Staatsbildung als Königskunst: Ästhetik und Herrschaft im preußischen Absolutismus [Reprint 2015 ed.] 9783050078151, 9783050035031

Die expressive Dimension politischen Handelns ist in der Geschichte der Macht verschieden ausgestaltet worden, aber symb

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German Pages 432 Year 2000

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Staatsbildung als Königskunst: Ästhetik und Herrschaft im preußischen Absolutismus [Reprint 2015 ed.]
 9783050078151, 9783050035031

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
I. Teil. Der Staat, die Regierung, der König
1.Staat machen
2.Regierungskunst und Staatsmaschine
3.Der König als Selbstherrscher, Funktionär und Repräsentant
4.Das Bildnis des Königs
5.Der König auf der Bühne
II. Teil. Der König, das Recht, die Strafe
1.Recht schaffen
2.König und Henker
3.Die Strafe als Schauspiel
4.Der Streit um die Abschreckung
5.Die Kinder auf dem Richtplatz und der Richtplatz in der Kinderstube
6.Das Bildnis der Strafe und die Bestrafung des Bildes
7.Straftheater und moralische Anstalt
8.Die Polizei spielt Theater
Exkurs über das Fest
Exkurs über den Krieg
III. Teil. Kitsch und Charisma
1.Gefühl und Gewalt
2.Majestät und Menschlichkeit
Bibliographischer Essay

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Bruno Preisendörfer

STAATSBILDUNG ALS KÖNIGSKUNST

Bruno Preisendörfer

STAATSBILDUNG ALS KÖNIGSKUNST Ästhetik und Herrschaft im preußischen Absolutismus

Akademie Verlag

D 188

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Preisendörfer, Bruno: Staatsbildung als Königskunst: Ästhetik und Herrschaft im preußischen Absolutismus / Bruno Preisendörfer. - Berlin : Akad. Verl., 2000 Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1997 ISBN 3-05-003503-X

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2000 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706 Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Einbandgestaltung: Jochen Baltzer Druck: GAM MEDIA, Berlin Bindung: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach Printed in the Federal Republic of Germany

Inhalt

Einleitung I. T e i l D e r Staat, d i e R e g i e r u n g , d e r K ö n i g 1. 2. 3. 4. 5.

Staat machen Regierungskunst und Staatsmaschine Der König als Selbstherrscher, Funktionär und Repräsentant Das Bildnis des Königs Der König auf der Bühne

II. T e i l Der König, das Recht, die Strafe 1. 2. 3. 4. 5.

9

25 27 43 67 83 111

131

Rechtschaffen König und Henker Die Strafe als Schauspiel Der Streit um die Abschreckung Die Kinder auf dem Richtplatz und der Richtplatz in der Kinderstube 6. Das Bildnis der Strafe und die Bestrafung des Bildes 7. Straftheater und moralische Anstalt 8. Die Polizei spielt Theater

