Ineinandergreifen von EuGVVO und nationalem Zivilverfahrensrecht am Beispiel des Gerichtsstands des Sachzusammenhangs, Art. 6 EuGVVO [1 ed.] 9783428525423, 9783428125425

Die Europäisierung des Zivilprozessrechts schreitet immer weiter voran. Vor allem im internationalen Verfahrensrecht wir

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Ineinandergreifen von EuGVVO und nationalem Zivilverfahrensrecht am Beispiel des Gerichtsstands des Sachzusammenhangs, Art. 6 EuGVVO [1 ed.]
 9783428525423, 9783428125425

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Schriften zum Prozessrecht Band 206

Ineinandergreifen von EuGVVO und nationalem Zivilverfahrensrecht am Beispiel des Gerichtsstands des Sachzusammenhangs, Art. 6 EuGVVO Von Wolfgang Winter

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

WOLFGANG WINTER

Ineinandergreifen von EuGVVO und nationalem Zivilverfahrensrecht am Beispiel des Gerichtsstands des Sachzusammenhangs, Art. 6 EuGVVO

Schriften zum Prozessrecht

Band206

Ineinandergreifen von EuGVVO und nationalem Zivilverfahrensrecht am Beispiel des Gerichtsstands des Sachzusammenhangs, Art. 6 EuGVVO Von Wolfgang Winter

Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Wintersemester 2006/2007 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D19

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany

© 2IDI Duncker &

ISSN 0582-0219 ISBN 978-3-428-12542-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier

entsprechend ISO 97068 Internet: http://www.duncker-humblotde

Meinen lieben Eltern

Vorwort Die Arbeit hat der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München im Wintersemester 2006/2007 als Dissertation vorgelegen. Das Manuskript habe ich im Juni 2006 abgeschlossen. An dieser Stelle möchte ich Frau Professor Dr. Dagmar Coester-Waltjen flir die Betreuung der Arbeit herzlich danken; die lehrreiche Zeit an ihrem Lehrstuhl werde ich in dankbarer Erinnerung behalten. Ich danke ferner Herrn Professor Dr. Stephan Lorenz für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Darüber hinaus gilt mein besonderer Dank meinen Freunden Thomas Elteste und Fabian Reuschle, die durch Diskussionen und Kritik zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Beim Korrekturlesen waren sie mir eine große Hilfe. Die Arbeit widme ich meinen Eltern.

München, im März 2007

Wolfgang Winter

Inhaltsverzeichnis

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

Kapitell Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, Art. 6 Nr. 1 EuGVVO I. Überblick........................................................................................................... II. Begriff............................................................................................................... III. Zuständigkeit..................................................................................................... I. Anwendungsbereich ......................... ...... ...... ......... ...................................... a) Streitgenossenschaft auf der Beklagtenseite.... ............ .. ....... ........... ...... aa) Klageerhebung gegen mehrere Personen .. .. ....... ... .. ....... .. .. ....... ...... (1) Parteibegriff.............................................................................. (2) Maßgeblicher Zeitpunkt der Klageerhebung .. ........... .. ....... .. .. .. (a) Nachträgliche Parteierweiterung......................................... (b) Späterer Wegfall der Erstklage........................................... bb) Wohnsitz eines Beklagten im Gerichtsstaat .................................... ( 1) Wohnsitz natürlicher Personen................................................. (2) Sitz juristischer Personen.......................................................... (3) Zeitpunkt des Wohnsitzes......................................................... cc) Klage gegen den den Gerichtsstand bestimmenden Beklagten von vornherein unzulässig .......... ............ ..................................... .... ...... dd) Drittstaatenproblematik................................... ............ .................... ( 1) Rechtslage nach dem EuGVÜ .......................... ......... ............. .. (2) Rechtslage nach Inkrafttreten der EuGVVO............................. b) Streitgenossenschaft aufKlägerseite..................................................... 2. Klagearten ................................................................................................... 3. Zuständigkeit im engeren Sinn.................................................................... a) Internationale Zuständigkeit.................................................................. b) Örtliche Zuständigkeit........................................................................... c) Sachliche Zuständigkeit........................................................................ d) Rechtsweg.............................................................................................

17 19 19 19 19 19 19 20 20 22 23 23 26 27 29 30 31 37 39 39 41 41 41 42 42

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Inhaltsverzeichnis

IV. Zulässigkeit- Konnexität.......... ........ ... ... .. .... .. ... ...................................... ......... 1. EuGH-Entseheidung in Sachen Kalfelis I Sehröder .................................... 2. Analyse der Entscheidung........................................................................... 3. Art der Konnexität....................................................................................... 4. Qualifikation der Konnexität....................................................................... ............................. ................. a) Tatsächlicher Zusammenhang.......... b) Prozessrechtlicher Zusammenhang..... .. ........................... c) Materiellrechtlicher Zusammenhang... .. .. .. .. .... .. .. .... .... .. .. . ....................................... d) Ergebnis............................ 5. Fallgruppen ............................. ................................................. a) Rechtsgemeinschaft .. ............... .. .... ......... .. ............ ..... ................... .. ...... b) Gemeinsame Verpflichtung................................................................... c) Teilschuld.............................................................................................. d) Akzessorische Haftung.......................................................................... V. Schranken der Zuständigkeit............................................................................. I. Allgemeines Missbrauchsverbot.................................................................. 2. Zuständigkeitsvereinbarungen............. .... ..... ............................. .................. 3. Weitere Vorschläge einer Einschränkung ................................................. .

42 43 44 46 49 49 50 51 52 53 53 53 54 54 56 56 57 57

Kapitel 2

Gerichtsstand der Gewährleistungs- und Interventionsklage, Art 6 Nr. 2 EuGVVO I. Überblick ......................................................................................................... . II. Begriff .............................................. .. 1. Gcwährleistungsklage .......... . 2. Interventionsklage ............. . ................................................ . III. Zuständigkeit............................. .............................. ... ... .... ......... ...... .... .. ... ...... I. Anwendbarkeit.................... ................... ............ ... .. ... .. .. .. ... . . . . . . . . . . .. 2. Klagearten ........ ....... ..... ................... 3. Zuständigkeit im engeren Sinn.................................................................... a) Internationale Zuständigkeit.................................................................. b) Örtliche Zuständigkeit........................................................................... c) Sachliche Zuständigkeit........................................................................ ................................. d) Rechtsweg........................ 4. Schranken der Zuständigkeit................... .. ............................. ... . .. ...... ... .. . a) Zusammenhang .................................................................................. ............................... ............ ...... .... . b) Missbrauchsverbot........ ....................................... ................. aa) Kollusion.................. bb) Klage ohne Grund........................................................................... cc) Kläger als Gewährleistungs-oder Interventionskläger....................

60 60 61 63 65 65 68 68 69 69 69 71 71 71 73 74 75 76

Inhaltsverzeichnis c) Zuständigkeitsvereinbarungen .............................................................. aa) Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 23 EuGVVO.................... bb) Gerichtsstandsvereinbarung bei rein inländischen Sachverhalten... d) Zweckmäßigkeitserwägungen .............. .. ......... ..................... .. ............... IV. Zulässigkeit des Verfahrens............................................................................... I. Zulässigkeit der Gewährleistungs- und Interventionsklage ...................... ... a) Beteiligte Personen und Parteirollen ............ ... .. .................................... b) Parteibegriff ... ..................... ................. ............................................... . c) Partei- und Prozessfahigkeit.................................................................. d) Fristen und Zeitpunkt der Drittbeteiligung............................................ e) Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen... .. .. ........ .. .. ... .. .. .. ....... ... .. ...... ... f) Verfahrenstrennung............................................................................... 2. Schranken der Einschränkung der Zulässigkeit........................................... V. Sonderregelung flir Deutschland, Österreich und Ungarn................................. I. Wesen und Wirkung der Streitverkündung ................................................. 2. Anwendbarkeit der EuGVVO auf den Folgeprozess................................... 3. Zeitpunkt der Prüfung der Zulässigkeit der Streitverkündung .................... a) Europarechtlicher Einfluss.................................................................... b) Einzelfalle .. .. ....... .... .. .... .. ...... ........... ...... ...... ... ..... ......... ........................ 4. Voraussetzungen der Anerkennung der Nebeninterventionswirkung.......... 5. Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot, Art. 12 EGV? .........................

11 76 77 78 79 81 82 83 84 84 85 85 86 86 87 87 91 94 95 97 99 100

Kapite/3 Gerichtsstand der Widerklage, Art. 6 Nr. 3 EuGVVO I. Überblick .......................................................................................................... II. Begriff.............................................................................................................. III. Zuständigkeit.................................................................................................... 1. Anwendungsbereich. ........... ........ .... .. .. .. .. .. ....... .. ... .. ..... .. .. ... .. .. ... .. ....... .... ... a) Erfordernis eines Gerichtsstands der Hauptklage nach der EuGVVO? b) Erfordernis eines Wohnsitzes des Klägers/Widerbeklagten innerhalb der Mitgliedstaaten?............................................................................. 2. Klagearten ................................ .................................... .. ......... ................... 3. Zuständigkeit im engeren Sinn ................................................................... a) Internationale Zuständigkeit................................................................. b) Örtliche Zuständigkeit.......................................................................... c) Sachliche Zuständigkeit ....................................................................... d) Rechtsweg............................................................................................ 4. Zuständigkeitsvereinbarung ....................................................................... 5. Ausschließliche Zuständigkeiten................................................................

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Inhaltsverzeichnis

IV. Zulässigkeil .. ............................... . ............. ...... ...................... ................... . 1. Konnexität........... ............................ .... .. .. .. .. .... .. ... . .. .. .. .. .. .. .. .. ..... .. .. . .. .... .. .. . a) Derselbe Vertrag .. .. . .. .... .. .... .... ... .. .. ..... .. .. .. .. .... . .. .. .. .. ... .. .. ...... .... .. .. .. .. .. b) Derselbe Sachverhalt............................. .. .. .. .. .. .... ... .. .. .. .. .. .. .. ..... .. .. ... .. 2. lnkonnexe Widerklagen.......................... ... .. .. .................. ......... .. .............. 3. Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen........................... .. ... .. .. ... .. ..... .... .. . a) Widerklageverbote im nationalen Prozessrecht.......................... b) Ausschließliche örtliche Zuständigkeit................................................ c) Parteierweiternde Widerklage................. .. ......................................... d) Sonstige Zulässigkeilsvoraussetzungen nach nationalem Recht.......... V. Prozessaufrechnung.... .......................... ........... .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... .. .. . .. . .. ... .. .... . 1. Begriff der Aufrechnung ..................... ............................ ........ .............. ..... 2. Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 3 EuGVVO bei Prozessaufrechnung .......... 3. Reichweite der Verweisung auf' das nationale Recht.................................. a) Unterscheidung zwischen materiellrechtlicher und prozessualer Lage aa) Materiellrechtliche Lage ...... .. ................................................ bb) Prozessuale Lage .................................................................. .. b) Anwendungsbereich des nationalen Rechts ....................................... .

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Kapite/4 Dinglicher Gerichtsstand des Sachzusammenhangs, Art. 6 Nr. 4 EuGVVO

I. Überblick...................................... .. ... .. .. ..... .. .. . ........ .. ........... ........ .. .. ............ .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .... .. .. .. ... .. II. Begriff................................................... 1. Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag .... .... .......... .... .... .............. .... 2. Klage wegen dinglicher Rechte an unbeweglichen Sachen............. a) Unbewegliche Sachen................................................................... aa) Auslegung...................................................................................... bb) Einzelheiten................................................................................... b) Dingliche Rechte.................................................................................. c) Klage wegen dinglicher Rechte............................ ............................... aa) Gegenstand der Klage....................... ............................ ............... bb) Einzelheiten ...... .... .............. ... .... ........ ................. .... .. .. ........ ..... ...... III. Zuständigkeit.......................... ........ ............... ... .. . . .. .. ... ...... .. ... .. .. ......... ........... I. Internationale, örtliche und sachliche Zuständigkeit.................................. 2. Rechtsweg....................................................... . ............. ... ...................... 3. Ausschließliche Zuständigkeit............................................. ...................... 4. Zuständigkeitsvereinbarung ............................................................. IV. Zu Iässigkeit .. .. .. .. . .. ...... . .. ....... .. .. .. .. ...... . .. .. ... . .. .. .. .. .. .... .. . . .... .. .... .. . .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . 1. Zusammenhang ....................................................................................... ..

131 13 I 131 133 134 134 136 137 139 139 139 141 141 142 142 143 144 144

Inhaltsverzeichnis

13

a) Tatsächlicher Zusammenhang.............................................................. b) Prozessrechtlicher Zusammenhang .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. c) Keine isolierte Vertragsklage .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 2. Identität der Parteien.................................................................................. 3. Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen......................................................

145 I 46 I 47 I 48 149

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

I. Mehrparteiengerichtsstand..... ........ .. ...... .. .. .......... .. .. ....... ......... .. ..... .. .. ....... .. ..... 150

II. III. IV. V.

Gerichtsstand der Gewähr Ieistungs- und Interventionsklage............................ Gerichtsstand der Widerklage........................................................................... Dinglicher Gerichtsstand des Sachzusammenhangs ......................................... Ineinandergreifen von EuGVVO und nationalem Prozessrecht .......................

151 153 I 54 156

Literaturverzeichnis................................................................................................. 158 Sachwortverzeichnis ................................................................................................ 164

Einleitung Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen vom 22.12.2000 (EuGVV0) 1 ist ein Schritt auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Justizraum 2 • Die Verordnung ist gemäß Art. 76 EuGVVO flir die EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks 3 am 01.03.2002 in Kraft getreten. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft unmittelbar in den Mitgliedstaaten. Sie ersetzt von diesem Zeitpunkt an innerhalb der betroffenen EU-Mitgliedstaaten das Brüsseler Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen vom 27.09.1968 (EuGVÜ) 4 in der Fassw1g des letzten Beitrittsübereinkommens5. Für die 10 neuen osteuropäischen Beitrittsstaaten einschließlich Malta und Zypern gilt die Verordnung ab deren Beitritt zur EU, dem 01.05.2004. Mit Wirkung vom 27.04.2006 ist die EuGVVO auf Dänemark ausgedehnt worden 6 . Ziel der Arbeit ist es, das Zusammenspiel von EuGVVO und nationalem Verfahrensrecht zu untersuchen. Der Rat der Europäischen Union sieht in den Unterschieden zwischen bestimmten einzelstaatlichen Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen eine Erschwernis für das reibungslose Funktionieren des Birmenmarkts. Aus seiner Sicht ist es daher unerlässlich, Bestimmungen zu erlassen, um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen7. Allein mit der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit weiß der ABI. EG 2001 Nr. L 12, S. 1fT. Vgl. zur Einflihrung der VO auch Geimer, IPRax 2002, 69ff; Wagner, IPRax 2002, 75ff. 3 Vgl. Erwägungsgründe (21) und (22). 4 ABI. EG 1972 Nr. L 299, S. 32ff; BGBI. 1972 II 774. 5 Viertes EuGVÜ-Beitrittsübereinkommen vom 29.11.1996, ABI. EG 1997, Nr. C 15, S. 1ff; BGB!. 1998 IT 1411; zu den Auswirkungen der Vergemeinschaftung des EuGVÜ vgl. Kahler. FS Gcimer, S. 461ff. 6 Vgl. Beschluss des Rates vom 27.04.2006 über den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ("006/325/EG), ABI. EG 2006 Nr. L 120, S. 22. 7 Vgl. Erwägungsgrund (2) der EuGVVO. 1

2

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Einleitung

Kläger jedoch noch nicht, welches Gericht konkret für seine Klage zuständig ist. Bestimmungen über die internationale Zuständigkeit müssen daher notwendigerweise durch weitere Vorschriften in Bezug auf Zuständigkeit des Gerichts sowie Zulässigkeit der Klage ergänzt werden, damit ein Kläger ein Gericht um Sachentscheidung in seinem Rechtsstreit bemühen kann. Als Quelle für derartige die EuGVVO ergänzende Vorschriften kommen grundsätzlich nur die nationalen Rechte in Betracht, soweit das Verfahrensrecht betroffen ist in der Regel die lex fori. Die Untersuchung soll sich im Folgenden auf den Bereich der Zuständigkeit beschränken wie er im Gerichtsstand des Sachzusammenhangs in Art. 6 Nr. 1 bis 4 EuGVVO zum Ausdruck kommt. Dabei soll untersucht werden, welche Bereiche von der EuGVVO geregelt werden und welche vom nationalen Recht; dadurch ergibt sich auch ein Bild, wie weit die Regelungen durch die EuGVVO tatsächlich reichen. Entsprechend der vier Ziffern des Art. 6 EuGVVO gliedert sich die Arbeit in vier Kapitel sowie eine Zusammenfassung der Ergebnisse. Kapitel l behandelt den Mehrparteiengerichtsstand. Im Abschnitt über die Zuständigkeit nimmt dabei die Drittstaatenproblematik besonderen Raum ein, der Abschnitt über die Zulässigkeit hat seinen Schwerpunkt auf dem Erfordernis der Konnexität. Kapitel 2 beschäftigt sich mit dem Gerichtsstand der Gewährleistungs- und Interventionsklage. Größeren Raum nehmen hier mögliche Schranken der Zuständigkeit ein. Die Sonderregelung für Deutschland und ästeneich wird separat aufgegriffen. Kapitel 3 befasst sich mit dem Gerichtsstand der Widerklage. Wieder nimmt das Konnexitätserfordemis besonderen Raum ein. Die Prozessaufrechnung wird in Abgrenzung zur Widerklage gesondert behandelt. Kapitel 4 widmet sich dem dinglichen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs. Die Begriffsbestimmung ist hier von größerem Interesse. Schließlich folgt eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse.

Kapitell

Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, Art. 6 Nr. 1 EuGVVO I. Überblick Die EuGVVO stellt in Art. 6 Nr. 1 einen Mehrparteiengerichtsstand zur Verfugung. Danach kann eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat, wenn mehrere Personen verklagt werden, vor dem Gericht verklagt werden, in dessen Bezirk einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat. Häufig wird dieser Gerichtsstand auch als Gerichtsstand der Streitgenossenschaft bezeichnet. Auch dem autonomen deutschen Recht ist der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nicht völlig fremd. Es kennt ihn allerdings gegenwärtig nur fur Sonderfalle. So gewährt§ 35a ZPO fur Unterhaltsklagen des (volljährigen) 8 Kindes gegen seine Eltern einen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft: Das Kind kann die Klage, durch die beide Eltern auf Erfullung der Unterhaltspflicht in Anspruch genommen werden, vor dem Gericht erheben, bei dem der Vater oder die Mutter einen Gerichtsstand hat. Dieser Gerichtsstand wurde durch das Gleichberechtigungsgesetz9 geschaffen, da dieses gleichzeitig den vom Wohnsitz des Ehemannes abgeleiteten Wohnsitz der Ehefrau in§ 10 BGB und damit den Gerichtsstand der Ehefrau abschaffte. § 35a ZPO regelt sowohl die örtliche wie die internationale Zuständigkeit 10 .

8 Vgl. Musielak/Heinrich, Kommentar zur ZPO, 4. Auflage 2005, § 35a, Rdnr. 2; Zöller/Vollkommer, Kommentar zur ZPO, 25. Aufl. 2005, § 35a, Rdnr. I; Für den Unterhalt minderjähriger Kinder stellt § 642 ZPO einen eigenen ausschließlichen Gerichtsstand ftir Unterhaltssachen am Ort des allgemeinen Gerichtsstands des Kindes oder des Elternteils, der es gesetzlich vertritt, zur Verfügung. 9 Gleichberechtigungsgesetz vom 18.06.1957, BGBI 1957 I S. 609; vgl. auch MünchKomm-ZPO!Patzina, Kommentar zur ZPO, 2. Auflage 2000/2001, § 35a, Rdnr. I; Musielak/Heinrich, § 35a, Rdnr. 1; vgl. hierzu auch Albicker, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, 1995, S. 63f.; Rohner, Die örtliche und internationale Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs, 1991, S. 13f.; Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen, 1998, S. 663f. 10 Vgl. Geimer, WM 1979, 350/353; Rohner, S. 17; differenzierend MünchKommZPO/Patzina, § 35a, Rdnr. 10; Musielak/Heinrich, § 35a, Rdnr. 5f.; Tho-

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Kapitel 1: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft

Ferner sehen §§ 603 Abs. 2, 605a ZPO für den Wechsel- und Scheckprozess einen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft vor: Wenn mehrere Wechsel- oder Scheckverpflichtete gemeinschaftlich verklagt werden, so ist außer dem Gericht des Zahlungsortes jedes Gericht zuständig, bei dem einer der Beklagten seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. § 603 Abs. 2 ZPO soll auch dann gelten, wenn einer der Wechselverpflichteten im Ausland wohne 1. Schließlich besteht in § 56 Abs. 2 Satz 2 LuftVG 12 ein Gerichtsstand der Streitgenossenschaft für Klagen gegen den vertraglichen Luftfrachtführer und gegen den Dritten, der die Luftbeförderung ausgeführt hat. In diesem Zusammenhang kann auch§ 36 Nr. 3 ZPO genannt werden 13 . Diese Vorschrift enthält allerdings nicht selbst einen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, sondern sieht nur vor, dass das im Rechtszug zunächst höhere Gericht das zuständige Gericht bestimmen kann, wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist. Eine internationale Zuständigkeit kann § 36 Nr. 3 ZPO nicht begründen - hierfür gibt es kein im Rechtszug zunächst höheres Gericht -, die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte wird von§ 36 Nr. 3 ZPO vielmehr vorausgesetzt 14 . Wie gezeigt, kennt das autonome deutsche Recht einen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nur ftir einige Sonderfälle. Art. 6 Nr. l EuGVVO enthält demgegenüber einen "allgemeinen" Gerichtsstand der Streitgenossenschaft 15 , bringt also ftir die deutschen Gerichte eine erhebliche Erweiterung der Streitgenossenzuständigkeit Auf diese Bestimmung soll im Folgenden näher eingegangen werden.

mas/Putzo!Hüßtege, Kommentar zur ZPO, 27. Auf. 2005, § 35a, Rdnr. I: flir die internationale Zuständigkeit gilt vorrangig Art. 6 Nr. I EuGVVO. 11 Vgl. BGH NJW 2004, 1456/1458; MünchKomm-ZPO/Braun, § 603, Rdnr. I; Musielak/Voit, § 603, Rdnr. 2; Zöller/Greger, § 603, Rdnr. 2 und 5; vgl. hierzu auch Albicker, S. 62f.; Otte, S. 662f.; Rohner, S. 12f., 15; a. A. Thomas!Putzo/Reichold, § 603, Rdnr. I: nur örtliche Zuständigkeit. 12 Luftverkehrsgesetz in der Fassung der Neubekanntmachung vom 04.11.1968, BGBII968 I S. 1113; vgl. auch Albicker, S. 65; Otte, S. 664; Rohner, S. 14f. 13 V gl. hierzu ausführlich Albicker, S. 67ff.; vgl. auch Rohner, S. II. 14 Vgl. BGH NJW 1980, 2646; FamRZ 1990, 1225; BayObLG RIW 2003, 387; MünchKomm-ZPO/Patzina, § 36, Rdnr. 3; Musielak!Heinrich, § 36, Rdnr. 16; Thomas!Putzo!Hüßtege, § 36, Rdnr. 16; Zöller!Vollkommer, § 36, Rdnr. 15; vgl. auch Banniza von Bazan, Der Gerichtsstand des Sachzusammenhangs, 1995, S. 167f. 15 Rechtsvergleichender Überblick über den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft in den EuGVÜ-Mitgliedstaaten sowie der Schweiz bei Auer, Die Internationale Zuständigkeit des Sachzusammenhangs im erweiterten EuGVÜ-System nach Art. 6 EuGVÜ, 1996, S. 86ff.; Otte, S. 665ff.

III. Zuständigkeit

19

II. Begriff Art. 6 Nr. 1 EuGVVO erwähnt den Begriff "Streitgenossenschaft" nicht. Er spricht stattdessen von einem "Mehrparteiengerichtsstand". Der deutsche Begriff der "Streitgenossenschaft" kann daher schon aus diesem Grund nicht zur korrekten Umschreibung des Gerichtsstands des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO herangezogen werden. Für die wörtliche Auslegung der Bestimmung bedeutet dies, dass am Prozess aufmindestens einer Seite mehrere Parteien beteiligt sind. Der Wortlaut des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO beschränkt dies auf die Beklagtenseite: "wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden" 16 . Begrifflich reicht es also zunächst aus, wenn auf der Beklagtenseite mehrere Personen zusammen verklagt werden. Dennoch soll im Folgenden der im deutschen Recht eingebürgerte Begriff des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft in einem untechnischen Sinn verwendet werden.

111. Zuständigkeit 1. Anwendungsbereich a) Streitgenossenschaft auf der Beklagtenseite

Die Einleitungsworte des Art. 6 Nr. l EuGVVO sprechen davon, dass eine Person verklagt werden kann, Art. 6 Nr. l EuGVVO stellt also Zuständigkeitsregeln nur für die Streitgenossenschaft auf der Beklagtenseite auf17

aa) Klageerhebung gegen mehrere Personen (I) Parteibegriff

Gemäß Art. 6 Nr. l EuGVVO müssen mehrere Personen zusammen verklagt werden. Die auf der Beklagtenseite stehenden Personen müssen Partei des Verfahrens sein. Als Partei können nur Haupt- oder Mitbeklagte zu verstehen sein 18 , d.h. Personen, die aktiv auf das Verfahren einwirken und entsprechend 16 Der Wortlaut der englischen, italienischen und französischen Fassung ist insoweit gleichlautend: "where he is one of a numbcr of defendants; in caso di pluralitit d i convcnuti; s'il y a plusieurs defendeur". 17 Vgl. Albicker, S. 116f.; Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 14. 18 V gl. Brandes, Der gemeinsame Gerichtsstand. Die Zuständigkeit im europäischen Mehrparteienprozeß nach A1i. 6 Nr. 1 EuGVÜ/LÜ, Diss. Hamburg (1998), S. 115.

20

Kapitel 1: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft

dem Klageantrag verurteilt werden köm1en. Die EuGVVO selbst regelt den Parteibegriff nicht. Hierflir ist auf das jeweilige nationale Prozessrecht zurückzugreifen.

(2) Maßgeblicher Zeitpunkt der Klageerhebung

Wird gleich zu Beginn des Verfahrens eine weitere Person mitverklagt, stellt sich die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts der Klageerhebung nicht. Diese Frage wird relevant, wem1 entweder nachträglich eine weitere Person als weiterer Beklagter in das bereits laufende Verfahren hineingezogen wird; es kommt zu einer nachträglichen Parteierweiterung. Hier ist vorab die Zulässigkeil einer solchen nachträglichen Parteierweiterung zu untersuchen. Eine weitere Konstellation, bei der der Zeitpunkt der Klageerhebung eine Rolle spielen kann, ist der spätere Wegfall der Erstklage.

(a) Nachträgliche Parteierweiterung Art. 6 Nr. 1 EuGVVO ist nicht so zu verstehen, dass die Klage von Anfang an gegen mehrere Beklagte gerichtet sein muss. Art. 6 Nr. 1 EuGVVO eröffnet auch dann einen Gerichtsstand, weill1 die Klage nach Anhängigkeil auf weitere Beklagte erstreckt wird. Hierfür spricht die Regelung in Art. 28 EuGVV0 19 . Schon der alte Art. 22 EuGVÜ zeigte, dass die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen auch bei nachfolgend erhobenen Klagen von den damaligen Verfassern des EuGVÜ erkaill1t worden ist. Art. 28 Abs. 1 EuGVVO sieht zwar nur generell vor, dass das später angerufene Gericht das Verfahren aussetzen kaill1, wenn bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten in Zusammenhang stehende Klagen anhängig sind. Art. 28 Abs. 2 EuGVVO gewährt darüber hinaus allerdings die Möglichkeit, dass sich das später angerufene Gericht auf Antrag einer Partei für unzuständig erklärt, wenn im Zusammenhang stehende Klagen noch in erster Instanz anhängig sind, das zuerst angerufene Gericht für die betreffenden Klagen zuständig und die Verbindung der Klagen nach seinem Recht zulässig ist. Ziel dieser Regelungen ist es, widersprechende Entscheidungen ümerhalb der Vertragsstaaten zu vermeiden. Zu kurz gegriffen wäre es daher, wollte man von diesen Vorschriften nur Verfahren zwischen denselben Parteien über denselben 19 Vgl. Brandes, S. 122; Geimer, WM 1979, 350/358; Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 24; Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 14: Musielak/Weth. Art. 6 EuGVVO, Rdnr. 4: weitergehend Schlosser, EU-Zivilprozeßrccht, Kommentar, 2. Auflage 2003, Art. 6, Rdnr. 2: auch der den Gerichtsstand bestimmende Beklagte kann nachträglich mitverklagt werden.

Ill. Zuständigkeit

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Streitgegenstand erfasst ansehen. Es reicht aus, wenn die in Frage stehenden Verfahren in einem Zusammenhang stehen. Ferner reicht es auch aus, wenn dieser Zusammenhang erst im Laufe des Verfahrens eintritt. Hinter dieser Vorschrift steht die Überlegung, dass bei in Zusammenhang stehenden Verfahren dasjenige Gericht, welches als erstes mit einem der beiden Verfahren befasst ist, auch über das andere entscheiden soll, soweit es fi.ir dieses zuständig ist. Diese Regelungen setzen nach ihrem Sinn und Zweck voraus, dass auch nach Erhebung einer Klage eine Erweiterung derselben gegen weitere Beklagte möglich sein muss, wenn das angerufene Gericht hierflir zuständig ist und die Klagen im Zusammenhang stehen. Dann aber muss es auch möglich sein, gleich im Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO die Klage auf einen weiteren Beklagten zu erstrecken, anstatt den umständlicheren Weg über Art. 28 Abs. 2 EuGVVO zu gehen. Somit begründet der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft die Zuständigkeit auch dann, wenn der Kläger seine Klage erst nach Anhängigkeit des Rechtsstreits aufweitere Beklagte erstreckt 20 . Damit stellt sich die weitere Frage, bis zu welchem Zeitpunkt der Kläger nach Anhängigkeit des Rechtsstreits seine Klage auf weitere Personen erstrecken kann. Dem Übereinkommen lässt sich hierzu nichts entnehmen. Die Literatur vertritt weitestgehend die Auffassung. dass das jeweilige Zivilprozessrecht der Vertragsstaaten bestimmt, bis zu welchem Zeitpunkt eine derartige Klageerweiterung zulässig ist21 . Rechtssprechung dazu ist bislang nicht bekannt. Dieser Problemkreis betrifft Fragen, die die Stellung des weiteren Beklagten im Prozess betreffen. Hierzu gehört beispielsweise, ob der zusätzlich Beklagte sich die bisherige Prozessflihrung zurechnen lassen muss, ob er sich mit seinen Ausflihrtmgen in Widerspruch zu der bisherigen Prozesspartei setzen darf, d.h. ob er in seiner Prozessfi.ihrung selbständig bleibt oder nicht. Ferner gehört hierher, ab welchem Zeitpunkt die Klage gegen den weiteren Beklagten rechtshängig wird und ob eine Parteierweiterung auf Beklagtenseite auch noch in der zweiten Tatsacheninstanz (sofern vorhanden) möglich ist.

20 Vgl. Albicker, S. 129f.: Geimer, WM 1979, 358; Geimer/Schiit::e. Internationale Urteilsanerkennung,. S. 382; Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 24; Kropholler, EZPR, Art. 6. Rdnr. 14; Musielak/Weth, Art. 6 EuGVVO, Rdnr. 4; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Zivilprozessordnung und Nebengcsctze. 3. Auil. 1994, Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. 12. 21 V gl. Albicker, S. 130; Geimer, WM 1979, 358; Geimer!Schütze, Internationale Urteilsancrkennung, S. 382; Geimer/Schütze, EZVR. Art. 6, Rdnr. 24; Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 14, Fn. 36; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. 12.

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Kapitel 1: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft

Diese Fragen betreffen nicht mehr die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. Sie hängen eng mit dem übrigen Verfahrensrecht zusammen. Aufgrund der Verschiedenartigkeit der einzelnen Prozessrechtssysteme innerhalb der Vertragsstaateil der EuGVVO lassen sich in diesem Bereich kaum einheitliche Normen aufstellen. Somit bestimmt das autonome Zivilprozessrecht des angerufenen Staates, bis zu welchem Zeitpunkt die Parteierweiterung auf Seiten der Beklagten durch den Kläger zulässig ist.

