Die Stadt als Bühne: Macht und Herrschaft im öffentlichen Raum von Rom, Paris und London im 17. Jahrhundert [1. Aufl.] 9783839429518

The Piazza San Pietro, the Place Royale, Covent Garden - these places mirror the history, culture, and social experience

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German Pages 424 Year 2015

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Die Stadt als Bühne: Macht und Herrschaft im öffentlichen Raum von Rom, Paris und London im 17. Jahrhundert [1. Aufl.]
 9783839429518

Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
2. Rom
3. Paris
4. London
5. Drei Städte als Bühnen: Rom, Paris, London
6. Nachwort / Danksagung
7. Bibliografie

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Werner Hennings, Uwe Horst, Jürgen Kramer Die Stadt als Bühne

Edition Kulturwissenschaft | Band 63

Werner Hennings (Prof. i.R. Dr.) lehrte an der Fakultät für Soziologie an der Universität Bielefeld mit den Forschungsschwerpunkten Stadtsoziologie und Entwicklungsforschung. Uwe Horst (Dr.) arbeitete als Historiker am Oberstufen-Kolleg der Universität Bielefeld. Jürgen Kramer (Prof. em. Dr.) arbeitete an der Fakultät für Kulturwissenschaft der TU Dortmund mit dem Forschungsschwerpunkt British Cultural Studies.

Werner Hennings, Uwe Horst, Jürgen Kramer

Die Stadt als Bühne Macht und Herrschaft im öffentlichen Raum von Rom, Paris und London im 17. Jahrhundert

Das Buch ist Resultat eines mehrjährigen Forschungsvorhabens, das von der Fritz Thyssen Stiftung gefördert wurde. Die Kosten für den Druck wurden ebenfalls von der Fritz Thyssen Stiftung übernommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Giovanni Paolo Pannini (1691/92-1765): Piazza Navona in Rom unter Wasser gesetzt. Landesmuseum Hannover/Artothek Satz: Gunnar Hanke Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-2951-4 PDF-ISBN 978-3-8394-2951-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1.

Einleitung | 7

1.1 Aspekte einer Theorie „narrativer Räume“ | 8 1.2 Stadtplanung und Bühnenbildung | 15 1.3 Geometrische Formen, Proportionen und Harmonien | 29

2.

Rom (Werner Hennings) | 47

2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6

Abriss einer Baugeschichte der Stadt Rom | 47 Piazza del Campidoglio | 56 Piazza Colonna | 76 Piazza Navona | 90 Piazza del Popolo | 108 Piazza San Pietro | 124

3.

Paris (Uwe Horst) | 153

3.1 Paris – die Entstehung einer Hauptstadt | 153 3.2 Place Royale – ein ‚schönes Theater des Erdkreises’ | 160 3.3 Place Dauphine – ‚der schönste und nützlichste Platz von Paris’ | 180 3.4 Place des Victoires | 202 3.5 Place Vendôme – vom Wandel des monarchischen Selbstverständnisses | 225 3.6 Hôtel des Invalides – „la plus grande pensée de mon règne“ | 255

4.

London (Jürgen Kramer) | 283

4.1 Statt einer Einleitung: Thesen zur Stadtentwicklung Londons | 283

4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8

England im 17. Jahrhundert | 285 London im 17. Jahrhundert | 295 Covent Garden | 301 Lincoln’s Inn Fields | 314 Das Feuer von 1666 und seine Folgen | 326 St. James’s Square | 331 Die Themse, der Royal Highway | 344

5.

Drei Städte als Bühnen: Rom, Paris, London | 371

5.1 Ein Vergleich ihrer Formen und Funktionen | 371 5.2 Symbolische Wirkungen und atmosphärische Qualitäten | 391

6.

Nachwort / Danksagung | 407

7.

Bibliografie | 409

1. Einleitung

Die vorliegende Studie „Die Stadt als Bühne“ geht davon aus, dass sich städtische Räume als Texte verstehen lassen, die von historischen Individuen, Gruppen und Gesellschaften geschrieben bzw. gestaltet und auch gelesen bzw. visuell wahrgenommen werden. Zu ihrer wissenschaftlichen Analyse bedarf es fachlicher wie fächerübergreifender Fragestellungen, die aus der Sozialgeographie, Raumsoziologie, Geschichtswissenschaft und den Kulturwissenschaften entwickelt und auf die komplexe sozio-kulturelle Frage nach „Macht und Herrschaft im öffentlichen Raum“ angewandt werden. Rom, Paris und London – so ist die Hypothese – waren im 17. Jahrhundert von ihren jeweiligen Herrschaftssystemen auch räumlich und architektonisch geprägt. Jedes Herrschaftssystem und seine Protagonisten haben durch bestimmte räumliche Anordnungen und architektonische Ensembles Botschaften formuliert, die – symbolisch aufgeladen – zur Herstellung, Legitimierung und Stabilisierung ihrer gesellschaftlichen Macht und Herrschaft beitragen sollten. Im Mittelpunkt des Raum schaffenden Interesses des 17. Jahrhunderts stand dabei nicht mehr der gesamtstädtische Zusammenhang der Renaissance, sondern eine kleinräumige Inszenierung von Straßen und Plätzen als Bühnen der Macht, die über eine Atmosphäre des Staunens, der Faszination und der kulturellen Zugehörigkeit Identität vermitteln und dadurch die bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse reproduzieren sollten. Ob und inwieweit diese Reproduktion erfolgte, ob die intendierten Botschaften als solche aufgenommen und akzeptiert oder aber in Zweifel gezogen bzw. zurückgewiesen wurden, will diese Studie beschreiben und die jeweiligen Ursachen analytisch erschließen.

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1.1 ASPEKTE

EINER

T HEORIE „ NARRATIVER R ÄUME “

Nicht nur die Sozial- und Kulturwissenschaften – aber sie vor allen anderen – haben seit geraumer Zeit den Raum neu entdeckt. Wollte man die Debatten der letzten Dekade um den sog. spatial turn dokumentieren, würde allein die Bibliographie einen eigenen Band füllen (stellvertretend sei auf Löw 2001, Schlögel 2006, Dünne/ Günzel 2006, Bachmann-Medick 2006: 284-328, Döring/ Thielmann 2008, Günzel 2009, Glasze/ Mattissek 2009 und Hallet/ Neumann 2009 verwiesen). Diese Neu- bzw. Wiederentdeckung hat zu unterschiedlichen Perspektiven in den Einzelwissenschaften geführt (vgl. Günzel 2009); allerdings lassen sich grob zwei Richtungen unterscheiden: für die eine bedeutet der spatial turn „eine gesteigerte Aufmerksamkeit für die räumliche Seite der geschichtlichen Welt – nicht mehr, aber auch nicht weniger“ (Schlögel 2006: 68). Für die andere bleibt der Raum jedoch nicht ein (zwar wichtiger gewordener) „Behälter“, in dem sich (von ihm mehr oder minder beeinflusste) soziale und kulturelle Prozesse abspielen, sondern der Raum wird als für eben diese Prozesse konstitutiv aufgefasst, so wie er selbst erst durch diese Prozesse konstituiert wird. Ein solches – relationales – Raumverständnis konstituiert den Raum und die Akteure gleichermaßen als Subjekt und Objekt. (Ein Schiffsladeraum erlaubt, muss er von Personen genutzt werden, nur wenig Bewegungsmöglichkeiten, aber er wird zu unterschiedlichen Räumen, je nachdem, ob es sich um einen Luxusdampfer oder einen Sklavenfänger handelt. Dieses Beispiel zeigt auch, dass bei aller Relationalität zwischen Raum und Akteuren die gelegentliche „Persistenz“ (Schroer 2009: 133) des physisch-materiellen Raumes nicht übersehen werden darf.) Nur wenn die Räume als Texte (oder ihnen Analoges) gelesen werden können, sind sie einer kulturwissenschaftlichen Analyse zugänglich. Dass dies möglich ist, soll im folgenden Theorieabriss gezeigt werden, der sowohl den Stand der Forschung als auch der eigenen theoretischen Vorarbeiten zusammenfasst. Dem Theorieabriss zugrunde liegen im Wesentlichen Ansätze aus der Raumsoziologie (Löw), Humangeographie (Knox/ Marston), Allgemeinen Soziologie (Giddens), Semiologie (Eco, Ogden/ Richards), Linguistik (Saussure, Heger), Kulturwissenschaften (Feld/ Basso, Selle). 1.1.1 Architektur und Raum als System von Zeichen „Landschaften (und Räume) sind Texte, die von in gesellschaftliche Prozesse eingebundenen Individuen und Gruppen geschrieben und gelesen werden“ (Knox/ Marston 2001: 276). In diesem Sinne können sie als das räumliche „Ar-

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chiv einer Gesellschaft“ (Löw 2001: 18) angesehen werden, in dem sich deren Kultur(en) und Erfahrungen widerspiegeln. Der Semiotiker Umberto Eco geht davon aus, dass Kultur im Wesentlichen aus Kommunikationsprozessen besteht und dass die Architektur, die einen Teil der Kultur bildet, wie jede andere räumliche Struktur als ein System von Zeichen betrachtet werden kann. In der Linguistik, dem Bereich der Semiologie, der wissenschaftlich am besten beschrieben, analysiert und theoretisch gefasst ist, unterscheiden wir zunächst einmal nach Ferdinand de Saussure zwischen „langue“ und „parole“. Während der Terminus „parole“ alle die sprachlichen Zeichen umfasst, die dem konkreten Rede-, Schreib- und Verstehensakt entspringen, bezeichnet der Terminus „langue“ die dem sprachlichen System zugrunde liegenden relevanten Einheiten und Kombinationsregeln, aus denen mündliche (Sprechakte) und schriftliche Texte generiert werden. Kommunikationstheoretisch formuliert handelt es sich also um die Unterscheidung zwischen „message“ („parole“) einerseits und „code“ („langue“) andererseits (vgl. Abb. 1). Abb. 1: Modell der sprachlichen Kommunikation

Quelle: eigener Entwurf

Das in der Kommunikation zwischen Sender und Empfänger übermittelte (sprachliche) Zeichen entspricht einerseits einem gedanklichen Begriff, von de Saussure „signifié“ genannt, der seinerseits auf einen Gegenstand, ein Objekt, einen Vorgang etc. verweist. Das Zeichen selbst hat keinerlei direkte Verbindung oder Beziehung zu diesem Objekt, allgemein auch Referent genannt (vgl. Abb. 2). Andererseits hat das sprachliche Zeichen aber nicht nur eine Bedeutungs-, sondern auch eine Form- oder Ausdrucksseite, von de Saussure „signifiant“ genannt. Die Zusammenhänge, um die es dabei geht, werden in Erweiterung des klassischen „semantischen Dreiecks“ von Ogden und Richards

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modellhaft von Heger im „semantischen Trapez“ dargestellt (vgl. dazu im Einzelnen: Heger 1971: 22-34). Abb. 2: Modell des semiotischen Dreiecks

Quelle: eigener Entwurf

Bei der Generierung von sprachlichen Texten verfügen die Sprecher über gedankliche Vorstellungen und Begriffe, denen eine bestimmte Bedeutung (SIGNIFIÉ) entspricht, die an ein sprachliches Zeichen geknüpft ist, das als solches im allgemeinen Inventar dieser Sprache als idealtypisch und allgemein verbindlich für die gesamte Sprachgemeinschaft verankert ist (SIGNEM) und das auf seiner Form- oder Ausdrucksseite einen dem entsprechenden Lautkörper oder eine Buchstabenfolge (SIGNIFIANT) ausweist. Aus diesem Inventar heraus generieren die Sprecher entsprechend ihrer gedanklichen Intention nun auf der Ebene der Sprachperformanz die konkreten Zeichen, die hörbar bzw. sichtbar werden als Lautkörper oder Schriftzeichen (signifiant), denen wiederum diesen Zeichen zugehörige Bedeutungen entsprechen (signifié). Zeichen bzw. eine bestimmte Abfolge von Zeichen sind dann die Botschaft (message), die die Sender den Empfängern übermitteln und die von den Empfängern aufgrund des übereinstimmenden Kodes entschlüsselt werden kann (vgl. Abb. 3, linke Hälfte). 1.1.2 Architektur und Raum als Kommunikation In der Übertragung des linguistischen Modells der Kommunikation auf die Generierung von Architektur und räumlicher Struktur ergibt sich ein ganz ähnlicher Zusammenhang: Ausgehend von gedanklichen Vorstellungen (BEGRIFFE), welcher Art die räumliche Struktur bzw. die Architektur von Gebäuden sein soll, greifen die Bauherren, Architekten und Planer auf ein für ihre Gemeinschaft historisch entstandenes wie wandelbares, aber jeweils allgemeingültiges Inventar von architektonisch-räumlichen Zeichen zurück (CHOREME), die auf der Ausdrucksseite an ihnen entsprechende Formen und Körper gebunden sind (REFERENTEN). Diese intentionalen und gedanklichen Akte finden, linguistisch for-

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muliert, auf der Ebene der „langue“ statt; dabei greifen die Bauherren, Architekten und Planer auf den räumlichen bzw. architektonischen Code zurück, aus dem heraus sie dann, auf der Ebene der „parole“, eine ganz bestimmte Architektur bzw. eine spezifische räumliche Struktur generieren, denen auf der Ausdrucksseite eine konkrete räumliche bzw. architektonische Form oder Gestalt entspricht („signifiant“) und denen auf der Inhaltsseite eine ganz bestimmte Bedeutung zukommt („signifié“): Dies ist die räumlich-architektonische Botschaft („message“) der Bauherren, Architekten und Planer, die von den Empfängern der Botschaft mittels des identischen Codes entschlüsselt und verstanden wird (vgl. Abb. 3, rechte Hälfte). Abb. 3: Semantisches Trapez

Quelle: eigener Entwurf

Räumliche Texte umfassen in dieser Perspektive eine primär ‚aktive‘, kodierende und sendende (platzierende) Seite einerseits und andererseits eine primär ‚passive‘, dekodierende und empfangende (verstehende) Seite: Wie im sprachlichen Kommunikationsprozess ein Sender sprachliche Zeichen an einen Empfänger übermittelt, so platzieren Akteure an Orten bestimmte materielle und soziale Güter (Kodierung), die eine Botschaft enthalten, die von anderen entschlüsselt werden kann (Dekodierung). Der ‚aktive‘ Teil dieses Prozesses – von Löw „Spacing“ genannt – besteht im Anordnen, in der Herstellung von räumlicher Struktur, der ‚passive‘ Teil – die „Syntheseleistung“ (Löw) – umfasst die Rezeption und Interpretation der vorgefundenen räumlichen Ordnung und Struktur. Wie oben aber bereits mit den in Anführungszeichen gesetzten Begriffen ‚ak-

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tiv‘/‚passiv‘ angedeutet, muss man sich hüten, die Vorgänge, die sich bei der Konstitution von räumlichen Texten vollziehen, durch eine einfache Dichotomisierung von ‚aktiv‘/‚passiv‘ zu simplifizieren: So wie sich das „Spacing“ (die Kodierung) nicht auf einen rein aktiven platzierenden Akt beschränkt, ohne zugleich und schon zuvor etwas von vorgefundener räumlicher Struktur (also ‚passiv‘ verstanden zu haben („Syntheseleistung“), d.h. die einer schon vorhandenen räumlichen Ordnung eingeschriebenen Güter, Strukturen und Regeln zu kennen, so ist auch die ‚passive‘ „Syntheseleistung“ nicht darauf beschränkt, ausschließlich zu empfangen und zu dekodieren; schon der Akt des Interpretierens und Verstehens enthält nämlich einen aktiven Part, der zugleich Grundlage und Ausgangspunkt einer eigenen Kodierung ist. Räumliche wie sprachliche Praxis ist nur vorstellbar als komplexes Produkt von Gattungs-, Kultur- und Individualgeschichte. „Wir meinen über die Fähigkeit zur Wahrnehmung von Raum naturwüchsig zu verfügen“ schreibt Selle (ebd.: 268), vergessen dabei aber, dass es sich bei den Fähigkeiten zu räumlicher Wahrnehmung und räumlicher Anordnung genauso verhält wie mit dem Prozess des Spracherwerbs, der ja auch das Produkt eines komplexen Sozialisationsprozesses ist. Am Anfang steht das Erlernen des Verstehens, ein Verständnis dessen, dass es lautliche Signale gibt, bedeutungsunterscheidende Einheiten (Phoneme), die sich in verschiedenen Kombinationen zu bedeutungstragenden Einheiten (Morpheme) verbinden. Erst dann, auf der Basis dieser zunächst grundsätzlichen, sich dann immer weiter verfeinernden und differenzierenden Spracherkenntnis (Verstehen) wird, darauf aufbauend, Sprechen möglich. Ganz ähnlich verhält es sich in der räumlichen Praxis: Erst wenn ein elementares, gesellschaftlich übermitteltes Verständnis von räumlicher Wahrnehmung („Syntheseleistung“) vorhanden ist, kann auch ein erster Akt des „Spacing“ unternommen werden. 1.1.3 Elemente des räumlichen Codes Wie der sprachliche setzt sich auch der räumliche Code auf seiner untersten Ebene zusammen aus den kleinsten nicht Bedeutung tragenden Einheiten („Phoneme“ in der Linguistik), die Eco (1972: 326) als „Elemente der klassischen Geometrie“ bezeichnet: Winkel, Gerade, Kurven, Punkte; die sich dann durch Kombinationsregeln zu den kleinsten Bedeutung tragenden Einheiten („Morpheme“ in der Linguistik, für die Theorie der räumlichen Kommunikation von Eco (ebd.: 326 f) als „Choreme“ bezeichnet) weiter entwickeln lassen: Quadrat, Dreieck, Rechteck, Kreis, Ellipse etc. Darauf aufbauend nennt Eco (ebd.: 329) typische Elemente des syntaktischen räumlichen Codes: Balken, Decken, Ge-

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wölbe, Auflager, Bögen, Pfeiler, Platten, Wände etc., während im semantischen Code die Elemente Dach, Terrasse, Mansarde, Kuppel, Treppe, Fenster, Tür, Säule, Giebel etc. erscheinen, die dann auf einer nächsten Ebene zu „Raumprogrammen“ zusammen gestellt werden können: Thronsaal, Gemeinschaftssaal, Wartesaal, Tanzsaal, auf der komplexeren typologischen Ebene zu Gattungen wie Krankenhaus, Villa, Schule, Schloss, Wohnblock, Bahnhof, Kirche etc., wobei hinsichtlich der Bedeutung der jeweiligen Elemente Größenmaße (Höhe, Länge, Breite, Distanzen) sowie die Aufwendigkeit der Ornamentik und Exklusivität eine wichtige Rolle spielen. 1.1.4 Die Konstitution von Sprache und Raum und die Konstitution der Gesellschaft Was bisher über die Konstitution von sprachlichen und räumlichen Texten zusammengefasst wurde, ist in der Soziologie und für gesellschaftliche Strukturen und Prozesse entsprechend ähnlich von Anthony Giddens beschrieben worden. In seinem theoretischen Grundwerk Die Konstitution der Gesellschaft (1988) unterscheidet Giddens grundsätzlich zwischen „Struktur“ und „Handeln“, einer Dualität, die er nicht als gegensätzlich, sondern als komplementär verstanden wissen will. Strukturen sind nach Giddens in Institutionen eingelagerte Regeln und Ressourcen, die Handeln erst ermöglichen und dabei rekursiv die Strukturen reproduzieren, aber auch modifizieren können. Um zu verdeutlichen, was er unter Struktur und Handeln versteht, verweist Giddens explizit auf das, was oben bereits anhand des Modells der sprachlichen Kommunikation beschrieben worden ist: Sender und Empfänger einer Sprachgemeinschaft verfügen, abgesehen von den angedeuteten Differenzen (Code 1, Code 2 etc.), über das gleiche sprachliche Inventar und die gleichen sprachlichen Regeln („langue“): Diesen entsprechen bei Giddens die gesellschaftlichen Strukturen, auf deren Grundlage gesellschaftliches Handeln erst möglich wird, ein Handeln, das sich aber zugleich rückbezieht auf die gesellschaftlichen Regeln, die dadurch gefestigt (reproduziert), aber auch verändert werden können, ganz ähnlich wie in der Sprache der Sprachgebrauch („parole“) das sprachliche Inventar und Regelwerk immer reproduziert und verändern kann. Darüber hinaus fällt bei der Rezeption der Giddensschen Gesellschaftstheorie noch eine weitere Ähnlichkeit zwischen gesellschaftlichen und sprachlichen Strukturelementen auf. Die „Regeln“ und „Ressourcen“, auf denen die „Strukturen“ beruhen, werden wie folgt erläutert: Regeln sind zu verstehen als Verfahrensweisen, die bei allen gesellschaftlichen Prozessen zwischen Individuen und sozialen Gruppen Sinn konstituieren und kodifizieren, während Ressourcen als so genannte „Medien“ („allokati-

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ve“/materielle Ressourcen aus der Naturbeherrschung und „autoritative“/symbolische Ressourcen hinsichtlich der Beherrschung von Personen) notwendig sind, weil ohne sie die Regeln nicht realisierbar oder umsetzbar sind – mit anderen Worten: Was Giddens hier als „Regeln“ bezeichnet, wird in der Linguistik „signifié“ (bedeutungstragende Einheit) genannt, und was bei Giddens begrifflich als „Ressourcen“ gefasst ist, wird in der Linguistik als „signifiant“ (bedeutungsunterscheidende Einheit) bezeichnet. Zusammenfassend kann nun formuliert werden, dass, so wie im Kontext von Sprache, konkrete Texte („parole“) auf der Grundlage eines gemeinsamen Verständnisses von relevanten Einheiten und deren Kombinationsregeln („langue“) entstehen, im Kontext von Gesellschaft Handeln ermöglicht wird durch das gemeinsame Verständnis von Strukturen. Im Kontext von Raum entstehen entsprechend konkrete „Orte“ („Anordnungen“ in der Terminologie von Löw) auf der Basis eines gemeinsamen Verständnisses von räumlicher Ordnung, wobei der Begriff „Raum“ nunmehr zweierlei umfasst: zum einen alle die in Regeln und Ressourcen eingeschriebenen Möglichkeiten, die „Orte“ im Sinne von konkret angelegten (platzierten) räumlichen Strukturen („Spacing“) hervorgebracht haben und weiter verändern können, zum anderen rekursiv das Verstehen und die Interpretation von „Orten“ („Syntheseleistung“), die ihrerseits das Inventar der vorhandenen Regeln und Ressourcen reproduzieren, aber auch verändern können – ganz ähnlich den rekursiven Prozessen, bei denen durch den Sprachgebrauch das Regelwerk selbst und, soziologisch gesehen, durch gesellschaftliches Handeln die gesellschaftlichen Strukturen mit ihren eingeschriebenen Regeln und Ressourcen reproduziert oder eben modifiziert werden können. 1.1.5 Symbolische Wirkungen und atmosphärische Qualitäten Durch „Spacing“ und „Syntheseleistung“ werden zunächst rein topographisch markierte Räume gesellschaftlich als solche kenntlich gemacht, in denen eine „relationale (An-)Ordnung sozialer Güter und Menschen an Orten“ (Löw 2001: 224) erfolgt. Diese Orte, d.h. ihre räumlichen Strukturen und Ordnungen, entfalten in der gesellschaftlichen Wahrnehmung bestimmte „symbolische Wirkungen“, die „atmosphärische Qualität“ des Raumes (ebd.: 229) („Spacing“). Über die atmosphärische Qualität fühlen sich die Menschen an Orten, d.h. in bestimmten räumlichen Ordnungen, wohl oder von ihnen abgestoßen, heimisch oder fremd, und sie reagieren auf die atmosphärische Qualität von Orten mit Zustimmung oder Ablehnung („Syntheseleistung“). Orte schaffen so über symbolische Wirkungen und atmosphärische Qualitäten Attraktivität, Identität und Zugehö-

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rigkeitsgefühle (Inklusion), sind aber auch geeignet, über die räumliche Ordnung organisierte Ausgrenzungen vorzunehmen (Exklusion) (ebd.: 228). Ergebnis der atmosphärischen Qualität von Orten kann zum einen ein „sense of place“ (Knox/ Marston 2001: 284), eine gefühlsbestimmte Ortsbezogenheit bis hin zur „Topophilie“ (Löw 2001: 290; vgl. auch die Feldforschungsberichte in Feld/ Basso 1996), eine feste Bindung zwischen Menschen und Orten, die Summe menschlicher Empfindungen durch Verknüpfung von persönlicher Erfahrung mit symbolhaften Bedeutungen vor Ort sein – oder zum anderen eine „Topophobie“, bei der Orte gefürchtet und gemieden werden. Eine solche emotionale Ortsbezogenheit entsteht im Zuge eines Wahrnehmungsprozesses, der sich aus „Elementen kognitiver Bilder“ (Knox/ Marston: 286) zusammensetzt, mit Hilfe derer die Informationen aus der Umwelt gefiltert und selektiert werden, weil sie prägend für Imagination und Erinnerung sind. Es sind v.a. die symbolischen Wirkungen und die atmosphärischen Qualitäten von Orten, die diejenigen, die über die entsprechenden materiellen, sozialen und kulturellen Ressourcen (Reichtum, Macht) verfügen, dazu motivieren, Orte zu „Schauplätzen“ zu inszenieren, räumliche Ordnungen zu schaffen, die „Geschichten“ – ihre Geschichten – erzählen (und dadurch narrative Räume schaffen) und die in ihrer symbolischen Wirkung eine Atmosphäre des Staunens, der Faszination und des kulturellen und gesellschaftlichen Halts, der Zugehörigkeit und der Identität vermitteln, wodurch zugleich die bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse reproduziert und legitimiert werden können.

1.2 S TADTPLANUNG

UND

B ÜHNENBILDUNG

In der Walters Art Gallery in Baltimore und in der Galleria Nazionale delle Marche in Urbino stehen zwei auf Holz gemalte Gemälde von Luciano Laurana (etwa 1470), die von Architekturhistorikern oft als Abbildungen der idealen Stadt in der Renaissance interpretiert werden. 1.2.1 Die Tafeln von Laurana: Abbildungen der idealen Stadt in der Renaissance? Stellvertretend sei hier Benevolo zitiert, der angesichts des sich in Urbino befindlichen Gemäldes auf die Lage des Palastes und den Grundriss der Stadt Urbino verweist, und schreibt: „Das Verhältnis zwischen Palast und Stadt kennzeichnet eine bewusst hergestellte Ausgewogenheit: Der Palast, zugleich Zentrum und Fassade der Stadt, hob sich in seinen Dimensionen nicht zu sehr von

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den anderen Bauten ab. Er bestand aus vielen einzelnen Teilen, die in der zu jener Zeit aufkommenden geometrischen Regelmäßigkeit gebaut wurden; sie wurde jedoch nicht zu einem Merkmal des Gesamtkomplexes. So verlieh die neue Architektur der Stadt ein stattlicheres Aussehen, ohne deren historische Kontinuität zu zerstören“ (1983: 586, vgl. Abb. 4). Abb. 4: Luciano Laurana: Bild einer Stadt

Quelle: Galleria Nazionale delle Marche, Urbino

In einer speziell diesen beiden Bilder Lauranas gewidmeten Arbeit widerspricht Krautheimer dieser Auffassung und kommt zu dem Urteil, dass diese beiden Tafeln die ersten Abbildungen von städtischen Bühnen darstellten: „in my opinion the panels are precisely the first representations of the scena tragica and the scena comica of the renaissance“ (1948: 328). In seiner diese These begründenden Argumentation zitiert Krautheimer Vitruv: „Tragic (scenes) are designed with columns, pediments (fastigia), statues and other regal surroundings; the comic (scenes) have the appearence of private buildings with balconies (moeniana), and overhangs (profectus) with windows made to imitate reality after the fashion of ordinary buildings…“ (Krautheimer 1948: 329), eine Festsetzung, die Alberti in seinem Lehrbuch „De Re Aedificatoria “ , etwa zwanzig Jahre vor der Entstehung von Lauranas Tafeln publiziert, für die Renaissance festschreibt: „…the magnitude of the building should be adapted to the dignity of the owner… the royal palace should be the first in beauty and magnificence…(those for the common people)…need not be beautiful but merely practical.. “ (zitiert nach Krautheimer 1948: 333). In Barbaros architektonischer Übersetzung für den Bühnenbau liest sich dies wie folgt: „Tragic scenes are painted with tall palaces, beautiful porticoes, magnificent edifices, sumptuous arches, and military avenues; to the comic scenes are given private houses, taverns, alleys and narrow streets…“ (ebd.: 332). Die von Krautheimer der tragischen Bühne zugeschriebene Tafel (Abb. 5) zeigt im Vordergrund adlige Paläste auf hohen Plattformen. Der Brunnen ist von

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vier Figuren tragenden Säulen flankiert, das Marmorpflaster ziert ein feines Muster. Im Hintergrund erheben sich ein Miniatur-Kolosseum, ein Triumphbogen und ein oktagonales Gebäude, bei dem es sich nur um einen Tempel handeln kann. Ganz in der Ferne, genau in der Bildmitte und durch den mittleren Bogen des Triumphbogens platziert, ein Turm, von Krautheimer als „regia“ bezeichnet, das Machtzentrum. Abb. 5: Luciano Laurana: Bild einer Stadt

Quelle: Walters Art Gallery, Baltimore

Demgegenüber erscheint die in Urbino ausgestellte Tafel wesentlich weniger feierlich und nicht so von der Antike geprägt. Die Fassaden der Häuser sind unregelmäßig, asymmetrisch, mit Balkonen versetzt, in ihrer Höhe abweichend, der Brunnen nicht zentral platziert. Der zentrale Rundbau, der auf den ersten Blick als Tempel erscheint, entpuppt sich bei näherem Hinsehen eher als eine nach antikem Vorbild konzipierte Markthalle – ein städtisches Muster, das Alberti eindeutig dem bürgerlichen Milieu einfacher Leute zugedacht hätte (Krautheimer 1948: 334-337). 1.2.2 Scena Comica und Scena Tragica Besonders ausführlich widmet sich Sebastiano Serlio in seinem Mitte des 16. Jahrhunderts publizierten Standardwerk über Architektur und Städtebau „Il primo e il secondo libro d’ architettura“ der Zusammenstellung von Bauten des städtischen Milieus, das seither die Bühnen des Theaters in der Renaissance prägen sollte. Dem komischen Theater schreibt er nach dem Vorbild von Vitruv

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und Alberti ein durch bürgerliche Bauten geprägtes Milieu vor, während für das tragische Theater seinen Vorstellungen gemäß ein nobles, dem Adel angemessenes Stadtbild vorherrschen soll; die Ausführungen über das satirische Theater seien hier vernachlässigt, weil dieses Theatergenre für die Stadtplanung des 17. Jahrhunderts keine Rolle spielte. Unter dem Kapitel „Della Scena Comica“ wird das dementsprechende städtische Milieu des Bürgertums beschrieben: Justizangestellte, Händler, Schaulustige und andere gleicher Art. Für diese gibt es ein Logisbedürfnis wie die Unterkunft einer Liebesvermittlerin, eine Kirche, eine Gaststätte; alle Gebäude von begrenzter Höhe, mit Bögen moderner Bauart versehen und Gebäudeteilen, die nicht in gerader Bauflucht verlaufen, sondern hier und da in den öffentlichen Raum hineinragen, so dass versteckte Winkel und Ecken entstehen. Im Wortlaut heißt es: Ie despecheray ceste comique la premiere, & pour ce faire fault presuposer que ses maisonnages doiuent estre propres a personnes priuez, comme sont Bourgeoys, gens de loy, marchans, curiahstes, & autres de pareille estoffe. Et entre ceulx la est besoing qu’il y ait le logis d’vne messagiere d’amours, que nous appelllons macquerelle. Vn temple, & vne hostellerie, dont i’ay desia baillé l’ordonnance pour les releuer sur le plant…Ains seulement ay representé l’inuention, pour enseigner a si bien eslire l’ordre des bastimens, que quand ilz seront mis en oeure, le tout puisse venir a point, & auoir vne bonne grace, comme seroit vn porche percé a iour, derriere lequel on peust voir vn autre bastiment de la taille de ce premier. Les arcz duquel sont faictz d’oeuure moderne, dont les appentiz ou voletz ont merueilleuse force a l’endroit des raccourcissemens, aussi ont bien quelques cornices …(Serlio: 67f, vergl. auch den beigefügten illustrierenden Holzschnitt, Abb. 6).