134 181 202 242

278 290 306

Exkurs über das Fest

319

Exkurs über den Krieg

327

266

6

Inhalt

III. Teil Kitsch und Charisma

345

1. Gefühl und Gewalt 2. Majestät und Menschlichkeit

348 358

Bibliographischer Essay

369

Meinen Eltern in Dankbarkeit

Einleitung

Wenn in einem nordamerikanischen Gefängnis eine Hinrichtung stattfindet, befinden sich Delinquent und Henker nicht im selben Raum. Das Einströmen des Gases, der Aufbau des Hochspannungsstroms oder die tödliche Infusion werden aus der Distanz eingeleitet. Für die Zeugen, die der Hinrichtung einer langen Tradition gemäß beiwohnen, sieht es so aus, als ob eine mehr oder weniger komplizierte Apparatur den Urteilsspruch des Gerichtes vollstrecke. Der ideale Henker ist unsichtbar. Die Vollstreckung wird so inszeniert, als ob sich das Recht ohne menschliche Beihilfe in Machtgewalt verwandelt hätte. Falls die Exekution mit der >Giftspritze< stattfindet, wird die Infusion in der Regel von zwei Beamten ausgelöst. Die Maschine, die in einem Nebenraum der eigentlichen Hinrichtungszelle installiert ist, verfugt über doppelte Startknöpfe, die von den beiden Beamten gleichzeitig gedrückt werden. Ein Zufallsgenerator entscheidet, welcher der beiden Knöpfe die Infusion in Gang setzt. Keiner der Beamten weiß, ob er oder sein Kollege durch den Knopfdruck zum Henker wurde. Dieses Ritual findet im Unterschied zum Tod des Delinquenten unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt, reserviert seinen Sinn also allein ftir die Vollzugsbeamten, die sich noch untereinander von dem uralten Stigma des Henkers zu schützen suchen, indem sie ihr Handeln in einen abstrakten, vom persönlichen Willen unabhängigen maschinellen Vorgang auflösen. Nicht sie bringen den Verurteilten zu Tode, sondern >das Recht< oder >das Gesetz< oder die >StaatsgewaltVersachlichungHerrschaft des Gesetzes< ist auf Vollstrecker angewiesen. Das >konkretees nicht gehtHerrschaftsästhetik< bezeichnet werden soll. Um beim Beispiel des Henkers zu bleiben: Der von den Aufklärern im 18. Jahrhundert mit Verve vorangetriebene Entzauberungsprozeß, der den mythenumwobenen >Nachrichter< des Königs zu einem staatlichen Vollstreckungsbeamten normalisiert hat, macht in exemplarischer Weise anschaulich, wie einstmals mit Prunk auf die Bühne gebrachtes Herrschaftshandeln hinter die Kulissen verlagert wurde. Der strafende Repräsentant des Machthabers, der diese Repräsentation in einem rituell ausgeschmückten Auftritt mit aller Gewalt zur Geltung brachte, verwandelte sich in einen nüchternen Beamten, der ungesehen seine Aufgaben erledigt, den blutneugierigen Augen des Publikums entzogen, zugleich befreit und entblößt vom Mantel der Symbole, der einst die Gestalt des Henkers umhüllte und ihm als Exekutor der Macht eine dem Herrscher genau entsprechende Aura lieh (dazu das 2. Kapitel im II. Teil). Der Kontrast zwischen den >großartigen< Auftritten dieser Schreckensgestalt im Ancien Rögime und seiner entpathetisierten Wirksamkeit in der modernen Straijustiz zeigt exemplarisch, wie weit in ein und demselben herrschaftspolitischen Handlungsfeld die Spanne zwischen einer Ästhetik der inszenierten Grausamkeit und der einer geschäftigen Nüchternheit reichen kann. Aber auch das, was heute unter herrschaftspolitischer >Rationalität< verstanden wird, war von Anfang an, also seit der ersten Aufbauphase des modernen Verwaltungsstaates, weder >neutralsachlichsymbolfreies< Herrschaftshandeln ist schlechterdings nicht vorstellbar, wenn unter Herrschen mehr verstanden werden soll als physische Unterwerfung von Augenblick zu Augenblick (dazu im III. Teil das Kapitel „Gefühl und Gewalt"). Herrschaftsästhetik ist nicht nur eine Sache der Könige, auch wenn hier die preußischen des 18. Jahrhunderts zu >Exempeln< gemacht werden, um es in der Sprache der Zeit zu sagen. Jedes Handeln, auch das institutionell gestützte, geregelte und durch Wiederholung zur sozialen Selbstverständlichkeit

