sehen, arbeitskampfneutrale Lebenssachverhalte von vorneherein abzugrenzen.61 Aus dem Ergebnis einer Subsumtion kann also durchaus die Rechtsfolge abgeleitet werden, dass ein bestimmtes Verhalten nicht den besonderen Schranken der Arbeitskampfrechtsordnung unterliegt. 2. Weiter Kampfbegriff Somit gilt es, den Arbeitskampfbegriff mit Inhalt zu füllen, um subsumtionsfähige Kriterien zu ermitteln. Im Schrifttum werden diesbezüglich unterschiedlichste Begriffsdefinitionen vorgetragen, so dass sich die Frage stellt, welches Verständnis bei einer Einordnung von Standortdrohungen zugrunde zu legen ist. Teile der Literatur begreifen Arbeitskampf als die zielgerichtete Ausübung kollektiven Drucks durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber mittels der Zufügung von Nachteilen oder deren Abwehr.62 Zielgerichteter Druck wird bei einem Standorttarifkonflikt nicht ausgeübt, wenn der Arbeitgeber Standortverlagerungspläne bekannt gibt, ohne dies in einen unmittelbaren Zusammenhang mit einer Anpassung der tariflichen Vereinbarungen zu setzen oder ausdrücklich an die Gewerkschaft zu richten.63 Ebenfalls 58 Ebenso Däubler-Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 54; Jacobs, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 91 (99); Schwarze, RdA 1993, 264 (267); Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 415. 59 Otto, Arbeitskampfrecht, § 1 Rn. 1. 60 Vgl. Schwarze, RdA 1993, 264 (267). 61 So auch Hilbrandt, Massenänderungskündigung, S. 32. 62 Vgl. Löwisch, Arbeitsrecht, Rn. 371 ff.; Otto, Arbeitskampfrecht, § 1 Rn. 2 ff.; Schwarze, RdA 1993, 264 (268); Treber, Maßnahmen, S. 103. 63 Dies deckt sich mit der Rechtsprechung im US-amerikanischen Kollektivarbeitsrecht, auf die Thüsing, RdA 2005, 257 (270), hinweist. Danach kommt es auf eine Unterscheidung von bloßen „Vorhersagen“ und „Drohungen“ an. Es wird danach abge-

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keine zielgerichtete Druckausübung liegt vor, wenn der Arbeitgeber die Standortverlagerungspläne bereits umsetzt, also begonnen hat, den Betrieb zu verlagern. In diesen Fällen liegt der Schwerpunkt regelmäßig in der Umsetzung des Umstrukturierungsvorhabens, da der Arbeitgeber damit zu erkennen gibt, an einer tariflichen Standorterhaltung nicht unbedingt interessiert zu sein. Anders als bei der Betriebsstilllegung als Reaktion auf einen Streik soll damit kein arbeitskampfrechtlicher Druck ausgeübt werden, auch wenn diese Maßnahme durchaus geeignet ist, solchen zu entfalten.64 Dass dadurch die Gewerkschaften unter Druck geraten, im Sinne ihrer Mitglieder durch ein Absenken der Lohnkosten doch noch den Standort zu sichern, weil der Erhalt des Arbeitsplatzes zu schlechteren Bedingungen einem Arbeitsplatzverlust vorgezogen wird, ist nicht von Bedeutung. In diesem Fall fehlt es dem Arbeitgeberverhalten an der hinreichenden Zielrichtung. Selbst wenn das Verhalten der Arbeitgeberseite darauf gerichtet ist, eine Absenkung der Vergütung an einem Standort herbeizuführen, weist die Androhung, Betriebe zu schließen, eine Nähe zum Instrument der Massenkündigung auf, wenn der Arbeitgeber nicht ausdrücklich zu erkennen gibt, dies auf tariflichem Wege herbeiführen zu wollen. In diesem Fall muss man am kollektiven Bezug des Vorgehens des Arbeitgebers zweifeln.65 Des Weiteren wird durch die Bekanntgabe von Verlagerungsplänen nicht unmittelbar ein Nachteil zugefügt, damit man von einem Kampfmittel im Sinne des weiten Arbeitskampfbegriffs sprechen könnte. Betriebsbedingte Kündigungen sind zu diesem Zeitpunkt regelmäßig noch nicht ausgesprochen.66 Es wird im Fall einer Standortdrohung zur Personalkostensenkung vielmehr in Aussicht gestellt, dass ein Nachteil eintreten könnte, falls eine Einigung über die Bedingungen einer Standorterhaltung nicht erzielt werden kann. Hier liegt – wie bereits angesprochen67 – die entscheidende Weichenstellung einer Einordnung von Standortdrohungen als Arbeitskampfmittel. Ob diese Ausübung rein psychischer Natur geeignet ist, als Zufügung von Nachteilen bezeichgrenzt, „ob der Arbeitgeber lediglich in vorsichtiger Form auf eine wahrscheinliche, nachweisbare Folge hinweist, die außerhalb seiner Kontrolle liegt“. 64 Siehe zur streikbedingten Betriebsstilllegung Kissel, Arbeitskampfrecht, § 14 Rn. 27; Otto, Arbeitskampfrecht, § 11 Rn. 12 ff.; Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 356 ff.; Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 665. Selbst für diese Maßnahme, die im Vergleich zur standortverlagerungsbedingten Betriebsstilllegung deutlicheren Arbeitskampfcharakter trägt, lässt sich nicht eindeutig ausschließen, dass es sich um eine „neutrale“, also arbeitskampffremde Reaktion der Arbeitgeberseite handelt, vgl. hierzu die Aussagen des BAG v. 11.7.1995 – 1 AZR 63/95, AP Nr. 138 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4; für eine Klassifizierung als Kampfmittel MüKo-Henssler, BGB, § 615 Rn. 108; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 33 Otto, Arbeitskampfrecht, § 11 Rn. 22. 65 So im Ergebnis auch Jacobs, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 91 (97). 66 Krause, Standortsicherung, S. 104. 67 Siehe Kapitel 2 C. I.

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net werden zu können, erscheint höchst problematisch. Einige Autoren68 wollen zwar nicht nur die Ausübung wirtschaftlichen, sondern ausdrücklich auch psychologischen Drucks nicht von vorneherein aus dem Arbeitskampfbegriff ausklammern. Dies ist insoweit richtig, als dass die Ausübung von Druck gerade notwendige Voraussetzung eines durchschlagskräftigen Arbeitskampfmittels ist. Fraglich ist allerdings, ob man auch von einem Kampfmitteleinsatz sprechen kann, wenn ausschließlich psychologischer Druck ausgeübt wird. Die Entscheidung des BAG69 zur Verletzung der tariflichen Friedenspflicht durch einen Beschluss über die Durchführung einer Urabstimmung könnte durchaus so verstanden werden, dass die Ausübung psychologischen Drucks ausreicht. Der Erste Senat70 verstand unter Kampfmaßnahmen alle Maßnahmen, „die den Verhandlungspartner bewusst und gewollt unter den unmittelbaren Druck eingeleiteter Arbeitskämpfe setzen und damit seine Entschließungsfreiheit beeinträchtigen sollen. Kampfmaßnahme in diesem Sinn ist jede Maßnahme, die an die Stelle des freien Verhandelns den Zwang zum Bewilligen der Forderungen des Partners oder jedenfalls zum Nachgeben setzen soll, und zwar aus Furcht vor den Nachteilen oder Verlusten, die der Arbeitskampf mit sich bringt.“ Diese Aussagen sind allerdings im Schrifttum auf heftige Kritik gestoßen.71 „Allgemeiner Aussagewert“ sei ihnen nicht beizumessen.72 Zudem können die Einwände aus der Literatur73, welche auf die mit ihr verbundene Rechtsunsicherheit hinweisen, auch in diesem Zusammenhang fruchtbar gemacht werden. Psychischer Druck in Form einer Furcht vor Nachteilen oder Verlusten ist schwer messbar, da die Intensität einer solchen Drohung einer Tarifvertragspartei nicht bloß von der Art und Weise der Handlung, sondern maßgeblich davon abhängt, wie sie der Adressat wahrnimmt.74 Geht die Gewerkschaft davon aus, dass die Umsetzung einer Standortverlagerung unrealistisch erscheint, wird sie sich von solchen Ankündigungen kaum beeindrucken lassen. Zudem wird eine Standortdrohung in den seltensten Fällen offen ausgesprochen, indem etwa eine offizielle Erklärung der Unternehmensführung erfolgt, die an die Gewerkschaftsvertreter gerichtet ist. Oftmals werden solche Pläne in internen Sitzungen bekannt gege68 Vgl. etwa Brox/Rüthers/Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 745; Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 414, die dies allerdings nur unter der Voraussetzung annehmen, dass eine „Störung der Arbeitsbeziehungen“ vorliege, also dem restriktiveren Verständnis vom Arbeitskampfbegriff zugeneigt sind; siehe hierzu sogleich unter 3. 69 BAG v. 31.10.1958 – 1 AZR 632/57, BAGE 6, 321 ff. 70 BAG v. 31.10.1958 – 1 AZR 632/57, BAGE 6, 321 (353). 71 Siehe stellvertretend Kissel, Arbeitskampfrecht, § 26 Rn. 99; Däubler-Schumann, Arbeitskampfrecht, Rn. 214, jeweils m.w. N. 72 Vgl. Brox/Rüthers-Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 235; ähnlich auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1084; Franzen, ZfA 2005, 315 (321); Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 878. 73 Vgl. Brox/Rüthers-Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 235 m.w. N. 74 Zutreffend Jacobs, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 91 (101 f.).

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ben und gelangen über kaum nachvollziehbare Wege an die Öffentlichkeit. All dies verdeutlicht die erheblichen Abgrenzungsprobleme, welche gegen eine Einordnung von Standortdrohungen als Arbeitskampfmittel sprechen.75 Daher darf die Frage einer Abgrenzung von arbeitskampfneutralen Handlungen im Rahmen eines Tarifkonflikts und Kampfmitteleinsatz nicht gänzlich aus der Sicht und Wahrnehmung des Adressaten der betreffenden Maßnahme beantwortet werden. Entscheidend ist vielmehr, dass objektiv erkennbar sein muss, wann ein Arbeitskampf vorliegt.76 Dies spricht dafür, psychischen Druck nur dann als zielgerichtete Druckausübung zuzulassen, wenn mit ihm eine messbare wirtschaftliche Schädigung unmittelbar einhergeht.77 Bei einer Standortdrohung fehlt es an einer solchen messbaren Schädigung. Man wird zwar nicht leugnen können, dass ein Verlust des Arbeitsplatzes greifbar nahe ist. Entscheidend für die Druckausübung im Fall einer Standortdrohung ist jedoch die Furcht vom Arbeitsplatzverlust. Ihre Wirkung hängt maßgeblich von der Arbeitsmarktsituation ab. Zudem ist zu diesem Zeitpunkt regelmäßig noch nicht klar, ob der Standort überhaupt verlagert wird und den Arbeitnehmern somit weiterhin die Möglichkeit verbleibt, ihre Arbeitsleistung anzubieten und Lohn zu erhalten. Ob der Standort geschlossen wird, hängt von weiteren Bedingungen ab, deren Eintritt noch ungewiss ist. Dieses Ergebnis erscheint nicht unbillig, wenn man bedenkt, dass es – vertauscht man die Rollen – aus Gewerkschaftssicht ebenso denkbar wäre, dem Arbeitgeber anzukündigen, wichtige Leistungsträger würden das Unternehmen verlassen, falls bestimmte Forderungen nicht erfüllt würden.78 Bis zum Ausspruch von Massenkündigungen, wenn man eine Kündigung mehrerer Leistungsträger überhaupt als solche einordnen wollte, könnte man auch dann nicht von einem arbeitskampfrelevanten Verhalten i. S. d. weiten Kampfbegriffs sprechen.79 Auch der Hinweis, dass die Streikkasse der Gewerkschaft gut gefüllt ist, kann durchaus geeignet sein, psychischen Druck auf die Arbeitgeberseite zu entfalten. Dies zeigt, dass solche taktischen Erklärungen kaum als Arbeitskampf qualifiziert werden können und zum typischen Vorspiel einer Tarifauseinandersetzung zählen, welche noch nicht den Grenzen der Arbeitskampfrechtsordnung unterliegen.80 75

Zutreffend Krause, Standortsicherung, S. 105 f. Vgl. Brox/Rüthers-Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 235. 77 In diesem Sinne Brox/Rüthers-Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 235; vgl. auch Brox/Rüthers/Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 745; Schwarze, RdA 1993, 264 (268); Zöllner/ Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 414. 78 Däubler, NJW 2005, 30 (31). 79 Selbst wenn Massenkündigungen der Arbeitnehmerseite tatsächlich vorliegen, wäre dies zweifehaft, vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 61 Rn. 26 ff. m.w. N. 80 Deutlich Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1084: „Der nur psychische Druck gehört zum Kampfritual und ist auch vor Ablauf des Tarifvertrags zulässig.“ 76

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3. Enger Kampfbegriff Dies deckt sich mit den Ergebnissen, die erzielt werden, wenn man das restriktivere Begriffsverständnis von großen Teilen des Schrifttums zugrunde legt. Viele Autoren81 haben sich (neben der Diskussion um die Beschränkung auf Tarifkonflikte schon bei der Begriffsbestimmung82) für eine Präzisierung des Kampfbegriffs ausgesprochen und fordern eine Störung der Arbeitsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Wie dieser Begriff auszufüllen ist, wird oftmals nicht näher erläutert und ist bis heute nicht endgültig geklärt.83 Manche Autoren verlangen eine Störung des arbeitsvertraglichen Pflichtenprogramms84, interpretieren das Merkmal also als Störung im rechtlichen Sinne. Mit einer Verlagerungsankündigung des Arbeitgebers, falls die Gewerkschaft nicht zu Zugeständnissen bereits sei, geht keine Störung der arbeitsvertraglichen Beziehung einher, da das Vertragsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber von einer solchen Erklärung zunächst unberührt bleibt.85 Die Standortdrohung weist keine rechtsgestaltende Wirkung auf. Andererseits könnte man den Begriff der Störung der Arbeitsbeziehung auch als Schädigung im wirtschaftlichen Sinne begreifen86, was ebenfalls zu keinen anderem Ergebnis führen würde, da die Standortdrohung nicht unmittelbar eine Störung der Produktion mit sich bringt, sondern allenfalls in Aussicht stellt, dass eine solche „endgültige Störung“ bevorstehen könnte. Besteht bereits ein Standortsicherungsvertrag wird damit zwar das Vertrauen in bestehende tarifvertragliche Verpflichtungen gestört, wenn damit eine mögliche Kündigung des Tarifvertrags durch die Arbeitgeberseite in Aussicht gestellt wird. Eine unmittelbare wirtschaftliche Schädigung geht mit einer Standortdrohung aber nicht einher, wenn der Betrieb zu diesem Zeitpunkt noch weitergeführt wird.

81 Vgl. nur Bayreuther, Tarifautonomie, S. 281; Brox/Rüthers-Brox, Arbeitskampfrecht, Rn. 17; Brox/Rüthers/Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 745; Däubler-Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 58; HK-ArbR-Hensche, GG, Art. 9 Rn. 106; MünchArbR-v. Hoyningen-Huene, 2. Aufl., § 301 Rn. 24; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht, Band 2, S. 149; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 592; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 13 Rn. 2; RichardiRichardi, BetrVG, § 74 Rn. 18; Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 659; Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 414. 82 Siehe hierzu Däubler-Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 53. 83 Vgl. Hildebrandt, Massenänderungskündigung, S. 34; Jacobs, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 91 (99). 84 So etwa Sachs-Höfling, GG, Art. 9 Rn. 105; Wesch, Neue Arbeitskampfmittel, S. 20 ff.; vgl. auch Däubler-Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 58. 85 Ebenso Franzen, ZfA 2005, 315 (319); Jacobs, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 91 (99 ff.); Krause, Standortsicherung, S. 104. 86 So Nikisch, Arbeitsrecht, Band II, § 62 I 1b; wohl auch Kissel, Arbeitskampfrecht, § 13 Rn. 2, der von „Schadenszufügung“ spricht; siehe hierzu auch Schwarze, RdA 1993, 264 (268).

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Somit stellt sich allenfalls die Frage, ob es schon ausreicht, dass die kollektive Maßnahme darauf abzielt, die Arbeitsbeziehungen zu stören, also ein konkreter Erfolg möglicherweise gar nicht eintreten muss.87 Dies könnte bedeuten, dass es bei einem Streik nicht darauf ankäme, dass es durch diesen zu einer Störung der Arbeitsbeziehungen käme, sondern allein die Absicht der Gewerkschaft, Streikmaßnahmen mit diesem Ziel zu erheben, ausreichen würde. In der Praxis der klassischen Arbeitskampfmittel hätte diese Einschränkung eine geringe Bedeutung. Im Fall der Standortdrohung darf sie jedoch nicht herangezogen werden, um Standortschließung und Standortdrohung in unmittelbare Beziehung zueinander zu setzen und so die Einbeziehung einer Drohung der Arbeitgeberseite in den Arbeitskampfbegriff zu rechtfertigen. Eine objektive Störung der Arbeitsbeziehungen tritt bei Standorttarifkonflikten erst dann ein, wenn der Arbeitgeber den Betrieb endgültig stilllegt und den Arbeitnehmern keine Möglichkeit verbleibt, ihre Arbeitsleistung am bisherigen Betriebsstandort anzubieten, da ihnen betriebsbedingt gekündigt wurde. Die Standortdrohung zielt aber nach der subjektiven Vorstellung des Arbeitgebers nicht darauf ab, diese Entwicklung zwingend herbeizuführen, sondern stellt sie vielmehr lediglich in Aussicht, falls bestimmte Vorstellungen der Arbeitgeberseite zur Verbesserung der Standortfaktoren nicht erfüllt werden. Ob bestehende Verlagerungspläne tatsächlich umgesetzt werden, hängt also maßgeblich vom Verhalten der Gegenseite ab. Selbst wenn es also ausreichen würde, dass die Maßnahme auf eine Störung der Arbeitsbeziehungen abzielt, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Das Erfordernis der Rechtssicherheit im Arbeitskampfrecht spricht ebenfalls dafür, auf eine subjektive Komponente gänzlich zu verzichten.

IV. Der Paritätsgrundsatz als Anknüpfungspunkt Eine Einordnung der Standortdrohung als Kampfmittel oder eine Anwendung arbeitskampfrechtlicher Schranken könnte jedoch aus Paritätsgründen in Betracht kommen. Die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie setzt ein Gleichgewicht in der Verhandlungschance (Verhandlungsparität) und in den Druckausübungsmitteln (Kampfparität) voraus.88 Ansonsten wäre es denkbar, dass eine Seite das Kampfgeschehen einseitig bestimmen und so das auf dem Grundsatz freier Vereinbarungen basierende Tarifvertragssystem grundsätzlich in Frage in stellen könnte.89 87 In diesem Sinne wohl Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 661; ähnlich SchaubKoch, ArbRHdB, § 192 Rn. 6. Zumeist wird jedoch eine unmittelbare Störung der Arbeitsbeziehungen verlangt, vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 13 Rn. 7; Staudinger-Richardi, BGB, Vor § 611 Rn. 815; Wesch, Neue Arbeitskampfmittel, S. 20 ff.; vgl. auch Jacobs, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 91 (100). 88 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn. 1; Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 195 f. 89 BAG v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.

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Fraglich ist daher, ob das Verhandlungsgleichgewicht bei Standorttarifkonflikten durch die Einsatzmöglichkeit von Standortdrohungen einseitig zu Gunsten der Arbeitgeberseite verschoben ist. Die praktische Handhabung des Paritätsgrundsatzes bereitet erhebliche Schwierigkeiten. Ob eine neue Kampfstrategie mit dem Paritätsgrundsatz im Einklang steht oder – wie hier – eine Einordnung als Arbeitskampfmittel geboten erscheint, weil das Verhandlungsgleichgewicht ansonsten in Schieflage geraten würde und somit die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie gefährdet wäre, lässt sich nicht einfach beantworten. Die rechtliche Beurteilung der einschlägigen Maßnahme anhand des Paritätsgrundsatzes durch die Gerichte erfordert jedoch die Entwicklung subsumtionsfähiger Kriterien. Es ist bis heute allerdings nicht endgültig geklärt, anhand welchen Maßstabs das Verhandlungs- und Kampfgleichgewicht zu beurteilen ist; verschiedenste Sichtweisen vom Paritätsgrundsatz haben sich herausgebildet.90 Die h. M. in Rechtsprechung91 und Schrifttum92 vertritt eine typisierende materielle Betrachtungsweise, nach der nicht in jeder einzelnen Auseinandersetzung völliges Gleichgewicht herrschen muss, sondern vielmehr anhand einer sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Beurteilung unter Berücksichtigung der realen Kräfteverhältnisse festzustellen ist, ob ein abstrakt-materielles Gleichgewicht besteht.93 Dieses Verständnis konnte sich zwar durchsetzen, wird aber auch in jüngerer Zeit immer noch zum Anlass für Kritik genommen.94 Im Fall einer Beurteilung des Verhandlungsgleichgewichts vor dem Hintergrund der Einsatzmöglichkeit einer Standortdrohung gilt es jedoch zu bedenken, dass eine Einordnung als Arbeitskampfmittel aus Arbeitnehmersicht weitreichende Folgen hätte, die ungeachtet vom Paritätsverständnis bei der Beantwortung der Frage, ob die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie in Folge der dargestellten Veränderungen gefährdet ist, zu berücksichtigen ist: Arbeitgeber würden auf eine Ankündigung von Verlagerungsplänen wohl verzichten und die Standortentscheidung ohne Absprache mit Gewerkschaftsvertretern treffen, wenn diese als Arbeitskampfmittel eingestuft würde. Wären die Schranken der Arbeits90 Zum Streitstand siehe Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn. 7 ff.; Otto, Arbeitskampfrecht, § 2 Rn. 60 ff.; Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 298 ff. 91 BAG v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG v. 10.6.1980 – 1 AZR 822/79, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG; weitere Nachweise zur Rspr. bei Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn. 20 Fn. 59. 92 Belling, NZA 1990, 214 (217); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 974; Kalb, Arbeitskampfrecht, Rn. 165 f.; Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 300; Raiser, Aussperrung, S. 70 f.; Seiter, RdA 1981, 65 (74); Schmidt-Preuß, BB 1986, 1093 (1095); Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 691; weitere Nachweise bei Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn. 23 Fn. 64. 93 Vgl. Brox/Rüthers-Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 168. 94 Siehe stellvertretend Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 156 f.; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn. 46.

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kampfrechtsordnung einschlägig, so dass den Arbeitgebern eine Bekanntgabe von Verlagerungsplänen möglicherweise wegen eines Verstoßes gegen die Friedenspflicht gar verwehrt wäre, verbliebe den Gewerkschaften keine Möglichkeit, mittels Entgegenkommens hinsichtlich der zukünftigen Lohngestaltung den Standorterhalt noch zu sichern und die Verlagerungsgefahr abzuwenden. Den Interessen der Arbeitnehmer wäre nicht gedient. Die Arbeitnehmer stünden durch die Einordnung aus Paritätsgründen, die vorgenommen würde, um ein zu Gunsten der Arbeitgeberseite verschobenes Verhandlungsgleichgewicht wiederherzustellen, schlechter.95 Der Raum für solche Vereinbarungen zwischen den Parteien wäre, unabhängig von ihrer rechtlichen Bewertung,96 in der Praxis erheblich eingeschränkt, wenn nicht unmöglich. Allein aus diesem Grund wird man Paritätserwägungen, die auf eine Einbeziehung solcher Bekanntgabeerklärungen in den Kreis der Kampfmittel der Arbeitgeberseite, obgleich mit ihnen ein nicht unerheblicher Druck auf die Arbeitnehmervertreter ausgeübt werden kann, verwerfen müssen. Die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie wäre erst Recht gestört, anstatt dass ein in Schieflage geratenes Verhandlungsgleichgewicht wiederhergestellt würde. Aus ähnlichen Erwägungen heraus lässt sich das Problem der Abgrenzbarkeit von Standortdrohungen und neutralen Bekanntgabeakten, die nicht auf eine Änderung tariflicher Vereinbarungen abzielen, gegen eine Einordnung aus Paritätsgründen anführen.97 Eine funktionierende Tarifautonomie erfordert hinsichtlich der Möglichkeiten, Einigungen durch Kampf zu erzielen, klare Regeln. Würde man die Standortdrohung aus Paritätsgründen als Kampfmittel einordnen, entstünden erhebliche Schwierigkeiten. Auch der Hinweis, dass die Drohung mit Verlagerung hinsichtlich ihrer Wirkungen weit über das hinausginge, was man aus Arbeitgebersicht durch eine lösende Angriffsaussperrung erzielen könne,98 vermag diese Einwände gegenüber der Einordnung der Standortdrohung aus Paritätsgründen nicht zu überwinden. Darüber hinaus ist ihm inhaltlich zu widersprechen: Es ist zwar richtig, dass – wenn man eine Aussperrung mit lösender Wirkung überhaupt zulassen wollte99 – nach der Rechtsprechung des Großen Senats100 zur lösenden Abwehraussperrung ein Wiedereinstellungsanspruch des ausgesperrten Arbeitnehmers nach Beendigung des Arbeitskampfes besteht.101 Dies deutet allerdings nur auf den ersten 95 Vgl. Franzen, ZfA 2005, 315 (323); Jacobs, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 91 (104); Krause, Standortsicherung, S. 105. 96 Siehe hierzu Kapitel 3. 97 Vgl. Kapitel 2 C. III. 2. 98 Vgl. Däubler, NJW 2005, 30 (31). 99 Kritisch hierzu in Kapitel 5 C. III. 1. 100 Vgl. BAG v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 101 Darauf verweist Däubler, NJW 2005, 30 (31).

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Blick darauf hin, dass eine Ankündigung, den Betrieb verlagern zu wollen, also langfristig alle Arbeitsplätze weggefallen könnten, über die Wirkung einer lösenden Angriffaussperrung noch hinausgeht. Dieser Anspruch der lösend ausgesperrten Arbeitnehmer auf Wiedereinstellung steht nach der Rechtsprechung des Großen Senats im Ermessen des Arbeitgebers und ist insbesondere dann nicht gegeben, wenn der Arbeitsplatz nach Beendigung des Arbeitskampfes rationalisierungsbedingt weggefallen ist oder anderweitig besetzt wurde.102 Auch bei einer lösenden Aussperrung besteht somit die Möglichkeit des Arbeitsplatzverlustes. Dies scheint freilich wiederum dafür zu sprechen, dass doch eine gewisse Ähnlichkeit von Standortdrohung und lösender Aussperrung besteht. Doch auch dieser Schluss darf nicht gezogen werden, um die Standortdrohung der Arbeitskampfrechtsordnung zu unterwerfen: Eine lösende Aussperrung wirkt sich unmittelbar auf die Arbeitsbeziehungen der ausgesperrten Arbeitnehmer aus, während bei einer Standortdrohung der Arbeitsplatzverlust lediglich in Aussicht gestellt wird, falls bestimmte Bedingungen nicht erfüllt werden. Im Gegensatz zur Aussperrung bestehen auch nach der Erklärung, den Standort verlagern zu wollen, die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis unverändert fort und erfahren erst eine Änderung, wenn der Arbeitgeber seine Pläne in die Tat umsetzt und betriebsbedingte Kündigungen ausspricht. In diesem Fall greift der gesetzliche Kündigungsschutz zugunsten der Arbeitnehmer, während bei einer lösenden Aussperrung das Arbeitsverhältnis – vorausgesetzt der Arbeitsplatz ist weggefallen – unmittelbar endet und nach der Rechtsprechung des Großen Senats103 zur lösenden Abwehraussperrung nur solche Arbeitnehmer nicht lösend ausgesperrt werden dürfen, die besonderen Kündigungsschutz für sich in Anspruch nehmen können. Insofern handelt es sich bei der Standortdrohung entgegen der Auffassung von Däubler104 nicht um ein „funktionales Äquivalent“ zur lösenden Angriffsaussperrung, so dass auch dies keinen Grund für ihre Einordnung aus Paritätsgründen darstellt. Von einer Paritätsverschiebung zu Lasten der Arbeitnehmerseite müsste dagegen gesprochen werden, wenn die Arbeitgeber in erheblichem Umfang die Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausnutzen würden, indem sie die Absicht einer Standortverlagerung lediglich vortäuschten, um so eine Anpassung bestehender betriebsbezogener Tarifverträge oder den Abschluss eines Standortsicherungstarifvertrags mit Lohnkürzung erreichen zu können, oder die Standortverlagerung selbst instrumentell als Arbeitskampfmittel einsetzen würden, beispielsweise wenn damit ähnlich der streikbedingten Betriebsstilllegung 102 Vgl. BAG v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 10R f. 103 BAG v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 9R. 104 Däubler, NJW 2005, 30 (31).

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auf eine Tarifforderung der Gewerkschaft reagiert und ausschließlich die Durchsetzung der eigenen Vorstellung beabsichtigt würde. Eine solche Entwicklung ist bisher aber nicht erkennbar. Mag es zwar richtig sein, dass vom Aussperrungsrecht in der Praxis kaum Gebrauch gemacht wird, hat die Standortverlagerungsoption die Aussperrung als zentrales Arbeitskampfmittel der Arbeitgeberseite dennoch nicht ersetzt.105 Vielmehr liegt die Zielrichtung solcher Erklärungen der Arbeitgeberseite zumeist darin, der Gewerkschaft die Möglichkeit zu geben, eine Anpassung der tarifvertraglichen Lohngestaltung in Erwägung zu ziehen, um in der Folge die Notwendigkeit einer Standortverlagerung nochmals überdenken zu können, und bringt zum Ausdruck, dass vielfach auch die Arbeitgeberseite ein Interesse am Erhalt des Betriebsstandortes hat. Den Gewerkschaften ist bewusst, dass sie durch hohe Tarifforderungen in Branchen, in denen eine Verlagerung besonders leicht umgesetzt werden kann, die Zukunft des Standorts langfristig aufs Spiel setzen können. Dazu bedarf es keiner Drohung des Arbeitgebers. All dies zeigt, dass es im Kern die Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Tarifpolitik ist, welche die Verhandlungsposition der Arbeitgeber gestärkt hat. Dass die Standortverlagerungsoption den Arbeitgebern bei isoliertem Blick auf den Ablauf von Standorttarifkonflikten derzeit in die Karten spielt und ihre Verhandlungsposition gestärkt hat, darf aber nicht dazu verleiten, solche Erklärungen des Arbeitgebers der Arbeitskampfrechtsordnung zu unterwerfen. Dabei würde übersehen, dass andererseits die aufgrund der Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angepassten Betriebsabläufe den Arbeitgeber „gegenüber strategisch klug angelegten Arbeitsniederlegungen“ 106 empfindlicher gemacht haben.107 Es haben somit auch Veränderungen der Ausgangslage zu Lasten der Arbeitgeberseite stattgefunden. Beides rechtfertigt keinen staatlichen Eingriff in den tarifvertraglichen Einigungsprozess. Der Maßstab des materiell-abstrakten Paritätsverständnisses verbietet gerade eine isolierte Sicht anhand der Bewertung der Machtverhältnisse einzelner Kampfsituationen, sondern erfordert eine Betrachtung über einen längeren Zeitraum. Legt man ein normatives Paritätsverständnis zugrunde, ist ebenfalls Zurückhaltung geboten, da ansonsten die staatliche Neutralität gegenüber dem tarifvertraglichen Einigungsprozess nicht gewahrt bliebe.108 Aus diesem Grund vermag auch die Gesamtparitätslehre109, welche alle denkbaren Einflussfaktoren 105

So auch Franzen, ZfA 2005, 315 (323). Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 658. 107 Vgl. hierzu auch Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn. 65 ff. 108 Vgl. Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 157 m.w. N. 109 In diesem Sinne etwa Däubler, JuS 1972, 642 (644); Kittner, GMH 1973, 91 (100); Lerche, Zentralfragen, S. 66; Wolter, AuR 1979, 193 (199); weitere Nachweise bei Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn. 11 Fn. 36. 106

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Kap. 2: Die Standortdrohung des Arbeitgebers

berücksichtigen will, nicht zu überzeugen, zumal sie kaum justitiabel ist.110 Legt man sie dennoch bei der Beurteilung der Standortdrohung zugrunde, müsste eine Vielzahl von weiteren Faktoren herangezogen werden, so dass möglicherweise ebenfalls zu berücksichtigen wäre, dass die öffentliche Meinung nach Bekanntgabe einer Verlagerungsabsicht typischerweise auf Seiten der Arbeitnehmerschaft steht und dies wiederum die Verhandlungsposition der Gewerkschaften stärkt.111 Da der Einsatz der Standortdrohung jedenfalls nicht in jedem denkbaren Fall zu einer offensichtlichen Paritätsstörung führt, bietet dieser tragende Rechtsgrundsatz des Arbeitskampfrechts ebenfalls keinen Halt für eine Einordnung der Standortdrohung als Arbeitskampfmittel. Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass der Paritätsgrundsatz nicht zur Einordnung der Standortdrohung als neues Kampfmittel führt und eine Anwendung der Schranken der Arbeitskampfrechtsordnung rechtfertigt.

V. Arbeitsniederlegungen als Reaktion auf eine Standortdrohung Handelt es sich bei der Standortdrohung also nicht um ein neues Arbeitskampfmittel der Arbeitgeberseite, kommt es aus gewerkschaftlicher Sicht nicht in Betracht, gegen solche Erklärungen wegen eines Verstoßes gegen arbeitskampfrechtliche Schranken gerichtlich vorzugehen. Ein Streik aus Anlass einer Standortdrohung kann also schon nicht damit legitimiert werden, dass auf eine Arbeitskampfmaßnahme der Arbeitgeberseite reagiert wird, die rechtswidrig ist. Somit stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten verbleiben, mittels Arbeitsniederlegung gegen die Standortdrohung vorzugehen. Vorab zur Klarstellung: Im Folgenden soll noch nicht untersucht werden, welche Ziele im Rahmen eines Standortarbeitskampfes zulässigerweise verfolgt werden dürfen. Die Rechtmäßigkeit der Kampfziele „Abwendung der Standortverlagerung“112 und „Abmilderung der sozialen Folgen durch einen Tarifsozialplan“113 wird zunächst ausgeblendet werden, da sich dieses Problem nicht nur im Fall einer Standortdrohung als Streikanlass stellt. Vielmehr soll nun der Blick ausschließlich auf die „sonstigen“ Grenzen der Kampffreiheit gerichtet werden, welche Arbeitsniederlegungen aus Anlass einer Standortdrohung zwingend entgegenstehen könnten, ohne dass es auf die Rechtmäßigkeit der Kampfziele im Einzelnen ankäme. 110 Vgl. zur Kritik Bonin, Standortsicherung, S. 104 f.; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn. 12; Brox/Rüthers-Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 168; Sutschet, ZfA 2005, 581 (626); Wank, in: FS Kissel, S. 1225 (1240). 111 Siehe Kapitel 1 A. II. 1. b). 112 Siehe hierzu Kapitel 3. 113 Siehe hierzu Kapitel 4 und 5.

C. Stellungnahme

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1. Einschränkung der Friedenspflicht? Begreift man die Standortdrohung als Angriff auf das betriebliche Lohnniveau, könnte man argumentieren, dass ein Streik der Gewerkschaft auf die Abwehr solcher Versuche, also auf die Durchsetzung einer Lohnforderung, gerichtet wäre.114 Freilich klingt dies auf den ersten Blick grotesk: Die Gewerkschaft würde einen Streik um eine Lohnforderung führen, die bereits in einem Tarifvertrag geregelt wurde. Die relative Friedenspflicht würde somit einem Streik zwingend entgegenstehen, wenn die Sachmaterie abschließend geregelt wurde. Gleiches würde gelten, wenn ein Standortsicherungstarifvertrag existiert, der Arbeitgeber dennoch gegenüber den Gewerkschaftsvertretern mit dem Gedanken einer Standortverlagerung spielt. Auch in diesem Fall stellt sich die Frage, ob der Streik zur Abwehr solcher Verlagerungspläne schon wegen eines Verstoßes gegen die Friedenspflicht rechtswidrig ist. Krause115 verneint dies für den erstgenannten Fall und argumentiert mit dem Schutzzweck der tariflichen Friedenspflicht. Ein Streik könne nicht wegen eines Verstoßes gegen die Friedenspflicht rechtswidrig sein, wenn der Arbeitgeber den Tarifvertrag, welcher die Tarifvertragsparteien verpflichte, keine Kampfmaßnahmen zu ergreifen, selbst durch die Standortdrohung in Frage stelle. Er begründet dies mit dem Grundsatz der Kampfparität, welcher es gebiete, die Friedenspflicht so zu interpretieren, dass auch der Arbeitnehmerseite ein adäquates Druckmittel zur Seite steht, um der Wirkungskraft einer Standortdrohung etwas entgegen zu setzen. Zuzustimmen ist Krause116 zunächst, dass bei Bestehen einer geltenden Standortsicherungsvereinbarung keine Notwendigkeit besteht, einen gewerkschaftlich geführten Arbeitskampf zuzulassen. Die Gewerkschaft kann sich auf die tarifliche Durchführungspflicht stützen, falls der Arbeitgeber bekannt gibt, entgegen der Vereinbarung Verlagerungspläne zu erörtern. Gegenüber der These, dass für sonstige Fälle einer Absenkung tariflicher Standards durch die Standortdrohung des Arbeitgebers eine einschränkende Interpretation der tariflichen Friedenspflicht geboten erscheint, lassen sich allerdings gewichtige Gegenargumente anführen, die zwingend gegen diesen Vorschlag sprechen: Zunächst vermag dieser Lösungsversuch nicht überzeugend zu erklären, in welchen Fällen der Arbeitgeber die Standortdrohung ausschließlich als Lohnsenkungswaffe einsetzt, so dass eine Einschränkung der Friedenspflicht überhaupt in Betracht käme. In vielen Fällen wird der Wunsch nach Absenkung der Lohnkosten durch Verzicht der Arbeitnehmer durch Abschluss einer firmenbezogenen tariflichen Vereinbarung nicht von den Arbeitgebern, sondern von der Arbeitnehmerseite in die Diskussion um einen möglichen Standorterhalt eingebracht. Die 114 115 116

So Krause, Standortsicherung, S. 108. Krause, Standortsicherung, S. 107 f. Krause, Standortsicherung, S. 107.

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Abgrenzungsprobleme zwischen neutralen Bekanntgabeerklärungen, die nicht an die Gewerkschaft adressiert sind, und „echten“ Standortdrohungen, die mit dem Ziel der Entgeltabsenkung an die Gewerkschaft gerichtet werden,117 stellen sich auch dann, wenn man eine Lösung auf der Ebene der gewerkschaftlichen Streikbefugnisse sucht. Darüber hinaus bestünde die Gefahr, dass – wollte man einen Streik zur Abwehr von Lohnsenkungsversuchen trotz bindender Vereinbarung zulassen – der Streik zwar formal auf die Abwehr einer Absenkung des Lohnniveaus, in vielen Fällen aber auf den Standorterhalt gerichtet wäre. Eine genaue Herausstellung des Kampfziels müsste in diesem Fall vorgenommen werden.118 Entscheidend ist aber, dass eine solche Lösung entgegen der Auffassung von Krause mit dem Zweck der Friedenspflicht nicht zu vereinbaren ist. Die Tarifvertragsparteien haben die zwischen ihnen vereinbarte Regelung als rechtsverbindlich zu respektieren, solange der Tarifvertrag gilt. Erst mit Außerkrafttreten des Tarifvertrags endet auch die von ihm ausgehende Friedenspflicht, als jedem Tarifvertrag ohne ausdrückliche Vereinbarung innewohnende schuldrechtliche Verpflichtung119. Ein Verstoß gegen die Friedenspflicht ist anzunehmen, wenn während der Laufzeit eines Tarifvertrags ein Arbeitskampf über Regelungen für die Zeit nach seinem Ablauf geführt wird.120 Allenfalls in Ausnahmefällen kommt ein Streik in Betracht: Kampfmittel dürfen zur Abwehr verbotener Angriffe der Gegenseite eingesetzt werden;121 der Arbeitgeber kann sich gegenüber einem Streik nicht auf die Friedenspflicht eines Verbandstarifvertrag berufen, den er nicht anwendet;122 Arbeitskampfmaßnahmen im Nachwirkungsstadium sind ausdrücklich zulässig.123 Wollen die Tarifvertragsparteien darüber hinaus das Recht zum Arbeitskampf zulassen, müssen sie ein Recht zur (Teil-)Kündigung des Tarifvertrags aufnehmen.124 Ansonsten bindet sie die Friedenspflicht umfassend. Lehnt man eine Klassifizierung der Standortdrohung als Arbeitskampfmaßnahme ab, folgt daraus, dass dies nicht als verbotener Angriff der Arbeitgeberseite auf geltende Tarifverträge angesehen werden kann, der eine Abwehr mittels Streiks rechtfertigen könnte. Setzt eine solche Erklärung die Friedenspflicht des Tarifvertrags außer Kraft, der gegebenenfalls als Grund für die Verlagerungspläne angegeben wird, würde dieser Erklärung qualitativ die Wirkung einer Kündigungserklärung beigemessen werden. Dies lässt sich aus einer Standortdrohung aber nicht ableiten. Mit ihr hat der Arbeitgeber noch nicht einmal den Willen 117 118 119 120 121 122 123 124

Vgl. Kapitel 2 C. III. 2. Siehe zur Bestimmung des Kampfziels Kapitel 5 A. I. Vgl. Otto, Arbeitskampfrecht, § 7 Rn. 4; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 867. ErfK-Franzen, TVG, § 1 Rn. 81; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 26 Rn. 96. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 26 Rn. 94; Otto, Arbeitskampfrecht, § 7 Rn. 9. Vgl. Krause, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 4 Rn. 154 m.w. N. Vgl. Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 1031 m.w. N. Vgl. Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 868 m.w. N.

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zum Ausdruck gebracht, sich nicht mehr an die Regelung gebunden zu fühlen und sie nicht mehr anwenden zu wollen. Interpretiert man die Standortdrohung als Angriff auf verbandstarifliche Standards käme sie hinsichtlich ihrer Wirkung, wenn man wie Krause eine Einschränkung der Friedenspflicht befürworten wollte, einem Verbandsaustritt oder einem Wechsel in die Mitgliedschaft gleich, da das LAG Hessen für diesen weiteren Ausnahmefall Streikmaßnahmen zur Durchsetzung eines Firmentarifvertrags ausdrücklich zulassen will, da der Tarifvertrag nur noch nachwirke.125 Die Standortdrohung ist damit nicht vergleichbar. Der Arbeitgeber gibt gerade nicht zu erkennen, dass er keinesfalls bereit sei, die bindenden Vereinbarungen einzuhalten, geschweige denn den Verband zu verlassen. Bayreuther126 merkt zu Recht für den Fall einer abschließenden Regelung auf Verbandsebene an, dass der Wille eines Arbeitgebers, einen seiner Betriebe schließen zu wollen, „noch lange keine derart eruptive Tarifentwicklung“ begründe, „die den Fortbestand des Tarifvertrags in Frage stellen könnte“. Dies könne kein Anlass für eine Einschränkung der relativen Friedenspflicht aufgrund einer ganz ungewöhnlichen, bei Tarifvertragsabschluss unvorhergesehenen und von der Regelung nicht erfassten Entwicklung sein. Daher ist davon auszugehen, dass verbandstarifliche Regelungen weiterhin eine Friedenspflicht gegenüber gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen entfalten, wenn eine Forderung, die auf den Abschluss eines Firmentarifvertrags abzielt, mittels Streiks durchgesetzt werden soll, die bereits im Verbandstarifvertrag abschließend geregelt ist, und keine Öffnungsklausel ins Vertragswerk aufgenommen wurde.127 Dies muss auch dann gelten, wenn der Arbeitgeber lediglich die Möglichkeit einer Verlagerung des Standorts bekannt gibt. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass die Friedenspflicht verbandstariflicher Vereinbarungen aufgrund einer solchen Erklärung entfallen würde. Insoweit bleibt es dabei: Geltende tarifliche Entgeltvereinbarungen binden den Arbeitgeber trotz Ausspruch einer Standortdrohung weiterhin. Tarifrechtliche Wirkungen sind ihr nicht beizumessen. Hinsichtlich gewerkschaftlicher Reaktionsmöglichkeiten folgt daraus, dass gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen zur Abwehr solcher „Angriffe auf tarifliche Standards“ wegen eines Verstoßes gegen die relative Friedenspflicht unzulässig sind. Ob Streikmaßnahmen zulässigerweise erhoben dürfen, hängt also maßgeblich da-

125 LAG Hessen v. 17.9.2008 – 9 SaGa 1442/08, NZA-RR 2009, 26 ff.; kritisch Willemsen/Mehrens, NZA 2009, 169 ff., welche dies nur dann annehmen wollen, wenn der Arbeitgeber den Verbandstarifvertrag de facto nicht mehr anwendet. 126 Bayreuther, NZA 2007, 1017 (1020). 127 Dies entspricht der h. M. zu dieser Frage, siehe stellvertretend mit umfangreichen Nachweisen Kissel, Arbeitskampfrecht, § 26 Rn. 128 ff.; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 386; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 330 ff.; Richter, Erstreikbarkeit, S. 206 ff.; a. A. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 296.

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von ab, ob ein Arbeitskampf zur Verhinderung einer Standortverlagerung oder ein Streik um einen Tarifsozialplan rechtmäßig ist. Auch die aus Arbeitnehmersicht einschneidende Wirkung einer Verlagerungsdrohung ändert an diesem Ergebnis nichts. Insoweit verbietet sich ein Rückgriff auf das Paritätsprinzip. Ansonsten würde die Bekanntgabe von Verlagerungsplänen zwar nicht als Arbeitskampfmittel qualifiziert, mit Blick auf gewerkschaftliche Gegenmaßnahmen aber ähnliche Ergebnisse erzielt. Es wäre zu befürchten, dass nur einzelne Faktoren, die neben einer Vielzahl weiterer Aspekte das Kampfgewicht bestimmen, herausgegriffen und für eine Erweiterung gewerkschaftlicher Streikbefugnisse angeführt werden. Dies würde dem Maßstab des Paritätsprinzips nicht gerecht.128 Dem Erfordernis der Rechtssicherheit als Funktionsbedingung der Tarifautonomie wäre nicht gedient, wenn die tarifliche Friedenspflicht nicht in Folge einer Gestaltungserklärung, sondern schon im Fall einer möglicherweise mündlich ausgesprochenen Standortdrohung entfiele. Es bestünde vielmehr die Gefahr, dass die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie aufgrund der nicht zu leistenden Abgrenzbarkeit solcher Erklärungen gefährdet würde, da der innere Wille des Arbeitgebers, ob er den Betrieb wirklich verlagern will oder die Wirkung einer Verlagerung nur einsetzt, um tarifliche Standards abzusenken, kaum zu ermitteln ist. Der Vorschlag von Krause überzeugt daher nicht. Einem Streik aus Anlass einer Standortdrohung steht die Friedenspflicht eines geltenden Standortsicherungstarifvertrags zwingend entgegen. Ferner darf kein Streik mit dem Ziel der Abwehr von Lohnsenkungsversuchen durch die Arbeitgeberseite geführt werden, wenn ein geltender Tarifvertrag diese Sachmaterie Lohngestaltung abschließend regelt. 2. Streik als Notwehrrecht der Arbeitnehmer? Oftmals wurde in der rechtspolitischen Diskussion von führenden Gewerkschaftsvertretern auf den Streik als „Notwehrrecht“ der Arbeitnehmer hingewiesen, um sich gegen diese Form der aus ihrer Sicht „willkürlichen“ Standortpolitik der Arbeitgeber wehren zu können.129 Die Lösung von Franzen130 setzt an diesem Gedanken an und will für den Fall, dass die Standortdrohung als widerrecht-

128

Vgl. Kapitel 2 C. IV. Vgl. Berthold Huber (Erster Vorsitzender der IG Metall), zitiert in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 22.7.2006, S. 12 – „Betriebsräte sind mehr als Erfüllungsgehilfen des Tarifvertrags“; dens., zitiert in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 1.3.2006, S. 1 – „Keine Rettung für das AEG-Werk Stoiber: Die Kehrseite der Globalisierung“. 130 Franzen, ZfA 2005, 315 (324 ff., 348 ff.). 129

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liche Drohung im Sinne von § 123 BGB zu qualifizieren sei, der Arbeitnehmerseite ein Streikrecht zusprechen, um den Angriff auf ihre Entschließungsfreiheit abzuwehren. Gegen diesen Ansatz lässt sich bereits anführen, dass verfassungsrechtliche Wertungen unterlaufen würden, wenn man aus dem Notwehrrecht des § 227 BGB ein Streikrecht herleiten würde.131 Es entspricht allgemeiner Ansicht, dass Arbeitskämpfe nur von tariffähigen Parteien um tariflich regelbare Ziele geführt werden können. „Erkämpft werden kann nur, was auch tariflich regelbar ist.“ „Nur tariffähige Parteien sind berechtigt Arbeitskämpfe zu führen.“ Mit diesen oder ähnlichen Worten wird die als zwingend angesehene Tarifbezogenheit des Arbeitskampfrechts in Rechtsprechung und Schrifttum umschrieben.132 Gamillscheg133 bezeichnet dies als „Grundregel, aus der sich das meiste andere ergibt“. Der Arbeitskampf wird als „Hilfsinstrument zur Sicherung der Tarifautonomie“ interpretiert und auf diese Funktion beschränkt.134 Ausschließlich tariffähige Koalitionen sind danach ermächtigt, die „gebündelten“ Rechte der Mitglieder wahrzunehmen, also Tarifforderungen zu erheben und diese gegebenenfalls unter Einsatz von Arbeitskampfmitteln durchzusetzen. Art. 9 Abs. 3 GG ist zwar nicht als kollektives Grundrecht ausgestaltet, da sich nach dem Wortlaut der Norm „jedermann“ auf den Grundrechtsschutz berufen kann und der Verfassungsgesetzgeber den Arbeitskampf im Rahmen dieser Vorschrift nicht geregelt hat.135 Es entspricht dennoch anerkannter Verfassungsdogmatik, dass Art. 9 Abs. 3 GG nicht auf ein Individualrecht zu beschränken ist. Neben der Ausprägung als Individualgrundrecht des Einzelnen in Form der individuellen positiven und negativen Koalitionsfreiheit ist in Art. 9 Abs. 3 GG

131

Vgl. Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 87. St. Rspr., vgl. nur BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (224 f.); BVerfG v. 2.3.1993 – 1 BvR 1213/85, BVerfGE 88, 103 (114); BVerfG v. 4.7.1995 – 1 BvF 2/86 u. a., BVerfGE 92, 365 (393 f.); BAG v. 21.4.1971 – GS 1/68, BAGE 23, 292 (306); BAG v. 21.3.1978 – 1 AZR 11/76, BAGE 30, 189 (199), BAG v. 10.6.1980 – 1 AZR 822/79, BAGE 33, 140 (150); BAG v. 10.3.1985 – 1 AZR 636/82, BAGE 48, 195 (201); BAG v. 5.3.1985 – 1 AZR 468/83, BAGE 48, 160 (168); BAG v. 26.4.1988 – 1 AZR 399/86, BAGE 58, 138 (144); BAG v. 7.6.1988 – 1 AZR 372/86, BAGE 58, 343 (348); BAG v. 27.6.1989 – 1 AZR 404/88, BAGE 62, 171 (182); LAG Bremen v. 23.11.1983 – 2 Sa 291/82, BB 1984, 1230. So auch die h.A. im Schrifttum, vgl. nur Biedenkopf, Grenzen, S. 214; Friauf, RdA 1986, 188 (189); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1071; HWK-Hergenröder, GG, Art. 9 Rn. 149 f.; Hoeniger, RdA 1953, 204 (206 ff.); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 24 Rn. 1 ff.; Konzen, SAE 1977, 236; Lieb, ZfA 1982, 113 (124); Löwisch, RdA 1982, 73 (76); Otto, Arbeitskampfrecht, § 5 Rn. 2 ff.; Richardi, JZ 1992, 27 (29, 33); Brox/Rüthers-Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 130, 138; Wank, in: FS 50 Jahre Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes, S. 141 (159). 133 Gamillscheg, Kollektives Arbeitrecht, Band I, S. 1071. 134 Vgl. BAG v. 5.3.1985 – 1 AZR 468/83, BAGE 48, 160 (168). 135 Vgl. MünchArbR-Otto, 2. Aufl., § 282 Rn. 15 u. § 284 Rn. 2. 132

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auch die kollektive Koalitionsfreiheit enthalten, so dass Art. 9 Abs. 3 GG als Doppelgrundrecht bezeichnet werden kann.136 Die Reichweite der grundrechtlichen Gewährleistungen ist dabei nicht einheitlich zu beurteilen, der Schutzumfang der kollektiven Koalitionsfreiheit reicht über den Umfang der individuellen Koalitionsfreiheit hinaus.137 Das Recht, Arbeitskämpfe zu führen, ist nicht im Schutzbereich des Individualgrundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG zu verorten, wenn man, wie das BVerfG138, die Verortung des Rechts zum Arbeitskampf in Art. 9 Abs. 3 GG als Ergebnis einer „Stufenfolge“139 formuliert und ausschließlich der kollektiven Koalitionsfreiheit zuordnet: „Ein wesentlicher Zweck der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionen ist der Abschluss von Tarifverträgen. [. . .] Die Wahl der Mittel, die sie zur Erreichung dieses Zwecks für geeignet halten, überlässt Art. 9 Abs. 3 GG grundsätzlich den Koalitionen. [. . .] Zu den geschützten Mitteln zählen auch Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind. Sie werden jedenfalls insoweit von der Koalitionsfreiheit erfasst, als sie allgemein erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen.“

Das BVerfG140 hat diese Entwicklung des Arbeitskampfes aus der Tarifautonomie heraus später mehrfach bekräftigt. Ihr liegt die Sichtweise zugrunde, den Arbeitskampf nur insoweit unter den verfassungsrechtlichen Schutz der Tarifautonomie zu stellen, als dies zur Entfaltung dieser Grundrechtsgewährleistung notwendig ist. Die aus Art. 9 Abs. 3 GG abzuleitende Arbeitskampffreiheit reicht somit nicht über den Umfang der Tarifautonomie hinaus. Die Grundrechtsträgerschaft der Koalitionen ist zwar im GG nicht ausdrücklich normiert, ergibt sich jedoch aus der Aufnahme des Vereinigungszwecks („Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen„) in den Schutzbereich des Grundrechts.141 Das Recht des einzelnen Arbeitnehmers beschränkt sich danach auf die Teilnahme am gewerkschaftlich geführten Arbeitskampf.142 Aus Art. 9 Abs. 3 136 Vgl. BVerfG v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52, BVerfGE 4, 96 (101 f.); BAG v. 29.11.1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (219); zuletzt BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/ 06, AP Nr. 173 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 2R; Biedenkopf, Grenzen, S. 88; DreierBauer, GG, Band I, Art. 9 Rn. 82; Richardi, Kollektivgewalt, S. 77; Scholz, in: HdBStR, Band VI, § 151 Rn. 73; Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 93 m.w. N. 137 ErfK-Dieterich, GG, Art. 9 Rn. 40. 138 BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (224 f.). 139 So Kissel, Arbeitskampfrecht, § 24 Rn. 1. 140 Vgl. BVerfG v. 2.3.1993 – 1 BvR 1213/85, BVerfGE 88, 193 (114); BVerfG v. 4.7.1995 – 1 BvF 2/86 u. a., BVerfGE 92, 365 (393 f.). 141 Vgl. BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (224); Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 9 Rn. 24. 142 Umstritten ist, wie dieses Recht des Einzelnen dogmatisch herzuleiten ist: Eine Einordnung des Rechts zur Teilnahme an einer Arbeitsniederlegung als „rechtsreflexive Begünstigung aus dem Streikrecht der Gewerkschaften“ befürwortet Thüsing, Außenseiter, S. 54. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 17 Rn. 17; Otto, Arbeitskampfrecht, § 4

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GG ergibt sich nur eine Gewährleistung von Arbeitskämpfen zur Durchsetzung tarifvertraglicher Forderungen. Tariffremde Ziele sind danach nicht erkämpfbar. Nicht tariffähige Parteien sind nicht ermächtigt, Arbeitskämpfe zu führen. Stellt man die Bedenken hinsichtlich eines Arbeitskampfes, der mit dem Ziel der Verhinderung einer Standortverlagerung geführt wird, an dieser Stelle zurück, wäre schon das Merkmal der Tariffähigkeit nicht erfüllt, da auch die „Hilfskonstruktion“ der sog. „Ad-Hoc-Koalition“ nicht überzeugt.143 Ein spontaner Zusammenschluss von Arbeitnehmern nach einer Äußerung des Arbeitgebers, dass eine Standortverlagerung angedacht werde, kann kein Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG – also insbesondere nicht das Recht, Arbeitskämpfe zu führen – für sich in Anspruch nehmen. Die Funktion des in Art. 9 Abs. 3 GG verwurzelten gewerkschaftlichen Streikmonopols liegt darin, dass in erster Linie die Gewerkschaften den Umgang mit der scharfen Waffe des Arbeitskampfes verantwortungsvoll handhaben können.144 Selbst wenn sich der Arbeitgeber also seinerseits rechtswidrig verhält, weil die Standortdrohung den Tatbestand der §§ 123 BGB, 240 StGB erfüllt, rechtfertigt dies keine Arbeitskampfmaßnahmen der Arbeitnehmerseite ohne gewerkschaftliche Führung. Ansonsten würden die Grenzen der aus Art. 9 Abs. 3 GG abzuleitenden Streikfreiheit gesprengt. Darüber hinaus überzeugt die Argumentation, dass der Adressat einer solchen Drohung der einzelne, im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer sein soll, nicht. Wenn überhaupt richten sich solche Erklärungen an die zuständige Arbeitnehmervertretung, um den Abschluss einer Kollektivvereinbarung herbeizuführen. Nicht der einzelne Arbeitnehmer soll unter Druck gesetzt werden, um so eine individualarbeitsrechtliche Anpassung des Vertragsverhältnisses zu erzielen. Eine Standortdrohung richtet sich gerade nicht gegen die Entschließungsfreiheit der Belegschaft. Selbst wenn der Arbeitgeber eine Erklärung veröffentlichen sollte, um deutlich zu machen, dass die Gewerkschaft eine Verlagerung zu verantworten habe, wenn sie sich weiterhin einem tariflichem Lohnverzicht verschließe, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. In diesem höchst unwahrscheinlichen und an den Sachverhalt des eingangs geschilderten Urteils des ArbG Leipzig145 angelehnten Fall würde wiederum mittelbar Druck auf die Gewerkschaft zur Herbeiführung einer Kollektivvereinbarung ausgeübt, ohne dass sich die Erklärung geRn. 41 ff.; MünchArbR-ders., 2. Aufl., § 284 Rn. 43, bevorzugen dagegen eine Konstruktion als „Individualgrundrecht unter kollektivem Vorbehalt“ und wollen auf diesem Weg den subjektiven Charakter des Art. 9 Abs. 3 GG betonen. 143 Vgl. BAG v. 20.12.1963 – 1 AZR 428/62, AP Nr. 32 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG v. 17.12.1976 – 1 AZR 605/75, AP Nr. 51 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1087 f.; Otto, Arbeitskampfrecht, § 6 Rn. 34; Rieble, RdA 2005, 200 (207 ff.); Mauz/Dürig-Scholz, GG, Art. 9 Rn. 192, 324 m.w. N.; a. A. Däubler-Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 120 ff. m.w. N.; Sachs-Höfling, GG, Art. 9 Rn. 108. 144 Vgl. Otto, Arbeitskampfrecht, § 6 Rn. 34; Rieble, RdA 2005, 200 (212). 145 ArbG Leipzig v. 5.9.2002 – 7 BVGa 54/02, NZA-RR 2003, 142.

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gen die Entschließungsfreiheit der Arbeitnehmerschaft richten würde. Vielmehr zielten solche Versuche darauf ab, die Solidarität innerhalb der Gewerkschaft zu erschüttern. Will man all diese Einwände nicht gelten lassen, wird man dennoch bezweifeln müssen, dass eine solche Notwehrmaßnahme in Form einer Arbeitsniederlegung erforderlich ist, den von der rechtswidrigen Standortdrohung der Arbeitgeberseite ausgehenden Angriff auf die Entschließungsfreiheit zu beenden, da die Möglichkeit gerichtlichen Rechtsschutzes in Form einer einstweiligen Verfügung gerade für solche Fälle bereit steht146. Den Arbeitnehmern ist daher zuzumuten, statt zur empfindlichen Waffe des Streiks zu greifen, diesen ebenso geeigneten Weg zu wählen, um den Angriff auf ihre Entschließungsfreiheit abzuwehren. Ein aus dem Notwehrrecht des BGB abzuleitendes, individuelles Recht zu Arbeitsniederlegung besteht also auch dann nicht, wenn die Drohung mit Verlagerung als widerrechtlich zu qualifizieren wäre. 3. Herleitung von Streikbefugnissen aus Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC? Bleibt die Frage, ob sich aus sonstigem Recht eine Arbeitsniederlegung aus Anlass einer Standortdrohung rechtfertigen lässt. Dazu bedürfte es einer Vorschrift, welche Streikbefugnisse zuweist, die über das hinausgehen, was Art. 9 Abs. 3 GG vorsieht. Einige Vertreter aus dem Schrifttum wollen die Beschränkung des nationalen Arbeitskampfrechts mit Blick auf die Vorschrift des Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC verwerfen, da sich aus ihr weitergehende Streikbefugnisse herleiten ließen.147 Däubler148 fordert gar ein Recht zur spontanen Arbeitsniederlegung, wenn der Arbeitgeber mit Standortverlagerung drohe, und leitet dieses aus der ESC her. Das ArbG Gelsenkirchen149 hatte eine Kündigung aufgrund einer Teilnahme an einer Arbeitsniederlegung ohne gewerkschaftliche Führung aus Anlass einer Bekanntgabe von Entlassungen aufgrund der Wertung der ESC als rechtswidrig angesehen. Das BAG150 deutete in einer Entscheidung aus dem Jahre 2002 an, dass die 146

Deutlich in diesem Zusammenhang Däubler-Bieback, Arbeitskampfrecht, Rn. 429. Däubler-Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 102 ff.; ders., AuR 1998, 144 (146 ff.); Fabricius, Streik, S. 31; Gumnior, Rechtmäßigkeit, S. 74 ff.; Hayen/Ebert, AuR 2008, 19 (24 f.); Jeschke, Streik, S. 72 f.; Kohte/Doll, ZESAR 2003, 393 (396); Zachert, AuR 2001, 401 (404). 148 Däubler, AuR 1998, 144 (148); im Zusammenhang mit der Beurteilung von Arbeitsniederlegungen bei Standortkonflikten ebenfalls auf den Schutzgehalt von Art. 6 Nr. 4 ESC verweisend Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, § 1 Rn. 90a; Hensche, AuR 2004, 443 (449 f.). 149 ArbG Gelsenkirchen v. 13.3.1998 – 3 Ca 3173/97, EzA Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 150 BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 7R. 147

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Beschränkung des Arbeitskampfrechts auf tariflich regelbare Ziele aufgrund von Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC „einer erneuten Überprüfung bedürfe“, nachdem zuvor darauf verwiesen wurde, dass die Bundesrepublik in völkerrechtlichen Verträgen keine Verpflichtungen übernommen hätte, die über das geltende Tarif- und Arbeitskampfrecht hinausgingen.151 In der Entscheidung zum Tarifsozialplan bedurfte es keiner Erörterung dieser Frage.152 Der Erste Senat153 hat in der Entscheidung zum Unterstützungsstreik festgestellt, dass eine generelle Beschränkung des Streikrechts auf das Tarifgebiet mit der Streikgarantie des Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC nicht vereinbar sei.154 Damit habe das BAG einem „weiten Verständnis der Streikgarantie in Art. 6 Nr. 4 ESC die Tür geöffnet“ 155, wird im gewerkschaftsnahen Schrifttum konstatiert. Es stellt sich somit die Frage, ob Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC eine Modifizierung der Grenzen der Streikfreiheit gebietet und entgegen der herrschenden Ansicht in der Literatur156 bei Standorttarifkonflikten Rechte vermittelt, die über den Gewährleistungsgehalt des nationalen Rechts hinausgehen. Dies hätte für die Fortentwicklung des Arbeitskampfrechts gravierende Folgen: Für die Beurteilung eines Streiks wäre es möglicherweise unbedeutend, ob das Kampfziel als Tarifvertrag vereinbart werden kann oder tariffähige Parteien den Streik führen. Dazu müsste allerdings die ESC in Deutschland unmittelbar geltendes Recht darstellen und subjektive Rechte vermitteln, die über den Gewährleistungsgehalt von Art. 9 Abs. 3 GG hinausgingen. Diesbezüglich bestehen jedoch erhebliche Zweifel, die im Folgenden aufgezeigt werden sollen. a) Wortlaut Für eine solche Erweiterung der Streikbefugnisse wird vorwiegend der Wortlaut der Vorschrift angeführt. Im Gegensatz zu anderen Normen der Charta seien die Vertragsparteien in Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC dazu „verpflichtet“, Maßnahmen zu treffen, und es werde „anerkannt“, dass ein „Recht auf Kollektivmaßnahmen“ 151 BAG v. 10.6.1980 – 1 AZR 822/79, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 6R – obgleich der Erste Senat in dieser Entscheidung ebenso anmerkte, dass eine Begrenzung des Streikrechts durch tarifliche Friedenspflichten mit der ESC vereinbar sei und die ESC keinen Streik legitimiere, der auf den Abschluss eines Tarifvertrags mit rechtswidrigem Inhalt gerichtet sei, Bl. 6 u. 8. 152 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (994). 153 BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, AP Nr. 173 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 6R. 154 Andererseits führte der Erste Senat aus, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als nationale Grenze der Streikfreiheit mit der ESC vereinbar sei, vgl. BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, AP Nr. 173 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 5. 155 Hayen/Ebert, AuR 2008, 19 (20). 156 Vgl. nur Fischinger, Arbeitskämpfe, S 99 f.; Krause, Standortsicherung, S. 109; Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 169 ff.; Rieble, RdA 2005, 200 ff.

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bestehe.157 Zudem sei von „Interessenkonflikten“ und einem „Recht der Arbeitnehmer“ die Rede, was eindeutig gegen eine Begrenzung des Arbeitskampfrechts auf tariflich regelbare Ziele und tariffähige Parteien spreche.158 Des Weiteren wird auf den Wortlaut von Teil V Art. 32 ESC159 hingewiesen, der ebenfalls auf den Willen hindeute, sämtlichen Regelungen eine unmittelbare Anwendung zuzuweisen.160 Um von diesem eindeutigen Wortlaut abzuweichen, bedürfte es – so Däubler161 – „gewichtiger Gegenargumente“. Dagegen lässt sich schon einwenden, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht zweifelsfrei für eine unmittelbare Anwendung der ESC spricht. Allein die Verwendung des Worts „anerkennen“ lässt nicht zwangsläufig darauf schließen, dass die Vorschrift geltendem innerstaatlichen Recht gleichgesetzt werden sollte, ohne dass es dafür eines innerstaatlichen Umsetzungsaktes bedürfte.162 Darüber hinaus weist die Formulierung auf den begrenzten Gewährleistungsgehalt der Charta hin, welche gegen die These, dass die Tarifbezogenheit des nationalen Arbeitskampfrechts einen Verstoß gegen die ESC darstelle, angeführt werden kann: Es ist zwar von einem „Recht der Arbeitnehmer“ und „Interessenkonflikten“ die Rede, andererseits wird von „Kollektivverhandlungen“, „kollektiven Maßnahmen“ und „Gesamtarbeitsverträgen“ gesprochen. Die Auslegungsvariante, dass lediglich das Recht des Einzelnen auf Koalitionszusammenschluss und die kollektiv wahrnehmbare Befugnis geschützt wird, Kollektiv- und somit auch Arbeitskampfmaßnahmen um Tarifverträge zu ergreifen, liegt gar näher, als eine Lesart, nach der Arbeitskämpfe auch von nicht-tariffähigen Parteien um nicht tariflich regelbare Ziele geführt werden können. Gleichwohl ist einzugestehen, dass auch diese vom Wortlaut der Vorschrift gedeckt ist. Man mag dennoch geneigt sein, dass Wort Kollektivverhandlungen durch Tarifvertragsverhandlungen zu ersetzen.163 Auch die Gerichte haben in der Vergangenheit den Wortlaut der ESC so gedeutet, dass ein Arbeitskampf im Dienst der Tarifautonomie gemeint sei.164 Die unbestimmte Wortwahl, die in den Begriffen „Gesamtarbeitsvertrag“ und „Inte157 Jeschke, Streik, S. 72; Mitscherlich, ESC, S. 38 f.; Neubeck, ESC, S. 168 f., jeweils m.w. N. 158 Gumnior, Rechtmäßigkeit, S. 77 m.w. N. 159 Wortlaut: „Die Bestimmungen dieser Charta lassen geltende oder künftig in Kraft tretende Bestimmungen des innerstaatlichen Rechtes und zwei- oder mehrseitiger Übereinkünfte unberührt, die den geschützten Personen eine günstigere Behandlung einräumen.“ 160 Däubler-Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 102b. 161 Däubler-Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 102c. 162 Ebenso Otto, Arbeitskampfrecht, § 4 Rn. 55; a. A. Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 102; Mitscherlich, ESC, S. 57 f. 163 Vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 24 Rn. 8; a. A. Jeschke, Streik, S. 72 f. m.w. N. 164 Vgl. etwa BAG v. 5.3.1985 – 1 AZR 468/83, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 5; BAG v. 7.6.1988 – 1 AZR 372/86, AP Nr. 106 zu Art. 9 GG Arbeitskampf

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ressenkonflikt“ zum Ausdruck kommt, lege es nahe, dass sich die rechtliche Gestaltung des Kollektivvertragssystems allein aus den nationalen Rechtsordnungen ergeben sollte.165 b) Entstehungsgeschichte Die historische Auslegung der Vorschrift fördert zudem zu Tage, dass es nicht gewollt war, durch die Regelung der ESC unmittelbar geltendes Recht zu schaffen.166 Es sollten ausschließlich Verpflichtungen der Vertragsstaaten, also völkerrechtliche Verbindlichkeiten, begründet werden.167 Dies spricht dagegen, der ESC „self-executing-Charakter“ beizumessen.168 Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollten sich nicht unmittelbar auf Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC berufen können, um über das nationale Recht hinausgehende Befugnisse bei Tarifkonflikten aus ihr abzuleiten zu können. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die BRD das Zusatzprotokoll vom 21.10.1991, das eine Anpassung der Überwachungsmechanismen vorsah, und das Zusatzprotokoll vom 9.11.1995, welches ein Beschwerderecht der Koalitionen enthielt, nicht unterzeichnet hat.169 c) Systematik, Sinn und Zweck der ESC Gegen eine unmittelbare Geltung der ESC sprechen auch Systematik, Sinn und Zweck dieses völkerrechtlichen Vertrags. Die EMRK als Parallelwerk sieht in Art. 53 ausdrücklich vor, dass sich die Vertragsstaaten verpflichten, Entscheidungen des EGMR zu befolgen. Empfehlungen des Ministerkomitees wird eine solche Verbindlichkeit in der ESC ausdrücklich nicht beigemessen, so dass diesen Instanzen nicht die Interpretationshoheit hinsichtlich der Auslegung der ESC zukommt und die nationalen Gerichte nicht unmittelbar an sie gebunden sind.170 Dies folgt aus der Präambel zu Teil III des Anhangs zur Sozialcharta.171 Bl. 4, LAG Hamm v. 24.10.2001 – 18 Sa 1981/00, AP Nr. 161 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 7. 165 Rieble, RdA 2005, 200 (206). 166 Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 105; a. A. Mitscherlich, ESC, S. 49 ff. 167 BT-Drs. IV/2117, S. 28: „Die Charta begründet aber im Unterschied zur Konvention kein unmittelbar geltendes Recht, sondern zwischenstaatliche Verpflichtungen der Vertragsstaaten.“; siehe hierzu auch Seiter, Streikrecht, S. 133 ff. 168 Vgl. Thüsing, Außenseiter, S. 35 f. m.w. N. 169 Rieble, RdA 2005, 200 (204). 170 Rieble, RdA 2005, 200 (204): „Meinungsäußerungen mit einer gewissen Autorität“. 171 Wortlaut: „Es besteht Einverständnis darüber, dass die Charta rechtliche Verpflichtungen internationalen Charakters enthält, deren Durchführung ausschließlich der

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Kap. 2: Die Standortdrohung des Arbeitgebers

Das BVerwG172 führte hierzu aus: „Die in Art. 21 bis 29 ESC geregelte Überwachung sieht weder behördliche noch gerichtliche Kontrollen innerhalb der einzelnen Vertragsstaaten, sondern lediglich Berichte der Vertragsparteien über die Anwendung der von ihnen angenommenen Verpflichtungen (Art. 21 ESC), eine Prüfung der Berichte durch einen Sachverständigenausschuss (Art. 24 ESC) und einen (Unter-)Ausschuss des Europarats (Art. 27 ESC) sowie Empfehlungen des Ministerkomitees an die Vertragsparteien (Art. 29 ESC) vor.“

Dem ist insoweit zuzustimmen, als dass es einer konkreteren Ausgestaltung der Verpflichtungen der Unterzeichnerstaaten und entsprechender Befugnisse der Kontrollinstanzen bedurft hätte, um zu verhindern, dass der Gewährleistungsgehalt der ESC national unterschiedlich interpretiert wird.173 Man kann dies gerade als Ausdruck einer Intention betrachten, die nationalen Unterschiede der Kollektivarbeitsrechtssysteme berücksichtigen zu wollen und keine Vereinheitlichung arbeitskampfrechtlicher Rechtsordnungen anzustreben. Hinter der ESC steht vielmehr der Gedanke einer Mindestgewährleistung kollektiver Befugnisse: In Teil I Nr. 6 ESC wird festgelegt, dass die Vertragsparteien gewillt sind, mit allen zweckdienlichen Mitteln staatlicher und zwischenstaatlicher Art eine Politik zu verfolgen, die darauf abzielt, geeignete Voraussetzungen zu schaffen, damit für alle Arbeitnehmer und Arbeitgeber das Recht auf Kollektivverhandlungen gewährleistet ist. Das deutsche Kollektivvertragssystem erfüllt trotz der Tarifbezogenheit diese Voraussetzungen.174 Auch der begrenzte Gewährleistungsgehalt von Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC, welcher hinsichtlich der Bestimmbarkeit zulässiger Arbeitskampfziele keine konkrete Aussage trifft, legt es nahe, dass die Reichweite der Arbeitskampffreiheit weiterhin allein anhand der nationalen Arbeitskampfrechtsordnung bestimmt werden sollte.175 Gemäß Teil V Art. 31 ESC kann die Ausübung der Rechte des Teil II der ESC anderen als den in diesen Teilen vorgesehenen Einschränkungen oder Begrenzungen nur unterliegen, wenn diese gesetzlich vorgeschrieben und in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer oder zum Schutze der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Sicherheit des Staates, der Volksgesundheit und der Sittlichkeit notwendig sind. Die Beschränkung des Arbeitskampfes auf tariflich regelbare Ziele stellt eine solche Grenze in ihrem Teil IV vorgesehenen Überwachung unterliegt.“ Im Anhang wird zu Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC zudem klargestellt: „Es besteht Einverständnis darüber, dass jede Vertragspartei für sich die Ausübung des Streikrechts durch Gesetz regeln kann, vorausgesetzt, dass jede weitere Einschränkung dieses Rechtes auf Grund des Artikels 31 gerechtfertigt werden kann.“ 172 BVerwG v. 18.12.1992 – 7 C 12/92, NVwZ 1993, 778 (778 f.). 173 Rieble, RdA 2005, 200 (204). 174 So auch Rieble, RdA 2005, 200 (204, 206). 175 Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (71); Rieble, RdA 2005, 200 (206).

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dar.176 Gamillscheg177 weist zu Recht darauf hin, dass Art. 31 ESC „weit genug“ sei, „um das gewiss nicht streikfeindliche Richterrecht des BAG aufzunehmen“. d) Fazit und Schlussfolgerungen Es sprechen also zwingende Gründe dafür, dass es sich bei der ESC nicht um Rechtssätze handelt, „die einer unmittelbaren, gerichtlich überprüfbaren Anwendung im innerstaatlichen Recht zugänglich sind“ 178. Die nationalen Gerichte sind demnach nicht unmittelbar an die Empfehlungen des Ministerkomitees gebunden.179 Des Weiteren ist die Frage, ob mit der zwingenden Tarifbezogenheit des deutschen Arbeitskampfrechts ein Verstoß gegen die ESC einhergeht, ablehnend zu beantworten, da der Gewährleistungsgehalt der ESC nicht über den der nationalen Arbeitskampfrechtsordnung hinausreicht.180 Gleichwohl bedeutet dies nicht, dass die ESC bei der Verortung der Grenzen der Arbeitskampffreiheit gänzlich bedeutungslos wäre. Sie ist bei der Auslegung und richterlichen Fortbildung der Arbeitskampfrechtsordnung zu berücksichtigen, so dass auf diesem Wege die völkerrechtlichen Verpflichtungen erfüllt werden, sofern dies mit der Verfassung und einfachem Recht in Einklang steht.181

176 BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 8; a. A. ArbG Gelsenkirchen v. 13.3.1998 – 3 Ca 3173/97, EzA Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 177 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 958. 178 BVerwG v. 18.12.1992 – 7 C 12/92, NVwZ 1993, 778 (779); so im Ergebnis auch BVerwG v. 30.11.1982 – 1 C 25/78, NJW 1983, 532 (534); Bepler, in: FS Wißmann, S. 97 (106); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 958 (m.w. N. in Fn. 277); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 20 Rn. 19 ff.; Schaub-Koch, ArbRHdB, § 193 Rn. 4; Konzen, JZ 1986, 157 (162); Staudinger-Richardi, BGB, Vor § 611 Rn. 838; Rieble, RdA 2005, 200 (202 ff.); Seiter, Streikrecht, S. 136 f.; Wank, Anm. zu BAG v. 19.6.2007, AP Nr. 173 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 15; Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 105; offen gelassen in BVerfG v. 20.10.1981 – 1 BvR 404/78, BVerfGE 58, 233 (254). 179 Vgl. Bepler, in: FS Wißmann, S. 97 (106 f.); Kerwer, EuZA 2008, 335 (351); Rieble, RdA 2005, 200 (205). 180 So im Ergebnis auch Kissel, Arbeitskampfrecht, § 24 Rn. 8; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 295; Rieble, RdA 2005, 200 (204, 206); Wank, Anm. zu BAG v. 19.6. 2007, AP Nr. 173 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 15R m.w. N.; a. A. ErfK-Dieterich, GG, Art. 9 Rn. 105; Gumnior, Rechtmäßigkeit, S. 74; Jeschke, Streik, S. 72 f., jeweils m.w. N. 181 BVerfG v. 26.3.1987 – 2BvR 589/79 u. a., BVerfGE 74, 358 (370); BVerfG v. 29.5.1990 – 2 BvR 254/88 u. a., BVerfGE 82, 106 (115); BVerfG v. 2.3.1993 – 1 BvR 1213/85, BVerfGE 88, 103 (112); BAG v. 12.9.1984 – 1 AZR 342/83, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG v. 7.6.1988 – 1 AZR 372/86, AP Nr. 106 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 5R; MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., § 242 Rn. 75; Otto, Arbeitskampfrecht, § 4 Rn. 55; Paukner, Streikrecht, S. 115; Seiter, Streikrecht, S. 137 ff.; Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 105.

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Kap. 2: Die Standortdrohung des Arbeitgebers

Diese Bedeutung der ESC im Verhältnis zum nationalen Arbeitskampfrecht wird auch anhand der Entscheidung des BAG182 vom 19.6.2007 zum Unterstützungsstreik deutlich, in der die Abkehr von der Unzulässigkeit dieser Streiktaktik vorwiegend auf verfassungsrechtliche Erwägungen gestützt wird. Das Ergebnis, dass Unterstützungsstreiks nicht schon deswegen unzulässig seien, weil die Grenzen des Tarifgebiets überschritten werden, wurde mit den Wertungen des Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC lediglich untermauert. Es wäre demnach verfehlt, dies so zu verstehen, dass der Erste Senat ausgehend von der Streikgarantie des Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC eine Zulässigkeit solcher Streiks hergeleitet hätte. Dies kann ebenso wenig als Abkehr vom Tarifbezug verstanden werden. Die Tarifbezogenheit des Streiks als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung bleibt insoweit gewahrt, als dass der Hauptarbeitskampf auf ein tariflich regelbares Ziel gerichtet sein muss.183 Unabhängig davon gilt es zu bedenken, dass die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Grundrechtsinteressen der bestreikten Arbeitgeber zu berücksichtigen sind. Die Standortentscheidung des Arbeitgebers ist von seiner Berufsfreiheit umfasst.184 Gesteht man den Gewerkschaften das Recht zu, gegen Standortdrohungen zu streiken, wäre es dem Arbeitgeber möglicherweise unmöglich, gegen den gewerkschaftlichen Widerstand solche Pläne in die Tat umzusetzen. Selbst wenn man ein Streikrecht für nicht-tariffähige Arbeitnehmerzusammenschlüsse oder einen gewerkschaftlich geführten Streik zur Durchsetzung von sonstigen Kollektivvereinbarungen und nicht tariflich regelbaren Gegenständen unter Rückgriff auf Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC bejahen wollte und somit die Reichweite der Arbeitskampffreiheit über den Gewährleistungsgehalt von Art. 9 Abs. 3 GG erweitern würde, darf dies nicht dazu führen, dass die Grundrechte des bestreikten Arbeitgebers keinerlei Beachtung finden. Teil V Art. 31 Abs. 1 ESC gestattet Beschränkungen des Streikrechts „zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer“. Insoweit ist auch in diesem Fall Art. 12 Abs. 1 GG als Schranke der Kampffreiheit heranzuziehen, wenn man die Arbeitskampfbefugnis unter Rückgriff auf die ESC erweitern wollte.185

182 BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, AP Nr. 173 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Bl. 6R. 183 Vgl. Gumnior, Rechtmäßigkeit, S. 96 ff. Die Entscheidung des Ersten Senats zum Unterstützungsstreik ist im Zusammenhang mit Standorttarifkonflikten insoweit von erheblicher Bedeutung, als dass sie Möglichkeiten eröffnet, in Zukunft an anderen Standorten eines Unternehmens Unterstützungsarbeitskämpfe zu führen, wenn Pläne der Unternehmensleitung bekannt werden, dass ein Betriebsstätte ins Ausland verlagert werden soll, vgl. hierzu Lipinski/Reinhardt, BB 2008, 2234 (2236 ff.). Ferner stellt sich die Frage, ob ein in Deutschland geführter Arbeitskampf zur Unterstützung eines Hauptarbeitskampfes, der in einem Mitgliedsstaat der EU aus Anlass eines Standortverlagerungsvorhabens der Arbeitgeberseite geführt wird, zulässig wäre, vgl. Gumnior, Rechtmäßigkeit, S. 263 ff. m.w. N. 184 Vgl. Kapitel 2 C. II.

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Davon abgesehen darf die Unbestimmtheit der ESC nicht dazu verleiten, sie durch rechtspolitische Erwägungen zu unterfüttern – was insbesondere bei Standortkonflikten nahe liegt – und diese gegen die nationale Arbeitskampfrechtsordnung zu stellen, wenn sie zu restriktiv erscheint.186 Die Regelung des Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC lässt Raum für einzelstaatliche Gestaltung, so dass diese Ebene der richtige Anknüpfungspunkt für Rechtsfortbildung ist. Nichts anderes ergibt sich im Übrigen aus dem IAO-Abkommen Nr. 87, da sich auch aus diesem Vertragswerk keine Garantien entnehmen lassen, die über das nationale Recht hinausgingen, und die Regelungen ebenfalls kein verbindliches innerstaatliches Recht enthalten.187 Die Rechtsfrage, inwieweit das nationale Recht Streikbefugnisse vorsieht, behält also entscheidende Bedeutung. e) Ausblick: Art. 28 GRC Im Schrifttum wird darauf hingewiesen, dass abzuwarten sei, inwieweit sich weitergehende Streikbefugnisse zukünftig aus Art. 28 GRC188 ableiten lassen.189 Vor dem 1. Dezember 2009 stellte die GRC aber noch kein in den Mitgliedsstaaten geltendes Recht dar, weil der EU-Verfassungsvertrag noch nicht ratifiziert worden war.190 Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, stellt – wie Art. 6 Abs. 1 EUV klarstellt – auch die GRC unmittelbar geltendes Recht dar. Dennoch lässt sich festhalten: Angesichts der Vorschrift des Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC191 werden sich für Fälle ohne Europarechtsbezug für das Arbeitskampfrecht 185 So auch LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 5R; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 99 f.; Krause, Standortsicherung, S. 109; Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (71). 186 Vgl. Wank, Anm. zu BAG v. 19.6.2007, AP Nr. 173 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 15R: „Rechtsauffassung von Vertretern eher anarchisch konturierter Arbeitskampfordnungen“. 187 Vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 24 Rn. 7; Schaub-Koch, ArbRHdB, § 193 Rn. 5; Otto, Arbeitskampfrecht, § 4 Rn. 57; Thüsing, Außenseiter, S. 38. 188 Wortlaut: „Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber oder ihre jeweiligen Organisationen haben nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten das Recht, Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zuschließen sowie bei Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Interessen, einschließlich Streiks, zu ergreifen.“ 189 Vgl. Otto, Arbeitskampfrecht, § 4 Rn. 57; Rieble, RdA 2005, 200 (203). Zu den Auswirkungen von Art. 28 GRC auf die nationale Arbeitskampfrechtsordnung siehe Rebhahn, in: GS Heinze, S. 649 (655 ff.); Sagan, Gemeinschaftsgrundrecht, S. 358 ff. 190 Siehe zur Frage, ob die GRC schon vorher geltendes Recht darstellte Hömig-Antoni, GG, Einl. Rn. 23; Jarass, EU-Grundrechte, § 2 Rn. 4 f.; Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 12 Rn. 14 m.w. N. 191 Wortlaut: „Diese Charta gilt für die Organe und Einrichtungen der Union unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union.“

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kaum Auswirkungen ergeben.192 Diesbezüglich wird es maßgeblich davon abhängen, wie eng oder weit man diesen Bezug interpretiert.193 Insoweit verbietet sich jedenfalls eine Konstruktion des Europarechtsbezugs unter Rückgriff auf die gestellten Tarifforderungen. Von Gewerkschaftsseite kann daher nicht argumentiert werden, dass im Rahmen des Tarifkonflikts Fragen aufgegriffen würden, die Europarechtsbezug aufweisen. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 28 GRC das Recht zur Ergreifung kollektiver Maßnahmen mit nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten in Einklang zu stehen hat.194 Die Mitgliedsstaaten haben somit das Recht, dieses Gemeinschaftsgrundrecht zu beschränken und die Pflicht, es auszugestalten, so dass die Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedsstaaten und der Gemeinschaft gewahrt bleibt.195 Ihnen wird nicht jede Kampfform „aufgedrängt“. Eng verknüpft mit dem aus Art. 28 GRC abzuleitenden Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen ist die Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Viking Line196 und Laval 197. In diesen Entscheidungen hat der EuGH das Recht auf Kollektivmaßnahmen hergeleitet und damit „die Frage nach Existenz dieses Grundrechts vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon bejaht“198. Diese Rechtsprechung führt bei der hier zu behandelnden Frage ebenfalls zu keinem abweichenden Ergebnis: Es bedarf eines grenzüberschreitenden Konflikts. Inwieweit für diese Fälle besondere europarechtliche Wertungen zu beachten sind, wird in Kapitel 6 dieser Arbeit untersucht. f) Zwischenergebnis Mangels unmittelbarer Geltung und eingeschränktem Gewährleistungsgehalt der ESC sind Standortarbeitskämpfe nicht-tariffähiger Arbeitnehmergruppen rechtswidrig. Ferner folgt aus dem Gesagten für die weitere Untersuchung, dass ein Standortstreik nur dann zulässig ist, wenn er auf ein tariflich regelbares Ziel gerichtet ist. Selbst wenn man wenn trotz der aufgeführten Einwände aus der ESC subjektive Rechte ableiten wollte, die über den Gewährleistungsgehalt der nationalen Arbeitskampfrechtsordnung hinausreichen, bleibt darauf hinzuweisen, dass die Grundrechte als Schranke der Streikfreiheit i. S. v. Teil V Art. 31 Abs. 1 ESC zu beachten sind, also keinesfalls von der Gewährleistung des Teil II Art. 6 192 Siehe hierzu Rebhahn, in: GS Heinze, S. 649 (655 f.); Sagan, Gemeinschaftsgrundrecht, S. 389; Winner, Grundrechtscharta, S. 159 ff. 193 Vgl. hierzu Meyer-Borowsky, GRC, Art. 51 Rn. 25 ff. 194 Zur Auslegung des Passus in Art. 28 GRC „nach dem Gemeinschaft und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ siehe Kapitel 6 C. II. 2. 195 Vgl. Sagan, Gemeinschaftsgrundrecht, S. 385 f. 196 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 ff. – Viking Line. 197 EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 ff. – Laval. 198 Sagan, Gemeinschaftsgrundrecht, Vorwort.

D. Zusammenfassung

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Nr. 4 ESC ohne weiteres auf die Zulässigkeit spontaner Arbeitsniederlegungen als Reaktion auf eine Standortdrohung geschlossen werden darf.

D. Zusammenfassung I. Die Bekanntgabe von Standortverlagerungsplänen durch den Arbeitgeber ist ebenso wie die Standortverlagerung selbst weder vom Anwendungsbereich der Arbeitskampfrechtsordnung umfasst, noch sind solche Handlungen der Arbeitgeberseite als Arbeitskampfmittel einzuordnen. Daraus folgt, dass arbeitskampfrechtliche Schranken wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oder die relative Friedenspflicht nicht einschlägig sind und sich kein Kampf der Arbeitnehmerschaft damit legitimieren lässt, dass in rechtswidriger Weise Verhandlungsdruck ausgeübt würde. 1. Entgegen einiger Stimmen aus dem Schrifttum lässt sich der verfassungsrechtliche Schutz oder die einfachgesetzliche Legitimation einer Standortverlagerungsentscheidung bei der Frage nach der Klassifizierung von Standortdrohungen nicht fruchtbar machen. Stattdessen ist eine Lösung anhand des Arbeitskampfbegriffs und eines Rückgriffs auf den Paritätsgrundsatz zu suchen. a) Erstes Indiz gegen eine Einordnung von Standortdrohungen als Kampfmittel ist, dass solche Maßnahmen nicht unter die im Schrifttum entwickelten Begriffsdefinitionen subsumiert werden können. Unabhängig davon, ob man einem weiten oder engeren Verständnis zugeneigt ist, lässt sich die Ausübung psychischen Drucks ohne messbare, unmittelbar eintretende Schädigungen, wie dies im Fall einer Verlagerungsankündigung zur Senkung der Personalkosten der Fall ist, nicht als Arbeitskampf qualifizieren. Dies gilt selbst wenn man eingestehen muss, dass dadurch eine Wirkung erzielt werden kann, welche den Einsatz der traditionellen Kampfmittel leicht übertrifft. b) Entscheidend gestützt wird dieses Ergebnis durch einen Blick auf den arbeitskampfrechtlichen Paritätsgrundsatz. Mit der Einordnung von Standortdrohungen als Kampfmittel wäre der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie mehr geschadet, als gedient. Die Bekanntgabe von Verlagerungsplänen durch die Arbeitgeberseite ermöglicht vielfach erst, dass Lösungen erzielt werden, welche die Zukunft des Betriebstandorts im Sinne der Belegschaft sichern. Die Folge einer Einordnung solcher Erklärungen als Kampfmittel würde nicht der Wiederherstellung des Gleichgewichts hinsichtlich der Druckausübungsmittel dienen. Es entstünden vielmehr erhebliche Abgrenzungsprobleme zwischen neutralen Bekanntgabeakten und Standortdrohungen. Auch ein Vergleich mit der lösenden Aussperrung spricht bei näherem Hinsehen nicht zwingend für eine Qualifikation als Kampfmittel der Arbeitgeberseite. Dass die Standortverlagerungsoption aus Sicht der Gewerkschaften derzeit der Arbeitgeberseite in die Karten spielt, darf nicht

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dazu verleiten, unter Rückgriff auf den Paritätsgrundsatz die Bekanntgabe von Verlagerungsplänen den Grenzen der Arbeitskampfrechtsordnung zu unterwerfen. II. Eine Lösung, welche an der Reichweite des Streikrechts anknüpft, vermag ebenfalls nicht zu überzeugen. Hinsichtlich der Zulässigkeit von Arbeitsniederlegungen sind keine Gründe ersichtlich, dass Kämpfe aus Anlass von Standortdrohungen im Vergleich zu sonstigen Standortstreiks gesondert zu beurteilen wären. Eine Einschränkung der Friedenspflicht ist ebenso wie die Herleitung eines Streikrechts aus § 227 BGB abzulehnen. Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC kann ebenfalls nicht herangezogen werden, um ein Streikrecht zur Rücknahme von Standortverlagerungsdrohungen der Arbeitgeberseite zur rechtfertigen. Gleiches gilt zukünftig für die Handhabung von Art. 28 CRC.

Kapitel 3

Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung Im Mittelpunkt eines jeden Streiks aus Anlass einer Standortverlagerungsentscheidung des Arbeitgebers steht die Frage, ob es zulässig ist, wenn von der Gewerkschaft mittels Streiks versucht wird, die Umsetzung der unternehmerischen Umstrukturierungsmaßnahme zu verhindern. Selbst wenn die Gewerkschaft den Kampf um die soziale Abmilderung in den Vordergrund des Tarifkonflikts stellt, besteht die Gefahr, dass in Wirklichkeit die unternehmerische Entscheidung boykottiert werden soll. Wird die unternehmerische Standortverlagerungsentscheidung durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt,1 gilt es auch in diesem Fall zu klären, inwieweit ein Streik, der auf die Verhinderung der Verlagerung abzielt, gegen die Berufsfreiheit des Arbeitgebers verstößt. Daraus folgt die weitere Vorgehensweise dieser Arbeit: Als zentrale Frage soll geklärt werden, ob Standortzusagen des Arbeitgebers tariflich regelbar und erstreikbar sind? Ein Streik zur Abwendung einer drohenden Standortverlagerung bewegt sich in der „Grauzone“ zwischen Tarifvertragsfreiheit, Streikfreiheit und unternehmerischen Freiheitsrechten. Kontrovers diskutiert wird nicht nur, ob Standortzusagen – also Vereinbarungen des Arbeitgebers, einen bestimmten Standort über einen gewissen Zeitraum zu erhalten – erkämpft werden können oder ob diese gewerkschaftliche Vorgehensweise gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstößt. Manche Autoren sehen bereits bei einer tariflichen Regelung von Standortzusagen die Grenzen der Tarifvertragsfreiheit überschritten und versagen nicht nur Arbeitskämpfen, sondern auch freiwilligen Kollektivvereinbarungen die Zulässigkeit.2 Die Praxis konsensualer Standortsicherungsvereinbarungen ist somit zum „Prüfstein für Umfang und Grenzen der Tarifautonomie“ 3 geworden. Zunächst soll also untersucht werden, ob die Grenzen der Tarifautonomie der Vereinbarung einer Standortzusage des Arbeitgebers und somit zwangsläufig auch einem Streik zur Durchsetzung einer entsprechenden Tarifforderung zwingend entgegenstehen. Die tarifliche Regelbarkeit ist Bedingung für einen recht1

Siehe Kapitel 2 C. II. Siehe stellvertretend Franzen, ZfA 2005, 315 (329); Lieb, DB 1999, 2058 (2065 ff.); Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (62 ff.); Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 127 ff.; Pauls, Betriebsverlagerung, S. 122 ff.; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 198 f.; Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 ff.; Wiedemann, RdA 1986, 231 (237); Wiedemann-dens., TVG, Einl. Rn. 328. 3 Zachert, DB 2001, 1198. 2

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

mäßigen Arbeitskampf, auch aus Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC lassen sich keine weitergehenden Streikbefugnisse ableiten.4 Um die inhaltliche Reichweite der Arbeitskampfreiheit zu bestimmen, ist der Blick also insbesondere auf die Reichweite der Tarifvertragsfreiheit zu richten. Die Frage, was die Tarifvertragsparteien mittels Tarifvertrag regeln können und welche Grenzen sie dabei zu beachten haben, beschäftigt die Arbeitsrechtswissenschaft schon seit jeher.5 Gerade neue Forderungsinhalte der Tarifvertragsparteien stellen daher die Arbeitsrechtswissenschaft vor klassische Probleme, die auch bei der Diskussion um die Zulässigkeit von Standortsicherungstarifverträgen zu Tage treten. Selbst wenn man zum Ergebnis käme, dass die Vereinbarung von Standortsicherungstarifverträgen von der Tarifvertragsfreiheit umfasst ist, stellt sich daran anknüpfend die Frage, ob daraus auch ihre Erstreikbarkeit folgt. Dürfen die Gewerkschaften also versuchen, die Tür zu den „heiligen Hallen der Unternehmensführung“ 6 durch den Einsatz von Arbeitskampfmitteln aufzustoßen.

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit Trotz unterschiedlichster begrifflicher Bezeichnung7 ist man sich im arbeitsrechtlichen Schrifttum grundsätzlich einig, dass die tarifliche Regelbarkeit einer Sachmaterie die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien voraussetzt.8 Um eine Sachfrage einer tariflichen Regelung zuführen und eine entsprechende Forderung zum Ziel eines Streiks machen zu können, müssten sich die Tarifvertragsparteien dieser Aufgabe überhaupt annehmen dürfen. Fraglich ist also, ob die unternehmerische Standortpolitik zum tariflichen Aufgabenbereich zählt, den es im Folgenden zu bestimmen gilt. 4

Siehe Kapitel 2 C. V. 3. Vgl. Beuthien, ZfA 1984, 1 ff.; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, 1964; dens., Gutachten für den 46. DJT, S. 97 ff.; Galperin, AuR 1965, 1 ff.; Isele, JZ 1966, 585 ff.; Kauffmann, NJW 1966, 1681 ff.; Krüger, Gutachten für den 46. DJT, S. 7 ff.; Papier, RdA 1989, 137 ff.; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, 1968; Schnorr, JR 1966, 327 ff. (mit weiteren Nachweisen in Fn. 1); Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971; Söllner, AuR 1966, 257 ff.; Wiedemann, RdA 1986, 231 ff. 6 Heither, AuR 1990, 224. 7 Söllner, NZA 2000, Beil. zu Heft 24, 33: „funktionelle Regelungskompetenz“; Weyand, Mitbestimmung, S. 71: „funktionelle Zuständigkeit der Koalitionen“; von „formeller Tarifvertragsfreiheit“ sprechend LAG Schleswig Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 2R; v. Mangoldt/Klein/StarckKemper, GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 144 ff.; Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 127. 8 Vgl. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 277; Dreyer, Gewinnbeteiligung, S. 122; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 42 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht Band I, S. 333; Konertz, Rationalisierung, S. 56; Krause, Standortsicherung, S. 58; Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (66 ff.); Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 633; Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 326. 5

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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I. Methodische Grundlagen 1. Um den Umfang der tariflichen Regelungszuständigkeit einzugrenzen, ist anhand von Verfassung und einfachen Recht zu ermitteln, welche Sachfragen den Tarifvertragsparteien zur Regelung zugewiesen sind. Es gilt also zu untersuchen, wie weit die Tarifautonomie sachlich reicht. Maßgeblich ist dabei zunächst das Verständnis vom Begriffspaar der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, das ausfüllungsbedürftig ist. Dabei darf die Prüfung aber nicht stehen bleiben. Die Abgrenzung von konkurrierenden Grundrechtsgewährleistungen, hier insbesondere zur Unternehmensautonomie, ist ebenso wie einfachgesetzliche Regelungen bereits bei der Frage nach der Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien in den Blick zu nehmen. Es gilt also auch zu prüfen, ob die Wertungen von Art. 12 Abs. 1 GG dafür sprechen (oder es dem einfachen Recht zu entnehmen ist), dass die Standortpolitik nicht als Aufgabe der Koalitionen anzusehen ist, sie also zu einem Ausschluss der tariflichen Regelungszuständigkeit führen, wenn die unternehmerische Standortpolitik überhaupt vom Begriffspaar der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen umfasst ist. Beschreiten Teile der Literatur9 abweichende Lösungswege, indem sie die Frage der Regelungszuständigkeit ausschließlich aus der Reichweite der Koalitionsbetätigungsfreiheit heraus anhand einer Auslegung von Art. 9 Abs. 3 GG mit Hilfe des Begriffs der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen beantworten, so ist dies vorwiegend auf die Verwendung der verbreiteten Begriffe der „Binnen-“, „Innen-“ und „Außenschranken“ bei der Bestimmung der Grenzen der Tarifmacht und der Reichweite der tariflichen Vereinbarungsbefugnis10 zurückzuführen. Während die „Innenschranken“ zur Bestimmung der Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien herangezogen werden, sollen die „Außenschranken“ erst bei der Zulässigkeitsprüfung der tariflichen Vereinbarung relevant werden. Die Begriffe werden jedoch so unterschiedlich gebraucht, so dass sie mehr verwirren, als dass ihnen ein eigener Erkenntniswert zukäme.11 In der verfassungsrechtlichen Litera9

Siehe stellvertretend Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 42 f. m.w. N. Unter den Begriffen der Tarifmacht oder tariflichen Vereinbarungsbefugnis sollen im Folgenden die Befugnis zur Normsetzung u n d die Möglichkeit, schuldrechtlich wirkende Tarifinhalte zu vereinbaren, verstanden werden. Andere im Schrifttum verwendete Begriffsverwendungen, welche die Tarifmacht mit der Rechtssetzungsbefugnis gleichsetzen, sind auf ein restriktives Verständnis vom Umfang der tariflichen Vereinbarungsbefugnis zurückzuführen, vgl. Dreyer, Gewinnbeteiligung, S. 122; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 20, 421. 11 Vgl. Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 89 f.; Krause, Standortsicherung, S. 58 f., welche zwar zwischen „Innen-“ und „Außenschranken“ trennen, gleichwohl aber unternehmerische Freiheitsrechte schon auf der Ebene der „Innenschranken“ berücksichtigten wollen. Manche wollen ausschließlich die „Außenschranken“ als Grenzen der Tarifmacht bezeichnen, vgl. MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., §§ 258, 259; Diehn, Rückkehrzusagen, S. 93 ff.; Dreyer, Gewinnbeteiligung, S. 123 ff. Andere Autoren be10

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

tur wird auf sie zumeist verzichtet. Der Begriff der „Schranke“ wird erst im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung gebraucht.12 Zudem erscheint es denkbar, dass kollidierende Grundrechte der Tarifgebundenen – nach dem Verständnis der Gegenansicht erst bei der Beurteilung der Zulässigkeit der tariflichen Vereinbarung heranzuziehen – schon zur Eingrenzung der Zuständigkeit führen können. Der Schutzbereich eines jeden Grundrechts kann oftmals gerade nicht „in isoliertem Blick auf dieses Grundrecht, sondern nur in systematischer Zusammenschau mit anderen Grundrechten bestimmt werden“ 13. Gewichtige Grundrechtspositionen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer könnten es rechtfertigen, bestimmte Sachfragen nicht dem Regelungsbereich der Tarifautonomie zu unterwerfen, so dass die tarifliche Regelungszuständigkeit zu verneinen wäre.14 Darüber hinaus würde übersehen, dass der Gesetzgeber die Tarifautonomie einfachgesetzlich auszugestalten hat. Somit wäre es denkbar, dass bestimmte Sachfragen, welche dem Schutzbereich der Koalitionsfreiheit unterliegen, mittels einfachgesetzlicher Regelung abschließend an andere Gremien zur Regelung zugewiesen wurden. 2. Kritikwürdig ist es weiterhin, wenn nicht genau zwischen tariflicher Regelungszuständigkeit und Regelungsbefugnis differenziert wird und die Frage, wie weit die Tarifautonomie sachlich reicht, ausschließlich unter Rückgriff auf das TVG als einfachgesetzliche Ausgestaltung der Tarifautonomie beantwortet wird. Nicht nur die Tarifautonomie und Normsetzungsbefugnis,15 sondern auch die tarifliche Regelungszuständigkeit ist von der tariflichen Regelungsbefugnis zu unterscheiden. Die Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien ist gegeben, wenn diese sich mit einem Gegenstand befassen, weil er in ihrem Aufgabenbereich liegt; eine Frage der tariflichen Regelungsbefugnis ist es hingegen, ob die Tarifvertragsparteien diesen Gegenstand auch tariflich regeln, also insbesondere einer normativen Regelung zuführen können.16 Waltermann17 weist zu Recht darauf ziehen die „Innenschranken“ mit ein, vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 333; Leydecker, Tarifvertrag, S. 216, 264. Säcker, Gruppenautonomie, S. 235, spricht schon bei der Bestimmung des Zuständigkeitsbereichs von „Außenschranken“, während der Großteil des Schrifttums dies als Frage der „Innenschranken“ begreift. Kritisch gegenüber der Verwendung dieser Begriffe Waltermann, RdA 2007, 257; vgl. auch Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 563 f. 12 Vgl. Hömig-Bergmann, GG, Art. 9 Rn. 14; Sachs-Höfling, GG, Art. 9 Rn. 84 ff.; Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 9 Rn. 24. 13 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 246. 14 Vgl. Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1023). 15 Waltermann, Rechtsetzung, S. 53 ff.; ders., ZfA 2000, 53 (56 ff.); vgl. auch Söllner, AuR 1966, 257 (260); Schnorr, JR 1966, 327 (328 f.). 16 Söllner, NZA 2000, Beil. zu Heft 24, 33; Waltermann, in: FS 50 Jahre BAG, S. 913 (918 u. 922 f.); Weyand, Mitbestimmung, S. 70 ff. 17 Waltermann, RdA 2007, 257 (261).

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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hin, dass es im Verwaltungsrecht vollkommen selbstverständlich ist, dass man die Zuständigkeit einer Behörde (als formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung) von deren Befugnis, mit einem bestimmten Handlungsmittel, namentlich mit dem Mittel des Verwaltungsakts, zu regeln, (als materielle Rechtmäßigkeitsanforderung) unterscheidet. Das BAG18 hat in einigen Entscheidungen ebenfalls zunächst geprüft, ob die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien gegeben ist, um erst in einem weiteren Schritt festzustellen, dass das TVG eine normative Regelung zulässt, was eine Frage der Regelungsbefugnis darstellt. Man muss die Regelungszuständigkeit also allenfalls als Vorbedingung der Befugnis begreifen, mittels Tarifvertrag Recht zu setzen oder schuldrechtliche Rechte und Pflichten zu vereinbaren. Fehlt es bereits an der Zuständigkeit hinsichtlich einer Sachfrage, kann den Koalitionen auch nicht die Befugnis zustehen, diese einer tariflichen Regelung zuzuführen. Die Prüfung der tariflichen Regelbarkeit ist somit nicht zwei-, sondern dreistufig anzulegen: (1) Zunächst ist festzustellen, ob die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien hinsichtlich einer Sachfrage eröffnet ist und sich die Sozialpartner einer Aufgabe zur Regelung im Tarifvertrag annehmen dürfen. (2) Dann ist zu untersuchen, ob ihnen dabei die Befugnis zusteht, die konkrete Sachfrage einer Regelung im Tarifvertrag zuzuführen. (3) Zuletzt ist zu hinterfragen, ob die angestrebte Tarifvertragsregelung höherrangiges Recht verletzt. Ist eine Voraussetzung nicht gegeben, ist die tarifvertragliche Regelbarkeit zu verneinen. Den Tarifvertragsparteien wäre die Kompetenz zur Vereinbarung einer solchen tarifvertraglichen Regelung abzusprechen.19 Eine entsprechende Tarifforderung könnte nicht mit den Mitteln des Arbeitskampfes ausgefochten werden.

II. Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Verfassungsrechtliche Grundlage der Tarifvertragsfreiheit ist die Tarifautonomie.20 Die Tarifautonomie wiederum ist Teil der in Art. 9 Abs. 3 GG gewährleis18 BAG v. 3.4.1990 – 1 AZR 123/89, BAGE 64, 284 (292 ff.); BAG v. 28.6.2001 – 6 AZR 114/00, AP Nr. 24 zu § 611 BGB Arbeitszeit. 19 Ähnlich Dreyer, Gewinnbeteiligung, S. 122; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 34 (109), welche unter dem Stichwort „Regelungskompetenz“ Fragen der Zuständigkeit und Zulässigkeit zusammenfassen, die Tarifvertragsbefugnis jedoch als Frage der Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien begreifen. 20 BVerfG v. 20.10.1981 – 1 BvR 404/78, BVerfGE 58, 233 (248 ff.); BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (224); BVerfG v. 2.3.1993 – 1 BvR 1213/ 85, BVerfGE 88, 103 (114); BAG v. 11.11.1986 – 1 AZR 16/68, BAGE 21, 201 (205); Däubler-Däubler, TVG, Einl. Rn. 68 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 263 ff.; Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 9 Rn. 24; Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band I, Art. 9 Abs. 3 Rn. 124; Scholz, in: HdBStR, Band VI, § 151 Rn. 101 ff.; Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 84; a. A. Burkiczak, Deregulierung, S. 317 ff.

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

teten Betätigungsfreiheit der Koalitionen.21 Nach Aufgabe der sog. Kernbereichslehre22 durch das BVerfG23 wird der Schutz der Koalitionsbetätigungsfreiheit auf alle koalitionsspezifischen Tätigkeiten erstreckt. Das Aushandeln und der Abschluss von Tarifverträgen werden als wesentlicher Zweck der Koalitionsfreiheit und ureigener Bereich der Koalitionsbetätigungsfreiheit angesehen.24 Der Staat hat seine Regelungskompetenz weitgehend zurückgenommen und achtet die autonome Regelung durch die Koalitionen.25 Dieser besondere Schutz durch die Koalitionsfreiheit ist nach Art. 9 Abs. 3 GG an den Koalitionszweck der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gebunden. Nur innerhalb des Schutzbereichs von Art. 9 Abs. 3 GG sind die Tarifvertragsparteien ermächtigt, bestimmte Sachfragen aufzugreifen, um ihren Gestaltungsauftrag wahrzunehmen und Regelungen zu treffen, kraft derer sie die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen festlegen.26 Erster Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Zuständigkeitsbereichs tarifvertraglicher Gestaltungskompetenz ist somit eine Auslegung des Begriffs der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen.27 Ließe sich die Standortentscheidung des Arbeitgebers nicht unter ihn subsumieren, wäre die tarifliche Zuständigkeit der Sozialpartner schon aus diesem Grund abzulehnen. 1. Meinungsstand Was unter dem Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu verstehen und wie er auszulegen ist, konnte bis heute nicht abschließend geklärt werden.28 Die vom Verfassungsgeber in Art. 9 Abs. 3 GG gewählte unbestimmte Formulierung ist als Ausdruck einer Entwicklungsoffenheit der Tarifautonomie zu sehen, die es den Tarifvertragsparteien ermöglichen soll, sich neuer Ordnungsprobleme des Arbeitslebens annehmen zu können, welche der Verfassungsgeber noch nicht voraussehen konnte.29 Eine Grenzziehung sei schon aufgrund dieser Unbestimmtheit des Begriffes nur schwer möglich.30 Dennoch ist sie unumgänglich, 21

Vgl. Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 82 f. m.w. N. Vertiefend hierzu Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 76. 23 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 2203/93, BVerfGE 100, 271 ff. 24 BVerfG v. 24.4.1996 – 1 BvR 712/86, BVerfGE 94, 268 (283). 25 Söllner, NZA 2000, Beil. zu Heft 24, 33. 26 Säcker, Gruppenautonomie, S. 236 ff.; Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 1. 27 Vgl. Waltermann, in: FS 50 Jahre BAG, S. 913 (918). 28 So auch die Wertung von Hanau/Thüsing, in: Thüsing (Hrsg.), Tarifautonomie, S. 7 (13); Krause, Standortsicherung, S. 59; Schaub-Schaub, ArbRHdB, § 200 Rn. 1. 29 Bayreuther, Tarifautonomie, S. 13 f.; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 64 ff.; Schnorr, JR 1966, 327 (331); Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 9 Rn. 259. 30 Vgl. hierzu die Bemerkungen von Richardi, Kollektivgewalt, S. 180; Wiedemann, RdA 1968, 420 (421); Söllner, ArbRGegw 16 (1979), S. 19 (22): „kaum lösbare Aufgabe“. 22

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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um den kraft Verfassung vorgegebenen Zuständigkeitsbereich der Koalitionen zu bestimmen.31 Eine extensive Sichtweise aus dem Schrifttum befürwortet einen weiten tariflichen Zuständigkeitsbereich, indem sie davon ausgeht, dass die Begriffe der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen „nebeneinander“ stehen und den Wirtschaftsbedingungen eine eigenständige Bedeutung zukomme.32 Die Koalitionsfreiheit wird somit vom konkreten Arbeitsverhältnis abstrahiert. Der Begriff der Wirtschaftbedingungen wird weit ausgelegt und so verstanden, dass mit ihm ein zusätzlicher Bereich tariflicher Zuständigkeit eröffnet wird, der über den Begriff der Arbeitsbedingungen hinausreiche. Unternehmerische Entscheidungen wären demnach stets von der Tarifautonomie umfasst.33 Standortentscheidungen unterlägen dem Zuständigkeitsbereich der Koalitionen. Die extreme Gegenposition aus der Literatur begrenzt die sachliche Reichweite der Tarifautonomie dagegen auf die Regelung der Arbeitsbedingungen. Forsthoff34 und Weber35 gelangen zu diesem Ergebnis, indem sie annehmen, dass der Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen identisch mit den Lohn- und Arbeitsbedingungen des § 152 GewO a.F. sei. Nach dieser restriktiven Sichtweise, die im Zusammenhang mit der Beurteilung von Standortzusagen aufgegriffen wurde,36 wären Standortentscheidungen nicht von der Koalitionsfreiheit umfasst. Zu diesem Ergebnis gelangt man ebenfalls, wenn man unter dem Begriff der Wirtschaftsbedingungen, Arbeitsbedingungen aus Sicht des Unternehmens versteht, und so der Begriff der Arbeitsbedingungen mit dem der Wirtschaftsbedingungen gleichbedeutend wäre.37 Unternehmenspolitische Entscheidungen wären grundsätzlich nicht von der Tarifautonomie erfasst, da der Begriff der Wirtschaftsbedingungen nicht über den der Arbeitsbedingungen hinausreichen könnte.38 Nach einer von Biedenkopf 39 begründeten Lehre ist der Begriff der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen ebenfalls restriktiv auszulegen: Eine tarifvertragliche Regelung sei auf den sozialen „Datenkranz“ unternehmerischer Entschei31

ErfK-Dieterich, GG, Art. 9 Rn. 72; Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 9 Rn. 259. Berg/Wendeling-Schröder/Wolter, RdA 1980, 299 (307); Däubler, Mitbestimmung, S. 185 ff.; Dürig, NJW 1955, 729 (730 f.); AK-Kittner, GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 30; Simitis, AuR 1975, 321 (331 f.); Starck, Verfassungsfragen, S. 61 ff. 33 Vgl. Däubler, Mitbestimmung, S. 185 ff.; AK-Kittner, GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 30. 34 Forsthoff, BB 1965, 381 (385 f.). 35 Weber, Koalitionsfreiheit, S. 22. 36 Vgl. Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 68 ff.; ähnlich auch Franzen, ZfA 2005, 315 (329). 37 Zöllner, AöR 98 (1973), 71 (88); Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 95. 38 Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 95. 39 Biedenkopf, Gutachten für den 46. DJT, S. 97 (162 ff.); Richardi, Kollektivgewalt, S. 181. 32

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

dungen beschränkt, so dass ausschließlich die Regelung der sozialen Folgen, nicht aber die unternehmerische Entscheidung selbst der tarifvertraglichen Regelungszuständigkeit unterläge. Die überwiegende Mehrheit des Schrifttums spricht sich ebenso wie das BAG für vermittelnde Lösungen aus.40 Die Begriffe der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen begreift man als funktionale Einheit.41 Die sachliche Reichweite der Tarifautonomie wird demnach durch die Ermittlung einer Schnittmenge von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen bestimmt.42 Das „Begriffspaar“ erfasse die Gesamtheit aller Bedingungen, unter denen abhängige Arbeit geleistet werde.43 Wie dieser Bezug zum Arbeitsverhältnis im Einzelnen beschaffen sein muss, damit der Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG eröffnet ist, wird wiederum unterschiedlich beurteilt. Manche Autoren wollen einen entfernten Bezug ausreichen lassen.44 Dass dies zu einer weitreichenden Beeinflussung unternehmerischer Entscheidung führen könne, sei hinzunehmen.45 Teilweise wird dagegen ein engerer Bezug zum Arbeitsverhältnis gefordert.46 Dies führt zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem wie der Bezug inhaltlich definiert wird. Bei Standortentscheidungen wird die tarifvertragliche Zuständigkeit zumeist bejaht, da sich die Entscheidung, zukünftig an einem anderen Standort produzieren zu wollen, unmittelbar auf die Bedingungen, unter denen abhängige Arbeit geleistet werde,

40 Vgl. nur BAG v. 3.4.1990 – 1 AZR 123/89, BAGE 64, 284 (290 ff.); Badura, ArbRGegw 15 (1978), S. 17 (27); Beuthien, ZfA 1984, 1 (11); Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 82 ff.; Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 92 f.; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 48 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 219 ff.; Giesen, Rechtsgestaltung, S. 254; Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 1 (3 ff.); HWK-Hergenröder, GG, Art. 9 Rn. 39; Misera, Tarifmacht, S. 31; Reinartz, Firmentarifvetrag, S. 143 ff.; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 33, 72; Schleusener, Besetzungsregelungen, S. 46 ff.; Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 9 Rn. 256; Söllner, ArbRGegw 16 (1979), S. 19 (24); dens., NZA 1996, 897 (899); Waltermann, NZA 1991, 745 (757 ff.); Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 89; Zachert, DB 2001, 1198 (1199). 41 Grundlegend Badura, ArbRGegw 15 (1978), S. 17 (27); Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 46; Söllner, ArbRGegw 16 (1979), S. 19 (26). 42 ErfK-Dieterich, GG, Art. 9 Rn. 73; Kühling/Bertelsmann, NZA 1017 (1023); Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 148; Wiedemann, RdA 1986, 231 ff. 43 Vgl. Däubler-Däubler, TVG, Einl. Rn. 106; Sachs-Höfling, GG, Art. 9 Rn. 87; Kempen/Zachert-Kempen, TVG, Grundl. Rn. 108; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 35 Rn. 23; Löwisch/Rieble, TVG, Grundl. Rn. 18 f.; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 65; Söllner, ArbRGegw 16 (1979), S. 19 (22 ff); dens., NZA 1996, 897 (898 f.); Waltermann, ZfA 2000, 53 (61); Weyand, Mitbestimmung, S. 75; Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 88 ff. 44 Vgl. Gamillscheg, Differenzierung, S. 81 f.; Misera, Tarifmacht, S. 32; Säcker/ Oetker, Tarifautonomie, S. 70 f.; Schnorr, JR 1966, 327 (331). 45 Vgl. Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 82 f. 46 Vgl. Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 56 ff.; Krause, Standortsicherung, S. 62 f.; Kulka, RdA 1988, 336 (345); Müller, Arbeitskampf, S. 39; Söllner, NZA 1996, 897 (899); Waltermann, NZA 1991, 754 (759).

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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auswirke.47 Andere Vertreter greifen diesen Aspekt nicht bei einer Bestimmung des Schutzbereichs von Art. 9 Abs. 3 GG anhand der begriffsorientierten Auslegung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auf, sondern verstehen diese Frage als Problem der Abgrenzung zu unternehmerischen Freiheitsrechten.48 Lücken, welche sich aus einer begriffsorientierten Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG ergeben würden, seien so auszufüllen. 2. Stellungnahme Die Beantwortung der Frage, welche Gegenstände vom Begriff der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen erfasst werden, kann den Tarifvertragsparteien nicht selbst überlassen werden.49 Der Zuständigkeitsbereich ist vielmehr zunächst anhand einer Auslegung von Art. 9 Abs. 3 GG zu bestimmen, welche zugleich berücksichtigt, dass es den Koalitionen nicht verwehrt werden darf, sich auch neuen Regelungsgegenständen zuzuwenden, soweit diese innerhalb ihrer verfassungsrechtlichen Ermächtigung liegen. Entgegen vereinzelter Stimmen aus dem Schrifttum lässt sich die tarifliche Regelungszuständigkeit im Bereich unternehmerischer Standortpolitik nicht damit begründen, dass Standortentscheidungen des Arbeitgebers nicht unter den Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen subsumiert werden können. Maßgeblich ist ein funktionales Begriffsverständnis. Hinsichtlich des notwendigen, spezifischen Bezugs zum Arbeitsverhältnis spielen die unterschiedlichen Ansätze aus dem Schrifttum, welche sich im Übrigen nur marginal unterscheiden, bei Standortentscheidungen keine entscheidende Rolle, da sich die Entscheidung, den Betrieb zu verlagern nicht bloß über eine Marktreaktion, sondern vielmehr unmittelbar auf die Bedingungen, unter denen abhängige Arbeit im Betrieb geleistet wird, auswirkt. a) Wortlaut Für eine Interpretation des Begriffs der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen als funktionale Einheit spricht schon der Wortlaut von Art. 9 Abs. 3 GG. Beide Begriffe sind durch einen Bindestrich, durch das Wort „und“ miteinander verknüpft und werden in einem Zug genannt.50 Die Auslegungsvariante, dass beide 47

Vgl. Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 57 f.; Krause, Standortsicherung, S. 62 f. Beuthien, ZfA 1984, 1 (12 ff.); Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 93 ff.; Hanau/ Thüsing, ZTR 2001, 1 (3 ff.); Schleusener, Qualitative Besetzungsregelungen, S. 50 f.; Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 74 ff.; Wiedemann, RdA 1986, 231 (235 ff.). 49 Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 220; Rüthers, Tarifmacht, S. 16; Schleusener, Besetzungsregelungen, S. 49; Söllner, ArbRGegw 16 (1979), S. 19 (27 f.). 50 Beuthien, ZfA 1984, 1 (11); Konertz, Rationalisierung, S. 60; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 50; Schleusener, Besetzungsregelungen, S. 46 f. 48

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

Begriffe dasselbe bezeichnen sollen oder nebeneinander stehen, ist damit nur schwer zu vereinbaren.51 Man würde dem Verfassungsgeber eine Tautologie unterstellen, wenn dem Begriff der Wirtschaftsbedingungen keine eigenständige Funktion zukäme.52 Der Wortlaut deutet vielmehr darauf hin, dass ein Lebensbereich angesprochen sein muss, welcher die Gesamtheit der Interessen umfasst, die mit der Erbringung abhängiger Arbeit in Zusammenhang stehen.53 Der Wortlaut weicht bewusst von der Formulierung des § 152 Abs. 1 GewO („Lohn- und Arbeitsbedingungen“) ab. Dies deutet auf den Willen des Verfassungsgebers hin, durch die Wortwahl „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ den Tarifvertragsparteien einen Aufgabenbereich zu überlassen, der über das hinausgeht, was in § 152 Abs. 1 GewO mit „Lohn- und Arbeitsbedingungen“ bezeichnet wurde. Es liegt schon aufgrund dieser Formulierung nahe, die Tarifautonomie nicht auf Gegenstände zu beschränken, welche typischerweise Inhalt eines Arbeitsvertrages werden. Extensive und restriktive Sichtweise sind mit dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 3 GG kaum zu vereinbaren. b) Entstehungsgeschichte Die Materialien zur Entstehungsgeschichte lassen keine Rückschlüsse auf die inhaltliche Bestimmung des Begriffs der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu.54 Dagegen lässt sich im Vergleich der Formulierung in Art. 9 Abs. 3 GG, die ebenso wie die Vorgängernorm des Art. 159 WRV inhaltlich von der des § 152 GewO a. F. („Lohn- und Arbeitsbedingungen“) abweicht, durchaus darauf schließen, dass eine Erweiterung koalitionsrechtlicher Betätigung gewollt war, anstatt anzunehmen, dass der Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gemäß Art. 9 Abs. 3 GG mit dem der Lohn- und Arbeitsbedingungen i. S. v. § 152 GewO a. F. identisch sei.55 Ferner ist zu berücksichtigen, dass das BVerfG die Aufgabe des Art. 9 Abs. 3 GG traditionell in der autonomen Ordnung des Arbeitslebens durch die Koalitionen sieht.56 Auch dies spricht für die These einer funktionalen Verknüpfung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen und die

51 Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 92; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 143 f.; Wiedemann, RdA 1986, 231(232); Waltermann, NZA 1991, 754 (757). 52 Söllner, ArbRGegw 16 (1979), S. 19 (23); Weyand, Mitbestimmung, S. 73. 53 Vgl. Waltermann, NZA 1991, 754 (757). 54 So im Ergebnis auch Waltermann, NZA 1991, 754 (757, Fn. 35). 55 Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 92; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 51 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 219; Konertz, Rationalisierung, S. 60 f.; Krause, Standortsicherung, S. 61; Krüger, Gutachten für den 46. DJT, S. 22; Misera, Tarifmacht, S. 32; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 144 f.; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 60; Schleusener, Besetzungsregelungen, S. 47; Weyand, Mitbestimmung, S. 74. 56 Waltermann, NZA 1991, 754 (757) mit Verweis auf BVerfGE 33, 322 (341, 342).

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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grundsätzliche Anerkennung tariflicher Zuständigkeiten für unternehmerische Entscheidungen. c) Systematik Die systematische Stellung von Art. 9 Abs. 3 GG in der Grundrechtsdogmatik ist bezüglich der Begriffsbestimmung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ebenfalls wenig ergiebig.57 Feststellen lässt sich allenfalls, dass Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG verknüpfend von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen spricht, während Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 und Nr. 12 GG hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenzen für Wirtschaftsrecht und Arbeitsrecht unterscheidet.58 Bezieht man jedoch die Wertungen des TVG mit ein, wird deutlich, dass restriktive und extensive Auslegung mit diesen Wertungen damit kaum zu vereinbaren sind: Der Gesetzgeber hat in § 1 Abs. 1 TVG die Zuständigkeit zur Schaffung normativer Regelungen auch auf betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen erstreckt. Dies verdeutlicht den Willen des Gesetzgebers, unternehmerische Entscheidungen nicht gänzlich dem Zugriff der Tarifvertragsparteien zu entziehen. Andererseits weist dies zugleich darauf hin, dass nicht sämtliche unternehmerische Personal- und Sachentscheidungen der tarifvertraglichen Einflussnahme unterliegen. Eine Interpretation einer verfassungsrechtlichen Gewährleistung unter Rückgriff auf einfachgesetzliche Regelungen erscheint zwar grundsätzlich bedenklich,59 hier ist sie jedoch schon deshalb geboten, weil aus Art. 9 Abs. 3 GG eine Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers resultiert, welcher dieser mit Schaffung des TVG nachgekommen ist.60 d) Sinn und Zweck der Tarifautonomie Art. 9 Abs. 3 GG ist – wie Scholz61 es treffend ausdrückt – ein „Grundrecht des Arbeitsrechts“. Die Koalitionsfreiheit bildet das Gegengewicht zu unternehmerischen Freiheitsrechten.62 Sie ist ursprünglich geschaffen worden, um das strukturelle Machtungleichgewicht gegenüber dem Arbeitgeber durch Bündelung der Arbeitnehmerinteressen auszugleichen.63 Zentrale Aufgabe der Koalition ist es, im Rahmen der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedin57 Waltermann, NZA 1991, 754 (758); siehe hierzu auch Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 53 ff. 58 Kempen/Zachert-Kempen, TVG, Grundl. Rn. 108. 59 Kritisch HK-ArbR-Hensche, Art. 9 GG, Rn. 78. 60 So im Ergebnis auch Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 144. 61 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 46. 62 Vgl. Beuthien, ZfA 1984, 1 (12). 63 Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 9 Rn. 155; Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 3; so auch schon Sinzheimer, Arbeitsnormenvertrag, S. 22.

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

gungen für angemessene Arbeitsbedingungen zu sorgen, was durch einzelvertragliche Absprachen kaum zu leisten wäre. Dieser Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit des einzelnen Arbeitnehmers als prägende Funktion der Tarifautonomie erfordert es aber nicht, das Arbeitnehmerkollektiv an sämtlichen Fragen der Unternehmensführung zu beteiligen. Einer Zuständigkeit der Koalition bedarf es nur dann, wenn Arbeitnehmerinteressen nachhaltig berührt werden, sich die Unternehmerentscheidung also auf die Stellung des einzelnen Arbeitnehmers im Betrieb auswirkt. Daraus folgt, dass der Schutzzweck der Tarifautonomie unzureichend berücksichtigt würde, wenn man die tarifvertragliche Zuständigkeit von vorneherein nur auf die Regelung der sozialen Folgen unternehmerischer Entscheidungen beschränkt.64 Gerade der Ablauf der Standorttarifkonflikte weist darauf hin, dass auch umfangreich ausgestaltete Sozialpläne, aus Sicht der Arbeitnehmer die Folgen der Verlagerung nicht aufwiegen können. Bei unternehmerischen Entscheidungen, welche die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb nachhaltig berühren können, ist ein Interesse der Arbeitnehmer gegeben, auf diese Entscheidung durch kollektives Auftreten einwirken zu können. Ansonsten könnten sie der Arbeitgeberseite wenig entgegensetzen. All dies spricht für eine vermittelnde Lösung hinsichtlich der sachlichen Reichweite der Tarifautonomie. Dass der Verfassungsgeber den Begriff der Wirtschaftsbedingungen in die Norm des Art. 9 Abs. 3 GG aufgenommen hat, macht gerade deutlich, dass auch unternehmerische Entscheidungen der Zuständigkeit der Koalitionen unterliegen können. Dies gilt aber nur dann, wenn diese die Arbeitnehmerinteressen berühren, sich also auf die Bedingungen, unter denen abhängige Arbeit geleistet wird, auswirken. Demgegenüber kann der Hinweis auf die Vertretung der kollektiven Arbeitnehmerinteressen es nicht rechtfertigen, sämtliche Unternehmerentscheidungen beeinflussen zu können, um so für eine erfolgreiche Unternehmenspolitik zu sorgen.65 Dies würde den Schutzzweck der Tarifautonomie unzulässigerweise ausweiten. Die Lesart, den Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen als funktionale Einheit zu betrachten, berücksichtigt beide Aspekte: Einerseits wird sichergestellt dass unternehmerische Entscheidungen, welche zugleich die Bedingungen berühren, unter denen abhängige Arbeit geleistet wird, nicht aus dem Schutzbereich der Koalitionsfreiheit ausgeklammert werden. Andererseits erscheint es geboten, nicht sämtliche Entscheidungen der Geschäftsführung einer tarifvertraglichen Einflussnahme zugänglich zu machen, da dies den Schutzzweck der Koalitionsfreiheit überdehnen würde. Besteht dagegen kein Bezug zu den Arbeitsbedingungen, ist es nicht notwendig, solche Sachfragen der koalitionsrechtlichen

64 65

Vgl. Weyand, Mitbestimmung, S. 81. Krause, Standortsicherung, S. 62.

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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Zuständigkeit zu unterstellen. Unternehmerische Entscheidungen unterliegen nicht um ihrer selbst willen, sondern nur zum Zweck des Arbeitnehmerschutzes der tariflichen Regelungszuständigkeit.66 Sinn und Zweck der Tarifautonomie sprechen somit ebenfalls für eine vermittelnde Lösung, die einerseits Wirtschaftsbedingungen, welche sich auf die Bedingungen, unter denen abhängige Arbeit geleistet wird, auswirken, unter den Schutzbereich der Tarifautonomie stellt, anderseits aber einen unternehmensautonome Bereich respektiert. e) Schlussfolgerungen für die unternehmerische Standortpolitik All dies zeigt, dass der herrschenden Ansicht zuzustimmen ist, die den Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen als funktionale Einheit betrachtet, welche die Gesamtheit der Bedingungen erfasst, unter denen abhängige Arbeit geleistet wird. Aus dieser Begriffsinterpretation der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen folgt zunächst, dass unternehmerische Entscheidungen, welche keinerlei Bezug zu den Bedingungen, unter denen abhängige Arbeit geleistet wird, aufweisen, nicht von der Regelungszuständigkeit der Koalitionen erfasst sind. Demnach unterliegen andere Märkte als der Arbeitsmarkt (wie etwa Märkte für Waren, Dienstleistungen und Kapital, Beschaffung und Finanzen für die Tarifvertragsparteien) nicht dem Schutzbereich der Koalitionsfreiheit.67 Eine Regelung in Bezug auf den allgemeinen Umweltschutz und Fragen der Unternehmensfinanzierung (etwa die Entscheidung über eine Kapitalerhöhung) wäre den Tarifvertragsparteien daher verwehrt.68 Gleichwohl bedeutet dieses Begriffsverständnis nicht, den gesamten Bereich der Unternehmenspolitik aus dem Bereich der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen ausklammern, da dies dem umfassenden Gestaltungsauftrag der Sozialpartner kaum Rechnung tragen würde. Problematisch ist die Einordnung solcher Sachverhalte, bei denen sich eine Unternehmerentscheidung nur mittelbar über außerhalb des Arbeitslebens liegende Umstände und Markreaktionen auswirkt, wie dies etwa bei der Investitions- und Preispolitik der Fall ist. Gefährdet eine unternehmerische Entscheidung jedoch langfristig Arbeitsplätze, ohne dass dazu weitere, außerhalb der Sphäre des Arbeitgebers stehenden Ereignisse, wie etwa ein Umsatzeinbruch, verantwortlich wären, ist der Rechtskreis der Arbeitnehmer unmittelbar berührt.69 66

Beuthien, ZfA 1984, 1 (15). Vgl. Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1023); Rüthers, Tarifmacht, S. 16 f. 68 Vgl. Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 96; Krause, Standortsicherung, S. 62. 69 Vgl. Krause, Standortsicherung, S. 62 f.; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 56 ff.; Walker, ZfA 2004, 501 (530); Waltermann, NZA 1991, 754 (759); weniger restriktiv Bayreuther, Tarifautonomie, S. 271; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 70 f. m.w. N. 67

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

Legt man diesen Maßstab bei dem hier zu beurteilenden Gegenstand zugrunde, wird deutlich, dass Standortentscheidungen des Arbeitgebers unter den Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen subsumiert werden können. Sie gehören zu den Wirtschaftsbedingungen und berühren die sozialen Belange der Arbeitnehmer unmittelbar, so dass sie zugleich als Arbeitsbedingung anzusehen sind.70 Gamillscheg71 spricht aus diesem Grund zu Recht von Standortentscheidungen als „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen erstens Ranges“. Ein spezifischer Bezug zum Arbeitsverhältnis liegt vor, so dass die Standortpolitik in der Schnittmenge von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu verorten ist. Die Einwände, die im Schrifttum gegenüber diesem Ergebnis vorgetragen werden, vermögen vor diesem Hintergrund nicht zu überzeugen. Lobinger72 geht davon aus, dass Standortentscheidungen nicht unter den Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gefasst werden könnten und begründet dies mit Erwägungen, welche bereits entkräftet wurden: Er beschränkt die sachliche Reichweite der Tarifautonomie auf Gegenstände des Arbeitsvertrags.73 Franzen74 argumentiert ähnlich, wenn er vorträgt, dass es bei einer Verpflichtung, den Standort beizubehalten nicht um eine Regelung der Bedingungen, unter denen abhängige Arbeit geleistet werde, sondern vielmehr um die vorgelagerte Frage gehe, ob der Arbeitgeber Arbeitskräfte nachfrage und damit Arbeitsbedingungen schaffe. Die hier vertretene Auslegung von Art. 9 Abs. 3 GG lässt diese Deutung nicht zu, da ein spezifischer Bezug zum Arbeitsverhältnis ausreicht, um die tarifliche Regelungszuständigkeit zu begründen. Bei Verlagerungsentscheidungen besteht ein solcher Bezug, da die sozialen Belange der Arbeitnehmer berührt werden, bedeutet eine Verlagerung doch zwangsläufig, dass ihre Arbeitsplätze langfristig wegfallen.75 Im Gegensatz zur Standortdrohung ist der Standortverlagerungsbeschluss endgültig gefasst, so dass die Arbeitnehmer damit rechnen müssen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Es wäre gekünstelt, zu argumentieren, dieser Verlagerungsbeschluss hätte keine Rückwirkungen auf die im betroffenen Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer. Anhand einer Bestimmung des Schutzbereichs von Art. 9 Abs. 3 GG „aus sich heraus“ lässt sich die Notwendigkeit einer genaueren 70 So im Ergebnis auch Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 426; Dieterich, AuR 2007, 65 (70); Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 58; Krause, Standortsicherung, S. 59 ff.; Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1023); Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 133; Wolter, RdA 2002 218 (220); wohl auch ArbG Frankfurt am Main v. 15.3.2005 – 5 Ca 4542/04 (juris) unter Rn. 88 ff. der Entscheidungsgründe; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 82 f. 71 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 220. 72 Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (65 f.). 73 Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (68). 74 Franzen, ZfA 2005, 315 (329); zustimmend MünchArbR-Rieble/Klumpp, § 169 Rn. 92; ähnlich auch Löwisch, DB 2005, 554 (556); Müller, Berufsfreiheit, S. 166; Wank, RdA 2009, 1 (7); wohl auch Konzen, in: FS Buchner, S. 461 ff. 75 Ebenso Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 56 f.; Krause, Standortsicherung, S. 62 f.