Im Unterschied zu der komischen Bühne präsentiert sich die tragische Bühne gemäß Serlio gediegener und bietet den Blicken der Zuschauer das Milieu des hohen Adels, Königen, Herzögen, Grafen und Herrschaften gleichen gesellschaftlichen Ranges angemessen, Gebäude, die ihrem Rang und ihrer Größe entsprechen, prachtvoll und herrschaftlich: La Scene Tragique sert a representer Tragedies. Les bastimens doiuent estre conuenables a grans personnages, a raison que (suyuant la doctrine Tragicomedies antiques & modernes) les accidentz amoureux & mesauantures inoptinées, don’t la fin sont mortz violentes & cruelles, aduiennent coustumierement es maisons des grans seigneurs, comme sont roys, ducz, contes, & semblables. A caste cause (comme I’ay dict) en lieu destine pour iouer telles choses ne se scauroit faire bastiment qui ne sente sa grandesse (ainsi que ie de-

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monstre par ceste figure). Toutesfois pour estre la feuille si petite, il ne ma esté possible y faire voir les edifices suptueux & seigneuriaux (Serlio: 68f).

Abb. 6: Idealbild einer Komischen Bühne

Quelle: Serlio: 67f

Auf dem beigefügten Holzschnitt sieht man eine breite, zu einem Platz ausgeweitete Straße, die im Vordergrund auf beiden Seiten von reich mit Torbögen, Säulen, Loggien und Balkonen versehenen Palais flankiert ist, rechts im Mittelgrund einen antiken Tempel. Dahinter wird die Bühne abgeschlossen durch einen Triumphbogen, dessen Spitze von drei Stauen gekrönt ist und der einen Durchblick auf zwei ägyptische Obelisken gewährt (Abb. 7).

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Abb. 7: Idealbild einer Tragischen Bühne

Quelle: Serlio: 69

1.2.3 Die Bühne ist ein städtischer Platz und reale städtische Plätze sind Theater, Bühnen im städtischen Leben In der Renaissance erscheint also die Stadtplanung durchweg im Kontext von Bühnenbildung: From the renaissance on, town planning had been interwoven with stage design. An ideal city, hard to build in the real world, was easily constructed in canvas and wood on the stage…Reality and fiction intertwine. The stage is a piazza in the city; conversely, real piazza, buildings and streets are teatri, showpieces, in which modern buildings and ancient monuments reflect the glories of ancient and contemporary Rome (Krautheimer 1985: 114 und 117).

Zunächst allerdings blieb die Repräsentation des städtischen Lebens auf das Bühnenbild innerhalb der im 16. Jahrhundert neu errichteten Theaterbauten beschränkt. Das Teatro Olimpico in Vicenza ist ein immer wieder zitiertes Beispiel für Krautheimers These. 1580 von Palladio entworfen und nach seinem Tod von seinem Schüler Scamozzi bis 1586 fertig gestellt, wird die Bühne als ideale antike Stadt dargestellt: Durch das Portal einer Palastfassade blicken die Zuschauer anscheinend weit in die Ferne auf eine schnurgerade, von Palästen ge-

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säumte Straße, die am Ende von einem Trium umphbogen abgeschlossen wird (Abb. 8): man fühlt sich an Lauranas Tafel erinnert rt, die das ideale Bild einer tragischen Bühne darstellt. Einige Jahre später, zwischen 1587 und nd 1590, baute Scamozzi im Auftrag des lombardischen Herzogs Vespasiano Gonzaga Go das Teatro Olimpico von Sabbioneta, einer kleinen Musterstadt der Renaissance R in der Lombardei. Wie schon in Vicenza ist auch im Bühnenbild ld des Theaters von Sabbioneta eine zentrale Straßenschlucht von entscheidende der Bedeutung (Abb. 9). Die Straße wird durch eine Verengung der sie begrenze nzenden randlichen Bebauung so verengt, dass eine Tiefenwirkung entsteht: Diee Bühne B wirkt so weit tiefer, als sie es in Wirklichkeit ist. Perspektive lautet das Stichwort St in der Renaissance, in dessen Kontext der Bühnenbau in den klassisch schen Lehrbüchern der Zeit behandelt wird. Dabei ist jedoch die perspektivischee Konstruktion, K wie Krautheimer hervorhebt, nur ein Mittel bei der Schaffung des es Bühnenbildes; der Inhalt, das städtische Milieu, hatte Vorrang vor der Form,, der d Perspektive: „It (the perspective) was used to realize, within the clearly define ned and perceptible space of the Early and High Renaissance, the appropriate backg kgrounds for theatrical performances“ (1948: 329).

Abb. 8: Bühnenbild im Teatro Olimpico in Vicenza Vi

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Teatro_Olimp pico_%28Vicenza%29 (25.06.2015)

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Abb. 9: Bühnenbild im Teatro Olimpico co in Sabbioneta

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Teatro_ o_Olimpico_%28Sabbioneta%29 (25.06.2015)

1.2.4 Der Bühnenbau als Aufga abe der Architektur und des Städtebaus In nahezu allen Lehrbüchern der Archi hitektur in der Renaissance wird der Bühnenbau als eine Aufgabe von Architekt ktur und Städtebau betont. Ausgangspunkt ist, wie beispielhaft in dem von Sebasti stiano Serlio 1545 auf Italienisch und Französisch verfassten „Secondo Libro dii Perspettiva“ zu sehen ist, der enge Zusammenhang von geometrischen Rege geln, Perspektive und Theater- (Bühnen-) bau. Der Bühnenbau wird in der Renais aissance besonders hervorgehoben, weil die Perspektive hier auf so wundersame Weise W besonders zu behandeln und zu beschreiben sei. Nachdem er nun in seine nem ersten Buch die Geheimnisse der Geometrie offenbart habe, ohne die es nahe hezu ausgeschlossen gewesen sei, bis hierher zu gelangen, schreibt Serlio, würde rde er sich nunmehr alle Mühe geben, bei aller der Tradition gebotenen Kürze, den de Architekten in der Sache (des Bühnenbaus) zu erleuchten: Encores que l’art de perspectiue soit meruei eilleuseme difficile a traicter en escipture, principalement ou il est question des corps releu leuez sur le plan, & qu’il se puisse mieux enseigner de viue voix, que par doctrine ou auc ucun poutrait: ce non obstant purce qu’en mon premier liure i’ay desia ouuuert les secretz de d Geometrie, sans laquelle est presque impossible de peruenir a ce beau degré, ie prendra dray peyne soubz la plus brieue tradition que ie pourray, d’en donner tant de lumiere a l’Arc rchitecte que cela deura suffire au besoing qu’il

en pourroit auoir… (Serlio: 25).

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Der entscheidende Punkt beim Bühnenbau u ist i für Serlio, den Horizont so weit wie möglich zurück zu verlegen. Aus derr Betonung B der perspektivischen Verlängerung des Bühnenbildes entsteht die kla lassische Form der Bühne in der Renaissance: das Trapez (Abb. 10): Et pourtant que certains Architectes ont pose l’or orizon en la derniere muraille qui termine la Scene, & qu’il est force le releuer du plant, du duquel sont ladicte muraille, ou il semble que tous les bastimens se rencontent, ie pensay een moymesme que ie feroye passer cest orizon plus arriere, & cela me succeda si bien que ue de depuis quand c’est venu à faire telles enterprises I’ay tousiours suyuy caste voye, laque uelle ie conseille tenir a tous ceulx qui se delecteront de choses semblables, suyuant ce quee I’en ay desia predit, & que ie monstreay par figure au fueillet ensuyuant, ou ie designeray y la l forme du Theatre (Serlio: 64f und 65).

Abb. 10: Modell einer Theaterbühne

Quelle: eigener Entwurf nach Serlio: 66 f

Die Formgebung für den Zuschauerraum folg olgt in der Renaissance zunächst noch den Vorbildern der klassischen Antike:: Sowohl in Vicenza als auch in Sabbioneta ist der Raum halbkreisförmig g konzipiert. Der Kreis, neben dem Quadrat die beherrschende geometrische Form F in der Renaissance, besticht durch seine Einfachheit und Klarheit. Ein Kreis K hat weder Anfang noch Ende und kann so als Symbol der Unendlichkeit, it, als ewiger Fluss des Lebens, also Unsterblichkeit, Einheit und Vollkommenh nheit gedeutet werden (Brogi: 226; Grütter: 140), als göttliche Perfektion (Abb.. 11 1 und 12).

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Abb. 11: Theatersaal und Bühne im Tea eatro Olimpico in Sabbioneta

Quelle: Originalplan von Scamozzi, Uffizien ien, Florenz

Abb. 12: Bühne und Zuschauerraum im m Teatro Olimpico in Vicenza

Quelle: www.teatrolimpicovicenza.it (25.06. 6.2015)

Die Formgebung ändert sich im 17. Jah ahrhundert; der Zuschauerraum wird in der Länge gestreckt, aus dem Halbkreis wird wi ein Oval. Die Figur des Ovals stellt eine spielerische Verzerrung der Form des Kreises dar. In der Form seines Umfangs weicht es vom Mittelpunkt ab; die Form liegt außerhalb seines Mittelpunk– exzentrisch. Die vom Kreis tes und ist deshalb abweichend und überspannt ü abgeleitete Figur des Ovals ist ganz ähnlich ä wie zuvor der Kreis definiert als Figur ohne Anfang und ohne Ende, also lso ein Zeichen für Unendlichkeit und Unsterblichkeit. Im Zeitalter des Barocks cks war man sich aber bewusst, dass der Mensch ein vergängliches und sehr endliches e Wesen ist; die Verzerrung der Kreisform könnte daher auch andeuten, en, dass der Mensch und seine Werke eben

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nicht der im Kreis symbolisierten göttlichen en Vollkommenheit gleich sein können. „Im Barock wird die menschliche Exist istenz aufgrund ihrer Vergänglichkeit und Sündhaftigkeit durch entsprechend fragi gile, spielerische, nur ihrem Ursprung nach kreisförmige Figuren (etwa Seifenblase se, Tautropfen, kreisende Glühwürmchen) ausgedrückt, die dem Vergleich mit der de göttlichen Vollkommenheit allenfalls durch göttliche Gnade standzuhalten en vermögen“ (Brogi: 226). In den Grundrissen und Deckenformen der barocken en Theater in Mantua und Venedig ist diese Fragilität in der Abwandlung ehema mals kreisförmigen Figuren deutlich erkennbar (vgl. Abb. 13 und 14). Die Abwa wandlung des Kreises hin zum Oval könnte also als Hinweis des Baumeisters gedeutet ge werden, dass die Perfektion der Kreisfigur, Sinnbild der Welt göttlicher er Perfektion, letztlich doch nicht mit dem Prinzip der menschlichen Unvollkommeenheit zu vereinbaren ist.

Abb. 13: Vom Halbkreis zum Oval: Teatro Scientifico Sc in Mantua

Quelle: www.domusweb.it/content/domusweb/it/arte/2013 13/04/01/ritratto-di-uno-spazio.html

(25.06.2015)

Abb. 14: Vom Halbkreis zum Oval: Teatro La Fenice in Venedig

Quelle: eigene Aufnahme

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Von den im Italien des 17. Jahrhunderts entstandenen Theaterbauten ist keines erhalten geblieben, aber die berühmten Theater des 18. Jahrhunderts setzten die barocke Formgebung fort. 1.2.5 Vom Theater in geschlossenen Räumen zum Theater im Freien Im 17. Jahrhundert werden Bühne und Zuschauerraum zunehmend ins Freie verlegt: Die Stadt selbst wird auf ihren öffentlichen Plätzen zur Bühne und zum Theater; auf römischen Plätzen wie Piazza S. Pietro, Piazza del Popolo, Piazza Navona und Piazza del Campidoglio werden jeweils eigene Theatervorstellungen gegeben: Ecclesia triumphans et ecclesia militans auf dem Petersplatz, zeremonielle Empfänge für hochstehende Persönlichkeiten anlässlich ihrer Rombesuche sowie Volksfeste und Karnevalsumzüge auf der Piazza del Popolo und der von dort ins Zentrum der Stadt führenden Via del Corso, Feste für den höheren Adel und Klerus Roms auf der Piazza Navona und die Zurschaustellung antiker römischer Größe auf dem Kapitolplatz (vgl. dazu ausführlich die Platzbeschreibungen in späteren Kapiteln). Bahnbrechend waren in dieser Hinsicht schon Ende des 15. Jahrhunderts die Aktivitäten des Giovanni Sulpizio da Veroli, der auf dem Campo dei Fiori in Rom vor dem Palazzo Riario eine städtische Kulisse für Theateraufführungen installierte. In einem Brief an den Kardinal Riario plädierte er vehement für den Bau von Theatern: „Of churches we have a goodly number and you can build them when you are old… The late Pope Sixtus, the present Pope Innocent have improved and are improving the looks of the city. What, then, is left for our time to do aside from bringing water to the town and from setting up a theatre…” (zitiert nach Krautheimer 1948: 343). Letztlich vergingen aber noch fast zweihundert Jahre, bevor mit Bernini und Papst Alexander VII. die ersten offenen städtischen Bühnen in Rom entstanden. Von Pietro da Cortona, neben Bernini und Borromini einer der bedeutendsten Architekten des Hochbarock, stammt ein Bühnenbild, das offensichtlich von den von Michelangelo entworfenen und sich auf dem Kapitol gegenüber stehenden Gebäuden des Palazzo dei Conservatori und des Palazzo Nuovo inspiriert ist; zentral zwischen den beiden Palästen ist die Fassade der Jesuitenkirche „Il Gesù“ zu erkennen, alle Gebäude stehen auf den Ruinen einer antiken Welt (Abb. 15). Von Bernini selbst stammt ein Bühnenbild, das ganz offensichtlich von der Piazza del Popolo mit den drei von ihr ausgehenden Straßen und einer der von ihm entworfenen Zwillingskirchen inspiriert ist, „appropriate for a tapestry,

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perhaps a theater curtain… Stage set and urban texture intertwined“ (Krautheimer 1985: 125; Abb. 16). Abb. 15: Die Bühne ist ein städtischer Platz und die Stadt ist Theater: Die kapitolinischen Paläste und die Kirche „Il Gesù“ als Bühnenbild

Quelle: Pietro da Cortona in: Martinelli: Disegni d’edifici in Roma,I, f. 40, Raccolta Bertarelli, Mailand, Castello Sforzesco

Abb. 16: Die Piazza del Popolo als Bühne, Skizze Bernini

Quelle: Krautheimer 1985: 124

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Der Begriff „teatro“ für einen ovalen Platz trifft, wie Kiato notiert, die Semantik der Zeit. Er zitiert aus den päpstlichen avvisi zum Petersplatz „quel gran teatro attorno la piazza“, um dann zu präzisieren, dass das Wort teatro prägnant eine architektonische Schöpfung bezeichnet, die sowohl den Portikus als auch den Raum umfasst, den dieser einschließt (Kitao: 20). Zu Zeiten Berninis galt das Oval als vollkommene Form für ein Theater, gemäß Meinung seines Zeitgenossen Alveri schließt es nämlich in seiner Konstruktion zwei Kreise ein; wobei der Kreis als die perfekte geometrische Figur angesehen wurde, weil er weder Anfang noch Ende hat und somit der Unendlichkeit, der Ewigkeit entspricht, Symbol der göttlichen Unsterblichkeit, Einheit und Vollkommenheit: Der Petersplatz „…è cinto da vn magnifico portico, che lo rende in forma di Teatro, opera del Caualier Bernini famoso, & insieme ingenero, fatto d’ordine di Nostro Signore Alessandro Settimo… Il Teatro, come diceuo è di forma ouale, che è la piu perfetta, essendo composto di dui cerchi…“ (Alveri: 153). Die Assoziation des ovalen Platzes mit einem Theater ist aus einem Vergleich mit dem Amphitheater abgeleitet und v.a. mit der Idee des Kolosseums verbunden, dem Amphitheater schlechthin (Kitao: 21). Hinzu kommt, dass der das Zentrum des Petersplatzes dominierende Obelisk aus dem (ebenfalls ovalen) Zirkus des Nero stammt, einer dem Amphitheater sehr ähnlichen Einrichtung, die sich im antiken Rom ziemlich genau da befand, wo heute der Petersplatz liegt, wie schon Alveri in seinem Buch 1664 schreibt. Das barocke Theater in Italien ist aus zwei Teilen mit unterschiedlichen geometrischen Grundrissen zusammengesetzt: Die Bühne ist ihrer Form nach als Trapez gebaut, der Zuschauerraum formt sich zum Oval. Auch Berninis Theater auf dem Petersplatz besteht aus zwei Teilen, der eigentlichen Bühne (das Trapez der Piazza Retta) und dem Zuschauerraum (das Oval der Piazza Obliqua). Benevolo macht darauf aufmerksam, dass vom Juli 1656 an in den vatikanischen Dokumenten für den Petersplatz der Begriff „teatro“ in Gebrauch kommt, und führt aus, dass, technisch gesehen, die Hohlform des Ovals um den Obelisken dazu führt, dass die Menschen, die die Piazza Obliqua in Massen füllen, nicht nur die Vorgänge und Szenen genau sehen können, die sich auf der höher gelegenen Ebene der Piazza Retta und in den Fenstern der Fassade abspielen, sondern auch sich selbst und die Gefühlsregungen, von denen sie mitgerissen werden (Benevolo 2004: 53). Es sind solche Gefühlsregungen, auf die es den Baumeistern des Barock und ihren Auftraggebern ankam, Momente des Staunens und der Faszination zu schaffen, Orte und Bilder des kulturellen und gesellschaftlichen Halts, die sich den Zuschauern beim Betrachten des Bühnenbilds buchstäblich aufdrängen, eine Welt voller symbolischer Wirkungen und atmosphärischer Qualitäten, denn hier

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sieht man, auf knappem Raum zusammengestellt und dichtgedrängt, große antike Tempel, verschiedene Gebäude, nah und fern, schöne und weiträumige Plätze, dekoriert mit mehreren Bauten, lange und gerade Straßen, die von Querungen unterbrochen werden, Triumphbögen, hohe und wundersame Säulen, Pyramiden, Obelisken und tausend andere Singularitäten, alles angereichert mit großen, mittleren und kleinen Lampen dergestalt angeordnet, dass alles aufleuchtet, als wären es Rubine, Diamanten, Saphire, Smaragde und ähnliche Edelsteine. Entre les choses faictes par la main des hommes dont lon se peult esmerueiller, & receuoir contentement doeuil, auec satisfaction de pensée, a mon iugement c’est l’appareil de quelque Scene quand on vient a le descouurir. La raison est, que lon y voit en peu d’espace aucuns palais dressez par l’art de perspectiue, auec grans Temples & diuers maisonnages proches & loingtains de la veue, places belles & spacieuses decorées de plusieurs edifices, rues longues & droittes, coysèes de voyes trauersantes, arcz de triumphe, colonnes haultes a merueilles, Pyramides, obeliques, & mille autres singularitez, enrichies de lumieres grandes moyennes & petites, ainsi comme l’art de comporte, ordonnèes par tel artifice qu’elles semblent autant de pierres precieuses rendantes une lueur admirable, comme seroient Rubiz, Dyamans, Saphirs, Esmerauldes & choses semblables… (Serlio: 63f).

1.3 G EOMETRISCHE F ORMEN , P ROPORTIONEN UND H ARMONIEN Als Michelangelo an seinem Plan für die Gestaltung des Kapitolplatzes arbeitete, waren die Architekten und Baumeister der Zeit von den Idealen der Renaissance erfüllt, die ihrerseits auf die Werte und Normen der Antike zurückgehen. Für die Pythagoreer z.B. war die universelle Ordnung letztlich mathematischer Natur; die Harmonie der Welt beruhte dem zu Folge also auf dem Verhältnis von Zahlen; die Zahl galt als Essenz aller Dinge. Augustinus wird zitiert, Architektur sei eine Kunst göttlicher Ordnung, die auf der Anwendung geometrischer Gesetze beruhe: „Du (Gott) hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet“ (Delfante: 89). Davon abgeleitet ist das architektonische und städtebauliche Leitmotiv der Renaissance: „Ordo, pondo et mesura, artem sine scientia nihil est“ – Ordnung, Gewicht und Maß, nichts ist die Kunst ohne Wissenschaft, d.h. Mathematik. In den Lehrbüchern der Renaissance über Architektur nehmen die Geometrie und ihre Formen deshalb einen übergeordneten Rang ein. So beginnt z.B. auch Sebastiano Serlio sein Lehrbuch über die Architektur mit der These, dass die Architektur nur unter strenger Befolgung der Regeln der Geometrie Proportionen

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und Harmonie hervorbringen könne, um gleich im Anschluss daran die wichtigsten geometrischen Formen aufzulisten n und u zu definieren: Punkt, Gerade etc. bis hin zu den komplexen Formen mehrere erer zusammengeführter Quadrate, Rechtecke und Dreiecke (Serlio 1545: ohne Seitenangabe). Se

1.3.1 In der Ordnung der Geom metrie spiege ln sich die Harmonie der Welt un nd die Anmut des Menschen Obwohl die geometrischen Formen also lso für die Architektur der Renaissance und des Barock ganz offenbar Ausgangsp spunkt allen architektonischen Schaffens her jeglicher semantischen Festlesind, enthalten sich die Verfasser der Lehrbüc L gung der von ihnen bevorzugten geom metrischen Formen. Unbestritten ist allein ihr architektonischer Stellenwert in dem em Sinne, dass die Harmonie der Welt und letztlich auch die Anmut des Menschen en selbst v.a. in der Ordnung der Geometrie begründet liegt, eine Auffassung, die auf au die Lehrmeinung der antiken Autorität in Fragen der Architektur schlechthin (Vitruv: De architectura) zurück greift: Vi Liegt ein Mensch mit gespreizten Armen und un Beinen auf dem Rücken, und setzt man die Zirkelspitze an der Stelle des Nabels ein und un schlägt einen Kreis, dann werden von dem Kreis die Fingerspitzen beider Hände und ddie Zehenspitzen berührt. Ebenso wie sich am Körper ein Kreis ergibt, wird sich auch die Figur F des Quadrats an ihm finden (Vitruv: 87).

Abb. 17: Das architektonische im mensc schlichen Maß: Quadrat und Kreis

Quelle: Leonardo da Vinci: L’uomo vitruvia iano; Galleria dell’Accademia, Venedig

Ausgehend von der bekannten Zeichnu nung Leonardo da Vincis (Le proporzioni umane secondo Vitruvio (1496), Abb.. 17) 1 sind damit die für die Renaissance und

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das Barock geltenden architektonischen Normen Nor vorgegeben: Maßstab, Gleichgewicht, Harmonie, Axialität und Symmetr trie – Normen, die in den geometrischen Figuren Quadrat und Kreis zu Grundee liegen.

1.3.2 Eine euklidische Formel für Leonardos Le Figur Die geometrische Analyse des von Leonard ardo in einen Kreis und ein Quadrat gestellten Menschen zeigt, dass beide unters erschiedliche Mittelpunkte haben: das Quadrat in den Genitalien, der Kreis im Bauchnabel Ba des Menschen. Der Kopf grenzt an den oberen Rand des Quadrats, die ie Füße ruhen sowohl auf dem Quadrat wie auf dem Kreis. Der Bauchnabel ist der de geometrische Bezugspunkt (Punkt O, Abb. 18), von dem aus sich die Beine des d Menschen im Kreis nach außen bewegen, ein Winkel von exakt 60°, ein gleic eichwinkliges und gleichseitiges Dreieck. Ein um dieses Dreieck gelegtes Quadrat rat mit der Seitenlänge b umfasst eine Fläche b² (Abb. 18.1). Auch die Arme von on Leonardos Menschen haben einen Mittelpunkt (Punkt Q, Abb. 18.2); um diesen ese Mittelpunkt beschreiben sie eine Drehbewegung von 45°.

Abb. 18: Die euklidische Formel für das menschliche men Maß in Leonardos Zeichnung

Quelle: Valli: 24

Die Verbindung der vier Endpunkte dieser Drehbewegungen D ergibt ein Rechteck mit den Seitenlängen a und a-b, dessen Flä läche sich nach a X (a-b) berechnet. Das durch die Beinrotation definierte Quad adrat hat den gleichen Flächeninhalt wie das durch die Armrotation definierte Rechteck: Re b² = a X (a-b). Die Flächen des Quadrats und des Rechtecks stehen zueinander e in der Zahlenrelation bzw.

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Proportion von 1:1=1, dem „Einklang“. In der Zusammenschau bilden sie in ihren Umrissen den Buchstaben T, dessen Teilflächen in der Formel b² + a X (ab) zusammengefasst in ihrer Zahlenrelation (1:1) die „ewige Proportion“ (proporzione continua, Valli: 24; Abb. 18.3), auch die „göttliche Proportion“ genannt werden. Die göttliche Proportion entspricht dem antiken griechischen Prinzip der dynamis, d.h. der andauernden Spannung, die einer Symmetrie zugrunde liegt, die auf drei anstelle von zwei Elementen ausgeübt wird; eine Symmetrie, die die Kunstgeschichte des Abendlandes beherrscht hat, auch in der Musik; als Ausgangsdimension wird nunmehr die Zeit und nicht mehr der Raum genommen. Das Prinzip der dynamis wird durch einen fortlaufenden Rhythmus begründet, dem jede Kreatur und jede menschliche Kreation mit Anspruch auf Harmonie und Schönheit unterworfen ist, im Körper wie in den Bauten, die sich am Körper orientieren. Zu der Zeit, als Leonardo sein T in der menschlichen Figur zeichnete, war dieses bereits ein anerkanntes und vielfach bestätigtes Symbol in der Literatur, der Zeichenkunst und der Mathematik und zog wesentliche Bezüge aus der griechischen und hebräischen Tradition bis hin zu der christlichen Vorstellung, die in dem Zeichen die Bestätigung Gottes auf dem Angesicht seiner menschlichen Diener sah (Valli: 24, Übersetzung: W.H.)

Ähnliche geometrische Formelzusammenhänge werden deshalb auch in den meisten Lehrbüchern über Architektur in der Renaissance explizit in den Vordergrund gestellt, so z.B. bei Cesario: homo ad circolum (Abb. 19.1) und homo ad quadratum (Abb. 19.2). Scamozzi geht in seiner Abhandlung noch über die Darstellung der geometrischen Grundformen hinaus, indem er den im Kreis und Quadrat stehenden Menschen in einen Rahmen mit darüber hinausgehenden geometrischen Formen stellt (Abb. 20). Auch Wittkower nimmt in seiner Studie „Grundlagen der Architektur im Zeitalter des Humanismus“ Bezug auf die Geometrie und die Vitruvsche Maxime, dass die Architektur in ihrer Ordnung die Proportionen des menschlichen Körpers widerzuspiegeln habe, da der Mensch das Ebenbild Gottes sei und die Maße des menschlichen Körpers also durch göttlichen Willen geordnet seien und so die „Maßverhältnisse in der Baukunst die Ordnung des Weltalls umfassen und zum Ausdruck bringen. – Doch welches sind die Gesetze dieser kosmischen Ordnung, welches sind die mathematischen Verhältnisse, die im Makrokosmos und im Mikrokosmos die Harmonie bestimmen und zuwegebringen?“ – das ist seine zentrale Frage (Wittkower 1983: 83).

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Abb. 19: Cesariano: homo ad circulum und homo ad quadratum

Quelle: Holzschnitte in Cesariano, C.: Di Lucio Vitruvio Pollione Architectura, Buch III: L und XLI, Mailand 1521

Abb. 20: Holzschnitt Geometrische Grundformen

Quelle: Scamozzi, V.: L’idea della architettura universale, Teil I, Buch I: 40

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1.3.3 Die Entdeckung des Pythagoras Einführend zitiert Wittkower Francesco Giorgi, der Anfang des 16. Jahrhunderts ein grundlegendes Werk über „die Harmonie des Weltalls veröffentlicht hatte, in welchem christliche Lehren und neuplatonische Weisheit verschmolzen waren und der alte Glaube an die mystische Kraft gewisser Zahlen neu bestärkt wurde“ (ebd: 84). Um Giorgis Argumentation zu verstehen, muss man, so Wittkower, „von der Entdeckung des Pythagoras wissen, wonach Töne räumlich gemessen werden können…“ Einer Legende zufolge kam Pythagoras bei einem Spaziergang… …an einem Handwerksladen vorbei, wo mit verschiedenen Hämmern ein glühendes Eisen auf einen Ambos geschlagen wurde. Dabei gelangte eine gewisse Reihenfolge von Tönen an seine Ohren, die sein Gehör mit Freude erfüllte. Er blieb stehen und suchte zu erkennen, wodurch diese Wirkung hervorgebracht wurde. Zunächst erschien es ihm so, dass sie von der ungleichen Kraft der Männer herrühren könnte. Er veranlasste, dass die Männer ihre Hämmer untereinander tauschten, und trotzdem hörte er keine anderen Töne als beim ersten Mal. Daraus zog er den Schluss, dass die Ursache in der Verschiedenheit des Gewichts der Hämmer liegt… Deswegen ließ er jeden Hammer einzeln wiegen, und so entdeckte er zwischen den Zahlen der Gewichte die Verhältnisse der Konsonanzen und Harmonien. Mit ganzer Kraft verschönerte er nun diese Harmonien auf folgende Weise: Er machte sich aus Schafdarm Saiten gleicher Größe und befestigte an ihnen Gewichte, die denen der Hämmer entsprachen. Und so entdeckte er die nämlichen Konsonanzen…(Zarlino 1573/1989: 8f).