(b) Späterer Wegfall der Erstklage Der Grundsatz der perpetuatio fori ist zwar in der EuGVVO nirgends festgelegt und auch in den Materialien nicht erwähnt. Dennoch liegt dieser Grundsatz der Verordnung zugrunde 22 . Die Verordnung dient sowohl dem Rechtsschutz des Beklagten aufgrund der Festlegung von internationalen Zuständigkeiten als auch dem des Klägers aufgrund der Aufstellung fester Zuständigkeitsregeln und der erleichterten Anerkennung der Entscheidungen. Auch wäre in der Sache nichts gewonnen, müsste sich ein Gericht ftir unzuständig erklären, das ursprünglich zuständig gewesen ist: der gesamte Prozess müsste vor einem anderen Gericht erneut geführt werden, bislang erreichte Ergebnisse wären unverwertbar und es wären nur Kosten entstanden. Derartige Umständlichkeiteil wollten sowohl die Unterzeichner des EuGVÜ als auch die Gesetzgeber der Verordnung venneiden. Diese Argumentation betrifft sowohl die Erstklage als auch die weiteren Klagen. Somit bleibt die Zuständigkeit des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO erhalten, selbst wenn später die Klage gegen den im Gerichtsbezirk wohnenden Beklagten zurückgenmmnen wird oder sich auf andere Weise erledigt, zum Beispiel durch Vergleich oder Erledigterklärung in der Hauptsache 23 . Dasselbe gilt, wenn das Gericht die Trennung der Klagen gegen die jeweiligen Beklagten verftigt 24 . Das allgemeine Missbrauchsverbot in Art. 6 Nr. 2 EuGVVO kann analog auch für Art. 6 Nr. 1 EuGVVO herangezogen werden 25 . Damit lassen sich die Fälle aus-

22 V gl. Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, S. 191; Geimer/Schütze, EZVR, Art. 2, Rdnr. 137; Kropholler, EZPR, vor Art. 2, Rdnr. 14; MünchKommZPO/Gottwald, Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. 5; Schlosser, EUZPR, Art. 6 Rdnr. 3. 23 Vgl. Auer, S. 83; Brandes, S. 124; Geimer WM 1979, 350/358; Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 27; Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 14; Thomas/Putzo/Hüßtege, Art. 6 EuGVVO, Rdnr. 2; a. A. für Klagerücknahme Schlosser, EUZPR, Art. 6, Rdnr. 3: Sinn, dem Sekundärbeklagten im Interesse einer einheitlichen Behandlung konnexer Verfahren Opfer abzuverlangen, nicht mehr gegeben. 24 Vgl. Geimer WM 1979, 350/358; Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 29; Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 14. 25 s. unten V. 1.

III. Zuständigkeit

scheiden, in denen der den Gerichtsstand bestimmende Beklagte "vorzeitig" 26 aus dem Verfahren ausscheidet, weil er nur zur Begründung des gewählten Gerichtsstands verklagt werden musste.

bb) Wohnsitz eines Beklagten im Gerichtsstaat Art. 6 Nr. 1 EuGVVO stellt auf den Wahnsitz eines Beklagten ab und eröffnet dort einen Gerichtsstand auch flir die übrigen Beklagten, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben müssen. Demzufolge bestehen bei Streitgenossenschaft immer mehrere Gerichtsstände, nämlich am Wohnsitz eines jeden Streitgenossen27 . Der Kläger selbst braucht keinen Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat zu haben 28 . Das Zuständigkeitsmerkmal des Wohnsitzes natürlicher Personen bestimmt sich nach Art. 59 EuGVVO, das des Sitzes juristischer Personen nach Art. 60 EuGVVO.

(1) Wohnsitz natürlicher Personen

Aii. 59 EuGVVO übernimmt inhaltlich unverändert Art. 52 EuGVÜ. Art. 59 EuGVVO bietet keine einheitliche Definition des Wohnsitzes, er verweist vielmehr auf das nationale Recht der Vertragsstaaten. Art. 59 EuGVVO ist eine gemeinsame Kollisionsnorm über das zur Bestimmung des Wohnsitzes anwendbare Recht. Die Verweisung ist eine Sachnormverweisung, es wird auf das innerstaatliche Sachrecht verwiesen29 . Bestehen besondere prozessrechtliche Regelungen hinsichtlich des Wohnsitzes, so wird vorrangig auf diese verwiesen, ansonsten auf den zivilrechtliehen Wohnsitzbegriff 0 • Soweit die Rechtsordnungen einiger Vertragsstaaten ein "fiktives Wahldomizil" kennen, ist dieses kein

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Zum Zeitpunkt des Wohnsitzes s. S. 17ff. Aber auch nur am Wahnsitz eines Streitgenossen, ein anderer Gerichtsstand z.B. nach Art. 5 EuGVVO ist nicht ausreichend, vgl. Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 12, MünchKomm/Gottwald, Art. 6, Rdnr. 7; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht. 5. Aufl. 2002, § 3, Rdnr. 89. 28 Vgl. Schlosser, EUZPR, Art. 6, Rdnr. 2. 29 Vgl. Bericht Jenard, ABI. EG Nr. C 59/lff vom 05.03.1979, S. 16fT.; Geimer/ Schütze, EZVR, Art. 59, Rdnr. 1; Kropholler, EZPR, Art. 59, Rdnr. 1; MünchKommZPO;Gotlwald. Art. 52 EuGVÜ, Rdnr. 3; Musielak/Lackmann, Art. 59 EuGVVO, Rdnr. l; Schlosser, EUZPR, Art. 59, Rdnr. 2: 7twmas!Putzo/Hiißtege, Art. 59 EuGVVO, Rdnr. 2. 30 Vgl. Bericht Jenard, S. l6ff.; Geimer/Schütze, EZVR, Art. 59, Rdnr. 8f.; Kropholler, EZPR, Art. 59, Rdnr. 1; MünchKomm-ZPO/Gottwald, Art. 52 EuGVÜ, Rdnr. 3; Musielak/Lackmann, Art. 59 EuGVVO, Rdnr. 1. 27

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Kapitel 1: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft

Wohnsitz im Sinne der EuGVV0 31 . In den Rechtsordnungen Frankreichs, Italiens und der Beneluxstaaten hat das Wahldomizil die Funktion einer Zuständigkeitsvereinbarung32. Eine Zuständigkeitsvereinbarung mit nur einem der mehreren Beklagten kann aber nicht dazu fuhren, auch die anderen Beklagten an diesem Ort gerichtspflichtig zu machen. Dies würde zu Manipulationen geradezu einladen. Der Wohnsitz des Erstbeklagten bei Art. 6 Nr. 1 EuGVVO bestimmt sich also gemäß Art. 59 Abs. 1 EuGVVO nach dem materiellen Wohnsitzrecht der Iex fori. Jedes Gericht, bei dem eine Klage gegen mehrere Beklagte aufgrund der Zuständigkeitsregelung des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO eingereicht wird, muss prüfen, ob mindestens ein Beklagter nach der Iex fori seinen Wohnsitz im Gerichtsbezirk hat. Bei einem Verfahren vor einem deutschen Gericht muss daher der Erstbeklagte nach §§ 7ff. BGB seinen Wohnsitz im Gerichtsbezirk haben. Eine besondere prozessrechtliche Norm hinsichtlich des Wohnsitzes findet sich im deutschen Recht in§ 15 ZPO. Danach behalten Deutsche, die das Recht der Exterritorialität genießen, sowie die im Ausland beschäftigten Angehörigen des öffentlichen Dienstes den Gerichtsstand ihres letzten inländischen Wohnsitzes. Bestand ein solcher nicht, so haben sie ihren allgemeinen Gerichtstand am Sitz der Bundesregierung in Berlin. Soweit ein Beklagter einen Wohnsitz im Gerichtsstaat hat, kommt es auf einen eventuellen weiteren Wohnsitz in einem anderen Staat nicht mehr an. Art. 59 Abs. 2 EuGVVO kommt erst dann zum Tragen, wenn der Beklagte keinen Wohnsitz im Gerichtsstaat hat. Ist zu entscheiden, ob eine Partei, die keinen Wohnsitz im Gerichtsstaat hat, ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, so wendet das Gericht nach Art. 59 Abs. 2 EuGVVO das Recht dieses Staates an, unter Ausschluss dessen IPR33 . Art. 6 Nr. 1 EuGVVO geht davon aus, dass die Mitbeklagten ihren Wohnsitz in anderen Mitgliedstaaten haben. In dieser Situation kann es in seltenen Fällen dazu kommen, dass aus der Sicht des Wohnsitzrechtes des Gerichtsstaates eine Partei ihren Wohnsitz in einem anderen Vertragsstaat hat, aus dessen Sicht jedoch der Wohnsitz der betroffenen Partei im Gerichtsstaat liegt. Teilweise wird hier von einem "negativen Wohnsitzkonflikt" gesprochen und von einer Wohnsitzverweisung ausgegangen, die nach einem Teil der Literatur

31 V gl. Bericht Jenard, S. 18; Geimer/Schütze, EZVR, Art. 59, Rdnr. 11; Kropholler, EZPR, Art. 59, Rdnr. 1; Schlosser, EUZPR, Art. 59, Rdnr. 4. 32 Vgl. Geimer/Schütze, EZVR, Art. 59, Rdnr. 11. 33 Vgl. Kropholler, EZPR, Art. 59, Rdnr. 7; MünchKomm-ZPO/Gottwald, Art. 52 EuGVÜ, Rdnr. 9; Musiela/c!Lackmann, Art. 59 EuGVVO, Rdnr. 1.

III. Zuständigkeit

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im Gerichtsstaat abzubrechen sei 34 ; andere stellen hilfE;weise auf den gewöhnlichen Aufenthalt ab 35 . Art. 59 EuGVVO kennt jedoch das System einer "Wohnsitzverweisung" nicht 36 . Es wird nur untersucht, ob nach dem materiellen Recht des Staates, in dem eine Partei ihren Wohnsitz haben soll, auch ein solcher besteht; Normen des IPR spielen dabei keine Rolle. Ob nach dem Recht des einen Staates ein Wohnsitz in einem anderen Staat bestehen würde, ist unbeachtlich. Besteht nach dem Recht der in Frage kommenden Mitgliedstaaten kein Wahnsitz einer Partei in einem Mitgliedstaat, so bestimmt sich die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedstaates gemäß Art. 4 Abs. 1 EuGVVO- vorbehaltlich des Art. 22 EuGVVO -nach seinen eigenen Gesetzen 37 . Für deutsche Gerichte heißt das, dass § 16 ZPO einschlägig ist, wenn der Beklagte weder nach deutschem Recht in Deutschland noch nach dem jeweiligen nationalen Recht in einem anderen Staat einen Wahnsitz hat, um die Zuständigkeit zu bestimmen38 . § 16 ZPO ist auch dann anwendbar, wenn der Kläger seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hae 9 . Bei Personen ohne Wohnsitz innerhalb der Mitgliedstaaten der EuGVVO wird daher aus deutscher Sicht gemäß § 16 ZPO auf den AufenthaltsOli im Inland abgestellt, wenn ein solcher nicht bekannt ist, auf den letzten Wohnsitz. Unerheblich ist hierbei, dass die EuGVVO selbst nicht auf den Aufenthaltsort als Anknüpfungspunkt fiir die Zuständigkeit abstellt, da die gerade dargestellte Zuständigkeitsbestimmung gerade nicht im Rahmen der EuGVVO erfolgt. Im Rahmen des Art. 6 Nr. l EuGVVO ist es also möglich, Streitgenossen am deutschen Aufenthaltsort einer Person ohne Wohnsitz zu verklagen. Zu beachten bleibt, dass diese Person weltweit keinen Wohnsitz haben darf, um zur Anwendung des§ 16 ZPO zur Bestimmung eines Gerichtsstands zu gelangen40 • Hat eine Person ihren Wohnsitz in einem Drittstaat, so scheidet ihr Wohnsitz für einen Gerichtsstand des Art. 6 Nr. I EuGVVO naturgemäß aus. Hat einer 34 Vgl. Geimer!Schütze, EZVR, Art. 59, Rdnr. 20; GeimerNJW 1976. 443; Schlosser, EUZPR, Art. 59, Rdnr. 3. 35 Vgl. Kropholler, EZPR, Aii. 59, Rdnr. 9; Musielak/Lackmann, Art. 59 EuGVVO, Rdnr. 2; Thomas/Putzo/Hüßtege, Art. 59 EuGVVO, Rdnr. 3; Schaclc, IZVR, Rdnr. 245 wohl nur de lege fcrenda; ohne Entscheidung MünchKonzm-ZJ'OiGottwald, Art. 52 EuGYÜ, Rdnr. 7. 36 Vgl. Kropho!ler, EZPR, Art. 59, Rdnr. 9. 37 V gl. Geimer/Schütze, EZVR, Art. 59, Rdnr. 19; MünchKomm-ZPO/Gottwald, Art. 52 EuGVÜ, Rdnr. 10. 38 Vgl. MünchKomm-ZPO/Patzina, § 16, Rdnr. 13; Musielak/Heinrich, § 16, Rdnr. 5. 39 Vgl. Zöller/Vof!kommer, § 16 ZPO. Rdnr. 3. 40 Ygl. MünchKomm-ZPO/Patzina, § 16, Rdnr. 2; Musie!ukHeinrich, § 16, Rdnr. 2: Thomas/Putzo!Hüßtege. § 16, Rdnr. I; Zö!leril'o!lkommer, § 16, Rdnr. 4.

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Kapitel l: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft

der weiteren Beklagten seinen Wahnsitz in einem Drittstaat, so führt dies zur sog. Drittstaatenproblematik, die weiter unten behandelt wird41 .

(2) Sitz juristischer Personen

Die Regelung in Art. 53 Abs. 1 Satz 2 EuGVÜ verwies hinsichtlich der Bestimmung des Ortes des Sitzes einer Gesellschaft oder juristischen Person auf das Internationale Privatrecht des Gerichtsstaates. Demgegenüber stellt Art. 60 EuGVVO eine einheitliche Begriffsbestimmung auf. Auf diese Weise sollen negative und positive Zuständigkeitskonflikte vermieden werden 42 . A1i. 60 Abs. 1 EuGVVO bestimmt den Sitz von Gesellschaften und juristischen Personen alternativ nach drei Kriterien: Ort des satzungsmäßigen Sitzes, Ort der Hauptverwaltung oder Ort der Hauptniederlassung. Diese drei Kriterien entsprechen den Anknüpfungspunkten, die in Artikel 48 (ex-Artikel 58) EGVertrag genannt sind, welcher das Niederlassungsrecht der Gesellschaften in der EU regelt. Der satzungsmäßige Sitz einer Gesellschaft ergibt sich aus dem Gesellschaftsvertrag. Die Hauptverwaltung ist der Ort der Geschäftsleitung, an dem die Willensbildung erfolgt und die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensflihrung getroffen werden, in der Regel also der Sitz der Organe. Hauptniederlassung ist der tatsächliche Geschäftsschwerpunkt43 • Der Streit zwischen Gründungs- und Sitztheorie hinsichtlich der Bestinummg der internationalen Zuständigkeit44 eines Gerichts ist mit der Regelung in Art. 60 Abs. 1 EuGVVO im Anwendungsbereich der Verordnung obsolet geworden, da alternativ sowohl am satzungsmäßigen Sitz als auch am tatsächlichen Sitz für die Anwendung der Verordnung ein Wohnsitz und damit ein Gerichtsstand besteht45 . Positive Kompetenzkonflikte, die aus der alternativen Anknüpfung folgen und zu mehreren Gerichtsständen führen können, sind mit den

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s. sogleich unter dd). Vgl. Begründung Kommissionsentwurf, KOM (1999) 348 cndg., S. 27 noch zu Art. 57 im damaligen Entwurf; Geimeri:')chüt::e. EZVR, Art. 60. Rdnr. 3; MünchKommLPO/Gottwald, Aktualisierungsband, 2. Auflage 2002, Art. 60 EuGVVO, Rdnr. l; !vfusielak/Lackmann, Art. 60 EuGVVO, Rdnr. I. 43 Vgl. Geimer/Schütze, EZVR, Art. 60, Rdnr. Sff.; Kropholler, EZPR, Art. 60, Rdnr. 2. 44 Streitig noch im Hinblick auf die Parteifähigkeit, vgl. Schlosser, EUZPR, Art. 60, Rdnr. 3; vgl. auch Kropholler, EZPR, Art. 60, Rdnr. 1. 45 V gl. MünchKomm-ZPO/Gottwald. Aktualisierungsband, Art. 60 EuGVVO, Rdnr. l; Thomas/Putzo/Hiißtege, Art. 60 EuGVVO, Rdnr. 1. 42

III. Zuständigkeit

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Vorschriften über die Rechtshängigkeit und Konnexität der Art. 27ff. EuGVVO zu regeln46 . Art. 60 Abs. 2 EuGVVO enthält Sonderregelungen für das Vereinigte Königreich sowie Irland, die das Konzept eines Sitzes von Gesellschaften nicht kennen47. Art. 60 Abs. 3 EuGVVO enthält eine eigene Bestimmung für den trust.

(3) Zeitpunkt des Wohnsitzes Fraglich ist, zu welchem Zeitpunkt der Wohnsitz des den Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO bestimmenden Beklagten am Gerichtsort gegeben sein muss. Reicht der Wohnsitz bei Einleitung des Verfahrens oder muss die Klage zumindest gegen den den Gerichtsstand bestimmenden Beklagten rechtshängig geworden sein? Unter "Einleitung des Verfahrens" ist dabei die Einreichung der Klage bei Gericht zu verstehen. Eine ausdrückliche Regelung des Beurteilungszeitpunktes fehlt in der EuGVVO und ist auch in den Materialien nicht behandelt48 . Da Art. 6 Nr. 1 EuGVVO entscheidend auf den Ort abstellt, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hal9 , spricht der Wortlaut eher dafür, dass die Klage gegen den den Gerichtsstand bestimmenden Beklagten zu dem Zeitpunkt rechtshängig geworden ist, zu dem er noch seinen Wohnsitz im Gerichtsbezirk hat. Dies macht den Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO für weitere Streitgenossen vorhersehbar und dient daher auch ihrem Beklagtenschutz. Zudem überlässt die EuGVVO die Bestimmung des Eintritts der Rechtshängigkeit den jeweiligen nationalen Rechten 50 . Danach würde sich der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt nach der jeweiligen Iex fori richten. Andererseits weichen die jeweiligen nationalen Rechte bei der Bestimmung der Rechtshängigkeit erheblich voneinander ab 51 . Die Möglichkeit einer autonomen Auslegung und damit einer in allen Vertragsstaaten einheitlichen Be46 Vgl. Kropholler, EZPR, Art. 60, Rdnr. 2; MünchKomm-ZPO/Gottwald, Aktualisierungsband, Art. 60 EuGVVO, Rdnr. I; Thomas/Putzo/Hüßtege, Art. 60 EuGVVO, Rdnr. I. 47 V gl. Geimer/Schütze, EZVR, Art. 60, Rdnr. 8; Krophol/er, EZPR, Art. 60, Rdnr. 3; MünchKomm-ZPO/Gottwald, Aktualisierungsband, Art. 60 EuGVVO, Rdnr. 2. 48 Vgl. Geimer/Schütze, EZVR, Art. 2, Rdnr. 137; Krophol/er, vor Art. 2, Rdnr. 15. 49 Der Wortlaut in der französischen und der englischen Fassung ist insoweit gleichlautend: "devant le tribunal de l'un d'eux"; "in the courts for the place where any one of them is domiciled". 50 Vgl. Kropholler, EZPR, Art. 30, Rdnr. lf.; vgl. auch Geimer/Schütze, EZVR, Art. 30, Rdnr. 2ff. 51 Vgl. Kropholler, EZPR, Art. 30, Rdnr. Jf.; vgl. auch Geimer/Schütze, EZVR, Art. 30, Rdnr. 2ff.

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Kapitel I: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft

stimmung des Beurteilungszeitpunktes wäre daher vorzuziehen. Eine derartige Möglichkeit bietet dabei Art. 30 EuGVVO. Diese Bestimmung ist zwar nach ihrem Wortlaut nur auf die Art. 27- 29 EuGVVO anwendbar. Ihr Regelungsgehalt lässt sich jedoch auch auf die Bestimmung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunktes übertragen, da es auch hier um eine einheitliche Anwendung der Verordnung sowie die Verteilung des Risikos von Zustellungsverzögerungen geht. Gemäß Art. 30 Nr. I EuGVVO gilt ein Gericht zu dem Zeitpunkt als angerufen, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht worden ist, vorausgesetzt, dass der Kläger es in der Folgezeit nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstücks an den Beklagten zu bewirken. Damit ist in der EuGVVO selbst ein Beurteilungszeitpunkt genannt, der auf die vorliegende Frage übertragbar ist. Maßgebender Zeitpunkt ist nach Art. 30 Nr. 1 EuGVVO die Einreichung der Klage. Dies erscheint auch vorliegend angemessen, da so der Kläger fiir diesen Zeitpunkt abschätzen kann, ob er mit seiner Klage das richtige Gericht anruft, ohne dass er das Risiko einer verzöge1ien Zustellung zu tragen hätte 52 . Zudem ist es der Kläger, der mit Einreichung der Klage bereits Aufwendungen getätigt hat, während der Beklagte noch keine Aufwendungen zur Verteidigung hat treffen müssen. Ferner muss der Beklagte zumindest im Zeitpunkt der Einreichung der Klage seinen Wohnsitz im Gerichtsstaat gehabt haben, so dass er mit den dortigen Verfahren nicht gänzlich unvertraut ist53 . Demzufolge ist die Einleitung des Verfahrens der maßgebliche Zeitpunkt, um zu beurteilen, ob der den Gerichtsstand bestimmende Beklagte seinen Wohnsitz im Gerichtsstaat hat. Den übrigen Beklagten kann dagegen die Klage auch noch später zugestellt werden, hier muss der Wohnsitz des den Gerichtsstand bestimmenden Beklagten im Zeitpunkt der Zustellung an die weiteren Beklagten nicht mehr fortbestehen 54. Ferner kommt es auf die Wohnsitze der übrigen Beklagten nicht an.

52 Vgl. Kropholler, EZPR. vor Art. 2, Rdnr. 15; ähnlich auch Geimer/Schütze, EZVR, Art. 2, Rdnr. 137fT, 173. trotz Abgrenzung zu Kropholler. diese Note: vgl. auch House of Lords für Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ, Canada Trust Co. vs. Stolzenberg [2000]3 W.L.R. 1376. [2000]4 All E.R. 481, zit. bei Vogenauer, IPRax, 2001, 253ff.: Der Mehrparteiengerichtsstand ist in dem Vertragsstaat begründet, in dem mindestens ein Beklagter zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens seinen Wohnsitz hat. Ein nachträglicher Wohnsitzwechsel ist unbeachtlich. Das Verü1hren wird mit Einreichung der Klageschrift bei Gericht eingeleitet. 53 V gl. auch die Argumentation bei Hause of Lords für Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ, Canada Trust Co. vs. Stolzenberg [2000] 3 W.L.R. 1376, [2000] 4 All E.R. 481, zit. bei Vogenauer, IPRax, 2001, 253ff. 54 s. oben III. 1. a) aa) ii); vgl. auch Vogenauer, IPRax 2001, 253/256f.

III. Zuständigkeit

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cc) Klage gegen den den Gerichtsstand bestimmenden Beklagten von vornherein unzulässig Fraglich ist, ob sich ein Kläger auf Art. 6 Nr. 1 EuGVVO berufen kann, wenn er eine Klage gegen eine im Gerichtsstaat wohnhafte Person und eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Person erhebt, die Klage gegen die im Gerichtsstaat wohnhafte Person aber z.B. wegen eines über ihr Vermögen eröffueten Konkursverfahrens, das nach nationalem Recht eine Prozesssperre zur Folge hat wie nach § 6 der Österreichischen Konkursordnung 55 - schon zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage unzulässig ist. Bei einer rein formalen Betrachtungsweise würde es ausreichen, dass ein Kläger mehrere Personen verklagt. Die Zuständigkeit eines Gerichts hängt schließlich weder von der Zulässigkeit der Klage noch von einer materiellrechtlichen Prüfung des Anspruchs ab 56 . Die EuGVVO präzisiert weder den Begriff "Person, die verklagt wird" noch den des Mitbeklagten; ein Zusammenhang zwischen den Klagen reicht aus 57 . Aufgrund der perpetuatio fori bleibt eine einmal bestehende Zuständigkeit des Gerichts erhalten, selbst wenn die Klage gegen den im Gerichtsbezirk wohnhaften Beklagten zurückgenommen wird oder der Beklagte aus anderen Gründen ausscheidet58 • Andererseits ist Art. 6 Nr. 1 EuGVVO als Ausnahme zur allgemeinen Vorschrift des Art. 2 EuGVVO eng auszulegen. Die Ziele der Prozessökonomie und der Vermeidung widersprechender Entscheidungen werden verfehlt, wenn

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§ 6 österr. KO lautet: "(1) Rcchtsstrcitigkeiten, welche die Cicltendmachung oder Sicherstellung von Ansprüchen auf das zur Konkursmasse gehörige Vermögen bezwecken, können nach der Konkurseröffnung gegen den Gemeinschuldner weder anhängig gemacht noch fortgesetzt werden. (2) Rechtsstreitigkeiten über Absonderungsansprüche und über Ansprüche auf Aussonderung nicht zur Konkursmasse gehöriger Sachen können auch nach der Konkurseröffnung, jedoch nur gegen den Masseverwalter anhängig gemacht und fortgesetzt werden. (3) Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche. die das zur Konkursmasse gehörige Vermögen überhaupt nicht betreffen, insbesondere Ansprüche auf persönliche Leistung des Gemeinschuldners, können auch während des Konkurses gegen den Gemeinschuldner oder von ihm anhängig gemacht und fotigesctzt werden." 56 Vgl. Schlussanträge Generalanwalt Ruiz-Jaraho Colomer, Rs C-l 03105 (Reisch Montage AG I Kiesel Baumaschinen Handels CJmbiT), Ziffer 32. 57 V gl. Schlussanträge Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer, Rs C-1 03105 (Reisch Montage AG I Kiesel Baumaschinen Handels GmbH), Ziffer 33. 58 V gl. Schlussanträge Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer, Rs C-1 03105 (Reisch Montage AG I Kiesel Baumaschinen Handels GmbH), Ziffer 35.

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Kapitel 1: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft

eine der erhobenen Klagen unzulässig ist 59 . Dies spräche dafür, Art. 6 Nr. 1 EuGVVO auf eine derartige Klage nicht anzuwenden. Der Generalanwalt geht einen Mittelweg. Nach seiner Ansicht liegt dann keine wirkliche Beklagtenmehrheit vor, wenn nach nationalem Recht eine der Klagen von vomeherein unzulässig ist. Dann seien die Voraussetzungen für einen Wahlgerichtsstand nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO nicht gegeben. Wenn einer der Beklagten von vornherein unfähig ist, sich an dem Rechtsstreit zu beteiligen, kann es nicht zu widersprechenden Entscheidungen kommen, da insoweit das Gericht, in dem der Ausgeschlossene ansässig ist, keine Entscheidung treffen kannG 0 . Der m.E. entscheidende Gesichtspunkt ist jedoch, dass die Erhebung der Klage gegen den den Gerichtsstand bestimmenden Beklagten kraft Gesetzes unmöglich ist61 • Es handelt sich nicht um eine Unzu1ässigkeit der Klage gegen diesen Beklagten im angerufenen Gerichtsstand, eine Klage gegen diesen Beklagten ist generell unzulässig, er kann die Stellung eines Beklagten gar nicht einnehmen. Demzufolge ist Art. 6 Nr. I EuGVVO in den Fällen nicht anzuwenden, in denen die Klage gegen die Person, die im Gerichtsstaat ansässig ist, von vornherein k:raft Gesetzes als unzulässig abzuweisen ist, da diese Person die Stellung des Beklagten nicht einnehmen kann 62 .

dd) Drittstaatenproblematik Fraglich ist, ob Art. 6 Nr. 1 EuGVVO auch dann anwendbar ist, wenn einer der Beklagten seinen Wohnsitz außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der EuGYVO hat. Wenn beispielsweise einem Gläubiger mit Wohnsitz in Paris drei Personen als Gesamtschuldner die Rückzahlung eines Darlehens schulden, eine dieser Personen in München, die zweite in Mailand und die dritte in Chicago wohnt, kann dann der Gläubiger alle drei in München verklagen63 ? Die internationale Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland bezüglich des Münchencrs ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 EuGVVO, die örtliche Zuständigkeit der Münchner Gerichte aus §§ 12, 13 ZPO. Für die Klage gegen den Mailänder gewährt Art. 6 Nr. 1 EuGVVO nicht nur die internationale, sondern auch die örtli-

59 Vgl. Schlussanträge Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer, Rs C-1 03/05 (Reisch Montage AG I Kiesel Baumaschinen Handels GmbH), Ziffer 361'. 60 Vgl. Schlussanträge Generalanwalt Ruiz-Jarabo Co!omer, Rs C-1 03105 (Reisch Montage AG I Kiesel Baumaschinen Handels GmbH), Ziffer 42, 44. 61 Vgl. Schlussanträge Generalanwalt Ruiz-Jarabo Co!omer, Rs C-1 03105 (Reisch Montage AG I Kiesel Baumaschinen Handels GmbH), Ziffer 43. 62 Vgl. auch Schlussanträge Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer, Rs C-1 03/05 (Reisch Montage AG I Kiesel Baumaschinen Handels GmbH), Ziffer 50, allerdings ohne die Einschränkung der generellen Unzulässigkeil einer Klage gegen den Beklagten. 63 Beispiel nach Geimer, WM 1979, 3501357.

III. Zuständigkeit

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ehe Zuständigkeit. Welche Zuständigkeitsnormen gelten nun für die Klage gegen den Chicagoer? Ob und, wenn ja, inwieweit Beklagte mit Wohnsitz in Drittstaaten in den Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO miteinbezogen werden können, muss durch Auslegung des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO ermittelt werden. Dabei sind auch die Ziele der Verordnung zu berücksichtigen. Die EuGVVO ist primär autonom auszulegen, so wie das EuGVÜ konventionsautonom auszulegen war64 . Auslegungskriterien sind die grammatische, systematische, historische und teleologische sowie die rechtsvergleichende Interpretation.

(1) Rechtslage nach dem EuGVÜ

Zunächst soll auf die Rechtslage nach dem EuGVÜ eingegangen werden. Die EuGVVO- von Ausnahmen abgesehen- beabsichtigt nicht, wesentliche Änderungen des Rechtszustandes im Vergleich zum EuGVÜ vorzunehmen. Gegebenenfalls können daher Ergebnisse aus der früheren Auslegung des EuGVÜ auf die EuGVVO übertragen werden. Nach dem Wortlaut des EuGVÜ ist das Übereinkommen auf Beklagte mit Wohnsitz außerhalb der Mitgliedstaaten nicht anwendbar, gemäß Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 EuGVÜ ist der Wohnsitz des Beklagten im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten erforderlich. Desgleichen sprechen die Eingangsworte des Art. 6 EuGVÜ von Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates haben. Ist dies nicht der Fall und ist auch keine Zuständigkeit der Vertragsstaaten gemäß Art. 16 (ausschließlicher dinglicher Gerichtsstand), Art. 17 (Gerichtsstandsvereinbarung) oder Art. 18 EuGVÜ (rügelose Einlassung65) gegeben, so bestimmt sich gemäß Art. 4 Abs. 2 EuGVÜ die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Vertragsstaates nach seinen eigenen Gesetzen. Bei der Wortlautinterpretation ist im EuGVÜ indes die Mehrsprachigkeit zu beachten. Verbindlich sind gemäß Art. 68 EuGVÜ der deutsche, französische, italienische und niederländische Wortlaut sowie die Landessprachen der beigetretenen Staaten. Hieraus ergibt sich aber keine abweichende Auslegung. Die Eingangsworte des Art. 6 EuGVÜ verweisen in der französischen 66 , italienischen67 und niederländischen68 Fassung jeweils auf Art. 5 EuGVÜ. Dieser ver64 Vgl. EuGH, Urteil vom 13.07.1993, Rs C-125/92 (Mulox I Gcels), IPRax 1997, 110; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, S. 56ff.; Kropholler, EZPR, Ein!., Rdnr. 41; MünchKomm-ZPO/Gottwald, Art. I EuGVÜ, Rdnr. 21f. 65 Str.; vgl. Kropholler, EZPR, 6. Auflage 1998, Art. 18 EuGVÜ, Rdnr. 3f 66 .,Ce meme dcfendeur ... " c17 ,Jl convenuto di cui all"articolo preccdente ... " 68 ,.Deze verwecrder ... "

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Kapitel 1: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft

langt in jeder Fassung einen Wohnsitz des Beklagten in einem Vertragsstaat69 . Der englische Wortlaut stellt in Art. 6 EuGVÜ selbst auf einen Beklagtenwohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates ab 70 . Auch nach dem Wortlaut der Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. I EuGVÜ in den Fassungen der anderen Vertragsstaaten ist ein Wohnsitz des Beklagten im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates ftir die Anwendbarkeit des EuGVÜ erforderlich 71 . Der Wortlaut spricht also gegen eine Einbeziehung von in Drittstaaten wohnhaften Beklagten in den Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ. So lehnt Weser eine Anwendung des Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ auf Beklagte mit Wolmsitz außerhalb der Vertragsstaaten generell ab und beruft sich dabei auf Art. 4 EuGVÜ 72 • In einer Entscheidung vom 25.04.1979 hatte die Cour d'appel Paris den Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ gegen einen in einem Drittstaat domizilierten Beklagten nicht angewandt und die Klage wegen Unzuständigkeit abgewiesen 73 . Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Eine belgisehe Gesellschaft hatte Funkgeräte repariert, die eine in Paris ansässige Gesellschaft von einer New Yorker Gesellschaft für die belgischen Streitkräfte bezogen hatte. Die belgisehe Gesellschaft erhob vor dem Tribunal de commerce Paris Klage gegen die französische und die US-amerikanische Gesellschaft auf Zahlung der Reparaturkosten. Das Gericht trennte die Verfahren und wies die Klage gegen die französische Gesellschaft ab mit der Begründung, diese sei nur Vertreterirr der US-amerikanischen Gesellschaft. Hinsichtlich der Klage gegen die USGesellschaft, die sich auf das Verfahren nicht eingelassen hatte, erklärte es sich von Amts wegen gemäß Art. 93 Cpc 74 flir unzuständig.