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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Differenzierung hinsichtlich unternehmerischer Grundlagenentscheidungen und dem Zuständigkeitsbereich der Tarifvertragsparteien nicht begründen. Auch die Lehre von Biedenkopf 76 darf bei der Beurteilung von Standortzusagen nicht fruchtbar gemacht werden. Dieser als Datenkranztheorie bezeichnete Ansatz ist nicht nur im Schrifttum77 auf erhebliche Kritik gestoßen. Auch das BAG78 hat ihn zu Recht verworfen: Es wäre mit einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens als verfassungsrechtlich gewährleistete Aufgabe der Tarifvertragsparteien nicht zu vereinbaren, unternehmerische Entscheidungen generell dem tariflichen Zugriff zu entziehen und sie auf eine Regelung der Folgen zu beschränken. Dies würde dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG nicht gerecht, der ausdrücklich von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen spricht und somit nahe legt, die direkte Beeinflussung unternehmerischer Entscheidungen nicht generell von der Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien abzuschirmen. 3. Zwischenergebnis Die Unzulässigkeit einer tariflichen Vereinbarung und Erkämpfbarkeit von Standortzusagen des Arbeitgebers lässt sich nicht damit begründen, dass Standortentscheidungen begrifflich nicht als Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen anzusehen wären. Nach dem vorzugswürdigen funktionalen Begriffsverständnis sind Standortentscheidungen innerhalb der Schnittmenge von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu verorten.

III. Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG Wäre die tarifliche Regelungszuständigkeit ausschließlich anhand einer begrifflichen Auslegung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu bestimmen, würde dies bedeuten, dass es vielfach möglich wäre, auf unternehmerische Entscheidungen (und somit auch Standortverlagerungsentscheidungen) Einfluss nehmen zu können. Dies wurde im Schrifttum zum Anlass genommen, anhand einer Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG bestimmte Unternehmerentscheidungen aus dem Aufgabenbereich der Tarifvertragsparteien auszuklammern.79 Somit stellt sich die Frage, inwieweit die Wertungen des 76

Biedenkopf, Gutachten für den 46. DJT, S. 97 (160 ff.). Vgl. Beuthien, ZfA 1984, 1 (14); Konertz, Rationalisierung, S. 65; Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1021); Meier-Krenz, Erweiterung, S. 96; Moll, Beschäftigung, S. 126 ff.; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 71 f.; Söllner, ArbRGegw 16 (1979), S. 19 (28); Wiedemann, RdA 1986, 231 (233). 78 BAG v. 3.4.1990 – 1 AZR 123/89, BAGE 64, 284 (296). 79 Vgl. Beuthien, ZfA 1984, 1 (12 ff.); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 339; Hanau/Thüsing, in: Thüsing (Hrsg.), Tarifautonomie, S. 7 (13 ff.); Meyer, NZA 2004, 366 (368); Wiedemann, RdA 1986, 231 (236 ff.). 77

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

Art. 12 Abs. 1 GG bei der Auslegung von Art. 9 Abs. 3 GG zu einem anderen Ergebnis führen können, als es die begriffsorientierte Auslegung für die Beurteilung von tariflichen Standortzusagen hervorgebracht hat. 1. Art. 12 Abs. 1 GG als Funktionsgrenze der Tarifautonomie Wie bereits angesprochen lässt sich gegen eine Eingrenzung des tariflichen Zuständigkeitsbereichs mit Blick auf die Berufsfreiheit des Arbeitgebers nicht einwenden, dass die Arbeitgebergrundrechte erst im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung Bedeutung erlangen.80 Teile des Schrifttums wollen zwar entgegen der hier vertretenen Auffassung die tarifliche Zuständigkeit feststellen, ohne auf kollidierende Grundrechte der Tarifgebundenen einzugehen, um diese erst als Zulässigkeitsgrenze der tariflichen Vereinbarung entgegenzusetzen.81 Diesem Vorgehen liegt das Verständnis zugrunde, den Zuständigkeitsbereich der Koalitionen „von innen heraus“ zu bestimmen („Binnenschranken“) und erst in einem zweiten Schritt einschlägige Grundrechte tarifgebundener Arbeitnehmer und Arbeitgeber als „Außenschranken“ der Tarifautonomie zu berücksichtigen.82 Eine Einschränkung der tariflichen Regelungszuständigkeit unter Rückgriff auf Art. 12 Abs. 1 GG käme daher von vorneherein nicht in Betracht. Damit lässt sich die Frage nach einem Ausschluss der Regelungszuständigkeit für unternehmerische Grundlagenentscheidungen jedoch nicht überzeugend lösen.83 Die umstrittene Frage, inwieweit durch Tarifvertragsabschluss oder Verbandsbeitritt grundrechtliche Freiheiten derart ausgeübt werden, dass sie nicht mehr geeignet sind, die aus Art. 9 Abs. 3 GG zu entnehmenden Freiheitsrechte der Tarifvertragsparteien einzuschränken, soll dabei zurückgestellt werden.84 Obwohl festzuhalten ist, dass die verschiedenen Ansätze letztendlich „nur“ einen unterschiedlichen Weg beschreiten, um unternehmerische Freiheitsrechte bei der Bestimmung der Tarifvertragsfreiheit zu berücksichtigen, erscheint es dennoch geboten, unternehmerische Freiheitsrechte schon bei der Bestimmung der tariflichen Regelungszuständigkeit heranzuziehen, indem der Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG von anderen einschlägigen Grundrechtsgewährleistungen abgegrenzt wird. Es gilt zu ermitteln, inwieweit unter Rückgriff auf verfassungsrecht-

80

Siehe Kapitel 3 A. I. In diesem Sinne Dreyer, Gewinnbeteiligung, S. 232 ff.; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 43; Runggaldier, Mitbestimmung, S. 126; Wolter, RdA 2000, 2002, 218 (220). 82 Vgl. Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 42 f. 83 Für eine Berücksichtigung der Berufsfreiheit schon auf der Zuständigkeitsebene Beuthien, ZfA 1984, 1 (12); Dieterich, AuR 2007, 65 (70); Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 1 (3 ff.); Hohenstatt/Schramm, DB 2004, 2214 (2217 f.); Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1023 f.); Meik, Tarifautonomie, S. 96 ff.; Schleusener, Besetzungsregelungen, S. 50; Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 423 ff. 84 Vgl. Wolter, RdA 2002, 218 (220); kritisch hierzu in Kapitel 4 C. III. 5. 81

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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liche Wertungen ein „tariffreier“ Bereich besteht, so dass den Tarifvertragsparteien der Zugriff auf bestimmte unternehmerische Sachfragen verwehrt bleibt.85 Ansonsten würde – wie bereits erwähnt86 – übersehen, dass der Schutzbereich eines Grundrechts oftmals nicht „in isoliertem Blick auf dieses Grundrecht, sondern nur in systematischer Zusammenschau mit anderen Grundrechten bestimmt werden“ 87 kann. Das BVerfG88 hat zudem ausdrücklich angemerkt, dass ein angemessener Spielraum zur Entfaltung der Unternehmensinitiative unantastbar sei. Es gilt also zu hinterfragen, ob der Umfang der tariflichen Regelungszuständigkeit, welcher bisher anhand des funktionalen Begriffsverständnisses der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ermittelt wurde, mit den Wertungen von Art. 12 Abs. 1 GG im Einklang steht. Art. 9 Abs. 3 GG ist nicht nur „aus sich heraus zu bestimmen“, sondern ebenso im Lichte der Berufsfreiheit der tarifgebundenen Arbeitgeber auszulegen. Führt eine allein am Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG orientierte Bestimmung des Zuständigkeitsbereichs dazu, dass bestimmte unternehmenspolitische Entscheidungen von diesem Grundrecht umfasst sind, könnte Art. 12 Abs. 1 GG dennoch zu einem anderen Ergebnis führen, indem dieses Grundrecht zur „Lückenfüllung“ herangezogen wird, um den Bezug zum Arbeitsverhältnis näher zu definieren.89 Dies darf allerdings nicht so verstanden werden, dass die Berufsfreiheit zwangsläufig zur Einschränkung tariflicher Zuständigkeiten führen muss. Dies ist eine Frage der inhaltlichen Abgrenzung der Schutzbereiche dieser Grundrechtsgewährleistungen, auf die im Folgenden eingegangen werden soll. Festzuhalten ist nur, dass Art. 12 Abs. 1 GG eine „Doppelfunktion“ zukommen kann und dieses Grundrecht nicht nur eine Zulässigkeitsschranke tariflicher Vereinbarungen bildet, sondern ebenso eine kompetenzielle Grenze der tariflichen Regelungszuständigkeit darstellen kann.90 Die bisherigen Erwägungen sind also nicht so zu deuten, dass Art. 12 Abs. 1 GG im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung keine Bedeutung mehr zukäme. Von der Eingrenzung des Aufgabenbereichs der Tarifvertragsparteien zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit eine tarifliche Regelung inhaltlich rechtmäßig oder aufgrund eines Grundrechtsverstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG materiell rechts-

85 Vgl. HWK-Hergenröder, GG, Art. 12 Rn. 55; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 252 f. 86 Siehe Kapitel 3 A. I. 87 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 246. 88 Vgl. BVerfG v. 14.10.1970 – 1 BvR 306/68, BVerfGE 29, 260 (267) m.w. N. 89 Vgl. Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 316. 90 Ebenso Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 89 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 339; Krause, in; Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 1 Rn. 75; ders., Standortsicherung, S. 58 f.; Schleusener, Besetzungsregelungen, S. 50 ff.; 107 ff.

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

widrig ist. Dies ist ein Problem der Zulässigkeit der tarifvertraglichen Vereinbarung, die zwischen den Tarifvertragsparteien zustande gekommen ist. Diese Vorgehensweise führt nicht zu einer „doppelten“ Prüfung des Verhältnisses von Berufsfreiheit der Arbeitgeber und Tarifautonomie. Der Ansatzpunkt der Grundrechtsprüfung ist in beiden Fällen unterschiedlich: Wird bei der Prüfung der Zuständigkeit ausschließlich untersucht, ob sich die Tarifvertragsparteien eines Gegenstands generell annehmen dürfen, wird im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung das tarifvertraglich Vereinbarte auf seine Verfassungskonformität hin überprüft. Ersteres ist eine Frage der Abgrenzung von Schutzbereichen, bei der inhaltlichen Rechtmäßigkeit eines Tarifvertrags sind hingegen Grundrechtskollisionen zu lösen.91 Die Eingriffsqualität, welche im Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht insbesondere durch die Eigenarten des Vertragsschlusses variieren kann, wird erst bei der inhaltlichen Rechtmäßigkeit des Tarifvertrags berücksichtigt, wo diese Grundrechtsgewährleistungen wiederum bedeutsam sind. So ist es möglich, dass den Tarifvertragsparteien zwar die Zuständigkeit hinsichtlich einer Sachfrage zukommt, weil der Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG eröffnet ist (und unternehmerische Freiheitsrechte keine Einschränkungen der tariflichen Regelungszuständigkeit gebieten), der vereinbarte Tarifvertrag dennoch unzulässig ist, zum Beispiel weil er die Grundrechte der Tarifgebundenen nicht hinreichend beachtet. Besonderheiten einer Tarifklausel, wie etwa der Umfang einer tarifvertraglichen Verpflichtung der Arbeitgeberseite, können somit unabhängig von der Eröffnung des Schutzbereichs aufgrund eines ungerechtfertigten Eingriffs in die Grundrechte der Arbeitgeber zur Unzulässigkeit des Tarifvertrags führen.92 Denkbar wäre es also, dass den Tarifvertragsparteien zwar die Zuständigkeit zukäme, Standortentscheidungen des Arbeitgebers tariflich zu regeln, der Umfang einer solchen Regelung, etwa eine Verpflichtung des Arbeitgebers, den Standort über einen langen Zeitraum aufrechtzuerhalten, aber einen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG bedeuten könnte, welcher je nach Ausgestaltung zur Unzulässigkeit des gesamten Vertrags oder nur der einzelnen Regelung führen würde. 2. Abgrenzung der Schutzbereiche Kommt eine einschränkende Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG im Rahmen der Bestimmung tarifvertraglicher Regelungszuständigkeit demnach grundsätzlich in Betracht, stellt sich nun die Frage, ob der verfassungsrechtliche Gewährleistungsgehalt unternehmerischer Freiheitsrechte 91 Somit ist auch das Problem der Grundrechtsbindung bei der Frage einer Abgrenzung der Schutzbereiche noch nicht bedeutsam, vgl. hierzu Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 1 (5). 92 Krause, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 1 Rn. 75.

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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eine genauere Differenzierung gebietet, als sie eine am Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG orientierte Auslegung mit sich bringt. Ist in der „Grauzone“ zwischen Unternehmerfreiheit und Tarifautonomie eine tarifvertragliche Zuständigkeit im Bereich der Standortpolitik gegeben? a) Meinungsstand Teile des Schrifttums lehnen eine weitergehende Beschränkung tariflicher Regelungszuständigkeiten unter Rückgriff auf Art. 12 Abs. 1 GG grundsätzlich ab, da es keine „Zone vereinbarungsfreier, also autonomer Unternehmenspolitik“ gebe.93 Nach hier vertretener Auffassung wäre eine direkte Einflussnahme auf unternehmerische Grundlagenentscheidungen jedoch nur unter der Bedingung zulässig, dass auch ein spezifischer Bezug zum Arbeitsverhältnis besteht, wie er bei einigen unternehmerischen Grundlagenentscheidungen gerade fehlt.94 Andere halten demgegenüber einen zumindest mittelbaren Bezug zum Arbeitsverhältnis für ausreichend, selbst wenn man die Wertungen von Art. 12 Abs. 1 GG mit einbeziehe, um die Reichweite der tarifvertraglichen Regelungszuständigkeit zu bestimmen.95 Für unternehmerische Standortentscheidungen würde dies bedeuten, dass sie vom Aufgabenbereich der Tarifautonomie umfasst wären. Dagegen wollen manche Autoren unter Rückgriff auf Art. 12 Abs. 1 GG den tariflichen Aufgabenbereich restriktiver eingrenzen und haben unterschiedlichste Kriterien entwickelt, um die Grenze zwischen zulässiger Einflussnahme und unzulässiger Anmaßung unternehmerischer Positionen zu bestimmen: Wiedemann96 differenziert zunächst danach, ob eine unternehmerische Entscheidung unmittelbaren Einfluss auf die Bedingungen, unter denen abhängige Arbeit geleistet wird, hat oder es mittelbar über die Reaktion des Marktes zu einem Einfluss kommt. Wirke sich eine Unternehmerentscheidung lediglich mittelbar, etwa über eine „vermittelnde Reaktion des Marktes“, auf die Arbeitnehmer aus, genüge dies nicht. Falls Unmittelbarkeit gegeben sei, unterliege eine Regelung der sozialen Folgen unternehmerischen Handelns der tarifvertraglichen Zuständigkeit. Da sich soziale und wirtschaftliche Seite oftmals nicht trennen 93 Deutlich Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, § 1 Rn. 90; Hensche, AuR 2004, 443 (448) m.w. N. 94 Siehe Kapitel 3 A. II. 2. e). 95 Vgl. Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 97 f.; Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 1 (5); Konertz, Rationalisierung, S. 67; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 72; Schleusener, Besetzungsregelungen, S. 50 ff.; Däubler-Schumann, Arbeitskampfrecht, Rn. 164; Weyand, Mitbestimmung, S. 83; ähnlich Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 95; Starck, Verfassungsfragen, S. 64 ff. 96 Wiedemann, RdA 1986, 231 (232 ff.); Wiedemann-ders., TVG, Einl. 444; ähnlich auch Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 148 f.; noch restriktiver Lelley/Sabin, FA 2004, 357 (360).

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

ließen, könne vielfach auch das „Ob“ der unternehmerischen Entscheidung einer tarifvertraglichen Einflussnahme unterliegen. Um einen Kernbereich unternehmerischer Freiheitsrechte zu wahren, seien jedoch unternehmenspolitische Grundlagenentscheidungen der tarifvertraglichen Zuständigkeit grundsätzlich entzogen. Die Betriebsstilllegung als unternehmerische Grundlagenentscheidung unterliegt seiner Ansicht nach daher nicht der tarifvertraglichen Regelungszuständigkeit, obwohl sie sich unmittelbar auf die Arbeitsbedingungen auswirke.97 Beuthien98 schlägt einen ähnlichen Weg ein und interpretiert die Unternehmensautonomie als marktbezogen und die Tarifautonomie als betriebsbezogen, so dass die Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien nur dann gegeben sei, wenn durch eine Unternehmerentscheidung diejenigen rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Belange der Arbeitnehmer berührt würden, die sich als unmittelbare Folge aus ihrer Eigenschaft als abhängige Beschäftigte ergäben. Die tarifvertragliche Regelungszuständigkeit sei auf solche unternehmerische Sachentscheidungen zu beschränken, die eine „soziale Kehrseite“ hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Arbeitnehmer aufweisen.99 Gamillscheg100 grenzt einen äußeren von einem inneren Bereich der tariflichen Regelungszuständigkeit ab. Der äußere Bereich sei der jenseits der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, so dass eine Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien generell nicht gegeben sei. Im inneren Bereich, könne zwar unter den Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen subsumiert werden, für eine Reihe unternehmenspolitischer Grundlagenentscheidungen sei aber den grundrechtlich geschützten Interessen der Arbeitgeberseite Vorrang einzuräumen. Für die unternehmerische Entscheidung der Stilllegung eines Betriebs folgert er, dass diese nicht mittels Streik verhindert werden könne, eine freiwillige tarifvertragliche Verpflichtung aber von der Tarifmacht umfasst sei. Dieterich101 stellt auf die Sachnähe einer Tarifforderung mit den Arbeitsbedingungen und die Intensität ab, mit der sich die unternehmerische Grundlagenentscheidung auf die Arbeitsbedingungen auswirke. Für unternehmerische Standortentscheidungen bedeute dies, dass sie von der sachlichen Reichweite der Tarifautonomie umfasst seien.102 Sie wirkten sich „ganz unmittelbar und umfassend“ auf die Lage der betroffenen Belegschaft aus.103

97 Wiedemann, RdA 1986, 231 (237); Wiedemann-ders., TVG, Einl. Rn. 328, weniger restriktiv dagegen in Rn. 444, was jedoch wohl einer Unterscheidung zwischen freiwilliger und erstreikter Einigung geschuldet ist. 98 Beuthien, ZfA 1984, 1 (12 f.). 99 Beuthien, ZfA 1984, 1 (14 f.); so auch Starck, Verfassungsfragen, S. 45. 100 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 340, 345. 101 ErfK-Dieterich, GG, Art. 9 Rn. 73 f. 102 Dieterich, AuR 2007, 65 (70). 103 ErfK-Dieterich, GG, Art. 9 Rn. 75.

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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Eine höchstrichterliche Entscheidung zur dieser Frage fehlt bisher.104 Bei der Beurteilung einer Streikforderung nach Zeitzuschlägen bei der Personalbemessung hat das BAG105 jedoch in Anlehnung an Wiedemann106 und Beuthien107 einige grundlegenden Aussagen zum Verhältnis von Tarifautonomie und Art. 12 Abs. 1 GG getroffen: „Die Unternehmensautonomie wäre nur unzureichend beachtet, wenn ihr die Tarifautonomie keinerlei tariffreien Betätigungsbereich lassen würde. Deshalb kann der Tarifautonomie nicht entnommen werden, dass sämtliche unternehmerische Entscheidungen tarifvertraglich geregelt werden können. Als kollektives Arbeitnehmerschutzrecht gegenüber der Unternehmensautonomie kann eine tarifliche Regelung nur dort eingreifen, wo eine unternehmerische Entscheidung diejenigen rechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Belange der Arbeitnehmer berührt, die sich gerade aus deren Eigenschaft als abhängig Beschäftigte ergeben. Dementsprechend entscheidet die Geschäftsleitung unternehmensautonom beispielsweise über Investitionen, Produktion und Vertrieb. Sie trifft grundsätzlich die Entscheidung darüber, welche Geldmittel zu welchem Zweck eingesetzt werden und ob, was und wo hergestellt wird.“108 „Deshalb bezieht sich der Regelungsauftrag des Art. 9 Abs. 3 GG immer dann, wenn sich die wirtschaftliche und soziale Seite einer unternehmerischen Entscheidung nicht trennen lassen, zwangsläufig mit auf die Steuerung der unternehmerischen Sachentscheidung.“109

Aus diesen Aussagen wurden hinsichtlich der tariflichen Regelbarkeit von Standortentscheidungen unterschiedliche Schlüsse gezogen. Ein Teil des Schrifttums folgert aus ihnen, dass eine Anwendung dieser Kriterien die Möglichkeit eröffne, tarifliche Standortzusagen von der Arbeitgeberseite einzufordern, da sich die Standortschließung unmittelbar auf die Beschäftigungsmöglichkeiten auswirke und sich wirtschaftliche und soziale Seite auch in diesem Fall nicht voneinander trennen ließen.110 Das LAG Hamm111 stützte sich auf diese Entschei104

Offengelassen in BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (997); vgl. auch BAG v. 1.6.2000 – 4 AZR 379/99, NZA 2001, 271 (274). 105 BAG v. 3.4.1990 – 1 AZR 123/89, BAGE 64, 284 ff. 106 Wiedemann, RdA 1986, 231 (232). 107 Beuthien, ZfA 1984, 1 (14 f.). 108 Unter II. 1 der Entscheidungsgründe. 109 Unter II. 2. der Entscheidungsgründe. 110 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, § 1 Rn. 90; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 48; Däubler-Hensche, TVG, § 1 Rn. 830 ff.; Zachert, DB 2001, 1198 (1201); ähnlich auch Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1023). 111 LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 3R; das Gericht führte aus, dass man bei Standortentscheidungen im Gegensatz zum vom Ersten Senat zu entscheidenden Fall soziale und wirtschaftliche Seite trennen könne und man sich somit ausschließlich auf die Aussage des Ersten Senats bezog, welcher darauf hindeutet, dass Standortentscheidungen dem Kernbereich der Unternehmerfreiheit unterlägen; vgl. auch LAG Hessen v. 2.2.2006 – 9 Sa 915/05, LAGE Nr. 75 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 19 f.; LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03,

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

dung, um die Rechtswidrigkeit einer Streikforderung nach Standortsicherung zu begründen. Löwisch112 gelangt ebenfalls zu diesem Ergebnis, indem er die Entlassung als soziale Seite der Betriebsschließung ansieht, die von der Unternehmerentscheidung abtrennbar sei; somit sei es den Gewerkschaften allenfalls möglich, den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen tarifvertraglich zu regeln. Andere Autoren nehmen dagegen an, dass diese Aussagen zur Beurteilung von tariflichen Standortzusagen nicht herangezogen werden könnten, da Standortentscheidungen einerseits dem autonomen Kernbereich unternehmerischer Entscheidungsfreiheit zuzuordnen seien, man allerdings andererseits wirtschaftliche und soziale Seite dieser Entscheidung nicht voneinander trennen könne.113 b) Stellungnahme Wendet man die bisher im Schrifttum entwickelten Kriterien zur Abgrenzung von Tarif- und Unternehmensautonomie auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt an, wird deutlich, dass sie zumeist zum Ergebnis führen, dass auch die Standortpolitik des Arbeitgebers zur Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien zählt: Die Sachnähe zu den Arbeitsbedingungen liegt vor, da das Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer im Fall einer Standortverlagerungsentscheidung besonders groß ist und man daher auch von einer intensiven Auswirkung auf die Bedingungen, unter denen abhängige Arbeit geleistet wird, sprechen kann. Darüber hinaus kann man bei Standortentscheidungen – wie bereits festgestellt wurde114 – von einem unmittelbaren Bezug zu den Arbeitsbedingungen ausgehen, da die Verlagerung zwangsläufig mit einer Betriebsschließung verbunden ist, welche betriebsbedingte Kündigungen nach sich ziehen wird. Dem LAG Hamm115 ist zu widersprechen, dass sich soziale und wirtschaftliche Seite bei unternehmerischen Standortverlagerungsentscheidungen trennen ließen. Zwischen der betrieblichen Maßnahme der Standortverlagerung und dem Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen besteht ein untrennbarer Zusammenhang. Im Gegensatz zur Standortdrohung steht der Verlagerungsbeschluss in diesem Fall fest, so dass der Verlust der Arbeitsplätze greifbar ist. Durch den Abschluss eines Standortsicherungstarifvertrags wird daher die Ursache betriebsbedingter Kündigungen „quasi an ihrer Wurzel gepackt“ 116. Von der Unternehmerentscheidung als abtrennbarer Frage, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4R bei der Bewertung einer streikbewehrten Forderung nach Abschluss eines Tarifsozialplans. 112 Löwisch, DB 2005, 554 (557). 113 In diesem Sinne Hohenstatt/Schramm, DB 2004, 2214 (2216); Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (60 f.); ähnlich auch Krause, Standortsicherung, S. 60 f. 114 Siehe Kapitel 3 A. II. 2. e). 115 LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 3R. 116 So treffend Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49 (51).

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die sich nicht zwangsläufig auf die Stellung der Beschäftigten im Betrieb auswirken müsse, kann man daher nicht sprechen.117 All dies deutet darauf hin, unter Rückgriff auf Art. 12 Abs. 1 GG keine Einschränkungen der tariflichen Zuständigkeit vorzunehmen, obwohl es sich bei Standortentscheidungen des Arbeitgebers um eine unternehmerische Grundlagenentscheidung handelt. Einige Autoren aus dem Schrifttum gelangen dennoch zu einem abweichenden Ergebnis, indem sie auf die Unantastbarkeit bestimmter unternehmerischer Grundlagenentscheidungen und einen originären Zuständigkeitsbereich des Unternehmers verweisen, dem auch Standortzusagen zuzuordnen seien.118 Diese Beschränkung der tarifvertraglichen Zuständigkeit unter Rückgriff auf einen Kernbereich unternehmerischer Dispositionsbefugnis soll dem Umstand Rechnung tragen, dass das wirtschaftliche Risiko unternehmerischer Betätigung ausschließlich vom Arbeitgeber getragen wird und er die grundlegende Richtung des Unternehmens selbst bestimmen können muss.119 Es wurde bereits festgestellt, dass eine „generelle Mitunternehmerschaft“ der Gewerkschaften mit dem Schutzzweck von Art. 9 Abs. 3 GG nicht zu vereinbaren ist.120 Insoweit bedarf es eines Rückgriffs auf Art. 12 Abs. 1 GG jedoch nicht. Unternehmerentscheidungen, die keinen Bezug zum Arbeitsverhältnis aufweisen, sind vom Schutzbereich der Koalitionsbetätigungsfreiheit nicht umfasst. Ein tariffreier Bereich unternehmerischer Dispositionsbefugnis wird also bereits durch ein Verständnis des Begriffs der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gewährleistet, welches beide Begriffe als funktionale Einheit betrachtet. Die Wertungen der Berufsfreiheit der Arbeitgeber können allerdings gegen die extensive Interpretation von der sachlichen Reichweite der Tarifautonomie angeführt werden, nach der sämtliche Unternehmerentscheidungen der Zuständigkeit der Koalitionen unterliegen sollen,121 ins Feld geführt werden. Fraglich ist jedoch, wie weit die Tarifautonomie in der Grauzone zur Berufsfreiheit sachlich reicht, unter welchen Voraussetzungen auch das „Ob“ der unternehmerischen Grundlagenentscheidung der tarifvertraglichen Regelungszuständigkeit unterliegt oder trotz eines unmittelbaren Bezugs zu den Arbeitsbedingungen Einschränkungen geboten erscheinen. Methodisch ist diese Abgrenzung der Schutzbereiche von Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 12 Abs. 1 GG danach auszurichten, dass beide Grundrechtsgewährleis117

Siehe hierzu bereits Kapitel 3 A. II. 2. e). Siehe stellvertretend Bayreuther, Tarifautonomie, S. 271 ff.; Beuthien, ZfA 1984, 1 (14 f.); Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (558 ff.); Löwisch, DB 2005, 554 (556 f.); Meyer-Krenz, Erweiterung, S. 98; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 198 ff.; Rieble, ZfA 2004, 1 (20); Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (415); Wiedemann, RdA 1986, 231 (232). 119 Vgl. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 273. 120 Siehe Kapitel 3 A. II. 2 e). 121 Siehe hierzu Kapitel 3 A. II. 1. 118

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

tungen bestmöglich zur Entfaltung gelangen. Dieses Prinzip praktischer Konkordanz122 ist nicht nur bei Grundrechtskollisionen heranzuziehen, sondern erscheint ebenso geeignet, den Weg für die hier zu lösende Frage nach der Reichweite von vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten zu weisen.123 Das Recht des Unternehmers, seinen Betrieb zu verkleinern, zu schließen oder an einen anderen Ort zu verlagern und die Aufgabe der Koalitionen, eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens zu gewährleisten, sind also in angemessenen Ausgleich zu bringen. Ist der Kernbereich (oder anders ausgedrückt der Wesensgehalt) nur eines der einschlägigen Grundrechte berührt, genießt dieses Vorrang, da es einer Abwägung im Sinne praktischer Konkordanz nicht mehr zugänglich ist.124 Ansonsten bestünde die Gefahr, dass das Grundrecht gänzlich leer liefe. Die These vom Kernbereich der Unternehmerfreiheit stellt gerade darauf ab, dass der Wesensgehalt dieser verfassungsrechtlich geschützten Freiheiten durch eine Einräumung gewerkschaftlicher Befugnisse angetastet wird. Es mag zunächst verwundern, dass viele Autoren bereits bei der Bestimmung des Schutzbereichs von Art. 9 Abs. 3 GG auf die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen tariflicher Regelbarkeit und Erstreikbarkeit hinweisen. Dies macht jedoch einen ersten, wichtigen Aspekt offensichtlich: Während der Arbeitgeber beim konsensualen Tarifvertragsabschluss die Unternehmerentscheidung freiwillig mit in die Hände der Gewerkschaft legt, wird beim Arbeitskampf versucht, sie ihm unter Streikdruck aus den Händen zu reißen. Diese Argumentation, welche auf eine Differenzierung zwischen Tarifvertrags- und Arbeitskampffreiheit hinausläuft, soll an dieser Stelle noch nicht abschließend bewertet werden.125 Dennoch weist sie darauf hin, dass der Tarifvertragsfreiheit bei Tarifvertragsverhandlungen ohne einen Einsatz von Arbeitskampfmitteln mehr Raum im Verhältnis zur Berufsfreiheit der Arbeitgeber belassen werden könnte, als dies möglicherweise bei einer streikbewehrten Forderung der Fall wäre. Die Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung weist auf eine differenzierte Beurteilung hin. Gestützt wird diese Vermutung, wenn man dem Verständnis zugeneigt ist, dass der Wesensgehaltskern für jedes Grundrecht isoliert, aus seiner besonderen Bedeutung im Gesamtsystem der Grundrechte und für jeden Fall gesondert zu er-

122 Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 72; Lerche, in: HdBStR, Band V, § 122 Rn. 10; zur Geschichte und Kritik an dieser Rechtsfigur Fischer-Lescano, KJ 2008, 166 ff. 123 Vgl. BAG v. 3.4.1990 – 1 AZR 123/89, BAGE 64, 284 (295); LAG Hamm v. 31.5.2000 –18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 3R; Beuthien, ZfA 1984, 1 (11 f.); Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 224 f.; Dieterich, RdA 2002, 1 (9); Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 1 (3 ff.); Kühnast, Grenzen, S. 47; Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 133; Zachert, DB 2001, 1198 (1200); zustimmend trotz Kritik auch Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1024); a. A. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 336 f. 124 Vgl. Halfmann, NVwZ 2000, 862 (865). 125 Siehe hierzu ausführlich in Kapitel 3 C. II. und III.

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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mitteln sei.126 Dies deutet darauf hin, dass der Kernbereich der Berufsfreiheit im Verhältnis zur Tarifautonomie keine „starre“ Schnittlinie bildet und Vorsicht geboten ist, bestimmte Entscheidungen generell aus dem Zuständigkeitsbereich der Koalitionen auszuschließen. Vielmehr ist eine Lösung auch danach auszurichten, auf welchem Weg Gewerkschaften versuchen, mit den bestehenden Mitteln des Tarifvertrags- und Arbeitskampfrechts Einfluss zu nehmen. Dabei gilt es bei der hier zu entscheidenden Problematik zu bedenken, dass es ausschließlich um die kompetenzielle Frage der Regelungszuständigkeit geht. Den Tarifvertragsparteien das Recht zu gewähren, Einfluss auf unternehmenspolitische Fragen zu nehmen, muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass Gewerkschaften auch die Befugnis zukommt, Tarifverträge jeglichen Umfangs zu vereinbaren oder einen Streik um entsprechende Forderungen führen zu dürfen. Entscheidend kommt hinzu, dass der Ausschluss der Regelungszuständigkeit unter Rückgriff auf Art. 12 Abs. 1 GG der Berufsfreiheit der Arbeitgeber keineswegs zur Geltung verhelfen würde. Das Gegenteil wäre vielmehr der Fall. Würde man den Tarifvertragsparteien bereits ihre Zuständigkeit zur Regelung der Unternehmerentscheidung generell verweigern, würde dies vielfach die rechtstatsächliche Wirklichkeit verkennen. Tarifliche Bündnisse, die darauf abzielen, dass der Arbeitgeber seine Entscheidungsfreiheit unter tarifvertragliche Einflussnahme stellt, um so im Gegenzug in den Genuss eines Lohnverzichts der Arbeitnehmerseite zu gelangen, wären zwangsläufig unzulässig. Solche Tarifvertragsregelungen sind auch aus Unternehmersicht in vielen Fällen ein sinnvolles und unverzichtbares Mittel der Tarifpolitik, insbesondere wenn eine wirtschaftliche Notlage vorliegt. Eine Begrenzung der tariflichen Regelungszuständigkeit würde so zwangsläufig mehr zur Einschränkung unternehmerischer Betätigungsfreiheit führen, als ihr zur Geltung zu verhelfen. Solche tarifvertragliche Optionen in Form von Standortsicherungsvereinbarungen können den Fortbestand von Unternehmen gerade gewährleisten, so dass auch die Arbeitgeberseite ein eigenes Interesse an solchen Regelungen hat. Auch dies ist bei der Bestimmung eines Wesensgehaltskerns der Berufsfreiheit im Verhältnis zur Tarifautonomie bei der Frage nach der tariflichen Regelungszuständigkeit zu beachten. Das Ergebnis einer Abgrenzung der Schutzbereiche von Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 12 Abs. 1 GG darf also nicht dazu führen, den Tarifvertragsparteien den Zugriff auf Fragen der unternehmerischen Standortpolitik gänzlich zu verwehren. Die Einwände aus dem Schrifttum sind vielmehr erst unter dem Aspekt der Auflösung einer Grundrechtskollision zu berücksichtigen, wenn eine Bindung des Arbeitgebers gegen

126 In diesem Sinne BVerfG v. 18.7.1967 – 2 BvF 3/62 u. a., BVerfGE 22, 180 (219); Alexy, Grundrechte, S. 271 ff.; ErfK-Dieterich, GG, Einl. Rn. 66; Drews, Wesensgehaltsgarantie, S. 294 ff.; Maunz/Dürig-Remmert, GG, Art. 19 Abs. 2 Rn. 36 ff. m.w. N.; a. A. Herzog, in: FS Zeidler, S. 1415 (1423 ff.); Jarass/Pieroth-Jarass, GG, Art. 19 Rn. 9 m.w. N.; Stern, Staatsrecht, Band III/2, S. 874 ff.

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

seinen Willen erzielt werden soll, können jedoch nicht schon bei der Eröffnung der tarifvertraglichen Zuständigkeiten zu Einschränkungen führen.127 Somit verbleibt die Frage, welche Funktion einer an Art. 12 Abs. 1 GG orientierten Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG bei der Bestimmung der tarifvertraglichen Regelungszuständigkeit überhaupt zukommt, wenn man den Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen als funktionale Einheit begreift. Obgleich die bisherigen auf die Beurteilung von tariflichen Standortzusagen des Arbeitgebers beschränkten Überlegungen, bei welchen ein unmittelbarer Zusammenhang zu den Arbeitsbedingungen zugrunde gelegt wurde, etwas anderes vermuten lassen, kann ein Rückgriff auf Art. 12 Abs. 1 GG in einigen Fällen durchaus bedeutsam sein: Andernfalls wäre es denkbar, einen Bezug zum Arbeitsverhältnis insoweit zu konstruieren, als dass sich unternehmerische Entscheidungen stets zumindest mittelbar auf die Bedingungen, unter denen abhängige Arbeit geleistet wird, auswirken könnten und dies weit reichende tarifvertragliche Einflussnahmemöglichkeiten eröffnen würde.128 Viele Stellungnahmen im Schrifttum lassen nicht erkennen, ob der Ausschluss der Regelungszuständigkeit hinsichtlich bestimmter unternehmerischer Grundlagenentscheidungen, die sich lediglich mittelbar auf die Stellung der Beschäftigten auswirken, schon anhand einer Subsumtion unter den Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen begründet wird oder erst eine Auslegung im Lichte der unternehmerischen Freiheitsrechte dies zwingend gebiete.129 Wollte man unternehmerische Grundlagenentscheidungen wie die Investitionsoder Preispolitik nicht bereits anhand einer begrifflichen Auslegung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen aus dem sachlichen Zuständigkeitsbereich ausschließen, führt eine Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG zu diesem Ergebnis. Unternehmerische Entscheidungen, die sich nur über eine Reaktion des Marktes mittelbar auf die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auswirken, unterliegen nicht dem Zugriffsrecht der Gewerkschaften. Die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zählt gerade nicht zum Aufgabenbereich der Tarifvertragsparteien,130 auch wenn es aus gewerkschaftlicher Sicht oftmals sinnvoll erscheinen mag, an solchen grundlegenden, unternehmenspolitischen Entscheidungen beteiligt zu werden, um restrukturierungsbedingtem Personalabbau aufgrund strategischer Fehler der Geschäftsführung vorzubeugen. Den Gewerkschaften ist es somit verwehrt, die Umsetzung der 127

So auch die Wertung von Krause, Standortsicherung, S 64. Vgl. die Argumentation von Däubler-Hensche, TVG, § 1 Rn. 831. 129 So auch die Wahrnehmung von Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 237; Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 9 Rn. 257. 130 Vgl. Beuthien, ZfA 1984, 1 ff. 128

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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Standorterhaltung, also etwa die Frage, welches Produkt am Standort produziert wird und welche Investitionen der Arbeitgeber tätigen soll, auf tariflicher Ebene aufzugreifen, zum Inhalt einer Regelung oder eines Arbeitskampfes zu machen. Diese Aufgabe obliegt der autonomen Entscheidung des Arbeitgebers. 3. Zwischenergebnis Bei unternehmerischen Standortentscheidungen kommt einer Auslegung des Begriffs der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG keine entscheidende Bedeutung zu. Einer Korrektur des anhand einer begriffsorientierten Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG ermittelten Ergebnisses bedarf es im Fall unternehmerischer Standortpolitik nicht. Art. 12 Abs. 1 GG steht der tariflichen Regelungszuständigkeit nicht entgegen.

IV. Verfolgung beschäftigungspolitischer Ziele als Einwand Das Ziel der Standortsicherung durch Tarifvertrag lenkt den Blick auf die Frage, inwieweit es den Tarifvertragsparteien möglich ist, durch Tarifvertrag beschäftigungsmotivierte Regelungen zu treffen.131 Insbesondere im Zuge der Tarifauseinandersetzung um die „35-Stunden-Woche“ wurde im Schrifttum diskutiert, ob eine tarifliche Regelungszuständigkeit im Bereich der Beschäftigungspolitik gegeben sei, da die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ausschließlich die Aufgabe des Staates sei.132 Dieser Einwand, welcher auf die Zielrichtung und Motivation, eine bestimmte Sachfrage aufzugreifen, abstellt, führt bei der hier zu beurteilenden Problemstellung ebenfalls nicht zu einem abweichenden Ergebnis und bietet keinen Ansatzpunkt für eine Eingrenzung der tariflichen Regelungszuständigkeit für Standortfragen: Im Fall einer Standortzusage als Tarifforderung steht der Erhalt der Arbeitsplätze eines bestimmten Betriebes im Mittelpunkt der gewerkschaftlichen Motivation. Dies ist eine Frage der Beschäftigungssicherung und stellt keine vom Ziel der Beschäftigungspolitik geleitete Maßnahme der Tarifvertragsparteien dar. Selbst Rieble133, der ein beschäftigungspolitisches Mandat der Tarifvertragsparteien grundsätzlich ablehnt, gesteht den Koalitionen zu, beim Schutz vor Entlas131 Vgl. Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 130 ff.; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 159 ff.; Zachert, DB 2001, 1198 (1199). 132 Ablehnend gegenüber einem beschäftigungspolitischen Mandat der Tarifvertragsparteien Buchner, DB 1990, 1715 (1717); Rieble, ZTR 1993, 54 ff.; Zöllner, DB 1989, 2121; a. A. Däubler, DB 1989, 2534 ff.; Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 1 (5 f.); Kempen, in: FS Hanau, S. 529 ff.; Waltermann, NZA 1991, 754 ff. m.w. N. 133 Rieble, ZTR 1993, 54 (60).

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

sungen (auch) beschäftigungspolitische Motive zu verfolgen. Dies zeigt, dass das Problem des beschäftigungspolitischen Mandats der Tarifvertragsparteien bei den hier zu untersuchenden Tarifklauseln nicht von Bedeutung ist. Selbst wenn man beschäftigungspolitische Ziele aus dem Zuständigkeitsbereich der Koalitionen ausklammern wollte, ließe sich damit sowohl für die tarifliche Standortzusage als auch für den Tarifsozialplan als Regelungsziel keine Einschränkung der tarifvertraglichen Zuständigkeit begründen.134 Die hier vertretene Auffassung vom Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen legt es jedoch nahe, eine solche Einschränkung der tariflichen Zuständigkeit generell zu verwerfen.135

V. Abgrenzung zum Recht der Unternehmensmitbestimmung Das Verhältnis von Unternehmern und dem Arbeitnehmerkollektiv bestimmt sich nicht nur anhand einer Abgrenzung von Tarifautonomie und verfassungsrechtlich geschützten unternehmerischen Freiheitsrechten, sondern auch anhand einfachgesetzlicher Regelungen, wie etwa dem Recht der Unternehmensmitbestimmung. Diese Vorschriften zielen darauf ab, die Arbeitnehmer an der Unternehmensführung zu beteiligen, indem die Organe des Unternehmens mit Arbeitnehmervertretern besetzt werden.136 Aus diesen einfachgesetzlichen Vorschriften könnte sich ähnlich der These einer sperrenden Wirkung der §§ 111 ff. BetrVG bei Tarifsozialplänen137 eine Einschränkung der tariflichen Zuständigkeit zur Vereinbarung von Standortzusagen ergeben. Dazu müsste die Aufgabe, Regelungen bezüglich der unternehmerischen Standortpolitik zu treffen, durch einfachgesetzliche Ausgestaltung der Tarifautonomie abschließend den Mitbestimmungsgremien zugewiesen worden sein. Vereinzelte Stimmen aus dem älteren Schrifttum nehmen dies an.138 Der Gesetzgeber habe auf diesem Weg indirekt bestätigt, dass eine Regelung von Fragen der Unternehmensführung nicht von der Tarifautonomie umfasst sei.139 Ließe man eine tarifvertragliche Regelung oder gar einen Streik über solche Fragen zu, würden grundlegende Wertungen des Mitbestimmungsrechts konterkariert.140

134 Vgl. Cherdron, Sozialplanvereinbarung, S. 427 (466); Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 166. 135 Siehe hierzu Waltermann, NZA 1991, 754 ff. 136 Zu den Grundlagen siehe Brox/Rüthers/Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 1030 ff.; Edenfeld, Arbeitnehmermitbestimmung, § 12; Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 898. 137 Siehe hierzu Kapitel 4 A. II. 138 Vgl. Beuthien, ZfA 1984, 1 (4); Koller, ZfA 1978, 45 (57); Vollmer, DB 1979, 355; dens., JA 1978, 53 (55); dens., Entwicklung, S. 209 ff. 139 Koller, ZfA 1978, 45 (57). 140 Beuthien, ZfA 1984, 1 (4).

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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Darauf lässt sich entgegnen, dass durch die einfachgesetzliche Regelung der Unternehmensmitbestimmung die Tarifautonomie nicht eingeschränkt werden soll. Mag es aus Sicht der Unternehmer zwar im Einzelfall als Beschränkung unternehmerischer Dispositionsfreiheit erscheinen, nicht nur der tariflichen, sondern zusätzlich auch der mitbestimmungsrechtlichen Beteiligung der Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsrat und Betriebsrat „ausgesetzt“ zu sein, lässt sich dieses Ergebnis nicht dadurch korrigieren, die tarifvertraglichen Zuständigkeit unter Rückgriff auf das Recht der Unternehmensmitbestimmung zu begrenzen. Dazu bedürfte es einer gesetzlichen Regelung, welche die Tarifautonomie in zulässiger Weise einschränkt oder ausgestaltet. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, wäre dies in den Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung zum Ausdruck gekommen.141 Das BVerfG142 hat im Mitbestimmungsurteil zutreffend festgestellt, dass die Regelungen der Unternehmensmitbestimmung die Koalitionsbetätigungsfreiheit nicht berühren und das bestehende Tarifsystem durch das Mitbestimmungsgesetz rechtlich nicht verändert worden sei. Aus der historischen Entwicklung der Arbeitnehmermitbestimmung lässt sich vielmehr ableiten, dass eine Zweigleisigkeit von Tarifautonomie und Unternehmensmitbestimmung dem gesetzgeberischen Wertungsmodell entspricht.143 Betriebliche und unternehmensbezogene Mitbestimmung, die auf eine kooperative Konfliktlösung ausgerichtet sind, werden auf überbetrieblicher Ebene durch das Tarifvertragsrecht ergänzt. Dies bedeutet, dass sich aus der Unternehmensmitbestimmung keine „Tarifsperre“ für eine Vereinbarung von Standortzusagen ableiten lässt.144 Zwar ist es denkbar, dass im Aufsichtsrat ein Verlagerungsbeschluss gefasst wird, dies schränkt die Zuständigkeiten der Tarifvertragsparteien jedoch nicht ein.

VI. Zwischenergebnis Die unternehmerische Standortpolitik unterliegt der Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien. Die Vereinbarung von Standortzusagen ist vom Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG umfasst, da sich diese Sachmaterie unter den Doppelbegriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen subsumieren lässt. Weder unter Rückgriff auf Art. 12 Abs. 1 GG oder das Recht der Unternehmensmitbestimmung, noch mit der Argumentation, dass die Tarifvertragsparteien keine beschäftigungspolitischen Zielsetzungen verfolgen dürften, lässt sich eine Einschränkung ihrer Zuständigkeiten begründen. 141

Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 62. BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (370 ff.). 143 Vgl. Beck, AuR 1981, 333 (339); Kempen, AuR 1980, 193 (197); Weyand, Mitbestimmung, S. 134 f. 144 So im Ergebnis auch Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 61; Kempen/Zachert-Kempen, TVG, Grundl. Rn. 177 ff.; Krause, Standortsicherung, S. 65; Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 109; Weyand, Mitbestimmung, S. 132 ff. 142

140

Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

B. Tarifliche Regelungsbefugnis Damit die tarifliche Regelbarkeit einer Standortzusage des Arbeitgebers gegeben wäre, müssten die Tarifvertragsparteien befugt sein, diese Sachfrage einer tarifvertraglichen Regelung zuzuführen.145 Somit stellt sich die Frage, ob sie die unternehmerische Standortpolitik nicht nur aufgreifen, sondern auch im Tarifvertrag regeln können.

I. Einordnung in die Normenarten des § 1 Abs. 1 TVG Eine tarifliche Regelung kann im normativen oder schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags erfolgen.146 Während bei einer normativen Regelung gesetzesgleich auf die Arbeitsverhältnisse durch Tarifvertrag eingewirkt wird, werden im schuldrechtlichen Teil lediglich Rechte und Pflichten vereinbart.147 Im Gegensatz zu Vereinbarungen im schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags wirken Tarifnormen gemäß § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend auf die von ihnen erfassten Arbeitsverhältnisse. Abweichungen können gemäß § 4 Abs. 3, 2. Fall TVG nur zugunsten der Arbeitnehmer vereinbart werden (sog. Günstigkeitsprinzip148). Standortzusagen des Arbeitgebers wären jedenfalls normativ regelbar, wenn sie als Inhalts-, Abschluss-, Beendigungsnorm, bzw. als Betriebsnorm oder betriebsverfassungsrechtliche Norm gemäß § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG qualifiziert werden könnten.149 Eine Einordnung als Individualnorm scheidet aus, weil nicht der Inhalt, die Beendigung oder der Abschluss von Arbeitsverhältnissen, sondern vielmehr die zugrunde liegende unternehmerische Standortentscheidung geregelt werden soll.150 Fragen des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses werden durch 145

Siehe Kapitel 3 A. I. So die geläufige Unterscheidung im Schrifttum, vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 538; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 364 ff.; Fuchs/Reichold, Tarifvertragsrecht, Rn. 60; Kempen/Zachert-Zachert, TVG, § 1 Rn. 59. Kritisch Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 856, der stattdessen die Bezeichnung als „normative und schuldrechtliche Bestandteile“ des Tarifvertrags vorzieht. 147 Kempen/Zachert-Zachert, TVG, § 1 Rn. 59. 148 Siehe hierzu Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 604 ff. 149 Vgl. BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (994). 150 Vgl. Buchner, DB 2001, Beil. 9, 1 (9); Cherdron, Sozialpartnervereinbarungen, S. 431; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 34 f.; Krause, Standortsicherung, S. 56 f.; Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 62; Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 114; Meyer, ZTR 2005, 394 (399); Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 198; Rieble, ZfA 2004, 1 (21); Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (415); a. A. Stark, Verfassungsfragen, S. 18 f., der eine Bindung unternehmerischer Entscheidungen in Form einer Inhaltsnorm zulassen will, aber eingesteht, dass die abstrakte Regelung des TVG keine „befriedigende Grundlage“ für dieses Ergebnis biete. 146

B. Tarifliche Regelungsbefugnis

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eine solche tarifliche Regelung nicht direkt berührt.151 Es fehlt am erforderlichen, rechtlichen Bezug zum einzelnen Arbeitsverhältnis.152 Unternehmenspolitische Entscheidungen des Arbeitgebers können demnach nicht zum Inhalt einer normativ wirkenden Individualnorm gemacht werden.153 Standortzusagen des Arbeitgebers können auch nicht als Betriebsnorm qualifiziert werden. Trotz der Unklarheit über den Begriff der Betriebsnorm154 gemäß §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2 TVG wird von ihm nur eine Regelung solcher Fragen erfasst, die sich im Betrieb stellen und die Existenz des Betriebs als sachlich-organisatorische Einheit voraussetzen.155 Ihr Inhalt ist auf Regelungen zu beschränken, die sich unmittelbar aus der Organisationsgewalt des Arbeitgebers im Bezug auf den Betrieb ergeben.156 Die unternehmerische Entscheidung, ob ein Betrieb verlagert werden soll oder am Standort weiter produziert wird, ist davon nicht umfasst.157 Eine Erweiterung des Begriffs der Betriebsnorm über den „Umweg“ der §§ 111 ff. BetrVG kommt ebenfalls nicht in Betracht,158 was zudem nur bei einer Regelung der sozialen Folgen einer Unternehmerentscheidung weiterhelfen würde. Ferner scheidet eine Regelung als betriebsverfassungsrechtliche Norm gemäß §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2 TVG aus. Dies würde nach einer extensiveren Sichtweise voraussetzen, dass die tarifliche Regelung die Rechtstellung der Arbeitnehmer im Betrieb oder ihrer Organe unmittelbar betrifft.159 Nach einer restriktiveren Lesart soll eine solche Norm nur dann vorliegen, wenn die tarifliche Regelung die Einrichtung und Organisation der Betriebsvertretung sowie deren Befugnisse und Rechte berührt.160 Unter beide Definitionen lassen sich Standortzusagen nicht subsumieren. Eine betriebsverfassungsrechtliche Norm setzt die Existenz eines Betriebs voraus, die 151

Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 62. Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 198. 153 Ebenso Löwisch, DB 2005, 554 (556), Rieble, ZfA 2004, 1 (21). 154 Vgl. hierzu ErfK-Franzen, TVG, § 1 Rn. 45 ff.; Krause, in: Jacobs/Oetker/ Krause, Tarifvertragsrecht, § 4 Rn. 69 ff., jeweils m.w. N. 155 Vgl. Greiner, NZA 2008, 1274 (1278); Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 105 ff. 156 Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 738. 157 Ebenso Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 432; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 35 ff.; Krause, Standortsicherung, S. 57; Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 63. 158 Rieble, ZfA 2004, 1 (21); zustimmend Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 431. 159 Vgl. BAG v. 23.2.1988 – 3 AZR 300/86, AP Nr. 17 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 754. 160 ErfK-Franzen, TVG, § 1 Rn. 48; HWK-Henssler, TVG, § 1 Rn. 53; Hromadka/ Maschmann, Arbeitsrecht, Band 2, Rn. 27; Krause, in: Jacobs/Oetker/Krause, Tarifvertragsrecht, § 4 Rn. 77; Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 333; Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 601; grundlegend Giesen, Rechtsgestaltung, S. 334 ff. 152

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

durch eine solche Zusage erst gesichert werden soll.161 Hier handelt es sich vielmehr um eine Zusicherung des Arbeitgebers in seiner Funktion als Unternehmer, welche den Fortbestand des Betriebs gegenüber einer Standortverlagerung als Betriebsänderung erhalten soll, und nicht um die Organisation der Betriebsvertretung oder eine Regelung, die den Arbeitnehmer als Mitglied der Belegschaft betrifft, wie es bei einer Erweiterung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates der Fall wäre. Eine Subsumtion von Zusagen des Arbeitgebers, den Standort nicht zu verlagern, unter den Regelungskatalog des § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG scheidet somit aus.162

II. Abschließender Charakter des TVG Lässt sich der Regelungswunsch nach einer tariflichen Bindung der unternehmerischen Standortentscheidung nicht unter den Tatbestand des § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG einordnen, stellt sich daran anknüpfend die Frage, ob diese Norm als abschließende Ausgestaltung der Normsetzungsbefugnis zu verstehen ist, so dass Standortzusagen keinesfalls Eingang in den normativen Teil eines Tarifvertrags finden könnten, oder unmittelbar, sozusagen erweiternd, auf Art. 9 Abs. 3 GG zurückgegriffen werden darf, um die Reichweite der Normsetzungsbefugnis zu bestimmen. 1. Meinungsstand Ein Großteil des Schrifttums zieht ausschließlich § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG heran, um den Umfang der tariflichen Normsetzungsbefugnis zu bestimmen.163 In dieser Vorschrift sei die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Normsetzungsbefugnis zu sehen.164 Hätte der Gesetzgeber den Regelungskatalog als beispielhafte 161

Krause, Standortsicherung, S. 57. So im Ergebnis auch Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 432; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 38 m.w. N. in Fn. 33; Kaiser, in: Heinrich (Hrsg.), Krisen im Aufschwung, S. 65 (68); Krause, Standortsicherung, S. 57. 163 Vgl. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 122; Beuthien, ZfA 1983, 141 (159 f.); Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 143; Diehn, Rückkehrzusagen, S. 86; Fuchs/Reichold, Tarifvertragsrecht, Rn. 160; HK-ArbR-Hensche, Art. 9 GG Rn. 82; Herschel, ZfA 1973, 183 (186 ff.); Hölters, Harmonie, S. 108; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht, Band 2, S. 40; Krause, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 1 Rn. 33; Lieb/ Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 564; Löwisch/Rieble, TVG, Grundl. Rn. 23; MünchArbRdies., 2. Aufl., § 246 Rn. 53; Loritz, Tarifautonomie, S. 67; Maschmann, Tarifautonomie, S. 247 ff.; Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 214; Reuter, ZfA 1990, 535 (548); Rieble, ZfA 2004, 1 (21); dens., ZTR 1993, 54 (55); dens., RdA 1993, 141 (145); Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 100 ff.; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 334; wohl auch Brox/Rüthers/Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 673 ff. 164 Loritz, Tarifautonomie, S. 67; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 102. 162

B. Tarifliche Regelungsbefugnis

143

Aufzählung normieren wollen, wäre dies in der Vorschrift deutlicher zum Ausdruck gekommen.165 Es käme einer Entwertung der tariflichen Regelbarkeit als Arbeitskampfvoraussetzung gleich, wenn diese nicht ausschließlich anhand des TVG bestimmt werde.166 Ferner gehe mit einer tariflichen Regelung regelmäßig ein Eingriff in Grundrechte Dritter einher, für die gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG eine Ermächtigung durch Gesetz zu fordern sei.167 Die Gegenansicht168 betrachtet hingegen den Regelungskatalog des § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG als rein deklaratorische Aufzählung, die nicht abschließend für die Bestimmung des Umfangs der tariflichen Rechtsetzungsbefugnis sei. Stattdessen greift man unmittelbar auf Art. 9 Abs. 3 GG zurück. Begründet wird dies damit, dass das TVG älter als das GG sei, so dass dem Gesetzgeber kein abschließender Regelungswille unterstellt werden dürfe und somit § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG nicht als Ausgestaltung der Normsetzungsbefugnis verstanden werden dürfe.169 Ein Großteil des Schrifttums und der Rechtsprechung bezieht zu dieser Frage bei der Bestimmung des tariflich Regelbaren nicht ausdrücklich Stellung, so dass lediglich aus der Vorgehensweise der Prüfung abgeleitet werden kann, welchem Verständnis man zugeneigt ist. Vielfach bleibt jedoch unklar, anhand welcher Vorschrift die gegenständliche Reichweite der Normsetzungsbefugnis nun bestimmt wird.170 Dieses Bild setzt sich bei der Beurteilung des Spielraumes für normativ wirkende Tarifregelungen mit standortsichernden Inhalten fort. Während teilweise unmittelbar auf Art. 9 Abs. 3 GG zurückgegriffen wird,171 ziehen andere Autoren und Gerichte § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG heran, um den Umfang der Normsetzungsbefugnis zu bestimmen172. Scheinbar wahlweise wird auf Art. 9 165

Löwisch/Rieble, TVG, Grundl. Rn. 23; MünchArbR-dies., 2. Aufl., § 246 Rn. 53. Rieble, ZTR 1993, 54 (55). 167 Löwisch/Rieble, TVG, Grundl. Rn. 23. 168 Birk, AuR 1977, 235 (236); Däubler, ZfA 1973, 201 (213 ff.); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 539 f.; Misera, Tarifmacht, S. 20 ff.; Weyand, AuR 1991, 65 ff.; Zachert, DB 2001, 1198 (1200). 169 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 540; Misera, Tarifmacht, S. 20 f.; Zachert, DB 2001, 1198 (1200). 170 Vgl. etwa BAG v. 28.6.2001 – 6 AZR 114/00, AP Nr. 24 zu § 611 BGB Arbeitszeit; BAG v. 3.4.1990 – 1 AZR 123/89, BAGE 64, 284 (292 ff.). 171 Vgl. ArbG Frankfurt am Main v. 15.3.2005 – 5 Ca 4542/04 (juris) unter II. 2. b) aa) der Entscheidungsgründe; Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 121; Wolter, RdA 2002, 218 (219); Oberberg/Schoof, AiB 2002, 169 (171); wohl auch Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1022 f.). 172 LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 3; LAG Niedersachsen v. 2.6.2004 – 7 Sa 819/04, AP Nr. 164 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 5R; undeutlicher BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (994), das zwar auf § 1 Abs. 1 TVG abstellt, jedoch anscheinend der Ansicht zugeneigt scheint, diese Vorschrift nicht abschließend anzusehen (siehe den Wortlaut der Entscheidung unter III. 2. a) bb): „Tariflich regelbar sind jedenfalls solche Ziele, die sich den in § 1 Abs. 1 TVG aufgeführten möglichen Gegenständen von Rechtsnormen eines Tarifvertrags zuordnen lassen.“ Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 34 ff., 94 ff., 109 ff.; Lobinger, 166

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

Abs. 3 GG und § 1 TVG zurückgegriffen – was durchaus schlüssig wäre, wenn man einer verfassungskonformen Auslegung des TVG als Lösungsweg zugeneigt ist, um erweiternd auf Art. 9 Abs. 3 GG abzustellen.173 Zudem entspricht es der Trennung zwischen Regelungszuständigkeit und -befugnis zunächst auf Art. 9 Abs. 3 GG abzustellen und erst dann zu klären, ob die Vereinbarung einer Tarifnorm zulässig ist.174 In vielen Fällen widerspricht die Vorgehensweise jedoch dem eingeschlagenen Lösungsweg: Zunächst wird auf § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG abgestellt,175 um später im Rahmen der Subsumtion doch auf Art. 9 Abs. 3 GG zurückzugreifen176. Wo die Grenzen des Umfangs der tariflichen Regelungsmacht verortet werden, bleibt offen. Insgesamt lässt sich trotz der Vielfalt der Begründungsansätze, da die Frage nach der sachlichen Reichweite der Normsetzungsbefugnis im Schrifttum oftmals mit dem komplexen Problem der Legitimation der Normsetzung im Tarifrecht verbunden wird, feststellen, dass die Rechtsprechung ebenso wie die Mehrzahl der Stimmen aus der Literatur überwiegend den Umfang der Normsetzungsbefugnis ausschließlich anhand der Vorschrift des § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG bestimmt.177 2. Stellungnahme Zunächst kann man festhalten, dass die Normsetzungsbefugnis nicht über den Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG hinausreichen kann. Diesbezüglich besteht auch im Schrifttum Einigkeit.178 Dies sagt im Umkehrschluss jedoch nichts über die Bedeutung des TVG im Verhältnis zu Art. 9 Abs. 3 GG bei der Bestimmung in: Rieble (Hrsg.), Zukunft, S. 55 (63, 75 f.); Seebacher, AiB 2006, 70 (71); Löwisch, DB 2005, 554 (556); Lelley/Sabin, FA 2004, 357 (359); Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (593); Gaul, RdA 2008, 13 (18); Paschke/Ritschel, AuR 2007, 110; Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47); Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 153; Krause, Standortsicherung, S. 56 f.; Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 117 ff.; Nicolai, SAE 2004, 240 (242 ff.); wohl auch Zabel, AiB 2005, 105 (107). 173 Vgl. dazu Krause, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 1 Rn. 33. 174 Siehe Kapitel 3 A. I. 175 Vgl. LAG Schleswig Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 7: „Welche Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen tarifvertraglich regelbar sind und damit auch durch einen Streik erkämpft werden können, hat der Gesetzgeber in Erfüllung seines aus Art. 9 Abs. 3 GG folgenden Regelungsauftrags in § 1 TVG festgelegt.“ 176 Vgl. LAG Schleswig Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 7: „Insoweit unterliegt es nach Auffassung der Kammer keinem Zweifel, dass auch derartige Qualifizierungsmaßnahmen Ausfluss der konkreten Ausgestaltung des Arbeits- und Wirtschaftslebens i. S. v. Art. 9 Abs. 3 GG sind.“. Ähnlich ArbG Lübeck v. 29.5.2001 – 6 Ga 21/01, AiB 2002, 122 (124). 177 Ebenso die Wahrnehmung von Dreyer, Gewinnbeteiligung, S. 144. 178 Siehe stellvertretend Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 539; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 31 ff. m.w. N.

B. Tarifliche Regelungsbefugnis

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des Umfangs der tariflichen Regelungsmacht aus. Entscheidend ist vielmehr, ob das TVG als abschließende Ausgestaltung der tariflichen Normsetzungsbefugnis anzusehen ist, welche die Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 GG in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise konkretisieren. Würde man dies ablehnen, müsste man zwangsläufig auf Art. 9 Abs. 3 GG zurückgreifen. Eine gewisse Nähe weist das Problem des Umfangs der tariflichen Normsetzung zur Frage nach ihrer Legitimation auf. Folgt man der Delegationstheorie179 wäre die Antwort hinsichtlich des Umfangs der Normsetzungsbefugnis vorgegeben: Der Staat hätte seine Aufgabe, im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Regelungen zu treffen, durch Normierung in § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG an die Tarifvertragsparteien übertragen. Art. 9 Abs. 3 GG hätte bei der Bestimmung des Umfangs der Normsetzungsbefugnis kein Gewicht. Dieser Lehre werden jedoch aus dem Schrifttum erhebliche Bedenken entgegengebracht, sie gilt als überholt.180 Auch das BAG181 ist mittlerweile von ihr abgerückt. Diese komplizierte und vieldiskutierte Frage nach der Legitimation der tariflichen Rechtsetzungsbefugnis soll an dieser Stelle nicht beantwortet werden, wird im Schrifttum doch zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die hier zu klärende Frage auch nach der heute vorherrschenden Theorie von der Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Tarifautonomie182, der Integrationstheorie183 und der Lehre vom staatlichen Geltungsbefehl 184 stellt.185 Diese Ansätze gehen ebenfalls davon aus, dass die Tarifautonomie der Ausgestaltung bedarf. Mit der Normierung des TVG hat der Gesetzgeber den Tarifvertragsparteien erst einen Ordnungsrahmen und das Gestaltungsmittel des Tarifvertrags zur Verfügung gestellt, damit sie ihre Koalitionsfreiheit ausüben können. So stellt sich die Frage nach 179 Vgl. BAG v. 15.1.1955 – 1 AZR 305/54, BAGE 1, 258 (264); BAG v. 23.3.1957 – 1 AZR 326/56, BAGE 4, 240 (251); BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 332/00, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme und Tarifvertrag; BAG v. 20.6.2001 – 4 AZR 295/00, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme und Tarifvertrag; BAG v. 4.4.2001 – 4 AZR 215/00, AP Nr. 9 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Band II/1, S. 339 ff.; Peters/Ossenbühl, Übertragung, S. 9 ff. 180 Vgl. Waltermann, in: FS Söllner, S. 1251 (1256 ff.); dens., ZfA 2000, 53 (65). 181 BAG v. 27.5.2004 – 6 AZR 129/03, BAGE 111, 8 ff. 182 In diesem Sinne BAG v. 25.2.1998 – 7 AZR 641/96, BAGE 88, 118 ff.; BAG v. 11.3.1998 – 7 AZR 700/96, BAGE 88, 162; BAG v. 24.4.2001 – 3 AZR 329/00, AP Nr. 243 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG v. 31.7.2002 – 7 AZR 140/01, AP Nr. 14 zu § 1 TVG Tarifverträge; Bayreuther, Tarifautonomie, S. 55 ff.; Dieterich, in: FS Schaub, 117 (121); Heinze, NZA 1991, 329 (330); Rieble, ZfA 2000, 5 (24); Maunz/ Dürig-Scholz, GG, Art. 9 Rn. 301. 183 So Biedenkopf, Grenzen, S. 71 ff.; Martens, Rechtsbegriff, S. 164; Weber, Koalitionsfreiheit, S. 24. 184 Vgl. Belling, ZfA 1999, 547 (558, 583 f., 587 ff.); Kirchhof, Rechtsetzung, S. 133 ff., 181 ff.; Waltermann, in: FS Söllner, S. 1251 (1263 ff.); zustimmend jüngst auch Schmiege, Organisationsstrukturen, S. 38 ff. 185 Ebenso Dreyer, Gewinnbeteiligung, S. 126; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 104.

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

dem Verhältnis von Art. 9 Abs. 3 GG und §§ 1, 4 TVG unabhängig von der Herleitung der Legitimation der Normsetzung. Auch von Kritikern der Delegationstheorie wird bei der Bestimmung der sachlichen Reichweite der Normsetzungsbefugnis auf das TVG zurückgegriffen.186 Es gilt somit zu ermitteln, ob § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG bezüglich der sachlichen Reichweite der Normsetzungsbefugnis abschließend zu verstehen ist und diese Lesart hinsichtlich der Ausgestaltung der Tarifautonomie verfassungsmäßig ist. Arbeitskampfrechtliche Erwägungen sind bei der Beantwortung dieser Frage nicht anzustellen. Dem Argument, es sei anzunehmen, dass der Gesetzgeber keine Arbeitskämpfe über jedwede Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zulassen wollte, da ansonsten das Kriterium der tariflichen Regelbarkeit entwertet sei,187 kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil die Reichweite der Tarifautonomie nicht aus dem Blickwinkel des Arbeitskampfrechts bestimmt werden darf.188 Zwar sind Tarifautonomie und Arbeitskampf dogmatisch verwurzelt und das Eine ohne das Andere kaum denkbar, widerspricht diese Vorgehensweise dennoch der Funktion des Arbeitskampfes als Annex zur Tarifautonomie. Damit lässt sich der abschließende Charakter des § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG im Bezug auf den Umfang der Normsetzungsmacht nicht begründen. Dies darf gleichwohl nicht dazu verleiten, den Umfang der Befugnis zur Normsetzung unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG heraus zu bestimmen. Die im Schrifttum vorgebrachten Argumente, dass die Ausgestaltung der Tarifautonomie durch das TVG als nicht abschließend anzusehen sei und es sich beim „Katalog“ des § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG um eine beispielhafte Aufzählung handelt,189 tragen nicht: Aus dem Wortlaut der Vorschrift lässt sich nicht entnehmen, dass es sich um eine „unverbindliche“ Aufzählung zulässiger Regelungsgegenstände handelt. Vergleicht man die Vorschrift mit § 88 BetrVG, wird deutlich, dass der Gesetzgeber eine beispielhafte Aufzählung konkreter formuliert hätte.190 Dort wurde die gesetzgeberische Absicht, lediglich einige Beispiele für denkbare freiwillige Betriebsvereinbarungen vorgeben zu wollen, deutlich zum Ausdruck gebracht.191 Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber dies im Fall der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien ebenso getan hätte, wäre es beabsichtigt gewesen.

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Vgl. Biedenkopf, Grenzen, S. 105; Schnorr, JR 1966, 327 (330). Löwisch/Rieble, TVG, Grundlagen, Rn. 23. 188 Vgl. Krüger, Gutachten für den 46. DJT, S. 7 (11). 189 Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 539 f. 190 So auch Löwisch/Rieble, TVG, Grundlagen Rn. 23; Rieble, ZTR 1993, 54, 55. Kritisch dazu Dreyer, Gewinnbeteiligung, S. 125. 191 Wortlaut des § 88 BetrVG: „Durch Betriebsvereinbarung können insbesondere geregelt werden“ (Hervorhebung durch den Verfasser!). 187

B. Tarifliche Regelungsbefugnis

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Auch historische Erwägungen lassen sich nicht für einen Rückgriff auf Art. 9 Abs. 3 GG anführen. Gamillscheg192 argumentiert, dass das TVG vor dem Grundgesetz in Kraft getreten sei und man daher nicht von einem abschließenden Regelungswillen des Gesetzgebers ausgehen könne. Dem kann man jedoch entgegnen, dass der Gesetzgeber das TVG durch Gesetz vom 23.3.1953 bestätigt hat und man auf diesen Zeitpunkt abstellen kann, wenn man einen abschließenden Regelungswillen ermitteln will.193 Dies spricht ebenfalls dafür, von einer abschließenden Ausgestaltung der sachlichen Reichweite der tariflichen Normsetzungsbefugnis durch § 1 TVG auszugehen. Entscheidend ist weiterhin, ob der Gesetzgeber damit die Tarifautonomie in verfassungskonformer Weise ausgestaltet hat. Art. 9 Abs. 3 GG gebietet zwar zwingend die Möglichkeit, Tarifverträge mit Normcharakter vereinbaren zu können.194 Dabei ist jedoch zu bedenken, dass der Gesetzgeber in den §§ 1, 4 TVG erst die Möglichkeit geschaffen hat, Tarifverträge mit Normwirkung zu vereinbaren. Diese Ausgestaltung war nicht nur zulässig, sondern sogar geboten, da den Tarifvertragsparteien ansonsten das Instrumentarium zur Vereinbarung normativ wirkender Vereinbarungen fehlen würde. Der Gesetzgeber hat folglich von seiner weit reichenden Ausgestaltungsbefugnis im Bereich der Tarifautonomie Gebrauch gemacht.195 Grenzen findet diese am objektiven Gehalt des Art. 9 Abs. 3 GG, so dass insbesondere die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie nicht gefährdet werden darf.196 Beides wurde bei § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG gewahrt.197 Das Ziel dieser Normierung, den Tarifvertragsparteien Gestaltungsmittel erst an die Hand zu geben, wurde verhältnismäßig umgesetzt.198 Verfassungswidrig wäre es stattdessen, wenn der Gesetzgeber eine Streichung der Inhaltsnormen aus § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG vornehmen würde.199 Es ist somit davon auszugehen, dass die Regelungen des TVG in verfassungskonformer Weise die sachliche Reichweite der Normsetzungsbefugnis begrenzen und die Tarifautonomie ausgestalten. Jen192

Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 539; so auch Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 126. 193 Vgl. Dreyer, Gewinnbeteiligung, S. 125; Fischinger, Arbeitkämpfe, S. 97. 194 BVerfG v. 27.2.1973 – 2 BvL 27/69, BVerfGE 34, 307 (320); BVerfG v. 24.5. 1977 – 2 BvL 11/74, BVerfGE 44, 322 (340); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 287; Papier, RdA 1989, 137 (141); Waltermann, in: FS Söllner, S. 1251 (1269 ff.); jüngst auch Maschmann, Tarifautonomie, S. 175 ff.; a. A. Kirchhof, Rechtsetzung, S. 182; Münch/Kunig-Löwer, GG, Art. 9 Rn. 80; Maunz/Dürig-Scholz, Art. 9 GG, Rn. 300. 195 MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., § 244 Rn. 37 ff. 196 BVerfG v. 4.7.1995 – 1 BvF 2/86 u. a., BVerfGE 92, 365 (394 f.); Däubler-Däubler, TVG, Einl. Rn. 128; Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 9 Rn. 27. 197 Vgl. Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 101 f.; Schleusener, Besetzungsregelungen, S. 57. 198 Vgl. Reinartz, Firmentarifverträge, S. 153. 199 Kühnast, Grenzen, S. 71.

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

seits dieses Bereichs ist es den Tarifvertragsparteien verwehrt, Regelungen mit normativer Wirkung zu vereinbaren. Diese Lesart entspricht einer verfassungskonformen Auslegung des § 1 TVG. Dies überzeugt, wenn man die Normsetzungsbefugnis in den Gesamtzusammenhang der tariflichen Vereinbarungsbefugnis einordnet und nicht isoliert betrachtet. Dass die in Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Koalitionsfreiheit danach sachlich weiter reicht als die Befugnis zu Normsetzung, ist kein Widerspruch. Art. 9 Abs. 3 GG beschreibt den Umfang des Aufgabenbereichs der Tarifvertragsparteien. Die Befugnis zur Normsetzung ist davon zu unterscheiden und enger gefasst. Die Befugnis, tarifliche Normen setzen zu können, ist durch das TVG begrenzt. Die Tarifvertragsparteien sind also lediglich befugt, materielle Normen zur Regelung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in Form von Inhalts-, Abschluss- und Beendigungsnormen zu regeln. Dieses Verständnis darf nicht als Restriktion tarifvertraglicher Vereinbarungsbefugnisse verstanden werden. Ansonsten würde übersehen, dass es den Tarifvertragsparteien neben der Ausübung von Normsetzungsmacht möglich ist, schuldrechtliche Vereinbarungen abzuschließen. Dies kann in Form von Tarifverträgen und sog. sonstigen Kollektivvereinbarungen geschehen. Art. 9 Abs. 3 GG beschreibt also die äußerste Grenze der Tarifvertragsfreiheit. Innerhalb dieses Bereiches sind die Tarifvertragsparteien regelungszuständig. Ein erweiternder Rückgriff auf Art. 9 Abs. 3 GG zur Bestimmung der tariflichen Normsetzungsbefugnis ist dagegen unzulässig. Diesbezüglich ist allein die einfachgesetzliche Ausgestaltung durch das TVG maßgeblich. Legt man dieses Verständnis zugrunde, können Standortzusagen im Gegensatz zu einer Regelung der Beschäftigungssicherung durch eine Regelung des Kündigungsschutzes nicht normativ im Tarifvertrag geregelt werden.200

III. Umfang der schuldrechtlichen Vereinbarungsbefugnis Die tarifliche Regelbarkeit (und somit auch die Erstreikbarkeit) von Standortzusagen hängt folglich entscheidend davon ab, ob eine tarifliche Regelung solcher Unternehmerentscheidungen Eingang in den schuldrechtlichen Teil eines Tarifvertrags finden kann.

200 Vgl. BAG v. 1.8.2001 – 4 AZR 388/99, EzA § 1 TVG Betriebsnorm Nr. 2 m.w. N. So im Ergebnis zur normativen Regelbarkeit von Standortzusagen auch Cherdron, Sozialpartnervereinbarungen, S. 431 f.; Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49 (53); Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (555); Krause, Standortsicherung, S. 56 f.; Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 63; Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 114 ff.; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 198; Rieble, ZfA 2004, 1 (21); dens., RdA 2005, 200 (211); Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (593); Walker, ZfA 2004, 501 (532).

B. Tarifliche Regelungsbefugnis

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1. Grundlagen Schuldrechtliche Pflichten der Tarifvertragsparteien aus dem Tarifvertrag lassen sich in „normbezogene Pflichten“ und „normergänzende oder -ersetzende Absprachen“ einteilen.201 Normbezogen sind solche Pflichten, die einem bestehenden Tarifvertrag dienen oder dazu beitragen, dass es zu einem Tarifvertragsabschluss kommt. So lassen sich etwa die Durchführungs- oder der Friedenspflichten charakterisieren.202 Im Gegensatz dazu haben normergänzende oder -ersetzende Absprachen einen eigenständigen Charakter. Im Folgenden soll es ausschließlich um solche schuldrechtlichen Vereinbarungen gehen, welche an die Stelle von normativen Regelungen treten können. Einig ist man sich im Schrifttum, dass die Tarifvertragsparteien zumindest das schuldrechtlich im Tarifvertrag vereinbaren können, was zulässigerweise Eingang in den normativen Teil finden kann.203 Den Tarifvertragsparteien wird Wahlfreiheit zugestanden. Sie können einen normativ regelbaren Gegenstand auch im schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrages regeln.204 Zudem ist der normative Teil keine zwingende Voraussetzung für einen Tarifvertrag gemäß § 1 TVG, so dass auch rein schuldrechtliche Tarifverträge vereinbart werden können.205 Heftig umstritten ist jedoch die Frage, ob der Umfang der schuldrechtlichen Vereinbarungsbefugnis weiter als der der normativen Regelungsbefugnis reicht. Ursächlich für diese Divergenzen ist das unterschiedliche dogmatische Verständnis von der schuldrechtlichen Tarifvereinbarungsbefugnis, die Beantwortung der Frage, in welchem Verhältnis normative und schuldrechtliche Vereinbarungsbefugnis zueinander stehen und welchem grundrechtlichen Schutz diese unterliegt. 2. Eingrenzung durch § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG? In § 1 Abs. 1 Hs. 1 TVG hat der Gesetzgeber normiert, dass der Tarifvertrag die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien regelt. Daraus kann man zwar schließen, dass der Gesetzgeber das Recht zur Vereinbarung schuldrechtlicher Inhalte in Tarifverträgen anerkennt, dies sagt jedoch nichts über die Bestimmung der zulässigen Regelungsgegenstände des schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrags aus. Fraglich ist daher wie bereits beim Streit um die Reichweite der Normsetzungsbefugnis, ob bei der Bestimmung des Umfangs der schuldrechtlichen

201 So etwa Krause, in: Jacobs/Oetker/Krause, Tarifvertragsrecht, § 4 Rn. 124 ff., 164 ff.; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 945 ff. 202 Krause, in: Jacobs/Oetker/Krause, Tarifvertragsrecht, § 4 Rn. 125 ff. 203 Siehe stellvertretend Beuthien, ZfA 1984, 1 (16); Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 480; Säcker/Oeker, Tarifautonomie, S. 157. 204 Vgl. Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 421; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 156. 205 Vgl. Karsten, Schuldrechtliche Tarifverträge, S. 47 ff. m.w. N.

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

Vereinbarungsbefugnis auf § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG oder auf Art. 9 Abs. 3 GG zurückzugreifen ist. Einige Autoren stellen bei der Bestimmung des Umfangs der schuldrechtlichen Regelungsbefugnis unmittelbar auf § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG ab und wollen schuldrechtliche Vereinbarungen über normativ nicht regelbare Materien nicht zulassen.206 Als Begründung wird darauf verwiesen, dass der schuldrechtlichen Vereinbarungsmacht der Tarifvertragsparteien lediglich eine „Hilfsfunktion“ gegenüber der tariflichen Normsetzung zukomme. Daraus ergebe sich ein Kongruenzgebot für schuldrechtliche Absprachen der Sozialpartner.207 Beuthien208 spricht von einer „funktionalen Einheit“ von schuldrechtlichem und normativem Teil des Tarifvertrags und nimmt ebenfalls an, dass für beide dieselben Schranken gelten. Beide Begründungsansätze gehen davon aus, dass schuldrechtliche Vereinbarungen nur dann zulässig sind, wenn auch eine Regelung im normativen Teil des Tarifvertrags gestattet wäre. Über den zulässigen Rahmen normativer Regelungen hinausgehende schuldrechtliche Vereinbarungen wären danach stets rechtswidrig. Dies wird damit begründet, dass der Gesetzgeber in § 1 Abs. 1 TVG den Umfang der tariflichen Vereinbarungsbefugnis abschließend ausgestaltet habe, so dass ein Rückgriff auf Art. 9 Abs. 3 GG unzulässig wäre.209 Nach dieser Ansicht wären somit nur „normersetzende“ schuldrechtliche Vereinbarungen zulässig. Dagegen spricht bereits der Wortlaut des § 1 Abs. 1 TVG, welcher darauf hindeutet, dass der Gesetzgeber zwischen schuldrechtlichen Rechten und Pflichten eines Tarifvertrags in § 1 Abs. 1 Hs. 1 TVG und der Normsetzungsbefugnis in § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG unterscheiden wollte. Ein Rangverhältnis lässt sich aus dieser Vorschrift nicht entnehmen. Vielmehr lässt sich die Regelung so interpretieren, dass schuldrechtliche und normative Regelungsbefugnis gleichrangig nebeneinander stehen. Die Wortwahl der Vorschrift deutet nicht darauf hin, dass dem schuldrechtlichen Teil lediglich eine „dienende Funktion“ beizumessen wäre. Diese wird man nur für schuldrechtliche Pflichten wie der Friedenspflicht oder der Durchführungspflicht annehmen können. Auch die Entstehungsgeschichte der Norm deutet darauf hin, dass eine abschließende Gestaltung des schuldrechtlichen Teils vom Gesetzgeber nicht ge206 Boeck, Tarifverträge, S. 125 ff.; Bötticher, Einrichtungen, S. 142; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Band II/1, S. 337; Giesen, Rechtsgestaltung, S. 514 ff.; Konzen, ZfA 1980, 77 (86); Löwisch, BB 2000, 821 (824); Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 425 ff.; Mayer-Maly, BB 1965, 829 (833); Reuter, ZfA 1990, 535 (548); Richardi, Kollektivgewalt, S. 199 ff.; Rieble, ZTR 1993, 54 (55); Säcker, BB 1966, 1031 (1031 f.); Säcker/ Oekter, Tarifautonomie, S. 155 ff. 207 Bötticher, Einrichtungen, S. 142; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Band II/1, S. 337; Mayer-Maly, BB 1965, 829 (833); Säcker, BB 1966, 1031 (1031 f.). 208 Beuthien, ZfA 1983, 141 (159 ff); ders., ZfA 1984, 1 (23); Meik, Tarifautonomie, S. 151. 209 Boeck, Tarifverträge, S. 126 f.

B. Tarifliche Regelungsbefugnis

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wollt war.210 In der Historie der Tarifpraxis haben die Koalitionen gerade aufgrund des größeren Umfangs der schuldrechtlichen Regelungsbefugnis eine Vereinbarung im schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags oftmals dann gewählt, wenn Zweifel hinsichtlich der Zulässigkeit einer Tarifnorm bestanden und man sich neuen Fragen der Tarifpraxis zuwenden wollte.211 Dem schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags kommt danach die Rolle eines Instruments zur Rechtsfortbildung zu.212 Ferner spricht gegen die Lehre vom Kongruenzgebot, dass zwischen schuldrechtlichem und normativem Teil des Tarifvertrags grundlegende Unterschiede bestehen, die gegen eine Gleichstellung sprechen. Während Tarifnormen unmittelbar auf die Arbeitsverhältnisse einwirken, werden mit der schuldrechtlichen Vereinbarung lediglich Rechte und Pflichten gesetzt. Rechte Dritter können als Vertrag zugunsten Dritter gemäß § 328 BGB vereinbart werden, während eine Verpflichtung von am Vertragsschluss unbeteiligten Verbandsmitgliedern im schuldrechtlichen Teil unwirksam wäre.213 Eine solche Regelung ist nur im normativen Teil des Tarifvertrags zulässig, wenn damit nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen wird. Mögen sich zwar in vielen Fällen die faktischen Wirkungen schuldrechtlicher Regelungen nicht wesentlich von denen einer normativen Regelung unterscheiden, so ist dennoch eine schuldrechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers nur beim Firmentarifvertrag möglich. Dies zeigt die dogmatischen Unterschiede zwischen schuldrechtlichem und normativem Teil deutlich auf. Daher erscheint es zweifelhaft, den Umfang der normativen Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien auf die schuldrechtliche Vereinbarungsbefugnis zu übertragen. Der schuldrechtliche Teil bietet den Tarifvertragsparteien im Vergleich zum normativen Teil vielmehr erweiterte Gestaltungsoptionen, die es ihnen ermöglichen, ihre Koalitionsfreiheit auszuüben. Würde man ihnen diese Gestaltungsfreiheit im schuldrechtlichen Teil eines Tarifvertrags verwehren, wäre es ihnen beispielsweise nicht möglich, Vereinbarungen zugunsten von Außenseitern zu treffen, wenn eine Regelung im normativen Teil des Tarifvertrags aufgrund der Überschreitung der Grenzen der Tarifmacht nicht zulässig wäre214. Die überwiegende

210

Vgl. Herschel, ZfA 1973, 183 (186). Gamillscheg, Differenzierung, S. 95; Weyand, Mitbestimmung, S. 103 f.; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 41. 212 Weyand, Mitbestimmung, S. 103 f.; Kempen/Zachert-Zachert, TVG, § 1 Rn. 729: „Historisch gilt die schuldrechtliche Tarifbestimmung geradezu als klassisches Vehikel der tariflichen Rechtsfortbildung auf Sektoren, die einer normativen Regelung nicht zugänglich waren.“ 213 Siehe hierzu sogleich unter 4. b). 214 Vgl. Giesen, Rechtsgestaltung, S. 183; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn. 61; Richardi, Kollektivgewalt, S. 214 ff.; Waltermann, ZfA 2000, 53 (81). 211

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

Mehrheit des Schrifttums215 lehnt daher zu Recht eine Begrenzung der schuldrechtlichen Vereinbarungsbefugnis unter Rückgriff auf § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG ab und ermittelt den Umfang der schuldrechtlichen Regelungsmacht unter Rückgriff auf Art. 9 Abs. 3 GG. 3. Erweiternder Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG? Darüber hinaus wollen einige Autoren216 die schuldrechtliche Regelungsbefugnis auch für Sachmaterien jenseits der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen öffnen. Tarifverträge könnten im schuldrechtlichen Teil „jeden nach dem Vertragsrecht des BGB zulässigen Inhalt haben“ 217. Eine solche Erweiterung tarifvertraglicher Gestaltungsbefugnisse über den Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG hinaus würde wiederum den Rahmen des schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrags unzulässigerweise überdehnen und wird der verfassungsrechtlichen Verankerung der schuldrechtlichen Vereinbarungsbefugnis nicht gerecht. Art. 9 Abs. 3 GG schützt die Tarifautonomie und gewährleistet damit auch das Recht der Koalitionen, Tarifverträge auszuhandeln und abzuschließen.218 Innerhalb dieses von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten, tarifautonomen Bereichs sind die Tarifvertragsparteien aber nicht nur befugt, normativ wirkende Regelungen zu treffen, sondern können wie dargestellt auch rein schuldrechtlich wirkende Tarifregelungen vereinbaren. Auf diesem Wege können nicht nur eigene Verpflichtungen der Tarifvertragsparteien, sondern auch Rechte Dritter begründet werden. Die Tarifvertragsparteien können also bei einer Ver215 Vgl. Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, § 1 TVG Rn. 117; Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 145 f.; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 40 ff.; ErfK-Franzen, TVG, § 1 Rn. 80; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 627; dens., Differenzierung, S. 95; Hölters, Harmonie, S. 46 ff.; Houben, Rückwirkung, S. 53 ff.; Krause, in: Jacobs/Oetker/Krause, Tarifvertragsrecht, § 4 Rn. 165; dens., Standortsicherung, S. 57 f.; Leydecker, Tarifvertrag, S. 223 ff.; Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 128 ff.; Otto, Arbeitskampfrecht, § 5 Rn. 19 ff.; Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 963; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 157 f.; Rungaldier, Mitbestimmung, S. 139; Däubler-Schumann, Arbeitskampfrecht, Rn. 155; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 865, 961; BeckOK RGKU-Waas/Giesen, TVG, § 1 Rn. 74; Weyand, Mitbestimmung, S. 104; Weller, AuR 1970, 161 (164); Wiedemann, RdA 1969, 321 (334); Kempen/Zachert-Zachert, TVG, § 1 Rn. 731; Zöllner, BB 1968, 597 (601); dens., Differenzierungsklauseln, S. 40 ff. Ebenfalls kritisch BAG v. 29.11.1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (192 ff.). 216 Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 18; Bulla, BB 1980, 103, 158 (105); Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 145 f.; Jarass, NZA 1990, 505 (506 f.); BeckOK RGKU-Waas/ Giesen, TVG, § 1 Rn. 74; wohl auch Waltermann, NZA 1991, 754 (758); vgl. jüngst auch LAG Schleswig-Holstein v. 15.1.2009 – 4 Sa 269/08 (juris) unter Rn. 55 der Entscheidungsgründe. 217 Schaub-Schaub, ArbRHdB, § 201 Rn. 3. 218 St. Rspr., vgl. nur BVerfG v. 19.10.1966 – 1 BvL 24/65, BVerfGE 20, 312 (317); BVerfG v. 24.5.1977 – 2 BvL 11/74, BVerfGE 44, 322 (341); BVerfG v. 3.4.2001 – 1 BvL32/97, BVerfGE 103, 293 (304).

B. Tarifliche Regelungsbefugnis

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einbarung von schuldrechtlich wirkenden Regelungen die gleiche Aufgabe und Zielsetzung wie bei einer Vereinbarung von Tarifnormen im Blick haben.219 Der Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG erfasst nach dieser Vorstellung auch die schuldrechtliche Vereinbarungsbefugnis der Tarifvertragsparteien.220 Ob die Tarifvertragsparteien darüber hinaus auch die allgemeine Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG oder die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG für sich in Anspruch nehmen können221 oder Art. 9 Abs. 3 GG als spezielleres Grundrecht diese im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen verdrängt222, braucht an dieser Stelle nicht entschieden werden. Von einem Tarifvertrag i. S. d. TVG, dessen Grenzen hier bestimmt werden sollen, wird man nur dann sprechen können, wenn die Tarifvertragsparteien eine tarifliche Vereinbarung zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geschlossen haben.223 Verlassen die Tarifvertragsparteien also den Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG und üben „lediglich“ ihre Vertrags- oder Vereinsfreiheit aus, kann es sich bei einer solchen Vereinbarung nicht mehr um einen Tarifvertrag handeln.224 Dies erscheint schon mit Blick die Tariffähigkeit, das Schriftformgebot und insbesondere den möglichen Einsatz arbeitskampfrechtlicher Druckmittel zwingend. Ansonsten wäre es denkbar, dass Tarifforderungen mittels Arbeitskampf durchsetzten könnten, die von Art. 9 Abs. 3 GG nicht mehr gedeckt wären.225 Es würde die vom Verfassungsgeber vorgegebene Unterscheidung zwischen den Grundrechten aus Art. 9 Abs. 3 GG, Art. 9 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG verschieben und der Privilegierung des Tarifvertrags als besonderem Gestaltungsinstrument nicht gerecht werden. Ebenso unstreitig dürfte es sein, dass sich die Sozialpartner auf den Schutz von Art. 2 Abs. 1 GG berufen können, wenn Art. 9 Abs. 3 GG gar nicht einschlägig ist.226 In diesem Fall besteht somit die Möglichkeit einer Vereinbarung eines „allgemeinen zivilrechtlichen Vertrags“ oder einer „sonstigen Kollektivvereinbarung“.227 Ferner schützt Art. 9 Abs. 3 GG nicht nur die Tarifvertragsfreiheit, sondern erfasst ebenso die Möglichkeit, anstatt eines Tarifvertrags auf sonstige Re219

Hölters, Harmonie, S. 115. Vgl. Beuthien, ZfA 1983, 141 (161); Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 156; a. A. Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 160. 221 Bunge, Tarifinhalt, S. 43 f.; Gamillscheg, Differenzierung, S. 97; Waltermann, NZA 1991, 754 (758). 222 Vgl. Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 157; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 37 ff. 223 Boecken, Tarifverträge, S. 122; Weyand, Mitbestimmung, S. 104 f. 224 So auch Krause, in: Jacobs/Oetker/Krause, Tarifvertragsrecht, § 4 Rn. 123. 225 Vgl. Beuthien, ZfA 1983, 141 (161); Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht, Band 2, S. 83; Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1026); Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (64); Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 425. 226 Vgl. Hölters, Harmonie, S. 72 f.; Krause, in: Jacobs/Oetker/Krause, Tarifvertragsrecht, § 4 Rn. 165; Zachert, NZA 2006, 10 (13). 227 Vgl. Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 960a; Zachert, NZA 2006, 10 (11 ff.). 220

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

gelungsmodelle zurückzugreifen.228 Eine Abgrenzung dieser Vertragsformen vom Tarifvertrag kann sich im Einzelfall als schwierig darstellen.229 Legt man dieses Verständnis zugrunde, stellt sich die Frage nach dem Spannungsverhältnis von Art. 9 Abs. 3 GG, Art. 9 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG jedenfalls nicht in der Schärfe, wie dies zum Teil im Schrifttum wahrgenommen wird.230 4. Schlussfolgerungen a) . . . für die Vereinbarung von Firmentarifverträgen Für eine tarifvertragliche Vereinbarung von Standortzusagen im Firmentarifvertrag bedeutet dies, dass die Regelungsbefugnis von Standortzusagen im schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags eröffnet ist. Unternehmerische Standortzusagen können zwar nicht Eingang in den normativen, aber in den schuldrechtlichen Teil des Firmentarifvertrags finden, da der Umfang der schuldrechtlichen Vereinbarungsbefugnis weiter reicht als der der Normsetzungsbefugnis. Äußerste Grenze der schuldrechtlichen Vereinbarungsbefugnis ist der Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG, so dass schuldrechtlich im Firmentarifvertrag vereinbart werden kann, was der tariflichen Regelungszuständigkeit unterliegt. Insoweit ist der schuldrechtliche Teil des Firmentarifvertrags der richtige Anknüpfungspunkt für eine tarifliche Regelung von Standortzusagen. Bleibt der Hinweis von Lobinger231, dass dabei ein Legitimationsdefizit bezüglich ihrer Außenseiterwirkung übersehen würde. Es handle sich bei einer Regelung der Standorterhaltung durch Tarifvertrag um eine Verfügung der Arbeitsplätze der Außenseiter. Zutreffend ist, dass den Gewerkschaften keine Gesamtrepräsentationsfunktion hinsichtlich einer Vertretung der Arbeitnehmerinteressen zukommt.232 Sie haben sich grundsätzlich auf eine Regelung der Interessen ihrer Mitglieder zu beschränken, obgleich in § 3 Abs. 2 TVG die Außenwirkung von Tarifnormen über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ausdrücklich vorgesehen ist und auch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach § 5 TVG zur Bindung von Außenseitern an tarifliche Regelungen führt. Eine ausdrückliche Regelung 228 Krause, in: Jacobs/Oetker/Krause, Tarifvertragsrecht, § 4 Rn. 123; WiedemannThüsing, TVG, § 1 Rn. 20; Kempen/Zachert-Zachert, TVG, § 1 Rn. 732; strenger Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 164 ff., welche im sachlichen Anwendungsbereich von § 1 Abs. 1 TVG neben dem Tarifvertrag keine sonstigen schuldrechtlichen Verträge zulassen wollen. 229 Vgl. Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 960a; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 19 ff. 230 Ähnlich die Wahrnehmung von Weyand, Mitbestimmung, S. 104 f. 231 Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (74 f.). 232 Vgl. Kreiling, Tarifnormen, S. 126 ff. m.w. N.

B. Tarifliche Regelungsbefugnis

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mit Bezug auf die Außenseiter werden die Tarifvertragsparteien aber in den wenigsten Fällen anstreben. Es sind vielmehr die mittelbaren Auswirkungen einer tarifvertraglichen Regelung, die eine Beschränkung der tariflichen Vereinbarungsbefugnis rechtfertigen können.233 Solche Erwägungen können bei tariflichen Standortzusagen allerdings nicht zu Einschränkungen führen. Standortsicherungstarifverträge sind nicht geeignet, negative Wirkungen gegenüber den Außenseitern auf Arbeitnehmerseite zu entfalten, begründet doch eine schuldrechtliche Vereinbarung zunächst nur Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien. Wird eine Standortzusage mit einem Lohnverzicht der Arbeitnehmer verknüpft und diese normativ im Tarifvertrag vereinbart, betrifft dies die Außenseiter nur, falls individualvertraglich eine Bezugnahme vereinbart wurde. Faktische Auswirkungen entfaltet eine Standortzusage auf die Außenseiter insoweit, als dass auch sie in den Genuss des Vorteils der Standorterhaltung gelangen, selbst wenn keine Bezugnahmeklausel vorliegt. Dies ist ein unvermeidbarer Reflex einer effektiven Wahrnehmung von Mitgliederinteressen durch die Gewerkschaft.234 Im Gegensatz zu einer tariflichen Differenzierungsklausel geht von einem Standortsicherungstarifvertrag kein besonderer Beitrittsdruck auf die Außenseiter aus. Das Gegenteil wird vielmehr der Fall sein: Den Vorteil der Standortsicherung erhält der Außenseiter, falls es an einer wirksamen Bezugnahme fehlt, auch ohne Lohnverzicht oder sonstige Zugeständnisse. Von einer Verfügung über den Arbeitsplatz der Außenseiter kann man in diesem Zusammenhang nicht sprechen, da die Rechte der Außenseiterarbeitnehmer durch die tarifvertragliche Vereinbarung rechtlich nicht berührt werden.235 Er erhält vielmehr die Möglichkeit, weiterhin im Betrieb des Arbeitgebers seine Arbeitsleistung anbieten zu können, was regelmäßig auch seinem Interesse entsprechen wird und daher von Vorteil für ihn ist. Falls er sich dennoch anders entscheiden wollte, bleibt ihm die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Von einer negativen, mittelbaren Beeinträchtigung von Außenseiterinteressen kann daher keine Rede sein. Insoweit trägt der Einwand von Lobinger nicht.236 b) . . . für die Vereinbarung von Verbandstarifverträgen Im Gegensatz zum Firmentarifvertrag ist beim Abschluss eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrags nicht der einzelne Arbeitgeber, sondern der Arbeitge233 Vgl. nur Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 428 ff. m.w. N. zu tariflichen Differenzierungsklauseln, die zwar vorwiegend auf eine Besserstellung der eigenen Mitglieder abzielen, mit denen zugleich aber eine Schlechterstellung der nicht-tarifgebundenen Arbeitnehmer einhergeht. 234 Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 70. 235 So aber Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (74 f.). 236 Ebenso Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 59 f.; Krause, Standortsicherung, S. 67 f.

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berverband Vertragspartner der Gewerkschaft. Der firmenbezogene Verbandstarifvertrag ist als „gewöhnlicher“ Verbandstarifvertrag anzusehen, bei dem lediglich der räumlich-personelle Geltungsbereich auf einen Betrieb beschränkt wird.237 Während manche Autoren bei der Bestimmung der Reichweite der Tarifvertragsfreiheit nicht zwischen Firmen- und Verbandstarifvertrag unterscheiden wollen,238 sprechen sich andere dafür aus, die Vereinbarungsbefugnis für den Verbandstarifvertrag im Bereich unternehmerischer Regelungen restriktiver einzugrenzen. Die Legitimation des Verbandes könne nicht so weit reichen, eine tarifvertragliche Bindung des Arbeitgebers bei unternehmenspolitischen Grundsatzentscheidungen, wie etwa dem Investitionsverhalten herbeizuführen, wenn dieser dem Tarifvertrag nicht zugestimmt habe.239 Nachdem die bisherige Untersuchung hervorgebracht hat, dass Standortzusagen nur im schuldrechtlichen Teil eines Tarifvertrags vereinbart werden können, steht allein dieser Umstand einer Regelung in einem firmenbezogenen Verbandstarifvertrag zwingend entgegen und führt zur Unzulässigkeit des Tarifvertrags, selbst wenn der einzelne Arbeitgeber dem Vertragsschluss zugestimmt hat. Eine schuldrechtliche Verpflichtung von tarifgebundenen Arbeitgebern (und Arbeitnehmern) durch einen Verbandstarifvertrag ist als Vertrag zu Lasten Dritter zu betrachten und daher unabhängig vom konkreten Inhalt der Vereinbarung als unzulässig anzusehen.240 Schuldrechtlich verpflichten können sich in einem Tarifvertrag nur die Tarifvertragsparteien selbst. Dies unterscheidet die schuldrechtliche Vereinbarungsbefugnis von der Normsetzungsmacht, welche eine solche Fremdbestimmung innerhalb der tarifrechtlichen und verfassungsrechtlichen Grenzen legitimiert. Diesem Ausschluss einer Verpflichtungsmöglichkeit der Verbandsmitglieder im schuldrechtlichen Teil eines Verbandstarifvertrags liegt der Gedanke zugrunde, dass niemand ohne sein Zutun zum Schuldner werden soll.241 Somit kann der Verband gegenüber der Gewerkschaft keine Zusagen vereinbaren, die vorsehen, dass ein Verbandsmitglied eine bestimmte Betriebsstätte über einen gewissen Zeitraum an einem bestimmten Standort betreiben muss.

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Buchner, DB 2001, Beil. 9, 1 (4); Lägeler/Maier, NZA 2008, 1106 (1110). Beispielhaft Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 273: „Tarifverträge sind gleich zu behandeln.“ 239 Krause, Standortsicherung, S. 56; Lobinger, RdA 2006, 12 (20 f.); WiedemannWiedemann, TVG, Einl. Rn. 328. 240 Vgl. BAG v. 14.12.1993 – 1 AZR 550/93, NZA 1994, 331 (333); Bayreuther, Tarifautonomie, S. 282; Buchner, in: Lehmann (Hrsg.), Tarifverträge der Zukunft, S. 109 (117); Bunge, Tarifinhalt, S. 45; HWK-Henssler, TVG, § 1 Rn. 74; Krause, in: Jacobs/ Oetker/Krause, Tarifvertragsrecht, § 4 Rn. 166; Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 480; Löwisch/Rieble, TVG, Grundl. Rn. 79; Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 1049; Schaub-Schaub, ArbRHdB, § 201 Rn. 5; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 858; BeckOK RGKUWaas/Giesen, TVG, § 1 Rn. 61; Weyand, Mitbestimmung, S. 106; differenzierend Richter, Erstreikbarkeit, S. 104. 241 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 633 f. 238

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Auch der Verbandsbeitritt des Arbeitgebers darf nicht legitimierend herangezogen werden, um zu einer abweichenden Lösung zu gelangen.242 Selbst wenn man den Verbandsbeitritt als Erklärung, sich bestehendem und zukünftigem Tarifrecht zu unterwerfen, interpretiert, bezieht sich dies in erster Linie auf die Rechtsnormen von Tarifverträgen. Die „zusätzliche“ Möglichkeit einer schuldrechtlichen Verpflichtung ist davon nicht umfasst, zumal der Arbeitgeber mit seinem Beitritt dem Verband wohl kaum die Verfügungsmacht über sein Unternehmen übertragen wollte.243 Wäre der Verband legitimiert, in eigenem Namen seine Mitglieder mit deren Zustimmung wirksam verpflichten zu können, liefe dies auf eine Verpflichtungsermächtigung hinaus, welche mit den Regelungen des BGB zur Stellvertretung nicht zu vereinbaren ist.244 Dem Verband ist es somit verwehrt, Standortsicherungstarifverträge zu vereinbaren. Dies gilt auch dann, wenn das Verbandsmitglied einer solchen Vereinbarung zustimmt.

IV. Zwischenergebnis Standortzusagen können schuldrechtlich in einem Firmentarifvertrag vereinbart werden. Eine Regelung im firmenbezogenen Verbandstarifvertrag ist dagegen von der Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien nicht umfasst, so dass schon aus diesem Grund ein Streik um eine entsprechende Tarifforderung als rechtswidrig zu beurteilen ist.

C. Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG I. Einleitung und Problemstellung Ein Standortsicherungstarifvertrag ist nur dann zulässig, wenn er mit höherrangigem Recht in Einklang steht. Daher stellt sich nun die Frage nach den Zulässigkeitsgrenzen eines solchen Tarifvertrags.245 Die Tarifautonomie ist zwar nicht wie die Berufsfreiheit mit einem Gesetzesvorbehalt versehen, dies darf aber nicht so verstanden werden, dass sie als „schrankenlos gewährleistet“ anzusehen ist. Grundrechtseingriffe in vorbehaltlose Grundrechte können durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt 242 So jedoch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, § 1 Rn. 116a, welche annehmen, dass eine schuldrechtliche Verpflichtung des Verbandsmitglieds ohne Zustimmung des Verbandsmitglieds allein durch den Verbandsbeitritt legitimiert werden könne. 243 Zutreffend Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 92; Walker, ZfA 2004, 501 (533). 244 Vgl. Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 92 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 625, 633 f.; dies übersieht Richter, Erstreikbarkeit, S. 104. 245 Siehe Kapitel 1 A. II.

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werden.246 Dies gilt auch für Art. 9 Abs. 3 GG. Das Grundrecht des Arbeitgebers auf Berufsfreiheit könnte also zur Verfassungswidrigkeit von Standortzusagen in Firmentarifverträgen führen, wenn diesem Grundrecht Vorrang beizumessen wäre. Bisher wurde die Berufsfreiheit der Arbeitgeber bei der Auslegung des Schutzbereichs von Art. 9 Abs. 3 GG berücksichtigt. Dies war eine Abgrenzungsfrage von grundrechtlichen Schutzbereichen, um so den Zuständigkeitsbereich der Koalitionen zu ermitteln. Nun geht es dagegen um das Problem des Grundrechtsverstoßes von Tarifverträgen. Der Ansatzpunkt der Grundrechtsprüfung ist folglich ein anderer.247 Es gilt also zu klären, ob Standortzusagen jeglichen Umfangs von den Tarifvertragsparteien vereinbart werden können oder damit möglicherweise ein Grundrechtsverstoß verbunden ist. Neben der tariflichen Regelbarkeit von Standortzusagen stellt sich im Spannungsfeld von Tarifautonomie und Berufsfreiheit der Arbeitgeber, selbst wenn man von der Zulässigkeit eines solchen Tarifvertrags ausgehen wollte, die Frage nach der Erstreikbarkeit einer Standortzusage. Nicht nur der angestrebte Tarifvertrag, sondern auch ein Streik um eine entsprechende Forderung muss mit höherrangigem Recht in Einklang stehen.248 Im Folgenden soll bei der Untersuchung der gewerkschaftlichen Einflussnahmemöglichkeiten zur Standorterhaltung zwischen freiwilligen Vereinbarungen und dem Einsatz von Kampfmitteln unterschieden werden. Zunächst soll ermittelt werden, wie weit die tarifliche Vereinbarungsbefugnis reicht, wenn die Gewerkschaft auf den Einsatz von Arbeitskampfmitteln verzichtet. Käme man zum Ergebnis, dass freiwillige Standortsicherungstarifverträge vereinbart werden können, wäre die Folgefrage zu beantworten, ob daraus auch die Befugnis folgt, Arbeitskämpfe um die Forderung nach Standorterhalt führen zu dürfen.

II. Freiwillige Standortsicherungsvereinbarungen 1. Ausgangspunkt: Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien Ein ungerechtfertigter Eingriff in die Berufsfreiheit setzt zunächst voraus, dass die Tarifvertragsparteien die Grundrechte der Tarifgebundenen bei einer Vereinbarung von Tarifverträgen als Regelungsschranke zu beachten haben. Die Frage nach Geltungsgrund und Geltungswirkung der Grundrechte im Tarifvertragsrecht ist in Rechtsprechung und Rechtslehre seit jeher umstritten. Diesbezüglich ist 246 BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (228); BVerfG v. 3.4. 2001 – 1 BvL 32/97, BVerfGE 103, 293 (306). 247 Siehe hierzu Kapitel 3 A. III. 1. 248 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 25 Rn. 29 m.w. N.; Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 9 Rn. 365.

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zwischen der Vereinbarung von normativen und schuldrechtlich wirkenden Tarifvertragsregelungen zu unterscheiden. Während man früher in Rechtsprechung und Schrifttum zumeist davon ausging, dass die Tarifvertragsparteien bei der Vereinbarung von Tarifnormen einer unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliegen,249 sprechen sich das BAG250 und die herrschende Lehre251 nunmehr für eine mittelbare Grundrechtsbindung der tariflichen Normsetzung aus. Dem liegt das Verständnis zugrunde, dass der Tarifvertrag das Ergebnis kollektiv ausgehandelter Privatautonomie sei, die Rechtsetzung durch Private erfolge und zudem die Normunterworfenen durch Verbandsbeitritt die Normwirkung legitimierten, indem sie sich bestehendem und zukünftigem Tarifrecht unterwerfen.252 Art. 1 Abs. 3 GG binde nur die staatliche Gewalt und könne nicht zur Begründung einer unmittelbaren Grundrechtsbindung der tariflichen Normsetzung herangezogen werden.253 Vielmehr sei auf die Schutzpflichtenfunktion und den objektiven Gehalt der Grundrechte, anstatt auf deren Abwehrfunktion abzustellen.254 Gesetzgeber und Rechtsprechung seien demnach verpflichtet, sicherzustellen, dass die Normadressaten des Tarifvertrags nicht in ihren Grundrechten beeinträchtigt würden. 249 Vgl. BAG v. 15.1.1955 – 1 AZR 305/54, BAGE 1, 258 (262 ff.); BAG v. 21.3.1973 – 4 AZR 187/72, BAGE 25, 107 (112); BAG v. 13.9.1983 – 1 ABR 69/81, BAGE 44, 141 (150 ff.); BAG v. 25.7.1996 – 6 AZR 683/95, BAGE 83, 311 (318); Badura, RdA 1974, 129 (134); Belling, ZfA 1999, 547 (575 ff.); Biedenkopf, Grenzen, S. 72; Galperin, JZ 1956, 105 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 313 ff., 666 ff.; Hanau, RdA 1996, 158 (159 f.); Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 102 ff.; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 288; Waltermann, RdA 1990, 138 (140 f.); Weyand, Mitbestimmung, S. 107 ff. Zu den unterschiedlichen Argumentationsansätzen siehe Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 184 f. 250 BAG v. 25.2.1998 – 7 AZR 641/96, BAGE 88, 118 (123 f.); BAG v. 11.3.1998 – 7 AZR 700/96, BAGE 88, 162 (168 f.); BAG v. 31.7.2002 – 7 AZR 140/01, AP Nr. 14 zu § 1 TVG Tarifverträge: Luftfahrt; BAG v. 27.11.2002 – 7 AZR 414/01, NZA 2003, 812 (813); BAG v. 27.5.2004 – 6 AZR 129/03, BAGE 111, 8 ff.; offengelassen von BAG v. 23.2.2005 – 3 AZR 729/98, NZA 2002, 917 (918 ). Auch das BVerfG hat sich zu dieser Frage bisher nicht ausdrücklich geäußert, vgl. BVerfG v. 30.5.1990 – 1 BvL 2/83, BVerfGE 82, 126 (154 f.); BVerfG v. 22.2.1994 – 1 BvL 21/85 u. a., BVerfGE 90, 46 (58). 251 Bayreuther, Tarifautonomie, S. 236 ff.; Canaris, JuS 1989, 161 (162); Dieterich, in: FS Schaub, S. 117 (120 ff.); Fastrich, in: FS Richardi, S. 127 (128); Giesen, Rechtsgestaltung, S. 231 ff.; HWK-Henssler, TVG, Einl. Rn. 16; HWK-Hergenröder, GG, Art. 9 Rn. 139; Sachs-Höfling, GG, Art. 9 Rn. 93; Höfling/Burkiczak, RdA 2004, 263 ff.; Jarass/Pieroth-Jarass, GG, Art. 1 Rn. 42; Kempen/Zachert-Kempen, TVG, Grundl. Rn. 193 ff.; Rieble, Arbeitsmarkt, S. 382 ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 1 Rn. 221; MünchArbR-Richardi, 2. Aufl., § 10 Rn. 22 ff.; ders., Kollektivgewalt, S. 164; Rüfner, in: HdbStR, Band V, § 117 Rn. 10; Däubler-Schiek, TVG, Einl. Rn. 174 ff.; Schliemann, in: FS Hanau, S. 577 (583 ff.); Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 9 Rn. 357; Singer, ZfA 1995, 611 (616 ff.); Stern, in: FS Wiedemann, S. 133 (137). 252 Vgl. Dieterich, in: FS Schaub, S. 117 (125 ff.); ErfK-dens., GG, Einl. Rn. 67. 253 Vgl. Däubler-Schiek, TVG, Einl. Rn. 174. 254 Vgl. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 236 ff.; Giesen, Rechtsgestaltung, S. 237 ff.

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Insoweit lässt sich festhalten, dass auch nach der Abkehr von der Lehre von der unmittelbaren Grundrechtsbindung der tariflichen Rechtsetzung eine Grundrechtskontrolle von Tarifverträgen vorzunehmen ist.255 Ausschließlich der Maßstab dieser Grundrechtsprüfung ist heftig umstritten.256 Auf diese Frage muss jedoch nur dann eingegangen werden, wenn festgestellt wurde, dass die tarifliche Regelung, wie sie hier nur im Form eines Firmentarifvertrags überhaupt in Frage kommt, einen Eingriff in die Berufsfreiheit des Arbeitgebers darstellt.257 Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass vielfach davon ausgegangen wird, dass sowohl die Theorie der mittelbaren als auch diejenige der unmittelbaren Drittwirkung zu denselben Ergebnissen führe.258 Das eigentliche Problem ist für die Beurteilung der Grundrechtskonformität von Standortsicherungstarifverträgen darin zu sehen, ob die Grundrechtsbindung auch für die Vereinbarung von lediglich schuldrechtlich wirkenden Tarifklauseln in Tarifverträgen, wie es bei Standortzusagen der Fall ist, überhaupt in Frage kommt oder den Tarifvertragsparteien ein erweiterter Gestaltungsspielraum im schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags zukommt. In der auf die Grundrechtsbindung der tariflichen Normsetzung konzentrierten Diskussion im Schrifttum ist das Problem der Grundrechtsbindung des schuldrechtlichen Teils aufgrund der geringen praktischen Bedeutung bisher kaum zur Sprache gekommen. Waas/Giesen259 merken an, dass diesbezüglich „noch vieles im Dunkeln liege“. Aufgrund der Unterschiedlichkeit von Normsetzungs- und schuldrechtlicher Vereinbarungsbefugnis lässt sich zunächst festhalten, dass eine unmittelbare Wirkung der Grundrechte für schuldrechtliche Vereinbarungen nicht in Betracht kommt. Die Argumente für eine Begründung der unmittelbaren Grundrechtsbindung der Normsetzungsbefugnis lassen sich nicht auf den schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags übertragen.260 Dies würde dem schuldrechtlichen Charakter der Vereinbarung, die eben nicht gesetzesgleich im Verhältnis zu den Tarifgebundenen wirkt und keine Pflichten von nicht am Vertragsschluss beteiligten Verbands255

Boemke, in: FS 50 Jahre BAG, S. 613 (621). Waltermann, in: FS 50 Jahre BAG, S. 913 (926); Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 197 ff. 257 Siehe hierzu sogleich in Kapitel 3 C. II. 2. 258 Vgl. BAG v. 12.10.2004 – 3 AZR 571/03, NZA 2005, 1127, 1129; ferner BAG v. 28.7.2005 – 3 AZR 14/05, NZA 2006, 335, 339; in diesem Sinne auch Alexy, Grundrechte, S. 480 ff.; Eckhold-Schmidt, Legitimation, S. 73; Gamillscheg, Grundrechte, S. 78; Leisner, Grundrechte, S. 356 ff.; kritisch Burkiczak, RdA 2007, 17 ff.; siehe hierzu auch Kapitel 4 C. III. 6. b). 259 BeckOK RGKU-Waas/Giesen, TVG, § 1 Rn. 75. 260 Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 249; a. A. Gamillscheg, Grundrechte, S. 105; ders., Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 627: „Die schuldrechtlichen Vereinbarungen unterliegen dem höherrangigen Recht nicht anders als die Tarifnormen, das versteht sich von selbst.“ 256

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mitglieder beinhalten darf, nicht gerecht.261 Gleichwohl ist zu beachten, dass die Grundrechte mittelbar über die zivilrechtlichen Generalklauseln, §§ 138, 242 BGB, auch bei der Vereinbarung von schuldrechtlichen Vereinbarungen wirken.262 Ansonsten wäre es den Tarifvertragsparteien möglich, Inhalte, die im normativen Teil aufgrund eines Grundrechtsverstoßes nicht vereinbart werden könnten, im schuldrechtlichen Teil einer Regelung zuzuführen und gegebenenfalls mittels Arbeitskampf durchzusetzen. Daraus folgt, dass die Tarifvertragsparteien auch bei der Vereinbarung von schuldrechtlich wirkenden Tarifvertragsvereinbarungen an die Vorgaben der Verfassung gebunden sind.263 Ist dies für Tarifnormen heftig umstritten, kann bei der Grundrechtsprüfung von schuldrechtlichen Tarifklauseln nur an die Schutzpflichtenfunktion der Grundrechte angeknüpft werden.264 Die staatlichen Organe sind demnach verpflichtet, die in den Grundrechten geschützten Rechte und Rechtsgüter gegen übermäßige Einschränkungen durch Private zu schützen, soweit diese schutzbedürftig sind, etwa weil ein Machtungleichgewicht besteht.265 Weyand266 nimmt dies zum Anlass, im Fall einer schuldrechtlichen Regelung in einem Firmentarifvertrag die Schutzbedürftigkeit des Arbeitgebers generell abzulehnen, da § 2 Abs. 1 TVG deutlich mache, dass der Gesetzgeber von einer Gleichgewichtslage zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft ausgehe, die eine Grundrechtsprüfung im Fall einer ohne Streikdruck erzielten Lösung entbehrlich mache. Gegen diese Beschränkung des Grundrechtsschutzes der Arbeitgeber spricht schon, dass Tarifverträge gegebenenfalls erst unter Androhung oder nach Durchführung von Streikmaßnahmen abgeschlossen werden. Während bei einem druckfreien Tarifvertragsabschluss der zustande gekommene Tarifvertrag nicht an den Grundrechten der Arbeitgeber zu messen wäre, käme erst für den unter Streikdruck erzwungenen Tarifvertragsabschluss ein anderes Ergebnis in Frage. Dem Arbeitgeber müsste man dann sogar anraten, erst im Arbeitskampf nachzugeben, um Grundrechtsschutz in Anspruch nehmen zu können.267 Fischin261

Siehe Kapitel 3 B. III. 4. b). Vgl. Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 64; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 431; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 157. 263 Biedenkopf, Grenzen, S. 74; Däubler, Mitbestimmung, S. 235; Loritz, Tarifautonomie, S. 125; Hölters, Harmonie, S. 118; Krause, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 4 Rn. 168; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 96. 264 Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 64. 265 Vgl. BVerfG v. 23.04.1986 – 2 BvR 487/80, BVerfGE 73, 261; BVerfG v. 7.2. 1990 – 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242; BVerfG v. 19.10.1993 – 1 BvR 567/89 u. a., BVerfGE 89, 214; vgl. hierzu auch Bayreuther, Tarifautonomie, S. 236 ff.; Giesen, Rechtsgestaltung, S. 237 ff. 266 Weyand, Mitbestimmung, S. 114. 267 Löwisch/Rieble, Arbeitskampfrecht, SD 170.2 Rn. 34 ff. 262

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ger268 weist zu Recht darauf hin, dass dies nicht stimmig wäre. Vielmehr sind auch ohne Streikdruck erzielte Tarifvertragsregelungen, unabhängig davon, ob es sich um normative oder schuldrechtliche Regelungen handelt, an den Grundrechten des Arbeitgebers zu messen. Eine Grundrechtsprüfung des Firmentarifvertrags lässt sich jedenfalls nicht schon von vorneherein mit dem Hinweis auf eine fehlende Schutzbedürftigkeit des Arbeitgebers generell ablehnen.269 2. Grundrechtseingriff oder -ausübung? Der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG ist hinsichtlich einer tariflichen Regelung im Bezug auf die unternehmerische Standortpolitik eröffnet, da die unternehmerische Betätigungsfreiheit von diesem Grundrecht erfasst wird und somit auch unternehmerische Verlagerungsentscheidungen verfassungsrechtlichen Schutz genießen.270 Es ist des Weiteren nicht zu bestreiten, dass die Verpflichtung, auf eine Standortverlagerungsentscheidung zu verzichten, die unternehmerische Entscheidungsfreiheit erheblich einschränken kann. Nach ihrem Abschluss können solche Abreden zukünftiges unternehmerisches Gestalten insbesondere im Fall einer Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erheblich erschweren. Hat der Arbeitgeber einen solchen Tarifvertrag abgeschlossen, ist ihm – lässt man die Option einer Kündigung außen vor – die Möglichkeit genommen, mittels Standortverlagerung sein Unternehmen neu auszurichten und neuen Gegebenheiten anzupassen. Es stellt sich aber die Frage, ob im Abschuss eines solchen Tarifvertrags, welcher die Arbeitgeberseite längerfristig an den Unternehmensstandort bindet, ein Eingriff in die Berufsfreiheit der beim Firmentarifvertrag am Vertragsschluss beteiligten Arbeitgeber einhergeht. Teile des Schrifttums setzen dies voraus, wenn sie anhand einer Abgrenzung von Unternehmerfreiheit und Tarifautonomie zur Rechtswidrigkeit standortsichernder Tarifverträge gelangen. Dies ist jedoch insoweit kritikwürdig, als dass bei einem ohne Streikdruck erzielten Tarifvertrag schon kein Eingriff in die Berufsfreiheit der Arbeitgeber anzunehmen ist, welcher einer verfassungsrechtlichen Rechfertigung bedürfte: Unbestritten entfaltet jede tarifliche Regelung Rückwirkung auf unternehmerische Freiheitsrechte. Die Tarifvertragsparteien sind zudem – wie eben dargestellt – bei der Vereinbarung von normativ und schuldrechtlich wirkenden Tarifvertragsregelungen an die Grundrechte gebunden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass von tarifvertraglichen Regelungen ausgehende Beschränkungen der Grundrechte 268

Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 65. So auch Giesen, Rechtsgestaltung, S. 253; Schleusener, Besetzungsregelungen, S. 109 ff. 270 Siehe Kapitel 2 C. II. 269

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der am Vertragsschluss unmittelbar beteiligten Arbeitgeber im selben Maße rechtfertigungsbedürftig sind, wie dies etwa bei einer belastenden gesetzlichen Regelung der Fall wäre. Wird ein Firmentarifvertrag ohne Streikdruck vereinbart, übt der am Vertragsschluss unmittelbar beteiligte Arbeitgeber nicht nur seine Tarifvertragsfreiheit, sondern auch seine Berufsfreiheit aus, indem er sich bewusst den tarifvertraglichen Bindungen unterwirft, welche seine zukünftige Handlungsfreiheit einschränken.271 Aufgrund seines freien, autonomen Willensentschlusses entscheidet der Arbeitgeber selbst, inwieweit er sich seiner unternehmerischen Freiheiten begeben möchte.272 Ohne diese individuelle Verfügbarkeit der Berufsfreiheit wäre eine tarifliche Bindung des Arbeitgebers nicht denkbar. Deutet man den Tarifvertragsabschluss als Ausübung verfassungsrechtlicher Freiheitsrechte, kommt es nicht in Betracht, in ihm eine ungerechtfertigte Grundrechtsbeschränkung zu erblicken. Vielmehr kann man den freiwilligen Abschluss eines Firmentarifvertrags als Grundrechtsverzicht des Arbeitgebers deuten („volenti non fit iniuria“273), was dazu führt, dass der Tarifvertrag im Verhältnis zum Arbeitgeber keinen rechtswidrigen Eingriff in die Berufsfreiheit darstellen kann.274 Insoweit muss er sich auch tiefer gehende Beschränkungen eigener verfassungsrechtlich geschützter Rechtspositionen zurechnen lassen. Auf eine Abwägung mit Grundrechten des Arbeitgebers zur Rechtfertigung dieser beschränkenden Wirkung eines Tarifvertrags kommt es daher beim freiwilligen Abschluss eines Firmentarifvertrags nicht mehr an. Dass eine Einwilligung in Grundrechtsbeschränkungen grundsätzlich möglich ist, entspricht heute allgemeiner Ansicht.275 Der Verzicht auf grundrechtliche Ge271 Vgl. Dieterich, in: FS Wiedemann, S. 229 (242); dens., AuR 2007, 65 (69); Müller, Berufsfreiheit, S. 265 ff.; Scholz, ZfA 1981, 265 (296 f.); Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 317; a. A. Wolter, RdA 2002, 218 (220), welcher dies als Ausübung der negativen Koalitionsfreiheit qualifiziert. 272 Bayreuther, Tarifautonomie, S. 284; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 35 Rn. 24. 273 Siehe zur historischen Entwicklung dieses Rechtsgrundsatzes Ohly, Einwilligung, S. 25. 274 Vgl. Benedikt, Sanierung, S. 148 ff.; Dreyer, Gewinnbeteiligung, S. 258; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 67; Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49 (52); Hohenstatt-Schramm, DB 2004, 2214 (2217); Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 9 Rn. 364; Thüsing, NZA 2008, 201 (203); Thüsing/Ricken, JbArbR 2005, S. 113 (121); dies., Anm. zu LAG Niedersachsen v. 2.6.2004, LAGE Nr. 74 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 16; Walker, ZfA 2004, 501 (531 f.); von einem „punktuellen Grundrechtsverzicht“ spricht in diesem Zusammenhang Krause, Standortsicherung, S. 66; so im Ergebnis auch Franzen, ZfA 2005, 315 (336 f.), der jedoch die Verhältnismäßigkeitsprüfung als Anknüpfungspunkt wählt und das freiwillige Zustandekommen berücksichtigt. Vgl. hierzu auch Jarass, NZA 1990, 505 (510); Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1021); Rolfs/Clemens, DB 2003, 1678; Wank, RdA 2009, 1 (6). Kritisch Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 273; MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., § 259 Rn. 68; dies., TVG, § 1 Rn. 289 ff.; Wiedemann, RdA 1986, 231 (239). 275 Vgl. nur Hömig-Antoni, GG, Einl. Rn. 13; Fischinger, JuS 2007, 808 (809); Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 19 Rn. 81; Lerche, in:

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währleistungen unterliegt ebenso wie die Ausübung von grundrechtlich geschützten Verhaltensweisen dem Schutz der Verfassung; er ist wesentliche Form des Grundrechtsgebrauchs.276 Dies kann man auf das Tarifrecht übertragen und für die Situation beim freiwilligen Abschluss eines Firmentarifvertrags fruchtbar machen: Tritt eine Gewerkschaft an den Arbeitgeber heran und strebt den Abschluss einer Standortzusage in einem Firmentarifvertrag an und führt dies zu einem Tarifvertragsabschluss ohne den Einsatz von Arbeitskampfmitteln, kann darin die Erklärung des Arbeitgebers gesehen werden, in vom Tarifvertrag ausgehende Einschränkungen seiner Freiheitsrechte einzuwilligen. Gleiches gilt, wenn die Initiative zum Abschluss eines solchen Tarifvertrags vom Arbeitgeber ausgeht. Dass große Teile des Schrifttums die Möglichkeit eines Grundrechtsverzichts bei Tarifvertragsverhandlungen nicht ins Kalkül ziehen, liegt darin begründet, dass sie arbeitskampfrechtliche Erwägungen bereits bei der Bestimmung tarifvertraglicher Gestaltungsbefugnisse mit einbeziehen.277 Freiwillige Tarifverträge und unter Streikdruck erzielte Tarifverträge werden gleichgestellt. 278 Dies führt jedoch zwangsläufig zu einer Verkürzung tarifvertraglicher Optionen und somit zu einer Beschränkung der Tarifautonomie unter Rückgriff auf Freiheitsgrundrechte der Arbeitgeber, der es nicht bedarf, wenn eine tarifvertragliche Lösung unter Konsens zustande gekommen ist. Eine Kollision der gegenläufigen Grundrechtsgewährleistungen besteht erst, wenn Verhandlungsdruck ausgeübt wird, so dass die Berufsfreiheit der Arbeitgeber in die Waagschale zu werfen ist und im Verhältnis zur Tarifautonomie zu Einschränkungen führen kann. An der Freiwilligkeit des Vertragsschlusses kann jedenfalls dann nicht gezweifelt werden, wenn die Gewerkschaft auf eine konkrete Streikandrohung verzichtet HdbStR, Band V, § 122 Rn. 45; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 146 ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 300; a. A. Bussfeld, DÖV 1976, 765 (771); weitere Nachweise bei Stern, Staatsrecht, Band III/2, S. 894 Fn. 31. Kritisch zum Begriff „Grundrechtsverzicht“: Stern, Staatsrecht, Band III/2, S. 887 f.; ErfK-Dieterich, GG, Einl. Rn. 62; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 301, welche zu Recht anmerken, dass ein Totalverzicht praktisch nicht vorkomme und unzulässig sei. Stattdessen müsse man von Einwilligungen in Grundrechtseinschränkungen sprechen. Das BVerfG hat bisher in keiner Entscheidung den Begriff des Grundrechtsverzichts verwendet (letzte Abfrage bei juris am 1.3.2010), vgl. hierzu auch Stern, Staatsrecht, Band III/2, S. 897 ff. 276 Vgl. nur Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 301; Geiger, NVwZ 1989, 35; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 135 ff. 277 Deutlich Bötticher, Einrichtungen, S. 123: „Mir scheint umgekehrt der zulässige Gegenstand eines Tarifvertrages oft nur dann richtig ermittelt werden zu können, wenn man die Frage stellt, ob für diesen Gegenstand auch gekämpft werden könnte.“ Vgl. auch BAG v. 14.2.1978 – 1 AZR 76/76, AP Nr. 58 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter 6. b) der Entscheidungsgründe. 278 Siehe stellvertretend Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1026 f.) m.w. N.