Auch wenn wenig später im Anschluss an Zarlinos Werk von V. Galilei nachgewiesen wurde, dass die von Pythagoras genannten Relationen zwar für die Verhältnisse der Saitenlängen, nicht aber für die Proportionen der Gewichte passten (Kommentar zu dieser Behauptung Zarlinos, ebd.:11), ist die Legende doch insofern von Bedeutung, als sie begründet, dass der musikalischen Harmonie ganz bestimmte Zahlenrelationen zu Grunde liegen und dass Pythagoras auch jenseits der Legende die Aufeinanderfolge der Tonstufen innerhalb der Oktave zugeschrieben werden muss, also die Proportionen 2:3 (Quinte) und 3:4 (Quarte) innerhalb von 1:2 (Oktave). Proportionen werden zu Harmonien, „Wohlklängen“. Bestimmte Zahlenrelationen zieht man in ihrer musikalischen Ausprägung anderen vor. Dies lässt sich experimentell sehr leicht am Monochord herausfinden. Ein Monochord ist ein Instrument, das zwei Saiten gleicher Länge und Stärke über einen Resonanzkörper führt. Durch einen Steg kann eine der beiden Saiten in unterschiedliche Proportionen unterteilt werden, wodurch auf beiden

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Saiten die Töne (Intervalle) erzeugt werden können, die den oben festgelegten Zahlenrelationen oder Proportionen entsprechen. Dabei „haben im 6. Jahrhundert v.C. die Pythagoräer erstaunt festgestellt, dass ihnen ein Intervall desto angenehmer klang, je einfacher die Proportion war“ (Delle/ Krieger/ Spiess: 12). Die Oktave wird so zur „harmonia perfecta“, weil sie der Prime, d.h. der Zahlenrelation 1:1, dem Einklang, der Einheit und Vollkommenheit am nächsten kommt. Im klassischen griechischen Verständnis werden deshalb die Oktave, Quinte und Quarte als „synphonia“ (lat. „consonantia“), also als Zusammen-, Wohl- und Einklang bezeichnet, alle anderen als „diaphonia“ (lat. „dissonantia“), eben davon abweichend klingend (Husmann: 18). Der wahre Kern der Phythagoras-Legende findet sich wohl in der Erfindung des Tetrachord-Experimentes, das gleichfalls Pythagoras zugeschrieben wird (Staab: 112). In der sogenannten Tetraktys, der „Vierheit“, dem aus zehn Punkten in vier pyramidal aufgebauten gleichseitigen (und gleichschenkligen) Dreieck, lassen sich die von Pythagoras angeführten Relationen und Proportionen und seine „harmonikale Weltbetrachtung“ veranschaulichen: „So bergen denn auch die hierin veranschaulichten Zahlen in ihrer musikalischen Interpretation das Schwingungsverhältnis der Oktave (2:1), die aus Quinte (3:2) und Quarte (4:3) zusammengesetzt ist“ (Staab: 112). O O O O O O O O O O Auf Pythagoras aufbauend erklärt Platon in seinem Timaios (35B-36B), dass die Ordnung und Harmonie des Alls in gewissen Zahlen enthalten sei. Er fand diese Harmonie in den Quadraten und Kuben der Einheit und gelangte so zu den beiden geometrischen Reihen 1,2,4,8 und 1,3,9,27, ganz so, wie es auch V. Galilei in seiner Kritik an Zarlinos Pythagoras-Legende ausgedrückt hatte: „Um die Schwingungszahlen (der Saiten) auf das 2-, 3-, 4-fache zu erhöhen, müssen die spannenden Gewichte um das 4-, 9-, 16-fache gebracht werden“ (zitiert nach dem Kommentar zu Zarlino 1573/1989: 11). Traditionell in der Form eines Lambda dargestellt, 1 2 3 4 9 8 27

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wird die Harmonie des Weltalls in den sieben Zahlen 1,2,3,4,8,9,27 ausgedrückt. Darin liegt Platon zufolge der geheime Rhythmus des Makrokosmos sowohl als auch des Mikrokosmos. Denn die Verhältnisse zwischen diesen Zahlen umfassen nicht nur alle musikalischen Intervalle, sondern auch die für menschliche Ohren nicht hörbare Musik der himmlischen Sphären und den Bau der menschlichen Seele (ebd.: 84f). 1.3.4 Die Harmonien der Musik: maßgebend für die Proportionen in der Architektur? Aufbauend und in sicherer Kenntnis der Schrift Giorgis, so Wittkower, sind es v.a. Alberti und Palladio, die die Architektur der Renaissance, und später auch die des Barock, dahin gehend beeinflusst haben, die harmonischen Intervalle der griechischen Tonleiter als die idealen Maßverhältnisse für ihre Bauwerke zu bezeichnen, wie die beiden folgenden Zitate belegen: Die Zahlen, vermittels welcher die Harmonie von Tönen unser Ohr entzückt, sind ganz dieselben, welche unser Auge und unseren Verstand ergötzen. Wir werden daher alle unsere Regeln für harmonische Beziehungen von den Musikern entlehnen, denen diese Zahlen ausnehmend wohl bekannt sind, und von jenen Dingen, in denen die Natur selbst sich vortrefflich und vollkommen zeigt (Alberti, zitiert nach Wittkower 1983: 90). Die Proportionen der Stimmen sind Harmonien für das Ohr, diejenigen der räumlichen Maße für das Auge. Solche Harmonien geben uns ein Gefühl der Beglückung, aber niemand weiß warum, außer dem, der nach den Ursachen forscht (Palladio, IV. Buch, Kap. 5, zitiert nach Wittkower 1983: 92).

Diesem Grundsatz folgend, empfiehlt Palladio in seinen Quattro libri dell’ architettura sieben Raumtypen: (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7)

kreisrund quadratisch Breite: Länge = Quadratseite: Quadratdiagonale ein Quadrat und 1/3 ein Quadrat und 1/2 ein Quadrat und 2/3 zwei Quadrate

= √2: 1 = 3:4 = 2:3 = 3:5 = 1:2

Am vollkommensten hat die Beziehungen zwischen den Harmonien in der Musik und der Architektur wohl Gioseffo Zarlino (erstmals 1558) in seiner „harmo-

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nischen Zerlegung der Oktave in ihre Teilungen“ („la divisione harmonica della Diaspason nelle sue parti“, vgl. auch Abb. 21) ausgedrückt: (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)

Oktave Quinte Quarte große Terz kleine Terz große Sekunde kleine Sekunde diatonischer Halbton

= 1:2 = 2:3 = 3:4 = 4:5 = 5:6 = 8:9 = 9:10 =15:16

d.h. zwei Quadrate ein Quadrat und 1/2 ein Quadrat und 1/3 ein Quadrat und 1/4 ein Quadrat und 1/5 ein Quadrat und 1/8 ein Quadrat und 1/9 ein Quadrat und 1/15

Abb. 21: Harmonische Zerlegung der Oktave in ihre Teilungen

Quelle: nach Zarlino, in: Wittkower 1983: 108

1.3.5 Proportionen werden in ihrer Form gesehen, nicht in ihrer Substanz Man mag im Zweifel sein, ob (etwa) Palladios Maße tatsächlich so verwickelte Beziehungen enthalten. Mögen wir uns noch so genau an seine Zahlen halten – man mag uns des Irrtums beschuldigen, der modernen Proportionsforschern so oft unterläuft, dass wir in ein Gebäude Beziehungen hineinlesen, die gar nicht in der Absicht des Architekten lagen. Doch kann niemand bestreiten, dass Palladios Zahlen bestimmte Maßverhältnisse anzeigen sollen; nicht an dieser Tatsache, sondern nur an der Grenze, bis zu der eine solche Interpretation fortschreiten kann, ist ein Zweifel möglich (Wittkower: 110).

„Etwaige Bedenken gegen Palladios künstlerische Absichten“, fährt Wittkower allerdings anschließend fort, „zerstreut ein Blick in die einschlägigen Kapitel im Vitruvkommentar des Daniele Barbaro, eben des Bauherrn, für den Palladio die Villa Maser baute“, dessen Ausführungen in den Feststellungen gipfeln: „Questa

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bella maniera si nella Musica, come nell’Architettura è detta Eurithmia, madre della gratia, e del diletto“, also: Diese wunderbare Eigenschaft wird in der Musik wie in der Baukunst Harmonie genannt, Mutter der Anmut und des Entzückens“ (zitiert nach Wittkower: 112). Barbaro lässt aber auch keinen Zweifel daran, dass sich die geometrischen Formen, indem sie Proportionen und Harmonie repräsentieren, eben nicht von der Substanz her verstehen lassen, denn „si come il maestro della natural proportione è lo istinto della natura, cosi il maestro dell’artificiale è l’habito dell’arte, di qui nasce che la proportione piu presto della forma, che della materia procede“, d.h. denn „wie der Instinkt der Natur die natürliche Proportion bestimmt, so beherrscht die Regel der Kunst die künstlerische Proportion. Hieraus folgt, dass Proportionen zur Form und nicht zum Stoff gehören…“ (zitiert nach Wittkower: 112). Die Proportionen und Harmonien der geometrischen Formen in der Musik wie in der Baukunst als eine Frage der reinen Form, jenseits einer inhaltlichen Deutung? 1.3.6 Die Harmonie der Zahlen und Formen und die Katharsis Um die Botschaften, die mit den Proportionen und Harmonien der geometrischen Formen einhergehen, in ihrer ganzen Tragweite zu verstehen, muss vielleicht noch einmal auf die grundsätzliche Bedeutung des Harmoniebegriffs hingewiesen werden, der die antike griechische Philosophie und, in deren Wiederentdeckung, die Denker und Künstler in der Renaissance prägte. „In einem Weltbild nämlich, das von der harmonischen Analogie der elementaren Zahlen in allen Seinsbereichen ausging, war die ‚Reinheit‘ der unsterblichen Seele gleichbedeutend mit ihrer ungestörten Zahlenharmonie; und ‚Reinheit‘ hieß Wiederherstellung ihrer anfänglichen Zahlenverhältnisse“ (Staab: 116f). Dies ist die Grundlage für das platonische Bildungsprogramm, dessen Ziel, stark zusammenfassend, darin bestimmt werden kann, dass die Seele, deren ursprüngliche Reinheit (reine Form) durch den verschmutzenden Charakter der Materie verdorben wird, durch gezielte Erkenntnis der ungestörten Zahlenharmonie wieder gereinigt werden kann. In diesem Sinne ist die auf die Zahlenharmonie begründete Musik, aber auch die auf diese Proportionen und Harmonien aufbauende Architektur und Baukunst ganz sicherlich Katharsis für die Seele. Für das griechische Denken ist kennzeichnend, dass die Musiktheorie eingebunden ist in ein umfassendes Analogiedenken von Musik, Mathematik, Logik, Astronomie, Psychologie, Ethik und Staatslehre. Solcherart können Philosophie, Logik, Mathematik, Astrono-

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mie und andere Wissensformen und Künste (wie Architektur)‚ ‚musikalisiert‘ sein und einen harmonikalen Organismus bilden (Schulze: 68).

Die Botschaft der nach strengen und harmonischen Zahlenverhältnissen komponierten Bauten und Plätze der Renaissance und des Barock kann also analog zu der auf die Musik abzielenden aristotelischen Lehre gesehen werden, der zu Folge sie „nicht nur einem einzigen Zweck dient, sondern mehreren: der Bildung, der Reinigung … und drittens dem geistigen Leben…“ (zitiert nach Schulze: 68). Die geometrischen Formen der Renaissance und des Barock verfolgen also keinen Selbstzweck, sondern haben einen wohl begründeten Sinn. Ihre Botschaft erschließt sich nämlich in der ihren Formen inhärenten Möglichkeit, die durch irdische Unvollkommenheit (Materie) beschädigte Seele (Disproportioniertheit, Sündhaftigkeit) wieder zu ihrer ursprünglichen und anfänglichen Harmonie (Unschuld vor dem Sündenfall) zurückzuführen – die kontemplative Schau der Proportionen versetzt nach Meinung von Baumeistern und Bauherren die Seele in ähnliche Schwingungen wie die Harmonien der Musik. 1.3.7 Ist eine inhaltliche Deutung der geometrischen Formen möglich? Damit wären wir aber immer noch nicht bei einer inhaltlichen Deutung der geometrischen Formen angelangt, wie sie im 17. Jahrhundert geplant und gebaut wurden. Die heutige Kunst- und Architekturgeschichte befasst sich zwar immer wieder mit den seit Vitruv als Normen gesetzten Werten von „Zahl, Maß und Proportion in der abendländischen Baukunst“, wie beispielhaft für viele andere Naredi-Rainer in seiner im Jahr 1999 vorgelegten Habilitationsschrift; eine konkrete inhaltliche Deutung der Symbolik geometrischer Formen sucht man aber hier wie anderwärts, bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Ching (1983), Jaffe (1985), Grütter (1987), Sakamoto (1994), oder Ernst (2012), zumeist vergeblich. So muss der Versuch, eine inhaltliche Symbolik der geometrischen Formgebung der Renaissance wie des Barock v.a. aus den Intentionen ihrer Baumeister und Bauherren heraus zu deuten, einstweilen scheitern, weil keine diesbezüglichen Quellen vorhanden zu sein scheinen. Keiner der Baumeister und Architekten hat Notizen darüber hinterlassen, warum er diese und nicht eine andere geometrische Form aus der Vielzahl der Möglichkeiten, die doch alle in den einschlägigen Lehrbüchern der Zeit aufgeführt sind, bei der Gestaltung der Plätze ausgewählt hat. Und doch kann man eine eindeutige Präferenz der Auswahl geometrischer Formen feststellen, die im 16. und 17. Jahrhundert gestaltet worden sind: Ellipse (Oval) und Trapez zu vorderst, dann Kreis und Quadrat (Rechteck). Eine derart

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eindeutige Präferenz in der Formgebung legt dann doch auch einen Versuch des inhaltlichen Verstehens nahe. 1.3.8 Versuche einer inhaltlichen Deutung: Von der Eindeutigkeit des mathematischen „wahr/ falsch“ zum mehrdeutigen hermeneutischen „sowohl/ als auch“ Nun ist eine inhaltliche Interpretation der geometrischen Figuren, ihre Semantik, ihre mögliche Bedeutung im Kontext architektonischen Gestaltens auch nicht ohne Tücke, weil sie weit vom dem entfernt ist, womit wir uns eben anlässlich der Proportionen und Harmonien der räumlichen Maße in ihrer algorithmischen Präzision beschäftigt haben. Die inhaltliche Deutung der geometrischen Formen ist weit vom Wesen der Mathematik als einer exakten Wissenschaft entfernt, denn während die Mathematik als streng logische Wissenschaft nur „wahr oder falsch“ kennt, beruht die inhaltliche Interpretation ihrer Formen auf dem Spiel mit dem „sowohl als auch“ und ist also nicht zu trennen von der Subjektivität semantischer Auslegungen. Bei der Lektüre der folgenden Ausführungen muss man sich deshalb stets des subjektiven Faktors bewusst sein, der untrennbar mit der hermeneutischen Auslegung einhergeht. Die Formen werden uns bedeutend dadurch allein, dass wir in ihnen den Ausdruck einer fühlenden Seele erkennen. Unwillkürlich beseelen wir jedes Ding. Das ist ein uralter Trieb des Menschen. Er bedingt die mythologische Phantasie und noch heute gehört nicht eine lange Erziehung dazu des Eindrucks loszuwerden, dass eine Figur, deren Gleichgewichtszustand verletzt ist, sich nicht wohl befinden könne?... Das Bild unserer selbst schieben wir allen Erscheinungen unter. Was wir als Bedingungen unseres Wohlbefindens kennen, soll jedes Ding auch besitzen… Und danach bestimmt sich auch die Ausdrucksfähigkeit dieser fremdartigen Gestalten. Sie können uns nur das mitteilen, was wir selbst mit ihren Eigenschaften ausdrücken… Allein es bleibt noch die Frage, wie nun die Beseelung dieser fremden Gestalten zu denken sei… Das anthropomorphe Auffassen der räumlichen Gebilde ist nichts Unerhörtes. In der neueren Ästhetik ist dieser Akt bekannt unter dem Namen des Symbolisierens (Wölfflin: 275f).

Bei der Konkretisierung dieses Vorgangs des Symbolisierens zitiert Wölfflin Volkerts Arbeit über den Symbolbegriff in der neueren Ästhetik, der zu Folge „die Tatsache, dass wir im ästhetischen Genießen unsere ganze Persönlichkeit beteiligt finden, beweist, dass in jedem Genuss etwas von dem allgemeinen Gehalte, von den Ideen, die das Menschliche konstituieren, enthalten sein muss“ (zitiert nach Wölfflin: 277).

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1.3.9 Die etymologische Wurzel des Begriffes „Barock“: schiefrund Eine Möglichkeit des Zugangs zur Semantik der geometrischen Formen ist vielleicht die Betrachtung der etymologischen Wurzeln des Begriffes, der sich für die Kunst und Architektur des 17. Jahrhunderts eingebürgert hat: Barock. Nesselrath führt an, dass im mittelalterlichen Italien der Scholastik, also im 12. Jahrhundert, der Begriff ‚barocco‘ die Bedeutung ‚Stein des Anstoßes‘ hatte, eine Bedeutung, die sich in der Renaissance verschoben hatte hin zu ‚Verschrobenheit in der Argumentation und des Gedankengangs’. Im Portugiesischen bezeichnet ‚barocco‘ eine ‚unregelmäßige, schief gewachsene Perle‘, während das französische Dictionnaire des Travaux (1771) den Begriff in der Bedeutung von ‚exzentrisch‘ und ‚bizarr‘ ausweist; der deutsche Duden definiert es mit ‚schiefrund‘, ‚verschnörkelt‘ und ‚übertrieben‘ (Nesselrath: 11). Nesselrath zitiert im Anschluss eine Passage aus Jakob Burckhardts „Cicerone“, in der es heißt: „Die Barockkunst spricht die selbe Sprache wie die Renaissance, aber einen verwilderten Dialekt davon“ (ebd: 344-346) und führt dann weiter aus, dass die Renaissance für Reformation und Protestantismus stehe, also für Einfachheit und Klarheit, während das Barock eher mit Gegenreformation, Restauration und Absolutismus identifiziert wird, eine Epoche, in deren künstlerischen Formen oft das Exzentrische, Übertriebene, Pompöse Ausdruck finden – das Schiefrunde also (Nesselrath: 12f). So wie die alten Gewissheiten und Sicherheiten sich in der Erfahrung der Menschen im 17. Jahrhundert aufzulösen beginnen, ergeht es auch den bisher gehuldigten strengen Formen der Renaissance: An die Stelle einfacher und klarer Stilelemente treten nun vermehrt solche, die durch Überspanntheit, Übertreibung und Überfrachtung, durch Pracht- und Schaugepränge gekennzeichnet sind. Dem Hang des Barock zur Zurschaustellung von Pracht und Pomp liegt eine Einstellung zu Grunde, die dem protestantischen Effizienzdenken und der darin ihren Ausdruck findenden Sparsamkeit entgegen läuft: Die barocke Kunst singt das Loblied der Verschwendung. Im Angesicht der im Verlauf der Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts vernichteten Ressourcen wird Verschwendung zelebriert, Verschwendung geübt, um den Menschen angesichts des alltäglichen Elends den Glanz des Glaubens und der Größe der weltlichen Herrscher vor Augen zu führen. Die Pracht der Kirchen ließ die Herrlichkeit des Paradieses ahnen… Verschwendung ist eine Kunst, dem Einerlei ein Schnippchen zu schlagen… Sie unterscheidet das Alltägliche vom Besonderen,… zur höheren Ehre Gottes und um der Vorahnung des Paradieses wil-

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len… (es ist) die Kunst, den Augenblick zu erkennen, wann es angezeigt ist, mit vollen Händen auszugeben, was man gespart hat, weil das den Augenblick einzigartig macht (Dobrinski: 2).

Dem Barock ist ein Hang zum Hier und Jetzt, zum Genuss des Augenblicks, zum Luxus und zur Verschwendung eigen: „Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden“ heißt es im Abendgedicht von Andreas Gryphius (16161664), und Martin Opitz (1597-1639) dichtet in seiner Ode: „Drum lass uns jetzt genießen Der Jugend Frucht, Eh als wir folgen müssen Der Jahre Flucht.“ Die Auflösung der klaren und strengen geometrischen Formen drückt sich auch in einem weiteren Merkmal der barocken Kunst aus: Ausgehend von der Musik und dem Theater entwickelte sich die Improvisation zu einem neuen Stilmerkmal der Zeit (commedia all’improvviso, commedia dell’arte). Der Hang zum Spielerischen, die Loslösung von fest verfassten Texten zugunsten von Entwürfen, deren Texte je nach Thema, Bühnen- oder Szenenbild improvisiert wurden, passt gut zu der parallel sich vollziehenden barocken Auflösung des strengen Formenschatzes der Renaissance in der Architektur. Kreis und Quadrat werden spielerisch aufgelöst und in neue Formen überführt: Ausgangspunkt für eine epochengebundene Deutung der geometrischen Formen, denen wir verstärkt im 17. Jahrhundert begegnen. In Artikeln des Lexikons literarischer Symbole (2012) beschreiten die Autoren genau diesen Weg, allerdings bleibt ihre Deutung geometrischer Formen beschränkt auf die drei Grundformen der Geometrie: Dreieck, Kreis und Quadrat; gerade die im Barock besonders häufig realisierten Formen des Trapez und des Oval bleiben unbearbeitet, eine Lücke, derer sich hier angenommen werden soll. Der folgende Versuch einer Zuschreibung symbolischer Wirkungen der von den Baumeistern und Bauherren im 17. Jahrhundert realisierten geometrischen Figuren stellt den Versuch einer solchen kulturhistorischen Deutung ihrer Symbolik dar, wenn er sich auch nicht ganz freisprechen kann von jener von Wölfflin angeführten subjektiven Interpretation der Symbolik der Geometrie in dem Sinne, „dass (wir) das Bild unserer selbst …allen Erscheinungen unter(schieben)“ (Wölfflin: 275), zumal, wie wir wissen, die Architekten der Zeit selbst sich jeder interpretatorischen Zuschreibung ihrer Formensprache enthielten.

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1.3.10 Vom Kreis zum Oval Konstitutiv für die Formgebung des öffentlichen Platzes sind in der Renaissance als geometrische Grundfiguren Quadrat und der Kreis (einfach und klar), aus denen dann die im Barock vorherrschenden Formen des Trapezes und des Ovals, der Ellipse (exzentrisch, übertrieben, pompös, schiefrund eben) abgeleitet werden. Die Figur des Ovals stellt eine spielerische Verzerrung der Form des Kreises dar. Das Oval weicht in der Form seines Umfangs vom Mittelpunkt ab; es liegt außerhalb seines Mittelpunktes und ist deshalb abweichend und überspannt – exzentrisch. Ein Kreis hat weder Anfang noch Ende und kann so als Symbol der Unendlichkeit, als ewiger Fluss des Lebens, also Unsterblichkeit, Einheit, Perfektion, Vollkommenheit gedeutet werden (Brogi: 226; Grütter: 140), eine Interpretation, die weitgehend auch von der Tiefenpsychologie und der Traumdeutung geteilt wird: der Kreis als Symbol göttlicher Vollkommenheit (Jaffé: 241). Die vom Kreis abgeleitete Figur des Ovals ist ganz ähnlich wie zuvor der Kreis definiert als Figur ohne Anfang und ohne Ende, also ein Zeichen für Unendlichkeit und Unsterblichkeit. Allerdings gilt es auch die Verzerrung des Kreises zum Oval zu interpretieren, die ja nicht zufällig, sondern ganz bewusst als Form gewählt wurde. Im Zeitalter des Barocks war man sich bewusst, dass der Mensch ein vergängliches und sehr endliches Wesen ist; die Verzerrung der Kreisform könnte daher auch andeuten, dass der Mensch und seine Werke eben nicht der im Kreis symbolisierten göttlichen Vollkommenheit gleich sein können. Im Barock wird die menschliche Existenz aufgrund ihrer Vergänglichkeit und Sündhaftigkeit durch entsprechend fragile, spielerische, nur ihrem Ursprung nach kreisförmige Figuren (etwa Seifenblase, Tautropfen, kreisende Glühwürmchen) ausgedrückt, die dem Vergleich mit der göttlichen Vollkommenheit allenfalls durch göttlichen Gnade standzuhalten vermögen (Brogi: 226).

Den Gedichten Michelangelos ist zu entnehmen, dass er, der sich einerseits als überzeugt von seiner künstlerischen Vollkommenheit gab, vor allem im Vergleich zu seinen Kollegen, inklusive Raffael, über den er einmal bemerkte: „Alles, was er in der Kunst hat, hat er von mir“, doch andererseits auch immer wieder Selbstzweifel äußerte, das eigene Scheitern und seine menschlichen Grenzen beklagte. Die Abwandlung des Kreises hin zum Oval könnte also als Hinweis des Baumeisters gedeutet werden, dass die Perfektion der Kreisfigur, Sinnbild der Welt göttlicher Perfektion, letztlich doch nicht mit dem Prinzip der menschlichen Unvollkommenheit zu vereinbaren ist: Beeindruckt von der Erfahrung des

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Dreißigjährigen Krieges und der Spaltung der Christenheit in eine katholische und eine protestantische Kirche begann der barocke Mensch an der Vorstellung einer menschlichen Vollkommenheit und Unsterblichkeit zu zweifeln, nunmehr erscheint sie letztlich doch eingebettet in einen übergeordneten Rahmen unter dem Primat des Überirdischen, des Religiösen. Die „spielerische“ Verzerrung des Kreises zum Oval im Barock mag aber bei den ovalen Plätzen auch auf die Funktion vieler dieser Plätze hinweisen, nämlich als Bühne und Ort des Theaters und des Spiels gedacht zu sein. 1.3.11 Vom Quadrat zum Trapez Das Quadrat wird in der Architekturgeschichte als das Symbol für das „Makellose, das Vernünftige“ verstanden, das keine Richtung (hat) und deshalb „als statische, neutrale Figur (wirkt)“ (Ching: 41). Auch hier kommt der barocke Hang zum Spielerischen zum Tragen: Die vier gleichen Seiten und Winkel werden verzerrt und über die Ausspannung der Seiten zum Rechteck und dieses wiederum durch Verzerrung der Winkel zum Trapez. In seinen Seiten und Winkeln weicht das Trapez von seinem im Quadrat klar definierten Mittelpunkt ab und wird exzentrisch. Die vier geraden Winkel und gleichen Seitenlängen des Quadrats stehen symbolisch für das Unveränderliche, das Feste der Erde, während das Rechteck, das dem Quadrat durch die gleichmäßige Verlängerung zweier Seiten eine Richtung gibt, symbolisch „als formaler Ausdruck der Wegidee“ gedeutet wird. Ernst weist darauf hin, dass das Quadrat mit seinen vier gleichen Seiten im Christentum in Verbindung mit den vier Evangelisten gebracht und von Augustinus als das Symbol der Gerechtigkeit gedeutet wird (Ernst: 331). Die davon abgeleitete Figur des Trapezes könnte, zumal in Zeiten wie denen des Barock, wie eben schon ausgeführt, in dem die menschliche Existenz nicht zuletzt als vergänglich und sündhaft wahrgenommen wurde, ähnlich wie die Abwandlung des Kreises zum Oval, symbolisch andeuten, dass das Makellose und Vernünftige, das Unveränderliche und Feste wie auch die Idee der göttlichen Gerechtigkeit mit der Begrenztheit der menschlichen Natur, ihrer Vergänglichkeit und Vanitas, nicht vereinbar sind; daher die Veränderung der geraden Winkel und auch der Länge von zwei Seiten. Auch die Figur des Trapezes könnte daher, ähnlich wie die Figur des Ovals, so gedeutet werden, dass die Welt des Erdhaften, des Vernünftigen, der Materie und der Gerechtigkeit letztlich doch überirdisch und jenseitig begründet ist, dass die irdische und menschliche Welt eingebettet ist in den übergeordneten Rahmen einer Welt des Religiösen und Göttlichen. Gottes Werke sind vollkommen, die des Menschen mit den Grenzen der Unvollkommenheit

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behaftet. Schließlich sei auch hier noch einmal angemerkt, dass das Trapez, ähnlich wie das Oval, eine klassische Form des Theaters, der Bühne und des Spiels ist: Trapezförmige Plätze waren deshalb in der barocken Stadtplanung typisch für Orte, die als öffentliche Bühnen und Theater gedacht worden waren. Sowohl Kreis und Oval als auch Quadrat und Trapez haben einen Mittelpunkt, dieser Punkt steht für das Besondere, das Einmalige; dies ist der Punkt, an dem alles beginnt, kenntlich gemacht als Standort außergewöhnlicher, vielleicht sogar einmaliger Kunstwerke und Skulpturen: z.B. der Reiterstatue des Marc Aurel auf der Piazza del Campidoglio oder der Siegessäule für Marc Aurel auf der Piazza Colonna, beide stehen als Symbol für Recht und Gerechtigkeit. Ähnlich in ihrer Einmaligkeit lassen sich auch die Standorte der in der Mitte der Piazza Navona und in der Mitte der Piazza del Popolo platzierten Obelisken deuten: Obelisken galten im antiken Ägypten als steinerne Strahlen des Sonnengottes und symbolisierten so eine Verbindung zwischen der irdischen und der göttlichen Welt, ganz so wie im heidnischen und christlichen Rom die Figur des Pontifex maximus. 1.3.12 Oval und Trapez als Klassiker des barocken Bühnenbaus Sowohl die Figur des Trapezes als auch die des Ovals zählen bei der Platzgestaltung im Rom der Renaissance und des Barock ganz offensichtlich zu den bevorzugten geometrischen Formen: Schon im 16. Jahrhundert wurde die Piazza del Popolo trapezförmig angelegt und Anfang des 19. Jahrhunderts durch ein großes Oval überformt. Im 17. Jahrhundert setzte Bernini bei seiner Konzeption des Petersplatzes ebenfalls beide Figuren in Szene, das Trapez zwischen der Basilika und den seitlichen Begrenzungen (Piazza Retta), das Oval zwischen den es begrenzenden Kolonnaden quer davor gesetzt (Piazza Obliqua). Grütter macht darauf aufmerksam, dass die Ellipse, das Oval als längliche Form des Kreises sich „für die verschiedenen Arten von Vorführungen besser als eine runde“ eigne – der ovale Platz als städtische Bühne (Grütter: 136). Ähnliches lässt sich auch hinsichtlich des Trapezes anführen. Die Trapezform übt auf die Betrachter bzw. Beteiligten eine bestimmte Wirkung aus: Entweder verspürt man einen Sog (auf einen bestimmten Punkt hin) oder man hat – in umgedrehter Richtung – das Gefühl, dass ein Ausschnitt sich weitet und einem etwas dargeboten wird. Sowohl das Oval wie auch das Trapez stehen in ihrer geometrischen Form ganz in der Tradition der klassischen Theaterbühnen und werden als solche auch explizit in den zeitgenössischen Lehrbüchern der Architektur vorgestellt (vgl. Kapitel 1.2.4 und 1.2.5). An dieser Stelle wird noch einmal deutlich, dass in der Verfor-

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mung des Kreises zum Oval und des Quadrats zum Trapez die barocke Neigung zum Spielerischen ihren besonderen Ausdruck findet in dem Sinne, dass sie (Oval und Trapez) als Formen der Theaterbühne schlechthin erscheinen lässt, das Theater als Ort des künstlerischen Spiels in Musik, Tragödie und Komödie wie im Tanz. Angefangen mit dem Bau des Kolosseums liegt vielen anderen Amphitheatern der römischen Antike die Form des Ovals zu Grunde, während seit dem 16. Jahrhundert die Bühnen der Moderne überwiegend die Form des Trapezes bevorzugten. In den vielen nach dem Risorgimento, der Etablierung Italiens als Nationalstaat Mitte des 19. Jahrhunderts, überall in den italienischen Städten erbauten Theatern finden Oval und Trapez nahezu durchgängig neben einander ihren Platz: Der Zuschauerraum (platea und palco) als Oval, die Bühne (palcoscenico) als Trapez. Drei der fünf hier vorgestellten Plätze Roms sind in der Form des Trapezes angelegt (Piazza del Campidoglio, Piazza del Popolo) oder des Ovals (Piazza Navona), einer führt sogar beide in einem zusammen (Piazza San Pietro). Das Trapez des Petersplatzes (Piazza Retta) direkt vor der Basilika ist die Bühne, hier tritt der Papst mit seiner Kurie auf, während das von Berninis Kolonnaden umsäumte Oval (Piazza Obliqua) als Zuschauerraum dient, das Parkett, von dem aus die Gläubigen die Zeremonien verfolgen und den päpstlichen Segen empfangen. Nur ein Platz ist in der Form des Quadrats ausgeführt (Piazza Colonna): Die großen und repräsentativen Plätze Roms im 17. Jahrhundert in der Tradition von Theaterbühnen, Roma caput mundi, teatrum mundi.