69 "Le defcndcur domicilie sur 1e territoire d'un Etat contractant ... "; ,.Tl convenuto domiciliato nel tcrritorio di uno Stato contracntc ... "; "De verweerder die woonplaats heeft op het grandgebiet van een Verdragsluitendc Staat ... " 70 "A person domiciled in a Contracting State ... "; Der Begriff des "domicile" wird in s. 41 ff. des Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 näher erläutert. 71 "!es persones domiciliees sur le territoire d 'un Etat contractant"; "le persone avcnti il domicilio nel territorio di uno Stato contraente"; "degenen die op het grondgebiet van een Verdragsluitende Staat woonplaats hebben"; "persons domiciled in a Contracting State". 72 Weser, lvfartha, Convention communautaire sur Ia competence judiciaire et l'execution des decisions, Brüssel 1975, S. 262. Nr. 228 ; ebenso MusielakiWeth, Art. 6 EuGVVO. Rdnr. 3. 73 Cour d'appcl Paris, 25.04.1979: Societc Sait Electronics/S.R.S. lnc. Scientific Radio Systems. Gaz.Pal. 1980, Somm. 85; Sachverhalt in Nachschlagewerk Serie D, I-6-B4. 74 Nach Art. 93 Cpc kann sich das Gericht unter anderem dann von Amts wegen für unzuständig erklären, wenn der Beklagte sich auf das Verfahren nicht einlässt und eine örtliche Zuständigkeit nicht gegeben ist.

III. Zuständigkeit

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Die Cour d'appel wies das Rechtsmittel der Klägerin gegen das zweite Urteil zurück. Die Klägerin hatte u.a. vorgetragen, das Tribunal de cmmnerce Paris sei gemäß Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ zuständig, da in dessen Bezirk die französische Gesellschaft ihren Sitz habe und deren Beteiligung im Prozess unentbehrlich sei. Die Cour d'appel erklärte die Vorschrift fur nicht anwendbar. Als die französische Gesellschaft noch am Rechtsstreit beteiligt war, sei Art. 6 Nr. l EuGVÜ nicht anwendbar gewesen, da die französische Gesellschaft an ihrem Sitz verklagt wurde und die US-Gesellschaft ihren Sitz nicht in einem Vertragsstaat habe. Nachdem die französische Gesellschaft aus dem Verfahren ausgeschieden sei, sei die Vorschrift erst recht nicht mehr anwendbar, da nun nur noch die USGesellschaft Beklagte sei. Die Cour d'appel Paris stellte also darauf ab, dass Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ nur anwendbar ist, wenn der Beklagte seinen (Wohn-)Sitz in einem Vertragsstaat hae5 .

Für die historische Auslegung kann auf die Berichte zum Übereinkommen zurückgegritlen werden. Der Jenard-Bericht spricht nur von "mehreren Beklagten, die ihren Wohnsitz in verschiedenen Vertragsstaaten haben" 76 . Demnach wäre Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ auf streitgenössisch Beklagte mit Wohnsitz außerhalb der Vertragsstaaten nicht anwendbar. Zur Anwendung käme gemäß Art. 4 Abs. 1 EuGVÜ das autonome nationale Recht. Im obigen Ausgangsfall ist dies das deutsche Recht. Dieses kennt jedoch keinen allgemeinen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, so dass der Chicagoer in der Bundesrepublik nicht verklagt werden könnte. Folglich wäre insoweit der außerhalb des geographischen Anwendungsbereichs des Übereinkommens wohnhafte Streitgenosse gegenüber demjenigen Streitgenossen, der in einem Vertragsstaat wohnt, privilegiert77 . Geimer spricht sich daher dafür aus, den Anwendungsbereich des Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ erweiternd auszulegen 78 : Es sei nicht die Absicht der Verfasser des EuGVÜ gewesen, Personen mit Wohnsitz außerhalb der Vertragsstaaten zu schonen, d.h. ihre internationale Gerichtspflichtigkeit enger zu fassen als die von Beklagten mit Wohnsitz innerhalb der Vertragsstaaten. Dies ergebe sich aus einer Gegenüberstellung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 2 EuGVÜ. Nach Art. 3 Abs. 1 EuGVÜ müssen sich Personen mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates nur dann vor den Gerich-

75 Ebenso inzident fiir den vergleichbaren Ali. 6 Nr. 1 LugÜ House of Lords, Canada Trust Co. Vs. Solzenberg [2000] 3 W.L.R. 1376, [2000] 4 All E.R 481 [H.L.], zit. auch bei Vogenauer, IPRax 2001, 253ft". 7" Bericht Jenard, zu Art. 6 Nr. I, S. 26. 77 Vgl. auch Geimer, WM 1979, 350/357; Geimer/Schütze, Internationale Urtcilsanerkennung, S. 209. 78 Geimer, WM 1979, 350/357; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, S. 209.

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Kapitel I: Gerichtsstand der StreitgenossenschaH

ten eines anderen Vertragsstaates verteidigen, wenn das Übereinkommen eine besondere Zuständigkeit vorsieht. Art. 4 Abs. 2 EuGVÜ erweitere demgegenüber die Jurisdiktionsprivilege des autonomen Rechts, die flir die eigenen Staatsangehörigen gelten, gegen Beklagte mit Wahnsitz außerhalb der Vertragsstaaten auf alle im betreffenden Vertragsstaat wohnhaften Personen. Geimer79 schließt daraus, wenn auf Zuständigkeitsinteressen von Personen mit Wohnsitz außerhalb der Vertragsstaaten nicht besonders Rücksicht genommen wird, so reiche es nach der ratio conventionis für die Anwendbarkeit des Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ, wenn einer der Beklagten seinen Wohnsitz in einem Vertragsstaat hat. Ganz so weit wollen Kropholler 80 und Gottwalcf 1 nicht gehen. Beide lehnen eine direkte Anwendung des Art. 6 Nr. I EuGVÜ auf derartige Fälle ab. Insbesondere Kropholler bezweifelt, dass Geimers Auslegung den Interessen des Übereinkommens entspricht. Durch die Nicht-Anwendung des Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ gegenüber einem außerhalb der Vertragsstaaten wohnhaften Beklagten entstehe jedoch in Fällen, in denen weitere streitgenössisch Beklagte in Vertragsstaaten wohnen, eine Lücke. Diese soll durch die analoge Anwendung des Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ geschlossen werden 82 . Da die Drittstaatenproblematik bei der Abfassung des EuGVÜ nicht hinreichend beachtet worden sei 83 , könne nicht in erster Linie auf den Wortlaut der Vorschrift des Art. 6 Nr. I EuGVÜ abgestellt werden; denn mangels himeichender Beachtung konnte die Drittstaatenproblematik in den Wortlaut von Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ keinen Eingang finden. Schack tritt dieser Auffassung mit dem Argument bei, da das EuGVÜ den allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten im Falle der Streitgenossenschaft verdränge, wenn dieser in einem Vertragsstaat wohnt; müssten nicht ausgerechnet in Drittstaaten wohnende streitgenössisch Beklagte geschützt werden 84 . Brandes 85 sieht dagegen keinen Bedarffür eine analoge Anwendung. Es gebe im nationalen Verfahrensrecht eine himeichende Anzahl von konzentrierenden Gerichtsständen, so dass Art. 6 Nr. I EuGVÜ nicht erweiteJi werden müsse.

79

Vorige Note.

° Kropholler, EZPR, 6. Auflage 1998, Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. 5.

8

81 MünchKomm-ZPO/Gottlvald, Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. 3; Nagel/Gottlvald, Internationales Zivilprozessrecht, 5. Auflage 2002, § 3, Rdnr. 90. 82 Pür eine Analogie Kropholler, EZPR. 6. Auflage 1998, Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. 5; MünchKomm-ZPO/Gottlva!d, Art. 6 EuGVÜ. Rdnr. 3; Seizack will demgegenüber das nationale Internationale Zivilverfahrensrecht erweitern: Wechselwirkungen zwischen europäischem und nationalem Zivilprozeßrecht, ZZP 107 (1994), 279/294; ders., Internationales Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. 2002, (IZVR) Rdnr. 360 für eine Analogie von Art. 6 Nr. 1; unentschlossen Schlosser, EUZPR, Art. 6, Rdnr. 2. 83 V gl. Kropfzoll er, EZPR, 6. Auflage 1998, Art. 6 EuGVÜ. Rclnr. 5. 84 Schack, IZVR, Rdnr. 360. 85 Brandes, S. 91 tT; ablehnend auch Vogenauer, IPRax 200 I. 253/256f.

III. Zuständigkeit

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Einer direkten Anwendung des Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ auf Streitgenossen mit Sitz in Drittstaaten steht der Wortlaut entgegen. Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ steht im Abschnitt "Besondere Zuständigkeiten", aber weder innerhalb dieses Abschnitts noch sonst im EuGVÜ wird ausdrücklich auf die Drittstaatenproblematik in vorliegender Konstellation eingegangen. Ebenso wenig erörtern die Berichte zum Übereinkommen 86 die sich aus Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ ergebende Drittstaatenproblematik Allerdings bestimmt Art. 4 Abs. 1 EuGVÜ, dass sich gegenüber Beklagten ohne Wohnsitz in einem Vertragsstaat die Zuständigkeit der Gerichte nach den jeweiligen nationalen Regelungen bestimmt. Hiervon ausgenommen ist nur der dingliche Gerichtsstand des Art. 16 EuGVÜ. Auch in der Präambel wird nur auf die Verstärkung des Rechtsschutzes der innerhalb der Gemeinschaft ansässigen Personen abgestellt. Zwar ist Zielsetzung des EuGVÜ unter anderem eine Privilegierung von Personen mit Wohnsitz in einem Vertragsstaat diese sind außerhalb ihres Wahnsitzstaates nur gerichtspflichtig, wenn eine besondere Zuständigkeit im EuGVÜ dies vorsieht, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 EuGVÜ. Art. 4 Abs. 2 EuGVÜ weitet darüber hinaus die Jurisdiktionsprivilege, die im autonomen Recht der Vertragsstaateil fur die eigenen Staatsangehörigen gelten, auf Personen mit Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet gegenüber Beklagten in Drittstaaten aus. Aber hierdurch werden Angehörige anderer Vertragsstaaten nur mit Inländern gleichgestellt, gegenüber Beklagten aus Drittstaaten wird jedoch ausdrücklich auf die Anwendung der nationalen Zuständigkeitsvorschriften verwiesen. Dies spricht gegen das Vorliegen einer Regelungslüeke; das EuGVÜ ist nur hinsichtlich innerhalb der Vertragsstaaten ansässigen Beklagten anwendbar, gegenüber Beklagten aus Drittstaaten sind die nationalen Vorschriften anzuwenden. Ferner ist der Zweck des Art. 6 Nr. I EuGVÜ die Prozessökonomie und vor allem die Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen87 Eine Schutzfunktion für den Kläger hat Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ nicht 8x. Es besteht damit keine Notwendigkeit, dem Kläger bei Streitgenossenschaft auf der Beklagtenseite unbedingt einen Gerichtsstand am Wohnsitz eines von ihnen zur Verfugung zu stellen. Für den Fall, dass mehrere die Ertlillung einer vertraglichen Leistung schulden, stellt Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ den Gerichtsstand des Erfüllungsortes zur Ver86 Bericht Jenard, passim; Bericht Schlosser, ABI. EG Nr. C 59/71ff. vom 05.03.1979, passim; Bericht Almeida Cruz/Desantes Real/Jenard, ABI. EG Nr. C 189/35ff., vom 28.07.1990, passim. 87 V gl. Brandes. S. 94; Kropholler, EZPR, 6. Auflage 1998. Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. I. 88 V gl. Brandes, S. 94.

Kapitel 1: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft

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fügung. Der Erfüllungsort wird dabei nach der Iex causae bestimmt, also nach dem Recht, das nach dem IPR des mit dem Rechtsstreit befassten Gerichts für die streitige Verpflichtung maßgebend ist 89 • Hat einer der Beklagten seinen Wohnsitz außerhalb der Vertragsstaaten, so bestürunt aus deutscher Sicht§ 29 Abs. 1 ZPO einen Gerichtsstand des Erfüllungsortes. Im deutschen internationalen Zivilverfahrensrecht wird der Erfüllungsort gleichfalls nach der lex causae bestiJrunt90 . Somit werden der Gerichtsstand des Erfüllungsortes sowohl nach autonomem deutschen Recht als auch nach dem EuG VÜ nach einheitlichen Regeln bestimmt, so dass § 29 Abs. 1 ZPO für einen Beklagten mit Wohnsitz in einem Drittstaat und Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ ftir einen Beklagten mit Wohnsitz in einem Vertragsstaat aus deutscher Sicht zu einem einheitlichen Gerichtsstand des Erfüllungsortes fuhren. Dieser muss nicht notwendigerweise zugleich am Wohnsitz eines Beklagten sein. Somit kann zwar Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ in einer derartigen Konstellation nicht einschlägig sein, man gelangt dennoch auch ftir übrige ümerhalb der Vertragsstaaten ansässige Beklagte zu einem einheitlichen Gerichtsstand. Dasselbe gilt im Falle einer unerlaubten Handlung. Hier stellt A1t. 5 Nr. 3 EuGVÜ einen Gerichtsstand an dem Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, zur Verfügung. Sowohl am Handlungs- als auch am Erfolgsort besteht ein Gerichtsstand 91 . § 32 ZPO stellt einen Gerichtsstand am Ort des GeVerfügung, in dessen Bezirk die unerlaubte Handlung begangen ist. richtes Tatort ist dabei jeder Ort, an dem auch nur eines der wesentlichen Tatbestandsmerkmale verwirklicht wurde, also sowohl Handlungs- als auch Erfolgsort92 . Auch im Bereich der unerlaubten Handlung kann daher aus deutscher Sicht ein

zur

89 EuGH, Urteil vom 06.10.1976, Rs 12/76 (Tessili I Dunlop), Slg. 1976, 1473 = NJW 1977. 491: EuGH, Urteil vom 29.06.1994, Rs C-288192 (Custom Made Commercial I Stawa Metallbau), Slg. 1994 I 2913 = NJW 1995, 183 = RIW 1994. 676; EuGH, Urteil vom 28.09.1999, Rs C-440197 (OIE Group Concorde I Kapitän des Schiffes "Suhadiwarno Panjan"), Slg. 1999 I 6307 = NJW 2000, 719 = RIW 1999, 951; vgl. auch GeimerlSchütze, 1. Aufl. 1997, EZVR, Art. 5 EuGVÜ, Rdnr. 63ff.; Kropholler, EZPR, 6. Auflage 1998, Art. 6 EUGVÜ, Rdnr. 16tl; Thomas/Putzo/Hüßtege, 22. Au11age 1999, Art. 5 EuGVÜ, Rdnr. 3; Zöller/Geimer, 22. Aufl. 2001, Art. 5 EuGVÜ, Rdnr. 1. 90 Vgl. lvfünchKomm-ZPO/Patzina, § 29, Rdnr. 104; Thomas/Putzo/Putzo, § 29 ZPO, Rdnr. 2, 5; Zöller/Vo!lkommer, § 29 ZPO, Rdnr. 3; A.A. Schack, IZVR, Rdnr. 269ff. 91 EuGH, Urteil vom 30.11.1976, Rs 21/76 (Bier I Mincs de Potasse d'A1sace), Slg. 1976, 1735 = NJW 1977, 493: EuGH, Urteil vom 27 10 1998. Rs C-51197 (Reunion RIW 1999, 57; europeenne I Spliethol'fs Bevrachtingskantoor), Slg. 1998 l 6511 Geimer/Schütze, EZVR, I. Aufl 1997, Art. 5, Rdnr. !SOff: Kroplzoi!er, EZPR, 6. Auflage 1998, Art 5 EuGVÜ, Rdnr. 72ti; MünchKomni-ZPO!Gottwald, Art. 5 EuGVÜ, Rdnr. 42: lhomas/Putzo/Hüßtege, 22. Auflage 1999, Art. 5 EuGVÜ, Rdnr. 12; Zöller/Geimer, 22. Aufl. 2001, Art. 5 EuCJVÜ, Reim. 15. 92 Vgl. nur MünchKomm-ZPO/J'atzina, § 32, Rdnr. 20; Thomas/PufolPutzo, § 32 ZPO, Rdnr. 7; Zöller/Vollkommer, § 32 ZPO, Rdnr. 16 m.w.N.

III. Zuständigkeit

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gemeinsamer Gerichtsstand gegenüber sowohl innerhalb als auch außerhalb der Vertragsstaaten ansässigen Beklagten gefunden werden, wenn Handlungs- oder Erfolgsort in Deutschland liegen. In vergleichbarer Weise ist der ausschließliche dingliche Gerichtsstand sowohl in Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ als auch in §§ 24, 29a ZPO im Wesentlichen identisch geregelt. Das EuGVÜ sieht eine Ausnahme vor bei der Miete oder Pacht zum vorübergehenden Gebrauch fiir maximal sechs aufeinanderfolgende Monate. Mit diesen Gerichtsständen ist ein wesentlicher Teil von potentiellen Verfahren gegen mehrere Beklagte im Anwendungsbereich des EuGVÜ abgedeckt. In den romanischen Rechtsordnungen ist der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft bekannt93 , so dass aus deren Sicht gegenüber streitgenössisch Beklagten mit Wohnsitz zum Teil innerhalb und zum Teil außerhalb der Vertragsstaaten ein einheitlicher Gerichtsstand am Wohnsitz eines von ihnen besteht94 . Hat ein Beklagter seinen Wohnsitz in einem Drittstaat, so kann Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ nicht analog angewandt werden. In diesem Fall richtet sich die Frage der Zuständigkeit fiir Klagen gegen außerhalb der Vertragsstaaten ansässige Beklagte nach den autonomen Regeln des jeweiligen Gerichtsstaates. In derartigen Fällen kommt es daher nicht zu einem Ineinandergreifen von EuGVÜ und nationalem Prozessrecht, sondern zu einem Nebeneinander: Für in Vertragsstaaten ansässige Beklagte bestimmt sich die internationale Zuständigkeit nach dem EuGVÜ, für in Drittstaaten ansässige Beklagte nach dem jeweiligen autonomen internationalen Verfahrensrecht Im obigen Beispielsfall richtet sich also aus deutscher Sicht die Frage der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte fiir die Klage gegen den Chicagoer nach den Vorschriften des deutschen autonomen internationalen Verfahrensrecht, daher - soweit nicht vorrangige Staatsverträge eingreifen - nach den Vorschriften der ZPO.

(2) Rechtslage nach Inkrafltreten der EuGVVO

Die EuGVVO geht in ihren Zuständigkeitsvorschriften auf die aus dem EuGVÜ bekannte Drittstaatenproblematik nicht gesondert ein. Kropholler ist

93 Frankreich: Art. 42 N. C.p.c.; Luxemburg: Art. 59 Abs. 2 C.p.c.; Belgien: Art. 624 Nr. 1, 635 Code judiciaire; Italien: Art. 4 Nr. 3 c.p.c. 94 Entsprechend befürwortet Albicker, S. 125ff. eine Einführung eines Gerichtsstands der Streitgenossenschaft in die deutsche ZPO und will sich nicht mit einer analogen Anwendung des Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ gegenüber Drittstaaten zufrieden geben; ablehnend Banniza von Bazan, S. 170, die auf den Beklagtenschutz abstellt.

Kapitel 1: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft

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daher der Auffassung, dass Art. 6 Nr. 1 EuGVVO weiterhin analog auf Beklagte in Drittstaaten angewandt werden könne, da bei Abfassung von EuGVÜ und EuGVVO die Drittstaatenproblematik noch nicht ausreichend bedacht worden ·95

SC!

.

Im Rahmen des EuGVÜ kommt jedoch- wie soeben gezeigt- eine analoge Anwendung des Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ auf Beklagte mit Wohnsitz in Drittstaaten mangels Regelungslücke nicht in Betracht. Art. 4 Abs. 1 EuGVVO ist inhaltlich unverändert geblieben. In den Erläuterungen der EU-Kommission zu den einzelnen Artikeln der EuGVVO heißt es hierzu, dass die innerstaatlichen Zuständigkeitsvorschriften anwendbar sind, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Drittland hat. Eine Ausnahme hiervon bestehe nur, wenn das Gericht eines Mitgliedstaates ausschließlich zuständig ist oder eine Vereinbarung unterschrieben wurde, wonach das Gericht eines Mitgliedstaates zuständig ist, auch wenn der Beklagte selbst in einem Drittland ansässig ist96 . In die EuGVVO neu hinzugekommen sind sog. Erwägungsgründe als Ersatz für die entfallene Präambel. In diesen Erwägungsgründen wird auf die Drittstaatenproblematik eingegangen. Erwägungsgrund Nr. 8 statuiert, dass "Rechtsstreitigkeiten, die unter diese Verordnung fallen, (... ) einen Anknüpfungspunkt an das Hoheitsgebiet eines der Mitgliedstaaten aufweisen (müssen), die durch diese Verordnung gebunden sind." Deutlicher wird Erwägungsgrund Nr. 9, wonach "Beklagte ohne Wohnsitz in einem Mitgliedstaat( ... ) im Allgemeinen den nationalen Zuständigkeitsvorschriften (unterliegen), die im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates gelten, in dem sich das angerufene Gericht befindet." Die Ausnahmen zu dieser Regelung sind bereits genannt worden, eine ausschließliche Zuständigkeit oder eine Zuständigkeitsvereinbarung. Schon nach dem EuGVÜ konnte Art. 6 Nr. 1 nicht erweiternd auf Beklagte mit Wohnsitz in Drittstaaten ausgelegt werden, auch eine Analogie war nicht möglich. Daran hat sich durch die Einfl.ihrung der EuGVVO nichts geändert. Insbesondere ist Art. 4 Abs. 1 EuGVVO unverändert geblieben. Im Gegenteil, die Erwägungsgründe machen deutlich, dass auf Beklagte mit Wohnsitz in Drittstaaten die jeweiligen nationalen Zuständigkeitsvorschriften anzuwenden sind. Es bleibt also bei einem Nebeneinander von europäischem und nationalem Zivilprozessrecht bei Streitgenossenschaft mit Beklagten sowohl in Mitgliedstaaten als auch in Drittstaaten.

95 Vgl. Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 6f.; Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 7; Nagel/Gottwald, § 3, Rdnr. 90. 96 Begründung Kommission, KOM (1999) 348 endg., S.l4.

III. Zuständigkeit

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b) Streitgenossenschaft auf Klägerseite

Art. 6 Nr. 1 EuGVVO betrifft nur die Streitgenossenschaft auf der Beklagtenseite, die aktive Streitgenossenschaft wird von dieser Vorschrift nicht erfasse7. Die Zulässigkeit der Streitgenossenschaft auf Klägerseite und ihre Voraussetzungen bestimmen sich allein nach dem autonomen Recht des angerufenen Gerichts; dies gilt auch, wenn sich die internationale und ggf. die örtliche Zuständigkeit des Gerichts aus der EuGVVO ergibt 98 . Ein Bedürfnis, die aktive Streitgenossenschaft im Rahmen der EuGVVO und damit einheitlich fiir die Mitgliedstaaten des Übereinkommens zu regeln, besteht nicht. Eines der Ziele der Verordnung ist es, durch die Festlegung der internationalen Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten den Rechtsschutz der innerhalb der Vertragsstaaten ansässigen Personen zu verstärken. Die Zuständigkeitsordnung der EuGVVO geht vom Beklagtenschutz aus, grundsätzlich muss der Kläger am Wohnsitz des Beklagten Klage erheben, Art. 2 Abs. 1 EuGVVO. Von diesem Grundsatz kann nur im Falle des Besteheus einer besonderen Zuständigkeit der Art. 5ff. EuGVVO abgewichen werden. Für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit ist es daher nicht erforderlich, auf eine Klägermehrheit einzugehen. Die Behandlung einer Streitgenossenschaft auf Klägerseite bleibt dadurch den jeweiligen nationalen Prozessordnungen überlassen, die auf diese Weise diesen Problemkreis mit ihrem übrigen Prozessrecht abstitmnen können.

2. Klagearten

Der Anwendungsbereich des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO erfasst alle Klagearten, also Leistungs-, Feststellungs- und Gestaltungsklagen99 • Der Kläger kann sich auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf eine aus Art. 6 Nr. 1 EuGVVO hergeleitete Zuständigkeit des angerufenen Gerichts berufen; Art. 31 EuGVVO erweitert den Zuständigkeitsbereich der Vertragsstaaten fiir Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz über den Rahmen der Art. 2ff. EuGVVO hin-

97

Vgl. Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 14; Geimei./Schiit::e, Internationale Urteilsanerkennung, S. 385; Geimer, WM 1979, 350/356; Kropho!ler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 5; MünchKomm/Gottwa!d, Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. 2; Musielak/Weth, Art. 6 EuGVVO, Rdnr. 5; Wieczorek/Schützei!Jausmann, Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. 5; a. A. wohl Schlosser, EUZPR, Art. 6, Rdnr. 2. n V~l. Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 14; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 6 E~GVÜ, Rdnr. 5. 99 Vgl. Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 11; Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 5; MünchKomm-ZPO/Gottwald, Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. 2.

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Kapitel 1: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft

aus- es kommen die nationalen Vorschriften 100 zur Anwendung, auch wenn sie die Grenzen der Gerichtspflichtigkeit des Beklagten weiter ziehen als die EuGVVO. Dies hindert den Antragsteller jedoch nicht, wahlweise die für ihn unter Umständen günstigeren Zuständigkeiten des Konventionsrechts in Anspruch zu nehmen 101 . In Versicherungssachen dagegen ist Art. 6 Nr. I EuGVVO nicht anwendbar. Hier treffen Art. 8 bis 14 EuGVVO eine abschließende SondeJTegelung 102 . Für Klagen gegen (Mit)Versicherer gewährt A1i. 9 Abs. 1 lit. c) EuGVVO einen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft vor dem Gericht, bei dem der federfuhrende Versicherer verklagt wird. Im umgekehrten Falle einer Klage des Versicherers gegen den Versicherungsnehmer, Versicherten und/oder Begünstigten stellt Art. 12 EuGVVO keinen gemeinsamen Gerichtsstand zur Verfügung. Bei notwendiger Streitgenossenschaft befürwortet Geimer 103 einen gemeinsamen Gerichtsstand praeter conventionem. Im Bereich der Verbrauchersachen wird Art. 6 Nr. 1 EuGVVO gleichfalls von der abschließenden Regelung der Art. 15 bis 17 EuGVVO verdrängt 104 • Die Vorschritten über die Zuständigkeit in Verbrauchersachen sehen einen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nicht vor. Schließlich schaffen flir den Bereich der individuellen Arbeitsverträge Art. 18 bis 21 EuGVVO SondeJTegelungen, die gleichfalls den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nicht kennen. Im Bereich der Versicherungs- und Verbrauchersachen sowie der individuellen Arbeitsverträge ist ein Rückgriff auf nationale Vorschriften über einen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nicht zulässig. Der Ausschluss des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft in den genannten Bereichen durch die EuGVVO ist abschließend und kann nicht durch nationale Regelungen ausgehebelt werden.

100 Einschließlich der durch Art. 3 EuGVVO ausgeschlossenen Zuständigkeitsvorschriften, vgl. nur Geimer!Schütze, EZVR, Art. 31, Rdnr. I f. 101 Vgl. Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 12. 102 V gl. Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 8; Geimer!Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, S. 385; Kropholler, EZPR. Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. 3; Schlosser, EUZPR, Art. 6, Rdnr. 5. 103 Geimer/Schzitze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 8; Geimer!Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, S. 385; Schlosser, EUZPR, Art. 6, Rdnr. 5. 104 Vgl. Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 9; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, S. 385; Kropho/ler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 3.

III. Zuständigkeit

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3. Zuständigkeit im engeren Sinn a) Internationale Zuständigkeit Die EuGVVO stellt in Art. 2 - 31 eine Regelung flir die internationale Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten auf. Dies zeigt Absatz 4 der Präambel des alten EuGVÜ, in dem es heißt, dass es zum Zweck der Verstärkung des Rechtsschutzes innerhalb der Gemeinschaft für die dort ansässigen Personen geboten ist, die internationale Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten festzulegen. Dies wird in den Erwägungsgründen Nr. I und 2 zur EuGVVO aufgenommen, wonach insbesondere die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen seien, um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes sicherzustellen. Art. 6 Nr. 1 EuGVVO begründet die internationale Zuständigkeit für die mitverklagten Streitgenossen 105 .

b) Örtliche Zuständigkeit Daneben wird teilweise über die internationale Zuständigkeit hinaus auch die örtliche Zuständigkeit von der Regelung der EuGVVO erfasst 106 , insoweit werden nationale Zuständigkeitsvorschriften hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit verdrängt. Dennoch ist für jede konkrete Norm zu prüfen, ob die örtliche Zuständigkeit von ihr miterfasst ist. So bestimmt Art. 6 Nr. 1 EuGVVO, wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, das Gericht als zuständig, in dessen Bezirk einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat. Dadurch wird sogleich auf ein öltlieh konkretes Gericht abgestellt, so dass insoweit die nationalen Vorschriften der örtlichen Zuständigkeit nicht mehr zum Zug kommen. Art. 6 Nr. I EuGVVO regelt also sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit107.

105

V gl. auch Albicker, S. 116; Auer, S. 28: Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 5.

106 V gl. Bericht Jenard, Art. 5 und 6, S. 22; Bericht Schlosser, Nr. 70; Auer, S. 28; Geimer!Schiit:ze, Internationale Urteilsanerkcnnung, S. 45; Kropholler, EZPR, vor i\.rt. 2 Rdnr. 3; Schlosser, EuGVÜ, München 1996, vor Ati. 2 Rdnr. 2. 107 Vgl. auch Albicker, S. 116; Geimer, WM 1979, 350/357; Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 5; MünchKomm-ZPO/Gottwald, Art. 6 EuGVÜ Rdnr. 2; Schlosser, EUZPR, Art. 6, Rdnr. 2; enger Schurig, FS Musielak, S. 493/500: Anrufung des örtlich "richtigen" Gerichts als Bedingung für die internationale Zuständigkeit.

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Kapitel l: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft c) Sachliche Zuständigkeit

Die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit wird grundsätzlich nicht von der EuGVVO erfasst, sondern dem nationalen Recht überlassen 108 ; eine Ausnahme gilt etwa für Art. 6 Nr. 3 EuGVVO. Hierauf wird noch einzugehen sein 109 • Im Rahmen von Art. 6 Nr. 1 EuGVVO wird das sachlich zuständige Gericht vom nationalen Recht bestimmt, die EuGVVO macht insoweit keine Vorgaben.

d) Rechtsweg Die Voraussetzung der Zulässigkeit des Rechtswegs ist nicht Gegenstand des Übereinkommens 110 . Dasselbe gilt auch für die Verordnung. Die Zulässigkeit des Rechtswegs wird also vom nationalen Recht geregelt. Eine Einschränkung ist auch nicht darin zu sehen, dass die Verordnung nur in Zivil- und Handelssachen mit Ausnahme der in Art. 1 Abs. 2 enumerativ aufgeführten Gegenstände anwendbar ist und ferner Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten ausschließt. Die Verordnung ist anzuwenden. ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt.