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hat. Der Umstand, dass jeder Tarifvertragsabschluss unter einem latenten279 oder abstrakten280 Streikdruck zustande kommt, auch wenn keine konkrete Streikandrohung von der Gewerkschaft ausgesprochen wurde, führt nicht zwangsläufig zur Unfreiwilligkeit des Tarifvertragsschlusses.281 Ist die Abgrenzung zwischen druckfreiem und erzwungenem Zustandekommen eines Tarifvertrags im Einzelfall zwar schwer zu ziehen (liegen doch zwischen Beginn der Tarifvertragsverhandlungen und der Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen regelmäßig mehrere Handlungsschritte), kann man davon auszugehen, dass eine Einigung ohne Druckausübung seitens der Gewerkschaften zustande gekommen ist, wenn auf eine Streikandrohung gänzlich verzichtet wurde. Ein bloßer Hinweis auf das Recht zur Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen dürfte ebenfalls noch nicht als Druckausübung auf die Arbeitgeberseite angesehen werden, die einer Freiwilligkeit des Tarifvertragsabschlusses entgegensteht. Selbst wenn eine große Gewerkschaft an ein kleines Unternehmen herantritt und den Abschluss eines Firmentarifvertrags fordert, führt dies nicht zwangsläufig zur Unfreiwilligkeit des Tarifvertragsschlusses. Die Gefahr, dass eine Gewerkschaft dem Arbeitgeber aufgrund eines höheren Verhandlungsgewichts einen Firmentarifvertrag aufzwingt, besteht in diesem Fall nicht, sondern ist ein Problem der Zulässigkeit von streikbewehrten Forderungen. An der Freiwilligkeit fehlt es jedoch dann, wenn die Gewerkschaft Arbeitskampfmaßnahmen zur Durchsetzung des Tarifvertrags durchführt. Für die rechtliche Bewertung eines solchen unter Streikdruck erzielten Tarifvertrags ist die Rechtmäßigkeit des Arbeitskampfes von entscheidender Bedeutung: Wurde der Arbeitgeber in rechtswidriger Weise zum Tarifvertragsabschluss bewegt, entfaltet dieser keine rechtlichen Wirkungen, wenn der bestreikte Arbeitgeber den Tarifvertragsabschluss nicht gelten lassen will.282 Aus ähnlichen Erwägungen heraus könnte ein standortsichernder Tarifvertrag nach entsprechender Gestaltungserklärung keine Wirkung entfalten, wenn die Gewerkschaft Zugeständnisse unter Vorspiegelung falscher Verlagerungsabsich279

Walker, ZfA 2004, 501 (532). Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 31. 281 Ebenso Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 68 f.; Franzen, ZfA 2005, 315 (336 f.); Hanau//Thüsing, ZTR 2001, 49 (53); Walker, ZfA 2004, 501 (531 f.); a. A. Galperin, DB 1966, 620 (624); Däubler-Hensche, TVG, § 1 Rn. 854. 282 Vgl. Dreyer, Gewinnbeteiligung, S. 258 f. Umstritten ist die Beantwortung der daran anknüpfenden Folgefrage, ob der normative Teil des Tarifvertrags (rückwirkend) anfechtbar ist oder ein Kündigungsrecht des Arbeitgebers besteht. Für eine Lösung über § 123 BGB: Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 773; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 494; Otto, in: FS Konzen, S. 663 (684); kritisch Kissel, Arbeitskampfrecht, § 35 Rn. 31. Für ein Kündigungsrecht des Arbeitgebers: Däubler-Reim, TVG, §1 Rn. 160 ff.; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 327, 329 die jedoch eine Anfechtung für den schuldrechtlichen Teil zulassen wollen. Das BAG hat diese Frage bisher offen gelassen, vgl. BAG v. 19.10.1976 – 1 AZR 611/75, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form. 280

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ten der Arbeitgeberseite macht und nach Bekanntwerden den Tarifvertrag nicht gelten lassen will.283 All dies spricht zwingend dagegen, einen Firmentarifvertrag, welcher eine Standortzusage enthält und an dessen Abschluss der Arbeitgeber unmittelbar beteiligt ist, mit einem hoheitlichen Eingriff des Staates in die Grundrechte der Arbeitgeber gleichzustellen. Einer Abwägung kollidierender Grundrechtspositionen im Rahmen einer Rechtfertigungsprüfung bedarf es nicht, da keine Grundrechtskollision von Art. 9 Abs. 3 GG mit Grundrechten der Arbeitgeber vorliegt, wenn ein Firmentarifvertrag ohne Streikdruck abgeschlossen wird. 3. Grenzen der Grundrechtsbetätigung Dieses Ergebnis, dass durch die Einwilligung dem Tarifvertragsabschluss die Eingriffsqualität fehle, reicht aber noch nicht aus, um einen Verfassungsverstoß gänzlich abzulehnen.284 Vielmehr gilt es zu hinterfragen, ob ein solcher Grundrechtsverzicht zulässig und unter welchen Voraussetzungen er wirksam ist.285 Hanau/Thüsing286 weisen zu Recht darauf hin, dass auch der Konsens der Parteien nicht jeglichen Grundrechtsschutz beseitigen kann. Daher gilt es zu überprüfen, ob ein freiwilliger Abschluss eines Firmentarifvertrags einen Verstoß gegen die Wirksamkeitsvoraussetzungen eines Grundrechtsverzichts darstellen kann. Damit eine Einwilligung in zukünftige Beschränkungen eigener Grundrechtspositionen wirksam wäre, müsste der Verzicht freiwillig erfolgen und der Grundrechtsberechtigte darüber hinaus dispositionsbefugt sein, um wirksam in Grundrechtseinschränkungen einwilligen zu können. Diese Grenzen eines Grundrechtsverzichts sind für jedes Grundrecht gesondert zu bestimmen.287 Eine Unveräußerlichkeitsschranke wird zunächst nur bei solchen Grundrechten angenommen, welche zugleich öffentlichen Interessen dienen.288 Bei der Berufs- oder Eigentumsfreiheit ist dies jedoch nicht anzuerkennen.289 Die Berufsfreiheit baut als personales Grundrecht gerade auf dem Gedanken auf, dass die Grundrechtsberechtigten möglichst frei über ihre Grundrechte 283

Vgl. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 162; Franzen, ZfA 2005, 315 (324 ff.). So jedoch Wolter, RdA 2002, 218 (222). 285 Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 67 f.; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 67 ff.; Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49 (52); Zachert, DB 2001, 1198 (1202). Grundlegend zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen eines Grundrechtsverzichts Robbers, JuS 1985, 925; Stern, Staatsrecht, Band III/2, S. 902 ff.; siehe auch Fischinger, JuS 2007, 808 (809 ff.). 286 Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49 (52); Wiedemann-Thüsing, TVG, §1 Rn. 709. 287 Vgl. Voßkuhle/Kaiser, JuS 2009, 313 (314) m.w. N. 288 Vgl. Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 69; ErfK-Dieterich, GG, Einl. Rn. 64; Fischinger, JuS 2007, 808 (811). 289 Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 69; Hanau/Thüsing, in: Thüsing (Hrsg.), Tarifautonomie im Wandel, S. 7 (30); Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 708. 284

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verfügen können.290 Schranken der Dispositionsbefugnis können sich somit nur aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 2 GG ergeben. Danach darf ein Grundrechtsverzicht nicht gegen die Menschenwürde verstoßen und den Wesenskern des Grundrechts aushöhlen.291 Ein Verstoß gegen die Menschenwürde ist hier nicht denkbar, so dass die Frage bleibt, inwieweit der Wesensgehalt der Berufsfreiheit durch eine freiwillige Standortzusage im Firmentarifvertrag berührt wird und sich daraus eine Unveräußerlichkeitsgrenze hinsichtlich der Verzichtbarkeit für bestimmte Bereiche ergibt. Zur Erinnerung sei gesagt: Dieser Wesensgehaltskern ist für jedes Grundrecht isoliert, aus seiner besonderen Bedeutung im Gesamtsystem der Grundrechte und zudem für jeden einzelnen Fall gesondert zu ermitteln.292 Über diese allgemeinen Formeln hinausgehende Kriterien zu den Grenzen eines Grundrechtsverzichts lassen sich der Rechtsprechung nicht entnehmen. Dieterich293 merkt an, dass diese Abgrenzung bisher „über vage Andeutungen noch nicht hinausgekommen“ sei und es sich um einen „Vorbehalt für Extremfälle“ handle. Reinartz294 hat dagegen versucht, für das Grundrecht der Berufsfreiheit in der Konstellation tarifvertraglicher Vereinbarungen ein Abgrenzungskriterium zu entwickeln und sieht die Grenzen eines zulässigen Grundrechtsverzichts im Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG dort überschritten, wo der Unternehmer auf die Entscheidung über Bestand, Umfang und Zielsetzung des Unternehmens verzichten will. Er überträgt somit die Lehre, nach der ein bestimmter Bereich unternehmerische Entscheidungsfreiheit dem staatlichen und erst recht dem tariflichen Zugriff mittels Tarifvertrag und Arbeitskampf entzogen sein soll,295 auf die Schranken eines Verzichts auf Art. 12 Abs. 1 GG, was zur generellen Unzulässigkeit eines Standortsicherungstarifvertrags führe, weil die Betriebsschließung dem Kernbereich der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit zuzuordnen sei.296 Dies ist insoweit kritikwürdig, als dass damit dem Unternehmer die Dispositionsbefugnis für Fragen des Bestands, Umfangs oder Zielsetzung seines Unternehmens zwangsläufig abgesprochen würde. Mag man noch die Gründe verstehen, die hinter dem Ziel stehen, solche Fragen nicht der Arbeitskampffreiheit zu 290

ErfK-Dieterich, GG, Einl. Rn. 64; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 179. Vgl. dazu Fischinger, JuS 2007, 808 (811); Stern, Staatsrecht, Band III/2, S. 916 ff. m.w. N. 292 Siehe hierzu bereits Kapitel 3 A. III. 2. b). 293 ErfK-Dieterich, GG, Einl. Rn. 66; ähnlich Lerche, in: HdBStR, Band V, § 122 Rn. 45. 294 Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 179; ähnlich wohl auch Bayreuther, Tarifautonomie, S. 285. 295 Siehe stellvertretend Beuthien, ZfA 1984, 1 ff.; Walker, ZfA 2004, 501 ff.; Wiedemann, RdA 1986, 231 (232); siehe Kapitel 3 A. III. 2. 296 Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 199 f., deutlich These 23 auf S. 388. 291

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unterstellen, damit der Arbeitgeber nicht gezwungen werden kann, die Gewerkschaften bei der Unternehmensführung zu beteiligen, erscheint es zu weitreichend, dem Arbeitgeber seine Dispositionsbefugnis innerhalb des Schutzbereichs von Art. 12 Abs. 1 GG für solche Fragen gänzlich abzusprechen. Hensche297 und auch Wiedemann298 weisen zu Recht darauf hin, dass Unternehmer regelmäßig Verträge mit Banken, Kreditgebern und Gemeinden abschließen, welche an Bedingungen geknüpft sind, die ebenfalls auf eine solche Steuerung der Unternehmensführung abzielen. „Würde er der Gewerkschaft das Unternehmen schenken, so würde man ihm dies sicher nicht mit Blick auf Art. 12 GG verwehren wollen.“ 299 Dies offenbart, dass es im Schutzbereich des vertragsnahen und der persönlichen Entfaltung dienenden Grundrechts der Berufsfreiheit dem Unternehmer nicht verwehrt werden kann, umfangreiche Zugeständnisse hinsichtlich unternehmenspolitischer Grundlagenentscheidungen in einem Tarifvertrag zu machen, falls kein Verhandlungsdruck durch Arbeitskampf auf ihn ausgeübt wurde.300 Gründe, den Arbeitgeber in diesem Fall vor dem „eigenen Vertragsschluss zu schützen“, wenn seitens der Gewerkschaft auf Arbeitskampfmaßnahmen verzichtet wird, sind nicht ersichtlich.301 In druckfreien Verhandlungen hat es der Arbeitgeber selbst in der Hand, zu entscheiden, in welchem Ausmaß er seine unternehmerische Entscheidungsfreiheit preisgeben will. Beabsichtigt er, umfangreiche Zugeständnisse zu machen, um im Gegenzug ein Entgegenkommen der Gewerkschaftsseite zu erreichen, muss dies zulässig sein, solange kein arbeitskampfrechtlicher Verhandlungsdruck ausgeübt wurde. Somit besteht kein Bedürfnis, solchen Vereinbarungen die Zulässigkeit zu verwehren. Auch für den Fall, dass sich ein Tarifvertragsabschluss im Nachhinein als zu hoch herausstellt und das Unternehmen in wirtschaftliche Gefahr bringen könnte, ist der Arbeitgeber keineswegs schutzlos. Zunächst könnte er gegen die vom Tarifvertrag ausgehende Belastung vorgehen. Durch die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung des Tarifvertrags kann er die Laufzeit des Tarifvertrags verkürzen. Auch wenn die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung im Tarifvertrag nicht geregelt wurde, so ist sie doch analog § 77 Abs. 5 BetrVG möglich und kann nur bei einer Befristung des Tarifvertrags als konkludent ausgeschlossen angesehen werden.302 Der Arbeitgeber kann ordentlich kündigen, muss jedoch 297

Hensche, AuR 2004, 443 (447 f.); Däubler-ders., TVG, § 1 Rn. 832. Vgl. Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 328. 299 So treffend Bayreuther, Tarifautonomie, S. 284. 300 Vgl. Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 69 f. 301 Rieble, Arbeitsmarkt, S. 385; so im Ergebnis auch Buchner, DB 2001, Beil. 9, 1 (8); restriktiver Bayreuther, Tarifautonomie, S. 284 f. 302 BAG v. 18.6.1997 – 4 AZR 710/95, AP Nr. 67 zu § 77 BetrVG 1972; Oetker, RdA 1995, 82 (95); Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 588; Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 21. 298

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die Nachwirkung der Vereinbarung gemäß § 4 Abs. 5 TVG in Kauf nehmen. Diese entfällt jedoch dann, wenn der Tarifvertrag wie hier als schuldrechtlich wirkende Vereinbarung abgeschlossen wurde.303 Ob darüber hinaus eine Korrektur des Tarifvertragsabschlusses über § 313 BGB in Betracht kommt oder ausschließlich eine außerordentliche Kündigung eine Loslösung vom Tarifvertrag ermöglichen soll, wird unterschiedlich beurteilt.304 Losgelöst von dieser dogmatischen Frage wird eine wirtschaftliche „Überforderung“ der Arbeitgeberseite durch den Abschluss eines zu hoch datierten Tarifvertrags alleine aber keinen schwerwiegenden Grund darstellen, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen könnte oder eine Korrektur über § 313 BGB zuließe.305 Dies wäre nur dann der Fall, wenn dem Arbeitgeber das Festhalten am Vertrag durch eine Veränderung der außerhalb der Sphäre des Arbeitgebers liegenden Umstände nicht zumutbar wäre.306 Gelingt dem Arbeitgeber dieser Nachweis, wird er sich von den tarifvertraglichen Bindungen rechtswirksam lösen können. Weitgehend ungeklärt ist bisher, inwieweit eine Lösung unter Rückgriff auf den Grundrechtsverzicht zwingend eine Widerrufsmöglichkeit der Verzichtserklärung im Tarifrecht nach sich zieht. Obgleich nicht unumstritten, hat sich im staatsrechtlichen Schrifttum der Grundsatz gefestigt, dass es möglich sein muss, die dem Grundrechtsverzicht zugrunde liegende Erklärung zu widerrufen, so dass die rechtfertigende Wirkung des Grundrechtsverzichts somit entfallen würde.307 Beim Firmentarifvertrag hält der einzelne Arbeitgeber die Möglichkeit der Kündigung selbst in der Hand und kann dieses Recht ausüben.308 In einer solchen Gestaltungserklärung könnte zugleich die Widerrufserklärung gesehen werden. Ist eine Kündigung oder Vertragsanpassung zulässig, ergeben sich keine Probleme. Doch wie ist zu verfahren, wenn eine Loslösung vom tarifvertraglich Vereinbarten durch Kündigung oder Anpassung de lege lata unzulässig ist?

303

Vgl. Oetker, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 8 Rn. 22. Siehe hierzu BAG v. 18.12.1996 – 4 AZR 129/96, BAGE 85, 28 ff.; Belling, NZA 1996, 906 ff.; Bender, Geschäftsgrundlage, S. 387 ff.; Benedikt, Sanierung, S. 60 ff.; ErfK-Franzen, TVG, § 1 Rn. 33 ff.; Freihube, Tarifbindung, S. 142 ff.; Hey, ZfA 2002, 275 ff.; Otto, in: FS Konzen, S. 663 (679 ff.); Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 65 ff.; Wiedemann, in: FS Dieterich, S. 661 (670 ff.); Otto, in: FS Konzen, S. 663 (679 ff.). 305 Vgl. Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 34, 58, 60 m.w. N.; siehe hierzu auch den strengen Maßstab in BAG v. 18.2.1998 – 4 AZR 363/96, NZA 1998, 1008; BAG v. 18.6.1997 – 4 AZR 710/95, AP Nr. 67 zu § 77 BetrVG 1972. 306 Vgl. Otto, in: FS Konzen, S. 663 (680); Steinau-Steinrück/Mosch, NJW-Spezial 2009, 210 (210 f.); Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 328. 307 Siehe zur Notwendigkeit einer Widerrufsmöglichkeit Robbers, JuS 1985, 925 (926); Sachs, Verfassungsrecht II, S. 116; Stern, Staatsrecht, Band III/2, S. 915 f. 308 Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 709. 304

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Auf diese Frage gibt es bisher keine eindeutige Antwort. Dennoch kann man festhalten: Die Rechtsfigur des Grundrechtsverzichts wurde ursprünglich für Einwilligungen in Grundrechtsbeeinträchtigungen im Subordinationsverhältnis entwickelt.309 Ihre Übertragung auf das Tarifrecht muss nicht zwangsläufig bedeuten, umfassende Widerrufsmöglichkeiten tarifvertraglicher Bindungen anzunehmen, wie man sie etwa für die Durchsuchung ohne richterliche Anordnung mit Zustimmung des Wohnungsinhabers annehmen muss.310 Zudem gilt es zu bedenken, dass das Tarifrecht – wie dargestellt – Kündigungs- und Anpassungsmöglichkeiten vorsieht. Ist es nach geltendem Recht nur eingeschränkt zulässig, sich vom Tarifvertrag durch außerordentliche Kündigung oder Anpassung mit sofortiger Wirkung lösen zu können, kann man dies auch mit dem schützenswerten Vertrauen der tarifgebundenen Arbeitnehmer in die tarifliche Regelung begründen.311 Ein solches wird in vielen sonstigen Konstellationen fehlen, bei denen man die Zulässigkeit eines Grundrechtsverzichts annimmt. Dass ein Widerruf des Grundrechtsverzichts nach Anwendung des Tarifvertrags nur noch eingeschränkt möglich wäre, steht zudem im Einklang mit der Dogmatik des Grundrechtsverzichts.312 Darüber hinaus könnte man jedoch für weitere Fallkonstellationen über die Möglichkeit eines außerordentlichen Kündigungsrechts mit „ex-nunc“-Wirkung für die Arbeitgeberseite nachdenken, wenn eine unvorhersehbare Situation eintritt, vor deren Hintergrund die Einwilligung nicht erteilt worden wäre.313 Vielfach werden sich solche Fälle aber mit den bestehenden Instrumenten des Tarifvertragsrechts angemessen lösen lassen. Gleichwohl könnte dies ein Ansatzpunkt für die zukünftige Fortentwicklung hinsichtlich des Streits um die Anforderungen an eine Loslösung vom Tarifvertrag durch außerordentliche Kündigung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage bei freiwilligen Vereinbarungen sein.314 Bedeutsam wird dieser Aspekt einer Notwendigkeit von Widerrufsmöglichkeiten der Verzichtserklärungen jedoch erst im Fall einer Regelung auf Verbandsebene aufgrund des Dreiecksverhältnisses zwischen den vertragsschließenden Tarifvertragsparteien und dem Verbandsmitglied, da ein Gestaltungsrecht nur vom Verband und nicht vom Verbandsmitglied ausgeübt werden kann.315 Da die Möglichkeit einer wirksamen Vereinbarung von Standortzusagen auf Verbandsebene ausscheidet,316 stellt sich diese Frage jedoch nicht.

309 310 311 312 313 314 315 316

Stern, Staatsrecht, Band III/2, S. 888 ff. Vgl. Stern, Staatsrecht, Band III/2, S. 916. Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 177. Vgl. Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 177 f. Vgl. Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 177 f. Vgl. auch Thüsing, NZA 2008, 201 (203). Siehe hierzu Kapitel 4 C. III. 4. und 5. Siehe Kapitel 3 B. III. 4. b).

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All dies zeigt, dass die Berufsfreiheit der Arbeitgeber im Fall einer freiwilligen Vereinbarung im Firmentarifvertrag nicht verletzt wird. Beim „freiwilligen“ Abschluss von Firmentarifverträgen liegt somit kein ungerechtfertiger Eingriff in die Berufsfreiheit des Arbeitgebers vor. Standortsichernde Tarifverträge sind daher uneingeschränkt rechtmäßig. Auch umfangreiche Vereinbarungen, die eine Bindung des Arbeitgebers an den Unternehmensstandort über mehrere Jahre vorsehen, werden durch den im freiwilligen Vertragsabschluss zu erblickenden Grundrechtsverzicht des Arbeitgebers gerechtfertigt. 4. Zwischenergebnis Ein Verstoß gegen Grundrechte des Arbeitgebers ist bei einem Standortsicherungstarifvertrag in Form eines freiwilligen Firmentarifvertrags nicht ersichtlich. Die Dispositionsbefugnis des Arbeitgebers umfasst die tarifliche Zusicherung, über einen längeren Zeitraum einen Unternehmensstandort zu betreiben.

III. Erstreikbarkeit von Standortzusagen Ist eine Standortzusage des Arbeitgebers also zumindest in Form eines freiwilligen Firmentarifvertrags tariflich regelbar, stellt sich nun die Frage, ob auch ein Arbeitskampf zur Durchsetzung einer Standortzusage gegen den Willen des Arbeitgebers zulässig ist. Dieser Wechsel von der tarif- auf die arbeitskampfrechtliche Seite des Problems einer Einflussnahme auf unternehmerische Standortentscheidungen wirft zunächst grundlegende Fragen zur Reichweite der Arbeitskampffreiheit im Verhältnis zur tarifvertraglichen Vereinbarungsbefugnis auf. 1. Rückschluss von der Regelbarkeit auf die Erstreikbarkeit? Ein großer Teil des Schrifttums geht davon aus, dass von der tariflichen Regelbarkeit einer Tarifforderung zwangsläufig auch auf die Erstreikbarkeit geschlossen werden könne.317 Es gelte der Grundsatz: „Was tariflich regelbar ist, müsse 317 Vgl. Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, § 1 Rn. 90c; Buchner, SAE 1991, 356 (363); Däubler, Mitbestimmung, S. 428 f.; Hanau/ Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 286; Hensche, AuR 2004, 443 (450); Heß, ZfA 1976, 45 (60); Höninger, RdA 1953, 204 (206); Jacobs, ZTR 2001, 249 (252); Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1026 f.); Meik, Tarifautonomie, S. 51 f.; Oberberg/Schoof, AiB 2002, 169 (170); Paschke/Ritschel, AuR 2007, 110 (112); Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 317; Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 965; Richardi, RdA 1966, 241 (247); Rieble, RdA 1993, 140 (146); Brox/Rüthers-Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 261; Sunnus, AuR 2008, 1 (3); Weiß/Weyand, BB 1990, 2109; Zachert, DB 2001, 1198 (1202); Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 36. Eindeutige Rechtsprechung des BAG zu dieser Frage findet sich nicht, vgl. Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 52. Für einen Rück-

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auch erstreikbar sein.“ In diesem Zusammenhang wird oftmals auf die Formel von Blanpain318 verwiesen: „Tarifvertragsverhandlungen ohne das Recht zum Streik sind im Allgemeinen nicht mehr als kollektives Betteln.“ 319 Wurde für ohne Streikdruck erzielte Vereinbarungen ein tendenziell weiter Gestaltungsspielraum ermittelt, würde dies zwangsläufig umfangreiche Kampfbefugnisse im Bereich unternehmerischer Standortpolitik nach sich ziehen, ohne dass es dazu weiterer Überlegungen hinsichtlich der inhaltlichen Grenzen der Streikfreiheit bedürfte. Ansatzpunkte für eine Rechtmäßigkeitsprüfung eines Standortstreiks wären ausschließlich die Anforderungen an die Kampfbeteiligten und and die Art und Weise der Kampfführung. Fordern Gewerkschaften vom Arbeitgeber unter Einsatz von Streikmaßnahmen den Abschluss eines Standortsicherungstarifvertrags, werden sich regelmäßig keine Einschränkungen der Streikfreiheit mehr ergeben, wenn die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen zur Durchführung eines Streiks eingehalten werden. Auch ein Verstoß gegen die relative Friedenspflicht kommt nicht in Betracht, wenn noch kein bindender Standortsicherungstarifvertrag existiert, welcher das „Ob“ der Verlagerung regelt. Entscheidend ist also, ob aus dem Umstand, dass eine Sachmaterie tarifierbar ist, ihre Erstreikbarkeit folgt. Die Verhinderung der Verlagerung könnte schon deswegen zum Kampfziel erhoben werden, weil sie einer tariflichen Regelung zugänglich sei. Einige Autoren versuchen die Deckungsgleichheit von Tarifvertrags- und Arbeitskampffreiheit mit der fehlenden Einschränkbarkeit der Tarifautonomie zu begründen.320 Dagegen lässt sich schon einwenden, dass die Koalitionsfreiheit zwar ohne Vorbehalt versehen wurde, sie aber kein schrankenlos geschütztes Recht ist.321 Mehr Gewicht kommt daher der von weiten Teilen des Schrifttums verfolgten Argumentationslinie zu, welche auf die Hilfsfunktion des Arbeitskampfes abgestellt: Im Umkehrschluss zur Tarifbezogenheit des Arbeitskampfschluss von der Regelbarkeit auf die Erstreikbarkeit spricht aber die Entscheidung v. 12.9.1984, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, unter A. I. 2. b) der Entscheidungsgründe. Gegen diese These anführen lässt sich (zumindest im Fall einer schuldrechtlichen Vereinbarung) die Entscheidung des BAG v. 14.2.1978 AP Nr. 58 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, unter 6. b) der Entscheidungsgründe. 318 Siehe hierzu Thüsing, ZIP 2003, 693 (701, Fn. 69 m.w. N.), der Blanpain nicht als Urheber, sondern als „Bote“ dieser Formel ausmacht, welche im US-Schrifttum weit verbreitet sei. 319 Vgl. BAG v. 10.6.1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter A. I. 2. a) der Entscheidungsgründe; BAG v. 12.9.1984, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, unter B. II. 2. der Entscheidungsgründe; Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, § 1 Rn. 90c; Hensche, AuR 2004, 443 (450); Kühling/Bertelsmann, NZA 2007, 1017 (1026). 320 Vgl. Däubler-Schumann, Arbeitskampfrecht, Rn. 164. 321 Vgl. BVerfG v. 19.2.1975 – 1 BvR 418/71, BVerfGE 38, 386 (393); BVerfG v. 3.4.2001 – 1 BvL 32/97, BVerfGE 103, 293 (306); BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 2203/ 93 u. a., BVerfGE 100, 271 (283).

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rechts soll alles tariflich Regelbare auch erkämpft werden können.322 Ansonsten bestünde die Gefahr, dass die Arbeitnehmerseite ihre Interessen nicht hinreichend geltend machen und sich die Arbeitgeber einer Einigung entziehen könnten, ohne befürchten zu müssen, einem Arbeitskampf ausgesetzt zu sein, der sie gegebenenfalls zum Einlenken bewegt hätte.323 Die Notwendigkeit einer Differenzierung ergebe sich weder aus Art. 9 Abs. 3 GG noch aus dem TVG.324 Mag diese These im Hinblick auf die instrumentelle Verknüpfung zwischen Tarifvertrag und Arbeitskampf auf den ersten Blick durchaus einleuchten und hinsichtlich ihrer Ergebnisse vielfach auch zutreffend sein, ist eine Deckungsgleichheit von tariflicher Regelbarkeit und Erstreikbarkeit dennoch nicht zwingend. Im jüngeren Schrifttum325 ist sie in Anschluss an Gamillscheg326 berechtigten Zweifeln ausgesetzt worden. Die grundsätzliche Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen tariflicher Regelbarkeit und Erstreikbarkeit ist bereits aufgrund der Ergebnisse der Untersuchung zur tariflichen Regelbarkeit von Standortzusagen – wie dort bereits angedeutet327 – angezeigt: Als Grundlage der Überlegungen, den Gestaltungsspielraum für freiwillige tarifliche Regelungen zur Standorterhaltung weit zu öffnen, wurde ein Grundrechtsverzicht angenommen, wenn sich der Arbeitgeber, ohne dass er Streikdruck ausgesetzt wurde, in einem Firmentarifvertrag zur längerfristigen Aufrechterhaltung einer Betriebsstätte verpflichtet. Für den Fall, dass eine Einigung erst nach Durchführung von Streikmaßnahmen erzielt wird, kann man von Freiwilligkeit nicht sprechen.328 Bezog sich eine Grundrechtsprüfung bei freiwilligen Vereinbarungen darauf, die Schranken der Dispositionsbefugnis für 322 Vgl. Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, § 1 Rn. 90c; Hensche, AuR 2004, 443 (450); Kühling/Bertelsmann, NZA 2007, 1017 (1026). 323 Vgl. Däubler, Mitbestimmung, S. 428; Sunnus, AuR 2008, 1 (3). 324 Hensche, AuR 2004, 443 (450); Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 36. 325 Vgl. etwa Bayreuther, Tarifautonomie, S. 286; Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 303 ff.; Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 49 ff.; ErfK-Dieterich, GG, Art. 9 Rn. 71; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 72 ff.; Franzen, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 142 ff.; dens., ZfA 2005, 315 (337); dens., Anm. zu BAG v. 10.12.2002, EzA Art. 9 GG Nr. 134 Bl. 31 ff.; Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49 (52); Hohenstatt/Schramm, DB 2004, 2214 (2217); Krause, Standortsicherung, S. 94; MünchArbR-Otto, 2. Aufl., § 285 Rn. 16; dens., Arbeitskampfrecht, § 5 Rn. 13 ff.; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 181 ff.; Sutschet, ZfA 2005, 581 (602); Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 708 ff.; dens., NZA 2008, 201 (203); Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 443. Früher schon kritisch Bunge, Tarifinhalt, S. 1 ff. m.w. N. zum älteren Schrifttum. 326 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 339 ff., 1069 f. 327 Siehe Kapitel 3 C II. 2. 328 A.A. wohl BAG v. 6.12.2007 – 4 AZR 798/05, DB 2007, 1362 (1364): „Denn ein Tarifvertrag ist rechtlich ohnehin nicht erzwingbar; eine darin vereinbarte Leistung des Arbeitgebers ist vor dem Hintergrund der Entscheidung des 1. Senats stets als ,freiwillig‘ anzusehen.“

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

einen Verzicht auf Grundrechtsschutz zu ermitteln, ist bei einem Arbeitskampf eine Grundrechtsabwägung erforderlich, um festzustellen, ob mit der Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG einhergeht. Schon aus diesem Grund wäre es nicht grundrechtskonform, die inhaltlichen Schranken der Tarifvertragsfreiheit auf die Arbeitskampfreiheit zu übertragen, wenn man bei der Frage nach der Regelungskompetenz zur Vereinbarung von standortsichernden Firmentarifverträgen eine Grundrechtsabwägung als entbehrlich ansieht, weil schon kein Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit der verlagerungswilligen Arbeitgeber vorliegt. Ein Arbeitskampf zur Durchsetzung solcher Tarifverträge weist im Gegensatz zu einem ohne Streikdruck erzielten Firmentarifvertrag dagegen Eingriffscharakter auf. Der Gedanke, dass ein Rechtsgeschäft nicht wegen seines Inhalts, sondern vielmehr nur wegen seines Zustandekommens zu missbilligen sein kann, lässt sich bereits aus den §§ 123, 138 Abs. BGB ableiten.329 Das TVG spricht ebenfalls nicht zwingend für die These von der Deckungsgleichheit von tariflicher Regelbarkeit und Erstreikbarkeit. § 1 Abs. 1 TVG legt zwar die Grenzen der Normsetzungsbefugnis abschließend fest,330 trifft aber gerade keine Regelung hinsichtlich der Erstreikbarkeit von Tarifforderungen.331 Dieterich332 weist zu Recht darauf hin, dass Tarifautonomie und Arbeitskampfrecht nicht so eng miteinander verbunden seien, „dass das eine ohne das andere nicht in Betracht käme“; es seien „keine völlig deckungsgleichen Sachbereiche“ betroffen. Somit lässt sich festhalten, dass es geboten erscheint, zwischen freiwilligen und unter Streikdruck erzielten Lösungen zu unterscheiden. Daraus folgt die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen tariflicher Regelbarkeit und Erstreikbarkeit von Tarifklauseln: Nicht alles, was zwischen den Tarifvertragsparteien vertraglich geregelt werden kann, muss zwangsläufig auch zulässiger Gegenstand eines Arbeitskampfes sein. Dies gilt für normative und schuldrechtliche Regelungen. Wollte man den „traditionellen“ Weg wählen, hätten arbeitskampfrechtliche Erwägungen bereits bei der Bestimmung der tarifvertraglichen Einflussnahmemöglichkeiten mit eingebracht werden müssen. Dies würde aber den Gestaltungsspielraum für freiwillige Vereinbarungen erheblich verkürzen, da nur solche Regelungen freiwillig vereinbar wären, die auch mittels Arbeitskampf hätten durchgesetzt werden können. Die Handlungsmöglichkeiten der Tarifvertragsparteien werden also erweitert, wenn man zum Ergebnis gelangt, dass bestimmte Bereiche 329 330 331 332

Otto, Arbeitskampfrecht, § 5 Rn. 14. Siehe Kapitel 3 B. II. 2. Siehe hierzu sogleich unter Kapitel 3 C. III. 2. ErfK-Dieterich, GG, Art. 9 Rn. 71.

C. Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG

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bestehen, in denen nur eine freiwillige Vereinbarung zulässig wäre und somit ein Kampfverbot bestünde. Ob ein solcher Freiwilligkeitsvorbehalt im Bereich unternehmerischer Standortpolitik tatsächlich existiert, ist eine Frage der Abwägung der kollidierenden Grundrechtsinteressen, auf die noch einzugehen sein wird. Es reicht also nicht aus, darauf zu verweisen, dass die Kampfforderung „Abschluss einer Standortzusage“ von Art. 9 Abs. 3 GG erfasst sei, um die Arbeitskampfbefugnis im Bereich unternehmerischer Standortpolitik zu bejahen. Stattdessen ist das grundrechtlich geschützte Recht auf Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen mit dem Grundrecht des Arbeitgebers auf freie Ausübung seines Berufs in Einklang zu bringen; die Grundrechtsgewährleistungen sind gegeneinander abzuwägen. Dies unterscheidet die Grundrechtsprüfung von freiwillig vereinbarten Firmentarifverträgen von der eines Arbeitskampfes. Anhand dieser Ergebnisse bestimmt sich die inhaltliche Arbeitskampfbefugnis und richtet sich somit auch die Beantwortung der Frage nach dem Bestehen eines Freiwilligkeitsvorbehalts, die sich zwangsläufig stellt, wenn man wie hier zwischen freiwilliger Regelung und erkämpftem Tarifvertrag differenziert. 2. Streik um lediglich schuldrechtlich regelbare Tarifforderungen Die bisherige Untersuchung hat hervorgebracht, dass der Umfang der Kampfbefugnis grundsätzlich nicht über den Umfang der tariflichen Vereinbarungsbefugnis hinausreicht und beide nicht notwendigerweise deckungsgleich sind. Eine Mindermeinung aus dem Schrifttum will noch weiter differenzieren und das Streikrecht auf die Durchsetzung normativer Regelungen beschränken. Erstreikbar sei nur eine Tarifforderung, welche dem normativen Teil des Tarifvertrags zugänglich sei.333 Während Mayer-Maly334 dies damit begründet, dass Arbeitskämpfe um schuldrechtliche Abreden sozial inadäquat seien, weisen andere Autoren darauf hin, dass der Gesetzgeber durch die Ausgestaltung des TVG zwischen unternehmerischen Freiheitsrechten und der Koalitionsfreiheit abgewogen und mittels dieser einfachgesetzlichen Regelung entschieden habe, welche Arbeitsbedingungen dem Streikrecht unterlägen.335 Lieb336 führt zur Bedeutung des TVG bei der Bestimmung der Arbeitskampffreiheit aus: 333 Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 342; Greiner, NZA 2008, 1274 (1277); Kaiser, in: Heinrich (Hrsg.), Krisen in Aufschwung, S. 65 (68); dies., in: FS Buchner, S. 385 (387); Lieb, DB 1999, 2058 (2067); Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (64 f.); Mayer-Maly, BB 1965, 829 (833); Rieble, ZfA 2004, 1 (22). 334 Mayer-Maly, BB 1965, 829 (833). 335 Vgl. Kaiser, in: Heinrich (Hrsg.), Krisen in Aufschwung, S. 65 (68); dies., in: FS Buchner, S. 385 (387) m.w. N. 336 Lieb, DB 1999, 2058 (2067).

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

„Jedenfalls unter dem Aspekt der Erkämpfbarkeit kann die schuldrechtliche Vereinbarungsbefugnis nicht weiter gehen als die normative; in beiden Fällen ist Anknüpfungspunkt allein die gesetzliche, Art. 9 Abs. 3 GG tarif- und arbeitskampfrechtlich zulässigerweise abschließend konkretisierende Regelung des § 1 TVG.“

Hinter dieser restriktiven Interpretation des Streikrechts steht die Vorstellung, dass es ansonsten den Gewerkschaften möglich wäre, schuldrechtliche Verträge unter Einsatz von Verhandlungsdruck zu erkämpfen.337 Für die Beurteilung von Arbeitskämpfen gegen die Umsetzung von Standortverlagerungsvorhaben hat diese Sichtweise weitreichende Folgen. Standortzusagen können nur schuldrechtlich in einem Firmentarifvertrag geregelt werden.338 Ein Streik, welcher den Arbeitgeber zum Abschluss einer tariflichen Standortzusage bewegen soll, wäre allein aus diesem Grund unzulässig.339 Um die Reichweite des Streikrechts um schuldrechtlich regelbare Inhalte zu bestimmen, sollte man sich zunächst das im Rahmen dieser Untersuchung zugrunde gelegte Verständnis vom Verhältnis zwischen normativer und schuldrechtlicher Vereinbarungsbefugnis der Tarifvertragsparteien in Erinnerung rufen:340 Normativ regelbar sind nur solche Tarifklauseln, welche unter den Regelungskatalog des § 1 Abs. 1 TVG subsumiert werden können, da der Gesetzgeber entsprechend seinem Auftrag zur Ausgestaltung der Tarifautonomie mittels dieser Vorschrift den Umfang der tarifvertraglichen Normsetzungsbefugnis abschließend festgelegt hat. Schuldrechtliche Regelungen sind vom Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG erfasst, sofern eine Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen bezweckt wird. Die schuldrechtliche Vereinbarungsbefugnis reicht also weiter als die tarifliche Normsetzungsbefugnis, da sich dem TVG nicht entnehmen lässt, dass schuldrechtlich nur das vereinbart werden kann, was auch normativ regelbar wäre. Im schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags können Vereinbarungen getroffen werden, welche dem normativen Teil nicht unbedingt zugänglich sind.341 Insoweit trägt die These, dass der Gesetzgeber im TVG den Umfang der schuldrechtlichen Regelungsbefugnisse auf Inhalte des normativen Teils beschränkt habe, nicht. Konnte die These einer Beschränkung der schuldrechtlichen Vereinbarungsbefugnis auf den Umfang der Normsetzungsbefugnis schon nicht überzeugen, über337 Vgl. Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (64); deutlich Kaiser, in: Heinrich (Hrsg.), Krisen in Aufschwung, S. 65 (69): „Lediglich schuldrechtliche Vertragsinhalte müssen auch die Tarifpartner mit Hilfe des Vertragsrechts durchsetzen.“ 338 Siehe Kapitel 3 B. 339 Greiner, NZA 2008, 1274 (1277); Kaiser, in: Heinrich (Hrsg.), Krisen in Aufschwung, S. 65 (68 f.). 340 Ausführlich hierzu unter Kapitel 3 B. II. u. III. 341 Zustimmend auch Lieb, DB 1999, 2058 (2067).

C. Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG

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zeugt die entsprechende Argumentation bezüglich der Begrenzung der Streikfreiheit ebenso wenig. § 1 Abs. 1 TVG lässt sich nicht – wie Lieb342 anmerkt – entnehmen, dass ausschließlich normative Regelungen erkämpft werden können. Lässt sich diese Norm schon nicht so deuten, dass eine Regelung hinsichtlich des Umfangs der schuldrechtlichen Vereinbarungsbefugnis getroffen werden sollte, kann man aus ihr erst recht keine Einschränkung des Streikrechts um lediglich schuldrechtlich regelbare Inhalte ableiten.343 Sie ist nicht so zu verstehen, dass der Gesetzgeber bestimmt habe, nur normativ regelbare Inhalte könnten erstreikt werden.344 § 1 Abs. 1 TVG trifft keine Aussage bezüglich des sachlichen Umfangs der schuldrechtlichen Vereinbarungsbefugnis und der Erstreikbarkeit lediglich schuldrechtlich regelbarer Forderungen. Auch unter Rückgriff auf Art. 9 Abs. 3 GG als verfassungsrechtlicher Grundlage des Streikrechts kann eine solch restriktive Einschränkung der Kampfbefugnisse nicht begründet werden. Das Streikrecht umfasst zunächst die Durchsetzung aller Tarifforderungen, welche Eingang in einen Tarifvertrag finden können. Gründe, den inhaltlichen Umfang der Kampfbefugnis enger zu bestimmen, sind nur für normative Tarifvertragsklauseln ersichtlich, legt doch die Art. 9 Abs. 3 GG ausgestaltende Vorschrift des § 1 Abs. 1 TVG den Umfang der Normsetzungsbefugnis fest und wirkt sich somit zwangsläufig auch auf das Recht aus, Arbeitskämpfe um normative Regelungen zu führen. Dies gilt jedoch eben nicht für lediglich schuldrechtlich regelbare Tarifforderungen. Das TVG darf auch nicht als Wertungsentscheidung des Gesetzgebers bezüglich einer Abwägung der gegenläufigen Interessen von Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 12 Abs. 1 GG angesehen werden. Dies lässt sich der Norm des § 1 Abs. 1 TVG ebenfalls nicht entnehmen. Stattdessen ist eine Abwägung im Einzelfall angezeigt, welche insbesondere den konkreten Inhalt der Kampfforderung berücksichtigt. Würde man die Erstreikbarkeit schuldrechtlicher Regelungen von vorneherein aus der Arbeitskampfbefugnis ausklammern, wurde dies vielmehr der Funktion des Arbeitskampfes als Hilfsmittel zur Tarifautonomie nicht gerecht. Insofern trägt der Hinweis, dass Tarifvertragsverhandlungen um schuldrechtliche Regelungen vielfach nur „kollektives Betteln“ wären und die Gewerkschaft nicht auf gleicher Augenhöhe verhandeln könnte.345 Schuldrechtliche Vereinbarungen wären stets nur freiwillig verhandelbar, ohne dass es auf den konkreten Inhalt der Forderung ankäme. Ein Streik um lediglich schuldrechtlich regelbare Tarifforderungen ist somit nicht generell unzulässig. Erkämpfbar sind lediglich schuldrechtlich regelbare 342 343 344 345

Lieb, DB 1999, 2058 (2067). Ähnlich Otto, Arbeitskampfrecht, § 5 Rn. 19; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 184. So jedoch Greiner, NZA 2008, 1274 (1277). Siehe hierzu bereits Kapitel 3 C. III. 1.

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

Tarifforderungen, sofern sie vom Schutzbereich der Koalitionsfreiheit umfasst sind und sich aus den Schranken der Arbeitskampfrechtsordnung keine Einschränkungen ergeben. Daher sind auch Tarifforderungen, die lediglich Eingang in den schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags finden können, nicht von vornherein der Befugnis, einen Arbeitskampf zur ihrer Durchsetzung zu führen, entzogen.346 Entscheidend ist eine Abwägung der kollidierenden Grundrechtspositionen von Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 12 Abs. 1 GG, um zu ermitteln, ob ein Arbeitskampf zur Verhinderung der Verlagerung zulässig ist. 3. Streik um die Standortverlagerung als unternehmenspolitische Grundlagenentscheidung? Ist eine freiwillige Vereinbarung von Standortzusagen sowohl von der Berufsfreiheit des Arbeitgebers als auch von der Tarifvertragsfreiheit umfasst und aufgrund eines Grundrechtsverzichts des Arbeitgebers zulässig, fehlt es an der Freiwilligkeit des Vertragsschlusses, wenn die Gewerkschaft eine entsprechende Tarifforderung mittels Streiks durchzusetzen versucht.347 Ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die Grundrechtssphäre des bestreikten Arbeitgebers liegt somit vor, so dass sich daran anknüpfend die Frage stellt, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang dieser durch kollidierende Grundrechtsinteressen gerechtfertigt ist.348 Im Gegensatz zur bisherigen Untersuchung bedarf es daher einer Abwägung kollidierender Grundrechtspositionen, die – wie noch zu zeigen sein wird – mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist.349

346 So im Ergebnis auch LAG Bremen v. 5.5.1998 – 2 Sa 127/98, AiB 1998, 538 (539); Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 147 ff.; Däubler, Mitbestimmung, S. 428; ders., Tarifvertragsrecht, Rn. 178; ErfK-Dieterich, GG, Art. 9 Rn. 114; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 71 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1070; Hölters, Harmonie, S. 125; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht, Band 2, S. 161; Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 168; Otto, Arbeitskampfrecht, § 5 Rn. 19 ff.; Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 965; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 184 f.; Rieble, Arbeitsmarkt, S. 406 f.; Brox/Rüthers-Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 260 f.; Däubler-Schumann, Arbeitskampfrecht, Rn. 154; Seiter, Streikrecht, S. 489 f.; Weyand, Mitbestimmung, S. 153; Wolter, RdA 2002, 218 (226). 347 Siehe Kapitel 3 C. II. 2. 348 Zur Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien siehe Kapitel 3 C. II. 1. Die Tarifvertragsparteien sind nicht nur bei der Vereinbarung von Tarifverträgen, sondern erst recht bei ihrer Durchsetzung an die Schranken der Verfassung gebunden, vgl. nur Kissel, Arbeitskampfrecht, § 25 Rn. 29 m.w. N.; Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 9 Rn. 365. 349 Treffend Krause, Standortsicherung, S. 83: „Spätestens an diesem Punkt kommt es zum Schwur, welches Gewicht man dem Interesse der Unternehmensleitungen, bei ihren Entscheidungen keinem Arbeitskampfdruck ausgesetzt zu sein, gegenüber dem Interesse der Gewerkschaften beilegt, durch die Androhung bzw. Ausübung von Kampfmaßnahmen ihren Forderungen nach einer tariflichen Einflussnahme auf das unternehmerische Handeln Nachdruck zu verleihen.“

C. Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG

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a) Meinungsstand Die instanzgerichtliche Rechtsprechung und der überwiegende Teil des Schrifttums sehen in einem Standortstreik gegen ein Verlagerungsvorhaben der Arbeitgeberseite einen ungerechtfertigten Verstoß gegen die Berufsfreiheit des Arbeitgebers und bewerten daher solche Arbeitskämpfe als generell unzulässig.350 Zur Begründung wird argumentiert, dass die unternehmerische Entscheidung, einen Betrieb zu verkleinern, zu schließen oder zu verlagern, dem Kernbereich von Art. 12 Abs. 1 GG zuzuordnen sei und nicht unter Einsatz von Verhandlungsdruck erkämpft werden könne, da die unantastbare Gründungs- und Beendigungsfreiheit unternehmerischer Tätigkeit auch das Recht umfasse, autonom über Standortverlagerungsvorhaben entscheiden zu können.351 Zum Teil wird ergänzend auf die Wertungen der §§ 111 ff. BetrVG verwiesen, die als gesetzliche Konkretisierung des Kernbereichs unternehmerischer Freiheitsrechte anzusehen und somit maßgeblich für die Bestimmung eines Freiwilligkeitsvorbehalts unternehmerischer Grundlagenentscheidungen seien.352 Die Regelungskonzeption der §§ 111 ff. BetrVG erweise sich „als grundrechtlich vorgegebener Ausgleich widerstreitender Grundrechtspositionen durch Herstellung praktischer Konkor350 So im Ergebnis LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ähnlich auch LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; offengelassen von BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (995); vgl. zuletzt ArbG Köln v. 21.6.2007 – 1 Ga 104/07 (juris) unter I. 2. b) der Entscheidungsgründe: „Die Frage, ob Gewerkschaften zu einem Streik mit dem Ziel aufrufen dürfen, bestimmte Standorte zu erhalten, ist in hohem Maße streitig. Es handelt sich um eine zweifelhafte und ungeklärte Rechtslage.“ Bauer/ Krieger, NZA 2004, 1019 (1022); Buchner, DB 2001, Beil. 9, 1 (7); Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 433 f.; Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 134; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 78 ff.; ders., NZA 2007, 310 (311); Franzen, ZfA 2005, 315 (329); Gaul, RdA 2008, 13 (18); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 345; Greiner, NZA 2008, 1274 (1278 f.); Grimm/Pelzer, NZA 2008, 1321 (1322); Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49 (52 f.); Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (558 ff.); Höfling, ZfA 2008, 1 (24); Hohenstatt/Schramm, DB 2004, 2214 (2217); Kappenhagen/Lambrich, BB 2007, 2235 (2239); Kerwer, EuZA 2008, 335 (346); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 35 Rn. 23; Lelley/Sabin, FA 2004, 357 (359 f.); Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (62 ff.); Löwisch, DB 2005, 554 (558); Meyer, NZA 2004, 366 (368); Nicolai, SAE 2004, 240 (241 f.); Otto, Arbeitskampfrecht, § 5 Rn. 15; Reichold, BB 2004, 2814 (2816 f.); Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 198 ff.; Rolfs/Clemens, DB 2003, 1678 (1679 f.); Schlachter, in: FS Birk, S. 809 (810); Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (593 f.); Seebacher, AiB 2006, 70 (71); Sutschet, ZfA 2005, 581 (610 f.); Thüsing, NZA 2008, 201 (202 f.); Walker, ZfA 2004, 501 (532); Wank, RdA 2009, 1 (6); Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 328, 450; ders., RdA 1986, 231 (237); Willemsen/Stammer, NZA 2007, 413 ff. 351 Vgl. nur Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49 (52); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 35 Rn. 23 f.; Rieble, RdA 2005, 200 (211); Walker, ZfA 2004, 501 (532). 352 Bauer/Krieger, NZA 2004, 1020 (1023 f.); Buchner, DB 2001, Beil. 9, 1 (7); Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 325 ff.; Greiner, NZA 2008, 1274 (1279); Grimm/Pelzer, NZA 2008, 1321 (1322); Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49 (52); Höfling, ZfA 2008, 1 (17 ff.); Hohenstatt/Schramm, DB 2004, 2214 (2217 f.); Löwisch, DB 2005, 554 (558 f.); vgl. auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 340.

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

danz“ 353. Lobinger354 weist auf die Regelungen des KSchG und ihre Auslegung durch die Gerichte hin und zieht aus ihnen „a maiore ad minus“ Rückschlüsse bei der Verortung der Grenzen der Arbeitskampffreiheit bei Standorttarifkonflikten. Trotz ihrer unterschiedlichen Begründungsansätze gelangen all diese Autoren zum Ergebnis, dass das Grundrecht der Berufsfreiheit des Arbeitgebers im Fall eines solchen Streiks Vorrang gegenüber den kollidierenden Grundrechten der Arbeitnehmer355, Art. 9 Abs. 3 GG356 oder, falls beide Grundrechtsgarantien für einschlägig erachtet werden,357 vor beiden genieße. Gegenpositionen aus der Literatur sprechen sich dagegen mit unterschiedlicher Begründung dafür aus, dass Standortarbeitskämpfe gegen unternehmerische Verlagerungsentscheidungen in weitem Umfang zulässig seien. Wenn einige Autoren358 zur Begründung anführen, dass der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit eröffnet sei und auf eine Grundrechtsabwägung mit Arbeitgeberinteressen gänzlich verzichten, ist dies mit den bisherigen Ergebnissen dieser Untersuchung unvereinbar. Richtig ist zwar, dass eine Einflussnahme auf Standortentscheidungen dem Schutzbereich der Koalitionsfreiheit unterliegt; Art. 9 Abs. 3 GG ist aber nicht schrankenlos gewährleistet ist, so dass eine Abwägung mit der Berufsfreiheit der verlagerungswilligen Arbeitgeber vorzunehmen ist. Gleiches gilt für den Hinweis, dass mit einer solchen Streikforderung kein Eingriff in unternehmerische Freiheitsrechte verbunden sei.359 Zum Teil wird jedoch darauf verwiesen, dass Art. 9 Abs. 3 GG im Gegensatz zu Art. 12 Abs. 1 GG keinen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt beinhalte, woraus man schließen könne, dass zumindest eine Gleichrangigkeit der Tarifautonomie mit unternehmerischen Freiheitsrechten gewollt sei, die sich nur verwirklichen lasse, „wenn dem Machtinstrument des Unternehmens (Eigentum) ein gleichwertiges Machtinstrument der Arbeitnehmer (Streik) gegenübergestellt“ werde.360 Andere Autoren lösen wiederum die Frage nach der Erstreikbarkeit von Standortzusagen nicht mittels einer Abwägung von 353

So Grimm/Pelzer, NZA 2008, 1321 (1322); Höfling, ZfA 2008, 1 (22). Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (74 f.). 355 Vgl. Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 80 ff. m.w. N. 356 Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (558 ff.); Hohenstatt/Schramm, DB 2004, 2214 (2217); Lelley/Sabin, FA 2004, 357 (359 f.); Sutschet, ZfA 2005, 581 (610 f.). 357 Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 433. 358 Vgl. Däubler-Schumann, Arbeitskampfrecht, Rn. 164; wohl auch Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1112. 359 So Brecht-Heitzmann, NJW 2007, 3617 (3620) mit Verweis auf BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 ff. Eine solche Aussage lässt sich der Entscheidung jedoch nicht entnehmen. Der Erste Senat stellte vielmehr fest, dass die Höhe einer Streikforderung, die auf den Abschluss eines Tarifsozialplans gerichtet sei, keiner gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden dürfe, da sie keine rechtsgestaltende Wirkung habe, siehe hierzu Kapitel 5 A. II. Für die Beurteilung eines Arbeitskampfes zur Verhinderung der Verlagerung lässt sich dies nicht fruchtbar machen. 360 Vgl. Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, § 1 Rn. 90. 354

C. Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG

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Unternehmerfreiheit und Tarifautonomie, sondern sehen stattdessen eine Grundrechtskollision zwischen der Berufsfreiheit von bestreiktem Arbeitgeber und von der Verlagerung betroffenen und streikenden Arbeitnehmern361 oder gar ein „Spannungsdreieck zwischen Tarifautonomie, Unternehmensautonomie und Arbeitnehmerinteressen“ 362. Einig ist man sich wiederum hinsichtlich der Ergebnisse dieser Grundrechtsabwägung: Den Arbeitnehmerinteressen gebühre in vielen Fallkonstellationen der Vorrang gegenüber dem Recht des Arbeitgebers, über die Standortpolitik seines Unternehmens autonom zu entscheiden.363 Es sei verfehlt, einen Kernbereich der Unternehmensautonomie zu postulieren, welcher einen Einsatz von Arbeitskampfmitteln von vorneherein ausschließe.364 Ein Arbeitskampf müsse um das tarifliche regelbare Ziel der Standortsicherung geführt werden können, da ansonsten das Handeln der betroffenen Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaft auf ein „kollektives Betteln“ reduziert würde. Die Ergebnisse, welcher unter Zugrundelegung einer Differenzierung zwischen tariflicher Regelbarkeit und Erstreikbarkeit und eines Freiwilligkeitsvorbehalts im Bereich unternehmerischer Entscheidungen erzielt würden, seien mit den Grundprinzipien der Tarifautonomie nicht vereinbar.365 Einen Vorrang unternehmerischer Freiheitsrechte wollen manche Autoren dagegen nur dann annehmen, wenn der personale Kern der unternehmerischen Berufsfreiheit betroffen sei, um so die Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung in Anwendung der Drei-Stufen-Lehre zu berücksichtigen.366 Im Fall von Kleinunternehmen sei die Freiheit der Berufswahl betroffen, welche die Entscheidung schütze, die berufliche Tätigkeit gänzlich aufzugeben und den einzigen Betriebsstandort zu schließen. Bei Großunternehmen sei hingegen die Freiheit der Berufsausübung berührt, so dass der Tarifautonomie Vorrang gewährt werden müsse. Nach diesem Ansatz könnte in den meisten Fällen zulässigerweise versucht werden, auch die Standortentscheidung unmittelbar mittels Arbeitskampf zu verhindern. Nur wenn ein Familienunternehmen seine einzige Betriebsstätte verlagern wollte, wäre ein Arbeitskampf zur Verhinderung dieser Entscheidung unzulässig.

361 362 363 364 365

Däubler-Hensche, TVG, § 1 Rn. 833; ders., AuR 2004, 443 (448 ff.). Oberberg/Schoof, AiB 2002, 169 (173). Vgl. Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1026 f.). Däubler-Hensche, TVG, § 1 Rn. 834. Vgl. Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1026); Wolter, RdA 2002, 218

(226). 366 Vgl. Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1027); so auch Berg/Platow/ Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, § 1 Rn. 90; ErfK-Dieterich, GG, Art. 9 Rn. 116; dens., AuR 2007, 65 (70); Paschke/Ritschel, AuR 2007, 110 (114); wohl auch Oberberg/Schoof, AiB 2002, 169 (185).

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

Einen weiteren Vorschlag zur Abwägung von unternehmerischen Freiheitsrechten und Tarifautonomie in dieser besonderen Konstellation hat Krause367 entwickelt. Auch er bewertet einen Streik, welcher gegen die Entscheidung eines Arbeitgebers gerichtet sei, sich aus dem Berufsleben zurückzuziehen, als unzulässig.368 Für sonstige Konstellationen soll anhand der Motive der Unternehmerentscheidungen unterschieden werden.369 Bezwecke der Arbeitgeber, unrentable Betriebsstandorte zu schließen, könne gegen diese Entscheidung nicht gestreikt werden, um etwa zu erreichen, dass trotz Nachfragerückgangs die bisherigen Produktionskapazitäten beibehalten würden.370 Bei Standortverlagerungen sei danach zu differenzieren, ob neue Märkte erschlossen werden sollten, an der bisherigen Betriebsstätte nachweislich unrentabel produziert werde oder die Verlagerung darauf abziele, trotz einer Erwirtschaftung von Gewinnen in der Vergangenheit den Gewinn noch zu maximieren. Im letztgenannten Fall sei ein Streik zulässig, während eine Abwägung der gegenläufigen Interessen in den erstgenannten Konstellationen dazu führe, dass keine Streikbefugnisse eröffnet seien. b) Stellungnahme aa) Ausgangspunkt: Maßstab der Grundrechtsprüfung Bei der Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in die Berufsfreiheit liegt es nahe, die Rechtsprechung des BVerfG371 zu Art. 12 Abs. 1 GG heranzuziehen, welche auf die Drei-Stufen-Theorie zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen abstellt. Danach ist bei der Abwägung zwischen einer Regelung, welche die Berufsausübung beschränkt, subjektiven und objektiven Berufswahlbeschränkungen zu unterscheiden. Berufsausübungsregelungen betreffen die Art und Weise der beruflichen Tätigkeit, Berufswahlregelungen das „Ob“ der Berufsausübung. Während subjektive Zulassungsbeschränkungen den Zugang zur Berufsausübung von beeinflussbaren, persönlichen Faktoren des Grundrechtsberechtigten abhängig machen, ist bei objektiven Zulassungsschranken der Zugang zum Beruf von Kriterien abhängig, welcher der Beeinflussung durch den Grundrechtsträger entzogen sind.372 367

Krause, Standortsicherung, S. 96 ff. Krause, Standortsicherung, S. 97 f. 369 Krause, Standortsicherung, S. 99 ff.; prägnant zusammengefasst auf S. 129. 370 Vgl. hierzu auch Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 444. 371 Grundlegend zur Drei-Stufen-Theorie BVerfG v. 11.6.1958 – 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377 (378, 405 ff.). Zur Notwendigkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Art. 12 Abs. 1 GG siehe stellvertretend BVerfG v. 6.10.1987 – 1 BvR 1086/82 u. a., BVerfGE 77, 84 (108 ff.); BVerfG v. 15.12.1987 – 1 BvR 563/85 u. a., BVerfGE 77, 308 (332); BVerfG v. 14.3.1989 – 1 BvR 1033/82 u. a., BVerfGE 80, 1 (24); BVerfG v. 23.1.1990 – 1 BvL 44/86 u. a., BVerfGE 81, 156 (189). 372 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 894 ff. 368

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Die Einteilung des Eingriffs in die Berufsfreiheit zur jeweiligen Stufe bestimmt den Maßstab der Prüfung, ob der Eingriff gerechtfertigt ist. Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit können im Interesse des Gemeinwohls gerechtfertigt werden. Beschränkungen in Form von subjektiven Berufszugangsvoraussetzungen sind nur dann zulässig, soweit sie zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter zwingend erforderlich sind.373 Für objektive Zulassungsbeschränkungen wird der strengste Maßstab angelegt. Solche Eingriffe in die Berufswahlfreiheit sind nur gerechtfertigt, wenn diese der Abwehr nachweisbarer und höchstwahrscheinlich schwerer Gefahren für ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut dienen.374 Diese Grundsätze sollen nicht nur den staatlichen Gesetzgeber binden, sondern werden in auf die Besonderheiten der Tarifautonomie angepasster Form auch bei der Überprüfung von Grundrechtsverstößen durch tarifvertragliche Regelungen herangezogen.375 Nur solche Rechtsgüter, die Bestandteil der Koalitionsfreiheit von Art. 9 Abs. 3 GG sind, können demnach Eingriffe durch tarifvertragliche Regelungsinstrumente in die Berufsfreiheit der Normadressaten rechtfertigen.376 Wendet man die Drei-Stufen-Theorie auf unternehmerische Standortentscheidungen an, zeigt sich, dass zumeist die Ebene der Berufsausübung betroffen ist, wenn die Entscheidung, eine Betriebsstätte zu schließen oder an einen anderen Standort zu verlagern von einem Großunternehmen getroffen wird.377 Lediglich bei kleineren Unternehmen kann die Berufswahl betroffen sein, wenn etwa ein Unternehmer beschließt, sich aus dem Berufsleben zurückzuziehen und seine

373 Vgl. ErfK-Dieterich, GG, Art. 12 Rn. 23; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 12 Rn. 50; Sachs-Mann, GG, Art. 12 Rn. 131; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 925. 374 BVerfG v. 11.6.1958 – 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377 (407 f.); BVerfG v. 18.12. 1968 – 1 BvL 5, 14/64, BVerfGE 25, 1 (11 ff.). 375 Danach sollen Berufsausübungsregelungen in Tarifverträgen nur zulässig sein, wenn vernünftige Gründe der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen sie rechtfertigen. Berufswahlsregelungen seien nur zulässig, wenn sie dem Schutz wichtiger Güter aus dem Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen (subjektive Wahlregelung), bzw. zur Abwehr nachweisbarer und höchstwahrscheinlicher Gefahren für ein überragend wichtiges Schutzgut aus diesem Bereich erforderlich sind (objektive Wahlregelung). Ansonsten bestünde die Gefahr, dass durch die auf gesetzgeberische Eingriffe in die Berufsfreiheit ausgerichteten Kriterien der Drei-Stufen-Lehre den Tarifvertragsparteien eine Regelung erst gar nicht ermöglichen würde oder die Sozialpartner durch den Hinweis auf die Verfolgung von Gemeinwohlinteressen sehr weitreichend in die Berufsfreiheit der Normadressaten regelnd eingreifen könnten, vgl. Kempen/Zachert-Kempen, TVG, Grundl. Rn. 250; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 263 ff.; Waltermann, Berufsfreiheit, S. 107 ff.; dens., NZA 1991, 754 (759 f.). Offen bleibt, ob dies auch für die Durchsetzung von Tarifnormen unter Einsatz von Kampfmaßnahmen gelten soll. 376 Vgl. Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 79 m.w. N. 377 Vgl. Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1025).

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

einzige Betriebstätte schließt.378 Durch diese Differenzierung soll der personale Bezug der Berufsfreiheit zum Ausdruck kommen, was zwangsläufig bedeutet, dass sich Kapitalgesellschaften und Großunternehmen bei Standorttarifkonflikten auf einen weniger intensiven Grundrechtrechtsschutz berufen können.379 Damit ist allerdings noch nicht beantwortet, ob eine Rechtfertigung des Grundrechtseingriff auch in diesem Fall möglich ist, wenn man annehmen wollte, es reiche aus, wichtige Gründe der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen anzuführen. Gegen eine unreflektierte Anwendung der Drei-Stufen-Theorie wird im Schrifttum jedoch angeführt, dass eine Zuordnung zu den verschiedenen Stufen gerade in Grenzfällen schwierig sei und eine auf den Einzelfall abstellende Güterabwägung zu sachgerechteren Ergebnissen führe.380 Diese Kritik ist nicht von der Hand zu weisen. Gleichwohl ist zu bedenken, dass die Drei-Stufen-Lehre eine Abwägung der kollidierenden Grundrechtsinteressen im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht entbehrlich macht, sondern vielmehr als an die Besonderheiten der Berufsfreiheit angelegte Verhältnismäßigkeitsprüfung anzusehen ist.381 Sie dient als „Grobraster“, um mittels einer Zuordnung zu einer Stufe ein „erstes Indiz für die Schwere des Eingriffes“ zu ermitteln und ist zuletzt zunehmend von einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung abgelöst worden.382 Ferner ist zu bedenken, dass diese Grundsätze für Eingriffe durch den staatlichen Gesetzgeber entwickelt worden sind, eine auf die Besonderheiten der Tarifautonomie angepasste Vorgehensweise bei der Grundrechtskontrolle von Tarifverträgen in Betracht kommt, jedoch Vorsicht geboten erscheint, diese Wertungen unreflektiert auf die vorliegende Fragestellung nach den Grundrechtsgrenzen eines Arbeitskampfes zu übertragen.383 Die besondere Intensität des vom Arbeitskampf ausgehenden Grundrechtseingriffs spricht vielmehr für die Notwendigkeit einer Prüfung, welche berücksichtigt, dass die in dieser Konstellation typischerweise kollidierenden Grundrechtsinteressen bestmöglich zur Entfaltung gelangen 378

Vgl. Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1025). Deutlich Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1025); vgl. hierzu auch Wiedemann, RdA 1986, 231 (235); zurückhaltender Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 12 Rn. 46. Zum personalen Grundzug von Art. 12 Abs. 1 GG siehe Müller, Berufsfreiheit, S. 7 ff. 380 Vgl. nur Sachs-Mann, GG, Art. 12 Rn. 152 ff.; Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 12 Rn. 140; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 922 ff.; Schlink, Abwägung, S. 79; Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 292. 381 Vgl. BVerfG v. 17.7.1961 – 1 BvL 44/55, BVerfGE 13, 97 (104); BAG v. 22.1. 1991 – 1 ABR 19/90, AP Nr. 67 zu Art. 9 GG; Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Rn. 143 ff; Jarass/Pieroth-Jarass, GG, Art. 12 Rn. 24; Waltermann, Berufsfreiheit, S. 122. 382 Vgl. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Rn. 143 f.; DäublerSchiek, TVG, Einl. Rn. 240; Zachert, DB 2001, 1198 (1201); so auch Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 79 f. 383 Ähnlich auch Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 84 f.; Krause, Standortsicherung, S. 98. 379

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und zugleich die den Tarifvertragsparteien eingeräumte Möglichkeit mit einbezieht, in eigener Verantwortung die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu regeln und auch zu erkämpfen.384 Eine Einordnung in das Grobraster der Drei-Stufen-Theorie darf jedenfalls nicht dazu verleiten, im Anschluss auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zu verzichten, welche die Besonderheiten der Grundrechtskollision und des jeweiligen Einzelfalls in die Abwägung mit einbezieht. Gleichwohl ist einzugestehen, dass damit eine gewisse Rechtsunsicherheit verbunden ist, da eine mitunter komplizierte Grundrechtsabwägung über die Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen entscheidet.385 Dies liegt allerdings in der Natur der Sache und ist zwangsläufige Folge des Fehlens gesetzlicher Regelungen im Bereich des Arbeitskampfrechts. bb) Abwägung von Berufsfreiheit und Tarifautonomie (1) Einführende Gedanken Nähert man sich der Frage nach der Erstreikbarkeit von Standortzusagen aus dem Blickwinkel unternehmerischer Freiheitsrechte, sind zunächst die Aussagen des BVerfG von Bedeutung, die betonen, dass ein „angemessener Spielraum zur Entfaltung der Unternehmensinitiative unantastbar ist“ 386. Eingriffe in die unternehmerische Betätigungsfreiheit seien nur dann zulässig, „wenn dem Betroffenen angemessener Spielraum verbleibt, sich als verantwortlicher Unternehmer wirtschaftlich frei zu entfalten“ 387. In Folge dieser Rechtsprechung wurde im Kollektivarbeitsrecht die These vom Kernbereich unternehmerischer Entscheidungsfreiheit im Verhältnis zur Tarifautonomie entwickelt, die den Arbeitgeber nicht nur vor staatlichen Eingriffen, sondern ebenso vor weitreichenden Eingriffen in seine unternehmerische Dispositionsfreiheit schützt, die von der Gewerkschaft als sozialem Gegenspieler ausgehen.388 Wie bereits dargestellt, folgt daraus nicht, dass sämtliche unternehmerische Grundlagenentscheidungen der tariflichen Regelungszuständigkeit entzogen wären389 oder der einzelne Arbeitgeber bei einer freiwilligen Vereinbarung nicht in weiten Umfang über das Grundrecht der Berufsfreiheit verfügen dürfte390. 384

Deutlich Kissel, Arbeitskampfrecht, § 35 Rn. 29. So die Kritik von Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (65 f.). 386 BVerfG v. 14.10.1970 – 1 BvR 306/68, BVerfGE 29, 261 (267) m.w. N. 387 BVerfG v. 16.5.1961 – 2 BvF 1/60, BVerfGE 12, 341 (341). 388 Grundlegend Beuthien, ZfA 1984, 1 (12 f.); Wiedemann, RdA 1986, 231 (235); BAG v. 3.4.1990 – 1 AZR 123/89, BAGE 64, 284 ff.; siehe hierzu bereits Kapitel 3 A. III. 2. a). 389 Siehe Kapitel 3 A. III. 2. b). 390 Siehe Kapitel 3 C. II. 2. 385

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

Teile des Schrifttums sehen den Wesensgehalt391 der Berufsfreiheit als Schranke der Grundrechtsbeschränkung aber dann berührt, wenn ein Streik darauf abzielt, eine Forderung durchzusetzen, die geeignet wäre, die unternehmerische Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers erheblich zu beeinträchtigten. 392 Die Gegenposition betont dagegen den personalen und sozialen Bezug der Berufsfreiheit. Dem ist insoweit zuzustimmen, als dass eine Ausübung der unternehmerischen Freiheit ohne die Hilfe der Arbeitnehmer kaum denkbar wäre.393 Aus diesem Grund hat der Verfassungsgeber als Gegengewicht zur unternehmerischen Entscheidungsfreiheit die Koalitionsbetätigungsfreiheit in den Grundrechtskatalog aufgenommen, so dass die Funktionsfähigkeit des Tarifvertragsystems und der Schutzzweck der Tarifautonomie der Freiheit des Berufes entgegenstehen und auch weitreichende Eingriffe in die Berufsfreiheit rechtfertigen können. Art. 9 Abs. 3 GG umfasst das Recht, Arbeitskämpfe um tariflich regelbare Ziele zu führen. Um ein Verhandlungsgleichgewicht bei Tarifkonflikten zu erhalten, bedarf es grundsätzlich der Option, einen Streik zur Durchsetzung einer rechtmäßigen Tarifforderung zu führen, damit die Arbeitgeberseite den Verhandlungstisch nicht verlassen kann, ohne dass es der Gewerkschaft möglich wäre, ihre legitimen Interessen mittels Arbeitskampfs durchsetzen zu können. Im Schrifttum wird aus diesem Grund darauf verwiesen, dass Tarifvertragsverhandlungen um Standortzusagen nur kollektives Betteln seien, wenn Gewerkschaften die Möglichkeit genommen würde, einen Arbeitskampf um solche Inhalte zu führen.394 Die eigentliche Schwierigkeit besteht nun darin, ob und inwieweit der verfassungsrechtliche Schutz der Berufsfreiheit der Arbeitgeber ein Kampfverbot für bestimmte unternehmerische Entscheidungen gebietet. Die höchstrichterlichen Aussagen zur Unantastbarkeit unternehmerischer Entscheidungsbefugnisse deuten zwar darauf hin, dass nicht sämtliche Unternehmerentscheidungen mittels Streik beeinflusst werden können, lassen hinsichtlich der Konkretisierung für den Einzelfall jedoch vieles offen. Zudem könnte man sich bereits auf den Standpunkt stellen, dass durch das vorzugswürdige Begriffsverständnis vom Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen als funktionale Einheit bestimmte Bereich aus der Unternehmenspolitik nicht dem Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG unterliegen und außerdem ein Streik nicht unbedingt dazu führen muss, dass 391 Zur Wesensgehaltsgarantie grundrechtlich geschützter Positionen siehe Alexy, Grundrechte, S. 267 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 312 ff.; Maunz/Dürig-Remmert, GG, Art. 19 Abs. 2 Rn. 36 ff. m.w. N. 392 Deutlich Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 198 m.w. N. 393 Vgl. BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 (365 ff.); ErfKDieterich, GG, Art. 12 Rn. 41; Hensche/Wolter, in: GS Zachert, S. 544 (557 f.); Weyand, Mitbestimmung, S. 167 m.w. N. 394 Vgl. Oberberg/Schoof, AiB 2002, 169 (173); Wolter, RdA 2002, 218 (226); Zachert, DB 2001, 1198 (1202).

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der Arbeitgeber nicht in der Lage wäre, seinen Betrieb zu verlagern. Aus diesem Grund wird im Schrifttum über das Bestehen und die genaue Abgrenzung eines sog. Freiwilligkeitsvorbehalts, also solcher Sachfragen, die zwar tariflich regelbar, aber eben nicht erstreikbar sein sollen, bis heute kontrovers diskutiert.395 Legt man das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Maßstab zugrunde, wird man einen Arbeitskampf zur Standortsicherung durchaus noch als geeignet und erforderlich ansehen können, um das von der streikführenden Gewerkschaft verfolgte Ziel einer Gestaltung der Standortpolitik des Unternehmens im Sinne der Arbeitnehmerschaft, zu fördern. Man könnte allerdings an der Zumutbarkeit (Verhältnismäßigkeit i. e. S.) aufgrund der besonderen Intensität der Grundrechtsbeschränkung gezweifelt werden. An diesem Punkt der Prüfung ist also der verhältnismäßige Ausgleich der kollidierenden Grundrechtsgarantien im Sinne des Prinzips praktischer Konkordanz zu suchen. Dabei ist auch der Wesensgehaltskern der Berufsfreiheit zu berücksichtigen. (2) Aufgabe unternehmerischer Tätigkeit Zuzustimmen ist großen Teilen des Schrifttums, wenn sie im Fall der Grundrechtsbetroffenheit der negativen Berufswahlfreiheit natürlicher Personen einen Standortarbeitkampf für unzulässig halten.396 Es wäre mit dem Schutzzweck der Berufsfreiheit nicht zu vereinbaren, wenn mittels Streiks versucht werden könnte, einen Einzelunternehmer von seinem Vorhaben, nicht mehr unternehmerisch tätig sein zu wollen, abzubringen oder gegebenenfalls gar ein unrentables Unternehmen fortzuführen, was erhebliche Haftungsrisiken beinhalten würde. Ein solcher Arbeitskampf stellt in diesem Fall schon allein aus diesem Grund einen Verstoß gegen die Freiheit der Berufswahl dar und kann auch nicht mit einem Verweis auf berechtigte Kollektivinteressen der Arbeitnehmerschaft gerechtfertigt werden. Der soziale Bezug des Art. 12 Abs. 1 GG muss hinter den personalen Bezug des Grundrechts zurückweichen.397 Eine Rechtfertigung durch das kollidierende Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG scheidet Gründen ebenfalls aus. Obwohl auch bei solchen Standortentscheidungen die sozialen Belange nachhaltig berührt sind – aus Arbeitnehmersicht macht es keinen Unterschied, ob ein Betrieb geschlossen wird, weil sich der Unternehmer aus dem Berufsleben zurückzieht oder der Betrieb aus Kostengründen verlagert wird – genießt das Recht der Berufswahlfreiheit Vorrang.

395

Vgl. nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 341 ff. m.w. N. Vgl. Cherdron, Sozialplanvereinbarung, S. 429 f.; ErfK-Dieterich, GG, Art. 12 Rn. 44; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 82 f.; Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1027); Krause, Standortsicherung, S. 97; Paschke/Ritschel, AuR 2007 110 (114). 397 Weyand, Mitbestimmung, S. 167 m.w. N. 396

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

Solche Betriebsstilllegungen dürfen nicht in Frage gestellt werden. Auch die drohende Arbeitslosigkeit der Arbeitnehmer vermag daran nichts zu ändern. Ein Einzelunternehmer kann nicht gezwungen wird, bestimmte Arbeitsplätze zu erhalten, wenn er sich entsprechend seiner persönlichen Lebensplanung zur Ruhe setzen will.398 Es obliegt dem Staat und nicht dem Unternehmer, entsprechende beschäftigungspolitische Maßnahmen zu ergreifen, um dafür zu sorgen, dass sich potentielle Arbeitgeber dem Haftungsrisiko unternehmerischen Handelns aussetzen, in der betroffenen Region einen neuen Betrieb gründen und Arbeitnehmer einstellen. Wenig überzeugend ist es, wenn Lobinger399 in diesem Zusammenhang darauf hinweist, warum es nicht möglich sein soll, den Einzelunternehmer zumindest zur Veräußerung oder zu einer „sonstigen Übergabe an einen Nachfolger“ anhalten können sollte. Handelt es sich um einen rentablen Betrieb, werden sich in der Praxis solche Probleme kaum stellen. Für die sonstigen Fällen wäre es dagegen mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit nicht zu vereinbaren, den Arbeitgeber erst dann die Aufgabe seines Berufes zuzugestehen, wenn er einen Nachfolger gefunden hat, der bereit ist, sich denselben Risiken auszusetzen, wie er es in der Vergangenheit getan hat. Unternehmer, die über einen gewissen Zeitraum Verluste erwirtschaftet haben, wären gezwungen, das Unternehmen in die Insolvenz zu führen, was gegebenenfalls sogar eine Haftung mit privatem Vermögen nach sich ziehen könnte. Eine freiwillige Vereinbarung einer Standortzusage wäre dagegen auch in einem solchen Fall zulässig und mit den Wertungen der Berufsfreiheit vereinbar. Gelänge es der Gewerkschaft auf diesem Wege, den Arbeitgeber zur Fortführung des Unternehmens zu bewegen, ist dagegen nichts einzuwenden. Eine Durchsetzung der Forderung mittels Arbeitskampf ist den Gewerkschaften dagegen verwehrt und kann auch nicht mit dem Verweis auf die Folgen der Entscheidung für die Belegschaft gerechtfertigt werden. (3) Verlagerung trotz Rentabilität des Standorts Unbeantwortet bleibt damit aber die viel bedeutsamere Frage nach den Streikbefugnissen für Standortverlagerungsvorhaben, etwa wenn ein „Global-Player“ einen seiner Betriebe schließt, um an einem anderen Standort kostengünstiger zu produzieren. Zu kurz greift diesbezüglich die Lösung von Krause400, welcher die Motive der unternehmerischen Standortentscheidungen zur Abgrenzung eines Freiwillig398 399 400

Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 83. Lobinger, ZfA 2009, 319 (332). Krause, Standortsicherung, S. 99 ff.

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keitsvorbehalts heranzieht. Hinter diesem Ansatz steht der Gedanke, die aus Gewerkschaftssicht unliebsamen Verlagerungsaktivitäten zur Einsparung von Personalkosten in den Mittelpunkt der Abwägung zu stellen und so zu ermöglichen, dass Gewerkschaften einen Arbeitskampf gegen Lohndumpingvorhaben der Arbeitgeberseite führen können. Waren es in der rechtspolitischen Diskussion zwar gerade solche Standortentscheidungen der Arbeitgebers, die den Unmut der Öffentlichkeit hervorriefen, bleibt bei näherem Hinsehen offen, was solche Konstellationen aus grundrechtlicher Sicht von sonstigen Standortverlagerungsvorhaben unterscheidet. Mit Blick auf die Grundrechtsinteressen des Arbeitgebers liefe eine solche Differenzierung letztendlich darauf hinaus, eine Wertung zwischen Unternehmerentscheidungen zu treffen, welche dem Grundgesetz in dieser Form fremd ist.401 Werden im Rahmen der Ausübung der Berufsfreiheit keine verfassungswidrigen Ziele verfolgt, darf darüber hinaus nicht anhand der Motive, welche bestimmten unternehmerischen Entscheidungen zugrunde liegen, die Reichweite des Grundrechtsschutz aus Art. 12 Abs. 1 GG bestimmt werden.402 Es wäre schwer zu ermitteln, welche Motive für einen intensiveren Grundrechtsschutz der Berufsfreiheit sprechen und welche nicht. Es erscheint zudem wenig einsichtig, dass dieselbe Unternehmerentscheidung einen geringen Schutz genießt, wenn sie aus einer bestimmten Motivlage heraus getroffen wurde. Dieser Lösungsversuch von Krause übersieht außerdem, dass sich unternehmerische Umstrukturierungsvorhaben aus Unternehmersicht auch dann oftmals als unumgänglich erweisen, wenn ein Produktionsstandort in der Vergangenheit Gewinne erzielte. Es kann daher nicht darauf ankommen, ob in der Vergangenheit rentabel produziert würde oder nicht. Der Arbeitgeber müsste erst abwarten, bis ein Betrieb „heruntergewirtschaftet“ wäre, um dann ohne Streikdruck eine Verlagerung durchführen zu können und sein Unternehmen im internationalen Wettbewerb neu ausrichten zu können.403 Auch wenn man den Schutzweck der Tarifautonomie in den Blick nimmt und wiederum anhand der Motive einer Verlagerung das Spannungsverhältnis von Berufsfreiheit und Streikfreiheit in dieser besonderen Konstellation auflösen wollte, überzeugt dieser Ansatz nicht. Das Schutzbedürfnis der Arbeitnehmerseite ist für den Fall, dass der Arbeitgeber den Betrieb aus Kostengründen verlagert, ebenso intensiv ausgeprägt, wie bei einer Verlagerung, die vollzogen werden soll, um neue Märkte zu erschließen. 401

Ähnlich kritisch Wank, RdA 2009, 1 (6). So auch Wolf, zitiert in: Kalb, RdA 2007, 188 (189): „Er halte es für einen gefährlichen Systembruch, wenn man „gute“ oder „schlechte“ Unternehmerentscheidungen unterscheiden wolle [. . .].“ 403 Ebenso kritisch Sittard/Schneider, ZTR 2007, 590 (593): „Es kann nicht verlangt werden, dass rote Zahlen geschrieben werden.“ 402

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

Ferner würden Missbrauchsmöglichkeiten eröffnet, da die Motive von Standortentscheidungen vielfältig sind und sich nur äußerst selten auf einen Aspekt reduzieren lassen. Mit einem Verweis auf die Erschließung neuer Märkte könnten Streikmaßnahmen gegen Standortverlagerungsvorhaben im Keim erstickt werden.404 Der Nachweis, dass in Wirklichkeit andere Ziele im Vordergrund der unternehmerischen Planung standen, wird aus gewerkschaftlicher Sicht schwerlich erbracht werden können, was gegen die Praktikabilität dieses Lösungsvorschlags spricht. (4) Kernbereich von Berufsfreiheit und Tarifautonomie Zuzustimmen ist Krause405 dagegen, wenn er darauf hinweist, dass es nicht den verfassungsrechtlichen Wertungen entspricht, „Modernisierungsprozesse zu blockieren, was im Ergebnis für die betroffene Arbeitnehmer zwar kurzzeitig vorteilhaft, gesamtgesellschaftlich aber von Nachteil wäre“. Dies ergibt sich jedoch nicht wie Krause annimmt aus dem Schutzzweck der Tarifautonomie, sondern aus dem verfassungsrechtlichen Schutz der Berufsfreiheit: Obwohl das Grundgesetz keine bestimmte Wirtschaftsverfassung vorschreibt und insoweit wirtschaftspolitisch neutral ist,406 schützt der Katalog der wirtschaftlich einschlägigen Grundrechte einen Teil der markt- und wettbewerbsorientierten Wirtschaftsordnung.407 Die Berufsfreiheit gewährleistet die unternehmerische Dispositionsfreiheit vor unverhältnismäßiger Beschränkung und Antastung der für die Ausübung der Freiheit unerlässlichen Betätigungen durch den Staat und private Dritte. Schließlich ist zu bedenken, dass das unternehmerische Risiko wirtschaftlichen Handelns ausschließlich der Unternehmer selbst trägt. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um eine Personen- oder Kapitalgesellschaft handelt. Daraus folgt die Notwendigkeit, dass der Arbeitgeber die grundlegende Entwicklung seines Unternehmens selbstbestimmt ohne Einflussnahme Dritter steuern können muss und bestimmte Entscheidungen weder vom Gesetzgeber noch von den Sozialpartnern beeinflusst werden dürfen. Ansonsten gerie404 Vgl. nur die Handlungshinweise von Lipinski/Ferme, DB 2007, 1250: „In wirtschaftlich guten Zeiten des Unternehmens sollten mit der Argumentation der Erschließung neuer Märkte etc., an anderen Orten Ersatz-/Ausweichsproduktionsstätten aufgebaut werden. Da zu diesem Zeitpunkt für die Mitarbeiter nachteilige Maßnahmen nicht durchgeführt werden (müssen), besteht auch kaum Konfliktpotential mit den Arbeitnehmervertretungen.“ 405 Krause, Standortsicherung, S. 99. 406 St. Rspr., vgl. BVerfG v. 20.7.1954 – 1 BvR 459/52, BVerfGE 4, 7 (17 f.); BVerfG v. 11.6.1958 – 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377 (400); BVerfG v. 16.5.1961 – 2 BvF 1/60, BVerfGE 12, 341 (347); BVerfG v. 21.2.1962 – 1 BvR 198/57, BVerfGE 14, 19 (23); BVerfG v. 26.5.1981 – 1 BvL 56/78 u. a., BVerfGE 57, 139 (167). 407 Vgl. Dieterich, AuR 2007, 65 (66); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 883; Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 12 Rn. 85 ff. m.w. N.

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ten die für die Ausübung der Berufsfreiheit unerlässlichen Bestandteile in Gefahr. Das Letztentscheidungsrecht über die Wahl des Produktionsstandorts muss daher beim Arbeitgeber verbleiben, selbst wenn diese Entscheidung die wirtschaftlichen und sozialen Belange der Arbeitnehmerseite erheblich berührt. Wäre es möglich, zur Verhinderung von unternehmerischen Standortentscheidungen zu streiken, bestünde die Gefahr, dass der Arbeitgeber im Zuge streikbedingter Verluste zu Zugeständnissen bereit wäre, die auf eine Selbstentmündigung des Unternehmers in Bereich der Unternehmensführung hinauslaufen können.408 Er wäre für einen gegebenenfalls langen Zeitraum gegen seinen Willen an den bisherigen Unternehmensstandort gebunden, folglich in seiner unternehmerischen Handlungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt und hätte zudem noch das wirtschaftliche Risiko dieser Entwicklung zu tragen. Könnten Standortzusagen mittels Arbeitskampf erzwungen werden, bestünde die Gefahr, dass vielfach kein angemessener Spielraum zur eigenverantwortlichen unternehmerischen Betätigung mehr verbliebe, da aus Unternehmersicht unabdingbare Umstrukturierungsmaßnahmen gegen den Widerstand der Gewerkschaft nicht durchgesetzt werden könnten. Dies ist für den Fortbestand eines Mindeststandards der Berufsfreiheit unerlässlich und gilt nicht nur für kleinere Unternehmen, bei denen der personale Bezug der Berufsfreiheit stärker ausgeprägt ist, sondern auch für Großunternehmen. Die Entscheidung, an welchem Standort der Unternehmer tätig sein will, ist dem Wesensgehaltskern der Berufsfreiheit zuzuordnen. Es liegt also der im Schrifttum vielfach gezogene Schluss nahe, dass diesem Grundrecht im Rahmen einer Abwägung mit der Tarifautonomie Vorrang zukommen muss und dies auch die Gewerkschaften bei der Ausübung der Koalitionsbetätigungsfreiheit zu respektieren haben, da ansonsten die Berufsfreiheit gänzlich leer liefe. Dabei würde allerdings übersehen, dass dies durchaus anders zu beurteilen wäre, wenn auch das kollidierende Grundrecht der Tarifautonomie derart intensiv, also ebenfalls im Kernbereich409 betroffen wäre, so dass die Zuordnung zum Wesensgehalt der Berufsfreiheit nicht ohne weitere Überlegungen zum Vorrang gegenüber der Tarifautonomie führen würde. Es ist nicht zu verkennen, dass eine Kampfverbot für unternehmerische Standortentscheidungen, welche mit einschneidenden Folgewirkungen für die Arbeitnehmerseite verbunden sind, die gewerkschaftlichen Handlungsoptionen erheblich verkürzt, zumal bereits festgestellt wurde, dass Standortzusagen einer Regelung im Tarifvertrag zugänglich 408

Vgl. hierzu Wiedemann, RdA 1986, 231 (236). Zur Klarstellung der Begrifflichkeiten: Obgleich die sog. Kernbereichbereichslehre von der Rspr. aufgegeben wurde, bedeutet dies selbstredend nicht, dass Art. 9 Abs. 3 GG keinen Wesensgehaltskern aufweist, vgl. BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/ 85, AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 6; Sachs-Höfling, GG, Art. 9 Rn. 71 ff. 409

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

sind. Dies wird im Schrifttum für einen Vorrang der Tarifautonomie gegenüber der Berufsausübungsfreiheit angeführt.410 Dies Erwägungen könnten darauf hindeuten, dass durch einen Ausschluss der Erstreikbarkeit von Standortzusagen ebenfalls „diejenigen Bestandteile berührt werden, die dafür Sorge tragen, dass sich dieses Grundrecht trotz seiner kraft Verfassungsrechts angeordneten Abhängigkeiten von der einfachen Rechtsordnung und den Rechtsanwendern beiden gegenüber hinreichend durchsetzt und seine Grundidentität wahrt“ 411. Grundsätzlich ist die Tarifautonomie ohne Arbeitskampfgarantie nicht denkbar. Erst der Arbeitskampf garantiert die freie und unabhängige Auseinandersetzung der Koalitionen.412 Dies würde dafür sprechen, dass auch die Tarifautonomie in ihrem Wesensgehalt berührt wäre, wenn man die Streikbefugnis für tariflich regelbare Ziele, die zudem in Zeiten der Globalisierung für die Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen von grundlegender Bedeutung sind, verneinte. Legte man dieses Verständnis zugrunde, liegt die Schwierigkeit der Abwägung darin, dass Grundrechte in verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen sind, welche beide in ihrem Kernbereich berührt sind. Sodann stellte sich die Frage, an welcher Stellschraube man noch ansetzen kann, ob man also die Handlungsbefugnisse des Arbeitgebers oder der Gewerkschaft beschneidet. Eine Lösung wie Krause sie anstrebt, überzeugt wie dargestellt nicht. Selbst wenn man an der Berufsfreiheit ansetzten und darauf abstellen wollte, dass der Arbeitgeber oftmals trotz Streikdruck verlagern kann, und man zumindest dann einen Streik zulassen könnte, führt dies in der Praxis nicht weiter. Die Gewerkschaft wird in solchen Fällen gar nicht zur stumpfen Waffe des Streiks greifen. Der Arbeitgeber wird sich vom Streik unbeeindruckt zeigen, er spielt ihm sogar in die Karten: Er ist von der Lohnzahlungspflicht befreit und kann den Standort „streikbedingt“ schon früher schließen. Problematisch sind vielmehr solche Konstellationen, bei denen der Arbeitgeber durch den Streik so unter Druck geraten kann, dass er geneigt ist, sein Verlagerungsvorhaben aufzugeben, da die streikbedingten Verluste das die Einsparpotential, welches durch die Verlagerung erst realisiert werden soll, aufzuzehren droht. Es liegt daher näher, am Streikrecht der Gewerkschaft anzusetzen. Um dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu entsprechen, muss man zunächst in Erwägung ziehen, kein generelles Kampfverbot anzunehmen, sondern das Streikrecht situationsbedingt einzugrenzen. Dagegen spricht allerdings, dass nicht ersichtlich ist, wie dieser Gedanke umgesetzt werden könnte und welchen Sinn ein Recht zur Arbeitsniederlegung dann überhaupt noch hätte. Die Vorgehensweise der Gewerkschaft zielt beim Kampf um die Standortzusage doch gerade darauf ab, die 410 411 412

Siehe stellvertretend Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1026). Vgl. Maunz/Dürig-Remmert, GG, Art. 19 Abs. 2 Rn. 41. Meik, Tarifautonomie, S. 204.

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Verlagerung zu verhindern. Es wäre daher wenig einsichtig, wenn man es der Gewerkschaft zubilligen würde, nur insoweit zur Verhinderung der Verlagerung zu streiken, solange die unternehmerische Verlagerungsentscheidung nicht unverhältnismäßig torpediert wird. Zielführender ist stattdessen ein Blick auf die Befugnisse, welche den Gewerkschaften verbleiben, wenn man sich für ein Kampfverbot für unternehmerische Verlagerungsentscheidungen ausspricht. Der Verweis auf die Option freiwilliger Vereinbarungen der entscheidende Aspekt bei der Auflösung des Spannungsverhältnisses von Tarifautonomie und Unternehmerfreiheit bei Standorttarifkonflikten. Ein Kampfverbot würde die Tarifautonomie weniger als eine Zulassung des Streikrechts die Berufsfreiheit einschränken. Besteht die Gefahr, dass dem Arbeitgeber durch die Zulassung eines Streiks um eine Standortzusage die Verlagerungsoption gänzlich genommen wird, bedeutet ein Kampfverbot nicht, dass es den Gewerkschaft gänzlich unmöglich wäre, ihr Ziel, den Abschluss eines Standortsicherungstarifvertrags, überhaupt zu verwirklichen. Eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie geht mit dieser Lösung nicht einher, zumal den Gewerkschaften die Option verbleibt, durch Ausübung des Demonstrationsrechts und auf politischem Wege Druck auszuüben.413 Andernfalls müsste bereits die tarifliche Regelbarkeit von Standortzusagen verneint werden, damit ein angemessener Spielraum zur Entfaltung der Berufsfreiheit verbliebe. Nach dem hier vertretenen Verständnis der Gewichtung der Berufsfreiheit der Arbeitgeber im Verhältnis zur tarif- und arbeitskampfrechtlichen Einflussnahme bedeutet diese Lösung also im Ergebnis eine „Erweiterung“ gewerkschaftlicher Handlungsoptionen. Ein Verbot des Arbeitskampfes schränkt die Tarifautonomie weniger als eine Lösung ein, welche den Tarifvertragsparteien jegliche Gestaltungsoptionen im Bereich unternehmerischer Standortpolitik nimmt.414 Der in Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Grundrechtsschutz kann also durchaus wahrgenommen werden, obgleich einzugestehen ist, dass Forderungen der Gewerkschaft nur noch durch Druck der Öffentlichkeit bekräftigt werden können. Man könnte sich aus diesem Grund bereits auf den Standpunkt stellen, dass die Tarifautonomie nicht in ihrem Kernbereich berührt wird, wenn man tarifliche Lösungen im Bereich unternehmerischer Grundlagenentscheidungen unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt stellt. Dafür spricht zunächst, dass ein Gleichlauf von tariflicher Regelbarkeit und Erstreikbarkeit nicht zwangsläufig für sämtliche Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gegeben sein muss.415 Dieser Gedanke wird im Schrifttum aufgegriffen: Art. 9 Abs. 3 GG könne auch dann zur Entfaltung 413 414 415

Vgl. Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (65 f.). Ebenso Franzen, ZfA 2005, 315 (337); Sutschet, ZfA 2005, 581 (611). Siehe Kapitel 3 C. III. 1.

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

gelangen, wenn nicht jede tarifierbare Forderung erstreikbar wäre.416 Im Ergebnis läuft dies darauf hinaus, die Koalitionsbetätigungsfreiheit gerade nicht als in ihrem Kernbereich berührt anzusehen, wenn man der Gewerkschaft in bestimmten Bereichen ihr Streikrecht nimmt. Dem ist insoweit zuzustimmen, als dass der hier zur Diskussion stehende Freiwilligkeitsvorbehalt nur einen kleinen Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen betrifft. Man könnte also durchaus annehmen, dass die Tarifvertragsparteien ihren Gestaltungsauftrag auch ohne die Möglichkeit eines Einsatzes von Arbeitskampfmitteln in diesem Bereich wahrnehmen können. Die Praxis zeigt zudem, dass der Arbeitskampf im Rahmen der Verhandlungen von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen immer noch als Ausnahme anzusehen ist. Gleichwohl ist nicht zu verkennen ist, dass dies vielfach gerade auf die gewerkschaftliche Option des Streiks im Hinterkopf der Arbeitgeberseite zurückzuführen ist. Bestünde nicht die Möglichkeit des Streiks nicht, wäre davon auszugehen, dass Gewerkschaften das tarifliche regelbare Ziel der Standortsicherung und die Arbeitnehmerinteressen gegenüber der Arbeitgeberseite oftmals kaum durchsetzen könnten. Obwohl es sich bei der Einflussnahme auf die Unternehmenspolitik im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen um einen kleinen Bereich der Tarifpolitik handelt, ist nicht zu verkennen, dass dieser durch die Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Vergleich zur Lohnpolitik enorm an Bedeutung gewonnen hat. Das Argument, die Tarifautonomie käme trotz Kampfverbot im Bereich unternehmenspolitischer Grundlagenentscheidungen vollumfänglich zur Entfaltung, vermag daher nicht endgültig zu überzeugen. Wie dargestellt, ist dies bei der hier zu entscheidende Frage im Ergebnis jedoch ohne Bedeutung. Ob durch diese Beschneidung des Streikrechts im Bereich unternehmerischer Grundlagenentscheidungen diejenigen Bestandteile der Tarifautonomie berührt werden, die dafür Sorge tragen, dass sich dieses Grundrecht hinreichend durchsetzt und seine Grundidentität wahrt oder man davon ausgeht, dass sich die Tarifautonomie in diesem Bereichen auch durch die Vereinbarung von freiwilligen Tarifverträgen vollumfänglich entfalten kann, braucht nicht entschieden zu werden. Selbst wenn man geneigt sein wird, ersteres anzunehmen, gebührt der Berufsfreiheit des verlagerungswilligen Arbeitgebers Vorrang, die in ihrem Wesensgehalt angetastet würde, wenn man einen Streik zur Verhinderung von Standortentscheidungen zulassen würde.

416 Siehe stellvertretend aus dem jüngeren Schrifttum Buchner, DB 2001, Beil. 9, 1 (7); Cherdon, Sozialplanvereinbarungen, S. 310 ff.; Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 57 ff.

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(5) Schutzzweck der Tarifautonomie Sucht man eine Lösung ohne Rückgriff auf die These eines unantastbaren Kernbereichs der Berufsfreiheit, wird man ebenfalls zum Kampfverbot für unternehmerische Standortentscheidungen gelangen. Ansonsten bestünde die Gefahr einer gesellschaftsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften ohne Haftungsrisiken.417 Die Funktionsfähigkeit unternehmerischen Handelns wäre erheblich gefährdet. Dies würde letztendlich auch dem Schutzzweck der Tarifautonomie zuwider laufen, der bei der Abwägung mit unternehmerischen Freiheitsrechten ebenso für ein Kampfverbot im Bereich unternehmerischer Standortpolitik fruchtbar gemacht werden kann. Die Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen setzt als Vorbedingung die mit Haftungsrisiken verbundene unternehmerische Tätigkeit voraus, welche es den Arbeitnehmern erst ermöglicht, ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen, den Lebensunterhalt zu bestreiten und berufliche Selbstverwirklichung zu finden, ohne dabei einem Haftungsrisiko ausgesetzt zu sein. Ebenso wie die Arbeitgeber ihre unternehmerische Freiheit ohne die Ausübung der Berufsfreiheit durch die Arbeitnehmer nicht wahrnehmen können, greift die Tarifautonomie ohne die unternehmerische Tätigkeit ins Leere. Gleichermaßen wie Modernisierungsprozesse in einem Unternehmen nicht mittels Streik blockiert werden dürfen – Krause418 verweist in diesem Zusammenhang auf den „Heizer auf der E-Lok“, der bereits den Anstoß zur Entwicklung der sog. „Orlando-Kündigung“ gegeben hat419 – kann es dem Arbeitgeber nicht verwehrt werden, eine seiner Betriebe zu schließen oder die unternehmerische Tätigkeit an einem anderen, aus seiner Sicht günstigeren Standort, neu aufzunehmen. Die unternehmerische Entscheidung in Bezug auf das „Ob“ einer unternehmerischen Standortentscheidung als unternehmerische Grundlagenentscheidung ist aus der gewerkschaftlichen Kampfbefugnis auszuklammern, um der Berufsfreiheit der Arbeitgeber ausreichend Entfaltungskraft zu verleihen. Ein solch weitreichender Eingriff in die Berufsfreiheit kann trotz des sozialen Bezugs des Grundrechts auch im Fall von Verlagerungsplänen eines Großunternehmens nicht mit dem Verweis auf berechtigte Arbeitnehmerinteressen gerechtfertigt werden.420 (6) Einfachgesetzliche Wertungen Entgegen vieler Stimmen aus dem Schrifttum bedarf es also keines Rückgriffs auf die „Grundwertung des Arbeitsrechts“ 421, welche die unternehmerische 417 418 419 420 421

Siehe hierzu bereits Kapitel 3 A. II. 2 e). Krause, Standortsicherung, S. 99. Vgl. Bröhl, in: FS Schaub, S. 55 ff. Vgl. Starck, Verfassungsfragen, S. 141 ff. Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (73).

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

Grundlagenentscheidung frei von Mitbestimmung und Rechtskontrolle stelle. Es ist zwar richtig, dass der Betriebsrat einen Interessenausgleich über Fragen der Standortsicherung nicht erzwingen kann und im Kündigungsschutzrecht, die Hintergründe der Unternehmerentscheidungen lediglich einer Rechtsmissbrauchskontrolle unterzogen werden.422 Eine Argumentation, welche dies bei der hier zu untersuchenden Frage fruchtbar macht, wäre jedoch dem Einwand ausgesetzt, dass einfachgesetzliche Wertungsentscheidungen, denen möglicherweise ein gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum zugrunde lag, bei der Abwägung von Grundrechtsinteressen herangezogen würden, ohne dass die Wertungen von Art. 9 Abs. 3 GG und Besonderheiten des Einzelfalls Berücksichtigung finden könnten.423 Nicht zu leugnen ist allerdings, dass auch der Gesetzgeber und Rechtsprechung jenseits von Tarif- und Arbeitskampfrecht die Unantastbarkeit unternehmerischer Grundlagenentscheidungen respektieren und sich dabei von den soeben vorgetragenen Wertungen der Berufsfreiheit leiten lassen. Dies stützt die hier vertretene Auffassung vom Kampfverbot für unternehmerische Standortverlagerungsentscheidungen ohne entscheidendes Argument für diese These zu sein. (7) Fazit Die weitreichende Garantie der Koalitionsbetätigungsfreiheit rechtfertigt es also nicht, die Tür zu den „heiligen Hallen der Unternehmensführung“ gewaltsam zu öffnen, da ansonsten die Funktionsfähigkeit unternehmerischen Handelns grundsätzlich in Frage gestellt würde. Ein Umdenken hinsichtlich der bisherigen Dogmatik des Arbeitskampfrechts ist sicherlich erforderlich, als dass diese Lösung auf eine Differenzierung von Tarifvertrags- und Arbeitskampffreiheit hinausläuft.424 Aufgrund der Wertungen von Art. 12 Abs. 1 GG erscheint dies jedoch geboten. Gleichwohl ist anzumerken, dass dieser Freiwilligkeitsvorbehalt klein zu halten ist, da ansonsten eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie und ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht von der Hand zu weisen wäre. Nur Entscheidungen über Bestand, Umfang, Inhalt oder Zwecksetzung des Unternehmens können nicht mittels Arbeitskampf beeinflusst werden.425 Art. 9 Abs. 3 GG kann somit nicht zur Rechtfertigung eines Streiks zur Verhinderung einer Standortverlagerung herangezogen werden. 422

Siehe hierzu bereits Kapitel 1 A. I. 4. a) bb). Franzen, ZfA 2005, 315 (335 f.); Wiedemann, RdA 1986, 231 (237). 424 Vgl. hierzu Bayreuther, Tarifautonomie, S. 286. 425 Da die Entscheidung, einen Betrieb zu schließen und an einen anderen Ort zu verlagern zweifellos als unternehmerische Grundlagenentscheidung anzusehen ist, kann an dieser Stelle offen bleiben, in welchen Fällen unternehmerische Entscheidungen nicht mehr dem Kernbereich der Berufsfreiheit zuzuordnen sind, um ein Verbot von Arbeitskampfmaßnahmen zu rechtfertigen; vgl. die Abgrenzungsversuche von Starck, Verfassungsfragen, S. 146 ff.; Wiedemann, RdA 1986, 231 (236 ff.); siehe hierzu auch Kapitel 7 B. I. 423

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cc) Berufsfreiheit der Arbeitnehmer als Rechtfertigungsgrund? Will man die Frage nach der Erstreikbarkeit von Standortzusagen nicht anhand einer Auflösung des Spannungsverhältnisses von Tarifautonomie und Unternehmerfreiheit ansehen, wird man die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer heranziehen, um die Arbeitskampfbefugnis zur Verhinderung von Standortverlagerungsvorhaben zu begründen.426 Diese Erwägungen stellen darauf ab, dass die von einer Standortentscheidung betroffenen Arbeitnehmer in Folge der Umstrukturierungsmaßnahme ihren Arbeitsplatz verlieren, so dass ihnen im schlimmsten Fall Arbeitslosigkeit droht, und dem Interesse am Erhalt des Arbeitsplatzes ebenso Grundrechtsschutz beizumessen sei. Ein Arbeitskampf zur Verhinderung der Verlagerung würde diesen grundrechtlich geschützten Interessen zur Geltung verhelfen und könnte zur Rechfertigung der Grundrechtsbeschränkung der Berufsfreiheit des Arbeitgebers in Betracht kommen. Zunächst ist festzuhalten, dass Art. 12 Abs. 1 GG keinen Grundrechtsschutz vermittelt, seiner beruflichen Tätigkeit bei einem bestimmten Arbeitgeber nachzugehen und keinen dauerhaften Bestandschutz für Arbeitsverhältnisse beinhaltet.427 Darüber hinaus bestehen gesetzliche Schutzmechanismen zugunsten der Arbeitnehmerseite, welche eine Kompensation für die Folgen einer betriebsbedingten Kündigung vorsehen (vgl. etwa § 622 BGB). Fischinger428 hat daher zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser Aspekt im Rahmen einer Grundrechtsabwägung zu berücksichtigen wäre und somit aus diesem Grund die Waage zugunsten der Arbeitgeberseite ausschlägt. Zwar ist das Bestandschutzinteresse des Arbeitnehmers nach der Rechtsprechung des BVerfG429 „oberhalb der Berufsausübungs- und unterhalb der Berufswahlfreiheit“ zu verorten und kann durchaus als vernünftiger Grund im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gesehen werden, der eine Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit grundsätzlich rechtfertigen könnte. Im Fall von Arbeitskämpfen, welche auf die Unterbindung von Standortentscheidungen des Arbeitgebers gerichtet sind, genießt jedoch das Recht, unternehmerische Grundlagenentscheidungen aus den bei der Abwägung von Berufsfreiheit und Tarifautonomie angeführten Gründen frei von jeglichem Streikdruck unternehmensautonom treffen zu können, Vorrang vor dem Interesse der Arbeitnehmerseite am Bestand der bestehenden Arbeitsplätze.

426

Vgl. Däubler-Hensche, TVG, § 1 Rn. 833. Vgl. Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (562); zum Bestandsschutz im Arbeitsverhältnis siehe Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 354. 428 Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 81 f.; a. A. Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1023 ff.). 429 Vgl. BVerfG v. 24.4.1991 – 1 BvR 1341/90, BVerfGE 84, 133 (146). 427

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

Diese Erwägungen gelten wiederum unabhängig davon, ob es sich um ein Familien- oder Großunternehmen handelt. Nicht nur natürliche Personen, die sich aus dem Berufsleben zurückziehen wollen und in ihrer negativen Berufswahlfreiheit beschränkt wären, wenn sie mittels Arbeitskampfs gezwungen werden könnten, weiter beruflich tätig zu bleiben, sondern ebenso Kapitalgesellschaften können sich auf einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit berufen, auch wenn der personale Bezug der Berufsfreiheit bei ihnen weniger stark ausgeprägt ist. Es wäre unangemessen, das wirtschaftliche Risiko unternehmerischer Tätigkeit vollständig dem Arbeitgeber aufzubürden, um ihn andererseits mit Verweis auf das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers einem Streikdruck auszusetzen, der sich gegen aus seiner Sicht für den Unternehmenserfolg unabdingbare unternehmerische Grundlagenentscheidungen richtet und geeignet ist, die Umsetzung solcher Maßnahmen zu verhindern. In einer auf Wettbewerb und Marktwirtschaft ausgerichteten Wirtschaftsordnung stehen Arbeitsplätze nicht frei zur Verfügung, sondern sind erst das Ergebnis unternehmerischer Initiative.430 Mit der Funktionsfähigkeit der sozialen Marktwirtschaft wäre es nicht zu vereinbaren, wenn allein die Bindung an einmal begründete Arbeitsverhältnisse die Möglichkeit eröffnen würde, das Recht zur autonomen Entscheidung des Unternehmers hinsichtlich von Verfügungen über den Betrieb zu torpedieren oder sie gänzlich zu verhindern.431 Für den Fall, dass ein Großunternehmen einen seiner Standorte schließt oder verlagert, um die sonstigen Betriebsstätten, die in der Vergangenheit einen größeren Gewinn erwirtschafteten, zu erhalten, sind auch die Interessen der Arbeitnehmer, die an diesen Standorten beschäftigt werden, in die Waagschale zu werfen. Auf diesen Aspekt wurde in der bisherigen Diskussion nicht hingewiesen. Die Verlagerungsentscheidung, welche für einen Teil der in einem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer längere Arbeitslosigkeit bedeuten kann, bewahrt in vielen Fällen andere Arbeitnehmer dieses Unternehmens vor ihr. Droht Arbeitnehmern an einem anderen Standort in Folge der Erhaltung eines weniger rentablen Betriebs die Kündigung, weil die notwendige Kostenreduktion durch Personalabbau nun standortübergreifend das gesamte Unternehmen betreffen soll, wäre auch das Bestandsschutzinteresse dieser Arbeitnehmer in die Abwägung miteinzubeziehen. Ein Blick auf das Kündigungsrecht bestätigt all diese Wertungen. Sowohl auf Seiten des Arbeitgebers wie auf Seiten des Arbeitnehmers ist das Kündigungsrecht verfassungsrechtlich garantierter Bestandteil der Berufsfreiheit.432 Die Regelungen des KSchG zielen darauf ab, diese Wertungen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen, und werden den einschlägigen Grundrechtsinteressen ge430 431 432

Ähnlich die Wertung von Krause, Standortsicherung, S. 98. Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 86. Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 12 Rn. 94.

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recht.433 Wird man dem Gesetzgeber im Hinblick auf den personalen Bezug der Berufsfreiheit hinsichtlich der Ausgestaltung des Kündigungsschutzrechts einen Gestaltungsspielraum zubilligen können,434 hat er dennoch die aus der Berufsfreiheit abzuleitenden Grenzen zu beachten: Nicht mit Art. 12 Abs. 1 GG zu vereinbaren, da unzumutbar im Hinblick auf die Grundrechtsposition des Arbeitgebers, wäre es beispielsweise, das Kündigungsrecht des Arbeitgebers auf betriebsbedingte Gründe zu beschränken.435 Ferner unterscheidet die Rechtsprechung bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer betriebsbedingten Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG nicht zwischen Groß- und Kleinunternehmen, wenn sie davon ausgeht, dass die Zweckmäßigkeit dieser Entscheidung einer gerichtlichen Nachprüfung entzogen ist.436 Dies verdeutlicht erneut, dass nicht allein eine Zuordnung im Sinne der Drei-StufenLehre über die Gewichtung der Grundrechtspositionen im Rahmen einer Abwägung kollidierender Grundrechtsinteressen entscheiden darf, sondern wie im Fall des Arbeitskampfes um Standortzusagen die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers und gegebenenfalls die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer an den verbleibenden Standorten Vorrang gegenüber dem Bestandsschutzinteresse der Arbeitnehmer, welches über der Berufsausübungsfreiheit zu verorten ist, zukommen kann. Auch das Grundrecht der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer ist somit nicht geeignet, den von einem Standortarbeitskampf zur Verhinderung der Verlagerung ausgehenden Eingriff in die Berufsfreiheit des Arbeitgebers zu rechtfertigen.

IV. Zwischenergebnis Ein Streik, welcher sich unmittelbar gegen eine unternehmerische Standortverlagerungsentscheidung richtet, ist generell unzulässig. Die h. M. in Rechtsprechung und Schrifttum437 liegt also im Ergebnis richtig, wenn sie davon ausgeht, dass Standortzusagen nicht erstreikt werden können. Versucht die Gewerkschaft dennoch einen Standortsicherungstarifvertrag mittels Arbeitskampfs durchzusetzen, besteht ein Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers und gegebenenfalls die Möglichkeit individualarbeitsrechtlicher Sanktionen gegenüber einzelnen Arbeitnehmern, die sich am Streik beteiligen.

433 Vgl. BVerfG v. 24.4.1991 – 1 BvR 1341/90, BVerfGE 84, 133 (147); BVerfG v. 21.2.1995 – 1 BvR 1397/93, BVerfGE 92, 140 (150); BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/ 87, BVerfGE 97, 169 (175). 434 Vgl. Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 354. 435 Vgl. Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 12 Rn. 50 m.w. N. 436 BAG v. 22.9.2005 – 2 AZR 208/05, AP Nr. 141 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 437 Vgl. die Nachweise in Kapitel 3 Fn. 350.

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

Folgt man dieser Auffassung, stellt sich die schwierige Abgrenzungsfrage zwischen Klein- und Großunternehmen als Folge des personalen Bezugs der Berufsfreiheit nicht, was im Übrigen als weiterer Einwand gegen die Praktikabilität des Ansatzes angeführt werden kann, der ausschließlich anhand einer Zuordnung der Standortentscheidung zur Berufswahl- oder Berufsausübungsfreiheit differenziert.438 In welchen Fällen der personale Bezug der Berufsfreiheit noch so stark ausgeprägt wäre, dass ein Arbeitskampf gegen Standortverlagerungsvorhaben unzulässig wäre, ist kaum zu ermitteln.439

D. Zusammenfassung I. Die tarifliche Regelbarkeit einer Kampfforderung ist gegeben, wenn die Sachmaterie dem Aufgabenbereich der Koalitionen unterliegt, die Tarifvertragsparteien befugt sind, eine tarifliche Regelung zu vereinbaren und die angestrebte Regelung mit höherrangigem Recht in Einklang steht. II. Standortzusagen des Arbeitgebers können in freiwilliger Form im schuldrechtlichen Teil eines Firmentarifvertrags vereinbart werden: 1. Unternehmerische Standortentscheidungen können unter den Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen subsumiert werden. Maßgeblich ist ein Verständnis, das beide Begriffe als funktionale Einheit betrachtet. Somit ist eine Bildung der Schnittmenge beider Begriffe zur Bestimmung der Reichweite der Koalitionsfreiheit zugrunde zu legen. Ein endgültig gefasster Standortschließungsbeschluss berührt die sozialen Belange der Arbeitnehmer unmittelbar, so dass ein spezifischer Bezug zu den Bedingungen, unter denen abhängige Arbeit geleistet wird, gegeben ist. 2. Zu keinem abweichenden Ergebnis bezüglich der Regelungszuständigkeit im Bereich unternehmerischer Standortpolitik führen Ansätze, welche die Frage nach dem Aufgabenbereich der Koalitionen für unternehmenspolitische Entscheidungen als Abgrenzungsproblem der Tarifautonomie von der Unternehmerfreiheit begreifen. Die Berufsfreiheit der Arbeitgeber kommt zwar grundsätzlich als Kompetenzgrenze der Tarifautonomie in Betracht, so dass der Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auch im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG verfassungskonform auszulegen ist. Daraus folgt, dass solche Unternehmerentscheidungen, welche sich nur mittelbar, etwa über Reaktionen des Marktes, auf die Arbeitsbedingungen auswirken, nicht dem Schutzbereich der Koalitionsfreiheit und somit auch nicht der tariflichen Regelungszuständigkeit unterliegen. Bei Standortentschei438 Vgl. Dieterich, AuR 2007, 65 (70); Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1026); Paschke/Ritschel, AuR 2007, 110 (114). 439 Vgl. Schlachter, in: FS Birk, S. 809 (810).

D. Zusammenfassung

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dungen ist dies aber nicht der Fall. Sie wirken sich gerade unmittelbar auf die Arbeitsbedingungen aus. Der Wesensgehalt der Berufsfreiheit wird nicht berührt, wenn man diese Sachmaterie dem Aufgabenbereich unterstellt. Nicht die für die Berufsfreiheit unerlässlichen Teile der Freiheitsgewährleistung würden geschützt, sondern dem Arbeitgeber die Möglichkeit genommen, sich neue Chancen unternehmerischen Gestaltens zu eröffnen, indem man eine Vereinbarung anstrebt, welche den Standort gegen einen Lohnverzicht der Arbeitnehmer sichert. 3. Die tarifliche Regelungsbefugnis ist bezüglich einer Vereinbarung von Firmentarifverträgen gegeben. Standortzusagen sind zwar nicht normativ, aber schuldrechtlich regelbar. Standortzusagen können nicht als Inhalts-, Abschluss,Beendigungsnorm, bzw. als Betriebsnorm oder betriebsverfassungsrechtliche Norm gemäß § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG qualifiziert werden. Diese Norm legt den Umfang der Befugnis zur tariflichen Normsetzung abschließend fest. Eine Vereinbarung als schuldrechtliche wirkende Vereinbarung im Firmentarifvertrag ist demgegenüber zulässig, da der Umfang der schuldrechtlichen Vereinbarungsmacht über den der Normsetzungsbefugnis hinaus, bis an die „äußerste“ Grenze des Schutzbereichs von Art. 9 Abs. 3 GG reicht. Ein Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG wäre zwar unzulässig, dessen bedarf es in diesem Fall jedoch nicht. 4. Eine Vereinbarung in Form eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrags ist dagegen unzulässig, so dass auch ein Streik um eine entsprechende Forderung mangels tariflicher Regelbarkeit rechtswidrig wäre. Fragen der unternehmerischen Standortpolitik können nicht zum Gegenstand eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrags gemacht werden. Eine solche Vereinbarung schuldrechtlicher Pflichten ist als unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter zu qualifizieren. Selbst wenn der Arbeitgeber dem Vertragsschluss zustimmt, führt dies nicht zur Rechtmäßigkeit des Tarifvertrags. Auch der Verbandsbeitritt legitimiert solche Vereinbarungen nicht. 5. Die Tarifvertragsparteien sind bei der Vereinbarung von Tarifverträgen an die Grundrechte gebunden. Dies gilt auch für sog. lediglich schuldrechtlich regelbare Inhalte, die im Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG liegen, aber nicht von der tariflichen Normsetzungsbefugnis umfasst sind. Diesbezüglich ist auf die Schutzpflichtenfunktion der Grundrechte abzustellen. Ein Grundrechtsverstoß scheitert nicht daran, dass der Arbeitgeber beim Abschluss von Firmentarifverträgen nicht schutzbedürftig wäre. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht ist bei einer freiwilligen Vereinbarungen von Standortzusagen in Firmentarifverträgen dennoch generell nicht gegeben. Nach hier vertretener Auffassung ist im freiwilligen Abschluss eines Firmentarifvertrags ein Grundrechtsverzicht zu sehen, so dass es schon am Eingriff in Arbeitgebergrundrechte fehlt. Falls dieser Verzicht freiwillig erklärt wurde, führt dies zur Zulässigkeit einer Standortzusage, da der einzelne Arbeitgeber befugt ist, über sein Grundrecht auf Freiheit der Berufsausübung vollumfänglich zu verfügen, um im Gegenzug ein Entgegenkommen der

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Kap. 3: Streik zur Verhinderung der Standortverlagerung

Gewerkschaft zu erreichen, das ihm anderweitige Gestaltungsmöglichkeiten erst eröffnet. III. Ein Arbeitskampf, der auf die Verhinderung der Verlagerungsentscheidung abzielt, ist dennoch unzulässig, da Standortzusagen nicht erstreikt werden können: Zwischen tariflicher Regelbarkeit und Erstreikbarkeit ist zu differenzieren, so dass nicht von der Regelbarkeit einer Materie auf die Erstreikbarkeit geschlossen werden darf. Streikforderungen, die nur Eingang in den schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags finden können, sind zwar von der Arbeitskampffreiheit umfasst, ein Streik, welcher den Arbeitgeber zum Abschluss eines Standortsicherungstarifvertrags bewegen soll, verstößt aber gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit des bestreikten Arbeitgebers. Die unternehmerische Grundlagenentscheidung, an welchem Standort produziert werden soll, darf nicht mittels Streik beeinflusst werden, da ansonsten die für die Ausübung der Berufsfreiheit unerlässlichen Bestandteile in Gefahr gerieten. Die Berufsfreiheit der verlagerungswilligen Arbeitgeber genießt daher Vorrang vor den durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Kollektivinteressen und dem Grundrecht auf Berufsfreiheit, auf das sich die von der Standortentscheidung betroffenen Arbeitnehmer berufen können. Eine Rechtfertigungsmöglichkeit des mit einem solchen Arbeitskampf verbundenen Eingriffs in das Grundrecht der Berufsfreiheit des bestreikten Arbeitgebers scheidet somit aus.

Kapitel 4

Zulässigkeit des Tarifsozialplans Stand bisher die Verhinderung der Verlagerungsentscheidung als Kampfziel im Mittelpunkt der Untersuchung, soll nun der Frage nachgegangen werden, inwieweit es den Gewerkschaften möglich ist, den tariflichen Sozialplan als Streikforderung zu erheben, um so einen sozialen Ausgleich der Folgen unternehmerischer Standortverlagerungsentscheidungen zu erzielen. Tarifsozialpläne enthalten typischerweise Klauseln, die in Folge der Betriebsänderung gekündigten Arbeitnehmern Abfindungsleistungen zusprechen, ihre Grundkündigungsfristen verlängern und Qualifizierungsmaßnahmen vorsehen, welche die Arbeitnehmer auf den Arbeitsmarkt vorbereiten sollen.1 Der Arbeitgeber soll „Schadensersatz“ für die Vernichtung von Arbeitsplätzen leisten, die durch die Standortverlagerung wegfallen. Die mit dem Tarifsozialplan verbundene Kostenbelastung ist jedoch ebenso wie ein Streik um eine Standortzusage des Arbeitgebers geeignet, die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers einzuschränken, da die Verlagerung weniger attraktiv wird und faktisch verhindert werden kann. Eine Regelung der sozialen Folgen der Betriebsänderung wird außerdem bereits durch die §§ 111 ff. BetrVG gewährleistet, welche eine Zuständigkeit des Betriebsrats vorsehen. Zweifelhaft ist daher, ob eine tarifliche Regelung von Sozialplaninhalten anlässlich einer Standortverlagerung einer einzelnen Betriebstätte überhaupt von der Tarifmacht umfasst ist, ob solche Klauseln Eingang in einen Firmentarifvertrag oder firmenbezogenen Verbandstarifvertrag finden können und ob die Regelung mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar ist. All dies ist vorauszusetzen, damit die Streikbefugnis für solche Fragen eröffnet wäre.

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit I. Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG Um die tarifliche Regelbarkeit des Tarifsozialplans bejahen zu können, müsste zunächst die Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien gegeben sein.2

1 2

Siehe Kapitel 1 A. I. 4. b). Siehe Kapitel 3 A. I.

204

Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

Dies setzt voraus, dass die Ausgestaltung der sozialen Folgen von unternehmerischen Standortentscheidungen zum Aufgabenbereich der Koalitionen zählt. Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass die Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien zur Vereinbarung von Tarifsozialplänen aus verfassungsrechtlicher Sicht eröffnet wäre, wenn diese Sachmaterie unter den Begriff der Arbeits- und Wirtschaftbedingung subsumiert werden kann und nicht ein unter Rückgriff auf Art. 12 Abs. 1 GG zu bestimmender autonomer Zuständigkeitsbereich des Arbeitgebers betroffen ist.3 Führen die im Schrifttum entwickelte Ansätze zur Bestimmung des Zuständigkeitsbereichs der Koalitionen bei einer Regelung der Unternehmerentscheidung und somit zwangsläufig auch bei einer Beurteilung von Standortzusagen zu unterschiedlichen Ergebnissen, ist dies bei einer auf die sozialen Folgen von Unternehmerentscheidungen abzielenden Regelung gerade nicht der Fall. Tarifliche Regelungen im Zusammenhang mit dem Ausscheiden von Arbeitnehmern aufgrund unternehmerischer Standortentscheidungen betreffen unmittelbar die Verhältnisse, unter denen Arbeitnehmer abhängig beschäftigt werden und sind somit als Arbeitsbedingungen gemäß Art. 9 Abs. 3 GG anzusehen. Unter diesen Begriff lässt sich traditionell der Schutz vor Rationalisierung und den Folgen neuer Technologien subsumieren.4 Ähnlich der Rationalisierungsschutzabkommen auf Verbandsebene verfolgen auch Tarifsozialpläne diesen Zweck, indem sie die Folgewirkungen unternehmerischer Standortentscheidungen abmildern. Folglich gelangen auch die Anhänger einer restriktiven Interpretation des Begriffs der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu dem Ergebnis, dass ein Tarifvertrag, der sich auf die Regelung der sozialen Folgen unternehmerischer Entscheidungen beschränkt, zum Aufgabenbereich der Tarifvertragsparteien zählt.5 Die Aufgabe einer sozialverträglichen Gestaltung der Folgen von unternehmerischen Personalund Sachentscheidungen wird vielfach dem „Kernbereich der Tarifvertragspolitik“ zugeordnet.6 Ein tariffreier Bereich unternehmerischer Zuständigkeiten, der anhand einer Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG zu bestimmen 3

Siehe Kapitel 3 A. II. und III. Vgl. BAG v. 3.4.1990 – 1 AZR 123/89, BAGE 64, 284 (291); LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 7. 5 Siehe stellvertretend Biedenkopf, Gutachten für den 46. DJT, S. 97 (162); Franzen, ZfA 2005, 315 (330); Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 69 (75); Löwisch, DB 2005, 554 (556); Wiedemann, RdA 1986, 231 (232). 6 Vgl. Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49 (51); Oberberg/Schoof, AiB 2002, 169 (175); Reichold, BB 2004, 2814 (2817); Thüsing, in: FS 25 Jahre AG ArbR DAV, S. 225 (234); a. A. wohl Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (562). Daran anknüpfend wird sich die Frage stellen, inwieweit dies im Rahmen einer Abwägung mit der Berufsfreiheit der Arbeitgeber bei der Beurteilung von Streikforderungen, die sich auf den Abschluss eines Tarifsozialplans richtet, zu berücksichtigen ist, siehe hierzu Kapitel 5 A. II. 3. 4

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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ist,7 wird ebenfalls nicht berührt. Der Tarifsozialplan regelt ausschließlich die sozialen Folgen, also das „Wie“ der Unternehmerentscheidung. Das „Ob“ der Standortverlagerung verbleibt beim Arbeitgeber und wird allein durch den Umstand, dass eine sozialverträgliche Gestaltung dieser Entscheidung angestrebt wird, nicht angetastet. Dass umfangreiche Regelungen in Tarifsozialplänen durchaus geeignet sind, unternehmerische Freiheitsrechte zu beschränken, ist kein Problem der tariflichen Zuständigkeit, sondern erst bei der Verortung der Zulässigkeitsgrenzen tariflicher Regelungen und der Grenzen der Streikfreiheit zu berücksichtigen. Der Umfang einer tarifvertraglichen Regelung, welche mittelbar einen Eingriff in unternehmerische Freiheitsrechte darstellen könnte, darf also nicht schon zu Einschränkung der tariflichen Zuständigkeit herangezogen werden. Der Kernbereich der Berufsfreiheit des Arbeitgebers wird nicht berührt, wenn man die Regelung der sozialen Folgen einer Verlagerung der tariflichen Regelungszuständigkeit unterstellt, da die für die Ausübung der Berufsfreiheit unerlässlichen Bestandteile nicht in Gefahr geraten. Die Regelung von Tarifsozialplänen ist somit von der Koalitionsbetätigungsfreiheit umfasst.8

II. Sperrwirkung der §§ 111 ff. BetrVG Eine Einschränkung tariflicher Zuständigkeiten könnte sich jedoch aus den einfachgesetzlichen Vorschriften der §§ 111 ff. BetrVG ergeben, in denen die Zuständigkeit des Betriebsrats zur Regelung der Folgen von Betriebsänderungen geregelt ist. Eine Vielzahl kritischer Einwände gegenüber der tariflichen Regelbarkeit von Sozialplaninhalten konzentriert sich auf die Frage, inwieweit die §§ 111 ff. BetrVG bei der Bestimmung des Aufgabenbereichs der Tarifvertragsparteien zu Restriktionen führen. 1. Einführung in die Problematik Ursächlich für solche Zuständigkeitsprobleme ist das bestehende kollektivrechtliche System, welches derart ausgestaltet ist, dass der Ausgleich der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmern durch Tarif- und Betriebsebene gewährleistet werden soll. Grundsätzlich sind also Betriebsrat und Gewerkschaft zuständig, die Belange der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber zu vertreten. Dies führt aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung von Betriebsverfassung und Tarifvertragssystem zwangsläufig zu Abgrenzungs- und Koordinationsproblemen zwischen den Regelungsebenen.

7

Siehe Kapitel 3 A. III. Deutlich LAG Hessen v. 30.4.2008 – 18 Sa 1724/07 (juris) unter Rn. 46 der Entscheidungsgründe. 8

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

In der jüngeren Vergangenheit stand dabei zunächst die Frage im Vordergrund, inwieweit die Betriebsparteien betriebliche Bündnisse für Arbeit schließen dürfen, in denen von tariflichen Regelungen abgewichen wird.9 Das BAG10 hat diese Flexibilisierungstendenzen auf betrieblicher Ebene im Burda-Beschluss abgelehnt und einen Unterlassungsanspruch der Gewerkschaft bejaht. Hier geht es nun um den „umgekehrten Fall“ 11: Können die Tarifvertragsparteien die sozialen Folgen von unternehmerischen Standortverlagerungen regeln oder schließt die Begründung der Zuständigkeit des Betriebsrats gemäß den §§ 111 ff. BetrVG dies aus? Im Unterschied zur Konstellation, welche dem Burda-Beschluss zugrunde lag, kommt der Einwand der Unzuständigkeit diesmal nicht von Seiten der Arbeitnehmervertreter. Bei Standorttarifstreitigkeiten sind es die Arbeitgeber, welche anführen, dass die Gewerkschaft unzuständig sei, Sozialplaninhalte einer tariflichen Regelung zuzuführen.12 Dies liegt darin begründet, dass zwar die Inhalte eines Tarifsozialplans in der Regel identisch mit denen des betrieblichen Sozialplans sind, die Höhe der tariflichen Forderungen in der Regel jedoch beträchtlich nach oben abweicht und die Sozialplanverhandlungen vom Arbeitskampf frei gehalten werden soll. Betrachtet man die Aussagen der Arbeitsrechtswissenschaft zum grundsätzlichen Verhältnis von Tarif- und Betriebsautonomie, welche aufgrund der eindeutigen Regelungen der §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG fast einhellig von einem grundsätzlichen Vorrang der Tarifebene ausgehen,13 muss die Idee eines Vorrangs der Betriebsverfassung im Fall einer Betriebsänderungen i. S. d. §§ 111 ff. BetrVG zunächst verwundern. Erscheint es doch „ketzerisch“ 14, den Tarifvertragsparteien mit dem Verweis auf die Betriebsverfassung den Zugriff auf diese Regelungsinhalte gänzlich zur verwehren. Andererseits wird wiederum zu Recht darauf hingewiesen, dass eine sperrende Wirkung von Rechtsvorschriften durchaus „bekanntes dogmatisches Terrain“ 15 darstellt. Ob also nicht nur tarifliche Regelungen sperrende Wirkungen gegenüber Betriebsvereinbarungen entfalten, wie es § 87 Abs. 1 BetrVG vorschreibt, sondern die gesetzlichen Regelungen zur Mitbestimmung des Betriebsrats in wirtschaftlichen Angelegenheiten 9 Siehe dazu Annuß, RdA 2000, 287 ff.; Robert, Vereinbarkeit betrieblicher Bündnisse für Arbeit mit dem Günstigkeitsprinzip, 2003; dens., NZA 2004, 633 ff.; Thüsing, DB 1999, 1552 ff.; Waltermann, ZfA 2005, 505 ff. 10 BAG v. 20.4.1999 – 1 ABR 72/98, AP Nr. 89 zu Art. 9 GG. 11 So treffend Thüsing/Ricken, JbArbR 2005, S. 113 (114). 12 Vgl. BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (988); LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 1R; LAG Niedersachsen v. 2.6.2004 – 7 Sa 819/04, AP Nr. 164 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 2. 13 Kritisch dazu Ehmann/Lambrich, NZA 1996, 346 ff. 14 So selbst Nicolai, RdA 2006, 33. 15 Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 125.

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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zu einem Ausschluss tariflicher Zuständigkeiten führen, soll nun untersucht werden. 2. Analyse der Sperrwirkungslehren Im Zusammenhang mit der Diskussion im älteren Schrifttum um die Zulässigkeit der Rationalisierungsschutzabkommen in branchenbezogenen Verbandstarifverträgen wurde die Frage einer Sperrwirkung der §§ 111 ff. BetrVG noch nicht erörtert, da diese in der Regel nur allgemeine Vorgaben für den Fall betriebsbedingter Kündigungen aus Anlass von Rationalisierungsmaßnahmen aufstellten.16 Anlässlich der Arbeitskämpfe um Tarifsozialpläne wird nun versucht, die Unzulässigkeit des gewerkschaftlichen Vorgehens damit zu begründen, dass die gesetzliche Kompetenzzuweisung der §§ 111 ff. BetrVG konterkariert würde, wenn es den Gewerkschaften möglich wäre, das Heft der Sozialplanverhandlungen in die Hand zu nehmen. Ein nicht unbeachtlicher Teil der Literatur17 und das LAG Hamm18 befürworten die Lesart der §§ 111 ff. BetrVG als generellen Ausschluss tariflicher Regelungszuständigkeit für den Abschluss von Tarifsozialplänen gegenüber einzelnen Arbeitgebern im Fall einer konkreten Betriebsänderung. Streiks um Tarifsozialpläne und freiwillige Vereinbarungen wären demnach unzulässig. a) Dogmatisches Grundverständnis Um eine solche Sperrwirkung rechtstechnisch zu begründen und in die Gesamtsystematik des Kollektivarbeitsrechts einzubetten, werden unterschiedliche Wege beschritten. Sie unterscheiden sich darin, ob man die §§ 111 ff. BetrVG als Vorschriften interpretiert, welche eine originäre Zuständigkeit des Betriebsrates für die Aufstellung eines Sozialplanes schaffen, oder sich ein Ausschluss der tariflichen Regelungszuständigkeit erst aufgrund weiterer Wertungen ergibt. Einige Vertreter dieser Sperrwirkungslehren interpretieren die §§ 111 ff. BetrVG als abschließende Sonderregelungen, mit denen der Gesetzgeber eine 16

Vgl. Koller, ZfA 1978, 45 (72 f.); Vollmer, DB 1979, 355 (355 f.). Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019 (1023); de Beauregard, NZA-RR 2007, 393 (393 f.); Lelley/Sabin, FA 2004, 357 (359); Lieb, DB 1999, 2058 (2066); Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (80 ff.); Meyer, DB 2005, 830 ff.; Nicolai, RdA 2006, 33 ff.; dies., SAE 2004, 240 (249 ff.); Pauls, Betriebsverlagerung, S. 178 ff.; Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47); wohl auch Reichold, BB 2004, 2814 (2818); Thüsing, in: FS 25 Jahre AG ArbR DAV, S. 225 (234 ff.); Vollmer, DB 1979, 308 ff., 355 ff.), der nur Rahmenregelungen in Tarifverträgen zulassen will, die den Bereich der Mitbestimmung des Betriebsrates i. S. d. §§ 111 ff. BetrVG berühren; Tarifsozialpläne unterlägen danach nicht der Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien. 18 LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4. 17

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

ausschließliche Zuständigkeit des Betriebsrats, Regelungen anlässlich konkreter Betriebsänderungen aufzustellen, schaffen wollte.19 Die Norm des § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG wird dabei zum Teil ignoriert.20 Andere sehen in ihr einen Anknüpfungspunkt für eine Ableitung des Regelungsvorrangs der Betriebsebene zur Aufstellung eines Sozialplanes bei einer Betriebsänderung.21 Vollmer22 geht davon aus, dass der Gesetzgeber durch den Erlass der Mitbestimmungsgesetze den Willen zum Ausdruck gebracht habe, die Lösung solcher Fragen den Betriebsparteien zu übertragen. Rechtstechnisch erreicht er dies, indem er sich für eine teleologische Reduktion der die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien begründenden Vorschriften ausspricht. Die Regelungen der §§ 1, 3 TVG, §§ 2 Abs. 3, 77 Abs. 3, 87 Abs. 1, 112 BetrVG23 seien aufgrund des Sinn und Zwecks der Mitbestimmungsregelungen nicht anzuwenden, um so eine ausschließliche Regelungskompetenz der Betriebsparteien zu ermöglichen. Ein anderer Ansatz innerhalb der Sperrwirkungslehren sieht in der Vorschrift des § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG ein entscheidendes Hindernis für diese Argumentation. Der Gesetzgeber habe dem Betriebsrat nicht auf dem Wege der einfachgesetzlichen Normierung der Betriebsverfassung die „Exklusivkompetenz“ zur Vereinbarung von Regelungen anlässlich konkreter Betriebsänderung übertragen. Lobinger24 nimmt vielmehr an, der Gesetzgeber habe mit der Regelung des § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG zum Ausdruck gebracht, auch in diesen Fällen tarifliche Regelungen zu ermöglichen. Er gesteht ein, dass man in den §§ 111 ff. BetrVG durchaus die Intention sehen könne, einen Mindestschutz auf Betriebsebene festzulegen. Nicolai25 und Bauer/Krieger26 verstehen § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG ebenfalls als Vorschrift, die ein Nebeneinander zwischen tariflichen und betrieblichen Sozialplan ermöglichen soll. Für die Vereinbarung von Rationalisierungsschutzabkommen, die keine Regelungen für konkrete Betriebsänderungen aufstellen, sei die Zuständigkeit der Gewerkschaft daher gegeben.27 Das grundsätzliche Nebeneinander von Tarifvertrag und betrieblichem Sozialplan versuchen diese Autoren erst in einem weiteren Gedankenschritt für den Tarifsozialplan zu widerlegen, indem sie Gründe vorbringen, die ein zwingendes 19 So Lieb, DB 1999, 2058 (2066); Meyer, DB 2005, 830 (831 f.); Vollmer, DB 1979, 308 ff., 355 f.; wohl auch Reichold, BB 2004, 2814 (2817). 20 Vgl. Lieb, DB 1999, 2058 (2066). 21 Meyer, DB 2005, 830 (831). 22 Vollmer, DB 1979, 308 (310). 23 Vollmer, DB 1979, 308 (310) bezieht sich dabei auf die Regelungen des BetrVG in der Fassung von 1972, das nur in Ansätzen eine Beteiligung der Arbeitnehmer an wirtschaftlichen Unternehmerentscheidungen vorsah. 24 Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (79). 25 Nicolai, RdA 2006, 33 (34 f.). 26 Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019 (1022). 27 Nicolai, RdA 2006, 33 (34).