2. Rom

2.1 ABRISS

EINER

B AUGESCHICHTE

DER

S TADT R OM

2.1.1 Am Anfang steht ein Mythos Die Gründung der Stadt Rom ist auf das Jahr 753 v.C. festgelegt worden. Die Geschichtsschreibung folgt hier allerdings keinen historisch belegten Ereignissen, sondern einem Mythos, demzufolge die Zwillinge Romulus und Remus in diesem Jahr die Stadt mit einer Siedlung auf dem Palatin gründeten. Romulus und Remus ihrerseits sind der Legende nach Nachfahren des aus dem brennenden Troja entkommenen Helden Aeneas, der bei Homer als der nach Hektor tapferste Kämpfer auf trojanischer Seite beschrieben wird. Demzufolge könnte Rom als Renaissance des sagenumwobenen Troja gedeutet werden, mit einem seiner tapfersten Kämpfer als Vorfahre der Gründerzwillinge. Der mythologische Beginn der Stadtwerdung kann heute durch archäologische Funde ansatzweise bestätigt werden: Um 750 v.C. bildete sich so etwas wie ein „urbaner“ Kern auf dem Palatin und den umgrenzenden Niederungen heraus (Reinhardt/Sommer: 29), zunächst ein Stadtstaat nach dem Vorbild der griechischen Polis, 400 Jahre später aber schon Sitz einer mittelitalienischen Hegemonialmacht, seit dem dritten Jahrhundert v.C. durch die „Servianische Mauer“ vor äußeren Feinden geschützt. Im dritten und zweiten Jahrhundert v.C. expandierte das nunmehr republikanische Rom nach Nord- und Süditalien einschließlich Siziliens, nach Nordafrika ((Karthago), Griechenland und Kleinasien. 2.1.2 Vom Stadtstaat zur Weltherrschaft In der Stadt hatte diese territoriale Ausweitung des Herrschaftsbereichs ein städtisches Wachstum in der Fläche und in der Höhe zur Folge: Um die nunmehr 200.000 Einwohner Roms unterzubringen, wurden vielstöckige Mietskasernen

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gebaut, Wasserleitungen und Aquädukte brachten Trinkwasser zur Versorgung der Bevölkerung aus bis zu 70 km Entfernung in die Stadt. Das Forum Romanum und das Kapitol wurden zu einem religiösen und politischen Zentrum mit hohem Symbolgehalt ausgebaut, Bühne des entstehenden Weltreiches. In den 100 Jahren vor dem Ende Roms als Republik betrat ein neuer Typus die politische Bühne Roms, „der Elemente charismatischen Führertums mit militärischem Unternehmergeist“ verband: „Marius, Sulla, Pompeius, Caesar waren begnadete Militärs, geborene Anführer und fast grenzenlos ehrgeizig“ (Reinhardt/Sommer: 44). In dieser Zeit wandelte sich die Stadt nicht nur politisch und gesellschaftlich, sondern nahm auch städtebaulich ein neues Gesicht an: Auf dem Kapitol wurde von Sulla das Tabularium, das Staatsarchiv, errichtet, an der Südseite des Marsfeldes ließ Pompeius einen völlig neuen Typus von privatem Forum bauen, das Theater und Tempel in einem war, auf dem Forum Romanum ließ Caesar, abweichend von der bisherigen Bauachse der Via sacra, ein neues Forum Julium bauen, ein Forum, nicht mehr in offener, sondern geschlossner Bauweise, Vorbild für die später von Augustus bis Trajan zwischen Kapitol und Viminal errichteten Kaiserfora. 2.1.3 Von der Republik zum Imperium Augustus ist der erste dieser charismatischen Führer, der sich selbst Princeps nannte, tatsächlich aber ein absoluter Herrscher war. Nunmehr war Rom wirklich der Mittelpunkt der antiken Welt. Die Bevölkerung der Stadt war auf eine Million Einwohner angewachsen, für ihre Versorgung ließ der Kaiser (wie alle seine Nachfolger, auch später die Päpste) kostenlos Getreide verteilen (cura annona). Augustus wandelte sich nach der Beseitigung seiner Rivalen vom „brutalen Militärmachthaber…zum fürsorglichen pater patriae, einem wahrhaftigen Vater des Vaterlandes, der die res publica wiederherstellte und nach einem Jahrhundert der Bürgerkriege und des Chaos Ordnung geschaffen hatte. Rom wurde zur gewaltigen steinernen Projektionsfläche für diese Botschaft: Der augusteische Prinzipat schuf eine urbane Topographie völlig neuer Qualität, in der sich die Leitgedanken des politischen Systems spiegelten und die der weiteren Stadtentwicklung der Kaiserzeit die Richtung vorgab“ (Reinhardt/Sommer: 53). Gestalterisch zeigte sich die neue Qualität nicht zuletzt in der Verwendung des Baumaterials: An der Stelle der bisher vorherrschenden Ziegelbauten wurde jetzt v.a. Marmor verwendet, Nutzarchitektur wurde zur Prachtarchitektur. Neben seinem an das Forum Julium anschließenden Forum Augusti und dem Templum Divi Julii in der Mitte der Via sacra auf dem Forum Romanum widmete sich Augustus vorrangig dem Ausbau des Marsfeldes, außerhalb der damaligen

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Stadtmauer gelegen. Rund 80 Tempelbauten gehen auf ihn zurück, darunter das Pantheon, die Ara Pacis und das Mausoleum Augusti, zwischen Pantheon und Mausoleum platzierte er einen aus Ägypten herangeschafften Obelisken zum Andenken an seinen Sieg über Kleopatra und Antonius, der zugleich als Zeiger einer gigantischen Sonnenuhr (Solarium Augusti) diente. Von seinen Nachfolgern sind städtebaulich zu erwähnen Nero, der nach dem Brand von Rom (64 n.C.) die Stadt völlig neu erbauen ließ und in deren Zentrum östlich des Forum Romanums einen Palast von bisher unbekanntem Ausmaß und Prunk errichten ließ, die Domus Aurea, die allerdings schon wenige Jahre später nach seinem Sturz von seinem Nachfolger Titus zu großen Teilen wieder abgerissen und durch eine neue Arena (Amphitheatrum Flavium, im Volksmund: Colosseum) ersetzt wurde, in der Platz für rund 50.000 Zuschauer war. Titus und seine Nachfolger, die Flavier, bauten v.a. die prächtigen Kaiserpaläste auf dem Palatin. Die Kaiser Vespasian, Nerva und Trajan vervollständigten zwischen 75 und 143 die Kaiserfora nordöstlich des Forum Romanums. 2.1.4 Das Ende als Hauptstadt des römischen Weltreichs und der Verfall der Metropole Danach setzte erst Konstantin der Große zu Beginn des vierten Jahrhunderts neue Akzente in Rom durch den Bau zahlreicher Kirchen, insbesondere der Basilica S. Giovanni in Laterano und S. Pietro an der Stelle, wo sich zuvor der Zirkus des Caligula und des Nero befunden hatte, der mutmaßlichen Stätte, wo der Legende nach der Apostel Petrus den Märtyrertod gestorben war. Im Übrigen zog sich Konstantin aber aus Rom zurück und gründete am Bosporus eine neue Metropole, Konstantinopel, die nunmehr für ihn und seine Nachfolger Hauptstadt des Römischen Reiches wurde. Rom und seine Institutionen verfielen, und auch nach der Teilung Roms in ein westliches und ein östliches Reich war nicht Rom, sondern das näher an Konstantinopel gelegene Ravenna Residenz- und Hauptstadt. In Rom nahmen seit dem Ende des Weströmischen Reiches immer mehr die Bischöfe der Stadt die Führungsrolle ein, Lateranbasilika und Lateranpalast ersetzten immer mehr das Forum Romanum und das Kapitol als öffentliches Zentrum. Am Ende des Weströmischen Reiches (476) und zu Beginn der Ostgotenherrschaft zählte Rom nur noch rund 100.000 Einwohner, 75 Jahre später nach den beiden Eroberungen Roms durch den Gotenkönig Totila (546 und 550), in deren Verlauf die nach Rom führenden Wasserleitungen und Aquädukte zerstört worden waren, schrumpfte die Einwohnerzahl gar auf 30.000. „Zeitgenossen zeichneten das Bild einer Stadt, in der zahlreiche Gebäude verwaist waren

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und verfielen, einer Stadt, deren Aquädukte und Abwasserkanäle in äußerst reparaturbedürftigem Zustand waren, deren Kornspeicher nicht mehr genutzt wurden, deren Baudenkmäler ausgeschlachtet wurden…“ (Hibbert: 92). Die einstige Millionenstadt war weitgehend unbewohnbar geworden, nur der flussnah gelegene Teil des Marsfeldes, wo die Bevölkerung sich mit Trinkwasser aus dem Tiber versorgen konnte, war noch bewohnt, das sogenannte „abitato“, der Rest verfiel, war weitgehend unbewohnt („disabitato“) und wurde landwirtschaftlich genutzt, z.B. als Weidefläche, einschließlich des ehemaligen Zentrums der Stadt, dem Forum Romanum, nunmehr „campo vaccino“ (Kuhweide) genannt. An diesem Zustand änderte sich über den langen Zeitraum der nächsten 800 Jahre wenig, trotz der Renovatio Romani Imperii, der durch Karl den Großen und Papst Leo III. mit der im Jahr 800 in der Folge der Kaiserkrönung Karls in der Petersbasilika inszenierten Wiederbelebung des Weströmischen Reiches und der 162 Jahre später mit der Kaiserkrönung Ottos I. durch Papst Johannes XII. vollzogenen Neugründung des Heiligen Römischen Reiches mit deutschen Kaisern. Den absoluten Tiefpunkt erlebte die Stadt im 14. Jahrhundert mit dem Schisma und dem Exil der Päpste in Avignon. Erst 1420 nach der definitiven Rückkehr der Päpste mit Martin V. kam es langsam zu einer Wende in der Stadtentwicklung und einer Wiedergeburt der Stadt, etwa zeitgleich mit der großen Zäsur in der Kultur und Kunst, die sich mit der Renaissance, der „Wiedergeburt“ der Antike, zunächst in der Toskana, dann in ganz Italien durchsetzte. 2.1.5 Die Wiedergeburt der Stadt im Zeichen der Renaissance Die Päpste Martin V. und Eugen IV. begannen mit dem Wiederaufbau Roms, aber erst Nikolaus V. (1447-1455) setzte entscheidende Akzente einer neuen Stadtentwicklung. Er ließ zahlreiche Kirchen instand setzen, den Senatorenpalast auf dem Kapitol umbauen, den Vatikanpalast an der Basilica S. Pietro zur Hauptresidenz der Päpste ausbauen; zugleich beschloss er den Bau einer neuen Basilika, die die über 1000 Jahre alte und baufällig gewordene Petersbasilika ersetzen sollte. Mit der Ausrufung des Jahres 1450 zum Heiligen Jahr lockte Nikolaus Zehntausende von Pilgern aus ganz Europa nach Rom, und mit ihnen erschloss sich der Kirche eine neue, unermessliche Einnahmequelle, aus der der Wiederaufbau Roms finanziert werden konnte. Der finanzielle Erfolg des Heiligen Jahres war wohl auch die entscheidende Ursache dafür, dieses Ereignis zu institutionalisieren. Erstmals 1300 von Bonifazius VIII. ausgerufen, sollte es zunächst alle hundert Jahre stattfinden, aber bereits 1475 wurde entschieden, das Jubeljahr alle 25

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Jahre stattfinden zu lassen. Eine weitere wichtige und ergiebige Quelle der finanziellen Wertschöpfung eröffnete sich den Päpsten durch das Prinzip, die Wahl von Kardinälen nach finanziellen Gesichtspunkten und einem maximalen Nutzen für die päpstlichen Kassen zu treffen. Seither entwickelte sich der Vatikan immer mehr zu einem Fürstentum von absolutistischen Ausmaßen, die Päpste wurden zu den absolutistischsten Fürsten Europas und inszenierten ihr Papsttum „mit den Medien der Zeit – architektonischen Großprojekten, Fresken, Statuen, Straßendurchbrüchen… Dabei war die Theorie, die dem Ausbau der Stadt zur Bühne zugrunde liegt, wohl durchdacht und in ihren Ausgangspunkten und Schlussfolgerungen scharfsinnig und stichhaltig. Dass gerade das Papsttum seine weltumspannende Stellung auf die Macht der Bilder zu gründen bestrebt war, ist von unbestreitbarer innerer Logik, ja äußerster Konsequenz. Denn diese Herrschaft beruhte ja nicht auf dynastischem Königsheil, Erbrecht, Elitenkonsens oder gar Volkssouveränität, sondern auf biblischen Einsetzungsworten – und war daher andauernd durch Bestreitung gefährdet wie keine andere Macht der Welt. Zielgerichteter Einsatz von Propaganda in einer Zeit, die im Zeichen voll entfalteter Bildmedien darauf setzte, Überzeugungen und daraus resultierendes Verhalten durch Erziehung der Sinne zu steuern: Diese Grundformel sollte die graue Stadt im Tiberknie von jetzt an zu einem symbolischen Ort, zu einer Stadt höherer Wirklichkeit erheben“ (Reinhardt/Sommer: 120). 2.1.6 Die päpstlichen Bauherren Bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts sind als Inszenatoren Roms zur Bühne der Stadt und der Welt v.a. folgende Päpste zu nennen: Julius II. Giuliano della Rovere (1503-1513) legte 1506 den Grundstein zum Neubau der Peterskirche, der von ihm beauftragte Baumeister Donato Bramante entwarf eine Zentralbasilika mit Kuppel. In seinem Auftrag begann 1508 Michelangelo Buonarotti mit der Ausmalung der Decke der Sixtinischen Kapelle, am 31. Oktober 1512 wurde das Deckenfresko mit einer Messe des Papstes eingeweiht. Paul III. Alexander Farnese (1534-1549) ließ die Altarwand der Sixtinischen Kapelle von Michelangelo mit einer Darstellung des Jüngsten Gerichtes ausmalen, baute unweit des Campo dei Fiori den Palazzo Farnese, Inbegriff der Baukunst der Renaissance, und beauftragte Michelangelo anlässlich des Triumphzuges für Kaiser Karl V. mit der Neugestaltung des Kapitols. Den Entwurf dazu

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brachte Michelangelo 1534 zu Papier, beendet wurden die Bauarbeiten aber erst Mitte des nächsten Jahrhunderts. Schließlich ließ der Papst Michelangelo einen neuen Entwurf zum Weiterbau der Peterskirche anfertigen: Michelangelo baute auf Bramantes Plan zur Errichtung einer Zentralbasilika auf und entwickelte ihn weiter. Sixtus V. Felice Peretti (1585-1590) war nur eine kurze Zeit auf dem päpstlichen Thron vergönnt, aber in diesen fünf Jahren prägte er mit seiner Tatkraft die Stadtentwicklung Roms sehr nachhaltig: Zuerst ließ er den antiken Aquädukt des Alexander Severus aus dem 3. Jahrhundert wiederherstellen, der Wasser in den östlichen Teil Roms, den „disabitato“, brachte und dieses Gebiet damit wieder bewohnbar machte. Vor allem aber widmete er sich einem Straßenbauprogramm, in dessen Verlauf alle wichtigen Pilgerkirchen Roms durch gerade verlaufende Straßen miteinander verbunden wurden; vor den Kirchen ließ er antike Obelisken aufstellen, z.B. auf der Piazza del Popolo, dem Petersplatz und vor den Kirchen S. Maria Maggiore S. Giovanni in Laterano und S. Trinità, Wahrzeichen der antiken Größe Roms und Künder des christlichen Triumphes, denn alle Obelisken wurden durch neue Inschriften christlich geweiht. Noch zu Lebzeiten Sixtus V. wurde der Bau der Kuppel des Petersdomes beendet, sein Nachfolger Klemens VIII. feierte die erste Messe vor dem neuen Hochaltar des Petersdoms, und mit Carlo Maderno wurde ein neuer Baumeister mit dem Bau des Längsschiffes und der Gestaltung der Fassade für die neue Basilika beauftragt, eine Zeitenwende in der Kunst und Architektur: „Das Barockzeitalter war angebrochen“ (Hibbert: 209). 2.1.7 Caput mundi, theatrum mundi Erste Akzente einer neuen Phase in der Stadtentwicklung und -gestaltung setzte Papst Paul V Camillo Borghese (1605-1623). In seinem Auftrag wurde der Aquädukt des Kaisers Trajan wiederhergestellt, der zahlreiche Brunnen mit Wasser versorgte, u.a. die prachtvolle Fontanone dell’Acqua Paola auf dem Janiculum. In die Zeit seines Pontifikats und der Bautätigkeit seines Neffen Kardinal Scipione Borghese fiel die Entstehung von Prachtbauten wie der Palazzo Pallavicini-Rospigliosi, der Palazzo Borghese, die Villa Borghese. Der Nachfolger Pauls V., Papst Urban VIII. Maffeo Barberini (1623-1644) widmete sich v.a. der Ausgestaltung des Inneren der neuen Petersbasilika. In seinem Auftrag schuf Gianlorenzo Bernini das Tabernakel unter der Kuppel des Petersdomes und das Grabmal für Urban VIII. Bernini übernahm zusammen mit

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Maderno und Borromini auch den Bau des Stadtpalais für die päpstliche Familie, den Palazzo Barberini an der Nordseite des Quirinals. Mit Papst Innozenz X. Giambattista Pamphilj (1644-1655) verbindet sich in erster die Neugestaltung des Campus agonis zur neuen Piazza Navona mit dem Palazzo Pamphilj als päpstlichem Stadtpalais, der angrenzenden päpstlichen Hauskirche S. Agnese und dem Vier-Ströme-Brunnen mit dem aufgesetzten Obelisken aus Ägypten; an den Entwürfen und dem Bau des Stadtpalais und der Kirche wirkten mit: Girolamo und Carlo Rainaldi und Francesco Borromini, den Vier-Ströme-Brunnen realisierte Gianlorenzo Bernini. Die meisten und größten baulichen Akzente im Rom des 17. Jahrhunderts setzte jedoch Papst Alexander VII. Fabio Chigi (1655-1667), mit seinem Namen verbinden sich nicht weniger als 36 Bauprojekte: Straßen, Gebäude, Plätze, darunter die Piazza del Popolo, Piazza Colonna, Piazza S. Pietro, Stadtpalais wie Palazzo Chigi und ein neuer Flügel für den Palazzo Quirinale, Kirchen wie S. Andrea della Valle, S. Maria di Montesanto, S. Andrea al Quirinale. 2.1.8 Die Architekten der Päpste Unter den vielen Baumeistern, die das Rom der Renaissance und des Barock (und damit die fünf in diesem Band vorgestellten Plätze Roms prägten, seien zwei hervorgehoben, weil sie in besonderer Weise aus der Vielzahl der im 16. und 17. Jahrhundert an der Gestaltung der Stadt beteiligten Architekten herausragen. Beide waren in ihrer langen Schaffenszeit gleich für mehrere Päpste tätig und beide waren nicht nur als Architekten Künstler von Weltrang, sondern gleichermaßen auch in der Bildhauerei und Malerei. An erster Stelle ist Michelangelo Buonarotti (1475-1564) zu nennen. In einem kleinen Ort der toskanischen Provinz geboren, erhielt er nach seinem Umzug nach Florenz bereits in jungen Jahren eine Ausbildung in der Freskomalerei, anschließend besuchte er eine Bildhauerschule, die in der Tradition des berühmten florentiner Bildhauers Donatello stand. In beiden Künsten lieferte er schon wenig später Kostproben seines außergewöhnlichen Könnens ab: Zwischen 1496 und 1501 schuf er für den Petersdom die weltbekannte Statue der Pietà und zwischen 1501 und 1505 in Florenz als Standbild vor dem Palazzo Vecchio die Statue des David. Wieder zurück in Rom, malte er im Auftrag von Papst Julius II. zwischen 1508 und 1512 das Deckengewölbe der Sixtinischen Kapelle mit einer Darstellung des Schöpfungsmythos, der Vertreibung aus dem Paradies und der Sintflut aus; die seitlichen Mauern schmückte er mit Abbildungen der Sibyllen und der Propheten sowie dem Tod des Goliath und des Holofernes. Schon lange zuvor hatte er von Julius den Auftrag zu einem monumentalen Grabmal

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erhalten, die Skulptur wurde allerdings erst viele Jahre später und in den Ausmaßen stark zurückgenommen fertig gestellt und in der Basilika S. Pietro in Vincoli auf dem Esquilin, nicht jedoch im Petersdom, wie ursprünglich vorgesehen, aufgestellt. Im Auftrag von Papst Clemens VII. Giuliano de’Medici arbeitete er in Florenz in den zwanziger Jahren an den Grabmälern für die Familie der Medici, die viele Jahre später von einigen seiner Schüler fertig gestellt wurden, während er selbst seit 1534 von dem neuen Papst Paul III. mit der Ausmalung der Altarwand der Sixtinischen Kapelle (Das Jüngste Gericht), der Überplanung und Neugestaltung des Kapitols und ab 1547 mit der Bauleitung für den weiter in Arbeit befindlichen Neubau des Petersdomes beschäftigt wurde. Michelangelo hat so in den rund 60 Jahren seines Schaffens Meisterwerke der Malerei, der Bildhauerei und der Architektur hinterlassen. Gian Lorenzo Bernini (1598-1680) erhielt seine künstlerische Ausbildung beim Vater Pietro Bernini und wurde schon in jungen Jahren von Papst Paul V. und seinem Neffen, dem Kardinal Scipione Borghese gefördert, in dessen Auftrag er in den 20er Jahren des 17. Jahrhunderts die lebensgroßen Skulpturen Aeneas und Anchise, Pluto und Proserpina, Apoll und Daphne sowie den David schuf, Skulpturen, die heute in der Villa Borghese auf dem Pincio ausgestellt sind. Im Auftrag Urban VIII. erarbeitete er die Innengestaltung des nunmehr fertigen Petersdomes, insbesondere den Bronzebaldachin und das Tabernakel über dem Grab des Apostels und unter der Kuppel des Domes sowie das Grabmal für Urban VIII. Weitere bedeutende Skulpturen sind: zahlreiche Büsten Pauls V., Scipione Borgheses, Alexanders VII. und die Verzückung der Heiligen Theresa. Unter seinen Gemälden sind einige Selbstportraits, zahlreicher jedoch sind seine Zeichnungen wie z.B. die Maria Aegyptiaca, die Heilige Magdalena, der kniende Engel, Clemens X. u.a.m. Zu seinen architektonischen Werken zählt eine Reihe von Brunnen wie der Tritonen- und der Bienenbrunnen auf der Piazza Barberini, v.a. aber der Vier-Ströme-Brunnen auf der Piazza Navona, viele Kirchen (S. Andrea al Quirinale, S. Maria di Montesanto) und Stadtpalais wie der Palazzo Barberini, der Palazzo Chigi und der Palazzo Montecitorio. Als bevorzugter Architekt Alexanders VII. schuf Bernini drei der berühmtesten Platzanlagen Roms, die Piazza Colonna, die Piazza del Popolo und, als Krönung seines architektonischen Schaffens, die Piazza S. Pietro. „Unter acht Päpsten bleibt Bernini 70 Jahre lang Hauptträger der Glaubenswerbung, der ‚Propaganda fide’…Bernini ist, wenn nicht das ganze Barock, so doch ganz und gar barock, geht restlos in seiner Epoche auf… Der Idee der Metamorphose zuliebe zeigt er Vergänglichkeit, wo er die Ewigkeit meint, bringt er Festgefügtes und Verbürgtes in tiefgründige Bewegung…Der Akzent verlagert sich vom Standbild auf die Fontäne, die Theatermaschinerie, das Attrappendekor“ (Fagiolo: 4 u. 7).

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2.1.9 Rom als Hauptstadt des Königreichs Italien Mit Alexander VII. endete das großzügige Bauprogramm, mit dem die Päpste nach der Rückkehr aus dem Exil die Stadt erneuert, wiederaufgebaut und mit dem sie an die antike Größe Roms anknüpfen wollten. Von nun an gab es keine größeren stadtgestalterischen Entwicklungen mehr, die päpstlichen Kassen waren leer, erst 200 Jahre später, nach der Eroberung Roms durch Garibaldi und der Etablierung Roms als neue Hauptstadt des Königreiches Italien unter der Dynastie des Hauses Piemont-Savoyen, setzte eine neue und großzügige Bautätigkeit ein, in deren Verlauf nicht nur viele neue Regierungsgebäude und bürgerliche Wohnquartiere entstanden, sondern auch das neue Nationaldenkmal an der Piazza Venezia und am Nordabhang des Kapitol, das Monumento a Vittorio Emanuele II mit dem Altare della Patria. 2.1.10 Rom als Hauptstadt des faschistischen Imperiums Nach dem Ersten Weltkrieg wollte Mussolini Rom zur Hauptstadt des neuen (faschistischen) Imperiums inszenieren und schuf für die Weltausstellung in Rom ein neues und modernes Stadtviertel nach faschistischen Leitlinien (Motto: Olympiade der Kulturen), das EUR (Esposizione Universale di Roma) im Süden der Stadt, das 1938 begonnen, aber wegen des Krieges erst in den 50er Jahren beendet wurde. Bauliche Prinzipien sind die Anlage rechtwinkliger Straßen mit den antiken Hauptachsen von Cardo und Decumanus, die sich im Zentrum treffen, der Verwendung von Marmor und Travertin als wichtigste Baustoffe und Prachtbauten in Anlehnung an die Architektur des imperialen Roms wie der Palazzo della Civiltà Italiana, der Palazzo della Civiltà del Lavoro oder das Colosseo Quadrato in Anspielung auf das Kolosseum der Flavier. In der alten Hauptstadt selbst hatte Mussolini mit seinen Bauprojekten keine Fortune: Der Straßendurchbruch vom Kolosseum zur Piazza Venezia (Via dei Fori Imperiali) zerstörte in weiten Teilen die antiken Kaiserfora und der Straßendurchbruch zwischen der Engelsburg und dem Petersplatz (Via della Conciliazione) zerstörte den von Alexander VI. mit der Via Alessandrina vorbereiteten und von Bernini dann inszenierten Zugang zum Petersplatz als piazza sala: Seither eröffnet sich der Platz und der Petersdom den Besuchern schon aus weiter Ferne, es gibt keine Überraschungen mehr, keine Atmosphäre mehr des plötzlichen Staunens.

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2.2 P IAZZA DEL C AMPIDOGLIO Am 5. April 1536 zog Kaiser Karl V. als triumphator in Rom ein (Friedensburg: 12; Kohler: 245). Dies ist insofern eine erstaunliche Begebenheit, als Karl nur neun Jahre zuvor den Sacco di Roma zu verantworten hatte, die Belagerung, Einnahme und Plünderung der Stadt durch seine kaiserlichen Truppen, der sich auch Papst Clemenz VII. trotz seiner Flucht in die Engelsburg schließlich ergeben musste (Kohler: 186); eine Demütigung für die Stadt und den Papst, die bis heute vor Ort als einer der Tiefpunkte in der Geschichte Roms angesehen wird. Acht Jahre später, im Juli 1535, besiegten die Heere Karls unter seiner persönlichen Teilnahme und Führung in der Schlacht von Tunis das osmanische Heer, das von hier aus ganz unmittelbar den Süden Italiens und den christlichen Handel im Mittelmeerraum bedroht hatte (Kohler: 244). Der Einzug Karls V. in Rom glich deshalb einem Triumphzug und sollte, dem antiken Vorbild für Roms siegreiche Feldherren, auf dem Kapitol enden; ein Vorhaben, das nicht durchgeführt werden konnte, weil der ehemalige Prachthügel Roms für diesen Anlass nicht präsentabel war – er glich eher einem Trümmerhaufen. Für den Nachfolger von Papst Clemenz VII., Paul III. Alessandro Farnese war dies ausschlaggebend für seine Entscheidung, noch im gleichen Jahr einen Auftrag an einen der bedeutendsten Künstler, Architekten und Baumeister der Zeit, Michelangelo Buonarotti, zu vergeben mit dem Ziel, den Kapitolplatz (Piazza del Campidoglio) und die ihn säumenden Gebäude grundsätzlich, dem Andenken an die antike Größe angemessen, neu zu gestalten. 2.2.1 Baugeschichte In der römischen Antike war das Kapitol Standort vor allem von drei übergeordneten Gebäuden: auf den seitlichen Hügelkuppen standen die Tempel für die höchsten römischen Gottheiten: seit dem siebten Jahrhundert v.C. der Tempel des Jupiter und seit dem sechsten Jahrhundert v.C. der Tempel der Juno (Moneta), während sich in der Senke zwischen diesen Kuppen seit Anfang des ersten Jahrhunderts v.C. das Tabularium, das Staatsarchiv Roms, befand (Abb. 22). Im Mittelalter hatte sich der Baubestand grundlegend verändert; von den beiden Tempeln hatten sich nur noch die Fundamente erhalten, und in den Überresten des Tabulariums hatte sich die römische Adelsfamilie der Corsi ihren Familiensitz eingerichtet, bis, Anfang des 12. Jahrhunderts, auch Rom, wie viele andere, vor allem nord- und mittelitalienische Städte, sich als Stadtrepublik etablierte: im Jahr 1114 wurde die Adelsfamilie aus dem Tabularium verjagt und auf seinen Fundamenten der Senatorenpalast errichtet; an seinen beiden Seiten

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wurden Gebäude für das städtische Militär gebaut. g Nach dem Ende der mittelalterlichen römischen Republik im 14. Jahrhun undert und in Folge der Wiedererstarkung der päpstlichen Macht wurden die Gebäude Geb für das Militär abgerissen, und man begann, im 15. Jahrhundert auf den Fun undamenten des Jupitertempels einen sogenannten Konservatorenpalast (Palazzo Conservatorio) zu bauen, Ausstellungsort für die auf dem Kapitolplatz auf- und ausgestellten, immer zahlreicher werdenden Funde antiker Statuen und Skulpt lpturen.

Abb. 22: Das Kapitol im antiken Rom

Quelle: eigener Entwurf auf Basis der Karte aus Carandini: C tavola 14

Bonelli (1964) gibt für die Neugestaltung des es Platzes drei zeitlich sich über mehr als 100 Jahre hinziehende Bauphasen an: die d erste von 1537-1554 (Grundrissplanungen und Ausgestaltungsarbeiten am Senatorenpalast, insbesondere Bau der doppelrampigen Aufgangstreppe durch Michelangelo und Überarbeitung der M Fassade mit Portal und Balkon durch Giacom omo della Porta). Die zweite Bauphase erstreckte sich von 1560-1567 (Platzgest staltung, Weiterführung der Arbeiten an der Fassade des Senatorenpalastes), während wäh die dritte Bauphase mit dem Umbau des Konservatorenpalastes und dem Abschluss der Bauarbeiten am Neuen Palast bis 1654 andauerte.

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2.2.2 Konzept und Idee des Pla latzes Ein Bestandsplan mit der Ausgangssit situation auf dem Kapitol vor Beginn der Arbeiten von Michelangelo existiert nicht; n die erste maßstabstabsgetreue, auf einer systematischen Vermessung derr S Stadt beruhende Karte Roms stammt von Leonardo Bufalini aus dem Jahr 1551; da war die erste Phase der Neugestaltung des Kapitolplatzes zwar begonnen, aber er noch nicht abgeschlossen. Bufalini zeigt den Platz als eher rechteckige Anlage,, dderen nordöstliche Seite noch unbebaut ist (Abb. 23).