IV. Zulässigkeif- Konncxität Der Wortlaut des ursprünglichen Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ setzte zwar keinerlei Zusammenhang zwischen den Klagen gegen die verschiedenen Beklagten voraus. Es war jedoch allgemein anerkannt, dass ein Zusammenhang bestehen musstelll. In seiner Entscheidung Kalfelis I Sehröder vom 27.09.1988 hat der EuGH das Erfordernis eines Zusammenhanges ausgesprochen 112 . Bereits der

108 Vgl. Auer, S. 28; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, S. 45; Kropho!ler, EZPR, vor Art. 2 Rdnr. 4: zu weitgehend Bericht Schlosser, Rdnr. 81: "Das

EuGVÜ berührt die sachliche Zuständigkeit der Gerichte eines Staates überhaupt nicht", anders jetzt Schlosser, EUZPR, vor Art. 2 Rdnr. 2. 109 s. unten Kapitel 3. 110 Vgl. Geimer/Schüt::e, Internationale Urteilsanerkennung, S. 46; Kropholler, EZPR, vor Art. 2 Rdnr. 4; Schlosser, EUZPR, vor Art. 2 Rdnr. 2. 111 Vgl. Brandes, S. 124f.; Geimerlc)chütze, EZVR, I. Auflage 1997, Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. 16f.; Kropholler, EZPR, 6. Aullage 1998, Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. 6; /vfünchKomm-ZPO/Gottwa!d, Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. 6; Nagel/Gottwald, § 3, Rdnr. 87. 112 Vgl. EuGH, Urteil vom 27.09.1988, Rs 189/87 (Kalfelis I Schröder), NJW 1988, 3088 mit Anm. Geimer, NJW 1988, 3089f.; Anm. Gottwa!d, IPRax 1989, 272ff: Anm. Schlosser, RIW 1988, 987ff.; Gaudemet- Talion, Rev. crit. dr. internat. prive 1989, l17ff

IV. Zulässigkeit- Konnexität

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Jenard-Beriche 13 ging von der Notwendigkeit eines Zusammenhanges zwischen den verschiedenen Klagen aus und auch Geimer 114 hat schon frühzeitig hierauf hingewiesen. Der jetzige Wortlaut des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO übernimmt die Formulierung des EuGH aus seiner Entscheidung Kalfelis I Sehröder wonach "zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben [sein muss], dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getremlten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen kö1mten". Da die Auslegung des EuGH zum alten A11. 6 Nr. 1 EuGVÜ in den neucn Text übernommen wurde 115 , soll im Folgenden zunächst auf die Entscheidung eingegangen werden, bevor in einem weiteren Schritt das Erfordernis des Zusammenhangs näher untersucht wird.

1. EuCH-Entscheidung in Sachen Kalfelis I Sehröder

Der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Kalfelis I Sehröder lag folgender Sachverhalt zugrunde. Der Kläger schloss durch Vermittlung eines Prokuristen einer Bank in Frankfurt/Main über diese mit deren Muttergesellschaft in Luxemburg Kassa- und Termingeschäfte in Silber ab. Diese endeten mit Totalverlust Der Kläger nahm den Prokuristen und die beiden Banken vor einem deutschen Gericht als Gesamtschuldner in Anspruch, wobei er seine Klage auf vertragliche Ansprüche wegen Verletzung von Aufklärungspflichten sowie aufunerlaubte Handlung und ungerechtfertigte Bereicherung stützte. Die internationale Zuständigkeit sollte sich aus u.a. Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ ergeben.

Der EuGH entschied, dass fiir die Geltendmachung der internationalen Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ ein Zusammenhang zwischen den Klagen bestehen müsse. Es sei zu vermeiden, dass der in Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ vorgesehene Grundsatz der Zuständigkeit der Gerichte des Wohnsitzstaates des Beklagten von der in Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ vorgesehenen Ausnahme in Frage gestellt werde. Die Art des Zusammenhanges sei vertragsautonom zu bestimmen, damit sich aus dem EuGVÜ ftir die betroffenen Personen soweit wie möglich gleiche und einheitliche Rechte und Pflichten ergeben. Hinsichtlich des Begriffes des Zusammenhanges greift der EuGH auf Art. 22 Abs. 3 EuGVÜ zurück. Der notwendige Zusammenhang bestehe, "wenn eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrem1ten Ver-

113

Bericht Jenard, S. 26f. Geimer, WM 1979,350/353. 115 Vgl. Begründung Kommission KOM (1999) 348 endg., S. 15; vgl. auch Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer, Schlussanträge Rs C-1 03/05 (Reisch Montage AG I Kiesel Baumaschinen Handels GmbH), Ziffer 18. 114

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Kapitel 1: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft

fahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten." Die Prüfung dieser Voraussetzung im Einzelnen überlässt der EuGH demjeweiligen nationalen Gericht.

2. Analyse der Entscheidung

Der EuGH überlässt zwar die Überprüfung der Voraussetzungen im Einzelnen, ob der erforderliche Zusammenhang vorliegt, den nationalen Gerichten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass zur Bestimmung des Zusammenhanges das jeweilige nationale Recht heranzuziehen wäre. Das nationale Gericht hat nur eine Entscheidungskompetenz hinsichtlich des Vorliegens des erforderlichen Zusammenhanges, muss aber eine vertragsautonome Auslegung vornehmen. Nach den Worten des EuGH muss eine gemeinsame Entscheidung geboten erscheinen, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. Unter welchen Voraussetzungen eine gemeinsame Entscheidung geboten erscheint, fiihrt der EuGH nicht mehr aus. Ziel ist die Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen. In diesem Zusammenhang hat bereits Generalanwalt Darmon, der gleichfalls auf die Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen als die ratio legis des Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ abstellt, in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kalfelis/Schröder ausgefiihrt, dass Entscheidungen nicht nur dann einander widersprechen, wenn es unmöglich ist, beide Entscheidungen gleichzeitig zu vollstrecken. Abzustellen sei vielmehr auf einen Widerspruch zwischen den Entscheidungen selbst 116 . Die Literatur stellt im Anschluss an die EuGH-Entscheidung überwiegend gleichfalls darauf ab, dass nicht nur bei einem Rechtskraftkonflikt eine Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ gegeben ist, sondern schon bei einem möglichen Auftreten von Widersprüchen in den Urteilsgründen 117 . Der Begriff "widersprechende Entscheidungen" bedeutet also nicht nur, dass keine gleichzeitige Vollstreckung der beiden Entscheidungen möglich ist, sondern reicht weiter. Der EuGH bietet jedoch keine Definition fur den Begriff "widersprechende Entscheidungen". Ein weiterer Gesichtspunkt in diesem Zusammenhang ist die Verwendung der Formulierung "geboten erscheinen". Dies lässt darauf schließen, dass der EuGH einen Beurteilungsspielraum bei der Frage der Erforderlichkeit einer gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung annimmt. Darüber hinaus könnte 116 Vgl. Darmon, Schlussanträge, EuGH Slg. 1988, 5573/5575 Rz. 12ff.; vgl. aber auch Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dr. internat. prive 78 (1989), S. 117/120. 117 Vgl. Gottwald, IPRax 1989, 272; Schlosser, RIW 1988, 988; vgl. auch Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dr. internat. prive 78 (1989), 117/l18f.

IV. Zu Iässigkeit -- Konnexität

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so der Vermeidung widersprechender Entscheidungen ein höherer Stellenwert eingeräumt werden als einer strengen Beachtung der Zuständigkeitsregel des Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ. Zwar weist der EuGH darauf hin, dass das EuGVÜ in Art. 2 Abs. 1 vom Grundsatz der Zuständigkeit der Gerichte des Wohnsitzstaates des Beklagten ausgeht. Die in Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ vorgesehene Zuständigkeit stelle eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar; das Bestehen dieses Grundsatzes dürfe durch die Auslegung des Ati. 6 Nr. 1 nicht in Frage gestellt werdenll8. Zudem ist die verwendete Formulierung Art. 22 Abs. 3 EuGVÜ entnonunen und nicht eigens fur die Definition des Zusammenhanges in Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ entworfen. Art. 22 Abs. 3 EuGVÜ steht im Abschnitt über "Rechtshängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren". Ziel dieses Abschnittes ist die Vermeidung gegensätzlicher Entscheidungen in den verschiedenen Vertragsstaaten und damit die Sicherung einer geordneten Rechtspflege in der Gemeinschaft 119 . Art. 21 und 22 EuGVÜ können nur eingreifen, wenn verschiedene Gerichte auch tatsächlich fur die im Zusanunenhang stehenden Verfahren zuständig sind; ansonsten müsste ein Verfahren als unzulässig abgewiesen werden 120 . Eine widersprechende Sachentscheidung könnte dann nicht mehr ergehen. Ein derartiger Konfliktfall liegt klar auf der Hand, wem1 in einem Verfahren mehrere Personen verklagt sind, die in verschiedenen Vertragsstaaten ihren Wohnsitz haben; gemäß Ati. 2 Abs. 1 EuGVÜ sind die Gerichte jedes Vertragsstaates, in denen einer der Beklagten seinen Wahnsitz hat, fur ein V erfahren gegen diesen Beklagten zuständig. Um in einem derartigen Fall ein gemeinsames Verfahren durchfuhren zu können, wurde der Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ gescha±Ten. Somit besteht ein Spannungsfeld zwischen der Venneidung widersprüchlicher Entscheidungen innerhalb des gemeinsamen Rechtsraumes sowie der Sicherung einer geordneten Rechtspflege in der EU auf der einen Seite und dem Grundsatz "actor sequitur forum rei" auf der anderen Seite. Das EuG VÜ selbst löst dieses Spannungsfeld in Art. 6 Nr. 1 zugunsten der Vermeidung widersprechender Entscheidungen. In der Auslegung durch den EuGH tritt ein Beurteilungsspielraum bei der Frage zutage, wann eine gemeinsame Entscheidung und

118 EuGH, Urteil vom 27.09.1988, Rs 189/87 (Kalfelis I Schröder), NJW 1988, 3088 unter Nr. 8. 119 Vgl. Bericht Jenard, S. 41f.: Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dr. internat. prive 78 (1989), 117/118; Geimer/Schütze, EZVR, 1. Aufl. 1997, Art. 22, Rdnr. 1, 3; Kropholler, EZPR, 6. Auflage 1998, vor Art. 21 EuGVÜ. Rdnr. 1; vgl. auch Geimer/Schiitze, EZVR, Art. 28, Rdnr. 1, 3. 120 Vgl. Geimer/Schütze, EZVR, 1. Aufl. 1997, Art. 21 EuGVÜ, Rdnr. 1, Art. 22 EuGVÜ, Rclnr. 4; Kropholler, EZPR, 6. Auflage 1998, vor Art. 21 EuGVÜ, Rclnr. 2; MünchKomm-ZPO!Gottwald, Art. 22 EuGVÜ, Rdnr. 2.

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Kapitel 1: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft

Verhandlung geboten erscheint, da zur Beantwortung hierfur eine ex-anteBetrachtung erforderlich ist. Wie dieser Spielraum auszufullen ist, ob beispielsweise eine überwiegende Wahrscheinlichkeit fur die Möglichkeit des Ergehens widersprechender Entscheidungen ausreicht, um eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheinen zu lassen, lässt der EuGH offen. Diese Auslegung des EuGH zum alten Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ ist wortwörtlich in den Normtext des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO übernommen worden. Damit ist zugleich auch die bislang geltende Rechtslage zum Art. 6 Nr. I EuGVÜ in der Auslegung des EuGH in die EuGVVO übertragen worden 121 , so dass die Auslegung des EuGH in seiner Entscheidung Kalfelis I Sehröder weiterhin auch im Hinblick auf Art. 6 Nr. 1 EuGVVO Gültigkeit besitzt.

3. Art der Konnexität Im Folgenden soll zunächst die Frage des Zusammenhanges näher beleuchtet werden. Zu fragen ist, welche Arten von Zusammenhang bei der Kom1exität eine Rolle spielen. Ausgangspunkt hierfiir muss die in den Wortlaut des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO übemommene Formulierung des EuGH sein, wonach der erforderliche Zusammenhang dann gegeben ist, wenn eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. Widersprechende Entscheidungen können ergehen, wenn die den Verfahren zugrunde liegenden einheitlichen Tatsachen voneinander abweichend festgestellt werden. Auch bei einer unterschiedlichen rechtlichen Beurteilung derselben Rechtsfrage besteht die Gefahr widersprechender Entscheidungen 122 . Gleichartigen rechtlichen Fragen muss allerdings derselbe Sachverhalt zugrunde liegen, da die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht Aufgabe der Instanzgerichte sein kann. Weitere Voraussetzung ist schließlich, dass auch prozessual eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung überhaupt möglich ist. Wenige Jahre nach dem Urteil "Kalfelis" hat der EuGH in seiner Entscheidung "Tatry" den Begriff des Zusammenhangs in Art. 22 EuGVÜ Uetzt Art. 28 EuGVVO) weit ausgelegt und ausgefüh1i, dass im Interesse einer geordneten Rechtspflege alle Fälle erfasst werden müssten, in denen die Gefahr einander 121 Vgl. Geimer/Schütze. EZVR. Art. 6, Rdnr. 16ff.: Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 8; MünchKomm-ZPO!Gottwald, Aktualisierungsband, Art. 6 EuGVVO, Rdnr. 1. 122 Vgl. Brandes, S. 133f.

IV. Zulässigkeil- Konnexität

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widersprechender Entscheidungen bestehe, selbst wenn die Entscheidungen getrennt vollstreckt werden kö1mten und sich ihre Rechtsfolgen nicht gegenseitig ausschlössen 123 . Art. 22 EuGVÜ (jetzt Art. 28 EuGVVO) übernehme dabei eine Koordinierungsfunktion der Rechtsprechungstätigkeit innerhalb der Gemeinschaft. Zwischen Art. 6 Nr. 1 EuGVÜIEuGVVO und Art. 22 EuGVÜ I Art. 28 EuGVVO bestehen jedoch wesentliche Unterschiede. Im Falle des Art. 6 Nr. l EuGVVO wird für einen der Mitbeklagten Art. 2 EuGVVO auf jeden Fall betroffen sein. Im Falle des Art. 22 EuGVÜ I Art. 28 EuGVVO jedoch kann das Gericht, das nach Art. 2 EuGVVO zuständig ist, aber später angerufen wurde, das Verfahren entweder nur aussetzen, statt sich für unzuständig zu erklären, oder aber auch den Aussetzungsantrag ignorieren und in der Sache selbst entscheiden124. Ein weiterer Gesichtspunkt ist, dass bei Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ I EuGVVO allein der Kläger die Entscheidung trifft, ob ein Beklagter als ein Streitgenosse seines Mitbeklagten seinem Gerichtsstand des Art. 2 EuGVÜ I EuGVVO entzogen wird. Demgegenüber trifft nach Art. 22 EuGVÜ I Art. 28 EuGVVO das Gericht die Entscheidung, der Kläger kann nur einen Antrag stcllen 125 . Generalanwalt Leger kommt daher zu dem Ergebnis, dass das Erfordernis des Zusammenhangs in Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ I EuGVVO enger auszulegen ist als dasjenige in Art. 22 EuGVÜ I Art. 28 EuGVV0 126 . Er sieht sich in seiner Auffassung dadurch bestärkt, dass der EuGH in seiner Entscheidung "Reunion"127 flir die Frage des Zusammenhangs in Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ ausschließlieh auf die Definition, wie sie in seiner früheren Entscheidung "Kalfelis" zu finden ist, abstellt, obwohl die Entscheidung "Reunion" nach der Entscheidung "Tatry" ergangen ist 128 .

123 EuGH, Urteil vom 06.12.1994, Rs C-406192 (The owner of the cargo lately ladenon board the ship Tatry I The owners ofthe ship Maciej rataj), EuZW 1996, 309, JZ 1995,616 unterRdnr. 58. 124 V gl. Schlussanträge Leger, Rs C-539103 (Roche Nederland BV ct al. I Frederick Primus, Milton Goldenberg), Ziffer 81ff.; vgl. auch für Art. 28 EuGVVO Geimer/Schütze, EZVR. Art. 28 Rdnr. 19fT; Kropholler, EZPR, Art. 28, Rdnr. 10; a.A. Bericht Jenard, S. 41. 125 Vgl. Schlussanträge Leger, Rs C-539103 (Rache Nederland BV et al. I Frederick Primus, Milton Goldenberg), Ziffer 91ff. 126 Vgl. Schlussanträge Leger, Rs C-539103 (Rache Nederland BV et al. I Frederick Primus, Milton Goldenberg), Ziffer 88, 100. 127 EuGH, Urteil vom 27.10.1998, Rs C-106196 (Reunion europeenne I Spliethoff's Bcvrachtingskantoor). Eu7W 1999,413. 128 Vgl. Schlussanträge Leger, Rs C-539/03 (Rache Nederland BV et al. I Frederick Primus, Mitton Goldenbcrg), Ziffer 103.

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Kapitel 1: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft

Der Generalanwalt kommt daher zu dem Ergebnis, dass Art. 6 Nr. l EuGVÜ/ EuGVVO mangels des fllr seine Anwendung erforderlichen Zusammenhangs nicht anwendbar ist, wenn im Rahmen eines Rechtsstreits über die Verletzung eines europäischen Patents mehrere Gesellschaften mit Sitz in verschiedenen Vertragsstaaten wegen Handlungen verklagt werden, die im Hoheitsgebiet jedes dieser Staaten begangen worden sein sollen, selbst wenn diese Gesellschaften derselben Gruppe angehören und entsprechend einer gemeinsamen, von einer einzigen von ihnen ausgearbeiteten Geschäftspolitik in gleicher oder ähnlicher Art und Weise gehandelt haben sollen 129 Ein europäisches Patent unterliegt abgesehen von den gemeinsamen Regeln, die im Münchner Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente vom 05.10.1973 (Europäisches Patentübereinkomrnen, EPÜ) für seine Erteilung vorgesehen sind, weiterhin den nationalen Vorschriften jedes der Veiiragsstaaten, für die es erteilt worden ist. Sobald das betreffende europäische Patent erteilt worden ist, finden die jeweiligen nationalen Vorschriften über Patente Anwendung 130 . Eine Klage wegen Verletzung eines europäischen Patents, die gegen mehrere, in verschiedenen Vertragsstaaten ansässige Beklagte erhoben wird und Handlungen betrifft, die im Hoheitsgebiet jedes dieser Staaten begangen worden sein sollen, muss daher anband der einschlägigen nationalen Vorschriften des Vertragsstaats, für den das betrefiende Patent jeweils erteilt worden ist, geprüft werden 131 • Bei diesem Sachverhalt können die betreffenden Entscheidungen, auch wenn sie voneinander abweichen, sich nicht widersprechen oder unverträglich sein. Jede dieser Entscheidungen betrifft einen anderen Beklagten. Sie können getrennt voneinander und gleichzeitig vollstreckt werden. Die Rechtsfolgen dieser Entscheidungen schließen sich nicht gegenseitig aus, denn jedes angerufene Gericht befindet nur über angebliche Verstöße gegen die Rechte des Patentinhabers in seinem Hobeitsge-

129 Schlussanträge Leger, Rs C-539103 (Rache Nederland BV et al. I Frederick Primus, Milton Goldenberg), Ziffer 107, 145; im vorliegenden Fall hält er Art. 16 Nr. 4 EuGVÜ I Art. 22 Nr. 4 EuGVVO nicht ftir einschlägig. 130 Vgl. Art. 2 Abs. 2 EPÜ: "Das europäische Patent hat in jedem Vertragsstaat ftir den es erteilt worden ist, dieselbe Wirkung und unterliegt denselben Vorschriften wie ein in diesem Staat erteiltes nationales Patent, soweit sich aus diesem Übereinkommen nichts anderes ergibt:' Art. 64 EPÜ sieht vor: "(1) Das europäische Patent gewährt seinem Inhaber vom Tag der Bekanntmachung des Hinweises auf seine Erteilung an in jedem Vertragsstaat, ftir den es erteilt ist,( ... ) dieselben Rechte, die ihm ein in diesem Staat erteiltes nationales Patent gewähren würde." (3) Eine Verletzung des europäischen Patents wird nach nationalem Recht behandelt." 131 Schlussanträge Leger, Rs C-539103 (Rache Nederland BV et al. I Frederick Primus, Milton Goldenberg), Ziffer 117.

IV. Zulässigkeit- Konnexität

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biet. Die Rechtsfolgen jeder dieser Entscheidungen betreffen jeweils ein anderes Staatsgebiet132 . Meines Erachtens ist dieser Auffassung zuzustimmen und der Begriff des Zusammenhangs in Art. 6 Nr. 1 EuGVVO eng auszulegen. In Betracht kommen dabei ein tatsächlicher, ein materiell-rechtlicher und ein prozessrechtlicher Zusammenhang133.

4. Qualifikation der Konnexität

Der Begriff der Konnexität ist als Rechtsbegriff der Auslegung zugänglich. Mit Hilfe der Qualifikation wird bestimmt, aus welcher Sicht der Begriff auszulegen ist. Nun hat zwar der EuGH bestimmt, dass der Begriff der Konnexität im Rahmen des Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ ve1iragsautonom auszulegen ist, um sicherzustellen, dass sich aus dem Übereinkommen für die Vertragsstaaten und die betroffenen Personen soweit wie möglich gleiche und einheitliche Rechte und Pflichten ergeben 134 . Dem hat die Literatur zugestimmt 135 . Erst recht gilt dies für Ati. 6 Nr. 1 EuGVVO, da dieser schon nach seinem Wortlaut einen Zusammenhang zwischen den Klagen verlangt. Zu fragen bleibt allerdings, ob dies tatsächlich auf alle Arten von Zusammenhang, die bei der Konnexität eine Rolle spielen, zutrifft.

a) Tatsächlicher Zusammenhang Ein tatsächlicher Zusammenhang der Klagen ist erforderlich, da ohne einen solchen kein Bedürfnis für eine gemeinsame Entscheidung bestünde. Der erforderliche tatsächliche Zusammenhang sowie die Art und Intensität dieses Zu-

m Schlussanträge Leger, Rs C-539/03 (Rochc Ncderland BV et al. I Fredcrick Primus, Mitton Goldenberg), Ziffer 109. 133 Vgl. Brandes, S. 124ff.; ähnlich Schurig, FS Musielak, S. 493/513f. 134 EuGH, U1ieil vom 27.09. 1988, Rs 189/87 (Kalfelis I Schröder), NJW 1988, 30118/3089 Nr. 10. 135 Vgl. Geimer, N.JW 19S8, 3090; Geimer/Schütze. EZVR. Art. 6, Rdnr. 18; Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 10; MünchKomm-ZPCFGottwald, Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. 6; Musielak/Weth, Art. 6 EuGVVO, Rdnr. 2 zur EuGVVO; Otte, S. 651; s. auch Schlosser, EUZPR, A11. 6, Rdnr. 4; vorher schon Geimer, WM 1979, 350/359; Albicker, S. 135 will das nationale Recht als Interpretationshilfe zur vertragsautonomen Auslegung heranziehen; a.A. Rohner, S. 137ff., der jedenfalls den prozessualen Zusammenhang auf rechtsvergleichender Grundläge ermitteln will mit ausführlicher Rechtsvergleichung S. 84ff.; danach solle ein prozessualer Zusammenhang nur bestehen, wenn eine Entscheidung von einer anderen abh[ingt oder beide von einer gemeinsamen Vorfrage abhängen.

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Kapitel I: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft

smrunenhangs kann ohne weiteres verordnungsautonom bestimmt werden 136 . Hinsichtlich dieser Frage besteht zum einen ein Bedürfnis nach Einheitlichkeit der Beurteilung in allen Mitgliedstaaten, zum andem gibt es hinsichtlich der Ermittlung eines tatsächlichen Zusammenhangs keine Vorgaben seitens der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten flir die internationale Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO. Die Frage, ob ein tatsächlicher Zusammenhang besteht, kann daher in allen Mitgliedstaaten identisch beurteilt werden.

b) Prozessrechtlicher Zusammenhang

Einen gewissen prozessrechtlichen Zusammenhang wird man annehmen müssen, denn die Klagen sollen ja in einem Prozess verhandelt werden. Brandes vertritt hierzu die Auffassung, die Klagen müssten in einem derartigen prozessrechtlichen Zusammenhang stehen, dass nach der Iex fori eine gerneinsame Verhandlung möglich ist 137 . Er begründet dies mit der Gefahr, wegen des Grundsatzes der perpetuatio fori zu einem wirksamen, aber mangels gemeinsamen Verfahrens ungewollten Gerichtsstand zu kommen. Diese Zulässigkeitsbeschränkung solle den Zweck des Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ nicht vereiteln, da in der Regel die Voraussetzungen einer bloßen Prozessverbindung weiter gefasst seien als die einer zuständigkeitsbegründenden Verbindung. Diese Beschränkung müsste seiner Auffassung nach wohl auch in die EuGVVO übernommen werden, da sich inhaltlich diesbezüglich nichts geändert hat. Einer solchen Beschränkung des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO durch die Iex fori im Rahmen eines prozessrechtlichen Zusammenhanges kann nicht zugestimmt werden. Mit der Unterzeichnung des EuGVÜ haben sich damals die Vertragsstaaten untereinander gegenseitig verpflichtet, ein kompetentes Gericht zur VerfUgung zu stellen, wenn nach dem Übereinkommen eine internationale Zuständigkeit gegeben ist. Dies gilt auch dann, wenn das Übereink01mnen den Jurisdiktionsbereich eines Vertragsstaates im Vergleich zum Rechtszustand vor dem Übereinkommen erweitert 138 . Durch die Umformung des EuGVÜ in eine EUVerordnung wird diese Verpflichtung der betroffenen Mitgliedstaaten noch verstärkt. Hinsichtlich der von der Verordnung nicht betroffenen Mitgliedstaaten verbleibt es bei der Regelung des EuGVÜ und der Verpflichtung hieraus 139 . Ausnalnnen hiervon bestehen nur insoweit. als ausdrückliche Vorbehalte statu-

136

Vgl. Brandes, S. 126 zum EuGVÜ.

m Brandes, S. 127 zum EuGVÜ. m 139

Vgl. Geimer/Schzitze, EZVR, Art. 2. Rdnr. 54ff. s. Erwägungsgrund Nr. 9 der EuGVO.

IV. Zulässigkeit- Konnexität

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iert sind oder die Parteien zulässigerweise die internationale Zuständigkeit derogieren oder eine Schiedsvereinbarung getroffen haben 140 . Mit dieser Pflicht zur Justizgewährung besteht seitens der EU-Staaten keine Möglichkeit mehr, die Zuständigkeitsvorschriften durch eigene nationale Voraussetzungen einzuschränken. Der Rückgriff auf einen prozessrechtlichen Zusammenhang nach der Iex fori würde auch dem Anliegen der EuGVVO zuwider laufen, einen einheitlichen Rechtsraum bezüglich der internationalen Zuständigkeit innerhalb der EU-Staaten zu schaffen. Der prozessrechtliche Zusammenhang ist daher verordnungsautonom zu bestimmen. Er bezieht sich allerdings nur darauf, dass für die Klagen eine gemeinsame Verhandlung möglich sein muss.

c) Materiellrechtlicher Zusammenhang

Es bleibt die Frage der Qualifikation eines materiellrechtlichen Zusammenhangs. Hier scheidet eine autonome Begriffsbestümnill1g mangels eines gemeinsamen Zivilrechts von vorneherein aus. Bei einer autonomen Begriffsbestimmung würde es darüber hinaus zu einer Abweichung von der lex causae kommen können. Eine unterschiedliche Auslegung desselben Begriffs auf Ebene der Zuständigkeit und des materiellen Rechts istjedoch misslich. Ein möglicher materiellrechtlicher Zusammenhang kann daher nur nach der lex causae und nicht etwa nach der lex fori bestilm11t werden. Schließlich kann es nicht eine unterschiedliche Beurteilung materiellrechtlicher Fragen geben, je nachdem, ob sie bereits bei der Frage der Zulässigkeit des Verfahrens eine Rolle spielen oder erst bei der Frage der Begründetheit der Klage; denn das auf den Sachverhalt anwendbare materielle Recht wird nach den Regeln des Internationalen Privatrechts des Gerichtsstaates bestimmt. Erst dieses Recht bestimmt, ob ein rechtlicher Zusammenhang besteht und wie stark dieser ise 41 . Die Frage der Notwendigkeit eines materiellrechtlichen Zusammenhanges muss aus der Perspektive der Vermeidung widersprechender Entscheidungen beurteilt werden. Eine unterschiedliche Beurteilung derselben rechtlichen Frage kann zu miteinander unvereinbaren Entscheidungen führen. Gleichm1ige rechtliche Fragen sollten daher einheitlich beurteilt werden. Allerdings kann nicht die Aufgabe der Obergerichte übernommen werden, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sicherzustellen. Eine ausschließliche Übereinstimmung in Rechtsfragen reicht daher nicht aus. Hinzukommen muss für die Eröffnung des

Vgl. Geimer/Schiitze. b:ZVR, Art. 2, Rdnr. 58ff. Vgl. auch Brandes, S. 127; ebenso Rohner, S. 137f. für den materiellrechtlichen Zusammenhang. 140 141

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Kapitel 1: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft

Gerichtsstandes des Art. 6 Nr. I EuGVVO derselbe Sachverhalt, zumindest eine relevante Überschneidung im tatsächlichen Bereich. Auch eine unterschiedliche Beurteilung desselben Sachverhalts kann zu miteinander unvereinbaren Entscheidungen führen. Jedoch kann das Zugrundeliegen desselben Sachverhalts allein nicht ausreichen, um einen Gerichtsstand nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO zu begründen. Hinzukommen muss die Entscheidungserheblichkeil mindestens einer selben Rechtsfrage. Anderenfalls müssten V erfahren verbunden werden, die nur auf demselben Sachverhalt beruhen, aber denen keine gemeinsame Rechtsfragen zugrunde liegen. In derartigen Konstellationen erscheint eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung nicht geboten, um das Ergehen widersprechender Entscheidungen in getrennten Verfahren zu vermeiden. Die mögliche unterschiedliche Feststellung desselben Sachverhalts in getrennten Verfahren ist insoweit hinzunehmen. Aufgrund der in der Regel in Zivilverfahren geltenden Parteimaxime ist das Gericht an den von den Parteien übereinstimmend vorgetragenen Sachverhalt gebunden, so dass sich auch hieraus in getrennten Verfahren eine unterschiedliche Beurteilung desselben tatsächlichen Sachverhalts ergeben kann. Ferner ist bei der Auslegung des Art. 6 Nr. I EuGVVO zu beachten, dass der Grundsatz des Art. 2 EuGVVO nicht in Frage gestellt wird. 142 Würde allein der dem Verfahren zugrundeliegende Sachverhalt Hir eine Gerichtspflichtigkeit des Beklagten am Gerichtsstand eines Parallelverfahrens ausreichen, so würde zum einen die Möglichkeit, einen Beklagten seinem grundsätzlichen Gerichtsstand im Staat seines Wohnsitzes zu entziehen, stark erweitert, zum andern müsste er sich in einem Verfahren verteidigen, in dem es keine gemeinsamen Rechtsfragen mit dem Parallelverfahren gibt. Die Tatsachen aber, die im Verfahren gegen den hinzugezogenen Beklagten keine rechtliche Bedeutung haben, sind im Verfahren gegen ihn auch ohne Belang. Bei der Entscheidung kommt es auf diese Tatsachen nicht an. Insoweit können daher keine miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen.

d) Ergebnis Es sind also der prozessrechtliche und der tatsächliche Zusammenhang autonom zu bestimmen, wälu·end der materiell-rechtliche Zusammenhang nach der Iex causae zu besti.J.mnen ist.

142 V gl. EuGH, Urteil vom 27.09.191\R. Rs 189/87 (Kalfclis I Schröder), NJW 1988, 3088 unter Nr. 8.

IV. Zulässigkeil- Konnexität

53

Wie schon dargelegt können tatsächlicher und materiell-rechtlicher Zusammenhang nicht isoliert betrachtet werden. Für Konnexität im Sinne von Art. 6 Nr. 1 EuGVVO muss Übereinstimmung sowohl in einem wesentlichen Teil des Sachverhalts als auch in einer rechtlich relevanten Frage vorliegen. Allerdings können aufgrund der materiellen Rechtsvielfalt innerhalb der Mitgliedstaaten keine allgemeingültigen Regeln aufgestellt werden, unter welchen Voraussetzungen der erforderliche Zusammenhang sowohl in materiell-rechtlicher wie tatsächlicher Art gegeben ist. Für den Zusammenhang im Sinne von A1i. 6 Nr. 1 EuGVVO reicht die Gefahr eines Konflikts in den li!teilselementen aus, ein Rechtskraftkont1ikt ist nicht erforderlich 143 .