Einleitung

11

geronnene politische Handeln, hat eine expressive Dimension. Es könnte sonst noch nicht einmal wahrgenommen, geschweige denn wirksam werden. Einem Befehl kann man nur gehorchen, wenn er als solcher überhaupt erkennbar ist. Die expressive Dimension des politischen Handelns ist in der Geschichte der Macht verschieden ausgestaltet worden, häufig sehr prunkvoll, manchmal mit karger Raffinesse. Der ganz und gar nackte Befehl, ohne rhetorisches Beiwerk und ohne den Schmuck der Würdeformeln, ist überaus selten. Selbst wenn der Befehl nicht mehr in seiner >schönsten< Gestalt, nämlich in der des geschmückten Herrn selbst auftritt, sondern von einem Repräsentanten verlesen oder gar als Aktenanweisung entgegengenommen wird, fehlt es nie an symbolischem Überschuß, und sei es nur der Zierrat der Beglaubigung wie Titel und Stempel. Es gab wenige Herrscher (Friedrich Wilhelm I. gehörte zu ihnen, auch der gescheiterte österreichische Reformer Josef II.), die überhaupt kein Gespür für Herrschaftsgestaltung hatten; und auch heute gibt es wenig gewählte Regierungschefs oder auf andere Weise >gewordene< Machthaber, denen das >Ansehen< ihrer Politik gleichgültig ist. Politik als Ritual, um es mit einem berühmt gewordenen Titel von Murray Edelmann zu sagen', Politik der Symbole und Symbole der Politik2 gehören mittlerweile zum Themenkanon der Politischen Wissenschaft. In vielen neueren Untersuchungen werden Methoden der Kulturanthropologie und der Ethnologie, die ursprünglich zur Erforschung sogenannter >primitiver Gesellschaftern entwickelt worden sind, auf >moderne< Gesellschaften angewandt. Bei dem Versuch, das Programm einer Europäischen Ethnologie< zu entwikkeln, setzt man sich auch mit den methodologischen Schwierigkeiten des Sich-Wunderns auseinander: Wie kann >das Eigene< mit >fremdem Blick< beschrieben werden? Kann man auf den Wegen der Wissenschaft für eine bestimmte Zeit der sozialen Teilnahme entgehen, um zu einer Art kontrollierter Selbstbeobachtung zu kommen? Welche Vergewisserungsregeln müssen befolgt werden, wenn scheinbar Selbstverständliches auf eben sein Verständliches kritisch befragt werden soll? Sowohl das politikwissenschaftliche Interesse fiir Symbole und Rituale in zeitgenössischen Gesellschaften, als auch die bei der >klassischen< Ethnologie

1

Murray Edelman: Politik als Ritual. Die symbolische Funktion staatlicher Institutionen und politischen Handelns·, Frankfurt a. M., N e w York 1976 (Neuausgabe 1990). Edelman gewinnt seine Einsichten in Auseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten. Zum ehemaligen >Ostblock< siehe Cl. Arvidsson, L.-E. Blomkvist: Symbols of Power. The esthetics of political legitimation in the Soviet Union and Eastern Europe; Stockholm 1987. Einen historischen par force Ritt von den kannibalischen Ritualen der Azteken bis zur Amtseinsetzung des Amerikanischen Präsidenten gibt David L. Kertzer: Ritual, politics, and power, N e w Haven 1988. Siehe auch den Sammelband von S. Wilentz (ed.j: Rites of Power. Symbolism, Ritual and Politics since the Middle Ages; Philadelphia 1985.

2

Rüdiger Voigt (Hrsg.): Politik der Symbole,

Symbole der Politik-, Opladen 1989.

12

Einleitung

ausgeborgten und für den Blick auf moderne Gesellschaften modifizierten Perspektiven waren für mich anregend, wenn auch nicht methodologisch steuernd 3 . Das hier beschrittene Untersuchungsfeld ist längst historisch geworden, und natürlich findet auf einem solchen Feld die >Befragung< der Quellen unter ganz anderen hermeneutischen Bedingungen statt als bei der Beschreibung und Analyse zeitgenössischer Gesellschaften, seien es >eigene< oder >fremdeBrauchbarkeit< der Ergebnisse einer historisch operierenden herrschaftsästhetischen Analyse für das kritische Verstehen zeitgenössischer Politikrituale erweist sich nicht an ihrer >ÜbertragbarkeitHärte< und >Stärke< strukturiert - , bewegen sich noch immer in dem Rahmen, der im 18. Jahrhundert mühsam aufgebaut und Anfang des 19. Jahrhunderts durch das Ausfeilen der Psychotechniken stabilisiert worden war. Die Todesstrafe mag sich im Vollzug >versachlicht< haben 4 , ihre Rechtfertigung bewegt sich noch immer zwischen dem eher >wirkungsästhetisch< motivierten Abschreckungs- und dem eher sakral konnotierten Sühnegedanken. Trotz der Finessen der in den letzten Jahrzehnten weiter ausgeschmückten utilitaristischen Präventionspsychologie ist die Diskussion der Strafe also nicht wesentlich über den Stand der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert hinausgekommen. In diesem Feld also, um auf das Problem der >Übertragbarkeit< zurückzukommen, sind viele Argumente der >Klassiker< der Abschreckungstheorie gewissermaßen zeitgenössisch geblieben und können in aktuellen Diskussionen nach wie vor mitreden.