Abb. 23: Ausschnitt Kapitolplatz des Romplanes Ro von Bufalini

Quelle: Biblioteca Vaticana

Bei der Planung der Neugestaltung des de Platzes orientierte sich Michelangelo primär an einer Längsachse, die, von der de Mitte des Senatorenpalastes ausgehend, in gerader Linie über den Platz in Rich ichtung Nordwesten führt (Abb. 24.1). Als erstes platzierte er die von der Lateranb nbasilika (Basilica S. Giovanni in Laterano) auf das Kapitol verbrachte antike Reiter terstatue des Marc Aurel so auf der Längsachse des Platzes zwischen Senatorenp npalast und der geplanten Abschlussbalustrade, dass die Statue eine Position exak akt in der Mitte der Längsachsen vom Konservatoren- und Neuem Palast (Palazzoo Nuovo) einnahm (Abb. 24.2).

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Abb. 24: Phasen der Platzgestaltung

Quelle: Bonelli: 427, 430 und 440

In einem zweiten Schritt beseitigte er die alte, al asymmetrisch angebrachte Aufgangstreppe zum Sitzungssaal des Senatore renpalastes (Abb. 24.1), ersetzte sie durch eine neue, symmetrisch zu Achse, Palast Pa und Platz verlaufende Doppelrampentreppe (Abb. 24.2). In einem dritten en Schritt galt es, dem Platz auf dem Kapitol die Form zu verleihen, die diesem em geschichtsträchtigen Ort gerecht werden würde, eine Aufgabe, „die von der er Notwendigkeit diktiert wurde, eine monumentale und prächtige Stätte der Kultur tur auf dem Hügel zu schaffen, der seit Jahrhunderten als Herz und ideelles Zentrum m der Stadt angesehen wurde, Ort der Erinnerung und des antiken Glanzes, … ein ei Ort, der die höchsten Werte der Geschichte Roms und der gesamten Mensc nschheit repräsentiert“ (Bonelli: 440, übersetzt von W.H.). Konstitutiv für die Formgebung des Platz tzes sind als geometrische Grundfiguren das Rechteck und der Kreis, aus denen en Michelangelo dann die in seinem Entwurf realisierten Figuren des Trapezess und u des Ovals ableitet (Abb. 24.3). Ausschlaggebend für die Festlegung der Figur Fig des Trapezes war sicherlich die Platzierung der drei den Platz begrenz nzenden Gebäude (Senatorenpalast, Konservatorenpalast und Neuer Palast) sowi owie die den Platz zu seiner offenen Seite abschließende Balustrade. Aus dem Baubestand B wurden der Senatorenpalast und der Konservatorenpalast als Bau aukörper grundsätzlich übernommen, ihre Fassaden wurden jedoch völlig neu konzipiert. k Im Entwurf wurde der Grundriss des Neuen Palastes so festgelegt gt, dass sich beide seitlichen Paläste spiegelbildlich zu der Längsachse gegenübe ber stehen, indem ihre beiden Achsen einen Winkel von 80° zum Senatorenpalast ast bilden (Abb. 24.3). Die Figur des Ovals, das in das Trapez eingefügt ist, orienti ntiert sich vor allem und zuvorderst an der Mitte der drei Paläste: An dem Punkt, t, wo die Längsachse des Platzes, die von der Mitte des Senatorenpalastes ausgeht eht, die gedachte Querachse zwischen

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den Gebäudemitten der seitlichen Paläste schneidet, befindet sich der Mittelpunkt des Ovals: Hier platzierte Michelangelo die Reiterstatue des Marc Aurel. Voraussetzung für die Realisierung eines so homogenen und symmetrisch konstruierten Platzes war allerdings die zuvor schon im Jahr 1537 bewerkstelligte Nivellierung des Terrains und seine 1561 durchgeführte Absicherung durch eine Stützmauer und Balustrade. Die Zugangstreppe zum Kapitol von der Stadtseite an der Piazza S. Maria in Aracoeli wurde erst 1565 begonnen. Balustrade und Zugangstreppe sind für das Erleben des Platzes von eminenter Wichtigkeit: Von keinem anderen Ort her einsehbar, öffnet er sich den Blicken erst, wenn die Zugangstreppe vollständig erklommen worden ist. An dieser Stelle betritt man einen Platz scheinbar wie einen Saal („piazza sala“, Bonelli: 440), ein Saal, der die Besucher zugleich anzieht und einschließt. Das nach hinten sich öffnende Trapez des Raumes macht den Platz länger und tiefer. An seinem Ende zieht der Senatorenpalast die gesammelte visuelle Aufmerksamkeit auf sich, weil das Auge des Betrachters durch die Höhe des Gebäudes, den zentral dahinter platzierten Turm und die auf die Mitte der Doppelrampentreppe hinlaufenden Fluchtlinien der seitlichen Paläste angezogen wird (Abb. 25.1 und 25.2). Die aus der Perspektive des den Platz an der Zugangstreppe betretenden Betrachters zentral vor dem Senatorenpalast positionierte Reiterskulptur des Marc Aurel vollendet die intendierte Bündelung der visuellen Aufmerksamkeit auf den Senatorenpalast (Abb. 25.3). Abb. 25: Der Kapitolplatz – eine „Piazza Sala“

Quelle: Bonelli: 439 und 441

Ein Vergleich der Ausschnittskarten der Rompläne vor (Bufalini) und nach der Neugestaltung des Kapitolplatzes (Falda) durch Michelangelo und della Porta verdeutlicht zusammenfassend die sich über rund 120 Jahre erstreckende Ent-

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wicklung des Platzes (vgl. Abb. 23 und 26). Während bei Bufalini bis 1551 der Platz noch eher rechteckig, aber schon nivelliert und mit dem Reiterstandbild des Marc Aurel versehen ist, dokumentiert Tempesta 1593 bereits die Doppelrampentreppe zum Senatorenpalast, das Oval um das Reiterstandbild, den Abriss der Ruinen auf der östlichen Platzseite und die Fertigstellung der den Platz in Richtung NW abschließenden Balustrade. Abb. 26: Ausschnitte aus der Romkarte von Falda (1676)

Quelle: Biblioteca di archeologia e storia dell’arte, Rom

Die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts angefertigten Romkarte von Falda (1676) zeigt den Platz im Wesentlichen so, wie er sich auch heute noch mit der Fertigstellung des Neuen Palastes an der Ostseite, unterhalb der Basilika S. Maria in Aracoeli, den Besuchern präsentiert. Bleibt noch anzumerken, dass alle Karten den Platz als Rechteck wiedergeben, es somit scheinbar allen beteiligten Kartographen entgangen ist, dass der Platz eine deutlich trapezoide Form hat; eine Beobachtung, die um so merkwürdiger anmutet, als zumindest die Entwürfe von Bufalini (1551) und Falda (1676) auf Vermessung beruhen und also maßstabsgetreu sind: Bufalini war selbst ausgebildeter und erfahrener Vermesser und erarbeitete seine Karte auf der Grundlage von Vermessungsarbeiten, während Falda zwar selbst kein Vermesser war, jedoch bei der Anfertigung seiner Karte den 1618 fertig gestellten und maßstabsgetreuen Romplan des ausgewiesenen Spezialisten der frühen Kartographie Matthäus Greuter übernahm (Bogen/ Thürlemann: 75, 114, 124).

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Viel eindrucksvoller als auf den eben beschriebenen Kartenausschnitten werden die Unterschiede in Folge der Neugestaltung des Kapitolplatzes durch zwei Ansichten aus der Mitte des 16. und 17. Jahrhunderts, die v.a. die Nivellierung, den Abschluss durch die Balustrade, den Zugang zum Platz durch die Treppe, seine seitliche Fassung und Abgrenzung im Trapez sowie seine Zentrierung durch die Reiterstatue und das Oval hervor heben (vgl. Abb. 27). Abb. 27: Ansichten des Kapitolplatzes vor und nach der Neugestaltung

Quelle: Wikipedia: de.wikipedia.org/wiki/Kapitolsplatz (21.06.2015)

2.2.3 Symbolische Wirkungen und atmosphärische Qualitäten Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass wir Landschaften und Orte als von Menschen gestaltete Räume wie Akte der Kommunikation verstehen, wir also davon ausgehen, dass Orte wie Texte gelesen werden können, weil sie Botschaften enthalten, die den Auftraggebern und ihren Architekten wichtig waren, Botschaften, die sie ihren Zeitgenossen und der Nachwelt mitteilen und festhalten wollten (vgl. dazu genauer Kapitel 1.1.5). Räumliche Strukturen und Architektur entfalten in der gesellschaftlichen Wahrnehmung bestimmte „symbolische Wirkungen“, eine „atmosphärische Qualität“ des Ortes. Die symbolischen Wirkungen und die atmosphärischen Qualitäten von Orten motivieren diejenigen, die über die entsprechenden materiellen, sozialen und kulturellen Ressourcen (Reichtum, Macht) verfügen, dazu, Orte zu „Schauplätzen“ zu inszenieren, räumliche Ordnungen zu schaffen, die "Geschichten" erzählen (narrative Räume) und die in ihrer symbolischen Wirkung eine Atmosphäre des Staunens, der Faszination und des kulturellen und gesellschaftlichen Halts, der Zugehörigkeit und der Identität vermitteln, wodurch zugleich die bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse reproduziert und legitimiert werden können.

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Welche Botschaften entnehmen wir nun der Neugestaltung des Kapitolhügels im 16. und 17. Jahrhundert? Bei ihrer Entschlüsselung richten wir unser Augenmerk insbesondere auf die atmosphärischen Qualitäten des Ortes und die symbolischen Wirkungen, die von den baulichen Schöpfungen und ihrer Platzierung im Raum ausgehen. Die symbolischen Wirkungen konzentrieren sich auf die folgenden fünf Aspekte: a) Wahl des Ortes, b) Umdeutung der Geschichte, c) Anpassung antiker, ursprünglich heidnisch geprägter Figuren an die christliche Ideenwelt, d) Symbolgehalt der in der Platzfigur enthaltenen geometrischen Formen und e) die Frage nach der dem Ort eigenen Aura von Macht und Herrschaft. 2.2.3.1 Wahl des Ortes Die Piazza del Campidoglio liegt auf dem Kapitol, dem der sieben Hügel Roms, der seit der Gründung der Stadt im Jahr 753 v.C., wenn auch zunächst in peripherer Lage, doch als unbestrittenes Zentrum nicht nur der Stadt, sondern zugleich des ganzen Reiches angesehen wurde. Der Hügel besteht aus drei topographischen Subeinheiten: im Norden erhebt sich der Arx, im Süden das eigentliche Capitolinum, während sich in der Senke zwischen beiden die heutige Piazza erstreckt. Obwohl das Kapitol in der kreisförmigen Struktur der sieben Hügel keine zentrale topographische Position einnimmt (Abb. 28.1), hat er sich von den Anfängen der Stadt zum kulturellen, religiösen und politischen Zentrum entwickelt. Mit der Expansion der städtischen Siedlungen von den Hügeln bis in die Niederungen des Marsfeldes und der Eingliederung dieser Gebiete in das städtische Gefüge durch die Aurealische Mauer im 3. Jahrhundert wird das Kapitol auch topographisch zum Mittelpunkt der Stadt (Abb. 28.2). Diese historisch begründete Lage inmitten von Rom hat sich bis heute erhalten. In einem Radius von einem Kilometer um den Platz befinden sich bedeutende politische Institutionen des modernen Italiens: das Parlament und der Senat der Republik, der Sitz des Premierministers, des Staatspräsidenten, des Verfassungsgerichts, kulturelle und touristische Attraktionen wie der Campo dei Fiori, die Piazza Navona, das Pantheon, die Fontana di Trevi, die Kaiserfora, das Forum Romanum, das Kolosseum und der Palatin. Der Platz selbst ist Standort bedeutender politischer und kultureller Institutionen: das Rathaus der Stadt (Senatorenpalast) und die Kapitolinischen Museen (Konservatoren- und Neuer Palast). Bei der Neukonzeption knüpften die päpstlichen Bauherren und ihre Architekten Michelangelo Buonarotti und Giacomo della Porta daran an, dass das Kapitol der wohl bedeutendste Ort in der Geschichte des antiken Roms war, denn hier befanden sich mit den Tempeln für die höchsten römischen Gottheiten

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Jupiter und Juno die wichtigsten religi igiösen Kultstätten des römischen Reiches sowie, seit Anfang des 1. Jahrhunderts rts v. Chr., mit dem Tabularium (Staatsarchiv) der wichtigste Ort für die römisch che Identität als Staat. Als derart herausragender Ort der Geschichte symbolisiert erte das Kapitol, in der Antike wie auch im päpstlichen Rom des 16. und 17. Jahrhu hunderts, den Mittelpunkt der Stadt und der Welt, Caput mundi. Als solcher Mitte ttelpunkt der Stadt und der Welt war das Kapitol zugleich Ort des höchsten Ruhm hms, denn hier lagen im antiken Rom Ziel und Endpunkt der römischen Triumph phzüge: das Kapitol als Zentrum der Welt eine Schaubühne der Macht, caput mund ndi – theatrum mundi. Abb. 28: Das Kapitol – Zentrum Roms

Quelle: Stier u.a. 1971: 18, 19

2.2.3.2 Umdeutung der Geschich chte Mit der Neukonzeption des Platzes und nd seiner ihn begrenzenden Bauten vollzogen sich aber zugleich eine Umdeutun tung der Geschichte und eine Einpassung dieses Ortes antiker Größe in die christliche Welt. Zwar wurde der Konservatorenpalast auf den alten Fundamenten Fu des Jupitertempels errichtet, aber der ihm spiegelbildlich gegenüber er liegende Neue Palast verdrängte die an ihn anschließende Basilika S. Maria inn Aracoeli aus dem Platzensemble, so dass das Kapitol fortan seine ihm aus derr Antike An angestammte (ursprünglich heidnisch begründete) sakrale Funktion ver erlor. Zugleich wurde eine radikale Wen-

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dung in der Ausrichtung des Platzes und seiner se Einbindung in den städtischen Kontext vollzogen. Während in der Antike das Kapitol einde deutig an das Forum Romanum angeschlossen war, weil die Via sacra von den en Standorten der Sitze des Pontifex maximus (Regia) und seiner Priesterinnen,, den d Vestalinnen (Tempel der Vesta), in gerader Linie und axial auf das Kapitol zulief z (Abb. 29), erfuhr diese Achse seit der Christianisierung Roms im vierten Jahrhundert Ja n.C. eine erste Überlagerung, die die ihr über Jahrhunderte anwähren ende Bestimmung radikal veränderte:

Abb. 29: Antike Achse zwischen Kapitol und d Forum F Romanum

Quelle: eigener Entwurf auf der Grundlage von Pu Putzger (1929): 40

Schon der erste christliche Kaiser Roms,, Konstantin, K legte mit dem Bau der beiden großen päpstlichen Basiliken San Pietro Pi und San Giovanni in Laterano das Fundament für eine neue, nunmehr christ istlich geprägte axiale Einbindung des Kapitols: Zieht man eine gerade Linie von der d Basilika San Giovanni im Südosten nach San Pietro im Nordwesten der Stadt, St so führt diese Gerade auf der Achse der heidnischen Via sacra exakt in der de Mitte zwischen den beiden Basiliken über das Kapitol. Das Christentum über erlagerte damit die traditionellen Anschlüsse ihrer religiösen Zentren und nahm hm den angestammten Sitz der alten römischen Götter auf dem Kapitol gewisserm rmaßen „in die Zange“ (Abb. 30).

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Abb. 30: Axiale Einbindung des Kapitols zwischen den päpstlichen Basiliken

Quelle: eigener Entwurf auf der Grundlage von Krautheimer 1987: Abb. 1

Die Neugestaltung und -ausrichtung des Kapitolplatzes durch Michelangelo ging nun noch einen Schritt weiter: Die neue, von der Mitte des Senatorenpalastes ausgehende und auf die Zugangstreppe zuführende Achse vollzog gegenüber der alten antiken Achse eine Drehung um exakt 180°, so dass die neue axiale Anbindung und Ausrichtung nunmehr der Sichtachse folgend in direkter Linie zu Vatikan, Peterskirche und –platz sowie den päpstlichen Palästen führt. Diese Linie setzt damit auch die Reiterstatue des Marc Aurel in eine neue Beziehung zum Vatikan als den nunmehr alleinigen Sitz der Päpste. Der über alle Zeiten hinweg beliebte römische Kaiser bewegt sich auf das Zentrum der christlichen Welt zu, Reiter und Pferd sind nach dorthin unterwegs, der Reiter hat die Hand zum Gruß des Gegenübers im Vatikan erhoben (vgl. Abb. 31). Zugleich wurde mit dieser neuen axialen Anbindung an den Vatikan die alte, spätantike Einbindung des Kapitols zwischen den großen päpstlichen Basiliken S. Pietro und S. Giovanni in Laterano durch den ersten christlichen Kaiser Roms, Konstantin den Großen (vgl. Abb. 30), aufgehoben. Damit wurde der rund 1000

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Jahre lang als Hauptsitz der Päpste fungiere erende Standort der Basilika und des Palastes von S. Giovanni in Laterano symbo olisch aus dem Geschehen verdrängt: Nach der Rückkehr der Päpste aus dem Ex xil in Avignon wurde die päpstliche Herrschaft ganz eindeutig nach Sankt Peter ter verlegt, wie auch die aufwendige und repräsentative Neukonzeption von Dom m, Platz und Palästen im 16. und 17. Jahrhundert eindrucksvoll belegen.

2.2.3.3 Anpassung an die christliche he Ideenwelt Auch die den Platz schmückenden und gesta taltenden Skulpturen und Monumente entstammen der heidnischen römischen Antike An und bedürfen im christlichen Rom natürlich einer Umdeutung. An promin inentester Stelle und in der Platzmitte befindet sich das antike Reiterstandbild dess römischen r Kaisers Marc Aurel (Abb. 31). Abb. 31: Reiterstatue des Marc Aurel

Quelle: eigenes Bild

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Mit der Figur und dem Namen Marc Aurel verbindet sich die Erinnerung an die einstige Größe Roms, denn er war der letzte Kaiser, zu dessen Herrschaft und Lebzeiten das Imperium seine größte territoriale Ausdehnung besaß; Marc Aurel ist in Folge seiner Amts- und Lebensführung nicht nur Symbol für politische und militärische Macht, sondern auch für Gesetz gebende und Recht sprechende Gerechtigkeit, für philosophische Werte wie Weisheit, Selbstgenügsamkeit und Freiheit von Leidenschaften (Stoa) sowie, in ökonomischer und sozialer Hinsicht, für Prosperität und Teilhabe. Für das Christentum erschien Marc Aurel als führender Vertreter der stoischen Philosophie sowohl in kosmologischer als auch in ethischer Sicht von Interesse, so dass es seit der Einführung des Christentums als Staatsreligion im Rom des vierten Jahrhunderts in Fragen christlicher und stoischer Lebensführung zu Assimilierungsprozessen vor allem in ethischen und moralischen Fragen kam. Den Stoikern und namentlich Marc Aurel galt die Weisheit als oberstes menschliches Ziel und Inbegriff eines glücklichen Daseins; Selbsterkenntnis und das Streben nach Selbstvervollkommnung waren die Ziel führenden Prinzipien menschlicher Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Haltungen. Das unablässige Streben nach Selbstformung war auf Seelenruhe und Freiheit von Leidenschaften gerichtet, Selbstgenügsamkeit und Askese galten als unabdingbare Voraussetzungen – Werte und Ziele der Lebensführung, die auch im Christentum von hoher Bedeutung waren und sind. Auch in kosmologischer Hinsicht ließ sich die Grundüberzeugung des Marc Aurel mit der christlichen Weltanschauung in ihren Prinzipien durchaus vereinbaren: Alles ist wie durch ein heiliges Band miteinander verflochten. Nahezu nichts ist sich fremd. Alles Geschaffene ist einander beigeordnet und zielt auf die Harmonie derselben Welt. Aus allem zusammengesetzt ist eine Welt vorhanden, ein Gott, alles durchdringend, ein Körperstoff, ein Gesetz, eine Vernunft, allen vernünftigen Wesen gemein, und eine Wahrheit, so wie es auch eine Vollkommenheit für all diese verwandten, derselben Vernunft teilhaftigen Wesen gibt“ (Marc Aurel: Selbstbetrachtungen VII, 9: 98f). Und vielleicht noch viel wichtiger in seiner Bedeutung für das Christentum ist das Bekenntnis des Kaisers zur Nächstenliebe: „Es ist ein Vorzug des Menschen, auch diejenigen zu lieben, die ihn beleidigen (ebd. VII, 22: 102). Die 1538 angebrachte Inschrift auf der Basis der Reiterstatue zu Ehren des römischen Kaisers lautet (Bartels: 15):

PAULUS III PONT (ifex) MAX (imus) STATUAM AENEAM EQUESTREM A S (enatu) P (opulo) R (omano) M (arco) ANTONIO PIO ETIAM TUM VIVENTI STATUAM VARIIS DEIN URBIS

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CASIB (us) EVERSAM ET A SYXTO IIII PONT (ifice) MAX (imo) AD LATERAN (ensem) BASILICAM REPOSITAM UT MEMORIAE OPT (imi) PRINCIPIS CONSULERET PATRIAEQ (ue) DECORA ATQ (ue) ORNAMENTA RESTITUERET MILIORI LOCO IN AREAM CAPITOLINAM TRANSTULIT ATQ (ue) DICAVIT ANN (o) SAL (utis) MDXXXVIII Papst Paul III. hat die bronzene Reiterstatue, die von Senat und Volk von Rom dem Markus Antoninus Pius seinerzeit noch zu Lebzeiten aufgestellt, dann in den wechselnden Schicksalen der Stadt umgestürzt und von Papst Syxtus IV. bei der Lateranbasilika wiederaufgestellt worden war, für das Andenken des besten Princeps Sorge trage und der Vaterstadt ihre Glanzlichter und Schmuckstücke wiederherstelle, von dem bescheideneren Ort auf den Kapitolplatz übergeführt und geweiht im Jahre des Heils 1538. An der Stirnseite des Platzes, in den unter der Doppelrampentreppe des Senatorenpalastes befindlichen Nischen, sind platziert: in der Mitte und zentral vor dem Aufgang zu Parlament und Regierung der Stadt die Skulptur der Stadtgöttin Dea Roma, Schutzgöttin Roms, der man schließlich anstelle der ursprünglich hier geplanten Figur des (eindeutig heidnischen) Jupiter den Vorzug gegeben hatte. Die Dea Roma wird zu beiden Seiten in den randlichen Nischen eingerahmt und begleitet von den Skulpturen der Flussgötter Nil (1547) und Tigris (1552), letztere später umgetauft in Tiber. Die Flussgötter symbolisieren die Herrschaft über den Lauf der Dinge, von der Quelle bis zur Mündung und der Auflösung des Flusswassers in der Unendlichkeit der Ozeane; die Dea Roma aber symbolisiert die Personifikation des römischen Staates; zusammen mit dem Tabularium, auf dessen Fundamenten der Senatorenpalast errichtet wurde, stehen beide für die unanfechtbare Identität der Stadt. Den Zugang zum Platz am Ende der von der Piazza S. Maria in Aracoeli heraufführenden Treppe bewachen die beiden überlebensgroßen Figuren der Dioskuren, der Zwillinge Castor und Polydeukes (Pollux), der Mythologie zu Folge in der gleichen Nacht von ihrer Mutter Leda empfangen, aber von unterschiedlichen Vätern gezeugt (Zeus und Tyndareus, König von Sparta) und von Zeus im Sternbild der Zwillinge unsterblich gemacht (Ranke-Graves: 222-224). Seit ihrem in der Legende überlieferten entscheidenden Eingreifen bei der dann für

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Rom siegreichen Schlacht am Regillu llus Iactus (500 v.C.) gelten auch sie als Schutzgötter der Stadt (Abb. 32). Abb. 32: Dioskuren bewachen den Einga ngang zur Piazza del Campidoglio

Quelle: eigenes Bild

Als Symbole der Unzertrennlichkeitt und u Unsterblichkeit stehen sie hier als Symbole für Roms Einigkeit und Ewigk wigkeit (Roma eterna); die beiden Engelsstatuen an ihrer Seite verleihen ihnen diee christliche c Weihe. Die ursprünglich ebenfalls auf dem Kapitolplatz aufgestelltee (und ( nun im Innenhof des Konservatorenpalastes befindliche) Kolossalstatue Konstantins K des Großen schließlich steht nicht nur für die einstige Größe Rom ms, sondern vor allem für die seit seiner Herrschaft erfolgte Christianisierung der de Stadt.

2.2.3.4 Geometrie der Platzform men Wie bereits ausführlich in Kapitel 1.3 .3 beschrieben, waren die Architekten und Baumeister der Zeit von den Idealen de der Renaissance erfüllt, die ihrerseits, daher der die Epoche kennzeichnende Begriff riff, auf die Werte und Normen der Antike zurückgehen. Die von Michelangelo entworfenen en Maße für die Piazza del Campidoglio lassen sich anhand von fünf Proportione nen im Hinblick auf das Ideal einer Analogie zwischen musikalischen und archit hitektonischen Harmonien überprüfen: Die Maße des Platzes (Trapez und Oval), ddie Maße des Senatorenpalastes, des Konservatoren- und Neuen Palastes, das Verhältnis Ve der Maße für den Senatorenpalast zu denen für Konservatoren- und nd Neuen Palast sowie das Verhältnis der Höhenmaße von Senatorenpalast und Reiterstatue. Re

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Das Trapez hat eine Länge von 76m sowie eine Breite am oberen Ende von 54m und am unteren Ende von 42m; das harmonische Mittel zwischen beiden Breitenmaßen wäre 48. Breite zu Länge des Platzes verhielte sich also 48:76 oder 2:3, in musikalischer Terminologie entspräche diese Proportion einer Quinte. Das Oval hat eine Breite von 45m und eine Länge von 54m, mithin eine Proportion von 5:6, musikalisch eine kleine Terz. Der Senatorenpalast misst in der Länge 54m und in der Höhe 28m, die Turmhöhe erreicht 57m. Die sich daraus ergebenden Proportionen lauten also Höhe zu Länge des Gebäudes wie 28:54 oder 1:2; die Proportion der Höhe des Gebäudes zur Turmhöhe entspricht den Maßen 28:57 oder auch 1:2; in beiden Fällen heißt die musikalische Entsprechung Oktave. Konservatoren- und Neuer Palast messen je 18m in der Höhe und 54m in der Länge, woraus sich eine Proportion von 1:3 errechnet. Die Höhenmaße vom Senatorenpalast zum Konservatoren- und Neuenpalast verhalten sich wie 18m:28m, also in einer Proportion von 2:3, d.h. in der musikalischen Entsprechung wieder eine Quinte. Die Höhe der Reiterstatue zur Höhe des dahinter liegenden Senatorenpalastes verhält sich wie 4,50m zu 28m, also wie 1:6. „Die meisten der wirklich vorhandenen Abmessungen,“ schreibt Wittkower ganz allgemein in diesem Zusammenhang über das Verhältnis zu Ideal und Realität in der Baukunst der Renaissance, stimmen nicht ganz genau mit den (theoretisch exakten) Maßverhältnissen überein, aber die Abweichungen sind gering und von der Art, wie sie die Praxis mit sich bringt (a.a.O.: 86), so verhält es sich auch mit den Maßen der Bauten und des Platzes von Michelangelo auf dem Kapitol, geringfügige Abweichungen von den idealen Proportionen. Die Piazza del Campidoglio entspricht so in ihren Proportionen den harmonischen Idealen der Baukunst ihrer Zeit. „Die Proportionen der Stimmen sind Harmonien für das Ohr, diejenigen der räumlichen Maße für das Auge“, schrieb, wie schon dargelegt, Palladio. Der Besucher, der die „Piazza Sala“ des Kapitolhügels von Norden her am Ende der Zugangstreppe zwischen den Dioskuren betrat und heute betritt, wird in diesem Sinne beim Anblick der Platzharmonien ergriffen. Er erfährt zumindest über das Auge jenes „Gefühl der Beglückung“, von dem Palladio schrieb. Er sieht, wenn er am Ende der Stufen genau mittig zwischen den Dioskuren steht, den Kaiser Marc Aurel scheinbar aus dem Portal des Senatorenpalastes heraus reiten; die Höhenproportion von Reiterstatue zu Palasthöhe beträgt in dieser Perspektive 2:3, mithin eine Quinte. Die Fassadenmaße des Senatorenpalastes entsprechen in dieser Wahrnehmung einer Oktave (1:2), eine Quinte wiederum bei der Wahrnehmung der Höhenproportionen zwischen Senatorenpalast einerseits und Konservatoren- und Neuem Palast andererseits. Die Harmonie des Platzes jedoch in seiner vollkommenen Propor-

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tionalität erschließt sich dem Betrachter allerdings nur von oben, d.h. von der erhobenen Position der Terrasse am Ende der Doppelrampentreppe vor dem Eingangsportal des Senatorenpalastes: eine Quinte bei der Wahrnehmung des Trapezes (2:3) und eine kleine Terz (5:6) beim Anblick des darin eingelassenen Ovals der Piazza. Lässt der Besucher von hier aus den Blick in die Ferne schweifen, nimmt er genau in der Verlängerung der Mittelachse des Platzes den Ort wahr, wo nach katholischem Glauben der Stellvertreter Gottes seinen irdischen Amtssitz hat, der Pontifex Maximus, der einst in Person Papst Pauls III. Michelangelo den Auftrag zur Gestaltung dieses architektonischen Meisterwerks gab. Wenn nicht alles täuscht, empfand der Betrachter zu Zeiten der Renaissance und des Barock angesichts dieser Maße und Proportionen „ein Gefühl der Beglückung“ nicht nur für das Auge, sondern darüber hinaus wohl auch für das innere Ohr, nämlich „…die für menschliche Ohren nicht hörbare Musik der himmlischen Sphären“ (Platon: Timaios 35B-36B, zitiert nach Wittkower 1983: 85). Seit dem 18. Jahrhundert wurde im Zuge der neuen Weltanschauung des Liberalismus zunehmend mit den Prinzipien der Proportions- und Harmonienlehre der Renaissance und des Barock gebrochen; schon Ende des 17. Jahrhunderts vertrat der Architekturtheoretiker Claude Perrault die Meinung, „dass musikalische Konsonanzen nicht in visuelle Proportionen umgesetzt werden können“ (Wittkower 1983: 116) und vice versa. In der Folgezeit wurde dann „der ganze Bau der klassischen Ästhetik systematisch zerstört… Proportionen wurden zur Sache des individuellen Empfindens“, beim Architekten wie beim Publikum (Wittkower 1983: 123). Gleichwohl werden wohl auch heute noch die Besucher der Piazza del Campidoglio von den Proportionen und Harmonien des Platzes und der ihn flankierenden Gebäude ergriffen sein und jenes alte „Gefühl der Beglückung“ empfinden. Ob sie aber auch beim visuellen Wahrnehmen der Proportionen jene musikalischen Klänge im inneren Ohr erklingen hören, wie es den gebildeten Betrachtern der Renaissance und des Barock vielleicht möglich war, ist ungewiss, zu viel vom einstigen Hörvermögen ist abhanden gekommen, zu viel wurde stellvertretend, weil einfacher zu empfinden, ans Auge delegiert. Die inhaltliche Interpretation der geometrischen Figuren, ihre Semantik, ihre mögliche Bedeutung im Kontext architektonischen Gestaltens, ist indes weit vom Wesen der Mathematik als einer exakten Wissenschaft entfernt, denn während die Mathematik als streng logische Wissenschaft nur „wahr oder falsch“ kennt, beruht die Interpretation ihrer Formen auf dem Spiel mit dem „sowohl als auch“ und ist also nicht zu trennen von der Subjektivität semantischer Auslegungen. Sowohl Kreis und Oval als auch Quadrat und Trapez haben einen Mittelpunkt, dieser Punkt steht für das Besondere, das Einmalige; dies ist der Punkt, an

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dem alles beginnt, kenntlich gemacht als Standort außergewöhnlicher, vielleicht sogar einmaliger Kunstwerke und Skulpturen: z.B. der Reiterstatue des Marc Aurel auf der Piazza del Campidoglio, steht die Reiterstatue als Symbol für Recht und Gerechtigkeit. Als reine Form übt das Trapez (wie das Oval) auf die Betrachter bzw. Beteiligten eine bestimmte Wirkung aus: Entweder verspürt man einen Sog (auf einen bestimmten Punkt hin) oder man hat – in umgedrehter Richtung – das Gefühl, dass ein Ausschnitt sich weitet und einem etwas dargeboten wird. Sowohl das Oval wie auch das Trapez stehen in ihrer geometrischen Form ganz in der Tradition der klassischen Theaterbühnen und werden als solche auch explizit in den zeitgenössischen Lehrbüchern der Architektur vorgestellt (vgl. Kapitel 1.2.4, 1.3.10 und 1.3.11). Der große und repräsentative Platz im Zentrum Roms als Theaterbühne, Renaissance der antiken Größe Roms: Roma caput mundi, teatrum mundi. Abb. 33: Ansicht des Kapitols angefertigt durch Piranesi

Quelle: Piranesi. Vision und Werk, von John W. Ely

Die atmosphärischen Qualitäten des Ortes werden eindrucksvoll wieder gegeben durch die etwa 100 Jahre nach der Fertigstellung des Platzes angefertigte Vedute Piranesis.