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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Abweichen von den allgemeinen Regeln rechtfertigen sollen. Der Tarifsozialplan wird als „Sonderfall“ interpretiert, der nicht nach allgemeinen Regeln zu lösen sei, wie sie etwa für den traditionellen Rationalisierungsschutz gelten sollen: Lobinger28 bezieht sich auf die Freiheit der Unternehmerentscheidung und Gleichbehandlungsgebote. Ähnlich argumentieren Bauer/Krieger29, die auf den verfassungsrechtlichen Schutz der Unternehmerentscheidung hinweisen, der bei einem Arbeitskampf um einen Tarifsozialplan einen generellen Vorrang des betrieblichen Verfahrens aufgrund der besonderen Konstellation gebieten würde. Nicolai30 sieht hingegen eine Regelungslücke für den Fall der Sozialtarifverträge, die sie mit ähnlichen Erwägungen schließen möchte. Insgesamt ist dieser Ansatz als „Weiterentwicklung“ des Sperrwirkungsgedankens zu verstehen, der einige erkannte Schwächen der anderen Vertreter innerhalb der Sperrwirkungslehren zu beheben versucht.31 Ziel dieser Argumentation ist der Nachweis, dass § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG der Sperrwirkungsthese nicht von vorneherein entgegensteht. Diese unterschiedlichen Begründungsansätze innerhalb der Sperrwirkungslehren wirken sich nicht auf das Ergebnis der Argumentationsansätze aus, da unabhängig davon den §§ 111 ff. BetrVG stets eine Sperrwirkung beigemessen wird, so dass diese gegenüber tariflichen Regelungen Vorrang genießen. b) Voraussetzungen Die Frage, ob und in welchem Umfang die §§ 111 ff. BetrVG tarifliche Regelungen ausschließen, wird von den meisten Vertretern der Sperrwirkungsthese nicht erörtert. Sie scheinen vielmehr wohl von einer generellen Sperrwirkung auszugehen und sehen auch die Anwendbarkeit der §§ 111 ff. BetrVG nicht als Voraussetzung für eine Sperrwirkung gegenüber der tariflichen Ebene.32 Auch wenn kein Betriebsrat existiert, sollen die §§ 111 ff. BetrVG demnach eine sperrende Wirkung entfalten, so dass die tarifliche Regelungszuständigkeit nicht gegeben wäre. Andere Vertreter der Sperrwirkungstheorie kann man jedoch so ver-

28

Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (79 f.). Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019 (1022). 30 Nicolai, RdA 2006, 33 (35); so wohl auch Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46: „Das Schweigen des Gesetzes ist jedoch nicht als Zustimmung zu werten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber sich eine derartige Vorgehensweise nicht vorstellen konnte, dementsprechend auch nicht geregelt hat.“ 31 Vgl. Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (79 f.). 32 Deutlich Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (89), Diskussion im Anschluss an den Vortrag: „Nur eine ganz kurze Frage: Was machen Sie in Betrieben, die keinen Betriebsrat haben oder die etwa unter § 112a BetrVG fallen? Gilt die Sperrwirkung dann auch? Thomas Lobinger: Ja.“ Von einem generellen Vorrang der §§ 111 ff. BetrVG spricht auch Pauls, Betriebsverlagerung, S. 179. So versteht wohl auch der 4. Senat die Sperrwirkungslehre, vgl. BAG v. 6.12.2006 – 4 AZR 798/ 05, DB 2007, 1362 (1364). 29

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

stehen, dass keine generelle Sperrwirkung angenommen wird. Dies soll etwa für den Fall gelten, dass kein Betriebsrat besteht.33 Der Gedanke, die Sperrwirkung erst bei Vorliegen weiterer Voraussetzung anzunehmen und die Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien erst bei Beginn des Verfahrens gemäß §§ 111 ff. BetrVG zu beschränken, also erst wenn Sozialplanverhandlungen mit dem Betriebsrat geführt werden, wird von den Sperrwirkungslehren nicht verfolgt.34 Des Weiteren könnte man die Anwendbarkeit der §§ 111 ff. BetrVG für eine sperrende Wirkung voraussetzen, um den organisierten Arbeitnehmern den Tarifschutz nur dann zu nehmen, wenn ihre Interessen durch den Betriebsrat sachgerechter vertreten werden.35 Damit wäre zumindest sichergestellt, dass die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien nur für den Fall versperrt wäre, dass es auch zu einer Regelung auf der betrieblichen Ebene kommt. In diesem Zusammenhang würde sich aber dann wiederum die Frage stellen, inwieweit Betriebsräte auf ihre Mitbestimmung verzichten könnten, um den Weg für die Gewerkschaften frei zu machen. Unklar bleibt ferner, ob einige Vertreter der Sperrwirkungsthese, den Vorrang der Betriebsverfassung nur für den Fall eines Arbeitskampfes annehmen wollen, da oftmals nicht genau unterschieden wird, ob man die Regelungszuständigkeit oder lediglich die Arbeitskampfbefugnis der Tarifvertragsparteien in diesem Bereich beschränken will.36 Dabei gilt es zu bedenken, dass die Sperrwirkungsthese vorwiegend deshalb entwickelt wurde, um die „Zangenwirkung“ zu lösen, indem man die Gewerkschaften von dieser Sachmaterie ausschließt. Dabei beschränkt man nicht bloß die Kampfbefugnis, sondern verneint bereits die Regelungszuständigkeit. Auch freiwillige Tarifsozialpläne wären danach unzulässig. Von diesem Ansatz zu unterscheiden sind Versuche, die Wertungen der §§ 111 ff. BetrVG an anderer Stelle fruchtbar zu machen. So werden sie bei der Bestimmung der Zulässigkeitsgrenzen eines Tarifsozialplans ebenso herangezogen37 wie bei dem Versuch, mit Rückgriff auf die Freiheit der Unternehmerent33 So wohl Reichold, BB 2004, 2814 (2818); ähnlich Nicolai, RdA 2006, 33 (36), die in diesem Fall einen freiwilligen Tarifvertragsabschluss zulassen will und nur die Erstreikbarkeit ablehnt. 34 Von diesem Gedanken lassen sich auch Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1017), leiten, wenn sie die Sperrwirkungsthese so interpretieren, dass die §§ 111 ff. BetrVG gewerkschaftliche Befugnisse beschränken, sofern zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über Interessenausgleich und Sozialplan verhandelt würde. 35 Vgl. BAG v. 6.12.2006 – 4 AZR 798/05, DB 2007, 1362 (1364); Löwisch, DB 2005, 554 (558); Gaul, RdA 2008, 13 (14). 36 Vgl. Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019 (1023); Pauls, Betriebsverlagerung, S. 179; Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47 f.); Lelley/Sabin, FA 2004, 357 (359): „Jedoch endet die tarifvertragliche Regelungsbefugnis da, wo unzulässigerweise in die freie unternehmerische Entscheidung eingegriffen wird. Dann sind die §§ 111 ff. BetrVG abschließend.“ 37 Löwisch, DB 2005, 554 (557 f.).

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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scheidung eine Grenze von Kampfforderungen herzuleiten.38 Im Gegensatz zur Sperrwirkungsthese ist damit kein genereller Ausschluss der tariflichen Regelungszuständigkeit verbunden. Stattdessen werden einem Arbeitskampf um Tarifsozialpläne Grenzen gezogen, die wiederum nicht so eng wie die der Sperrwirkungsthese sind, die von einem generellen Ausschluss der tariflichen Regelungszuständigkeit und Arbeitskampfbefugnis ausgeht.39 c) Begründungsansätze Um die Sperrwirkungsthese zu belegen, stützen sich ihre Anhänger vorwiegend auf drei Gesichtspunkte: Zum Schutz der verlagerungswilligen Arbeitgeber, des Betriebsrats als Verhandlungspartner des betrieblichen Sozialplans und der Außenseiter-Arbeitnehmer, die nicht in den Genuss der tariflichen Sozialplanleistungen gelangten, sei eine ausschließliche Zuständigkeit des Betriebsrats anzunehmen.40 aa) Verfassungsrecht als Anknüpfungspunkt Ein Teil der Vertreter der Sperrwirkungsthese versucht diesen Erwägungen verfassungsrechtlichen Schutz zuzuweisen, um so einen Ausschluss tariflicher Regelungszuständigkeit zu begründen. Die Regelungen der §§ 111 ff. BetrVG werden als Konkretisierung verfassungsrechtlich geschützter Interessen gesehen. Im Vordergrund steht dabei zumeist der Schutz der Arbeitgeber vor unkalkulierbaren Ausgleichskosten und wirtschaftlicher Überforderung.41 So stützt etwa Lobinger42 seine Argumentation auf die Freiheit der Unternehmerentscheidung und sieht die Sperrwirkung als Konsequenz dieser verfassungsrechtlichen Wertungen. Die Unternehmerentscheidung, einen Betrieb zu verlagern, sei grundsätzlich frei, was die Rechtsordnung auch gewährleisten müsse. Daher dürfe man sie auch nicht mit unkalkulierbaren Folgewirkungen belasten, wie dies bei Sozialtarifverträgen in der Regel geschehe. Bauer/Krieger43 äußern, dass es sich bei den §§ 111 ff. BetrVG um eine „verfahrensrechtlich und materiell-rechtlich aus38

Löwisch DB 2005, 554 (558 f.); Hohenstatt/Schramm, NZA 2004, 2214 (2217 f.). Ganz deutlich bei Nicolai, RdA 2006, 33 ff. 40 Vgl. LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4; Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (80 ff.); Nicolai, SAE 2004, 240 (248 ff.); dies., RdA 2006, 33 (35 ff.); Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (416); Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47). 41 Vgl. LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4; Bauer/Krieger, 2004, 1019 (1022 f.); Lelley/Sabin, FA 2004, 357 (359); Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (80 ff.). 42 Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (80 ff.). 43 Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019 (1022 f.). 39

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

tarierte Regelung“ handle, die zugunsten aller Beteiligten Schutzfunktion entfalte. Das LAG Hamm44 hat sich dieser Argumentation angeschlossen, wenn es annimmt, dass der Gesetzgeber mit den Regelungen der §§ 111 ff. BetrVG dem Schutz der Unternehmensautonomie Rechnung getragen habe und damit die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien beschränkt werde. Ferner wird den Interessen der Außenseiter-Arbeitnehmer verfassungsrechtlicher Status beigemessen; die einfachgesetzlichen Vorschriften des BetrVG werden als Ausprägung verfassungsrechtlicher Prinzipien angesehen, um eine Einschränkung der Tarifautonomie verfassungsrechtlich rechtfertigen zu können. Schiefer/Worzalla45 weisen darauf hin, dass auch die Rechtspositionen nicht gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt seien. Im Rahmen einer praktischen Konkordanz dieser Rechtspositionen mit Art. 9 Abs. 3 GG ergäbe sich eine Sperrwirkung der §§ 111 ff. BetrVG. Auch das Sozialstaatsprinzip führen sie an, um den §§ 111 ff. BetrVG im Rahmen einer praktischen Konkordanz mit Art. 9 Abs. 3 GG Sperrwirkung beimessen zu können. Das Mitbestimmungsurteil des BVerfG46 habe klargestellt, dass das BetrVG als Ausprägung des Sozialstaatsprinzips anzusehen sei, welches Regelungen zum Schutz aller Arbeitnehmer aufstelle. Die Rechtsposition von Nichtgewerkschaftsmitgliedern, die von einem Tarifsozialplan nicht erfasst würden, seien ebenso von verfassungsrechtlicher Natur und somit geeignet, die Tarifautonomie einzuschränken. Auf das Demokratieprinzip wird von Schiefer/Worzalla47 zurückgegriffen, wenn sie ergänzend darauf hinweisen, dass der Betriebsrat die gewählte Interessenvertretung aller Arbeitnehmer des Betriebes sei und ihm deswegen bei der Regelung der Folgen einer Betriebsänderung der Vorrang gegenüber einer Vereinigung, die nur einen Teil der Arbeitnehmer vertrete, zukommen müsse. Einen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 GG sehen diese Vertreter in ihrer Sperrwirkungsthese nicht. Zumeist wird diese Fragestellung gänzlich vernachlässigt. Nicolai48 bezweifelt dagegen bereits den Eingriffscharakter einer Interpretation der §§ 111 ff. BetrVG als sperrende Regelungen, da diese vielmehr als eine Kompetenzzuweisung zu deuten seien. Selbst wenn man einen Eingriff annehmen wolle, sei dieser gerechtfertigt. Weniger von rechtstheoretischer als von rechtspolitischer Natur sind Aussagen einiger Autoren, die anführen, dass die Gewerkschaften in diesem betrieblichen Bereich in unzulässiger Ausdehnung des Verfassungsguts des Art. 9 Abs. 3 GG 44 LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4. 45 Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (48). 46 BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, AP Nr. 1 zu § 1 MitbestimmungsG. 47 Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47). 48 Nicolai, RdA 2006, 33 (36 f.).

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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Regelungsmacht für sich beanspruchen würden: So verweisen Schiefer/Worzalla49 auf die Möglichkeit der Gewerkschaften, durch eine Entsendung externer Mitglieder zur Einigungsstelle hinreichenden Einfluss geltend zu machen. Außerdem könnten sie politische Mittel zur Unterstützung des Betriebsrats anstrengen.50 Die „schlichte Ersetzung betrieblicher durch tarifliche Sozialpläne sei nichts anderes als die Ausübung von Tarifautonomie um ihrer selbst willen“ 51. bb) Einfachgesetzliche Argumentation Neben den verfassungsrechtlichen Argumenten wird versucht, die Sperrwirkung anhand einer Auslegung des BetrVG nachzuweisen. Die verschiedenen dogmatischen Ansätze der Sperrwirkungslehren verfolgen dabei den gemeinsamen Weg, dass sie auf die Besonderheiten des betrieblichen Verfahrens, eine drohende Entwertung der betrieblichen Mitbestimmung, sowie erneut auf mögliche Benachteiligungen nicht gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer hinweisen. Der Unterschied hinsichtlich der Einordnung der §§ 111 ff. BetrVG als abschließend oder deutungsoffen wirkt sich auf den Inhalt der Argumentation nicht dahingehend aus, dass zwei unterschiedliche Wege verfolgt würden. Ein Teil der Vertreter beschreitet lediglich einen „Umweg“, um zunächst darzustellen, dass ein Vorrang der betrieblichen gegenüber der tariflichen Ebene im Bereich der Regelung von Betriebsänderungen nicht rechtlich unmöglich sei, weil die Vorschrift des § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG einem solchen Ergebnis entgegenstünde.52 Einig ist man sich dann weitgehend darin, welche Argumente in die Waagschale zu werfen sind, die einen Vorrang der betrieblichen Ebene als zwingend erscheinen lassen und belegen sollen. Im Vordergrund steht der Nachweis, dass es mit Sinn und Zweck der §§ 111 ff. BetrVG als die Beteiligung des Betriebsrats sichernde Normen nicht zu vereinbaren sei, die Sachmaterie ebenfalls in die Zuständigkeit der Gewerkschaften zu stellen. Dies wird vorwiegend mit einer Entwertung betriebsverfassungsrechtlicher Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats begründet. Es wird eine Entwertung der betrieblichen Interessenvertretung bei Betriebsänderungen durch die Aktivitäten der Gewerkschaften befürchtet.53 Der Betriebsrat würde bei einer Betriebsstilllegung „faktisch funktionslos gestellt“ 54, was mit den §§ 111 ff. BetrVG und der 49

Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47). Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47); ebenso Nicolai, RdA 2006, 33 (37). 51 Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47). 52 So u. a. Nicolai, RdA 2006, 33 (34 f.). 53 Nicolai, SAE 2004, 240 (249); dies., RdA 2006, 33 (36); Reichold, BB 2004, 2814 (2817 f.); Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (416); Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47). 54 LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4R. 50

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

Regelungsabsicht des Gesetzgebers nicht zu vereinbaren sei.55 Die Zuständigkeit der Gewerkschaften würde in der Praxis dazu führen, dass aufgrund der tariflichen Forderung nach sozialer Abmilderung der Unternehmerentscheidung Verhandlungen auf Betriebsebene zum Stillstand kommen und erst nach dem Abschluss eines Tarifsozialplans Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zu einem Ergebnis gelangen. Meyer56 nennt diese Argumentation, die auf die Besonderheiten der Ausgestaltung des betrieblichen Verfahrens gegenüber der tariflichen Ebene abstellt, „funktionale Betrachtung der §§ 111 ff. BetrVG“. Es sei anerkannt, dass die formale Beschränkung oder Abschaffung der betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte des Betriebsrates durch die Tarifvertragsparteien unzulässig sei und ein Kernbereich betriebsverfassungsrechtlicher Zuständigkeit von den Tarifvertragsparteien unangetastet bleiben müsse. Damit sei eine tarifliche Regelung, welche die Rechte des Betriebsrates faktisch beschneide, nicht zu vereinbaren.57 Es müsse zudem berücksichtigt werden, dass der Betriebsrat der sachnähere Verhandlungspartner sei.58 Allein schon deshalb seien betriebliche Sozialplanregelungen „passgenau und interessengerecht“, weil der Betriebsrat die Verhältnisse des Betriebes in der Regel besser als externe Gewerkschaftsmitglieder kenne.59 Besonderheiten, die dieses Verfahren kennzeichnen, würden durch eine Kumulation von tariflichen und betrieblichen Ansprüchen konterkariert. Ferner wird darauf hingewiesen, dass ein Nebeneinander von betrieblichem und tariflichem Sozialplan mit den Wertungen der §§ 111 ff. BetrVG nicht zu vereinbaren sei, weil sich dies zu Lasten der nicht organisierten Arbeitnehmer auswirken würde. So könnten unbillige Ungleichbehandlungen von Außenseitern auf Arbeitnehmerseite entstehen, wenn man Tarifsozialpläne zuließe.60 Mögliche Benachteiligungen von Arbeitnehmern seien nicht nur verfassungsrechtlich relevant, sondern auch mit dem Sinn und Zweck der Vorschriften der §§ 111 ff. BetrVG nicht zu vereinbaren. Diese werden also als Schutznormen zugunsten der nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer eines Betriebes interpretiert, um daraus eine zwingende Sperrwirkung gegenüber tariflichen Regelungen für Gewerkschaftsmitglieder abzuleiten, die umfangreichere Ausgleichsleistungen vorsehen könnten. Ginge man davon aus, dass der betriebliche Sozialplan in der 55

Reichold, BB 2004, 2814 (2817). Meyer, DB 2005, 830 (831 f.). 57 Vgl. LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4R; Nicolai, SAE 2004, 240 (249); dies., RdA 2006, 33 (36); Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (416); Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47). 58 So auch Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (83); Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47). 59 Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47). 60 Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (80 f.); Meyer, DB 2005, 830 (831); Nicolai, RdA 2006, 33 (35); Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47). 56

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Praxis erst nach Abschluss des tariflichen Sozialplans zustande komme, bestünde die Gefahr, dass nicht organisierte Arbeitnehmer leer ausgingen, da die zu verteilenden Leistungen bereits vom Tarifsozialplan aufgezehrt worden sein könnten. Lobinger61 führt daher an, dass die notwendigerweise begrenzten Sozialplanmittel unter Beachtung des Gleichbehandlungsgebotes zu verteilen seien. Würde man die Gewerkschaften als Regelungsinstanz zulassen, wäre dies aufgrund der rein mitgliedschaftlichen Legitimation der Koalitionen jedenfalls nicht gewährleistet; diese würden Vorteile ausschließlich in Vertretung ihrer Mitglieder aushandeln, gewerkschaftlich nicht organisierte Mitglieder des betroffenen Betriebes wären davon regelmäßig nicht umfasst.62 Nur ein von den Betriebsparteien vereinbarter Sozialplan habe normative Wirkung für alle Arbeitnehmer dieses Betriebes.63 Dabei sei der Betriebsrat unmittelbar an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden.64 cc) Praktische Erwägungen Nicolai65 ergänzt die bisher dargestellten Argumente der Sperrwirkungslehren um die Vorzüge ihrer praktischen Handhabung. Die Inkompatibilität tariflicher Sozialpläne mit der Systematik des Betriebsverfassungsgesetzes zeige sich bei einigen Fallkonstellationen, bei denen ein Nebeneinander von tariflicher und betrieblicher Regelung zur Abmilderung der sozialen Folgen von Standortentscheidungen kaum lösbar sei: Plane ein Unternehmen eine betriebsübergreifende Betriebsänderung, sei wegen der Notwendigkeit einer unternehmenseinheitlichen Regelung der Gesamtbetriebsrat gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG für Interessenausgleich und Sozialplan zuständig oder dieser werde unter Umständen von Einzelbetriebsräten gemäß § 50 Abs. 2 BetrVG mit der Regelung eines Sozialplans beauftragt. Fordere eine tarifzuständige Gewerkschaft nur für einen einzelnen Betrieb einen Tarifsozialplan, wäre zu fragen, welchen Einfluss dies auf die Mitbestimmungsrechte und Regelungskompetenzen des Gesamtbetriebsrates habe. Ferner weist Nicolai66 auf praktische Probleme im Fall der Tarifzuständigkeit mehrerer Gewerkschaften hin, falls diese divergierende Forderungen nach Abschluss eines Tarifsozialplans stellten. Dies zeige, dass ein Ausschluss der Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien für die von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer sinnvoll sei. So werde ein gerechtes Aushandeln der Sozialplanleistungen unternehmensübergreifend gewährleistet. 61

Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (80 f.). Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (82 f.). 63 Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47). 64 Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (82 f.); Meyer, DB 2005, 830 (831). 65 Nicolai, RdA 2006, 33 (35); zustimmend Schiefer/Worzalla, DB 2006 46 (47). 66 Nicolai, RdA 2006, 33 (35). 62

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

3. Kritische Würdigung a) Ausgangspunkt Hinsichtlich ihrer Ergebnisse bedeutet die Sperrwirkungsthese nichts anderes als eine Beschränkung der Tarifautonomie, da ihr ein Aufgabenbereich entzogen würde, welcher gemäß Art. 9 Abs. 3 GG eröffnet ist. Zwangsläufig stößt man daher bei der Würdigung der Sperrwirkungsthese auf das Problem der Einschränkbarkeit der Tarifautonomie durch eine einfachgesetzliche Regelung. Teile der Literatur lehnen eine Beschränkung der Tarifautonomie schlichtweg ab.67 Die Sperrwirkungsthese wäre danach schon aus diesem Grund nicht haltbar. Eine solche Begründung ist jedoch nicht tragfähig. In der Verfassung ist zwar in Art. 9 Abs. 3 GG kein Gesetzesvorbehalt vorgesehen, was aber nicht so verstanden werden darf, dass die Tarifautonomie nicht durch einfaches Gesetz eingeschränkt werden kann. Dem Gesetzgeber ist es grundsätzlich möglich, durch einfaches Gesetz die Tarifautonomie auszugestalten, wie er es in Form des TVG getan hat, oder sie unter Berufung auf seine in Art. 74 Nr. 12 GG verankerte Gesetzgebungskompetenz einfachgesetzlich einzuschränken, etwa um Gegenstände der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen selbst zu regeln und so der Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien zu entziehen.68 Die Einschränkbarkeit der Tarifautonomie entspricht ebenso wie die Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers ständiger Rechsprechung des BVerfG.69 Diesbezüglich ist den Vertretern der Sperrwirkungslehre noch beizupflichten, die zu Recht von einer Einschränkbarkeit der Tarifautonomie ausgehen.70 Die Prüfung darf an dieser Stelle jedoch nicht stehen bleiben. Entscheidend ist vielmehr die Zulässigkeit einer solch weitgehenden Beschränkung tariflicher Zuständigkeiten.71 Sodann stellt sich die Frage, ob der Sperrwirkungsgedanke als Ausgestaltung der Tarifautonomie oder Eingriff in die Tarifautonomie zu verstehen ist. Eine Abgrenzung dieser Begriffe gestaltet sich oftmals schwierig, da auch die Ausge67 Siehe stellvertretend Hensche, AuR 2004, 443 (445); Kempen/Zachert-Kempen, TVG, Einl. Rn. 111; Oberberg/Schoof, AiB 2002, 169 (171). 68 Vgl. Krause, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 1 Rn. 88 ff.; Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 91 f.; Wolter, RdA 2002, 218 (219). 69 Zur Einschränkbarkeit der Tarifautonomie: BVerfG v. 26.5.1970 – 1 BvR 83/69, BVerfGE 28, 243 (260 ff.); BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173 (193); BVerfG v. 8.4.1981 – 1 BvR 608/79, BVerfGE 57, 70 (98); BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 217 (228); zur Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers: BVerfG v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52, BVerfGE 4, 96 (106); BVerfG v. 2.5.1977 – 2 BvL 11/74, BVerfGE 44, 322 (341); BVerfG v. 10.1.1995 – 1 BvF 1/90 u. a., BVerfGE 92, 26 (41). 70 Vgl. Nicolai, RdA 2006, 33 (36 f.); Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47). 71 Vgl. Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 243 ff.; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 194.

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staltung eines Grundrechts dem Grundrechtsgebrauch Grenzen ziehen kann.72 Eine Unterscheidung von Ausgestaltung und Eingriff erscheint jedoch schon deshalb unumgänglich, weil damit auch der Maßstab für die Prüfung der Rechtmäßigkeit des gesetzgeberischen Vorgehens festlegt wird.73 Während die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Ausgestaltung der Tarifautonomie dem Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG zuzuordnen ist, ist die Prüfung eines Eingriffs auf der Rechtfertigungsebene der Koalitionsfreiheit zu verorten.74 Eine Antwort, wie der Sperrwirkungsgedanke einzuordnen ist, bleiben die Anhänger der Sperrwirkungslehre zumeist schuldig.75 Cherdron scheint davon auszugehen, dass beides denkbar wäre.76 Legt man die im Schrifttum vielfach verwendete Faustformel zugrunde, dass der Eingriff freiheitsbeschränkende Wirkung entfalte, während die Ausgestaltung gerade Verhaltensmöglichkeiten eröffne und das Grundrecht „gebrauchbar mache“,77 wird man den Sperrwirkungsgedanken als Eingriff in die Tarifautonomie werten müssen. Im Schrifttum ist diese Abgrenzung zwischen Eingriff und Ausgestaltung allerdings kritisiert worden – weitere Kriterien zur Differenzierung wurden entwickelt.78 Alexy79 merkt treffend an, dass eine gesetzliche Regelung einschränkend bleibe, auch wenn sie unter einem anderen Blickwinkel ausgestaltend wirke. Auch das BVerfG80 trennt in einigen jüngeren Entscheidungen nicht genau zwischen den Begriffen und spricht oftmals schlicht von „Beeinträchtigungen“ der Tarifautonomie, welche rechtfertigungsbedürftig seien. Dies erschwert die Abgrenzung zwischen Ausgestaltung und Eingriff immens.81 Entscheidungserheblich wäre diese schwierige Frage der Differenzierung zwischen Eingriffs- und Ausgestaltungsbefugnis hier 72 Vgl. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 26 ff.; Dieterich, RdA 2002, 1 (13); Henssler, ZfA 1998, 1 (11); Thüsing, in: GS Heinze, S. 901 (909). 73 Vgl. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 26; Dieterich, RdA 2002, 1 (13); Engels, Arbeitskampfrecht, S. 285; Hromadka, NZA 2008, 384 (386 f.); Krause, in: Jacobs/ Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 1 Rn. 24; Thüsing, in: GS Heinze, S. 901 (911 f.). 74 Vgl. Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 85. 75 Nicolai, RdA 2006, 33 (36) scheint einer Interpretation als Ausgestaltungsgesetz zugeneigt zu sein: „In der Sache geht es daher weniger um einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Koalitionsfreiheit, sondern um eine vom Gesetzgeber getroffene Kompetenzzuweisung, die auch von den Tarifvertragsparteien zu akzeptieren ist.“ 76 Vgl. Cherdron, Sozialpartnervereinbarungen, S. 243. 77 Vgl. hierzu die Nachweise bei Maschmann, Tarifautonomie, S. 43. 78 Vgl. im Zusammenhang mit Art. 9 Abs. 3 GG Bayreuther, Tarifautonomie, S. 26 ff.; Engels, Arbeitskampfrecht, S. 286 ff.; Maschmann, Tarifautonomie, S. 37 ff. m.w. N.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 229 unterscheiden wiederum die Ausgestaltung von der Umgestaltung eines Grundrechts: „Eine Regelung, die mit der Tradition bricht ist grundsätzlich keine Ausgestaltung des Schutzbereichs.“ Danach könnte die Sperrwirkungsthese schwerlich als Ausgestaltung angesehen werden. 79 Alexy, Grundrechte, S. 302. 80 Vgl. BVerfG v. 10.1.1995 – 1 BvF 1/90 u. a., BVerfGE 92, 26 (41); BVerfG v. 3.4.2001 – 1 BvL 32/97, BVerfGE 103, 293 (305). 81 Vgl. Thüsing, in: GS Heinze, S. 901 (909).

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jedoch nur, wenn diese Denkansätze zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Im Folgenden sollen daher beide kritisch gewürdigt werden. Dieser verfassungsrechtliche Ausgangspunkt bedeutet gleichwohl nicht, dass auf eine Auslegung der Vorschriften der §§ 111 ff. BetrVG verzichtet werden darf. Diese ist gerade unumgänglich, wenn es zu klären gilt, ob der Gesetzgeber überhaupt mittels einfachgesetzlicher Regelung eine Ausgestaltung von Art. 9 Abs. 3 GG vornehmen wollte, sich diesen Vorschriften also entnehmen lässt, dass sie darauf abzielen, das Grundrecht derart weitreichend einzuschränken. Über den hier gewählten „Umweg“ des Verfassungsrechts behält eine Auslegung der §§ 111 ff. BetrVG somit entscheidenden Charakter. Bleiben Zweifel, zwingt Art. 9 Abs. 3 GG dazu, bei der Rechtsauslegung die Lösung zu wählen, welche die Tarifautonomie bestmöglich zur Entfaltung gelangen lässt.82 Dies entspricht der Vorgabe einer verfassungskonformen Auslegung. b) Auslegung der §§ 111 ff. BetrVG Fraglich ist also zunächst, ob sich aus den §§ 111 ff. BetrVG entnehmen lässt, dass eine ausschließliche Zuständigkeit der Betriebsparteien zur Regelung der Folgen von konkreten Betriebsänderungen eines einzelnen Arbeitgebers begründet werden sollte. aa) Wortlaut Schon der Wortlaut des § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG spricht gegen die Annahme, dass die §§ 111 ff. BetrVG als Einschränkung der tariflichen Regelungszuständigkeit zu verstehen sind. Stattdessen muss man annehmen, dass der Gesetzgeber den Willen, durch eine betriebsverfassungsrechtliche Regelung die Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien zu beschränken, deutlich zum Ausdruck gebracht hätte. Eine solche Formulierung findet sich in den entsprechenden Vorschriften nicht: § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG ordnet vielmehr an, dass § 77 Abs. 3 BetrVG auf den Sozialplan nicht anzuwenden ist. Einer solchen Einschränkung des Tarifvorbehalts hätte es nicht bedurft, wenn tarifliche Regelungen durch die Vorschriften der §§ 111 ff. BetrVG ausgeschlossen werden sollten.83 In dieser Regelung kommt zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber von einem Nebeneinander von tariflichem und betrieblichem Sozialplan ausgeht. Schon der Wortlaut spricht also gegen eine „Deutungsoffenheit“ 84 der §§ 111 ff. BetrVG und lässt vielmehr den 82

Vgl. Waltermann, RdA 1996, 129 (133); Wank, RdA 1991, 129 (130). So im Ergebnis auch LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 7R; Krause, Standortsicherung, S. 72; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 127 f. 84 Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (80 ff.). 83

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Schluss zu, dass die betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen keine abschließenden Sonderregelungen darstellen, sondern lediglich ergänzenden Charakter gegenüber einer tariflichen Regelung haben. Dies spricht gegen die Lesart, die §§ 111 ff. BetrVG als Ausnahmevorschriften anzusehen, welche die Aufgabe der Sozialplanverhandlungen in die „Exklusivkompetenz“ des Betriebsrates stellen. bb) Entstehungsgeschichte Auch eine historische Auslegung des BetrVG lässt sich gegen eine Sperrwirkung der §§ 111 ff. BetrVG anführen, da die Bedenken des Bundesrats hinsichtlich der Möglichkeit einer Kumulation von Sozialplanleistungen aus betrieblichem und tariflichem Sozialplan keinen Niederschlag im späteren Gesetz gefunden haben. Der Bundesrat hatte zum Entwurf der Bundesregierung als Formulierung vorgeschlagen: „§ 77 Abs. 3 ist auf den Sozialplan nicht anzuwenden, es sei denn, dass ein Tarifvertrag Regelungen enthält, welche denjenigen des Sozialplans nach Art und Ziel entsprechen.“ 85 Dieser Vorschlag wurde mit dem Hinweis abgelehnt, dass er die „Ausgewogenheit der Gesamtkonzeption des Entwurfs beeinträchtigen“ würde.86 Dies steht auch der Annahme einer partiellen Regelungslücke entgegen, da der Gesetzgeber das Problem einer Überschneidung der Regelungsebenen in solchen Konstellationen erkannt und einer Lösung im Gesetz zugeführt hat.87 Aus der Entstehungsgeschichte des BetrVG kann somit der gesetzgeberische Wille abgeleitet werden, dass ein Nebeneinander von betrieblicher und tariflicher Zuständigkeit auch im Fall einer konkreten Betriebsänderung ausdrücklich gewollt war.88 cc) Systematik Des Weiteren widerspricht die These einer Sperrwirkung der §§ 111 ff. BetrVG der Systematik des Betriebsverfassungsgesetzes. An verschiedener Stelle hat der Gesetzgeber erkennen lassen, dass er der Tarifebene im Fall von Berührungspunkten mit der Betriebebene den Vorrang einräumen wollte. Anhand der §§ 2 Abs. 1, Abs. 3, 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG wird deutlich, dass die Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien durch die einfachgesetzlichen Regelungen der Betriebsverfassung unangetastet bleiben soll.89 Ferner hat der Gesetzgeber den Fall von Kollisionen von Tarif- und Betriebsebene in den §§ 77 Abs. 3, 87 85

BT-Drs. VI/1786, S. 66 f. BT-Drs. VI/1786, S. 2. 87 So wohl auch Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (556 f.). 88 Ebenso Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 128 f.; Krause, Standortsicherung, S. 72 f.; zurückhaltender BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (995). 89 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (995); Dieterich, in: FS Richardi, S. 117 (120); Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 126 f.; Henssler, in: FS Richardi, 86

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

Abs. 1 BetrVG zugunsten der Tarifvertragsparteien gelöst.90 Die §§ 111 ff. BetrVG können auch nicht aus Ausnahme von diesem Tarifvorrang verstanden werden, da die Regelung des § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG offenbart, dass der Gesetzgeber davon ausging, Sozialplaninhalte könnten zulässigerweise auch in einem Tarifvertrag vereinbart werden.91 Die Systematik des Tarifrechts stützt dieses Ergebnis: § 1 Abs. 1 TVG zeigt, dass der Gesetzgeber eine tarifliche Regelung betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Fragen ausdrücklich zulässt.92 Danach können Beteiligungsrechte des Betriebsrates ergänzt und erweitert werden.93 Das BetrVG ist daher nicht als Ausführungsgesetz zu Art. 9 Abs. 3 GG zu verstehen, so dass sich aus den §§ 111 ff. BetrVG keine Einschränkungen der Tarifautonomie ergeben.94 All diese Regelungen sind vielmehr Ausprägungen der Zweistufigkeit des Kollektivarbeitsrechts. Betriebs- und Tarifebene sind voneinander zu trennen, bei Überschneidungen soll der Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien grundsätzlich Vorrang eingeräumt werden. Ferner ist der tarifliche Zuständigkeitsbereich umfangreicher als die Gestaltungskompetenz der Betriebsparteien: So ist es zulässig, dass die Tarifvertragsparteien gemäß § 1 Abs. 1 BetrVG betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen regeln können, während § 2 Abs. 3 BetrVG klarstellt, dass die Begründung der betriebverfassungsrechtlichen Zuständigkeiten gerade nicht als Beschränkung der Tarifebene verstanden werden darf. Auch § 3 BetrVG, der in seiner Neufassung die Möglichkeit einer Schaffung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten vorsieht, geht von einem Vorrang der Tarif- vor der Betriebsautonomie aus. Der Gesetzgeber hat dieses Grundprinzip des Kollektivarbeitsrechts 2001 in seinem Betriebsverfassungsreformgesetz erneut zum Ausdruck gebracht.95 Gestaltungsmöglichkeiten der Betriebsparteien sind hingegen durch Tarifvorbehalt und Tarifvorrang begrenzt. Man kann also festhalten, dass die Systematik der kollektivrechtlichen Regelungen an keiner S. 553 (555 ff.); Krause, Standortsicherung, S. 73; Paschke/Ritschel, AuR 2007, 110 (112); Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (594); Wolter, RdA 2002, 218 (226). 90 LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 7R; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 126 f.; Krause, Standortsicherung, S. 73; Oberberg/Schoof, AiB 2002, 169 (178); Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (594). 91 LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 7R; Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 246; Dieterich, in: FS Richardi, S. 117 (120); Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 126 f.; Franzen, ZfA 2005, 315 (331 f.); Gaul, RdA 2008, 13 (14); Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (555 ff.); Krause, Standortsicherung, S. 72; Oberberg/Schoof, AiB 2002, 169 (178); Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (594); Sutschet, ZfA 2005 581 (612); Wolter, RdA 2002, 218 (226); Zachert, DB 2001, 1198 (1202). 92 Kühling/Bertelsmann, NZA 2005 1017 (1019). 93 Gaul, RdA 2008, 13 (14). 94 LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 8. 95 Krause, Standortsicherung, S. 77.

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Stelle darauf hindeutet, dass damit die Tarifautonomie „beschränkend“ ausgestaltet werden sollte.96 Auch lassen sich die Grenzen der Tarifautonomie im Verhältnis zu Betriebsautonomie nicht zur Begründung der Sperrwirkungsthese anführen. Richtig ist, dass die Tarifvertragsparteien bei der Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im Fall von Berührungspunkten mit der Betriebsverfassung nicht gänzlich frei sind. So können Tarifverträge zwar die Mitbestimmungsrechte der Betriebsparteien erweitern, eine Verschlechterung der betrieblichen Mitwirkungsbefugnisse kann wiederum nicht wirksam in einem Tarifvertrag vereinbart werden.97 Zum Teil wird ein Kernbereich betrieblicher Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten angenommen, welcher somit dem Zugriff der Tarifvertragsparteien entzogen sein soll.98 Das BAG sieht einen Verzicht der Betriebsparteien auf ihre betriebliche Normsetzungskompetenz durchaus kritisch.99 An dieser Stelle setzen einige Vertreter der Sperrwirkungstheorie100 und das LAG Hamm101 an, welche eine funktionale Betrachtungsweise anstellen und die faktische Verschlechterung der betrieblichen Mitbestimmungsrechte mit einer Absenkung betrieblicher Beteiligungsrechte durch eine Tarifregelung gleichsetzen, einen Kernbereich betriebsverfassungsrechtlicher Zuständigkeit berührt sehen oder einen Vergleich mit einer Entäußerung der Regelungskompetenz der Betriebsparteien anstellen. Ihnen ist insoweit beizupflichten, als dass der betrieblichen Ebene zwangsläufig bei Sozialplanverhandlungen in der Praxis eine geringere Bedeutung zukommt, wenn sich die Gewerkschaften einschalten und sich der Aufgabe der Regelung von Sozialplaninhalten ebenso annehmen. Dies entspricht jedoch dem Prinzip des grundsätzlichen Vorrangs einer gewerkschaft96 So auch BAG v. 6.12.2006 – 4 AZR 798/05, DB 2007, 1362 (1364); Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (555 f.); Kühling/Bertelsmann, NZA 2005 1017 (1019). 97 St. Rspr., vgl. nur BAG v. 18.8.1987 – 1 ABR 30/86, AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972; BAG v. 10.2.1988 – 1 ABR 70/86, AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972; BAG v. 21.10.2003 – 1 ABR 39/02, AP Nr. 62 zu § 80 BetrVG 1972; Fitting, BetrVG, § 1 Rn. 247; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 143; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 765 m.w. N. 98 Vgl. Wiedemann-Oetker, TVG, 6. Aufl., § 1 Rn. 599; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 766: „Der Betriebsrat darf deshalb in sozialen Angelegenheiten nicht funktionslos gestellt werden.“; a. A. wohl Richardi, NZA 1988, 673 (677). 99 Vgl. BAG v. 26.4.2005 – 1 AZR 76/04, DB 2005, 1633 ff.; BAG v. 3. 6. 2003 – 1 AZR 349/02, NZA 2003, 1155 ff.; BAG v. 26. 11. 1998 – 6 AZR 335/97, NZA 1999, 1108 ff.; BAG v. 23.6.1992 – 1 ABR 9/92, NZA 1993, 229 (230 f.); siehe dazu auch Schmidt, Der Verzicht auf betriebsverfassungsrechtliche Befugnisse, 1995; Joussen, RdA 2005, 31; Säcker/Oetker, RdA 1992, 16 ff.; Trümner, in: FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 395 ff.; Franzen, NZA 2008, 250 (253); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band II, S. 155 ff. 100 Vgl. Nicolai, SAE 2004, 240 (249); Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47). 101 LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4R.

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

lichen Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen vor der Repräsentation durch den Betriebsrat. Darin darf keine unzulässige Verschlechterung der betrieblichen Mitwirkungsbefugnisse durch Tarifvertrag gesehen werden, da sich diese auf eine rechtliche Veränderung der im BetrVG zwingend begründeten Befugnisse beschränkt und faktische Beschränkungen davon nicht erfasst werden sollen. Dem Kriterium der Funktionslosigkeit lässt sich zudem entgegenhalten, dass es in der Praxis schwer zu handhaben ist. Es sind unterschiedliche Stufen einer faktischen Aushöhlung betrieblicher Zuständigkeiten denkbar, die von unterschiedlichsten tatsächlichen Begebenheiten beeinflusst werden. Mit einem Verzicht des Betriebsrats oder einer Entäußerung betriebsverfassungsrechtlicher Befugnisse ist dies nicht vergleichbar. Eine betriebliche Regelung ist auch nach Abschluss eines Tarifsozialplans möglich.102 Ferner kann die These, dass im Bereich der Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten ein Kernbereich betriebsverfassungsrechtlicher Zuständigkeit bestehen soll, nicht auf die Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten übertragen werden, da sich die Systematik der §§ 87, 111 ff. BetrVG zu sehr in konstruktiver Hinsicht unterscheiden und eine solche Übertragung auch von ihren Anhängern nicht gewollt ist; ferner ist wiederum darauf zu verweisen, dass eine rechtliche Gestaltung der Mitbestimmungsrechte nicht mit einer tatsächlichen Veränderung gleichgesetzt werden kann, die mittelbar von einer tariflichen Regelung ausgelöst wurde.103 Insgesamt lässt sich festhalten: Eine „Entwertung“ der Betriebsratsrechte ist nur durch den Umstand begründet, dass die Tarifvertragsparteien in der Vergangenheit auf solche Regelungen verzichtet haben und die Regelung von Sozialplaninhalten ausschließlich auf Betriebene erfolgt. Dies hat dazu geführt, dass dieser rechtstatsächliche Zustand als Folge einer Beschränkung des rechtlichen Dürfens der Tarifvertragsparteien empfunden wurde, der sich mit Blick auf das Gesetz nicht bestätigt. dd) Sinn und Zweck Zweck der §§ 111 ff. BetrVG ist ein Ausgleich der Interessen des Unternehmers mit den Interessen der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer.104 Man könnte nun darauf abstellen, dass es diesem Sinn und Zweck nicht zuwiderlaufen würde, sie als abschließend zu betrachten, um die Unternehmerentscheidung nicht mit weiteren Folgekosten zu belasten, was durch einen Tarifsozialplan regelmäßig der Fall wäre. Bringt das Gesetz doch wesentlich klarer als noch die Regelungen der §§ 72 bis 74 BetrVG 1952 zum Ausdruck, dass die Be102

So auch Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 195 f. Vgl. Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 133 f. 104 Richardi-Annuß, BetrVG, § 111 Rn. 15; Fitting, BetrVG, § 111 Rn. 1; HWK-Hohenstatt/Willemsen, BetrVG, § 111 Rn. 1; ErfK-Kania, BetrVG, § 112a Rn. 1. 103

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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teiligung des Betriebsrats nicht die unternehmerische Entscheidungsfreiheit aufhebt.105 Dies würde der Argumentation der Sperrwirkungslehren entsprechen, die auf die Unantastbarkeit der unternehmerischen Freiheitsrechte hinweisen und sie in den §§ 111 ff. BetrVG konkretisiert sehen.106 Andererseits würde dies bedeuten, den Sinn und Zweck der §§ 111 ff. BetrVG einseitig auf den Schutz der Arbeitgeber zu reduzieren. So muss man die tendenziell schwache Ausgestaltung der Mitbestimmung des Betriebsrates in wirtschaftlichen Angelegenheiten darin begründet sehen, dass neben der betrieblichen Mitbestimmung eine gewerkschaftliche Vertretung der Arbeitnehmerinteressen vorgesehen ist. Bestätigt wird dies durch einen Blick auf die Rechtslage in Betrieben ohne Betriebsrat: In solchen Konstellationen würde den organisierten Arbeitnehmern jeglicher Schutz versagt. Auch die §§ 111 ff. BetrVG bezwecken in erster Linie den Schutz der Arbeitnehmer und sollen nicht den Arbeitgeber vor zusätzlichen Tarifforderungen schützen.107 Auf eine solche Verdrängung tariflicher Zuständigkeit in Betrieben ohne Betriebsrat ist das BetrVG nicht angelegt.108 Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen der §§ 111 ff. BetrVG legen es daher nahe, diesen Vorschriften lediglich ergänzende Funktion gegenüber einer tariflichen Regelung beizumessen und sie als Mindeststandard für einen Schutz der Arbeitnehmer zu begreifen. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch eine Gesamtbetrachtung des BetrVG: Das Betriebsverfassungsgesetz soll die Verfassung des Betriebs gestalten und den Arbeitnehmern bzw. deren Repräsentanten, dem Betriebsrat, Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte an Entscheidungen der Betriebs- und Unternehmensleitung einräumen.109 Neben dem Zweck des Schutzes der Arbeitnehmer vor der einseitigen Ausübung des Leitungsrechts des Arbeitgebers hat sich im BetrVG der Gedanke einer gleichberechtigten Teilhabe an den Entscheidungen des Arbeitgebers verwirklicht.110 Nicht nur dem Schutz des Arbeitgebers, sondern auch dem Arbeitnehmerschutz soll gedient werden. Sinn dieser einfachgesetzlichen Regelungen des BetrVG ist es nicht, Einschränkung tariflicher Zuständigkeiten, sondern eine sekundäre Binnenordnung neben dem Tarifvertragssystem im kollektiven Arbeitsrecht zu normieren. Diese steht im Rangverhältnis unterhalb der Tarifautonomie, was an verschiedenster Stelle des Gesetzes zum Ausdruck kommt. 105 Richardi-Annuß, BetrVG, § 111 Rn. 15; HWK-Hohenstatt/Willemsen, BetrVG, § 111 Rn. 1. 106 Vgl. Bauer/Krieger, NZA 2004 1019 (1022 f.); Lelley/Sabin, FA 2004, 357 (359). 107 Vgl. ArbG Frankfurt v. 15.3.2005 – 5 Ca 4542/04 (juris) unter Rn. 113 der Entscheidungsgründe. 108 Löwisch, DB 2005, 554 (558). 109 Richardi-Richardi, BetrVG, Einl. Rn. 1; Schaub-Koch, ArbRHdB, § 210 Rn. 2; Fitting, BetrVG, § 1 Rn. 1 ff.; BeckOK RGKU-Besgen, BetrVG, § 1 Rn. 1. 110 Franzen, NZA 2006, Beilage zu Heft 3, 1; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band II, S. 22 ff.

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

Es ist somit davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit der Normierung der §§ 111 ff. BetrVG die Tarifautonomie nicht derart ausgestalten oder sie einschränken wollte, dass den Tarifvertragsparteien die Aufgabe zur tariflichen Regelung von Sozialplaninhalten anlässlich einer konkreten Betriebsänderung entzogen wird.111 Folglich fehlt es bereits an der Rechtsgrundlage für eine solche Beschränkung der Tarifautonomie.112 Schon aus diesem Grund kann man die §§ 111 ff. BetrVG nicht als Ausgestaltung der Tarifautonomie oder als inhaltliche Schranke der Tarifautonomie auffassen. Eine Auslegung dieser Vorschriften spricht vielmehr für ein Nebeneinander von tariflicher und betrieblicher Regelungszuständigkeit. c) Verfassungswidrigkeit der Sperrwirkungsthese Selbst wenn man dieser Auslegung der §§ 111 ff. BetrVG als Ausschluss tariflicher Zuständigkeit nicht folgen will, spricht gegen die Sperrwirkungslehre, dass sie mit Verfassungsrecht nicht in Einklang zu bringen ist, da mit ihr eine unverhältnismäßige Beschränkung der Tarifautonomie verbunden wäre.113 aa) Eingriff in die Tarifautonomie Voraussetzung der Rechtfertigung eines Eingriffs in die Tarifautonomie wäre, dass die zugrunde liegende gesetzliche Regelung verfassungsrechtlich geschützten Interessen zur Geltung verhelfen soll.114 Im Gegensatz zur Tarifautonomie genießt die Betriebsautonomie jedoch keinen Schutz durch die Verfassung, da sie ausschließlich auf einfachgesetzlicher Regelung im BetrVG beruht und lediglich Folge eines staatlichen Rechtssetzungsaktes ist.115 Die Sperrwirkung wird also dem Rangverhältnis von Tarif- und Betriebsautonomie nicht gerecht, da die Tarifautonomie aus Art. 9 Abs. 3 GG abzuleiten ist, während die Betriebsverfas111 So auch BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (995); LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 7R. 112 BAG v. 6.12.2006 – 4 AZR 798/05, DB 2007, 1362 (1364). 113 Offengelassen von BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (995). 114 St. Rspr. vgl. nur BVerfG v. 26.5.1970 – 1 BvR 83/69 u. a., BVerfGE 28, 243 (260 ff.); BVerfG v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173 (193); BVerfG v. 8.4.1981 – 1 BvR 608/79, BVerfGE 57, 70 (98); BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 217 (228); BVerfG v. 10.1.1995 – 1 BvF 1/90 u. a., BVerfGE 92, 26 (41). 115 Grundlegend Waltermann, Rechtssetzung, S. 99 ff., 135 ff.; vgl. auch dens., RdA 1996, 129 (132 f.); Beuthien, ZfA 1983, 141 (164); Biedenkopf, Grenzen, S. 294; Dieterich, in: FS Richardi, S. 117 (118); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 238; Heinze, DB 1996, 729 (732); Kissel, NZA 1986, 73; Kreutz, Grenzen, S. 80; Richardi-Richardi, BetrVG, Einl. Rn. 42 ff.; Walker, ZfA 1996 353 (355); WiedemannWank, TVG, § 4 Rn. 547; GK-Wiese, BetrVG, Einl. Rn. 49; Witt, Firmentarifvertrag, S. 149 ff.; Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 88.

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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sung lediglich auf einfachgesetzlicher Regelung im BetrVG beruht.116 Selbst wenn man die betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung als Ausprägung des Sozialstaatsprinzips ansehen will, kommt der kollektiven Wahrnehmung von Interessen in Ausübung der Tarifautonomie ein höherer Rang zu.117 Das in Art. 20 Abs. 1 GG und Art. 28 Abs. 1 GG normierte Sozialstaatsprinzip ermächtigt neben der Kompetenzzuweisung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG den Gesetzgeber, die Betriebsverfassung einfachgesetzlich zu regeln, kann aber ebenso wenig wie Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 2 Abs. 1 GG als Grundlage für einen verfassungsrechtlichen Schutz der Betriebsautonomie herangezogen werden.118 Diese fehlende verfassungsrechtliche Verankerung der Betriebsautonomie ist neben der entgegenstehenden Auslegung der §§ 111 ff. BetrVG entscheidendes Argument gegen die Zulässigkeit der Sperrwirkungsthese, da sie den verfassungsrechtlichen Schutz der Tarifautonomie verkennt.119 Hier liegt ein weiterer Schwachpunkt der Sperrwirkungslehren, welche versuchen, durch einen Rückgriff auf das Sozialstaats- und Demokratieprinzip der Betriebsautonomie zu verfassungsrechtlichem Schutz zu verhelfen, um diesen der Tarifautonomie rechtfertigend entgegenzusetzen.120 Zudem sei angemerkt: Selbst wenn man der Betriebsautonomie verfassungsrechtlichen Schutz beimessen würde, bedeutet dies nicht zwangsläufig eine Rechtfertigung des Eingriffs in die Tarifautonomie. Auch dann müsste der Tarifautonomie Vorrang eingeräumt werden, da sie eine höhere verfassungsrechtliche Qualität im Vergleich zur Betriebsautonomie aufweisen würde.121 Wollte man noch weitergehen, auch dies ablehnen und eine Gleichwertigkeit befürworten,122 müsste man im Ergebnis zumindest freiwillige Tarifsozialpläne zulassen, da dies einen schonenderen Ausgleich der widerstreitenden Interessen darstellt und keinen generellen Ausschluss der Regelungszuständigkeit mit Blick auf die gewerk-

116 Fischinger, Anm. zu BAG v. 24.4.1007, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Sozialplan, Bl. 20; ders., Arbeitskämpfe, S. 132 ff; Krause, Standortsicherung, S. 74; Ricken, ZfA 2008, 283 (289). 117 Krause, Standortsicherung, S. 74. 118 Vgl. Benedikt, Sanierung, S. 154 ff.; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 134; MünchArbR-v. Hoyningen-Huene, 2. Aufl., § 297 Rn. 3; Richardi-Richardi, BetrVG, Einl. Rn. 43; a. A. Ehmann/Lambrich, NZA 1996, 346 (350 ff.); Jahnke, Mitbestimmung, S. 44; Lambrich, Betriebs- und Tarifautonomie, S. 224 f. 119 Ebenfalls aus diesem Grund kritisch gegenüber der Sperrwirkungsthese ArbG Lübeck v. 22.7.2008 – 6 Ca 1035b/08 (juris) unter Rn. 104 der Entscheidungsgründe; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 134; Krause, Standortsicherung, S. 74; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 195; Ricken, ZfA 2008, 283 (289 f.); Thüsing/Ricken, JbArbR 2005, S. 113 (122); dies., Anm. zu LAG Niedersachsen v. 2.6.2004, LAGE Nr. 74 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 18. 120 Vgl. Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47); Nicolai, RdA 2006, 33 (36). 121 Vgl. Walker, ZfA 1996, 353 (355). 122 Vgl. Nicolai, RdA 2006, 33 (36 f.); Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (47 f.).

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

schaftliche Kampfbefugnis bedeuten würde, wie ihn die Sperrwirkungslehre befürwortet. Auch der Hinweis, dass die §§ 111 ff. BetrVG die Grenze zum unantastbaren Bereich unternehmerischer Freiheitsrechte markieren, kann aus diesem Grund nicht weiterhelfen. Dass die Berufsfreiheit der Arbeitgeber nicht zur Einschränkung der tariflichen Regelungszuständigkeit zur Vereinbarung von Sozialplaninhalten führen kann, wurde bereits festgestellt.123 Selbst wenn man diese Regelungen als Wertungsentscheidungen des Gesetzgebers hinsichtlich einer Einschränkbarkeit der Unternehmerentscheidung interpretiert, kann dies nicht bedeuten, den Tarifvertragsparteien gänzlich ihre Regelungszuständigkeit zu versagen. Die §§ 111 ff. BetrVG verdeutlichen gerade, dass die Regelung der Folgen einer Unternehmerentscheidung nicht alleine Sache des Unternehmers ist. Überträgt man diese Wertungen auf die hier zu untersuchende Frage, ist offensichtlich, dass die Vorschriften der §§ 111 ff. BetrVG nicht herangezogen werden können, um die Aufgabe der Sozialplanvereinbarung den Tarifvertragsparteien gänzlich zu entziehen.124 Ferner führt auch der Verweis auf eine mögliche Benachteiligung der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite zu keinem anderen Ergebnis. Für sie besteht die Möglichkeit, der Gewerkschaft beizutreten und so ohne weiteres in den Genuss der Vorteile zu kommen, die auf Tarifebene ausgehandelt werden, wenn nicht bereits eine Bezugnahmeklausel dieses Ergebnis herbeiführt. Eine die Tarifvertragsparteien gegenüber Außenseitern bindende Gleichbehandlungspflicht für Sozialplanleistungen existiert nicht. § 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG verpflichtet nur die Betriebsparteien. Die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG scheitert daran, dass es zulässig ist, nur für die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer einen Tarifvertrag auszuhandeln, der so eine Begünstigung gegenüber den Außenseitern beinhaltet. Die Tarifvertragsparteien sind also nicht zur Rücksichtnahme auf die Belange nicht organisierter Arbeitnehmer verpflichtet.125 Es entspricht gerade der bestehenden Tarifvertragsordnung, die keine Zwangsverbände vorsieht und auf den freiwilligen Beitritt abstellt, dass sich die Entscheidung für die nicht organisierten Arbeitnehmer und Arbeitgeber unter Umständen im Nachhinein als nachteilig auswirkt.126 Darin kann keine Ungleichbehandlung gesehen werden. Die Außenseiter sind also darauf zu verweisen, der Gewerkschaft beizutreten und so in den Genuss der Vorteile zu kommen, die mit dieser Mitgliedschaft verbunden sind.127 Eine Ver123

Siehe Kapitel 4 A. I. So im Ergebnis auch Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 195. 125 Bayreuther, NZA 2007, 1017 (1021 f.). 126 Ebenso Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 140; Krause, Standortsicherung, S. 75. 127 Eine Stichtagsregelung, die darauf abstellt, dass nur tarifgebundene Arbeitnehmer vom Geltungsbereich des Tarifvertrags erfasst werden, die bereits vor Beginn des Ar124

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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letzung der negativen Koalitionsfreiheit der Außenseiter geht damit nicht einher. Problematisch könnten hingegen Differenzierungsklauseln sein, in welchen sich der Arbeitgeber verpflichtet, die tariflichen Regelungen nicht auf die Außenseiter zu erstrecken.128 Im Ergebnis ist somit deutlich, dass die Sperrwirkungsthese nicht darauf gestützt werden kann, dass die §§ 111 ff. BetrVG als „taugliche“ Schranke oder Ausgestaltung der Tarifautonomie einen vollständigen Ausschluss der Regelungszuständigkeit rechtfertigen können. bb) Ausgestaltung der Tarifautonomie Versteht man die Sperrwirkungsthese so, dass ihr die Interpretation der §§ 111 ff. BetrVG als Ausgestaltungsgesetz zugrunde liegt, das in zulässiger Weise die Tarifautonomie beschränkt, bestehen neben der am Normbefund orientierten Kritik ebenfalls erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Zwar gestaltet das BetrVG die Tarifvertragsfreiheit insoweit verfassungsgemäß aus, indem etwa die Regelungen der §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 BetrVG die Anwendbarkeit der Tarifverträge vor einer Verdrängung durch betriebliche Regelungen schützen und so die Tarifautonomie gesichert werden soll.129 Eine vollständige Verdrängung der Tarifvertragsparteien von der Aufgabe, Ausgleichsregelungen zur Abmilderung von konkreten Standortentscheidungen vereinbaren zu können, wie sie die Sperrwirkungslehren befürworten, wäre jedoch mit Art. 9 Abs. 3 GG nicht zu vereinbaren. Das BVerfG130 gesteht dem Gesetzgeber zwar einen weiten Spielraum zur Ausgestaltung zu, gleichwohl gilt diese Ausgestaltungsprärogative nicht unbeschränkt. So ist eine Ausgestaltung nicht mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar, wenn die Koalitionsbetätigungsfreiheit weiter eingeschränkt würde, als dies zum Ausgleich der Grundrechtspositionen erforderlich wäre.131 Durch die Ausgestaltung

beitskampf Gewerkschaftsmitglied sind, wäre allerdings unzulässig, vgl. BAG v. 9.5. 2007 – 4 AZR 275/06, NZA 2007, 1439 ff. Zur Wirksamkeit einer Stichtagsregelung die an den Zeitpunkt einer Kündigung des Arbeitnehmers anknüpft LAG Köln v. 1.9. 2009 – 9 Sa 105/09 u. a. (juris). 128 Vgl. Krause, Standortsicherung, S. 76. Siehe zur (Un-)Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln in jüngerer Zeit: BAG v. 9.5.2007 – 4 AZR 275/06, NZA 2007, 1439 ff.; LAG Schleswig-Holstein v. 7.5.2008 – 6 Sa 424/07 (juris); LAG Hessen v. 4.1.2008 – 7/6 Sa 646/07 (juris); umfassend Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2003. 129 BAG v. 24.2.1978 – 1 ABR 18/85, BAGE 54, 191 (199 f.); BAG v. 3.12.1991 – GS 2/90, BAGE 69, 134, (146); ErfK-Dieterich, GG, Art. 9 Rn. 60; Fitting, BetrVG, § 77 Rn. 67; Goethner, NZA 2006, 303 (304 ff.); Heinze, NZA 1995, 5 f.; Richardi-Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 143; Waltermann, RdA 1996, 129 (131 f.) m.w. N. 130 BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290. 131 BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (228).

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

darf die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie nicht gefährdet werden.132 Der Gesetzgeber ist an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden.133 Ob im Ausschluss der tariflichen Zuständigkeit von einer Regelung zur sozialen Abmilderung von konkreten Standortentscheidungen eine Gefährdung der Tarifautonomie ausgeht, kann und soll und muss im Rahmen dieser Untersuchung nicht abschließend geklärt werden. Führt man sich die Diskussionen um die Reformversuche des in § 4 Abs. 3 TVG normierten Günstigkeitsprinzips vor Augen, wird deutlich, dass der Nachweis einer Gefährdung der Funktionsfähigkeit schwer zu führen ist. Letztendlich handelt es sich um ein empirisches Kriterium.134 Angesichts der zunehmenden Bedeutung dieses Aufgabenbereichs und dem hohen Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer wird man jedoch annehmen können, dass bei einem so weitreichenden Ausschluss der tariflichen Zuständigkeit zur Regelung der sozialen Folgen von Betriebsänderungen eine Gefährdung der Tarifautonomie nicht von der Hand zu weisen wäre. Entscheidend hinzukommt, dass eine solche Ausgestaltung die Koalitionsbetätigungsfreiheit restriktiver beschränkt, als es zur Koordination der gegenläufigen Interessen notwendig wäre und daher nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen würde. Eine Ausgestaltung darf nicht dazu führen, dass sich die Koalitionsfreiheit überhaupt nicht mehr verwirklichen lässt; eine solche Ausgestaltung im Kernbereich ist nur zulässig, wenn diese besondere Belastung der Koalition durch ein anderes Grundrecht oder einen sonstigen Wert mit Verfassungsrang legitimiert wird.135 In diesem Zusammenhang ist wiederum darauf zu verweisen, dass die Betriebautonomie keinen verfassungsrechtlichen Schutz genießt.136 Rechnet man eine Regelung der sozialen Folgen von Unternehmerentscheidungen dem Kernbereich der Koalitionsfreiheit zu, bliebe somit ausschließlich der Verweis auf unternehmerische Freiheitsrechte. Einem verhältnismäßigeren Ausgleich entspräche es dann, anstatt den Tarifvertragsparteien die Aufgabe gänzlich zu entziehen, erst dem Streikrecht zum Schutz der Arbeitgeber Grenzen zu setzen. Die §§ 111 ff. BetrVG können daher nicht so interpretiert werden, dass sie als verfassungsmäßiges Ausgestaltungsgesetz die Tarifautonomie derart weitreichend beschränken, dass den Tarifvertragsparteien die Aufgabe, unternehmerische Standortentscheidung abzumildern, generell entzogen wird.137

132

BVerfG v. 4.7.1995 – 1 BvF 2/86 u. a., BVerfGE 92, 365 (394). Vgl. ErfK-Dieterich, GG, Art. 9 Rn. 84. 134 Vgl. Maschmann, Tarifautonomie, S. 150; Thüsing, in: GS Heinze, S. 901 (912 f.). 135 MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., § 244 Rn. 54 f. 136 Siehe Kapitel 4 A. II. 3. c) aa). 137 So im Ergebnis auch Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 243. 133

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d) Schlussfolgerungen Hat man die Zuständigkeitsbereiche derart abgegrenzt, wird deutlich, dass auch die Zweckmäßigkeitserwägungen der Sperrwirkungslehren keine tragfähige Begründung für einen Vorrang der §§ 111 ff. BetrVG darstellen, sondern vielmehr als Kritik einiger immanenter Folgen des kollektivarbeitsrechtlichen Systems anzusehen sind, das auf einer Zweigleisigkeit der Regelungsebenen basiert und vom Vorrang der Tarifebene geprägt ist. Dass die Tarifvertragsparteien Regelungen zur Abmilderung von einzelnen Unternehmerentscheidungen erst in den letzten Jahren in zunehmendem Maße einfordern, hat den Blick auf die Rangordnung der Regelungsebenen getrübt. So ist es verfehlt, auf die Funktionslosigkeit des Betriebsrates abzustellen, da selbst bei einem Nebeneinander von tariflicher und betrieblicher Regelungszuständigkeit dem Betriebsrat die Aufgabe zukommt, für die nicht organisierten Arbeitnehmer einen sozialen Ausgleich anzustreben. Das BetrVG gewährleistet ein Minimum an Arbeitnehmerschutz, welcher durch tarifliche Regelung erweitert werden kann. Nicht der tariflichen, sondern der betrieblichen Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen kommt ergänzende Funktion zu. Dass dem betrieblichen Sozialplan auch dann eine besondere Bedeutung zukommen kann, wenn bereits ein Tarifsozialplan von Gewerkschaft und Betriebsrat abgeschlossen wurde, zeigt ein Blick auf das Günstigkeitsprinzip: Etwaige Kollisionsfragen von betrieblichem und tariflichem Sozialplan sind so zu lösen, dass grundsätzlich die für den einzelnen Arbeitnehmer günstigere Regelung Anwendung finden soll.138 Das BAG und die herrschende Ansicht in der Literatur nehmen dabei einen sog. Sachgruppenvergleich vor.139 Für den Fall, dass der Tarifvertrag zwar umfangreichere Qualifizierungsmaßnahmen vorsieht, der in Form einer Betriebsvereinbarung abgeschlossene Sozialplan jedoch höhere Abfindungsleistungen beinhaltet, könnte es je nach Gestaltung der Vereinbarungen durchaus möglich sein, dass zumindest den tarifgebundenen Arbeitnehmern die jeweils „bessere“ Leistung aus den verschiedenen Vertragswerken gewährt werden müssten, wenn kein Abschluss einer sog. dreiseitigen Vereinbarung unter Beteiligung von Betriebsrat, Gewerkschaft und Arbeitgeber erfolgte.140 Dies zeigt, dass der Betriebsrat nicht

138 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (995); LAG Hessen v. 2.2.2006 – 9 Sa 915/05, LAGE Nr. 75 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 19; Richardi-Annuß, BetrVG, § 112 Rn. 181; Zachert, DB 2001, 1198 (1202); Däubler-Zwanziger, TVG, Rn. 1018. 139 BAG v. 8.10.1958 – 4 AZR 34/55, BAGE 6, 297 (299); BAG v. 25.11.1958 – 2 AZR 259/58, BAGE 7, 76 (78 f.); BAG v. 23.5.1984 – 4 AZR 129/82, NZA 1984, 255; BAG v. 20.4.1999 – 1 ABR 72/98, AP Nr. 89 zu Art. 9 GG; ErfK-Franzen, TVG, § 4 Rn. 38; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 852 ff.; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 302; Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 470 m.w. N. 140 So auch Bayreuther, NZA 2007, 1017 (1021).

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

derart „funktionslos“ ist, wie von Anhängern der Sperrwirkungsthese zum Teil behauptet wird. Koordinationsproblemen zwischen tariflichem und betrieblichem Sozialplan kann durch Aufnahme einer sog. Anrechnungsklausel141 in die jeweiligen Vertragswerke vorgebeugt werden, welche darauf abzielt, dass Leistungen vom Arbeitgeber nur dann zu erbringen sind, wenn nicht bereits aus einer anderen Vereinbarung ein entsprechender Anspruch besteht. Falls eine solche Klausel fehlt, wird man darauf abstellen können, dass eine solche Verrechnung in den meisten Fällen dem hypothetischen Parteiwillen entspricht.142 Dies gilt nicht nur, wenn eine dreiseitige Vereinbarung zwischen Arbeitgeber, Betriebsrat und Gewerkschaft abgeschlossen wurde, sondern ebenso, wenn der tarifliche Sozialplan der betrieblichen Lösung zeitlich nachfolgt und diese ergänzt. Nur wenn im Tarifvertrag ausdrücklich festgehalten wird, dass solche Leistungen zusätzlich zum Anspruch aus dem betrieblichen Sozialplan gewährt werden sollen oder der Umfang der zeitlich nachfolgenden Vereinbarung hinter dem des ersten Vertragswerkes zurückbleibt,143 wird die Möglichkeit einer Anrechnung ausscheiden. Schließlich stellt auch das Argument der Sachnähe des Betriebsrats keine tragfähige Begründung für die Sperrwirkungsthese dar. Sie ist vielmehr Ausdruck rechtspolitischer Forderungen und Dezentralisierungstendenzen im Kollektivarbeitsrecht, welche der Betriebsebene gegenüber der Tarifebene mehr Handlungsmöglichkeiten einzuräumen versuchen.144 Diese haben bisher keinen Niederschlag im Gesetz gefunden und finden keinen Halt in der Verfassung. Mag man auch in vielen Fällen davon ausgehen, dass Betriebsräte aufgrund der Nähe zum Unternehmen die wirtschaftliche Lage oftmals besser einschätzen können, ist doch im Gegensatz dazu anzunehmen, dass Gewerkschaften einen besseren Überblick über gesamtvolkswirtschaftliche Rahmenbedingungen haben, die bei Standorttarifstreitigkeiten ebenso von Bedeutung sind.145 Somit bleibt die Frage, inwieweit die Zuständigkeiten von Betriebsparteien und Tarifvertragsparteien bei Regelungen zur sozialen Abmilderungen von konkreten Unternehmerentscheidungen in der Praxis sachgerecht zu koordinieren sind oder der Hinweis von Nicolai146 berechtigt ist, dass mit einem Nebeneinander der Zuständigkeiten Folgeprobleme verbunden sind, welche die „Sinnhaftig- und Zuläs141

Siehe BAG v. 14.11.2006 – 1 AZR 40/06, NZA 2007, 339 ff. Ebenso Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019 (1023); zustimmend Wank, RdA 2009, 1 (6); a. A. wohl Lipinski/Ferme, DB 2007, 1250 (1252). 143 Vgl. Bayreuther, NZA 2007, 1017 (1021). 144 Vgl. dazu Dieterich, in: FS Richardi, S. 117 (119 ff.); Fitting, BetrVG, § 77 Rn. 68; Richardi, Gutachten für den 61. DJT, B 61 ff.; Walker, ZfA 1996, 353 (358 ff.); Waltermann, RdA 1996, 129 (133 ff.). 145 Zutreffend Krause, Standortsicherung, S. 77. 146 Nicolai, RdA 2006, 33 (35). 142

A. Tarifliche Regelungszuständigkeit

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sigkeit tariflicher Sozialpläne nachdrücklich“ in Frage stellten. Diese Erwägungen stellen darauf ab, dass im Fall weiterer Verflechtungen, etwa bei einer Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats oder mehrerer tarifzuständiger Gewerkschaften, ein Nebeneinander von tariflichem und betrieblichem Sozialplan schwer zu handhaben sei und sich zu Lasten von Teilen der Belegschaft auswirken könnte. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, da Koordinationsprobleme entstehen können, wenn von der Betriebsänderung mehrere Betriebe betroffen sind. Dies ist jedoch stets der Fall, wenn zusätzlich zu den zwei Regelungsebenen auf der jeweiligen Ebene verschiedene Zuständigkeiten in Frage kommen. Einige Autoren haben daher richtigerweise darauf hingewiesen, dass sich diese Probleme noch potenzieren, wenn der Grundsatz der Tarifeinheit aufgegeben wird und mehrere Gewerkschaften Streikforderungen mit Sozialplaninhalten stellen147. Diese Einwände dürfen allerdings nicht dazu führen, grundrechtlich geschützte Betätigungen der Koalitionen zu beschneiden. Diese könnten nur insoweit Berücksichtigung finden, wenn es darum geht, eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems abzuwenden.148 Ferner ist darauf hinzuweisen, dass sich im Fall der gängigen Praxis eines Abschlusses von dreiseitigen Vereinbarungen unter Beteiligung von Betriebsrat, Gewerkschaft und Arbeitgeber solche Zuständigkeitsprobleme auf der betriebsverfassungsrechtlichen Ebene nicht stellen.149 Inwieweit konkurrierende Zuständigkeiten auf tariflicher Ebene zu lösen sind, soll im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter vertieft werden. Diese heiklen tarif- und arbeitskampfrechtlichen Fragen stellen sich nicht nur bei Standorttarifkonflikten, sondern immer dann, wenn mehrere Gewerkschaften die Interessenvertretung der Arbeitnehmer eines Betriebs für sich in Anspruch nehmen und unterschiedliche Tarifvertragsforderungen an einen Arbeitgeber richten.150 Eine Sperrwirkung der §§ 111 ff. BetrVG lässt sich damit jedenfalls nicht begründen. Eine Einschränkung der tariflichen Regelungszuständigkeit ergibt sich also aus den §§ 111 ff. BetrVG nicht. Die mittlerweile überwiegende Ansicht in Schrift-

147 Siehe stellvertretend Bauer/Göpfert/Haussmann/Krieger, Umstrukturierung, S. 122; Krause, Standortsicherung, S. 77; zu den Folgen einer Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit Giesen, NZA 2009, 11 (13 ff.). 148 Vgl. Jacobs, NZA 2008, 325 (329 f.); Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 ff. 149 Vgl. Bayreuther, NZA 2007, 1017 (1021). 150 So im Ergebnis auch Cherdron, Sozialplanvereinbarungen S. 417 f. Siehe zum Grundsatz der Tarifeinheit aus tarif- und arbeitskampfrechtlicher Sicht LAG Sachsen v. 2.11.2007 – 7 SaGa 19/07, NZA 2008, 59 ff.; LAG Rheinland-Pfalz v. 14.6.2007 – 11 Sa 208/07, LAGE Nr. 78 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hessen v. 2.5.2003 – 9 SaGa 637/03, FA 2003, 211; Bayreuther, NZA 2008, 12 ff.; Blanke, KJ 2008, 204 ff.; Buchner, in: FS Hromadka, S. 39 ff.; ders., BB 2008, 106 ff.; Giesen, NZA 2009, 11 ff.; Jacobs, NZA 2008, 325 ff.; Schliemann, in: FS Hromadka, S. 359 ff.; Sunnus, AuR 2008, 1 (6 ff.); Thüsing/v. Medem, ZIP 2007, 510 ff.

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

tum151 und Rechtsprechung152 folgt der Sperrwirkungslehre zu Recht nicht und geht von einem Nebeneinander von betrieblichem und tariflichem Sozialplan aus. Dies darf gleichwohl nicht so verstanden werden, dass eine tarifliche Regelung oder ein Arbeitskampf um Sozialplaninhalte zwangsläufig rechtmäßig wäre. Wird der Tarifsozialplan als Streikforderung erhoben, ist das Spannungsfeld von Betriebsverfassungs-, Tarif- und Verfassungsrecht um arbeitskampfrechtliche Erwägungen zu erweitern.

III. Zwischenergebnis Die Vereinbarung von Sozialplaninhalten ist von der Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien umfasst. Die §§ 111 ff. BetrVG entfalten keine Sperrwirkung, so dass die Verhandlung von Sozialplänen ausschließlich Aufgabe des Betriebsrats wäre. Die Unzulässigkeit von Tarifsozialplan und Streik um einen Sozialplantarifvertrag kann damit nicht begründet werden.

151 Richardi-Annuß, BetrVG, § 112 Rn. 179; Bayreuther, NZA 2007, 1017 (1020 f.); Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, § 1 TVG Rn. 99; Buchner, in: Lehmann (Hrsg.), Tarifverträge der Zukunft, S. 109 (118); Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 241 ff.; Däubler, NJW 2005, 30 (31); Diehn, Rückkehrzusagen, S. 94 f.; Dieterich, AuR 2007, 65 (69 f.); ders., in: FS Richardi, S. 117 (120); Küttner-Eisemann, Personalbuch, Sozialplan Rn. 4 ff.; Fischinger, Anm. zu BAG v. 24.4.1007, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Sozialplan, Bl. 19 ff., ders, Arbeitskämpfe, S. 125 ff.; ders., NZA 2007, 310 (311 f.); Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a Rn. 185; Franzen, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 142 (156); ders., ZfA 2005, 315 (331 ff.); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band II, S. 1133 f.; Gaul, RdA 2008, 13 (14); Giesen, Rechtsgestaltung, S. 463; Greiner, NZA 2008, 1274 (1276 f.); Grau, NJW 2007, 3660; Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (555 ff.); Däubler-Hensche, TVG, § 1 Rn. 827 ff.; HWK-Hohenstatt/Willemsen, BetrVG, § 112 Rn. 81; ErfK-Kania, BetrVG, §§ 112, 112a Rn. 13; Kappenhagen/Lambrich, BB 2007, 2238 (2239); Kock, ZIP, 1775 (1776 f.); Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1013 (1019 f.); Löwisch, DB 2005, 554 (554 f.); ders., RdA 2009, 253 (254); Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 97 ff.; Oberberg/ Schoof, AiB 2002, 169 (178); Paschke/Ritschel, AuR 2007, 110 (111 f.); Däubler-Peter, TVG, Rn. 147; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 192 ff.; Ricken, ZfA 2008, 283 (289 f.); Schlachter, in: FS Birk, S. 809 (812); Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (594); Schoof, AiB 2002, 126 (128); Sunnus, AuR 2008, 1 (3); Sutschet, ZfA 2005 581 (612 f.); Thüsing/Ricken, JbArbR 2005, S. 113 (122 f.); dies., Anm. zu LAG Niedersachsen v. 2.6.2004, LAGE Nr. 74 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 17 f.; Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 449; Wolter, RdA 2002, 218 (226); Zabel, AiB 2005, 105 (105 f.); ders., AiB 2007, 379 (381); Zachert, DB 2001, 1198 (1202); Däubler-Zwanziger, TVG, § 4 Rn. 1017 f. 152 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (995); BAG v. 6.12.2006 – 4 AZR 798/05, DB 2007, 1362 (1364); LAG Hessen v. 2.2.2006 – 9 Sa 915/05, LAGE Nr. 75 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 18 f.; LAG Niedersachsen v. 2.6.2004 – 7 Sa 819/04, AP Nr. 164 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 3R ff.; LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 7R f.; ArbG Lübeck v. 29.5.2001 – 6 Ga21/01, AiB 2002, 122 (125). Früher schon BAG v. 24.11.1993 – 4 AZR 225/93, AP Nr. 116 zu § 1 TVG Tarifverträge Metallindustrie Bl. 4.

B. Tarifliche Regelungsbefugnis

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B. Tarifliche Regelungsbefugnis I. Normative Regelung 1. Verlängerung der Kündigungsfristen In Rechtsprechung und Schrifttum sieht man bezüglich der normativen Regelung einer Verlängerung von Kündigungsfristen keine Bedenken, da eine Verlängerung der Kündigungsfristen als Beendigungsnorm gemäß § 1 Abs. 1 TVG qualifiziert werden könne.153 Beendigungsnormen im Sinne dieser Vorschrift sind Tarifklauseln, die das Recht von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, also die Modalitäten der Beendigung von Arbeitsverhältnissen regeln.154 Eine Verlängerung von Kündigungsfristen verschafft dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, sich auf die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz zu begeben, nachdem feststeht, dass sein Arbeitsplatz aufgrund der Umstrukturierungsmaßnahme wegfallen wird und er so versuchen kann, die drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden. Die Kündigung soll also nicht ausgeschlossen, sondern der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses über die gesetzlichen Fristen hinaus verzögert werden. Im Fall einer Verlängerung der Kündigungsfristen handelt es sich um einen Regelungsgegenstand, der die Beendigung von Arbeitsverhältnissen betrifft. Kündigungsregelungen sind geradezu „klassische Beendigungsnormen“ 155, die seit jeher in Tarifverträgen vereinbart werden156. Eine Verlängerung der Kündigungsfristen kann daher als Beendigungsnorm i. S. d. § 1 Abs. 1 TVG im normativen Teil des Tarifvertrags vereinbart werden. Ob jegliche Verlängerung der Kündigungsfristen zulässig vereinbart werden kann oder ob ab einem bestimmten Umfang der Verlängerung die Vereinbarung im Tarifvertrag unzulässig ist, darf nicht als Frage der tariflichen Regelungsbefugnis verstanden werden, sondern wird erst im Rahmen der Zulässigkeitsgrenzen tarifvertraglicher Regelungen zu behandeln sein.157 153 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (996); LAG Schleswig-Holstein, v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4; Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 483; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 110; ders., NZA 2007, 310 (311); Gaul, RdA 2008, 13 (18); Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49 (53); Henssler, in: Richardi, S. 553 (554 f.); Krause, Standortsicherung, S. 69; Lelley/Sabin, FA 2004, 357 (359); Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (75); Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 97 ff.; Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 120 ff.; Nicolai, SAE 2004, 240 (242); Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 210 f.; Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (593); Wiedemann-Wiedemann, TVG Einl. Rn. 449. 154 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, § 1 TVG Rn. 82; ErfK-Franzen, TVG, § 1 Rn. 44; HWK-Henssler, TVG, § 1 Rn. 50; DäublerReim, TVG, § 1 Rn. 305; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 539. 155 Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (75). 156 Vgl. Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 305. 157 Siehe hierzu Kapitel 4 C.

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

2. Abfindungen Die in Tarifsozialplänen regelmäßig enthaltene Forderung nach Abfindung ist ebenfalls nach allgemeiner Ansicht in Rechtsprechung und Literatur unproblematisch unter § 1 Abs. 1 TVG subsumierbar.158 Zum Teil wird diese als Inhaltsnorm qualifiziert,159 andere rechnen solche Regelungen den Beendigungsnormen zu160. Zulässiger Regelungsgegenstand einer Inhaltsnorm ist alles, was Inhalt eines Arbeitsverhältnisses sein kann.161 Die Beendigungsnorm regelt hingegen u. a. die Modalitäten der Abwicklung von Arbeitsverhältnissen.162 Abfindungszahlungen sollen einen Ausgleich für den Arbeitsplatzverlust gewähren. Sie regeln somit nicht den Inhalt eines Arbeitsverhältnisses, sondern sind als Abwicklungsmodalitäten der Beendigung von Arbeitsverhältnissen anzusehen. Insoweit handelt es sich bei der Gewährung von Abfindungszahlungen um Beendigungsnormen gemäß § 1 Abs. 1 TVG, so dass auch diese Forderung des Tarifsozialplans normativ regelbar ist. 3. Qualifizierungsmaßnahmen Problematisch stellt sich im Gegensatz zur Verlängerung der Kündigungsfristen und den Abfindungszahlungen die Einordnung der Qualifizierungsmaßnahmen unter den Tatbestand des § 1 Abs. 1 TVG dar. Solche Regelungen sehen vor, dass nach Ablauf der (im Fall des Tarifsozialplans verlängerten) Kündigungsfrist auf Kosten des Arbeitgebers unter Zahlung eines monatlichen Betrags163 Maßnahmen zur Qualifizierung der gekündigten Arbeitnehmer für den Arbeitsmarkt durchgeführt werden, ohne dass eine Arbeitsleistung zu erbringen ist.164 Somit 158 LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4; Fischinger, NZA 2007, 310 (311); ders., Arbeitskämpfe, S. 109; Gaul, RdA 2008, 13 (18); Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (555); Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1026); Meyer, DB 2005, 830; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 210 f.; Rolfs/Clemens, DB 2003, 1678 (1681); Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 290; Schlachter, in: FS Birk, S. 809 (811); Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (593). 159 Eich, in: FS Goos, S. 199 (209); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 594. 160 LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 6R; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 110. 161 BAG v. 16.9.1986 – GS 1/82, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972; HWK-Henssler, TVG, § 1 Rn. 45. 162 ErfK-Franzen, TVG, § 1 Rn. 44. 163 Oftmals wird von „Zahlung einer monatlichen Vergütung“ gesprochen, vgl. Nicolai, SAE 2004, 240 (247); Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 219; kritisch dazu Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 110, der zu Recht darauf hinweist, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet wird, woran auch die Verpflichtung zur Finanzierung von Qualifizierungsmaßnahmen nichts ändert. 164 Bei Qualifizierungsmaßnahmen ist zu unterscheiden, ob es sich um solche handelt, die dazu führen, dass es nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses

B. Tarifliche Regelungsbefugnis

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stellt sich die Frage, inwieweit von einer Regelung des Arbeitsverhältnisses gesprochen werden kann, da der Arbeitgeber verpflichtet wird, neue Schuldverhältnisse mit den ausgeschiedenen Arbeitnehmern einzugehen.165 a) Meinungsstand Die Rechtsprechung und die Mehrheit des Schrifttums bewerten die Vereinbarung von Qualifizierungsmaßnahmen als tauglichen Gegenstand des normativen Teils von Tarifverträgen.166 Unterschiedlich wird beurteilt, welche Normengruppe des TVG einschlägig ist: Zum Teil wird darauf abgestellt, dass Qualifizierungsmaßnahmen an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpfen.167 Das LAG Hessen168 ordnet sie als Abschlussnormen ein. Manche Autoren argumentieren, dass durch solche Maßnahmen das Arbeitsverhältnis erneuert werde und man von Inhaltsnormen sprechen müsse.169 Das LAG Niedersachsen170 ging von einer betriebsverfassungsrechtlichen Norm aus. Im Schrifttum wird gegen die tarifliche Regelbarkeit von Qualifizierungsmaßnahmen jedoch eingewandt, dass sie nicht unter den Normenkatalog des § 1 Abs. 1 TVG gefasst werden könnten.171 Gegen die Einordnung als Inhalts-, Bekommt, und solchen, die nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ansetzen, vgl. Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 219. Hier soll im Folgenden nur die zweite Variante untersucht werden, die auch regelmäßig bei einem Standortstreik zur Tarifforderung erhoben wird, vgl. BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987. 165 Von einem „Kontrahierungszwang“ sprechen Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 111; Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (76); Nicolai, SAE 2004, 140 (247). 166 Vgl. BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (997); LAG SchleswigHolstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 7; ArbG Lübeck v. 29.5.2001 – 6 Ga 21/01, AiB 2002, 122 (124); Buchner, DB 2001, Beil. 9, 1 (10 f.); Gaul, RdA 2008, 13 (18); Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (554 f.); Hohenstatt/Schramm, DB 2004, 2214 (2217); Oberberg/Schoof, AiB 2002, 169 (175); Paschke/Ritschel, AuR 2007, 110 (110 f.); Schlachter, in: FS Birk, S. 809 (811); Sutschet, ZfA 2005, 581 (611 f.); Thüsing/Ricken, JbArbR 2005, S. 113 (117 f.); Zabel, AiB 2005, 105 (107); Zachert, DB 2001, 1198 (1201). 167 So etwa BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (997); LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 7; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 116 ff.; Hensche, AuR 2004, 445; Kaiser, in: FS Buchner, S. 385 (394); Krause, Standortsicherung, S. 69 f.; Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1026); Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 122 f. 168 LAG Hessen v. 2.2.2006 – 9 Sa 915/05, LAGE Nr. 75 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 21. 169 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, § 1 TVG Rn. 100; wohl auch Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (76); Paschke/Ritschel, AuR 2007, 110 (110 f.). 170 LAG Niedersachsen v. 2.6.2004 – 7 Sa 819/04, AP Nr. 164 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 5; so auch ArbG Lübeck v. 29.5.2001 – 6 Ga 21/01, AiB 2002, 122 (125). 171 Lieb, DB 1999, 2058 (2066); Nicolai, SAE 2004, 240 (247); Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 219 ff.; Rolfs/Clemens, DB 2003, 1678 (1680); Schiefer/Worzalla, DB

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

endigungs- oder Abschlussnorm spreche, dass kein Arbeitsverhältnis tariflich ausgestaltet, sondern ein Schuldverhältnis eigener Art begründet werde.172 Dieser Versuch, das „inhaltsleer gewordene Arbeitsverhältnis“ 173 durch die Qualifizierungsmaßnahmen aufrechtzuerhalten, unterliege nicht der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien. Zudem scheitere die „nicht gerade auf der Hand liegende“ 174 Einordnung als betriebsverfassungsrechtliche Norm daran, dass nicht Rechte des Betriebsrats modifiziert würden, sondern den Arbeitnehmern ein Anspruch eingeräumt werde.175 b) Stellungnahme Zunächst gilt es festzuhalten, dass auch Qualifizierungsmaßnahmen wie die sonstigen Inhalte des Tarifsozialplans schon seit jeher in der Tarifpraxis verhandelt und vereinbart werden.176 Der eigentliche Grund für die beim Tarifsozialplan geführte Diskussion um die Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien ist im besonderen Umfang der Tarifforderungen des Tarifsozialplans und der Tatsache zu sehen, dass im Gegensatz zu den traditionellen Rationalisierungsschutzabkommen die heutigen Tarifsozialpläne Regelungen zur Qualifizierung nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorsehen.177 Es liegt nahe, dass gerade die Verknüpfung der Forderung nach Qualifizierungsmaßnahmen in Verbindung mit einer Verlängerung der Kündigungsfristen für die Arbeitgeberseite sehr belastend sein kann: Erst wird das Ende des Arbeitsverhältnisses durch die Verlängerung der Kündigungsfristen erheblich verzögert und dann soll zusätzlich eine Beschäftigungsgesellschaft die arbeitslosen Arbeitnehmer auf Kosten der Arbeitgeber für die Arbeitswelt qualifizieren, ohne dass eine Gegenleistungspflicht besteht.178 Dieser Aspekt ist jedoch wiederum erst auf der Zulässigkeitsebene von Bedeutung, wenn es darum geht, die inhaltlichen Grenzen von Tarifsozialplanvereinbarungen zu bestimmen.179 Klammert man den Forderungsumfang und die Verknüpfung mit der tariflichen Verlängerung von Kündigungsfristen aus, stellt sich ausschließlich die Frage, inwieweit der Umstand, dass ein Schuldverhältnis eigener Art zwischen 2006, 46 (47); wohl auch Kappenhagen/Lambrich, BB 2007, 2238 (2239); Lelley/Sabin, FA 2004, 357 (359). 172 Nicolai, SAE 2004, 240 (247); Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 220 ff. 173 Lieb, DB 1999, 2058 (2066). 174 Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 113. 175 Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 227. 176 LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 7; vgl. auch Rieble, in: FS 50 Jahre BAG, S. 831 (837 ff.). 177 Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (76). 178 Vgl. Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019 (1022); Franzen, ZfA 2005, 315 (331 f.). 179 Siehe hierzu Kapitel 4 C.

B. Tarifliche Regelungsbefugnis

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Arbeitgeber und gekündigten Arbeitnehmern begründet wird, einer Subsumtion der Qualifizierungsmaßnahmen unter den Normenkatalog des § 1 Abs. 1 TVG entgegensteht. Voraussetzung einer Klassifizierung als Inhalts- oder Abschlussnorm i. S. v. § 1 Abs. 1 TVG ist, dass das Rechtsverhältnis, welches durch Tarifvertrag begründet oder ausgestaltet werden soll, ein Arbeits- oder Berufsausbildungsverhältnis darstellt.180 Das durch die Verpflichtung zur Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen begründete Rechtsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber kann allerdings nicht als Arbeitsverhältnis bezeichnet werden, da die dem Arbeitsvertrag typische Verknüpfung von Arbeitsleistung und Entlohnung nicht gegeben ist, weil eine Dienstleistungspflicht des Arbeitnehmers nicht begründet wird; auch die Teilnahme an den Maßnahmen kann nicht als solche angesehen werden.181 Ein Ausbildungsverhältnis ist ebenfalls nicht anzunehmen. § 26 BBiG sieht zwar vor, dass das BBiG auch auf weitere vergleichbare Fallgestaltungen Anwendung finden kann. Dies soll jedoch nur für Personen gelten, die in keinem Arbeitsverhältnis stehen, aber eingestellt werden, um außerhalb eines Ausbildungsverhältnisses berufliche Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen zu erwerben.182 Umschulungs- und Fortbildungsverhältnisse, wie sie bei Qualifizierungsmaßnahmen vorgesehen sind, können nicht als solche verstanden werden, da § 26 BBiG nur auf solche Rechtsverhältnisse angewendet werden kann, bei denen erstmals Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden.183 Dies ist bei Qualifizierungsmaßnahmen nicht der Fall. Aufgrund des Rechtscharakters als Schuldverhältnis eigener Art können Qualifizierungsmaßnahmen nicht als Inhalts- und Abschlussnorm im normativen Teil eines Tarifvertrags geregelt werden. Die genaue rechtliche Klassifizierung der Qualifizierungsmaßnahmen kann offen bleiben, es handelt sich jedenfalls nicht um ein Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis im Sinne des § 1 BBiG. Eine „Kompetenz-Kompetenz“ 184, zu entscheiden, welche Personen als Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Person zu qualifizieren sind, kommt den Tarifvertragsparteien nicht zu.185 Der recht knappen Begründung des LAG Hessen186, welches zwischen Qualifizierungsmaßnah180 Brecht-Heitzmann, RdA 2008, 276 (276, 278); Krause, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 4 Rn. 14 f.; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 374 ff., 394 ff. 181 Vgl. Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 111 f. 182 BeckOK RGKU-Hagen, BBiG, § 26 Rn. 3; HWK-Hergenröder, BBiG, § 6 Rn. 1. 183 BAG v. 15.3.1991 – 2 AZR 516/90, AP Nr. 2 zu § 47 BBiG; LAG SchleswigHolstein v. 27.2.2001 – 1 Sa 409a/00, FA 2001, 185. 184 Krause, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 4 Rn. 14. 185 BAG v. 15.3.1978 – 5 AZR 819/76, BAGE 30, 163 ff.; BAG v. 2.10.1990 – 4 AZR 106/90, AP Nr. 1 zu § 12a TVG. 186 LAG Hessen v. 2.2.2006 – 9 Sa 915/05, LAGE Nr. 75 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 21.

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

men und Arbeitsverhältnissen nicht unterscheidet und auf die Klassifizierung des Rechtsverhältnisses nicht näher eingeht, kann somit nicht gefolgt werden. Des Weiteren könnte eine Klassifizierung als betriebsverfassungsrechtliche Norm in Betracht kommen. Über die Auslegung dieses Begriffs besteht Uneinigkeit.187 Eine betriebsverfassungsrechtliche Norm bezieht sich auf die Einrichtung und Organisation der Betriebsverfassung.188 Andere wollen die Gesamtheit aller Regeln über die Rechtsstellung der Belegschaft im Betrieb mit Hilfe dieses Begriffs erfassen.189 Nach beiden Interpretationsansätzen muss man zum Ergebnis kommen, dass die Verpflichtung zur Bereitstellung von Qualifizierungsmaßnahmen nicht als betriebsverfassungsrechtliche Norm subsumiert werden kann. Es wird weder eine Regelung zur Organisation der Betriebsverfassung, noch eine Regelung, welche die Rechtstellung des Arbeitnehmers im Betrieb berührt, getroffen. Insoweit hat das arbeitsrechtliche Schrifttum berechtigterweise mit Verwunderung auf die Subsumtion des LAG Niedersachsen reagiert.190 In dieser Entscheidung hatte das Gericht ohne nähere Begründung und Definition der betriebsverfassungsrechtlichen Norm gemäß § 1 Abs. 1 TVG angenommen, dass die tarifliche Verpflichtung des Arbeitgebers zu Qualifizierungsmaßnahmen als solche zu klassifizieren sei.191 Diese Sichtweise ist zu Recht als verfehlt anzusehen, da keine noch so weit gefasste Deutungsweise der betriebsverfassungsrechtlichen Norm ein solches Ergebnis rechtfertigen könnte. Entscheidend ist demnach, ob eine Einordnung als Beendigungsnorm in Frage kommt. Das LAG Schleswig-Holstein192 stellt dazu auf die arbeitsvertragliche Fürsorgeverpflichtung des Arbeitgebers ab und sieht einen Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, wie er auch bei tariflichen Regelungen zur Altersversorgung ausgeschiedener Mitarbeiter gegeben sei. Lobinger193 argumentiert mit einem Vergleich zur tarifvertraglichen Verlängerung von Kündigungsfristen. Im Kern gehe es den Tarifvertragsparteien darum, die verlängerten

187

Siehe hierzu bereits Kapitel 3 B. I. Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, § 1 TVG Rn. 84; ErfK-Franzen, TVG, § 1 Rn. 48; HWK-Henssler, TVG, § 1 Rn. 53; Krause, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 4 Rn. 77; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 137; Reichold/Fuchs, Tarifvertragsrecht, Rn. 87; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 227; Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 601; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 566. 189 Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 316b; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 754; Kempen/Zachert-Zachert, TVG, § 1 Rn. 86. 190 Krause, Standortsicherung, S. 69 f.; Nicolai, SAE 2004, 240 (248). 191 LAG Niedersachsen v. 2.6.2004 – 7 Sa 819/04, AP Nr. 164 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 5R; so auch ArbG Lübeck v. 29.5.2001 – 6 Ga 21/01, AiB 2002, 122 (125). 192 LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 7; ähnlich Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 122 ff. 193 Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (76). 188

B. Tarifliche Regelungsbefugnis

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Kündigungsfristen unter dem „Deckmantel“ der Qualifizierung nochmals zu verlängern. Fischinger194 und Krause195 haben jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass sowohl der Vergleich mit der tariflichen Altersversorgung, als auch die Interpretation als erneute Verlängerung der verlängerten Kündigungsfristen nicht trägt. Die Vergleichbarkeit mit der Altersversorgung scheitert schon daran, dass diese als Gegenleistung für die in der Vergangenheit erbrachten Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers zu sehen ist. Im Gegensatz zur Verlängerung der Kündigungsfristen, besteht kein Arbeitsverhältnis mehr. Es fehlt an einer Gegenleistungspflicht des Arbeitnehmers. Auch die nachvertragliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers lässt sich nicht als Argument heranführen. Zwar ist es richtig, dass die Fürsorgepflichten des Arbeitgebers auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehen können.196 Der Rückgriff auf eine allgemeine Fürsorgepflicht sollte jedoch restriktiv gehandhabt werden.197 Eine Zahlungsverpflichtung ohne Gegenleistungspflicht des Arbeitnehmers oder die Verpflichtung zur Eingehung eines neuen Schuldverhältnisses, wie sie im Rahmen der tariflichen Qualifizierung vorgesehen ist, kann damit nicht begründet werden.198 Stattdessen ist auf die Vergleichbarkeit mit Abfindungsleistungen abzustellen.199 Bei Qualifizierungsmaßnahmen handelt sich um eine „Sonderform der Abfindung“ 200. Ohne Verpflichtung zu einer Gegenleistung werden die gekündigten Arbeitnehmer auf Kosten des ehemaligen Arbeitgebers gefördert, um sie für den Eintritt in den Arbeitsmarkt vorzubereiten, und erhalten zusätzlich Geldleistungen, mit denen die Zeit der Arbeitslosigkeit überbrückt werden soll. All dies trägt den Charakter einer Abfindungsleistung. Es wäre durchaus denkbar, auf die Regelung von Qualifizierungsmaßnahmen zu verzichten, und zu vereinbaren, dass eine zusätzliche Abfindung ausgezahlt wird. Die qualitative Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt würde dabei den Arbeitnehmern selbst überlassen. Stattdessen wählen Gewerkschaften jedoch bewusst den Weg der Qualifizierungsmaßnahmen, weil anzunehmen ist, dass eine Vielzahl der Arbeitnehmer schlicht nicht in der Lage wäre, eigenständig für Umschulung- und Fortbildungsmaßnahmen zu sorgen. Angesichts des gemeinsamen Interesses von Arbeitnehmern und Gewerkschaften, betriebsbedingt gekündigten Mitarbeitern anderweitige Beschäf194

Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 114 ff. Krause, Standortsicherung, S. 70. 196 BAG v. 14.12.1956 – 1 AZR 29/55, AP Nr. 3 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 603; Schaub-Linck, ArbRHdB, § 107 Rn. 62. 197 Vgl. ErfK-Preis, BGB, § 611 Rn. 616. 198 Ähnlich Nicolai, SAE 2004, 240 (247). 199 So auch BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (997); Krause, Standortsicherung, S. 70; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 117. 200 Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (76). 195

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

tigungsmöglichkeiten zu verschaffen, wird der Weg der Qualifizierungsmaßnahmen gewählt, um die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer zu erhöhen. Diese Leistungen sind als „geldwerter Vorteil“ anzusehen, die sich qualitativ kaum von einer Abfindung unterscheiden. Betrachtet man § 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 2a BetrVG, nach dem die Einigungsstelle die Förderungsmöglichkeiten gemäß der §§ 216a ff. SGB III zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen hat, wäre es widersprüchlich, den Tarifvertragsparteien die Befugnis zur Regelung solcher Inhalte zu verweigern.201 Für diese Lösung spricht zudem, dass es zulässig ist, durch Tarifvertrag nach Ende des Arbeitsvertrags entstehende Ansprüche der ausgeschiedenen Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber zu vereinbaren.202 Nichts anderes geschieht etwa, wenn tariflich geregelt wird, dass nach einem Arbeitskampf ein Wiedereinstellungsanspruch des streikbeteiligten Arbeitnehmers bestehen soll.203 Somit sind Qualifizierungsmaßnahmen als Beendigungsnormen i. S. d. § 1 Abs. 1 TVG zu klassifizieren und normativ regelbar.

II. Schuldrechtliche Vereinbarung Bleibt die Frage, ob eine Regelung im schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags ebenso zulässig wäre. Von besonderer praktischer Bedeutung ist diese Frage im Hinblick auf den Tarifsozialplan nicht, kann man doch annehmen, dass die Tarifvertragsparteien insoweit von ihrer Normsetzungsbefugnis, die ihnen wie dargestellt bei der Regelung solcher Inhalte zur Verfügung steht, Gebrauch machen werden.204 Eine Pflicht zur Ausübung der Normsetzungsbefugnis besteht aber nicht.205 Die Beantwortung der Frage, ob eine Vereinbarung der Sozialplaninhalte als schuldrechtliche Vereinbarung ebenso denkbar wäre, ist durch die Tatsache, dass sämtliche Sozialplaninhalte dem Normenkatalog des § 1 Abs. 1 TVG zugänglich sind, vorbestimmt. Mag hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Normsetzungsund schuldrechtlicher Vereinbarungsbefugnis Streit herrschen,206 besteht doch 201 So auch BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (997); Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 117; Gaul, RdA 2008, 13 (18); Kaiser, in: FS Buchner, S. 385 (394.); Krause, Standortsicherung, S. 70; Oberberg/Schoof, AiB 2002, 169 (175). 202 Vgl. BAG v. 13.4.1991 – 3 AZR 725/93, AP Nr. 119 zu § 1 TVG Tarifverträge Metallindustrie. 203 Vgl. Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 618 f., der zurecht darauf hinweist, dass nach dem Grundsatzurteil des BAG zur suspendierenden Wirkung des Arbeitskampfes (v. 28.1.1955 – GS 1/54, AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) solchen Klauseln eine geringe praktische Bedeutung zukommt. 204 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 174; Houben, Rückwirkung, S. 333. 205 Vgl. ErfK-Franzen, TVG, § 1 Rn. 79; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 156. 206 Siehe Kapitel 3 B. II. und III.

B. Tarifliche Regelungsbefugnis

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Einigkeit darüber, dass eine schuldrechtliche Regelung zumindest dann zulässig sein muss, wenn der Regelungsgegenstand unter den Normenkatalog des § 1 Abs. 1 TVG gefasst werden kann.207 Jede Sachmaterie, die einer normativen Regelung zugänglich ist, kann somit auch Gegenstand einer schuldrechtlich wirkenden Tarifvertragsregelung sein.208 Die kontrovers diskutierte Problematik um das Verhältnis von schuldrechtlicher und normativer Regelungsbefugnis erlangt nur dann entscheidende Bedeutung, wenn Sachmaterien einer normativen Gestaltung durch Tarifvertrag entzogen sind. Zu beachten ist dabei wiederum, dass eine Vereinbarung von schuldrechtlichen Verpflichtungen des Arbeitgebers im Verbandstarifvertrag generell ausscheidet. Es läge ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter vor, wenn die Tarifvertragsparteien im schuldrechtlichen Teil des Verbandstarifvertrags schuldrechtliche Regelungen vereinbaren, welche Pflichten von tarifgebundenen Arbeitnehmern und Arbeitgebern vorsehen.209 Schuldrechtliche Ansprüche der Gewerkschaft oder der tarifgebundenen Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber, etwa auch Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen, können im Verbandstarifvertrag demnach nicht wirksam vereinbart werden. Stattdessen kann der einzelne verbandsangehörige Arbeitgeber den Verband bevollmächtigen, in seinem Namen einen Firmentarifvertrag mit der Gewerkschaft abzuschließen, wenn er bei Tarifsozialplanverhandlungen auf die Kompetenz seines Verbandes zurückgreifen will.210 Der Arbeitgeberverband tritt dann als Stellvertreter des einzelnen Arbeitgebers auf und schließt in seinem Namen einen Firmentarifvertrag mit der zuständigen Gewerkschaft. Dies bedeutet nicht, dass im schuldrechtlichen Teil eines Firmentarifvertrags keine Rechte Dritter begründet werden können. Arbeitgeber und Gewerkschaft können auf schuldrechtlichem Wege durch eine Vereinbarung zugunsten Dritter i. S. v. § 328 BGB den Arbeitnehmern Ansprüche zuweisen.211 Durch Auslegung 207 Vgl. Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 421; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Band II/ 1, S. 330; Krause, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 4 Rn. 164 ff.; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 960 ff. 208 BAG v. 29.11.1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (192 ff.); Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 157. 209 Siehe hierzu Kapitel 3 B. III. 4. b). 210 Vgl. Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 91 ff.; Jacobs, ZTR 2001, 249 (256). 211 Vgl. BAG v. 29.11.1967 – GS 1/67, BAGE 20, 175 (192); Bayer, Der Vertrag zugunsten Dritter, S. 138; Bittner, Betriebsrentenrecht, S. 440; Diehn, Rückkehrzusagen, S. 112; ErfK-Franzen, TVG, § 1 Rn. 80; HWK-Henssler, TVG, § 1 Rn. 74; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 503; Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 480; Löwisch/Rieble, TVG, Grundl. Rn. 80, § 1 Rn. 443; Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 967; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 227 f.; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 158; Schaub-Schaub, ArbRHdB, § 201 Rn. 7; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 859; BeckOK-Waas/Giesen, TVG, § 1 Rn. 62; Weyand, Mitbestimmung, S. 105; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 41; a. A. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 282; Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 118: „Verpflichtet und berechtigt werden lediglich die Tarifvertragsparteien.“

242

Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

ist zu ermitteln, ob eine solche Begründung von Rechten gegenüber Dritten von den Tarifvertragsparteien auch gewollt war.212 Den Arbeitnehmern bleibt somit der Umweg erspart, an die am Vertragsschluss beteiligte Gewerkschaft heranzutreten, um zu erreichen, dass diese auf den Vertragspartner einwirkt, seine schuldrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten.213 Vielmehr kann er vom Arbeitgeber die Einhaltung der tarifvertraglich vereinbarten Verpflichtung verlangen.214 Die Praxis zeigt jedoch, dass die Gewerkschaften in der Regel eine normative Regelung anstreben werden.

III. Zwischenergebnis Die Vereinbarung von Tarifsozialplänen ist von der tariflichen Regelungsbefugnis umfasst. Solche Regelungen sind sowohl dem normativen als auch dem schuldrechtlichen Teil eines Firmentarifvertrags zugänglich. Bezüglich einer Regelung in einem Verbandstarifvertrag kommt nur eine Regelung im normativen Teil in Betracht.

C. Verstoß gegen höherrangiges Recht Ein Tarifsozialplan wäre unzulässig, wenn er gegen höherrangiges Recht verstieße. Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung rückt somit nun auch der inhaltliche Umfang von Tarifsozialplänen in den Mittelpunkt.

I. Einfachgesetzliche Grenzen Grenzen des Tarifvertrags ergeben sich zunächst aus einfachem Recht: Im Tarifvertrag darf nicht von zwingenden staatlichen Regelungen abgewichen werden.215 Dies gilt sowohl für normative als auch für schuldrechtlich wirkende Tarifregelungen.216 Tarifverträge, die gegen zwingendes Gesetzesrecht verstoßen, sind unwirksam. Arbeitskämpfe, welche eine solche tarifliche Regelung durchsetzen sollen, sind rechtswidrig.217 Diesbezüglich ist zu unterscheiden, ob es sich um einseitig oder zweiseitig zwingende Regelungen handelt: Ist ein Gesetz zweiseitig zwingend, enthält es eine Tarifsperre, während durch einseitig zwingende Vorschriften lediglich Min212

Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 1050. Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 443. 214 Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 1097. 215 Vgl. Krause, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 1 Rn. 96; DäublerSchiek, TVG, Einl. Rn. 309; Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 350. 216 Hölters, Harmonie, S. 119. 217 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 8 Rn. 15. 213

C. Verstoß gegen höherrangiges Recht

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destarbeitsbedingungen formuliert werden, welche einer Verbesserung durch Tarifvertrag zugänglich sind.218 Bei Unklarheiten hinsichtlich des Charakters der einfachgesetzlichen Vorschrift ist durch Auslegung zu ermitteln, ob der Gesetzgeber eine Abweichung durch Tarifvertrag zulassen wollte.219 Beendigungsnormen gemäß § 1 Abs. 1 TVG finden ihre Grenze im gesetzlichen Kündigungsschutzrecht.220 Betrachtet man die Regelung des § 622 Abs. 4 S. 1 KSchG, nach der abweichende Regelungen der Kündigungsfristen durch Tarifvertrag zulässig sind und dies so verstanden werden muss, dass nicht nur eine Verkürzung, sondern auch eine Verlängerung der Fristen zulässig ist221, wird offensichtlich, dass eine tarifliche Verlängerung von Kündigungsfristen dem nicht entgegensteht.222 Die Betriebsverfassung enthält zweiseitig zwingende Vorschriften, die auch die Tarifvertragsparteien bei einer Regelung durch Tarifvertrag zu respektieren haben.223 Berührungspunkte zur Betriebsverfassung weisen Tarifsozialpläne zwar insoweit auf, dass neben den Betriebsparteien die Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien gegeben ist. Diese Regelungen schränken jedoch weder den Aufgabenbereich der Koalitionen ein,224 noch führen sie unmittelbar zur generellen Unzulässigkeit eines Tarifsozialplans, da dies dem Vorrang der Tarifautonomie nicht gerecht würde.

II. Verfassungsrechtliche Grenzen eines Firmentarifsozialplans Eine tarifvertragliche Regelung von exorbitanten Sozialplaninhalten könnte jedoch einen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG darstellen. Die Tarifvertragsparteien sind beim Abschluss normativer und schuldrechtlicher Vereinbarungen an die Grundrechte gebunden.225 Begründet wird ein Grundrechtsverstoß mit der Unzumutbarkeit einer solchen Regelung aus Sicht der Arbeitgeber, da sich der Abschluss eines Tarifsozialplans für sie im Einzelfall als finanziell sehr belastend 218 ErfK-Franzen, TVG, § 1 Rn. 13; Fuchs/Reichold, Tarifvertragsrecht, Rn. 146; HWK-Henssler, TVG, Einl. Rn. 25; Krause, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 1 Rn. 96; MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., § 259 Rn. 82 ff.; DäublerSchiek, TVG, Einl. Rn. 310. 219 BAG v. 29.9.1987 – 7 AZR 315/86, DB 1988, 1022; Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 351. 220 Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht, Band 2, S. 41. 221 Vgl. ErfK-Müller-Glöge, BGB, § 622 Rn. 19. 222 Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 188 f. m.w. N. 223 Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band II, S. 150 ff.; Richardi-Richardi, BetrVG, Einl. Rn. 134 ff.; Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 353. 224 Siehe Kapitel 4 A. II. 225 Siehe Kapitel 3 C. II. 1.

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

auswirken könne und die Umsetzung von Verlagerungsentscheidung in Frage stelle.226 Dem ist darin zuzustimmen, dass es grundsätzlich denkbar ist es, dass tarifliche Verpflichtungen die Umsetzung von Umstrukturierungsmaßnahmen verhindern können, wenn sie sich für den Unternehmer nicht mehr „rechnet“. Der Arbeitgeber kann sich zwar durch betriebsbedingte Kündigung von Arbeitnehmern, für die er aufgrund der Verlagerung keinen Bedarf mehr hat, lösen, ist diesen gegenüber aber durch die Regelung des Tarifsozialplans weiterhin zur Leistung verpflichtet. Im Vergleich zu einem tariflichen Ausschluss der ordentlichen Kündigung, bei der es dem Arbeitgeber im Sonderfall einer Betriebsschließung möglich ist, mittels außerordentlicher betriebsbedingter Kündigung ein unzumutbare Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu beenden, so dass die Berufsfreiheit des Arbeitgebers gewahrt bleibt,227 wird er durch einen tariflichen Sozialplan stärker in seiner unternehmerischen Freiheit beschränkt.228 Gegebenenfalls ist er über einen langen Zeitraum den Arbeitnehmern des alten Standorts verpflichtet, ohne dass er am neuen Betriebsstandort eine Verwendung für sie hätte. Daher verbietet sich der Schluss, von der Zulässigkeit eines tariflichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung auf die Zulässigkeit eines Tarifvertrags zu schließen, der die Kündigungsfristen verlängert und Abfindungen vorsieht,229 zumal für den Tarifsozialplan übersehen würde, dass auch die tarifliche Regelung von Qualifizierungsmaßnahmen zu beurteilen ist. Allein aus dem Umstand, dass eine ordentliche Unkündbarkeit im Tarifvertrag keinen Verstoß gegen die Berufsfreiheit des Arbeitgebers darstellt, darf nicht auf die Zulässigkeit einer Verlängerung von Kündigungsfristen, von Verpflichtung zu Qualifizierungsmaßnahmen und von Abfindungsregelungen exorbitanten Umfangs geschlossen werden. Nimmt man die Erwägungen des BAG230 zum tariflichen Ausschluss der ordentlichen Kündigung ernst, in denen darauf hingewiesen wird, dass der Arbeitgeber „prinzipiell“ die Möglichkeit haben müsse, sein Unternehmen aufzugeben, lässt sich mit der Konstruktion der „Orlando-Kündigung“ nicht der Überdruck eines exorbitanten Tarifsozialplans auf die unternehmerischen Freiheitsrechte des Ar226 Vgl. Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 483 f.; 489; 496 ff.; deutlich auf S. 526; Löwisch, DB 2005, 554 (558); dens., in: FS Richardi, S. 679 (682 f.); dens., in: FS 25 Jahre AG ArbR DAV, S. 941 (944 ff.); Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 210 ff., 389. 227 Vgl. Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49 (50 f.); Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 207 ff. m.w. N. 228 Cherdron, Sozialplanvereinbarung, S. 484; Nicolai, SAE 2004, 240 (243); Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 214; Rolfs/Clemens, DB 2003, 1678 f.; so im Ergebnis auch Rieble, ZfA 2004, 1 (23); ähnlich zumindest im Ansatz Krause, Standortsicherung, S. 79. 229 So jedoch Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49 (51). 230 BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, BAGE 88, 10 (15); BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 587/05, AP Nr. 201 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie.

C. Verstoß gegen höherrangiges Recht

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beitgebers ableiten, da er zwar kündigen kann, der Tarifsozialplan den Arbeitnehmer gegebenenfalls aber über Jahre Ansprüche zuweist und er somit doch gezwungen wäre, sinnentleerte Vertragsverhältnisse über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten. Dennoch ist für den ohne Streikdruck erzielten Firmentarifvertrag ein Grundrechtsverstoß im Ergebnis abzulehnen. Von Inhalt und Umfang des Tarifsozialplans geht keine „Überforderung“ der Arbeitgeberseite aus, die zur Unzulässigkeit des freiwillig vom Arbeitgeber vereinbarten Firmentarifsozialplans führen kann. Führt man sich das Ergebnis der Untersuchung bezüglich der verfassungsrechtlichen Grenzen tariflicher Standortzusagen in einem Firmentarifvertrag vor Augen, wird offensichtlich, dass Einwände gegenüber der inhaltlichen Rechtmäßigkeit von tariflichen Sozialplänen, sofern sie auf den Umfang der Regelungen abstellen, mit einer Lösung, welche auf den im Tarifvertragsabschluss enthaltenen Grundrechtsverzicht des Arbeitgebers abstellt, nicht geeignet sind, eine Begrenzung des Tarifsozialplanvolumens unter Rückgriff auf die Berufsfreiheit des Arbeitgebers für den Firmentarifvertrag zu rechtfertigen. Selbst wenn man auf die Höhe der Vereinbarung abstellen wollte und sie in ihrer Gesamtheit an der Berufsfreiheit der Arbeitgeber messen wollte, werden die Grenzen eines Grundrechtsverzichts nicht überschritten. Um Wiederholungen an dieser Stelle zu vermeiden, soll nur auf die wesentlichen Besonderheiten hingewiesen werden:231 Der Abschluss eines Firmentarifvertrags ist aus Sicht des am Vertragsschluss beteiligten Arbeitgebers als Ausübung grundrechtlicher Freiheiten anzusehen, so dass es am Eingriff in grundrechtlich geschützte Interessen fehlt, wenn dabei kein arbeitskampfrechtlicher Druck der Vertragsgegenseite auf ihn ausgeübt wurde. Nur in einem solchen Fall ist eine Grundrechtskollision überhaupt denkbar. Ansonsten wirken sich vom Firmentarifvertrag ausgehende Belastungen nicht wie staatliche Eingriffe in die Berufsfreiheit des Arbeitgebers aus, welche eine Auflösung der Grundrechtskollision und somit eine Grundrechtsabwägung notwendig machen würde. Grenzen ergeben sich aus der Dispositionsbefugnis, welche für jedes Grundrecht gesondert zu ermitteln sind. Für das „wirtschaftliche Grundrecht“ der Berufsfreiheit ist anzunehmen, dass selbst bei Vereinbarung eines exorbitanten Sozialplanvolumens dieser Vertragsschluss von der Dispositionsbefugnis des Arbeitgebers umfasst ist. Für die Ausübung der Berufsfreiheit durch den Unternehmer ist es geradezu unentbehrlich, in umfangreichem Maße bestimmte Gestaltungsoptionen aus der Hand zu geben, damit sich im Gegenzug neue Möglichkeiten unternehmerischen Gestaltens erst eröffnen.

231

Siehe hierzu ausführlich Kapitel 3 C. II. 2 u. 3.

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

Der Arbeitgeber hält somit die Möglichkeit der Abwägung in eigenen Händen und entscheidet autonom, ob er den Vorteil, die Umstrukturierungsmaßnahmen ohne Widerstände der zuständigen Belegschaft umsetzen zu können, nutzen will und damit in Kauf nimmt, dass das Einsparpotential, auf welches seine unternehmerische Entscheidung abzielt, geringer ausfallen kann. Selbst wenn die finanziellen Vorteile vollständig aufgezehrt, bzw. die Kosten für den Tarifsozialplan überwiegen, führt dies nicht zwangsläufig zur Rechtswidrigkeit, wenn der Tarifvertragsabschluss auf einem ohne Streikdruck erzielten Willensentschluss beruht.

III. Besonderheiten beim firmenbezogenen Verbandstarifvertrag Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Lösung auch für eine tarifliche Regelung auf Verbandsebene übertragen werden kann oder für den Fall einer Vereinbarung von Sozialplaninhalten im normativen Teil eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrags besondere verfassungsrechtliche Schranken gelten.232 1. Ausgangspunkt Nach herrschender Meinung sind Verbandstarifverträge mit Geltung für einen einzelnen Betrieb grundsätzlich zulässig.233 Zweifel aus dem älteren Schrifttum, die in manchen Fällen eine Unzulässigkeit wegen eines Verstoßes gegen Gleichbehandlungsgebote annehmen234 oder solche Regelungen als unzulässige Individualnormen bewerten235, konnten sich bisher nicht durchsetzen.236 Selbst wenn man einen Verstoß gegen Gleichbehandlungsgebote nicht grundsätzlich ablehnen 232 Eine Vereinbarung im schuldrechtlichen Teil ist generell unzulässig, siehe Kapitel 4 B. II. 233 Vgl. Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019 (1021); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band II, S. 455, 504; Hanau, Der Arbeitgeber 1970, 404 (406 f.); Henssler, ZfA 1998, 517 (537 f.); Jacobs, ZTR 2001, 249 (256); Matthes, in: FS Schaub, S. 477 (483 f.); Meyer, NZA 2004, 366 f.; Däubler-Peter, TVG, § 2 Rn. 148; Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 65; Reuter, NZA 2001, 1097 (1099 f.); Richter, Erstreikbarkeit, S. 86 ff.; Schleusener, NZA 1998, 239 (243 f.); Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 63 f.; dens., NZA 1997, 294 f.; Kempen/Zachert-Wendeling-Schröder, TVG, § 4 Rn. 407 ff.; dies., NZA 1998, 624 (626 ff.); Wiedemann-Oetker, TVG, § 2 Rn. 186 ff.; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, 17 (22 f). 234 Buchner, DB 1970, 2025 (2030 ff.); Heß, DB 1975, 548 (550 f.); ders., ZfA 1976, 45 (70 f.); Mayer-Maly, DB 1965, 32 f.; Richardi, Kollektivgewalt, S. 345 ff.; ders., JurA 1971, 141 (168 ff.); Staudinger-ders., BGB, Vorb. zu §§ 611 ff. Rn. 621. 235 Deeken, Betriebsnahe Tarifpolitik, S. 54 ff.; Lieb, DB 1999, 2058 (2064). 236 Vgl. die Aussagen von Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 504; Henssler, ZfA 1998, 517 (537 f.); Lieb, DB 1999, 2058 (2064); Lobinger, RdA 2006, 12 (20); ausführlich hierzu Gohritz, Arbeitskampf, S. 129 ff.; Richter, Erstreikbarkeit, S. 89 ff.; a. A. Sutschet, ZfA 2005, 581 (589 ff.).

C. Verstoß gegen höherrangiges Recht

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wollte, greifen diese Einwände im Fall der Standorttarifstreitigkeiten nicht. Die Einzigartigkeit der Situation eines betroffenen Unternehmens und die damit einhergehende fehlende Vergleichbarkeit mit den bestehenden Arbeitsbedingungen anderer Mitgliedsunternehmen rechtfertigt eine Sonderregelung in einem firmenbezogenen Verbandstarifvertrag und stellt somit keinen Gleichheitsverstoß dar.237 Dies spricht dafür, die Regelbarkeit von Sozialplaninhalten auch im firmenbezogenen Verbandstarifvertrag zuzulassen. Insoweit verwundert es nicht, dass von der überwiegenden Mehrzahl der Stellungnahmen aus dem Schrifttum und der Rechtsprechung zur Frage einer Vereinbarkeit von Soziaplaninhalten in firmenbezogenen Verbandstarifverträgen keine besonderen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit solcher Vereinbarungen angeführt werden.238 Vielfach wird hinsichtlich der Ergebnisse nicht zwischen diesen Regelungsinstrumenten unterschieden und firmenbezogene Verbands- und Firmentarifverträge gleich behandelt.239 Auch die Anhänger einer restriktiveren Sichtweise des Gestaltungsspielraums von Verbandstarifverträgen gehen zumindest für den Fall einer Zustimmung des Arbeitgebers von der Zulässigkeit einer firmenbezogenen Regelung auf Verbandsebene aus, da sie die Zustimmung neben dem Verbandsbeitritt als hinreichende Legitimationsgrundlage für den Tarifvertragsabschluss anerkennen.240 Eine Regelung im normativen Teil des Tarifvertrags wäre mit Zustimmung des Arbeitgebers demnach möglich. 237 Vgl. Buchner, DB 2001, Beil. 9, 1 (6); Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 89 ff.; dens., Anm. zu BAG v. 24.4.2007, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Sozialplan, Bl. 18; Henssler, ZfA 1998, 517 (538); Lieb, DB 1999, 2958 (2064); Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 62 f.; Oberberg/Schoof, AiB 2002, 169 (181 f.); Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 575. Deutlich Jacobs, ZTR 2001, 249 (256): „Praktisch sind sachliche Gründe für firmenbezogene Verbandstarifverträge stets vorhanden, namentlich wenn es um Betriebs(teil)stilllegungen oder Teilprivatisierungen geht.“ 238 Vgl. BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (995); LAG Hessen v. 2.6.2006 –9 Sa 915/05, LAGE Nr. 75 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 15; LAG Schleswig-Holstein v. 25.11.1999 – 4 Sa 584/99, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ArbG Frankfurt v. 15.3.2005 – 5 Ca 4542/04 (juris) unter Rn. 81 der Entscheidungsgründe; LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 8 f.; Bayreuther, NZA 2007, 1017 (1017 f.); Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 199; dens., Anm. zu BAG v. 24.4.2007, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Sozialplan, Bl. 17R f.; Gaul, RdA 2008, 13 (20 f.); Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1017 f.); Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 57 ff.; Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (592). Kritisch aufgrund von Zweifeln hinsichtlich der Legitimation des Verbandes: Höfling, ZfA 2008, 1 (12 ff.); Lobinger, RdA 2006, 12 (20 f.); ders., in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (58 f.); siehe zu diesem Einwand sogleich unter 3. 239 Vgl. Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 272 m.w.N; Fischinger, NZA 2007, 310 ff.; Paschke/Ritschel, AuR 2007, 110 ff.; siehe auch Däubler-Schiek, TVG, Einl. Rn. 246. 240 Vgl. aus dem jüngeren Schrifttum Gohritz, Arbeitskampf, S. 137; Lobinger, RdA 2006, 12 (20); Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (413); Saeidy-Nory/Schack, in: FS Adomeit, S. 673 (687 ff.); Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, 5. Aufl., S. 383. So früher schon Beuthien, BB 1975, 477 (481); Buchner, DB 1970, 2025 (2032); Heß, ZfA 1976, 45, (70f.); Richardi, Jura 1971, 141 (174).

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

Diesbezüglich ist allerdings Vorsicht geboten: Die im Rahmen der bisherigen Diskussion um die Zulässigkeitsgrenzen eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrags erarbeiteten Ergebnisse führen nicht zwangsläufig dazu, dass eine normative Regelung von Sozialplaninhalten in Verbandstarifverträgen mit Unternehmensbezug generell rechtmäßig ist und die Rechtslage für den Firmentarifvertrag auch für den firmenbezogenen Verbandstarifvertrag gelten muss. Die für eine restriktivere Eingrenzung des Gestaltungsspielraums bei solchen Tarifverträgen vorgetragenen Argumente, die vorwiegend auf den Minderheitenschutz im Verband abzielen,241 könnten bei der Verortung der inhaltlichen Grenzen einer Vereinbarung von Sozialplaninhalten auf Verbandsebene insoweit von Bedeutung sein, als dass es zu bedenken gilt, dass beim Abschluss eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrags der verlagerungswillige Arbeitgeber an den Verhandlungen nicht unmittelbar beteiligt ist. Die Gewerkschaft richtet ihre Tarifforderung nach sozialer Abmilderung der Standortentscheidung nicht an den einzelnen Arbeitgeber, sondern tritt an den zuständigen Arbeitgeberverband heran, um einen Verbandstarifvertrag mit Geltung für das Unternehmen abzuschließen. Dies bringt besondere Probleme mit sich und birgt Gefahren: Ist der Arbeitgeber beim Abschluss eines Firmentarifvertrags „Herr des Verfahrens“, unterliegt er beim firmenbezogenen Verbandstarifvertrag der Fremdbestimmung seines Verbands.242 Der Arbeitgeber könnte durch seine Verbandsmitgliedschaft zu tarifvertraglichen Leistungen verpflichtet werden, die sich nachhaltig auf die Ertragslage seines Unternehmens auswirken, so dass ein Konflikt zwischen Tarifautonomie und Berufsfreiheit bestehen könnte, selbst wenn die Gewerkschaft auf Streikmaßnahmen verzichtet.243 Versteht man als Grundrechtseingriff jedes Handeln, „das dem einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht, gleichgültig ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich (faktisch, informal) erfolgt“ 244, könnte eine Beeinträchtigung seiner Berufsfreiheit in Frage kommen. Beim Firmentarifvertrag besteht diese Konfliktlage aufgrund des Grundrechtsverzichts des Arbeitgebers gerade nicht.245 2. Praktische Bedeutung des Problems Im Fall des freiwilligen Tarifvertragsabschlusses ohne den Einsatz von Arbeitskampfmitteln kann man zunächst davon ausgehen, dass der Arbeitgeberverband einen firmenbezogenen Verbandstarifvertrag ohne Zustimmung des Verbandsmit241

Vgl. Rolfs/Clemens, DB 2003, 1678 (1678 f.). Bayreuther, NZA 2007, 1017. 243 Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 317. 244 BVerfG v. 16.12.1983 – 2 BvR 1160/83 u. a., BVerfGE 66, 39 (69); siehe auch Isensee, in: HdBStR, Band V, § 111 Rn. 63 m.w. N. 245 Siehe Kapitel 4 C. II. 242

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glieds nicht abschließen wird. Die Gefahr von Schadensersatzforderungen und drohenden Verbandsaustritten werden den Arbeitgeberverband dazu veranlassen, stets Rücksprache mit dem einzelnen Arbeitgeber zu halten und einen Tarifvertrag nicht gegen seinen Willen abzuschließen. Aus diesem Grund wird dem Problem der Zustimmungsbedürftigkeit, angesichts der bestehenden Tarifpraxis bei der Beurteilung der Grenzen tarifvertraglicher Freiheiten, oftmals keine besondere Bedeutung beigemessen.246 Dabei wird jedoch übersehen, dass sich das Problem zuspitzt, wenn Gewerkschaften Streikforderungen an den Verband richten, die auf den Abschluss eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrags abzielen, nachdem der einzelne Arbeitgeber Verhandlungen zum Abschluss eines Firmentarifvertrags abgelehnt hat und folglich auch dem Abschluss eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrag mit gleichem Inhalt ablehnend gegenübersteht.247 Gegen den ausdrücklichen Willen des Verbandsmitglieds soll durch Streikdruck eine Regelung im Verbandstarifvertrag angestrebt werden. Werden gleichzeitig Verhandlungen zum Abschluss eines Verbandstarifvertrags mit Geltung für alle Mitgliedsunternehmen geführt, wäre es denkbar, dass der Arbeitgeberverband einen solchen Tarifvertrag gegen den Willen des Verbandsmitglieds abschließt, um auf diesem Weg ein Entgegenkommen der Gewerkschaft – beispielsweise für parallel verlaufende Verhandlungen eines branchenbezogenen Verbandstarifvertrags – zu erreichen.248 Der einzelne Arbeitgeber würde „preisgegeben“, um Vergünstigungen für das Kollektiv zu erreichen. Für den betroffenen Arbeitgeber wäre dies eine höchst unliebsame Situation. Er wäre der Regelungsmacht seines Verbandes förmlich ausgeliefert. Allein aus diesem Grund erscheint eine Auseinandersetzung mit der Frage nach den Zulässigkeitsgrenzen eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrags notwendig. 3. These vom Legitimationsdefizit des Verbands Von grundsätzlicher Bedeutung wäre es daher, wenn firmenbezogene Verbandstarifverträge generell nicht ohne Zustimmung des Verbandsmitglieds wirksam vereinbart werden könnten. Für die Beurteilung der Reichweite der Arbeitskampffreiheit wäre es – angenommen man käme zu diesem Ergebnis – höchst

246 Vgl. Bayreuther, NZA 2007, 1017; Jacobs, ZTR 2001, 249 (256); Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1018). 247 So im Fall der Tarifkonflikte bei Heidelberger Druckmaschinen AG und der Yageo Europe GmbH, vgl. BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 f.; Höfling, ZfA 2008, 1 (13, Fn. 73); vgl. auch den Ablauf der Standorttarifstreitigkeit, welcher der Entscheidung des ArbG Lübeck v. 29.5.2001 – 6 Ga 21/01, AiB 2002, 122 (124), zugrunde lag. 248 Vgl. Höfling, ZfA 2008, 1 (14, Fn. 79); Meyer, NZA 2004, 366.

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zweifelhaft, ob diese Zustimmung unter Verhandlungsdruck erzwungen werden könnte. In jüngerer Zeit haben einige Stimmen aus dem Schrifttum die Zustimmungsbedürftigkeit als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung postuliert, ohne, wie noch im älteren Schrifttum, auf Gleichbehandlungsgebote abzustellen. Sie wollen dem Verband die Rechtsmacht zum Abschluss von firmenbezogenen Verbandstarifverträgen ohne Zustimmung des Arbeitgebers absprechen.249 Lobinger250 und Höfling251 verfolgen diesen Ansatz im Zusammenhang mit standortsichernden Tarifverträgen und sprechen sich gegen die Regelbarkeit von Sozialplaninhalten in firmenbezogenen Verbandstarifverträgen aus, wenn eine Zustimmung des Verbandsmitglieds zum Tarifvertragsabschluss nicht vorliegt. Dass sich die Mitglieder dem Verband durch den Verbandsbeitritt als „Schachfiguren in die Hand gegeben hätten, die im Gesamtinteresse gegebenenfalls auch geopfert werden können“, sei „eine abwegige und insbesondere auch in der Realität des Verbandslebens keine Entsprechung findende Vorstellung“ 252. Der Arbeitgeberverband würde seine Koalitionsfreiheit „geradezu dysfunktional ausüben“, wenn er einen firmenbezogenen Verbandstarifvertrag ohne Zustimmung des Verbandsmitglieds abschließe.253 Dieser Ansatz basiert auf dem Gedanken, einem Verstoß im Verhältnis zwischen Verband und Verbandsmitglied Außenwirkung im Außenverhältnis zwischen den vertragsschließenden Parteien beizumessen.254 Dagegen spricht zunächst, dass sich der Umfang des rechtlichen Dürfens im Verhältnis zwischen Verbandsmitglied und Verband aus der Satzung ergibt und ein Verstoß gegen Satzungsrecht des Verbandes nach herrschender Ansicht nicht zur Rechtswidrigkeit des Tarifvertrags führt. Bei einem Verstoß gegen Satzungsbestimmungen ist zwischen Innen- und Außenverhältnis zu unterscheiden; ein Verstoß gegen Satzungsbestimmungen schlägt nicht auf das Außenverhältnis durch.255 Der einzelne Arbeitgeber kann sich danach nicht auf die Unwirksamkeit der Tarifvereinbarung berufen, da das Außenverhältnis zwischen Arbeitge249 Vgl. nur Bayreuther, Tarifautonomie, S. 296 f.; Gohritz, Arbeitskampf, S. 137; Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (413); dies., DB 2003, 1678 (1679); Saeidy-Nory/ Schack, in: FS Adomeit, S. 673 (687 ff.); Sandmann, RdA 2002, 246 (249); Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht, 5. Aufl., S. 383; so im Ergebnis auch Henssler, ZfA 1998, 517 (537); a. A. Reuter, NZA 2001, 1097 (1100 in Fn. 47). 250 Lobinger, RdA 2006, 12 (20 f.). 251 Höfling, ZfA 2008, 1 (12 ff.). 252 Lobinger, RdA 2006, 12 (20). 253 Höfling, ZfA 2008, 1 (14). 254 Vgl. Lobinger, RdA 2006, 12 (20 f.); Höfling, ZfA 2008, 1 (14 f.). 255 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (992); BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, NZA 2003, 734 (737); ArbG Frankfurt v. 15.3.2005 – 5 Ca 4542/04 (juris) unter Rn. 81 der Entscheidungsgründe; Brecht-Heitzmann, NJW 2007, 3617 (3618); Buchner, DB 2001, Beil. 9, 1 (5); Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 66; Meyer, NZA 2004, 366 (367); ders., ZTR 2005, 394 (395 f.); Wiedemann-Oetker, TVG, § 2 Rn. 186; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 64; Wolter, RdA 2002, 218 (226).