5. Fallgruppen

In der deutschen Literatur werden aus Sicht des deutschen Rechts Fallgruppen diskutiert 144 • Dabei handelt es sich im Wesentlichen um die Rechtsgemeinschaft, Fälle der gemeinsamen Verpflichtung, die Teilschuld sowie akzessorische Haftungsflille.

a) Rechtsgemeinschaft

Eine angeftihrte Fallgruppe ist die Rechtsgemeinschaft, wie z.B. Miteigentümer und Gesamthandsbercchtigte 145 . Klagen gegen Mitglieder von Rechtsgemeinschaften, die ihren Grund gerade in dieser gemeinschaftlichen Verbundenheit haben, sind rechtlich und tatsächlich gleichartig. Derartige Klagen stehen in einer so engen Beziehung, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten ist, um mögliche Widersprüche in Entscheidungen zu vermeiden.

b) Gemeinsame Verpflichtung

Eine weitere Gruppe sind Fälle der gemeinsamen Verpflichtung 146 • Bereits der Jenard-Bericht nennt die Gesamtschuld als Beispiel für einen bestehenden

143

Vgl. Otte, S. 653. Kurz~r Üb~rblick über die Rechtsprechung der nationalen Gerichte der EuGVÜStaaten bei Auer, S. 66ii 145 V gl. Brandes, S. 128; Geimer/Schütze, EZYR, Art. 6, Rdnr. 20; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, S. 380. 146 Ygl. Brandes, S. 128f.; Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 20; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, S. 380. 144

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Kapitel 1: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft

erforderlichen Zusmmnenhang 147 • Hier ist zwar jeder Gesmntschuldner verpflichtet, die ganze Leistung zu bewirken, der Gläubiger ist aber nur zur einmaligen Leistungsforderung berechtigt. Bei der gemeinschaftlichen Schuld, bei der alle Schuldner die Leistung nur durch ihr Zusammenwirken erbringen können, ist die Notwendigkeit einer gemeinsamen Prozessführung noch augenfalliger.

c) Teilschuld Geimer ordnet die Teilschuld wie die Gesamtschuld den Fällen der gemeinsamen Verpflichtung zu und lässt sie flir den erforderlichen Zusammenhang ausreichen 148 . Brandes 149 will dagegen differenzieren: die Teilschuldnerschaft vermittle in materiellrechtlicher Hinsicht keinen ausreichenden Zusammenhang zwischen den Schuldnern, der eine einheitliche Entscheidung geboten erscheinen lassen könne. Aus tatsächlichem Zusammenhang könne aufgrund derselben streitigen Tatsachen in allen Einzelrechtsverhältnissen jedoch eine gemeinsmne Entscheidung geboten sein. Trotz der Teilung besteht jedoch zwischen den Teilschuldverhältnissen eine Verbindung 150 So hat beispielsweise die Einrede aus § 320 BGB gemäß § 320 Abs. 1 Satz 2 BGB Gesamtwirkung. Auch ein Rücktrittsrecht kann von Teilschuldnern gemäß § 351 BGB nur von allen ausgeübt werden; wenn es fiir einen Berechtigten erlischt, so erlischt es auch für die übrigen Beteiligten. Ebenso kann die Minderung gemäß § 441 BG B nur von allen Berechtigten erklärt werden. Dies zeigt, dass auch zwischen Teilschuldnern ein materiellrechtlicher Zusammenhang besteht, der hinreichend stark ist, um einheitliche Entscheidungen geboten erscheinen zu lassen. Auch Teilschuldnerschaft stellt also einen notwendigen Zusammenhang dar und wirkt zuständigkeitsbegründend.

d) Akzessorische Haftung Die akzessorische Haftung ist schließlich eine weitere umstrittene Fallgruppe. Hierzu gehören zum Beispiel die Klage gegen den Hauptschuldner und den Bürgen sowie die Klage gegen den persönlichen Schuldner und den Eigentümer der dinglich haftenden Sache, sofern nicht der ausschließliche Gerichtsstand des Art. 22 Nr. 1 EuGVVO einschlägig ist. Geimer ordnet derartige Klagen dem

147 Bericht Jenard, S. 26f., zu Art. 6 Nr. 1; vgl. auch Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 9; Schlosser, EUZPR, Art. 6, Rdnr. 4. 148 Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 20; Geimer/Schütze, Internationale Urteils3nerkennung I 1, S. 380. 149 Brandes, S. 129. 150 V gl. nur Pa!andt/!Jeinrichs, 65. Autl 2006, § 420 BGB, Rdnr. 4.

IV. Zulässigkeit- Konnexität

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Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO zu, unabhängig davon, ob die Klage am Wahnsitz des primär oder des sekundär Haftenden eingereicht wird. Die Verordnung kenne nicht die Regel, dass der Sekundärschuldner am Wohnsitz des Primärschuldners verklagt werden könne, nicht aber umgekehrt der Primärschuldner am Wohnsitz des Sekundärschuldners 151 . Brandes dagegen möchte hier eine Einschränkung vornehmen. Er stellt auf Art. 6 Nr. 2 EuGVVO ab, der einen Gerichtsstand der Gewährleistungs- und Interventionsklage eröffnet, und versteht diesen so, dass ein Hauptbeklagter nicht am Wohnsitz eines Nebenoder Hilfsbeklagten verklagt werden könne. Hieraus leitet er eine allgemeine Regel ab, dass Neben- und Hilfsansprüche der Hauptsache folgen müssten und in Fällen akzessorischer Ansprüche Art. 6 Nr. 2 EuGVVO Iex specialis zu Art. 6 Nr. 1 EuGVVO sei 152 . Bei der Gewährleistungs- und Interventionsklage glaubt eine Partei, im Falle ihres Unterliegens gegen einen Dritten einen Anspruch auf Gewährleistung, Schadloshaltung oder Freistellung zu haben, und zieht diesen Dritten in den Rechtsstreit mit hinein 153 . Bei der Gewähr Ieistungs- und Interventionsklage geht es um Regressansprüche des Unterlegenen bzw. der Partei, die zu unterliegen glaubt, gegen einen Dritten. Bei akzessorischen Ansprüchen wie oben dargelegt geht es dagegen um einen Anspruch des Klägers sowohl gegen den Hauptbeklagten als auch gegen den akzessorisch Beklagten, nur hängt der Erfolg der Klage gegen den Drittbeklagten hier in der Regel von der Durchsetzbarkeit des Anspruchs gegen den Hauptbeklagten ab. Dennoch hat der Kläger einen eigenen Anspruch gegen den Drittbeklagten, es geht nicht um Regressansprüche. Bei Regressansprüchen muss ein berechtigter Anspruch gegen den Regressanspruchsberechtigten bestehen, damit dieser überhaupt einen Anspruch gegen den Regresspflichtigen haben kann. Der Regressberechtigte soll sich im Falle des Unterliegens am Regressverpflichteten in einem weiteren Verfahren schadlos halten können. Die Ansprüche sind also hintereinandergeschaltet Bei der akzessorischen Haftung dagegen geht es um die Absicherung des Berechtigten; er hat gewissermaßen zwei Verpflichtete, die in einem Rangverhältnis ihm gegenüber haften. Seine Ansprüche sind also parallel ausgerichtet, sowohl gegen den Primär- als auch gegen den Sekundärschuldner. Diese können auch in einem Verfahren geltend gemacht werden. Zum Teil hält sich der berechtigte Gläubiger nur an den akzessorisch Haftenden, weil nur dort eine Vollstreckung aussichtsreich erscheint, zum Teil ist der Gläubiger auch berechtigt, 151 Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 20; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I I, S. 380; Geimer, WM 1979, S. 350/359. 152 Brandes, S. 146f; 161 f. 153 V gl. Bericht Jenard, S. 26f., zu Art. 6 Nr. 2; Geimer/Schiitze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 33; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, S. 385; Kropholler, Art. 6, Rdnr. 26.

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Kapitel 1: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft

sich sogleich an den eigentlich akzessorisch Haftenden zu wenden, so im Falle einer Bürgschaft bei gleichzeitiger Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung. Hier wäre es unsinnig, den Gläubiger verpflichten zu wollen, nur am Gerichtsstand des Hauptschuldners zu klagen. Aufgrund der dargelegten Unterschiede zwischen Regressansprüchen und akzessorischer Haftung ist es nicht gerechtfertigt, aus Art. 6 Nr. 2 EuGVVO eine Einschränkung der Gerichtspflichtigkeit des akzessorisch Haftenden im Rahmen von Art. 6 Nr. 1 EuGVVO herzuleiten. Art. 6 Nr. 1 EuGVVO eröffnet also auch am Wohnsitz des akzessorisch Haftenden einen gemeinsamen Gerichtsstand für eine Klage zugleich gegen den Primärschuldner.

V. Schranken der Zuständigkeit 1. Allgemeines Missbrauchsverbot Eine ausdrückliche Zuständigkeitsbegrenzung enthält Art. 6 Nr. I EuGVVO nicht. Allerdings wird das in Art. 6 Nr. 2 EuGVVO konkretisie1te allgemeine Missbrauchsverbot auch für Art. 6 Nr. I EuGVVO herangezogen 154 . Danach besteht eine Zuständigkeit nicht, wenn die Klage nur erhoben worden ist, um den betroffenen Beklagten dem für ihn zuständigen Gericht zu entziehen. Diese Einschränkung der Zuständigkeit des Art. 6 Nr. I EuGVVO ist ausschließlich autonom auszulegen. Nationales Recht kann hierzu nicht herangezogen werden. Auch weitere Einschränkungen der Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO dürfen nicht aus dem nationalen Prozessrecht hergeleitet werden. Es muss eine einheitliche Anwendung der Einschränkung in allen Staaten gewährleistet bleiben. Art. 6 Nr. 2 EuGVVO formuliert den Missbrauchsvorbehalt negativ: "es sei de1111, dass die Klage nur erhoben worden ist, um diese Person dem flir sie zuständigen Gericht zu entziehen". Diese Formulierung zeigt, dass der betroffene Drittbeklagte den Missbrauch seitens des Klägers darlegen und gegebenenfalls auch beweisen muss 155 . Der englische und der französische Wortlaut führen zum selben Auslegungsergebnis 156 . Ein Missbrauch liegt dann vor, wenn es dem 154 V gl. Bericht Jenard, S. 26f.; Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6 Rdnr. 23; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, S. 381 f.; Kropholler, EZPR, Art. 6 Rdnr. 15; MünchKomm-ZPO/Gotnvald, Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. 8; Nagel/Gotnva/d, § 3, Rdnr. 87; Schlosser, EUZPR, Art. 6, Rdnr. 3. 155 V gl. auch Brandes, S. 148. 156 Im englischen Text ist der Missbrauchsvorbehalt wie folgt formuliert: "unlcss these were instituted solely with the object of removing him from the jurisdiction of the court which would be competcnt in his case." Der französische Text lautet: "a moins qu'clle n'ait ete formee que pour traduire hors de son tribunal celui qui a ete appele."

V. Schranken der Zuständigkeit

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Kläger nur darauf ankommt, den Drittbeklagten dem fur ihn zuständigen Gericht zu entziehen. Dies darf die einzige Motivation fiir den Kläger sein, einen Drittbeklagten im Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO zu verklagen. In einem derartigen Fall liegt dann ein Missbrauch des Gerichtsstands des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO vor. Selbstverständlich bleibt es dabei, dass der Kläger die Voraussetzungen des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO gegebenenfalls beweisen muss, insbesondere also die Kotmexität der gegen mehrere Beklagte gerichteten Klagen.

2. Zuständigkeitsvereinbarungen Die EuGVVO selbst gibt eine weitere Möglichkeit, den Mehrparteiengerichtsstand zu vermeiden. Vereinbaren die Parteien im Anwendungsbereich der EuGVVO einen Gerichtsstand, so ist dieser grundsätzlich gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 2 EuGVVO ausschließlich. Voraussetzung hierfur ist u.a., dass mindestens eine der Parteien ihren Wohnsitz oder Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat und die Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaates vereinbart wird. Von der Vereinbarung gemäß Att. 23 EuGVVO erfasst wird die internationale Zuständigkeit 157 , so dass keine der Parteien der Gerichtsstandsvereinbarung von der jeweils anderen im Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO verklagt werden kann. Auf diese Weise lässt sich der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft derogieren 158 Dasselbe bewirkt eine Schiedsvereinbarung159.

3. Weitere Vorschläge einer Einschränkung Brandes sucht weitere Einschränkungen der Zuständigkeit herzuleiten 160 . So will er akzessorische Ansprüche in ein Rangverhältnis stellen und den Gerichtsstand des Art. 6 Nr. l EuGVVO nur am Wohnsitz des Hauptschuldners eröffnen161. Diese Einschränkung wurde schon oben im Rahmen der Konnexität abgelehnt. Aufgrund der dort angefuhrten Gründe besteht in Fällen einer akzessorischen Haftung kein Bedarf, den Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO ein-

157 V gl. Gein1ei·,Schütze, EZVR, Art. 23, Rdnr. 36; Kropholler, EZPR, Art. 23, Rdnr. 2; Schlosser, EUZPR, Art. 23, Rdnr. 4. 158 Vgl. Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 32: Kropholler, EZVR, Art. 6, Rdnr. 17; MünchKomm/Gottwald, Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. 8; Schlosser, EUZPR, Art. 6, Rdnr. 1. 159 Vgl. GeimeriSchütze, EZVR, Art. 6. Rdnr. 32. 160 Brandes, S. 135ft'. 161 Brandes, S. 136. 146, 16lf.

58

Kapitel l: Gerichtsstand der Streitgenossenschall

zuschränken. Auch dem von Brandes in diesem Zusammenhang postulierten Vorrang der Regressklage bei hierarchischen Schuldverhältnissen 162 kann nicht gefolgt werden. Brandes meint, der Rechtsgedanke aus Art. 6 Nr. 2 EuGVVO, dass nämlich die Regressklage der Hauptklage folge, sei gegenüber Art. 6 Nr. 1 EuGVVO spezieller und deswegen vorrangig. A11. 6 Nr. 1 EuGVVO ist jedoch ein eigenständiger Gerichtsstand. Nicht ausschließliche Gerichtsstände stehen gleichwertig nebeneinander. Wenn also die Voraussetzungen des Gerichtsstands aus Art. 6 Nr. 1 EuGVVO vorliegen, darf eine weitere Einschränkung aus dem Rechtsgedanken des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO als einem speziellerem Gerichtsstand nicht erfolgen. Dies steht nicht in Widerspruch zu der Übernahme des Missbrauchsverbots aus Art. 6 Nr. 2 EuGVVO auch in Nr. 1, da dieses allgemein besteht. Ferner will Brandes Fälle ausschließen, in denen sich aus seiner Sicht zufällig ein Gerichtsstand nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO ergibt. Als Beispiel filhrt er einen Verkehrsunfall in Deutschland an, in den zwei Spanier und ein Deutscher verwickelt sind. Wenn die beiden Spanier in Spanien ihren Wohnsitz haben, so könnte der eine den anderen an dessen spanischen Wohnsitz verklagen und filr den Deutschen sei entsprechend ein Gerichtsstand nach A11. 6 Nr. 1 EuGVVO gegeben. Dies sei ein zufälliger, nicht vorhersehbarer Gerichtsstand, der vermieden werden müsse 163 . Um derartige Zufälligkeiten auszuschließen, dehnt Brandes den Konnexitätsbegriff aus, indem er zusätzlich einen persönlichen und örtlichen Zusammenhang einflihrt 164 . Es müsse dadurch ein Mindestmaß an persönlichem Zusammenhang zwischen dem Drittbeklagten und dem Hauptbeklagten bestehen, dass der Drittbeklagte durch Teilnahme am Rechtsverkehr oder Ausübung einer schadensgeneigten Tätigkeit flir die Konnexität verantwortlich sei; dabei müsse ein internationaler Bezug wenigstens erkennbar sein. Der örtliche Mindestzusammenhang zu dem Gerichtsstaat müsse sich aus der den Sachzusammenhang des Art. 6 Nr. I EuGVVO begründenden rechtlichen oder tatsächlichen Frage ergeben. Dieser könne in einem Umstand begründet sein, bei dem auch sonst ein gerichtsstandsbegründender Bezug zum forum anerkannt ist. Ein solcher Bezug solle über die anderen besonderen Gerichtsstände der EuGVVO bestimmt werden. Mit dieser Einschränkung wird Art. 6 Nr. 1 EuGVVO jedoch subsidiär. Wenn bereits im Gerichtsstaat ein besonderer Gerichtsstand besteht, kann dort in der Regel der Rechtsstreit in einem Verfahren entscheiden werden, Art. 6 Nr. 1 EuGVVO ist dann zur Begründung eines Gerichtsstandes in diesem Gerichtsstaat nicht mehr erforderlich. Nur in diesen Fällen die Möglichkeit zu eröfti1en, am Wohnsitz eines Beklagten in diesem Gerichtsstaat das Verfahren 162 163 164

Brandes, S. 161 f. Brandes, S. 137. Brandes, S. 159ff.

V. Schranken der Zuständigkeit

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durchzuführen, würde Art. 6 Nr. 1 EuGVVO zu einem bloßen Hilfsgerichtsstand degradieren. Nicht ausschließliche Gerichtsstände stehen aber gleichwertig nebeneinander. Somit kommt eine Einschränkung über einen zusätzlichen persönlichen und örtlichen Zusammenhang nicht in Betracht. Hinsichtlich des von Brandes gebildeten Beispielfalles besteht zudem der von ihm bemängelte zufallige Gerichtsstand nicht. Ist der klagende Spanier durch eine unerlaubte Handlung des Deutschen und des anderen Spaniers geschädigt worden, so ist aufgrund der unerlaubten Handlung eine Gesamtschuld zwischen dem beklagten Spanier und dem Deutschen entstanden. Eine Gesamtschuld ist ein ausreichender Zusammenhang für einen Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO. Bei einer Gesamtschuld hat ein Gesamtschuldner gegen den anderen einen Ausgleichsanspruch, der der Höhe nach dem Haftungsanteil des anderen Gesamtschuldners entspricht. Würde man also eine Einschränkung des Gerichtsstands des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO in derartigen Fällen zulassen, so könnte dennoch im Beispielsfall der geschädigte Spanier seinen Landsmann an dessen Wohnsitz in Spanien verklagen. Der Beklagte könnte nun seinerseits den Deutschen über den Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO in den Prozess beiziehen, da er einen Regressanspruch gegen diesen geltend machen kann. Für diesen Gerichtsstand gilt gleichfalls nur das Missbrauchsverbot, noch erweitert dahingehend, dass der Kläger und der Erstbeklagte nicht kollusiv zulasten des Drittbeklagten zusammenwirken dürfen 165 . Sobald der Kläger zumindest auch gegen den Erstbeklagten einen Anspruch ernsthaft geltend macht und es nicht von vorneherein ausgeschlossen erscheint, dass ein Anspruch tatsächlich besteht, ist gegen den Drittbeklagten der Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO gegeben. Wenn aber der Erstbeklagte den Drittbeklagten in denselben Gerichtsstand zwingen kann wie er sich auch aus Art. 6 Nr. 1 EuGVVO ergeben würde, so ist nicht einzusehen, warum dieser Gerichtsstand als für den Drittbeklagten unvorhersehbar und zufallig ausgeschlossen sein sollte nur weil der Kläger diesen direkt in Anspruch nehmen will. Auch fur den Drittbeklagten ergibt sich insoweit keine Erleichterung. Sobald also zwischen den Klagen gegen mehrere Beklagte der nach Art. 6 Nr. I EuGVVO erforderliche Zusammenhang besteht, kann der Gerichtsstand nicht mehr als zufallig und nicht vorhersehbar ausgeschlossen werden. Somit besteht kein Bedarf, den Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO über den Missbrauchsvorbehalt hinaus einzuschränken.

165

V gl. nur Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 32.

Kapitel2

Gerichtsstand der Gewährleistungsund Interventionsklage, Art. 6 Nr. 2 EuGVVO I. Überblick 166 Der Gerichtsstand der Gewährleistungs- und Interventionsklage des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO hat sein Vorbild in den romanischen Rechtsordnungen. Mit seiner Hilfe kann ein Dritter, gegen den eine Partei des Hauptprozesses im Falle ihres Unterliegens einen Anspruch auf Gewährleistung, Freistellung oder Ersatz zu haben glaubt, in den Hauptprozess hineingezogen werden. Das Gericht des Hauptprozesses ist für die Gewährleistungs- bzw. Interventionsklage gegen den Dritten zuständig, auch wenn sich eine Zuständigkeit nicht aus den sonstigen Zuständigkeitsregeln ergibt, der Dritte im Normalfall also nicht am Ort des Hauptprozesses gerichtspflichtig wäre. Unterliegt derjenige im Hauptprozess, der die Gewährleistungs- bzw. Interventionsklage eingereicht hat, so wird in diesem Verfahren zugleich über die Gewährleistungs- bzw. Interventionsklage entschieden. Über den Rückgriffsanspruch des Unterlegenen gegen den Dritten entscheidet also das Gericht des Hauptverfahrens. Dessen li!ieil entfaltet die normalen Urteilswirkungen wie Rechtskraft und Vollstreckbarkeit gegen den Dritten.

II. Begriff Die Interventionsklage ist zwar der Oberbegriff und die Gewährleistungsklage in diesem Begriff schon enthalten. Die Verfasser des damaligen EuGVÜ haben es dennoch für angebracht angesehen, beide Begriffe zu verwenden 167 • Der

166 Vgl. hierzu Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 33ff.; Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 18; kursorischer rechtsvergleichender Überblick bei Stürner, FS Geimer, S. 1307ff. 167 Vgl. Bericht Jenard, S. 28; vgl. auch Kropholler. E?PR, Art. 6, Rdnr. 26; Schlosser, EUZPR, Art. 6, Rdnr. 6.

II. Begriff

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Jenard-Bericht verweist zur Bestimmung des Interventionsbegriffes auf Art. 15 und 16 der belgiseben Gerichtsordnung 168 . Trotz dieses Verweises auf die belgisehe Rechtsordnung sind die Begriffe Interventionsklage und Gewährleistw1gsklage vertragsautonom einheitlich auszulegen169. Die Verordnung hat ein eigenständiges Zuständigkeitssystem geschaffen, das nur bei einheitlicher Anwendung zufriedenstellend funktionieren kann. Femer sind diese Begriffe nicht allen nationalen Rechtsordnungen bekannt, auch wenn diese Drittbeteiligungsinstitute kennen. Schließlich fehlt in Art. 6 Nr. 2 EuGVVO ein Verweis auf das nationale Recht wie in Art. 11 Abs. 1 EuGVVO, der die Zulässigkeit der Einbeziehung des Haftpflichtversicherers ausdrücklich von Recht des angerufenen Gerichts abhängig macht 170 .

1. Gewährleistungsldage

Der Jenard-Bericht verweist daraut: dass die Gewährleistungsklage dem belgischen, französischen, italienischen, Iuxemburgischen und niederländischen Recht bekannt sei 171 . Dabei wird Klage gegen einen Dritten zum Zwecke der

168 "Art. 15 ( l) L'intervention est une procedure par laquelle un ticrs dcvient partie

aIa cause.

(2) Elle tend, soit a Ia sauvegarde des interets de l'intervenient ou de I'une des parties en cause, soit a faire prononcer une condemnation ou ordonner une garantie." "Art. 16 (l) L'intervention cst volontairc lorsquc le tiers se presente afin de defendre ses interets. (2) Elle est forcee lorsque le tiers cst cite au cours d'une procedure par une ou plusicurs parties." "Art. 15. ( 1) Die Intervention ist ein Verüthren, durch das ein Dritter Prozesspartei wird. (2) Sie dient entweder dem Schutz der Interessen des Intervenienten oder einer der Parteien des Rechtsstreits oder sie zielt auf den Erlass einer Verurteilung oder auf Zuerkennung eines Gewährleistungsanspruches ab." "Art. 16. (1) Die Intervention ist freiwillig, wenn der Dritte von sich aus in das Verfahren eintritt, um seine Interessen zu wahren. (2) Sie ist erzwungen, wenn der Dritte während des Verfahrens durch eine oder mehrere Prozessparteien geladen wird." 169 Vgl. Geimer. WM 1979, 361; Geimer!Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 40f.; Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 26; Mansel, Streitverkündung und Interventionsklage im Europäischen internationalen Zivilprozessrecht (EuGVÜ/Lugano-Übereinkommcn), in: Tfommelhoff, Jayme, Mangold, Europäischer Binnenmarkt. IPR und Rechtsangleichung. 1995 (zit. Binnenmarkt), S. 230: MünchKomm-ZPO!Gottwald, Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. 9. 170 Vgl. Geimer!Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 41; Afansel, Binnenmarkt, S. 230f. 171 Bericht Jenard, S. 27; s. auch Mansel, Binnenmarkt, S. 23lf.; rechtsvergleichender Überblick auch bei Auer, S. 101 ff.

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Kapitel 2: Gerichtsstand der Gewährleistungs-und Interventionsklage

eigenen Schadloshaltung wegen der Folgen des eigenen Rechtsstreits erhoben. Der Dritte erhält in dem laufenden Prozess eine eigenständige Parteirolle. Es gibt in einem Rechtsstreit also drei Parteien in drei verschiedenen Rollen. Aus dem Sinn und Zweck der Gewährleistungsklage ergibt sich, dass sie auf Verurteilung des Dritten gerichtet ist. Zudem liegt ein bedingter Klageantrag auf Verurteilung des Dritten für den Fall vor, dass der Garantiekläger im Hauptverfahren unterliegt. Mit der Garantieklage macht der Garantiekläger eigene Rückgriffsansprüche gegen den Dritten geltend. Eine gesamtschuldnerische Verurteilung des Dritten mit dem Garantiekläger im Verhältnis zum Hauptkläger kommt daher nicht in Betracht. Nach ausführlicher Analyse des belgischen und französischen Interventionsrechts kommt Manset zu folgender vertragsautonomer Definition des Begriffs der Gewährleistungsklage im Sinne des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO: "Gewährleistungsklage (... ) ist die Klage einer Partei eines anhängigen Verfahrens gegen einen bisher grundsätzlich nicht als Partei an dem Verfahren beteiligten Dritten auf Schadloshaltung im weiteren Sinne für den Fall, dass der Garantiekläger im Hauptprozess unterliegen sollte. ( ... )In dem Verfahren wird einerseits über das streitgegenständliche Rechtsverhältnis der Hauptparteien untereinander wie auch andererseits über den erhobenen Regress-, Schadloshaltungs-, Gewährleistungs- oder ähnlichen Anspruch des Garantieklägers gegen den Dritten entschieden. Das den Dritten betreffende Urteil kann selbständig entweder vor oder nach oder in Zusammenhang mit dem Urteil im Verhältnis der Hauptparteien untereinander ergehen.·' 172 Bereits dem Begriff der Gewährleistungsklage soll dabei das Bestehen eines inneren Zusammenhangs zwischen den Klagen immanent sein. Dieser soll allerdings nicht weitergehen als derjenige, der für die Feststellung ausreicht, dass kein Gerichtsstandsmissbrauch vorliegt 173 . Die Frage des Zusammenhangs wird daher erst unter dem Aspekt des Missbrauchsverbots 174 behandelt. Aufgrund des bedingten Klageantrages auf Verurteilung des Dritten für den Fall des Unterliegens des Garantieklägers im Hauptprozess kann der Dritte erst dann vemrteilt werden, wenn die Bedingung der Haftung des Garantieklägers im Hauptprozess festgestellt wurde. Eine vorherige Verurteilung des Dritten ist

172 Mansel, Binnenmarkt, S. 233; ders., Gerichtspflichtigkeit von Dritten: Streitverkündung und Interventionsklage (Deutschland), 1997 (zit. Strcitverkündung), S. 203; dagegen Kraft, Grenzüberschreitende Streitverkündung und Third Party Notice. 1995, S. 107, beschränkt die Gewährleistungsklage auf den Beklagten. 173 EuGH, Urteil vom 26.05.2005, Rs C-77/04 (Groupement d'interet economique [GIE] Reunion europeenne u.a. I Zurich Espaiia, Societe pyreneenne de transit d'automobiles [Soptrans]), VersR 2005, 1001/1002: vgl. auch Heiss, VersR 2005, 1003. 174 Unten unter III. 4.

li. Begriff

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nicht möglich. Das Urteil gegen den Dritten entfaltet diesem gegenüber die gewöhnlichen Urteilswirkungen, also Rechtskraft und Vollstreckbarkeit 175 . Die Gewährleistungsklage dient ausschließlich den Interessen des Garantieklägers. Von daher kann ein Dritter nicht von sich aus im Rahmen einer Gewährleistungsklage Partei eines anhängigen Verfahrens werden.

2. Interventionsklage Hinsichtlich des Begriffes der Interventionsklage verweist der JenardBericht lediglich auf Art. 15f. der belgiseben Gerichtsordnung 176 • Danach ist die Interventionsklage eine Klage, durch die ein Dritter Prozesspartei in einem zwischen zwei anderen anhängigen Verfahren wird. Die Interventionsklage dient dabei entweder dem Schutz der Interessen des Dritten oder einer der Parteien des Rechtsstreits. Die Interventionsklage setzt einen Hauptprozess voraus; der Interventionskläger muss einen eigenen prozessualen Anspruch geltend machen, zugleich ist ein Zusammenhang der Interventionsklage mit dem Hauptprozess erforderlich, über die erhobenen prozessualen Ansprüche muss zwingend einheitlich entschieden werden 177 . Aus Sicht des belgiseben Rechts kann auch der Dritte die Interventionsklage gegen eine Hauptpartei erheben 178 • Nach Art. 6 Nr. 2 EuGVVO kam1 eine Person vor dem Gericht des Hauptprozesses verklagt werden, wenn es sich um eine Interventionsklage handelt. Nach dem Wortlaut der Bestimmung ist nicht erforderlich, dass Interventionskläger eine der Hauptparteien und Interventionsbeklagter der Dritte ist. Auch ein Dritter kann danach die Stellung eines Interventionsklägersinne haben. Weder der englische 179 noch der französische 180 Wortlaut fuhren zu einem anderen Ergebnis. Andererseits geht es bei den Gerichtsständen des Art. 6 Nr. I und Nr. 2 EuGVVO im Übrigen immer um die Einbeziehung einer weiteren Person in ein Verfahren in der Position eines Beklagten, sei es als Mitbeklagter in Art. 6 Nr. 1 EuGVVO, sei es als Regresspflichtiger im Rahmen der Gewährleistungs-

175

Vgl. Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6 Rdnr. 35. s. Fn. 168. 177 V gl. Mansel, Strcitverkündung, S. 203. 178 Vgl. Art. 16 Abs. I belgisehe Gerichtsordnung; vgl. auch Auer, S. 102. 179 "A person ( ... ) may also be sued as a third party in an action on a warranty or guarantee or in any other third pmiy proceedings, in the court seised of thc original proceedings ( ... ). " 180 "Cette meme personne peut aussi ctrc attraite s'il s'agit d'une dememde cn garantic ou d'une demande en intervention. dcvant Je tribunal saisi de Ia dcmandc originaire ( ... )." 176

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Kapitel2: Gerichtsstand der Gewährleistungs- und Interventionsklage

klage nach Art. 6 Nr. 2 EuGVVO. Art. 6 Nr. 3 EuGVVO mit dem Gerichtsstand der Widerklage sowie Art. 6 Nr. 4 EuGVVO mit dem Gerichtsstand des dinglichen Sachzusammenhangs betreffen Klagen gegen bereits als Partei an einem Rechtsstreit beteiligte Personen. Dies könnte gegen die Zulassung eines Dritten als Interventionskläger sprechen. Ferner wird vet1reten, eine freiwillige Drittbeteiligung könne nicht von Art. 6 Nr. 2 EuGVVO erfasst werden 181 , zum Teil mit dem Hinweis, bei der freiwilligen Drittbeteiligung folge die internationale Zuständigkeit flir die Intervention bereits aus Art. 24 EuGVV0 182 . Allerdings ist hierfur die Einlassung des Beklagten erforderlich. Bei der Interventionsklage ist hierfur auf den Interventionsbeklagten abzustellen, nicht auf den Dritten als Interventionskläger. Der Interventionsbeklagte kann jedoch die Einlassung verweigern und die Zuständigkeit des Gerichts bestreiten. Insoweit hat Art. 6 Nr. 2 EuGVVO eine eigenständige Bedeutung 183 . Der Normzweck des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO spricht für eine Einbeziehung der von einem Dritten erhobenen Interventionsklage in dessen Anwendungsbereich. Zweck des Art. 6 EuGVVO ist es, Klagen, zwischen denen ein Zusammenhang besteht, vor demselben Gericht zu ermöglichen, um widersprechende Entscheidungen zu vermeiden 184 Für den Zweck des Art. 6 EuGVVO ist es jedoch unerheblich, ob die Interventionsklage von einer Hauptprozesspa11ei oder von einem Dritten erhoben wird. Wortlaut und Zweck der Vorschrift sowie ihre Entstehungsgeschichte mit Verweis auf das belgisehe Recht, welches den Dritten als Interventionskläger kennt, führen also dazu, dass auch im Rahmen des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO ein Dritter als Interventionskläger auftreten kann 185 Der Dritte als Streithelfer wird dagegen nicht von Art. 6 Nr. 2 EuGVVO erfasst, da Art. 6 EuGVVO Entscheidungszuständigkeiten, damit die unmittelbare Gerichtspflichtigkeit des Beklagten regelt. Dieser ist jedoch einem bloßen Streithelfer gegenüber nicht unmittelbar gerichtspflichtig 186 . Auch die im deutschen Recht bekannt Figur des streitgenössischen Nebenintervenienten wird von Art. 6 Nr. 2 EuGVVO nicht erfasst. Der streitgenössische Nebenintervenient hat 181 Vgl. Geimer!Schiitze, Internationale Urteilsanerkennung, S. 387. 182 V gl. fiir das EuGVÜ Droz, Competence judiciairc ct effets des jugements dans Je Marche Commun, Rdnr. 98. 183 Vgl. Mansel, Binnenmarkt, S. 235; Schlosser, EUZPR, Arl. 6, Rdnr. 6. 184 V gl. Kroplzoller, EZPR, Art. 6, Rdnr. I; Mansel, Binnenmarkt, S. 234; ders., Streitverkündung, S. 204; MünchKomm-ZPO/Gottwald, Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. I; Schlosser, EUZPR, Art. 6, Rdnr. 6. 185 Vgl. Coester-Waltjen, IPRax 1992, 290; Mansel, Binnenmarkt, S. 235; Schlosser, EUZPR, Art. 6, Rdnr. 6; zweifelnd Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 27. 186 V gl. Mansel, Binnenmarkt, S. 235f.