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Abbildung 33 hebt insbesondere den stadtwärtigen Zugang zum Platz über die repräsentative Treppe und die symmetrische Gestaltung der den Platz begrenzenden Bauten und ihrer der römischen Antike entlehnten Architektur hervor und verweist damit eindrucksvoll auf die einstige Größe Roms als Zentrum der antiken Welt und auf ihren Fortbestand als Hauptstadt des christlichen Glaubens unter der Herrschaft der Stellvertreter Gottes. 2.2.4 Das Kapitol – ein Ort von Macht und Herrschaft? Unter den vielen der am neuen Kapitolplatz beteiligten Päpste ist Paul III Alessandro Farnese (1534-1549) sicherlich der bedeutendste. Von ihm stammt die Idee, den Platz auf dem Kapitol anlässlich des Triumphzuges für Karl V. grundsätzlich neu zu gestalten; er vergab den entscheidenden Planungsauftrag an den berühmtesten Baumeister seiner Zeit, Michelangelo Buonarotti, der den dann anschließend im Verlauf der nächsten 120 Jahre realisierten Plan eines Grundrisses zwischen 1537 und 1539 entwarf. Paul III. ist einer der Päpste nicht nur des 16. Jahrhunderts, sondern überhaupt, der sich wirklich auf das Verfassen von architektonischen und räumlichen Botschaften verstand. Neben der Neugestaltung der Piazza del Campidoglio gehen noch zwei weitere entscheidende Aufträge zur Neugestaltung von großen und repräsentativen römischen Plätzen auf ihn zurück: der Auftrag an Michelangelo zum Weiterbau des Petersdomes, der neuen Basilica San Pietro und der Auftrag an den Straßenbaumeister (maestro di strade), Latino Giovenale Manetti, das nördliche Rom, das antike Marsfeld, v.a. für die vielen, aus Nord- und Mitteleuropa anreisenden Pilgerströme, ausgehend von der Porta und Piazza del Popolo, durch drei sternförmig auseinander laufende Straßen („tridente“) neu zu erschließen. Architektonisch und städtebaulich sind auch zwei weitere von ihm in Auftrag gegebene Bauwerke von außerordentlicher Bedeutung: zum einen der für ihn, seine Nepoten und die Familie der Farnese 1534 von Antonio Sangallo begonnene, 1546 von Michelangelo fortgesetzte und 1589 von Giacomo della Porta fertig gestellte Palazzo Farnese (Abb. 34.1) und zum anderen die von seinem Neffen Kardinal Alessandro Farnese 1550 erbaute Villa Farnese (Abb. 34.2), Landhaus der Farnese in Caprarola, etwa 60 km nördlich von Rom im Latium gelegen. Beide Bauten sind Zeugnisse bester Architektur der Renaissance, ersterer als Stadtpalais, der zweite als Landsitz. Alle von Paul III. in Auftrag gegebenen Bauten dokumentieren eindrucksvoll den Willen des Papstes, seine Macht und Herrschaft nicht zuletzt durch räumliche Botschaften anhand heraus ragender Architektur und Platzgestaltung zu legitimieren und zu konsolidieren, Botschaften, die auch fast 500 Jahre nach

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ihrer Konzeption immer noch Bestand habe ben und täglich von Römern und den nach Rom strömenden und sie bestaunenden en Touristen wahrgenommen werden. Diese Botschaften von Macht und Herrschaf aft sind wohl auch von der neuen, zur Weltherrschaft aufgestiegenen Macht der Gegenwart, Ge den Vereinigten Staaten von Amerika, verstanden worden, denn dies ese kopierten den Grundriss der Villa Farnese (Abb.35.1) für ihr von 1941 bis 1943 43 erbautes Verteidigungsministerium in Washington D.C., das Pentagon – Demon onstration von Macht und Herrschaft nach dem Vorbild des päpstlichen Modells (Abb. (Ab 35.2).

Abb. 34: Palazzo und Villa Farnese

Quelle: eigene Bilder

Abb. 35: Grundrisse der Villa Farnese und des de Pentagon

Quelle:

http://www.nerone.cc/services/accomm mmodation/italybb/localities/caprarola.htm

und http://de.wikipedia.org/wiki/Pentagon (21.06.2 6.2015)

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Ist nun auch die Piazza del Campidoglio als Ort von Macht und Herrschaft zu werten? Angesichts der Harmonie und des Gleichgewichts, die von der Platzkonzeption ausgehen, ist man zunächst geneigt, dies zu verneinen; allerdings sind auf der anderen Seite die überwiegend Macht und Herrschaft ausdrückenden Symbole überwältigend: strenge Axialität, Aufnahme und Neuausrichtung der antiken Axialität des Forum Romanum, die zentrale Platzierung der Statue des Marc Aurel, um nur die wichtigsten zu nennen, verleihen der Komposition die „Kraft und Stärke (von) Unsterblichkeit“. Obwohl „der Raum in der Tat sehr klein (ist), (verleiht ihm die Monumentalität ein anderes Maß…Die symbolische, repräsentative Bedeutung des als caput mundi entworfenen Platzes sowie die Architektur des Kapitolsplatzes sind in ihrer perfekten und einzigartigen Form Spiegel und Symbol der Größe seines Schicksals“ (Delfante: 114). Karl V. und Paul III., beide Machtpolitiker ersten Ranges (Friedensburg), wären beeindruckt gewesen, wenn das Kapitol sich 1536 beim Triumphzug des Kaisers durch Rom so präsentiert hätte, wie Michelangelo es bereits zu diesem Zeitpunkt als Entwurf ins Auge gefasst hatte.

2.3 P IAZZA C OLONNA Bis zum Antritt des Pontifikats von Alexander VII. Fabio Chigi am 7. April 1655 hatten viele seiner Vorgänger Villen und Paläste vor allem im Ostteil Roms errichten lassen, im „disabitato“, dem in der Spätantike als Wohnraum weitgehend aufgegebenen Teil der Stadt. Hier ließen sich großzügige Palast- und Gartenanlagen bauen, wie z.B. Villa Medici, Villa Borghese, Palazzo Quirinale, Palazzo Barberini etc., weil keine Rücksicht auf Eigentumsverhältnisse und vorhandene Bausubstanz genommen werden musste. Dies war jedoch, wie Richard Krautheimer urteilt, nicht das Rom, das Alexander als seine und die Hauptstadt der Kirche im Sinn hatte: His was to be a new Rome, with the imprint of his personality, a Roma Alessandrina. He was not interested in laying out either in the disabitato or beyond the walls a huge Chigi villa as the Ludovisi, the Borghese and the Pamphili had done. On the contrary, it was the abitato, the built-up old town, that he meant to change (Krautheimer 1985: 17).

Abbildung 36 zeigt, dass alle städtebaulichen Akzente Alexanders im mittelalterlichen abitato lokalisiert sind. Allein sechs Bauvorhaben liegen an der antiken Via Lata, der späteren Via del Corso, der Hauptverbindungsachse zwischen dem Kapitol, Zentrum der antiken Stadt und Welt, und der Porta Flaminia, der späte-

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ren Porta del Popolo, dem Tor der Stadt Richtung Norden und zu den Machtzentren Europas seit dem Beginn des Mittelalters. Die Via del Corso war bis Mitte des 17. Jahrhunderts zur vornehmsten Straße Roms geworden, „a favourite site for erecting large and at times distinguished palaces and churches or remodelling old ones. But these structures, by Alexanders’s times, were outmoded; others remained unfinished, crowded by humble houses” (Krautheimer 1985: 21). Etwa in der Mitte der Via del Corso zwischen Kapitol und Porta del Popolo liegt die Piazza Colonna, Musterbeispiel für die o.a. städtebaulichen Probleme. Abb. 36: Piazza Colonna im Rahmen der städtebaulichen Pläne Alexanders VII.

Quelle: Krautheimer 1985: 18

2.3.1 Baugeschichte und Konzept des Platzes Im 16. und 17. Jahrhundert war die Piazza Colonna vor allem als repräsentativer Standort für die Sitze des hohen Adels und Klerus beliebt, also ein eher durch private Nutzung geprägter Raum. Hier wurden u.a. die Stadtpalais für die päpstlichen Familien Aldobrandini (Clemenz VIII., 1592-1605), Ludovisi (Gregor XV. 1621-1623) und Chigi (Alexander VII., 1655-1667) errichtet. Die Geschichte der Neukonzeption und Gestaltung der Piazza Colonna und seiner anliegenden Gebäude verbindet sich insbesondere mit Papst Alexander VII. (Chigi) und seinem bevorzugten Architekten Gianlorenzo Bernini.

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Wie schon zwei seiner Vorgänger, Papst (Clemenz VIII) Aldobrandini und Papst Gregor XV. Ludovisi suchte sich auch Alexander VII. den Platz mit der Siegessäule für Marc Aurel als Standort eines Stadtpalais für sich, seine Nepoten und seine Familie aus. Zu Beginn der Amtszeit von Alexander VII. präsentierte sich der Platz mit der Säule eher chaotisch, unfertig, schlicht als „blamabel“: „a crowded area, with a great column and the palaces, unfinished in large parts, rising from a clutter of mean houses, workshops and stables. To Alexander it was a blemish to be removed as fast as possible“ (Krautheimer 1983: 196). Die 1656, ein Jahr nach Beginn der Amtsperiode von Alexander VII. angefertigte Zeichnung von Felice della Greca vermittelt einen guten Eindruck über die Präsentation des Platzes vor seiner Neugestaltung (Abb. 37). Abb. 37: Piazza Colonna 1656 nach Felice della Greca

Quelle: Krautheimer 1985: 54

Im Jahr 1659 ließ Alexander VII. den Palazzo Aldobrandini kaufen und gab im gleichen Jahr Felice della Greca und Giovan Battista Costantini den Auftrag, den Palast als repräsentative Stadtresidenz für seine Nepoten und seine Familie umzubauen. Zugleich erhielt Bernini den päpstlichen Auftrag zur Platzsanierung. Berninis Plan von 1659 lässt die folgenden grundlegenden Änderungen in der Platzgestaltung erkennen (Abb. 38): •

Abriss des L-förmigen Gebäudekomplexes im NW des Platzes

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• •

Abriss der im N gelegenen Gebäude von Kirche und Kloster und Begrenzung der Bebauung auf eine Linie mit dem in westlichen Ecke des Platzes angrenzenden Gebäude Palazzo Montecitorio Festschreibung der so gewonnen Freiflächen auf dem unüberbaubar Bau eines neuen Palazzo Ludovisi im W.

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Barnabite der nordLudovisiPlatz als

Abb. 38: Piazza Colonna: Bestandsplan (1655, ASR, disegni e mappe, cart. 80, 252) und Berninis Plan (1659; ASR, notai di acque e strade, vol. 88, 1660, c. 375

Quelle: Krautheimer 1985: 55 und 57

Ursprünglich hatte Alexander VII. noch an den Erwerb und Umbau des Palazzo Ludovisi nach Plänen von Pietro da Cortona gedacht, der für ihn einen Palast von kolossaler Größe und Architektur entworfen hatte: „In the most impressive variant of the project a huge oval fountain with figures is enveloped and surmounted by a palace; the facade, articulated by a colossal order of columns and pilasters above a plain rusticated basement, curves back in the center to open over the fountain in a triumphal arch flanked by short wings. An ingenious design,…it would have dominated the square on a large scale” (Krautheimer 1985: 55, 57). Der monumentale Neubau des Palazzo Ludovisi wurde aber ebenso wenig realisiert wie Berninis Mitte der 1660er Jahre skizzierte Idee, die nicht ganz zentral positionierte Siegessäule für Marc Aurel wenigstens optisch in die Platzmitte zu rücken. Wie in Abbildung 38 ersichtlich, nimmt der Platz in Folge

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seiner randlichen Bebauung eine exakt quadratische Form an; die auf dem Platz seit der Antike aufgestellte Siegessäule für Marc Aurel steht jedoch, sehr zum Missfallen von Papst und Baumeister, deutlich nicht in der Mitte des Platzes. In den kontinuierlich von Auftraggeber und Baumeister gepflegten Planungsdiskussionen wurde dieser Missstand immer wieder erörtert, und Bernini sann auf Abhilfe. Eine Verlagerung der Säule kam nicht in Frage, weil die Gefahr, sie dabei zu beschädigen oder gar zum Einsturz zu bringen, als zu groß erachtet wurde. Natürlich spielten auch die für zu hoch eingeschätzten Kosten für eine Versetzung der Säule eine Rolle. Die von Bernini schließlich erdachte und vorgeschlagene Idee, die Säule wenigstens optisch in die Platzmitte zu verrücken, sah den Bau einer Skulptur in Gestalt eines Bootes vor, die genau in der Mitte des Platzes stehen und die Säule symbolisch als Mast in sich aufnehmen sollte, ist schließlich doch nicht realisiert worden (Abb. 39). Abb. 39: Piazza Colonna, Siegessäule als Mast im Boot (Skizze Bernini)

Quelle: Krautheimer 1985: 58

Das Aussehen des Platzes nach seiner Fertigstellung wird im Ausschnitt der von Falda 1676 erstellten maßstabsgetreuen Karte wieder gegeben. Gerade aber hinsichtlich des eben erörterten Standorts der Säule wird bei aufmerksamer Betrachtung der Karte deutlich, dass der Kartograph die Lage vor Ort nicht so ganz genau aufgenommen hat, denn hier befindet sich die Säule doch ganz offensichtlich in der Mitte des Platzes (Abb. 40). Auch die 1690 von Vergelli angefertigte Vedute der Piazza Colonna wählt ihre Perspektive, d.h. die Fluchtlinie zwischen Säule und dem im Hintergrund platzierten Palazzo Ludovisi so geschickt, dass der Eindruck entsteht, die Säule sei in der Mitte des Platzes positioniert (Abb. 41). Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass der im Vordergrund der Vedute und auch im Ausschnitt der Faldakarte wahrnehmbare Brunnen zwar im Bestandsplan des Platzes vorhanden (vgl. Abb. 38.1), nicht

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jedoch im amtlich registrierten Umbauplan des d Platzes (vgl. Abb. 38.2) vorgesehen war.

Abb. 40: Piazza Colonna in der Romkarte von Falda (1676): Säule in der Platzmitte

Quelle: Biblioteca di archeologia e storia dell’arte, te, Rom

Neben der Säule des Marc Aurel waren undd sind es bis heute die den Platz säumenden und ihn begrenzenden Palazzi, die Form Fo und Gestalt der Piazza Colonna bestimmen und ihm sein Gesicht geben: • • • •

im Westen der Palazzo Ludovisi, späte äter Palazzo Wedekind, heute Il Tempo di im Süden der Palazzo Bufalo-Ferraidi im Osten der Palazzo Giustini-Spada, a, heute Galeria Colonna und im Norden schließlich der Palazzo Chhigi, vormals Aldobrandini.

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So war die Baugeschichte des Platzes nach nur 25 Jahren bereits zu Ende, nachdem der Palazzo Aldobrandini von den Architekten Felice della Greca und Giovan Battista Costantini zum neuen Palazzo Chigi umgebaut worden war. Abb. 41: Piazza Colonna in einer zeitgenössischen Vedute aus dem Jahr 1690

Quelle: G.T. Vergelli, in: Krautheimer 1985: 21

2.3.2 Symbolische Wirkungen und atmosphärische Qualitäten Es sei an dieser Stelle noch einmal daran erinnert, dass wir Landschaften und Orte als von Menschen gestaltete Räume wie Akte der Kommunikation verstehen, wir also davon ausgehen, dass Orte wie Texte gelesen werden können, weil sie Botschaften enthalten, die den Auftraggebern und ihren Architekten wichtig waren, Botschaften, die sie ihren Zeitgenossen und der Nachwelt mitteilen und festhalten wollten (vgl. dazu im Einzelnen Kapitel 1.1.5). Räumliche Strukturen und Architektur entfalten in der gesellschaftlichen Wahrnehmung bestimmte „symbolische Wirkungen“, eine „atmosphärische Qualität“ des Ortes (Löw: 229). Über atmosphärische Qualitäten fühlen sich die Menschen an Orten wohl oder von ihnen abgestoßen, heimisch oder fremd, und sie reagieren auf die atmosphärische Qualität von Orten mit Zustimmung oder Ablehnung. Orte schaffen deshalb über symbolische Wirkungen und atmosphärische Qualitäten Attraktivität, Identität und Zugehörigkeitsgefühle (Inklusion), sind aber auch geeignet, vermittelt über eine bestimmte räumliche Ordnung und Architektur, Ausgrenzungen vorzunehmen (Exklusion) (ebd.: 228).

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Es sind v.a. die symbolischen Wirkungen und die atmosphärischen Qualitäten von Orten, die diejenigen, die über die entsprechenden materiellen, sozialen und kulturellen Ressourcen (Reichtum, Macht) verfügen, dazu motivieren, Orte zu „Schauplätzen“ zu inszenieren, räumliche Ordnungen zu schaffen, die "Geschichten" erzählen (narrative Räume) und die in ihrer symbolischen Wirkung eine Atmosphäre des Staunens, der Faszination und des kulturellen und gesellschaftlichen Halts, der Zugehörigkeit und der Identität vermitteln, wodurch zugleich die bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse reproduziert und legitimiert werden können. Welche Botschaften entnehmen wir nun der Neugestaltung der Piazza Colonna im 17. Jahrhundert? Bei ihrer Entschlüsselung richten wir unser Augenmerk insbesondere auf die atmosphärischen Qualitäten des Ortes und die symbolischen Wirkungen, die von den baulichen Schöpfungen und ihrer Platzierung im Raum ausgehen. Die symbolischen Wirkungen konzentrieren sich wiederum auf die folgenden vier Aspekte: a) Wahl des Ortes, b) Umdeutung der Geschichte, c) Anpassung antiker, ursprünglich heidnisch geprägter Figuren an die christliche Ideenwelt, d) Symbolgehalt der in der Platzfigur enthaltenen geometrischen Formen und die Frage, inwieweit die Piazza Colonna ein Ort von Macht und Herrschaft ist. 2.3.2.1 Wahl des Ortes Was machte die Piazza Colonna so attraktiv für drei Päpste, Clemenz VIII Aldobrandini, Gregor XV. Ludovisi und Alexander VII. Chigi, die den Platz als Standort für ihre Stadtresidenzen und -palais erwählten? Wie fast immer kann bei der Standortwahl im neuzeitlichen Rom die Lösung in der Geschichte des antiken Rom gefunden werden: Die Piazza Colonna ist in erster Linie mit dem Namen des Kaisers Marc Aurel konnotiert, der Platz ist nicht nur der Standort für seine Siegessäule, sondern wahrscheinlich auch der Standort für den Tempel zu seinen Ehren, Templum divi Marci Aurelii, für den Kaiser und Gott Marc Aurel (Abb. 42). Ob Alexander von dem antiken Standort des Tempels wusste, ist nicht bekannt, wenn ja, wäre sein Motiv der Ortswahl unmittelbar einleuchtend: ein Ort als Stadtresidenz, der imperiale und göttliche Macht gleichermaßen anklingen lässt: ein Haus für den neuzeitlichen pontifex maximus auf den Fundamenten des antiken (heidnischen) Vorgängers.

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Abb. 42: Piazza Colonna im imperialen en Rom – Standort für Tempel und Siegessäule des göttlichen Kaiserss Marc M Aurel

Quelle: Carandini: tavola 245

Wie dem auch sei, die Piazza Colonna na muss für die Päpste der frühen Neuzeit von erheblichem Interesse gewesen sein ein, denn auch Sixtus V., der insbesondere für sein Straßenprojekt gerühmte Papst, st, sah die kleine Piazza Colonna in seinem Plan als einen durch die von ihm geplan lanten geraden Straßen zu vernetzenden Ort vor (Abb. 43). Abb. 43: Piazza Colonna im Plan des Sixtus Si V.

Quelle: Fresko in der Sixtinischen Kapelle

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2.3.2.2 Umdeutung der Geschichte und Anpassung an die christliche Ideenwelt Wie im Falle des Kapitolplatzes ist auch bei der Piazza Colonna der antike Kaiser Marc Aurel von zentraler Bedeutung; schon der Name des Platzes ist mit der Säule (colonna) zu seinen Ehren verbunden. Die Figur und der Namen Marc Aurel stehen im Rom des 17. Jahrhunderts nicht nur für die einstige Größe Roms und einstige antike politische und militärische Macht, sondern auch für philosophische Werte wie Gerechtigkeit, Weisheit, Selbstgenügsamkeit und Freiheit von Leidenschaften (Stoa) und, in ökonomischer und sozialer Hinsicht, für Prosperität und Teilhabe. Für das Christentum erschien Marc Aurel als führender Vertreter der stoischen Philosophie v.a. insofern von Interesse, als sein unablässiges Streben nach Selbstformung und Seelenruhe, Selbstgenügsamkeit und Askese ganz wesentliche Werte und Ziele der Lebensführung beinhalteten, die auch im Christentum von hoher Bedeutung waren und sind. Nun erschien es allerdings den päpstlichen Machthabern der Renaissance und des Barock doch nicht angeraten, den heidnischen Herrscher und Denker, der zugleich wie alle anderen römischen Kaiser auch oberster Priester, pontifex maximus, war, völlig unkommentiert auf der städtischen Bühne vor ihren Residenzen zu präsentieren – immerhin hatte es auch unter seiner Herrschaft Christenverfolgungen gegeben. Wie in anderen Fällen auch, wurde die Figur in christlichem Sinne umgedeutet, um ihre Akzeptanz in der christlichen Gemeinde zu erhöhen. An ihrem Sockel wird die Umdeutung und christliche Anpassung in der folgenden Inschrift sichtbar (Bartels: 113): TRIUMPHALIS ET SACRA NUNC SUM CHRISTI VERE PIUM DISCIPULUM FERENS QUI PER CRUCIS PRAEDICATIONEM DE ROMANIS BARBARISQ (ue) TRIUMPHAVIT

Triumphal und heilig bin ich jetzt, da ich Christus’ wahrhaft gläubigen Schüler trage, der durch des Kreuzes Verkündigung über Römer und Barbaren triumphiert hat.

Auf der Spitze der Säule ließ Sixtus V. deshalb, wie im Sockeltext festgeschrieben, die Statue des Marc Aurel entfernen und durch eine Statue mit der Figur des Apostels Paulus, des „gläubigen Schülers Christus“, ersetzen, der darüber hinaus

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mit einem Heiligenschein gekrönt wurd rde – Umdeutung der Geschichte und Eingliederung des heidnischen pontifex maximus in die christliche Ideenwelt. max

2.3.2.3 Geometrie der Platzform men Wie in der Renaissance hatten auch die ie Architekten und Baumeister des Barock bei der Formgebung und Gestaltung ihrer ihr Plätze ein besonderes Augenmerk auf geometrische Formen (siehe dazu ausfü führlicher Kapitel 1.3). Wie bei anderen Plätzen Roms auch ch, unterliegt die Piazza Colonna strengem geometrischen Maß und einer geometr trischen Form. Ausgehend von der Zeichnung Leonardos „der vitruvianische Mensch“ M und Palladios Empfehlungen für ideale Raumtypen sind die für Renaiss issance und Barock geltenden architektonischen Normen vorgegeben: Maßstab,, Gleichgewicht, Harmonie, Axialität und Symmetrie, Normen, die in den geomeetrischen Figuren von Quadrat und Kreis ihren Ursprung nehmen. Die Form der Piazza Colonna pass sst in besonderer Weise zu der Zeichnung Leonardos über das architektonische im menschlichen Maß: Sowohl Quadrat als auch (immanent) Kreis liegen der Form ormgebung der Piazza Colonna zu Grunde (Abb. 44). Leider entsprach der vorgef efundene Standort der Säule nicht den ästhetischen Vorstellungen von Papst und un Baumeister; die Säule liegt eben nicht genau im Mittelpunkt des Platzes, so dass d Quadrat und Kreis nicht, wie in der Zeichnung Leonardos, im Nabel des Menschen M ihre Mitte finden. Die von Bernini geplante optische Verschiebung vgl. vg Abb. 39) hätte geometrisch daran allerdings auch nichts geändert. Abb. 44: Das architektonische im menschlichen c Maß: Quadrat und Kreis

Quelle: Galleria dell’Accademia, Venedig

Unter den vielen der an der Neukonzep eption der Piazza Colonna beteiligten Päpsten ist Alexander VII. (1655-1667) sich cherlich der bedeutendste. Von ihm stammt

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die Idee, den Platz inmitten des antiken Marsfeldes grundsätzlich neu zu gestalten; er vergab den entscheidenden Planungsauftrag an den berühmtesten Baumeister seiner Zeit, Gianlorenzo Bernini. Alexander VII. ist wohl einer der Päpste nicht nur des 17. Jahrhunderts, sondern überhaupt, der sich wirklich auf das Verfassen von architektonischen und räumlichen Botschaften verstand, denn neben der Neugestaltung der Piazza Colonna gehen noch zwei weitere entscheidende Aufträge zur Überarbeitung von übergeordneten römischen Plätzen auf ihn zurück: Piazza S. Pietro (Petersplatz) und Piazza del Popolo. Krautheimer berichtet nach Durchsicht der Tagebücher des Papstes, dass er nicht Bernini (oder irgendeinen anderen seiner Baumeister), sondern stets sich selbst als ultimative Instanz im baulichen Planungs- und Entscheidungsprozess sah: „We“ – he always uses the royal we – „determine“ (disegniamo) (no. 303); „Together with Bernini we have made many projects“ (disegni); (he does not mean drawings) (no. 137). At times he actively interfered: „We have moved back from the street to the church“ of S. Andrea al Quirinale (no. 235)…or again „We point out (to Bernini) that he should make the courtyard …longer than wide“ (no. 760)…Occasionally there is an amusing sidelight: „Tell the majordomo that Bernini should not see the drawings of Pietro da Cortona and vice versa, that deal was imprudent“ (no. 37) or „Borromini is bursting with fury because of the appointment of the architect for the Chapel of the Apostles at S. Giovanni in Laterano“ (no. 123) (Krautheimer 1975: 200). 2.3.3 Exkurs: Die Piazza Colonna im räumlichen Gefüge des heutigen Rom: Ein Ort von Macht und Herrschaft Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass Alexander VII. die politische Ortsbestimmung des Platzes in der republikanischen Antike kannte – die Piazza Colonna ist mit der Neukonzeption und dem Umbau des ehemaligen Palazzo Aldobrandini zum Palazzo Chigi in ihrer Bestimmung zu dem zurück gekehrt, was sie schon zu den republikanischen Zeiten Roms charakterisierte: ein Ort der Politik. Hier, im Palazzo Chigi und dem davor liegenden Platz, in unmittelbarer Nähe des Mons Septorius, dem Ort der septa, wo sich im republikanischen Rom Patrizier und Plebejer versammelten, um ihre politischen Rechte auszuüben und über die Geschicke des Staates abzustimmen, ist auch in der Neuzeit ein bevorzugter Ort der Politik in Italien. Von hier aus wurde und wird bis heute Weltpolitik betrieben. Ende des 17. Jahrhunderts wurde der Palazzo zum Sitz der Botschaft Spaniens in Rom, 1878 Sitz der Botschaft Österreich-Ungarns, beides Hegemonialmächte zu ihrer Zeit; von 1916 bis 1922 residierte hier das italienische Kolonialministerium, später, auf Entscheidung Mussolinis, von 1922 bis

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1961 das Außenministerium, seither ist der Palazzo Chigi Sitz des italienischen Ministerpräsidenten. Heute ist die Piazza Colonna Mittelpunkt einer räumlichen Achse, die sich zu beiden Seiten des Platzes in einer Länge von gut 1000 m quer und im rechten Winkel von 90 ° zur Via del Corso erstreckt (Abb. 45). Innerhalb dieser axialen Anbindung befinden sich im Westen nur 500 m entfernt der Senat (Palazzo Madama) und direkt im Anschluss an die Piazza Colonna die Abgeordnetenkammer (Palazzo Montecitorio), während auf der anderen Seite, ebenfalls in einer Entfernung von 500 m, die Sitze des Staatspräsidenten (Palazzo Quirinale) und des Verfassungsgerichts (Palazzo della Consulta) lokalisiert sind. Der Sitz des Premierministers im Palazzo Chigi liegt exakt in der Mitte zwischen dem Senat auf der einen Seite und dem Staatspräsidenten und Verfassungsgericht auf der anderen Seite. Abb. 45: Piazza Colonna – ein politischer Ort

Quelle: eigener Entwurf

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Interessant für die räumlichen Anordnungen der politischen Institutionen und der räumlichen Strukturierung der Piazza Colonna als Ort von Macht und Herrschaft sind die Bestimmungen der Verfassung Italiens hinsichtlich der Gewaltenteilung. Gemäß Verfassung ist Italien eine demokratische Republik (Art. 1), in der das Volk der Souverän ist (Art. 2). Um diese Souveränität auszuüben, haben alle Staatsbürger das Recht das Parlament zu wählen, Männer und Frauen, wenn sie volljährig sind (Art. 48). Das Parlament setzt sich aus der Abgeordnetenkammer und dem Senat der Republik zusammen (Art. 55). Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und repräsentiert die nationale Einheit (Art. 87). Er wird vom Parlament gewählt (Art. 83). Die Regierung besteht aus dem Präsidenten des Rates (Ministerpräsident) und den Ministern, die zusammen den Rat der Minister bilden (Art. 92). Der Präsident des Ministerrates bestimmt die Richtlinien der Politik…und koordiniert die Aktivitäten der Minister (Art. 95). Der Verfassungsgerichtshof entscheidet über Streitfragen von staatlichen und regionalen Gesetzen…, Zuständigkeitskonflikten zwischen Organen der Staatsgewalt…und Anklagen, die auf Grund der Verfassung gegen den Präsidenten der Republik und die Minister erhoben werden (Art. 134, zitiert nach Bassani u.a., Übersetzung: W.H.). Wenn wir die Platzierungen der politischen Institutionen richtig lesen, dann ist hier die politische Ordnung der bürgerlichen Demokratie in Italien räumlich wohl geordnet und symbolisch dargestellt: Ausgangpunkt ist die Piazza del Popolo („alle Macht geht vom Volke aus“); von hier aus erschließen drei Straßen in gerader Linie die Innenstadt Roms: in der Mitte die Via del Corso, im Westen die Via di Ripetta und, in deren Verlängerung, die Via della Scrofa und im Osten die Via del Babuino und die Via dei Due Macelli. Alle drei Straßen können als Wege zu den spezifischen Orten der politischen Macht in Italien angesehen werden. Die Via del Corso teilt den politischen Raum oder das politische Feld Italiens in seiner Hauptstadt in drei Teile. Genau in der Mitte, gewissermaßen auf der Nulllinie des politischen Feldes, befindet sich im Palazzo Chigi an der Piazza Colonna, der Sitz der Exekutive, des Präsidenten des Ministerrates, hier werden die Richtlinien der Politik bestimmt, hier wird die politische Macht unmittelbar ausgeübt. Die Exekutive wird von den beiden (räumlich westlich vom Palazzo Chigi positionierten) Institutionen der Legislative kontrolliert, dem Senat im Palazzo Madama) und der Abgeordnetenkammer (im Palazzo Montecitorio); beide zusammen, Exekutive und Legislative, bereiten Gesetze vor, die das Abgeordnetenhaus und der Senat beschließen. Hinsichtlich ihrer verfassungsmäßigen Rechtmäßigkeit werden diese dann ihrerseits von den (östlich und jenseits des räumlichen Sitzes der Exekutive platzierten) Institutionen der Judikative, des Obersten Verfassungsgerichts und des Staatspräsidenten

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(dem gemäß der italienischen Verfassung erhebliche Überprüfungsrechte hinsichtlich der von der Exekutive und Legislative initiierten Gesetze zukommt) kontrolliert. Die räumlichen Platzierungen der demokratischen Institutionen mit der Exekutive (Palazzo Chigi) in der Mitte und der sie flankierenden Orte der Legislative (Palazzo Madama und Palazzo Montecitorio) auf der einen Seite sowie der Judikative (Palazzo della Consulta und Palazzo del Quirinale) auf der anderen bestimmt das quer zur Via del Corso zu beiden Seiten der Piazza Colonna verlaufende räumliche Band als Ort der Gewaltenteilung in der Republik Italien, die Piazza Colonna, für sich genommen, jedoch eindeutig als einen demokratisch ausgewogenen und sich im Gleichgewicht der politischen Kräfte befindlichen Ort von Macht und Herrschaft. Die räumlichen Platzierungen der drei Straßen (Via di Ripetta, Via del Corso und Via del Babuino/Via dei Due Macelli) sind natürlich von Papst Paul III. nicht in dem Bewusstsein vorgenommen worden, zu den Institutionen zu führen, die 400 Jahre später die Exekutive, Legislative und Judikative der bürgerlich demokratischen Republik Italien bilden. Es ist aber durchaus denkbar, dass sich die „Väter“ des postfaschistischen Italiens etwas dabei dachten, als sie sich diese, von der Piazza del Popolo ausgehenden und die Innenstadt Roms erschließenden, Straßen zunutze machten, am Ende dieser Straßen die genannten Institutionen in den Palazzi Madama, Montecitorio, Chigi, Quirinale und Consulta platzierten und damit eine räumliche Erzählung schufen, die dem Souverän, dem Volk, und den von ihm gewählten Repräsentanten die politische Gewaltenteilung ihrer Republik stets vor Augen zu halten geeignet ist. Die politische Erfahrung der letzten 50 Jahre hat allerdings gezeigt, dass weder der italienische Souverän noch seine parlamentarischen Vertreter willens oder in der Lage waren, diese Botschaft zum Wohle der Republik zu beherzigen.