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berverband und Gewerkschaft davon nicht berührt wird. Es wäre mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit verbunden, einem Satzungsverstoß eine solche Wirkung beizumessen, gerade wenn man bedenkt, dass dies der Vertragsgegenseite, also in diesem Fall der Gewerkschaft, unter Umständen nicht bekannt war oder bekannt sein musste.256 Aus diesem Grund erweist sich auch eine Satzungsklausel, welche die Zustimmungsbedürftigkeit vorschreibt, als untaugliches Mittel, führt sie doch nicht zur Unwirksamkeit des Tarifvertrags. Selbst wenn die Satzung des Arbeitgeberverbands ein solches Zustimmungsbedürfnis nicht vorschreibt, lässt sich gegen die Auffassung, dass dem Verband „prinzipiell“ 257 die Legitimation zum Abschluss solcher Verbandstarifverträge ohne Zustimmung des Verbandsmitglieds fehle und dieses rechtliche „Dürfen“ im Innenverhältnis auf das „Können“ im Außenverhältnis durchschlage, einwenden, dass man die Legitimation zum Abschluss firmenbezogener Verbandstarifverträge in der Verbandsmitgliedschaft selbst erblicken kann.258 Das Verbandsmitglied hat durch den Verbandsbeitritt zum Ausdruck gebracht, vom Verband ausgehandelte Vereinbarungen anerkennen und deren Regelungen im Betrieb anwenden zu wollen. Dies gilt nicht nur für vorteilhafte Tarifvertragsvereinbarungen, sondern kann eben auch bedeuten, an Tarifvertragsabschlüsse gebunden zu sein, die man bei Firmentarifvertragsverhandlungen so nicht akzeptiert hätte. Man schließt sich dem Verband an, um Verhandlungsmacht und Solidarität der Mitglieder in Anspruch zu nehmen, muss allerdings hinnehmen, dass man „besser“ verhandelt hätte, als es der Verband getan hat, solange dabei die Grenzen der Tarifautonomie nicht überschritten werden. Im Verbandsbeitritt kann gerade nicht der Ausdruck des Willens gesehen werden, zu denselben Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der sonstigen Verbandsmitglieder produzieren zu wollen.259 Dies würde bedeuten, dass dem Verband ausschließlich die Möglichkeit verbliebe, einheitliche Regelungen für alle Verbandsmitglieder zu vereinbaren. Stattdessen ist auch der Abschluss eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrags von Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt, da den Koalitionen bei der Festlegung des Geltungsbereichs eines Tarifvertrags ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht.260 Es wäre mit erheblichen Folgen verbunden, wenn die Rechtswirksamkeit eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrags generell 256 So wohl auch Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 453; kritisch dazu Lobinger, RdA 2006, 12 (21): „Vielmehr betrifft die Ausnahme einen streng konturierten Typus von Tarifvertrag, dem seine Fragwürdigkeit bereits „auf der Stirn geschrieben steht“ und dessen Unwirksamkeit deshalb auch für die Gewerkschaften alles andere als überraschend käme.“ 257 Höfling, ZfA 2008, 1 (14). 258 So auch Jacobs, ZTR 2001, 249 (256). 259 A.A. Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (413). 260 BAG v. 24.4.1985 – 4 AZR 457/83, NZA 1985, 602; BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 563/99, NZA 2001, 613 ff.; BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (992); Buchner, DB 2001, Beil. 9, 1 (5).

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

von der Zustimmung des einzelnen Verbandsmitglieds abhängig wäre.261 Eine generelle Zustimmungsbedürftigkeit für Tarifsozialpläne in Form einer firmenbezogenen Regelung auf Verbandsebene lässt sich daher unter Rückgriff auf die Reichweite der Verbandslegitimation nicht begründen. Auch ohne Zustimmung des Arbeitgebers kann der Verband firmenbezogene Verbandstarifverträge wirksam vereinbaren, sofern diese von der Koalitionsfreiheit umfasst sind, der tariflichen Regelungsbefugnis unterliegen und mit höherrangigem Recht vereinbar sind. 4. Zustimmung des Arbeitgebers als Grundrechtsverzicht? Ein Zustimmungsvorbehalt für bestimmte Tarifklauseln könnte sich in diesem Fall jedoch aus grundrechtlichen Wertungen ergeben. Wäre in der Zustimmung des Arbeitgebers zum Verbandstarifvertrag die Erklärung eines Grundrechtsverzichts zu sehen, so dass wie beim Firmentarifvertrag kein Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit mehr in Frage kommen kann, könnte dies im Umkehrschluss bedeuten, dass möglicherweise eine Grundrechtskollision gegeben wäre, wenn der Arbeitgeber seine Zustimmung verweigert und somit die Grenzen des tariflich Regelbaren, im Unterschied zur Rechtslage beim Firmentarifvertrag, anhand einer Abwägung der kollidierenden Grundrechte zu ermitteln wären. Dies könnte somit die Möglichkeit eröffnen, eine inhaltliche Höchstgrenze des tarifvertraglich Regelbaren festzulegen, so dass ein firmenbezogener Verbandstarifvertrag mit Sozialplaninhalten gegebenenfalls nur bei Vorliegen einer Zustimmung des Arbeitgebers verfassungskonform wäre, wenn diese Grenze überschritten wird. Die Ergebnisse für den Firmentarifvertrag könnten wiederum bedenkenlos übertragen werden, wenn der Arbeitgeber seine Zustimmung zum Tarifvertragsschluss auf Verbandsebene erklärt hat. Fischinger262 wertet die Zustimmungserklärung des Arbeitgebers als Grundrechtsverzicht und sieht daher keinen Grund bei der Beurteilung der tariflichen Regelbarkeit von Tarifsozialplänen zwischen Firmen- und Verbandstarifvertrag zu unterscheiden, wenn der Arbeitgeber als Adressat der Regelungen seine Zustimmung zum Tarifvertragsschluss erklärt habe. Die Situation sei aus grundrechtsdogmatischer Sicht mit dem Firmentarifvertrag vergleichbar, da der Grundrechtsberechtigte selbst und nicht bloß der Verband durch den Vertragsschluss in vom Tarifvertrag ausgehende zukünftige Beeinträchtigungen von unternehmerischen Freiheitsrechten einwillige. Ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG sei somit nicht möglich, da der in der Zustimmung zu erblickende Grundrechtsverzicht bezüglich der Beschränkung der unternehmerischen Freiheitsrechte rechtfertigende Wirkung entfalte. Es seien keine Gründe ersichtlich, die vorliegende Situation 261 262

Vgl. Dunker, Tarifverträge, S. 353. Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 199.

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des Vertragsschlusses mit Zustimmung des Arbeitgebers anders als den Vertragsschluss beim Firmentarifvertrag zu beurteilen. Eine Grundrechtsabwägung wäre obsolet. Wie für den Fall einer fehlenden Zustimmung zu verfahren ist, bleibt offen. Gegenüber dieser Lösung, den Verbandstarifvertragsparteien im Fall einer Zustimmung einen weiten Gestaltungsspielraum zu eröffnen, bestehen jedoch erhebliche Zweifel. Zunächst wäre zu fordern, dass der einzelne Arbeitgeber den genauen Inhalt des Tarifvertrags kennt, wenn er seine Zustimmung erklärt. Würden nachträglich Änderungen an einzelnen Klauseln vorgenommen, welche die Berufsfreiheit des Arbeitgebers berühren, könnte eine Zustimmungserklärung keinesfalls eine rechtfertigende Wirkung entfalten. Nun ließe sich einwenden, dass es denkbar und durchaus praktikabel wäre, das Verbandsmitglied an den Verhandlungen zu beteiligen und einen solchen Tarifvertrag nicht ohne Zustimmung abzuschließen, so dass zumindest für diesen Fall eine vergleichbare Situation zum Vertragsschluss beim Firmentarifverträge vorläge. Dabei würde man allerdings übersehen, dass den Tarifvertragsparteien beim Abschluss eines Firmentarifvertrags mit standortsichernden Inhalten nur deswegen ein weiter Gestaltungsspielraum einzuräumen ist, weil es dem einzelnen Arbeitgeber innerhalb gewisser Grenzen möglich ist, sich den Wirkungen des Tarifvertrags wieder zu entziehen.263 Anders stellt sich dies für den Verbandstarifvertrag dar: Das Kündigungsrecht liegt auch bei einer firmenbezogenen Regelung beim Verband und kann nach bestehender Rechtslage nicht vom Verbandsmitglied ausgeübt werden.264 Ein Verbandsaustritt führt zwar dazu, dass zukünftiges Tarifrecht keine Wirkungen entfaltet, die Nachwirkung des Tarifvertrags gemäß §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG bindet den einzelnen Arbeitgeber jedoch auch im Falle eines Austritts an die ursprüngliche Vereinbarung. Auch die Möglichkeit, dem einzelnen Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung seiner Mitgliedschaft einzuräumen, hilft darüber nicht hinweg.265 Nur für den Fall einer schuldrechtlichen Regelung entfällt diese Bindungswirkung gemäß §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG.266 Zwar mag die Möglichkeit bestehen, auf den Verband einzuwirken, damit dieser gegenüber der Gewerkschaft den firmenbezogenen Tarifvertrag (außerordentlich) kündigt. Eine rechtliche Handhabe, sich von den Wirkungen des Tarifvertrags zu lösen, falls sich der Verband dieser Forderung verweigert, besteht jedoch nicht. Folglich be263

Siehe Kapitel 3 C. II. 2. u. 3. Vgl. Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 122; Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49 (52); HWK-Henssler, TVG, § 1 Rn. 27; Oetker, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 6 Rn. 37; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 709; Wiedemann-Wank, TVG, § 4 Rn. 33; Wiedemann, in: FS Dieterich, S. 661 (678); a. A. Löwisch, NJW 1997, 905 (908); Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 533. 265 Vgl. Oetker, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 6 Rn. 37 m.w. N. 266 Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 598. 264

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

steht für das Verbandsmitglied keine Möglichkeit, sich der Wirkung einer normativen Regelung von Sozialplaninhalten in einem firmenbezogenen Verbandstarifvertrag zu entziehen, selbst wenn sich die unternehmensbezogene Regelung im Nachhinein als unangemessene Beeinträchtigung unternehmerischer Betätigungsfreiheit darstellt. Allein aus diesem Grund kann die Zustimmung des Arbeitgebers nicht als wirksamer Grundrechtsverzicht gewertet werden, da dies voraussetzen würde, dass dem Grundrechtsberechtigten, welcher in Beschränkungen seiner Rechte einwilligt, eine Widerrufsmöglichkeit der Erklärung zur Seite steht. All dies legt die Notwendigkeit einer Grundrechtsabwägung nahe. 5. Lehre vom Verbandsbeitritt als Grundrechtsverzicht Denkbar wäre es weiterhin, zur Rechfertigung der Grundrechtsbeeinträchtigung nicht auf die Zustimmung, sondern auf den Verbandsbeitritt des Arbeitgebers abzustellen. Durch den Beitritt zum Arbeitgeberverband könnte der einzelne Arbeitgeber seinen Willen zum Ausdruck gebracht haben, Belastungen durch verbandstarifliche Regelung eines Tarifsozialplans auch bei einer umfangreicheren Regelung hinzunehmen, was man als Grundrechtsverzicht qualifizieren könnte. Eines Rückgriffs auf die Zustimmungserklärung bedürfte es demnach nicht mehr. Unabhängig vom Vorliegen einer solchen Erklärung wäre kein Eingriff in die Berufsfreiheit des Arbeitgebers als Verbandsmitglied denkbar, so dass der Gestaltungsspielraum für firmenbezogene Verbands- und Firmentarifverträge identisch wäre. Dieterich267 verfolgt diesen Ansatz und nimmt an, dass sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch den Verbandsbeitritt bestehendem und zukünftigem Tarifrecht unterwerfen würden und so ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die Grundrechte der Tarifgebundenen nur möglich sei, wenn der Bereich der „traditionellen“ Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen verlassen sei. Die Verbandsmitglieder hätten durch den Beitrittsakt bereits ihre Berufsfreiheit wahrgenommen, so dass eine Grundrechtskollision nicht in Frage käme. Art. 12 Abs. 1 GG werde durch das speziellere Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG verdrängt.268 Eine Abwägung der Grundrechtsinteressen sei daher entbehrlich. Entscheidend wäre vielmehr ausschließlich, ob die Tarifvertragsparteien beim Verbandstarifvertrag regelungszuständig und -befugt sind. Zu Einschränkungen gelangen die Vertreter dieser These, indem sie annehmen, dass der Beitritt nicht so extensiv interpretiert werden dürfe, dass das Verbandsmitglied in sämtliche noch unbekannte Beschränkungen von Freiheits- und Gleichheitsrechten eingewilligt habe. Dies sei von der Intensität der Beschränkung im Einzelfall abhängig. „Unerträgliche“ Beschrän267 Dieterich, in: FS Schaub, S. 117 (125 ff.); ErfK-ders., GG, Einl. Rn. 67; siehe auch dens., in: FS Wiedemann, S. 229 (241 ff.); dens., RdA 2001, 112 ff. 268 Dieterich, RdA 2002, 1 (10); Wolter, RdA 2002, 218 (220).

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kungen des Persönlichkeitsrechts und der hier bedeutsamen unternehmerischen Freiheit würden ebenso wie Diskriminierungen nicht in Kauf genommen.269 Dieser Ansatz, den Verbandsbeitritt als Grundrechtsverzicht zu werten, hat Zustimmung in Rechtsprechung und Schrifttum erfahren.270 Folgt man der Lehre von der mitgliedschaftlichen Legitimation der tariflichen Normsetzung und befürwortet eine mittelbare Grundrechtsbindung im Tarifrecht aus der Schutzpflichtfunktion der Grundrechte heraus, liegt es nahe, dem Verbandsbeitritt die Wirkung eines Grundrechtsverzichts beizumessen und so zu einer „eingeschränkten“ Grundrechtskontrolle zu gelangen. Im Folgenden soll es nicht darum gehen, die Frage nach der Legitimation der Normsetzung zu behandeln.271 Vielmehr soll ausschließlich das Problem des Grundrechtsverzichts durch Verbandsbeitritt isoliert betrachtet werden. Diese Interpretation des Verbandsbeitritts als Grundrechtsverzicht vermag zwar auf den ersten Blick eine praktikable Lösung für die Rechtfertigung von Grundrechtsbeeinträchtigungen durch Verbandstarifverträge bieten, kann man sich dadurch doch im Einzelfall schwierige Grundrechtsabwägungen „ersparen“, indem man die Interessen einzelner einer Wahrnehmung von Kollektivinteressen unterordnet. Dennoch weist dieser Ansatz erhebliche Schwächen auf und vermag daher nicht zu überzeugen. Gegen ihn lässt sich einwenden, dass der Arbeitgeber durch den Verbandsbeitritt zwar seine individuelle Koalitions- und Berufsfreiheit ausübt272, es jedoch als „reine Fiktion“273 anzusehen ist, diesen Beitrittsakt als pauschalen Grundrechtsverzicht zu deuten, welcher es dem Verbandsmitglied verwehren würde, gegen unverhältnismäßige Beschränkungen vorgehen zu können.274 Dies 269

ErfK-Dieterich, GG, Einl. Rn. 67. Vgl. zur Frage des Grundrechtsverzichts durch Verbandsbeitritt BAG v. 25.2.1998 – 7 AZR 641/96, BAGE 88, 118 ff.; BAG v. 11.3.1998 – 7 AZR 700/96, BAGE 88, 162; Benedikt, Sanierung, S. 230; Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 70; wohl auch Söllner, NZA 1996, 897, (902); Jarass, NZA 1990, 505 (510), hält die Möglichkeit eines Grundrechtsverzichts durch Verbandsbeitritt ebenfalls nicht grundsätzlich für ausgeschlossen, zweifelt jedoch in vielen Fällen an der Freiwilligkeit dieses Rechtsakts. Bei der Beurteilung von Standorttarifstreitigkeiten auf diesen Ansatz abstellend ArbG Frankfurt v. 15.3.2005 – 5 Ca 4542/04 (juris) unter Rn. 81 der Entscheidungsgründe; Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1021); Wolter, RdA 2002, 218 (220); Zachert, DB 2001, 1198 (1200). 271 Gegen diese Lehre der mitgliedschaftlichen Legitimation der tariflichen Normsetzungsmacht spricht bereits, dass eine solche Legitimation durch „Unterwerfung“ die Besonderheiten der tarifvertraglichen Rechtsetzung nicht überzeugend erfasst, siehe statt vieler Waltermann, in: FS 50 Jahre BAG, S. 913 (921 ff.); dens., ZfA 2000, 53 (66 ff.); zur Gegenansicht siehe den Überblick bei Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 42 ff. 272 Walker, ZfA 2004, 501 (533); Wolter, RdA 2002, 218 (220). 273 Fastrich, in: FS Richardi, S. 127 (130 f.); ähnlich Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 565: „juristische Romantik“. 274 So im Ergebnis auch Blomeyer, ZfA 1980, 1 (22); Boecken, RdA 2000, 7 (10); Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 179 ff.; Däubler, Mitbestimmung, S. 218 f.; 270

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käme einem dauerhaften Verzicht gleich, der in Unkenntnis des Umfangs zukünftiger Belastungen erklärt wird, dessen Zulässigkeit höchst zweifelhaft ist.275 Im Gegensatz zum Firmentarifvertrag, bei welchem der Arbeitgeber „punktuell“ einen Grundrechtsverzicht in Kenntnis der Belastungswirkung des Tarifvertrags erklärt, kann er beim Verbandsbeitritt im Voraus den Umfang einer Belastung durch tarifvertragliche Regelungen nicht überblicken. Im Gegensatz zum Firmentarifvertrag liegt zudem das Kündigungsrecht beim Verband, der Arbeitgeber kann sich der Nachwirkung des Tarifvertrags auch durch einen Verbandaustritt nicht entziehen.276 Besonders deutlich werden diese Schwächen der These vom Grundrechtsverzicht durch Verbandsbeitritt zudem für im Grunde gleich gelagerte Fälle eines Beitritts von Arbeitnehmern zu einer Gewerkschaft und den Folgen einer einschneidenden Regelung im Tarifvertrag. Bei einer Altersgrenzenregelung käme alleine dem Verbandsbeitritt rechtfertigende Wirkung zu, wenn man ihn als Grundrechtsverzicht deutet und so Belastungseinwirkungen bis zur Grenze des „Unerträglichen“ zulassen will. Dieterich277 äußert daher keine Bedenken gegenüber Altersgrenzenregelungen in Tarifverträgen, obgleich er eine Begründung schuldig bleibt, warum diese „Unerträglichkeitsgrenze“ in diesem Fall gerade nicht einschlägig sein soll. Gegen diese Konstruktion lässt sich zudem einwenden, dass einer solchen zukünftigen Belastung wohl kaum ein Arbeitnehmer mit dem Beitritt zur Gewerkschaft zustimmen wollen würde und man dieser Erklärung nicht einen solch weit reichenden Gehalt beimessen kann.278 Man kann nicht davon ausgehen, dass sich der Beitretende seiner Berufsfreiheit so vollumfänglich entäußern und die Dispositionsbefugnis bis hin zu einer „extremen“ Belastungsgrenze auf den Verband übertragen will. Entscheidend für die Prüfung eines Verfassungsverstoßes durch Tarifvertrag sind somit die Verhältnismäßigkeit der Regelung und eine Abwägung der kollidierenden Grundrechtsinteressen.279 Zu Recht weist daher auch Fastrich280 darauf hin, dass für die Lehre vom Grundrechtsverzicht durch Verbandsbeitritt kein Hromadka, DB 2003, 42 (44); Krüger, Gutachten für den 46. DJT, S. 7 (81); Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 146 f.; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 247; Walker, ZfA 2004, 501 (533); Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 195. 275 Vgl. Fastrich, in: FS Richardi, S. 127 (131); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 154; Stern, Staatsrecht, Band III/2, S. 915; Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 195. 276 Siehe bereits soeben unter 4. 277 Dieterich, in: FS Schaub, S. 117 (128). 278 Vgl. auch das Beispiel von Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 239, die annehmen, dass unter Zugrundelegung der These einer Belastungseinwilligung durch Verbandsbeitritt auch eine nachträgliche Altersgrenze von etwa 40 Jahren im Sanierungstarifvertrag allein durch die Mitgliedschaft im Verband legitimiert sein könnte. 279 Vgl. Waltermann, Berufsfreiheit, S. 122 ff. 280 Fastrich, in: FS Richardi, S. 127 (131).

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Bedürfnis besteht. Ihre Ablehnung bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass zwangsläufig jede Beschränkung von Freiheitsrechten in einem Verbandstarifvertrag verfassungswidrig wäre. Maßgeblich für die Bestimmung der Zulässigkeitsgrenzen von Verbandstarifverträgen ist also stets eine Gewichtung der kollidierenden Grundrechtsinteressen, um so der Bedeutung der Grundrechte der Tarifgebundenen Rechnung zu tragen. Der Verbandsbeitritt kann nicht als Grundrechtsverzicht gedeutet werden, der zur Rechtfertigung einer Grundrechtsverletzung durch verbandstarifliche Regelungen führen könnte. Eine Beeinträchtigung von durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Interessen des Arbeitgebers durch eine normative Regelung von Sozialplaninhalten in einem firmenbezogenen Verbandstarifvertrag mit umfangreichen Verpflichtungen des Arbeitgebers lässt sich auch nicht mit dem Hinweis auf den Verbandsbeitritt des Arbeitgebers rechtfertigen. Die Frage, wann bei einer Vereinbarung von Soziaplaninhalten die Grenze zum „Unerträglichen“ überschritten ist, stellt sich also nicht. 6. Höchstgrenzen des Tarifsozialplans Ein möglicher Grundrechtsverstoß ist im Abschluss eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrags somit, unabhängig davon, ob eine Zustimmung des einzelnen Arbeitgebers vorliegt oder nicht, mittels einer Abwägung der kollidierenden Grundrechtspositionen zu bestimmen. Wird man den Abschluss eines solchen Tarifvertrags nicht als Verstoß gegen die individuelle Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers ansehen können,281 gilt es nun, einen möglichen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG zu untersuchen. Dabei soll in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellt werden, ob sich abweichend zur Rechtslage beim Firmentarifvertrag eine Höchstgrenze des inhaltlichen Umfangs eines Tarifsozialplans ermitteln lässt, wenn der Verband einen Sozialplantarifvertrag abschließt, welcher die Standortentscheidungen mit erheblichen Folgekosten belastet. a) Bisherige Ansätze Wird im Schrifttum eine Höchstgrenze der hier zu beurteilenden Tarifklauseln bei einer ohne Streikdruck erzielten Lösung überhaupt Betracht gezogen, wird diese höchst unterschiedlich bestimmt: Einige Autoren wollen – ähnlich der Argumentation bei der Frage nach der Erstreikbarkeit von Standortzusagen282 – auf die Wertungen der §§ 111 ff. BetrVG zurückgreifen, um die Tarifautonomie von der Berufsfreiheit der Arbeitgeber abzugrenzen und Klauseln in tariflichen So281 Vgl. Richter, Erstreikbarkeit, S. 86 f.; Brox/Rüthers-Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137. 282 Siehe Kapitel 3 C. III. 3. b).

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zialplanvereinbarungen, welche diese Grenzen nicht respektieren, als unzulässig ansehen.283 Maßgeblich sei, „inwieweit die Regelung des Tarifsozialplans gerade noch nicht in die Verhinderung der unternehmerischen Entscheidung umschlage“ 284. Den §§ 111 ff. BetrVG wird der Grundgedanke entnommen, dass die unternehmerische Entscheidung als solche unantastbar sei und eine Regelung, welche ihre Umsetzung gefährde, zu einem Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG führe. Reinartz285 stellt darauf ab, ob die Regelungen geeignet seien, die Unternehmerentscheidung erheblich zu verzögern, einzuschränken oder zu verhindern, so dass der Kernbereich der Unternehmensautonomie berührt sei. Er greift somit zwar nicht unmittelbar auf die Wertungen der §§ 111 ff. BetrVG zurück, gelangt aber zu ähnlichen Ergebnissen. Nicolai286 will die Rechtsprechung zu Kündigungsbeschränkungen vergleichend heranziehen und beurteilt eine Verlängerung der Kündigungsfristen, wie sie im vom LAG Schleswig-Holstein287 zu entscheidenden Fall als Streikforderung erhoben wurde, als verfassungsrechtlich nicht haltbar, wäre sie tarifiert worden. Laut Cherdron288 sollen die Größe des Unternehmens und die wirtschaftliche Verkraftbarkeit für die Bewertung des zulässigen Umfangs von Kündigungsfristenverlängerungen in Tarifverträgen entscheidend sein. Auch Abfindungen und Qualifizierungsmaßnahmen dürften nicht in jeglicher Höhe vereinbart werden, da dies eine unzumutbare Belastung des Unternehmers darstellen könne. Bei einer Regelung von Qualifizierungsmaßnahmen sei die Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer in besonderem Maße zu berücksichtigen.289 Rieble290 merkt an, dass die Verlängerung von Kündigungsfristen „irgendwo zwischen ein und zwei Jahren“ in eine „Quasi-Unkündbarkeit“ umschlage. Rolfs/Clemens291 nehmen an, dass eine unzulässige Verhinderung von Unternehmerentscheidungen durch eine tarifliche Verlängerung der Kündigungsfristen gegeben sei, wenn diese die gesetzlichen Fristen bei neu eingestellten Arbeitnehmern um den Faktor 3 und bei einer Beschäftigungsdauer von mehr als zwei Jahren um den Faktor 4,5 bis 7 verlängern. 283 Vgl. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 278 ff.; Buchner, DB 2001, Beil. 9, 1 (11); Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 248 ff.; Löwisch, DB 2005, 554 (558); dens., in: FS Richardi, S. 679 (682 f.); dens., in: FS 25 Jahre AG ArbR DAV, S. 941 (944 ff.). 284 So Löwisch, zitiert in: Rein/Wilcke, NZA 2008, 1399 (1400). 285 Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 210 ff., 389. 286 Nicolai, SAE 2004, 240 (243 f.) – obgleich zu beachten gilt, dass sie die Frage der Rechtmäßigkeit einer Tarifforderung behandelt, jedoch in diesem Zusammenhang auf die verfassungsrechtlichen Rechtmäßigkeitsgrenzen einer Tarifnorm eingeht. Ähnlich Rolfs/Clemens, DB 2003, 1678 (1680 f.). 287 LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 288 Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 483 f., 489, 496 ff., deutlich auf S. 526. 289 Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 524. 290 Rieble, ZfA 2004, 1 (23). 291 Rolfs/Clemens, DB 2003, 1678 (1681), die zwar auf die Möglichkeit eines Grundrechtsverzichts hinweisen, der hier jedoch ausscheidet, siehe Kapitel 4 C. III. 4. u. 5.

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All diese Ansätze sind nicht zu verwechseln mit Stellungnahmen und Aussagen, die sich nicht auf die Beurteilung von Tarifverträgen, sondern ausdrücklich nur auf die Begrenzung der Höhe von Streikforderungen nach Abschluss von Tarifsozialplänen beziehen.292 Ferner ist zu bedenken, dass sich diese Aussagen zum Teil nicht auf den firmenbezogenen Verbandstarifvertrag beschränken oder ausdrücklich für diesen entwickelt wurden, sondern zumeist ebenso für eine Vereinbarung von Firmentarifverträgen gelten sollen293 oder ausdrücklich für diesen entwickelt wurden294.Gleiches gilt für die Rechtsprechung. Zudem ist festzustellen, dass sich eindeutige Aussagen darüber, was in freiwilligen tariflichen Sozialplänen zulässigerweise vereinbart werden kann, kaum finden lassen. Die Rechtsprechung zum Streik um den Tarifsozialplan lässt sich nur eingeschränkt heranziehen, ging es in diesen Fällen doch nicht um die Zulässigkeitsgrenzen tarifvertraglicher Vereinbarungen, sondern um die davon zu unterscheidende Frage nach einer Beurteilung von Streikforderungen – zumal die Forderungen nicht immer nur auf den Abschluss von Firmentarifverträgen gerichtet waren und die Gerichte zumeist mit Hinweis auf das Verbot der Tarifzensur eine „vorbeugende“ Kontrolle abgelehnt haben.295 Das LAG Schleswig-Holstein296 spricht sich dagegen für eine Evidenzkontrolle der Streikforderungen nach Tarifsozialplänen aus. Auch wenn eine Streikforderung zu beurteilen war, kann man das Gericht so interpretieren, dass einer tariflichen Sozialplanregelung trotz exorbitanten Forderungsumfangs nicht die Zulässigkeit verwehrt werden könne.297 Das LAG Hamm298 nimmt an, dass dem Unternehmer ein angemessener Spielraum zur Entfaltung der Unternehmensinitiative verbleiben müsse und er somit ohne Streikdruck entscheiden dürfe, ob er an einem bestimmten Standort tätig sein wolle oder nicht.299 Überträgt man diese Aussagen auf die vorliegende Konstellation, spricht vieles dafür, dass das Gericht freiwilligen Tarifsozialplänen kaum Bedenken entgegengebracht hätte, wenn durch den Forderungsumfang die 292

Siehe hierzu Kapitel 5 A. II. 2. Vgl. etwa Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 270 ff. m.w. N.; anders dagegen Buchner, DB 2001, Beil. 9, 1 (10 f.). 294 So etwa Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 210 ff. 295 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (996 f.); LAG Niedersachsen v. 2.6.2004 – 7 Sa 819/04, AP Nr. 164 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4. 296 LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4 ff. 297 So auch die Einschätzung von Nicolai, SAE 2004, 240 (243 f.). Ähnlich die Vorgehensweise in der Entscheidung des LAG Hessen v. 2.2.2006 – 9 Sa 915/05, LAGE Nr. 75 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 20, das ebenfalls zur Zulässigkeit freiwilliger Tarifsozialpläne gelangen müsste. 298 LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 3R. 299 Das Gericht ermittelte als Streikforderung die Verhinderung der Standortverlagerung, siehe LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4. 293

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unternehmerische Handlungsfreiheit nicht unangemessen beschränkt würde. Für die Vereinbarung von exorbitanten Sozialplanvolumina kann man die Aussagen des Gerichts jedoch durchaus so deuten, dass diese als unzulässig beurteilt worden wäre. Das BAG300 hat zwar in seinem Urteil vom 6.12.2007, welchem ein freiwilliger Abschluss eines tariflichen Sozialplans zugrunde lag, der zu einer Verbesserung der Ausgleichsleistungen im Vergleich zum vom Personalrat ausgehandelten Sozialplan führte, entschieden, dass ein „freiwilliger“ Tarifsozialplan zulässig sei. Auf mögliche „Höchst-Grenzen“ musste das Gericht jedoch nicht eingehen. Der Entscheidung lässt sich jedoch entnehmen, dass die Schranken, „welchen die Betriebsparteien bei ihrer gesetzlich vorgegebenen Regelungsaufgabe im Rahmen des § 112 BetrVG unterliegen, die Rechtssetzungsmacht der Tarifvertragsparteien“ nicht begrenzen.301 b) Verhältnismäßigkeitskontrolle von Tarifnormen Gegen diese Versuche, eine Höchstgrenze des Sozialplanvolumens in firmenbezogenen Verbandstarifverträgen zu formulieren, könnte bereits sprechen, dass Tarifnormen keiner strengen Übermaßkontrolle unterworfen sein könnten, wie dies zum Teil in Folge der „neuen Lehre“ der Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie und der daraus gefolgerten mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte befürwortet wird, da eine Modifizierung des Maßstabs der Grundrechtskontrolle im Vergleich zur früher herrschenden unmittelbaren Bindung der Tarifnormsetzung geboten erscheine.302 Während eine unmittelbare Grundrechtsbindung bei der Vereinbarung von Tarifnormen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nach sich ziehe, sei die gerichtliche Kontrolle von Verstößen gegen Freiheitsgrundrechte bei der Befürwortung einer mittelbaren Bindung auf die Einhaltung des Untermaßverbots beschränkt. Demnach käme man nach der „Schutzpflichtenkonzeption“ zu einer weniger strengen Grundrechtsprüfung für Freiheitsrechte, während man bei Gleichheitsrechten einen strengeren Maßstab anlegen müsse.303 Das BAG304 lässt in einigen Urteilen ebenfalls erkennen, die Kontrolldichte einer Grundrechtskontrolle von Tarifverträgen einschränken zu wollen.

300

BAG v. 6.12.2007 – 4 AZR 798/05, DB 2007, 1362 (1364). BAG v. 6.12.2007 – 4 AZR 798/05, DB 2007, 1362 (1364). 302 Siehe stellvertretend Burkiczak, RdA 2007, 17 ff.; ErfK-Dieterich, GG, Einl. Rn. 50; dens., RdA 1995, 129 (134); dens., in: FS Schaub, S. 117 (122 ff.); Eich, in: FS Goos, S. 199 (208 f.); Krause, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 1 Rn. 40 m.w. N.; Kühling, AuR 1994, 126 (127 f.); Linsenmaier, RdA 2008, 1 (8); Wolter, RdA 2002, 218 (223). 303 ErfK-Dieterich, GG, Einl. Rn. 57; Krause, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 1 Rn. 40. 304 Vgl. BAG v. 25.2.1998 – 7 AZR 641/96, BAGE 88, 118 (123 f.); BAG v. 11.3. 1998 – 7 AZR 700/96, BAGE 88, 162 (168 f.). 301

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Gegen eine solche weitreichende Einschränkung der Grundrechtskontrolle lassen sich allerdings gewichtige Argumente anführen. Der Staat hat seine Regelungsmacht im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen weit zurückgenommen und die Gestaltung den Koalitionen überlassen.305 Dies darf allerdings nicht dazu verleiten, belastende tarifvertragliche Regelungen einer weniger strengen Grundrechtskontrolle zu unterziehen, als dies bei einer staatlichen Regelung der Fall wäre. Im Verwaltungsrecht ist es anerkannt, dass eine Maßnahme, die von einem Privaten, dem sich der Staat zur Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben bedient, einer Grundrechtskontrolle zu unterziehen ist, wie dies der Fall wäre, wenn der Staat die Maßnahme selbst durchgeführt hätte.306 Zwar ist einzugestehen, dass der hier zugrunde liegende Sachverhalt ein anderer ist. Tarifliche Regelungsmacht wird man nicht als Gesetzgebung i. S. v. Art. 1 Abs. 1 GG ansehen können.307 Beliehene üben dagegen öffentliche Gewalt im Sinne dieser Vorschrift aus. Dennoch offenbart dieser Vergleich einen entscheidenden Hinweis für die Notwendigkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung von Tarifnormen. Aus Sicht der tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer können sich tarifvertragliche Normen wie eine staatliche Regelung des Gesetzgebers auswirken. Die Adressaten eines Tarifvertrags können sich seinen Wirkungen nicht so einfach entziehen und die Gestaltung beeinflussen wie dies etwa beim privatrechtlichen Vertragsschluss der Fall ist. Zudem steht den Tarifvertragsparteien das Druckmittel des Arbeitskampfes bei der Durchsetzung tariflicher Forderungen zur Seite. Die Koalitionsbetätigungsfreiheit sieht also nicht nur Legislativ-, sondern auch Exekutivkompetenzen vor. Der Privatautonomie ist ein solches Druckmittel gänzlich fremd. Diese Vorgehensweise wird durch § 123 BGB gerade sanktioniert. Dies verdeutlicht die grundlegenden Unterschiede zwischen Privat- und Tarifautonomie. Selbst wenn man die tarifvertragliche Normsetzung als privatrechtlich legitimiert ansehen wollte und als „kollektiv ausgeübte Privatautonomie“ betrachtet, ist eine geringere Kontrollintensität einer Grundrechtsprüfung tariflicher Rechtsnomen als bei staatlichen Gesetzen nicht angezeigt. Die These, dass die Tarifvertragsparteien nicht stärker an die Grundrechte gebunden sein sollen als Private bei der Vereinbarung schuldrechtlicher Verträge, wird den Besonderheiten der Tarifautonomie nicht gerecht.308

305

BVerfG v. 24.5.1977 – 2 BvL 11/74, BVerfGE 44, 322 (340). Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 183. 307 Vgl. Waltermann, RdA 1990, 138 (141). Anders früher noch BAG v. 15.1.1955 – 1 AZR 305/54, BAGE 1, 258 (262 ff.); BAG v. 23.3.1957 – 1 AZR 326/56, BAGE 4, 240 (251); BAG v. 14.7.1961 – 1 AZR 154/60, NJW 1961, 1942 (1942 f.). 308 Vertiefend Boemke, in: FS 50 Jahre BAG, S. 613 ff.; Fastrich, in: FS Richardi, S. 127 ff.; Waltermann, in: FS 50 Jahre BAG, S. 913 ff. 306

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Auch der Hinweis, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zwangsläufig zur Tarifzensur führen müsse,309 trägt nicht. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip „bringt die Wertungen der Verfassung, auch gegenüber Gestaltungen durch Tarifvertrag, zum Ausdruck“ 310. Zu Recht geht daher ein Großteil des Schrifttums311 davon aus, dass auch eine Abkehr von der unmittelbaren Grundrechtsbindung und die Lehre von der kollektiv ausgeübten Tarifautonomie nicht zu einem Verzicht auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Tarifnormen312 führen dürfen, wenn ein Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen vorliegt. Besonderheiten der Tarifautonomie können dabei eingebracht werden.313 Im Ergebnis ist also eine Verhältnismäßigkeitsprüfung angezeigt, die sich an den Maßstäben orientiert, welche auch den staatlichen Gesetzgeber binden, dabei jedoch berücksichtigt, dass Tarifnormen in Ausübung grundrechtlicher Freiheit durch Private zustande kommen. c) Justitiabilität der quantitativen Ausgestaltung Im Fall einer Grundrechtskontrolle von Tarifsozialplänen gehen Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit der Arbeitgeber nicht ausschließlich von der Qualität der Regelung, sondern vielmehr von der Quantität der Tarifvertragsabschlüsse aus. Erst durch ihren Umfang erhalten Tarifsozialpläne eine besondere Qualität. Somit stellt sich die Frage, inwieweit auch der Umfang einer tariflichen Rege309 ErfK-Dieterich, GG, Einl. Rn. 48; ders., in: FS Schaub, S. 117 (122 f.); Schliemann, in: FS Hanau, S. 577 (587). 310 Treffend Waltermann, Anm. zu BAG v. 27.5.2004, AP Nr. 5 zu § 1 TVG Gleichbehandlung.; vgl. auch dens., FS 50 Jahre BAG, S. 913 (924 ff.); Söllner, NZA 1996, 897 (905 f.). 311 Christ, Freiwillige Tarifverträge, S. 107 ff.; Fastrich, in: FS Richardi, S. 127 (132 ff.); Gamillscheg, AuR 2001, 226 (227 f.); Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 219; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 167; Schwarze, ZTR 1996, 1 (7); Söllner, NZA 1996, 897 (905 f.); Waltermann, RdA 1990, 138 (141); ders., in: FS 50 Jahre BAG, S. 913 (926); Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 198 ff.; wohl auch Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 63; siehe hierzu auch Alexy, Grundrechte, S. 481 ff. 312 Für den schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrag ist zu unterscheiden: Sind die Adressaten des Tarifvertrags schuldrechtlichen Regelungen in gleicher Weise ausgeliefert wie Tarifnormen, müssen sie auch in gleicher Weise vor Grundrechtsverletzungen geschützt werden (vgl. Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 431; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 962). Anders zu beurteilen sind Vereinbarungen von Verpflichtungen, die sich auf das Rechtsverhältnis der Vertragsschließenden beschränken und keine Auswirkungen für die tarifgebundenen Mitglieder haben (vgl. Däubler, Mitbestimmung, S. 235). Die Schutzpflichtenfunktion der Grundrechte kann jedoch erfordern, dass der Staat in Form der Gerichte korrigierend eingreift, um die in den Grundrechten zum Ausdruck kommenden Rechtsgüter gegen Verletzungen seitens privater Dritter zu schützen (a. A. Däubler, Mitbestimmung, S. 235, der eine Schutzbedürftigkeit in diesen Fällen ablehnt). 313 Söllner, NZA 1996, 897 (905 f.); Waltermann, in: FS 50 Jahre BAG, S. 913 (926).

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lung bei einer Grundrechtskontrolle des Tarifvertrags überhaupt zu berücksichtigen ist und von den Arbeitsgerichten vollumfänglich auf Grundrechtskonformität überprüft werden kann. Gegen eine Miteinbeziehung des Umfangs tarifvertraglicher Regelungen in die Grundrechtskontrolle könnten die materielle Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags und das Tarifzensurverbot sprechen. Unter der materiellen Richtigkeitsgewähr tarifvertraglicher Vereinbarungen ist die Vermutung zu verstehen, dass der Tarifvertrag einen angemessenen Ausgleich der gegensätzlichen Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgeber ermöglicht, da von der Sachkunde und dem Verhandlungsgleichgewicht der Tarifvertragsparteien auszugehen ist und daher den Tarifvertragsparteien im Gegensatz zu den Arbeitsvertragsparteien eine weitergehende Gestaltungsfreiheit zugestanden werden muss.314 Den Tarifvertragsparteien gebührt somit eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die sachlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen.315 Das Verbot der Tarifzensur soll ebenfalls die Autonomie des tariflichen Einigungsprozesses gewährleisten, indem staatliche Eingriffe in den Verhandlungsund Einigungsprozess des Tarifvertragssystems untersagt werden, um so die staatliche Neutralität zu wahren.316 Diese Grundsätze sprechen für eine Zurückhaltung richterlicher Rechtskontrolle tarifvertraglicher Vereinbarungen. Diesen Grundsätzen, die zur Einschränkung der Inhaltskontrolle von Tarifverträgen angeführt werden, steht jedoch die Notwendigkeit einer Grundrechtskontrolle gegenüber. Ebenso wie die Einhaltung der koalitionsrechtlichen Zuständigkeitsgrenzen gerichtlich überprüfbar ist, so dass die Frage, ob eine Regelung der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dient, unbestritten einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt, müssen auch von Tarifverträgen ausgehende Grundrechtsverstöße von den Adressaten des Tarifvertrags nicht hingenommen werden, sondern können gerügt werden. Der Schutz des Einzelnen darf nicht dadurch verkürzt werden, dass der Staat seine Rechtsetzungsmacht im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen weit zurückgenommen hat.317 Allein dies spricht dagegen, die inhaltliche Ausgestaltung einer Tarifklausel keiner Grundrechtskontrolle zu unterziehen. Ferner kann man die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags nicht so weit interpretieren, dass jeder tarifvertraglichen Regelung allein durch den Umstand, dass 314 Vgl. BAG v. 4.9.1985 – 5 AZR 655/84, NZA 1986, 225 (226); Enderlein, RdA 1995, 264 ff.; Kissel, NZA 1986, 73 (74); dens., Arbeitskampfrecht, § 10 Rn. 47 ff.; Löwisch/Rieble, TVG, Grundl. Rn. 48; Rieble, RdA 2004, 78 (79); mit weiteren Nachweisen Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 246. 315 ErfK-Schmidt, GG, Art. 3 Rn. 26. 316 Vgl. BAG v. 10. 6. 1980 – 1 AZR 822/79, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 14; BAG v. 10. 6. 1980 – 1 AZR 168/79, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 13; Brox/Rüthers/Henssler, Arbeitsrecht, S. 226; MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., § 246 Rn. 90 ff.; Otto, in: FS Konzen, S. 663 ff. 317 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 667.

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sie von den Koalitionen unter Verhandlungsgleichgewicht erzielt wurde, per se Verfassungsmäßigkeit zukommt und so ein Grundrechtsverstoß generell ausscheidet.318 Vielmehr ist von einer Richtigkeitsvermutung des tarifvertraglich Vereinbarten auszugehen, die zum Ausdruck bringt, dass den Tarifvertragsparteien hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit ein Gestaltungsspielraum zukommt.319 Dies darf allerdings nicht in demselben Maße für die Angemessenheit der Regelung gelten. Zudem gilt es zu bedenken, dass eine Vermutung widerlegt werden kann. Insoweit ist Vorsicht geboten, aus der materiellen Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags konkrete Rechtsfolgen für die Grundrechtskontrolle des tarifvertraglich Vereinbarten abzuleiten. Eine inhaltliche Grundrechtskontrolle von abgeschlossenen Tarifverträgen kann zudem schon nicht als Tarifzensur bezeichnet werden.320 Es findet keine vorbeugende, sondern vielmehr eine nachträgliche richterliche Kontrolle eines Tarifvertrags statt. Das eigentliche Problem stellt sich im Fall von Tarifforderungen, die gegebenenfalls mittels Streiks bekräftigt werden und der Adressat der Forderungen auf gerichtlichem Wege festgestellt wissen will, dass die Forderungen rechtswidrig sind.321 Hier ist die Gefahr eines Eingriffs in den tariflichen Einigungsprozess offensichtlich. Zudem ist zu bedenken, dass die Besonderheiten des tarifvertraglichen Einigungsprozesses bei der Rechtskontrolle von Tarifverträgen dadurch berücksichtigt werden, dass den Gerichten eine Zweckmäßigkeitskontrolle tarifvertraglicher Regelungen verwehrt bleibt.322 So wird einerseits sichergestellt, dass Grundrechtsbeeinträchtigungen durch tarifvertragliche Regelungen gerichtlich festgestellt werden können, anderseits sich der Richter nicht an die Stelle der Tarifvertragsparteien setzen kann, um zu entscheiden, was für die Adressaten des Tarifvertrags richtig und vernünftig ist. Unzulässige Billigkeitskontrolle und notwendige Grundrechtsprüfung sind also strikt zu unterscheiden.323

318

Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 117. Andere sprechen aus diesen Erwägungen heraus auch von einer „Richtigkeitschance“ des Tarifvertrags, vgl. nur Bayreuther, BB 2005, 2633 (2636); dens., RdA 2003, 81 (84); Kempen/Zachert-Kempen, TVG, Grundl. Rn. 94 ff.; Thüsing, ZfA 2008, 590 (598); Wiedemann, RdA 1986, 213 (235); kritisch zur Richtigkeitsvermutung von Tarifverträgen Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, S. 1 (13). 320 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 10 Rn. 51; Otto, in: FS Konzen, S. 663; Thüsing, in: FS 50 Jahre BAG, S. 891 (902). 321 Vgl. Enderlein, RdA 1995, 264 (266). 322 BAG v. 4.9.1985 – 5 AZR 655/84, NZA 1986, 225 (226); BAG v. 6.9.1995 – 5 AZR 174/94, NZA 1996, 437 (439); Brox/Rüthers/Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 644; Dütz, Arbeitsrecht, Rn. 572; Eich, in: FS Goos, S. 199 (207 f.); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 695 ff.; Krause, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 1 Rn. 110; Löwisch/Rieble, TVG, Grundl. Rn. 53. 323 Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 698. 319

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Eine Grundrechtskontrolle von Tarifsozialplänen in firmenbezogenen Verbandstarifverträgen hat sich also darauf zu beschränken, einen möglichen Grundrechtsverstoß festzustellen. Dieser kann gerade darin liegen, dass eine besonders umfangreiche Regelung getroffen wurde. Die Überprüfung des Umfangs einer tarifvertraglichen Regelung kann nicht als unzulässige Zweckmäßigkeitskontrolle angesehen werden, da die Intensität der Freiheitsbeschränkung maßgeblich davon abhängt, wie viel dem Adressaten des Tarifvertrags im Einzelnen abverlangt wird. Abgeschlossene Tarifsozialpläne müssen auch auf ihre Vertretbarkeit mit den Grundrechten der Adressaten überprüft werden.324 Gegen eine Justitiabilität der inhaltlichen Ausgestaltung von Tarifverträge könnte man allenfalls einwenden, dass die Gefahr besteht, jeden aus Arbeitgebersicht als zu „hoch“ empfundenen Tarifvertragsabschluss, der Rückwirkungen auf die Berufsausübungsfreiheit entfaltet, als Grundrechtsverstoß zu deuten. Die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien wäre aufgrund des „Damoklesschwerts“ der Verfassungswidrigkeit maßgeblich eingeschränkt.325 Daher wird im Schrifttum vorgetragen, dass mit einer tariflichen Lohnerhöhung kein Verstoß gegen die Berufsfreiheit der Arbeitgeber einhergehe.326 Hanau/Thüsing327 greifen dies auf und wollen den quantitativen Umfang einer Verlängerung von Kündigungsfristen keiner Verhältnismäßigkeitsprüfung unterziehen. Diese Bedenken mögen für die Beurteilung flächentarifvertraglicher Regelungen und tariflicher Lohnerhöhungen zutreffen. Bei der Gestaltung solcher Vereinbarungen haben die Tarifvertragsparteien die Interessen aller Verbandsmitglieder zu berücksichtigen. Würde man ihnen dabei keinen weiten Ausgestaltungsspielraum zugestehen, wäre eine Regelung kaum praktikabel. Während für den einen Unternehmer die Lohnerhöhung seine unternehmerische Gestaltungsfreiheit kaum beeinträchtigt, hindert sie möglicherweise andere Unternehmer daran, Investitionen zu tätigen oder gar die unternehmerische Tätigkeit fortzuführen. Es ist Sache der Tarifvertragsparteien, für leistungsunfähige Unternehmen Sonderregelungen zu treffen.328 Ist ein einzelnes Unternehmen nicht in der Lage, die branchenangemessenen Löhne zu zahlen, kommt dem Tarifvertrag die Aufgabe einer „Markträumung von Grenzbetrieben“ zu.329 324 So für den Tarifsozialplan Gaul, RdA 2008, 13 (18); wohl auch Bayreuther, NZA 2008, 1017 (1018); Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 166 f.; Nicolai, SAE 2004, 240 (244 ff.). 325 Vgl. Kissel, NZA 1995, 1 (3); Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 274; Söllner, NZA 1996, 897 (902); Thüsing, Anm. zu BAG v. 18.2.2003, AP Nr. 163 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 10; wohl auch Wiedemann, RdA 1986, 231 (238). 326 Vgl. Hensche, AuR 2004, 443 (445); Söllner, NZA 1996, 897 (902), jeweils m.w. N. 327 Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49 (50). 328 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1165; a. A. Starck, Verfassungsfragen, S. 149 f. 329 Thüsing, in: FS 50 Jahre BAG, S. 890 (910).

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Fraglich ist aber, ob dieser Maßstab auch bei der Vereinbarung von firmenbezogenen Sozialplanverbandstarifverträgen gilt. Im Gegensatz zum Flächentarifvertrag müssen die Tarifvertragsparteien ausschließlich die Interessen eines einzelnen Arbeitgebers mit denen der tarifgebundenen Arbeitnehmer in Ausgleich bringen. Dies könnte bei der Prüfung, ob die von den Tarifvertragsparteien vorgenommene Abwägung der Rechtsgüter und Interessen im Widerspruch zu ihrer objektiven Wertigkeit steht, zu berücksichtigen sein. Nun könnte man aber anführen, dass sich zwar der Bezugspunkt, nicht aber der Maßstab der Prüfung verändere, wenn man den Blick vom Flächentarifvertrag auf firmenbezogene Regelungen wendet.330 Dagegen spricht wiederum, dass dem firmenbezogenen Tarifvertrag gerade nicht die Funktion zukommt, durch „Gleichschaltung“ „Grenzbetriebe auszuschalten“. So erscheint es schon aus diesem Grund zweifelhaft, den Maßstab, der beim Flächentarifvertrag anzulegen ist, ohne weitere Überlegungen auch für unternehmensbezogene Regelungen anzulegen. Andererseits muss es den Tarifvertragsparteien auch in diesem Fall überlassen bleiben, Vorteile in einer Hinsicht mit Zugeständnissen in anderer Hinsicht auszugleichen, was auch einen besonderen Umfang der inhaltlichen Ausgestaltung des Tarifvertrags im Einzelfall rechtfertigen könnte. Entscheidendes Argument für die Überprüfbarkeit der Höhe eines Tarifsozialplans in firmenbezogenen Verbandstarifverträgen ist jedoch, dass in einigen Fällen die quantitative Ausgestaltung von Tarifklauseln eine besondere Qualität aufweisen kann. Bei einer Betriebsverlagerung kann die quantitative Ausgestaltung des Umfangs einer Tarifklausel die Umsetzung der Betriebsänderung durchaus verhindern. Eine massive Verlängerung von Kündigungsfristen kann sich faktisch wie ein Kündigungsausschluss auswirken. Dieser Umstand bliebe bei der Grundrechtskontrolle unberücksichtigt, wenn man die Ausgestaltung gar nicht an den Grundrechten der Tarifgebundenen messen würde. Die traditionelle Auffassung einer eingeschränkten Rechtskontrolle von Tarifverträgen ist noch vom Verständnis geprägt, dass die Gewerkschaften bisher kein Interesse daran hatten, „existenzvernichtende Tarifverträge“ zu vereinbaren, da ansonsten die Arbeitsplätze ihrer Mitglieder vernichtet würden. Im Fall eines Standortkonflikts fehlt dieses Korrektiv auf Gewerkschaftsseite. Zwar wird man davon ausgehen können, dass der Arbeitgeberverband in der Praxis solch exorbitante Tarifsozialpläne nicht abschließen wird, wenn das Verbandsmitglied signalisiert, dass ihm die Regelungen hinsichtlich ihres Umfangs zu weit gehen. Theoretisch wäre es jedoch denkbar, dass die Interessen eines einzelnen Verbandsmitglieds zu Gunsten der Kollektivinteressen der sonstigen Mitglieder geopfert werden. Dies wurde gerade zum Anlass genommen, die Rechtmäßigkeitsgrenzen des firmenbezogenen Verbandstarifvertrags näher in den Blick zu nehmen.331 330 331

Vgl. Krause, Standortsicherung, S. 115. Siehe unter 1.

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Die Sozialplanverpflichtungen könnten also geeignet sein, die Umsetzung der Unternehmerentscheidung zu „erdrosseln“. Dies gilt insbesondere bei Regelungen, welche die Folgen einer Unternehmerentscheidung zum Inhalt haben, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der quantitative Umfang einer Vereinbarung mittelbare Auswirkungen auf die unternehmerische Betätigungsfreiheit des Verbandsmitglieds mit sich bringen kann, also eine besondere Qualität aufweist. Zumindest in diesen Fällen ist eine Grundrechtskontrolle der inhaltlichen Ausgestaltung angezeigt. Ob tatsächlich ein Verfassungsverstoß vorliegt, ist eine Frage der Rechtfertigung. Dabei ist auch der Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen.332 Es muss ein evidenter Verfassungsverstoß vorliegen, was die Befürchtungen, welche dieser Lösung entgegengebracht werden, entkräftet. Im Zusammenhang mit der Regelung der sozialen Folgen der Standortentscheidung wird zu überprüfen sein, in welchem Fall die Kosten der Verlagerung offensichtlich so umfänglich ausgestaltet worden sind, dass dem Arbeitgeber die Umsetzung der Betriebsverlagerung wirtschaftlich unmöglich gemacht wird. Diese Evidenzkontrolle wird dem Gestaltungsauftrag der Tarifvertragsparteien und den Grundrechten der Arbeitgeberseite gerecht. Diese These, die gewiss eine Abweichung vom traditionellen Verständnis einiger Autoren vom Umfang einer Verhältnismäßigkeitskontrolle von Tarifnormen darstellt, lässt sich durch einige höchstrichterliche Aussagen stützen. Anlässlich der Bewertung einer qualitativen Besetzungsregelung wurde im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch die zeitliche Dauer der Regelung berücksichtigt.333 In einer Entscheidung zur tariflichen Entgeltsenkung mit dem Ziel der Arbeitsplatzsicherung wurde die Verhältnismäßigkeit der Regelung damit begründet, dass Arbeitszeit und Vergütung nicht mehr als nötig abgesenkt worden seien.334 Im Zusammenhang mit einer Verlängerung von Kündigungsfristen wird darauf hingewiesen, dass auch § 622 Abs. 4 BGB die Tarifvertragsparteien nicht dazu ermächtige, Regelungen zu vereinbaren, welche dem Gesetzgeber durch die Verfassung verboten seien.335 Obwohl dem Gesetzgeber ebenfalls ein Gestaltungsspielraum zukommt, bedeutet dies nicht, dass die inhaltliche Ausgestaltung eines Gesetzes außen vor bliebe. Ansonsten wäre es nicht überprüfbar, wenn der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum überschritten hat. In einer Entscheidung zum Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung durch Tarifvertrag wird betont, dass es mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar sei, vom Arbeitgeber zu verlangen, ein unzumutbares Arbeitsverhältnis aufrechtzuerhalten. 336 Dies deutet 332 Vgl. Fastrich, in: FS Richardi, S. 127 (131); Waltermann, in: FS 50 Jahre BAG, S. 913 (923, 926). 333 BAG v. 13.9.1983 – 1 ABR 69/81, AP Nr. 1 zu § 1 TVG: Druckindustrie. 334 BAG v. 28.6.2001 – 6 AZR 114/00, NZA 2002, 331 (335). 335 BAG v. 28.1.1988 – 2 AZR 296/87, AP Nr. 24 zu § 622 BGB. 336 BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771 (773).

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darauf hin, auch den Umfang einer tariflichen Vereinbarung einer Grundrechtskontrolle durch die Gerichte zu unterziehen, wenn die inhaltliche Ausgestaltung einer Verlängerung von Kündigungsfristen faktisch wie ein Kündigungsausschluss wirkt. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die besseren Argumente dafür sprechen, auch die quantitative Ausgestaltung einer firmenbezogenen, verbandstariflichen Regelung nicht von vorneherein aus der Verhältnismäßigkeitsprüfung auszuklammern, wenn sich aus der Quantität eine besondere Qualität der Regelung ergeben kann.337 Eine Einschränkung der Grundrechtskontrolle von abgeschlossenen Tarifverträgen lässt sich jedenfalls nicht mit dem Hinweis auf die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags stützen oder unter Rückgriff auf das Verbot der Tarifzensur begründen. Die Richtigkeitsgewähr kann keine Grundrechtswidrigkeit „heilen“.338 d) Verhältnismäßigkeit von exorbitanten Tarifsozialplänen Somit stellt sich die entscheidende Frage, ob und gegebenenfalls wie eine qualitative Grenze zu bestimmen ist, jenseits derer das „Wie“ einer tarifvertraglichen Sozialplanregelung auf Verbandsebene in ein „Ob“ in Bezug auf die Standortentscheidung umschlägt, so dass die Möglichkeit eines Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG überhaupt erst im Raume steht, weil durch die Regelung eine Umsetzung der Standortentscheidung in Frage gestellt wird. Können also die mit einer Standortverlagerungsentscheidung betroffenen Arbeitnehmerinteressen auch eine sehr umfangreiche Ausgestaltung eines Sozialplans im firmenbezogenen Verbandstarifvertrag rechtfertigen oder kann sich der Arbeitgeber auf eine Unwirksamkeit des Tarifvertrags berufen, wenn die im Tarifvertrag vereinbarten Verpflichtungen für den Fall der Umsetzung der Unternehmerentscheidung dazu führen, dass die Umstrukturierungsmaßnahme wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll erscheint? Maßgeblich ist also wiederum die Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Tarifautonomie und Berufsfreiheit der Unternehmer. Die kollidierenden Grundrechtspositionen sind im Wege praktischer Konkordanz unter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in angemessenen Ausgleich zu bringen.339 337 In diesem Sinne auch Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 114 ff.; 477 ff., 483 f., 489 f.; Löwisch, DB 2005, 554 (558); ders., in: FS Richardi, S. 679 (682 f.); Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 292, 303 f. Zu diesem Ergebnis müssten erst recht die Autoren gelangen, welche einen Streik um Tarifsozialpläne bei exorbitantem Umfang der Streikforderung als rechtswidrig betrachten, da der Umfang der Forderungen nicht nur nicht arbeitskampffähig, sondern auch nicht tarifierbar wäre. 338 Vgl. Wiedemann, in: FS Dieterich, S. 661 (675): „Die mit der Richtigkeitsthese verbundenen Rechtsfolgen sollten außerdem nicht überschätzt werden.“ Vgl. auch Otto, Arbeitskampfrecht, § 8 Rn. 42; dens., in: FS Konzen, S. 663 (683). 339 Vgl. Franzen, ZfA 2005, 315 (336); Zachert, DB 2001, 1198 (1201).

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Um den Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien zu wahren, ist die Prüfung darauf beschränkt, ob die Maßnahme evident ungeeignet, nicht erforderlich oder unzumutbar ist, um das verfolgte Ziel zu verwirklichen.340 Als Ausgangspunkt sollen die bisherigen Ergebnisse der Untersuchung dienen, um die Besonderheiten der zugrunde liegenden Konstellation zu verdeutlichen. Ein Arbeitskampf zur Verhinderung von Standortverlagerungsentscheidungen ist wegen eines Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG rechtswidrig, da der Wunsch der Gewerkschaft nach Teilhabe an der Unternehmensführung nicht mittels Streik durchgesetzt werden kann. Dem Unternehmer obliegt das Letztentscheidungsrecht hinsichtlich solcher Grundlagenentscheidungen.341 Im Unterschied zur Beurteilung der Grundrechtskonformität eines Standortarbeitskampfes gilt es nun, eine tarifvertragliche Regelung zu überprüfen. Die Durchsetzbarkeit entsprechender Forderungen mittels Arbeitskampfs ist dabei auszublenden.342 Hier geht die Grundrechtsbeschränkung von der verbandsrechtlichen Regelung von umfangreichen Sozialplaninhalten aus, auf welche der Arbeitgeber gegebenenfalls weniger Einfluss hat, als dies beim Firmentarifvertrag der Fall wäre, so dass sich die Frage stellt, wann von einer evident unzumutbaren Beeinträchtigung der unternehmerischen Berufsausübungsfreiheit durch eine solche Regelung gesprochen werden muss. Dazu müsste der Eingriff in die Grundrechtsposition der Arbeitgeberseite offensichtlich nicht mehr proportional mit dem mit der Regelung verbundenen Zweck sein.343 Dabei ist nicht für jede einzelne Regelung eine gesonderte Prüfung vorzunehmen, sondern die Wirkungen sind in ihrer Gesamtheit am Grundrecht der Berufsfreiheit zu messen.344 Ansonsten würde übersehen, dass in diesem Fall gerade von der Verknüpfung der Einzelverpflichtungen eines Tarif340 Vgl. Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 288 f. m.w. N.; restriktiver Löwisch, in: FS Richardi, S. 679 (680). 341 Siehe Kapitel 3 C. III. 3. b) bb) (4). 342 Siehe hierzu Kapitel 3 C. II. 2. 343 Hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Regelung von Sozialplaninhalten dürften sich hinsichtlich des Beurteilungsspielraums der Tarifvertragsparteien keine Probleme ergeben: Eine Regelung von Sozialplaninhalten dient dem Ziel des Arbeitnehmerschutzes vor Rationalisierungsentscheidungen des Arbeitgebers in Form einer sozialverträglichen Gestaltung der Folgen. Tarifsozialpläne sind geeignet, die Folgen einer Standortverlagerungsentscheidung für einen gewissen Zeitraum abzufedern, um so den Arbeitnehmern die Möglichkeit zu geben, „sich für den Arbeitsmarkt fit zu machen“, neue Beschäftigungsmöglichkeiten wahrzunehmen und die drohende Arbeitslosigkeit durch Abfindungsleistungen zu überbrücken. Man wird eine tarifliche Regelung als erforderlich ansehen können, da kein Mittel, das den Tarifvertragsparteien zur Verfügung stünde, ersichtlich ist, welches zum Schutz der von einer Verlagerungsentscheidung betroffenen Arbeitnehmer gleich geeignet wäre (vgl. Wiedemann, RdA 1986, 231 [239]; a. A. für die Vereinbarung von Qualifizierungsmaßnahmen in Firmentarifverträgen Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 233 f.). 344 Vgl. Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019 (1022); Franzen, ZfA 2005, 315 (330); Rolfs/Clemens, DB 2003, 1678 (1681); a. A. wohl Nicolai, SAE 2004, 240 (242); Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 203.

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

sozialplans eine mittelbare Rückwirkung auf die unternehmerische Dispositionsfreiheit ausgehen kann. Tarifsozialpläne sind als Berufsausübungsregelungen zu qualifizieren, da sie auf die Folgenseite unternehmerischer Entscheidungen abzielen.345 Angesichts der einschneidenden Wirkungen von Betriebsschließungen, die zur Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs in Art. 12 Abs. 1 GG angeführt werden können, und des Umstands, dass auch umfangreiche Verpflichtungen des Arbeitgebers in Tarifsozialplänen nicht immer geeignet sind, unternehmerisches Handeln erheblich zu beeinträchtigen, kann man regelmäßig auch sehr umfangreich ausgestaltete Regelungen in Verbandstarifverträgen als rechtmäßig ansehen. Das soziale Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer stellt ein Gemeinwohlinteresse im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dar, welches auch weitreichende Ausgestaltungen rechtfertigt.346 Regelungen, die sich auf die Folgenseite unternehmerischer Entscheidungen beschränken, sind auch bei umfangreicher Ausgestaltung nicht zwangsläufig unzumutbar, sondern werden dem Rechtsgut der Berufsfreiheit der Arbeitgeber gerecht, da so der sozialen Bindung der Grundrechtsgarantie entsprochen wird.347 Dies berücksichtigt, dass es dem Arbeitgeber in der Vergangenheit ohne die Mithilfe der Arbeitnehmer nicht möglich gewesen wäre, seine Berufsfreiheit zu verwirklichen.348 Die Folgekosten durch soziale Abmilderung der Verlagerungsentscheidung dürften in einigen Fällen jedoch durchaus geeignet sein, Umstrukturierungsmaßnahmen zu verhindern, so dass dem Tarifvertrag hinsichtlich der Berufsfreiheit des Arbeitgebers „erdrosselnde“ Wirkung zukommen kann. Dies wäre als Eingriff in den Kernbereich der Berufsausübungsfreiheit zu qualifizieren. Immer dann, wenn die Kosten für den Ausgleich höher sind als die Einspareffekte, besteht diese Gefahr. Der Arbeitgeber wird geneigt sein, die Umsetzung seiner unternehmerischen Entscheidung zu überdenken. Wenn die Maßnahme nicht unmittelbar messbare Einsparungen nach sich zieht, sondern vielmehr „lediglich“ eine Chance auf Steigerung des wirtschaftlichen Erfolgs beinhaltet, wie dies etwa bei einer Standortverlagerung zur Erschließung neuer Märkte der Fall wäre, ist ebenfalls davon auszugehen, dass eine wirtschaftliche Belastung durch das Sozialplanvolumen die Verlagerungsentscheidung aus ökonomischer Sicht in Frage stellen kann. Dabei gilt es zu bedenken, dass die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit von Art. 12 Abs. 1 GG in dieser Konstellation aus Sicht der verlagerungswilligen Ar-

345 346 347 348

(1).

Vgl. Thüsing/Ricken, JbArbR 2005, S. 113 (120 f.). Vgl. Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49 (50). Vgl. Thüsing/Ricken, JbArbR 2005, S. 113 (121). Zum sozialen Bezug der Berufsfreiheit siehe bereits Kapitel 3 C. III. 3. b) bb)

C. Verstoß gegen höherrangiges Recht

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beitgeber maßgeblich von ihrer wirtschaftlichen Situation abhängt.349 Eine hohe Kostenbelastung muss der Umsetzung einer Standortentscheidung nicht zwangsläufig im Wege stehen. Im Gegensatz zum Arbeitskampf, der auf den Abschluss eines Standortsicherungstarifvertrags abzielt, besteht gerade nicht die Gefahr, dass dem Arbeitgeber die Unternehmensführung gänzlich aus den Händen gerissen wird, weil er sich dem Verhandlungsdruck der Gewerkschaft nach gegebenenfalls langem Arbeitskampf beugt, um weiteren Schaden vom Unternehmen abzuhalten. Angesichts der tariflichen Vereinbarung erhält er Planungssicherheit und kann die Kosten, die mit der Umsetzung der Unternehmerentscheidung verbunden sind, mit den Einspareffekten abwägen. Angesichts der bisher getroffenen Wertungen zur Abgrenzung von unternehmerischen Freiheitsrechten und Tarifautonomie lässt sich daher die Aussage treffen, dass auch in diesem Fall nur dann von einem Grundrechtsverstoß auszugehen ist, wenn der Tarifvertrag so hohe Ausgleichszahlungen vorsieht und es dem Arbeitgeber verwehrt wäre, seine unternehmerische Tätigkeit gänzlich aufzugeben oder ihm keine Möglichkeit verbliebe, grundlegende Unternehmerentscheidungen umzusetzen. Dies wird aber nur in Ausnahmefällen gegeben sein, wenn sich der Arbeitgeber in einer manövrierunfähigen Situation befindet und er mittels Standortverlagerung gerade versucht, sein Unternehmen neu auszurichten und diese Notlage abzuwenden. Im Fall einer drohenden wirtschaftlichen Notlage oder gar Insolvenz liegt ein Grundrechtsverstoß vor, wenn der Arbeitgeber durch die Verpflichtungen aus dem Sozialplan davon abgehalten würde, die betreffende Unternehmerentscheidung umzusetzen.350 Dabei ist nicht auf die subjektive Sicht des Arbeitgebers abzustellen, sondern vielmehr eine objektive Sicht maßgeblich. Daher spielt es keine Rolle, ob sich der betreffende Arbeitgeber durch die tarifliche Regelung daran gehindert sieht, die Maßnahme umzusetzen. Entscheidend ist vielmehr, ob er angesichts seiner wirtschaftlichen Lage zu diesem Schluss kommen musste. Diese Lösung steht im Einklang mit Ansätzen aus dem Schrifttum, die dem Arbeitgeber im Fall einer solchen wirtschaftlichen Notlage ein außerordentliches Kündigungsrecht bestehender Tarifverträge zugestehen wollen, um diese bedrohliche Situation abzuwenden.351 Dabei gilt es zu bedenken, dass insbesondere die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung des Tarifvertrags zur Begründung eines weitreichenden Gestaltungsspielraums beim Abschluss von Standortzusagen in Firmentarifverträgen angeführt wurde.352 Beim Verbandstarifvertrag 349 Die Intensität des Grundrechtseingriffs und somit auch der Prüfungsmaßstab für die Rechtfertigung des Eingriffs in die Berufsfreiheit ist nicht ausschließlich anhand der Drei-Stufen-Lehre zu ermitteln, siehe Kapitel 3 C. III. 3. b) aa). 350 A.A. Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 484; Rolfs/Clemens, DB 2003, 1678 (1681). 351 Siehe Benedikt, Sanierung, S. 178 ff.; Freihube, Tarifbindung, S. 142 ff. jeweils m.w. N. 352 Siehe Kapitel 3 C. II. 3.

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

kann ein solches Gestaltungsrecht jedoch nur vom Verband und nicht vom Verbandsmitglied ausgeübt werden. Insoweit liegt es nahe, zur Bestimmung eines Grundrechtsverstoßes im Fall einer verbandsrechtlichen Regelung die in diesem Zusammenhang entwickelten Kriterien heranzuziehen. Insofern können die Grundsätze zur Auslegung der Begriffe der wirtschaftlichen Vertretbarkeit für den Arbeitgeber und des Fortbestands des Unternehmens gemäß § 112 Abs. 5 S. 1 und S. 2 Nr. 3 BetrVG fruchtbar gemacht werden.353 Es ist zwar Vorsicht geboten, die Frage der Verhältnismäßigkeit einer tarifvertraglichen Regelung mit Hilfe von Grundsätzen zu beantworten, welche für die Ermessensausübung der betriebliche Einigungsstelle Geltung beanspruchen, da der Einwand, die gebotene Abwägung von Grundrechten aus dem Blickwinkel des einfachen Rechts vorzunehmen, auf der Hand liegt.354 Dennoch ist Teilen des Schrifttums355, die auf die Bedeutung der §§ 111 ff. BetrVG bei der Abwägung von Tarifautonomie und Berufsfreiheit bei der Einflussnahme auf Betriebsänderungen hinweisen, darin zuzustimmen, dass insbesondere § 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 über das Betriebsverfassungsrecht hinaus von Bedeutung ist, wenn man darin eine Obergrenze sieht, welche Belastungen nur bis zum Rand der Bestandsgefährdung zulässt.356 Dies markiert die Trennlinie zwischen einer zulässigen Ausgestaltung von Sozialplanregelungen zum Schutz der Arbeitnehmer gegenüber einer unzulässigen Steuerung der zugrunde liegenden unternehmerischen Entscheidung, welche den Wesensgehalt der Berufsfreiheit berühren würde und zugleich mit Blick auf die Grundrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG höchst bedenklich wäre, wenn vom Arbeitgeber die in der Vergangenheit erzielten Gewinne gänzlich für die Kompensation der den Gewerkschaftsmitgliedern auf Arbeitnehmerseite entstehenden Nachteilen aufgewendet werden müssten und es ihm verwehrt wäre, Investitionen zu tätigen und aus seinem Unternehmensanteil Nutzen zu ziehen.357 So weit kann die Sozialbindung des Eigentums nicht gehen. Zudem können auf diesem Wege die Interessen von Arbeitnehmern an den verbleibenden Standorten berücksichtigt werden, für die eine Verlagerung eines unrentablen Betriebs die Sicherung ihrer Arbeitsplätze bedeuten kann. Besonders deutlich wird die Übertragbarkeit der Kriterien in § 112 Abs. 5 S. 1 und S. 2 Nr. 3 BetrVG anhand einer aktuelleren Entscheidung des LAG Düsseldorf 358 zur

353

Vgl. Freihube, Tarifbindung, S. 209 ff. Siehe hierzu bereits in Kapitel 3. C. III. 3. b) bb) (6). 355 Vgl. die Nachweise in Kapitel 4 Fn. 283. 356 Vgl. BAG v. 6.5.2003 – 1 ABR 11/02, AP Nr. 161 zu § 112 BetrVG 1972; LAG Düsseldorf v. 26.11.2007 – 17 TaBV 86/07 (juris) unter Rn. 70. 357 Vgl. Biedenkopf, Sozialplan, S. 136 f. 358 LAG Düsseldorf v. 26.11.2007 – 17 TaBV 86/07 (juris) unter Rn. 71; ebenso Göritz/Hase/Rupp, Interessenausgleich, S. 346. 354

C. Verstoß gegen höherrangiges Recht

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Obergrenze eines betrieblichen Sozialplans anlässlich der Stilllegung des einzigen Betriebs eines Unternehmens: „In diesem Fall stellt stattdessen die mögliche Insolvenz die Ermessensgrenze für die Einigungsstelle dar. Wenn ein Sozialplan zu einer Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens führt, ist dieser nicht mehr wirtschaftlich vertretbar, denn die hieraus resultierende Insolvenz ist der extremste Fall der Bestandsgefährdung.“

Die für die Obergrenze des erzwungenen, betrieblichen Sozialplans entwickelten Faktoren können demnach helfen, den Kernbereich unternehmerischer Freiheitsrechte bei einer Regelung der sozialen Folgen von unternehmerischen Standortverlagerungsentscheidungen auf Verbandsebene abgrenzbar und justitiabel zu machen.359 Dies darf aber keinesfalls so verstanden werden, dass sämtliche Grundsätze für die Ermessensausübung durch die Einigungsstelle auf Tarifebene übertragen würden. Daraus folgt: Kann der Arbeitgeber schlüssig darlegen, dass die Erfüllung des Tarifsozialplans ihn in Insolvenzgefahr bringt, wäre die Vereinbarung rechtswidrig, da ein Verstoß gegen die Berufsfreiheit des Arbeitgebers evident ist. Nur er kann bestimmen, welchen Arbeitnehmern er aus dem Sozialplantarifvertrag verpflichtet ist, etwa wenn er beabsichtigt, bestimmten Mitarbeitern Versetzungsangebote zu unterbreiten. Insoweit trägt der Arbeitgeber die Beweislast. Er muss daher die Vermögens-, Finanz-, und Ertragslage seines Unternehmens offen legen. Darüber hinaus ist im Fall einer Standortschließung zu bedenken, dass durch die Betriebsstilllegung in der Regel nicht mehr betriebsnotwendiges Vermögen frei wird, welches beträchtlichen Wert aufweisen kann. So können Grundstücke, Gebäude und Maschinen verwertet werden, sofern sie sich im Eigentum des Arbeitgebers befinden. Auch dies ist in die Berechnung miteinzubeziehen. All dies zeigt, dass eine rechtssichere Vereinbarung auf Verbandsebene ohne genaue Kenntnis der wirtschaftlichen Situation des Arbeitgebers und eine ungefähre Abschätzung der Zahl der Mitarbeiter, die möglicherweise Ansprüche aus dem Tarifvertrag ableiten können, kaum möglich ist. Gegen diese Lösung lässt sich nicht einwenden, dass die Wertungen von Art. 9 Abs. 3 GG unzureichend berücksichtigt würden. Der Grundrechtsschutz der Tarifautonomie kann nicht zur Erweiterung der Obergrenze von Tarifsozialplänen in Verbandstarifverträgen im Vergleich zu betrieblichen Sozialplänen ins Feld geführt werden. Selbst wenn man annehmen wollte, dass auch die Tarifautonomie bei einer Regelung der sozialen Folgen von unternehmerischen Entscheidungen, die mit erheblichen Einschnitten für die Belegschaft verbunden sind, intensiv betroffen ist, wenn man einer umfangreich ausgestalteten Regelung die Zulässigkeit versagt, rechtfertigt dies nicht die völlige Preisgabe unternehmerischer Tätigkeit, 359 Siehe Biedenkopf, Sozialplan, S. 143 ff.; Glaubitz, in: FS Hanau, S. 403 (405 ff.); Göritz/Hase/Rupp, Interessenausgleich, S. 346 ff.; MünchArbR-Matthes, 2. Aufl., § 362 Rn. 32 ff.

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

die mit einer Insolvenz aufgrund von verbandstariflichen Sozialplanverpflichtungen verbunden wäre. Dass die Betriebsautonomie im Vergleich zur Tarifautonomie keinem verfassungsrechtlichen Schutz unterliegt,360 ist also nicht von Bedeutung. Die Wahrnehmung kollektiver Arbeitnehmerinteressen im Fall von Standortschließungen rechtfertigt es nicht, eine betriebsbezogene Regelung auf Verbandsebene anlässlich einer Betriebsänderung zu vereinbaren, mit der eine solche Preisgabe unternehmerischer Freiheiten verbunden wäre. Dies wäre auch mit den Schutzzweck der Tarifautonomie kaum zu vereinbaren. Man darf diese Sichtweise nicht als wettbewerbswidrigen Überforderungsschutz einzelner Unternehmen verstehen.361 Sie ist Folge des eingeschränkten Gestaltungsspielraums bei firmenbezogenen Vereinbarungen. Für die Vereinbarungspraxis von Sozialplaninhalten in Verbandstarifverträgen folgt daraus andererseits, dass selbst wenn die tarifvertraglichen Ausgleichszahlungen Einspareffekte vollständig aufzehren oder gar übersteigen, dies nicht zwangsläufig zur Rechtswidrigkeit wegen eines Grundrechtsverstoßes führt. Die Möglichkeit einer Umsetzung ist stets gegeben, wenn der Arbeitgeber über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, mithin keine unzumutbare Beeinträchtigung seiner Berufsfreiheit vorliegt. Allein die zeitliche Verzögerung der Unternehmerentscheidung reicht nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG zu bejahen.362 In diesem Fällen besteht regelmäßig keine Gefahr, dass die Gewerkschaft auf diesem Wege unternehmerische Grundlagenentscheidungen beeinflusst, so dass dem Unternehmer sein Letztentscheidungsrecht genommen wird. Der Arbeitgeber kann sich also nicht darauf berufen, dass die Einsparungen, die mit einer Verlagerung verbunden wären, durch die tariflichen Sozialplanleistungen aufgezehrt würden, wenn ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um diese Verpflichtungen aus firmenbezogenen Verbandstarifverträgen zu erfüllen. Die von Wiedemann363 entwickelte Testfrage, „ob dem Unternehmer die Möglichkeit eigenverantwortlichen und sinnvollen Wirtschaftens verbleibt“, ist zu bejahen.

IV. Zwischenergebnis Ein Verstoß gegen Grundrechte des Arbeitgebers ist bei einem Tarifsozialplan in Form eines freiwilligen Firmentarifvertrags nicht ersichtlich. Bei einer Regelung in Form eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrags liegt ein Verstoß vor, wenn dem Arbeitgeber die Umsetzung der Verlagerungsentscheidung wirtschaft-

360 361 362 363

Siehe Kapitel 4 II. 3. c) aa). In diese Richtung argumentiert Dieterich, in: FS Otto, S. 45 (52). Deutlich BAG v. 1.6.2000 – 4 AZR 379/99, NZA 2001, 271 (274). Vgl. Wiedemann, RdA 1986, 231 (240).

D. Zusammenfassung

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lich unmöglich wird. Dies ist erst dann der Fall, wenn ihn der Umfang der tarifvertraglichen Verpflichtungen in Insolvenzgefahr bringen würde.

D. Zusammenfassung I. Tarifsozialpläne in Firmentarifverträgen sind zulässig. Dies gilt selbst bei exorbitantem Umfang ihrer inhaltlichen Ausgestaltung: 1. Eine tarifvertragliche Vereinbarung von Sozialplaninhalten ist vom Schutzbereich der Koalitionsfreiheit umfasst. Die §§ 111 ff. BetrVG entfalten keine Sperrwirkung gegenüber tariflichen Regelungen. Der Aufgabenbereich der Tarifvertragsparteien wird durch diese Regelungen nicht beschränkt, die Aufgabe der Sozialplanverhandlung nicht abschließend der Betriebsebene zugewiesen. Selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung annehmen wollte, dass die §§ 111 ff. BetrVG deutungsoffen wären, also keine Wertung hinsichtlich der Zuständigkeitsabgrenzung für den hier zu behandelnden Fall einer Standortschließung eines einzelnen Unternehmens treffen, entspricht die Sperrwirkungsthese nicht der gebotenen verfassungskonformen Auslegung. 2. Die Regelung von Sozialplaninhalten unterliegt der Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien. Die Verlängerung von Kündigungsfristen, Abfindungsleistungen und Qualifizierungsmaßnahmen können als Beendigungsnormen gemäß § 1 Abs. 1 TVG qualifiziert werden. Hinsichtlich einer schuldrechtlichen Vereinbarung gilt es die Einschränkung zu beachten, dass eine Regelung in einem firmenbezogenen Verbandstarifvertrag ausscheidet, da damit eine unzulässige Verpflichtung des Verbandsmitglieds einhergehen würde. 3. Ein Verstoß gegen Arbeitgebergrundrechte scheidet im Fall eines freiwilligen Firmentarifvertrags aufgrund des im Tarifvertragsschluss liegenden Grundrechtsverzichts aus, da der Arbeitgeber über sein Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG disponiert und sich weitreichenden Verpflichtungen aussetzen kann. II. Hinsichtlich der tariflichen Regelbarkeit bei firmenbezogenen Verbandstarifverträgen ergeben sich hinsichtlich der tariflichen Regelungszuständigkeit und der Regelungsbefugnis bezüglich Regelungen im normativen Teil eines Tarifvertrags keine Unterschiede zur Rechtslage beim Firmentarifvertrag. Zu differenzieren ist im Vergleich zu firmentarifvertraglichen Regelungen bezüglich der Rechtmäßigkeitsgrenzen, da sich aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit des Arbeitgebers als Verbandsmitglied besondere Schranken für die Vereinbarung von Sozialplaninhalten ergeben: 1. Weder die Zustimmung des Arbeitgebers noch der Verbandsbeitritt können als Grundrechtsverzicht qualifiziert werden, der eine weitreichende Bindung grundrechtlicher Freiheiten rechtfertigen würde. Die tarifvertragliche Vereinbarung ist somit einer Grundrechtskontrolle zu unterziehen, um einen möglichen

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Kap. 4: Zulässigkeit des Tarifsozialplans

Verstoß gegen die Berufsfreiheit des verbandsangehörigen Arbeitgebers festzustellen. Dabei ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung angezeigt, die auch die inhaltliche Ausgestaltung, also hier die Höhe des Sozialplanvolumens, auf evidente Verfassungsverstöße kontrolliert. 2. Dennoch scheidet ein Verstoß gegen die Berufsfreiheit der verlagerungswilligen Arbeitgeber durch eine exorbitante Sozialplanvereinbarung auf Verbandsebene im Regelfall aus. Lediglich wenn die finanzielle Situation des Unternehmens angespannt ist und aus diesem Grund unabdingbare Umstrukturierungsmaßnahmen verhindert werden, weil die Folgekosten vom Arbeitgeber nicht erfüllt werden können, wird das Grundrecht der Berufsfreiheit des Arbeitgebers verletzt, so dass ein entsprechender Tarifsozialplan nicht mehr als verfassungskonform angesehen werden kann. Dies käme einer Preisgabe unternehmerischer Dispositionsbefugnis gleich. Wenn dem Arbeitgeber der Nachweis gelingt, dass der Standort verlagert wird, um eine drohende wirtschaftliche Notlage abzuwenden, und mit der Erfüllung der Sozialplanverpflichtungen möglicherweise gar eine Insolvenz verbunden wäre, kommt ein Grundrechtsverstoß in Betracht, so dass eine tarifvertragliche Regelung in diesem Ausnahmefall unzulässig wäre. Um diese Grenze bestimmbar zu machen, sind die Faktoren heranzuziehen, welche im Zusammenhang mit der Ermessensausübung durch die Einigungsstelle als äußerste Belastungsgrenze des betrieblichen Sozialplans gemäß § 112 Abs. 5 S. 1 und S. 2 Nr. 2 BetrVG entwickelt wurden. 3. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Arbeitgeberverbände in der Praxis solche Verbandstarifverträge nicht abschließen werden. Das Problem verlagert sich somit auf die arbeitskampfrechtliche Seite, wenn der Arbeitgeberverband Verhandlungen ablehnt und die Gewerkschaft Arbeitskampfmaßnahmen einleitet, um exorbitante Tarifforderungen durchzusetzen, welche die Umsetzung der Verlagerungsentscheidung in Frage stellen können.

Kapitel 5

Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen Können Tarifsozialpläne demnach in einem Firmentarifvertrag und im Regelfall auch in einem firmenbezogenen Verbandstarifvertrag ohne Streikdruck vereinbart werden, stellt sich angesichts der Entwicklung der Standorttarifstreitigkeiten die entscheidende Frage, ob solche Regelungen auch erstreikt werden können. Dazu bedarf es weiterer Überlegungen, da sich nach den bisherigen Ergebnissen dieser Arbeit eine Lösung verbietet, die von der Regelbarkeit auf die Erstreikbarkeit einer Tarifforderung schließt.1 Die sog. passive Arbeitskampffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers soll dabei vorausgesetzt werden. Sie kann nicht als Einwand gegen die Zulässigkeit eines Standortstreiks angeführt werden. Dies gilt nicht nur für Tarifkonflikte um Firmen-, sondern auch für solche um firmenbezogene Verbandstarifverträge: Nachdem der Erste Senat des BAG2 in seiner Entscheidung vom 10.12.2002 die Zulässigkeit eines Streiks um Firmentarifverträge trotz Verbandsangehörigkeit des Arbeitsgebers klargestellt hat, wurde daran anknüpfend in der Entscheidung vom 24.4.2007 zum Tarifsozialplan die Erstreikbarkeit firmenbezogener Verbandstarifverträge erneut bestätigt.3 Dies erscheint konsequent: Wenn der verbandsangehörige Arbeitgeber schon nicht vor einem Streik zur Durchsetzung eines Firmentarifvertrags geschützt ist, muss dies erst recht für einen firmenbezogenen Verbandstarifvertrag gelten, wenn der Arbeitgeber sogar die Unterstützung des Verbands in Anspruch nehmen kann.4 Die These, dass dem Verband die Legitimation zum Abschluss zustimmungsloser unternehmensbezogener Regelungen fehle und daher auch ein Ar1

Siehe Kapitel 3 C. III. 1. BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 3 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (992 f.). 4 Vgl. LAG Hessen v. 2.2.2006 – 9 Sa 915/05, LAGE Nr. 75 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 15 f.; LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 8; ArbG Frankfurt v. 15.3.2005 – 5 Ca 4542/04 (juris) unter Rn. 80 ff. der Entscheidungsgründe; so im Ergebnis auch Jacobs, ZTR 2001, 249 (256 f.); Henssler, ZfA 1998, 517 (538 m.w. N. in Fn. 85); Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 66 ff.; Meyer, NZA 2004, 366 (367); Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (592); Thüsing, NZA 1997, 294; Wank, RdA 2009, 1 (5); ablehnend gegenüber der Zulässigkeit eines Streiks um unternehmensbezogene Verbandstarifverträge u. a. Beuthien, BB 1975, 477 (482); Richardi, Kollektivgewalt, S. 353; Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (413); dies., DB 2003, 1678 f. 2

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

beitskampf unzulässig sei,5 wurde bereits entkräftet.6 Anstatt diese Fragen erneut aufzuwerfen, werden im Folgenden ausschließlich die Bedenken gegenüber der Zulässigkeit eines Streiks um Tarifsozialpläne untersucht, die sich aus dem Inhalt der Kampfforderung und der Besonderheit der Kampfsituation ergeben.

A. Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG Der Streik um einen Tarifsozialplan wäre rechtswidrig, wenn er gegen höherrangiges Recht verstoßen würde. Bei Arbeitskämpfen aus Anlass von Standortentscheidungen ist die Berufsfreiheit der Arbeitgeber geeignet, die Arbeitskampffreiheit einzuschränken. Ein Streik, der sich unmittelbar gegen die Umsetzung der Standortverlagerungsentscheidung richtet, ist wegen eines Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG rechtswidrig.7 Bei einem Arbeitskampf um einen Tarifsozialplan wird vordergründig ausschließlich die tarifliche Ausgestaltung der sozialen Folgen angestrebt. Begründet werden könnte ein Verstoß gegen die Berufsfreiheit jedoch damit, dass ein solcher Streik zwar formal auf die soziale Abmilderung der Standortverlagerungsentscheidung abziele, in Wirklichkeit der Verhandlungsdruck aber ausgeübt werde, um die Standortverlagerung doch noch zu verhindern. Ferner käme es in Betracht, auf den regelmäßig exorbitanten Umfang der Streikforderung abzustellen, wenn dadurch mittelbar in die Berufsfreiheit der verlagerungswilligen Arbeitgeber ohne Rechtfertigung eingegriffen würde.

I. Standorterhalt als „wahres“ Kampfziel? Die streikenden Arbeitnehmer wollen nach Bekanntgabe der Standortverlagerungsentscheidung in der Regel nicht bloß die soziale Abmilderung der Verlagerungsentscheidung, sondern ihre Verhinderung.8 Die Gewerkschaften können dies zur Mobilisierung der Belegschaft für den Arbeitskampf nutzen, wenn sie der Belegschaft in Aussicht stellen, dass mittels Streiks die Verlagerungsentscheidung doch noch beeinflusst werden könne. Daher stellt sich die Frage, ob der Streik, 5

Vgl. Höfling, ZfA 2008, 1 (12 ff.). Siehe Kapitel 4 C. III. 3. Selbst wenn man dem Verband die Rechtsmacht zum Abschluss zustimmungsloser unternehmenbezogener Verbandstarifvertäge absprechen wollte, käme die Möglichkeit einer Umdeutung des Streikbeschlusses in Betracht, so dass die Forderung auf den Abschluss eines Firmentarifvertrags gerichtet wäre, so Lobinger, RdA 2006, 12 (21 f.). 7 Siehe Kapitel 3 C. III. 8 Brecht-Heitzmann, NJW 2007, 3617 (3619). Besonders deutlich wird dies anhand der Reaktionen der Belegschaft von AEG nach Bekanntgabe des Abschlusses eines Tarifsozialplans, siehe hierzu Süddeutsche Zeitung v. 1.3.2006, S. 40 – „Die enttäuschten Sieger“. 6

A. Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG

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welcher formal auf die soziale Abmilderung der Entscheidung gerichtet ist, als rechtswidriger Streik zur Verhinderung der Standortverlagerungsentscheidung qualifiziert werden muss. 1. Meinungsstand Teile des Schrifttums haben die Taktik des Standortstreiks um Tarifsozialpläne als rechtswidrige Umgehung des aus Art. 12 Abs. 1 GG abzuleitenden Kampfverbots für unternehmerische Standortentscheidungen bewertet, da der Standortstreik in Wirklichkeit den Zweck verfolge, den Unternehmer an der Umsetzung der Verlagerung zu hindern.9 Selbst wenn die streikführende Gewerkschaft im Streikbeschluss als Kampfziel die soziale Abmilderung der Standortentscheidung ausweise, müsse berücksichtigt werden, dass in Erklärungen von Gewerkschaftsfunktionären, Publikationen der streikführenden Gewerkschaft oder in sonstigen Verlautbarungen die Standorterhaltung entsprechend dem Willen der Belegschaft zum eigentlichen Kampfziel erhoben werde.10 Lasse das gewerkschaftliche Vorgehen erkennen, dass der Streik auf den Standorterhalt gerichtet sei, müsse ihm wegen eines Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG die Rechtmäßigkeit versagt bleiben. Auf den entgegenstehenden Wortlaut des Streikbeschlusses komme es nicht an. Das LAG Hamm11 hat aufgrund dieser Erwägungen auf einen Aufruf zur Urabstimmung im Rahmen der Rechtmäßigkeitsprüfung abgestellt und aus dem Wortlaut der Erklärung abgeleitet, dass der Streik die Verhinderung der Verlagerung bezwecke, obwohl im Streikbeschluss nur die Forderung nach Abschluss eines Tarifsozialplans aufgeführt war. In diesem Fall sei der Arbeitskampf auf die Verhinderung der Standortverlagerungsentscheidung gerichtet und bereits aus diesem Grund wegen eines Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG rechtswidrig. Der Erste Senat12 ist ebenso wie große Teile der instanzgerichtlichen Rechtsprechung13 und des Schrifttums14 dieser Argumentation allerdings nicht gefolgt. 9 Vgl. Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 442 ff.; Gaul, RdA 2008, 13 (18 ff.); Grimm/Pelzer, NZA 2008, 1321 (1325 f.); Kappenhagen/Lambrich, BB 2007, 2238 (2239); Nicolai, SAE 2004, 240 (241 f.); Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 200 ff.; Rolfs/ Clemens, DB 2003, 1678 (1680); Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (593 f.); Sutschet, ZfA 2005, 581 (615 f.); Wank, RdA 2009, 1 (7). 10 Zuletzt Wank, RdA 2009, 1 (7) m.w. N. 11 LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4. 12 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (997 f.); zustimmend ArbG Düsseldorf v. 19.11.2008 – 2 Ga 98/08, LAGE Nr. 83 zu Art 9 GG Arbeitskampf. 13 LAG Hessen v. 2.2.2006 – 9 Sa 915/05, LAGE Nr. 75 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 17 f.; LAG Niedersachsen v. 2.6.2004 – 7 Sa 819/04, AP Nr. 164 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4; LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 2R f.; ArbG Frankfurt v. 15.3.3005 – 5 Ca 4542/04 (juris), unter Rn. 97 der Entscheidungsgründe.

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

Bezugspunkt der Rechtmäßigkeitsprüfung sei ausschließlich der gewerkschaftliche Streikbeschluss. Sonstige Motive der Gewerkschaft dürften darüber hinaus nicht berücksichtigt werden. Begründet wird dies mit zwei Argumenten: Die Koalitionsbetätigungsfreiheit umfasse das Selbstbestimmungsrecht der Gewerkschaften. Zur gewerkschaftlichen Willensbildung sei es unabdingbar, dass die Gewerkschaft im Verlauf des Willenbildungsprozesses bestimmte Ziele des Arbeitskampfes diskutieren könne, die womöglich rechtswidrig seien, und sich erst im Rahmen des Streikbeschlusses auf eine einheitliche Vorgehensweise festlege, an der sie sich sodann festhalten lassen müsse.15 Ferner werden erhebliche Bedenken hinsichtlich Rechtssicherheit und Justitiabilität der Gegenansicht angeführt, da unklar bleibe, wie weit der Kreis der Umstände zu ziehen sei, die im Rahmen der Rechtmäßigkeitsprüfung herangezogen werden könnten.16 2. Stellungnahme Es entspricht dem traditionellen Verständnis, im Rahmen der Rechtmäßigkeitsprüfung den Streikbeschluss als maßgeblichen Bezugspunkt heranzuziehen.17 Die Gründe, die hierfür vorgetragen werden, sind einleuchtend: In der Tat wäre es mit dem Selbstbestimmungsrecht der Gewerkschaft kaum zu vereinbaren, wenn vom Verhalten Einzelner ohne Rücksicht auf die Willensbildung des zuständigen Organs auf das Gesamtverhalten der Koalition geschlossen würde. In der Folge wäre eine gewerkschaftsinterne Diskussion um die Vorgehensweise bei einer Tarifauseinandersetzung erheblich erschwert, da nur Vorschläge geäußert werden könnten, die zweifelsfrei mit der Rechtsordnung zu vereinbaren wären. Ein „Umschwenken“ von einer rechtswidrigen auf eine rechtmäßige Kampfforderung wäre selbst dann unmöglich, wenn diese noch nicht an den Arbeitgeber als Adressaten herangetragen und zum Kampfziel erhoben wurde. Dem Streikbeschluss kommt im Rahmen eines Tarifkonflikts demnach besondere Bedeutung zu.18 Durch Bekanntgabe dieses Beschlusses werden die Forde14 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, AKR 33a; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 106 ff.; Kaiser, in: FS Buchner, S. 386 (395); Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 175; Oberberg/Schoof, AiB 1998, 169 (183); Schlachter, in: FS Birk, S. 809 (811); Wolter, RdA 2002, 218 (224). 15 Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 107 f.; Schlachter, in: FS Birk, S. 809 (811). 16 Krause, Standortsicherung, S. 110. 17 In diesem Sinne schon BAG v. 28.1.1955 – GS 1/54, AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 5; vgl. auch BAG v. 19.6.1973 – 1 AZR 521/72, AP Nr. 47 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Sachsen-Anhalt v. 12.3.1997 – 3 Sa 285/96, NZA-RR 1998, 270 ff.; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 42 Rn. 2; Otto, Arbeitskampfrecht, § 5 Rn. 2. Dies soll auch für die rechtliche Bewertung der Aussperrung gelten, vgl. BAG v. 10.6.1980 – 1 AZR 822/79, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 16R; BAG v. 12.3.1985 – 1 AZR 636/82, AP Nr. 84 u Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 5R; BAG v. 7.6.1988 – 1 AZR 597/86, AP Nr. 107 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 3; BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 7.

A. Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG

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rungen nach interner Willensbildung nach außen gekehrt und an den Kampfgegner gerichtet, damit dieser die einschneidenden Folgen eines Arbeitskampfes durch Akzeptieren vor Kampfbeginn noch abwenden kann.19 All dies deutet darauf hin, dass ausschließlich der Streikbeschluss Bezugspunkt der Rechtmäßigkeitsprüfung eines Streiks ist. Fraglich ist zunächst, ob und inwieweit vom Wortlaut des Streikbeschlusses abweichende Motive der kampfführenden Gewerkschaft bei der Auslegung des Streikbeschlusses zu berücksichtigen sind. Während es der traditionellen Vorgehensweise entspricht, ausschließlich auf den Wortlaut der Erklärung abzustellen, wollen manche Autoren den tatsächlichen Willen der kampfführenden Partei bei der Auslegung berücksichtigen, selbst wenn die erzielten Auslegungsergebnisse mit dem Wortlaut des Streikbeschlusses nicht in Einklang zu bringen sind. Tarifforderungen seien wie Willenserklärungen zu behandeln, so dass die Auslegungsgrundsätze für Willenserklärungen angewendet werden könnten.20 Welches Ziel verfolgt werde, bestimme sich aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts. Dabei sei der wirkliche Wille des Erklärenden maßgeblich. Es gelte daher auch der Grundsatz „falsa demonstratio non nocet“.21 Ergebe sich aus den Gesamtumständen des Standorttarifkonflikts, dass der Arbeitskampf auf die Verhinderung der Verlagerung gerichtet sei, müsse die Rechtmäßigkeitsprüfung auf diese Tarifforderung ausgerichtet werden und dürfe nicht nur auf den Wortlaut der Erklärung abstellen. Rolfs/Clemens22 begründen dies damit, dass diese Grundsätze auch bei der Auslegung von Tarifnormen Geltung beanspruchen würden. Somit liege es nahe, sie auch auf den Streikbeschluss anzuwenden. Die Auslegung des Streikbeschlusses habe sich nicht bloß am Wortlaut, sondern vielmehr am wirklichen Willen der Gewerkschaft zu orientieren. Diese Argumentation vermag jedoch nicht zu überzeugen. Die Grundsätze zur Auslegung von Tarifnormen lassen nicht zwangsläufig den Schluss zu, dass der wirkliche Wille der Parteien stets entscheidendes Kriterium zur Bestimmung des Tarifinhalts ist. Dies würde verkennen, dass über den Maßstab der Auslegung von Tarifnormen Streit besteht: Während Teile des Schrifttums23 die Theorie der Vertragsauslegung bevorzugen und stets auf den Willen der Parteien abstellen, ist das BAG24 der objektiven Methode zugeneigt, die sich an der Auslegung von Ge18

Vgl. hierzu Kissel, Arbeitskampfrecht, § 42 Rn. 2 ff. Vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 42 Rn. 15 f. 20 Grimm/Pelzer, NZA 2008, 1321 (1326); Nicolai, SAE 2004, 240 (241); Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 202. 21 Vgl. Wank, RdA 2009, 1 (7). 22 Rolfs/Clemens, DB 2003, 1678 (1680). 23 Zusammenfassend Krause, in: Jacobs/Oetker/Krause, Tarifvertragsrecht, § 4 Rn.170 ff.; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 989 ff., jeweils m.w. N. 24 Vgl. die umfangreichen Nachweise bei Kempen/Zachert-Zachert, TVG, Grundl. Rn. 372. 19

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

setzen orientiert. Oftmals führt dieser Streit nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen, da regelmäßig der gedeutete Wille im Wortlaut der Erklärung erkennbar ist. Zwar hat das BAG25 in einigen Entscheidungen auf den Willen der Erklärung abgestellt, obwohl der Wortlaut der Norm diese Deutung nicht ohne weiteres deckte. Dennoch gilt für die objektive Methode der Grundsatz, dass der Wille der Parteien nur dann maßgeblich ist, wenn er sich im Wortlaut der Erklärung niedergeschlagen hat. Der tatsächliche Wille der Tarifvertragsparteien kann gerade im Fall einer „falsa demonstratio“ nicht berücksichtigt werden.26 Fischinger27 weist daher zu Recht darauf hin, dass ein Streikbeschluss, der ausdrücklich nur den Tarifsozialplan als Kampfziel ausweist, nicht so ausgelegt werden kann, dass die Streikforderung auf den Standorterhalt gerichtet sei. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts könnte der Wille der kampfführenden Partei demnach nicht berücksichtigt werden. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn man die Grundsätze zur Auslegung von Willenserklärungen zur Auslegung von Tarifnormen und Streikbeschluss heranziehen würde. Zwar handelt es sich beim Tarifvertrag um einen schuldrechtlichen Vertrag, so dass es durchaus nahe liegt, bei der Auslegung von Tarifnormen, insbesondere bei Firmentarifverträgen und firmenbezogenen Verbandstarifverträgen, bei denen der Vertragscharakter besonders deutlich hervortritt, die Grundsätze der Vertragsauslegung anzuwenden.28 Die unreflektierte Übertragung dieses Maßstabs auf die Auslegung des Streikbeschlusses würde jedoch den Besonderheiten des Arbeitskampfes als Konfliktlösungsinstrument des Tarifvertragssystems nicht gerecht. Die einschneidenden Wirkungen eines Arbeitskampfes, die Besonderheiten seines Ablaufs und die Vielzahl der Beteiligten erfordern es, einen objektiven Maßstab anzulegen. Aus dem Streikbeschluss ergibt sich für den Adressaten der Streikforderung, welche Forderung er erfüllen muss, damit der Arbeitskampf beendet wird. Es wäre mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden, wenn er stets den wirklichen Willen der kampfführenden Partei zu erforschen hätte. Gegebenenfalls würde die Gewerkschaft den Arbeitskampf fortführen, weil diese Auslegung des Streikbeschlusses nicht ihrer Auffassung entspricht. Ergibt sich also aus dem Wortlaut des Streikbeschlusses zweifelsfrei, dass nicht der Standorterhalt, sondern die soziale Abmilderung der Entscheidung gefordert wird, kann im Rahmen der Auslegung des Beschlusses nicht auf den „wirklichen“ Willen der Gewerkschaft abgestellt werden.

25 Vgl. etwa BAG v. 28.1.1987 – 4 AZR 150/86, AP Nr. 14 zu § 4 TVG Geltungsbereich. 26 Kempen/Zachert-Zachert, TVG, Grundl. Rn. 375. 27 Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 106 f. 28 Vgl. Wiedemann, in: FS Dieterich, S. 661 (677).

A. Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG

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An dieser Stelle darf die Prüfung jedoch nicht stehen bleiben.29 Dabei würde übersehen, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung30 als Missbrauchstatbestand das Zurückhalten von Kampfforderungen anerkennt, wenn diese im Laufe des Tarifkonflikts weiter verfolgt werden. Danach gilt der Grundsatz, dass verdeckte Kampfziele aufgedeckt werden müssen. Von der Rechtsprechung zum Standortarbeitskampf wurden diese höchstrichterlichen Aussagen bisher weitestgehend ignoriert. Vertreter einer am tatsächlichen Willen orientierten Bestimmung der Streikforderung führen sie an, um sämtliche Erklärungen der Gewerkschaft im Rahmen des Standorttarifkonflikts zu berücksichtigen.31 Kritiker dieser extensiven Interpretation lehnen sie aus diesem Grund ab.32 All dies kann im Ergebnis nicht überzeugen. Im Ausgangspunkt gilt es zunächst festzuhalten, dass ein Aufdecken von Kampfforderungen unabdingbar ist, da ansonsten der kampfführenden Partei in großem Maße Rechtsmissbrauchsmöglichkeiten eröffnet würden, welche die Arbeitskampfrechtsordnung nicht billigen kann.33 Es wäre denkbar, dass die kampfführende Partei klar erkennbar eine bestimmte Absicht verfolgt, im Streikbeschluss eine unverfängliche Formulierung wählt und im weiteren Tarifkonflikt das eigentliche Kampfziel in den Vordergrund stellt.34 So könnte auch die tarifliche Friedenspflicht umgangen werden. Bei Tarifauseinandersetzungen aus Anlass von Standortverlagerungsentscheidungen des Arbeitgebers wird diese Gefahr besonders deutlich: Die Gewerkschaft wird den Arbeitskampf nicht nur dann beenden, wenn der Arbeitgeber den Sozialplanforderungen zustimmt, sondern auch dann, wenn er sein Standortverlagerungsvorhaben endgültig aufgibt oder sich bereit erklärt, einen Standortsicherungstarifvertrag zu vereinbaren. Die aus Art. 12 Abs. 1 GG abzuleitende Schutzpflicht des Staates gebietet es, eine solche Umgehung des Kampfverbots für unternehmerische Grundlagenentscheidungen zu verhindern.35 Eine ungerechtfertigte Einschränkung der Koalitionsbetätigungsfreiheit geht damit nicht einher, sofern man die Wertungen von Art. 9 Abs. 3 GG berücksichtigt. Im Kern geht es darum, das wahre Kampfziel zu ermitteln, auf das sich das zuständige Organ im Rahmen des gewerkschaftsinternen Willensbildungsprozesses geeinigt 29 Ebenso Kock, ZIP 2007, 1775 (1777); Krause, Standortsicherung, S. 111; Ricken, ZfA 2008, 283 (286 f.). 30 Vgl. BAG v. 19.6.1973 – 1 AZR 521/72, AP Nr. 47 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4; BVerfG v. 4.7.1995 – 1 BvF 2/86 u. a., NZA 1995, 754 (758). 31 Deutlich Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 444: „Es erscheint also richtig, jegliche im Zusammenhang mit den Tarifvertragsverhandlungen gemachten Äußerungen der Gewerkschaft zu berücksichtigen.“ 32 Vgl. Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 108. 33 Krause, Standortsicherung, S. 111. 34 Gaul, RdA 2008, 12 (19). 35 So auch Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (593).

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hat, welches zwar nicht zum „offiziellen“ Kampfziel erhoben, dennoch aber weiterhin im Wege der kollektiven Druckausübung verfolgt wird. Fraglich ist nun, wo die Grenze zwischen einem Standortarbeitskampf um die „verdeckte“ Forderung des Standorterhalts und einem Standortarbeitskampf um einen Tarifsozialplan, durch den sich die Arbeitgeberseite möglicherweise faktisch genötigt sieht, das Verlagerungsvorhaben aufzugeben, zu ziehen ist. Welcher Maßstab dabei angelegt werden muss, ist in der bisherigen Diskussion unbeantwortet geblieben.36 Dabei gilt der Grundsatz, dass diese gebotene Rechtsmissbrauchskontrolle die Tarifautonomie nicht unverhältnismäßig beschränken darf. Das Aufdecken einer verdeckten Forderung stärkt die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie nur, wenn durch restriktive Handhabung dieses Missbrauchstatbestands einer Gefährdung der Grundvoraussetzungen des tariflichen Einigungsprozesses vorgebeugt wird. Dies ist zugegebenerweise ein schmaler Grad. Verfehlt wäre es daher, zur Aufdeckung sämtliche Erklärungen vor Aufstellung des Streikbeschlusses heranzuziehen. Dies wäre mit dem Selbstbestimmungsrecht der Koalitionen nicht zu vereinbaren. Bei der Frage, ob eine Kampfforderung weiterhin verdeckt verfolgt wird, ist das Verhandlungsverhalten vor Beginn des Arbeitskampfes unerheblich. Dass die Gewerkschaft neben dem Sozialplan mit dem Arbeitgeber auch die Forderung nach Standorterhalt verhandelt hat, spielt also keine Rolle. Ansonsten wäre es der Gewerkschaft zudem nicht möglich, in druckfreien Verhandlungen zulässigerweise den Abschluss eines Standortsicherungstarifvertrags anzustreben.37 Auch der Aufruf zur Urabstimmung ist entgegen der Auffassung des LAG Hamm38 bei der Rechtmäßigkeitsprüfung daher bedeutungslos.39 Ausschließlich Erklärungen nach Bekanntgabe des Streikbeschluss können als Bezugspunkt bei der Prüfung dienen, ob eine Kampfforderung in rechtsmissbräuchlicher Weise zurückgehalten und dennoch unter dem „Deckmantel“ der Durchsetzung anderer Forderungen weiter verfolgt wird. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass es der Gewerkschaft nicht verwehrt werden darf, die Forderung nach Standorterhaltung durch Ausübung des Demonstrationsrechts weiterhin zu verfolgen.40 Dies ist bei der Heranziehung von Verlautbarungen, die an die Öffentlichkeit gerichtet sind und keinen Arbeitskampfbezug aufweisen, zu berücksichtigen. Ebenso zulässig ist der gewerkschaftliche Dialog mit der Politik, um zu erreichen, dass diese auf den verlagerungswilligen Unternehmer einwir36

Vgl. nur Krause, Standortsicherung, S. 111. Siehe hierzu Kapitel 3 C. II. 38 LAG Hamm v. 31.5.2000 – 18 Sa 858/00, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4. 39 So im Ergebnis auch LAG Sachsen-Anhalt v. 12.3.1997 – 3 Sa 285/96, NZA-RR 1998, 270. 40 Siehe Kapitel 3 C. III. 3. b) bb) (4). 37

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ken. Äußerungen einzelner Gewerkschaftsmitglieder vor der streikenden Belegschaft sind ebenfalls, selbst wenn diese vertretungsberechtigt sind, außen vor zu lassen, da diese regelmäßig besonders scharf formuliert werden und die von der Standortentscheidung betroffene Belegschaft mobilisieren sollen. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass Erklärungen einzelner Gewerkschaftsfunktionäre zur Rechtswidrigkeit des Gesamtverhaltens der Koalition führen.41 Rückschlüsse auf eine Verdeckung des wahren Kampfziels durch das zuständige Organ lassen jedoch sonstige Erklärungen mit unmittelbarem Arbeitskampfbezug zu, welche der Gewerkschaft, also dem Kollektiv eindeutig zuzurechnen sind. Dies ist insbesondere bei Presseerklärungen der Fall, welche die Öffentlichkeit über die eigene Vorgehensweise informieren sollen. Sie lassen Rückschlüsse auf die hinter der Druckausübung stehenden Ziele zu. Kann diese der Gewerkschaft zurechenbare Erklärung im Rahmen der Rechtsmissbrauchskontrolle herangezogen werden, muss in einem weiteren Schritt festgestellt werden, ob sich aus ihr die Verdeckung eines Kampfziels eindeutig ableiten lässt.42 Insoweit gelten die Grundsätze für die Auslegung von Willenserklärungen. Lässt sich aus Sicht eines objektiven Dritten aus ihr das Kampfziel der Standorterhaltung ableiten, muss sich die Gewerkschaft an ihm festhalten lassen. Im Ergebnis mag dieses Ergebnis aus Sicht der Arbeitgeberseite unbefriedigend erscheinen, da dieser eingeschränkte Maßstab der Rechtsmissbrauchskontrolle den Nachweis des Verdeckens der wahren Kampfforderung erschwert. Dies ist jedoch zwangsläufige Folge der Wertungen des Art. 9 Abs. 3 GG. Ein anderes Ergebnis wäre nur dann angezeigt, wenn Gewerkschaften in breitem Maße diese Freiheiten rechtmissbräuchlich ausnützen würden und dieser eingeschränkte Maßstab nicht in der Lage wäre, dieses Verhalten aufzudecken.

II. Umfang der Streikforderungen Ein weiterer Einwand gegenüber der Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen um Tarifsozialpläne zielt auf den exorbitanten Umfang der Streikforderungen ab. Der Versuch, diese Tarifforderungen mittels Streiks durchzusetzen, greife mittelbar in die Berufsfreiheit des Arbeitgebers ein, da dieser durch dieses Vorgehen faktisch daran gehindert werde, die Standortentscheidung umzusetzen. 1. Problemstellung Um einen solchen mittelbaren Verstoß gegen die Berufsfreiheit wegen exorbitanten Forderungsumfangs annehmen zu können, müsste nicht erst der verein41

So die Befürchtung von Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 107. Hierzu beispielhaft LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 3 f. 42

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barte Tarifvertrag, sondern schon die auf seinen Abschluss gerichtete Forderung der Gewerkschaft einer Rechtskontrolle unterliegen. Kann der Arbeitgeber also exorbitante Streikforderungen, die an ihn oder den Verband gerichtet werden und mittels Streiks durchgesetzt werden sollen, wegen Unverhältnismäßigkeit des Forderungsumfangs gerichtlich abwehren? Wäre der Arbeitskampf wegen eines Verstoßes gegen die Berufsfreiheit rechtswidrig, würde auch die tarifvertragliche Einigung keine Wirkung entfalten, wenn sie der Arbeitgeber nicht gelten lassen will.43 Die bestreikten Arbeitgeber haben regelmäßig kein Interesse daran, „erst“ gegen den unter Streikdruck erzielten, möglicherweise rechtswidrigen Tarifvertrag vorzugehen, sondern wollen bereits die Streikforderung abwehren und den Arbeitskampf gerichtlich untersagen lassen.44 Fraglich ist also, ob es hinsichtlich der Bewertung eines solchen Standortarbeitskampfes ausreicht, dass Tarifsozialpläne grundsätzlich tariflich regelbar sind und die weitere Ausgestaltung des Tarifvertrags zunächst dem freien Spiel der Kräfte unterliegt und somit einer Rechtskontrolle entzogen ist, oder ein Eingriff in den Tarifkonflikt zwingend geboten und zulässig erscheint, so dass der Arbeitskampf auch wegen des exorbitanten Umfangs einer streikbewehrten Sozialplanforderung aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG rechtswidrig sein kann. Kann der verlagerungswillige Arbeitgeber das zuständige Gericht anrufen, wenn er Adressat einer Kampfforderung ist, die dazu führt, dass die Einspareffekte einer Standortverlagerung vollständig aufgezehrt werden? Umfasst die Grundrechtskontrolle zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaft abgeschlossener firmenbezogener Verbandstarifverträge mit Sozialplaninhalten auch die quantitative Ausgestaltung der Regelung,45 gilt dies auch für eine Streikforderung, wenn noch gar nicht feststeht, ob die Gewerkschaft sich mit ihrer Ausgangsforderung überhaupt durchsetzen kann? Das weitere Prüfungsprogramm ist damit abgesteckt: Im Folgenden gilt es zu untersuchen, ob der Umfang einer Streikforderung nach Abschluss eines Tarifsozialplans justitiabel ist und einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Wäre dies der Fall, müsste die Folgefrage beantwortet werden, welcher Maßstab zur Festlegung von Höchstgrenzen von Streikforderungen nach Abschluss von Tarifsozialplänen zugrunde zu legen ist.

43 Fraglich ist, ob der Tarifvertrag in Folge des rechtswidrigen Arbeitskampfes kündbar oder anfechtbar ist, siehe hierzu bereits Kapitel 3 Fn. 282. 44 Zur dogmatischen Herleitung des Unterlassungsanspruchs gegenüber rechtswidrigen Arbeitskampfmaßnahmen siehe Kissel, Arbeitskampftrecht, § 47 Rn. 49 ff. 45 Siehe hierzu Kapitel 4 C. III. 6. c).

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2. Meinungsstand In den Verfahren haben die Gerichte eine Rechtskontrolle des Umfangs der Streikforderung nach Abschluss von Tarifsozialplänen zumeist abgelehnt. Der Erste Senat46 führte hierzu aus, dass die Streikforderung einer Gewerkschaft, deren Gegenstand tariflich regelbar sei, keiner gerichtlichen Übermaßkontrolle unterliege. Eine solche Kontrolle verstoße gegen die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Koalitionsbetätigungsfreiheit der Gewerkschaften und stelle die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie erheblich in Frage.47 Eine Übermaßkontrolle von Streikzielen sei auch nicht zum Schutz der Grundrechte des Koalitionspartners geboten.48 Die Höhe einer Streikforderung greife nicht in die grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Arbeitgeber aus Art. 12 Abs. 1 GG ein. Ihre Grenze liege erst dort, wo die Streikforderung auf die Existenzvernichtung des Gegners gerichtet sei.49 Damit ist das BAG dem Großteil der instanzgerichtlichen Rechtsprechung50 und Teilen des Schrifttums51 gefolgt, welche die Höhe einer Tarifforderung keiner Rechtskontrolle unterziehen. Dies wird als nicht zu rechtfertigender Eingriff in den tarifvertraglichen Einigungsprozess gewertet, da eine solche Tarifzensur mit der Koalitionsbetätigungsfreiheit nicht zu vereinbaren sei.52 Es liege in der Natur eines Tarifkonflikts, dass zu Beginn besonders hohe Ausgangsforderungen gestellt würden, die einen Verhandlungsspielraum enthielten.53 Streikforderungen dienten dazu, Verhandlungen anzuschieben, und würden nicht erhoben, um eine konkrete Tarifforderung durchzusetzen.54 Rechtsgestaltende Wirkung käme ihnen daher nicht zu. Erst wenn der Arbeitgeber den Forderungen zugestimmt hätte, sei er in seiner Berufsfreiheit betroffen.55 Ferner bestünde die Schwierigkeit, justitiable Maßstäbe zu finden, wann von einer unzumutbaren Belastung des Arbeit46 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987, Leitsatz 5 der Entscheidungsgründe. 47 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (996 f.). 48 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (997). 49 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (997). 50 LAG Hessen v. 2.2.2006 – 9 Sa 915/05, LAGE Nr. 75 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 19 f.; LAG Niedersachsen v. 2.6.2004 – 7 Sa 819/04, AP Nr. 164 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4. 51 Vgl. Brecht-Heitzmann, NJW 2007, 3617 (3618); Dieterich, in: FS Otto, S. 45 (51 ff.); Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a, Rn. 187; Gaul, RdA 2008, 13 (18 ff.); Greiner, NZA 2008, 1274 (1277 f.); Hensche/Wolter, in: GS Zachert, S. 544 (548 f.); Kerwer, EuZA 2008, 335 (347); Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1021); Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 182 ff.; Oberberg/Schoof, AiB 2002, 169 (175); Pascke/Ritschel, AuR 2007, 110 (113); Ricken, ZfA 2008, 283 (287 ff.). 52 Hensche, AuR 2004, 443 (445); Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 182 ff. 53 Brecht-Heitzmann, NJW 2007, 3617 (3618). 54 Pascke/Ritschel, AuR 2007, 110 (113). 55 So Gaul, RdA 2008, 13 (18 f.); vgl. auch Kerwer, EuZA 2008, 335 (347).

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gebers gesprochen werden könne.56 Der Tarifkonflikt würde vor den Gerichten in der Regel im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgetragen, was die Probleme noch potenzieren würde. Die quantitative Ausgestaltung des Tarifvertrags unterliege stattdessen dem „freien Spiel der Kräfte“. Es käme demnach ausschließlich darauf an, ob die Tarifforderung der tariflichen Regelungszuständigkeit und -befugnis unterliege.57 Diese Auffassung entspricht dem traditionellen Verständnis einer Grundrechtskontrolle von Tarif- und Streikforderungen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat bisher die Höhe einer Forderung bei der Prüfung stets außen vor gelassen.58 Es wird als tragender Grundsatz des Arbeitskampfrechts angesehen, dass die Zulässigkeit eines Arbeitskampfes nicht anhand der Höhe einer Kampfforderung beurteilt wird. Die Einigung über die konkrete Ausgestaltung soll ausschließlich den Tarifvertragsparteien vorbehalten bleiben, ohne dass der Staat in die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen eingreift, da nur diese Lösung die staatliche Neutralität wahre. Es sei Sache der Parteien selbst, überzogene (und möglicherweise unverhältnismäßige) Tarifforderungen durch den Einsatz ihrer Verhandlungsmacht abzuwehren.59 Dem ist im Schrifttum erhebliche Kritik entgegengebracht worden.60 Die Gegenposition aus der Literatur weist auf die Notwendigkeit einer Rechtmäßigkeits56 Dieterich, in: FS Otto, S. 45 (52 ff.); Hensche, AuR 2004, 443 (445); Kerwer, EuZA 2008, 335 (347); Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 182. 57 Vgl. LAG Niedersachsen v. 2.6.2004 – 7 Sa 819/04, AP Nr. 164 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4; Brecht-Heitzmann, NJW 2007, 3617 (3618); noch restriktiver Blanke, AuR 2006, 1 (6): „Damit ist jede Form der Tarifzensur verboten, so dass Art und Höhe der gewerkschaftlichen Forderungen keiner Rechtskontrolle unterliegen.“ 58 So schon RG v. 6.2.1923 – III 93/22, RGZ 106, 272 (277); vgl. auch BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, AP Nr. 117 zu Art. 9 GG; BAG v. 19.6.1984 – 1 AZR 361/ 82, NZA 1984, 261 (262 ff.); BAG v. 12.9.1984 – 1 AZR 342/83, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Bremen v. 5.5.1998 – 2 Sa 127/98, AiB 1998, 537 (538); für die Lohnforderungen von Spezialistengewerkschaften LAG Sachsen v. 2.11.2007 – 7 SaGa 19/07, NZA 2008, 59 (70); ebenso die h. M. im Schrifttum, vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 29 Rn. 34 m.w. N.; MünchArbR-Otto, 2. Aufl., § 282 Rn. 93 f.; Wank, in: FS Kissel, S. 1235; kritisch Loritz, in: FS 50 Jahre BAG, S. 557 (570). 59 Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1021); Pascke/Ritschel, AuR 2007, 110 (113). 60 Vgl. Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019 (1022); Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 442 ff.; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 160 ff.; dens., NZA 2007, 310 (313); dens., Anm. zu BAG v. 24.4.2007, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Sozialplan Bl. 23 ff.; Franzen, ZfA 2005, 315 (335 ff.); Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (563 f.); Höfling, ZfA 2008, 1 (22 f.); Hohenstatt/Schramm, DB 2004, 2214 (2215); Kaiser, in: FS Buchner, S. 385 (394 ff.); Kock, ZIP 2007, 1775 (1777); Lelley, EWiR 2003, 1035 (1036); Löwisch, DB 2005, 554 (559); Meyer, DB 2005, 830 (832 f.); Nicolai, SAE 2004, 240 (242 ff.); Otto, Arbeitskampfrecht, § 8 Rn. 43; dens., in: FS Konzen, S. 663 (668); Rolfs/Clemens, DB 2003, 1678 (1681); Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 f.; Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (593 f.); Sutschet, ZfA 2005, 581 (613 ff.); Wank, RdA 2009, 1 (7 f.); Willemsen/ Stamer, NZA 2007, 413 (414); im Zusammenhang mit der Zulässigkeit von Arbeits-

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kontrolle der Streikforderung nach Abschluss eines Tarifsozialplans hin.61 Diese umfasse auch die Rechtskontrolle der Forderungshöhe, die nicht als unzulässige Verhältnismäßigkeitskontrolle zu verstehen sei. Vielmehr handle es sich um eine Prüfung, die danach frage, ob „im Gewand einer zulässigen Tarifforderung ein Ziel erkämpft werde, das nicht erkämpfbar sei“ 62. Das Verbot der Tarifzensur verbiete eine gerichtliche Billigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle, nicht aber die Prüfung, ob eine Tarifforderung gegen die Grundrechte verstoße; dies sei als Rechtmäßigkeitskontrolle zu qualifizieren, die zum Schutz der Grundrechte des Arbeitgebers geboten sei.63 Die bisherige Haltung der Gerichte müsse als Verstoß gegen das Rechtsverweigerungsverbot qualifiziert werden.64 Diese Grundsätze würden auch für den „Sonderfall“ gelten, dass ein Streik um die erstmalige Aufnahme von Tarifvertragsverhandlungen geführt werde, wenn der Arbeitgeber diese bisher abgelehnt hatte.65 Hinsichtlich des Maßstabs, wann das „Wie“ der mittels Arbeitskampf angestrebten Ausgestaltung der sozialen Folgen ins „Ob“ der Unternehmerentscheidung umschlage und somit in den Kernbereich der Berufsfreiheit vordringe, werden unterschiedlichste Lösungen vorgeschlagen: Der Großteil der Autoren will die Rechtswidrigkeit eines Arbeitskampfes danach bestimmen, ob der angestrebte Tarifvertrag die unternehmerische Verlagerung wirtschaftlich unmöglich mache.66 Am umfassendsten ist dieser Ansatz von Fischinger67 entfaltet worden. Er spricht sich dafür aus, dass ein Arbeitskampf dann unzulässig sei, wenn die durch den Tarifsozialplan entstehenden Kosten die Einspareffekte der Verlagerung aufzehren;68 sei dies nicht der Fall, müssten noch die Summierungseffekte aus dem betrieblichen Sozialplan mit eingerechnet werden. Einige Autoren stellen dagegen auf die Grundsätze der §§ 111 ff. BetrVG ab, um die zulässige Höchstgrenze zu ermitteln und gelangen zu unterschiedlichen Ergebnissen.69 Zum Teil wird ergänzend auf den Grundsatz der Existenzvernichtung abgestellt kämpfen von Spezialistengewerschaften um exorbitante Lohnforderungen Greiner, NZA 2007, 1023 (1028); v.Steinau-Steinrück/Glanz, NZA 2009, 113 (118). 61 Vgl. Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 164 f. 62 Kaiser, in: FS Buchner, S. 385 (394 f.). 63 Anders dagegen Otto, Arbeitskampfrecht, § 8 Rn. 44; ders., Otto, in: FS Konzen, S. 663 (684): „Mir ist durchaus bewusst, dass es sich bei den vorstehenden Überlegungen zu einer gewissen Tarifzensur über § 138 BGB hinaus um eine Gratwanderung handelt.“ 64 Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (564). 65 Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 165 ff. 66 Vgl. Kaiser, in: FS Buchner, S. 385 (396). 67 Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 160 ff.; prägnant zusammengefasst ders., Anm. zu BAG v. 24.4.2007, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Sozialplan Bl. 23R f. 68 So wohl auch Bauer/Krieger, NZA2004, 1019 (1022). 69 Für § 112 Abs. 5 BetrVG plädieren Otto, Arbeitskampfrecht, § 8 Rn. 43; Sutschet, ZfA 2005, 581 (613 ff.); Thüsing/Ricken, JbArbR 2005, S. 113 (121). Für § 113 Abs. 1 BetrVG i.V. m. § 10 KSchG: Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (564); Löwisch, DB 2005,

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und die Grenze der Arbeitskampffreiheit dort verortet, wo die Erfüllung der Forderung zur Insolvenz des Unternehmens führe.70 Einen Mittelweg hat das LAG Schleswig-Holstein71 beschritten. Die Tariffähigkeit einer Forderung und damit auch die Zulässigkeit eines Streiks könnten auch vom Forderungsumfang abhängen. Es sei nicht zu verkennen, dass insbesondere durch exorbitant lange Kündigungsfristen die unantastbare Freiheit des Arbeitgebers, seinen Betrieb zu verlagern, faktisch ausgehebelt werden könne. Dennoch sei an die gerichtliche Prüfung, ob sich die Rechtswidrigkeit eines Arbeitskampfes nur aus dem Forderungsumfang ergeben könne, strenge Anforderungen zu stellen. Es müsse der Tarifforderung „sozusagen augenscheinlich auf der Stirn geschrieben stehen“, dass sie den Kernbereich der Unternehmensautonomie verletzte, ansonsten liefe es auf eine unzulässige Tarifzensur durch die Gerichte hinaus. Danach sei die in Anspruch genommene Tarifvertragspartei dafür darlegungs- und beweispflichtig, dass die Umsetzung der Tarifforderung zu einer „wirtschaftlichen Erdrosselung“ des Unternehmens führen würde. Im zu entscheidenden Fall sei dies nicht gelungen. Krause72 will zudem auch das Verhandlungsverhalten bei der Frage nach der wirtschaftlichen Unmöglichkeit der Umsetzung der Unternehmerentscheidung berücksichtigen. Die Grenze zur Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfes ergebe sich nicht nur aus dem Forderungsumfang. Erst wenn die Gewerkschaft im Rahmen des Arbeitskampfes an ihren Ausgangsforderungen festhalte und dieser Tarifvertrag zur wirtschaftlichen Erdrosselung der Verlagerungsentscheidung führe, sei der Streik um den Tarifsozialplan wegen eines Verstoßes gegen die Unternehmerfreiheit rechtswidrig. 3. Stellungnahme a) Einführende Gedanken Die bisherigen Ansätze in Rechtsprechung und Schrifttum zeigen auf, dass sich bei der Frage nach der Rechtskontrolle des Umfangs von Streikforderungen 554 (558); kritisch zu diesen Ansätzen Kaiser, in: FS Buchner, S. 385 (395 f.); Krause, Standortsicherung, S. 115; Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1020). 70 Vgl. Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (415); Thüsing/Ricken, JbArbR 2005, S. 113 (121). 71 LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4 ff., obgleich die Frage nach der Unzulässigkeit der Tarifforderung offengelassen wurde, weil es sich um „Forderungen“ und nicht um „festehende Bedingungen“ handelte; zustimmend hinsichtlich der Abgrenzung von Tarifzensur und Rechtmäßigkeitskontrolle ArbG Frankfurt a. M. v. 15.3.3005 – 5 Ca 4542/04 (juris), unter Rn. 95 der Entscheidungsgründe. 72 Krause, Standortsicherung, S. 115 ff.; kritisch Kaiser, in: FS Buchner, S. 385 (395).

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nach Abschluss von Tarifsozialplänen unterschiedlichste Vorstellungen hinsichtlich der Zulässigkeit und Gebotenheit eines staatlichen Eingriffs in den tarifvertraglichen Einigungsprozess gegenüberstehen. Dies verwundert nicht, da die Arbeitgeber sich bisher nicht gegen die Rechtswidrigkeit der tarifvertraglichen Vereinbarungen wandten, sondern ausschließlich die Abwehr des Arbeitskampfes um Forderungen nach Abschluss von Tarifsozialplänen anstrebten, die nach ihrer Auffassung in den Kernbereich ihrer unternehmerischen Betätigungsfreiheit vordringen. Im Gegensatz zur Grundrechtskontrolle von Tarifverträgen liegt in diesem Fall der Einwand einer Tarifzensur näher, da Gerichte darüber entscheiden sollen, ob eine Tarifforderung in einer bestimmten Höhe rechtmäßigerweise erhoben werden kann, ohne dass überhaupt feststeht, ob sie jemals Eingang in einen Tarifvertrag finden wird.73 Wer bereits eine Grundrechtskontrolle des quantitativen Umfangs abgeschlossener Vereinbarungen ablehnt, muss folgerichtig erst recht den Eingriff in den tariflichen Einigungsprozess als unzulässig bewerten.74 Selbst wenn man den quantitativen Umfang des Tarifvertrags zumindest in besonderen Konstellationen einer Rechtskontrolle unterziehen will,75 lässt sich dieses Vorgehen nicht unreflektiert auf die Kontrolle von Streikforderungen übertragen: Würden die Gerichte eine vorbeugende Grundrechtskontrolle vornehmen, bestünde die Gefahr, dass die tarifvertragliche Einigung nicht durch das freie Spiel der Kräfte zustande kommt, sondern der quantitative Umfang der Regelung maßgeblich vom Richter bestimmt wird. Die Arbeitgeberseite könnte im Laufe eines Tarifkonflikts zumindest theoretisch mehrfach gerichtlichen Rechtsschutz ersuchen, um die Forderung der Gegenseite auf ein angemessenes Maß zu stutzen. Es ist offensichtlich, dass dies den tarifvertraglichen Einigungsprozess erheblich behindern würde. Es wäre mit dem Grundgedanken, dass der Staat seine Tätigkeit auf dem Gebiet der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen weit zurückgenommen und die Gestaltung der regelungsbedürftigen Fragen den Koalitionen überlassen hat, kaum zu vereinbaren, dass die Gerichte eine solch tragende Rolle im Rahmen des tariflichen Einigungsprozesses erhalten. Ferner ist es nicht zu bestreiten, dass Ausgangsforderungen naturgemäß höher angesetzt werden, um sich im Laufe der Verhandlungen in der Mitte treffen zu können. Dies ist charakteristisch für ein strategisches Vorgehen bei Vertragsverhandlungen. Es erscheint schwierig, einen Bezugspunkt für eine mögliche Rechtskontrolle zu finden. Betrachtet man die Problematik jedoch aus dem Blickwinkel des bestreikten Arbeitgebers, bildet das Grundrecht der Berufsfreiheit der Arbeitgeber den Ausgangspunkt der Überlegungen. Es gilt der Grundsatz, dass Tarifverträge und Arbeitskämpfe nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen dürfen. Die Tarifautono73 74 75

Siehe hierzu bereits Kapitel 4 C. III. 6. c). Deutlich Brecht-Heitzmann, NJW 2007, 3617 (3618). So die in dieser Untersuchung vertretene Auffassung, siehe Kapitel 4 C. III. 6. c).

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mie ist zwar vorbehaltlos gewährleistet, dies bedeutet gleichwohl nicht, dass die Grundrechtsausübung keinen Schranken unterliegt.76 Eingriffe in die Tarifautonomie können gerechtfertigt sein, wenn kollidierendes Verfassungsrecht dies gebietet. Das Grundrecht der Berufsfreiheit der Arbeitgeber ist also grundsätzlich geeignet, die Koalitionsbetätigungsfreiheit zu beschränken. Mittels Abwägung im Sinne praktischer Konkordanz ist somit zu ermitteln, welcher Grundrechtsausübung Vorrang zukommt. Dabei gilt der Grundsatz, dass beide Grundrechtsgewährleistungen bestmöglich zur Entfaltung gelangen sollen. Ferner gilt es zu beachten, dass ein Streik gegen die Standortverlagerungsentscheidung wegen eines Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG rechtswidrig ist.77 Nähert man sich der Frage aus dieser Blickrichtung, erscheint es folgerichtig, auch den Umfang einer Streikforderung einer Grundrechtskontrolle zu unterziehen. Mag man es noch als notwendige Funktionsbedingung der Tarifautonomie ansehen, dass die Einigung dem freien Spiel der Kräfte unterliegt, könnten aus Art. 12 Abs. 1 GG abzuleitende staatliche Schutzpflichten eine Rechtskontrolle erfordern, wenn eine Tarifforderung mittels Arbeitskampfs durchgesetzt werden soll, die, falls sie in dieser Form tarifiert würde, möglicherweise wegen eines Grundrechtsverstoßes unwirksam wäre. Außerdem kann durch die Verknüpfung von Forderungsumfang und Verhandlungsdruck eine besondere Qualität erreicht werden.78 Dem Arbeitgeber bliebe keine andere Wahl, als den Arbeitskampf durchzustehen und sich trotz der empfindlichen Folgen eines Arbeitskampfes einer Einigung gänzlich zu verschließen, um unverhältnismäßige Tarifforderungen abzuwehren.79 Wer die quantitative Ausgestaltung einer tarifvertraglichen Vereinbarung einer Grundrechtskontrolle unterzieht und einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit annimmt, wird daher folgerichtig auch für eine Grundrechtskontrolle von Tarifforderungen plädieren.80 Selbst Dieterich81, der dies ebenso wie eine Rechtskontrolle von Tarifforderungen ablehnt, gesteht ein, dass es durchaus dem Kontrollprogramm des BVerfG entspreche, privatautonom erzielte Verhandlungsergebnisse nur dann anzuerkennen, soweit sie nicht auf einer Störung des Vertrags- oder Marktmechanismusses beruhten, was der Fall sei, wenn das Vorgehen der Gewerkschaft als Missbrauch des Streikrechts gewertet werden müsse. All dies deutet auf die Gebotenheit eines staatlichen Eingriffs in den tariflichen Einigungsprozess hin, zumindest wenn sich aus der Forderungshöhe eine besondere Qualität ergibt. 76 Vgl. nur BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf m.w. N.; siehe hierzu bereits in Kapitel 3 C. I. 77 Kapitel 3 C. III. 3. b). 78 Vgl. Krause, Standortsicherung, S. 115 f.; Otto, in: FS Konzen, S. 663 (678). 79 Vgl. Otto, in: FS Konzen, S. 663 (683). 80 Deutlich Nicolai, SAE 2004, 240 (243 f.); vgl. auch Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 486. 81 Dieterich, in: FS Otto, S. 45 (52).