TII. Zuständigkeit

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zwar gegenüber dem einfachen Streithelfer erweiterte Befugnisse 187 , er ist aber dennoch nicht Partei 188 Aufgrund der fehlenden Parteistellung kann dem streitgenössischen Nebenintervenienten gegenüber auch kein Gerichtsstand bestehen.

111. Zuständigkeit t. Anwendbarkeit

Die Hauptklage muss in den Anwendungsbereich der EuGVVO fallen, damit ein Gerichtsstand nach Art. 6 Nr. 2 EuGVVO geltend gemacht werden kann 189 • Es muss sich also um eine Zivil- oder Handelssache handeln mit Ausnahme der Rechtsgebiete Personenstand, Rechts- und Handlungsfahigkeit sowie gesetzliche Vertretung von natürlichen Personen, eheliche Güterstände, Erbrecht einschließlich Testamentsrecht, Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren, soziale Sicherheit und Schiedsgerichtsbarkeit, Art. I EuGVVO. Auf welcher Norm der EuGVVO die Zuständigkeit fur die Hauptklage beruht, ist unerheblich 190. Strittig ist allerdings, ob die Zuständigkeit des Gerichts fur die Hauptklage gemäß Art. 4 EuGVYO nach seinem eigenem autonomen Recht ausreichen kann, um für die Gewährleistungs- und Interventionsklage eine Zuständigkeit gemäß Art. 6 Nr. 2 EuGVVO zu begründen. Für Beklagte ohne Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates wird gemäß Art. 4 Abs. 1 EuGVVO die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedstaates nach dessen eigenen Gesetzen bestimmt. Für Klagen gegen Personen ohne Wohnsitz innerhalb der EU, also sowohl ftlr Ausländer mit Wohnsitz außerhalb der EU als auch für Inländer ohne Wohnsitz, kommt damit das jeweilige nationale Zuständigkeitsrecht zur Anwendung. Zur Veranschaulichung soll folgendes Beispiel dienen: Maus Mailand hat mit seinem VertragspartnerN aus Ncw York nach italienischem Recht eine Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen, dass für alle Rechtsstreitigkeiten aus ihrer Vertragsbeziehung die italienischen Gerichte in Mailand zuständig sein sollen. 1\1 reicht in Mailand gegen N Klage auf Gewährleistung ein, da die von N gelie-

187 Vgl. iviünchKomm/Schilken, § 69, Rdnr. 1lff.; Zö!fer/Vollkommer, § 69, Rdnr. 8. 188 Vgl. MünehKomm/Schilken, § 69, Rdnr. 9; Musielak/Weth, § 69, Rdnr. 6. 189 Vgl. Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6. Rdnr. 42; Krophol/er, EZPR, A1i. 6. Rdnr. 30. 190 Vgl. Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 30; MünchKomm-ZPO/GottlVCdd, Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. 9; Schlosst'r, EUZPR, Art. 6, Rdnr. 6; vgl auch EuCiH. Urteil vom 15.05.1990, Rs 365/RS (Kongress Agentur Hagen GmbH I Zcehaghe B.V.), NJW 1991, 2621.

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Kapitel 2: Gerichtsstand der Gewährleistungs- und Interventionsklage ferten Maschinen mangelhaft seien. N hat Teile fur die von ihm hergestellten Maschinen von seinem Zulieferer 0 aus Oostendc erhalten und macht diese als Ursache fur den Mangel aus. Kann N gegen 0 vor dem Gericht in Mailand gemäß Art. 6 Nr. 2 EuGVVO Gewährleistungsklage erheben?

Kropholler verlangt, dass für die Hauptklage eine Zuständigkeit nach der EuGVVO besteht; eine Zuständigkeit nach nationalen Vorschriften - auch über Art. 4 Abs. 1 EuGVVO- reicht ihm nicht aus, da anderenfalls auch Urteile gegen Beklagte mit Wohnsitz in einem (anderen) Mitgliedstaat anerkannt werden müssten, die gegebenenfalls auch in einem- nach Art. 3 EuGVVO ausgeschlossenen- exorbitanten Gerichtsstand ergangen sind 191 . Machte man jedoch eine Zuständigkeit nach den Zuständigkeitsregeln der EuGVVO zur Voraussetzung der Anwendbarkeit des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO, so würde man Beklagte insbesondere mit Wohnsitz außerhalb der Mitgliedstaaten über nationale Zuständigkeitsvorschriften innerhalb der EU gerichtspflichtig machen, ohne ihnen das Recht einzuräumen, für Gewährleistungs-und Interventionsklagen ihrerseits gegenüber Dritten mit Wohnsitz innerhalb der Mitgliedstaaten den Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO geltend zu machen. Für diese Vorenthaltung gibt es jedoch keine rechtstaatliche Rechtfertigung, die ihren Grund im fehlenden Wohnsitz des Beklagten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hätte 192 • Wenn man daher einen Beklagten ohne Wohnsitz in einem Mitgliedstaat innerhalb der EU gerichtspflichtig macht, muss man ihm auch die Verteidigungsmöglichkeit der Gewährleistungs- und Interventionsklage zugestehen. Grundsätzlich kann auch der Kläger eine Gewährleistungs- oder Interventionsklage erheben. Er kann z.ß. eine negative Feststellungsklage gegen den Beklagten erheben und gegen den Dritten eine Gewährleistungsklage für den Fall seines Unterliegens. Ebenso kann er die Gewährleistungsklage gegen den Dritten als negative Feststellungsklage erheben. Der Kläger selbst braucht nach den Regelungen der EuGVVO keinen Wohnsitz innerhalb der Mitgliedstaaten haben. Klagt ein Kläger mit Wohnsitz außerhalb der EU gegen einen Drittstaater als Erstbeklagten in einem Mitgliedstaat der EU, so bestimmt sich die Zuständigkeit gemäß Art. 4 EuGVVO nach den nationalen Regeln. In einem derartigen Verfahren könnte der Kläger gegenüber einem Dritten mit Wohnsitz in einem 191 Kropholler, EZPR. Art. 6, Rdnr. 30; so auch MünchKomm-ZPO/Gottwald, Art. 6 EuGVÜ, Rdnr. 12: Otte, S. 719; vgl. auch Schlosser, EUZPR, Art. 6, Rdnr. 6. 192 Bei der im deutschen Prozessrecht enthaltenen Vorschrill über die Leistung von Prozesskostensicherheit in § 110 ZPO lässt sich eine derartige Rechtfertigung finden: Kläger. und nur Kläger mit gewöhnlichem Aufenthalt außerhalb der EU bzw. eines Vertragsstaates des EWR haben auf Verlangen des Beklagten Prozesskostensicherheit zu leisten. Dem siegreichen Beklagten sollen Probleme bei der Vollstreckung seines Kostenerstattungsanspruches erspart werden, die aus dem gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers im Ausland resultieren können. Der Grund für die Ungleichbehandlung liegt hier im gerade fehlenden gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers im Inland.

III. Zuständigkeit

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Mitgliedstaat fiir eine Gewährleistungs- oder Interventionsklage den Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO geltend machen. Würde man also eine Zuständigkeit nach Art. 4 EuGVVO in Verbindung mit dem jeweiligen nationalen Prozessrecht fiir eine Gewährleistungs- oder Interventionsklage nicht ausreichen lassen, so würden die Gewährleistungs- und Interventionsklagemöglichkeiten von Kläger und Beklagtem unterschiedlich beurteilt: der Beklagte bräuchte einen Wohnsitz innerhalb der EU, während der Kläger dieses Erfordernis nicht erfüllen muss. Für eine derartige Ungleichbehandlung besteht keine Rechtfertigung. Gegenüber dem von einer derartigen Konstellation betroffenen Dritten ergeben sich keine grundlegenden Abweichungen. Bei einem innergemeinschaftlichen Rechtsstreit kann ein Dritter mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat auch vor dem Gericht des Hauptprozesses gemäß Art. 6 Nr. 2 EuGVVO verklagt werden. Das Interesse des Dritten, nur an seinem allgemeinen Gerichtsstand verklagt zu werden, wird verdrängt zugunsten der Einheitlichkeit der Entscheidung und aus Gründen der Prozessökonomie 193 . Diese beiden Argumente gelten genauso, wenn der Beklagte des Hauptprozesses seinen Wohnsitz nicht in einem Mitgliedstaat hat. Der Dritte muss sich auch in diesem Fall bei einer Gewährleistungs- oder Interventionsklage vor einem mitgliedstaatliehen Gericht verteidigen, nicht vor einem gemeinschaftsfremden Gericht. Selbst wenn sich dem Beklagten des Hauptprozesses gegenüber die Zuständigkeit des Gerichts aus einem im Sinne des Art. 3 Abs. 2 EuGVVO exorbitanten Gerichtsstand herleiten sollte. so wäre doch dem Dritten gegenüber bei der Gewährleistungs- und Interventionsklage der Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO gegeben. Gegenüber diesem Dritten mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat müssten also nicht Urteile anerkannt werden, die in einem exorbitanten Gerichtsstand ergangen sind. Vor einer Willkür der Hauptpartei(en) schützt schließlich die Einschränkung des Art. 6 Nr. 2 letzter Halbsatz EuGVVO. Der Gerichtsstand der Gewährleistungs- und Interventionsklage ist zu versagen, we1m die Hauptklage nur erhoben wurde, um den Dritten dem für ihn zuständigen Gericht zu entziehen 194 . Somit ist die Zuständigkeit des Gerichts ftir die Hauptklage gemäß Art. 4 EuGVVO nach seinem eigenem autonomen Recht ausreichend, um gegenüber einem Dritten für eine Gewährleistungs- und Interventionsklage eine Zuständigkeit gemäß Art. 6 Nr. 2 EuGVVO zu begründen 195 •

193 Vgl. Coester-Waltjen, IPRax 1992, 290/291; Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 34; Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 30. 194 s. dazu unten 4. 195 Vgl. Mansel, BinnenmarktS. 161, 245; ders., Streitverkündung, S. 201, Fn. 65.

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Kapitel 2: Gerichtsstand der Gewährleistungs- und Interventionsklage

In obigem Beispielsfall kann also N gegen 0 vor dem Gericht in Mailand gemäß Art. 6 Nr. 2 EuGVVO eine Gewährleistungsklage erheben. Die Entscheidung des Gerichts in Mailand ist von den belgischen Gerichten gemäß Art. 33ff. EuGVVO anzuerkennen und ggf. zu vollstrecken. Die Gewährleistungs- und Interventionsklage selbst muss vom Anwendungsbereich der EuGVVO erfasst sein, es muss sich also auch bei dieser um eine Zivil- oder Handelssache handeln, die nicht in den Ausschlusskatalog des Art. 1 Abs. 2 EuGVVO fallt.

2. Klagearten

Mit der Gewährleistungs- und der Interventionsklage wird ein eigenständiger prozessualer Anspruch erhoben. Dies kann nicht nur in Form der Leistungsklage, sondern auch in Form von Gestaltungs- oder Feststellungsklagen erfolgen 196 .

3. Zuständigkeit im engeren Sinn

Die Zuständigkeit ftir den Erstbeklagten richtet sich nach den Regeln des anwendbaren Verfahrensrechts. Eine Zuständigkeit kann dabei nicht nur aus dem nationalen Prozessrecht des Staates, in dem der Beklagten seinen Wohnsitz hat, hergeleitet werden; die Klage muss dabei nicht am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten erhoben werden, auch an sämtlichen besonderen Gerichtsstände kann die Klage erhoben werden. Darüber hinaus können auch die Zuständigkeitsvorschriften der EuGVVO zu einem Gerichtsstand fiihren, gegebenenfalls sogar in einem dritten Mitgliedstaat, wenn beispielsweise der Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO einschlägig ist. Auch im Bereich der EuGVVO ist also der Kläger nicht auf den allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten beschränke97. Diese Zuständigkeit ftir den Hauptprozess begründet nach Art. 6 Nr. 2 EuGVVO die Zuständigkeit fiir die mit ihm in Zusammenhang stehende Gewährleistungs- oder Interventionsklage.

196 Vgl. Kropholler, EZPR, Ati. 6, Rdnr. 28; Mansel, Binnenmarkt, S. 238; Schlosser, EUZPR, Ati. 6, Rdnr. 6. 197 V gl. auch Auer, S. 83f.

III. Zuständigkeit

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a) Internationale Zuständigkeit Art. 6 Nr. 2 EuGVVO begründet die internationale Zuständigkeit flir den Drittbeklagten 198 . Zu diesem Zweck wurde die Verordnung erlassen. Art. 6 Nr. 2 EuGVVO begründet jedoch keine Zuständigkeit für eigene Schadensersatzansprüche gegen einen Dritten 199 ; bei der Gewährleistungsklage geht es um Regressansprüche gegen einen Dritten, bei der Interventionsklage muss zwingend einheitlich über die erhobenen Ansprüche entschieden werden 200 .

b) Örtliche Zuständigkeit Die EuGVVO normiert häufig auch die örtliche Zuständigkeit, insbesondere in den Art. 5ff.; insoweit werden nationale Zuständigkeitsregelungen hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit verdränge 01 . Dennoch ist flir jede konkrete Norm zu klären, ob die örtliche Zuständigkeit von ihr miterfasst ist. Art. 6 Nr. 2 EuGVVO benem1t das Gericht des Hauptprozesses als zuständig. Damit steht bereits ein örtlich zuständiges Gericht fest. Zudem ist Sinn und Zweck der Gewährleistungs- und Interventionsklage die Verfahrenskonzentration an einem Gericht. Art. 6 Nr. 2 EuGVVO regelt daher auch die örtliche Zuständigke it202 .

c) Sachliche Zuständigkeit Grundsätzlich ist die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit dem nationalen Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten überlassen. Ausnahmsweise wird die sachliche Zuständigkeit dennoch von den Vorschriften der Verordnung geregelt203. So wird beispielsweise im Vollstreckungsverfahren die sachliche Zuständigkeit in Art. 39 Abs. l i.V.m. Anhang li festgelegt.

198 Vgl. nur Geimer/Schiitze, EZVR, Art. 2, Rdnr. 40; Kropho/ler. EZPR, vor Art. 2, Rdnr. 3; !'v!ansel, Streitverkündung, S. 201. 199 Vgl. Krophoffer, EZPR, Art. 6, Rdnr. 31. 200 V gl. I!.I und 11.2. 201 Vgl. Geimer/Schütze, EZPR, Art. 2, Rdnr. 41, 175fT; GeimeriSchiil::e, Internationale Urteilsancrkcnnung, S. 45, 250ff.; Kropholler, EZPR, vor Art. 2. Rdnr. 3. 202 Vgl. Bericht 5'chlosser, Rdnr. 70; Geimer/Schiitze, EZVR, Art. 2, Rdnr. 41, 176; Geimer/Schiitze, Internationale Urteilsanerkennung, S. 45, 250; Kropholler, EZPR, vor Art. 2, Rdnr. 3; Mansel, Binnenmarkt, S. 227. 203 V gl. Geimer/Schütze, EZVR, Ati. 2, Rdnr. 42; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, S. 45; Kropholler, EZPR, vor Art. 2, Rdnr. 4, insbes. Fn. 5; Manse!, Binnenmarkt, S. 227; ders., Strcitverkündung, S. 201; zu weitgehend Bericht

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Kapitel 2: Gerichtsstand der Gewährleistungs- und Interventionsklage

Eine eindeutige Festlegung der sachlichen Zuständigkeit erfolgt in Art. 6 Nr. 2 EuGVVO nicht. Mansei will die sachliche Zuständigkeit nur dann von der EuGVVO miterfasst ansehen, wenn dies ausdrücklich mitgeregelt ist; anderenfalls bleibe die Festlegung der sachlichen Zuständigkeit Aufgabe der Iex fori 204 . Für diese Auslegung spreche auch, dass Art. 333 des französischen Nouveau Code de Procedure Civil sich gleichfalls auf die räumliche Zuständigkeit beschränke, da dieser als Vorbild für Art. 6 Nr. 2 EuGVVO gedient habe 205 . Der Wortlaut der Vorschrift spricht jedoch eher für eine Mitregelung der sachlichen Zuständigkeit, da auf das Gericht des Hauptprozesses abgestellt wird. Die englische Fassung lautet "the court seised of the original proceedings", die französische Fassung stellt ab auf "le tribunal saisi de Ia demande originaire". Mit dem Hauptprozess ist bereits ein auch sachlich zuständiges Gericht befasst. Sinn und Zweck der Regelung ist die Verfalu·enskonzentration im Interesse einer sachgerechten Prozessflihrung. Aus Gründen der Prozessökonomie und zur Venneidung widersprechender Entscheidungen ist die Zuständigkeit für Gewährleistungs- und Interventionsklagen am Gericht des Hauptprozesses konzentriert206. Dieser Zweck kann nur dann erreicht werden, wenn Art. 6 Nr. 2 EuGVVO zugleich auch die sachliche Zuständigkeit festlegt. Anderenfalls könnten nach dem Prozessrecht der lex fori unterschiedliche Gerichte Jlir eine Gewährleistungs- oder Interventionsklage sachlich zuständig sein. Für die Prozessökonomie wäre damit nichts gewonnen, zur Venneidung widersprechender Entscheidungen müsste ein zeitlich gestaffelter Ablauf und eine Bindungswirkung der Hauptentscheidung für die Gewährleistungs- oder Interventionsentscheidung sicher gestellt sein. Diese Überlegung führt zu der weiteren Konsequenz, dass nicht nur die sachliche Zuständigkeit von A1t. 6 Nr. 2 EuGVVO miterfasst ist, sondern dass über die Gewährleistungs- und Interventionsklage auch derselbe Spruchkörper des tur den Hauptprozess zuständigen Gerichts zu entscheiden hat. Dessen Zuständigkeit ergibt sich damit bereits aus A1t. 6 Nr. 2 EuGVVO, nicht erst aus der lex fori. Für diese Auslegung spricht auch die oben dargelegte Definition der Gewährleistungs- und der Interventionsklage. Beide sind Drei-Parteien-Prozesse.

Schlosser, Rdnr. 81: "Das EuGVÜ berührt die sachliche ZusWndigkcit der Gerichte eines Staates überhaupt nicht. Die nationalen Rechtsordnungen sind daher frei, V crwcisungsmöglichkeiten zwischen Gerichten verschiedener Kategorien vorzusehen." 204 Mansel, Binnenmarkt, S. 227; ders., Streitverkündung, S. 201. 205 Mansel, Binnenmarkt, S. 227. 206 Vgl. Coester-Walljen, IPRax 1992, 290/291; Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 34; Kropholler, EZPR. Art. 6, Rdnr. 30.

!TI. Zuständigkeit

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Ein Prozess mit drei Parteien kann aber nur vor demselben Spruchkörper eines Gerichtes ausgefochten werden. Bei einer Aufteilung des Verfahrens vor zwei Spruchkörper würde es sich nurmehr um jeweils zwei Zwei-Parteien-Verfahren handeln. Dies würde nicht mehr dem Vorbild des Art. 15 der belgischen Gerichtsordnung entsprechen. Somit regelt Art. 6 Nr. 2 EuGVVO nicht nur die sachliche Zuständigkeit, sondern bestimmt zugleich auch den Spruchkörper, der über die Gewährleistungs- und Interventionsklage zu entscheiden hat.

d) Rechtsweg Die Frage des Rechtsweges ist hiervon jedoch zu unterscheiden und fallt nicht in den Bereich der gerichtlichen Zuständigkeitsfragen207 . Die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges ist vorab zu klären und fallt nicht in den Anwendungsbereich der EuGVV0 208 . Für die Klärung des Rechtsweges ist allein das nationale Recht berufen.

4. Schranken der Zuständigkeit Schranken der gerichtlichen Zuständigkeit ergeben sich aus der EuGVVO selbst. Nationale Vorschriften dürfen nicht zu zusätzlichen Beschränkungen der sich aus Art. 6 Nr. 2 EuGVVO ergebenden gerichtlichen Zuständigkeit führen.

a) Zusammenhang Zwischen der Hauptklage und der Gewährleisttmgs- bzw. Interventionsklage muss ein Zusammenhang bestehen. Der EuGH formuliert für das EuGVÜ, "dass Art. 6 Nr. 2 EuGVÜ keinen anderen Zusammenhang verlangt als den, der flir die Feststellung ausreicht, dass kein Gerichtsstandsmissbrauch vorliegt" 209 . Die-

201

V gl. auch Thomas/PutzoiHüßtege, Vorbem. § I, Rdnr. I. Vgl. Geimer/Schütze, EZVR, Art. 2, Rdnr. 43f.; Krophol/er, EZPR, vor Art. 2, Rdnr. 4. 209 EuGH, Urteil vom 26.05.2005, Rs C-77/04 (Groupcment cl'inleret economique [GIE] Reunion europ.Sennc u.a. ./. Zurich Espafia, Societc pyrencenne de transit d'automohiles (Soptrans)), VersR 2005, 1001/1002. Aufgrund des unveränderten Wortlauts kann diese Entscheidung auch auf die EuGVVO übertragen werden. Mansel, Streitverkündung, S. 203 hatte noch verlangt. dass zwingend einheitlich über die erhobenen Ansprüche entschieden werden müsse, auch wenn es technisch in zwei Urteilen möglich sei. Vgl. auch Kropholler, EZPR, Art. 6. Rdnr. 30. 208

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Kapitel 2: Gerichtsstand der Gcwährleistungs- und Interventionsklage

se Formulierung erscheint etwas missverständlich, da man daraus schließen könnte, wenn kein Missbrauch besteht, ist der erforderliche Zusammenhang vorhanden. Der EuGH verweist jedoch auch darauf, dass das Bestehen eines Zusammenhangs ein eigenständiges Prüfungsmerkmal für den Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO ist. Wie bei Art. 6 Nr. l EuGVVO kommen ein tatsächlicher, ein materiell-rechtlicher und ein prozessualer Zusammenhang in Betracht, Maßstab ist hierbei allerdings nicht die Vermeidung widersprechender Entscheidungen, sondern nur der Ausschluss eines Missbrauchs des Gerichtsstands. Ob ein derartiger Zusammenhang vorliegt, muss das jeweils angerufene nationale Gericht prüfen210 • Nach welchem Recht dieser Zusammenhang zu bestimmen ist, wird sogleich untersucht. Dabei kann wieder nach einem tatsächlichen, einem prozessrechtlichen und einem materiell-rechtlichen Zusammenhang unterschieden werden. Ein tatsächlicher Zusammenhang ist erforderlich, da anderenfalls im Rahmen einer Gewährleistungs- oder Interventionsklage keine Ansprüche auf Schadloshaltung im weitesten Sinne denkbar sind. Der erforderliche tatsächliche Zusammenhang sowie seine Art und Intensität können ohne weiteres verordnungsautonom bestinunt werden. Zur Verhinderung eines Missbrauchs genügt dabei, dass Hauptklage und Gewährleistungs- bzw. Interventionsklage auf einen gemeinsamen Sachverhaltskern zurückzuführen sind. Ein prozessrechtlicher Zusammenhang ist erforderlich, damit die beiden Klagen in einem Verfahren behandelt werden können. Dieser prozessrechtliche Zusammenhang wird bereits durch Art. 6 Nr. 2 EuGVVO hergestellt und ist für den Ausschluss einer missbräuchlichen Verwendung des Gerichtsstands ausreichend. Der prozessrechtliche Zusammenhang wird daher gleichfalls verordnungsautonom bestimmt. Ein materiell-rechtlicher Zusammenhang ist erforderlich, da ansonsten kein Gewährleistungsanspruch im weitesten Sinne bestehen könnte. Mangels eines gemeinsamen Zivilrechts scheidet eine verordnungsautonome Begriffsbestimmung hierfür aus. Um einen Entscheidungseinklang mit der materiellen Rechtslage herzustellen, kommt nur eine Auslegung des materiell-rechtlichen Zusammenhangs nach der Iex causae in Betracht. Schließlich kann es nicht eine unterschiedliche Beurteilung materiellrechtlicher Fragen geben, je nachdem, ob sie bereits bei der Frage der Zulässigkeit des Verfahrens eine Rolle spielen oder erst bei der Frage der Begründetheit der Klage; denn das auf den Sachverhalt anwendbare materielle Recht wird nach den Regeln des Internationalen Privatrechts des Gerichtsstaats bestimmt. Maßstab für die Intensität dieses Zusammenhangs für die Frage der Begründung eines Gerichtsstands bleibt jedoch die Vermeidung eines Missbrauchs des Gerichtsstands des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO.

210

V gl. Kropholler, Art. 6, Rdnr. 30.

III. Zuständigkeit

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Damit reicht aus, wenn nach dem Tatsachenvortrag des Gewährleistungsklägers die Möglichkeit besteht, dass er nach dem nach den Regeln des Internationalen Privatrechts des Gerichtsstaats anwendbaren Recht einen Anspruch auf Schadloshaltung im weitesten Sinne gegen den Dritten hat. Aus anderen Gründen als dem des fehlenden Zusammenhangs kann freilich eine Gewährleistungs- oder Interventionsklage im Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO im konkreten Einzelfall missbräuchlich sein.

b) Missbrauchsverbot Art. 6 Nr. 2 letzter Halbsatz EuGVVO enthält ein allgemeines Missbrauchsverbot. Dieses ist eine Schranke für die Zuständigkeit. Danach besteht keine Zuständigkeit, wenn "die Klage nur erhoben worden ist, um diese Person dem fur sie zuständigen Gericht zu entziehen." Mit "Klage" ist die Klage im Hauptprozess gemeint, "diese Person" bezeichnet den Drittbeklagten. Dies ergibt sich aus anderssprachigen Fassungen der Verordnung211 . Demzufolge gibt es drei Konstellationen, in denen der Missbrauchsvorbehalt zum Tragen kommt: (1) Kläger und Hauptbeklagter wirken kollusiv zusammen, um den Drittbeklagten an einem ihnen genehmen Gerichtsstand in den Prozess zwischen ihnen hineinzuziehen; (2) der Kläger verklagt den Hauptbeklagten ohne nachvollziehbaren Grund nur in der Hoffnung, dieser werde den Drittbeklagten in den Prozess hineinziehen 212 ; (3) der Kläger des Hauptverfahrens verklagt den Hauptbeklagten z.B. im Wege einer negativen Feststellungsklage, um auf diese Weise selbst den Dritten mit einer Gewährleistungs- oder Interventionsklage an diesem Gerichtsstand überziehen zu können. Das Missbrauchsverbot in Art. 6 Nr. 2 EuGVVO ist sehr eng formuliert, es greift nur ein, wenn die Klage ausschließlich deshalb erhoben wurde, um den Drittbeklagten dem fur ihn zuständigen Gericht zu entziehen.

211 Der englische Text lautet: "A person domiciled in a Member State may also be sued: as a third party in an action on a warranty or guarantee or in any other third party proceedings, in the court seised of the original proceedings, unless these were instituted solely with the object of removing him from the jurisdiction of the court which would be competent in his case." Der französische Text lautet: "Cette meme personne peut aussi etre attraite: s'il s'agit d'une demande en garantie ou d'une demande en intervention, devant le tribunal saisi de Ia demande originaire, a moins qu'elle n'ait ete formee que pour traduire hors de son tribunal celui qui a ete appele." 212 Vgl. Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 32.

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Kapitel 2: Gerichtsstand der Gewährleistungs-und Interventionsklage

aa) Kollusion Da Art. 6 Nr. 2 EuGVVO nur die Zuständigkeit regelt, kann es bei der Frage der Kollusion nur um eine Beschränkung des Gerichtsstands gehen. Der Missbrauch muss sich auf einen möglichen Missbrauch des Gerichtsstands gegenüber dem Dritten beziehen. Art. 6 Nr. 2 EuGVVO knüpft allerdings an den Gerichtsstand des Hauptprozesses an. Ist auf dieser Ebene ein Gerichtsstand bereits missbräuchlich gewählt, so schlägt dies auf die Beurteilung der Frage durch, ob dem Dritten gegenüber ein Missbrauch des Gerichtsstands vorliegt. Allerdings dürfte es in derartige Fällen von einer rügelosen Einlassung des Beklagten abgesehen - schon zu einer Abweisung der Klage als unzulässig kommen, so dass allein aus diesem Grund auch eine eventuell schon erhobene Gewährleistungs- oder Interventionsklage entfällt. Aufgrund der Anknüpfung an den Gerichtsstand des Hauptprozesses kann ein Missbrauch nicht ohne weiteres schon dann vorliegen, wenn der Hauptprozess vor einem Gericht gefiihrt wird, das seine Zuständigkeit aus den Vorschriften der Art. 2- 7, 22 EuGVV0 213 herleiten kann; denn dies sind Gerichtsstände, die die EuGVVO ausdrücklich vorsieht, zwischen denen - wenn mehrere einschlägig sind- für den Kläger ein Wahlrecht besteht und die nicht der Manipulation von Kläger und Beklagtem unterliegen, so dass deren Ausübung grundsätzlich nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden kann. Wird die Klage des Hauptprozesses jedoch an einem von der EuGVVO ausdrücklich vorgesehenen Gerichtsstand erhoben, obwohl sie nicht erforderlich ist, weil beispielsweise der Beklagte seine Verpflichtungen schon anerkannt hat, und wird dann der Dritte dort im Wege der Gewährleistungs- oder Interventionsklage an diesem Gerichtsstand in den Prozess hineingezogen, weil beispielsweise der Beklagte Gewährleistungsansprüche gegen ihn geltend macht, so liegt ein Missbrauch vor, wenn der Beklagte seine Gewährleistungsansprüche gegen den Dritten in einem eigenständigen Verfahren nicht an diesem Gerichtsstand hätte geltend machen können. In diesem Fall wurde die Klage nur erhoben, um den Dritten dem für ihn zuständigen Gericht zu entziehen. Eine Manipulationsmöglichkeit zulasten des Dritten ergibt sich auch bei einer Zuständigkeitsvereinbarung nach Art. 23 EuGVVO zwischen Kläger und Beklagtem oder bei einem rügelosen Einlassen des Beklagten des Hauptprozesses auf das Verfahren gemäß Art. 24 EuGVVO. Nicht jede Gerichtsstandsvereinbarung ist Anlass, Kollusion zu prüfen. Ist z.B. ein Gerichtsstand vereinbart, der auch nach den Zuständigkeitsvorschriften der EuGVVO gegeben wäre,

213 Die besonderen Zuständigkeiten für Versicherungssachen, Verbrauchersachen und individuelle Arbeitsverträge soll im Folgenden außer Betracht bleiben, für diese ist Art. 6 Nr. 2 EuGVVO nicht anwendbar.