2.4 P IAZZA N AVONA Es gibt da einen kleinen Restaurator, der in einem höhlenartigen Raum hoch oben im obersten Stock eines Häuschens zugleich Werkstatt und Wohnung inne hat, eine Räumlichkeit, deren Zugang sich als verbauter und schwieriger präsentiert als der zum Gipfel des K2. Man muss im Dunkeln eine nicht zusammenhängende, aus vielen Teilstücken bestehende Treppe emporsteigen, dabei mit dem Kopf ganze Scharen von Fledermäusen und mit dem Fuß Rudel von Mäusen in die Flucht versetzen, um schließlich in einer Höhle zu enden, der es, um die Inszenierung zu vervollständigen, nur am dazu gehörenden Gespenst fehlt. Der Handwerker, der hier gemeinsam mit seinem wegen Vitaminmangels

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rachitischen Sohn und einer an Hormonüberschuss leidenden Katze wohnt und arbeitet, klagt über Rheumatismus. Das glaube ich gerne – sagte ich ihm eines Tages – warum ziehen Sie nicht um?’ Er sah mich an, als wenn ich ihm vorgeschlagen hätte, einen Raubüberfall zu begehen. Dann kramte er schweigsam in einem Kistchen, zog einen ausgefransten Pergamentbogen heraus und reichte ihn mir. Der Text war in Latein verfasst, ein Mietvertrag, der auf das Jahr 1562 zurückging. ‚Von damals an – sagte er – und das sind mehr als vierhundert Jahre, hat meine Familie hier immer gewohnt, immer das gleiche Handwerk ausgeübt (Montanelli: XV, übersetzt von W.H.).

Was mag den Reiz, die Attraktivität ausmachen, die Generation nach Generation die Anwohner der Piazza Navona so ortsverliebt erscheinen lässt? Ganz sicher ist es nicht die unmittelbare Nachbarschaft zu den noblen Adressen, den Palazzi, die vom römischen Adel seit Jahrhunderten bewohnt werden, wie die folgende kleine Begebenheit verdeutlicht: Unter meiner Wohnung gibt es da eine berühmte Osteria mit dem unverwechselbaren römischen Namen – Mastrostefano – , die sich seit ich weiß nicht wie vielen Generationen von Vater auf Sohn übertragen hat. Eines Tages, Anfang des (20.) Jahrhunderts, kamen hierher zwei Herren um zu speisen, einer der beiden, obwohl bürgerlich gekleidet, leicht zu erkennen an seinen langen, stets nach oben getrimmten Schnurrbartenden. Der Wirt jedoch würdigte ihn nicht eines Blickes und befand ihn wie alle anderen Gäste, nämlich als eine Nervensäge, der gegenüber nur die berufliche Pflicht es gebot, sich höflich zu zeigen. Als die Rechnung beglichen wurde, sagte der andere Herr, die Geduld vor so viel Gleichgültigkeit verlierend: ‚Aber, Mastrostefano, haben Sie denn nicht erkannt, wer die Person ist, die Sie soeben die Ehre hatten zu bedienen?’ ‚Und wer ist es?’ antwortete der Wirt, ohne die Augen von dem Zettel zu lassen, auf dem er mit Bleistift seine Ziffern aufreihte. ‚Seine Majestät Kaiser Wilhelm, Kaiser von Deutschland’ verkündete triumphal der andere. ‚Ah – verlautete Mastrostefano – sehr erfreut’ und fuhr fort, seine Rechnung aufzustellen (Montanelli: XVf, übersetzt von W.H.).

Es muss wohl ein spezieller genius loci sein, der hier die Piazza Navona mit der ihr eigenen Attraktivität und Atmosphäre beseelt – worin aber mag er bestehen?

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2.4.1 Baugeschichte Die Piazza Navona liegt inmitten dess antiken Marsfeldes, des nördlichen Teils a Roms, das erst Ende des zweiten Jahrhu hunderts durch den Bau der Aurelianischen Mauer vor feindlichen Angriffen gesch chützt war. Im Unterschied zu vielen anderen Bauwerken der Antike ist der Ort über die Jahrtausende hinweg immer als herausragendes Bauwerk wahrzunehm men gewesen. Die das antike Marsfeld rekonstruierende Darstellung von Piran anesi lässt den Ort neben dem Theater des Marcellus, dem Pantheon, der Siegessäule säu des Marc Aurel und dem Mausoleum des Augustus als eines von wenigen aus au der Antike erhaltenen Bauten auf dem Marsfeld erkennen (Abb. 46). Abb. 46: Lage der heutigen Piazza Navo vona auf dem antiken Marsfeld

Quelle: Piranesi 1762: Tafel II

In der römischen Antike wurde der Pla latz als Stadion genutzt (Abb. 47); 86 n.C. erbaut von Kaiser Domitian, im Mittel telalter „Campus Agonis“, im 16. Jahrhundert „Circus Agonalis“ genannt, dann n im i Volksmund später, wohl nicht zuletzt wegen seines einem Schiffsrumpf ähnlichen hn Grundrisses, Piazza Navona genannt. Gegründet zur Feier des agonn capitolini, der den antiken olympischen Spielen ähnlichen Wettkämpfe zu Ehren ren des Jupiter, die alle fünf Jahre abgehal-

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ten wurden, war das Stadion ein Ort für Waagenrennen, athletische Wettkämpfe und musikalische Aufführungen (Bosticco u.a.: u. 4).

Abb. 47: Stadion des Domitian

Quelle: Carandini, A. (2012): Atlante di Roma antica an . Vol.2: Tavole e indici, Rom: tavola 235

Der heutige Grundriss der Platzanlage hatt ssich seit Erbauung des Stadions unverändert erhalten, auch wenn die vor fast 20 2000 Jahren verbauten Steine seit dem Mittelalter als Steinbruch zum Bau anderer er Bauwerke genutzt wurden. Im 15. Jahrhundert waren schließlich nur mehr Fund ndamente der antiken Wettkampfstätte vorhanden, heute noch zu besichtigen am m Nordende des Platzes; die erhaltenen Teile der einstigen Wettkampfstätte (Ab Abb. 47). Ein Stich aus dem 15. Jahrhundert zeigt, dass die Fassaden der den Platz Pla säumenden Häuser damals nach außen, noch nicht zum Platzinneren zeigen. Bis Mitte des 15. Jahrhunderts also ist der Ort noch nicht als Platz wahrgenomm mmen worden. Dies änderte sich erst gegen Ende des Jahrhunderts: 1475 ließ Paps pst Sixtus IV. (1471-1484) das Innere des künftigen Platzes nivellieren und gab Order Or an die Eigentümer der am Platz gelegenen Liegenschaften, die seit dem Mitt ittelalter „chaotisch und konfus“ ausgerichteten Häuserfronten zu begradigen. Nur Nu zwei Jahre später ließ der Kardinal d’Estouteville den römischen Wochenmarkt rkt vom Kapitol auf die neue Piazza verlegen: der Markt sollte, weg vom die Grö röße des antike Roms repräsentierenden Kapitol, dahin verlagert werden, wo sic ich das Alltagsleben in der beginnenden Neuzeit der Stadt abspielte. Zu diesem m Zweck erhielt der Platz auch zum ersten Mal eine Pflasterung aus Ziegelstein inen (Bosticco: 22). Papst Alexander VI. (Rodrigo Borgia, 1492-1503) schließlic lich begann, die Häuserfassaden zum Platzinneren ausrichten, so dass die Piazza in den ersten Jahren des 16. Jahrhun-

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derts „il centro piu vivo e palpitante te di Roma“ wurde, das belebteste, das “vibrierendste ” Zentrum Roms (Bosticc icco u.a.: 24). Einen Eindruck vom Aussehen des es Platzes gegen Ende des 16. Jahrhunderts vermittelt ein Ausschnitt aus der Romk karte von Cartaro aus dem Jahr 1576: drei Brunnen verteilen sich auf dem Platz, tz, der, mit Ausnahme der Kirche Nostra Signora del Cuore (Abb. 48, rechts oben en) und der beiden Palazzi in der Mitte der Westseite des Platzes, von schlichten n Bürgerhäusern gesäumt ist. An diesem Erscheinungsbild ändert sich bis etwa wa Mitte des 17. Jahrhunderts nichts von Bedeutung, bis 1644 Innozenz X. Giova vanni Battista Pamphilj zum Papst gewählt wurde.

Abb. 48: Die Piazza Navona im 16. Jahr hrhundert im Kartenausschnitten des Planes von Cartaro (1576)

Quelle: Biblioteca di archeologia e storia del ell’arte, Rom

Unverzüglich begann jetzt die Papstfam familie, eine Reihe von Liegenschaften an der Piazza Navona aufzukaufen, um ausreichend a Platz für den beabsichtigten Bau eines repräsentativen Stadtpalaiss (Palazzo Pamphilj) und einer dem Rang der Familie angemessenen Kirche (San ant’Agnese) zu haben. Den Planungs- und Bauauftrag für beide Vorhaben erhielte lten Girolamo Rainaldi und sein Sohn Carlo, denen allerdings schon ein Jahr nach ch der Grundsteinlegung für die Kirche im Jahr 1653 der Auftrag entzogen wurd rde, weil der Papst mit ihrer Arbeit nicht zufrieden war. Stattdessen setzte France cesco Borromini den Bau fort und beendete ihn 1657, zwei Jahre nach dem Tod od von Innozenz X. Die Fertigstellung des neuen Familienpalastes konnte der Pap apst noch erleben: Auch die Innenarbeiten waren mit der Ausmalung der „Galleria ria“, des großen, quer zur Platzfront orientierten „Festsaales von fürstlicher Allür lüre“ durch Pietro da Cortona im Jahr 1654 abgeschlossen (Rotzler 1964a: 22).

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Schon vor der Errichtung der Kirche Sant’Agnese und des Palazzo Pamphilj hatte der Papst beschlossen, den Platz durch eine Erneuerung der Brunnenanlagen neu zu gestalten. In einem ersten Schritt wurden 1645 die Wasser der Acqua Vergine der Piazza Navona zugeführt. Zwei Jahre später wurden von führenden Künstlern Roms Entwürfe für einen neuen Brunnen eingeholt, der die alte, in der Platzmitte positionierte Pferdetränke ersetzen sollte. Wenngleich der Papst entschlossen war, die Ausführung des Brunnens an Borromini zu vergeben, gelang es Gianlorenzo Bernini mit seinem auf eigene Kosten entwickelten Modell eines Vier-Ströme-Brunnens („Fontana dei Fiumi“) den Auftrag zu erhalten. Der Brunnen war vollendet, bevor 1652 der Grundstein für den Kirchenneubau gelegt worden war: Die feierliche Einweihung des Brunnens erfolgte im Juni 1651 (Rotzler 1964b: 38). Die Ausstrahlungskraft des Vier-Ströme-Brunnens war derart überwältigend, dass sich der Papst genötigt sah, „Bernini auch mit der sich aufdrängenden Umgestaltung der beiden anderen Brunnen zu beauftragen“, obwohl er ihm, dem bevorzugten Baumeister des Innozenz verhassten päpstlichen Vorgängers, Urban VIII. Maffeo Barberini, in keinster Weise wohl gesonnen war. 1655 war der am Südende des Platzes stehende Brunnen „Fontana del Moro“ fertig gestellt; die Ausführung des am Nordende geplanten Gegenstückes ist wegen des im gleichen Jahr erfolgten Todes von Innozenz X. nicht mehr durchgeführt worden. Erst im 19. Jahrhundert erfolgte die Aufstellung eines „Neptunbrunnens“ am Nordende der Piazza (Rotzler 1964b: 38). Nach Abschluss der Bauarbeiten wurden im 17. Jahrhundert zwei Romkarten veröffentlich: die von de Rossi (1667) und die von Falda (1676). Der Ausschnitt des de Rossi-Plans zeigt von den Gebäuden, die den Platz umrahmen, nur die Grundrisse und legt den Akzent mehr auf die plastisch hervor gehobenen Brunnen (Abb. 49). Die knapp zehn Jahre später veröffentlichte Romkarte von Falda (Abb. 50) konzentriert sich demgegenüber auf die den Platz säumende Gebäude, so dass der Blick auf den die Platzgestaltung krönenden Vier-Ströme-Brunnen perspektivisch weitgehend verstellt ist. In ihrer Ergänzung vermitteln aber beide Karten zusammen einen guten Eindruck über die im Pontefikat von Innozenz X. erfolgten Baumaßnahmen zur Neugestaltung der Piazza Navona.

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Abb. 49: Ausschnitt Piazza Navona aus der Romkarte von de Rossi (1667)

Quelle: Biblioteca di archeologia e storia dell’arte, Rom

Abb. 50: Ausschnitt Piazza Navona aus der Romkarte von Falda (1676)

Quelle: Biblioteca di archeologia e storia dell’arte, Rom

2.4.2 Konzept und Idee des Platzes Der Ausgangspunkt für die Neugestaltung der Piazza Navona war auch 1500 Jahre nach der Errichtung des antiken Zirkus mit dem Grundriss der Rennbahn bereits vorgegeben. Auch „wenn…von dem Riesenbau Domitians nichts übrig blieb als ein paar kümmerliche Reste,…so wurde dafür etwas erhalten, das schöner und großartiger ist als jede Ruine: die abstrakte Form, die Idee des antiken Monuments…“ (Gasser: 2, Hervorhebung ebd.). Die Herausforderung der baro-

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cken Baumeister bestand nun darin, die „Verwandlung einer Rennbahn in einen Platz zu bewerkstelligen, den Ansprüchen ihrer Bauherren zu genügen und zugleich den Gesamteindruck der Anlage zu wahren“ (Gasser: 3). Diese Herausforderungen stellten sich in erster Linie den Baumeistern des Palazzo Pamphilj (Girolamo und Carlo Rainaldi) und der Kirche Sant’Agnese (Francesco Borromini). Die Rainaldis standen zunächst einmal vor dem Prolem, auf relativ eng bemessenem Raum einen dem Papst und seiner Familie angemessenen und würdigen Palast zu errichten und doch den zurückhaltenden Charakter der Platzanlage nicht zu verletzen, eine Aufgabe, der sich die beiden mit Erfolg gestellt haben. „Es gelang (ihnen), einen Bau auszuführen, der sich trotz seiner (im Vergleich zu den anderen Baukörpern des Platzes) monumentalen Ausmaße und des reichen Schmuckes an Säulen, Pilastern, Balustraden, Fenstergiebeln so harmonisch in die Front einfügt, dass er das Gleichgewicht in keiner Weise stört“ (Gasser: 2f). Noch schwieriger gestaltete sich die Aufgabenstellung für Borromini und seinen Entwurf zur neuen Kirche Sant’Agnese. Der verfügbare Bauplatz war insbesondere in seiner Tiefenausdehnung sehr begrenzt, denn unmittelbar nach hinten angrenzend befand sich schon der auf gleicher Höhe an der Via dell’ Anima befindliche Baukörper eines Hauses. Diese begrenzten Platzverhältnisse vor allem in der Tiefe stellten eine Herausforderung dar, die praktisch zum Grundriss eines Zentralbaus zwang; eine Herausforderung, die letztlich zu einem „Meisterwerk der Einordnung“ führte (Rotzler 1964a: 21). Da die Fassade der Kirche, ihre „Schauseite“ zum Platzinneren hin, dem Auftrag des Bauherrn entsprechend natürlich möglichst reich und prächtig gestaltet sein sollte, hätte sie für den Gesamteindruck des Platzes leicht als zu beherrschend und erdrückend wirken können. Dieser Gefahr begegnete der Architekt dadurch, „das Mittelstück seiner Kirchenfassade leise einzubuchten und dadurch dem mächtigen Portikus seine Schwere zu nehmen. Auch setzte er die Kuppel so weit nach vorn, dass nun die Kirche nicht mehr als kubischer Körper wirkt, sondern ausgesprochen kulissenartigen Charakter hat“ (Gasser: 3). Um jeden Eindruck eines Fremdkörpers im ansonsten eher bescheidenen Gebäudeensemble des Platzes zu vermeiden, gelang es Borromini durch geschickte Verzahnung der Kirche mit den benachbarten Palästen eine Art Bindeglied herzustellen, so dass „es auf den ersten Blick schwer zu sagen ist, ob sie nun eigentlich noch zur einen oder schon zu den anderen gehören“ (Gasser: ebd.). Der Eindruck der harmonischen Einfügung von Kirche und Palast wird schließlich abgerundet durch die Abstimmung der Farben: Der Grundton des Platzes wird von einem Spektrum bestimmt, das vom „tiefen Ochsenblutrot über alle Varianten von rötlichem Ocker bis zum blassen

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Gelb spielt und die eigentliche Wappenfarbe der Stadt ist“ (Gasser: ebd.). Dieser Grundton wird auch von Palast und Kirche eingehalten. Abb. 51: Piazza Navona in einer Vedute von Piranesi: Palazzo Pamphilj, Sant’Agnese, Fontana del Moro (im Vordergrund) und Vier-Ströme-Brunnen mit Obelisk

Quelle: John W. Ely: Piranesi. Vision und Werk, München 1978

Ähnlich anspruchsvoll wie für Palast und Kirche gestaltete sich Berninis Aufgabe, eine Brunnenanlage zu entwerfen, die „kraftvoll den Mittelpunkt eines schmalen, langgestreckten Platzes betont, ohne seine Einheit zu zerstören (Rotzler 1964b: 38). Der „Vier-Ströme-Brunnen“ ruht auf einer flachen, in den Boden versenkten runden Schale, in der ein aus mächtigen Travertinblöcken bestehendes Felsmassiv ruht. Aus den vier Ecken des Felsbrockens sind in Gestalt von vier Flussgöttern die größten damals bekannten Flüsse der Kontinente heraus gearbeitet: an der Westseite und deren südlicher Ecke, gegenüber der Fassade von Sant’Agnese, die Donau (Europa), ebenfalls an der Westseite, aber an der nördlichen Ecke, der Rio della Plata (Amerika), während an der Ostseite und deren nördlicher Ecke der Nil (Afrika) und an deren südlicher Ecke der Ganges (Asien) positioniert sind. Den jeweiligen Flussgöttern sind, ihrer Herkunftsregion entsprechend, charakteristische Pflanzen und Tiere zugeordnet und um sie herum aus dem Fels herausgearbeitet, aus dem zugleich aus unterschied-

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licher Höhe Quellwasser entspringt, ganz so, als handele es sich um die Quellen der vier Hauptströme der Welt (Rotzler: ebd.). Gekrönt wird der Vier-StrömeBrunnen durch den sechzehn Meter hohen Obelisken des Domitian, den dieser in den 80er Jahren des 1. Jahrhunderts aus Assuan nach Rom transportieren ließ (Rotzler 1964b: ebd.). Nach Fertigstellung des „Vier-Ströme-Brunnens“ (1651) nahm Bernini 1653 auch die zwei Jahre später vollendete Neugestaltung des am Südende der Piazza Navona aufgestellten Brunnens „Fontana del Moro“ auf. Ausgehend von der bestehenden, von Giacomo della Porta konzipierten, Figur der vier Tritonen, schuf Bernini ein mächtiges Bassin in Form einer Muschelschale, in deren Mitte und zwischen die Tritonen er als neue Figur einen mit einem Delphin kämpfenden Wassergott stellte. Die Neugestaltung des am Nordende des Platzes aufgestellten Neptun-Brunnens konnte nicht mehr in Angriff genommen werden, denn Papst Innozenz X., mit dessen Pontifikat sich die Platzgestaltung der Piazza Navona verbindet, starb 1655. 2.4.3 Symbolische Wirkungen und atmosphärische Qualitäten Welche Botschaften entnehmen wir nun der Neugestaltung der Piazza Navona im 17. Jahrhundert? Bei ihrer Entschlüsselung richten wir unser Augenmerk insbesondere auf die atmosphärischen Qualitäten des Ortes und die symbolischen Wirkungen, die von den baulichen Schöpfungen und ihrer Platzierung im Raum ausgehen. Die symbolischen Wirkungen konzentrieren sich auf die folgenden vier Aspekte: a) Wahl des Ortes, b) Anpassung antiker, ursprünglich heidnisch geprägter Figuren an die christliche Ideenwelt, c) Symbolgehalt der in der Platzfigur enthaltenen geometrischen Form und d) die Piazza Navona – ein Ort der Macht und Herrschaft? 2.4.3.1 Wahl des Ortes Die Piazza Navona liegt, wie bereits einleitend beschrieben, inmitten des antiken Marsfeldes an dem Ort, der seit dem Ende des ersten Jahrhunderts n.C. Standort des Stadions des Domitian war, ein Ort für Wagenrennen, athletische Wettkämpfe und musikalische Aufführungen. Die Neugestaltung des Platzes durch Innozenz X. spiegelt offensichtlich einen symbolischen Akt wider, der insbesondere in der Ausgestaltung des Vier-Ströme-Brunnens mit dem ihn krönenden antiken Obelisken zum Ausdruck kommt: direkt vor die päpstliche Kirche Sant’Agnese platziert, symbolisiert das Monument die Wiederauferstehung der alten, antiken Größe und Macht Roms, nun aber im Zeichen der christlichen Macht: Die vier Ströme Nil (Afrika), Rio della Plata (Amerika), Ganges (Asien) und Donau

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(Europa) symbolisieren in Gestalt der jeweiligen Flussgötter die christliche Herrschaft über die zu der Zeit bekannten Erdteile und die Welt; Flüsse, bis zu deren Grenzen sich die Herrschaft der katholisch-christlichen Fürsten Spaniens und Portugals im 17. Jahrhundert erstreckte, letztlich ein Reich, das noch ausgedehnter war als das Römische Reich in den Zeiten seiner größten Machtentfaltung. Kann die Wiederauferstehung der alten, antiken Größe und Macht Roms als ausreichendes Motiv für Innozenz X. angesehen werden, die Piazza Navona neu gestalten zu lassen? Das Stadion des Domitian ist sicherlich ein großartiges antikes Bauwerk, aber es gibt ebenso sicherlich besser geeignete Standorte in Rom für ein derartiges Vorhaben. Es ist deshalb vermutet worden, dass die „geheimste, aber auch persönlichste Triebfeder“ für Innozenz X. darin bestand, dass er diesen Platz „einfach liebte, an dem er aufgewachsen war und viele Lebensjahre verbracht hatte. Es ist auch überliefert, dass er nur ungern im Vatikan residierte, am liebsten an der Piazza Navona seinen Wohnsitz behalten hätte, was die Etikette natürlich verbot, und wann immer es möglich war, bei seiner Familie an der Piazza zu Mahlzeiten und Besprechungen einkehrte“ (Rotzler 1964a: 21) – ein Motiv, das für die hohe Lebensqualität und Beliebtheit dieses Platzes spricht. 2.4.3.2 Anpassung an die christliche Ideenwelt Der Ort in der Mitte der Westseite des Platzes, wo der Papst sich durch Borromini die monumentale Hauskirche für sich und seine Familie Pamphilj errichten ließ, war schon zuvor Standort für eine kleine frühchristliche Gedächtniskirche. Diese erinnerte an die junge römische Christin Agnes, die sich der Legende nach geweigert hatte, den Sohn des Christen feindlichen Präfekten Sempronius zu heiraten, worauf hin sie zum Tode verurteilt wurde. Nach römischem Recht durfte allerdings keine Jungfrau hingerichtet werden, so dass man beschloss, sie zuvor öffentlich zu vergewaltigen. Am Ort ihrer Hinrichtung, dem Stadion des Domitian, wuchsen ihr, die nackt zur Schau gestellt wurde, jedoch plötzlich so lange und dichte Haare, dass sie wie bekleidet erschien, die Henker „den ersten Teil ihres Auftrags vergaßen und die jungfräuliche Christin gleich hinrichteten“ (Rotzler 1964a: 21). Die Kirche Sant’Agnese ist das bei weitem größte und prächtigste Bauwerk auf dem Platz, leuchtendes Symbol für die Standhaftigkeit und moralischen Überlegenheit des christlichen Ideenguts gegenüber dem heidnischen Rom. Prunkstück des Platzes und daher sein Mittelpunkt ist aber zweifellos der von Bernini erschaffene Vier-Ströme-Brunnen, über dem sich der von Domitian aus Ägypten nach Rom verbrachte Obelisk erhebt (Abb. 52). Obelisken galten im

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antiken Ägypten als steinerne Strahlen des Sonnengottes und symbolisierten so eine Verbindung zwischen der irdischen und der göttlichen Welt, ganz so wie im heidnischen und christlichen Rom die Figur des Pontifex maximus. Abb. 52: Obelisk des Domitian mit Hieroglyphen und dem päpstlichen Wappen

Quelle: Bosticco u.a.: 221

Der Obelisk des Domitian ist auf allen vier Seiten mit Hieroglyphen beschriftet, deren Dechiffrierung auf J. F. Champellion (1822) zurück geht (Bosticco u.a.: 217). Aus dem Text geht zweifelsfrei hervor, dass die Beschriftung nicht von einem altägyptischen Herrscher, sondern dem römischen Kaiser Domitian selbst in Auftrag gegeben wurde, denn er ist ihm gewidmet. Der aus den Hieroglyphen ins Italienische übersetzte Text lautet: „Cesare Domiziano Augusto Autocrate“ und „egli ha inalziato un obelisco di granito rosso, grande“ – er hat einen großen Obelisken aus rotem Granit errichtet. Ihm zu Ehren werden seine kaiserlichgöttlichen Eigenschaften beschrieben: „grande per potenza, giovane valoroso, colui che mette in opera la perfezione, valoroso nella difesa, efficace protezione della terra intera, quello il cui volto dèi e uomini lodano”: groß durch seine Macht, jugendlich und tapfer, der die Perfektion ins Werk setzt, tapfer in der Verteidigung, wirksam in der Beschützung der ganzen Welt; er, dessen Antlitz Götter und Menschen loben (Bosticco u.a.: 220), Attribute, die er aus göttlicher Macht gewissermaßen mit der Muttermilch übertragen bekommen hat: „colui alla cui bocca le due Signore (Isis e Nephthys) offrirono i loro seni“ und „Signora degli uomini (porre) il suo diadema sul capo di lui, che vive come Ré in eterno“, dem die göttlichen Herrscherinnen ihre Brüste reichten und dem die Herrscherin über die Menschen ihr Diadem auf das Haupt setzt, ihm, der lebt wie Gott in Ewigkeit (Bosticco u.a.: 222, Übersetzung: W.H.).

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Natürlich konnte das antike und heidnische Monument nicht kommentarlos vor der Hauskirche des Papstes aufgestellt werden; deshalb wurde auf dem Obelisken und an seiner Basis das Wappen der päpstlichen Familie eingefügt: die Taube mit dem Olivenzweig im Schnabel, Symbol des Heiligen Geistes, des christlichen Friedens und Zeichen der Pamphilj zugleich (Bosticco u.a.: 34), und auf dem Sockel des Obelisken eine Inschrift mit den folgenden Worten angebracht (Bartels: 70):

NOXIA AEGYPTORIUM MONSTRA

Die schuldbefleckten Götzen der Ägypter

INNICENS PREMIT COLUMBA

Drückt nieder die unschuldige Taube,

QUAE PACIS OLEAM GESTANS

Die, des Friedens Ölzweig tragend

ET VIRTUTEM LILIIS REDIMITA

Und mit den Lilien der Tugenden bekränzt,

OBELISCUMPRO TROPH (a) EO SIBI

Indem sie den Obelisken als Siegesmal für

STATUENS

sich aufstellt,

ROMAE TRIUMPHAT

In Rom triumphiert.