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b) Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG: Verbot der Existenzvernichtung Eine Schranke hinsichtlich der Forderungshöhe könnte sich bereits aus Art. 9 Abs. 3 GG ergeben, falls sich die Rechtswidrigkeit der Streikforderung ohne Rückgriff auf Art. 12 Abs. 1 GG bereits damit begründen ließe, dass das Vorgehen der Gewerkschaft auf die Vernichtung des verlagerungswilligen Arbeitgebers ausgerichtet sei. Darauf deutet bereits die Aussage des Ersten Senats82 hin, dass die Grenze dort liege, wo die Streikforderung gezielt auf die wirtschaftliche Existenzvernichtung des Gegners gerichtet und damit vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG nicht mehr gedeckt sei.83 Ein Streik um Tarifsozialpläne könnte also allein wegen seines existenzgefährdenden Charakters rechtswidrig sein, ohne dass auf den Kernbereich der Unternehmensautonomie des bestreikten Arbeitgebers abgestellt werden müsste.84 Der Grundsatz des Verbots der Existenzvernichtung untersagt jedoch nach dem bisherigen Verständnis, wie es auch in der Aussage des Ersten Senats85 betont wird, zunächst nur die gezielte Vernichtung des Gegners.86 Es lässt sich aus ihm kein Verbot eines Arbeitskampfes ableiten, welcher den unbeabsichtigten Zusammenbruch eines Unternehmens zur Folge hätte.87 Unterhalb der Existenzvernichtungsgrenze bedarf es einer weiteren Differenzierung, um zu ermitteln, inwieweit die Zufügung von Schäden im Bereich existenzgefährderter Betriebe noch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar ist. Manche Autoren sehen einen Arbeitskampf sogar als rechtmäßig an, wenn die Existenzgefährdung des Gegners für die kampfführende Partei vorhersehbar war und billigend in Kauf genommen wurde.88 Andere führen dagegen an, dass erst die ohne jeden Zweifel voraussehbare Vernichtung im Widerspruch zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz steht.89 Des Weiteren wird die Auffassung vertreten, dass ein Streik unverhältnis-

82 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (997) mit Verweis auf BAG v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. auch BAG v. 11.5. 1993 – 1 AZR 649/92, BAGE 73, 141 (149 f.). 83 Der Grundsatz des Verbots der Existenzvernichtung des Kampfgegners ist als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu verstehen, vgl. BAG v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 29 Rn. 22, § 31 Rn. 7 m.w. N. 84 Vgl. Brecht-Heitzmann, NJW 2007, 3617 (3618); Krause, Standortsicherung, S. 115 f.; Otto, Arbeitskampfrecht, § 8 Rn. 41; dens., in: FS Konzen, S. 663 (681). 85 Vgl. BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (997). 86 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1164 f.; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 29 Rn. 22. 87 So Dieterich, in: FS Otto, S. 45 (52 f.); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1165. 88 Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1165 m.w. N. 89 Vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 29 Rn. 27 m.w. N.

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

mäßig sei, wenn die Arbeitskampfmaßnahmen dazu führen, dass das bestreikte Unternehmen aufgrund des Streikschadens aus dem Markt ausscheiden muss.90 Es stellt sich somit die Frage, wo die Grenze zwischen notwendiger Schädigung und unverhältnismäßiger Kampfführung bei einem Standortstreik um Tarifsozialpläne liegt. Dabei wird man nicht ohne weitere Überlegungen darauf abstellen können, dass allein der Umfang der Forderungen zur Existenzgefährdung des Unternehmens führen kann. Es ist vielmehr zwischen den unmittelbaren Folgen durch den Arbeitskampf und der drohenden wirtschaftlichen Belastung durch das Verhandlungsergebnis zu unterscheiden, um festzustellen, dass der Arbeitskampf eine solche Zielsetzung verfolgt.91 Beim Verbot der Existenzvernichtung handelt es sich um eine Schranke, die anhand subjektiver Kriterien bestimmbar zu machen ist. Zudem ist in erster Linie auf die unmittelbaren Schädigungsfolgen des Arbeitskampfes und nicht auf die Folgen eines Tarifvertragsabschlusses abzustellen, wie er von der kampfführenden Partei angestrebt wird.92 Das Vernichtungsverbot ist also nicht schon dann einschlägig, wenn allein der Umfang der Tarifforderung nach Abschluss eines Tarifsozialplans zur Folge hätte, dass das Unternehmen Insolvenz anmelden müsste. Dies müsste vielmehr zwangsläufige und beabsichtigte Folge des Streiks sein. Eine quantitative Begrenzung zur Aufstellung von Tarifforderungen nach Abschluss von Tarifsozialplänen lässt sich aus dem Verbot der Existenzvernichtung daher nicht ableiten.93 Stattdessen ist danach zu fragen, ob das Kampfverhalten der Gewerkschaft den eindeutigen Schluss zulässt, dass die Vernichtung des Unternehmens angestrebt wird. Der Anwendungsbereich des Existenzvernichtungsverbots ist also denkbar klein. Im Fall des Standortstreiks um Tarifsozialpläne wird in der Regel nicht die gezielte Vernichtung des verlagerungswilligen Arbeitgebers angestrebt. Die schädigenden Folgen des Arbeitskampfes und der psychische Druck, welcher von der exorbitanten Tarifforderung ausgeht, sind zwar geeignet, die Unternehmerentscheidung in Frage zu stellen. Es bedürfte jedoch des Nachweises, dass damit das Ziel verfolgt wird, das Unternehmen gänzlich vom Markt zu drängen.94 Der exorbitante Umfang der Streikforderung kann auch damit begründet werden, dass die Folgen einer Massenentlassung besonders schwer wiegen. Besonders in strukturschwachen Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit müssen die von der Verlage90 Vgl. Hueck/Nipperdey, ArbR, Band II/2, S. 1030 f.; Köhler, RdA 1987, 239; Löwisch/Meier-Rudolph, JuS 1982, 237 (244). 91 Vgl. Otto, Arbeitskampfrecht, § 8 Rn. 41; dens., in: FS Konzen, S. 663 (681). 92 Vgl. BAG v. 11.5.1993 – 1 AZR 649/92, BAGE 73, 141 (149 f.). 93 A.A. wohl Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (415); Thüsing/Ricken, JbArbR 2005, S. 113 (121). 94 Vgl. Krause, Standortsicherung, S. 115 f.

A. Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG

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rungsentscheidung betroffenen Arbeitnehmer damit rechnen, nicht zeitnah einen neuen Arbeitsplatz zu erhalten. Im Fall einer Massenentlassung ist die Konkurrenz um freie Arbeitsplätze naturgemäß besonders hoch. Es fällt schon schwer, den Nachweis zu erbringen, dass die Streikmaßnahmen, die formal auf die soziale Abmilderung der Standortverlagerungsentscheidungen gerichtet sind, tatsächlich auf die Verhinderung der Verlagerungsentscheidungen abzielen.95 Wie soll also der schwerer wiegende Vorwurf der gezielten Existenzvernichtung belegt werden? Im Zusammenhang mit den Arbeitskämpfen um die Abmilderung der Standortentscheidung hat Krause96 vorgeschlagen, auf den exorbitanten Umfang der Tarifforderungen in Verbindung mit dem Verhandlungsverhalten abzustellen. Das Verhalten der Gewerkschaft sei dann von der Koalitionsbetätigungsfreiheit nicht mehr umfasst, wenn die Erfüllung der Forderungen die Insolvenz des Unternehmens zur Folge hätte und die Gewerkschaft im weiteren Verlauf der Tarifauseinandersetzung über einen längeren Zeitraum unmissverständlich an ihren Ausgangsforderungen festhalte, ohne sich auf Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite einzulassen. Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass auch das Festhalten an den Ausgangsforderungen nicht zwangsläufig den Schluss zulässt, dass die Existenzvernichtung, bzw. die sehenden Auges in Kauf genommene Existenzgefährdung des Arbeitgebers angestrebt wird. Die Messlatte ist mit Blick auf den Ausnahmecharakter dieses Verbots höher zu legen: Ein Verstoß gegen das Verbot der Existenzvernichtung des Kampfgegners kann bei Standorttarifkonflikten erst dann angenommen werden, wenn die unmittelbaren Folgen des Arbeitskampfes, also der Stillstand der Produktion, das Unternehmen so weit „ausbluten“ lassen, dass eine Existenzvernichtung nur noch eine Frage der Zeit ist. In diesem Fall befände sich der Arbeitgeber in der Zwickmühle, da er den Zusammenbruch seines Unternehmens auch nicht durch ein Nachgeben gegenüber den gewerkschaftlichen Forderungen abwenden könnte, da die Höhe der Tarifforderung erst recht zur Existenzvernichtung führen würde. Zeigt der bestreikte Arbeitgeber der Gewerkschaft seine finanzielle Notlage an und hält diese dennoch unnachgiebig an ihren Ausgangsforderungen fest, wäre es erst zu diesem Zeitpunkt offensichtlich, dass das Vorgehen der Gewerkschaft nicht mehr von der Koalitionsbetätigungsfreiheit umfasst ist. Der Hinweis des Ersten Senats97, der durchaus so verstanden werden kann, dass aus diesem Grundsatz des Arbeitskampfrechts Grenzen der Streikbefugnis bei Standorttarifkonflikten abgeleitet können, hat folglich nur geringe praktische Bedeutung. Will man eine Lösung ausschließlich aus dem Blickwinkel des 95 96 97

Siehe hierzu Kapitel 5 A. I. 2. Krause, Standortsicherung, S. 115 f. BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (997).

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

Schutzbereichs von Art. 9 Abs. 3 GG suchen, verbliebe dem Arbeitgeber keine Möglichkeit gegen eine exorbitante Streikforderung vorzugehen, selbst wenn ihre Erfüllung zur Insolvenz führen würde. c) Evidenzkontrolle als angemessener Ausgleich Entscheidend ist also, ob sich unter Rückgriff auf Art. 12 Abs. 1 GG eine weitergehende Beschränkung gewerkschaftlicher Kampfbefugnisse rechtfertigen lässt. Dies würde zunächst voraussetzen, die Streikforderung hinsichtlich ihrer Höhe einer Rechtskontrolle unterziehen zu können. Diese Frage nach der Zulässigkeit und Gebotenheit einer Rechtskontrolle des Umfangs einer Tarifforderung nach Abschluss von Tarifsozialplänen ist, wie bereits erwähnt,98 anhand einer Abwägung der Grundrechtsinteressen aus Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 12 Abs. 1 GG zu beantworten. Die Gegensätzlichkeit der zu dieser Problematik vertretenen Auffassungen liegt gerade in der unterschiedlichen Wertung dieser divergierenden Verfassungsgewährleistungen begründet. Unabhängig davon, ob man diese Frage aus dem Blickwinkel der Berufsfreiheit oder der Tarifautonomie betrachtet, ist stets ein angemessener Ausgleich der widerstreitenden Interesse maßgeblich, der die Grundrechte bestmöglich zur Entfaltung gelangen lässt.99 Im Ausgangspunkt ist nochmals darauf hinzuweisen, dass eine Rechtskontrolle ausscheidet, welche die Streikforderung auf ihre Billigkeit und Zweckmäßigkeit hin untersucht.100 Dies gilt nicht nur für abgeschlossene Tarifverträge, sondern erst Recht für Streikforderungen und wird auch von den Vertretern einer Rechtskontrolle von Streikforderungen nicht bestritten.101 Umstritten ist dagegen, ob die gerichtliche Überprüfbarkeit der Höhe von Tarif- und Streikforderungen als Tarifzensur zu werten ist. Entgegen der im Schrifttum verbreiteten Ansicht102 ist dem Ersten Senat103 darin zuzustimmen, dass eine umfassende Rechtskontrolle der Forderungshöhe mit einem erheblichen Eingriff in die Koalitionsbetätigungsfreiheit verbunden wäre.104 Auch wenn das BAG diesen Begriff in der Entscheidung vom 24.4.2007 nicht ausdrücklich verwendet, besteht doch die ernstzunehmende Gefahr einer 98

Kapitel 5 A. II. 3. a). So ausdrücklich für diese Fragestellung Hohenstatt/Schramm, DB 2004, 2214 f.; Ricken, ZfA 2008, 283 (287), jeweils m.w. N. 100 Siehe Kapitel 4 C. III. 6. c). 101 Deutlich Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 164; Otto, in: FS Konzen, S. 663 (664). 102 Vgl. nur Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 164 f.; Kaiser, in: FS Buchner, S. 385 (394 f.); Nicolai, SAE 2004, 240 (244); Wank, RdA 2009,1 (8). 103 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (996 f.). 104 So auch Ricken, ZfA 2008, 283 (288 f.). 99

A. Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG

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Tarifzensur, da den Gerichten eine entscheidende Rolle bei Tarifkonflikten zukäme, wenn die Möglichkeit bestünde, die Höhe der Tarifforderung der Gegenseite einer „vorbeugenden“ Kontrolle zu unterziehen. Die Koalitionsbetätigungsfreiheit gewährleistet gerade das Aushandeln von Tarifverträgen als wesentlichen Zweck. Aus diesem Grund leuchtet es ein, dass sich die Arbeitsgerichte bisher sehr zurückhaltend gezeigt haben und sich nicht im Stande sahen, den Forderungsumfang einer Grundrechtskontrolle zu unterziehen. Andererseits verkennt diese restriktive Haltung, dass durch Verknüpfung von Forderungsumfang und Verhandlungsdruck im Einzelfall eine besondere Qualität erreicht werden kann, die geeignet ist, eine mittelbare Beeinträchtigung der Berufsfreiheit des verlagerungswilligen Arbeitgebers nach sich zu ziehen. Der Erste Senat105 führt zwar aus, dass „die Forderungen der Beklagten jedenfalls in ihrer Summe geeignet gewesen wären, die geplante Verlagerung von Teilen ihrer Produktion an andere Standorte faktisch zu verhindern oder wirtschaftlich unsinnig zu machen“. Des Weiteren wird darauf hingewiesen, dass Einschränkungen der Koalitionsbetätigungsfreiheit zum Schutz des Koalitionspartners durchaus in Betracht kommen können.106 Die Notwendigkeit einer Kontrolle von Tarifforderungen folge daraus aber nicht. Dies verdeutlicht, dass die Wertungen des Art. 12 Abs. 1 GG nicht als geeignet angesehen werden, eine die Tarifautonomie „beschränkende“ Rechtskontrolle von Streikforderungen zu rechtfertigen, zumal das BAG107 auch die Frage nach einem Kampfverbot für die unmittelbare Einflussnahme auf unternehmerische Standortentscheidungen ausdrücklich offen gelassen hat. Eine konkrete Abwägung der Grundrechtsinteressen der Arbeitgeber bedurfte es nach Ansicht des Ersten Senats108 nicht, da von einer exorbitanten Streikforderung alleine kein Eingriff in die Grundrechtsposition des Arbeitgebers ausgehe. Die Frage nach der Zulässigkeit der Ausübung von Verhandlungsdruck wird davon isoliert betrachtet und rechtlich bewertet.109 Dem kann man noch insoweit zuzustimmen, als dass man allein aus der Höhe einer Streikforderung nicht darauf schließen kann, dass auch ein entsprechender Tarifvertrag zustande kommt. Im Folgenden wird jedoch übersehen, dass gerade durch die Verbindung von Forderungsumfang und Verhandlungsdruck das gewerkschaftliche Vorgehen eine Qualität erreichen kann, die als mittelbarer Eingriff in die Grundrechtsposition des Arbeitgebers klassifiziert werden kann. Spätestens die Aussage, dass der Arbeitskampf geeignet gewesen wäre, die Verlagerung „wirtschaftlich unmöglich“ zu machen, hätte Ansatzpunkt für die Überlegung sein müssen, inwieweit dies eine Grundrechtskontrolle des Forderungs105 106 107 108 109

BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (998). BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (996). BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (997 f.). BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (996 f.). Vgl. Dieterich, in: FS Otto, S. 45 (53).

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

umfangs im Ausnahmefall rechtfertigen kann bzw. im Hinblick auf die Berufsfreiheit des bestreikten Arbeitgebers gar geboten gewesen wäre.110 Die Frage nach der Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen hätte sich folglich ohne eine gesicherte Grundlage hinsichtlich des Problems zur Erstreikbarkeit unternehmerischer Grundlagenentscheidungen nicht beantworten lassen. Gelangt man zum Kampfverbot für unternehmerische Standortentscheidungen111 stellt sich zwangsläufig die Frage, inwieweit diese Wertungen umgangen werden, wenn durch einen Streik eine Wirkung erzielt wird, die einem Streik, der auf die Verhinderung der Verlagerung abzielt, gleicht. Dabei reicht es nicht aus, einen Eingriff in die Berufsfreiheit der Arbeitgeber von vorneherein abzulehnen, da dieser erst vorliege, wenn der Arbeitgeber oder sein Verband der Regelung zugestimmt hätte.112 Dies würde bedeuten, dass ein Arbeitskampf, der eine Regelung erzwingen soll, keine grundrechtsbeeinträchtigende Wirkung hätte, während diese bei einer freiwilligen Vereinbarung gegeben wäre. Dies wird den tatsächlichen Umständen nicht gerecht, verkennt Grundzüge der Grundrechtsdogmatik und führt zu Folgeproblemen: Kann der Arbeitgeber, nachdem er eine Streikforderung angenommen hat, die nicht durch Einsatz seiner Verhandlungsmacht auf ein „normales Maß gedrückt“ wurde, anschließend dennoch einwenden, dass der Tarifvertrag gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstoße? Es erscheint äußerst fragwürdig, ob die Gerichte dieser Argumentation folgen würden. Ein solches Verhalten des Arbeitgebers müsste als anfänglicher Verhandlungsfehler gewertet werden.113 Stattdessen erscheint es systemkonformer, hinsichtlich der Rechtswidrigkeit des Tarifvertrags, welcher erstreikt wurde, in erster Linie darauf abzustellen, dass er unter Einsatz rechtswidrigen Verhandlungsdrucks erzielt wurde, und allein wegen seines rechtswidrigen Zustandekommens gegen den Willen des Arbeitgebers keine Wirkungen entfaltet.114 Allenfalls für den firmenbezogenen Verbandstarifvertrag käme es dagegen in Frage, die Rechtswidrigkeit einer erstreikten Regelung auch mit der quantitativen Ausgestaltung der Regelung in Ausnahmefällen zu begründen, da die Vereinbarung zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaft abgeschlossen wird.115 Die These, dass mit einer Streikforderung generell kein Grundrechtseingriff ausgeht, verkennt zudem die dargestellte Möglichkeit einer Verknüpfung von Forderungsumfang und Verhandlungsdruck. Schon die Tarifforderung, erst recht aber die Streikforderung, und nicht erst der vereinbarte Tarifvertrag kann sich 110 111 112 113 114 115

So auch die Kritik von Wank, RdA 2009, 1 (7 f.). Siehe Kapitel 3 C. III. 3. b). So jedoch Gaul, RdA 2008, 13 (18 f.). Vgl. Otto, in: FS Konzen, S. 663 (683). So auch Otto, in: FS Konzen, S. 663 (684) m.w. N. Siehe Kapitel 4 C. III. 6.

A. Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG

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auf die unternehmerische Dispositionsfreiheit prohibitiv auswirken.116 Ein Eingriff in das Grundrecht des bestreikten Arbeitgebers lässt sich somit nicht damit ablehnen, dass von der Höhe einer Tarifforderung keine rechtsgestaltende Wirkung ausgeht. Es erscheint daher zweifelhaft, den Arbeitgeber ausschließlich darauf zu verweisen, den Streik durchzustehen und so die Forderungen abzuwehren.117 Die Abwehr rechtswidriger Streikforderungen würde es erfordern, erhebliche Streikschäden in Kauf zu nehmen. All diese Erwägungen deuten nicht nur mit Blick auf die Berufsfreiheit des bestreikten Arbeitgebers auf die Notwendigkeit einer zumindest eingeschränkten Rechtskontrolle hin. Auch die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie kann in diesem Zusammenhang als Beleg für die Notwendigkeit einer Rechtskontrolle angeführt werden.118 Die Funktionsfähigkeit des tarifvertraglichen Einigungsprozesses kann gerade dadurch gefährdet werden, dass die Durchsetzung wirtschaftlich untragbarer Ergebnisse ermöglicht wird und so das verfassungsrechtlich verankerte Ziel der Tarifautonomie, des angemessenen Ausgleichs von Arbeitgeberund Arbeitnehmerinteressen, konterkariert wird.119 Festhalten lässt sich somit, dass die eigentliche Schwierigkeit der Abwägung hinsichtlich dieser Frage darin besteht, dass zwei Grundrechtsinteressen in angemessenen Ausgleich zu bringen sind, die beide intensiv berührt sind.120 Es besteht die Gefahr, dass eine Lösung gewählt wird, welche den Kernbereich der Tarif- oder der Unternehmensautonomie berührt. Dieser Aspekt ist in der bisherigen Rechtsprechung kaum zur Sprache gekommen.121 Bei einer vollumfänglichen vorbeugenden Rechtskontrolle von Tarifforderungen bestünde die Gefahr, dass die Tarifautonomie gänzlich leer laufen könnte. Dies gilt insbesondere im Bereich der sozialverträglichen Gestaltung der Folgen unternehmerischer Entscheidungen, die, betrachtet man die Historie der Tarifpolitik neben der Lohn116

Ebenso Bayreuther, NZA 2007, 1017 (1018). So Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1021); Pascke/Ritschel, AuR 2007, 110 (113). 118 Vgl. BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (996.): „Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass Einschränkungen der verfassungsrechtlich garantierten Betätigungsfreiheit der Koalitionen nur dann mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar sind, wenn sie entweder dem Schutz des jeweiligen Koalitionspartners und damit gerade der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie oder dem Schutz der Grundrechte Dritter dienen [. . .].“ (Hervorhebung durch den Verfasser!). 119 Zutreffend Greiner, NZA 2007, 1023 (1028). 120 Vgl. Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 185; wohl auch Dieterich, AuR 2007, 65 (70); Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49 (51); Oberberg/Schoof, AiB 2002, 169 (175); Reichold, BB 2004, 2814 (2817); Thüsing, in: FS 25 Jahre AG ArbR DAV, S. 225 (234), welche die sozialverträgliche Gestaltung der Folgen von Unternehmenentscheidungen dem Kernbereich der Tarifvertragspolitik zuordnen; a. A. ausdrücklich Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (562). 121 Eine Ausnahme bildet die Auffassung des LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 5. 117

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

und Gehaltspolitik, mittlerweile zu ihrem zentralen Aufgabenbereich zählt.122 Der Verzicht auf eine Rechtskontrolle von Streikforderungen würde wiederum bedeuten, dass durch die Verknüpfung von Forderungsumfang und Streik unternehmerische Richtungsentscheidungen, die nicht mittels Streiks angegriffen werden dürfen, trotz eines Verweises auf den Ausgleich ihrer Folgen faktisch beeinflusst werden. Die bisherigen Erwägungen deuten auf eine vermittelnde Lösung hin: Eine vollumfängliche Rechtskontrolle wird der Koalitionsbetätigungsfreiheit nicht gerecht, da übersehen würde, dass es im System des Arbeitskampfrechts angelegt ist, „überzogene“ Forderungen der Gegenseite durch Einsatz der eigenen Verhandlungsmacht abzuwehren. Für eine vollumfängliche gerichtliche Überprüfung der Höhe einer Tarifforderung besteht bei einem unterstellten Verhandlungsgleichgewicht daher grundsätzlich kein Bedürfnis. Demgegenüber besteht aus Arbeitgebersicht im Sonderfall von Streikforderungen, die auf die soziale Abmilderung einer Standortentscheidung abzielen, die Notwendigkeit, weit überzogene Forderungen mit gerichtlicher Hilfe abwehren zu können, um so zu verhindern, dass das Kampfverbot hinsichtlich unternehmerischer Grundlagenentscheidungen durch Verknüpfung von Forderungsumfang und Verhandlungsdruck umgangen wird. Auch dies in die Konkordanzüberlegungen miteinzubeziehen. 123 Die Funktion eines Arbeitskampfes besteht – entgegen verbreiteter Ansicht124 – nicht bloß darin, Verhandlungen anzuschieben, so dass einer Streikforderung schon keine rechtsgestaltende Wirkung zukommen kann. Dies würde im Ergebnis dazu führen, dass die Gewerkschaft auch rechtswidrige Forderungen stellen könnte, um vorzutragen, dass man sich im Laufe der Verhandlungen noch auf einen rechtmäßigen Tarifvertrag einigen werde.125 In diesem Fall erscheint es geboten, die Abwehr entsprechender Forderungen nicht der Verhandlungsmacht des Arbeitgebers und dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen, sondern korrigierend in den tariflichen Einigungsprozess einzugreifen. Selbst bei unterstellter Verhandlungs- und Kampfparität wäre eine Abwehr rechtswidriger Forderungen nicht mit dem Schutzzweck der Tarifautonomie zu vereinbaren. Der Erste Senat126 weist allerdings zu Recht ausdrücklich darauf hin, dass die Höhe einer Streikforderung auf die Kampfparität keinen Einfluss habe. Dies verdeutlicht, dass die Frage der Kampfparität von der Frage der Rechtmäßigkeit einer Streikforderung zu unterscheiden ist. Daraus folgt einerseits, dass die Höhe 122

Siehe Kapitel 1 A. I. 1., 2. und 3. A.A. jüngst Fischer, RdA 2009, 287 (295). 124 Vgl. nur LAG Niedersachsen v. 2.6.2004 – 7 Sa 819/04, AP Nr. 164 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4; ErfK-Dieterich, GG, Art. 9 Rn. 117; Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1020); Paschke/Ritschel, AuR 2007, 110 (113). 125 Treffend Krause, Standortsicherung, S. 112. 126 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (996). 123

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einer Kampfforderung nicht unter Rückgriff auf den Paritätsgrundsatz begrenzt werden kann.127 Andererseits kann man die Vorgehensweise, exorbitante Forderungen mittels Arbeitskampfs durchsetzen zu wollen, nicht alleine mit dem Grundsatz der Kampfparität legitimieren, ohne dabei die Wertungen der Berufsfreiheit des Arbeitgebers zu berücksichtigen.128 Stattdessen bietet es sich an, eine Evidenzkontrolle vorzunehmen, die danach fragt, ob durch eine streikbewehrte Sozialplanforderung in den Kernbereich der Berufsfreiheit des bestreikten Arbeitgebers vorgedrungen wird. Ansonsten würde übersehen, dass gerade im Fall einer Gestaltung der sozialen Folgen einer Unternehmerentscheidung mittelbarer Einfluss auf das „Ob“ der Unternehmerentscheidung gewonnen werden könnte. Dies unterscheidet Standorttarifkonflikte gerade vom „Regelfall“. Zwar kann jede exorbitante Lohnforderung unternehmerische Expansionspläne gefährden.129 Die Besonderheit der hier zu beurteilenden Problematik liegt jedoch gerade darin, dass eine bestimmte Unternehmerentscheidung gezielt mittels Arbeitskampfs torpediert werden könnte, obwohl eine tarifvertragliche Einflussnahme an der Standortpolitik des Unternehmens nicht mittels Arbeitskampfs durchgesetzt werden darf. Dies ist bei exorbitanten Lohnforderungen, auch wenn sie von Spartengewerkschaften gestellt werden, typischerweise nicht der Fall. Gerade bei Streikforderungen, die auf die soziale Ausgestaltung unternehmerischer Grundlagenentscheidungen abzielen, ist dagegen die Möglichkeit einer mittelbaren Beeinträchtigung der Berufsfreiheit der Arbeitgeber bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des gewerkschaftlichen Vorgehens in Erwägung zu ziehen. Im Ergebnis ist daher der Ansatz des LAG Schleswig-Holstein130 zu befürworten, da dieser einerseits die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie wahrt und andererseits die aus Art. 12 Abs. 1 GG abzuleitende Schutzpflicht des Staates berücksichtigt. Maßgeblich ist eine Evidenzkontrolle, um so einer drohenden Tarifzensur vorzubeugen.131 d) Bezugspunkt der Prüfung Ist eine Evidenzkontrolle der Forderungshöhe in diesem Ausnahmefall eines Streiks um Tarifsozialpläne somit als Ausgleich der widerstreitenden Interessen anzusehen, gilt es nun zu klären, welcher Bezugspunkt für diese Prüfung maßgeblich ist. Es stellt sich dabei die Frage, ob bereits die Ausgangsforderung der Gewerkschaft heranzuziehen ist. 127

Nicolai, SAE 2004, 240 (245 f.). Nicolai, SAE 2004, 240 (245 f.); zustimmend Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 169. 129 So der Einwand von Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 185. 130 LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4 ff. 131 So im Ergebnis auch Greiner, NZA 2008, 1274 (1280). 128

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

Dagegen wird eingewandt, dass es sich dabei um „Maximalforderungen“ handle, die keiner Rechtskontrolle zugänglich seien, weil diese in der Regel nur auf die Aufnahme von Tarifvertragsverhandlungen abzielten.132 Diese stellen keine „feststehende Bedingungen“ dar, welchen den Bezugspunkt für eine Rechtskontrolle bilden könne. Es sei Ausfluss der Koalitionsparität, zu Beginn von Tarifverhandlungen exorbitante Forderungen erheben zu dürfen. Dieser Argumentation ist allerdings zu Recht erhebliche Kritik im Schrifttum entgegengebracht worden.133 Es gilt der Grundsatz, dass eine Tarifforderung so präzise zu formulieren ist, dass die Gegenseite ihr ohne weiteres zustimmen können muss.134 Die Streikforderung ist kein „rechtliches nullum“, sondern Anknüpfungspunkt für die Rechtmäßigkeitsprüfung, etwa darauf, ob ein Verstoß gegen die tarifliche Friedenspflicht gegeben ist.135 Daraus folgt, dass sich die Tarifvertragspartei an ihrer Ausgangsforderung festhalten lassen muss.136 Ansonsten würde die Möglichkeit übersehen, dass der Arbeitgeber bereits die Ausgangsforderung zur Abwendung des Arbeitskampfes annehmen kann und sie somit Eingang in den Tarifvertrag findet. Die Gegenansicht würde im Ergebnis dazu führen, dass Streikforderungen zu Beginn eines Arbeitskampfes rechtswidrig sein können und erst durch Einsatz der Verhandlungsmacht der Gegenseite auf ein rechtmäßiges Maß reduziert würden. Dies gilt auch für den Fall, dass die Streikforderung auf die Aufnahme von Tarifvertragsverhandlungen gerichtet ist, wenn der Arbeitgeber diese bisher abgelehnt hat. Eine Differenzierung von „bloßen Forderungen“ und „feststehenden Bedingungen“ 137 führt zu unbefriedigenden Ergebnissen. Es bleibt zudem offen, ob dies auch dann gelten soll, wenn Verhandlungen geführt wurden, die gescheitert sind, und die Gewerkschaft erst dann zu Kampfmaßnahmen greift.138 Ferner vermag diese Sichtweise nicht zu erklä-

132 Vgl. LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 6; LAG Niedersachsen v. 2.6.2004 – 7 Sa 819/04, AP Nr. 164 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 3R; ErfK-Dieterich, GG, Art. 9 Rn. 117; Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1020); Paschke/Ritschel, AuR 2007, 110 (113). 133 Vgl. Bauer/Krieger, NZA 2004, 1020 (1022); Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 166 ff.; Hohenstatt/Schramm, DB 2004, 2214 (2215); Löwisch, DB 2005, 544 (559); Nicolai, SAE 2004, 240 (244); Ricken, ZfA 2008, 283 (288); Rolfs/Clemens, DB 2003, 1678 (1680); Sutschet, ZfA 2005, 581 (615); Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (564) will dagegen einen Verhandlungsspielraum anerkennen und nur Forderungen, „die völlig außerhalb des Üblichen und für das Unternehmen Tragbaren liegen“, aus der Arbeitskampffreiheit ausklammern; ähnlich wohl auch Grimm/Pelzer, NZA 2008, 1321 (1327). 134 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 24 Rn. 12; Nicolai, SAE 2004, 240 (244). 135 Ricken, ZfA 2008, 283 (288). 136 So auch Bauer/Krieger, NZA2004, 1019 (1022). 137 LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 6. 138 Zutreffend Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 168.

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ren, wie zu verfahren wäre, wenn die kampfführende Partei ihre Forderung im Laufe des Tarifkonflikts noch erhöht. Erster Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist daher bereits die Ausgangsforderung der Gewerkschaft. Dabei ist nicht jede einzelne Forderung getrennt zu beurteilen,139 sondern eine Gesamtschau maßgeblich, da ansonsten übersehen würde, dass gerade die kumulative Wirkung der Einzelforderungen in ihrer Gesamtheit zu einer mittelbaren Beeinträchtigung der Berufsfreiheit führen können140. Von der Gewerkschaft wird in der Regel ein „Forderungspaket“ geschnürt.141 Die Rechtswidrigkeit eines Arbeitskampfes um Tarifsozialpläne ist allerdings nicht allein danach zu beurteilen, ob exorbitante Ausgangsforderungen gestellt wurden, deren Tarifierung geeignet ist, die unternehmerische Entscheidung zu verhindern.142 Dies würde ignorieren, dass gerade die Verknüpfung von Forderung und Verhandlungsdruck als Anlass für die Gebotenheit einer Evidenzkontrolle genommen wurde. Die Intensität eines mittelbaren Eingriffs in die Berufsfreiheit des bestreikten Arbeitgebers hängt nicht nur von der Forderungshöhe ab, sondern wird maßgeblich vom Verhalten der Gewerkschaft beeinflusst. Ferner gilt es zu bedenken, dass im Gegensatz zu einem abgeschlossenen Tarifvertrag noch die Möglichkeit besteht, auf die Ausgestaltung des Tarifvertrags Einfluss zu nehmen.143 Die Gefahr, dass die unternehmerische Standortentscheidung gezielt durch einen Arbeitskampf um exorbitante Forderungen torpediert werden kann, besteht insbesondere dann, wenn sich die Gewerkschaft unnachgiebig zeigt, jegliche Verhandlungsbereitschaft versagt und so der Arbeitgeber den Eindruck gewinnen muss, gegen den Widerstand der Gewerkschaft die Standortentscheidung nur unter erheblichen Schwierigkeiten umsetzen zu können. Insoweit ist Krause144

139 In diesem Sinne BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (994 ff.), obgleich der Erste Senat unter Rn. 112 der Entscheidungsgründe auf die kumulative Wirkung der Einzelforderungen eingeht, eine Beeinträchtigung der Berufsfreiheit aber wiederum ablehnt. 140 Vgl. Bauer/Krieger, NZA2004, 1019 (1022); Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 445; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 172; Grimm/Pelzer, NZA 2008, 1321 (1327); Rolfs/Clemens, DB 2003, 1678 (1681); a. A. wohl Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 203. 141 Siehe hierzu bereits Kapitel 4 C. III. 6. d). 142 Deutlich Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019 (1022); Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 169 f.; Kaiser, in: FS Buchner, S. 385 (396); Löwisch, DB 2005, 554 (558 f.); Nicolai, SAE 2004, 240 (244 ff.); Rolfs/Clemens, DB 2003, 1678 (1680); Sutschet, ZfA 2005, 581 (614 f.). 143 So auch Bayreuther, NZA 2007, 1017 (1018), der daraus allerdings folgert, dass im Vergleich zu einer Kontrolle des Tarifvertrags bei einer Tarifforderung „Streikzuschläge draufzusatteln“ gewesen wären, wenn sich der Erste Senat einer Rechtskontrolle des Forderungsumfangs nicht verschlossen gezeigt hätte; vgl. auch Grimm/Pelzer, NZA 2008, 1321 (1327). 144 Krause, Standortsicherung, S. 116.

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

nachdrücklich darin zuzustimmen, dass auch das Verhandlungsverhalten zu berücksichtigen ist. Dabei handelt es sich nicht um eine unzulässige Verhältnismäßigkeitskontrolle des Streiks als Arbeitskampfmittel.145 Es soll gerade nicht das Verhandlungsverhalten der Gewerkschaft isoliert betrachtet werden. Maßstab bleibt weiterhin die Berufsfreiheit des bestreikten Arbeitgebers. Wenn die Gewerkschaft Kompromissbereitschaft signalisiert, wird exorbitanten Ausgangsforderungen eine gewisse Intensität genommen. Diese Vorgehensweise wird dem „typischen Mechanismus von Tarifvertragsverhandlungen“ 146 gerecht, bei denen die Ausgangsforderungen einen gewissen Spielraum enthalten. Auf diese Weise kann der Umstand, dass zu Mobilisierungszwecken in der Regel besonders hohe Forderungen gestellt werden, in die Bewertung miteinfließen. Ferner wird so berücksichtigt, dass letztendlich jeder Arbeitskampf um einen Tarifsozialplan die unternehmerische Dispositionsfreiheit beeinträchtigen kann. Die Prüfung ist somit nicht nur danach auszurichten, dass die Umsetzung der Tarifforderung die Verlagerungsentscheidung erheblich verteuert und unattraktiv gestaltet. Den Bezugspunkt der weiteren Prüfung bilden somit die Ausgangsforderung der Gewerkschaft und ihr weiteres Verhandlungsverhalten, um so festzustellen, in welchen Fällen ein Streik um Tarifsozialpläne mittelbar in den Kernbereich der Berufsfreiheit des Arbeitgebers vordringt. e) Umschlag von der Quantität in die Qualität Entscheidend ist daher, in welchem Fall die Verknüpfung von Forderungsumfang und Verhandlungsdruck offensichtlich dazu führt, dass dem Unternehmer das Letztentscheidungsrecht hinsichtlich der Standortentscheidung genommen wird. Hinsichtlich der maximal zulässigen Höhe der Tarifforderung gilt es zunächst zu ermitteln, ob diese zulässigerweise Eingang in einen Tarifvertrag finden kann. Insoweit können die Ergebnisse zum Gestaltungsspielraum von Sozialplaninhalten in firmenbezogenen Verbandstarifverträgen übertragen werden:147 Demnach wäre eine Streikforderung unzulässig, wenn die finanzielle Situation des Unternehmens angespannt ist und aus diesem Grund aus Unternehmersicht unabdingbare Umstrukturierungsmaßnahmen verhindert werden, weil die damit verbundenen Folgekosten vom Arbeitgeber nicht erfüllt werden können. Nur in diesem Ausnahmefall verstößt eine tarifvertragliche Regelung gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit des Arbeitgebers, so dass ein entsprechender Tarifsozialplan nicht als verfassungskonform angesehen werden kann. Durch diese Ausgestaltung der 145 146 147

So der Einwand von Kaiser, in: FS Buchner, S. 385 (395). Treffend Krause, Standortsicherung, S. 116 f. Ausführlich in Kapitel 4 C. III. 6. d).

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sozialen Folgen der Standortentscheidung würde dem Arbeitgeber die Umsetzung der Unternehmerentscheidung evident unmöglich gemacht. Entsprechendes gilt auch für die Zulässigkeit des Umfangs einer Tarifforderung.148 Tarifforderungen nach Abschluss von Tarifsozialplänen sind dagegen nicht bereits dann unzulässig, wenn sie den Umfang eines bereits vereinbarten betrieblichen Sozialplans erheblich übersteigen.149 Ferner kann die Unzulässigkeit der Tarifforderung nicht darauf gestützt werden, dass die Einspareffekte einer Verlagerungsentscheidung vollständig aufgezehrt werden.150 Als Maßstab für die wirtschaftliche Vertretbarkeit dient die Höchstgrenze des § 112 Abs. 5 S. 1, S. 2 Nr. 3 BetrVG. Demnach sind Forderungen erst dann unzulässig, wenn ihre Erfüllung den Arbeitgeber in die Insolvenz treiben würde.151 Insoweit trägt der Arbeitgeber die Beweislast. Er muss schlüssig darlegen, dass die Erfüllung der Forderung die Fortführung seiner unternehmerischen Tätigkeit erheblich gefährdet. Zum unzulässigen Forderungsumfang muss die Intensität des Verhandlungsdrucks hinzutreten, um zur Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfes zu gelangen. Da dieser Umstand in der bisherigen Diskussion zumeist unbeachtet blieb, stehen die Überlegungen erst am Anfang. Krause152 will darauf abstellen, ob die Gewerkschaft durch ihr weiteres Vorgehen erkennbar zum Ausdruck bringe, dass sie an den exorbitant hohen Forderungen „kategorisch festhalten“ will und diese lediglich als Vorwand dazu benutze, um die Maßnahme als solche zu verhindern; die Gewerkschaft müsse jede Suche nach einem „tragfähigen Kompromiss blockieren“ und dadurch zu erkennen geben, dass es ihr in Wirklichkeit um die „definitive Ablehnung der unternehmerischen Maßnahme gehe“. Dieser Ansatz weist in die richtige Richtung. Zum Forderungsumfang muss die Kampfführung der Gewerkschaft eine besondere Qualität aufweisen, damit sich durch diese Verknüpfung aus Sicht des bestreikten Arbeitgebers die Wirkung eines Streiks entfaltet, der auf die Verhinderung der Standortverlagerungsentscheidung gerichtet ist. Zur Justitiabilität bedarf es allerdings einer weiteren Konkretisierung, obgleich es aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls schwer fällt, allgemeingültige Maßstäbe zu entwickeln.

148 Ähnlich die Ergebnisse von Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (415); Thüsing/Ricken, JbArbR 2005, S. 113 (121), welche dies allerdings mit dem Verweis auf das Verbot der Existenzvernichtung untermauern, was nach hier vertretener Auffassung den Anwendungsbereich dieses Grundsatzes überdehnen würde, siehe unter c); ähnlich auch LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 5 ff., obgleich das Gericht die entscheidende Frage letztendlich offen lässt. 149 Ebenso Krause, Standortsicherung, S. 116. 150 So Fischinger, Anm. zu BAG v. 24.4.2007, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Sozialplan Bl. 23R f. 151 So im Ergebnis auch Otto, Arbeitskampfrecht, § 8 Rn. 43; Sutschet, ZfA 2005, 581 (613 ff.); Thüsing/Ricken, JbArbR 2005, S. 113 (121). 152 Krause, Standortsicherung, S. 116 f.

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

Hinsichtlich des einschlägigen Verhaltens der Gewerkschaft muss zunächst eine offensichtliche Blockade des Einigungsprozesses vorliegen, welche zweifelsfrei sichtbar macht, dass nicht die sozialverträgliche Gestaltung der Standortentscheidung, sondern primär die Verhinderung der Verlagerung angestrebt wird.153 Es ist also danach zu fragen, welches Ziel die Gewerkschaft im Rahmen des Arbeitskampfes verfolgt. Die gewerkschaftliche Taktik muss in erster Linie darauf ausgerichtet sein, den Tarifkonflikt „künstlich“ in die Länge zu ziehen, eine Einigung hinsichtlich des Tarifsozialplans zu verhindern und so den Arbeitgeber durch den Produktionsausfall so zu schädigen, dass ihm keine andere Wahl bleibt, als die Verlagerungspläne aufzugeben. Bei der Bestimmung des Kampfziels wurde bereits dargelegt, dass rechtsmissbräuchlich zurückgehaltene Kampfforderungen aufzudecken sind.154 Es wurde festgestellt, dass eindeutig zurechenbare Erklärungen der Gewerkschaft nach Verkündung des Streikbeschlusses vorliegen müssen, die diesen Schluss rechtfertigen. Doch selbst wenn solche Erklärungen fehlen, kann das Kampfverhalten der Gewerkschaft herangezogen werden, wenn die Gewerkschaft exorbitante Streikforderungen an den Arbeitgeber richtet, deren Erfüllung das Unternehmen in die Insolvenz treiben würde.155 Nur aus dem Umstand, dass ungewöhnlich hohe Streikforderungen gestellt wurden, darf jedoch nicht darauf geschlossen werden, dass der Kampf auf die Standorterhaltung gerichtet wäre.156 Lehnt die Gewerkschaft jedoch unmissverständlich jeden Schlichtungs- oder Einigungsversuch der Arbeitgeberseite ab und signalisiert hinsichtlich der Forderungshöhe keinerlei Entgegenkommen, rechtfertigt dies den Schluss, dass der Kampfdruck in Verbindung mit der Forderungshöhe nicht zur Durchsetzung der Forderung nach sozialer Abmilderung der Verlagerungsentscheidung, sondern gezielt gegen die Umsetzung der Umstrukturierungsmaßnahme eingesetzt wird. In diesem Fall dient der Streik nicht mehr ausschließlich dem Ziel, die Forderung nach Abschluss eines Sozialplans durchzusetzen. Darüber hinaus gilt es eine zeitliche Komponente zu beachten. Nicht bereits zu Beginn eines Arbeitskampfes lässt sich aus fehlender Kompromiss- oder Verhandlungsbereitschaft der Gewerkschaft darauf schließen, dass keine Einigung hinsichtlich der sozialen Folgen, sondern primär die Verhinderung der Standortverlagerungsentscheidung angestrebt wird. Allein die zeitliche Verzögerung der Unternehmerentscheidung reicht nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 12 153 Vgl. Krause, Standortsicherung, S. 116 f.; ähnlich wohl auch Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 447: „Signalisiert die Gewerkschaft Kompromissbereitschaft, ist der Bereich zulässiger Forderungsstellung i. d. R. wohl eröffnet.“ 154 Siehe Kapitel 5 A. I. 2. 155 Vgl. auch Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (593); Wank, RdA 2009, 1 (8). 156 So Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (563); Rolfs/Clemens, DB 2003, 1678 (1681).

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Abs. 1 GG zu bejahen.157 Zudem würde übersehen, dass die Kampfparteien während eines Arbeitskampfes grundsätzlich keine Verhandlungspflicht bindet, die Gewerkschaft also selbst darüber entscheiden kann, ob die Streikmaßnahmen ausgesetzt werden, da die Gegenseite ein neues Angebot unterbreitet hat, das als Entgegenkommen aufgefasst wird.158 Verweigert eine Partei ernsthafte Verhandlungsbereitschaft, soll die Gegenseite mittels Arbeitskampfs Druck ausüben können, um diese verweigernde Haltung zu brechen.159 Ansonsten bestünde die Gefahr eines Kontrahierungszwangs. Etwas anderes gilt zunächst nur, wenn die Parteien eine Vereinbarung getroffen haben, aus welcher sich solche Pflichten ableiten lassen.160 Andererseits rechtfertigt auch dies keinen rechtsmissbräuchlichen Einsatz des Streikrechts durch die Gewerkschaft. Zur Herausstellung des wahren Kampfziels kann daher auch eine über einen längeren Zeitraum andauernde Blockadehaltung bedeutsam sein, wenn diese Vorgehensweise offenbart, dass kein Interesse am Abschluss eines Tarifsozialplans besteht, sondern die Standortverlagerungsentscheidung selbst angegriffen wird. Der Einsatz des Kampfdrucks dient in diesem Fall nicht allein dazu, Verhandlungen zu ermöglichen, die auf einen tragfähigen Kompromiss hinauslaufen, der einerseits das Letztentscheidungsrecht des Unternehmers respektiert, andererseits die sozialen Folgen dieser Entscheidung im Sinne der Gewerkschaftsmitglieder tariflich abfedert.161 In diesem Fall ist der Streik auf die Verhinderung der Standortverlagerungsentscheidung gerichtet und daher rechtswidrig. f) Fazit Diese Lösung fügt sich nahtlos in die bisherigen Ergebnisse der Untersuchung ein: Hinsichtlich des Gestaltungsspielraums einer ohne Streikdruck erzielten Einigung hat die Arbeit hervorgebracht, dass beim Firmentarifvertrag Sozialplaninhalte jeglichen Umfangs vereinbart werden können.162 Für den firmenbezogenen Verbandstarifvertrag wurde die tarifliche Regelbarkeit der Forderung ebenfalls dem Grunde nach festgestellt; es gilt jedoch zu beachten, dass ein Verstoß gegen die Berufsfreiheit des verbandsangehörigen Arbeitgebers in besonderen 157

Deutlich BAG v. 1.6.2000 – 4 AZR 379/99, NZA 2001, 271 (274). Ob die Tarifvertragsparteien verpflichtet sind, mit der Gegenseite zumindest zu Beginn eines Tarifkonflikts Verhandlungen aufzunehmen, ist umstritten, vgl. Förster, Verhandlungsanspruch, S. 94 ff.; Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 107 ff.; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 216 ff., jeweils m.w. N. 159 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, § 1 Rn. 122h. 160 Vgl. Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 955 f. 161 Krause, Standortsicherung, S. 116 f. 162 Kapitel 4 C. II. 158

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

Ausnahmefällen in Betracht kommt.163 Dabei ist nochmals darauf hinzuweisen164, dass dies bisher nur für die Grundrechtskontrolle von firmenbezogenen Verbandstarifverträgen nach ihrem Abschluss beantwortet wurde. Grundsätzlich sind Sozialplaninhalte auch in firmenbezogenen Verbandstarifverträgen regelbar, da Regelungszuständigkeit und -befugnis der Tarifvertragsparteien gegeben sind. Aus diesem Umstand kann allerdings nicht auf die Erstreikbarkeit geschlossen werden, ohne nicht auch die Höhe der Tarifforderung und das Verhandlungsverhalten der Gewerkschaft während des Streiks zu berücksichtigen. Es wäre uneinsichtig, wenn ein Arbeitskampf um eine Forderung geführt werden dürfte, die in dieser Höhe schon ohne Streikdruck nicht freiwillig vereinbart werden könnte. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass vom Verband der Abschluss einer Regelung gefordert und gegenüber dem Arbeitgeber mittels Streiks bekräftigt werden könnte, welche ohne Rechtfertigungsgrund in die Grundrechte des Verbandsmitglieds eingreifen würde.165 Im Ergebnis ist demnach dem Ersten Senat des BAG und Teilen des Schrifttums entgegenzutreten, wenn sie eine Rechtskontrolle des Umfangs von Streikforderungen nach Abschluss von Tarifsozialplänen generell ablehnen. Stattdessen ist eine Evidenzkontrolle angezeigt. Diese führt allerdings wiederum nur in Ausnahmefällen zur Rechtswidrigkeit eines Streiks wegen eines Verstoßes gegen die Berufsfreiheit des Arbeitgebers. Dieser Nachweis ist zwar schwer zu führen, was jedoch darin begründet liegt, dass selbst die Erfüllung umfangreich ausgestalteter Sozialpläne die unternehmerische Tätigkeit zwar behindern, sie in der Regel aber nicht wirtschaftlich unmöglich machen.

III. Zwischenergebnis Ein Streik um einen Tarifsozialplan verstößt gegen die Berufsfreiheit des Arbeitgebers, wenn die Gewerkschaft das Ziel der Verhinderung der Verlagerungsentscheidung trotz formaler Beschränkung auf die Kompensation ihrer sozialen Folgen weiterhin verfolgt. Dies ist der Fall, wenn sich dieses Kampfziel aus Erklärungen nach Kampfbeginn ableiten lässt, welche der streikführenden Gewerkschaft zugerechnet werden können. Ferner kann sich ein Verstoß aus dem Umfang der Streikforderungen ergeben. Dazu muss die Erfüllung der Ausgangsforderung zur Insolvenz des Arbeitgebers führen und die Gewerkschaft über einen längeren Zeitraum den Einigungsprozess blockieren. Der Schwerpunkt solcher Maßnahme ist nicht die soziale Abmilderung der mit der Verlagerung verbundenen Folgen. Stattdessen steht die Verhinderung der Verlagerungsentscheidung im Mittelpunkt der gewerkschaftlichen Vorgehensweise. 163 164 165

Kapitel 4 C. III. 6. d). Kapitel 4 C. III. 6. c). So auch die Bedenken von Höfling, ZfA 2008, 1 (16 ff.).

B. Friedenspflichten als Grenze

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B. Friedenspflichten als Grenze I. Keine Analogie aus § 74 Abs. 2 BetrVG Eine weitere Einschränkung der Streikfreiheit könnte sich aus einer Verpflichtung der Gewerkschaft ergeben, auch im Fall einer drohenden Standortverlagerung keine Streikmaßnahmen zu erheben. Nicolai166 will eine solche Friedenspflicht, welche Streikmaßnahmen zur Durchsetzung von Tarifsozialplänen untersagt, aus einer analogen Anwendung des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG herleiten. Dies läuft im Ergebnis darauf hinaus, eine generelle Sperrwirkung für die Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen aus betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen herzuleiten. Diese These vermag schon aus diesem Grund nicht zu überzeugen. Ebenso wie sich aus den §§ 111 ff. BetrVG keine Einschränkung der tariflichen Regelungszuständigkeit ergibt,167 kann aus der Vorschrift des § 74 Abs. 2 BetrVG keine Beschränkung der Arbeitskampffreiheit hergeleitet werden. Die Vorschrift des § 74 Abs. 2 S. 2 BetrVG stellt vielmehr ausdrücklich klar, dass Arbeitskämpfe tariffähiger Parteien von ihr unberührt bleiben. § 74 Abs. 2 BetrVG ist zudem nicht als Ausgestaltung der Tarifautonomie zu sehen, der Gesetzgeber hat vielmehr den Grundsatz der betriebsverfassungsrechtlichen Friedenspflicht konkretisiert.168 Dies gilt nach überwiegender Ansicht im Schrifttum auch dann, wenn wie im Fall eines Standorttarifkonflikts eine unternehmensbezogene Regelung zum Inhalt des Arbeitskampfes gemacht wird.169 Im Ergebnis ist daher der Versuch, die Unzulässigkeit eines Sozialplanstreiks aus einer Analogie des § 74 Abs. 2 BetrVG heraus zu begründen, abzulehnen.170 Gleiches gilt für die Thesen, dass sich eine Friedenspflicht aus der Aufnahme von Verhandlungen auf Betriebsebene171 oder dem Abschluss eines betriebsverfassungsrechtlichen Sozialplans172 ergebe.173 Sie werden dem Rangverhältnis von Tarif- und Betriebsebene und somit auch den verfassungsrechtlichen Wertun166

Nicolai, SAE 2004, 240 (250); vgl. auch HWK-Reichold, BetrVG, § 74 Rn. 11. Siehe Kapitel 4 A. II. 3. 168 Fitting, BetrVG, § 74 Rn. 11; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 36 Rn. 7; Richardi-Richardi, BetrVG, § 74 Rn. 16. 169 Vgl. nur Gohritz, Arbeitskampf, S. 124 ff.; ErfK-Kania, BetrVG, § 74 Rn. 10; Richardi-Richardi, BetrVG, § 74 Rn. 22 m.w. N.; a. A. Boldt, RdA 1971, 257 (267). 170 Ebenso LAG Niedersachsen v. 2.6.2004 – 7 Sa 819/04, AP Nr. 164 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4R; Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 340; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 149 ff.; Fitting, BetrVG, § 74 Rn. 13; Franzen, ZfA 2005, 315 (340 f.); Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (566); Krause, Standortsicherung, S. 86 f.; Ricken, ZfA 2008, 283 (291); Sutschet, ZfA 2005, 581 (620); vgl. auch Rieble, RdA 2005, 200 (211). 171 So Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (416). 172 So Meyer, DB 2005, 830 (832). 173 Krause, Standortsicherung, S. 86 f.; Ricken, ZfA 2008, 283 (291). 167

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

gen von Art. 9 Abs. 3 GG ebenfalls nicht gerecht. Eine die Tarifvertragsparteien bindende Friedenspflicht darf nicht aus dem BetrVG abgeleitet werden.

II. Verstoß gegen tarifliche Friedenspflichten Rechtswidrig wäre ein Arbeitskampf um einen Tarifsozialplan dagegen, wenn gegen Friedenspflichten aus bestehenden Tarifverträgen verstoßen würde. Blendet man die Möglichkeit der Vereinbarung einer absoluten Friedenspflicht174 oder einer Öffnungsklausel 175 aus, bleibt die Frage, ob und inwieweit in dieser Konstellation ein Verstoß gegen die relative Friedenspflicht denkbar wäre.176 Haben die Tarifvertragsparteien eine tarifvertragliche Regelung getroffen, folgt daraus die schuldrechtliche Verpflichtung, während der Laufzeit des Tarifvertrags keine Arbeitskampfmaßnahmen zu erheben, die auf die Durchsetzung der im Tarifvertrag geregelten Inhalte gerichtet wären.177 Auf die Friedenspflicht aus einem Verbandstarifvertrag kann sich nicht nur der Arbeitgeberverband, sondern können sich auch die Verbandsmitglieder berufen, wenn ein Firmentarifvertrag mit entsprechenden Inhalten erstreikt wird.178 Selbst wenn der verbandsgebundene Arbeitgeber über einen längeren Zeitraum Firmentarifverträge auf freiwilliger Basis abgeschlossen hat, folgt daraus nicht, dass er von der relativen Friedenspflicht eines für ihn geltenden Verbandstarifvertrags nicht mehr erfasst würde, wenn vom Firmentarifvertrag keine Friedenspflicht mehr ausgeht.179 Es bleibt somit die Beantwortung der Frage, in welchen Fällen die sozialen Folgen von Betriebsänderungen bereits abschließend auf Verbandsebene geregelt wurden

174 Siehe MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., § 277 Rn. 12; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 905. 175 Ob eine solche Vereinbarung, welche einzelne Arbeitgeber von der Friedenspflicht des Verbandstarifvertrags ausnehmen soll, zulässig ist, wird unterschiedlich beurteilt; siehe hierzu Gohritz, Arbeitskampf, S. 100 ff.; Richter, Erstreikbarkeit, S. 212 ff.; Witt, Firmentarifvertrag, S. 255 ff.; weitere Nachweise bei Sutschet, ZfA 2005, 581 (623, Fn. 152). 176 Teile des Schrifttums sehen in dieser Begrenzung der Arbeitskampffreiheit einen Verstoß gegen Art. 6 Nr. 4 ESC, vgl. Kohte/Doll, ZESAR 2003, 393 (398 f.) m.w. N. Die h. M. hat dies zu Recht abgelehnt, vgl. BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, NZA 2003, 734 (739); ErfK-Dieterich, GG, Art.9 Rn. 105; Rieble, RdA 2005, 200 (205). Zur Bedeutung der ESC im Verhältnis zum nationalen Arbeitskampfrecht siehe Kapitel 2 C. V. 3. 177 Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1074; Gohritz, Arbeitskampf, S. 71 ff.; MünchArbR-Otto, 2. Aufl., § 283 Rn. 4; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 866; kritisch zur relativen Friedenspflicht als notwendigem Bestandteil eines jeden Tarifvertrags: Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 992 ff. 178 Vgl. BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, NZA 2003, 734 (738 f.); Krause, in: Jacobs/Oetker/Krause, Tarifvertragsrecht, § 4 Rn. 153; Richter, Erstreikbarkeit, S. 206 ff.; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 873; Witt, Firmentarifvertrag, S. 244 ff. 179 Vgl. Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 334 ff.; Witt, Firmentarifvertrag, S. 247 ff.

B. Friedenspflichten als Grenze

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oder das Standortverlagerungsvorhaben des Arbeitgebers eine ergänzende Regelung rechtfertigt, die mit den Waffen des Arbeitskampfrechts ausgefochten werden kann. Der Erste Senat180 musste in der Entscheidung zum Tarifsozialplan auf die Frage, inwieweit von verbandsrechtlichen Regelungen eine solche sperrende Wirkung gegenüber einem Standortarbeitskampf ausgehen kann, nicht näher eingehen, da die streikführende Gewerkschaft ein ihr zustehendes Teilkündigungsrecht wahrgenommen hatte. 1. Sachliche Reichweite der Friedenspflicht a) Friedenspflichten aus Rationalisierungsschutzabkommen Im Fall eines Arbeitskampfes, der auf den Abschluss eines Tarifsozialplans als firmenbezogener Verbands- oder Firmentarifvertrag gerichtet ist, könnten zunächst geltende Rationalisierungsschutzabkommen eine schuldrechtliche Friedenspflicht beinhalten. Das LAG Berlin-Brandenburg181 hat dies für das Rationalisierungsschutzabkommen für das private Versicherungsgewerbe bejaht. Lindemann/Dannhorn182 haben weitere Rationalisierungsschutzabkommen untersucht und sind zum Ergebnis gelangt, dass auch diese Regelungen eine relative Friedenspflicht begründen, die einem Arbeitskampf um Sozialplaninhalte zwingend entgegenstehen. Ob von Rationalisierungsschutzabkommen eine solche Sperrwirkung für Standortarbeitskämpfe ausgeht, bestimmt sich anhand des sachlichen Umfangs der relativen Friedenspflicht. Diese ist durch Auslegung des Tarifvertrags zu ermitteln.183 Dabei ist insbesondere der Wille der Tarifvertragsparteien zu erforschen.184 Umstritten ist jedoch, wie diese Auslegung im Einzelnen zu erfolgen hat.185 180 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (998). Zu den Zulässigkeitsgrenzen einer Teilkündigung von Tarifverträgen siehe BAG v. 3. 5. 2006 – 4 AZR 795/ 05, NZA 2006, 1125 ff. Zu Recht merkt Bayreuther, NZA 2007, 1017 (1019), an, dass die Gewerkschaft auf diesem Wege den Kündigungsschutz der tarifgebundenen Mitglieder auf Verbandsebene aufgegeben hat, um so die Interessen der von der Standortverlagerungsentscheidung betroffenen Belegschaft wahrnehmen zu können. 181 LAG Berlin-Brandenburg v. 28.9.2007 – 8 Sa 916/07, LAGE Nr. 78a zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 182 Lindemann/Dannhorn, BB 2008, 1226 (1230 f.). 183 Vgl. BAG v. 27.6.1989 – 1 AZR 404, 88, AP Nr. 113 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, NZA 2003, 734 (739); ErfK-Dieterich, GG, Art. 9 Rn. 125; ErfK-Franzen, TVG, § 1 Rn. 83; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1078; Krause, in: Jacobs/Oetker/Krause, Tarifvertragsrecht, § 4 Rn. 149; MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., § 277 Rn. 5; Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 1004. 184 Vgl. Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 885; Willemsen/Mehrens, NZA 2009, 169 (171) m.w. N. Auf den ersten Blick steht diese Vorgehensweise in Widerspruch zur Tatsache, dass es sich um normative Regelungen handelt und es somit nahe liegt, die

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

Ein gewisser Konsens lässt sich im Schrifttum hinsichtlich der Aussage ausmachen, dass mittels Arbeitskampfs keine Forderung durchgesetzt werden kann, die bereits in einem geltenden Tarifvertrag unmittelbar geregelt ist und daher die Vertragsparteien schuldrechtlich an die Friedenspflicht bindet.186 Fraglich ist also, wann ein von der kampfführenden Gewerkschaft abgeschlossenes Rationalisierungsschutzabkommen einem Streik um Sozialplaninhalte zwingend entgegensteht, weil die Folgen von Betriebsänderungen bereits auf Verbandsebene abschließend geregelt wurden.187 Eine Friedenspflicht können in diesem Zusammenhang zunächst nur solche Verbandstarifverträge entfalten, die nicht nur „bloße Rahmenregelungen“ formulieren, sondern an bestimmte Betriebsänderungen anknüpfen.188 Allein aus der begrifflichen Bezeichnung solcher Vereinbarungen als Rationalisierungsschutzabkommen kann man nicht zwangsläufig darauf schließen, dass auch Standortverlagerungen von der Regelung umfasst sind. Nicht jede Betriebsstilllegung in Folge einer Standortverlagerung kann unter den „allgemeinen“ Begriff der Rationalisierung subsumiert werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn darunter ausschließlich der Schutz vor technischen Neuerungen im Betrieb verstanden wurde. Im Zusammenhang mit den „traditionellen“ Rationalisierungsschutzabkommen war oftmals unklar, ob eine Umstrukturierungsmaßnahme des Arbeitgebers überhaupt vom Anwendungsbereich der Vereinbarung umfasst war.189 Somit verbietet sich eine Lösung, die anhand einer „historische Auslegung“ des Instruments traditioneller Rationalisierungsschutzabkommen darauf abstellt, dass regelmäßig eine abschließende Regelung sämtlicher Umstrukturierungsvorhaben gewollt war.190 Stattdessen ist stets danach zu fragen, ob auch standortverlagerungsbedingte Betriebsstilllegungen unter den sachlichen Anwen-

objektive Methode der Gesetzesauslegung anzuwenden. Im Schrifttum wird diskutiert, ob die Grundsätze zur Auslegung von Verträgen oder die zur Auslegung von Gesetzen einschlägig sein sollen, vgl. Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 989 ff. Die praktischen Auswirkungen dieses Streits sind gering, da auch bei einer objektiven Auslegung der Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen ist, vgl. Kempen/Zachert-Zachert, TVG, Grundl. Rn. 375. Siehe bereits Kapitel 5 A. I. 2. 185 Vgl. Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 382. 186 Vgl. Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, AKR Rn. 42; Däubler-Schumann, Arbeitskampfrecht, Rn. 212; Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 1007, die eine restriktive Interpretation der Friedenspflicht befürworten. Nur solche Fragen sollen der Friedenspflicht unterliegen, die eine „eindeutige abschließende Regelung“ erfahren haben. 187 Zur Frage, inwieweit eine solche Friedenspflicht auch andere Gewerkschaften bindet, vgl. Gaul, RdA 2008, 13 (15 ff.). 188 Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 147 m.w. N. 189 Deutlich BAG v. 17.3.1988 – 6 AZR 634/86, BAGE 58, 31 (33): „Das Landesarbeitsgericht hat rechtlich zutreffend die Stillegung des Kinderheimes des Beklagten nicht als Rationalisierungsmaßnahme im Sinne von § 2 TV-Rat angesehen.“ 190 So argumentieren Lindemann/Dannhorn, BB 2008, 1226 (1228).

B. Friedenspflichten als Grenze

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dungsbereich des Tarifvertrags gestellt wurden und diese Regelung die Folgen von solchen Betriebsänderungen abschließend regeln soll.191 Keine Probleme werden sich ergeben, wenn sich in der Vereinbarung eine genaue Auflistung der einschlägigen Sachverhalte findet und Standortverlagerungen mit aufgenommen wurden. Dies wird aber nur selten der Fall sein. Fehlt eine solche Klarstellung, sind die begrifflichen Umschreibungen der Rationalisierungsmaßnahmen maßgeblich. Diese legen es in den von Lindemann/Dannhorn192 untersuchten Tarifverträgen nahe, dass auch Standortverlagerungsentscheidungen vom sachlichen Anwendungsbereich umfasst sind und eine abschließende Regelung der sozialen Folgen von standortbedingten Betriebsschließungen vorliegt. Sinn und Zweck dieser Vereinbarungen ist es gerade, die Folgen von Betriebsänderungen umfassend zu regeln. Ist dies von den Tarifvertragsparteien nicht gewollt, bedarf es einer Klarstellung, da im Zweifel davon auszugehen ist, dass eine von den Tarifvertragsparteien getroffene Regelung abschließenden Charakter hat.193 Auch ein Fall einer ganz ungewöhnlichen, bei Abschluss des Verbandstarifvertrags unvorhergesehenen Regelung ist in dieser Konstellation nicht anzunehmen, so dass auch aus die aus dem Verbandstarifvertrag abzuleitende Friedenspflicht aus diesem Grund nicht entfällt.194 Standortverlagerungsentscheidungen haben zwar erst in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, so dass man einwenden könnte, die Parteien hätten bei Vertragsschluss diese Entwicklung noch nicht bedacht. Allein dies rechtfertigt es jedoch nicht, die Friedenspflicht entfallen zu lassen, wenn die Tarifvertragsparteien den sachlichen Anwendungsbereich des Rationalisierungsschutzabkommens eindeutig und abschließend festgelegt haben. Darin kommt gerade der Wille zum Ausdruck, auch zukünftige, neuartige Umstrukturierungsmaßnahmen unter die Geltung der Verbandsregelung zu stellen, wenn die Folgen aus Arbeitnehmersicht mit den zum Zeitpunkt der Regelung bekannten Rationalisierungsmaßnahmen einhergehen. Fehlt eine genaue Auflistung der einschlägigen Maßnahmen, ist davon auszugehen, dass der Begriff „zukunftsoffen“ zu verstehen ist und auch „neuartige“ Umstrukturierungsmaßnahmen umfasst. Somit ist dem LAG Berlin-Brandenburg195 im Ergebnis zuzustimmen, einen Verstoß gegen die tarifliche Friedenspflicht zu bejahen, wenn trotz einer eindeuti191 Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 147; Gaul, RdA 2008, 13 (15); Krause, Standortsicherung, S. 85. 192 Lindemann/Dannhorn, BB 2008, 1226 (1230 ff.). 193 Gaul, RdA 2008, 13 (15) mit Verweis auf BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, NZA 2003, 734 (739). 194 Ebenso Bayreuther, NZA 2007, 1017 (10120); Krause, Standortsicherung, S. 85 f.; Löwisch, DB 2005, 554 (557). 195 LAG Berlin-Brandenburg v. 28.9.2007 – 8 Sa 916/07, LAGE Nr. 78a zu Art. 9 GG Arbeitskampf.

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

gen Regelung in einem Rationalisierungsschutzabkommen eine Streikforderung nach Abschluss eines Tarifsozialplans erhoben wurde. Unabhängig davon, in welcher Form die sozialen Folgen einer Umstrukturierungsmaßnahme abgemildert werden sollen, entfaltet ein solches Rationalisierungsschutzabkommen eine Sperrwirkung gegenüber einer ergänzenden Tarifforderung. Selbst wenn also im Rationalisierungsschutzabkommen lediglich Abfindungen und eine Verlängerung der Kündigungsfristen geregelt wurden, schließt dies auch die Forderung nach Qualifizierungsmaßnahmen aus, wenn der Tatbestand der Betriebsstilllegung umfassend und abschließend geregelt wurde. b) Anknüpfung am Forderungsgegenstand eines Tarifsozialplans Friedenspflichten können ferner von geltenden Tarifverträgen ausgehen, welche Inhalte eines Tarifsozialplans regeln, also etwa eine Verlängerung von Kündigungsfristen vorsehen oder den Arbeitnehmern einen Anspruch auf Abfindungen oder Qualifizierungsmaßnahmen gewähren. Liegt eine erkennbar abschließende Regelung vor, muss man auch in einem solchen Fall davon ausgehen, dass eine mittels Arbeitskampf bekräftigte Forderung nach Änderung oder Verbesserung der vertraglich geregelten Gegenstände ausscheidet.196 Eine abschließende Regelung von Kündigungsfristen sperrt die inhaltsgleiche Forderung in einem Tarifsozialplan. Allein aus dem Umstand, dass eine tarifvertragliche Regelung die gesetzlichen Kündigungsfristen verlängert, so wie dies in vielen Flächentarifverträgen für den Fall einer ordentlichen Kündigung älterer Arbeitnehmer üblich ist, darf allerdings nicht auf die Abgeschlossenheit der Regelung hinsichtlich sonstiger tariflicher Kündigungsregelungen geschlossen werden. Dazu hat der Arbeitgeber den Nachweis zu erbringen, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses einer einheitlichen und abschließenden, flächentariflichen Regelung unterworfen werden sollte.197 Im Regelfall ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien bei einer solchen branchenbezogenen Regelung die Möglichkeit einer Betriebsänderung nicht in Erwägung gezogen haben, sondern vielmehr aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit älterer Arbeitnehmer eine besondere, nicht abschließende Regelung getroffen haben.198 Kann der Arbeitgeber jedoch nachweisen, dass diese Frage Gegenstand von Verhandlungen war, die zum Abschluss eines geltenden Tarifvertrags geführt haben, ohne dass die verhandelte Forderung Eingang in den Tarifvertrag fand, weil die Tarifvertragsparteien bewusst auf eine Regelung ver196 197 198

Vgl. Gaul, RdA 2008, 13 (15). Vgl. Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019 (1022). A.A. Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019 (1022).

B. Friedenspflichten als Grenze

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zichtet haben, sperrt auch dies eine „spätere“ Durchsetzung einer inhaltsgleichen Forderung mittels Streiks.199 Von einer „Nichtregelung“ darf aber nicht zwangsläufig darauf geschlossen werden, dass die Gewerkschaften bewusst auf eine Regelung verzichtet hätten, wenn dies nicht belegbar ist.200 Die Friedenspflicht ist nach h. M.201 jedoch nicht nur auf erkennbar abschließende Regelungen beschränkt, sondern umfasst auch die arbeitskampfrechtliche Durchsetzung von Tarifforderungen, die lediglich einen sachlich inneren Zusammenhang zu einer bestehenden Regelung aufweisen. Daraus folge, dass kein strenger „1:1-Vergleich“ geboten sei.202 Daher stellt sich die Frage, wie weit die tarifliche Friedenspflicht im Fall von Standorttarifkonflikten im Einzelnen reichen kann, wenn man diesem Verständnis der relativen Friedenspflicht zugeneigt ist: Welche Auswirkungen hat etwa eine geltende Vereinbarung von „allgemeinen“ Kündigungsschutzregelungen in einem firmenbezogenen Verbands- oder Firmentarifvertrag auf die Erstreikbarkeit von Kündigungsfristverlängerungen und Abfindungsregelungen als Forderungsinhalte eines Tarifsozialplans, wenn nicht erkennbar ist, dass diese Regelungen abschließend sind? Kann unter Rückgriff auf diese extensive Interpretation der Friedenspflicht die Vereinbarung von Kündigungsfristverlängerungen einem Arbeitskampf um Abfindungsregelungen auch in einem solchen Fall zwingend entgegenstehen? Ein sachlicher Zusammenhang zwischen bestehender Regelung und Kampfforderung soll nach dieser Ansicht dann gegeben sein, wenn die Erfüllung der Tarifforderungen das wirtschaftliche Gewicht der im Tarifvertrag geregelten Arbeitsbedingungen verändern würde.203 Sie müssen also Ähnlichkeit aus wirtschaftlicher Sicht aufweisen, damit ein Sachzusammenhang besteht.204 Bayreuther205 legt dieses Kriterium zugrunde und gelangt zu weitreichenden Friedenspflichten: Jegliche Kündigungsschutzbestimmung auf Verbandsebene sperre eine Tarifforderung nach Abschluss eines „Sonderkündigungsschutzes“ für den Fall einer Betriebsänderung.

199

Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1078. Vgl. Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 679; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 885. 201 Vgl. BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, NZA 2003, 734 (739); Bartz, ZTR 2004, 122 (130); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1078; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 382; Meyer, NZA 2004, 366 (367); Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 885; anders dagegen restriktive Interpretationen der Friedenspflicht aus dem Schrifttum, vgl. Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, AKR Rn. 42 ff.; Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 1007; Däubler-Schumann, Arbeitskampfrecht, Rn. 212. 202 Bayreuther, NZA 2007, 1017 (1019); Meyer, NZA 2004, 366 (367). 203 ErfK-Franzen, TVG, § 1 Rn. 83; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 380 m.w. N. 204 Bayreuther, NZA 2007, 1017 (1019). 205 In diesem Sinne Bayreuther, NZA 2007, 1017 (1019 f.). 200

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

Dem ist nachdrücklich zu widersprechen. Maßgeblich ist stattdessen ein Sachgruppenvergleich.206 Nur wenn eine Sachgruppe abschließend geregelt ist, können Forderungen, welche dieser Sachgruppe zuzuordnen sind, nicht mittels Arbeitskampfs durchgesetzt werden. Diese Sachgruppenbildung hat unter Berücksichtigung des Zwecks der Regelungsmaterie zu erfolgen.207 Die Bestimmung der Sachgruppe darf in diesem Fall nicht so weit gefasst werden, dass eine Verlängerung von Kündigungsfristen und Abfindungsregelungen zwangsläufig eine Sachgruppe bilden. Dies wird nur dann der Fall sein, wenn die Tarifvertragsparteien die Folgen für bestimmte Betriebsänderungen abschließend regeln wollten und somit Kündigungsfristverlängerung und Abfindungsregelungen nach dem Willen der Tarifvertragsparteien eine Sachgruppe bilden. Bestätigt wird dies von Otto208, welcher die sachliche Reichweite der Friedenspflicht nicht nur nach dem Inhalt der Regelung, sondern auch aus dessen Geschäftsgrundlage bestimmt. Anhand der Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sei zu bestimmen, ob eine Regelung abschließend einen Sachverhalt regle. Nur in den wenigsten Fällen werden die Tarifvertragsparteien bei der Vereinbarung einer Kündigungsschutzregelung für eine bestimmte Arbeitnehmergruppe an die Möglichkeit gedacht haben, damit auch den Sachverhalt einer Betriebsänderung für alle Arbeitnehmer abschließend zu regeln.209 Auch wenn man den sachlich inneren Zusammenhang anhand der Rechsprechung zu § 87 Abs. 1 BetrVG bestimmt,210 wird man zu diesem Ergebnis gelangen.211 Ansonsten bestünde die Gefahr erheblicher Rechtsunsicherheit, da das Kriterium des sachlich inneren Zusammenhangs in der Praxis schwer bestimmbar wäre.212 Im Ergebnis ist mithin festzuhalten, dass die Forderungsinhalte eines Tarifsozialplans nur dann der Friedenspflicht aus geltenden Tarifverträgen ohne Rationalisierungsbezug unterliegen, wenn eine entsprechende Regelung mit abschließendem Charakter vorliegt. Dies wird nur in den seltensten Fällen gegeben sein. 2. Zeitliche Grenzen der Friedenspflicht Kommt ein Verstoß gegen die relative Friedenspflicht grundsätzlich in Betracht, ist zu klären, zu welchem Zeitpunkt eine solche schuldrechtliche Ver206

Vgl. Gaul, RdA 2008, 13 (15); Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 200. Gaul, RdA 2008, 13 (15). 208 Otto, Arbeitskampfrecht, § 7 Rn. 4; ders., in: FS Wiedemann, S. 401 (410 f.). 209 Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 200. 210 Vgl. Bartz, Friedenspflicht, S. 158; dens., ZTR 2004, 122 (130); Jacobs, ZTR 2001, 249 (254); Zachert, NZA 2000, Beil. zu Heft. 24, S. 17 (23). 211 Deutlich Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 310 Fn. 1960. 212 Vgl. Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, AKR Rn. 44a. 207

B. Friedenspflichten als Grenze

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pflichtung besteht. Geht die Gewerkschaft „zweigleisig“ vor, stellt also eine inhaltsgleiche Tarifforderung nach Abschluss einer firmenbezogenen Regelung sowohl an den Arbeitgeberverband als auch den einzelnen Arbeitgeber, könnte bereits die Aufnahme von Verhandlungen mit einem der in Frage kommenden Vertragspartner eine schuldrechtliche Verpflichtung beinhalten, keine Arbeitskampfmaßnahmen gegen den anderen Vertragspartner zu erheben. Gleiches könnte für Verhandlungen gelten, die auf den Abschluss eines Flächen- und firmenbezogenen Verbandstarifvertrag gerichtet sind und gleichzeitig durchgeführt werden. Dagegen spricht jedoch, dass allein Verhandlungen noch keine Friedenspflicht begründen.213 Erst mit Abschluss eines Tarifvertrags verpflichten sich die Parteien, während der Laufzeit des Tarifvertrags keine Arbeitskämpfe zur Verbesserung der bindenden Vereinbarung durchzuführen.214 Selbst wenn also bereits mit dem Arbeitgeberverband Verhandlungen um den Abschluss eines Tarifsozialplans in Form eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrag geführt werden, kann die Gewerkschaft eine streikbewehrte Sozialplanforderung an den einzelnen Arbeitgeber adressieren und so versuchen, eine entsprechende Regelung durchzusetzen. Eine solche Vorwirkung der Friedenspflicht würde Sinn und Zweck der relativen Friedenspflicht gänzlich überdehnen und wäre mit Art. 9 Abs. 3 GG nicht zu vereinbaren. Dass durch die zeitliche Parallelität von Verhandlungen über einen Flächentarifvertrag und Arbeitskampf um eine firmenbezogene Regelung die Solidarität des Verbands gefährdet werden könnte, rechtfertigt nicht eine solch weitreichende Interpretation der Friedenspflicht. Ein solches Vorgehen der Gewerkschaft muss aus Arbeitgebersicht ins Kalkül gezogen werden und verdeutlicht die Folgen eines Verbandsbeitritts. Ferner sei angemerkt, dass auch bei einem branchenbezogenen Verbandstarifvertrag die Solidarität der Verbandsmitglieder nicht überschätzt werden sollte. Während wirtschaftsstarke Unternehmen einen moderaten Tarifvertragsabschluss begrüßen, kann er für schwache Unternehmen Anlass für einen Verbandsaustritt sein, um zukünftig Tarifverträge eigenverantwortlich auszuhandeln. Gleiches gilt für die Arbeitnehmerseite. In diesem Umstand liegt gerade ein Grund für den „Aufschwung“ der Spezialistengewerkschaften und die Tendenz zur Vereinzelung des Tarifrechts. All dies ist zwangsläufige Folge des verfassungsrechtlichen Schutzes von Art. 9 Abs. 3 GG. Auf diesen grundrechtlichen Schutz kann sich nicht nur eine mitgliederstarke „Großgewerkschaft“, sondern

213 Vgl. BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (993) zur Entscheidung des BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, NZA 2003, 734 ff., in der klargestellt wird, dass Verhandlungen alleine noch keine Friedenspflicht auslösen; so im Ergebnis auch Gaul, RdA 2008, 13 (17); HWK-Henssler, TVG, § 1 Rn. 63; Lobinger, RdA 2006, 12 (20); Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (592); Wank, RdA 2009, 1 (6). 214 Otto, Arbeitskampfrecht, § 7 Rn. 10; Däubler-Reim, TVG, § 1 Rn. 1027.

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

ebenso eine kleinere Spezialistengewerkschaft berufen, sofern diese die unter dem Koalitionsbegriff aufzustellenden Voraussetzungen erfüllt. Art. 9 Abs. 3 GG schützt nicht nur den Abschluss und den Streik um branchenbezogene, einheitliche Regelungen, sondern ebenso die Tarif- und Streikforderung nach Abschluss einer firmenbezogenen Regelung. Erst wenn eine Streikforderung darauf abzielt, das Verbandsmitglied aus dem Verband „herauszubrechen“, wird der Schutzbereich der Arbeitskampffreiheit verlassen.215 In Bezug auf die hier zu erörternde Frage nach der zeitlichen Friedenspflicht muss es jedenfalls dabei bleiben, dass erst ein Tarifvertragsabschluss einem Arbeitskampf um entsprechende Regelungen entgegensteht. 3. Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenforderung Gelangt man zum Ergebnis, dass eine der Streikforderungen des Tarifsozialplans der relativen Friedenspflicht unterliegt, liegt es nahe, auf die Rechtswidrigkeit des Standortarbeitskampfes zu schließen. Das BAG216 hat jedoch in einigen Entscheidungen angemerkt, dass ein Arbeitskampf jedenfalls dann unzulässig sei, wenn es sich um eine zentrale Forderung handle, von der ein Verstoß gegen die tarifliche Friedenspflicht ausgehe. Daraus könnte man schließen, dass es sich bei einem Arbeitskampf um ein Forderungspaket um eine Hauptforderung handeln müsste, die der relativen Friedenspflicht unterliegt und dennoch zum Gegenstand eines Arbeitskampfes gemacht wurde. Fraglich ist also, ob es noch als rechtmäßiges Vorgehen anzusehen ist, wenn die Gewerkschaft eine Hauptforderung, die nicht von der Friedenspflicht erfasst wird, mit einer Nebenforderung verbindet, welche bereits in einem bestehenden Tarifvertrag erkennbar abschließend geregelt ist, und einen Arbeitskampf zu ihrer Durchsetzung führt. Diese Frage wurde vom BAG bisher stets offen gelassen. Im Schrifttum wird dieses Problem nicht nur isoliert für einen Verstoß gegen die Friedenspflicht, sondern grundsätzlich für das Zusammentreffen zulässiger und unzulässiger Ziele diskutiert.217 Die h. M. geht davon aus, dass die Rechtswidrigkeit des „gesamten“ Arbeitskampfes anzunehmen sei, wenn neben rechtmäßigen Kampfzielen auch ein rechtswidriges Ziel verfolgt wird, selbst wenn es 215 Vgl. BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, NZA 2003, 734 (738); entgegen der Auffassung von Schiefer/Worzalla, DB 206, 46 (48), liegt ein „Herausbrechen“ bei einem Standorttarifkonflikt nicht schon dann vor, wenn eine Kündigungsfristenregelung in einem Flächentarifvertrag gekündigt wird, um zu verhindern, dass ein Streik wegen eines Verstoßes gegen die tarifliche Friedenspflicht unzulässig ist. Diese Vorgehensweise zielt nicht darauf ab, das betreffende Unternehmen zur Aufgabe seiner Verbandsmitgliedschaft zu bringen, vgl. BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (993). 216 BAG v. 4.5.1955 – 1 AZR 493/54, NJW 1955, 1373 (1374); BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, NZA 2003, 734 (741). 217 Vgl. Otto, Arbeitskampfrecht, § 5 Rn. 25.

B. Friedenspflichten als Grenze

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sich dabei nur um eine „Nebenforderung“ handelt.218 Verletze also ein Streik die Friedenspflicht, sei er insgesamt rechtswidrig, auch wenn weitere Forderungen geltend gemacht werden, die nicht der Friedenspflicht unterliegen.219 Dagegen wollen andere Autoren weiter differenzieren. Brox/Rüthers220 stellen auf die Ursächlichkeit der Kampfziele ab. Wäre der Arbeitskampf auch ohne das rechtswidrige Ziel zu gleicher Zeit begonnen und in gleicher Weise geführt worden, müsse er als rechtswidrig angesehen werden. Schumann221 gelangt anhand einer Gesamtschau zu ähnlichen Ergebnissen, wenn er die Rechtmäßigkeit des Arbeitskampfes ausschließlich anhand der Forderungen beurteilen will, die ihm das „Gepräge“ geben. Ein Arbeitskampf um einen Tarifsozialplan könnte demnach zumindest dann noch als rechtmäßig angesehen werden, wenn nur eine Forderung des Gesamtpakets der Friedenspflicht unterliegt, weil davon auszugehen ist, dass die Gewerkschaft in Kenntnis dieser Tatsache auf diese Forderung verzichtet hätte. Wäre also ein Kampf um Kündigungsfristen unzulässig, weil bereits eine abschließende Regelung dieser Sachmaterie besteht, könnte der Streik ausschließlich um die Forderungen nach Abfindungen und Qualifizierungsmaßnahmen geführt werden. Gamillscheg222 will hingegen nur dann von der Rechtswidrigkeit des gesamten Arbeitskampfes ausgehen, wenn der Arbeitgeber seine Verhandlungsbereitschaft hinsichtlich der rechtmäßigen Kampfziele erklärt hat und die Gewerkschaft den Streik dennoch unverändert fortsetzt. Dies würde voraussetzen, dass der Arbeitgeber den Verstoß gegen die Friedenspflicht erkennt und seine Verhandlungsbereitschaft auf die rechtmäßigen Kampfziele beschränkt. Falls er bereits Verhandlungen ablehnt, wie dies bei Standortstreiks regelmäßig der Fall war, müsste man den Streik als rechtmäßig ansehen. Hinter der Argumentation, von der Rechtswidrigkeit einer Einzelforderung auf die Rechtswidrigkeit des gesamten Arbeitskampfes zu schließen, steht der Gedanke, dass der Arbeitgeber die streikweise geltend gemachten Forderungen nur als Ganzes bewerten kann, wenn er entscheidet, ob er die Bedingungen akzeptieren will oder nicht.223 Ansonsten bestünde die Gefahr, dass auf den Kampfgegner mittelbarer Druck durch rechtswidrige Forderungen ausgeübt werden kann, indem ein rechtswidriges Kampfziel mit rechtmäßigen Kampfforderungen ver218 Vgl. Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 168 Fn. 310; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 24 Rn. 11; Lieb, ZfA 1982, 113 (129 f.); Nicolai, SAE 2004, 240 (245); Otto, Arbeitskampfrecht, § 5 Rn. 25; dens., in: FS Wiedemann, S. 401 (423 f.); BeckOK RGKURolfs/Waas, GG, Art. 9 Rn. 44; Seiter, Streikrecht, S. 495. 219 ErfK-Dieterich, GG, Art. 9 Rn. 125; Moll-Hamacher, Anwaltshandbuch, § 66 Rn. 47; Reinartz, Firmentarifvertrag, S. 296 f.; Wiedemann-Thüsing, TVG, § 1 Rn. 890. 220 Brox/Rüthers-Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 159. 221 Däubler-Schumann, Arbeitskampfrecht, Rn. 236. 222 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1066; so auch Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 188; Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 320. 223 Vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 24 Rn. 11.

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knüpft wird.224 Es wäre eine erhebliche Rechtsunsicherheit zu befürchten, wenn man die Rechtmäßigkeit eines Arbeitskampfes ausschließlich anhand der Hauptforderung bestimmen wollte, die von Nebenforderungen abzugrenzen wäre. Schon dies spricht dagegen, Nebenforderungen auszublenden. Es erscheint zudem nicht unbillig, dass ein Abstellen auf sämtliche Forderungen bei der Rechtmäßigkeitsprüfung für die kampfführende Partei immense Schadensersatzansprüche nach sich ziehen kann.225 Solche Haftungsrisiken sind dem Kampfführenden aufzubürden, wenn er die „scharfe Waffe“ des Arbeitskampfes einsetzt und rechtswidrige Ziele oder Forderungen verfolgt, die gegebenenfalls von der Gegenseite angenommen werden, ohne dass die Rechtswidrigkeit des Vorgehens erkannt wird. Für die Beurteilung von Standorttarifkonflikten gilt es darüber hinaus zu bedenken, dass die Gewerkschaft im Fall eines Arbeitskampfes um Tarifsozialpläne regelmäßig ein Gesamtpaket schnürt. Die Forderungen nach Verlängerung von Kündigungsfristen, Abfindungen und Qualifizierungsmaßnahmen stehen in der Regel gleichrangig nebeneinander. Keine dieser Forderungsinhalte wird man isolieren und nur als Nebenforderung bezeichnen können, um so einen Verstoß gegen die Friedenspflicht zu umgehen. Daraus folgt: Ist eine von mehreren Forderungen des Gesamtpakets eines Tarifsozialplans bereits umfassend geregelt, sei es auf Verbands- oder Unternehmensebene, führt dies zwingend zur Rechtswidrigkeit des „gesamten“ Standortarbeitskampfes wegen eines Verstoßes gegen die Friedenspflicht. Ebenso wird man von der Unzulässigkeit eines Standortarbeitskampfes ausgehen müssen, wenn die Gewerkschaft neben der Forderung nach Abschluss eines Tarifsozialplans vom Arbeitgeber eine Standortzusage einfordert. Hier liegt zwar kein Verstoß gegen die Friedenspflicht, sondern ein Verstoß gegen die Berufsfreiheit der Arbeitgeber vor, aus der die Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfes folgt.226 Auch in diesem Fall trägt der Einwand, dass die Standortzusage lediglich eine Nebenforderung gewesen sei, nicht.

III. Zwischenergebnis Ein Verstoß gegen die relative Friedenspflicht liegt bei Standorttarifkonflikten um Tarifsozialpläne vor, wenn Rationalisierungsschutzabkommen den Tatbestand der Betriebsänderung abschließend regeln und Standortverlagerungsentscheidungen davon umfasst sind. Allein aus dem Umstand, dass geltende Tarifverträge bereits einen Sonderkündigungsschutz enthalten, lässt sich nicht auf eine Frie224 225 226

Vgl. Otto, Arbeitskampfrecht, § 5 Rn. 25. A.A. Brox/Rüthers-Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 159. Siehe Kapitel 3 C. III. 3. b).

C. Der Arbeitgeber im „Zangengriff‘‘

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denspflicht schließen, welche die Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen ausschließen würde, da ein sachlicher Zusammenhang regelmäßig fehlen wird. Bloße Verhandlungen begründen keine Friedenspflicht. Ist die Erstreikbarkeit einer Teilforderung des Tarifsozialplans durch eine Friedenspflicht versperrt, führt dies zur Gesamtunwirksamkeit des Arbeitskampfes.

C. Der Arbeitgeber im „Zangengriff“ Im Schrifttum wird als weiterer Einwand gegen die Zulässigkeit eines Streiks um Tarifsozialpläne vorgetragen, der Arbeitgeber werde von Betriebsrat und Gewerkschaft in rechtswidriger Weise „in die Zange genommen“. Daher soll nun der Frage nachgegangen werden, ob die Zweigleisigkeit von Betriebs- und Tarifebene zur Rechtswidrigkeit des Streiks führt, wie diese gegebenenfalls systemgerecht zu koordinieren ist und ob sich der Arbeitgeber mittels Aussperrung aus dem Zangengriff lösen kann. Darüber hinaus soll der Blick auf die Aussperrungsbefugnis des bestreikten Arbeitgebers gerichtet werden, um festzustellen, ob er sich auf diesem Wege aus dem Zangengriff lösen kann.

I. Verstoß gegen das Ultima-ratio-Prinzip 1. Problemstellung und Meinungsstand Arbeitskämpfe stehen unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit, um die Rechte des Kampfgegners und Dritter zu wahren.227 Die höchstrichterliche Rechtsprechung erkennt das Verhältnismäßigkeitsprinzip als ungeschriebene Grenze der Arbeitskampffreiheit an.228 Eine Kampfmaßnahme könne nur dann als verhältnismäßig angesehen werden, wenn diese geeignet, erforderlich und proportional sei, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen oder einen bestimmten Zweck zu erfül227

Vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 29 Rn. 11 m.w. N. Grundlegend BAG v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; zuletzt BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, AP Nr. 173 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. zur Entwicklung der Rspr. Kreuz, Verhältnismäßigkeit, S. 46 ff. Das dogmatische Verhältnis von Verhältnismäßigkeitsprinzip und dem Grundsatz der Kampfparität ist im Einzelnen umstritten, vgl. Brox/Rüthers-Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 196; Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 690. Ursächlich für diese Diskussionen ist insb. die Entscheidung des BAG v. 12.3.1985 – 1 AZR 636/82, AP Nr. 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, in welcher der Erste Senat die Elemente des Verhältnismäßigkeitsgebots und das Paritätsprinzip in Bezug setzte und nicht genau differenzierte. Im Folgenden sollen dennoch beide Rechtsgrundsätze getrennt voneinander behandelt werden, da anhand des Grundsatzes der Kampfparität vorwiegend das Kampfarsenal zu bestimmen ist, während der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darüber entscheidet, ob und unter welchen Voraussetzungen ein zulässiges Kampfmittel eingesetzt werden darf, vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 29 Rn. 8; so auch Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 151 Fn. 253. 228

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len.229 Hinsichtlich der Erforderlichkeit von Arbeitskämpfen gilt das ultima-ratio-Prinzip, nach welchem der Arbeitskampf nur das letztmögliche Mittel sein soll, um den Abschluss eines Tarifvertrags gegen den Willen der Gegenseite herbeizuführen.230 Einwände, dass eine Bindung an das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Hinblick auf die vorbehaltlose Gewährleistung von Art. 9 Abs. 3 GG bedenklich sei, dieser Grundsatz nur in Subordinationsverhältnissen als „Schranken-Schranke“ Anwendung finde und die Rechtsprechung vor unlösbare Aufgaben stelle, überzeugen nicht, da aus der vorbehaltlosen Gewährleistung der Koalitionsbetätigungsfreiheit keine Unbeschränkbarkeit des Grundrechts folgt.231 Der Vorwurf einer Tarifzensur stellt sich bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer Kampfmaßnahme ebenfalls nicht.232 Eine Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stellt außerdem keinen Verstoß gegen die ESC dar, weil es sich um eine zulässige Einschränkung des Streikrechts gemäß Art. 31 ESC handelt.233 Teile des Schrifttums234 gelangen nun unter Rückgriff auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip für den Fall, dass Sozialplanverhandlungen auf Betriebsebene noch nicht abgeschlossen sind oder ein eingeleitetes Einigungsstellenverfahren noch nicht beendet wurde, zum Ergebnis, dass ein Arbeitskampf um Sozialplaninhalte unzulässig, weil nicht erforderlich sei. Als milderes Mittel komme das Einigungsstellenverfahren in Betracht, so dass ein Verstoß gegen das ultima-ra229

BAG v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. BAG v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, AKR Rn. 75; Brox/Rüthers/Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 774; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1147; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 29 Rn. 28; Richardi, Kollektives Arbeitsrecht, S. 52; Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 695. Dagegen leitet MünchArbR-Otto, 2. Aufl., § 285 Rn. 121, das ultima-ratio-Prinzip nicht aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ab, sondern versteht den Vorrang anderweitiger Konfliktlösungmechanismen als eigenständige Schranke der Kampfdurchführung. 231 Zutreffend Fischinger, RdA 2007, 99; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1132; Ricken, ZfA 2008, 283 (292). 232 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, AKR Rn. 72. 233 Vgl. Bepler, in: FS Wißmann, S. (112); Peters, Tarifvertragsverhandlungen, S. 68 f. 234 Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (415); Thüsing/Ricken, JbArbR 2005, S. 113 (127 ff.); zustimmend Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (557 f.); Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 211 ff.; Meyer, DB 2005, 830 (832); Nicolai, SAE 2004, 240 (250); Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (48 f.); Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (594 f.); Willemsen/Stamer, NZA 2007, 413 (414); wohl auch Franzen, ZfA 2005, 315 (338); a. A. Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, AKR Rn. 74d; Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 187 ff.; ders., RdA 2007, 99 (102 f.); ders., NZA 2007, 310 (313); Gaul, RdA 2008, 13 (20); Kaiser, in: Heinrich (Hrsg.), Krisen im Aufschwung, S. 65 (75); Kerwer, EuZA 2008, 335 (347 f.); Kock, ZIP, 1775 (1776); Krause, Standortsicherung, S. 90 ff.; Paschke/Ritschel, AuR 2007, 110 (112 f.); Schlachter, in: FS Birk, S. 809 (813 f.); Wank, RdA 2009, 1 (6). 230

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tio-Prinzip gegeben sei, wenn Gewerkschaften Arbeitskämpfe um Regelungen führen, solange nicht feststünde, dass eine sozialverträgliche Gestaltung der Betriebsänderung auch im Wege des friedlichen Verfahrens auf Betriebsebene ebenso gut erreicht werden könnte.235 Ein Arbeitskampf um Sozialplaninhalte wäre demnach erst nach Abschluss eines betrieblichen Sozialplans zulässig. Gleiches müsste für den Fall gelten, dass kein Betriebsrat besteht. Der Erste Senat236 ist dieser These nicht gefolgt, da sie nicht mit Art. 9 Abs. 3 GG zu vereinbaren sei. Sie halte die maßgebliche Prüfungsebene nicht ein, da ihr nicht die Frage zugrunde liege, ob ein Streik im Hinblick auf den angestrebten Tarifvertragsabschluss nach Ausschöpfen aller Mittel notwendig sei, sondern ob es seiner für das wirtschaftlich ins Auge gefasste Ziel der Tarifforderung nach Abschluss eines Tarifsozialplans überhaupt bedarf. Dies übergehe die Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien und beschränke ihre Koalitionsbetätigungsfreiheit unverhältnismäßig. 2. Stellungnahme a) Ausgangspunkt: Bezugspunkt der Prüfung Will man die Erforderlichkeit eines Arbeitskampfes feststellen, stellt sich, wie der Erste Senat zutreffend anführt, zu allererst die Frage nach dem Prüfungsmaßstab. Welcher Bezugspunkt bei der Erforderlichkeitsprüfung zugrunde zu legen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Löwisch237 stellt schlicht auf die Verwirklichung der gewählten Kampftaktik ab. Nach anderer Ansicht zielt ein Arbeitskampf stets auf die Willensbeeinflussung des Kampfgegners ab238, während manche Autoren den Zweck eines Arbeitskampfes in der Herstellung des Verhandlungsgleichgewichts zwischen den verhandelnden Parteien sehen239. Der Erste Senat stellt dagegen ebenso wie ein Großteil der Literatur auf die Durchsetzung der konkreten Tarifforderung ab.240

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Thüsing/Ricken, JbArbR 2005, S. 113 (129). BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (995); kritisch Ricken, ZfA 2008, 283 (291 ff.). 237 Löwisch, ZfA 1971, 319 (326 ff.). 238 Czerweny v. Arland, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, S. 59; v. Hoyningen-Huene, JuS 1987, 506 (507). 239 Seiter, Streikrecht, S. 172; so auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1141; Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 206; Peters, Tarifvertragsverhandlungen, S. 31 ff.; Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 343. 240 Auktor, Wellenstreik, S. 33 f.; Fischinger, RdA 2007, 99 (100 f.); ders., Arbeitskämpfe, S. 188 f.; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 29 Rn. 21; Kreuz, Verhältnismäßigkeit, S. 115 f.; Schlachter, in: FS Birk, S. 809 (813); Wank, in: FS Kissel, S. 1225 (1234). 236

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Ungeachtet der inhaltlichen Unterschiede wird man anhand dieser Ansätze im vorliegenden Fall die Erforderlichkeit eines Arbeitskampfes bejahen müssen, wenn Verhandlungen gescheitert sind oder der Arbeitgeber bereits die Aufnahme von Tarifvertragsverhandlungen abgelehnt hat. Ihnen liegt das „traditionelle“ Verständnis zugrunde, dass hinsichtlich der Erforderlichkeit nur solche Mittel zu berücksichtigen sind, welche den Tarifvertragsparteien zustehen. Entscheidend soll also sein, ob noch weitere Möglichkeiten ersichtlich sind, mit deren Hilfe ein Tarifvertragsabschluss ohne Arbeitskampfmaßnahmen erzielt werden könnte.241 Dies ist hier nicht ersichtlich. Weil die kampfführende Gewerkschaft keinen rechtlichen Einfluss auf die Sozialplanverhandlungen auf Betriebsebene oder den Ablauf eines möglichen Einigungsstellenverfahrens hat, kann man auch die Möglichkeit einer Sozialplanregelung auf Betriebsebene nicht als „milderes Mittel“ i. S. d. Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ansehen. Dies gilt unabhängig davon, ob man den Zweck des Arbeitskampfes in der Herstellung von Verhandlungsgleichgewicht, der Beeinflussung der Willensbildung des Arbeitgebers, der Durchsetzung der Tarifforderung nach Abschluss eines Tarifsozialplans sieht oder wie Löwisch anhand der gewählten Kampftaktik die Erforderlichkeit der Maßnahme überprüft und somit der kampfführenden Partei einen weitreichenden Spielraum zugesteht.242 b) Verhältnis von Betriebs- und Tarifautonomie Dagegen wird nun von der Gegenansicht eingewandt, dass diese Grundsätze keine Geltung beanspruchen, wenn eine Konkurrenz zu anderen kollektiven Regelungssystemen bestünde, denen der Gesetzgeber den Vorrang eingeräumt hat.243 Ein ausgewogenes Verfahren, welches die Interessen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber berücksichtige, sei in den §§ 111 ff. BetrVG zu sehen. Dies hätten auch die Tarifvertragsparteien zu respektieren. Je enger man den Zweck eines Standortarbeitskampfes fasse, der mit der Durchsetzung der Regelung verbunden ist, desto eher werde man geneigt sein, die Kampfmaßnahme als erforderlich anzusehen; je weiter man das Kampfziel formuliere, desto eher bestünde die Möglichkeit, „Fernziele“ in die Verhältnismäßigkeitsprüfung mit aufzunehmen.244 Ziel dieser Argumentation ist es, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung danach zu fragen, ob der Standortstreik erforderlich ist, um die kollektiven Interessen der Arbeitnehmer im Fall einer Standortschließung durchzusetzen. Eine solche Lösung würde jedoch das Verhältnis von Tarif- und Betriebsautonomie, welches durch einen Vorrang der Tarifebene geprägt ist, in ihr Gegenteil 241

Vgl. Ricken, ZfA 2008, 283 (295 ff.). Kritisch hierzu Kreuz, Verhältnismäßigkeit, S. 108 f.; Wank, in: FS Kissel, S. 1225 (1233). 243 Vgl. Ricken, ZfA 2008, 283 (293). 244 Ricken, ZfA 2008, 283 (295 Fn. 65). 242

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verkehren. Insoweit kann auf die Argumentation verwiesen werden, die bereits zur Entkräftung der Sperrwirkungsthese der §§ 111 ff. BetrVG gegenüber der tariflichen Regelungszuständigkeit angeführt wurde.245 Diese Regelungen betreffen ausschließlich das Rechtsverhältnis von Arbeitgeber und Betriebsrat. Sie zielen nicht darauf ab, die Tarifvertragsfreiheit zu beschränken und können ebenso wenig eine Einschränkung der Befugnisse zur Durchsetzung von Tarifforderungen mittels Streiks mit sich bringen. Obgleich auch sie es bezwecken, die Rechte der Arbeitnehmer im Fall von Betriebsänderungen zu wahren, schließen sie eine Regelung auf tariflicher Ebene für gewerkschaftsangehörige Arbeitnehmer und somit auch den Einsatz von Arbeitskampfmitteln zu ihrer Durchsetzung nicht aus. Bei der Verortung der Grenzen der Arbeitskampffreiheit für tariffähige Parteien sind die Regelungen des BetrVG nicht maßgeblich. Ansonsten wäre es den Gewerkschaften verwehrt, für ihre Mitglieder zusätzliche Ausgleichsleistungen zu erstreiten, wenn bereits Verhandlungen auf Betriebsebene begonnen wurden, ohne dass eine rechtliche Handhabe gegeben wäre, auf diese Verhandlungen Einfluss zu nehmen. Es wäre systemwidrig, wenn die Möglichkeit bestünde, dass eine rechtmäßige Kampfmaßnahme allein deswegen in einen rechtswidrigen Arbeitskampf „umschlägt“, sobald Verhandlungen auf Betriebsebene beginnen oder die Einigungsstelle angerufen wird.246 Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass diese von Standortarbeitskämpfen veranlasste Forderung nach Neujustierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit Blick auf die Konfliktlösungsmechanismen auf betrieblicher Ebene nicht auf die §§ 111 ff. BetrVG beschränkt werden könnte.247 In der Folge bestünde die Gefahr, dass immer dann, wenn dem Betriebsrat ein zwingendes Mitbestimmungsrecht zusteht, die Kampfbefugnisse der Gewerkschaft erheblich beschränkt werden könnten. Obgleich einzugestehen ist, dass die Zweigleisigkeit von Betriebs- und Tarifebene zu Koordinationsproblemen führen kann und der Arbeitgeber „sich an beiden Verhandlungstischen zwei unter Umständen gut aufeinander eingespielten Verhandlungspartnern gegenübersieht“ 248, darf also die „Zangenwirkung“ in Folge einer „gemeinschaftlichen“ Vorgehensweise von Betriebsrat und Gewerkschaft nicht durch eine Einschränkung der Streikbefugnisse aufgelöst werden. Diese Kumulierung ist im deutschen System des Kollektivarbeitsrechts angelegt und gerade gewollt.249 Einschränkungen dürfen jedenfalls nicht zu Lasten der Tarifautonomie vorgenommen werden.

245 246 247 248 249

Ausführlich unter Kapitel 4 A. II. 3. Krause, Standortsicherung, S. 92. Fischinger, RdA 2007, 99 (103). Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (415). Franzen, ZfA 2005, 315 (338); Schlachter, in: FS Birk, S. 809 (814).

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c) Fazit Ricken250 wendet gegen dieses Ergebnis ein, dass eine solche, „zu enge“ Zwecksetzung letztlich zur „Funktionslosigkeit der Verhältnismäßigkeitsprüfung“ führe. Solange ein Streik auf den Abschluss eines Tarifvertrags gerichtet sei, werde er sich „wohl stets als geeignet und erforderlich erweisen“. Dem ist im Grunde zuzustimmen. Dies liegt jedoch darin begründet, dass den Tarifvertragsparteien, wie es der Erste Senat auch in dieser Entscheidung betont, eine Einschätzungsprärogative zusteht.251 Gelangt die Gewerkschaft zum Ergebnis, dass die sozialen Folgen einer Betriebsänderung durch eine Regelung auf Betriebsebene aufgrund der Schranken des Betriebsverfassungsrechts nicht ausreichend abgemildert wurden, kann sie versuchen, eine Regelung zu erkämpfen, selbst wenn noch nicht feststeht, in welchem Umfang der betriebliche Sozialplan Ausgleichsleistungen vorsieht. Aus dem Grundsatz der Kampfmittelfreiheit folgt zudem, dass es den Parteien frei steht, welches der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel sie einsetzen darf.252 Ferner fordert das BAG253 keine ausdrückliche Erklärung des Scheiterns von Verhandlungen, sondern sieht in der Einleitung von Kampfmaßnahmen eine konkludente Erklärung gegenüber dem Kampfgegner. Auch eine Urabstimmung wird nicht als zwingend angesehen.254 Ein Verstoß gegen das ultima-ratio-Prinzip soll erst dann gegeben sein, wenn Kampfmittel rechtsmissbräuchlich eingesetzt werden, was gegeben wäre, wenn ein Arbeitskampf nicht erforderlich ist, weil der Kampfgegner bereit ist, die Forderungen zu erfüllen.255 Es sei zu fordern, dass bereits ernsthaft verhandelt wurde. Damit wird der verfahrensmäßige Sinngehalt des ultima-ratio-Prinzips in den Vordergrund gestellt.256 Dass bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Zurückhaltung angezeigt ist, rechtfertigt es noch nicht, an der „Stellschraube“ der Erforderlichkeitsprüfung anzusetzen und Korrekturen vorzunehmen.257 Entscheidende Bedeutung kommt dem ultima-ratio-Prinzip demnach in der Praxis nicht zu. Zeigt sich der Arbeitgeber verhandlungsbereit, ist zwar zu fordern, dass auch die Gewerkschaft ernsthafte Verhandlungsbereitschaft gezeigt hat, bevor sie zu Kampfmaß250

Ricken, ZfA 2008, 283 (295 f.); MünchArbR-ders., § 200 Rn. 55. Vgl. auch BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, AP Nr. 173 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 252 Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 349. 253 Vgl. BAG v. 21.6.1988 – 1 AZR 651/86, AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; kritisch hierzu Peters, Tarifvertragsverhandlungen, S. 141 ff. 254 Vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 40 Rn. 1 ff.; Däubler-Schumann, Arbeitskampfrecht, Rn. 204a; kritisch Rieble, in: FS Canaris, S. 1439 (1447 ff.). 255 BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, AP Nr. 173 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 256 Vgl. hierzu Kreuz, Verhältnismäßigkeit, S. 140 ff. 257 So jedoch Ricken, ZfA 2008, 283 (295 f.). 251

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nahmen greift.258 Hierbei gilt es jedoch zu beachten, dass zwischen Verhandlungen, die auf den Abschluss eines Standortsicherungstarifvertrags und solchen, die auf den Abschluss eines Tarifsozialplans gerichtet sind, zu unterscheiden ist: Sind Verhandlungen um eine Standorterhaltung gescheitert, darf die Gewerkschaft nicht ohne weiteres zum Sozialplanstreik übergehen, wenn noch keine Verhandlungen darüber geführt wurden.259 Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass ein Streik um einen Tarifsozialplan nicht generell unzulässig ist, wenn das Sozialplanverfahren auf betrieblicher Ebene noch nicht beendet wurde. Die von Teilen des Schrifttums geforderte Neujustierung der Erforderlichkeitsprüfung von Arbeitskämpfen, hinter welcher der Gedanke steht, das ultima-ratio-Prinzip nicht auf das Verhältnis der Tarifvertragsparteien untereinander zu beschränken, sondern im Fall eines Streiks um Tarifsozialpläne auch die Befugnisse des Betriebsrats als gleich geeignetes Mittel anzusehen, ergibt sich daraus allerdings nicht. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann nicht als Ansatzpunkt für eine solch weitreichende „Sperrwirkung“260 betrieblicher Mitbestimmungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten gegenüber einer Durchsetzung von Sozialplaninhalten mittels Arbeitskampfs fruchtbar gemacht werden kann. Das ultima-ratio-Prinzip steht einem Standortstreik auch dann nicht entgegen, wenn Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber begonnen wurden, die noch nicht zum Abschluss eines Sozialplans geführt haben.

II. Verstoß gegen den Paritätsgrundsatz 1. Paritätswidrigkeit eines Streiks um Sozialplaninhalte? Einige Autoren261 halten Arbeitskämpfe um tarifliche Sozialpläne in Betrieben, in denen die Möglichkeit besteht, einen betrieblichen Sozialplan gegen den Willen des Arbeitgebers erzwingen zu können, wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Kampfparität generell für unzulässig. Sie begründen dies unter Grundlage des nach h. M. maßgeblichen materiellen Paritätsverständnisses262 insbesondere damit, dass aufgrund der gesetzlichen Regelungen der §§ 111 ff. 258 Vgl. BAG v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG v. 21.6.1988 – 1 AZR 651/86, AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 6R f.; Brox/ Rüthers-Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 197. 259 So auch Lipinski/Ferme, DB 2007, 1250 (1251). 260 Deutlich Ricken, ZfA 2008, 283 (298). 261 Vgl. Grau, NJW 2007, 3660; Kappenhagen/Lambrich, BB 2007, 2238 (2240); Mehrens, Sozialtarifverträge, S. 208 ff.; Nicolai, SAE 2004, 240 (250); dies., RdA 2006, 33 (38 f.); Reichold, BB 2004, 2814 (2816 f.); Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410 (415); Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 (49); Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (595); Stück, MDR 2008, 127 (128); Willemsen/Stamer, NZA 2007, 413 (414 ff.). 262 Siehe hierzu Kapitel 2 C. IV.

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BetrVG Sozialplaninhalte von der Arbeitnehmerseite stets durchgesetzt werden könnten. Selbst wenn sich der Arbeitgeber von den Streikmaßnahmen unbeeindruckt zeige und dem Streik standhalte, könne im Anschluss daran die sozialverträgliche Gestaltung der Folgen einer Standortentscheidung vom Betriebsrat durchgesetzt werden. Henssler263 geht ebenfalls von einem Paritätsverstoß aus, argumentiert jedoch damit, dass im Fall eines Standorttarifkonflikts die Arbeitnehmerseite mit besonderer Rücksichtslosigkeit vorginge, weil sie nicht wie sonst davon ausgehen könnten, nach der Beendigung des Streiks im Betrieb weiterzuarbeiten. Der Fortbestand des Unternehmens als natürliches Korrektiv falle in diesen Fällen weg. a) Ausgangspunkt Eine Störung der Kampfparität setzt voraus, dass das für die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie unabdingbare Gleichgewicht zwischen den Tarifvertragsparteien hinsichtlich der ihnen zur Verfügung stehenden Druckausübungsmittel verschoben ist; maßgeblich sind dabei nach h. M. die realen Kräfteverhältnisse, ohne dass sämtliche Besonderheiten des Arbeitskampfes in die Prüfung aufzunehmen sind; situationsbedingte Vorteile bleiben unberücksichtigt.264 Richtig ist, dass sich der verlagerungswillige Arbeitgeber dem betrieblich erzwingbaren Sozialplan nicht entziehen kann. Dies liegt allerdings ausschließlich in der Ausgestaltung der §§ 111 ff. BetrVG begründet und muss nicht zwangläufig bedeuten, dass das Verhandlungsgleichgewicht von gegebenenfalls parallel verlaufenden Tarifvertragsverhandlungen so erheblich gestört wäre, wie es die Gegenansicht behauptet. Zudem ist zu bedenken, dass nach Abschluss eines betrieblichen Sozialplans die Streikbereitschaft der Arbeitnehmer sinken kann, wenn diese sich mit dem Ergebnis zufrieden zeigen und daher keine tarifvertragliche Regelung mehr erstreiken wollen, selbst wenn die Möglichkeit bestünde, auf diesem Wege Leistungen zu erkämpfen, die über die Sozialplanverpflichtungen des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene hinausgehen.265 Dies wird schon daran deutlich, dass die Gewerkschaft im vom BAG266 zu entscheidenden Fall keinen Tarifvertragsabschluss erzielen konnte. Die Kampfmaßnahmen wurden nach Abschluss des betrieblichen Sozialplans beendet. Dies ist nicht nur ein Beleg dafür, dass die Gewerkschaft an die Seite des Betriebsrats 263 Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (567 f.); zustimmend Lobinger, ZfA 2009, 319 (426, 435). 264 Vgl. BAG v. 10.6.1980 – 1 AZR 822/79, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Brox/Rüthers/Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 765; siehe hierzu bereits Kapitel 2 C. IV. 265 Deutlich Krieger, FA 2007, 366 (367): „Ist ein betrieblicher Sozialplan erst einmal vereinbart, ist häufig der für die Einleitung und Fortsetzung eines Arbeitskampfes erforderliche Druck raus und die Gewerkschaft verliert ihre Kampffähigkeit.“ 266 Vgl. BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (988).

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tritt und versucht, die „Fesseln der Betriebsverfassung zu sprengen“, sondern zeigt ebenso die negativen Folgen der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsrechte für das gewerkschaftliche Vorgehen auf, wenn das betriebliche Verfahren beendet wurde. Dies gilt insbesondere, wenn man das Ziel eines solchen Standortstreiks darin sieht, ergänzende und im Vergleich zum betrieblichen Sozialplan umfangreichere Regelungen zu erzielen.267 Andererseits ist nicht zu verkennen, dass Verhandlungen auf Betriebsebene eine Einigung auf Tarifebene beeinflussen können. Liegt ein Einigungsstellenspruch vor, wird sich die Gewerkschaft an ihm orientieren und auf das Volumen „draufsatteln“. Im Schrifttum wird zudem die Gefahr eines „Schneeballeffekts“ ausgemacht, wenn der Arbeitgeber ein Angebot zur Beendigung eines Arbeitskampfes mache, das dem Betriebsrat und der Einigungsstelle nicht verborgen bleiben wird und Rückschlüsse zulassen könnte, was aus Sicht des Arbeitgebers ein angemessenes Sozialplanvolumen darstellt.268 Ferner birgt die Zweigleisigkeit des Verfahrens die Gefahr, dass Betriebsrat und Gewerkschaft unterschiedliche Vorstellungen über die Verteilung der zur Verfügung stehenden Sozialplanmittel haben und der Arbeitgeber so in eine Zwickmühle gerät, an welchen Vorstellungen er sich orientieren soll.269 Dies kann die Umsetzung einer Standortentscheidung zu Lasten des Arbeitgebers verzögern. Fraglich ist jedoch, ob daraus zwingend ein Paritätsverstoß folgt, der eine Einschränkung der gewerkschaftlichen Kampfbefugnisse erfordert: Ist also die Ausgestaltung der Betriebsverfassung mit Blick auf die bei Standortschließungen eröffneten Befugnisse des Betriebsrats geeignet, die Verhandlungsstärke der Gewerkschaft im Rahmen eines Standorttarifkonflikts so erheblich zu steigern, dass zur Wiederherstellung des Verhandlungsgleichgewichts Streikaktivitäten generell zu untersagen sind? b) Vorrang von Art. 9 Abs. 3 GG Bei ihrer Beantwortung gilt es zunächst wiederum zu berücksichtigen, dass Arbeitskampfmaßnahmen der Gewerkschaften auf einen Spruch der Einigungsstelle keinerlei Einfluss haben.270 Die Regelungen der §§ 111 ff. BetrVG schützen auch den Arbeitgeber, da das Einigungsstellenverfahren festen Regeln unterliegt und zudem gerichtlich überprüfbar ist.271 Das Verfahren einer betrieblichen Sozialplangestaltung und die Auseinandersetzung auf tariflicher Ebene laufen aus 267

Krause, Standortsicherung, S. 89, zustimmend Wank, RdA 2009, 1 (6). Vgl. Ricken, ZfA 2008, 283 (300). 269 Vgl. Krause, in: FS Otto, S. 267 (286). 270 Zutreffend Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 158; siehe hierzu bereits Kapitel 5 C. I. 2. a). 271 Vgl. hierzu Richardi-Annuß, BetrVG, § 112 Rn. 209 ff., 243 f. 268

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rechtlicher Sicht getrennt voneinander ab. Es ist gerade nicht davon auszugehen, dass sich der Vorsitzende der Einigungsstelle an der Tarifforderung der Gewerkschaft orientiert, da er an die Maßstäbe des § 112 BetrVG gebunden ist. Auch ein Angebot des Arbeitgebers auf eine Streikforderung darf keine Rückschlüsse auf die Festlegung eines Sozialplanvolumens auf Betriebsebene zulassen, da der Arbeitgeber gegenüber der Gewerkschaft in der Regel zu größeren Zugeständnissen bereit ist, um den Arbeitskampf zu beenden. Obgleich einzugestehen ist, dass gerade die Parallelität der Verhandlungen aus Sicht der Arbeitgeber eine neue Qualität aufweist, gilt es doch erneut darauf hinzuweisen, dass eine Kumulation von Mitbestimmung und Arbeitskampf und somit das Spannungsverhältnis von Betriebsverfassung und Arbeitskampf nicht zu Lasten der Tarifautonomie aufgelöst werden darf.272 Aus Sicht der Arbeitgeber folgt daraus zwar eine gewisse Unkalkulierbarkeit hinsichtlich der Folgekosten.273 Ursächlich ist aber nicht die Zweigleisigkeit der Verfahren. Dies liegt vielmehr in der Natur von Arbeitskampf und Einigungsstellenverfahren begründet. Eine Einschränkung der Befugnisse des Betriebsrats könnte den Zangengriff ebenso auflösen, würde die Tarifautonomie aber weniger intensiv beschränken.274 Die Wechselwirkungen zwischen betrieblicher und tariflicher Ebene bei Standorttarifkonflikten führen also nicht zur Paritätswidrigkeit von Streikmaßnahmen, die auf den Abschluss eines tariflichen Sozialplans gerichtet sind. c) Situationsbedingte Intensität der Kampfführung Mehr Gewicht kommt dagegen dem Hinweis von Henssler275 zu, dass solche Arbeitskämpfe gerade deswegen besonders heftig geführt werden und die gewerkschaftliche Kampfkraft steigerten, weil die Arbeitnehmer kein Interesse am Fortbestand des Unternehmens mehr hätten. Die Praxis der Standortarbeitskämpfe zeige, dass Gewerkschaften in der Lage seien, mehrmonatige Arbeitskämpfe gegen mittelständische Unternehmen zu führen, so dass dem Arbeitgeber nur die „Kapitulation“ bleibe. Ein Verstoß gegen den Paritätsgrundsatz lässt sich jedoch auch damit nicht begründen. Dagegen ist einzuwenden, dass dieser Umstand ebenso geeignet erscheint, die Kampfkraft der Gewerkschaft zu schwächen. Krause276 führt zu

272

Siehe hierzu bereits Kapitel 5 C. I. 2. b). So der Einwand von Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (595). 274 So auch BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (996); siehe hierzu sogleich unter 2. 275 Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (567 f.); zustimmend Lobinger, ZfA 2009, 319 (426, 435). 276 Krause, Standortsicherung, S. 90. 273

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Recht an, dass Arbeitnehmer, die befürchten müssen, gegen die drohende Standortentscheidung nichts mehr ausrichten zu können, resignieren könnten und es in diesem Fall schwer fallen wird, sie für einen Arbeitskampf um die soziale Abmilderung der Entscheidung zu mobilisieren. Zudem ist zu bedenken, dass dieser Einwand ein generelles Problem formuliert, das mit dem Zangengriff von Gewerkschaft und Betriebsrat in keinem Zusammenhang steht. Auch in betriebsratslosen Betrieben besteht bei solchen Konflikten die Gefahr, dass die Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf den Fortbestand des Unternehmens handeln.277 Dies darf allerdings nicht zu einem generellen Verbot von Arbeitskämpfen führen. Allein die Tatsache, dass der Arbeitgeber angesichts einer „überraschenden“ Standortverlagerung damit rechnen muss, dass die Arbeitnehmer „alles auf eine Karte“ setzen und die Streikbereitschaft möglicherweise besonders hoch ist, darf nicht dazu verleiten, die gewerkschaftliche Streikbefugnis derart weit einzuschränken. Im Rahmen der Kampfparität kommt es vielmehr auf grundsätzliche Waffengleichheit an, um ein Verhandlungsgleichgewicht zu gewährleisten, das einen Tarifvertragsabschluss garantiert, der den gegenläufigen Interessen gerecht wird. Sämtliche Besonderheiten des Arbeitskampfes dürfen gerade nicht in die Prüfung mit aufgenommen werden; situationsbedingte Vorteile müssen unberücksichtigt bleiben.278 Bereits dies spricht gegen die von Henssler vorgebrachte Argumentation. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die Besonderheiten eines Gleichlaufs der Verhandlungen mit Betriebsrat und Gewerkschaft die Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers grundsätzlich nicht beschränken. Wie bei jedem Tarifkonflikt kann er versuchen, den Arbeitskampf durchzustehen, um so das betriebliche Sozialplanvolumen übersteigende Tarifforderungen abzuwehren. Ferner besteht die Möglichkeit, im Rahmen des rechtlich Zulässigen Gegenmaßnahmen einzuleiten. Die Besonderheiten des Zangengriffs von Gewerkschaft und Betriebsrat beschränken ihn darin nicht. Der Grund für das „Erpressungspotential“ gewerkschaftlichen Vorgehens liegt gerade darin begründet, dass durch die parallel verlaufenden Verhandlungen die Planbarkeit und somit die Umsetzung der Unternehmerentscheidung in Frage gestellt wird und der Arbeitgeber durch den streikbedingten Produktionsstillstand belastet wird. Auch dies ist jedoch kein Grund, unter Rückgriff auf den Paritätsgrundsatz das Streikrecht der Gewerkschaft zu beschränken.279 Diese Lösung würde dem Vorrang der Tarifautonomie gegenüber einer Einschränkung der Mitbestimmungsrechte des BetrVG nicht gerecht.280 277

Zutreffend Ricken, ZfA 2008, 283 (301). Vgl. BAG v. 10.6.1980 – 1 AZR 822/79, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Brox/Rüthers/Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 765; siehe hierzu bereits Kapitel 2 C. IV. 279 So auch Ricken, ZfA 2008, 283 (300). 280 Siehe unter b). 278

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Einige Autoren weisen zwar auf die Möglichkeit eines Paritätsverstoßes für den Fall des Standortarbeitskampfes um Tarifsozialpläne einer „mächtigen“ Gewerkschaft gegenüber einem „kleinen“ Arbeitgeber hin.281 Dabei handelt es sich aber ebenfalls um kein besonderes Problem des Standortarbeitskampfes, sondern um eine generelle Frage der Zulässigkeit eines Firmenarbeitskampfes.282 Die Gewerkschaften suchen sich bei solchen dezentralen Arbeitskämpfen gezielt einzelne Mitglieder heraus, um eine unternehmensbezogene Regelung durchzusetzen. Im Gegensatz zu einem Außenseiter-Arbeitgeber kann der verbandsangehörige Arbeitgeber Unterstützungsmaßnahmen durch den Verband in Anspruch nehmen.283 Zu Recht hat der Erste Senat284 darauf hingewiesen, dass es Sache der Koalition selbst sei, für die nötige Solidarität ihrer Mitglieder zu sorgen, wenn ein firmenbezogener Verbandstarifvertrag gegen den Willen des Verbandsmitglieds erstreikt werden soll. Die Unzulässigkeit von Streikmaßnahmen wegen eines Paritätsverstoßes lässt sich damit nicht begründen.285 Im Zusammenhang mit einer Tarifauseinandersetzung aus Anlass einer Standortentscheidung des Arbeitsgebers gilt es zudem zu berücksichtigen, dass sich die Gewerkschaft tendenziell in einer schwachen Verhandlungsposition befindet.286 Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber bereits einen neuen Betriebsstandort aufgebaut hat, ihn daher die Folgen eines Arbeitskampfes weniger stark treffen und gegebenenfalls sogar in die Karten spielt, da während des Arbeitskampfes die Leistungspflichten suspendiert sind. Denkbar wäre also allenfalls ein Paritätsverstoß bei einem Firmenstreik einer Großgewerkschaft gegenüber einem „Kleinunternehmen“, das nicht Mitglied im Arbeitgeberverband ist. Bei diesen Erwägungen ist jedoch Vorsicht angezeigt, situationsbedingte Vorteile nicht in die Paritätserwägungen aufzunehmen. Ein genereller Paritätsverstoß ist daher bei solchen Sondersituationen – unabhängig davon, ob der Arbeitgeber Verbandsmitglied ist – nicht anzunehmen.287 281 Bayreuther, NZA 2007, 1017; Franzen, ZfA 2005, 315 (340); wohl auch Gaul, RdA 2008, 13 (21). 282 Zutreffend Krause, Standortsicherung, S. 90. 283 Vgl. Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 411. 284 BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (993 f.); kritisch Benecke, in: FS Buchner, S. 96 (98). 285 So auch LAG Hessen v. 2.2.2006 – 9 Sa 915/05, LAGE Nr. 75 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 16; LAG Schleswig-Holstein v. 27.3.2003 – 5 Sa 137/03, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 8; ArbG Frankfurt v. 15.3.2005 – 5 Ca 4542/04 (juris) unter Rn. 85 der Entscheidungsgründe. 286 Vgl Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017 (1018); Wolter, RdA 2002, 218 (223). 287 Vgl. BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, NZA 2003, 734 (738); BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (993); LAG Hessen v. 2.2.2006 – 9 Sa 915/ 05, LAGE Nr. 75 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Witt, Firmentarifvertrag, S. 187 ff. m.w. N.; a. A. Hanau/Thüsing, ZTR 2002, 506 (509); Lieb, DB 1999, 2058 (2063); Brox/Rüthers-Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137.

C. Der Arbeitgeber im „Zangengriff‘‘

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Ebenso steht es der Zulässigkeit eines Streiks um unternehmensbezogene Regelungen mit Blick auf den Paritätsgrundsatz nicht entgegen, dass gleichzeitig Verhandlungen um einen Flächentarifvertrag geführt werden.288 d) Fazit All dies zeigt, dass die aus Arbeitgebersicht unangenehme Situation, nicht nur Verhandlungen mit dem Betriebsrat führen zu müssen, sondern zudem Tarifforderungen einer möglicherweise kampfstarken Gewerkschaft ausgesetzt zu sein, nicht zur Annahme verleiten darf, dass nicht von Verhandlungen mit offenem Ausgang gesprochen werden kann. Trotz etwaiger personaler Verflechtungen zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft stärkt das betriebsverfassungsrechtliche Verfahren der §§ 111 ff. BetrVG die Kampfkraft der Gewerkschaft nicht zwangsläufig und so erheblich, dass es eines Eingriff des Staates zur Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie bedürfte. Diesen Einwand haben daher sowohl der Erste Senat289 als auch große Teile des Schrifttums290 zu Recht verworfen. 2. Exkurs: Arbeitskampfbedingte Einschränkung der §§ 111 ff. BetrVG? Kommt eine Einschränkung des Streikrechts aus Paritätsgründen nicht in Betracht, will ein Großteil des Schrifttums die Rechte des Betriebsrates einschränken, um so die „Zangenwirkung“ aufzulösen und eine vermeintlich „gestörte“ Kampfparität wiederherzustellen. Versuche die Gewerkschaft die Forderung nach Abschluss eines Tarifsozialplans mittels Streiks durchzusetzen, müssten die Beteiligungsrechte gemäß §§ 111 ff. BetrVG suspendiert sein und ein eventuell begonnenes Einigungsstellenverfahren ruhen.291 Ferner sei dem Arbeitgeber die Möglichkeit einzuräumen, 288

Vgl. BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (993 f.). BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (995 f.). 290 Vgl. Benecke, in: FS Buchner, S. 96 (98); Fischinger, Arbeitskämpfe, S. 157 ff.; Franzen, ZfA 2005, 335 (337 f.); Gaul, RdA 2008, 13 (20); Kaiser, in: FS Buchner, S. 385 (393); Kerwer, EuZA 2008, 335 (348); Kock, ZIP 2007, 1775 (1776); Krause, Standortsicherung, S. 88 ff.; Ricken, ZfA 2008, 283 (298 ff.); Schlachter, in: FS Birk, S. 809 (811 f.); Wank, RdA 2009, 1 (6). 291 So Bayreuther, NZA 2007, 413 (416); Cherdron, Sozialplanvereinbarungen, S. 408 f.; Gaul, RdA 2008, 13 (22); Kappenhagen/Lambrich, BB 2007, 2238 (2240); Lipinski/Ferme, DB 2007, 1250 (1252); Lipinski/Reinhardt, BB 2008, 2234 (2240); Löwisch, DB 2005, 554 (559); Schneider/Sittard, ZTR 2007, 580 (595 f.); Schweibert, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung, C 285d; Wank, RdA 2009, 1 (6); Willemsen/Stamer, NZA 2007, 413 (414 ff.); a. A. Richardi-Annuß, BetrVG, § 112 Rn. 179; Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019 (1023); Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a Rn. 190; Kock, ZIP 2007, 1775 (1776 f.); Ricken, ZfA 2008, 283 (301 ff.); Schoof, AiB 289

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

die Betriebsänderung umzusetzen, ohne dass ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bestünde.292 a) Suspendierung nur bei unmittelbarem Arbeitskampfbezug Dem ist insoweit zuzustimmen, als dass eine Einschränkung betriebsverfassungsrechtlicher Befugnisse aufgrund von Wechselwirkungen zur Tarifebene bei Tarifauseinandersetzungen in Rechtsprechung und Schrifttum grundsätzlich in Betracht gezogen wird, um so das Verhandlungsgleichgewicht und somit auch die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie aufrechtzuerhalten. 293 Mittels einer teleologischen Reduktion294 erfährt das BetrVG Einschränkungen, wenn Art. 9 Abs. 3 GG dies zwingend gebietet.295 Der Einwand, dass sich aus dem Wortlaut des BetrVG keine derartige Einschränkung ableiten lasse,296 trägt also nicht. Eine Suspendierung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats soll jedoch nach dem bisher herrschenden Verständnis nur dann in Betracht kommen, wenn durch eine zwingende Beteiligung des Betriebsrats die Arbeitskampffreiheit des Arbeitgebers beschränkt würde. Ansatzpunkt einer paritätsbedingten Reduktion des BetrVG ist also nicht die bloße Existenz eines Arbeitskampfes, sondern vielmehr der Umstand, dass die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats die Kampfbefugnisse des Arbeitgebers nicht einschränken sollen.297 Dies wäre etwa dann der Fall, wenn der Betriebsrat die Durchführung von Kampfmaßnahmen der Arbeitgeberseite durch sein Mitbestimmungsrecht vereiteln könnte, also der Betriebsrat beispielsweise über die Entscheidung, Streikbruchprämien zahlen zu wollen, mitbestimmen, diese somit verhindern oder zumindest verzögern könnte.298 2007, 736 (738); differenzierend Kaiser, in: Heinrich (Hrsg.), Krisen im Aufschwung, S. 65 (77 ff.); Krause, in FS Otto, S. 267 (281 f., 284 ff.); offengelassen von BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 (996). 292 So Gaul, RdA 2008, 13 (22); Lipinski/Ferme, DB 2007, 1250 (1252); Schneider/ Sittard, ZTR 2007, 580 (595 f.); Wank, RdA 2009, 1 (6); Willemsen/Stamer, NZA 2007, 413 (417); a. A. Ricken, ZfA 2008, 283 (301 ff.). 293 Siehe hierzu statt vieler Krause, in: FS Otto, S. 267 (269 ff.). 294 Vgl. Jansen, Mitbestimmung, S. 123 ff. 295 Vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 36 Rn. 51; Krause, in: FS Otto, S. 267 (269 ff.). 296 So LAG Hamm v. 3.11.1978 – 3 TaBV 96/78, LAGE Nr. 11 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Bremen v. 9.2.1989 – 3 Sa 238/86 u. a., AiB 1989, 316; DKK-Berg, BetrVG, § 74 Rn. 20; Däubler-Colneric, Arbeitskampfrecht, Rn. 664 ff.; Wolter, AuR 1979, 333 (335 ff.); weitere Nachweise bei Jansen, Mitbestimmung, S. 40 Fn. 82; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 36 Rn. 42 Fn. 89. 297 Deutlich BAG v. 10.12.2002 – 1 ABR 7/02, AP Nr. 59 zu § 80 BetrVG 1972 m.w. N.; umfassend hierzu Jansen, Mitbestimmung, S. 123 ff. 298 Zu den einzelnen Mitbestimmungstatbeständen in kampfbetroffenen Betrieben siehe Jansen, Mitbestimmung, S. 203 ff.