III. Zuständigkeit

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so muss keine Kollusion vorliegen 214 . Aber auch allein die Vereinbarung eines Gerichtsstandes, der nicht bereits nach den Gerichtsstandsregelungen der EuGVVO einschlägig sein könnte, reicht fur die Annahme einer Kollusion nicht aus. Hinzukommen muss der Zweck der Hauptklage, mit deren Hilfe den Drittbeklagten seinem zuständigen Gericht zu entziehen. Die Parteien des Hauptprozesses können z.B. bewusst fur Rechtsstreitigkeiten ein für sie "neutrales" Forum gewählt haben. Ein kollusives Zusammenwirken von Kläger und Hauptbeklagten liegt im Falle einer Gerichtsstandsvereinbarung also dann vor, wenn diese gerade zu dem Zweck getroffen wurde, einen im Wege der Gewährleistungs- oder Interventionsklage in das V erfahren hineinzuziehenden Dritten dem fur ihn zuständigen Gericht zu entziehen. Es liegt auch dann vor, wenn zwar ein an sich bewusst als "neutrales" Forum gewähltes Gericht angegangen wird, die Klage gegen den Beklagten jedoch nicht erforderlich ist, sondern nur erhoben wurde, um diesem am vereinbmten Gerichtsstand eine Gewährleistungs- oder Interventionsklage gegen einen Dritten zu ermöglichen, der dort fur eine isolierte Klage nicht gerichtspf1ichtig wäre. Der Nachweis fiir ein derartiges Verhalten ist allerdings schwer zu fuhren. Beweispf1ichtig ist der Dritte. Dies ergibt sich aus der Formulierung "es sei denn". Ähnliche Überlegungen gelten fur den Fall der rügelosen Einlassung des Hauptbeklagten auf das Verfahren. Solange auf diese Weise nicht Drittbeklagte dem für sie zuständigen Gericht entzogen werden sollen, sondern es für den Hauptbeklagten zumindest noch einen weiteren Grund gibt, sich auf das Verfahren vor dem an sich unzuständigen Gericht einzulassen, kann nicht von Kollusion gesprochen werden.

bb) Klage ohne Grund Bei dieser Möglichkeit handelt es sich im Wesentlichen um folgende Konstellation: Der Kläger erhebt Klage gegen den Hauptbeklagten, obwohl dies nicht erforderlich ist, weil beispielsweise der Hauptbeklagte seine Verpflichtung bereits anerkannt hat. Erhebt der Hauptbeklagte nun seinerseits Gewährleistungsklage am selben Gericht gegen einen Dritten, um seine eigenen Ansprüche auf Schadloshaltung geltend zu machen, so wird der Dritte dem tl.ir ihn zuständigen Gericht entzogen, wenn er beim Gericht der Hauptklage ansonsten nicht gerichtspflichtig ist. Die Gewährleistungsklage ist damit unzulässig.

214 Ein derartiger Gerichtsstand kann z.B. vereinbart worden sein, weil er als ausschließlicher zwischen den Parteien gelten soll, Art. 23 Abs. I Satz 2 EuGVVO.

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Kapitel2: Gerichtsstand der Gewährlcistungs- und Interventionsklage

cc) Kläger als GewährleistLmgs- oder Interventionskläger Tritt der Kläger des Hauptverfahrens auch als Gewährleistungs- oder Interventionskläger auf, so besteht die Gefahr eines Missbrauchs; denn hier liegt sowohl die Entscheidung der Klageerhebung und damit auch die Wahl des Gerichtsstands als auch die Entscheidung über die Gewährleistungs- oder Interventionsklage allein in der Hand des Klägers. So kam1 beispielsweise ein Kläger eine negative Feststellungsklage gegenüber dem Hauptbeklagten erheben und für den Fall seines Unterliegens zugleich Gewährleistungsklage gegen einen Dritten, demgegenüber er einen Anspruch auf Schadloshaltung zu haben glaubt. In diesem Fall muss der Kläger mit einer zulässigen Klage unterliegen, da nur dann über die Gewährleistungsklage sachlich entschieden werden muss; anderenfalls stellt sich die Frage einer missbräuchlichen Erhebung der Gewährleistungsklage nicht. Die Tatsache allein, dass der Kläger auch eine Gewährleistungs- oder Interventionsklage erhebt, führt nicht zu einem Missbrauch; hinzuko111111en muss die Tatsache, dass die Hauptklage nur erhoben worden ist, um den Dritten dem für ihn zuständigen Gericht zu entziehen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Hauptklage nicht erforderlich ist, weil im Beispiel der negativen Feststellungsklage die Verpflichtung des Klägers gegenüber dem Hauptbeklagten schon feststeht. Hat der Kläger hier einen Anspruch auf Schadloshaltung gegen einen Dritten, so muss er diesen an dessen Gerichtsstand verklagen.

c) Zuständigkeitsvereinbarungen

Zuständigkeitsvereinbarungen zwischen Kläger und Hauptbeklagten wurden gerade im Rahmen des Missbrauchsverbots behandelt. Hier geht es um Zuständigkeitsvereinbarungen, die zwischen dem Hauptbeklagten I Garantiekläger und dem Drittbeklagten getroffen wurden. Der Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO kann durch Parteivereinbarw1g zwischen potentiellem Garantiekläger und potentiellem Garantiebeklagten abbedungen werden215 . Der spätere Hauptbeklagte kann in einem derartigen Fall keine Gewährleistungs- oder Interventionsklage gegen den Dritten erheben, mit dem er eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen hat. Allerdings kann nicht

215 Vgl. Bericht Jenard, S. 27; Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 46, Art. 23, Rdnr. 197; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, S. 389; v. Hoffmann/I/au, RIW 1997, S. 91; Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 34, ,\rt. 23, Rdnr. 101; MünchKomm-ZPO;Gottvvald, Art. 6 EuGVÜ. Rdnr. 13; lvlansel. Streitverkündung, S. 204: Nagel/Gottwalri. § 3, Rdnr. 93; Schlosser. EUZPR, Art. 6, Rdnr. I.

III. Zuständigkeit

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schon in jeder Gerichtsstandsvereinbarung eine Derogation des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO gesehen werden.

aa) Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 23 EuGVVO Vereinbaren die Parteien im Anwendungsbereich der EuGVVO einen Gerichtsstand, so ist dieser grundsätzlich gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 2 EuGVVO ausschließlich. Voraussetzung hierfür ist u.a., dass mindestens eine der Parteien ihren Wohnsitz oder Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat und die Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaates vereinbart wird. Von der Vereinbarung gemäß Art. 23 EuGVVO erfasst wird die internationale Zuständigkeit216 , so dass keine der Parteien der Gerichtsstandsvereinbarung von der jeweils anderen im Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO verklagt werden kann, sofern nicht zufallig dieser Gerichtsstand mit dem vereinbarten zusammenfallt. Das Gericht der Hauptklage ist für die Klage gegen den Dritten in diesem Fall international nicht zuständig. Mit einer Gerichtsstandsvereinbarung wollen die Parteien meist Rechtssicherheit für sich schaffen. Diese Wirkung besteht insbesondere bei ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen. Dieser Effekt der Parteivereinbarung darf jedoch nicht davon abhängen, ob eine Partei einer solchen Gerichtsstandsvereinbarung im Ausland unmittelbar verklagt wird oder nur als Drittbeklagter in einen bereits laufenden Prozess hineingezogen wird. Bei Gewährleistungs- und Interventionsklagen wird der Dritte ja gerade Partei des Verfahrens. Nach richtiger Ansicht umfasst daher die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes gemäß Art. 23 EuGVVO auch den Ausschluss der Gerichtsptlichtigkeit nach Art. 6 Nr. 2 EuGVVO, ohne dass dies gesondert erwähnt werden müsstez!7.

Somit schließt jede ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung auch die Gerichtsptlichtigkeit nach Art. 6 Nr. 2 EuGVVO aus. Dabei ist unerheblich, ob die Parteien die Möglichkeit einer Auseinandersetzung im Wege der Drittbeteiligung überhaupt bedacht haben. Die Zulässigkeit einer Streitverkündung bleibt hiervon jedoch unberührt, da für sie eine Zuständigkeit des mit ihr befassten Gerichts nicht erforderlich istm.

216 Vgl. Geimer!Schütze, EZVR, Art. 23, Rdnr. 36; Kropholler, EZPR, Art. 23, Rdnr. 2; Schlosser, EUZPR, Art. 23, Rdnr. 4. 217 Vgl. Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dr. internat. prive 79 (1990). S. 568/570; v. Hoffmann/l!au, RIW 1997, 92; Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 34; Stürner, FS Geimer, S. 1307/1314; vgl. auch BGHNJW 1970,387. 218 Vgl. Geimer/Schütze, EZVR, Art. 23, Rdnr. 196; Kropholler, EZPR, Art. 23, Rdnr. 102; Mansel, Streitverkündung, S. l97f; a.A v. HojfmanniHau, RIW 1997, 9lf

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Kapitel 2: Gerichtsstand der Gcwährleistungs- und Interventionsklage

Wird allerdings nur eine Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaates generell vereinbart und ist ein derartiges Gericht für die Hauptklage gegen eine Partei einer derartigen Gerichtsstandsvereinbarung zuständig, so kann diese die andere Partei dieser Gerichtsstandsvereinbarung im Wege des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO in den Prozess hineinziehen. Auch nach der getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung ist das angerufene Gericht international zuständig, da keine weitere Spezifikation erfolgte. Haben die Parteien einer Gerichtsstandsvereinbarung eindeutig219 nur einenzusätzlichen - konkurrierenden Gerichtsstand vereinbart, so ist der Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO nicht ausgeschlossen.

bb) Gerichtsstandsvereinbarung bei rein inländischen Sachverhalten Vereinbaren Parteien bei einem rein inländischen Sachverhalt einen Gerichtsstand, so kommt Art. 23 EuGVVO nicht zur Anwendung220 . Bei dem rein inländischen Sachverhalt darf dabei kein Gerichtsstand im Ausland ausgeschlossen werden, z.B. darf der Erftillungsort nicht im Ausland liegen, da sonst der Gerichtsstand des Erfüllungsortes, Art. 5 Nr. 1 EuGVVO, mit einem vereinbarten inländischen Gerichtsstand ausgeschlossen und damit Art. 23 EuGVVO wiederum berufen wäre 221 . Bei einem rein inländischen Sachverhalt geht es also bei einer Gerichtsstandsvereinbarung - vordergründig - nur um die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit. So meint Kropholler, man dürfe die Vereinbarung der Zuständigkeit eines inländischen Gerichts zwischen im Inland ansässigen Parteien bei einem im lnland zu erftillenden Vertrag mangels eines erkennbaren gegenteiligen Willens nur auf die örtliche inländische Zuständigkeit beziehen, nicht aber auch auf die internationale; Art. 23 EuGVVO würde demnach nicht eingreifen, so dass der Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO nicht derogiert see 22 • Andererseits ist die Anwendbarkeit des Art. 23 EuGVVO vom Willen der Parteien unabhängig. Bei Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung ist häufig noch nicht vorherzu-

219 Die Vermutung spricht ftir die Vereinbarung einer ausschließlichen Zuständigkeit, so dass das Gegenteil aus der Abrede der Parteien eindeutig hervorgehen muss. vgl. Kropholler, EZPR, Art. 23, Rdnr. 92; vgl. auch Musielak/Weth, Art. 23 EuGVVO. Rdnr. I, 12; Thomas/Putzo/Hüßtege, Art. 23 EuGVVO, Rdnr. 21. 220 Vgl. Kropholler, EZPR, Art. 23, Rdnr. 2: Schlosser, EUZPR, Art. 23, Rdnr. 6; a.A Gelmer/Schiitce, EZVR, Art. 23, Rc!nr. 36. allerdings nur flir die internationale, nicht für die örtliche Zuständigkeit. 221 Vgl. Kropholler, EZPR, Art. 23, Rdnr. 2; Thomas/Putzo/Hiißtege, Art. 23 EuGVVO, Rdnr. 2; ähnlich Geimer/Schütze, EZVR, Art. 23, Rdnr. 36ff.; Musielak/Weth, Art. 23 EuGVVO, Rdnr. 2. 222 Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 34.

III. Zuständigkeit

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sehen, ob nicht doch im weiteren Verlauf ein internationaler Bezug zu Tage tritt, der zur Anwendbarkeit des Art. 23 EuGVVO fUhrt. Aufgrund der in Art. Sff. EuGVVO aufgefiihrten besonderen Zuständigkeiten kann immer ein potentieller Gerichtsstand im Ausland bestehen. Geimer/Schütze erkennen deshalb Art. 23 EuGVVO eine selbständige Bedeutung hinsichtlich der Derogation der allenfalls gegebenen internationalen Zuständigkeiten anderer Mitgliedstaaten nach Art. Sff. EuGVVO zu223 • Demzufolge wäre auch bei vordergründig reinen Inlandsfallen bei einer Gerichtsstandsvereinbarung die internationale Zuständigkeit der Mitgliedstaaten auch aus Art. 6 Nr. 2 EuGVVO ausgeschlossen. Allerdings lassen Geimer/Schütze offen, ob es zum Ausschluss der Gerichtspflichtigkeit nach Art. 6 Nr. 2 EuGVVO einer besonderen Erwähnung der Gewährleistungs- und Interventionsklagen in der Gerichtsstandsvereinbarung bedarf 24 .

d) Zweckmäßigkeitserwägungen Eine weitere Begrenzung der Zuständigkeit könnte durch Ermessensentscheidungen des angerufenen Gerichts erfolgen. Hier spielen Zweckmäßigkeitserwägungen eine große Rolle. Als ein Beispiel fiir Zweckmäßigkeitserwägungen im Rahmen von Zulässigkeitsvoraussetzungen kann die aus dem angloamerikanischen Rechtsbereich bekannte "forum non conveniens" Lehre dienen. Diese besagt, dass trotz Vorliegens eines Kompetenzgrundes der Richter im konkreten Fall die Annahme der Klage und damit eine Sachentscheidung ablehnen kann, wenn aus seiner Sicht ein deutlich besser geeignetes Gericht zur VerfUgung steht, an dem sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen fiir die beabsichtigte Klage erfiillt sind225 . Im Kern geht es bei dieser Zweckmäßigkeitserwägung um die Frage, ob das angerufene Gericht eine Pflicht zum Tätigwerden hat. Für die englischen Gerichte dient die Lehre vom forum non conveniens der Begrenzung ihrer internationalen Zuständigkeit226 • Damit aber ist der Bereich der Zuständigkeit berührt, so dass aufgrund der abschließenden Regelung desselben durch die EuGVVO im Rahmen des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO fiir die Anwendung der "forum non conveniens" Doktrin kein Raum ist. Der EuGH hat zur Frage der Vereinbarkeit der Einrede des forum non conveniens mit Art. 2 EuGVÜ Stellung genommen 227 . Der EuGH gelangt zum Er-

223

Geimer/Schütze, EZVR, Art. 23, Rdnr. 37. Geimer/Schütze, EZVR, Art. 6, Rdnr. 46. 225 Vgl. hierzu Schack, IZVR, Rdnr. 493ff.; Zöller/Geimer, IZPR, Rdnr. 55f. 226 Vgl. Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224/226. 227 EuGH, Urteil vom 01.03.2005, Rs. C-281/02 (Andrew Owusu IN. B. Jackson, Inhaber der Firma "Villa Holidays Bal-Inn Villas", Mammee Bay Resorts Ltd, Mammee 224

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Kapitel 2: Gerichtsstand der Gewährleistungs-und Interventionsklage

gebnis, dass ein Gericht seine Zuständigkeit nach Art. 2 EuGVÜ nicht mit der Begründung verneinen darf, ein Gericht eines Nichtve1iragsstaats sei geeigneter, um über den betreffenden Rechtsstreit zu befinden, selbst wenn keine Zuständigkeit eines Gerichts eines anderen Vertragsstaats in Betracht kommt oder das Verfahren keine Anknüpfungspunkte zu einem anderen Vertragsstaat aufweist. Er begründet dies damit, dass die Beachtung des Grundsatzes der Rechtssicherheit nicht in vollem Umfang gewährleistet wäre, wenn ein nach dem EuGVÜ zuständiges Gericht die Einrede des forum non conveniens anwenden dürfte; dieser Grundsatz verlange unter anderem, dass ein Beklagter voraussehen kann, vor welchen anderen Gerichten als denen seines Wohnsitzstaates er verklagt werden kann. Die Ermessensregelung der Lehre vom forum non conveniens beeinträchtige diese Vorhersehbarkeie 28 . Der Rechtschutz der in der EU ansässigen Personen würde durch die Zulassung der Eimede des forum non conveniens ebenfalls beeinträchtigt. Auf der einen Seite wäre der Beklagte dadurch nicht mehr ohne weiteres in der Lage, vorauszusehen, vor welchen anderen Gerichten als denen seines Wohnsitzes er sich verteidigen müsste. Auf der anderen Seite müsste der Kläger entweder nachweisen, dass es kein anderes geeignetes forum gibt, oder aber bei dem anderen Gericht als dem geeigneteren forum erneut Klage einreichen229 . Zwar ist entgegen der Auffassung des EuGH der Rechtschutz des Beklagten nicht betroffen, da er die Einrede des forum non conveniens erheben muss, damit das Gericht hierauf eingeht; er verzichtet damit selbst auf die Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands, so dass in der Zulassung seines Einwands keine Beeinträchtigung seines Rechtsschutzes gesehen werden kann 230 . Jedoch ist der Rechtschutz des Klägers betroffen, da die Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Beklagten durch die Anwendung von Zweckmäßigkeitserwägungen beeinträchtigt wäre. Ggf. wird ihm auch die Möglichkeit genommen, ein mitgliedstaatliches Urteil gegen den Beklagten zu erlangen, das in der gesamten EU nach Art. 25ff. EuGVÜ I Art. 32ff. EuGVVO anerkannt und vollstreckt werden könnte 231 .

Bay Club Ltd., The Enchanted Garden Resorts & Spa Ltd., Consulting Services Ltd., Town & Country Resorts Ltd.), RJW 2005, 292;vgl. zu dieser Thematik auch Bericht Schlosser. Rdnr. 78; MünchKomm-ZPO/Gottwald, Art. 2 EuGVÜ, Rdnr. 9. 228 EuGR Urteil vom 01.03.2005, Rs C-281/02 (Andrew Owusu IN. 13. Jackson, Inhaber der Firma "Villa Holidays Bal-Inn Villas", Mammee Bay Resorts Ltd, Mammcc Bay Club Ltd., The Enchanted Garden Resorts & Spa Ltd , Consulting Services Ltd., Town & Country Resorts Ltd.), RIW 2005, 292/295. 229 Vgl. die Argumentation des EuGH, Urteil vom 01.03.2005, Ks C-281102 (Andrew Owusu IN. B. Jackson, Inhaber der Firma "Villa Holidays Bal-Inn Villas", Mammee Bay Resorts l.td, Mammee Bay Club Ltd., The Enchanted Garden Resorts & Spa Ltd., Consulting Services Ltd., Town & Country Resorts Ltd.), RIW 2005, 292/295; vgl. auch Kropholler, EZPR, vor Art. 2, Rdnr, 20. 230 Vgl. Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224/227. 231 Vgl. Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224/227.

IV. Zulässigkeit des Verfahrens

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Zudem würde bei einer Zulassung der Einrede des forum non conveniens die einheitliche Anwendung der Zuständigkeitsregeln des EuGVÜ gefährdet, da diese Einrede nur dem autonomen Recht des Vereinigten Königreichs sowie Irlands bekannt ist; Beklagte könnten folglich nur vor Gerichten dieser Staaten die Einrede des forum non conveniens vorbringen 232 Zudem erhöhte sich die Gefahr negativer Kompetenzkonflikte innerhalb der Mitgliedstaaten, wenn ein Gericht das Verfahren abweist, weil es sich flir ein forum non convenient hält, das von diesem Gericht als geeigneter angesehene Gericht seine Zuständigkeit aber gleichfalls ablehnt, weil es sich selbst nicht für ein geeignetes forum hält233. Die Argumente der Beeinträchtigung des Rechtschutzes des Klägers sowie der Gefährdung der einheitlichen Anwendung der Zuständigkeitsregeln gelten in gleicher Weise für die EuGVVO und sind nicht auf den allgemeinen Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten beschränkt. Auch gegenüber dem Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO kann daher die Einrede des forum non conveniens nicht geltend gemacht werden.

IV. Zulässigkeit des Verfahrens In seiner Entscheidung Kongress Agentur Hagen I Zeehaghe B. V hält der EuGH fest, "dass das Übereinkommen nicht die Vereinheitlichung der Verfahrensregeln zum Gegenstand hat, sondern die Verteilung der gerichtlichen Zuständigkeiten für Zivil- und Handelssachen innerhalb der Gemeinschaft sowie die Erleichterung der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen. Daher ist die Zuständigkeit klar zu trennen von den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Klage."234 Hinsichtlich der Gewährleistungs- und Interventionsklage beschränke sich Art. 6 Nr. 2 [EuGVVO] auf die Bestimmung des zuständigen Gerichts und betreffe nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen im eigentlichen Sinn; hierfür sei

232 EuGH, Urteil vom 01.03.2005, Rs C-281102 (Andrew Owusu IN. B. Jackson, Inhaber der Firma "Villa Holidays Bal-Inn Villas", Mammcc Bay Resorts Ltd, Mammee Bay Club Ltd., The Enchanted Garden Resorts & Spa L!cl., Consulling Services Ltcl., Town & Country Resorts Ltd ), RIW 2005, 292/295; vgl. auch Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224/227; Kropholler, EZPR, vor Art. 2, Rdnr. 20. 233 Vgl. Kropholler, EZPR, vor Art 2, Rclnr. 20. 234 EuGH, Urteil vom 15.05.1990, Rs. C-365/88 (Kongress Agentur Hagen/ Zcchaghe B.V.), NJW 1991, 2621; ebenso EuGH, Urteil vom 26.05.2005, Rs C-77/04 (GIE / Soptrans), VersR 2005, 1001/1002; Olle, S. 721 vermisst eine klare Abgrenzung.

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Kapitel 2: Gerichtsstand der Gewährleistungs- und Interventionsklage

auf die für das nationale Gericht geltenden nationalen Vorschriften zurückzugreifen235. Ebenso richtet sich das Verfahren nach der lex fori 236 • Der Vorrang der Verordnung kann nur soweit eingreifen, wie ihr sachlicher Geltungsbereich bzw. de1jenige ihrer einzelnen Bestinunungen reicht. Art. 6 Nr. 2 EuGVVO betrifft die Regelung der Zuständigkeit des Gerichts. Die Zuständigkeit des Gerichts ist bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Klage nur ein Element von mehreren. Die Zulässigkeit einer Klage ist von der Verordnung insgesamt jedoch nur teilweise geregelt237 . Die Unvollständigkeit der Regelungen zur Gewährleistungs- und Interventionsklage hat bereits Schlosser in seinem Bericht zum Übereinkommen festgehalten: "[E]ine Zuständigkeitsbestimmung, die sich an der Eigenschaft einer Klage als Interventionsklage ausrichtet, [ist] ftir sich allein nicht anwendbar. Sie bedarf zwangsläufig der Ergänzung durch Rechtsnormen, die bestimmen, wann welche Person in welcher Parteirolle mit welchem Ziel in ein gerichtliches Verfahren einbezogen werden können. Daher bleiben auch die den Rechtsordnungen der neuen Mitgliedstaaten bekannten oder in Zukunft zuwachsenden Rechtsregeln über die Einbeziehung dritter Parteien in ein Verfahren vom EuGVÜ unberührt." 238 Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Gewährleistungs- oder Interventionsklage müssen daher notwendigerweise vom jeweiligen nationalen Prozessrecht geregelt werden.

1. Zulässigkeit der Gewährleistungs- und Interventionsklage Die Frage der Zulässigkeit der Gewährleistungs- und Interventionsklage als solcher stehtjedoch nicht im Ermessen der Mitgliedstaaten. Soweit kein Vorbehalt eingelegt wurde239, sind die Mitgliedstaaten aufgrund des Justizgewährungsanspruchs verpflichtet, Klägern einen entsprechenden Gerichtsstand zur Verfügung zu stellen.

235 V gl. EuGH. Urteil vom 15.05.1990, Rs. C-365/88 (Kongress Agentur Hagen I Zeehaghe B. V.), NJW 1991. 2621; vgl. auch Gaudemet-Ta!lon, Rev. cril. dr. internat. prive 79 ( 1990), S. 568/572!'; Kropholler, EZPR, Art. 6, Rdnr. 29. 236 Vgl. EuGH, Urteil vom 26.05.2005, Rs C-77/04 (GIE I Soptrans), VcrsR 2005, l001f.; Kropholler, EZPR, Art. 6 Rdnr. 29. 237 V gl. Schlussanträge Generalanwalt Leger- Rs C-365/88, Slg. 1989 I- 1856. 238 Bericht Schlosser, Rdnr. 135. 239 I-Herzu s. unten.

IV. Zulässigkeit des Verfahrens

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a) Beteiligte Personen und Parteirollen Schlosser stellt in seinem Bericht fest, welche Person in welcher Parteirolle mit welchem Ziel in ein gerichtliches Verfahren einbezogen werden könne, bedürfe der Ergänzung durch die jeweiligen nationalen Rechtsnormen 240 . Der Generalanwalt in der Rechtsache Kongress Agentur Hagen I Zeehaghe hat diese Argumentation übernommen. Art. 6 Nr. 2 EuGVVO macht jedoch in dieser Hinsicht durchaus Vorgaben.

Bei Verfahren mit einer Gewährleistungsklage gibt es drei beteiligte Personen, Kläger, Beklagter und Dritter. Dritter ist dabei derjenige, gegen den eine Partei im Falle ihres Unterliegens im Ausgangsverfahren einen Anspruch auf Schadloshaltung im weiteren Sinne zu haben glaubt. Allen drei Personen wird eine Parteirolle zugesprochen. Man kann unterscheiden zwischen dem Hauptkläger und dem Hauptbeklagten als den Parteien des Hauptprozesses sowie dem Gewährleistungskläger und dem Gewährleistungsbeklagten als den Parteien eines gedachten Gewährleistungsprozesses. Aufgrund obiger Definition241 der Gewährleistungsklage kann ein Dritter nicht von sich aus Partei eines GewährJeistungsprozesses werden. Der Dritte hat daher immer die Rolle des Gewährleistungsbeklagten. Gewährleistungskläger ist immer eine der Hauptparteien. Dies kann sowohl der Hauptkläger als auch der Hauptbeklagte sein. Auch das Ziel der Gewährleistungsklage wird bereits durch Art. 6 Nr. 2 EuGVVO vorgegeben: Schadloshaltung im weiteren Sinne des Gewährleistungsklägers am Gewährleistungsbeklagten für den Fall, dass der Gewährleistungskläger im Hauptprozess unterliegen sollte. Somit werden die Parteirollen und das Ziel jedenfalls der GewährleistungsIelage durch Art. 6 Nr. 2 EuGVVO bestimmt. Für das nationale Recht ist insoweit kein Raum mehr. Ebenso gibt es bei Verfahren mit einer Interventionsklage drei beteiligte Personen, Kläger, Beklagter, Dritter. Die Person des Dritten ist hierbei nicht genauer bestimmt. Auch hier sind alle drei Personen Partei des Verfahrens. Auch hier lassen sich Hauptkläger und Hauptbeklagter sowie Interventionskläger und Interventionsbeklagter unterscheiden. Im Gegensatz zur Gewährleistungsklage kann bei der Interventionsklage auch der Dritte Interventionskläger sein und sich so zu einer Partei eines Rechtsstreites zwischen zwei anderen Personen machen 242 . Die Rolle des Interventionsbeklagten können daher alle drei am Prozess als Partei beteiligten Personen einnehmen. Das Ziel der Interventionsklage,

240

V gl. Bericht Schlosser, Rdnr. 135.

241

s. 11.1. s. oben 11.2.

242

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Kapitel 2: Gerichtsstand der Gewährleistungs- und lntcrvcnlionsklage

Schutz der Interessen des Dritten oder einer der Parteien des Ausgangsrechtsstreits, ergibt sich ebenfalls aus der Auslegung von Art. 6 Nr. 2 EuGVVO. Somit werden auch bei der Interventionsklage jedenfalls die Parteirollen und das Ziel durch Art. 6 Nr. 2 EuGVVO festgelegt, so dass insoweit fur das nationale Recht kein Raum mehr ist. Hinsichtlich der Bestümnung des Dritten ist im Rahmen des vorgegebenen Ziels der Interventionsklage Raum fur das nationale Recht.

b) Parteibegriff

Den Parteibegriff selbst regelt die EuGVVO nicht, hierfür ist auf das nationale Recht zurückzugreifen. Allerdings muss der Parteibegriff so ausgestaltet sein, dass die als Partei bezeichnete Person aktiv auf das V erfahren Einfluss nehmen, Sachanträge stellen und ggf. gemäß dem Klageantrag verurteilt werden kann. Im Rahmen des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO gilt es zu beachten, dass ein DreiParteien-Verfahren vorliegt. Der jeweils nationale Parteibegriff muss also so weit sein, damit auch diese Situation mit erfasst werden kann, und darfnicht auf ein rein kontradiktorisches Verfahren ausgelegt sein. Aus deutschrechtlicher Sicht sind Parteien diejenigen Personen, von welchen und gegen welche staatliche Rechtschutzhandlungen im eigenen Namen begehrt werden243 .

c) Partei- und Prozessfähigkeit

Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Klage wie beispielsweise die Partei- und Prozessfähigkeit und der notwendige Inhalt der Klageschrift richten sich nach den nationalen Vorschriften. Unter Parteifähigkeit wird im deutschen Recht die Fähigkeit verstanden, im Rechtsstreit Partei zu sein; im Wesentlichen entspricht sie der Rechtsfähigkeit244. Für Ausländer ist dabei aufihr Heimatrecht abzustellen 245 . Prozessfähigkeit ist nach deutschem Recht die Fähigkeit, Prozesshandlungen selbst oder durch selbst bestellte Vertreter wirksam vorzunehmen oder entge-

243 V gl. MünchKomm-ZPO/Lindacher, Vor § 50, Rdnr. 2: ;\;fusielak/Weth, § 50, Rdnr. 3; Thomas/Putzo/Hiißtege, Vorbem §50, Rdnr. 2; Zöller!Vollkommer, Vor§ 50, Rdnr. 2. 244 Vgl. MünchKomm-ZPO/Lindacher, § 50, Rdnr. 3, 6ff.; Musielak/Weth, § 50, Rdnr. 13; Thomas/Putzo/Hüßtege, §50, Rdnr. 1; Zöller/Vo!lkommer, §50, Rdnr. 1. 2' 15 V gl. MünchKomm-ZPO/Lindacher, § SO, Rdnr. 66f.: Musielak/Weth. § 50, Rdnr. 30ff.; Thomas/Putzo Hüßtege, § 50. Rclnr. 1; Zöller!Vo!!kommer, § 50, Rdnr. 2, 24a.