3

Hervorheben möchte ich A. L. Kroebers Style and Civilizations·, Ithaca, N e w Y o r k 1957, der sich mit der Frage befaßt, ob m a n von einem >superstyle< sprechen könne, der die >Partialstile< einer Gesellschaft codiert. Wichtig für mich außerdem: Clifford Geertz: The Interpretation of Culture·, N e w York 1973. Darin findet sich der Aufsatz Thick Description: Toward an Interpretative Theory of Culture, der wiederum der deutschen A u s g a b e den Obertitel gegeben hat: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme', Frankfurt a. M. 1983. Ich werde weiter unten in einer A b w a n d l u n g der >dichten Beschreibung< von den >langen Wegen der Beschreibung< sprechen, die im hier behandelten Gegenstandsfeld vorerst beschritten werden müssen, und möchte deshalb, um einer mißverstehenden Auslegung meiner Referenz an Geertz vorzubeugen, schon jetzt betonen, daß ich damit keineswegs reklamiere, den >Ansatz< von Geertz auf historisches Material >anzuwendenaktuelle Bezug< weit hergeholt werden, was aber nicht heißt, daß er willkürlich ist. So lassen sich etwa die Zeremonial- und Festtheorien des Absolutismus nicht in politische Diskussionen der Gegenwart hineinziehen. Hier wären >Übertragungen< tatsächlich anachronistisch, auch wenn politische Leitartikler und politisierende Feuilletonisten mitunter verliebt sind in Vergleiche dieser Art und beispielsweise den Herrschaftsstil Breschnews als >barock< charakterisieren, Gorbatschow zum >Aufklärer< machen und Jelzin als eine Art gewählten >Zar< beschreiben. Die Erkenntnis-Chance am geschichtlichen Gegenstand hängt nicht davon ab, ob man das in der Vergangenheit Entdeckte in der Gegenwart wiederfinden kann. Es gibt auch wissenschaftliche Differenzgewinne, die aus der genauen Beschreibung dessen resultieren, was tatsächlich nicht mehr ist. Das gilt etwa für die politische Bedeutung der strafbewehrten Imagination der Heiligkeit des Herrschers. Während in der Tradition monarchischer Repräsentation die Linien über Jahrhunderte bis heute gezogen werden können, ist spätestens mit der Französischen Revolution die königliche Sakralität ein für allemal zerstört worden (dazu Kapitel 3 des I. Teils), jedenfalls was den europäischen Raum betrifft, denn bekanntlich wurde die Göttlichkeit des japanischen Tenno erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges aufgegeben, erzwungen durch eine Kapitulationsbedingung der amerikanischen Sieger. Die Vorstellung einer autokratischen Sakralität ist uns heute vollkommen fremd. Dennoch könnte ihre historische Beschreibung insofern auch für die Gegenwart herrschaftsästhetisch von Belang sein, weil sie die Frage nach der >Lücke< aufwirft, und danach, wie diese >Lücke< in den modernen konstitutionellen Medienmonarchien geschlossen wird. Was ist an die Stelle der fürstlichen Gottesstellvertreterschaft getreten? Vielleicht eine Art >Menschenstellvertreterschaft