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Allein das zeitliche Zusammenfallen von Arbeitskampf und betrieblichem Mitbestimmungsrecht soll für eine Einschränkung der Befugnisse des Betriebsrats nicht ausreichen.299 Vielmehr sei stets danach zu fragen, ob der Arbeitgeber durch den jeweiligen Mitbestimmungstatbestand daran gehindert wäre, auf Kampfmaßnahmen der Gewerkschaft mit dem Einsatz von Arbeitskampfmitteln reagieren zu können.300 Im Zusammenhang mit den Befugnissen des Betriebsrats gemäß §§ 111 ff. BetrVG wurde aus diesem Grund bisher ausschließlich die Konstellation behandelt, dass der Arbeitgeber mittels Betriebsänderung auf einen Arbeitskampf der Gewerkschaft reagiert.301 Die Möglichkeit einer Paritätsstörung durch die Erzwingbarkeit eines betrieblichen Sozialplans wurde erwogen, weil die Gefahr bestünde, dass das Recht des Arbeitgebers, als Reaktion auf einen Arbeitskampf eine endgültige Betriebsstilllegung zu beschließen, erheblich beeinträchtigt würde.302 Eine im Schrifttum verbreitete Auffassung geht daher davon aus, dass in einem solchen Fall die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach den §§ 111 ff. BetrVG ruhen.303 „Auf Dauer geplante“ Betriebsänderungen unterlägen dagegen der vorgeschriebenen Beteiligung des Betriebsrats.304 Für den Standortarbeitskampf wird die Einschränkung sämtlicher Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats allerdings anders begründet: Die Umsetzung der Betriebsänderung stellt ebenso wie eine Bekanntgabe solcher Pläne keine Arbeitskampfmaßnahme dar.305 Das „Ruhen“ der Beteiligungsrechte sei nicht deswegen zwingend geboten, weil dem Arbeitgeber die Möglichkeit genommen werde, auf den Standortstreik der Gewerkschaft mit Arbeitskampfmaßnahmen zu reagieren. Stattdessen wird auf die Störung der tariflichen Sozialplanverhandlungen durch parallel verlaufende Verhandlungen auf Betriebsebene und Einigungsstellenverfahren abgestellt. Allein aus diesem Grund darf die Rechtsprechung zur Einschränkung der Rechte des Betriebsrats bei einem Arbeitskampf nicht ohne weitere Überlegungen als Beleg für diese These angeführt werden. Es entspricht keineswegs dem bisher vorherrschenden Verständnis von Rechtsprechung und Schrifttum, in diesem Fall die Beteilungsrechte des Betriebsrats bis zur Beendigung des Streiks zu suspendieren. Sieht man den Ansatzpunkt einer teleologischen Reduktion des 299

Vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 36 Rn. 45. Vgl. ErfK-Dieterich, GG, Art. 9 Rn. 157; MünchArbR-Matthes, 2. Aufl., § 331 Rn. 12 m.w. N. 301 Vgl. Jansen, Mitbestimmung, S. 239 f.; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 36 Rn. 87 f. 302 Brox/Rüthers-Brox, Arbeitskampfrecht, Rn. 462. 303 So etwa Richardi-Annuß, BetrVG, § 111 Rn. 31; Brox/Rüthers-Brox, Arbeitskampfrecht, Rn. 462; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1286; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 36 Rn. 88; Kraft, in: FS Müller, S. 265 (278 f.). 304 Heinze, SAE 1980, 221 (225); MünchArbR-Matthes, 2. Aufl., § 331 Rn. 23. 305 Ausführlich in Kapitel 2 C. 300

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

BetrVG darin, die Arbeitskampffreiheit des Arbeitgebers zu erhalten, wird man eine Einschränkung der Befugnisse in diesem Fall schon deswegen ablehnen müssen.306 b) Wechselwirkungen zwischen Tarif- und Betriebsebene Richtigerweise muss daher die Frage lauten, ob diese Grundsätze zur streikbedingten Einschränkung betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte auf die vorliegende Konstellation übertragen werden können, selbst wenn der Arbeitgeber durch die Mitbestimmung des Betriebsrats nicht an der Durchführung von Kampfmaßnahmen gehindert wird. Kann also auch eine Beeinträchtigung der Handlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers bei Standorttarifkonflikten eine Einschränkung von betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsrechten nach sich ziehen, wenn sich diese auf eine nicht unmittelbar arbeitskampfbezogene Handlung des Arbeitgebers bezieht? Dazu gilt es zunächst, den Blick auf die einzelnen Befugnisse des Betriebsrats gemäß §§ 111 ff. BetrVG und mögliche Wechselwirkungen im Bezug auf Ablauf und Ergebnis eines Standorttarifkonflikts zu richten: Aus den Unterrichtungsansprüchen des Betriebsrats gemäß § 111 S. 1 BetrVG folgt keine Beschränkung der Verhandlungsposition der Arbeitgeberseite im Standortarbeitskampf, selbst wenn die Gefahr besteht, dass es damit der Gewerkschaft erst ermöglicht wird, ihre Kampfstrategie zu optimieren. Durch die Pflicht zur Information des Betriebsrats wird der Arbeitgeber grundsätzlich nicht in seinen Freiheiten beschränkt, sich eines gewerkschaftlichen Arbeitskampfes erwehren zu können oder die Umstrukturierungsmaßnahme umzusetzen.307 Auch die Verhandlungsposition gegenüber der Gewerkschaft wird dadurch nicht beeinflusst. Das Interessenausgleichsverfahren gemäß §§ 112, 113 BetrVG wirkt sich ebenfalls nur marginal auf die Verhandlungsposition des Arbeitgebers bei einem parallel verlaufenden Arbeitskampf aus, wenn es zu keinen Verzögerungen durch den Betriebsrat kommt. Zwar hat der Arbeitgeber im Rahmen der Verhandlungen mit dem Betriebsrat alle Verhandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen, andererseits entscheidet er im Anschluss daran autonom, ob es zu einem Interessenausgleich kommt.308 Eine Wechselwirkung zur Tarifebene kommt nur dann in Betracht, 306 In diesem Sinne Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a Rn. 190; Kock, ZIP 2007, 1775 (1776 f.); Ricken, ZfA 2008, 283 (302); a. A. Kaiser, in: Heinrich (Hrsg.), Krisen im Aufschwung, S. 65 (76 f.); dies., in: FS Buchner, S. 385 (397). 307 Vgl. BAG v. 10.12.2002 – 1 ABR 7/02, AP Nr. 59 zu § 80 BetrVG 1972; Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a Rn. 190; Kaiser, in: Heinrich (Hrsg.), Krisen im Aufschwung, S. 65 (77); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 36 Rn. 85; kritisch Reichold, NZA 2004, 247 (250). 308 Richardi-Annuß, BetrVG, § 112 Rn. 23; Fitting, BetrVG, § 111 Rn. 5.

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wenn der Betriebsrat dieses Verfahren absichtlich in die Länge zieht, um den Arbeitgeber so an der Umsetzung der Maßnahme zu hindern, so dass keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, welche die Kampfbereitschaft der Arbeitnehmer beeinträchtigen könnten.309 Die massivste Beeinträchtigung der Handlungsoptionen des Arbeitgebers folgt aus dem Zwangsschlichtungsverfahren vor der Einigungsstelle gemäß § 112 Abs. 4 BetrVG, wenn Gewerkschaft und Betriebrat ihre Vorgehensweise koordinieren und so den Arbeitgeber gezielt in den besagten „Zangengriff“ nehmen.310 Eine Einschränkung der Befugnisse des Betriebsrats kommt somit nur dann in Betracht, wenn die offensichtliche Gefahr besteht, dass der Betriebsrat seine Befugnisse zugunsten der Gewerkschaft missbraucht und in der Folge die Handlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers hinsichtlich der Umsetzung der Umstrukturierungsmaßnahme beschränkt werden.311 Von einem solchen Missbrauch wird man bei Standorttarifkonflikten aber wiederum nur dann sprechen können, wenn der Betriebsrat gezielt versucht, Verhandlungen in die Länge zu ziehen und eine Einigung auf betrieblicher Ebene zu verzögern. Ansonsten nimmt der Betriebsrat legitime Interessen wahr, wenn er einen sozialen Ausgleich der Folgen der Betriebsänderung für die Belegschaft anstrebt. Dies ist insbesondere mit Blick auf die Interessen der Außenseiter von besonderer Bedeutung.312 Eine Stärkung der Verhandlungsmacht der Gewerkschaft oder eine Schwächung der Position des Arbeitgebers geht damit nicht einher, da das betriebliche und das tarifliche Verfahren getrennt voneinander ablaufen. Eine Suspendierung dieser betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse wäre in einem weiteren Gedankenschritt nur dann zulässig, wenn eine Auslegung des BetrVG im Lichte von Art. 9 Abs. 3 GG dies zwingend gebietet. Auf dieses Grundrecht kann sich der Arbeitgeber zunächst nur berufen, wenn er in seiner Arbeitskampffreiheit, also der Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen, beschränkt wird. Dies entspricht dem bisherigen Verständnis zur Suspendierung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats. Doch auch sonstige koalitionsspezifische Verhaltensweisen unterliegen dem Schutz durch Art. 9 Abs. 3 GG. Somit leuchtet es ein, nicht nur die Beschränkung aktiver Kampfbefugnisse der Arbeitgeberseite durch die Beteiligungsrechte des Betriebsrats, sondern auch die Schwächung der Verhandlungsposition des Arbeitgebers durch eine zwingende Beteiligung des Betriebsrats zum Anlass für eine Einschränkung des BetrVG zu nehmen, wenn dem Arbeitgeber das Durchstehen des Streiks erheblich erschwert würde. Wirkt sich die Ausgestaltung der Befugnisse des Betriebsrats derart aus, dass er die Maßnahmen aufgrund einer 309 310 311 312

Vgl. Krause, in: FS Otto, S. 267 (281 f.). Vgl. Göpfert/Krieger, NZA 2005, 254 (256 f.); siehe hierzu bereits unter II. 1. a). Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1278. Ricken, ZfA 2008, 283 (302 f.).

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

Verzögerungstaktik des Betriebsrats nicht umsetzen kann, wird er eher geneigt sein, sich auf die Forderungen der Gewerkschaft einzulassen. Dies gilt gerade dann, wenn der Betriebsrat ansonsten Forderungen durchsetzen könnte, die einen inhaltlichen Arbeitskampfbezug aufweisen.313 Versucht der Arbeitgeber den Standortverlagerungsbeschluss, nachdem die Gewerkschaft zu Kampfmaßnahmen aufgerufen hat, schneller als geplant umzusetzen, ist dies mit dem Fall einer arbeitskampfbedingten, endgültigen Betriebsstilllegung durchaus vergleichbar. Dies verdeutlicht, dass im Fall einer Verzögerungstaktik des Betriebsrats eine einschränkende Auslegung des BetrVG im Lichte von Art. 9 Abs. 3 GG geboten erscheint, selbst wenn die aktive Arbeitskampffreiheit des Arbeitgebers dadurch nicht beeinträchtigt wird. c) Schlussfolgerungen Entscheidend ist somit, wie diese einschränkende Auslegung des BetrVG im Einzelfall zu erfolgen hat. Eine völlige Einschränkung sämtlicher Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach §§ 111 ff. BetrVG ist nach den bisherigen Erwägungen von vorneherein abzulehnen. Auch die Gegenposition wird allerdings den Besonderheiten des Standortarbeitskampfes nicht gerecht, da sie die Möglichkeit übersieht, dass der Betriebsrat gezielt versucht, den gewerkschaftlich geführten Standortarbeitskampf zu unterstützen. Stattdessen ist ein Mittelweg angezeigt, der auf das Vorgehen des Betriebsrats abstellt und danach fragt, ob der Betriebsrat seine Befugnisse mit Blick auf den Arbeitskampf um die inhaltsgleiche Forderung rechtsmissbräuchlich einsetzt und er damit sein Recht auf Mitbestimmung zunächst „verspielt“ hat: Der Arbeitgeber kann die Verhandlungen mit dem Betriebsrat nur dann einstellen, wenn dieser die Umsetzung der Betriebsänderung erheblich verzögert oder seine Rechte mit Blick auf einen parallel verlaufenden Arbeitskampf missbräuchlich einsetzt. Dies gilt für Interessenausgleichs- und Sozialplanverfahren. Liegen dagegen keine konkreten Indizien für eine Verzögerungstaktik des Betriebsrats vor, ist davon auszugehen, dass der Betriebsrat ungeachtet der Vorgehensweise der Gewerkschaft legitime Interessen wahrnimmt. In diesem Fall erscheint ein Abweichen vom Grundsatz, dass eine Einschränkung betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte bisher nur bei arbeitskampfbezogenen Maßnahmen der Arbeitgeberseite in Betracht kommt, nicht geboten. Eine Reduktion der §§ 111 ff. BetrVG ist folglich abzulehnen. Letztendlich ist also stets danach zu fragen, ob sich der Betriebsrat genauso verhalten würde, wenn die Gewerkschaft keine Streikforderung nach Abschluss 313

(3).

Kaiser, in: FS Buchner, S. 386 (397 f.); vgl. auch Heinze, DB 1982, Beil. 23, 1

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eines Tarifsozialplans erhoben hätte.314 Der Arbeitskampf ist sozusagen „wegzudenken“, um zu ermitteln, ob das Vorgehen des Betriebsrats auf die Unterstützung des Streiks abzielt. Aus Sicht des Arbeitgebers wird dies oftmals schwer zu beweisen sein. Kommt es zu zeitlichen Verzögerungshandlungen seitens des Betriebsrats, die ohne parallel verlaufenden Arbeitskampf wenig Sinn ergeben, ist daher zu vermuten, dass der parallel verlaufende Streik der Gewerkschaft der maßgebliche Beweggrund für diese Vorgehensweise ist.315 Insoweit liegt es nahe, den Maßstab zur Bestimmung des Kampfziels gewerkschaftlicher Streikaktionen auf die Verzögerungstaktik des Betriebs zu übertragen: Erklärungen des Betriebsrats können ebenso wie zurechenbare Verlautbaren der Gewerkschaft die eigentliche Motivation einer Wahrnehmung der Befugnisse aufdecken.316 Ferner ist bei längerfristiger Verzögerungshaltung ohne hinreichende Begründung davon auszugehen, dass diese Haltung auf die Stärkung der Verhandlungsposition der Gewerkschaft abzielt.317 Dem Betriebsrat ist daher davon abzuraten, eine Verzögerungstaktik zu verfolgen. Insoweit gelten für diese Situation strengere Anforderungen, als sie zum Teil im Schrifttum für den Verfahrensablauf angenommen werden.318 Das Einigungsstellenverfahren ist während eines Standortarbeitskampfes ebenfalls nicht generell auszusetzen. Etwas anderes ist nur dann anzunehmen, wenn der Betriebsrat durch das Anrufen der Einigungsstelle gezielt versucht, das Verfahren mit Blick auf den Arbeitskampf künstlich in die Länge zu ziehen. In diesem Fall steht es dem Arbeitgeber frei, die Betriebsänderung ohne das Zwangsschlichtungsverfahren gemäß § 112 Abs. 4 BetrVG umzusetzen. Andererseits kann er sich dennoch auf das Einigungsstellenverfahren „einlassen“, um den Abschluss eines betrieblichen Sozialplans zu erreichen. Nun könnte man erwägen, dass diese Grundsätze ebenso für eine übermäßige Beschleunigung des betriebsverfassungsrechtlich vorgeschriebenen Verfahrens durch den Arbeitgeber Geltung beanspruchen.319 Dabei gilt es jedoch zu bedenken, dass solche Versuche der Arbeitgeberseite zumeist darin begründet liegen, die Betriebsänderung möglichst schnell umsetzen zu können und in der Regel nicht den gewerkschaftlichen Streik „austrocknen“ sollen. Gleichwohl besteht die Möglichkeit einer Wechselwirkung, da eine Einigung auf betrieblicher Ebene die Notwendigkeit einer tarifvertraglichen Lösung aus Sicht der Streikenden in Frage stellen kann. 314

Vgl. Krause, in: FS Otto, S. 267 (282). So für das Interessenausgleichsverfahren auch Krause, in: FS Otto, S. 267 (282). 316 Siehe Kapitel 5. A. I. 2. 317 Zur arbeitskampfrechtlichen Bewertung von Verzögerungsstrategien seitens der Gewerkschaft bei Standorttarifkonflikten siehe Kapitel 5 A. II. 3. e). 318 Vgl. etwa die Handlungshinweise von Göritz/Hase/Rupp, Interessenausgleich, S. 230. 319 So Krause, in: FS Otto, S. 267 (286 f.). 315

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

Die Regelungen der §§ 111 ff. BetrVG sehen jedoch ein Verfahren vor, das sowohl dem Wunsch der Arbeitgeberseite nach einem zügigen Ablauf des Verfahrens Rechnung trägt, als auch die Notwendigkeit betriebsverfassungsrechtlicher Beratung berücksichtigt. Dies ist Ausdruck der Berufsfreiheit der Arbeitgeber, da die Umsetzung der Unternehmerentscheidung nicht über das notwendige Maß hinaus verzögert werden soll. Eine übermäßige Beschleunigung durch einen „frühen“ Einigungsstellenspruch ist damit nicht zu vereinbaren, so dass es eines Rückgriffs auf den Grundsatz der Kampfparität gar nicht bedarf. Dies spricht dafür, dass es keiner „arbeitskampfbedingten“ Einschränkung der betriebsverfassungsrechtlichen „Rechte“ des Arbeitgebers im Rahmen seiner Verpflichtungen gemäß §§ 111 ff. BetrVG bedarf. Hinsichtlich der Beurteilung von Beschleunigungsversuchen durch die Arbeitgeberseite gelten daher die „allgemeinen“ Grundsätze.320

III. Aussperrungsbefugnis des Arbeitgebers Aus Sicht des bestreikten Arbeitgebers stellt sich angesichts dieser Lösung die Frage, mit welchen Kampfmitteln er im Rahmen eines Standorttarifkonflikts zur Abwehr von Streikmaßnahmen agieren kann, wenn er es hinnehmen muss, Sozialplanverhandlungen mit Betriebsrat und Gewerkschaft zu führen, sofern diese Verhandlungspartner die dargestellten Rechtmäßigkeitsgrenzen respektieren. Erhebt die Gewerkschaft Streikmaßnahmen, steht dem Arbeitgeber nach der Rechtsprechung des BAG321 die Reaktionsmöglichkeit der streikbedingten Betriebsstilllegung zu. Dies gilt ausdrücklich auch dann, wenn dem Arbeitgeber die Fortführung des Betriebs technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar ist. Ferner kann er Leiharbeitnehmer einsetzen322 oder unter gewissen Voraussetzungen Streikbruchprämien323 ausloben, um so zu versuchen, die Produktion aufrechtzuerhalten. Diesbezüglich gelten für Standortarbeitskämpfe dieselben Regeln wie für sonstige Arbeitskämpfe.324 Gründe für abweichende Lösungen sind nicht ersichtlich. Das Hauptaugenmerk der Arbeitgeberseite liegt dennoch bisher in der präventiven Abwehr von Streikmaßnahmen ohne den Einsatz von Arbeitskampfmaßnahmen, um so den Konflikt nicht weiter zu verschärfen.325

320

Vgl. hierzu Göpfert/Krieger, NZA 2005, 254 (258 f.). BAG v. 22.3.1994 – 1 AZR 622/93, NZA 1994, 1097 (1098). 322 Vgl. hierzu Gagel-Bepler, SGB III, Vorb. zu § 146 Rn. 71. 323 Vgl hierzu BAG v. 13.2.2007 – 9 AZR 374/06, NZA 2007, 573 ff.; BAG v. 13.7.1993 – 1 AZR 676/92, NZA 1993, 1135 ff.; siehe statt vieler Schwarze, RdA 1993, 264 ff. 324 Vgl. Gaul, RdA 2008, 12 (21 ff.). 325 Siehe hierzu Kapitel 1 A. II. 2. 321

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Im Folgenden soll der Blick auf die Aussperrung gerichtet werden, die bisweilen schon in Vergessenheit geraten scheint, anlässlich des Standortarbeitskampfes jedoch von einigen Autoren aus dem Schrifttum wieder in die Diskussion eingebracht wurde. 1. Lösende Abwehraussperrung Einige Autoren wollen zur Abwehr eines Streiks um eine exorbitante Tarifsozialplanforderung eine lösende Abwehraussperrung zulassen, um die „geschwächte“ Verhandlungsposition des Arbeitgebers in Folge von Zangengriff und Forderungsumfang zu stärken.326 Die Vorteile scheinen aus Arbeitgebersicht auf den ersten Blick verlockend: Die willkürliche Auswahl einzelner Arbeitnehmer wäre ihm zwar versagt.327 Verlagerungswillige Arbeitnehmer könnten sich aber von Teilen der streikenden Belegschaft trennen, da die durch den Streik der Gewerkschaft bereits suspendierten Arbeitsverhältnisse gelöst werden könnten.328 Die Rechtsprechung des Großen Senats329 will zwar eine Wiedereinstellungspflicht nach Beendigung des Arbeitskampfes annehmen. Diese Verpflichtung stünde jedoch im Ermessen des Arbeitgebers. Ist der Arbeitsplatz bis zum Ende des Arbeitskampfes rationalisierungsbedingt weggefallen oder anderweitig besetzt, soll keine Pflicht zu Wiedereinstellung bestehen. Daraus könnte man ableiten, dass der Arbeitgeber in eine günstige Verhandlungsposition gelangt, sollte er es schaffen, die Betriebsänderung bis zum Ende des Arbeitskampfes umzusetzen. Für die Zulässigkeit einer lösenden Abwehraussperrung sprechen zunächst neben der Rechtsprechung des Großen Senats330, welche sie bei besonderer Intensität eines Streiks aufgrund längerer Dauer oder Rechtswidrigkeit zulassen will, die Besonderheiten des Firmenarbeitskampfes. Teile des Schrifttums sprechen sich für die Zulässigkeit einer lösenden Aussperrung aus, wenn die suspendierende Aussperrung bei Auseinandersetzungen um Firmentarifverträge faktisch ins Leere gehe, weil die gesamte Belegschaft bereits streike.331 Wie will man die streikenden Arbeitnehmer durch eine suspendierende Aussperrung treffen, wenn 326 Rieble, BB 2008, 1506 (1509); so wohl auch Greiner, NZA 2008, 1274 (1278); Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 352; Temming, ELR 2008, 190 (201). 327 Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 664. 328 Rieble, BB 2008, 1506 (1509). 329 BAG v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 10R f. 330 BAG v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 9R ff.; ohne diese Einschränkungen noch BAG v. 28.1.1955 – GS 1/54, AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 8R ff. In der Folge hat sich die höchtstrichterliche Rechtsprechung ausschließlich mit der suspendierenden Aussperrung beschäftigt und die Frage nach der Zulässigkeit der lösenden Aussperrung stets offen gelassen, vgl. BAG v. 10.6.1980 – 1 AZR 822/79, AP Nr. 64 Arbeitskampf Bl. 10R. 331 Vgl. etwa Gisbertz, Parität, S. 229 ff.; Sutschet, ZfA 2005, 581 (638 ff.), jeweils m.w. N.

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die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis bereits suspendiert sind?332 Eine solche Kampfmaßnahme geht zwangsläufig ins Leere. Ähnliche Erwägungen wurden bereits für die Zulässigkeit einer lösenden Abwehraussperrung bei Arbeitskämpfen von Spartengewerkschaften angestellt.333 Somit stellt sich die Frage, inwieweit in dieser Konstellation, welche auch für Arbeitskämpfe um Tarifsozialpläne zutrifft, eine lösende Aussperrung von der Kampfmittelfreiheit umfasst ist, um den Arbeitskampf weiter zu verschärfen. Teile des Schrifttums bewerten lösende Aussperrungen generell als unverhältnismäßig, da mittels einer Ausweitung der suspendierenden Aussperrung ausreichend Druck auf die Arbeitnehmerseite ausgeübt werden könne.334 Diese Erwägung zielt darauf ab, dass die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie es nicht zwingend gebiete, zur Herstellung von Kampfparität dem Arbeitgeber das Recht zur lösenden Aussperrung zuzusprechen, weil ein gleich geeignetes, jedoch milderes Mittel zur Verfügung stünde. Diese Argumentation vermag jedoch in den beschrieben Fällen des Firmenarbeitskampfes nicht zu überzeugen, wenn die suspendierende Aussperrung nun mal ins Leere geht. Für Arbeitskämpfe um firmenbezogene Verbandstarifverträge könnte man noch auf die Unterstützung des Verbands abstellen.335 Für Firmenarbeitskämpfe gegenüber Außenseiterarbeitgebern hilft dies allerdings nicht weiter. Die These, das Recht zur lösenden Abwehrraussperrung zumindest dann zuzulassen, wenn eine suspendierende Aussperrung keine Wirkung mehr entfaltet, setzt allerdings voraus, dass durch eine solche Ausweitung der Aussperrungsbefugnis keine systemimmanente Grenze des Arbeitskampfrecht überschritten wird. Dafür spricht bereits, dass Streiks nur mit suspendierender Wirkung denkbar sind.336 Es entspricht dem Interesse der Streikenden, nach der Beendigung des Arbeitskampfes wieder den Rechten und Pflichten des Arbeitsvertrags zu unterliegen. Ein Streik mit lösender Wirkung geht über das hinaus, was die Mehrzahl der Streikenden zu wagen bereit ist. Eine lösende Wirkung kann nur über die Ausübung von Kündigungsrechten erzielt werden. Dabei handelt es sich jedoch um die gebündelte Wahrnehmung von Individualinteressen und nicht um eine kollektive Kampfmaßnahme.337

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Vgl. Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 715. Greiner, NZA 2007, 1023 (1026 f.); Steinau-Steinrück/Glanz, NZA 2009, 113 (115 f.). 334 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 52 Rn. 57; Däubler-Wolter, Arbeitskampfrecht, Rn. 943. 335 Vgl. Witt, Firmentarifvertrag, S. 196 ff. 336 Vgl. Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 711. 337 Dennoch unterliegen die von Verbänden ins Werk gesetzten Massenänderungskündigungen der Friedenspflicht, vgl. Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 681 m.w. N. 333

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Entscheidend ist nun, dass diese suspendierende Wirkung des Streiks es zwingend gebietet, auch keine Aussperrung mit lösender Wirkung zuzulassen, obwohl es durchaus dem Interesse der Arbeitgeber entsprechen würde, mittels lösender Kollektivmaßnahme neuen Druck zu entfalten. Kissel338 spricht sich zu Recht gegen die generelle Zulässigkeit einer lösenden Aussperrung aus, da er den typischen Charakter eines Arbeitskampfes in seiner suspendierenden Wirkung sieht. Der Arbeitskampf solle gerade nicht darauf abzielen, die personale Struktur des Betriebs umbilden zu können. Durch Zurückhalten der Leistungsverpflichtung soll Druck entfaltet werden, um nach Beendigung des Arbeitskampfes wieder an die Pflichten aus dem Arbeitsvertrag gebunden zu sein. Manche Autoren gehen zwar davon aus, dass dies durch die Wiedereinstellungspflicht nach Beendigung des Arbeitskampfes gewährleistet werde, so dass die lösende Aussperrung hinsichtlich ihrer Wirkung ähnlich der suspendierenden Aussperrung sei.339 Dagegen ist allerdings einzuwenden, dass diese Verpflichtung nicht für alle Fälle gelten soll und daher nicht zwingend ist. Daher ist davon auszugehen, dass das Recht zur lösenden Aussperrung im Vergleich zu den Kampfbefugnissen der Arbeitnehmerseite die Verhandlungsparität erheblich zu Gunsten der Arbeitgeberseite verschieben würde. Welcher Arbeitnehmer würde in Zeiten anhaltender Arbeitslosigkeit noch streiken, wenn er damit rechnen müsste, dass sein Arbeitsplatz rationalisierungsbedingt wegfallen oder mit dauerhaft einem Leiharbeitnehmer besetzt werden könnte? Der Verlust des Arbeitsplatzes wäre unverhältnismäßig.340 Ein weiteres, schlagendes Argument gegen die Zulässigkeit einer lösenden Aussperrung ist, dass zwangsläufige Folge eine Umgehung des Kündigungsschutzes wäre.341 Nur Arbeitnehmergruppen, die einem besonderen Kündigungsschutz unterliegen, dürften nicht ausgesperrt werden.342 Eine lösende Aussperrung wäre ein „Beendigungstatbestand sui generis“, welcher nicht den kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften unterliegen würde. Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses wäre möglich, obwohl der Arbeitnehmer von seinem Recht der Arbeitsniederlegung Gebrauch macht.343 Im Fall von Standortverlagerungsentscheidungen wiegt dies besonders schwer. Anstatt betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen, könnte sich der Arbeitgeber seiner Belegschaft mittels lösender Aussperrung „entledigen“. Eine Wiedereinstellungspflicht bestünde zumindest nicht, wenn es ihm gelänge, die Verlagerung bis zur Beendigung des Konflikts umzusetzen, so dass die Arbeitsplätze weggefallen wären. 338 Vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 52 Rn. 58; Brox/Rüthers-Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 205 f. 339 Vgl. Bayreuther, NZA 2008, 12 (16). 340 Otto, Arbeitskampfrecht, § 8 Rn. 16. 341 Vgl. Reichel, Einbeziehung, S. 118 f.; Spiegelberger, Arbeitskampf, S. 115. 342 BAG v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 9R. 343 Otto, Arbeitskampfrecht, § 8 Rn. 16.

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

Die Kampfmittelfreiheit der Arbeitgeber ist somit auf den Einsatz von kollektiven Kampfmitteln mit suspendierender Wirkung beschränkt. Auf die Frage, wann von einer intensiven Kampfführung der Gewerkschaft gesprochen werden kann, damit eine lösende Abwehraussperrung in Frage kommt, muss daher nicht eingegangen werden. Dieses Kriterium, das schwer justitiabel ist, offenbart einen weiteren Kritikpunkt gegenüber der Rechtsprechung des Großen Senats344 zur lösenden Aussperrung. Man mag angesichts der Schwächen einer suspendierenden Aussperrung dieses Ergebnis aus Arbeitgebersicht nun für wenig sachgerecht halten. Darauf ist zu erwidern, dass es in der Natur der Sache liegt, dass sich der Adressat von Kampfmaßnahmen in der taktisch schwächeren Position befindet. Dem Arbeitgeber scheint neben den bisher beschrieben Reaktionsmöglichkeiten kein Arbeitskampfmittel zur Seite zu stehen, um die Gegenseite mittels einer Verschärfung des Konflikts unter Druck zu setzen. Ihm bliebe das bloße Durchstehen des Streiks. Dies liegt jedoch darin begründet, dass die Gewerkschaft das Maß des Verhandlungsdrucks bereits so weit ausgereizt hat. Auch ihr bleibt keine Möglichkeit, den Druck durch Verstärkung des ausgeübten Kampfmittels weiter zu erhöhen, wenn der Einsatz dieses Kampfmittels keine Wirkung erzielen konnte. In welche Richtung der Weg weisen kann, zeigt der Tarifkonflikt im Berliner Einzelhandel aus dem Jahr 2007 auf: Nachdem die Wirkungen des Streiks für die Arbeitgeber durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern kaum spürbar waren, organisierte die Gewerkschaft Flashmob-Aktionen in einzelnen Supermärkten, um so den Druck auf die Arbeitgeberseite zu erhöhen.345 Die Zulässigkeit dieser Vorgehensweise soll an dieser Stelle dahingestellt sein.346 Gleichwohl verdeutlicht dies, dass zusätzlicher Druck nicht nur durch Ausweitung eines Kampfmittels erreicht werden kann. Dies gilt nicht nur für die Arbeitnehmerseite, sondern ebenso für die Arbeitgeber. Das Verbot der lösenden Abwehraussperrung erfordert es, den Blick für das sonstige Kampfarsenal der Arbeitgeberseite zu schärfen, um den Verhandlungsdruck zu erhöhen.347 2. Angriffsaussperrung Eine weitere Möglichkeit aus Sicht der Arbeitgeber wäre es, durch den Einsatz einer Angriffsaussperrung (mit suspendierender Wirkung) den Tarifkonflikt zu eröffnen.348 Denkbar wäre dies im Rahmen einer Standorttarifauseinanderset344

BAG v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 9R ff. Vgl. hierzu BAG v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08 (juris); LAG Berlin-Brandenburg v. 29.9.2008 – 5 Sa 967/08, NZA-RR 2009, 149 ff. 346 Kritisch Rieble, NZA 2008, 796 ff. 347 Vgl. hierzu Otto, Arbeitskampfrecht, § 12 Rn. 23 ff. 345

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zung nach Bekanntgabe des Standortverlagerungsbeschlusses und der Aufnahme von Sozialplanverhandlungen mit dem Betriebsrat. Fordert die Gewerkschaft den verlagerungswilligen Arbeitgeber zu Verhandlungen auf, könnte dieser nach einem Scheitern das Mittel der Angriffsaussperrung einsetzen, um das Angebot, welches dem Betriebsrat unterbreitet wurde, als Tarifforderung durchzusetzen. So könnte Verhandlungsdruck mit dem Ziel aufgebaut werden, dass der Umfang des Tarifsozialplans nicht exorbitant vom Sozialplanvolumen einer betrieblichen Vereinbarung abweicht. Ob ein Angriff der Arbeitgeber im Rahmen einer Tarifauseinandersetzung zulässig ist oder der Gewerkschaft das Recht zukommt, stets „als erste ziehen zu dürfen“, ist bis heute ungeklärt. Der Große Senat349 sprach in seinem Beschluss vom 28.1.1955 von einer „legitimen Angriffsaussperrung“. Im Beschluss vom 21.4.1971 erhob der Große Senat350 in einem obiter dictum gegen die Zulässigkeit einer Angriffsaussperrung keine Bedenken. Die Diskussion hat sich in der Folge auf die suspendierende Abwehraussperrung konzentriert.351 Die Frage nach der Zulässigkeit der Angriffsaussperrung wird oftmals als rein akademisch eingestuft, da es unrealistisch sei, dass sich der Arbeitgeber selbst schädige.352 Dem ist insoweit zuzustimmen, als dass in der Nachkriegsgeschichte eine solche Aussperrung bisher nicht vorgekommen ist.353 Dies bedeutet gleichwohl nicht, dass sich dies nicht ändern kann und die Arbeitgeberseite den Einsatz einer Aussperrung, mit welcher der Arbeitskampf eröffnet wird, in Betracht zieht. Gerade bei Standortkonflikten könnte eine Angriffsaussperrung die Möglichkeit eröffnen, Streikforderungen bereits „im Keim zu ersticken“, so dass sich die Frage nach der Zulässigkeit dieses Vorgehens stellt. Einige Autoren betrachten den Einsatz dieses Kampfmittel als generell unzulässig.354 Eine Angriffsaussperrung sei grundsätzlich nicht erforderlich, da ein „tarifloser“ Zustand stets dem Wunsch des Arbeitgebers entspreche und die individualrechtlichen Gestaltungsinstrumente ausreichend Handlungsspielraum vermitteln würden, um zu einer befriedigenden Lösung zu gelangen.355

348 Vgl. Gaul, RdA 2008, 13 (22); Kock, ZIP 2007, 1775 (1778); Löwisch, in: FS Richardi, S. 679 (682). 349 BAG v. 28.1.1955 – GS 1/54, AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 9. 350 BAG v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 7. 351 Vgl. hierzu Gisbertz, Parität, S. 90 ff. 352 Vgl. Gisbertz, Parität, S. 234; Henssler, ZfA 1998, 517 (536 f.); Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 654; Stein, RdA 2000, 129 (140). 353 Zur Historie der Angriffsaussperrung in Deutschland siehe Seiter, Streikrecht, S. 331 f. Fn. 73 m.w. N. 354 Vgl. Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, AKR Rn. 17; Dütz, Arbeitsrecht, Rn. 643; Raiser, Aussperrung, S. 85 f.; Däubler-Wolter, Arbeitskampfrecht, Rn. 927 ff. 355 So Seiter, Streikrecht, S. 330 ff.; Stein, RdA 2000, 129 (140).

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

Dem ist allerdings nur eingeschränkt zuzustimmen. Grundsätzlich erscheint es unumgänglich, nicht nur der Gewerkschaft, sondern auch dem Arbeitgeber das Recht zum „ersten Zug“ zuzusprechen, wenn die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie dies zwingend gebietet.356 Gerade der Eröffnung eines Arbeitskampfes kommt taktische Wirkung zu, insbesondere wenn man die Folgen betrachtet, die im Zusammenhang mit dem Verbot einer lösenden Abwehraussperrung angesprochen wurden. Dies spricht dafür, dass die Angriffsaussperrung von der Koalitionsbetätigungsfreiheit umfasst ist, wenn ohne dieses Kampfmittel das Verhandlungsgleichgewicht zwischen den Tarifvertragsparteien zu Lasten der Arbeitgeberseite gestört wäre.357 Dabei gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass der Tarifvertragsabschluss vielfach dem Interesse der Arbeitnehmer entspricht, während der Arbeitgeber vorwiegend die Tarifforderung der Gewerkschaft abwehren will.358 Entscheidend ist also, in welchen Konstellationen der Arbeitgeber am Tarifvertragsschluss ein besonderes Interesse hat, welches den Einsatz von Angriffsaussperrungen rechtfertigt, da ihm ansonsten keine Möglichkeit zur Seite stünde, die eigene Tarifforderung durchzusetzen. Es reicht diesbezüglich nicht aus, auf die Ordnungsfunktion des Tarifvertrags hinzuweisen, so dass der Arbeitgeberseite stets ein Interesse am Tarifvertragsabschluss zukäme und auch den Angriff mittels Arbeitskampf rechtfertigen würde und somit eine Angriffsaussperrung stets möglich wäre, solange ihr Einsatz die Grenzen der Arbeitskampfrechtsordnung nicht überschreitet.359 Große Teile des Schrifttums gehen dagegen von der Notwendigkeit des Bereitstellens einer Angriffsaussperrung nur dann aus, wenn der Arbeitgeber die Änderung des bisherigen Geltungsbereichs des Tarifvertrags oder angesichts einer wirtschaftlich prekären Situation eine Absenkung tariflicher Vereinbarungen anstrebt und die Gewerkschaft Verhandlungen über eine Tarifforderung der Arbeitgeberseite ablehnt.360 Insbesondere im Zusammenhang mit der Flexibilisierung des Tarifvertragssystems könnte die Angriffsaussperrung also einen Bedeutungs356 ErfK-Dieterich, GG, Art. 9 Rn. 249; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 53 Rn. 52; Otto, Arbeitskampfrecht, § 10 Rn. 61; Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 287 f. 357 Vgl. Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 689. 358 ErfK-Dieterich, GG, Art. 9 Rn. 249; Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 287. 359 In diesem Sinne Coester, Jura 1992, 84 (89); kritisch hierzu Otto, Arbeitskampfrecht, § 10 Rn. 63; für die generelle Zulässigkeit der Angriffsaussperrung auch Brox/ Rüthers-Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 187; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 53 Rn. 52 ff.; Lessner, FA 2003, 233 ff.; ders., RdA 2005, 285 (287); Lieb, DB 1980, 2188 ff.; Spiegelberger, Arbeitskampf, S. 114 ff.; für die Zulassung der Angriffaussperrung bei Firmenarbeitskämpfen auch Henssler, ZfA 1998, 517 (536 f.); Jacobs, ZTR 2001, 249 (255); Matthes, in: FS Schaub, S. 477 (481). 360 Vgl. Brox/Rüthers/Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 769; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1039 f.; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht, Band 2, S. 172; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 611; Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 652 ff.; Witt, Firmentarif-

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zuwachs erfahren.361 Otto362 will eine Angriffsaussperrung nur dann zulassen, wenn der kollektive Vertragsmechanismus blockiert würde und der Arbeitgeber die Änderung oder Streichung einer betrieblichen oder betriebsverfassungsrechtlichen Norm anstrebe. Richtig ist, dass man in diesen Fällen den Arbeitgeber nicht auf individualrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten verweisen kann, da diese im Vergleich zur Angriffsaussperrung nicht geeignet erscheinen, eine Änderung bindender Vereinbarungen herbeizuführen und den Widerstand der Gewerkschaft zu brechen.363 Fraglich ist in diesem Zusammenhang sodann, ob tarifliche Friedenspflichten einer Aussperrung zwingend entgegenstehen.364 Über diese Konstellationen hinaus ist bisher der Nachweis zwingender Gründe nicht gelungen, dem Arbeitgeber den Einsatz einer Angriffsaussperrung zu gestatten. Somit ist von der eingeschränkten Zulässigkeit dieser Kampfstrategie nur im Ausnahmefall auszugehen. Somit stellt sich die entscheidende Frage, ob die Interessenlage des Arbeitgebers bei Standorttarifkonflikten mit denen der bisher vorgetragenen Sachverhalte vergleichbar ist. Diesbezüglich bestehen allerdings erhebliche Zweifel: Besteht bisher keine Regelung, welche die sozialen Folgen einer Verlagerungsentscheidung verbindlich festlegt, hat der Arbeitgeber kein Interesse am Abschluss eines Tarifsozialplans. Er wird den Abschluss eines solchen Tarifvertrags als Belastung empfinden, da er ihm zusätzliche Pflichten gegenüber den von der Verlagerungsentscheidung betroffenen Gewerkschaftsmitgliedern aufbürdet. Ein tarifloser Zustand kommt ihm also gelegen. Eine Änderung oder ersatzlose Streichung von Tarifnormen wird von ihm nicht angestrebt. Stellt die Gewerkschaft keine entsprechende Tarifforderung oder erhebt sie eine Tarifforderung, ohne Streikmaßnahmen einzuleiten, besteht zu diesem Zeitpunkt kein Grund, einen Angriff des Arbeitgebers zuzulassen. Die Möglichkeit einer Angriffsaussperrung würde die eingeschränkte Funktion der Aussperrung verkennen. Ihr Einsatz dient nicht dazu, gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen zuvor zukommen und ihnen so von vornherein die Durchschlagskraft zu nehmen.365 Dies gilt auch für den hier zu beurteilenden Fall, dass mittels Angriffsaussperrung versucht würde, die Vorstellungen der Gewerkschaft vom Umfang der Sozialplanforderungen im Keim zu ersticken. Ihr Einsatz ist nur berechtigt, wenn Tarifforderungen der Arbeitgeberseite nicht durchgesetzt wervertrag, S. 237 f.; darauf zielt auch § 26 Abs. 3 des Entwurfs zum Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte ab, vgl. Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter, Gesetz, S. 78 ff. 361 Vgl. Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 653. 362 Otto, Arbeitskampfrecht, § 10 Rn. 70. 363 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1040. 364 Vgl. die Gegenpositionen bei Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 653; Lobinger, RdA 2006, 12 (18), jeweils m.w. N. 365 Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I, S. 1039.

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

den könnten, also lediglich „kollektives Betteln“ wären. Bei Standorttarifkonflikten ist dies nicht der Fall. Den Gewerkschaften gebührt somit bei Konflikten um Tarifsozialpläne der „erste Zug“. Wird keine Streikandrohung erhoben, besteht kein Bedürfnis, der Arbeitgeberseite ein Angriffsmittel zur Verfügung zu stellen, selbst wenn bereits Verhandlungen stattgefunden haben und diese bisher nicht erfolgreich waren. Eine Angriffsaussperrung des Arbeitgebers als Reaktion auf eine Tarifforderung der Gewerkschaft ist daher unzulässig.

IV. Zwischenergebnis Ein Streik um einen Tarifsozialplan verstößt nicht gegen das ultima-ratio-Prinzip. Ein Verstoß gegen den Paritätsgrundsatz ist ebenfalls nicht ersichtlich. Eine Suspendierung der Beteilungsrechte des Betriebsrats gemäß §§ 111 ff. BetrVG kommt dann in Betracht, wenn der Betriebsrat durch die verzögerte Wahrnehmung seiner Rechte das Verfahren künstlich in die Länge zieht, um so die Verhandlungsposition der streikführenden Gewerkschaft zu verbessern. Zur Abwehr des Zangengriffs kann der Arbeitgeber nicht mit lösender Wirkung aussperren. Zur vorbeugenden Abwehr steht ihm bei Auseinandersetzungen um Tarifsozialpläne nicht das Recht zur Angriffsaussperrung zu, wenn die Gewerkschaft noch keine Arbeitskampfmaßnahmen eingeleitet hat, die auf den Abschluss eines Tarifsozialplans gerichtet sind.

D. Zusammenfassung I. Ein Streik um den Tarifsozialplan aus Anlass einer Standortverlagerungsentscheidung des Arbeitgebers ist weder generell zulässig, noch unzulässig. Stattdessen ergibt sich ein differenziertes Bild hinsichtlich der Rechtmäßigkeitsgrenzen eines gewerkschaftlich geführten Streiks zur sozialen Abmilderung der unternehmerischen Standortverlagerungsentscheidung: 1. Ein genereller Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG ist nicht ersichtlich. Ein Streik um Tarifsozialpläne verstößt vielmehr dann gegen die Berufsfreiheit des Arbeitgebers, wenn der Streik zwar formal auf die soziale Abmilderung der Standortentscheidung abzielt, in Wirklichkeit aber auf den Standorterhalt gerichtet ist. Zur Aufdeckung rechtmissbräuchlich zurückgehaltener Kampfforderungen können der Gewerkschaft eindeutig zurechenbare Erklärungen nach Bekanntgabe des Streikbeschlusses herangezogen werden. Ergibt sich aus ihrer Auslegung zweifelsfrei, dass die Gewerkschaft weiterhin das Kampfziel der Verhinderung der Standortverlagerung verfolgt, ist der Streik bereits aus diesem Grund unzulässig.

D. Zusammenfassung

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2. Ferner kann sich ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG aus dem Umfang der Streikforderungen nach Abschluss eines Tarifsozialplans ergeben. Diese unterliegen einer eingeschränkten Rechtskontrolle auf ihre Grundrechtskonformität. Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Arbeitskampfes ist zu prüfen, ob durch eine Verknüpfung von Forderungsumfang und Kampfverhalten der Wesensgehalt der Berufsfreiheit der Arbeitgeber angetastet wird. Ein Streik ist nur dann rechtswidrig, wenn die Erfüllung der gewerkschaftlichen Ausgangsforderungen zur Insolvenz des Unternehmens führen würde und die Gewerkschaft über einen längeren Zeitraum unnachgiebig an ihnen festhält, ohne Kompromissbereitschaft zu signalisieren und so den Tarifkonflikt in die Länge zieht. Durch diese Verknüpfung von Forderungsumfang und Verhandlungsdruck erhält das Vorgehen der Gewerkschaft eine besondere Qualität, die derart weit in den Kernbereich der Berufsfreiheit vordringt, dass eine Rechtfertigung durch Art. 9 Abs. 3 GG nicht mehr in Betracht kommt. 3. § 74 Abs. 2 BetrVG begründet keine Friedenspflicht, welche die Tarifvertragsparteien zu beachten haben. Stattdessen hat die Gewerkschaft jedoch relative Friedenspflichten aus Rationalisierungsschutzabkommen zu berücksichtigen. Regeln diese die sozialen Folgen von Betriebsänderungen erkennbar umfassend und abschließend, sperrt dies einen Streik um einen Tarifsozialplan. Dagegen begründen Sonderkündigungsschutzregelungen auf Verbandsebene keine Friedenspflichten, welche zur Rechtswidrigkeit eines Streiks um Sozialplaninhalte führen könnten. Es fehlt am sachlichen Zusammenhang. Versucht die Gewerkschaft, zeitgleich eine Sozialplanregelung mit dem Arbeitgeberverband und dem Arbeitgeber anzustreben, begründen bloße Verhandlungen keine Friedenspflichten, die bei einem Einsatz von Arbeitskampfmitteln zu beachten wären. Unterliegt eine Teilforderung des Gesamtpakets Tarifsozialplan der Friedenspflicht und wird dennoch mittels Streiks bekräftigt, führt dies zur Rechtswidrigkeit des gesamten Streiks. 4. Ein Streik um den Tarifsozialplan verstößt weder gegen das ultima-ratioPrinzip noch gegen den Paritätsgrundsatz. Selbst wenn man Wechselwirkungen zwischen der Wahrnehmung von Rechten des Betriebsrats und der Gewerkschaft zugesteht, ist der „Zangengriff“ der Arbeitnehmervertretungen nicht zu Lasten der Tarifautonomie aufzulösen. Stattdessen kommt eine Suspendierung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats in Betracht. Entgegen verbreiteter Auffassung ist es dem Arbeitgeber jedoch nicht möglich, sich sämtlicher Pflichten zu entledigen. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Betriebsrat durch eine Verzögerungstaktik das Verfahren in die Länge zieht und so die Verhandlungsposition der Gewerkschaft stärkt. Dem Arbeitgeber wird es erschwert, den Streik durchzustehen und die Betriebsänderung gegen den Willen der Gewerkschaft umzusetzen. So entsteht zusätzlicher Druck, die Tarifforderung der Gewerkschaft zu akzeptieren, um den Weg für die Umsetzung der Verlagerungsentscheidung frei zu machen. II. Obgleich das Recht zur suspendierenden Abwehraussperrung bei Standorttarifkonflikten nur geringe Wirkung entfalten kann, kann der Arbeitgeber nicht

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Kap. 5: Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen

lösend aussperren. Arbeitskampfmittel mit lösender Wirkung sind von der Arbeitskampffreiheit nicht umfasst. Auch eine Angriffsaussperrung kommt nicht in Betracht. Diese ist nur in Ausnahmefällen zulässig. Die Besonderheiten eines Standorttarifkonflikts die sozialverträgliche Gestaltung der Standortentscheidung rechtfertigen ihren Einsatz nicht.

Kapitel 6

Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks A. Einführung und Problemstellung Bisher wurden die Grenzen der Streikfreiheit vorwiegend anhand des nationalen Arbeitskampfrechts bestimmt. Nun soll der Blick auf die europarechtliche Seite des Standortstreiks gerichtet werden, um zu untersuchen, ob im Fall eines Streiks aus Anlass von grenzüberschreitenden Verlagerungsvorhaben besondere Schranken gelten.1 Lange Zeit wurde die Diskussion um die Zulässigkeit eines Streiks aus Anlass einer Standortverlagerungsentscheidung des Arbeitgebers fast ausschließlich aus dem Blickwinkel des nationalen Rechts geführt.2 Dies hat sich spätestens seit dem Vorabentscheidungsersuchen des Court of Appeal für England und Wales und der Entscheidung des EuGH vom 11.12.2007 geändert.3 Der EuGH hat in dem Urteil in der Rechtssache Viking Line4 und in der eine Woche später ergangenen Entscheidung in der Rechtssache Laval 5 erste Grundzüge eines „europäischen“ Arbeitskampfrechts entwickelt, welche europaweit große Aufmerksamkeit erfahren haben.6 Die Entscheidungen zeigen auf, dass die europäische Integration bisher vorwiegend wirtschaftspolitisch ausgerichtet war und nun die sozialpolitischen Folgen zu Tage treten, wenn von der Niederlas1 Ob der grenzüberschreitende Bezug eine selbstständige Anwendungsvoraussetzung der Grundfreiheiten darstellt oder im Rahmen der Beeinträchtigung vorauszusetzen ist, dass kein lediglich „interner Sachverhalt“ vorliegt, „deren Elemente sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedsstaates hinausweisen“ (EuGH v. 28.1.1992 – Rs. C332/90, Slg. 1992, I-341, Rn. 9 – Steen), wird unterschiedlich beurteilt (vgl. Calliess/ Ruffert-Kingreen, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV Rn. 16 m.w. N.). Dieser Streit führt jedoch nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen: Ohne grenzüberschreitenden Bezug, vermitteln die Grundfreiheiten keinen Schutz gegen Beschränkungen. Plant der Arbeitgeber eine Verlagerung innerhalb Deutschlands, ist bei der Beurteilung eines Tarifkonflikts um standortsichernde Inhalte das Europarecht nicht von Bedeutung, da die Grundfreiheiten keine Rechte vermitteln; a. A. jüngst Kempen, in: GS Zachert, S. 15 (33). 2 Anders dagegen Lobinger, in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, S. 55 (71 f.); Rieble, RdA 2005, 200 (201 f.); vgl. auch Birk, in: FS 50 Jahre BAG, S. 1165 ff. 3 Court of Appeal für England und Wales v. 21.11.2006, IRLR 2006, 58 ff. 4 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 ff. – Viking Line. 5 EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 ff. – Laval. 6 Siehe die Nachweise bei Blanke, in: Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 131 Fn. 3.

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Kap. 6: Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

sungsfreiheit durch Ausnutzen des Lohnkostengefälles innerhalb der EU Gebrauch gemacht wird.7 Diese Möglichkeit einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit des verlagerungswilligen Arbeitgebers durch einen Standortstreik im Fall einer grenzüberschreitenden Verlagerung wirft ein Bündel von Fragen auf: Kann sich der verlagerungswillige Arbeitgeber gegenüber der streikenden Gewerkschaft auf die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) berufen? Bestimmt sich die Zulässigkeit eines Arbeitskampfes aus Anlass grenzüberschreitender Verlagerungen weiterhin nach nationalem Recht oder vermitteln europarechtliche Normen auf Unternehmer- und Gewerkschaftsseite einen „besonderen“ Gewährleistungsgehalt, der über das hinausgeht, was Art. 12 Abs. 1 GG oder Art. 9 Abs. 3 GG vorsehen? Gelten für grenzüberschreitende Sachverhalte im Vergleich zur Rechtslage in den Einzelstaaten besondere Maßstäbe, die zukünftig von den nationalen Gerichten zu beachten sind und somit eine unionsrechtliche Harmonisierung der nationalen Arbeitskampfrechtsordnungen mit sich bringen könnten? Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass das Problem der Auflösung des Spannungsverhältnisses von unternehmerischen Freiheitsrechten und Koalitionsbetätigungsfreiheit bei Standorttarifkonflikten trotz unzähliger Stellungnahmen aus dem Schrifttum zur Reichweite der Koalitionsfreiheit bei unternehmenspolitischen Entscheidungen und höchstrichterlicher Rechtsprechung zu Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 12 Abs. 1 GG nicht einfach zu beantworten ist. Im europäischen Recht befinden sich die entsprechenden Überlegungen erst am Anfang. Dies erschwert die Beantwortung der Frage nach der europarechtlichen Zulässigkeit eines Standortarbeitskampfes erheblich, da das Fundament erst noch gegossen werden muss, um darauf die Lösung von Einzelfragen aufzubauen. Der Generalanwalt Maduro8 führte in den Vorbemerkungen zu seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Viking Line aus, dass „eine Reihe von Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt“ worden seien, „die den Gerichtshof mit einer Problematik konfrontieren, die rechtlich sehr verwickelt und gesellschaftspolitisch äußerst heikel“ sei. Treffend fügt er hinzu: „Manchmal sind Antworten auf komplizierte Fragen einfach zu geben. Das ist hier nicht der Fall.“ Zum Spannungsverhältnis von unternehmerischen Freiheitsrechten und Streikrecht tritt als weiteres Problem ein möglicher Konflikt zu den Wertungsentscheidungen der nationalen Arbeitskampfrechtsordnungen hinzu. Dies wird schon daran deutlich, dass ein Streik zur Verhinderung von Verlagerungsentscheidun7 Vgl. Joerges/Rödl, KJ 2008, 149 ff.; Weiss, in: FS Hromadka, S. 493 ff.; treffend Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, Vorwort: „Beide Lungenflügel, d.h. sowohl der wirtschaftliche als auch der soziale Atem muss die zukünftige Rechtsentwicklung erfassen.“ 8 Schlussanträge v. 23.5.2007 – Rs. C-438/05, Rn. 1 – Viking Line.

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gen nach h. M. und im Rahmen dieser Untersuchung vertretener Auffassung im deutschen Recht nicht zulässig ist,9 während in einigen anderen Mitgliedsstaaten ein solches Vorgehen von der Arbeitskampfrechtsordnung ausdrücklich legitimiert wird.10 Es ist also zu klären, ob diese Ergebnisse mit dem Europarecht in Einklang stehen, oder zumindest für grenzüberschreitende Sachverhalte zukünftig ein Umdenken erforderlich ist.

B. Grundlagen Damit von einem gewerkschaftlich geführten Standortarbeitskampf überhaupt ein rechtfertigungsbedürftiger Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit ausginge, gilt es zunächst einige grundsätzliche europarechtliche Fragen zu beantworten. Die streikende Gewerkschaft müsste bei der Ausübung der Koalitionsbetätigungsfreiheit durch Ergreifung von kollektiven Kampfmaßnahmen an die Niederlassungsfreiheit gebunden und der Anwendungsbereich dieser Grundfreiheit bei einer solchen Durchführung von Kollektivmaßnahmen überhaupt eröffnet sein. Ferner wäre vorauszusetzen, dass von solchen Kampfmaßnahmen eine die Niederlassungsfreiheit des Arbeitgebers beschränkende Wirkung gemäß Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG (nunmehr Art. 49 Abs. 1 S. 1 AEUV) ausgeht.

I. Bindung der Gewerkschaften an die Niederlassungsfreiheit Die Besonderheit eines Standortarbeitskampfes liegt darin, dass eine mögliche Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit des Arbeitgebers nicht von einer staatlichen Maßnahme, sondern von einer Handlung der Gewerkschaft als nichtstaatliche Organisation ausgeht. Somit stellt sich das Problem der Wirkung der Grundfreiheiten im Privatrechtsverhältnis, eine Grundsatzfrage des Europarechts, die im Schrifttum als bisher nicht abschließend geklärt angesehen wird.11 1. Lösung des EuGH Die Entscheidungen in den Rechtssachen Viking Line12 und Laval 13 haben nunmehr klargestellt, dass auch Gewerkschaften bei der Ausübung ihrer Frei9

Siehe Kapitel 3 C. III. 3. b). Vgl. hierzu den Rechtsumschau von Hayen/Ebert, AiB 2007, 225 ff., die darauf hinweisen, dass in Großbritannien, in den Niederlanden und in Frankreich gegen die Standortverlagerungsentscheidung des Arbeitgebers gestreikt werden dürfe; ähnlich die Wahrnehmung von Junker, RdA 2009, Beil. zu Heft 5, 4 (8). 11 Vgl. Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (462); Krause, Standortsicherung, S. 119. 12 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (128 f.), Rn. 56 ff. – Viking Line. 13 EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (165 f.), Rn. 97 f. – Laval. 10

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heitsrechte in Form von Kollektivmaßnahmen an die Grundfreiheiten gebunden sind. Damit wird die bisherige Rechtsprechung fortgeführt, auf die ausdrücklich Bezug genommen wird. In den Rechtsachen Angonese14, Bosman15, Walrave16 und Wouters17 wurde eine unmittelbare Anwendung der Grundfreiheiten befürwortet. In den Rechtssachen Schmidberger18 und Kommission/Frankreich19 hatte man die Drittwirkung der Warenverkehrfreiheit abgelehnt und ging stattdessen von einer Schutzpflicht des Staates bezüglich der Vertragsbestimmungen über den freien Warenverkehr aus, welche zu einer mittelbaren Bindung führt. Verpflichtet die Grundfreiheit den Mitgliedsstaat, Maßnahmen zum Schutz der Grundfreiheit zu erheben, bindet dies die Adressaten der einzelstaatlichen Maßnahme mittelbar.20 In der Rechtssache Viking Line wird nun darauf abgestellt, dass gewerkschaftliche Organisationen autonome Befugnisse ausüben, indem sie die Arbeits- und Vergütungsbedingungen ihrer Mitglieder verhandeln und an der Gestaltung der Verträge zur kollektiven Regelung der abhängigen Erwerbstätigkeit mitwirken.21 Die Beseitigung der Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten sei gefährdet, wenn die Abschaffung der Schranken staatlichen Ursprungs durch Hindernisse neutralisiert werden könne, die nicht dem öffentlichen Recht unterliegende Vereinigungen und Einrichtungen im Rahmen ihrer rechtlichen Autonomie setzen.22 Es wird auf den Grundsatz abgestellt, dass die Grundfreiheiten zumindest dann auf Private zu erstrecken sind, wenn diese ein Hindernis aufstellen können, das der Inhaber der Grundfreiheit kaum umgehen kann und die Wirkung einer staatlichen Zutrittsschranke gleich kommt.23 2. Kritik aus dem Schrifttum Dass Gewerkschaften die Niederlassungsfreiheit des Arbeitgebers in Folge dieser Rechtsprechung zu achten haben, wird als „Durchbruch der Arbeitgeber14

EuGH v. 6.6.2000 – Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139 – Angonese. EuGH v. 15.12.1995 – Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 – Bosman. 16 EuGH v. 12.12.1974 – Rs. 36/74, Slg. 1974, I-1405 – Walrave. 17 EuGH v. 19.2.2002 – Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577 – Wouters. 18 EuGH v. 12.6.2003 – Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659 – Schmidberger. 19 EuGH v. 9.12.1997 – Rs. C-265/95, Slg. 1997, I-6959 – Kommission/Frankreich. 20 Vgl. Thüsing, RdA 2007, 307 (308). 21 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (129), Rn. 65 – Viking Line. 22 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (128), Rn. 57. – Viking Line; so auch EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (166), Rn. 98 – Laval. 23 So Generalanwalt Maduro, Schlussanträge v. 23.5.2007 – Rs. C-438/05, Rn. 48 – Viking Line. 15

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seite“ bezeichnet.24 Im gewerkschaftsnahen Schrifttum hat sie dementsprechend zu erheblicher Kritik geführt.25 Ein „Protektionismusverbot für die Mitgliedsstaaten“ werde in ein „zusätzliches Recht privater Unternehmer“ verwandelt.26 Im Zusammenspiel mit der Weiterentwicklung der Grundfreiheiten zu Beschränkungsverboten sei eine gemeinschaftliche Garantie freier unternehmerischer Betätigung die Folge.27 Dies verkenne, dass Grundfreiheiten nicht als Privatrechte verstanden werden dürften. Letztendlich sei davon auszugehen, dass sich durch die Verträge nur die Mitgliedsstaaten unmittelbar an die Grundfreiheiten gebunden hätten und eine Erstreckung auf Private eine Ausnahme bilden müsse.28 3. Würdigung Unmittelbar anwendbar sind die Grundfreiheiten zweifelsohne im Verhältnis eines Privaten zum Mitgliedsstaat.29 Ob den Grundfreiheiten darüber hinaus eine unmittelbare Verpflichtung Privater entnommen werden kann, ist Gegenstand einer intensiven Auseinandersetzung in der Literatur, die unter den Schlagwörtern „Drittwirkung“, „horizontale Wirkung“ oder „Privatwirkung“ geführt wird.30 Diese Diskussion dürfte durch die Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Viking Line und Laval erneut in Bewegung geraten. Ursächlich für diesen Streit ist, dass der EG-Vertrag keine ausdrückliche Regelung der Frage der horizontalen Wirkung der Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) und Art. 48 EG (nunmehr Art. 54 AEUV) vorsah.31 Manche Autoren lehnen daher eine unmittelbare Drittwirkung grundsätzlich ab.32 Demgegenüber befürworten andere Stimmen aus dem Schrifttum eine uneingeschränkte Drittwirkung, um so eine einheitliche Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedsstaaten zu gewährleisten.33 24

Junker, SAE 2008, 209 (211). Vgl. Däubler, AuR 2008, 409 (414); Kocher, AuR 2008, 13 (14); Wendeling-Schröder, AiB 2008, 179 (182); kritisch auch Rebhahn, ZESAR, 109 (112 ff.). 26 Wendeling-Schröder, AiB 2008, 179 (182). 27 Däubler, AuR 2008, 409 (414). 28 Kocher, AuR 2008, 13 (14). 29 EuGH v. 21.6.1974 – Rs. C-2/74, Slg 1974, 631 (653), Rn. 29 f. – Reyners; zur Niederlassungsfreiheit EuGH v. 12.7.1984 – Rs. C-107/83, Slg 1984, 2971 (2988), Rn. 11 – Klopp; zur Dienstleistungsfreiheit EuGH v. 3.12.1974 – Rs. C-33/74, Slg 1974, 1299 (1311), Rn. 27 – van Binsbergen. 30 Vgl. nur Ganten, Drittwirkung, S. 94 ff.; Jaensch, Drittwirkung, S. 81 ff.; Calliess/Ruffert-Kingreen, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV Rn. 112 ff. m.w. N.; Roth, in: FS Everling, S. 1231 (1240 ff.); Schindler, Kollision, S 62 ff.; Steindorff, in: FS Lerche, S. 575 (581 ff.); Streinz/Leible, EuZW 2000, 459 (464 ff.) m.w. N. 31 Generalanwalt Maduro, Schlussanträge v. 23.5.2007 – Rs. C-438/05, Rn. 31 – Viking Line. 32 Burgi, EWS 1999, 327 (329 ff.); Körber, Grundfreiheiten, S. 721 ff.; Remmert, Jura 2003, 13 (14 ff.). 33 Vgl. Ganten, Drittwirkung, S. 94 ff.; Steindorff, in: FS Lerche, S. 575 (581 ff.). 25

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Zumeist wird die Drittwirkung jedoch auf Ausnahmefälle beschränkt, so dass zumindest sog. intermediäre Gewalten an die Grundfreiheiten im Privatrechtsverkehr gebunden sind, wenn sie aufgrund ihrer besonderen Stellung staatsähnlich auftreten.34 Folgt man der letztgenannten, als herrschend zu bezeichnenden Lehre, erscheint es auf den ersten Blick durchaus einleuchtend, die Tarifvertragsparteien aufgrund ihrer besonderen Stellung bei der Regelung des Arbeitslebens unmittelbar an die Grundfreiheiten zu binden, insbesondere wenn ihnen wie im deutschen Recht die Befugnis zur Normsetzung zukommt, der Staat in diesem Bereich seine Regelungsmacht weitgehend zurückgenommen hat und die Möglichkeit besteht, Regelungen unter Einsatz von Verhandlungsdruck zu erkämpfen. Insoweit weist die Diskussion durchaus Parallelen zum seit langem schwelenden und bis heute noch nicht zur Ruhe kommenden Streit um die Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien im deutschen Recht auf.35 Andererseits ist zu bedenken, dass die bisherigen Konstellationen, welche zum Anlass für eine Begründung einer unmittelbaren Bindung Privater an die Grundfreiheiten aufgrund besonderer Verbandsmacht genommen wurden, sich von der bei Kollektivmaßnahmen zugrunde liegenden Sachlage durchaus unterscheiden und nicht zwangsläufig auf eine unmittelbare Bindung der Gewerkschaft an die Niederlassungsfreiheit hindeuten.36 Beschränkt man die unmittelbare Bindung an die Grundfreiheiten im Privatrechtsverkehr auf Situationen, in denen ein besonderes Machtungleichgewicht besteht, wie dies etwa im Fall Bosman und Walrave anzunehmen ist, könnte man einwenden, dass bei Tarifvertragsverhandlungen nach dem deutschen Recht die Parität zwischen den Tarifvertragsparteien gerade zwingende Voraussetzung eines angemessenen Ausgleich des Konflikts ist und die Ausübung von Kollektivmaßnahmen durch eine Gewerkschaft gerade darauf abzielt, dieses Gleichgewicht herzustellen. Auch die Argumentation in der Rechtssache Wouters lässt sich nicht unbedingt auf Streikmaßnahmen übertragen: Zwischen einem Regelwerk, das einen Anwalt an einer Zusammenarbeit mit einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hindert und der Möglichkeit, Tarifvertragsinhalte zu erkämpfen, welche die Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch den Arbeitgeber binden soll, besteht ein deutlicher Unterschied.37 Im Gegensatz zum Adressaten des Regelungswerks, das einseitig Vorgaben hinsichtlich der Berufs34 Vgl. Jaensch, Drittwirkung, S. 263 ff.; Roth, in: FS Everling, S. 1231 (1245 f.) m.w. N. 35 Siehe hierzu Kapitel 3 C. II. 1. 36 Vgl. Generalanwalt Mengozzi, Schlussanträge v. 23.5.2007 – Rs. C-341/05, Rn. 158 – Laval; Franzen, in: FS Buchner, S. 231 (236); Junker, SAE 2008, 209 (211 f.); ders., EWS 2007, 49 (52 f.); Langenfeld, in: FS Isensee, S. 815 (822 ff.); Schubert, RdA 2008, 289 (291). 37 So auch die Kritik von Rebhahn, ZESAR 2008, 109 (113 f.); Schlachter, in: FS Birk, S. 809 (818).

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ausübung trifft, soll durch den Arbeitskampf eine solche Regelung erst erzielt werden. Dabei stehen dem Arbeitgeber Gegenmaßnahmen zur Verfügung, um eine belastende Tarifforderung abzuwehren. Die Ausführungen in der Rechtssache Angonese beziehen sich ausdrücklich auf das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit, so dass es ebenfalls zweifelhaft erscheint, diese Erwägungen auf die Bindung der Gewerkschaften an die Niederlassungsfreiheit des Arbeitgebers zu übertragen.38 Dennoch ist nicht zu verkennen, dass es sich bei Arbeitskampfmaßnahmen zur Durchsetzung von Tarifforderungen aus Anlass einer grenzüberschreitenden Verlagerungsentscheidungen um Maßnahmen Privater handelt, welche die Verwirklichung des Schutzzwecks der Niederlassungsfreiheit erheblich beeinträchtigen können und diese hinsichtlich ihrer Wirkung aus Sicht des Arbeitgeber einer staatlichen Maßnahmen gleichkommen können. In Anbetracht der Ziele des EGVertrags sprach schon dies dafür, die Drittwirkung der Niederlassungsfreiheit im Verhältnis zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeber bei der Durchführung von Kollektivmaßnahmen anzuerkennen.39 Die Ausübung der Grundfreiheiten kann nicht schon daran scheitern, dass Gestaltungskompetenzen auf Private verlagert wurden bzw. ihnen kraft nationaler Verfassung zustehen.40 Insoweit können die Argumente, welche für die Bindung der Tarifvertragsparteien an die Grundrechte des GG sprechen, durchaus bei der Frage der Bindung der Gewerkschaften an die Grundfreiheiten des Arbeitgebers fruchtbar gemacht werden. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass versucht wird, eine Tarifforderung unter Einsatz von Kampfmaßnahmen durchzusetzen, die sich auf die Modalitäten der Standortverlagerung beziehen. Ein Standortstreik ist gerade darauf ausgerichtet, durch Druckausübung eine vertragliche Bindung zu erzielen, welche die Ausübung der Niederlassungsfreiheit erheblich erschweren kann. Obgleich der Arbeitgeber nicht derart schutzlos ist, wie dies bei den Adressaten eines Regelwerks eines autonomen Sportverbandes angenommen werden kann, wird auch er den Maßnahmen der Vertragsgegenseite nicht ohne weiteres ausweichen können, wie dies insbesondere der Sachverhalt der Laval-Entscheidung zeigt. Laval konnte die Bauarbeiten gegen den Widerstand der Gewerkschaften nicht durchführen.41 Gerade die im deutschen Recht kraft Verfassung geschützte Kampfbefugnis und die Wirkungen, welche mit ihrer Ausübung verbunden sind, sprechen für eine Bindung der kampfführenden Partei an die Grundfreiheiten, zumindest

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Vgl. Junker, SAE 2008, 209 (211 f.); Pießkalla; NZA 2007, 1144 (1146). In diesem Sinne Blanke, AuR 2006, 1 (4); Bücker, NZA 2008, 212 (214); Franzen, in: FS Buchner, S. 31 (236 f.); Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (561); Pießkalla, NZA 2007, 1144 (1146 f.); Schubert, RdA 2008, 289 (291 f.). 40 Vgl. Roth, in: FS Everling, S. 1231 (1246). 41 Siehe den Sachverhalt in EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (161) – Laval. 39

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wenn die Kampfmaßnahmen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausübung der Grundfreiheit durch den Kampfgegner steht. Stellt man dagegen darauf ab, dass es sich bei der unmittelbaren Bindung Privater an die Grundfreiheiten um eine restriktiv zu handhabende Ausnahmeerscheinung handelt, deutliche Unterschiede zu den bisher zugrunde liegenden Konstellationen nicht zu übersehen sind und eine Gefährdung der Privatautonomie die Folge sein könnte42, wird man zumindest eine mittelbare Drittwirkung i. S. d. Schutzpflichtenkonstruktion annehmen müssen.43 Insoweit liegt die Vergleichbarkeit zu den Fällen Schmidberger und Kommission/Frankreich auf der Hand, so dass zumindest eine staatliche Schutzpflicht anzuerkennen wäre, welche mangels gesetzlicher Regelung des Arbeitskampfrechts in Deutschland durch die Rechtsfortbildung der nationalen Gerichte erfolgen müsste.44 Obgleich der Adressat der Grundfreiheitsbindung je nach bevorzugter Konzeption einer Herleitung der Grundfreiheitsbindung im Privatrechtsverkehr ein anderer ist, unterscheiden sich mittelbare und unmittelbare Grundrechtsbindung hinsichtlich ihrer Ergebnisse nur marginal.45 Der Schutz der Grundfreiheiten ist im Ergebnis jedenfalls nicht damit zu verwerfen, dass eine mögliche Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit durch Private erfolgt. Dies gilt gerade für die Beurteilung von Arbeitskämpfen, welche von deutschen Gewerkschaften geführt werden, die aus Art. 9 Abs. 3 GG weitreichende Gestaltungskompetenzen zur Ordnung des Arbeitslebens ableiten können.

II. Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit bei Streikmaßnahmen Sind die Gewerkschaften demnach grundsätzlich verpflichtet, die Niederlassungsfreiheit des Arbeitgebers zu achten, stellt sich die Frage, ob der Anwendungsbereich dieser Grundfreiheit auch bei Arbeitskampfmaßnahmen der Gewerkschaft eröffnet ist.

42 So Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (466) mit Verweis auf Canaris, in: Bauer/Czybulka/Kahl/Vosskuhle (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, S. 29 (44 ff.). 43 So etwa Birk, in: FS 50 Jahre BAG, S. 1165 (1172 ff.); Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (466 f.); Langenfeld, in: FS Isensee, S. 815 (823 f.); Rieble, RdA 2005, 200 (202); wohl auch Schlachter, in: FS Birk, S. 809 (819); Temming, ELR 2008, 190 (196); wohl auch Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (595); Thüsing, RdA 2007, 307 (308). 44 Vgl. Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (467). 45 Vgl. Generalanwalt Maduro, Schlussanträge v. 23.5.2007 – Rs. C-438/05, Rn. 40 – Viking Line; Temming, ELR 2008, 190 (196); deutlich auch Krause, Standortsicherung, S. 122: „[. . .] kommt es für das Ergebnis allerdings weniger auf die Konstruktionsfrage als vielmehr auf die sorgsame Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen an.“

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1. Art. 137 Abs. 5 EG (nunmehr Art. 153 Abs. 5 AEUV) als Einwand Angesichts der Regelung des Art. 137 Abs. 5 EG (nunmehr Art. 153 Abs. 5 AEUV) erscheint es auf den ersten Blick überraschend, dass sich der EuGH überhaupt mit arbeitskampfrechtlichen Fragen befasst hat. In dieser zentralen Ermächtigungsgrundlage im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts heißt es: „Dieser Artikel gilt nicht für das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht, sowie das Aussperrungsrecht.“ Diese Vorschrift schirmt das Streik- und Koalitionsrecht ausdrücklich von der Rechtssetzungsbefugnis der Gemeinschaft ab und entzieht es dem Zugriff des europäischen Gesetzgebers. Aufgrund dieser Vorgabe wurde das Arbeitskampfrecht bisher als „domain reservé“46 der Mitgliedstaaten angesehen, um so die unterschiedliche Ausgestaltung des Arbeitskampfes als historisch gewachsenes Phänomen des Arbeitslebens in den einzelnen Staaten zu erhalten.47 Dem europäischen Gesetzgeber ist es daher verwehrt, in diesen Bereichen Verordnungen oder Richtlinien zu erlassen. So wird sichergestellt, dass die in Art. 137 Abs. 5 EG (nunmehr Art. 153 Abs. 5 AEUV) aufgeführten Bereiche weiterhin den Tarifvertragsparteien zur Regelung überantwortet bleiben und ihre Autonomie durch europarechtliche Vorschriften nicht beseitigt werden kann.48 In der Rechtssache Viking Line trug die dänische Regierung vor, dass das Streikrecht außerhalb des Bereichs der in Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) formulierten Grundfreiheit läge, weil die Gemeinschaft für die Regelung dieser Rechte nicht zuständig sei.49 Der EuGH50 hat sich dieser Auffassung jedoch nicht angeschlossen. Es stünde den Mitgliedsstaaten weiterhin frei, die Bedingungen für den Bestand der Rechte festzusetzen. Sie seien aber gehalten, das Europarecht dabei zu beachten. Damit ließe sich der Ausschluss einer kollektiven Maßnahme vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit nicht begründen. Diese Aussagen haben Kritik aus dem Schrifttum nach sich gezogen.51 Sie führten im Ergebnis dazu, dass trotz der eindeutigen Vorgabe des Art. 137 Abs. 5 46

Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, § 10 Rn. 12; ders., RdA 2007, 307 (308). Calliess/Ruffert-Krebber, EUV/EGV, Art. 137 EG Rn. 9; zur Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts in den einzelnen Mitgliedsstaaten Jeschke, Streik, S. 81 ff.; Sagan, Gemeinschaftsgrundrecht, S. 25 f. 48 v. d. Groeben/Schwarze-Högl, EUV/EGV, Art 137 EGV Rn. 41. 49 Vgl. EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (127), Rn. 39. – Viking Line. 50 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (127), Rn. 40 f. – Viking Line; EuGH v. 18.12.2007 – C-341/05, NZA 2008, 159 (165), Rn. 88 – Laval; ebenso Generalanwalt Mengozzi, Schlussanträge v. 23.5.2007 – Rs. C-341/05, Rn. 55 – Laval. 51 Vgl. Blanke, Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 131 (141); Däubler, AuR 2008, 409 (411 f.); Joerges/Rödl, KJ 2008, 149 (159); Kocher, AuR 2009, 332 (333 f.); Schiek, Europäisches Arbeitsrecht, Teil 1 D 70 ff.; Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, § 10 Rn. 12; dens., RdA 2007, 307 (308). 47

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EG (nunmehr Art. 153 Abs. 5 AEUV) auf europäischer Ebene sehr wohl auf den genannten Gebieten Recht gesetzt werden könne, wenn diese Funktion durch die Judikative ausgeübt werde und durch die Auslegung der Grundfreiheiten Arbeitskämpfen mit grenzüberschreitendem Bezug europarechtliche Grenzen gesetzt würden.52 Das Primärrecht könne in der Folge nur mit einer Vertragsänderung korrigiert werden. Der EuGH sei daher gehalten, von seinen Kompetenzen in diesem Bereich nur sehr zurückhaltend Gebrauch zu machen. Diesen Einwänden ist insoweit beizupflichten, als dass Art. 137 Abs. 5 EG (nunmehr Art. 153 Abs. 5 AEUV) einen deutlichen Vorbehalt der Mitgliedsstaaten im Bereich des Arbeitskampfrechts zum Ausdruck bringt, so dass Zurückhaltung bei Eingriffen in das nationale Arbeitskampf geboten erscheint.53 Dennoch lässt sich damit nicht der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten begrenzen. Art. 137 Abs. 5 EG (nunmehr Art. 153 Abs. 5 AEUV) regelt ausschließlich die Rechtsetzungsbefugnis und trifft keine Aussage zur Anwendung des Primärrechts.54 Dies lässt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und ihrem Standort im Vertrag ableiten.55 Aus dem Umstand, dass auf dem Gebiet des Streik- und Aussperrungsrechts keine Kompetenz zum Erlass von Rechtsvorschriften und Verordnungen gegeben ist, die Mindeststandards in diesem Bereich festlegen, lässt sich folglich nicht darauf schließen, dass von Streik und Aussperrung keine Beschränkung der Grundfreiheiten ausgehen können.56 Eine solche Privilegierung des Arbeitskampfes würde der Bedeutung der Grundfreiheiten nicht gerecht.57 Eine der zentralen Aufgaben der Gemeinschaft war es in der Vergangenheit, durch die Errichtung eines gemeinsamen Marktes die in Art. 2 EG genannten Ziele zu erreichen.58 Diese Zielsetzung der Union findet sich auch im Vertrag von Lissabon in Art. 3 EUV wieder. Würde man den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten auf den Bereich der Rechtsetzungsbefugnis der EU erstrecken, wäre es denkbar, dass die Grundfreiheiten je nach Ausgestaltung des nationalen Rechts innerhalb der Mitgliedsstaaten unterschiedliche Wirkung entfalten. Es wäre folglich möglich, den Zweck der Grundfreiheiten zu unterlaufen.59 Festzuhalten ist somit, dass Art. 137 Abs. 5 EG (nunmehr Art. 153 Abs. 5 AEUV) den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten nicht eingrenzt und eine 52

Däubler, AuR 2008, 409 (411). Vgl. Zwanziger, DB 2008, 294 (295). 54 Ebenso Bayreuther, EuZA 2008, 409 (400 f.); Junker, ZfA 2009, 281 (289); Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (465 f.); Skouris, RdA 2009, Beil. zu Heft 5, 25 (28). 55 Generalanwalt Mengozzi, Schlussanträge v. 23.5.2007 – Rs. C-341/05, Rn. 55 – Laval; so auch Franzen, in: FS Buchner, S. 231 (234). 56 Ebenso Junker, SAE 2008, 209 (214); Kocher, AuR 2008, 13 (15); Langenfeld, in: FS Isensee, S. 815 (820). 57 Birk, in: FS 50 Jahre BAG, S. 1165 (1167); Schubert, RdA 2008, 289 (292). 58 Streinz, Europarecht, Rn. 779. 59 Weiss, in: FS Hromadka, S. 493 (506). 53

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ungerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch Standortarbeitskämpfe nicht schon aus diesem Grund abzulehnen ist. 2. Analogie zum Urteil des EuGH in der Rechtssache Albany? Von Gewerkschaftsseite wurde weiterhin vorgetragen, dass die vom EuGH60 in der Rechtssache Albany angestellten Erwägungen auf das Spannungsverhältnis von Niederlassungsfreiheit und Arbeitskampf zu übertragen seien, so dass ein Verstoß gegen Grundfreiheiten nicht in Betracht käme.61 In der Rechtssache Albany ging es um eine Pflichtmitgliedschaft in einem Betriebsrentenfonds, welcher aufgrund einer tarifvertraglichen Regelung und eines nach niederländischem Recht zulässigen Antrags vom Arbeitsminister für verbindlich erklärt wurde. So entstand eine Bindung an den Betriebsrentenfonds, was Zweifel im Hinblick auf das Kartellverbot des Art. 81 EG (nunmehr Art. 101 AEUV) mit sich brachte. Der EuGH62 lehnte eine Anwendung dieser Vorschrift mit Blick auf die sozialpolitischen Zielsetzungen der Gemeinschaft ab. Die Übertragung dieser Grundsätze auf den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten bei Kollektivmaßnahmen wird nun damit begründet, dass gewisse Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des Dienstleistungsverkehrs zwangsläufig auch mit kollektiven Maßnahmen im Rahmen von Tarifverhandlungen einhergingen.63 Dieser Einwand vermag jedoch ebenfalls nicht zu überzeugen und wurde zu Recht abgelehnt.64 Die Rechtsprechung in der Rechtssache Albany lässt sich nicht auf die vorliegende Fragestellung übertragen.65 Es ist zwar richtig, dass von Tarifverträgen in der Regel eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsfreiheit ausgeht. In der Kartellfunktion ist eine allgemein anerkannte Aufgabe der Tarifautonomie zu sehen. Es würde den Schutzzweck der Koalitionsfreiheit erheblich beeinträchtigen, wenn die Tarifvertragsparteien bei der Vereinbarung der Arbeits60 61 62 63

EuGH v. 21.9.1999 – Rs. C 67/97, AP Nr. 1 zu Art. 85 EG-Vertrag – Albany. EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (128), Rn. 48 – Viking Line. EuGH v. 21.9.1999 – Rs. C 67/97, Slg. 1999, I-5751 Rn. 54 ff. – Albany. Vgl. EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (128), Rn. 48 – Viking

Line. 64

EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (128), Rn. 49 ff. – Viking

Line. 65 So im Ergebnis auch Generalanwalt Maduro, Schlussanträge v. 23.5.2007 – Rs. C438/05, Rn. 26 f. – Viking Line; so auch Bayreuther, EuZA 2008, 395 (401); Blanke, AuR 2006, 1 (5); Junker, EWS 2007, 49 (51); ders., SAE 2008, 209 (214); ders., ZfA 2009, 281 (289); Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (466); Krause, Standortsicherung, S. 120; Rebhahn, ZESAR 2008, 109 (113); Reich, EuZW 2007, 391 (392); Schlachter, in: FS Birk, S. 809 (815 f.); Schubert, RdA 2008, 289 (292); a. A. Däubler, AuR 2008, 409 (413); Wendeling-Schröder, AiB 2008, 179 (182).

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Kap. 6: Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

und Wirtschaftsbedingungen dem Verbot des Art. 81 EG (nunmehr Art. 101 AEUV) unterlägen. Die Ausübung der Koalitionsbetätigungsfreiheit wäre faktisch unmöglich. Aus diesem Grund gilt § 1 GWB im deutschen Recht nicht für Tarifverträge.66 Die vorliegende Konstellation unterscheidet sich jedoch dadurch, dass noch keine tarifliche Vereinbarung vorliegt, sondern diese erst durch kollektive Maßnahmen erkämpft werden soll. Auch Kampfmaßnahmen mögen in der Regel die Position des bestreikten Arbeitgebers im Wettbewerb beeinträchtigen. Dies bedeutet gleichwohl nicht, dass dies auch für die Niederlassungsfreiheit gilt.67 Vielmehr ist davon auszugehen, dass ein solcher Konflikt nur im Ausnahmefall vorliegt. In der Regel ist ein Streik nicht geeignet, die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit zu beeinträchtigen. Von einer unvermeidbaren Beeinträchtigung der Grundfreiheiten kann keine Rede sein. Vielfach zielen die kollektiven Maßnahmen der Gewerkschaft gerade darauf ab, das Standortverlagerungsvorhaben zu verhindern, also die Ausübung der Niederlassungsfreiheit zu unterbinden. Insoweit ist also zwischen dem Geltungsbereich der Wettbewerbsvorschriften und dem Geltungsbereich der Vorschriften über den freien Verkehr zu unterscheiden.68 Eine vollständige Verdrängung des Gemeinschaftsrechts lässt sich jedenfalls nicht rechtfertigen, da eine Abwägung der Materien möglich erscheint.69 Die Erwägungen in der Rechtssache Albany lassen sich somit für die hier zu untersuchende Frage ebenfalls nicht fruchtbar machen. 3. Bereichsausnahme für die Ausübung des Streikrechts? Ferner wird als Einwand vorgebracht, dass die Ausübung des Streikrechts schon aufgrund ihres Grundrechtscharakters außerhalb des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten liege und somit ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit bei Standortarbeitskämpfen nicht in Betracht käme.70 a) Arbeitskampf als Gemeinschaftsgrundrecht Dazu müsste zunächst dem Recht, Arbeitskampfmaßnahmen durchzuführen, auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene Grundrechtscharakter beizumessen sein, da 66 Vgl. BAG v. 27.6.1989 – 1 AZR 404/88, AP Nr. 113 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Immenga/Mestmäcker-Zimmer, Band 2: GWB, § 1 Rn. 193 m.w. N. 67 Junker, SAE 2008, 209 (214). 68 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (128), Rn. 53 – Viking Line; Generalanwalt Maduro, Schlussanträge v. 23.5.2007 – Rs. C-438/05, Rn. 26 – Viking Line. 69 Bayreuther, EuZA 2008, 395 (401); Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (466). 70 Vgl. EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (127), Rn. 42 – Viking Line; EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (165), Rn. 89 – Laval.

B. Grundlagen

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aufgrund des Vorrangs des Europarechts die nationalen Grundrechte nach Auffassung des EuGH keine beschränkende Wirkung gegenüber der Niederlassungsfreiheit entfalten können.71 In den Entscheidungen zu den Rechtssachen Viking Line und Laval hat der EuGH die Gelegenheit genutzt, um auf der Ebene des ungeschriebenen Primärrechts ein Streikrecht der Gewerkschaften erstmals zu bejahen. Der Generalanwalt Jacobs72 hatte in den Schlussanträgen in der Rechtssache Albany ein Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivverhandlungen noch ausdrücklich abgelehnt, da es den nationalen Rechtsordnungen und den völkerrechtlichen Normen an einem gemeinsamen Standpunkt fehle. In der Werhof-Entscheidung hat der EuGH dagegen nochmals die Vereinigungsfreiheit insoweit als europäisches Grundrecht bestätigt, als dass diese insbesondere das Recht umfasse, einer Gewerkschaft nicht beizutreten.73 Der europäische Grundrechtsschutz wird nun ausdrücklich um das kollektive Recht auf Arbeitskampfmaßnahmen erweitert. Dies wurde insbesondere von gewerkschaftsnahen Autoren begrüßt, obgleich der Wert dieser Herleitung der Arbeitskampffreiheit als Gemeinschaftsgrundrecht durch den vom Gericht angelegten Maßstab hinsichtlich der Rechtfertigung der von Streikmaßnahmen ausgehenden Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit wieder relativiert würde.74 Bei der Herleitung dieses Grundrechts bezieht sich der EuGH75 nicht auf die mitgliedsstaatlichen Verfassungsordnungen, sondern stellt auf internationale Rechtsakte ab, bei denen die Mitgliedsstaaten mitgewirkt haben. Aus der ESC, dem IAO-Abkommen Nr. 87 und der Charta der Grundrechte der EU könne abgeleitet werden, dass das Recht auf Durchführung kollektiver Maßnahmen einschließlich des Streikrechts als Grundrecht, weil fester Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts anzuerkennen sei. Diese Herleitung eines Gemeinschaftsgrundrechts auf Kollektivmaßnahmen ist nicht unwidersprochen geblieben.76 Dies verwundert nicht, da es bereits zweifelhaft erscheint, ob IAO-Abkommen Nr. 87 einen Regelungsgehalt hinsichtlich des 71 Vgl. hierzu EuGH v. 12.6.2003 – Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659, Rn. 74 – Schmidberger; Ehlers-Ehlers, EuGR, § 7 Rn. 11; Heselhaus/Nowak-Szczekalla, Hdb. EU-Grundrechte, § 2 Rn. 22 f., jeweils m.w. N. 72 Schlussanträge v. 28.1.1999 – Rs. C-219/97, Rn. 132 ff. – Albany. 73 EuGH v. 9.3.2006 – Rs. C-499/04, Slg. 2006, I-2397, Rn. 33 – Werhof. 74 Vgl. Joerges/Rödl, KJ 2008, 149 (159); Kocher, AuR 2008, 13 (15); Sunnus, AuR 2008, 1 (10); Wendeling-Schröder, AiB 2008, 179 (180) m.w. N.; siehe auch die Presseerklärung des EGB v. 11.12.2007 und Stellungnahme des EGB v. 4.3.2008, S. 2 f., abrufbar unter www.etuc.org (zuletzt abgerufen am 1.3.2010). 75 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (127), Rn. 43 f. – Viking Line; EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (165), Rn. 90 f. – Laval. 76 Vgl. Joussen, ZESAR 2008, 333 (336); Rebhahn, ZESAR 2008, 109 (111 f.); dens., wbl 2008, 63 f.; kritisch auch Zwanziger, DB 2008, 294 (296).

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Kap. 6: Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

Streikrechts aufweist,77 mehrere Mitgliedsstaaten die ESC nicht als verbindlich anerkannt haben, sondern vielmehr umstritten ist, welche Wirkungen von ihr ausgehen und auch die Charta der Grundrechte der EU (GRC) noch kein geltendes Recht darstellte78. Art. 8 Abs. 1 d) des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR), den alle Mitgliedsstaaten ratifiziert haben, bleibt bei der Herleitung gänzlich außen vor. Aus dieser Norm hätte sich ein Streikrecht der Gewerkschaften ableiten lassen, so dass es eines Rückgriffs auf die genannten Rechts(erkenntis)quellen nicht bedurft hätte und man sich dieser Kritik nicht ausgesetzt hätte.79 Ferner wird kritisch eingewandt, man hätte sich nicht nur auf völkerrechtliche Verträge berufen, sondern vielmehr auf die gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedsstaaten abstellen müssen, um zu ermitteln, ob dem Recht auf Kollektivmaßnahmen ein solcher Gewährleistungsgehalt zukomme.80 Dies entspreche der traditionellen Vorgehensweise zur Herleitung ungeschriebener Gemeinschaftsgrundrechte. Auf Art. 11 EMRK als weitere Rechtserkenntnisquelle wird wohl bewusst nicht abgestellt, da der EGMR eine Ableitung von Streikgarantien aus ihr ausdrücklich abgelehnt hat.81 Auch dieser Weg hätte freilich nicht zu einem abweichenden Ergebnis geführt: Mittels einer Gesamtschau der Verfassungstraditionen der Mitgliedsstaaten lässt sich ein Gemeinschaftsgrundrecht auf Streik, trotz der unterschiedlichen Ausgestaltung der einzelnen Rechtsordnungen und dem Umstand, dass nicht alle Mitgliedsstaaten diesem Recht Verfassungsrang beimessen,82 gut begründen.83 In fast allen Mitgliedsstaaten ist ein Recht auf Arbeitsniederlegung anerkannt.84 77 Vgl. Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (472); Rebhahn, ZESAR 2008, 109 (111, Fn. 14). 78 Siehe hierzu Kapitel 2 C. V. 3. e). 79 Ebenso Temming, ELR 2008, 190 (197 f.). 80 Vgl. Rebhahn, ZESAR 2008, 109 (111) m.w. N. 81 EGMR v. 10.1.2002 – 53574/99, ÖJZ 2003, 276 ff. – Unison. 82 Laut Meyer-Riedel, GRC, Art. 28 Rn. 7, enthält etwa die Hälfte der Verfassungen der Mitgliedsstaaten diese Gewährleistung nicht; Jeschke, Streik, S. 180, weist dagegen darauf hin, dass in 16 Mitgliedsstaaten das Recht auf Streik ausdrücklich auf verfassungsrechtlicher Ebene garantiert sei; in weiteren drei Mitgliedsstaaten werde das Recht aus der Verfassung hergeleitet; in Belgien, Dänemark, Österreich, Malta, Irland und im Vereinigten Königrech und Nordirland existiere kein verfassungsrechtlich garantiertes Streikrecht, die Streikfreiheit werde aber in einfachgesetzlichen Regelungen angesprochen. 83 So auch Blanke, AuR 2006, 1 (5); Bücker, NZA 2008, 212 (214); Däubler, in: FS Hanau, S. 489 (496); Eklund, ILJ 2006, 202 (207); Jarass, EU-Grundrechte, § 29 Rn. 14; Junker, EWS 2007, 49 (54); Heselhaus/Nowak-Hilbrandt, Hdb. EU-Grundrechte, § 35 Rn. 30 ff.; Kadelbach/Petersen, EuGRZ 2002, 213 (216); Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (474 f.); Krause, Standortsicherung, S. 120; Maack, ZIAS 2008, 355 (359); Schubert, RdA 2008, 289 (293); Streinz-Streinz, EUV/EGV, Art. 28 GRC Rn. 5; Temming, ELR 2008, 190 (197 f.); Weiss, in: FS Hromadka, S. 493 (507); WendelingSchröder, AiB 2007, 617; dies., AiB 2008, 179 (180); Zachert, NZA 2001, 1041 (1045).

B. Grundlagen

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Diese gemeinsamen Verfassungstraditionen werden durch die Heranziehung der GRC berücksichtigt. Der EuGH „erspart“ sich schlichtweg den Umweg einer Verfassungsexegese im Sinne einer wertenden Rechtsvergleichung und verweist lediglich auf Art. 28 GRC. Dies erscheint angesichts des Umstands, dass die GRC zum Zeitpunkt der Entscheidung noch kein geltendes Recht darstellte auf den ersten Blick kritikwürdig.85 Wenn man jedoch bedenkt, dass auch der EuGH86 der Charta zwar vor Inkrafttreten noch keine rechtliche Bindungswirkung beimisst, sie aber die Bedeutung der ihr genannten Rechte in der Gemeinschaftsordnung zeige, erscheint diese Vorgehensweise durchaus legitim, obgleich damit in gewisser Weise dem Ratifizierungsprozess der GRC vorgegriffen wurde.87 Die GRC kann durchaus als konsolidierte Fassung der in den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedsstaaten vorfindlichen Grundrechte verstanden werden, für die ein Katalog bisher fehlte.88 Insoweit gilt es allerdings zu beachten, dass der in der Rechtsprechung Viking Line und Laval gewählte Begründungsansatz dazu führen könnte, dass das Recht auf kollektive Maßnahmen durch den Rückgriff auf das IAO-Übereinkommen und die ESC aus der GRC „herausgelöst“ werden könnte. Dies ist allerdings ein generelles Problem. Grundrechte der Charta und solche, die der EuGH bereits aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen hergeleitet hat, könnten in Konkurrenz treten. In diesem Fall wird man annehmen können, dass sich der Bürger auf die weitestgehende Gewährleistung berufen kann.89 Die GRC soll Auslegung und Konkretisierung der Gemeinschaftsgrundrechte erleichtern.90 Eine Norm, aus der sich ableiten ließe, dass die GRC an die Stelle der bisher anerkannten Gemeinschaftsgrundrechte tritt, existiert nicht. Im Ergebnis ist ein Gemeinschaftsgrundrecht auf kollektive Maßnahmen aufgrund der gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedsstaaten anzuerkennen, so dass insbesondere das Streikrecht der Gewerkschaften über den Inhalt der nationalen Rechtsordnungen hinaus, auch auf der Ebene des Europarechts Schutz genießt. 84

Vgl. Jeschke, Streik, S. 81 ff.; Rebhahn, NZA 2001, 763 (768 ff.). So Zwanziger, BB 2008, 294 (296). 86 EuGH v. 15.1.2003 – Rs. T-377/00, Slg. 2003, II-1, Rn. 122 – Philip Morris. 87 So die Kritik von Rebhahn, ZESAR 2008, 109 (111). 88 Vgl. Pache, EuR 2001, 475 (477 .); Skouris, ZSchR 2005, 31 (38); deutlich hierzu Generalanwalt Mengozzi, Schlussanträge v. 3.5.2007 – Rs. C-341/05, Rn. 7 – Laval: „Eine erschöpfende Prüfung der Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten halte ich zwar nicht für zwingend notwendig, weil, wie bereits in Nr. 68 der vorliegenden Schlussanträge hervorgehoben, die Grundrechtecharta, wiewohl rechtlich unverbindlich, das Hauptziel verfolgt, diejenigen Rechte erneut zu bekräftigen, die sich insbesondere aus den genannten Traditionen speisen.“ 89 So auch Jarass, EU-Grundrechte, § 2 Rn. 14; a. A. Meyer-Borowsky, GRC, Art. 53 Rn. 16. 90 Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 53. 85

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Kap. 6: Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

b) Kein genereller Vorrang des Streikrechts Die Anerkennung eines Gemeinschaftsgrundrechts auf Kollektivmaßnahmen sagt allerdings noch nichts über seine systematische Stellung im Europarecht aus. So stellt sich insbesondere die Frage, in welchem Verhältnis die Arbeitskampffreiheit zu den Grundfreiheiten steht. Käme dem Streikrecht generell der Vorrang vor der Niederlassungsfreiheit zu, wäre es schon aus diesem Grund nicht denkbar, dass von Kollektivmaßnahmen ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit ausginge. Der EuGH91 hat dies allerdings verneint. Die Ausübung der Gemeinschaftsgrundrechte stünde nicht außerhalb des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten, da die Ausübung des Streikrechts Beschränkungen unterworfen werden könne. Zwar stelle der Grundrechtsschutz ein berechtigtes Interesse dar, das seinerseits geeignet sei, die Grundfreiheiten zu beschränken, daraus folge jedoch kein genereller Vorrang des Grundrechts auf Kollektivmaßnahmen gegenüber einer Ausübung der Grundfreiheiten. Dies entspricht dem Verständnis, das bereits in den Entscheidung in der Rechtssache Schmidberger92 zum Ausdruck kam. Obwohl der europäische Gesetzgeber zur Ausgestaltung der Versammlungsfreiheit nicht zuständig ist, stellte der EuGH klar, dass die Ausübung dieser Rechte auch anhand des Maßstabs der Grundfreiheiten zu erfolgen habe und nicht von vornherein außerhalb des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten stünde. Auch in der Omega-Entscheidung93 war dieser Weg beschritten worden, auf die ebenfalls Bezug genommen wird. Das Verhältnis von Gemeinschaftsgrundrechten und Grundfreiheiten ist bis heute im Einzelnen ungeklärt.94 Der EuGH unterscheidet oftmals hinsichtlich der Verwendung dieser Begriffe nicht genau.95 Dies hat die Diskussion, inwieweit den Grundfreiheiten Grundrechtsqualität zukommt oder Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechte trotz ihrer unterschiedlichen Stoßrichtung wesensgleich sind, erst befeuert.96 Vielfach wird darauf hingewiesen, dass das Verhältnis von 91 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (127 f.), Rn. 44 ff. – Viking Line; EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (165), Rn. 92 ff. – Laval. 92 EuGH v. 12.6.2003 – Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659, Rn. 74 – Schmidberger. 93 EuGH v. 14.10.2004 – Rs. C-36/02, Slg. 2004, I-9609, Rn. 35 – Omega. 94 Vgl. hierzu die Darstellung bei Frenz, Europarecht, Band 4, Rn. 198 ff.; Heselhaus/Nowak-Pache, Hdb. EU-Grundrechte, § 4 Rn. 37 ff.; Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 137 ff., jeweils m.w.N; grundlegend Schultz, Das Verhältnis von Gemeinschaftsgrundrechten und Grundfreiheiten des EGV, 2004. 95 Vgl. hierzu Dauses-Bleckmann/Pieper, HdB EU-Wirtschaftsrecht, B. I. 4. d) bb) Rn. 109 ff.; Frenz, EuR 2002, 603 ff.; Heselhaus/Nowak-Pache, Hdb. EU-Grundrechte, § 4 Rn. 39; Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 140 f.; Szczekalla, Schutzpflichten, S. 541 ff. 96 Zum Streitstand siehe Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 142; grundlegend Gebauer, Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags als Gemeinschaftsgrundrechte, 2004.

B. Grundlagen

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Grundfreiheiten und Grundrechten nicht als Normkonkurrenz zu begreifen sei, weil sie keine gemeinsame Schnittmenge aufweisen.97 Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass inhaltliche Überschneidungen durchaus denkbar sind, wenn bestimmte Freiheiten vom Schutzbereich eines Gemeinschaftsgrundrecht und einer Grundfreiheit umfasst sind. In diesem Fall liegt es nahe, zunächst die Grundfreiheiten als spezielle Schutzgewährleistung für grenzüberschreitende Sachverhalte anzuwenden, um dann das Gemeinschaftsgrundrecht als Schranken-Schranke heranzuziehen.98 Hier geht es nun darum, inwieweit Gemeinschaftsgrundrechte geeignet sind, den Anwendungsbereich von Grundfreiheiten zu beschränken. Die Frage eines generellen Vorrangs des Gemeinschaftsgrundrechts lässt sich mit Blick auf den Rang von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten im Europarecht be-

97

Vgl. Calliess/Ruffert-Kingreen, EUV/EGV, Art. 28 EGV Rn. 27. Vgl. Frenz, EuR 2002, 603 (608); Ehlers-Ehlers, EuGR, § 14 Rn. 13; Rengeling/ Szczekalla, Grundrechte, Rn. 158; Calliess/Ruffert-Ruffert, EUV/EGV, Art. 15 GRC Rn. 26 f. Aus diesem Grund ist auch bei Arbeitskämpfen aus Anlass von grenzüberschreitenden Verlagerungsvorhaben nicht auf das Gemeinschaftsgrundrecht der Unternehmerfreiheit, welches der EuGH anerkennt (vgl. die Nachweise bei Meyer-Bernsdorff, GRC, Art. 16 Rn. 1 ff.) und mit Art. 16 GRC Eingang in der Charta der Grundrechte der EU gefunden hat, sondern bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt in erster Linie auf Art. 43 Abs. 1 EG (nunmehr Art. 49 Abs. 1 AEUV) abzustellen (a.A. wohl Henssler, in: FS Richardi, S. 553 [561]). Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) ist lex specialis zu Art. 14 u. Art. 15 GRC, vgl. Calliess/Ruffert-Ruffert, EUV/EGV, Art. 15 GRC Rn. 26 m.w. N. Hinsichtlich des sachlichen Inhalts der Freiheitsgewährleistung enthält Art. 16 GRC zumindest das, was bereits durch Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) geschützt wird: Die Niederlassungsfreiheit ist unlösbar mit der Ausübung eines Berufs und unternehmerischer Tätigkeit verknüpft (vgl. Frenz, EuR 2002, 603 [607]). Es ist daher nicht davon auszugehen, dass Art. 15 GRC über den Inhalt der Niederlassungsfreiheit hinausgeht. Dies zeigt schon der Wortlaut des Art. 15 GRC („Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt.“); gleiches gilt für den „Grundtatbestand“ der Berufsfreiheit in Art. 14 Abs. 2 GRC („Alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die Freiheit, in jedem Mitgliedstaat Arbeit zu suchen, zu arbeiten, sich niederzulassen oder Dienstleistungen zu erbringen.“). Auswirkungen könnten sich dagegen für solche Sachverhalte ergeben, bei denen sich drittstaatsangehörige Unternehmen auf ihre unternehmerische Freiheit berufen und somit Art. 43 Abs. 1 EG (nunmehr Art. 49 Abs. 1 AEUV) nicht einschlägig ist, vgl. Meyer-Bernsdorff, GRC, Art. 16 Rn. 17. Diesbezüglich sind allerdings die Anwendungsvoraussetzungen von Gemeinschaftsgrundrechten zu beachten. Damit ein Verstoß gegen ein Gemeinschaftsgrundrecht vorliegt, bedarf es einer gemeinschaftlichen Regelung, damit überhaupt ein Europarechtsbezug gegeben ist, vgl. hierzu bereits Kapitel 2 C. V. 3. e). Eine „Richtlinie über grenzüberschreitende Verlagerungen“ existiert im Gegensatz zur Entsenderichtlinie, auf welche der EuGH in der Laval-Entscheidung abstellen konnte, bisher nicht. Ferner hat der EuGH hinsichtlich der Möglichkeit einer Rechtfertigung einer Grundrechtsbeeinträchtigung bisher keinen strengen Maßstab angelegt, vgl. hierzu Frenz, EuR 2002, 603 (611 f.); dies wird sich angesichts der Regelungen der Art. 51 f. GRC nach Ratifizierung der GRC wohl nicht ändern. Daher kann das Gemeinschaftsgrundrecht auf Unternehmerfreiheit nicht gegen Standortstreiks in Stellung gebracht werden. 98

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Kap. 6: Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

antworten. Hinsichtlich des Rangs der Grundrechte im Gemeinschaftsrecht lässt sich der Rechtsprechung entnehmen, dass sie zumindest über dem Sekundärrecht stehen.99 Dies besagt freilich noch nicht, dass sie auch dem Primärrecht zuzuordnen sind. Es entspricht dennoch dem allgemeinen Verständnis im Schrifttum, Gemeinschaftsgrundrechte und Grundfreiheiten hinsichtlich ihres Rangverhältnisses als gleichwertig anzusehen.100 Gemeinschaftsgrundrechte seien ebenso wie die Grundfreiheiten dem Primärrecht zuzuordnen.101 Dies gelte für die in der Charta verankerten Grundrechte ebenso wie für die aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen vom EuGH entwickelten Grundrechte.102 Die Begründung hierfür ist im Geltungsgrund der Gemeinschaftsgrundrechte zu finden, die als Ausfluss von Art. 10 EG bereits vor dem Vertrag von Lissabon eine Obliegenheit darstellten, ein effektives Grundrechtsschutzsystem bereitzustellen, das somit auf vertraglichem Primärrecht der Gemeinschaft fußte.103 Ein darüber hinausgehender Vorrang der Grundrechte war wegen des Verfassungscharakters des EG-Vertrags für die Gemeinschaft dagegen auszuschließen.104 Ein genereller Vorrang der Grundrechte wäre mit dem Charakter der Grundfreiheiten als konstituierendem Element der Gemeinschaft auch kaum zu vereinbaren gewesen. Das Verhältnis von Streikfreiheit und Niederlassungsfreiheit wird daher vom Großteil des Schrifttums zu Recht als gleichwertig betrachtet.105 Dies gilt auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon. „Sowohl Grundfreiheiten als auch Grundrechte bilden fundamentale Grundsätze des Gemeinschaftsrechts.“ 106 Ein genereller Vorrang der Ausübung des Gemeinschaftsgrundrechts auf Kollektivmaßnahmen vor den durch die Niederlassungsfreiheit geschützten Interessen durch eine Begrenzung des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten stünde dazu in deutlichem Widerspruch. Dies kommt auch in Art. 52 Abs. 1 GRC deutlich zum Ausdruck: Die Grundfreiheiten sind Rechte Dritter, auf die auch eine 99

Vgl. hierzu Schindler, Kollision, S. 146 m.w. N. Vgl. Ehlers-Ehlers, EuGR, § 14 Rn. 13; Frenz, Europarecht, Band 4, Rn. 205; Jarass, EU-Grundrechte, § 3 Rn. 8; Schindler, Kollision, S. 147; Schultz, Verhältnis, S. 48 f.; Skouris, RdA 2009, Beil. zu Heft 5, 25 (30); für einen Vorrang der Grundrechte dagegen Dreier-Dreier, GG, Vorb. Rn. 49. 101 Vgl. Hömig-Antoni, GG, Einl. Rn. 23; Heselhaus/Nowak-Pache, Hdb. EU-Grundrechte, § 4 Rn. 120, 122 f. m.w. N. 102 Deutlich Jarass, EU-Grundrechte, § 3 Rn. 4 m.w. N. 103 Vgl. Schultz, Verhältnis, S. 39 ff., 49. 104 Vgl. Schindler, Kollision, S. 147 m.w. N.; so im Ergebnis auch Wißmann, AuR 2008, 149 (150). 105 Vgl. Blanke, AuR 2006, 1 (5); Hanau, NZA 2010, 1 (5); Kocher, in: GS Zachert, S. 37 (43); Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (473); Pießkalla, NZA 2007, 1144 (1147); Reich, EuZW 2007, 391 (392); Schubert, RdA 2008, 289 (293 f.); Wendeling-Schröder, AiB 2008, 179 (182); wohl auch Nagel, AuR 2009, 155 (159). 106 Skouris, RdA 2009, Beil. zu Heft 5, 25 (30). 100

B. Grundlagen

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Einschränkung des Gemeinschaftsgrundrechts auf Kollektivmaßnahmen gestützt werden kann.107 Wollte man annehmen, dass die Gemeinschaftsgrundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze vor Inkrafttreten der GRC nur einen Rang zwischen Primärund Sekundärrecht eingenommen haben und somit im Rangverhältnis unterhalb der Grundfreiheiten anzusiedeln waren,108 wäre es noch offensichtlicher, dass dem Streikrecht hinsichtlich der Beurteilung der Vorgehensweise der ITF kein genereller Vorrang vor den Grundfreiheiten zukommen konnte und somit die These vom Ausschluss des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit mit Verweis auf die Grundrechtsqualität des möglicherweise beschränkenden Handelns ebenfalls nicht getragen hätte. Im Ergebnis ist dem EuGH somit zuzustimmen, die Ausübung von Gemeinschaftsgrundrechten nicht von vornherein aus dem Anwendungsbereich der Grundfreiheiten auszuklammern. Diese würde dazu führen, dass Arbeitskämpfe als „grundfreiheitsfreier Raum“ 109 anzusehen wären. Damit hat der EuGH im Ergebnis die grundsätzliche Gleichwertigkeit von Gemeinschaftsgrundrecht auf Streik und der Niederlassungsfreiheit anerkannt.110 Die Grundfreiheiten sind geeignet, die Ausübung von Grundrechten zu beschränken; ebenfalls können die Grundrechte der Ausübung von Grundfreiheiten Grenzen setzen.111 Schranken können sich nur aus gleichrangigem Recht ergeben.112 Die eigentlichen Probleme im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Streikfreiheit und Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit stellen sich jedoch erst auf der Ebene der Rechtfertigungsprüfung, wenn zu klären ist, inwiefern beide Interessen in Ausgleich zu bringen sind.113 Festhalten lässt sich somit an dieser Stelle ausschließlich, dass wegen der Gleichrangigkeit der Interessen die Ausübung des Gemeinschafsgrundrecht aus Kollektivmaßnahmen ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit nicht von vornherein ausscheidet, wenn die Gewerkschaft aus Anlass grenzüberschreitender Standortverlagerungsvorhaben Arbeitskämpfe durchführt.

107

Vgl. Schubert, RdA 2008, 289 (294). In diesem Sinne wohl Rebhahn, ZESAR 2008, 109 (114 f.); vgl. hierzu EhlersEhlers, EuGR, 2. Aufl., § 7 Rn. 15; Müller-Graff, in: FS Steinberger, S. 1281 (1294 f.); Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 159 m.w.N in Fn. 83. 109 Bayreuther, EuZA 2008, 395 (400). 110 So auch die Einschätzung von Bayreuther, EuZA 2008, 395 (400); Junker, SAE 2008, 209 (213); Kocher, AuR 2008, 13 (15). 111 Vgl. EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (127), Rn. 45, 77 – Viking Line; EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (165), Rn. 93 – Laval. 112 Frenz, Europarecht, Band 4, Rn. 205; Schindler, Kollision, S. 145. 113 Siehe hierzu sogleich unter C. I. 108

370

Kap. 6: Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

III. Tatbestand von Art. 43 Abs. 1 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) 1. Standortverlagerung als Niederlassung i. S. v. Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG (nunmehr Art. 49 Abs. 1 S. 1 AEUV) verbietet es, die freie Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaats zu beschränken. Gemäß Art. 43 Abs. 1 S. 2 EG (nunmehr Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEUV) ist es ebenso verboten, die Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften von Angehörigen eines Mitgliedslandes, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates ansässig sind, zu beschränken. Damit wird zwischen primärer und sekundärer Niederlassung unterschieden.114 Die primäre Niederlassung gemäß Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG (nunmehr Art. 49 Abs. 1 S. 1 AEUV) ist einschlägig, wenn eine Tätigkeit in einem anderen Mitgliedsstaat neu aufgenommen wird oder der Betriebsstandort von einem Mitgliedsstaat in einen anderen verlegt wird. Der Begriff der Niederlassung ist so zu verstehen, dass in einem Mitgliedsstaat eine feste Einrichtung geschaffen wird, die bei Eingliederung in die nationale Volkswirtschaft der tatsächlichen Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit zu dienen bestimmt ist.115 Der Grundfreiheitsberechtigte muss also durch „feste Einrichtung“ am Wirtschaftsleben eines Mitgliedsstaates teilnehmen. Dieses Recht auf Niederlassung wird nicht nur den Gemeinschaftsbürgern, sondern ebenso den Gesellschaften i. S. v. Art. 48 EG (nunmehr Art. 54 AEUV) gewährt.116 Unter sekundärer Niederlassung wird die Gründung von Tochtergesellschaften oder Zweigstellen bezeichnet, die vom Hauptbetrieb weiterhin wirtschaftlich oder rechtlich abhängig sind. Dabei wird Art. 48 EG (nunmehr Art. 54 AEUV) vorgegriffen, richtet sich Art. 43 Abs. 1 S. 1 EG (nunmehr Art. 49 Abs. 1 S. 1 AEUV) doch offensichtlich an Gesellschaften. Bei Standortverlagerungen wird in der Regel eine neue Tochtergesellschaft gegründet und aufgebaut, um zu einem späteren Zeitpunkt den „alten“ Standort zu schließen. Dies ist zweifellos von der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) umfasst.117 Die Gründung von Tochtergesellschaften

114 Vgl. v.d.Groeben/Schwarze-Tiedje/Troberg, EUV/EGV, Art. 43 EGV Rn. 32 ff. m.w. N. 115 Vgl. EuGH v. 25.7.1991 – Rs. C-221/89, Slg. 1991, I-3905, Rn. 20 ff. – Facortame; Streinz-Müller-Graff, EUV/EGV, Art. 43 EGV Rn. 16; Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Band II, Art. 43 EGV Rn. 13 m.w. N. 116 EuGH v. 27.9.1988 – Rs. 81/87, Slg. 1988, I-5483, Rn. 15 – Daily Mail. 117 So im Ergebnis auch EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (129), Rn. 68 ff. – Viking Line; vgl. auch Franzen, in: FS Buchner, S. 231 (237); Junker, SAE 2008, 209 (211); dens., ZfA 2009, 281 (287 f.).

B. Grundlagen

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ist als sekundäre Niederlassung anzusehen. Entscheidet sich der Arbeitgeber, erst den alten Betriebsstandort zu schließen und dann das Entscheidungszentrum zu verlagern, ist dieser Vorgang als primäre Niederlassung zu qualifizieren. Nicht auf Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) berufen können sich dagegen Auslandsgesellschaften aus Drittstaaten außerhalb der EU.118 Gleiches gilt für die Verlagerung von Betriebsstätten von einem Mitgliedsstaat in einen Drittstaat.119 Standortverlagerungen von einem Mitgliedsstaat in einen anderen Mitgliedsstaat sind dagegen vom Tatbestand des Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) erfasst.120 Ebenfalls nicht von Art. 43 Abs. 1 EG (nunmehr Art. 49 Abs. 1 AEUV) erfasst sind rein mitgliedsstaatsinterne Fälle, also solche, die keinen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen.121 Entschließt sich ein deutscher Staatsangehöriger sein Unternehmen innerhalb Deutschlands zu verlagern, entfaltet Art. 43 Abs. 1 EG (nunmehr Art. 49 Abs. 1 AEUV) keine Schutzwirkung.122 2. Grundfreiheitsbeschränkung durch Standortarbeitskampf Grundfreiheiten enthalten nicht nur ein Diskriminierungsverbot, sondern ebenso ein Beschränkungsverbot. Während ursprünglich vom Tatbestand des Art. 43 Abs. 1 EG (nunmehr Art. 49 Abs. 1 AEUV) nur Beschränkungen erfasst wurden, welche an die Berufsaufnahme von EU-Ausländern höhere Anforderungen als an die von Inländern stellen, wurde in der Gebhard-Entscheidung123 klargestellt, dass eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit auch dann in Betracht komme, wenn inländische und ausländische Unternehmen gleich behandelt werden. Aus dem Diskriminierungsverbot wurde somit ein Beschränkungsverbot.124

118

Däubler, AuR 2008, 409 (410). Däubler, AuR 2008, 409 (411). 120 Ist Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) einschlägig, kann man schon aus diesem Grund nicht ergänzend auf das Gemeinschaftsgrundrecht auf unternehmerische Freiheit gemäß Art. 16 GRC abstellen, siehe hierzu bereits die Ausführungen in Kapitel 6 Fn. 98. 121 Calliess/Ruffert-Bröhmer, EUV/EGV, Art. 43 EGV Rn. 6 m.w. N.; Grabitz/HilfRandelzhofer/Forsthoff, Band II, Art. 43 EGV Rn. 60; kritisch zum Erfordernis des grenzüberschreitenden Bezugs bei diskriminierenden Sachverhalten, die ihren Ursprung im Gemeinschaftsrecht haben, Generalanwalt Maduro, Schlussanträge v. 6.5.2004 – Rs. C-72/03, Rn. 55 – Carbonati Apuani. 122 Ebenso Rebhahn, WBl. 2008, 63 (66); Schubert, RdA 2008, 289 (292); Wank, RdA 2009, 1 (8). 123 EuGH v. 30.11.1995 – Rs. C 55/94, Slg. 1995, I-4165 – Gebhard. 124 Vgl. hierzu Blanke, AuR 2006, 1 (3); Calliess/Ruffert-Bröhmer, EUV/EGV, Art. 43 EGV Rn. 23 ff.; v.d.Groeben/Schwarze-Tiedje/Troberg, EUV/EGV, Art. 43 Rn. 87 f., jeweils m.w. N.; dies übersieht Wendeling-Schröder, AiB 2008, 179 (181). 119

372

Kap. 6: Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

Ferner wird nicht nur der Zuzug in einen Mitgliedsstaat,125 sondern ebenso der Wegzug aus einem Mitgliedsstaat gegen Behinderungen geschützt.126 Als Beschränkungen werden nicht nur zielgerichtete, sondern ausdrücklich auch mittelbare Beeinträchtigungen angesehen. Eine Behinderungsabsicht ist nicht zu fordern. Maßnahmen beschränken die Niederlassungsfreiheit schon dann, wenn der Umzug in einen anderen Mitgliedsstaat erschwert und weniger attraktiv wird.127 Streikmaßnahmen aus Anlass von Standortverlagerungsentscheidungen des Arbeitgebers zielen darauf ab, einen Tarifvertrag zu erkämpfen, welcher die Modalitäten des Wegzugs regelt. Die eigentliche Verlagerungsentscheidung steht also im Grunde nicht im Mittelpunkt des Arbeitskampfes. Dennoch ist die gewerkschaftliche Vorgehensweise geeignet, die Standortverlagerungsentscheidung mit erheblichen Folgekosten zu belasten und weniger attraktiv zu machen. In diesem Fall liegt eine Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit vor, wenn die Verlagerungsentscheidung durch den exorbitanten Forderungsumfang und den Verhandlungsdruck erheblich verteuert wird.128 Insoweit sind die Kollektivmaßnahmen durchaus mit staatlichen Maßnahmen vergleichbar, welche die Ausübung der Niederlassungsfreiheit an steuerliche Verpflichtungen knüpfen.129 Würde der Staat vom verlagernden Arbeitgeber eine Abgabe verlangen, wäre dies zweifellos ebenso als rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit 125 EuGH v. 25.7.1991 – Rs. C. 221/89, Slg. 1991, I-3905, Rn. 41 – Factortame; EuGH v. 9.3.1999 – Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-9919 – Centros; EuGH v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-10111 – Überseering; EuGH v. 30.9.2003 – Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 104 f. – Inspire Art. 126 EuGH v. 27.9.1988 – Rs. 81/87, Slg. 1988, 5505, Rn. 16 – Daily Mail; zur „Wegzugbesteuerung“ als Beschränkung i. S. v. Art. 43 Abs. 1 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) EuGH v. 11.3.2004 – Rs. C 9/02, Slg. 2004, I-2409, Rn. 44 ff. – Hughes de Lasteyrie du Saillant. 127 Deutlich EuGH v. 3.10.2002 – Rs. C 58/98, Slg, 2000, I-7919, Rn. 33 – Corsten. 128 So im Ergebnis auch Bayreuther, EuZA 2008, 395 (399); Franzen, in: FS Buchner, S. 231 (237); Junker, SAE 2008, 209 (213 ff.); Krause, Standortsicherung, S. 121; Schlachter, in: FS Birk, S. 809 (817); Schneider/Sittard, ZTR 2007, 590 (595); Schubert, RdA 2008, 289 (292); wohl auch Pießkalla, NZA 2007, 1144 (1147); etwas restriktiver Langenfeld, in: FS Isensee, S. 815 (821), die klarstellt, dass ein spezifischer Binnenmarkbezug zu fordern ist, so dass Regierungskampagnen, welche darauf abzielten, dass Unternehmen ihrer Verantwortung nachkämen, nicht als Beschränkung anzusehen seien; Rebhahn, WBl. 2008, 63 (66); ders., ZESAR 2008, 109 (115), weist darauf hin, dass es nicht ausreiche, dass der Streik die Verlagerungsentscheidung „nur teurer“ mache. Diesen Einwänden ist insoweit zuzustimmen, als dass es sich dabei der Beschränkung um eine systemimmanente Folge eines Arbeitskampfes handeln muss. Aufforderungen politischer Seite können nur über Marktreaktionen eine schädigende Wirkung entfalten. Anders liegt dies allerdings bei einem Streik um exorbitante Sozialplanforderungen, wenn die Verteuerung der Verlagerung durch Verknüpfung von Verhandlungsdruck und Forderungsumfang erreicht werden soll und das gewerkschaftliche Vorgehen eine besondere Intensität aufweist, siehe hierzu bereits Kapitel 5 A. II. 3. c). 129 Vgl. hierzu EuGH v. 30.3.2006 – Rs. C-470/04, Slg. 2006, I-7409 – Belastingdienst Oost; EuGH v. 11.3.2004 – Rs. C 9/02, Slg. 2004, I-2409, Rn. 44 ff. – Hughes de Lasteyrie du Saillant; EuGH v. 13.4.2000 – Rs. C-251/98, Slg. 2000, I-2787 – Baars.

C. Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

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anzusehen.130 Von einer Kollektivvereinbarung, welche ohne Streikdruck erzielt wurde, geht dagegen keine Beeinträchtigung gemäß Art. 43 Abs. 1 EG (nunmehr Art. 49 Abs. 1 AEUV) aus. Während bei Standorttarifstreitigkeiten das Tatbestandsmerkmal der beschränkenden Wirkung im Rahmen der Entscheidungen der Rechtssachen Viking Line und Laval keinen breiten Raum einnimmt und zu Recht bejaht wurde, wird sich in Zukunft die Frage stellen, inwieweit dieser Maßstab auch dann gilt, wenn eine Gewerkschaft mit „rein nationalen Zielen“ streikt, dies aber die Warenverkehrsfreiheit des Arbeitgebers und gegebenenfalls von Dritten behindert.131 Von einer Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit im rechtlichen Sinne wird man dabei aber nicht ausgehen können. Die streikbedingte „Verkehrsbehinderung“ für Dritte ist nur eine kurzzeitige, reflexive und dem Streik gerade wesenseigene Folge, welche nicht die Intensität eines Eingriffs in die Niederlassungsfreiheit durch einen Standortstreik aufweist.132 Daher wirkt sich die Rechtsprechung in den Rechtssachen Viking Line und Laval nicht auf die Beurteilung von Streiks mit Auswirkungen für das grenzüberschreitende Transportgewerbe aus.

IV. Zwischenergebnis Die Gewerkschaften sind an die Niederlassungsfreiheit des Arbeitgebers gebunden und haben daher auch bei der Ausübung ihrer Koalitionsbetätigungsfreiheit die Rechte des Arbeitgebers aus Art. 43 Abs. 1 EG (nunmehr Art. 49 Abs. 1 AEUV) zu achten. Eine Bereichsausnahme für Arbeitskampfmaßnahmen lässt sich weder mit Art. 137 Abs. 5 EG (nunmehr Art. 153 Abs. 5 AEUV) noch mit einer Analogie zur Rechtsprechung in der Rechtssache Albany oder mit dem gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtscharakter des Streiks begründen. Eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit ist bei einem Standortarbeitskampf gegeben, da Standortverlagerungsvorhaben des Arbeitgebers vom sachlichen Gewährleistungsgehalt von Art. 43 Abs. 1 EG (nunmehr Art. 49 Abs. 1 AEUV) umfasst sind und Kampfmaßnahmen eine Beschränkung darstellen.

C. Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit Somit stellt sich die eigentliche Kernfrage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch einen 130 So die Forderung der IG Metall nach einer gesetzlichen Verlagerungsabgabe, vgl. Direkt, Info-Dienst der IG Metall, 5/2006, S. 1. 131 Vgl. Rebhahn, WBl. 2008, 63 (66 f.). 132 Ebenso im Ergebnis Bayreuther, EuZA 2008, 395 (406); Franzen, in: FS Buchner, S. 232 (241 f.); Schubert, RdA 2008, 289 (298).

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Kap. 6: Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

Standortstreik gerechtfertigt ist, wenn die Gewerkschaft anlässlich einer Verlagerung der Betriebsstätte von Deutschland in einen EU-Mitgliedsstaat die Streikforderung Verlagerungsverzicht oder Abschluss eines Tarifsozialplans erhebt.

I. Bisheriger Meinungsstand 1. Lösung des EuGH Im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung weist der EuGH darauf hin, dass die Gemeinschaft nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine soziale Zielrichtung verfolge und diese mit der Sozialpolitik verknüpften Ziele mit den Marktfreiheiten abgewogen werden müssten.133 Die Tätigkeit der Gemeinschaft umfasse nicht nur die Beseitigung der Hindernisse für Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr, sondern ebenso sei „eine Sozialpolitik“ Aufgabe der Gemeinschaft.134 Zur Prüfung, ob die von den gewerkschaftlichen Aktionen ausgehende Beschränkung der Marktfreiheiten gerechtfertigt sein könne, wird darauf abgestellt, dass eine Beschränkung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nur zulässig sei, wenn mit ihr ein berechtigtes und mit dem Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt werde und wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei.135 Die Beschränkung müsse außerdem geeignet sein, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und dürfe nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich sei. Das Recht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme, die den Arbeitnehmerschutz zum Ziel hat, stelle ein berechtigtes Interesse dar, das grundsätzlich eine Beschränkung der Grundfreiheiten rechtfertigen könne; der Schutz der Arbeitnehmer sei zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses zu zählen.136 Eine Abwägung im Sinne des Prinzips praktischer Konkordanz, wie sie in den Schlussanträgen des Generalanwalts Maduro137 noch angedeutet wurde, unterblieb jedoch. In der Rechtssache Viking Line weist der EuGH nach diesen grundsätzlichen Aussagen darauf hin, dass es im vorliegenden Fall Sache des vorlegenden, also des nationalen Gerichts sei, zu prüfen, ob die Ziele, welche von der Gewerk133 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (130), Rn. 79 – Viking Line; EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (167), Rn. 105 – Laval. 134 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (129), Rn. 78 – Viking Line; EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (166), Rn. 104 – Laval. 135 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (129), Rn. 75 – Viking Line; EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (166), Rn. 103 – Laval. 136 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (129), Rn. 77 – Viking Line; EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (166), Rn. 103. – Laval. 137 Schlussanträge v. 23.5.2007 – Rs. C-438/05, Rn. 57 ff. – Viking Line.

C. Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

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schaft verfolgt wurden, dem Schutz der Arbeitnehmer galten.138 Maßgeblich sei dabei, ob die fraglichen Arbeitsplätze oder Arbeitsbedingungen ernsthaft gefährdet oder bedroht waren.139 Hinsichtlich der Eignung des Streiks stünde es fest, dass Kollektivmaßnahmen eines der Hauptmittel einer Gewerkschaft zum Schutz der Mitgliederinteressen darstellten.140 Bei der Erforderlichkeit habe das nationale Gericht daher zu prüfen, ob das Tarifrecht nicht andere, die Niederlassungsfreiheit weniger beschränkende Mittel vorsehe.141 Hinsichtlich der Beurteilung der Billigflaggen-Politik der ITF sah der EuGH dagegen keine Rechtfertigungsmöglichkeit und bewertete die bisherige Vorgehensweise als europarechtswidrig, da die Maßnahmen unabhängig von der Frage eingeleitet würden, ob die Ausübung der Niederlassungsfreiheit schädliche Wirkungen auf die Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen der betroffenen Arbeitnehmer haben könne oder nicht.142 In der Rechtssache Laval wurde zunächst festgestellt, dass die Blockade der Baustelle im schwedischen Vaxholm, auf der entsandte lettische Arbeitnehmer beschäftigt wurden, dem Arbeitnehmerschutz diente.143 Die beschäftigten Arbeitnehmer sollten dem Geltungsbereich eines lettischen Tarifvertrags fallen, der deutlich unter dem Niveau schwedischer Tarifverträge lag, obwohl der öffentlich ausgeschriebene Bauauftrag vorsah, dass für die Bauarbeiten schwedisches Tarifrecht gelten solle. Was jedoch die Verpflichtungen anginge, die mit dem Beitritt zum schwedischen Bautarifvertrag verbunden seien, den die gewerkschaftlichen Organisationen Laval aufzwingen wollte, lasse sich die Behinderung, die mit dieser kollektiven Maßnahme einhergehe, nicht im Hinblick auf das Ziel des Arbeitnehmerschutzes rechtfertigen. Der Arbeitgeber der entsandten Arbeitnehmer sei nach Maßgabe der Entsenderichtlinie lediglich gehalten, einen Kern zwingender Bestimmungen über ein Mindestmaß an Schutz im Aufnahmemitgliedstaat zu beachten.144 Hinsichtlich der zu beurteilenden Kollektivmaßnahmen weist der EuGH auf den Grundsatz hin, dass es das Gemeinschaftsrecht nicht untersage, gegenüber ausländischen Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat die Beachtung der eigenen Vorschriften im Bereich eines Mindestlohns mit geeigneten Mitteln durchzusetzen.145 Mangels Transparenz erfülle das schwedische 138

EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (130), Rn. 80 – Viking

Line. 139

EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (130), Rn. 81 – Viking

Line. 140

EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (130), Rn. 86 – Viking

Line. 141

EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (130), Rn. 87 – Viking

Line. 142

EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (130), Rn. 88 f. – Viking

Line. 143 144 145

EuGH v. 18.12. 2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (166), Rn. 107 – Laval. EuGH v. 18.12. 2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (166), Rn. 108 – Laval. EuGH v. 18.12. 2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (166), Rn. 109 – Laval.