IV. Zulässigkeit des Verfahrens

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genzunehmen; die Prozessfähigkeit bestimmt sich dabei allein nach den Regeln des Prozessrechts 246 . Dieses bestimmt, dass eine Person insoweit prozessfähig ist, als sie sich durch Verträge verpflichten kann, § 52 ZPO. Für Ausländer ist dabei grundsätzlich auf ihr Heimatrecht abzustellen 247 . Ist ein Ausländer danach nicht prozessfähig, so gilt er gemäß § 55 ZPO als prozessfähig, wenn ihm nach deutschem Recht die Prozessfähigkeit zusteht248 .

d) Fristen und Zeitpunkt der Drittbeteiligung Das jeweilige nationale Recht kmm Bestimmungen aufstellen hinsichtlich Fristen oder des Zeitpunktes, bis zu dem eine Gewährleistungs- bzw. eine Interventionsklage erhoben werden muss, um noch Berücksichtigung finden zu können. Auch die Frage, ob in einer zweiten Instanz Gewährleistungs- und Interventionsklage noch erhoben werden können, unterliegt den Bestimmungen des nationalen Rechts. Das nationale Recht bestimmt, ob in einer zweiten Instanz noch neue Tatsachen vorgetragen werden können. Bei Erhebung einer Gewährleistungs- oder Interventionsklage erst in der zweiten Instanz müssen notwendigerweise neue Tatsachen vorgetragen werden. Wird der Drittbeklagte erst in der zweiten Instanz in den Prozess hineingezogen, so verliert er selbst eine Tatsacheninstanz. Die Frage, ob eine Partei eines Prozesses bezügliche des Vortrages des Gegners eine Tatsacheninstanz verlieren kann, ist von der EuGVVO nicht geregelt und da111it dem nationalen Recht überlassen. Diese Frage betrifft Bereiche des Verfahrensrechts, die so eng mit anderen verfahrensrechtlichen Fragen verzahnt sind, dass sie thematisch nicht mehr von einer Gerichtsstandsregelung erfasst werden können.

e) Sonstige Zulässigkeilsvoraussetzungen Bei Zweckmäßigkeitsvoraussetzungen stellt sich die Frage, ob diese in den Bereich Zuständigkeitsfragen oder in den Bereich der sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen einzuordnen sind. Unter Zuständigkeit wird die Berechtigung

246 Vgl. MünchKomm-ZPO/Lindacher, § 51, Rdnr. 1; Musielak/Weth, § 5 L Rdnr. I; Thomas/Putzo/Hüßtege, § 51, Rdnr. 2; 7öller/Vollkommer, § 52, Rdnr. 1. 247 Vgl. MünchKomm-ZPO!Lindacher, § 55, Rdnr. 1; Musielak/Weth, § 52, Rdnr. 2; § 55, Rdnr. I; Thomas/Putzo/Hüßtege, § 52, Rdnr. 1; Zöller/Vollkommer, § 52, Rdnr. 2, 3. 248 Vgl. MünchKomm-ZPOLindacher, § 55, Rdnr. 2; Musielak/Weth, § 55, Rdnr. 1; Thomas/Putzo/Hüßtege, §55, Rdnr. 1; Zöller/Vollkommer, §55, Rdnr. 1.

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Kapite12: Gerichtsstand der Gewährlcistungs- und Interventionsklage

und die Verpflichtung verstanden, eine bestimmte Aufgabe wahrzunehmen249 • Aus der gerichtlichen Zuständigkeit folgt, welches Gericht und welches Rechtspflegeorgan im einzelnen Fall die Gerichtsbarkeit auszuüben hae 50 . Sobald eine Regelung die Frage betrifft, ob das angegangene Gericht eine Pflicht zum Tätigwcrden hat, ist die Frage seiner Zuständigkeit betroffen. Dieser Bereich ist abschließend von der EuGVVO geregelt. Für das nationale Recht ist nur im Bereich der sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen Raum fiir Zweckmäßigkeitserwägungen. Der Ausgangsrechtsstreit unterliegt- soweit er nicht anderweitig in den Allwendungsbereich der EuGVVO fallt- dem jeweiligen nationalen Recht.

j) Verfahrenstrennung

Ebenso beurteilt sich die Frage einer möglichen Verfahrenstrennung nach den nationalen Vorschriften. Zu beachten bleibt allerdings, dass es sich bei Gewährleistungs- und fnterventionsklagen um Drei-Parteien-Prozesse handelt. Eine Verfahrenstrennung darf also bspw. nicht nur aus dem Grund erfolgen, wieder zu Prozessen mit zwei Parteien zu gelangen.

2. Schranken der Einschränkung der Zulässigkeit

Der EuGH lässt Einschränkungen des Gerichtsstandes des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO durch nationale Bestimmungen hinsichtlich sonstiger Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht schrankenlos zu. Er postuliert, dass das nationale Gericht "bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Klage die Verfahrensregeln seines nationalen Rechts anwenden kann, wenn es die praktische Wirksamkeit [der EuGVVO] in diesem Bereich nicht beeinträchtigt und insbesondere die Ablehnung der Zulassung der Gewährleistungsklage nicht darauf stützt, dass der Gewährleistungspflichtige seinen Aufenthalt oder Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen [Mitgliedstaates] als dem des Gerichts des Hauptprozesses hat." 251 Der EuGH folgt auch hier seinem gewohnten Prinzip, den "eflet utile" des Europarechts gegenüber nationalen Bestimmungen zu sichern. Die Anwendung nationaler Bestimmungen darf die Wirkung der Regelungen der EuGVVO auch in dem Bereich nicht beeinträchtigen, der weiterhin in der Kompetenzordnung

249

Vgl. Musielak, Grundkurs ZPO, 8. Aufl. 2005, Rdnr. 26. V gl. MünchKomm-ZPO/Schwerd(feger, § l, Rdnr. 2; Musielak/Heinrich, § 1, Rdnr. I; Thomas!Putzo!Hüßtege, Vorbem. 9 1, Rdnr. 1; ZölleriVollkommer, § 1 Rdnr. I. 251 EuGH, Urteil vom 15.05.1990, Rs. C-365/88 (Kongress Agentur Hagen I Zeehaghe B.V.), NJW 1991,2621. 250

V. Sonderregelung für Deutschland, Österreich und Ungarn

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der Mitgliedstaaten liegt. So sind z. B. Einschränkungen aus Zweckmäßigkeitserwägungen unzulässig, die sich auf einen auswärtigen Wolmsitz eines Beteiligten und daraus möglichen Verzögerungen und Erschwerungen des Hauptprozesses stützen.

V. Sonderregelung für Deutschland, Österreich und Ungarn Art. 65 Abs. 1 EuGVVO enthält eine Sonderregelung, wonach die in Art. 6 Nr. 2 EuGVVO flir eine Gewährleistungs- oder Interventionsklage vorgesehene Zuständigkeit weder in Deutschland noch in Österreich noch in Ungarn geltend gemacht werden kann. Ein derartiger Ausschluss dieser Zuständigkeit war bereits in Art. V des Protokolls zum EuGVÜ - fiir Deutschland - bzw. in Art. V des Protokolls Nr. 1 zum Lugano-Übereinkommen - für Österreich, die Schweiz und Spanien - vereinbart. Weder das deutsche noch das Österreichische oder das ungarische Prozessrecht kennen die Gewährleistungs- oder Interventionsklage. Diese Rechtsordnungen arbeiten mit der Rechtsfigur der Streitverkündung. Art. 65 Abs. 1 Satz 2 EuGVVO erkennt diese Besonderheit an und lässt zu, dass die europarechtliche Vorschrift des Art. 6 Nr. 2 EuGVVO durch die nationalen deutschen, Österreichischen bzw. ungarischen Vorschriften bzgl. der Streitverkündung ersetzt werden. Zu untersuchen bleibt, ob diese nationalen Vorschriften ihrerseits wiederum europarechtlich geprägt werden. Zunächst soll jedoch kurz das Wesen der Streitverkündung und ihre Wirkung, auch in Abgrenzung zur Rechtskraft, skizziert werden252 • Die Qualifikation des Begriffs der Streitverkündung richtet sich auch aus Sicht der EuGVVO bei Verfahren vor deutschen Gerichten nach deutschem Recht, da Art. 65 Abs. 1 Satz 2 lit. a EuGVVO ausdrücklich auf die deutschen Vorschriften zur Streitverkündung in der ZPO verweist253 •

1. Wesen und Wirkung der Streitverkündung

Die Streitverki.indung ist die förmliche Benachrichtigung eines Dritten von einem anhängigen Rechtsstreit durch eine Partei, verbunden mit der Aufforde252 Eine ausfuhrliehe historische Darstellung bietet Schäfer, Nebenintervention und Streitverkündung. Von den römischen Quellen bis zum modernen Zivilprozessrechl. 1989. 253 V gl. auch Mansel, Binnenmarkt, S. 191 f.; Schlosser, EUZPR, Art. 6, Rdnr. 7; dies gilt analog fiir Verfahren vor Österreichischen bzw. ungarischen Gerichten. Auch dort richtet sich die Qualifikation des Begriffs der Streitverkündung nach österreichischem bzw. ungarischem Recht.

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Kapitel 2: Gerichtsstand der Gewiihrleistungs- und Interventionsklage

rw1g, diesem Rechtsstreit zur Unterstützung der benachrichtigenden Partei beizutreten254. Die Streitverkündung ist Prozesshandlung, so dass die Prozesshandlungsvoraussetzungen erfullt sein müssen, d.h. der Streitverkünder muss partei-, prozess- und postulationsfähig sein255 . Zur ordnungsgemäßen Streitverkündung gehört die Einreichung eines Schriftsatzes, in dem der Grund der Streitverkündung und die Lage des Rechtsstreits angegeben ist; dieser Schriftsatz ist dem Streitverkündungsgegner zuzustellen, § 73 ZPO. Voraussetzung einer zulässigen Streitverkündung sind ein anhängiger Rechtsstreit sowie das Vorliegen eines Grundes flir die Streitverkündung, § 72 Abs. 1 ZPO. Der Streitverkündungsgrund muss auf Seiten des Streitverkünders vorliegen. Dieser kann einem Dritten den Streit verkünden, wenn er flir den Fall des Unterliegens einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen den Dritten geltend machen zu können glaubt oder er den Anspruch eines Dritten besorgt, also wenn der Streitverkünder über ein Recht des Streitverkündungsgegners den Prozess flihrt, so dass er sich potentiellen Gewährleistungsoder Schadensersatzansprüchen ausgesetzt siehe56 . Tritt der Streitverkündungsgegner dem Rechtsstreit auf Seiten des Streitverkünders bei, so bestimmt sich sein Verhältnis zu den Parteien nach den Grundsätzen der Nebenintervention, § 74 Abs. 1 ZPO. Der Beitritt muss den formellen Voraussetzungen des § 70 ZPO entsprechen und die materiellen Voraussetzungen des § 66 ZPO müssen erflillt sein, d.h. der Dritte muss ein rechtliches Interesse am Obsiegen einer Partei haben; in der Regel reicht die Streitverkündung flir dieses Interesse aus 257 . Gemäß § 71 ZPO wird über die obigen Voraussetzungen nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag entschieden. Den Antrag kann jedoch nicht der Streitverkündungsgegner stellen258 . Der Streitverkünder kann einen solchen Antrag nur stellen, wenn der Streitverkündungsgegner dem Gegner beitritt259 • Tritt also der Streitverkündungsgegner dem Streitverkünder bei, hat nur der Gegner des Streitverkünders im Erstverfahren

254 V gl. Thomas/Putzo/Hüßtege, § 72, Rdnr. I; MünchKomm-ZPO/Schilken, § 72, Rdnr. 1; Musielak, Rdnr. 351; }vfusielak/Weth, § 72, Rdnr. 1; Schäfer, S. 7; Zöller/Vollkommer, § 72, Rdnr. I. 255 V gl. Eibner, Möglichkeiten und Grenzen der Streitverkündung, 1986, S. 33; MünchKomm-ZPO/Schilken. § 72, Rdnr. 3; /:öller/Vollkommer, § 72, Rdnr. 1. 256 V gl. ausführlich Eibner, S. 45fT.: Kraji, S. 29; Jv!iinch Komm-ZPO/Schilken, § 72, Rdnr. 5ff.; Musielak/Weth, § 72, Rdnr. 3ff.; Schäfer, S. 138; Thomas/Putzo/Hüßtege, § 72, Rdnr. 6ff.; Zöller/Vollkommer, § 72, Rdnr. 4ff. 257 Vgl. MünchKomm-ZPO/Schilken, § 74, Rdnr. 3; Musielak/Weth, § 74, Rdnr. 2; Zöller/Vollkommer, § 74, Rdnr. 1f. 258 Vgl. AfiinchKomm-ZPOISchilken, § 71, Rdnr. 3; Musielak/Weth, § 74, Rdnr. 2; Thomas/Putzo/Hüßtr?ge, § 71, Rdnr. 2; Zöller/Vollkommer, ~ 74, Rdnr. 3; § 71, Rdnr. I. 259 V gl. Musielak!Weth, § 71, Rdnr. 2; Zöl!er/Vollkommer, ~ 71, Rdnr. 1; vgl. auch MünchKomm-ZPO/Schi/ken, § 71, Rdnr. 3.

V. Sonderregelung für Deutschland, Österreich und Ungarn

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ein Antragsrecht für eine Prüfung der Zulässigkeit der Streitverkündung gemäß § 71 ZPO. Tritt der Streitverkündungsgegner dem Verfahren nicht bei, wird im Erstverfahren nicht über die Zulässigkeit der Streitverkündung entschieden 260 ; die Prüfung der Voraussetzungen der Streitverkündung kann dann nur im Folgeverfahren erfolgen 261 . Erfolgte eine Prüfung der Zulässigkeit der Streitverkündung gemäß § 74 i.V.m. § 71 ZPO, so wird die Zulässigkeit der Streitverkündung im Folgeverfahren nicht mehr geprüft262 . Parteien können durch Prozessvertrag vereinbaren, dass eine Streitverkündung ausgeschlossen ist. Ebenso ist eine Beschränkung der Streitverkündung auf ein bestimmtes Gericht möglich. In einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung ist im Zweifel eine Beschränkung der Streitverkündung vor dem vereinbarten Gericht zu sehen 263 • Schließen z.B. A und B eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der Gerichte in M und wird B von C vor einem Gericht in F verklagt, so kann B dem A im Verfahren vor dem Gericht in F nicht den Streit verkünden. Bei einer abredewidrigen Streitverkündung treten die Nebeninterventionswirkungen nicht ein 264 . Der wesentliche Unterschied der Streitverkündung zur Gewährleistungs- und Interventionsklage ist, dass im Verhältnis zum Streitverkündungsgegner im Erstprozess kein Sachurteil ergehe 65 . Der Streitverbindungsgegner wird nicht Prozesspartei. Wenn er dem Verfahren beitritt, bestimmt sich sein Verhältnis zu den Parteien nach den Grundsätzen der Nebenintervention, § 74 Abs. 1 ZPO. Der Nebenintervenient ist jedoch nicht Partei 266 . Tritt er dem V erfahren nicht bei, so wird er erst recht nicht Partei. Ein Sachurteil erwächst in Rechtskraft. Für die materielle Rechtskraft ist die formelle Rechtskraft Voraussetzung. Formelle Rechtskraft tritt mit Unangreifbarkeit der Entscheidung ein267 . Die materielle Rechtskraft schließt eine neue Verhandlung und Entscheidung über die rechtskräftig festgestellte Rechtsfolge

260 Vgl. MünchKomm-ZPO/Schilken, § 74, Rdnr. 8; Musielak/Weth, § 74, Rdnr. 3; Schäfer, S. 138; Zöller/Vollkommer, § 74, Rdnr. 5. 261 V gl. Schäfer. S. 138. 262 Vgl. OLG Hamm. NJW-RR 1988, 155; Musiefak/IVeth, § 74, Rdnr. 2; Zöller/Vollkommer, § 74, Rdnr. 3. 263 Vgl. Musielak Weth, § 72, Rdnr. I; Thomas/Putzo/Hüßtcgc. § 72, Rdnr. 3a; Zölfer/Vollkommer, § 72, Rdnr. I a; vgl. auch Mansel, Streitvcrkündung, S. 199. 264 Vgl. Zöf!er!Vof!kommer, § 72, Rdnr. 1a; so auch Stiirner, FS Geimer, S. 1307/1314; vgl. auch Kraji, S. 115. 265 V gl. auch Kraji, S. 32ff. 266 Vgl. Kraft, S. 28; MünchKomm-ZPO/Schilken, § 67, Rdnr. 2; Musielak/Weth, § 67, Rdnr. 2; Thomas/Putzo/Hüßtege, § 66, Rdnr. 1; § 67, Rdnr. 1; Zöller/Vollkommer,

§ 67, Rdnr. 1. 267 Vgl. MünchKomm-ZPO!Krüger. § 705, Rdnr. 1; Musielak/Lackmann, § 705, Rdnr. 1, 6; Thomas/Putzo/Putzo, § 705, Rdnr. I a; Zöller/Stöber, § 705, Rdnr. 1.

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Kapitel 2: Gerichtsstand der Gewährleistungs-und Interventionsklage

aus, der Inhalt der Entscheidung ist flir das Gericht und die Parteien maßgeblich, falls es in einem späteren Verfahren um dieselbe Rechtsfolge geht268 . Dies gilt sowohl ftlr den Fall, dass der Streitgegenstand im späteren Prozess derselbe ist wie im rechtskräftig entschiedenen- dann kommt es zu einer Abweisung der Klage ohne Sachprüfung als unzulässig269 -, als auch ftlr den Fall, dass die rechtskräftig festgestellte Rechtsfolge vorgreiflieh für die Entscheidung im späteren Prozess über einen anderen Streitgegenstand ist- dann ist das später angerufene Gericht an den Inhalt der Entscheidung des früher angerufenen Gerichts gebunden270 . In materielle Rechtskraft wächst die gerichtliche Entscheidung letzter Instanz über den erhobenen prozessualen Anspruch, also der Subsumtionsschluss des Gerichts 271 . Die Streitverkündung ftlhrt demgegenüber im Verhältnis von Streitverkünder und Streitverkündungsgegner zur Ncbeninterventionswirkung. Die Nebeninterventionswirkung hat die Richtigkeit der gerichtlichen Entscheidung zum Gegenstand, nicht nur die Entscheidung über den prozessualen Anspruch. Die Nebeninterventionswirkung erfasst also auch die den Urteilsspruch tragenden tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des Gerichts und ist damit weiter als die Wirkung der Rcchtskraft 272 • Sie tritt nur im Verhältnis von Streitverkünder und Streitverkündungsgegner ein und wird nur in einem Rechtsstreit zwischen diesen bedeutend273 . Im Folgeprozess zwischen Streitverkünder und Streitverkündungsgegner ist das Gericht an die das Urteil tragenden rechtlichen und tatsächlichen Feststellungen gebunden, soweit sie zugunsten der unterstützten Partei wirken 274 .

268 Vgl. MünchKomm-ZPO/Gottwald, § 322, Rdnr. lff., 36ff.; MusielakiMusielak, § 322, Rdnr. 1, 9ff.; Thomas/Putzo/Reichold, § 322, Rdnr. 1, 8ff; Zöller!Vollkommer, Vor§ 322. Rdnr. 3, 21ff. 269 Vgl. MiinchKomm-ZPO/Gottwald, § 322, Rdnr. 36; Musielak!JV!usiclak, § 322, Rdnr. 9; Thomas/Putzo/Reichold, § 322, Rdnr. 11; Zöller/Vollkommer, Vor § 322, Rdnr. 21. 270 Vgl. MünchKomm-ZPO/Gottwald, § 322. Rdnr. 46; Musielak/Musielak, § 322, Rdnr. 10; Thomas/Putzo/Reichold, § 322, Rdnr. 9; Zöller/Vollkommer, Vor § 322, Rdnr. 22ff. 271 Vgl. MünchKomm-ZPO'Gottwald, § 322, Rdnr. SOff.; Musielak/Musielak, § 322, Rdnr. 16; Thomas/Putzo!Reichold, § 322, Rdnr. 17; s. auch Zöl!er/Vollkommer, Vor§ 322, Rdnr. 37. 272 V gl. ausführlich ~·ibner, S. 86ff.; vgl. MünchKomm-ZPO;Schilken, § 68, Rdnr. 6, 14f.; Musielak/Weth, § 68, Rdnr. 3f.; Schäfer, S. 128; Thomas!PutzolHüßtege, § 68, Rdnr. 1; Zöller/Vollkommer, § 68, Rdnr. 9. 273 Vgl. Eibner, S. 7Jff.; MünchKomm-ZPO/Schilken. § 6X, Rdnr. 7; Musielak/Weth, § 74. Rdnr. 4; Thomas/Putzo/Hüßtege, § 68, Rdnr. I; Zöller/Vollkommer, § 68. Rdnr. 6. 274 Vgl. Eibner, S. 73ff.; MünchKomm-Z/'0/Schilken, § 68, Rdnr. !Of.; Musielak/Weth. § 74, Rdnr. 4; Schäfer, S. 132ff.; Thoma.\·;Pzttzo/Hiißtege, § 68, Rdnr. L 5; Zöller!J/ollkommer, § 68, Rdnr. 6, 9; § 74, Rclnr. 7.

V. Sonderregelung fiir Deutschland, Österreich und Ungarn

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In eingeschränktem Umfang kann der Streitverkündungsgegner die Einrede der mangelhaften Prozessfiihrung erheben. Hierzu muss er vortragen und beweisen, dass er verhindert war, bestimmte Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen, z.B. aufgrund der Bindung an die Lage des Rechtsstreits zum Zeitpunkt eines Beitritts, sowie dass diese Angriffs- und Verteidigungsmitte I geeignet waren, eine andere Entscheidung im Vorprozess herbeizufiihren 275 • Die Nebeninterventionswirkung tritt unabhängig davon ein, ob der Streitverkündungsgegner dem Verfahren beitritt oder nicht 276 . Der Beitritt hat nur Auswirkung auf den Zeitpunkt, zu dem die Nebeninterventionswirkung eintritt: Tritt der Streitverkündungsgegner dem Verfahren auf Seiten des Streitverkünders bei, so bestimmt sich ab diesem Zeitpunkt sein Verhältnis zu den Parteien nach den Grundsätzen über die Nebenintervention, § 74, Abs. l ZPO. Tritt er nicht bei, so ist fiir die Nebeninterventionswirkung der Zeitpunkt entscheidend, zu welchem der Beitritt infolge der Streitverkündung möglich war, § 74, Abs. 3 ZPO.

2. Anwendbarkeit der EuGVVO auf den Folgeprozess

Die deutschen (österreichischen und ungarischen) Vorschriften über die Streitverkündung können den Gerichtsstand der Gewährleistungs- und Interventionsklage nur im Anwendungsbereich der EuGVVO ersetzen, der sachliche und räumliche Anwendungsbereich der EuGVVO muss also gegeben sein. Im Gegensatz zur Gewährleistungs- und Interventionsklage ergeht im Verhältnis zwischen Streitverkünder und Streitverkündungsgegner kein Sachurteil. Fraglich ist daher, ob der Anwendungsbereich der EuGVVO auch fiir den möglichen Folgeprozess zwischen Streitverkünder und Streitverkündungsgegner des Erstprozesses eröffnet sein muss. Beispiel (1): Im Falle einer Gewährleistungsklage nimmt der Kläger K aus Köln den Beklagten B an dessen Wohnsitz in Brüssel auf Gewährleistung in Anspruch. B glaubt, gegen den Dritten D, wohnhall in Dublin, im Falle desUnterliegenseinen eigenen Gewährleistungsanspruch zu haben und erhebt am Gericht in Brüssel Gewährleistungsklage gegen D. Gemäß Art. 6 Nr. 2 EuGVVO ist das Brüsseler Gericht fiir die Gewährleistungsklage zuständig. Damit wird D in das zwischen K und B laufende Verfahren hineingezogen und es entsteht ein Drei-Parteien-Prozess zwischen K, B und D, in dem auch über den bedingten Anspruch des B gegen D rechtskräftig entschieden werden kann.

275

V gl. Thomas/Putzo/Hüßtege, § 68, Rdnr. 9ff. Vgl. MünchKomm-ZPO/Schilken, § 74, Rdnr. 7f.; Musie!ak'Weth, § 72, Rdnr. I. § 74, Rdnr. 4; Schäfer, S. 7, 142; Thomas/Putzo/Hüßtege, § 74, Rdnr. 4; Züller/Vollkommer, § 74, Rdnr. 6f. 276

Kapitel 2: Gerichtsstand der Gewährleistungs- und Interventionsklage

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Beispiel (2): Im Falle einer Streitverkündung verklagt der Kläger G aus Göteborg den Beklagten S aus Stuttgart an dessen Wohnsitz auf Gewährleistung wegen Lieferung mangelhafter Sachen. S glaubt, gegen V aus Venedig als seinen Vorlieferanten im Falle des Unterliegens einen eigenen Gewährleistungsanspruch zu haben. Er verkündet daher dem V den Streit. Damit tritt im V crhältnis zwischen S und V entweder zum Zeitpunkt des Beitritts des V auf Seiten des S oder ansonsten zu der Zeit, zu welcher der Beitritt infolge der Streitverkündung möglich war, die Nebeninterventionswirkung ein. V wird aber nicht Partei im Verfahren zwischen G und S. In diesem (Erst-)Verfahren ergeht nur zwischen G und S eine rechtskräftige Entscheidung. Eine rechtskräftige Entscheidung über den möglichen Gewährleistungsanspruch des S gegen den V erfolgt erst in einem zweiten (Folge-)Prozess zwischen S und V. Die Nebcninterventionswirkung entfaltet ihre volle Bindungswirkung also erst ftir das Gericht des Folgeprozesses zwischen S und V. In diesem Verfahren ist das Gericht an die den Urteilsspruch tragenden rechtlichen und tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts gebunden.

Die Gewährleistungs- und Interventionsklage selbst muss vom Anwendungsbereich der EuGVVO erfasst sein 277 . Im Beispiel (I) muss also auch die Gewährleistungsklage des B gegen den D in den Anwendungsbereich der EuGVVO gemäß Art. I EuGVVO fallen. Die Rechtsform der Streitverkündung ersetzt in Deutschland und Österreich diese Klageform. Im Beispiel (2) ft.ihrt die Streitverkündung des S gegen den V zur Nebeninterventionswirktmg, ein rechtskräftiges Urteil kann aber erst in einem Folgeprozess ergehen, ggf. kann dieses Folgeverfahren nur am Wohnsitz des V in Venedig stattfinden. Im Beispiel (1) dagegen kann D bereits im "Ausgangsverfahren" (hier findet nur ein einziges Verfahren statt) rechtskräftig verurteilt werden. Die Rechtsstreitbeziehung B- D im Drei-Parteien-Verfahren zwischen K, B und D entspricht dem Folgeverfahren zwischen S und V. Dies spräche dafür, als Voraussetzung für die Streitverkündung die Anwendbarkeit der EuGVVO auch für den Folgeprozess zu fordern. Ferner entfaltet die Streitverkündung primär ihre Rechtsfolgen im Folgeprozess, dadurch dass das Gericht dort an die tragenden tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des Erstgerichts gebunden ist. Die Wirkungen der Streitverkündung, also nach deutschem Recht die Nebeninterventionswirkung, sind gemäß Art. 65 Abs. 2 Satz 2 EuGVVO in den anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen. Voraussetzung flir eine Anerkennung der Nebeninterventionswirkung gemäß Art. 65 Abs. 2 Satz 2 EuGVVO ist zum einen ein Gerichtsverfahren in einem anderen Mitgliedstaat zwischen Streitverkünder und Streitverkündungsgegner sowie die Anwendbarkeit der EuGVVO auf den Folgeprozess. Ist die Anwendbarkeit der EuGVVO für den Folgeprozess nicht eröffuet, so fehlt es auch an einer Pflicht zur Anerkennung der Nebeninterventionswirkung aus Art. 65 Abs. 2 Satz 2 EuGVVO in dem anderen Mitgliedstaat. Davon unberi.ihJi bleibt die Pflicht der übrigen Mitgliedstaaten der EU, das Urteil des Erstverfah-

277

s. o. III.l.

V. Sonderregelung flir Deutschland, Österreich und Ungarn

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rens selbst nach den Regelungen der EuGVVO anzuerkennen. Dieses ist aber nur zwischen Kläger und Beklagtem (des Erstverfahrens) ergangen, gerade nicht zwischen Streitverkünder und Streitverkündungsgegner. In diesem Fall, also bei fehlender Anwendbarkeit der EuGVVO auf den Folgeprozess, könnte man argumentieren, dass hier auch im Erstprozess die Streitverkündung nicht an den Bestimmungen der EuGVVO gemessen werden dürfe 278 • Im Umkehrschluss könnte man dann folgern, dass in den Fällen, in denen der Folgeprozess in den Anwendungsbereich der EuGVVO fcillt und mithin die Nebeninterventionswirkung der Streitverkündung in einem anderen Mitgliedstaat gemäß A1i. 65 Abs. 2 Satz 2 EuGVVO anzuerkennen ist, auch und bereits im Erstprozess die Streitverkündung an den Regelungen der EuGVVO zu messen wäre. Dadurch wäre sichergestellt, dass nur Streitverkündungen, die EuGVVO-konform sind, zu anzuerkennenden Nebeninterventionswirkungen führen. Das Erstgericht müsste allerdings eine Prognose über die Anwendbarkeit der EuGVVO hinsichtlich des Folgeprozesses aufstellen, um feststellen zu können, ob der Folgeprozess in den Anwendungsbereich der EuGVVO fällt und damit auch im Erstprozess die Streitverkündung an deren Bestimmungen zu messen wäre. Ob es aber überhaupt zu einem Folgeprozess kommen wird, ist ungewiss. Die Prognose des Gerichts wäre also mit Unsicherheiten belastet279 . Ferner hat die Streitverkündung auch im Erstverfalu·en eine Funktion, nämlich den Streitverkündungsgegner über den anhängigen Rechtsstreit in Kenntnis zu setzen verbunden mit der Aufforderung, diesem beizutreten. Im Anschluss an das Erstverfahren findet im Gegensatz zur Gewährleistungs- und Interventionsklage ein zweites eigenständiges Verfahren statt, um ein Urteil gegen den Dritten - den Streitverkündungsempfänger - zu erhalten. Bei der Gewährleistungsund der Interventionsklage findet demgegenüber nur ein Verfahren statt, in dem auch gegen den Dritten ein Urteil ergehen kann. Auch würde der Richter des Erstverfahrens in die Entscheidungskompetenz des Richters des Zweitverfahrens eingreifen, wenn er bereits auch flir letzteren verbindlich entscheiden würde, dass das Folgeverfahren in den Anwendungsbereich der EuGVVO fällt. Jeder Richter hat die Zulässigkeit des Verfahrens selbst zu prüfen. Dies spräche dafür, nicht schon im Erstprozess die Frage der Anwendbarkeit der EuGVVO auf den Folgeprozess als Voraussetzung für die Streitverkündung zu prüfen. Meines Erachtens ist ein Mittelweg zu gehen. Der Richter des Erstverfahrens kann nicht in die Kompetenz des Richters des Folgeverfahrens eingreifen und verbindlich entscheiden, ob auch das Folgeverfahren der EuGVVO unterliegt. 278 V gl. auch die Argumentation bei Mansel, Binnenmarkt, S. 190; ders., Streitverkündung, S. 187. 279 V gl. Mansel, Binnenmarkt, S. 190.

Kapitel 2: Gerichtsstand der Gewährleistungs-und Interventionsklage

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Zugleich ist nicht sicher, ob es überhaupt zu einem Folgeverfahren kommt, in dem diese Frage relevant wird. Denn aufgrund der Nebeninterventionswirkung der Streitverkündung ist der Richter des Folgeverfahrens an die rechtlichen und tatsächlichen Feststellungen des Richters des Erstverfahrens gebunden. Für die Parteien des Folgeverfahrens ist daher der Ausgang dieses Verfahrens vorhersehbar. Andererseits ersetzt das System der Streitverkündung in Deutschland im Rahmen des Geltungsbereichs der EuGVVO das System der Gewährleistungsund Interventionsklage. Letztere müssen insgesamt, d.h. auch gegenüber dem Dritten, in den Anwendungsbereich der EuGVVO fallen. Demzufolge muss auch das zweistufige "Ersatzverfahren" der Streitverkündung ein europarechtliches Gepräge erhalten. Unter Berücksichtigung der Kompetenzen des Richters des Folgeverfahrens sowie der oben aufgezeigten Unsicherheiten hinsichtlich der Prognose, ob überhaupt und wenn ja, welcher Art ein Folgeverfahren stattfindet, muss es ausreichen, wenn zumindest die Möglichkeit besteht, dass das Folgeverfahren dem Anwendungsbereich der EuGVVO unterflillt. Damit ist noch keine Aussage über die Anwendbarkeit der EuGVVO hinsichtlich eines konkreten Folgeverfahrens getroffen, zugleich aber sichergestellt, dass die Gerichtspflichtigkeit des Dritten im System der Streitverkündung gegenüber der eines Gewährleistungsbeklagten im Hinblick auf den Anwendungsbereich der EuGVVO nicht erweitert wird. Zu beachten bleibt jedoch, dass die EuGVVO für die Zulässigkeit der Streitverkündung auf die Iex fori verweist. Ein Zuständigkeitserfordernis nach den Bestimmungen der EuGVVO ist daher nicht gegeben280 .

3. Zeitpunkt der Prüfung der Zulässigkeit der Streitverkündung Zu untersuchen ist ferner, in welchem Zeitpunkt über die Zulässigkeit der Streitverkündung zu entscheiden ist, wenn sie als ein Ersatz für die Gewährleistungs- und Interventionsklage fungiert. Die Regelung des Art. 65 Abs. 2 EuGVVO setzt voraus, dass der Streitverkündungsgegner seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat. Diese eindeutige Bestimmung kann als Abgrenzungskriterium gegenüber rein nationalen Verfahren dienen. Für die Frage, ob bereits im Erstverfahren die Zulässigkeit der Streitverkündung geprüft werden muss, ist dieses 1