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Kap. 6: Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

Recht in Bezug auf Entsendesachverhalte die europarechtlichen Vorgaben jedoch nicht. Diese erforderten es, dass die Unternehmen in der Praxis feststellen könnten, welche Verpflichtungen sie beachten müssten.146 Im Rüffert-Urteil vom 3.4.2008 hat der EuGH147 diese Ansätze insoweit fortentwickelt und entschieden, dass eine Tariftreueklausel des niedersächsischen Vergabegesetzes keine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertige, da diese nicht aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes gerechtfertigt sei. In einer weiteren, die Koalitionsfreiheit betreffenden Entscheidung hat der EuGH148 das luxemburgische Entsendegesetz als europarechtswidrig bewertet und wiederum die Entsenderichtlinie extensiv interpretiert. 2. Kritik aus dem Schrifttum Diese Rechtsprechung hat im Schrifttum erhebliche Kritik nach sich gezogen: Dass der EuGH die sog. „Gebhard-Formel“ heranziehe, welche für staatliche Eingriffe in Grundfreiheiten entwickelt worden sei, führe dazu, dass das Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen als Bestandteil des schützenswerten Allgemeininteresses nur noch „mittelbar in den Abwägungsprozess hineinschimmere“ 149. Anstatt die Prüfung auf die Zulässigkeit eines Eingriffs in die Grundfreiheit zu beschränken, hätte der EuGH sein Postulat der Gleichrangigkeit von Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen und Niederlassungsfreiheit durch eine Abwägung nach der Systematik der praktischen Konkordanz, also der wechselseitigen Optimierung der Gewährleistungen, zum Ausdruck bringen müssen.150 Demjenigen, der sein Gemeinschaftsgrundrecht ausübe, werde einseitig die Rechtfertigungslast bezüglich der damit zwangsläufig verbundenen Beeinträchtigung einer Grundfreiheit auferlegt.151 Dies entwerte das Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen. Im Ergebnis würde somit das Streikrecht 146

EuGH v. 18.12. 2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (166), Rn. 110 – Laval. EuGH v. 3.4.2008 – Rs. C-346/06, NZA 2008, 537 ff – Rüffert; siehe hierzu Bayreuther, NZA 2008, 626 ff.; Koberski/Schierle, RdA 2008, 233 ff.; Thüsing/Granetzny, NZA 2009, 183 ff. 148 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-319/06, NZA 2008, 865 ff. – Luxemburg. 149 Bayreuther, EuZA 2008, 395 (401); ebenso Franzen, in: FS Buchner, S. 231 (238); Pießkalla, NZA 2007, 1144 (1147). 150 Bücker, NZA 2008, 212 (215 f.); Däubler, AuR 2008, 409 (415); Kocher, AuR 2008, 13 (15 f.); Maack, ZIAS 2008, 355 (359); Nagel, AuB 2009, 155 (159 f.); Rebhahn, ZESAR 2008, 109 (112); ders., WBl. 2008, 63 (67 ff.); Wendeling-Schröder, AiB 2008, 179 (182); Zwanziger, BB 2008, 294 (295 ff.); Schubert, RdA 2008, 289 (295): „Es bleibt zu wünschen, dass das Grundrecht bei der Beurteilung der Angemessenheit der kollektiven Maßnahme zukünftig die Berücksichtigung findet, die seiner Rechtsqualität entspricht“; zurückhaltender dagegen Temming, ELR 2008, 190 (199); Wißmann, AuR 2009, 149 ff. 151 Vgl. Blanke, in: Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 131 (137); Kempen, in: GS Zachert, S. 15 (34). 147

C. Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

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den wirtschaftlichen Grundfreiheiten nachgeordnet und die Ausübung der Niederlassungsfreiheit auch dann „offenbar schrankenlos“ für zulässig erachtet, wenn diese gezielt zum Sozialdumping genutzt werde.152 Ein Rückgriff auf die für die staatlichen Maßnahmen entwickelten Rechtfertigungsgründe sei dogmatisch nicht überzeugend.153 Manche Autoren gestehen zwar ein, dass die vom EuGH vorgenommene Anwendung des Verhältnismäßigkeitprinzip durchaus mit der „Rechtssituation der Mitgliedsstaaten ganz allgemein kompatibel sei“ 154, kritisieren aber ebenfalls, dass das Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen nicht gänzlich außen vor bleiben dürfe.155 In den Urteilen zu den Rechtssachen Schmidberger und Omega habe der EuGH den Konflikt zwischen Marktfreiheiten auf der einen Seite und Menschenwürde, Versammlungs- und Meinungsfreiheit auf der anderen Seite mittels eines bipolaren Abwägungsprozesses gelöst und diese vorzugswürdige Vorgehensweise bei der Auflösung des Konflikts von Marktfreiheiten und Streikfreiheit gänzlich außen vor gelassen.156 Junker157 weist darauf hin, dass diese Ungereimtheit dann offensichtlich würde, wenn man sich vorstelle, das BVerfG führe zunächst aus, dass sich die streikführende Gewerkschaft auf das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG berufen könne und an späterer Stelle, wenn es um die Abwägung mit den Grundrechten des bestreikten Arbeitgebers ginge, danach fragen würde, ob der Arbeitnehmerschutz und das Sozialstaatsprinzip den vom Streik ausgehenden Eingriff in das Grundrecht des Arbeitgebers rechtfertige. Diese kritikwürdige Vorgehensweise liege wohl auch darin begründet, dass der EuGH nicht in der Lage sei, dem Gemeinschaftsgrundrecht auf Streik einen „greifbaren Inhalt“ zu geben und daher auf das Allgemeininteresse „ausweiche“.158 Indem der EuGH in der Viking Line-Entscheidung zudem mehrfach darauf hinweise, dass es Sache des nationalen Gerichts sei, die Reichweite der Koalitionsfreiheit zu bestimmen und das Recht auf Kollektivmaßnahmen den Gewerkschaften „insbesondere vom nationalen Recht zuerkannt würden“, werde es den nationalen Gerichten überlassen, das Gemeinschaftsgrundrecht auf kollektive Maßnahmen mit Leben zu füllen.159 Ohne eigenständige und systematische Auslegung des Grundrechts auf Kollektivmaßnahmen durch den EuGH selbst sei es jedoch unmöglich, die Grenzen der Streikfreiheit bei Konflikten mit den Markt152

Vgl. Sunnus, AuR 2008, 1 (11). Pießkalla, NZA 2007, 1144 (1147). 154 Wendeling-Schröder, AiB 2008, 179 (183). 155 Däubler, AuR 2008, 409 (415). 156 Däubler, AuR 2008, 409 (415); Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (473 ff.); Zwanziger, BB 2008, 294 (295). 157 Junker, SAE 2008, 209 (215). 158 Junker, SAE 2008, 209 (216). 159 Bücker, NZA 2008, 212 (215); Junker, SAE 2008, 209 (216). 153

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freiheiten zu bestimmen. Ansonsten würde verkannt, dass die Gemeinschaftsgrundrechte neben dem nationalen Recht stünden.160 Zudem bleibe im Ergebnis letztendlich unklar, welches Gericht nun zuständig sei, die betreffende Streikaktion zu bewerten, da der EuGH in der Viking Line-Entscheidung die Beurteilung der Streikmaßnahmen der FSU dem nationalen Gericht übertragen hatte, die Billigflaggen-Politik der ITF aber untersagte.161 Dies bringe eine erhebliche Rechtsunsicherheit für die nationalen Arbeitsgerichte mit sich, wenn sie zukünftig über Streikmaßnahmen zu entscheiden hätten, welche eine Beschränkung von Grundfreiheiten des Arbeitgebers darstellen. Dass das Grundrecht auf Kollektivmaßnahmen vom EuGH zwar hergeleitet, aber nicht im Rahmen einer Abwägung begrenzend gegenüber den Markfreiheiten in Stellung gebracht würde, habe weitreichende Folgen: Die kooperative Arbeitsteilung durch BVerfG und EuGH hinsichtlich des Grundrechtsschutzes basiere gerade darauf, dass der europäische Grundrechtsschutz nicht hinter dem deutschen Niveau zurückbleibe.162 3. Folgen für die deutsche Arbeitskampfrechtsordnung Selbst wenn man den EuGH hinsichtlich des Prüfungsmaßstabs kritisiert, wird man dennoch kaum bestreiten können, dass diese Rechtsprechung bei der zukünftigen Beurteilung von Standorttarifkonflikten von entscheidender Bedeutung ist. Wie hätte also ein deutsches Arbeitsgericht einen Streik aus Anlass einer grenzüberschreitenden Verlagerung zu beurteilen, wenn es diese Maßstäbe zugrunde legt? Die Deutungen der Rechtsprechung und ihrer Auswirkungen für die Beurteilung von Arbeitskämpfen aus Anlass von Verlagerungen deutscher Betriebsstätten in einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union sind vielfältig.163 Die Mehrzahl der Autoren gelangt zum Ergebnis, dass ein Streik, welcher auf die Verhinderung der grenzüberschreitenden Verlagerung abziele, europarechtswidrig sei.164 Ein Streik um einen Tarifsozialplan stünde nach vorherrschender Ansicht der Literaturvertreter jedoch mit der Niederlassungsfreiheit in Einklang.165 Dagegen 160

Bücker, NZA 2008, 212 (215). Wendeling-Schröder, AiB 2008, 179 (182). 162 Däubler, AuR 2008, 409 (415); Kocher, AuR 2009, 332 ff.; Nagel, AuR 2008, 155 (160). 163 Siehe hierzu bereits in Einleitung A. 164 Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (475 f.); Krieger/Wiese, BB 2010, 568 (570); Schlachter, in: FS Birk, S. 809 (817); Schubert, RdA 2008, 289 (296); Temming, ELR 2008, 190 (200 f.); wohl auch Bücker, NZA 2008, 212 (216); so früher schon MünchArbR-Birk, 2. Aufl., § 19 Rn. 446. 165 Bayreuther, EuZA 395 (402 f.); Bücker, NZA 2008, 212 (216); Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (475 f.); Pießkalla, NZA 2007, 1144 (1148); Schubert, RdA 2008, 289 161

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sprechen sich einige Autoren dafür aus, die vom EuGH aufgestellte Verhältnismäßigkeitsschranke restriktiver als der Erste Senat des BAG zu handhaben, und bewerten einen Streik, der um die soziale Abmilderung von grenzüberschreitenden Verlagerungsentscheidungen geführt wird, als unverhältnismäßig, da das nationale Recht das betriebliche Verfahren als „milderes Mittel“ zur sozialen Absicherung der Arbeitnehmerinteressen vorsehe: Wenn das betriebliche Verfahren noch nicht abgeschlossen sei, müsse man einen Streik als nicht erforderlich ansehen.166 Andere Stellungnahmen bewerten wiederum auch einen Streik, der sich ausdrücklich gegen die Verlagerungsentscheidung des Arbeitgebers richtet, als europarechtskonform.167 Dabei wird darauf hingewiesen, dass in diesem Fall weiterhin das nationale Recht darüber entscheide, ob der Streik rechtmäßig sei.168

II. Stellungnahme 1. Ausgangspunkt: Notwendigkeit eines verhältnismäßigen Ausgleichs a) Bei der Frage, wie eine Kollision zwischen der Ausübung von Grundfreiheiten und der Wahrnehmung von Gemeinschaftsgrundrechten im Einzelnen zu lösen ist, hilft das Primärrecht nicht weiter, fehlt doch bisher eine klarstellende Regelung des europäischen Gesetzgebers für diesen Konflikt. Dennoch gilt es als anerkannt, dass Gemeinschaftsgrundrechte als Schranken der Grundfreiheiten in Betracht kommen und die Rechtfertigungstatbestände des Gemeinschaftsrechts (296); Zwanziger, DB 2008, 294 (297); wohl auch Hanau, NZA 2010, 1 (5); Henssler, in: FS Richardi, S. 553 (562); differenzierend Temming, ELR 2008, 190 (199 ff.); a. A. Bennecke, in: FS Buchner, S. 96 (100 f.); Krieger/Wiese, BB 2010, 568 (570 ff.); wohl auch Rieble, BB 2008, 1506 (1509 f.); in diese Richtung tendieren wohl auch Kocher, AuR 2008, 13 (17 f.); dies., AuR 2009, 332 (333); Mayer, in: GS Zachert, S. 51 (55); Nagel, AuR 2009, 155 (159); Wißmann, AuR 2009, 149 ff., welche befürchten, dass mit der Rechtsprechung des EuGH eine Aushöhlung von Art. 9 Abs. 3 GG einhergehen, bzw. eine gewisse Tarifzensur folgen könnte, welche das BAG gerade zum Anlass nahm, Streikforderungen nach Abschluss eines Tarifsozialplans nicht auf ihren Umfang hin zu untersuchen (siehe Kapitel 5 A. II. 1.). 166 So Junker, ZfA 2009, 281 (292); vorsichtiger Franzen, in FS Buchner, S. 231 (243); a. A. Däubler, AuR 2008, 409 (416); Zwanziger, BB 2008, 294 (297); wohl auch Bayreuther, EuZA 2008, 395 (495); für eine restriktive Verhältnismäßigkeitsprüfung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten auch Rieble, BB 2008, 1506 (1509 f.); vgl. auch Däubler, AuR 2008, 409 (416): „Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene bleiben die Konturen des Verhältnismäßigkeitsprinzips allerdings unsicher.“ 167 Vgl. Bayreuther, EuZA 395 (404 f.); Däubler, AuR 2008, 409 (416); Franzen, in: FS Buchner, S. 231 (243); Sunnus, AuR 2008, 1 (10 f.); wohl auch Berg/Platow/ Schoof/Unterhinninghofen, TVG und Arbeitskampfrecht, AKR Rn. 32b; Pießkalla, NZA 2007, 1144 (1148), der jedoch einen Verstoß gegen die Diensleistungsfreiheit annimmt, wenn die Verlagerung vollzogen ist und die kollektiven Maßnahmen darauf abzielen, die im Ausland angebotene Dienstleistung zu behindern. 168 Bayreuther, EuZA 395 (405); Franzen, in: FS Buchner, S. 231 (243).

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im Lichte der Grundrechte auszulegen sind.169 Den Gemeinschaftsgrundrechten kommt insoweit eine Doppelfunktion zu.170 Hier ist nun zu untersuchen, inwieweit die Wahrnehmung des gemeinschaftsrechtlich garantierten Grundrechts auf Arbeitskampffreiheit geeignet ist, eine Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit darzustellen. Der EuGH verknüpft daher die Frage der Kollision des Gemeinschaftsgrundrechts auf Kollektivmaßnahmen mit den Marktfreiheiten in seinen Entscheidungen Viking Line und Laval zu Recht mit der Prüfung, inwieweit eine Rechtfertigung der Beschränkungen der Marktfreiheiten in Betracht kommt.171 Dabei greift der EuGH auf den Grundrechtsschutz als ungeschriebenen Rechtfertigungstatbestand zurück, wenn er fordert, dass ein berechtigtes und mit dem Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt werde und wenn das staatliche grundfreiheitsbeschränkende Vorgehen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genüge. Dass diese Beschränkungen, die mit der Ausübung des Grundrechts zwangsläufig einhergehen, durch Private und nicht durch einen Mitgliedsstaat erfolgen, wird nicht näher problematisiert. Dies ist als „neuralgischer Punkt“ der Rechtsprechung des EuGH im Viking Line-Urteil und in der Laval-Entscheidung zu bezeichnen, wenn man sie so deutet, dass die Besonderheiten des Grundrechts auf Kollektivmaßnahmen nicht in die Abwägung mit der Niederlassungsfreiheit mit einfließen sollen. Den Kritikern aus dem Schrifttum ist beizupflichten, dass ein deutlicher Bezug auf das „soeben hergeleitete“ Gemeinschaftsgrundrecht wünschenswert gewesen wäre, um auch zukünftige Kollisionsfälle lösen zu können. So muss sich der EuGH nun entgegenhalten lassen, dass die Gewerkschaften eben nicht Allgemeininteressen, sondern ausschließlich die Interessen ihrer Mitglieder wahrnehmen.172 Schon dies verdeutlicht, dass das alleinige Abstellen auf zwingende Gründe des Allgemeininteresses nicht auf die Durchführung von Streikmaßnahmen passt und zwangsläufig die Gefahr besteht, dass keine sachgerechten Abwägungsergebnisse erzielt werden.173 Geht man von der grundsätzlichen Gleichrangigkeit von Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen und Niederlassungsfreiheit aus,174 liegt es stattdessen nahe, auf den Grundsatz praktischer Konkordanz abzustellen, um so einen verhältnismäßigen Ausgleich der gegenläufigen Interessen herbeiführen zu können und sowohl der Grundfreiheit als auch dem Gemein-

169

Vgl. Ehlers-Ehlers, EuGR, § 14 Rn. 13; Schultz, Verhältnis, S. 112 u. 137 m.w. N. Vgl. Schindler, Kollision, S. 134 ff. 171 Deutlich auch Skouris, RdA 2009, 25 (27): „Die Reihenfolge, in der der Gerichtshof Grundfreiheiten und Grundrechte prüft, darf also nicht als Ausruck einer hierarchischen Struktur verstanden werden.“ 172 Zutreffend Franzen, in: FS Buchner, S. 231 (239); Junker, SAE 2008, 209 (215). 173 Ebenso Bücker, NZA 2008, 212 (215). 174 Siehe Kapitel 6 B. II. 3. b). 170

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schaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen ausreichend Gewicht beizumessen.175 Auch der EuGH betont in den Entscheidungen zu den Rechtssachen Viking Line und Laval ausdrücklich diese Notwendigkeit einer Abwägung.176 Dabei wird herausgestellt, dass der Grundrechtsschutz ein berechtigtes Interesse darstellt, welches Beschränkungen der Grundfreiheiten nach sich ziehen kann, was an die Entscheidungen Schmidberger und Omega erinnert, in denen der EuGH ebenfalls klarstellte, dass die Grundfreiheiten und Grundrechte nicht schrankenlos gewährleistet würden und ein angemessener Ausgleich zwischen diesen Gewährleistungen herzustellen sei. Insofern lässt sich den Entscheidungen in den Rechtssachen Viking Line und Laval nicht unbedingt entnehmen, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung stets ohne Berücksichtigung des Grundrechtsschutzes der Arbeitskampffreiheit zu erfolgen hätte.177 Es gilt durchaus zu bedenken, dass die Entscheidungen von den Besonderheiten der zugrunde liegenden Einzelfälle erheblich geprägt sind. Aus ihnen folgt jedenfalls deutlich, dass die Ausübung des Gemeinschaftsgrundrechts auf Streik geeignet ist, die Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit zu beschränken. Auf die zum Teil heftige Kritik gegenüber dem EuGH lässt sich zudem entgegnen, dass nationale Grundrechtslehren dem europäischen Recht „nicht einfach übergestülpt werden dürfen“ 178. Im deutschen Verfassungsrecht hat sich das Prinzip praktischer Konkordanz fest etabliert, ermöglicht es doch Lösungen, die einen angemessenen Ausgleich in sich tragen, da beide Grundrechtsgewährleistungen bestmöglich zur Entfaltung kommen sollen. Trotz einer grundsätzlichen Gleichrangigkeit von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten könnte man annehmen, dass es die Eigenarten der Grundfreiheiten als Mittel zur Durchsetzung des gemeinsamen Binnenmarktes erfordern, diesen im Verhältnis zu den Gemeinschaftsgrundrechten ein höheres Gewicht beizumessen. So ließe sich durchaus argumentieren, dass den Marktfreiheiten als konstituierendem Element eine herausgehobene Stellung beizumessen ist.179 Sie werden neben den Diskriminierungsverboten als der „Motor der europäischen Rechtsentwicklung im Arbeitsrecht“ 180 ausgemacht. 175 Umfassend hierzu Gebauer, Grundfreiheiten, S. 319 ff.; Schindler, Kollision, S. 165 ff.; so im Ergebnis auch Frenz, Handbuch Europarecht, Band 4, Rn. 403; Jeschke, Streik, S. 189; Kadelbach/Petersen, EuGRZ 2003, 693 (697); Reich, EuZW 2007, 391 (393); Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 1008. 176 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (127), Rn. 46 – Viking Line; EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (165), Rn. 93 – Laval. 177 Ebenso Bayreuther, EuZA 2008, 395 (400); Frenz, Handbuch Europarecht, Band 4, Rn. 403; Schubert, RdA 2008, 289 (294). 178 Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 85. 179 Vgl. Wißmann, AuR 2009, 149 (150); ähnlich Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (467 f.). 180 MünchArbR-Ricken, § 197 Rn. 18.

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Auch dies steht allerdings einer Lösung, welche einen Ausgleich mittels praktischer Konkordanz sucht, nicht zwingend im Weg. Dieser Umstand könnte im Rahmen der Abwägung Bedeutung erlangen und sich gerade in ihr niederschlagen.181 Es bietet sich an, dies im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf der Ebene der Angemessenheit zu berücksichtigen, um so auch die Aufgabe, eine sozial ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftsleben zu fördern, und die Verfassungstraditionen der Mitgliedsstaaten, welche in den Gemeinschaftsgrundrechten zum Ausdruck kommen, miteinbringen zu können. Gegenüber der recht pauschalen Kritik bezüglich der Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der Ausübung von Grundrechten lässt sich entgegnen, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einen allgemeinen und entscheidenden Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts darstellt, welcher Grundrechte und Grundfreiheiten zugleich betrifft.182 Auch im nationalen Verfassungsrecht unterliegt die Grundrechtsausübung Schranken, sofern kollidierende Interessen mit Verfassungsrang durch sie berührt werden. Mit Blick auf die Grundrechtsqualität des Rechts auf kollektive Maßnahmen wird man daher nicht allein auf den Arbeitnehmerschutz abstellen dürfen, sondern ist gehalten, auch die Wertungen der Koalitionsfreiheit heranzuziehen.183 Insoweit ist der nahezu einhelligen Kritik im Schrifttum zuzustimmen. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass der Grundrechtsschutz auf Gemeinschaftsebene gänzlich ins Leere ginge und keine Wirkung entfaltem könnte. Dies hätte mit Blick auf die Funktion der Gemeinschaftsgrundrechte erhebliche Auswirkungen: Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts führt dazu, dass nationale Grundrechte nicht gegenüber den Grundfreiheiten in Stellung gebracht werden können. Diese Lücke füllt der Schutz durch die Gemeinschaftsgrundrechte, die eine einheitliche Rechtsanwendung sichern und gerade auf den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten aufbauen. Weiterhin ist zu bedenken, dass auch die von den Grundfreiheiten geschützten Gewährleistungen Bestandteile der nationalstaatlichen Verfassungen sind.184 Dies spricht ebenfalls für die Notwendigkeit der Herstellung eines verhältnismäßigen Ausgleichs zwischen den kollidierenden Interessen, unabhängig davon, ob sie durch Grundfreiheit oder Gemeinschaftsgrundrecht geschützt werden. Nur so wird für den vorliegenden Kollisionsfall verhindert, dass eine Schieflage zu Lasten der Kampffreiheit entsteht, wenn man als Anknüpfungspunkt die Prüfung der Rechtfertigung von Beschränkungen der Marktfreiheiten wählt. Die Einwände aus dem Schrifttum gegenüber der Vorgehensweise des EuGH, nur auf den Arbeitnehmerschutz als Rechtfertigungsgrund abzustellen, weisen 181 182 183 184

Vgl. Schultz, Verhältnis, S. 117 ff. Siehe hierzu Koch, Verhältnismäßigkeit, S. 174 ff. Ebenso deutlich Schubert, RdA 2008, 289 (297). Vgl. Frenz, EuR 2002, 603 (606 f.).

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auf einen weiteren Punkt hin, der für die Notwendigkeit einer Heranziehung des Gemeinschaftsgrundrechts spricht. Man wird nicht zum Ergebnis gelangen, dass das Abstellen auf den Arbeitnehmerschutz als zwingenden Grund des Allgemeininteresses zur Beschränkung gewerkschaftlicher Befugnisse führen muss. Das Gegenteil wird vielmehr der Fall sein.185 Junker186 bemerkt hierzu treffend: „Zwar ist der Schutz des Schwächeren im Recht in der Tat ein Allgemeininteresse, aber wie viel Arbeitnehmerschutz es denn sein darf bzw. sein muss, lässt sich auch unter Hinzunahme des Sozialkapitels des EG-Vertrags (Art. 136 ff. EG) nicht plausibel herleiten.“

Somit ist nochmals festzuhalten: Konflikte zwischen Gemeinschaftsgrundrechten und Grundfreiheiten sind grundsätzlich im Wege einer Abwägung der gegenläufigen Interessen aufzulösen. Diese Prüfung erfolgt im Rahmen der Überprüfung der Erforderlichkeit und Angemessenheit der Beschränkung von einschlägiger Grundfreiheit durch Kollektivmaßnahmen. b) Nun könnte man einwenden, dass sich in der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Viking Line keine Aussagen zur Prüfung der Angemessenheit einer Beschränkung von Markfreiheiten durch gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen finden. Dabei gilt es zu bedenken, dass eine Rechtfertigung der Beschränkung der Marktfreiheiten durch die Billigflaggenpolitik der ITF in der Rechtssache Viking Line aber schon deswegen nicht in Betracht kam, weil von der Gewerkschaft schon gar kein berechtigtes Interesse an der Kollektivmaßnahme ins Feld geführt werden konnte.187 Hinsichtlich der Vorgehensweise der FSU beschränkte sich der EuGH darauf, dem nationalen Gericht den Maßstab hinsichtlich der Prüfung der Erforderlichkeit aufzuzeigen.188 Man kann also – wie bereits angesprochen – den EuGH durchaus so zu verstehen, dass es eines konkreteren Rückgriffs auf das Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen im Rahmen der Angemessenheitsprüfung in den zu entscheidenden Fällen nicht bedurfte. Dennoch wird diese Rechtsprechung zum Teil so gedeutet, dass der EuGH auf eine Angemessenheitsprüfung gänzlich verzichten wolle.189 Dies stünde durchaus in der Tradition der Rechtsprechung des EuGH, der es im Fall des Bestehens eines legitimen Ziels vielfach bei einer zweistufigen Verhältnismäßigkeitsprüfung belassen und die Angemessenheit der Maßnahme nicht als gesonderten Prüfungspunkt herausgestellt hat.190 Obwohl die Mehrzahl der

185 186 187

Vgl. Bayreuther, EuZA 395 (402). Junker, SAE 2008, 209 (215). EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (130), Rn. 89 – Viking

Line. 188

EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (130), Rn. 84 – Viking

Line. 189 190

Vgl. etwa Zwanziger, DB 2008, 294 (297). Vgl. die Nachweise bei Ehlers-Ehlers, EuGR, § 7 Rn. 110.

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Kap. 6: Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

Autoren im deutschen Schrifttum davon ausgeht, dass die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Europarecht wie im deutschen Recht nicht nur eine Prüfung der Geeignetheit und Erforderlichkeit, sondern eben auch die Kontrolle der Angemessenheit umfasse,191 überwiegen in der ausländischen Literatur zweistufige Definitionen der Verhältnismäßigkeit.192 Dies hat sich auch in der Rechtsprechung des EuGH niedergeschlagen.193 In der Normierung der Verhältnismäßigkeit in Art. 52 Abs. 1 S. 1 GRC ist das Kriterium der Angemessenheit ebenfalls nicht erwähnt worden. Dies darf allerdings keinesfalls so verstanden werden, dass überhaupt keine Interessenabwägung mehr stattfindet. Angemessenheitserwägungen fließen häufig in die Prüfung der Notwendigkeit einer Maßnahme mit ein.194 Dass die Erforderlichkeitsprüfung als das „dominante Kriterium“ 195 innerhalb der gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung wahrgenommen wird,196 liegt auch darin begründet, dass der EuGH bereits an dieser Stelle der Prüfung Abwägungsentscheidungen und Güterabwägungen vornimmt.197 Es wäre also jedenfalls verfehlt, aus der Viking Line-Entscheidung abzuleiten, dass der EuGH auch zukünftig von einer Angemessenheitskontrolle absehen wird, wenn zu überprüfen ist, ob die von Kollektivmaßnahmen ausgehende Beschränkung von Grundfreiheiten gerechtfertigt ist. Das Gegenteil wäre – wie bereits dargestellt – vielmehr geboten: Die Prüfung der Angemessenheit erlangt gerade dort, wo Grundfreiheiten und Grundrechte kollidieren, eine besondere Bedeutung.198 2. Inhalt des Gemeinschaftsgrundrechts auf Kollektivmaßnahmen Sucht man eine Lösung mittels Abwägung grundsätzlich gleichrangiger Gewährleistungen, stellt sich die Frage, welchen Inhalt das Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen aufweist. Damit die betreffende Kampfmaßnahme überhaupt eine gerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen kann, müsste sie vom sachlichen Schutzbereich des Gemeinschaftsgrundrechts umfasst sein. Auch diesbezüglich stehen die Überlegungen erst am Anfang. An den Entscheidungen in den Rechtssachen Viking Line und Laval wird zu Recht kritisiert, 191

Vgl. die Nachweise bei Koch, Verhältnismäßigkeit, S. 218 Fn. 312. Siehe hierzu die Rechtsumschau von Koch, Verhältnismäßigkeit, S. 63 ff. 193 Vgl. die Nachweise bei Koch, Verhältnismäßigkeit, S. 217 f. 194 Vgl. Koch, Verhältnismäßigkeit, S. 219. 195 Treffend Koch, Verhältnismäßigkeit, S. 209. 196 Vgl. Calliess/Ruffert-Kingreen, EUV/EGV, Art. 28–30 EGV Rn. 93; StreinzMüller-Graff, EUV/EGV, Art. 43 EGV Rn. 71 ff. 197 Koch, Verhältnismäßigkeit, S. 216. 198 Calliess/Ruffert-Kingreen, EUG/EGV, Art. 28–30 EGV Rn. 98 m.w. N. 192

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dass sie dazu nicht ausdrücklich Stellung beziehen, ausschließlich auf das Kriterium des Arbeitnehmerschutzes abstellen und bei der Abwägung auf die sozialen Ziele der Gemeinschaft hinweisen.199 Dennoch lassen sich in diesen Entscheidungen einige Aussagen finden, die bei der Bestimmung des Gewährleistungsgehalts des Gemeinschaftsgrundrechts auf Kollektivmaßnahmen fruchtbar gemacht werden können: a) Nach der Herleitung des Gemeinschaftsgrundrechts weist der EuGH darauf hin, dass die Ausübung des Grundrechts bestimmten Beschränkungen unterworfen sein könne.200 Weiter wird ausgeführt: „Denn wie in Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erneut bekräftigt wird, werden die genannten Rechte nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten geschützt.“ Darüber hinaus stellt der EuGH in der Viking-Line-Entscheidung klar, dass zumindest solche Kollektivmaßnahmen nicht vom Schutzbereich des Gemeinschaftsgrundrechts umfasst sind, wenn sie nicht auf die Verbesserung des Arbeitnehmerschutzes abzielen. Es sei Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die Ziele, welche verfolgt wurden, dem Schutz der Arbeitnehmer galten.201 In der Laval-Entscheidung verweist der EuGH ebenfalls auf nationales Recht: Die Blockade könne auch nach der schwedischen Verfassung ausgeübt werden, so dass zu prüfen sei, ob die Tatsache, dass die Gewerkschaft eines Mitgliedstaats eine Kollektivmaßnahme durchführen, eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstelle und, wenn dies der Fall sei, ob diese Beschränkung einer Rechtfertigung zugänglich sei.202 Es wird im Folgenden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Blockade, die darauf abziele, den grenzüberschreitend entsandten Arbeitnehmern Beschäftigungsbedingungen eines bestimmten Niveaus zu ermöglichen, unter das Ziel des Arbeitnehmerschutzes falle.203 Der EuGH stellt somit wie schon bei der Herleitung des Gemeinschaftsgrundrechts auf die zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft getretene GRC ab, was insoweit zu begrüßen ist, als dass so möglichen Unklarheiten zwischen den in der GRC normierten und den vom Gerichtshof entwickelten Gemeinschaftsgrundrechten vorgebeugt wird. Zweifelhaft ist allerdings, ob der EuGH in diesen Entscheidungen der Auslegungsvariante folgt, nach welcher der Wortlaut von Art. 28 GRC204 so zu verstehen ist, dass Gemeinschaftsrecht und einzelstaatliche 199

Deutlich etwa Schubert, RdA 2008, 289 (294). EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (127), Rn. 44 – Viking Line; EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (165), Rn. 91 – Laval. 201 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (130), Rn. 80 – Viking Line. 202 EuGH v. 18.12. 2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (165), Rn. 92 ff. – Laval. 203 EuGH v. 18.12. 2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (166), Rn. 107 – Laval. 204 Wortlaut: „Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber oder ihre jeweiligen Organisationen haben nach dem Gemeinschafts200

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Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten nicht als Schutzbereichsbegrenzung zu verstehen sind.205 Im Schrifttum wird diskutiert, ob nationale Rechtsvorschriften als Grundrechtsschranken oder bereits auf der Ebene des Schutzbereichs zu problematisieren sind.206 Eine eindeutige Aussage findet sich in den Entscheidungen des EuGH allerdings nicht, obgleich einzugestehen ist, dass der EuGH von „Beschränkungen“ spricht, um dann zum Wortlaut des Art. 28 GRC hinzuleiten.207 Im Ergebnis ist jedoch festzustellen, dass trotz der erheblichen Unterschiede vom dogmatischen Verständnis des Art. 28 GRC im Schrifttum Konsens darüber besteht, dass die Ausübung des Gemeinschaftsgrundrechts mit nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten in Einklang stehen muss, damit die Kampfmaßnahme auch aus dem Blickwinkel des Gemeinschaftsrechts überhaupt rechtmäßig sein kann. Die Mitgliedsstaaten haben also das Recht, die Grundrechtsausübung zu beschränken, aber ebenso die Pflicht, es auszugestalten.208 Insoweit bestehen wiederum Parallelen zum deutschen Verfassungsrecht: Die Ausgestaltung durch die Mitgliedsstaaten darf den Kern des europäischen Grundrechtsschutz nicht aushöhlen.209 Dies sind Grundsätze, die ebenfalls für die Ausgestaltung von Art. 9 Abs. 3 GG Geltung beanspruchen, der einerseits ausgestaltungsbedürftig ist und zugleich Einschränkungen der Freiheitsrechte zum Schutz von Gütern mit Verfassungsrang möglich macht.210 Die Auswirkungen dieses Streits sind somit marginal, als dass Gemeinschaftsrecht und nationale Rechtsvorschriften Beschränkungen mit sich bringen können und somit letztendlich auch das nationale Recht über die Zulässigkeit des Arbeitskampfes entscheidet. Nationale Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten wirken nach beiden Ansichten als „regulatives Ventil“ 211. Die Ausübung von Art. 28 GRC steht somit zumindest unter dem Vorbehalt ihrer einzelstaatlichen Zulässigkeit. Schon auf den ersten Blick wird deutlich, dass dies letztendlich einem einheitlichen Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene nicht förderlich ist.212 Dies recht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten das Recht, Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen sowie bei Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Interessen, einschließlich Streiks, zu ergreifen.“ 205 So die Interpretation von Temming, ELR 2008, 190 (198). 206 Siehe hierzu den Streitstand bei Sagan, Gemeinschaftsgrundrecht, S. 114 ff.; Engels, Arbeitskampfrecht, S. 364 ff. 207 Darauf abstellend Temming, ELR 2008, 190 (198). 208 Deutlich Sagan, Gemeinschaftsgrundrecht, S. 385 f. 209 Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (470); Tettinger/Stern-Rixen, Kölner GK-GRC, Art. 28 GRC Rn. 14. 210 Siehe Kapitel 4 A. II. 3. 211 Tettinger/Stern-Rixen, Kölner GK-GRC, Art. 28 GRC Rn. 14. 212 Vgl. Meyer-Riedel, GRC, Art. 28 Rn. 27 m.w. N.

C. Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

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wird aber vor dem Hintergrund des Art. 137 Abs. 5 EG (nunmehr Art. 153 Abs. 5 AEUV) durchaus verständlich. So wird verhindert, dass den Mitgliedsstaaten bestimmte Kampfformen „aufgedrängt“ werden, die nach ihren Gepflogenheiten nicht geschützt werden.213 Die Bedenken, die gegenüber der Zuständigkeit des EuGH bezüglich seiner Rechtsprechung in den Rechtssachen Viking Line und Laval aufgeführt wurden,214 greifen also an dieser Stelle. Art. 51 Abs. 1 GRC stellt ausdrücklich klar, dass durch die Charta keine neuen Zuständigkeiten geschaffen werden sollen. Vor diesem Hintergrund wird auch der in der Entscheidung Laval 215 angedeutete Bezug zum nationalen Recht durchaus verständlich: Das schwedische Arbeitskampfrecht legitimierte die betreffende Kampfmaßnahme. Nationale Rechtsvorschriften standen ihrer Zulässigkeit also nicht entgegen. Für die weitere Untersuchung ist jedoch von Bedeutung, dass die Auflösung des Spannungsverhältnisses von Gemeinschaftsgrundrecht und Grundfreiheit, sieht man von der Einschränkung durch nationale Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ab, weiterhin ausschließlich dem EuGH obliegt.216 Kritikwürdig wäre es daher, wenn man den EuGH so versteht, dass es Sache des nationalen Gerichts sei, den sachlichen Umfang des Gemeinschaftsgrundrechts und seine Reichweite im Verhältnis zur Niederlassungsfreiheit zu bestimmen. Ansonsten würde übersehen, dass Gemeinschaftsgrundrecht und nationaler Grundrechtsschutz gleichberechtigt nebeneinander stehen und insoweit strikt voneinander zu trennen sind.217 Neben dem nationalen besteht ein europäischer Grundrechtsschutz, welcher unter Rückgriff auf eine Gesamtschau der nationalen Verfassungen zu entwickeln ist und somit nicht notwendigerweise mit den Schutzgehalt eines nationalen Grundrechts in einem Mitgliedsstaat identisch sein muss. Damit wäre es unvereinbar, die Konkretisierung des Schutzbereichs des Gemeinschaftsgrundrechts auf Kollektivmaßnahmen und eine Entwicklung der Grundsätze zur Auflösung von Kollisionen mit den Marktfreiheiten den nationalen Gerichten zu überlassen. Versteht man den EuGH dagegen so, dass durch ihn das Konzept zum Ausgleich von Niederlassungs- und Koalitionsfreiheit bei Kollektivmaßnahmen entwickelt wird, welches die nationalen Gerichte in der Folge anzuwenden haben, im Rahmen der bisher ergangenen Entscheidungen in den Rechtssachen Viking Line und Laval kein Anlass für eine breitere Darstellung gegeben war und man die Vorschrift des Art. 28 GRC heranzog, um anzudeuten, dass man die Besonderheiten der einzelstaatlichen Ausgestaltung respektiere, ist dagegen nichts einzuwenden. 213

Siehe hierzu bereits Kapitel 2 C. V. 3. e). Siehe Kapitel 6 B. II. 1. 215 EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-341/05, NZA 2008, 159 (165), Rn. 92 – Laval. 216 Vgl. Temming, ELR 2008, 190 (198). 217 Frenz, Handbuch Europarecht, Band 4, Rn. 128 ff.; Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 52. 214

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Kap. 6: Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

b) Somit bleibt es dabei, dass aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedsstaaten herzuleiten ist, welchen sachlichen Schutz das Grundrecht auf Kollektivmaßnahmen auf europarechtlicher Ebene genießt. Daraus folgt etwa, dass nicht ausschließlich mit dem Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG argumentiert werden darf, obgleich dieser als einzelstaatliche Rechtsvorschrift im Sinne von Art. 28 GRC Bedeutung erlangt. Vielmehr gilt es zu klären, welche kollektiven Maßnahmen dem sachlichen Schutzbereich des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutzes im Einzelnen überhaupt unterliegen. Dazu müssen die betreffenden Kampfmaßnahmen aus den Grundlagen des europäischen Grundrechtsschutz abgeleitet werden, was eine „kursorische rechtsvergleichende Würdigung“ des Arbeitskampfrechts in den Mitgliedsstaaten voraussetzt.218 Dies wird zukünftig erheblichen Begründungsaufwand mit sich bringen, da das Arbeitskampfrecht in Europa unterschiedlich gewachsen und ausgestaltet ist. Auch vor diesem Hintergrund ist die Vorschrift des Art. 137 Abs. 5 EG (nunmehr Art. 153 Abs. 5 AEUV) zu sehen. Es wird zu überlegen sein, ob der Kampf um Rechtsstreitigkeiten, Sympathiearbeitskämpfe und wilde Streiks vom sachlichen Schutzbereich erfasst sind.219 Ausschließlich anhand des Wortlauts des Art. 28 GRC lassen sich solche Fragen nicht beantworten. Für die hier zu beurteilenden Standortarbeitskämpfe um Tarifforderungen stellen sich solche Probleme freilich nicht: Der Streik um einen Tarifvertrag entspricht den gemeinsamen Verfassungstraditionen220 und ist in Art. 28 GRC ausdrücklich vorgesehen. Sind bezüglich eines wilden und politischen Streiks, sowie bei einer Betriebsblockade erhebliche Bedenken bezüglich einer gemeinsamen Verfassungstradition anzumelden,221 lässt sich dennoch gegen Streik aus Anlass einer Standortverlagerungsentscheidung des Arbeitgebers nicht einwenden, dass eine solche Frage keiner Regelung von Arbeitsbedingungen zugeführt werden könnte. Sie ist dem sachlichen Schutzbereich der koalitionsspezifischen Betätigungsfreiheit zuzuordnen. Auch der auf die Verhinderung einer Standortverlagerungsentscheidung des Arbeitgebers abzielende Streik ist nicht nur vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG, sondern ebenso vom Gewährleistungsgehalt des Gemeinschaftsgrundrechts auf Kollektivmaßnahmen umfasst.222 Man kann diesbezüglich zwar darauf abzustellen, dass sich die Art. 9 Abs. 3 GG zu entnehmende Beschränkung auf Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in den Rechtsordnungen anderer Mitgliedsstaaten in ähnlicher Weise wiederfindet, wenn von „wirtschaftlichen und sozialen Interessen“, „Arbeitsbedingungen“ oder „beruf-

218 219 220 221

Zutreffend Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (474). Siehe Jeschke, Streik, S. 184 f.; Sagan, Gemeinschaftsgrundrecht, S. 165 ff. Vgl. Rebhahn, NZA 2001, 763 (769). Ähnlich kritisch Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (475); Schubert, RdA 2008, 289

(294). 222

Anders wohl Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (475).

C. Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

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lichen Interessen“ die Rede ist.223 Es bleibt an dieser Stelle aber darauf hinzuweisen, dass es sich bei einer feststehenden Standortverlagerungsentscheidung, die mittels Streik angegriffen werden soll, gerade nicht um eine vorgelagerte Frage handelt, die keinerlei Bezug zu den Arbeitbedingungen aufweist.224 Dass ein solcher Arbeitskampf zur Verhinderung einer Standortverlagerungsentscheidung nach hier vertretener Auffassung wegen eines Verstoßes gegen die Berufsfreiheit des Arbeitgebers rechtswidrig ist,225 muss bei der Frage nach dem Schutzbereich des Gemeinschaftsgrundrechts auf Kollektivmaßnahmen noch außen vor bleiben. Ansonsten würden die sich aus kollidierendem nationalem Verfassungsrecht abzuleitenden Schranken des nationalen Streikrechts bei der Bestimmung des sachlichen Schutzbereichs des Gemeinschaftsgrundrechts durch den EuGH in Stellung gebracht. Der Konflikt ist auf europarechtlicher Ebene anhand einer Auflösung des Spannungsverhältnisses von Niederlassungsfreiheit und Gemeinschaftsgrundrecht zu suchen. Davon zu unterscheiden ist wiederum die Frage, inwieweit bei einer Rechfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch einen solchen Arbeitskampf die nationalen Rechtsordnungen darüber entscheiden, ob das Vorgehen rechtswidrig ist. Somit lässt sich bereits an dieser Stelle der Untersuchung festhalten, dass auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ein Arbeitskampf zur Verhinderung der Verlagerung unzulässig ist, wenn man dies als Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG betrachtet. Brisant wird es allerdings, wenn man diese Frage anders löst und auch einen solchen Streik als zulässig ansieht, sofern nicht der personale Bezug der Berufsfreiheit im Vordergrund steht, wie dies von Teilen des deutschen Schrifttums für das deutsche Recht befürwortet wird.226 Die Rechtsordnungen einiger anderer Mitgliedsstaaten legitimieren einen solchen Arbeitskampf.227 Anders stellt sich die Ausgangslage für den Arbeitskampf um einen Tarifsozialplan dar, da das BAG und große Teile des Schrifttums zumindest diese Kampfstrategie entgegen der hier vertretenen Ansicht generell als zulässig erachten228 und sich somit die Frage stellt, inwieweit diese gewerkschaftliche Vorge223

Vgl. Jeschke, Streik, S. 183. Siehe Kapitel 3 A. II. 2. e). 225 Siehe Kapitel 3 C. III. 3. b). 226 Darauf verweisen in diesem Zusammenhang Blanke, AuR 2006, 1 (5 f.); Sunnus, AuR 2008, 1 (10). 227 Deutlich Hayen/Ebert, AiB 2007, 225 (229): „Den deutschen Arbeitsrechtler wird dabei insbesondere überraschen, dass Arbeitskampfmaßnahmen gegen Standortverlagerungen in den untersuchten Ländern sämtlich zulässig sind – und dass die Debatte über deren Zulässigkeit allein ein deutsches Phänomen zu sein scheint.“; Junker, RdA 2009, Beil. zu Heft 5, 4 (8): „Die Aufgabe der Standortverlagerung ist eine Forderung der Gewerkschaft im unmittelbarem Interesse der Arbeitnehmer, und das genügt in den meisten Mitgliedsstaaten der EU.“ 228 Siehe Kapitel 5 A. II. 2. 224

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Kap. 6: Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

hensweise mit der Niederlassungsfreiheit des bestreikten Arbeitgebers vereinbar ist. Auch die im Rahmen dieser Untersuchung vertretene Auffassung von der Verortung der nationalen Rechtmäßigkeitsgrenzen eines solchen Streiks wird allerdings hinsichtlich ihrer Ergebnisse ebenfalls dazu führen, dass der Streik um einen Tarifsozialplan als zulässig zu bewerten ist, sofern keiner der dargestellten Ausnahmefälle vorliegt. 3. Abwägung mit der Niederlassungsfreiheit Sind auf der Ebene des sachlichen Schutzbereichs des Gemeinschaftsgrundrechts keine Einschränkungen bei den hier zu beurteilenden Kampfzielen vorzunehmen, stellt sich die Frage nach der Abwägung mit der Niederlassungsfreiheit. Hat die bisherige Untersuchung ergeben, dass sowohl das Recht auf kollektive Maßnahmen als auch die Niederlassungsfreiheit nicht schrankenlos gewährleistet sind, ist im Fall einer Kollision eine Interessenabwägung vorzunehmen, um herauszuarbeiten, ob und gegebenenfalls in welchem Rahmen Streikmaßnahmen, mit denen eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit einhergeht, gerechtfertigt sind.229 Dabei wird zukünftig von Bedeutung sein, inwieweit die für die deutsche Arbeitskampfrechtsordnung entwickelten Grundsätze zur Abwägung von Unternehmens- und Tarifautonomie auf die europarechtliche Ebene übertragen werden können, wenn die Niederlassungsfreiheit des Arbeitgebers und das Recht auf Durchführung von Kollektivmaßnahmen in Einklang zu bringen sind. Ist aus dem Gemeinschaftsrecht eine „strengere“ Bindung der Gewerkschaften an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei Durchführung von Kollektivmaßnahmen anzunehmen, als sie sich bisher aus der deutschen Arbeitskampfrechtsordnung ableiten lässt? a) Ausübung des Gemeinschaftsgrundrechts und Allgemeininteresse Die Rechtfertigung des Eingriffs in die Niederlassungsfreiheit hängt nach der Rechtsprechung des EuGH zunächst davon ab, ob die Kollektivmaßnahme ein berechtigtes und mit dem EG-Vertrag (nunmehr AEUV) vereinbares Ziel verfolgt sowie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Dabei stellt der EuGH klar, dass eine Rechtfertigung nur dann in Betracht komme, wenn die fraglichen Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen gefährdet oder ernstlich bedroht waren.230 Dieser Anforderung kommt für die hier zu beurteilenden Arbeitskämpfe aus Anlass von Standortverlagerungsentscheidungen des Arbeitgebers keine entschei229 230

Line.

Siehe Kapitel 6 C. II. 1. EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (130), Rn. 81 – Viking

C. Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

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dende Bedeutung in der Praxis zu, wenn man wie der EuGH den Arbeitnehmerschutz als legitimes Ziel einer Durchführung von Kollektivmaßnahmen ansieht und die Ausübung der Arbeitskampffreiheit als berechtigtes Interesse anerkennt.231 Kollektivmaßnahmen, die in solchen Fällen ergriffen werden, dienen in der Regel dem Arbeitnehmerschutz, selbst wenn sie darauf abzielen, den Arbeitgeber zum Standorterhalt zu bewegen. Zwar hat der EuGH in der Rechtssache Viking Line klargestellt, dass die Billigflaggenpolitik der ITF nicht mit diesen Voraussetzungen in Einklang zu bringen sei, falls die Maßnahmen auch dann durchgeführt würden, wenn mit der Ausübung der Niederlassungsfreiheit des Arbeitgebers nicht notwendiger eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen einherginge. Insoweit enthält diese Rechtsprechung die Vorgabe, künftig nicht bloß die Umflaggung als Anlass für die Einleitung von grenzüberschreitenden Koordinierungsmaßnahmen zu nehmen, sondern genauer zu prüfen und vorzutragen, inwieweit mit den angestrebten Maßnahmen des Arbeitgebers eine Verschlechterung der bestehenden Arbeitsbedingungen verbunden ist. Eine generelle Absage an solche grenzüberschreitenden gewerkschaftlichen Koordinierungsstrategien lässt sich der Entscheidung allerdings nicht entnehmen.232 Diese sind vielmehr legitimes Mittel, um dem Gemeinschaftsgrundrecht auf Streik auf europarechtlicher Ebene Wirkungskraft zu verleihen und auf Verlagerungen von Arbeitsplätzen zu reagieren.233 Ob sie mit der Niederlassungsfreiheit in Einklang stehen, ist anhand der Erforderlichkeit und der Angemessenheit der Kollektivmaßnahme zu beurteilen. Bei Standortschließungen ist jedoch von vorneherein nicht ersichtlich, dass ein Arbeitskampf, der mit dem Ziel der Verhinderung der Verlagerungsentscheidung oder ihrem sozialen Ausgleich geführt wird, nicht dem Arbeitnehmerschutz dienen sollte. Mit der Verlagerung geht notwendigerweise die Standortschließung einher, die für die betroffenen Arbeitnehmer mit erheblichen Folgen, dem Arbeitsplatzverlust, verbunden ist. In der Viking-Entscheidung stellt der EuGH ausdrücklich klar, dass die Maßnahmen der FSU, welche u. a. auf den Erhalt der Arbeitsplätze abzielten, vom Ziel des Arbeitnehmerschutzes getragen sei, wenn erwiesen sei, dass die Arbeitsbedingungen gefährdet gewesen waren.234 Dies verdeutlicht, dass das Kriterium der Rechtfertigung der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses der Streikfreiheit zunächst einen weiten Raum für Kampfmaß231 So im Ergebnis auch Bayreuther, EuZA 2008, 395 (402); Junker, ZfA 2009, 281 (291); Rebhahn, ZESAR 2008, 109 (116); Schubert, RdA 2008, 289 (295); Zwanziger, DB 2008, 294 (297). 232 Vgl. Däubler, AuR 2008, 409 (416); Reich, EuZW 2007, 391(393); a. A. wohl Rebhahn, ZESAR 2008, 109 (116); Wendeling-Schröder, AiB 2008, 179 (183). 233 So auch Generalanwalt Maduro, Schlussanträge v. 23.5.2007 – Rs. C-438/05, Rn. 62 – Viking Line. 234 EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (130), Rn. 81 – Viking Line.

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Kap. 6: Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

nahmen eröffnet, der erst durch die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingeschränkt wird. Ein besonderer Begründungsaufwand für die kampfführende Gewerkschaft, vorzutragen, dass Arbeitsbedingungen gefährdet seien, ergibt sich zumindest im Fall eines Standorttarifkonflikts daher in der Regel nicht. Eröffnet der Arbeitgeber jedoch die Möglichkeit von Ersatzarbeitsplätzen oder Beschäftigungsgesellschaften, könnte dies im Rahmen der Prüfung, ob die Kampfmaßnahme dem Arbeitnehmerschutz dient, zu berücksichtigen sein.235 Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, dass die Gewerkschaft, in diesem Fall vortragen müsste, inwieweit eine Gefährdung der Arbeitsbedingungen gegeben ist, um Streikmaßnahmen zu rechtfertigen. Den Vorgaben des EuGH müsste es jedoch entsprechen, wenn die Gewerkschaft darauf verweist, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen, um dem aus ihrer Sicht erforderlichen Arbeitnehmerschutz zu genügen und daher im Interesse der Arbeitnehmer weitergehende Maßnahmen erkämpft werden sollen. Einen Arbeitskampf stünde es auch nicht entgegen, wenn der Arbeitgeber zusichert, die von der Gewerkschaft geforderten Bedingungen einzelvertraglich zu vereinbaren.236 Beabsichtigt der Arbeitgeber dagegen, sich nicht von seiner Belegschaft zu lösen, sondern will er die bestehenden Arbeitsplätze beispielsweise an den Unternehmenssitz verlagern und entsprechende Änderungskündigungen aussprechen, weil er die Belegschaft an diesem Standort weiterbeschäftigen will, könnte man argumentieren, dass eine gewerkschaftliche Kampfmaßnahme nicht mehr dem Arbeitnehmerschutz dient, wenn mit einer solchen Umstrukturierungsmaßnahme nicht zwangsläufig eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen einherginge. Dies wird wiederum aber nur in wenigen Ausnahmefällen der Fall sein, etwa wenn der neue Standort räumlich nicht weit vom alten Standort entfernt ist. Geht mit dieser Maßnahme dagegen eine erhebliche Veränderung der Arbeitsbedingungen einher, was regelmäßig der Fall sein wird, etwa weil ein Umzug der betroffenen Arbeitnehmer notwendig wäre, um das in der Änderungskündigung unterbreitete Angebot des Arbeitgebers annehmen zu können, dient ein Streik der Gewerkschaft, der gegen diese Pläne geführt wird, zweifelsfrei dem Ziel des Arbeitnehmerschutzes. b) Erforderlichkeit Ferner müsste die Beschränkung der Grundfreiheiten verhältnismäßig sein.237 Um dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu entsprechen, ergibt sich demnach als Grenze der Grundrechtsausübung, dass die Kollektivmaßnahme erforderlich sein 235

Vgl. Junker, SAE 2008, 209 (216). Ebenso Zwanziger, RdA 2009, Beil. zu Heft 5, 10 (20). 237 Ehlers-Ehlers, EuGR, § 7 Rn. 109; Calliess/Ruffert-Kingreen, EUG/EGV, Art. 28–30 EGV Rn. 88. 236

C. Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

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muss, um das angestrebte Ziel des Arbeitnehmerschutzes zu erreichen, damit die von ihr ausgehende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit des Arbeitgebers gerechtfertigt wäre. Daraus folgt, dass die Kampfmaßnahme stets das mildeste von mehreren gleich wirksamen Mitteln zur Durchsetzung der Arbeitnehmerinteressen sein muss, damit die Gewerkschaft berechtigte Interessen verfolgt. Dieser Grundsatz steht bisher im Mittelpunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung durch den EuGH.238 Auch in den vorliegenden Urteilen liegt hier ein Schwerpunkt: Der EuGH führt dazu in der Viking-Entscheidung aus, dass Tarifverhandlungen und Arbeitskämpfe das Hauptmittel der Gewerkschaften sind, um die Interessen der Arbeitnehmer zu schützen, gleichwohl aber zu prüfen sei, ob ihr neben dem Streik weniger eingreifende Mittel zur Verfügung stünden, und überträgt die Beurteilung den nationalen Gerichten.239 Die Ausführungen des EuGH in der Rechtssache Laval lassen sich nur begrenzt übertragen, sind sie doch durch die Besonderheit geprägt, dass die Entsenderichtlinie konkrete Vorgaben enthält, in welchem Umfang die Mitgliedstaaten die Arbeitsbedingungen regeln können.240 Die Aussagen des EuGH in der Rechtssache Viking Line werden im Schrifttum nunmehr aufgegriffen, um der These, dass Streiks um Tarifsozialpläne wegen eines Verstoßes unverhältnismäßig seien, sofern ein Ausgleich der Arbeitnehmerinteressen durch einen betrieblichen Sozialplan erzielt werden könnte, weiteres Gewicht zu verleihen.241 Ebenso wenig wie dieser Einwand bei der Beurteilung von „inländischen“ Sachverhalten ohne grenzüberschreitenden Bezug trägt,242 lässt er sich bei der Konzeption der Rechtfertigungsprüfung von Arbeitskämpfen aus Anlass grenzüberschreitender Verlagerungsvorhaben fruchtbar machen: Insoweit kann es nicht darauf ankommen, dass das Ziel des Arbeitnehmerschutzes auch durch den Betriebsrat im Wege des Aushandelns eines betrieblichen Sozialplans angestrebt wird, da den Gewerkschaften diesbezüglich keine Möglichkeit der Einflussnahme zukommt.243 Aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit lässt sich auch aus dem Blickwinkel des Gemeinschaftsrechts „nur“ die formale Verpflichtung ableiten, vor Kampfbeginn Verhandlungen mit dem Arbeitgeber zu führen, welche das BAG aus dem ultima-ratio-Prinzip ableitet. Dies wird schon daran deutlich, dass sich der EuGH hinsichtlich der Vorgaben zurückhaltend zeigt und die Prüfung den nationalen Gerichten überlässt. Das entspricht durchaus seiner traditionellen Vorgehensweise hinsichtlich der Handhabung des 238 239

Siehe hierzu bereits Kapitel 6 C. II. 1. EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (130), Rn. 84 ff. – Viking

Line. 240

Ähnlich die Einschätzung von Schubert, RdA 2008, 289 (296). Deutlich Junker, ZfA 2009, 281 (292); zurückhaltender Franzen, in FS Buchner, S. 231 (243). 242 Siehe Kapitel 5 C. I. 2. 243 Siehe Kapitel 5 C. I. 2. a). 241

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Kap. 6: Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.244 Dies verdient insoweit Zustimmung, als dass die nationalen Gerichte als sachnähere Entscheidungsgremien die anhand der nationalen Rechtsordnung zur Verfügung stehenden Mittel gemäß den Vorgaben des EuGH zu bewerten haben, und ist wiederum Ausdruck des Ermessensspielraums, welcher im Bereich des Arbeitskampfrechts hinsichtlich der Ausgestaltung des Rechts den nationalen Gesetzgebern zugestanden wird. Eine Verpflichtung des nationalen Gesetzgebers, mildere Mittel im Vergleich zur bisherigen Ausgestaltung des Streikrechts zu schaffen, besteht auch für den Streik um den Tarifsozialplan aus diesem Grund nicht.245 Entgegen vereinzelter Stimmen aus dem Schrifttum lässt sich das Viking LineUrteil auch nicht dafür heranziehen, dass zukünftig eine strengere Erforderlichkeitsprüfung als im deutschen Arbeitskampfrecht angezeigt wäre, obgleich einzugestehen ist, dass der Beurteilungsspielraum der Tarifvertragsparteien mit keinem Wort erwähnt wird. Es bleibt allerdings daran zu erinnern, dass auch vom BAG bezüglich dieses mittlerweile zumeist anerkannten, obgleich nicht gänzlich unumstrittenen Grundsatzes,246 in früheren Entscheidungen eine differenziertere Position vertreten wurde.247 Dass der EuGH im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung in der Viking Line-Entscheidung „scheinbar“ auf eine Angemessenheitsprüfung verzichtet,248 darf aber keinesfalls dazu verleiten, restriktivere und mit der Funktionsfähigkeit des Rechts auf Kollektivverhandlung kaum zu vereinbarende Einschränkungen bereits bei der Erforderlichkeitsprüfung vorzunehmen. Den Versuchen, auf diesem Wege eine im Vergleich zur deutschen Arbeitskampfrechtsordnung strengere Erforderlichkeitsprüfung für Kampfmaßnahmen zu etablieren, ist zuzustimmen, dass zwar die Folgen, welche sich aus einer Bindung Privater an die Grundfreiheiten hinsichtlich der Verhältnismäßigkeitsprüfung ergeben, durch die Rechtsprechung des EuGH noch nicht ausgeformt ist und insoweit durchaus Unsicherheiten bestehen. Dies darf aber nicht dazu verleiten, die Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien, welche für die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie von erheblicher Bedeutung und auch bei der Interpretation des arbeitskampfrechtlichen ultima-ratio-Grundsatzes maßgeblich ist, weitreichend zu beschränken.249 Werden Grundfreiheiten durch Mitgliedsstaaten beschränkt, wird diesen in der Regel eine weite Einschätzungsprärogative zuge-

244 245

Vgl. Riesenhuber-Rebhahn, Europäische Methodenlehre, § 18 Rn. 48. So im Ergebnis auch Däubler, AuR 2008, 409 (416); Zwanziger, DB 2008, 294

(297). 246

Vgl. etwa MünchArbR-Ricken, § 200 Rn. 55; dens, ZfA 2008, 283 (295 f.). Vgl. die Nachweise bei Blanke, in: Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 131 (140, Fn. 15). 248 Siehe hierzu bereits Kapitel 6 C. II. 1. 249 Blanke, in: Liber amicorum Wendeling-Schröder, S. 131 (140); ErfK-Dieterich, GG, Einl. Rn. 111; Kocher AuR 2008, 13 (16). 247

C. Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

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standen.250 Dies gilt insbesondere für die Niederlassungsfreiheit, welche die mitgliedsstaatlichen Interessen zumeist erheblich berührt.251 Um Umgehungen zu vermeiden, ist daher in Folge der Bindung der Gewerkschaften an die Niederlassungsfreiheit auch ihnen ein entsprechender Ermessenspielraum einzuräumen.252 Ansonsten würde die Bindung an die Grundfreiheiten damit begründet, dass durch die Ausübung des Grundrechts auf Streik Beschränkungen der Grundfreiheitsausübung aufgestellt werden können, die hinsichtlich ihrer Wirkung staatlichen Maßnahmen gleichkommen können, bezüglich deren Rechtfertigung dann aber ein strengerer Maßstab gelten würde. Mag man die Erforderlichkeitsprüfung bei Kollektivmaßnahmen im Vergleich zur Prüfung einer mitgliedsstaatlichen Beschränkung dennoch enger ziehen wollen und sich darauf stützen, dass der EuGH die Erforderlichkeit oftmals sehr viel „grobmaschiger“ prüft, als dies im deutschen Recht angezeigt wäre, darf dies hinsichtlich der Beurteilung von Arbeitskämpfen um Tarifsozialplänen nicht dazu führen, den Ausgleich der Arbeitnehmerinteressen vollständig auf die Betriebsebene zu verlagern und einen Arbeitskampf erst dann zuzulassen, wenn das betriebsverfassungsrechtliche Verfahren abgeschlossen ist. Diese Lösung wäre aufgrund der fehlenden Kampfbefugnisse des Betriebsrats und der fehlenden Einflussnahmemöglichkeit der Gewerkschaft auf das betriebliche Verfahren der Sozialplanaufstellung nicht mit dem Grundsatz, nur gleich geeignete Mittel in die Prüfung miteinzustellen, zu vereinbaren. Dies wird schon daran deutlich, dass auch der EuGH als Leitlinie vorgibt, dass zu untersuchen sei, ob der Gewerkschaft neben dem Streik mildere Mittel zur Verfügung stünden.253 Allein aus diesem Grund stehen die Ergebnisse, welche in Anwendung des durch die Rechtsprechung des BAG konkretisierten ultima-ratio-Prinzips erzielt werden, zumindest im Fall eines Streiks um Sozialplaninhalte mit dem europarechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hinsichtlich der Anforderungen an die Erforderlichkeit der Maßnahme im Einklang.254 c) Angemessenheit Somit bleibt die entscheidende Frage, ob ein Streik aus Anlass einer Standortverlagerungsentscheidung des Arbeitgebers angemessen im Sinne des europarechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips ist und somit eine Rechtfertigung der vom Standortstreik ausgehenden Grundfreiheitsbeschränkung in Betracht kommt. 250 251 252 253

Ehlers-Ehlers, EuGR, § 7 Rn. 110. Ehlers-Ehlers, EuGR, § 7 Rn. 110. Frenz, Europarecht, Band 4, Rn. 403. EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (130), Rn. 87 – Viking

Line. 254 So im Ergebnis auch Zwanziger, DB 2008, 294 (297); ders., RdA 2009, Beil. zu Heft 5, 10 (20).

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Kap. 6: Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

Zunächst ist zu bemerken, dass der EuGH in den Entscheidungen Schmidberger255 und Kommission/Frankreich256 einige Kriterien zur Auflösung des Konflikts von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten im Rahmen der Angemessenheitskontrolle aufgestellt hat, die insoweit eine Parallele zu einem Arbeitskampf aufweisen, als dass es sich um Protestaktionen von Bauern und Umweltschützern handelte, mit denen eine Beeinträchtigung von Marktfreiheiten einherging. Dabei wurde insbesondere auf Schwere, Häufigkeit und Dauer der Grundfreiheitsbeschränkung abgestellt. Gerade die Schwere und die Dauer der Grundfreiheitsbeschränkung könnten im Rahmen der Beurteilung eines Standortarbeitkampfes durchaus fruchtbar gemacht werden.257 Es gilt allerdings zu bedenken, dass sich diese Urteile an die betreffenden Mitgliedstaates richteten, ihre Schutzpflichten betrafen und diese schon deswegen nicht unmittelbar auf die vorliegende Konstellation übertragen werden können, weil gewaltsamen Blockadeaktionen von privaten Vereinigungen eine andere Qualität als gewerkschaftliche Streikmaßnahmen aufweisen, welche auf den Abschluss eines Tarifvertrags abzielen.258 Das Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen war gerade nicht in die Prüfung miteinzustellen. Vorliegend ist daher eine Lösung anhand des Schutzzwecks und des Wesensgehalts von Streikund Niederlassungsfreiheit in dieser besonderen Konstellation eines Streiks aus Anlass einer Standortverlagerung mit grenzüberschreitendem Bezug auszurichten. Zur Auflösung dieses Spannungsverhältnisses von Niederlassungsfreiheit und Streikrecht können die im Rahmen der Abwägung von Berufsfreiheit und Tarifautonomie erarbeiteten Wertungen und Grundsätze herangezogen werden. Ebenso wie Art. 12 Abs. 1 GG die Entscheidung über den Wahl der Betriebsstätte schützt, genießt dieser Teil der unternehmerischen Betätigung durch Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts einen besonderen Schutz, wenn ein grenzüberschreitender Bezug gegeben ist. Würde man in einem solchen Fall gewerkschaftliche Streikbefugnisse zulassen, hätte dies zur Folge, dass die für die Ausübung der Niederlassungsfreiheit unerlässlichen Bestandteile in Gefahr gerieten. Insoweit besteht nicht nur hinsichtlich der Garantie von Unternehmer- und Streikfreiheit, sondern auch hinsichtlich der Grundsätze ihrer Abwägung eine Parallele zum deutschen Recht. Ließe man einen Streik, der sich ausdrücklich gegen den Wegzug des Arbeitgebers richter, zu, würde die Kollektivmaßnahme geradezu auf die „Nicht-Nutzbarkeit“ der Niederlassungsfreiheit hinauslaufen.259 Dies würde dem Schutzzweck der Niederlassungsfreiheit, im grenzüberschreitenden gemeinsamen Markt 255 256 257 258 259

EuGH v. 12.6.2003 – Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659 – Schmidberger. EuGH v. 9.12.1997 – Rs. C-265/95, Slg. 1997, I-6959 – Kommission/Frankreich. Vgl. etwa Schubert, RdA 2008, 289 (297). Ähnlich Krause, Standortsicherung, S. 123; a. A. Schubert, RdA 2008, 289 (297). Vgl. Schlachter, in: FS Birk, S. 809 (817).

C. Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

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die wirtschaftliche Mobilität zu schützen, nicht gerecht. Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) zielt gerade darauf ab, dass Unternehmer, welche das Haftungsrisiko für ihre unternehmerische Tätigkeit tragen, auf der Grundlage eines grenzüberschreitenden Standortvergleichs innerhalb der EU ihre wirtschaftlich relevanten Marktentscheidungen treffen dürfen. Zwangsläufige Folge dieses herausgehobenen Schutzes der freien Standortwahl ist der Umstand, dass Unternehmen ihre Betriebsstätten dort ansiedeln dürfen, wo die aus ihrer Sicht günstigsten Standortbedingungen anzutreffen sind und dabei auch die Lohnkosten eine entscheidende Rolle als leitendes Motiv spielen können. Diese Gewichtung der Niederlassungsfreiheit setzt der Ausübung des Streikrechts durch die Gewerkschaften im Fall von Standorttarifkonflikten deutliche Grenzen. Die Wahrnehmung des Streikrechts darf nicht dazu führen, dass die Niederlassungsfreiheit nicht mehr in ihrem Kernbereich erhalten bliebe.260 Ebenso wie es den Mitgliedsstaaten verwehrt wäre, mittels gesetzlicher Regelung eine Bindung an einen Unternehmensstandort festzulegen, ist auch der Versuch, eine Bindung mittels Kollektivvertrag zu erkämpfen, nicht mit Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) zu vereinbaren. Die Freizügigkeit der unternehmerischen Tätigkeit wäre erheblich gefährdet, wenn die Abschaffung der Schranken staatlichen Ursprungs auf diesem Wege neutralisiert werden könnten. Dabei darf es keine Rolle spielen, ob der Arbeitgeber beabsichtigt, sein Unternehmen von einem Hochlohnland in ein Niedriglohnland zu verlagern, oder er sich das Lohnkostengefälle nicht zu nutze macht, indem er etwa den Standort verlagert, um einen neuen Markt zu erschließen.261 Dies liefe auf eine Bewertung der hinter einer Unternehmerentscheidung stehenden Motive hinaus, welche mit der Zielrichtung des Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) unvereinbar wäre. Auch die Verlagerung in ein Niedriglohnlohnland wird durch die Niederlassungsfreiheit geschützt. Sie ist gerade unabdingbar, um die wirtschaftlichen und sozialen Verflechtungen innerhalb der EU zu fördern. Zudem würde dies voraussetzen, dass der gewerkschaftliche Kampf gegen Verlagerungen zur Ausnutzung des Lohnkostengefälles durch das Streikrecht einen besonderen Schutz genießt. Sieht man den Schutzzweck des Streikrechts dagegen darin, auf kollektiver Ebene Vereinbarungen zu erkämpfen, wäre es nicht ersichtlich, warum der Arbeitskampf um einen Standortsicherungstarifvertrag weniger schützenswert wäre, wenn von einem Niedriglohnland in ein Hochlohnland verlagert wird. Selbst wenn die Verlagerung auf die Erschließung eines neuen Marktes in einem anderen Mitgliedsstaat abzielt und dies zu einer Stilllegung einer bestehenden Betriebsstätte führt, sind Arbeitnehmerinteressen betroffen. Insoweit lässt sich der Viking Line-Entscheidung des EuGH entnehmen, dass einer Gewerkschaftspolitik, welche nicht 260 Ebenso Krieger/Wiese, BB 2010, 568 (570); Temming, ELR 2008, 190 (201); vorsichtiger Bücker, NZA 2008, 212 (216). 261 A.A. Krause, Standortsicherung, S. 123 f.

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Kap. 6: Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

die Arbeitnehmerinteressen des betreffenden Falles in den Blick nimmt, sondern vorwiegend sozialpolitische Ziele, die für alle Arbeitnehmer innerhalb der EU von Bedeutung sind, eine deutliche Absage erteilt wurde.262 Maßgeblich ist vielmehr, ob die Unternehmerentscheidung für die Beschäftigten im betroffenen Betrieb mit einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen verbunden ist. Es entspricht dem Schutzzweck des Streikrechts, der Gewerkschaft Streikbefugnisse zu eröffnen, um Kollektivmaßnahmen zum Schutz der von dieser Standortverlagerung betroffenen Arbeitnehmer zu ergreifen. Weitergehende Interessen sind auf politischem Wege geltend zu machen. Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass diese Lösung die Funktionsfähigkeit des Gemeinschaftsgrundrechts auf Kollektivmaßnahmen in Frage stellt oder die Koalitionsfreiheit in ihrem Wesensgehalt berührt würde. Es ist zwar grundsätzlich richtig, dass die grenzüberschreitende Koordination gewerkschaftlicher Kampfmaßnahmen aufgrund der zunehmenden Internationalisierung der Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen zum Erhalt der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie unabdingbar ist. Dies darf im Umkehrschluss aber nicht dazu führen, hinsichtlich der Kampfziele keine Einschränkungen mehr vorzunehmen. Vielmehr beanspruchen die im Rahmen der Abwägung von Tarifautonomie und Berufsfreiheit vorgebrachten Argumente auch in diesem Zusammenhang Geltung.263 Ein Kampfverbot für die Einflussnahme auf die unternehmerische Verlagerungspolitik schränkt die Tarifautonomie weniger ein, als eine Zulassung des Streikrechts die Niederlassungsfreiheit beschränken würde. Die Koalitionsfreiheit kann auch ohne Kampfbefugnis wahrgenommen werden, da die Möglichkeit freiwilliger Tarifverträge verbleibt. Besteht die Gefahr, dass dem Arbeitgeber durch die Zulassung eines Streiks um eine Standortzusage die Verlagerungsoption gänzlich genommen würde, bedeutet ein Kampfverbot nicht, dass es der Gewerkschaft gänzlich unmöglich wäre, ihr Ziel, den Abschluss eines Standortsicherungstarifvertrags, zu erreichen. Auch die Koordination von länderübergreifenden Kollektivmaßnahmen hat diese Wertungen zu respektieren. Wollte man darüber hinaus auf die herausgehobene Stellung der Marktfreiheiten als konstituierendem Element des europäischen Einigungsprozesses abstellen, würde auch dies für einen Vorrang der Niederlassungsfreiheit im Verhältnis zum Gemeinschaftsgrundrecht auf Streik sprechen. Daraus folgt im Ergebnis, dass ein Streik, der sich gezielt gegen die Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch Verlagerung der Betriebsstätte ins Ausland richtet, indem ein Tarifvertrag erstreikt werden soll, welcher den Unternehmer über einen längeren Zeitraum an den Unternehmensstandort bindet und somit Verla-

262 Vgl. EuGH v. 11.12.2007 – Rs. C-438/05, NZA 2008, 124 (130), Rn. 88 f. – Viking Line. 263 Siehe Kapitel 3 C. III. 3. b) bb) (4).

C. Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

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gerungen in einen anderen Mitgliedsstaat verhindert, gegen Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) verstößt. Beschränkt sich die Gewerkschaft dagegen darauf, die soziale Abmilderung der Unternehmerentscheidung zum Kampfziel zu erheben, geht damit nicht zwangsläufig ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit einher. Ein solcher Streik führt nicht generell dazu, dass die Niederlassungsfreiheit gänzlich leer liefe. Schützt das Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen den Streik um einen Tarifvertrag, gilt es neben dem durch die Niederlassungsfreiheit geschützten Interesse des Arbeitgebers, seinen Standort innerhalb der Gemeinschaft frei wählen zu können, auch die Bedeutung der Koalitionsfreiheit im Gemeinschaftsrecht und den Erhalt ihrer Funktionsfähigkeit bei der Beurteilung der Europarechtskonformität eines Arbeitskampfes um einen Tarifsozialplan aus Anlass einer grenzüberschreitenden Verlagerung zu berücksichtigen. In der Regel verhindert ein Streik um die soziale Abmilderung der Verlagerungsentscheidung diese nicht. Selbst wenn exorbitante Forderungen gestellt werden, welche die Verlagerung in Frage stellen können, sind die typischen Abläufe des tarifvertraglichen Einigungsprozesses ebenso wie im nationalen Recht zu beachten.264 Ansonsten würde auch übersehen, dass dem Arbeitgeber die Möglichkeit verbleibt, auf die tarifvertraglichen Modalitäten seines Wegzugs durchaus Einfluss zu nehmen. Ferner ist Schubert265 darin zuzustimmen, dass es zu verhindern gilt, mit der Befürwortung einer gewerkschaftlichen Bindung an die Grundfreiheiten eine weitreichende, weil vorbeugende Rechtskontrolle von Streikforderungen zu etablieren, welche die praktische Ausübung des Rechts auf Kollektivmaßnahmen erheblich erschweren würde. Aus der Anerkennung des Gemeinschaftsgrundrechts auf Streik folgt somit ein grundsätzliches Verbot des Eingriffs in den Ablauf der Tarifauseinandersetzung, also ein grundsätzliches Verbot der Tarifzensur. Führt die Verknüpfung von Forderungsumfang und Streikdruck allerdings dazu, dass die Verlagerung wirtschaftlich unmöglich wäre, ist der Arbeitskampf wegen eines Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit unzulässig. In diesem Fall ist wiederum eine Evidenzkontrolle der Gerichte angezeigt, um einer Tarifzensur vorzubeugen, aber der Niederlassungsfreiheit zur Geltung zu verhelfen. Diese führt aber nur dann zur Rechtswidrigkeit des Standortstreiks, wenn die Erfüllung der Ausgangsforderung die Insolvenz des Arbeitgebers nach sich ziehen würde und die Gewerkschaft über einen längeren Zeitraum den Einigungsprozess blockiert, um so den Streik in die Länge zu ziehen und durch den Produktionsausfall eine Wirkung zu erzielen, welche die Verlagerung gezielt torpediert.

264 265

Ebenso Schubert, RdA 2008, 289 (297). Vgl. Schubert, RdA 2008, 289 (297).

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Kap. 6: Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

Hinsichtlich der Rechtfertigung einer von einem Standortstreik ausgehenden Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ist somit wie im nationalen Recht anhand der Streikziele zu differenzieren: Ein Streik, welcher sich auf die Durchsetzung eines Tarifsozialplans aus Anlass einer grenzüberschreitenden Verlagerung beschränkt, ist im Regelfall zulässig. Zielt der Arbeitskampf dagegen auf die Verhinderung des Wegzugs des Arbeitgebers ab, ist diese Vorgehensweise wegen eines Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit rechtswidrig.

D. Zusammenfassung und Fazit I. Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich die Folgen der Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Viking Line für die deutsche Arbeitskampfrechtsordnung entgegen anders lautender Stimmen aus dem Schrifttum in Grenzen halten werden, wenn man der hier vertretenen Lösung folgt. 1. Die Grundfreiheiten entfalten nur bei grenzüberschreitenden Sachverhalten Schutzwirkung. Arbeitskämpfe, welche keinen Europarechtsbezug aufweisen, sind von vorneherein ausschließlich anhand nationalen Rechts zu beurteilen. Im deutschen Arbeitskampfrecht ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Schranke der Arbeitskampffreiheit bereits fest etabliert, so dass die Rechtsprechung des EuGH kein grundsätzliches Umdenken erfordert, wie dies in anderen Mitgliedstaaten durchaus der Fall ist. 2. Erkennt man in der Angemessenheit der Kollektivmaßnahme eine entscheidende Schranke der Grundrechtsausübung im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten, um so eine Interessenabwägung vornehmen zu können, bleibt anzumerken, dass die Kritik gegenüber der Rechtsprechung des BAG zum Tarifsozialplan aus dem Blickwinkel des nationalen Arbeitskampfrechts, weil Fälle offensichtlichen Rechtsmissbrauchs durch Verdecken des wahren Kampfziels der Verhinderung der Standortverlagerungsentscheidung und Umgehung des Kampfverbots durch kategorisches Festhalten an exorbitanten Ausgangsforderungen gefördert werden, aus dem Blickwinkel des Europarechts zu bekräftigen ist. Praktische Auswirkung hat dies aber wiederum nur in wenigen Ausnahmefällen. 3. Fehlt in Deutschland bisher eine höchstrichterliche Entscheidung zur Frage, ob gegen Standortverlagerungsentscheidungen gestreikt werden kann, zwingt das Europarecht ebenfalls zu keinem Umdenken, wenn man einen solchen Streik wegen eines Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG generell als rechtswidrig ansieht. Stellt man ausschließlich auf den Arbeitnehmerschutz zur Rechtfertigung ab und zieht anhand einer zweistufigen Verhältnismäßigkeitsprüfung Grenzen, wäre die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt. Dies würde die gewerkschaftlichen Kampfbefugnisse aber nicht erweitern, da übersehen würde, dass weiterhin das nationale Arbeitskampfrecht maßgeblich bleibt, um die Zulässig-

D. Zusammenfassung und Fazit

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keit der Kampfmaßnahme zu bewerten. Wägt man stattdessen wie nach hier vertretener Auffassung Niederlassungsfreiheit und Streikfreiheit im Rahmen der Angemessenheit ab, ist ein solcher Standortarbeitskampf dagegen europarechtswidrig und dürfte von den mitgliedsstaatlichen Arbeitskampfrechtsordnungen nicht legitimiert werden. Dies würde allerdings wiederum nur für grenzüberschreitende Sachverhalte gelten. 4. In Folge der Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Viking Line und Laval wurden gegen diese Entscheidungen schwere Geschütze in Stellung gebracht. Angesichts des vom EuGH bevorzugten Prüfungsmaßstabs müsse darüber nachgedacht werden, ob die Voraussetzungen der Solange-Rechtsprechung des BVerfG noch gegeben seien. Angesichts der „Vernachlässigung“ des Gemeinschafsgrundrechts auf Streik im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung liegt in der Tat zunächst die Vermutung nahe, dass der Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene nicht dem des Grundgesetzes entspricht. Bei genauerem Hinsehen muss man mit isoliertem Blick auf die Streikbefugnisse bei Standortkonflikten allerdings zu einem anderen Ergebnis gelangen. In der Regel dient ein Arbeitskampf dem Ziel des Arbeitnehmerschutzes und wird den aus dem gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip abzuleitenden Vorgaben gerecht. Die Gefahr einer Tarifzensur geht damit nicht einher, sofern man die Notwendigkeit erkennt, diese Überlegungen im Rahmen der Erforderlichkeits- und Angemessenheitsprüfung miteinzubringen. Selbst wenn solche Erwägungen bisher vom EuGH nicht angestellt wurden, lässt der Beginn der Rechtsprechung zum „europäischen Arbeitskampfrecht“ an unterschiedlichster Stelle erkennen, kein engmaschiges Netz auf europäischer Ebene spannen zu wollen, anhand dessen grenzüberschreitende Sachverhalte zu beurteilen wären. Erste Vorgaben wurden erarbeitet, die weitere Beurteilung des Einzelfalls aber den nationalen Gerichten überlassen, die somit die Besonderheiten des einschlägigen Tarif- und Arbeitskampfrecht miteinbringen können. Dies erscheint mit Blick auf die Vorschrift des Art. 137 Abs. 5 EG (nunmehr Art. 153 Abs. 5 AEUV) begrüßenswert. Die grundsätzliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit solcher Arbeitskämpfe verbleibt demnach weiterhin beim nationalen Gesetzgeber. Selbst wenn der EuGH zukünftig auf europarechtlicher Ebene das Streikrecht auf Grundlage des Art. 28 Abs. 1 GRC extensiv interpretieren sollte, bleibt die Möglichkeit, die Ausübung des Gemeinschaftsgrundrecht durch nationale Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten zu beschränken, sofern dadurch der Grundrechtsschutz des Rechts auf Kollektivmaßnahmen nicht ausgehöhlt wird. II. Wie dargestellt, stehen die Entwicklungen des Arbeitskampfrechts auf europäischer Ebene erst am Anfang. Es ist angesichts der durchaus unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten der bisherigen Rechtsprechung und der „Vorlagefreudigkeit“ der nationalen Gerichte davon auszugehen, dass dies nicht die letzte Entscheidung des Gerichtshofs zum Verhältnis von Streikrecht und Grundfreihei-

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Kap. 6: Europarechtliche Grenzen des Standortstreiks

ten war. Insoweit bleibt zu hoffen, dass der EuGH seine Rechtsprechung präzisiert, damit sie für die nationalen Gerichte zu handhaben ist, und klarstellt, dass Kollisionen von Grundfreiheiten und Ausübung des gemeinschaftsrechtlich garantierten Streikrechts so aufzulösen sind, dass beide Gewährleistungen bestmöglich zur Entfaltung gelangen.

Kapitel 7

Schlussbemerkungen A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse I. Standortdrohungen des Arbeitgebers sind nicht als neues Arbeitskampfmittel der Arbeitgeberseite zu qualifizieren: 1. Die freie Typenbildung von neuartigen Kampfmitteln ist von der Koalitionsbetätigungsfreiheit umfasst, so dass es auch nicht von vornherein ausscheidet, neue Kampfformen als Arbeitskampfmittel zu qualifizieren. Die bei der Standortdrohung entscheidende Frage, anhand welcher Kriterien festzustellen ist, ob eine Handlung als Ausübung der Arbeitskampffreiheit zu qualifizieren ist, lässt sich damit jedoch nicht beantworten. 2. Die unternehmerische Entscheidung, die Betriebstätte zu verlagern, wird von der Rechtsordnung gebilligt. Sie genießt verfassungsrechtlichen Schutz. Daraus kann allerdings nicht zwangsläufig darauf geschlossen werden, dass auch die Einordnung einer Standortdrohung als Arbeitskampfmittel generell ausscheidet. 3. Gegen eine Einordnung einer Standortdrohung, der bloßen Bekanntgabe von Verlagerungsplänen, aber auch der Verlagerung selbst als Arbeitskampfmittel spricht dagegen, dass diese Handlungen nicht unter die bisher entwickelten Begriffsdefinitionen subsumiert werden können. Der Arbeitskampfbegriff kann als Indiz herangezogen werden, ob ein bestimmtes Verhalten einer Kampfpartei der Arbeitskampfrechtsordnung unterliegt oder nicht. 4. Eine Einordnung der Standortdrohung als Arbeitskampfmittel und eine Anwendung arbeitskampfrechtlicher Schranken lässt sich auch nicht unter Rückgriff auf den Grundsatz der Kampfparität rechtfertigen. II. Um den strategischen Wert einer Standortdrohung zu berücksichtigen, wird im Schrifttum vereinzelt vorgeschlagen, in diesem Sonderfall einen Streik zur Abwehr solcher Lohnsenkungsversuche der Arbeitgeberseite zuzulassen. Nach hier vertretener Auffassung ist dies abzulehnen: 1. Die relative Friedenspflicht steht einem gewerkschaftlich geführten Streik zwingend entgegen, wenn er darauf abzielt, den Arbeitgeber zur Einhaltung des für den Betrieb geltenden Tarifvertrag zu bringen und weitere Lohnsenkungsversuche zu unterlassen. Eine einschränkende Interpretation der Friedenspflicht für

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Kap. 7: Schlussbemerkungen

solche Fälle ist nicht geboten und wäre mit dem Schutzzweck der Friedenspflicht unvereinbar. 2. Ein individuelles Streikrecht als Notwehrrecht der Arbeitnehmer als Reaktion auf eine Standortdrohung lässt sich nicht aus § 123 BGB ableiten. Dies würde den Wertungen des Art. 9 Abs. 3 GG nicht gerecht, da Arbeitskämpfe nur von tariffähigen Parteien um tariflich regelbare Ziele geführt werden können. Zudem richtet sich die Standortdrohung in der Regel nicht an die Belegschaft, sondern an die Arbeitnehmervertreter. Zeigt der Arbeitgeber Bereitschaft, den Standort gegen Lohnverzicht zu erhalten, will er dies nicht mittels individualarbeitrechtlicher Anpassung, sondern auf kollektivem Wege erreichen. Adressat der Drohung ist also nicht der einzelne Arbeitnehmer. Der Streik als Notwehrmaßnahme wäre zudem nicht erforderlich ist, um durch die Standortdrohung vorgenommenen Angriff auf ihre Entschließungsfreiheit zu beenden. 3. Weitergehende Streikbefugnisse lassen sich nicht aus Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC ableiten. Mangels unmittelbarer Geltung und eingeschränktem Gewährleistungsgehalt der ESC vermittelt diese Vorschrift kein Recht auf Standortstreik einer nicht-tariffähigen Arbeitnehmergruppe. III. Standortzusagen des Arbeitgebers können in einem Firmentarifvertrag vereinbart werden, wenn die tarifliche Einigung ohne Streikdruck erzielt wurde: 1. Die tarifliche Regelbarkeit einer Streikforderung ist gegeben, wenn die Sachmaterie dem Aufgabenbereich der Koalitionen unterliegt, die Tarifvertragsparteien befugt sind, eine tarifliche Regelung zu vereinbaren und die angestrebte Regelung mit höherrangigem Recht in Einklang steht. 2. a) Die tarifliche Regelungszuständigkeit bezüglich einer Sachmaterie setzt zunächst voraus, dass diese unter den Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen subsumuriert werden kann. Maßgeblich ist diesbezüglich ein Verständnis, das beide Begriffe als funktionale Einheit betrachtet und eine Bildung der Schnittmenge beider Begriffe zur Bestimmung der Reichweite der Koalitionsfreiheit zugrunde legt. b) Standortzusagen sind innerhalb dieses Bereichs zu verorten. Ein Standortverlagerungsbeschluss berührt die sozialen Belange der Arbeitnehmer unmittelbar. Es handelt sich um eine unternehmenspolitische Entscheidung des Arbeitgebers, die zugleich einen spezifischen Bezug zu den Bedingungen, unter denen abhängige Arbeit geleistet wird, aufweist. c) Zu keiner weitergehenden Einschränkung der Regelungszuständigkeit im Bereich unternehmerischer Standortpolitik führen Ansätze, welche die Frage nach dem Aufgabenbereich der Koalitionen für unternehmenspolitische Entscheidungen als Abgrenzungsproblem der Tarifautonomie von der Unternehmerfreiheit begreifen. Art. 12 Abs. 1 GG kommt zwar grundsätzlich als Kompetenzgrenze der Tarifautonomie in Betracht, so dass der Begriff der Arbeits- und Wirt-

A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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schaftsbedingungen auch im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG auszulegen ist. Bei Standortentscheidungen ist dieser Aspekt jedoch nicht von Bedeutung: Sie wirken sich unmittelbar auf die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmerschaft aus. Der Wesensgehalt der Berufsfreiheit wird nicht berührt, wenn man die unternehmerische Standortpolitik dem tariflichen Aufgabenbereich unterstellt. 3. Die tarifliche Regelungsbefugnis ist eröffnet, da Standortzusagen des Arbeitgebers schuldrechtlich in einem Firmentarifvertrag geregelt werden können. a) Eine normative Regelung scheidet aus, da solche Fragen nicht als Inhalts-, Abschluss,- Beendigungsnorm, bzw. als Betriebsnorm oder betriebsverfassungsrechtliche Norm gemäß § 1 Abs. 1 Hs. 2 TVG zu qualifizieren sind. Diese Norm legt den Umfang der Befugnis zur tariflichen Normsetzung abschließend fest. b) Eine Vereinbarung als schuldrechtliche wirkende Vereinbarung im Firmentarifvertrag ist demgegenüber zulässig, da der Umfang der schuldrechtlichen Vereinbarungsmacht über den der Normsetzungsbefugnis hinaus, bis an die „äußerste“ Grenze des Schutzbereichs von Art. 9 Abs. 3 GG reicht. Ein Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG wäre dagegen unzulässig. Da die unternehmerische Standortpolitik vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG umfasst ist, ist diese Einschränkung der schuldrechtlichen Vereinbarungsbefugnis bei der Beurteilung von Standortzusagen nicht von Bedeutung. c) Eine Vereinbarung auf Verbandsebene scheidet dagegen aus, weil diese vom Inhalt der schuldrechtlichen Tarifvertragsvereinbarungsbefugnis nicht umfasst ist. Fragen der unternehmerischen Standortpolitik können nicht zum Gegenstand eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrags gemacht werden. Eine solche Vereinbarung schuldrechtlicher Pflichten ist als unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter zu qualifizieren. Selbst wenn der Arbeitgeber dem Abschluss des Tarifvertrags zugestimmt hat, führt dies nicht zur Rechtmäßigkeit des Tarifvertrags. 4. a) Die Tarifvertragsparteien sind bei der Vereinbarung von Tarifverträgen an die Grundrechte gebunden. Dies gilt auch für lediglich schuldrechtlich regelbare Inhalte. Ein Grundrechtsverstoß scheitert im Fall des Firmentarifvertrags nicht schon daran, dass der Arbeitgeber beim Abschluss von Firmentarifverträgen nicht schutzbedürftig wäre. b) Der freiwillige Abschluss eines Firmentarifvertrags ist jedoch als Grundrechtsverzicht des Arbeitgebers zu qualifizieren, so dass ein Eingriff in seine Grundrechte ausscheidet und aus diesem Grund kein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG in Betracht kommt. Falls dieser Verzicht freiwillig, d.h. ohne Kampfdruck ausgesetzt worden zu sein, erklärt wurde, führt dies zur Zulässigkeit einer Standortzusage, da der einzelne Arbeitgeber befugt ist, über sein Grundrecht auf Freiheit der Berufsausübung vollumfänglich zu verfügen, um im Gegenzug ein Entgegenkommen der Gewerkschaft zu erreichen, das ihm anderweitige Gestaltungsmöglichkeiten erst eröffnet.

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Kap. 7: Schlussbemerkungen

5. Ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG liegt dagegen vor, wenn die Gewerkschaft versucht, die Verhinderung einer Standortverlagerung mittels Streiks zu erkämpfen. Zwischen tariflicher Regelbarkeit und Erstreikbarkeit ist zu differenzieren, so dass nicht von der Regelbarkeit einer Materie auf ihre Erstreikbarkeit geschlossen werden darf. Streikforderungen, die ausschließlich dem schuldrechtlichen Teil eines Tarifvertrags zugänglich sind, sind zwar grundsätzlich von der Arbeitskampffreiheit umfasst, ein Streik, welcher den Arbeitgeber zum Abschluss eines Standortsicherungstarifvertrags bewegen soll, verstößt aber gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit des bestreikten Arbeitgebers. Die Entscheidung, an welchem Standort produziert werden soll, ist als unternehmerische Grundlagenentscheidung anzusehen, die dem Wesensgehalt der Berufsfreiheit zuzuordnen ist und nicht mittels Streiks beeinflusst werden darf. Die Berufsfreiheit der verlagerungswilligen Arbeitgeber genießt daher Vorrang vor den durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Kollektivinteressen und dem Grundrecht auf Berufsfreiheit, auf das sich die von der Standortentscheidung betroffenen Arbeitnehmer berufen können. IV. Hinsichtlich der Zulässigkeitsgrenzen des Tarifsozialplans ist danach zu differenzieren, ob diese als Firmen- oder firmenbezogener Verbandstarifvertrag vereinbart werden: 1. Die tarifliche Regelungszuständigkeit umfasst die Vereinbarung von tariflichen Sozialplänen. Der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit ist eröffnet, da Tarifsozialpläne unter den Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen subsumiert werden können. Die §§ 111 ff. BetrVG schränken den Aufgabenbereich der Tarifvertragsparteien nicht ein. Die Aufgabe der sozialverträglichen Gestaltung unternehmerischer Standortverlagerungsentscheidungen ist vom Gesetzgeber nicht abschließend der Betriebsebene zugewiesen worden. Die sog. Sperrwirkungsthese lässt sich weder anhand einer Auslegung der §§ 111 ff. BetrVG belegen, noch entspricht sie der gebotenen verfassungskonformen Auslegung dieser Vorschriften, da die mit ihr verbundene Einschränkung des Zuständigkeitsbereichs der Tarifvertragsparteien mit dem aus Art. 9 Abs. 3 GG abzuleitenden Grundrechtsschutz nicht zu vereinbaren ist. 2. Die Vereinbarung von tariflichen Sozialplänen unterliegt der tariflichen Regelungsbefugnis. Die Verlängerung von Kündigungsfristen, Abfindungsleistungen und Qualifizierungsmaßnahmen sind als Beendigungsnormen gemäß § 1 Abs. 1 TVG tauglicher Gegenstand des normativen Teils eines Tarifvertrags. Wird dennoch von den Tarifvertragsparteien eine schuldrechtliche Vereinbarung angestrebt, gilt es die Einschränkung zu beachten, dass eine Regelung in einem firmenbezogenen Verbandstarifvertrag ausscheidet, da damit eine unzulässige Verpflichtung des Arbeitgebers als Verbandsmitglied einhergehen würde. Für den Firmentarifvertrag gilt diese Einschränkung nicht, da der Arbeitgeber bei Vertragsschluss selbst die schuldrechtliche Verpflichtung eingeht.

A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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3. Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit scheidet im Fall der Vereinbarung eines freiwilligen Firmentarifvertrags aufgrund des im Tarifvertragsschluss liegenden Grundrechtsverzichts aus. Der Arbeitgeber disponiert über sein Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG und kann also selbst bestimmen, ob er sich auch weitreichenden Verpflichtungen, welche Tarifsozialpläne vorsehen können, aussetzen will. 4. Für die Vereinbarung von Sozialplaninhalten in firmenbezogenen Verbandstarifverträgen folgt aus dem Grundrechtsschutz des Arbeitgebers ein engerer Gestaltungsspielraum, den die Tarifvertragsparteien zu beachten haben: a) Dies liegt darin begründet, dass die Zustimmung des Arbeitgebers zum Tarifvertragsabschluss und der Verbandsbeitritt nicht als Grundrechtsverzicht gedeutet werden können, der wie beim Firmentarifvertrag eine weitreichende Bindung grundrechtlicher Freiheiten des Arbeitgebers als Adressaten der Regelung rechtfertigen würde. Die tarifvertragliche Vereinbarung ist einer Grundrechtskontrolle zu unterziehen, um einen möglichen Verstoß gegen die Berufsfreiheit des verbandsangehörigen Arbeitgebers festzustellen. Dabei ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung angezeigt, die auch die inhaltliche Ausgestaltung, also hier die Höhe des Sozialplanvolumens, auf evidente Verfassungsverstöße hin kontrolliert. Ansonsten würde übersehen, dass gerade bei einer Regelung der sozialen Folgen von Unternehmerentscheidungen von der Quantität der Ausgestaltung aus Sicht des Arbeitgebers als Regelungsadressaten eine besondere Qualität ausgehen kann. Diese Verhältnismäßigkeitskontrolle des Umfangs der inhaltlichen Ausgestaltung führt weder zu einer Tarifzensur, noch bringt sie die materielle Richtigkeitsvermutung des Tarifvertrags ins Wanken. Vielmehr bestünde für den Fall des Verzichts auf eine Angemessenheitskontrolle die Gefahr, dass der vom Tarifvertrag ausgehende Grundrechtsverstoß vor den Gerichten nicht vom Arbeitgeber gerügt werden könnte. b) Ein Verstoß Art. 12 Abs. 1 GG scheidet dennoch im Regelfall aus, weil die mit einer Standortverlagerung verbundenen Nachteile für die Arbeitnehmer auch eine sehr umfangreiche Kompensation erfordern kann und diesbezüglich der Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien zu respektieren ist. Lediglich wenn die finanzielle Situation des Unternehmens angespannt ist und aus dem Grund unabdingbare Umstrukturierungsmaßnahmen verhindert werden, weil die Folgekosten vom Arbeitgeber nicht erfüllt werden können, ist ein Verstoß gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit des Arbeitgebers anzunehmen, so dass der Tarifvertrag rechtswidrig wäre. Dies ist dann der Fall, wenn dem Arbeitgeber der Nachweis gelingt, dass der Standort verlagert wird, um eine drohende wirtschaftliche Notlage abzuwenden, und mit der Erfüllung der Sozialplanverpflichtungen möglicherweise eine Insolvenz verbunden wäre. Maßgeblich sind also die wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers und der Umfang der Verpflichtungen, welche der Tarifsozialplan vorsieht. Um diese Grenze bestimmbar zu machen, sind

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Kap. 7: Schlussbemerkungen

die Faktoren heranzuziehen, welche im Zusammenhang mit der Ermessensausübung durch die Einigungsstelle als äußerste Belastungsgrenze des betrieblichen Sozialplans gemäß § 112 Abs. 5 S. 1 und S. 2 Nr. 2 BetrVG entwickelt wurden. Die Beweislast dafür, dass ein solcher Ausnahmefall vorliegt, trägt der Arbeitgeber. V. Hinsichtlich der Zulässigkeitsgrenzen eines Streiks um einen Tarifsozialplan im Fall eines Standorttarifkonflikts ergibt sich ebenfalls ein differenziertes Bild: 1. Ein Streik um einen Tarifsozialplan verstößt gegen die Berufsfreiheit des Arbeitgebers, wenn er zwar formal auf die soziale Abmilderung der Standortentscheidung abzielt, in Wirklichkeit aber auf den Standorterhalt gerichtet ist. Zur Aufdeckung rechtmissbräuchlich zurückgehaltener Kampfforderungen sind der Gewerkschaft eindeutig zurechenbare Erklärungen nach Bekanntgabe des Streikbeschlusses heranzuziehen, um festzustellen, ob trotz anders lautendem Wortlaut des Streikbeschlusses weiterhin das Ziel der Standorterhaltung verfolgt wird. 2. Ferner kann sich ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG aus dem Umfang der Streikforderungen nach Abschluss eines Tarifsozialplans ergeben. Diese unterliegen einer Evidenzkontrolle, die danach fragt, ob durch Verknüpfung von Forderungsumfang und Kampfverhalten der Wesensgehalt der Berufsfreiheit der Arbeitgeber angetastet wird. Ein Streik ist dann rechtswidrig, wenn die Erfüllung der gewerkschaftlichen Ausgangsforderungen zur Insolvenz des Unternehmens führen würde und die Gewerkschaft über einen längeren Zeitraum unnachgiebig an ihnen festhält, ohne Kompromissbereitschaft zu signalisieren. Durch diese Verknüpfung von Forderungsumfang und Verhandlungsdruck erhält das Vorgehen der Gewerkschaft eine besondere Qualität, die derart weit in den Kernbereich der Berufsfreiheit vordringt, dass eine Rechtfertigung durch Art. 9 Abs. 3 GG nicht in Betracht kommt. Der Schwerpunkt der Kampfmaßnahmen ist in solchen Fällen nicht mehr in der Kompensation der sozialen Folgen der Verlagerungsentscheidung zu sehen. 3. § 74 Abs. 2 BetrVG begründet keine Friedenspflicht, welche die Gewerkschaften bei der Durchführung von Arbeitskämpfen, die auf den Abschluss von Tarifsozialplänen gerichtet sind, zu beachten hätten. Die Unzulässigkeit eines solchen Standortstreiks kann sich jedoch wegen eines Verstoßes gegen die aus Rationalisierungsschutzabkommen abzuleitende Friedenspflicht ergeben. Regelt ein solches Abkommen die sozialen Folgen von Betriebsänderungen umfassend und abschließend, sperrt dies einen Streik um einen Tarifsozialplan. Dagegen begründen Sonderkündigungsschutzregelungen auf Verbandsebene keine Friedenspflichten, welche zur Rechtswidrigkeit eines Streiks um Sozialplaninhalte führen könnten. Versucht die Gewerkschaft, zeitgleich eine Sozialplanregelung mit dem Arbeitgeberverband und dem Arbeitgeber anzustreben, begründen auch bloße Verhandlungen keine Friedenspflichten. Unterliegt eine Teilforderung des Tarifsozialplans einer Friedenspflicht, schlägt dies auf den gesamten Arbeitskampf

A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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durch, selbst wenn weitere Forderungen verfolgt werden, denen dieser Einwand nicht entgegengehalten werden kann. 4. Auch der Umstand, dass Arbeitgeber und Betriebsrat an den verlagerungswilligen Arbeitgeber herantreten und jeweils Sozialplanforderungen stellen, führt nicht zur Unzulässigkeit eines Streiks, wenn die Gewerkschaft zum Kampf übergeht: a) Der Arbeitskampf um einen Tarifsozialplan verstößt nicht das ultima-ratioPrinzip, sofern das Sozialplanverfahren auf betrieblicher Ebene noch nicht beendet wurde. Die Regelungen der §§ 111 ff. BetrVG betreffen ausschließlich das Rechtsverhältnis von Arbeitgeber und Betriebsrat. b) Aufgrund dieser Erwägungen geht mit einem Streik um einen Tarifsozialplan auch kein Verstoß gegen den Paritätsgrundsatz einher. Es ist nicht ersichtlich, dass bei Standorttarifkonflikten das Gleichgewicht hinsichtlich der Mittel der Druckausübung allein aufgrund der Befugnisse des Betriebsrats gemäß §§ 111 ff. BetrVG einseitig zu Gunsten der Gewerkschaft verschoben wäre. c) Stattdessen kommt aus Sicht des in die „Zange genommenen“ Arbeitgebers eine Suspendierung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats in Betracht. Eine teleologische Reduktion der §§ 111 ff. BetrVG ist aber nur dann geboten, wenn der Betriebsrat mit Blick auf einen parallel verlaufenden Arbeitskampf um Sozialplaninhalte durch eine Verzögerungstaktik das betriebliche Verfahren in die Länge zieht, um so die Verhandlungsposition der Gewerkschaft zu stärken. VI. Entgegen vereinzelter Stimmen aus dem Schrifttum kann sich der Arbeitgeber aus dem Zangengriff von Gewerkschaft und Betriebsrat nicht mittels lösender Abwehraussperrung befreien. Kampfmittel mit lösender Wirkung sind von der Arbeitskampffreiheit nicht umfasst. Auch der Einsatz einer Angriffsaussperrung wäre unzulässig, um auf diesem Wege Streikmaßnahmen der Gewerkschaft zuvorzukommen und Tarifforderungen nach Abschluss eines Tarifsozialplans „im Keim zu ersticken“. VII. Wird der Streik von einem grenzüberschreitenden Verlagerungsvorhaben von Deutschland in einen Mitgliedsstaat der EU veranlasst, ergibt sich ein dem deutschen Recht vergleichbares Bild hinsichtlich der Grenzen der Streikfreiheit: 1. Die Gewerkschaften haben bei der Durchführung von Kampfmaßnahmen aus Anlass einer grenzüberschreitenden Verlagerung einer Betriebstätte innerhalb der EU die Niederlassungsfreiheit des bestreikten Arbeitgebers zu achten. 2. Der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit ist auch bei der Durchführung von gewerkschaftlichen Kollektivmaßnahmen aus Anlass einer Verlagerungsentscheidung eröffnet. Art. 137 Abs. 5 EG (nunmehr Art. 153 Abs. 5 AEUV) steht dem nicht entgegen. Die vom EuGH in der Rechtssache Albany angestellten Erwägungen lassen sich nicht auf das Spannungsverhältnis von Niederlassungsfreiheit und Arbeitskampf übertragen. Eine Einschränkung des An-

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Kap. 7: Schlussbemerkungen

wendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit lässt sich nicht damit rechtfertigen, dass sich die Durchführung von Kollektivmaßnahmen auch auf Gemeinschaftsebene als Ausübung grundrechtlicher Freiheiten darstellt. 3. Die Verlagerung von Betriebstätten innerhalb der EU ist vom Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit umfasst. Arbeitskämpfe aus Anlass einer Standortverlagerungsentscheidung sind als Beschränkungen dieses Freiheitsrechts anzusehen. Dies gilt nicht nur dann, wenn die Verhinderung der Verlagerungsentscheidung zum Kampfziel erhoben wird, sondern auch bei einem Arbeitskampf um die soziale Abmilderung der Entscheidung, wenn diese geeignet ist, die Verlagerungsentscheidung mit erheblichen Folgekosten zu belasten, weniger attraktiv zu machen und die Niederlassungsfreiheit des bestreikten Arbeitgebers faktisch zu beeinträchtigen. 4. Das Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen schützt das Recht der Gewerkschaft, Streikmaßnahmen zu erheben, welche auf die Verhinderung der Verlagerung oder die Kompensation der mit der Verlagerung für die Arbeitnehmerschaft verbundenen Nachteile abzielen. Ob die damit verbundene Beeinträchtigung der Grundfreiheit gerechtfertigt ist und somit Streikbefugnisse für den Fall einer grenzüberschreitenden Verlagerung eröffnet sind, bestimmt sich anhand einer Interessenabwägung zwischen Niederlassungs- und Streikfreiheit. Zwischen den kollidierenden Interessen ist ein verhältnismäßiger Ausgleich herzustellen. Dieser Schranke der Grundrechtsausübung kommt bei Standortarbeitskämpfen entscheidende Bedeutung zu, da solche Kollektivmaßnahmen in der Regel dem Arbeitnehmerschutz dienen, weil mit der Verlagerung die Arbeitsplätze am betroffenen Standort gefährdet sind. 5. Die Erforderlichkeit eines Standortstreiks um einen Tarifsozialplan ist auch dann gegeben, wenn ein Ausgleich der mit einer Verlagerung verbundenen Nachteile für die Arbeitnehmer auf Betriebsebene von Arbeitgeber und Betriebsrat geregelt werden können. An der Angemessenheit fehlt es jedoch, wenn die Gewerkschaften versuchen, mittels Arbeitskampfs eine Verhinderung der Verlagerung durchzusetzen. Die Wahrnehmung des Streikrechts darf nicht dazu führen, dass die Niederlassungsfreiheit nicht mehr in ihrem Kernbereich erhalten bliebe. Arbeitskämpfe um Tarifsozialpläne sind dagegen zulässig, selbst wenn auf diesem Wege exorbitante Tarifforderungen durchgesetzt werden sollen. Nur wenn die Verknüpfung von Forderungsumfang und Streikdruck dazu führen kann, ist eine Evidenzkontrolle der Streikforderung auf ihre Gemeinschaftskonformität hin angezeigt ist. Diese wie im deutschen Recht nach hier vertretener Auffassung zur Rechtswidrigkeit des Streiks, wenn die Erfüllung der Ausgangsforderung die Insolvenz des Arbeitgebers nach sich ziehen würde und die Gewerkschaft über einen längeren Zeitraum den Einigungsprozess blockiert, um so die Verlagerungsentscheidung trotz formaler Beschränkung auf ihre Kompensation gezielt zu torpedieren.

B. Vorschlag zur Lösung von Tarifkonflikten

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B. Vorschlag zur Lösung von Tarifkonflikten aus Anlass sonstiger Unternehmensorganisationsentscheidungen des Arbeitgebers Betrachtet man die Hintergründe der Entwicklung des Standortarbeitskampfes, liegt es aus Gewerkschaftssicht nahe, zukünftig nicht nur vorwiegend verlagerungsbedingte Betriebsschließungen, sondern auch sonstige Umstrukturierungsvorhaben, welche mit Entlassungen oder erheblichen Einschnitten für die Arbeitnehmerseite verbunden sind, in größerem Umfang zum Anlass für Arbeitsniederlegungen zu nehmen, welche auf die Abwehr dieser Unternehmerentscheidungen oder zumindest auf eine Kompensation der Nachteile abzielen. Es bietet sich an, die im Rahmen dieser Untersuchung für den Standortarbeitskampf entwickelten Grundsätze zur Verortung der Grenzen der Streikfreiheit für vergleichbare Tarifkonflikte fruchtbar zu machen. Auch in diesem Fall gilt demnach die Grundregel, dass zwischen einer legitimen Wahrnehmung berechtigter Arbeitnehmerinteressen und einer gezielten und rechtswidrigen Torpedierung der Unternehmerentscheidung zu unterscheiden ist.1 Daran anknüpfend lässt sich anhand der Vergleichbarkeit des betreffenden Sachverhalts mit einem Tarifkonflikt aus Anlass einer Standortverlagerung die Frage nach der Zulässigkeit von gewerkschaftlich geführten Kampfmaßnahmen beantworten. Diese Probleme stellen sich beispielsweise dann, wenn die Gewerkschaft Verkaufs-, Outsourcing- oder Ausgliederungspläne des Arbeitgebers zum Anlass für Streikaktivitäten nimmt. Ebenso könnte mittels Streiks versucht werden, auf Pläne des Arbeitgebers, die Produktionsabläufe aufgrund technischer Neuerungen im Betrieb grundlegend umzugestalten, Einfluss zu gewinnen. Mit Blick auf die für den Standortarbeitskampf erarbeiteten Lösungen ergibt sich folgendes Bild hinsichtlich der Grenzen der Streikfreiheit:

I. Unmittelbare Einflussnahme 1. Bei einer Verkaufsentscheidung des Arbeitgebers ist schon der Schutzbereich der Tarifautonomie nicht eröffnet, um mittels Tarifvertrags auf diese unmittelbar Einfluss zu nehmen. Selbst wenn man davon auszugehen kann, dass der Verkauf an einen Mitbewerber in der Regel langfristig zu Rationalisierungsmaßnahmen führen kann, weil beispielsweise keine zwei Personalabteilungen benötigt werden, ist es der Gewerkschaft verwehrt, einen Verkaufsverzicht zum Inhalt einer Tarifforderung zu machen. Solche Rechtsträgerwechsel haben grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen der Belegschaft des veräußerten Betriebs. Mit einem sol1 Deutlich auch Krause, in: Jacobs/Krause/Oetker, Tarifvertragsrecht, § 1 Rn. 80: „Dasselbe hätte für (sonstige) Umstrukturierungen zu gelten.“

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Kap. 7: Schlussbemerkungen

chen Vorgang sind für die Belegschaft des verkauften Unternehmens faktisch zwar Veränderungen verbunden, dies muss aber nicht zwangsläufig zu Verschlechterungen für die Belegschaft führen. Nimmt man den aus Gewerkschaftssicht „worst case“, den Firmenverkauf an einen sog. Private-Equity-Fonds an, ist im Gegensatz zum Standortverlagerungsbeschluss zu diesem Zeitpunkt noch nicht offensichtlich, ob und in welchem Umfang nach Verkauf vom Erwerber betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden, selbst wenn Äußerungen des potentiellen Käufers vor dem Erwerb des Unternehmens darauf hindeuten. Gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB ist der Erwerber an den geltenden Tarifvertrag gebunden. Erst wenn der neue Arbeitgeber Umstrukturierungsmaßnahmen mit Entlassungsfolgen bekannt gibt, ist er der richtige Adressat für eine Tarifforderung, welche, sollte dies zulässig sein, auf die Verhinderung der Umstrukturierungsmaßnahme oder eine Kompensation der Nachteile abzielt. Die Entscheidung, an wen, zu welchem Preis und zu welchen Bedingungen das Unternehmen verkauft werden soll, ist nicht vom Aufgabenbereich der Koalitionen umfasst.2 Ebenso wenig darf mittels Streiks versucht werden, den Verkauf eines Unternehmensteils an einen Mitbewerber durchzusetzen. Dies käme einer Enteignung gleich. 2. Dagegen könnte man einen spezifischen Bezug der wirtschaftlichen Entscheidung des Arbeitgebers zu den Bedingungen, unter denen abhängige Arbeit im Betrieb geleistet wird, annehmen, wenn eine Ausgliederung von Unternehmensteilen vorgenommen werden soll und damit ein Tarifwechsel verbunden wäre, so dass wirtschaftliche Nachteile für die von der Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer greifbar sind. Gleiches würde für einen Firmenverkauf gelten, wenn gemäß § 613a Abs. 1 S. 3 BGB der für den Erwerber geltende Tarifvertrag Anwendung finden würde und dies mit einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen verbunden wäre, falls etwa dieser „Wechsel“ in den neuen Tarifvertrag mit einem Lohnverlust verbunden wäre. Man könnte sich nun auf den Standpunkt stellen, dass sich in diesem Fall auch die Entscheidung eines Firmenverkaufs unmittelbar auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten des veräußerten Betriebs auswirkt. Aufgrund der Friedenspflicht wäre die Gewerkschaft zudem daran gehindert, mittels Streiks eine höhere Lohnforderung nach dem Erwerb durchzusetzen. Auch dies darf allerdings nicht dazu verleiten, in diesem Sonderfall von der Zulässigkeit eines Streiks auszugehen, der sich gegen die unternehmerische Entscheidung selbst richtet: Neben der Standortentscheidung ist die Entscheidung über den Verkauf des Unternehmens dem Kernbereich der Unternehmerfreiheit zuzurechnen.3 Ebenso wie es der Gewerkschaft verwehrt ist, mittels Streiks die

2 3

Zutreffend Rieble, ZfA 2004, 1 (22). So im Ergebnis auch Wiedemann, RdA 1986, 231 (237).

B. Vorschlag zur Lösung von Tarifkonflikten

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Standortpolitik des Arbeitgebers zu beeinflussen, obliegt die Entscheidung, eine Betriebsstätte oder das gesamte Unternehmen zu verkaufen, allein dem Eigentümer. Er darf nicht gezwungen werden, an einen bestimmten Interessenten zu verkaufen, selbst wenn dieser angekündigt hat, zu den bisher geltenden Arbeitsbedingungen den Betrieb fortführen zu wollen. Ist § 613a Abs. 1 S. 3 BGB einschlägig, also bei einem Betriebsübergang überhaupt eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer des veräußerten Betriebs denkbar, darf auch dies nicht zum Anlass genommen werden, mittels Streiks auf eine Abwehr dieser Verschlechterung durch Erhalt des bisherigen Zustandes hinzuwirken, da dies den verfassungsrechtlichen Wertungen der Unternehmensautonomie nicht gerecht würde. Ansonsten würde der Arbeitgeber gezwungen, sein Unternehmen fort- oder gegebenenfalls gar in die Insolvenz zu führen. Eine Aufgabe unternehmerischer Tätigkeit wäre ihm verwehrt. Dies entspräche außerdem keinesfalls dem Interesse der betroffenen Arbeitnehmer und macht einen weiteren, entscheidenden Aspekt offensichtlich: Im Vergleich zur Standortproblematik geht mit dieser Entscheidung des Verkaufs langfristig zwar möglicherweise eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen einher. Eine Stilllegung des Betriebs ist mit der Verkaufsentscheidung im Gegensatz zum Verlagerungsbeschluss nicht zwangsläufig verbunden. Zudem ist zu bedenken, dass § 613a Abs. 1 S. 3 BGB nur dann Anwendung findet, wenn in den betreffenden Unternehmen auf Käuferund Verkäuferseite die Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag mit derselben Gewerkschaft geregelt sind. Dies spricht ebenfalls dagegen, einen Streik einer Gewerkschaft zuzulassen, welcher sich gezielt gegen den Firmenverkauf richtet, um eine „Verschlechterung“ von Arbeitsbedingungen zu verhindern, die sie selbst ausgehandelt und daher zu „verantworten“ hat.4 3. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ein Streik gegen Umstrukturierungsvorhaben, deren Umsetzung sich zwangsläufig unmittelbar auf die Arbeitsbedingungen der Belegschaft auswirken, dann wegen eines Verstoßes gegen die Unternehmensautonomie unzulässig ist, wenn es sich aus Sicht des Arbeitgebers um unternehmerische Grundlagenentscheidungen handelt, ohne deren Umsetzung die Fortführung der unternehmerischen Tätigkeit erheblich in Frage gestellt würde. Maßgeblich ist dabei, welche Bedeutung die Maßnahme aus Sicht des betreffenden Arbeitgebers hat und ob sie ein derartiges Ausmaß erreicht, dass sie wie bei einer Standortentscheidung einer Verfügung über den Betrieb als Ganzes gleichkommt.5 Wird also der Ablauf der Produktion grundlegend umgestellt, weil technische Neuerungen dies nunmehr ermöglichen, darf dies ebenso wie bei der Schließung eines Standortes nicht durch Streik verhindert werden, selbst wenn diese Entscheidung für die betroffenen Arbeitnehmer mit Arbeitsplatzverlust verbunden 4 5

Vgl. hierzu Greiner, NZA 2008, 1274 (1280). Wiedemann, RdA 1986, 231 (237).

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Kap. 7: Schlussbemerkungen

ist. Wenn beispielsweise ein Zentrallager nicht mehr ausschließlich durch den Einsatz von Lagerarbeitern betrieben werden soll, sondern eine Umrüstung in ein modernes Hochregallager geplant wird, so dass nur noch wenige Arbeitnehmer mit entsprechender Qualifikation zur Überwachung dieser Anlagen eingesetzt werden müssten, kann diese Maßnahme trotz ihrer erheblichen Folgen für die Belegschaft nicht unmittelbar durch Streikmaßnahmen verhindert werden. Entschließt sich der Arbeitgeber, in großem Umfang Aufgaben nicht mehr durch den Einsatz eigener Arbeitnehmer ausführen zu lassen, sondern will diese Dritten übertragen, darf diese Entscheidung ebenfalls nicht unmittelbar mittels Arbeitskampfs angegriffen werden. In diesem Fällen wäre nur eine freiwillige Vereinbarung zulässig. Dies eröffnet den Tarifvertragsparteien hinsichtlich der Vereinbarung von Firmentarifverträgen weitreichende Gestaltungsbefugnisse. Ein entsprechender freiwilliger Tarifvertrag ist wiederum nur dann zulässig, wenn die entsprechende Tarifklausel vom Schutzbereich der Koalitionsfreiheit umfasst ist. Auf die Rechtsform des Unternehmens, Erweiterungen durch Gründung von Zweigniederlassungen im In- und Ausland oder die Eigentümerstruktur darf mittels tarifvertraglicher Regelung kein Einfluss genommen werden. Wollen die Tarifvertragsparteien Verpflichtungen diesbezüglich vereinbaren, besteht die Möglichkeit einer Vereinbarung eines „allgemeinen zivilrechtlichen Vertrags“ oder einer „sonstigen Kollektivvereinbarung“.6 Streikbefugnisse bestehen nicht. 4. Andererseits gilt es festzuhalten, dass unter den Rückgriff auf den Kernbereich unternehmerischer Freiheitsrechte nur solche Entscheidungen einem Kampfverbot unterliegen, die Bestand, Umfang, Inhalt oder Zwecksetzung des Unternehmens betreffen.7 Ansonsten würde der Grundrechtsschutz von Art. 9 Abs. 3 GG unter Rückgriff auf den Wesensgehaltsschutz des Art. 12 Abs. 1 GG über Gebühr zurückgedrängt.8 Daraus folgt, dass nicht jede unternehmenspolitische Entscheidung, die unter den Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen subsumiert werden kann, für die Ausübung unternehmerischer Tätigkeit so unabdingbar ist, so dass es geboten wäre, sie vor einer Einflussnahme mittels Streik gänzlich freizuhalten, weil ansonsten die Grundidentität dieser grundrechtlich geschützten Freiheit in Gefahr geriete. Dies ist etwa dann gegeben, wenn die Umstrukturierung nur einen kleinen Teil des Unternehmens betrifft und es sich nicht um eine grundlegende Neuorganisation des Betriebs handelt. Ist der Kernbereich der Unternehmensautonomie nicht betroffen, gilt es, anhand einer Abwägung der gegenläufigen Interessen einen Ausgleich zu suchen. Maßgeblich ist dabei, „ob dem Unternehmer die Möglichkeit eigenverantwort6 7 8

Siehe Kapitel 3 B. III. 3. Siehe Kapitel 3 C. III. 3. b) bb) (4). Zutreffend Starck, Verfassungsfragen, S. 147.

B. Vorschlag zur Lösung von Tarifkonflikten

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lichen und sinnvollen Wirtschaftens verbleibt“ 9, wenn er durch den Einsatz der Verhandlungsmacht der Gewerkschaften gezwungen würde, diese Maßnahme zurückzunehmen. In der Regel wird diese Abwägung zu einem Vorrang des Streikrechts führen, da ansonsten übersehen würde, dass ein Gleichlauf von tariflicher Regelbarkeit und Erstreikbarkeit zwar nicht zwingend geboten ist, zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie aber das Kampfverbot für unternehmerische Richtungsentscheidungen auf einen kleinen Bereich zu beschränken ist. Insoweit kommt dem Streikrecht im Rahmen der Güterabwägung ein starkes Gewicht zu. Darüber hinaus sind aber stets die Intensität der Betroffenheit der Arbeitnehmerinteressen10, sowie Umfang und Bedeutung der Umstrukturierungsmaßnahme im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit als Kriterien heranzuziehen, um den Besonderheiten des Einzelfalls gerecht werden zu können. Die praktische Bedeutung dieses Bereichs wird sich allerdings in Grenzen halten: Die Praxis des Standortarbeitskampfes offenbart, dass die Streikbereitschaft und das Bedürfnis nach Verhinderung der Maßnahme gerade dann besonders hoch ist, wenn es sich um eine grundlegende Umstrukturierung handelt. Geht es dagegen um eine Maßnahme, die nur einen kleinen Teil der Belegschaft betrifft, und trägt der Arbeitgeber zudem vor, dass diese unabdingbar ist, um so den Erhalt der verbleibenden Arbeitsplätze zu gewährleisten, wird es der Gewerkschaft kaum gelingen, nicht betroffene Arbeitnehmer für einen Streik zu mobilisieren, der auch ihre Arbeitsplätze gefährden könnte.

II. Mittelbare Einflussnahme durch Sozialplanstreik Diese Ausführungen zu den Grenzen einer unmittelbaren Einflussnahme auf unternehmenspolitische Organisationsentscheidungen sind insoweit von „theoretischer Natur“, muss man mit Blick auf die Entwicklung des Standortarbeitskampfes doch davon auszugehen, dass die Gewerkschaften versuchen werden, mittels Arbeitskampfs um exorbitante Tarifsozialplanforderungen mittelbar Einfluss auf die Umsetzung der Umstrukturierungsmaßnahme zu gewinnen, da sie sich diesbezüglich auf die höchstrichterliche Rechtsprechung des Ersten Senats des BAG stützen können. 1. Somit steht ihnen ein weites Anwendungsfeld offen: Aus dem Begriff des Tarifsozialplans darf nicht darauf geschlossen werden, dass nur Betriebsänderungen i. S. d. §§ 111 ff. BetrVG zum Anlass für eine Tarifforderung nach sozialem

9

Vgl. Wiedemann, RdA 1986, 231 (240). Man könnte beispielsweise danach differenzieren, ob die Maßnahme zwangsläufig zu Entlassungen führt oder mit ihr lediglich eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, also beispielsweise eine Reduzierung der Lohnansprüche verbunden ist. 10

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Kap. 7: Schlussbemerkungen

Ausgleich genommen werden können.11 Die Zulässigkeit eines Streiks um einen Tarifsozialplan ist vielmehr anhand einer Abwägung der gegenläufigen Grundrechtsinteressen zu beantworten und hängt nicht davon ab, ob in diesem Fall eine Zuständigkeit des Betriebsrats gegeben wäre. Über den Weg, mittels Tarifsozialplans eine Kompensation für die drohenden Nachteile einer Umstrukturierungsmaßnahme zu erlangen, scheint somit aus Gewerkschaftssicht eine weitreichende Einflussnahmemöglichkeit gefunden, um dem Arbeitgeber vor Augen zu führen, dass die Umsetzung seiner Planungen damit verbunden ist, streikbedingte Verluste hinnehmen zu müssen und im Fall einer Einigung der Belegschaft zum Ausgleich verpflichtet zu sein, so dass sich die Umsetzung der Pläne als weniger attraktiv erweist. Ist eine Zuständigkeit des Betriebsrats gegeben, ist jedoch die Möglichkeit einer Suspendierung der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsrechte zu beachten, falls der Betriebsrat diese Rechte gezielt zur Unterstützung eines parallel verlaufenden Arbeitskampfes einsetzt. 2. Hinsichtlich der Zulässigkeit eines Streiks um einen Tarifsozialplan zur Abmilderung von Nachteilen, welche den Arbeitnehmern aufgrund sonstiger Umstrukturierungsvorhaben entstehen können, folgt aus den für den Standortarbeitskampf herausgestellten Wertungen, dass es der Gewerkschaft grundsätzlich nicht verwehrt ist, eine Streikforderung, die auf den Abschluss eines Tarifsozialplans gerichtet ist, zu erheben, wenn die unternehmerische Entscheidung zwangsläufig Entlassungen nach sich zieht. Ist die zum Anlass für den Streik genommene unternehmerische Entscheidung jedoch dem Kernbereich der Unternehmensautonomie zuzuordnen, stellt sich wie beim Standortarbeitskampf die Frage, ob und gegebenenfalls wann ein Streik um die Kompensation der Nachteile in eine Verhinderung der Maßnahme umschlägt oder der Arbeitskampf trotz formaler Beschränkung auf die Regelung der Folgen der Entscheidung tatsächlich auf die Durchsetzung dieses Kampfziels gerichtet ist. 3. Erhebt also die zuständige Gewerkschaft anlässlich einer Ausgliederung, welche für die Arbeitnehmer mit einer Reduzierung ihrer Lohnansprüche verbunden ist, eine Sozialplantarifforderung, darf der Forderungsumfang in Verknüpfung mit einem kategorischen Festhalten an der Ausgangsforderung den Arbeitgeber nicht in Insolvenzgefahr bringen. Hält die Gewerkschaft unnachgiebig an ihr fest, wäre dies unzulässig. Gleiches gilt für einen Firmenverkauf: Fürchtet die Gewerkschaft, dass ein Verkauf an einen aus ihrer Sicht unliebsamen Interessenten mit Arbeitsplatzverlust im veräußerten Betrieb verbunden wäre, besteht die Möglichkeit, vor dem Verkauf einen Sozialplantarifvertrag zu erstreiken, sofern damit nicht der Verkauf gezielt torpediert wird. Letztendlich muss der Kaufinteressent befürchten, im Fall der Umsetzung von Umstrukturierungsplänen besonders umfangreichen 11

Ebenso Greiner, NZA 2008, 1274 (1276 f.); Schmidt, ZInsO 2008, 247 (247 f.).

B. Vorschlag zur Lösung von Tarifkonflikten

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Verpflichtungen gegenüber betriebsbedingt gekündigten Arbeitnehmern ausgesetzt zu sein. Auch exorbitante Forderungen führen aber nicht per se zur Unzulässigkeit des Streiks. Dies kann zwar den Kaufpreis für das Unternehmen mindern, wenn der Arbeitgeber diese Forderungen vor einem Verkauf annimmt, da davon auszugehen ist, dass der Kaufinteressent sein Angebot um den entsprechenden Betrag kürzen wird. Verhindern wird dies einen Firmenverkauf allerdings in der Regel nicht, was wiederum aufzeigt, dass auf diesem Wege die Verkaufsentscheidung nur bedingt torpediert werden kann. Um Rechtsmissbrauchsversuchen vorzubeugen, sind die Arbeitsgerichte dennoch gehalten, festzustellen, ob mittels Arbeitskampfs „verdeckte“ rechtswidrige Kampfziele trotz formaler Beschränkung auf den Ausgleich der sozialen Folgen verfolgt werden. 4. Dies gilt im Übrigen für jeden Arbeitskampf, da die Rechtsprechung des Ersten Senats des BAG dazu verleitet, vor der Durchführung von Kampfmaßnahmen nur die Forderungen in den offiziellen Beschluss aufzunehmen, die unstreitig nicht der relativen Friedenspflicht oder aus sonstigen Gründen einem Kampfverbot unterliegen.

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Sachregister Abschlussnorm 235 Abwehraussperrung – lösende 54, 89, 341 – suspendierende 342 Ad-Hoc-Koalition 99 AEUV – Art. 49 Abs. 1 353, 370 – Art. 54 370 – Art. 101 361 – Art. 153 Abs. 5 359 Altersgrenzenregelung 256 Angriffsaussperrung 54, 344 Anrechnungsklausel 230 Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen 98, 116, 184, 186, 204, 216, 251, 291, 388 Arbeitskampfbegriff – Funktion 81 – enger Kampfbegriff 86 – weiter Kampfbegriff 82 Arbeitskampffähigkeit, passive 277 Arbeitskampffreiheit – Ableitung aus Art. 9 Abs. 3 GG 98 – Verbot der Existenzvernichtung 287, 293 Ausgliederung 411 Auslegung von Tarifnormen 281 Außenseiter 154 Aussperrung 71 – Wiedereinstellungspflicht 343 BBiG – § 1 237 – § 26 237 Beendigungsnorm 233, 238 Berufsfreiheit – Dispositionsfreiheit 78

– Drei-Stufen-Lehre 181, 182, 199 – Kernbereich 133, 134, 167, 179, 186, 187, 191, 205, 258, 272, 301, 414 – negative Berufswahlfreiheit 187, 198 – personaler Bezug 78, 186, 200 – personaler Kern 181 – sozialer Bezug 186, 195, 270 Beschäftigungsgesellschaft 43, 236, 392 beschäftigungspolitisches Mandat der Tarifvertragsparteien 137 Besetzungsregelung, qualitative 34 betriebliches Bündnis für Arbeit 36 Betriebsautonomie 224 Betriebsblockade 388 Betriebsnorm 141 Betriebsstilllegung 83, 90 betriebsverfassungsrechtliche Norm 141, 235, 238 BetrVG – Sperrwirkung der §§ 111 ff. 205 – § 74 Abs. 2 309 – § 75 Abs. 1 226 – § 77 Abs. 3 218 – § 77 Abs. 5 168 – § 78 70 – § 112 41 – § 112 Abs. 1 208, 213, 218 – § 112 Abs. 5 240, 272, 305 – § 2 Abs. 1 70 – § 2 Abs. 3 220 – § 3 220 – § 23 Abs. 3 70 – § 50 Abs. 1 215 – § 50 Abs. 2 215 – § 87 Abs. 1 316 – § 88 146 – §§ 111 ff. 41, 138, 179, 257, 324, 336

Sachregister – §§ 42 ff. 50 Bezugnahmeklausel 155 BGB – § 123 72, 97, 261 – § 227 72, 97 – § 313 169 – § 328 241 – § 613a 42, 412 – § 622 Abs. 4 267 – §§ 138, 242 161 Boykott 50 Datenkranztheorie 125 Delegationstheorie 145 Differenzierungsklausel 155, 227 dreiseitige Vereinbarung 229 Einigungsstelle 213, 240, 272, 329, 337 Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien 263, 323, 326, 394 EMRK – Art. 11 364 – Art. 53 103 Entsenderichtlinie 393 ESC – Art. 6 Nr. 4 100 – Art. 31 104, 106, 322 EUV, Art. 3 360 Evidenzkontrolle 301, 399 falsa demonstration non nocet 281 Firmenarbeitskampf 341 firmenbezogener Verbandstarifvertrag 36, 156, 246, 277 Firmenstreik 23 Firmentarifvertrag 36, 95, 151, 154, 164, 169, 174, 248, 256 Flächentarifvertrag 266, 314, 317 Flashmob 75, 344 Freiwilligkeitsvorbehalt 175, 181, 187, 193 Friedenspflicht 54, 93, 94, 172, 302, 309, 310, 412

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Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen – Herleitung 362 – Inhalt 384 – Verhältnis zur Niederlassungsfreiheit 366 Gesamtbetriebsrat 215 Gesamtrepräsentationsfunktion der Gewerkschaften 154 Gesetzesvorbehalt 180, 216 GewO a. F., § 152 117, 120 GG – Art. 1 Abs. 1 167 – Art. 1 Abs. 3 159 – Art. 12 Abs. 1 77, 78, 79, 125, 129, 162, 167, 177, 197, 212, 254, 269, 278, 389 – Art. 14 77, 272 – Art. 19 Abs. 2 167 – Art. 19 Abs. 3 78 – Art. 74 121, 216, 225 – Art. 2 Abs. 1 77, 153, 225 – Art. 3 Abs. 1 226 – Art. 9 Abs. 3 73, 75, 79, 97, 150, 152, 177, 254 – Art. 20 Abs. 1 225 – Art. 28 Abs. 1 225 Gleichbehandlung 226 Globalisierung 24 GRC – Art. 28 107, 385 – Art. 51 Abs. 1 107, 384 – Art. 52 Abs. 1 368 Grenzen des Tarifvertrags 242 Grundfreiheiten – Beschränkungsverbot 371 – horizontale Wirkung 355 – Schutzzweck 360 Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien 159 Grundrechtseingriff 248 Grundrechtskonkurrenz 79

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Sachregister

Grundrechtsverzicht 163, 245, 254, 255, 256 Grundsatz der freien Wahl der Kampfmittel 73, 326, 344 Grundsatz der Tarifbezogenheit 97, 173 Grundsatz der Tarifeinheit 231 Günstigkeitsprinzip 140, 228, 229 GWB, § 1 362 IAO-Abkommen Nr. 87 107, 363 Individualnorm 140 Inhaltsnorm 234, 235 Integrationstheorie 145 Interessenausgleich 41, 47, 196, 336 Koalitionsfreiheit 97, 250 – Doppelgrundrecht 98 – individuelle 257 – Selbstbestimmungsrecht der Gewerkschaften 280 Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten 379 KSchG – § 1 Abs. 2 199 – § 622 Abs. 4 S. 1 243 Kündigung – außerordentliche betriebsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses 43, 244 – Kündigung des Tarifvertrags 94, 169, 253, 271 – Massenkündigung 80 Lehre vom staatlichen Geltungsbefehl 145 Leiharbeitnehmer 340 Mitbestimmungsurteil 78, 139, 212 Nachwirkung des Tarifvertrags 253, 256 Niederlassungsfreiheit, Kernbereich 397 Normsetzungsbefugnis 114, 142, 147, 176, 240

Öffnungsklausel 95, 310 Outsourcing 411 Paritätsgrundsatz 88, 93, 96, 300, 327 – Gesamtparitätslehre 91 – typisierende materielle Betrachtungsweise 88 politischer Streik 388 praktische Konkordanz 134, 187, 212, 268, 292, 376, 380 Rationalisierungsschutzabkommen 33, 54, 204, 208, 236, 311 Rechtssetzungsbefugnis der EU 360 Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags 263 Sachgruppenvergleich 229, 316 Sanierungstarifvertrag 36 schuldrechtliche Vereinbarungsbefugnis der Tarifvertragsparteien 149, 154, 176, 240 SGB III, §§ 216a ff. 240 Sozialplan 41, 47 Sozialstaatsprinzip 212, 225 Spartengewerkschaft 25, 52, 301, 342 Standortverlagerung, Begriff 38 Streikbruchprämie 340 Streikmonopol der Gewerkschaften 99 Suspendierung der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsrechte 334 Tarifautonomie – als kollektiv ausgeübte Privatautonomie 260 – Ausgestaltung 216 – Einschränkbarkeit 216 – Entwicklungsoffenheit 74, 116 – Funktionsfähigkeit 87, 96, 147, 193, 196, 284, 299, 328, 342, 394 – Kernbereich 191, 193, 228, 299 – Schutzzweck 122, 186, 189, 195, 274 – Verhältnis zur Betriebsautonomie 220, 324

Sachregister tarifliche Regelungsbefugnis 114 tarifliche Regelungszuständigkeit 113, 126, 203, 211 Tarifmacht – Begriffliches 113 – Grenzen der Tarifmacht 151 Tarifzensur 262, 287, 297, 322, 399 TVG – § 1 Abs. 1 121, 140, 149, 150, 174, 220 – § 2 Abs. 1 161 – § 3 Abs. 2 154 – § 3 Abs. 3 253 – § 4 Abs. 1 140 – § 4 Abs. 3 140, 228 – § 4 Abs. 5 169 ultima-ratio-Prinzip 323 Unternehmensverkauf 411 Unternehmerfreiheit, Verortung 77

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Unterstützungsstreik 25 Urabstimmung 84, 326 Verbandsaustritt 95 Verbandsbeitritt 157, 247, 251, 254, 317 Verbandstarifvertrag 241 Verfassungstraditionen der Mitgliedsstaaten 364, 382, 388 Verhältnismäßigkeit 184, 187, 196, 228, 260, 267, 268, 321, 379, 381, 383, 384 Verhandlungspflicht 307 Vertrag zu Lasten Dritter 156, 241 Vertrag zugunsten Dritter 241 Wegfall der Geschäftsgrundlage 316 wilder Streik 50, 388 WRV, Art. 159 120 zwingende Gründe des Allgemeininteresses 374, 380, 390