2.4.3.3 Geometrie der Platzformen Da die heutige Piazza Navona exakt auf den Fundamenten des antiken Stadions des Domitian erbaut wurde, hat sie auch dessen Proportionen übernommen: Das Stadion maß einst 106m in der Breite und 276m in der Länge; die Innenmaße der Piazza Navona betragen seit Restauration der Platzanlage im Barock 65m in der Breite und 240m in der Länge, woraus sich eine Proportion von 1:4 ergibt, mithin die komplementäre Ergänzung zu 3:4, der Quarte. „Man mag im Zweifel sein,“ schreibt Wittkower, „ob (etwa) Palladios Maße tatsächlich so verwickelte Beziehungen enthalten. Mögen wir uns noch so genau an seine Zahlen halten – man mag uns des Irrtums beschuldigen, der modernen Proportionsforschern so oft unterläuft, dass wir in ein Gebäude Beziehungen hineinlesen, die gar nicht in der Absicht des Architekten lagen“ (ebd.: 112). Auch wenn die im Fall der Piazza Navona vorliegende Proportion durchaus den Maßen und Idealen der Zeit entspricht, erscheint es unwahrscheinlich, dass ihr Bauherr und ihre Baumeister derartiges im Sinn gehabt haben; vielmehr liegt nahe, dass es sich bei den Proportionen der Piazza schlicht um die Übernahme der Maße handelt, die sich aus den Fundamenten des antiken Stadions ergeben hatten. Ähnliches gilt natürlich auch hinsichtlich der symbolisch-semantischen Deutung der geometrischen Figur, ihrer möglichen Bedeutung im Kontext architektonischen Gestaltens. Diese ist nicht nur weit vom Wesen der Mathematik als einer exakten Wissenschaft entfernt, weil die Mathematik als streng logische Wissenschaft nur „wahr oder falsch“ kennt, während die Interpretation ihrer Formen auf dem Spiel mit dem „sowohl als auch“ beruht also nicht zu trennen

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ist von der Subjektivität psychologischer Deutungen. Im Fall der Piazza Navona kommt darüber hinaus ins Spiel, dass die geometrische Form weitgehend durch den antiken Bau des Stadions bereits vorgegeben war. Gleichwohl ist festzustellen, dass die hier vorliegende geometrische Figur dem ästhetischen Empfinden der Zeit stark entgegen kam. Grundsätzlich gilt: „Die Barockkunst spricht die selbe Sprache wie die Renaissance, aber einen verwilderten Dialekt davon“ (Burckhardt: 344-346). Die Renaissance stehe für Reformation und Protestantismus, also für Einfachheit und Klarheit, während das Barock in seinem Kontext Begriffe wie Gegenreformation, Restauration und Absolutismus mit sich führe, Begriffe, in deren semantischem Umfeld das Exzentrische, Übertriebene, Pompöse zu Hause sind. Konstitutiv für die Formgebung der Piazza Navona sind als geometrische Grundfiguren die Ellipse bzw. das Oval. In der dem „Vier-Ströme-Brunnen“ als Basis dienenden runden Schale erscheint der Kreis, während der sich über der Mitte der Schale (des Kreises) erhebende Obelisk geometrisch als Punkt gedeutet werden kann. In diese Deutung passt auch die Interpretation der Platzmitte mit dem sich darüber erhebenden Monument: Sowohl Kreis als auch Oval haben einen Mittelpunkt, dieser Punkt steht für das Besondere, das Einmalige; dies ist der Punkt, an dem alles beginnt, der antike Obelisk des Domitian, nunmehr unten und oben gefasst durch das Wappentier der Pamphilj, der Taube, Symbol des Heiligen Geistes und des christlichen Friedens. 2.4.3.4 Ort der Feste Wie der Kapitolplatz ist die Piazza Navona, trotz ihrer beachtlichen Größe (das Innere des antiken Stadions maß 228m in der Länge und 53m in der Breite, (Bosticco u.a.:16), eine „piazza sala“ (Bonelli:440), denn man gewinnt einen Einblick erst, nachdem man den Platz durch seine schmalen Zugangsöffnungen betreten hat: ein öffentlicher Raum mit der Atmosphäre eines Saales, offen und geschlossen zugleich. Dann jedoch „(verschlägt) der Anblick dir den Atem, und nur zögernd entschließt du dich, die leuchtende Bühne zu betreten“ (Gasser: 2). Eine Bühne ist die Piazza Navona gewesen seit der Neukonzeption des Platzes Mitte des 17. Jahrhunderts: Jahrmarktbühnen, Marionetten- und Puppentheater, Volksfeste, Wasserspiele, Karneval – die Piazza Navona ist „eine Art Theater, eine Schaubühne für mehr oder weniger makabre und groteske Spektakel, in denen sich die römische Wirklichkeit in all ihren sozialen Schichten und bürgerlichen Unterscheidungen, in ihren Widersprüchen und Unausgewogenheiten, in Gestalt von unzähligen Bildern und Ausschnitten einer szenischen Erzählung zur Schau stellt, wo alles möglich und glaubhaft wird, aber auch wo niemand bril-

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liert wenn nicht im Spektakel und im Vergnügen selbst“ (Bosticco u.a.: 49, übersetzt durch W.H.).

Abb. 53: Giovanni Pannini: Festa del Lago di Piazza Navona (1756)

Quelle: Niedersächsisches Landesmuseum

Ganz besonderes Theater wurde auf der er Piazza geboten, seit man entdeckt hatte, dass der Platz eine konkave Mulde bilde ldet; dies bedeutete, dass der Platz in seiner Mitte geflutet werden konnte, etwa bei ei plötzlichen und ergiebigen Regenfällen. Natürlich konnte die Überflutung auchh künstlich k erzeugt werden. Seit dem Pontifikat von Innozenz X. wurde die Piaz azza Navona v.a. im Sommer, im niederschlagslosen und heißen Monat August, st, unter Wasser gesetzt. Dann wurde der in einen See verwandelte Platz („piazza aallagata“) zur Kulisse für prächtige Empfänge im Hause Pamphilj. Für Fahrten n über den gefluteten Platz zu ihrem Palast hatte sich die Familie Pamphilj eigenss einen e vergoldeten Wagen in Gestalt einer Gondel bauen lassen (Gasser: 4), und d zu den Festen im Palazzo Pamphilj fuhr die römische und europäische Aristokra ratie vor, während das Volk am Rande des Platzes zusammen lief, um das Spektak takel zu bestaunen (Bosticco u.a.: 79; vgl. Abb. 53).

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2.4.4 Die Piazza Navona – ein Ort von vo Macht und Herrschaft? Hat man Bilder wie das von Giovanni Pann nnini vor Augen, ist man geneigt, die Piazza Navona als einen Ort anzusehen, von n dem eine Aura der Macht und Herrschaft ausgeht, ein Eindruck, der allerdingss keinen k Bestand hatte. Zwar versuchte Innozenz X. nach dem Bau seiner prächtig tigen Hauskirche, seines repräsentativen Stadtpalais und der monumentalen Bru runnenanlage auch den gesamten Innenraum des Platzes zu „adeligen“, ihm sein einen plebejischen Aspekt zu nehmen, g der Macht und des weil dieser sich nicht mit der grandiosen Zurschaustellun Z Prestiges der Familie Pamphilj vertrug, alle llerdings waren seine Versuche, z.B. den Wochenmarkt einzuschränken oder garr ganz g vom Platz zu verdrängen, nicht von Dauer. Schon sein Nachfolger, Papst Alexander Ale VII. Fabio Chigi, hob sofort nach Amtsantritt alle mit dem Platz verbund ndenen Einschränkungen seines Vorgängers auf (Bosticco u.a.: 58 und 64). Die Di volkstümliche Physiognomie des Platzes kehrte mit der Vielzahl seiner Händle dler, ihren aus wehenden weißen Vorhängen errichteten Ständen und den improvi visierten Bühnen der Scharlatane und Gaukler zurück und ließ so die alte Dynam mik des barocken Bühnenbildes wiedererstehen (ebd.: 65). Erst im November 1869 18 wurde der Wochenmarkt endgültig auf den Campo dei Fiori verlegt (ebd.: 68) 8). Apropos Bühne der Scharlatane und Ga Gaukler: Direkt am Südende des Platzes, nur zwei Schritte vom Platz entfernt, t, ließ der Kardinal Oliviero Carafa schon 1501 vor seinem neuen Stadtpalaiss die d Statue des Pasquino aufstellen, eine von drei „sprechenden Statuen“ (statue parlan ti) Roms (Abb. 54). p Abb. 54: Statue Pasquino und angeheftete Spottverse Sp

Quelle: eigene Bilder

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Der Name Pasquino ist von Pasquill abgeleitet, ein Begriff, der ein satirisches Gedicht bezeichnet. In den Zeiten der absoluten päpstlichen Herrschaft im neuzeitlichen Rom war die Statue des Pasquino ein Ort, an dem das Volk in schriftlicher Form auf Zetteln anonym und öffentlich Spottverse auf die Machthaber verbreiten konnte: ein Ventil für die Unzufriedenheit der Römer. Pasquino sprach an diesem Ort, unmittelbar am Eingang zur Piazza Navona, weil die literarische Welt des Buchdrucks, der Bücher und Zeitungen, die hier ihren bevorzugten Standort hatten, ihn als ihr „anonymes Sprachrohr der zeitlosen politischen und sozialen Satire“ auserkoren hatten (Bosticco u.a.: 24). Die Piazza Navona kehrte also nach der kurzen Regentschaft der Pamphilj wieder zu dem zurück, was sie zuvor schon war und auch für die nächsten fast fünfhundert Jahre immer noch auszeichnete: „il teatro solenne e quotidiano, aulico e popolare che sembra esprimere lo spirito di Roma stessa“, das festliche und alltägliche, gehobene und volkstümliche Theater, das den Geist Roms selbst auszudrücken scheint (Bosticco u.a.: 35). Und dieser Eindruck hängt nicht nur mit dem Marktgeschehen, den Volksfesten und den Spottversen des Pasquino zusammen, sondern hat seine Wurzeln in der Bebauung selbst, denn wenn man den Platz durch seine engen Zugangspforten betritt, stellt man…mit Verwunderung fest, dass es auf diesem hochberühmten Platz außer dem Vier-Ströme- und dem Morobrunnen Berninis und der Kirchenfront Borrominis nichts zu sehen gibt, was Bewunderung oder auch nur Staunen erregen könnte. Der Palast der Pamphilj, der die Südwestseite der Piazza einnimmt, gehört weder zu den größten noch den prächtigsten Roms; was von der ihm gegenüberstehenden Kirche S. Giacomo degli Spagnoli übriggeblieben ist, gefällt, ohne aufzufallen. Was sonst an Gebäulichkeiten den Platz säumt, sind drei- und viergeschossige Häuser mit bürgerlich-volkstümlicher Allüre, die genau so gut auf dem Hauptplatz irgendeiner Provinzstadt stehen könnten (Gasser: 2).

Die festlich-volkstümliche Aura, die von der Piazza ausgeht, wird trefflich von Giuseppe Gioachino Belli in seinem der Piazza Navona gewidmeten Gedicht eingefangen: Ja, meine Piazza Navona, die pfeift mit Recht auf die von Sankt Peter und auf die Piazza di Spagna! Sie ist gar kein Platz, sondern ein Dorf, eine Budenstadt, mit Tanz und Musik und Kasperltheater. Sie dehnt sich weit in die Länge, eher schmal, und in der Mitte gibt’s auf beiden Seiten einen engen Durchgang;

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überall stehen Stände mit Fressalien, überall sieht man Leute, die kaufen und gehen. Drei mächtige Brunnen sind da Und ein Obelisk, aufrecht und grad wie ein gutes Sprichwort: Im Sommer macht man ihr einen See. Hier steht auch das Schandmal, wo man denen, die es verdienen, dreißig Hiebe auf den Hintern versetzt, und dann noch fünf darüber hinaus als wohltätige Zugabe. G. G. Belli (1833)

Heute fällt es schwer, in der Piazza Navona immer noch den Ort zu erkennen, an dem „das festliche und alltägliche, gehobene und volkstümliche Theater, das den Geist Roms selbst auszudrücken scheint“ Bosticco u.a.: 35), und schon gar nicht strahlt sie mehr die Aura des Dorfes aus, das Belli zu seinem Gedicht inspirierte. Am Anfang des 21. Jahrhunderts wird Rom im Strom der Globalisierung täglich von Zehntausenden von Touristen besucht, und die Piazza Navona ist einer der bevorzugten Orte ihres Besuchs. Der Platz ist von morgens bis nachts von Massen an fremden Besuchern bevölkert, die Restaurants und Cafés sind fest in ihrer Hand. Da ist kein Platz mehr, wie noch vor zwanzig Jahren, für die im Quartier ansässigen Römer, die hier im täglichen Leben zusammentrafen und dem Platz die Atmosphäre verliehen, in der sich die römische Wirklichkeit in all ihren sozialen Schichten und bürgerlichen Unterscheidungen, in ihren Widersprüchen und Unausgewogenheiten widerspiegelte: Schaubühne in der Mitte der Stadt für Reiche und Arme, Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Alte, Männer und Frauen. Heute ist die Piazza Navona also ein globaler Ort, auf dem sich die Welt tummelt, und auch die den Platz säumenden Gebäude werden einem Verdrängungswettbewerb unterzogen: Wo einst die Wohnungen römischer Handwerker von einer Generation an die nächste übergeben wurden, kaufen sich heute zunehmend wohlhabende Kreise von über die Erde verstreuten Immobilienbesitzern ein: Nicht nur auf dem Platz, sondern auch in den umstehenden Gebäuden wird das lokale gesellschaftliche Milieu verdrängt und durch ein globales ersetzt, ein Platz des Spektakels ist die Piazza Navona aber trotzdem geblieben, sie hat sich nur gewandelt: heute ist es nicht mehr „das festliche und alltägliche, gehobene und volkstümliche Theater, das den Geist Roms selbst auszudrücken scheint (Bosticco u.a.: 35), sondern das Theater eines aus allen Ecken und Winkeln der Welt zusammengestellten und improvisierten Stücks, auch hier gilt immer noch: Caput mundi, theatrum mundi.

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2.5 P IAZZA DEL P OPOLO So hatte sich das Papst Alexander VII. Fabio Chigi nicht vorgestellt. Christina von Schweden, Tochter von König Gustav II. Adolf, des protestantischen Herrschers von Schweden, der die katholischen Mächte Europas noch kurz zuvor im 30-jährigen Krieg an den Rand der Niederlage gebracht hatte, sollte im Triumphzug in Rom einziehen, denn Christina symbolisierte, auch sieben Jahre nach dem Westfälischen Frieden und trotz ihres Verzichts auf den schwedischen Thron im Juni 1654, wegen ihrer offiziellen Konvertierung im November 1655 den späten Sieg des katholischen über den protestantischen Glauben. Christina jedoch kam in Rom kurz vor Weihnachten, am 21. Dezember 1655, bei Dunkelheit an und begab sich auf kürzestem Wege zum Apostolischen Palast und zur Privataudienz beim Papst, der darauf gar nicht eingestellt war. Alexander VII. hatte nämlich eigens für die Ankunft Christinas seinen von ihm bevorzugten Architekten und Baumeister, Gianlorenzo Bernini beauftragt, die Porta del Popolo, das traditionelle Tor im Norden der Stadt, festlich für den Einzug der prominenten konvertierten ehemaligen Königin zu restaurieren. Dieses Ereignis wurde deshalb zwei Tage später, am 23. Dezember 1655, feierlich und prunkvoll nachgeholt. In einer päpstlichen Karosse fuhr sie in den Norden, zur Ponte Milvio, der ältesten Brücke Roms, wo eine Reitergarde und die römische Aristokratie aufgereiht standen, an ihrer Spitze der Statthalter Roms, und sie mit feierlichem Zeremoniell begrüßten. Langsam setzte sich die Kavalkade in Bewegung und zog die alte Via Flaminia in Richtung Innenstadt entlang…Unterwegs hielt man an, um eine Stärkung zu sich zu nehmen, und danach verzichtete Christina auf ihre Kutsche zugunsten ihres munteren kleinen Zelters. Hoch zu Ross war sie mühelos zu sehen für die Tausende, die sich auf der Straße drängten, um einen kurzen Blick auf die kleine, in stilles Grau und Schwarz gekleidete Gestalt zu werfen, deren Hut wegen des feierlichen Anlasses mit einer Feder geschmückt war… Sie zog auf die althergebrachte Weise durch die Porta del Popolo, das Tor des Volkes, in Rom ein, und ein wahrer Volksauflauf begrüßte sie. Man hatte den Tag zum Feiertag erklärt, und anscheinend war alles, ‚außer den Nonnen und den Kranken‘, auf den Beinen. Papst Alexander hatte die Innenseite des großen Steinbogens von Bernini ausschmücken lassen, doch hatte er zu Ehren der Ankunft Christinas selbst eine Inschrift hinzugefügt. Felice Faustoque Ingressui, einen ‚glück- und segensreichen Eintritt‘ wünschte er ihr…Endlich setzte sich der Zug wieder in Bewegung, den Corso entlang, auf den Petersdom zu. Unter dem donnernden Salut von der Engelsburg schoben sich die Menschenmengen nach vorn, um durch noch mehr Menschenmengen einen Blick auf die Königin zu erhaschen. Christina überquerte die Piazza (San Pietro), erreichte das Portal des Doms,

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kniete auf ein Kissen aus goldener Seide und küsste das Kruzifix. Begleitet vom Gesang der Mönche schritt sie das marmorne Kirchenschiff hinunter, kniete sich vor den Hochaltar mit seinen riesigen, gewundenen Bronzesäulen und betete vor der heiligen Eucharistie ‚dem wahren Fleisch und Blut Jesu Christi‘, wie es nach ihrem neuen Glauben hieß (Buckley: 92ff).

2.5.1 Baugeschichte Seit Bestand der Aurelianischen Mauer im dritten Jahrhundert n.C. war die Porta del Popolo, damals noch Porta Flaminia, das nördliche Eintrittstor in die Stadt. Es war ein wichtiges Tor, denn hier trafen die beiden übergeordneten Straßen zusammen, die Rom mit den nördlichen Provinzen des Reiches, von der iberischen Halbinsel bis zum Balkan hin, verbanden: die Via Cassia und die Via Aurelia. Neben der verkehrlichen Bedeutung war das Tor, ähnlich wie am südlichen Tor der Stadt, der Porta S. Sebastiano und der Via Appia, ein bedeutender Ort für antike Grabstätten, u.a. soll sich direkt neben dem Stadttor an den Hängen des Pincio das Grabmahl des Kaisers Nero befunden haben. Der Name des Ortes geht angeblich auf den sich seit der Spätantike zwischen Stadttor, Augustusmausoleum und Tiber verbreiteten Bestand an Pappeln zurück, populus im Vulgärlatein; wahrscheinlicher ist aber eine Ableitung des Namens von der bescheidenen kleinen Kapelle, die Papst Paschalis Raniero di Bieda II. 1099 direkt östlich angrenzend an das Stadttor errichten ließ, eine Kirche für das Volk, del Popolo (Ciucci: 7), bestimmt für die und genutzt von den Bewohner(n) der ersten Häuschen, die sich um die Jahrtausendwende wieder vor Ort ansiedelten. Im Pontifikat von Gregor IX. Ugolino Conti di Segni wurde die kleine Kapelle 1227 durch einen größeren und repräsentativeren Kirchenbau mit angeschlossenem Kloster mit einem neuen Namen ersetzt: S. Maria del Popolo (Ciucci: 8). Die Bauarbeiten wurden erst 1480 abgeschlossen, die Innenarbeiten gar erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts, und die gewachsene Bedeutung des Ortes lässt sich ebenso an den Namen der an der Innengestaltung beteiligten Architekten ermessen: Jacopo Sansovino, Donato Bramante, Raffello Sanzio wie an der Tatsache, das die Kirche nun auch Begräbnisstätte hochgestellter Familien wurde, u.a. der Familie Chigi, für die Raffaello Sanzio eine Kapelle in der Kirche erbaute (Ciucci: 14). Das gewachsene Interesse am Ort geht primär auf wirtschaftliche Interessen zurück, denn zu dieser Zeit entwickelte sich das Quartier südlich der Porta del Popolo rapide. Nachdem das Gebiet bis etwa 1500 v.a. landwirtschaftlich geprägt war, in dem Gärten und Weinberge das Erscheinungsbild dominierten, entwickelte es sich jetzt immer mehr als Standort für eine neue Mittelschicht aus Handwerkern, Künstlern, Händlern u.a.m.: Das

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Quartier wurde damit auch ein Ort der er Spekulation mit Boden und Immobilien (Ciucci: 29). Am Anfang des 16. Jahr ahrhunderts bewohnten gemäß Zensus aus dem Jahr 1526 4574 Einwohner das Quartier Qu in der weiteren Umgebung, die Bevölkerung der gesamten Stadt belie lief zu diesem Zeitpunkt auf etwa 55.000 Einwohner. Dazu kamen in zunehmend endem Maße Reisende jeder Art, v.a. aber Pilger, die zusätzliche Einkommensquel uellen mit sich brachten; daher versteht sich auch die relativ große Anzahl von 26 Herbergen He und Gasthäusern, die zwischen 1517 und 1527 im Quartier gezählt wurden wur (Ciucci: 25). Im Laufe des 16. Jahrhunderts nahmen die Pilgerströme sta tark zu und beliefen sich aus Anlass der Heiligen Jahre auf 400.000 (1575) bzw. w. 550.000 Besucher (1600) – mehr als das Fünffache der damaligen Einwohnerzah ahl Roms (Ciucci: 40). Der Stellenwert der Porta und Piazza del Popolo für die Pilger Pil zur Erschließung der Stadt lässt sich ermessen an den Plänen von Papst Sixtu xtus V. aus dem Jahr 1585 zum Bau geradlinig geführter Straßen mit Obelisken en als Markierungspunkte zu den sieben Prinzipalkirchen (Abb. 55).

Abb. 55: Straßenplan von Sixtus V. mit Piazza del Popolo als Ausgangspunkt P

Quelle: Delfante, Ch.: (1999): Architekturge geschichte der Stadt, Dramstadt: Abb. 69

Wegen der gewachsenen Bedeutung von vo Kirche und umgebendem Territorium schien es Papst Sixtus IV. Francesco o della Rovere geboten, den öffentlichen Raum vor der Kirche und dem Stadtt ttor zu schützen: Nach Fertigstellung der Außenarbeiten an S. Maria del Popolo ließ l der Papst die antiken Grabanlagen an

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der Via Flaminia und im Umkreis der Kirche und des Stadttores abreißen und schuf damit die räumlichen Voraussetzungen zur Gestaltung der späteren Piazza del Popolo (Ciucci: 24). Abb. 56: Karte Roms von Buffalini, Ausschnitt Piazza del Popolo (1551)

Quelle: Biblioteca d’archeologia e di storia dell’arte, Rom

Die städtische Expansion des Quartiers war auch Ursache für eine neue infrastrukturelle Erschließung, die Formierung von drei vom Platz hinter dem Stadttor ausgehenden und das gesamte Marsfeld erschließenden Straßen, der sogenannte „tridente“: in der Mitte die seit der Antike bestehende Via Flaminia, nunmehr Via del Corso, westlich davon die Via di Ripetta und als östliche Erschließungsstraße die unter dem Pontifikat von Clemenz VII. Giulio de’ Medici in den 1520er Jahren begonnene und von Paul III. Alessandro Farnese 1536 pünktlich zum Einzug des Kaisers Karl V. beendete Via del Babuino (Ciucci: 28). Der Kartenausschnitt aus dem Plan Roms, hergestellt von Bufalini (1551), gibt eine Vorstellung darüber, wie die Piazza del Popolo Mitte des 16. Jahrhunderts und vor den großen Umgestaltungen im 17. Jahrhundert ausgesehen hat (Abb. 56). 2.5.2 Konzept und Idee des Platzes Der Einzug der zum Katholizismus konvertierten Königin von Schweden, etwa 120 Jahre nach dem Triumphzug von Karl V., war die Initialzündung für eine grundlegende Neugestaltung des Platzes am nördlichen Eingang zur Stadt, umso mehr, als dieses Ereignis zusammenfiel mit der Wahl eines neuen Papstes, Alexander VII. Fabio Chigi, der als einer der baufreudigsten Päpste der Neuzeit in die Geschichte einging. Schon vor seiner Wahl hatte Kardinal Fabio Chigi die

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neben dem Stadttor liegende Kirche S. Maria del Popolo restaurieren lassen; die Ankunft der schwedischen Königin veranlasste ihn, seinen bevorzugten Baumeister Gianlorenzo Bernini mit der Überarbeitung des inneren Bereichs des Stadttores zu beauftragen. Bernini machte sich sofort ans Werk und beendete seine Arbeiten pünktlich bis zur Ankunft der Königin: Von der Stadt her gesehen, bot die Porta del Popolo bis zu diesem Zeitpunkt, v.a. im Mauerwerk über dem Tor, eher den Anblick einer Ruine. Bernini ersetzte diesen Teil des Tores durch eine neue Attika mit den für das Barock charakteristischen Bögen und Schwingungen, gekrönt durch das Familienwappen der Chigi, sechs turmförmig angeordnete Hügel (Symbole der von den Chigi gegründeten Sieneser Bank „monti dei paschi“) mit aufgesetztem Stern, und dem für die Königin und künftig allen von Norden ankommenden Besuchern der Stadt gewidmeten Gruß: „Felice Faustoque Ingressui“, ein „glück- und segensreicher Eintritt“. Die Neugestaltung des Stadttores war für den baufreudigen Papst nur ein Anfang, denn schon im nächsten Jahr begannen Überlegungen, den gesamten Platzbereich zwischen Tor und dem „tridente“ grundsätzlich neu zu fassen. Zwar waren schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Versuche der Verschönerung unternommen worden, z.B. der Bau eines von Giacomo della Porta im Auftrag von Papst Gregor XIII. Ugo Buoncompagni entworfenen und 1578 fertig gestellten Brunnens und des im Rahmen des sixtinischen Straßenplans von Domenico Fontana 1589 auf dem Platz aufgestellten Obelisken. In seiner Gesamtheit vermittelte die Piazza del Popolo jedoch zu Beginn des Pontifikats von Alexander VII. bei weitem nicht den gewünschten, repräsentativen Eindruck eines Eingangsbereichs in die Metropole der katholischen Welt, sondern eines eher heruntergekommenen und zu Ruinen verfallenen ländlichen Ortes. Krautheimer beschreibt, was ein Gemälde von J. Lingelbach für das Jahr 1640 festhält (Abb. 57): „…the area still remained unimpressive, filled as it was with cattle, carts and farm folk, the gate itself and the city wall half ruined, the buildings on the two wedges between the three streets, houses and a chapel, all mean” (Krautheimer 1985: 118). Im Vordergrund erster Erörterungen zwischen Papst und Bernini stand die Einfassung und seitliche Begrenzung des Platzes; die von Carlo Rainaldi kurz darauf vorgelegte Skizze mit eingezeichneten Begrenzungslinien sollte Klarheit in die bis dahin vorherrschenden ungleichen Längen und Weiten des Platzes bringen (Abb. 58.1), und nur wenige Jahre später lag, ebenfalls von Carlo Rainaldi verfasst, ein Plan zum Bau zweier Kirchen zwischen den drei Straßeneinmündungen am südlichen Platzende zwischen Via del Babuino und Via del Corso einerseits und Via del Corso und Via di Ripetta andererseits vor, die soge-

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nannten „Zwillingskirchen“: S. Maria del M Montesanto östlich und S. Maria dei Miracoli westlich der Via del Corso (Abb. 58.2). 58 Abb. 57: Piazza del Popolo im Jahr 1640, Gemälde Ge von J. Lingelbach

Quelle: Krautheimer 1985: 119

Zeitgleich mit den ersten Vorüberlegungen n ließ der Papst Erkundigungen hinsichtlich der Eigentumssituation am südliche hen Platzende, wo er die Zwillingskirchen zu errichten plante, einholen. Die Planu nungen zur Realisierung des Projekts blieben in der Hand von Rainaldi, die Ko onkretisierung der architektonischen Gestaltung erfolgte aber unter dem Einflus luss von Bernini und Carlo Fontana, einem Mitarbeiter von Rainaldi. Letztererr vverfasste 1662 einen Gegenentwurf (Abb. 59), der dann 1673 zur Ausführung gelangte ge und 1678 abgeschlossen war, elf Jahre nach dem Tod von Alexander VIII.: S. Maria dei Miracoli unter der Leitung von Rainaldi, während der Bau von n S. Maria di Montesanto Bernini und C. Fontana anvertraut wurde.

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Abb. 58: Carlo Rainaldi: Plan zur Neugestaltung der Piazza del Popolo (1661)

Quelle: Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. lat., 13442, f. 34; Krautheimer 1985: 120 f

Abb. 59: Entwurf für den Bau der Zwillingskirchen durch C. Fontana (1662)

Quelle: Biblioteca Apostolica Vaticana, Chig., P VII 13, ff. 25v-26r; Krautheimer 1985: 122

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Am Ende des 17. Jahrhunderts hatte die Piazza del Popolo damit ihre intendierte Form erhalten: ein länglicher, trapezförmiger, an seinen Seiten klar gefasster Platz, der sich von seiner schmalsten Stelle am Stadttor fächerförmig bis zu den Zwillingskirchen und dem „tridente“ öffnet. Der Plan von Rom, verfasst von Giovanni Battista Falda, dokumentiert das Aussehen des Platzes im Jahr 1676, kurz vor Fertigstellung der Zwillingskirchen (Abb. 60). Abb. 60: Piazza del Popolo im Plan Falda (1676)

Quelle: Biblioteca d’archeologia e di storia dell’arte, Rom

Abb. 61: L. Cruyl: Vedute von der Piazza del Popolo (1664)

Quelle: Gabinetto Nazionale delle Stampe, inv. F.N. 6885; Ciucci: 74

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Der nördliche Eingangsbereich Roms erhielt damit endlich die gewünschte repräsentative Form und Gestalt, die einem „caput mundi“, einer, zumindest in den Augen der katholischen Welt, Hauptstadt der Welt angemessen ist, wie eine Vedute aus dem Jahr 1664 dies eindrucksvoll belegt (Abb. 61). 2.5.3 Symbolische Wirkungen und atmosphärische Qualitäten Welche Botschaften entnehmen wir nun der Neugestaltung des 16. und 17. Jahrhundert? Bei ihrer Entschlüsselung richten wir unser Augenmerk insbesondere auf die atmosphärischen Qualitäten des Ortes und die symbolischen Wirkungen, die von den baulichen Schöpfungen und ihrer Platzierung im Raum ausgehen. Die symbolischen Wirkungen konzentrieren sich auf die folgenden vier Aspekte: a) Wahl des Ortes, b) Umdeutung der Geschichte, c) Anpassung antiker, ursprünglich heidnisch geprägter Figuren an die christliche Ideenwelt, d) Symbolgehalt der in der Platzfigur enthaltenen geometrischen Formen und e) die Frage nach der dem Ort eigenen Aura von Macht und Herrschaft. 2.5.3.1 Wahl des Ortes Die Piazza del Popolo liegt an der nördlichen Peripherie der antiken Stadt, unmittelbar südlich anschließend an die Porta del Popolo, der antiken Porta Flaminia, die Rom über die Via Aurelia und Via Cassia auf dem Landweg mit allen nördlich des Mittelmeeres gelegenen Provinzen verband, von der iberischen Halbinsel im Westen über Gallien und Germanien in der Mitte Europas bis zu den östlichen Provinzen auf dem Balkan. Der Ort ist auch innerstädtisch von herausragender Bedeutung, weil von der Porta Flaminia/del Popolo eine direkte und geradlinig verlaufende Straße (Via Flaminia/Lata/Corso) zur Mitte Roms, dem Kapitol mit den darauf befindlichen Tempeln für die höchsten römischen Götter, führte und gleich im Anschluss an das Kapitol auch zum Forum Romanum und den Kaiserfora. Auch wenn deren Bedeutung im postantiken und christlichen Rom verblasste, so blieb das Kapitol auch im Mittelalter und in der Neuzeit unbestritten das Zentrum Roms und Sinnbild für seinen historischen Glanz und Ruhm: das Zentrum Roms als Zentrum der Welt – caput mundi. Mit der Etablierung des postantiken Römischen Reiches durch Karl den Großen und später dem daraus hervorgegangenen Römischen Reiches deutscher Nation wurde die Porta del Popolo und der mit ihr verbundene Platz nochmals deutlich aufgewertet: Nunmehr erstreckte sich das Reichsgebiet nahezu ausschließlich auf Europa, d.h. das nördlich von Rom gelegene Territorium; die südlichen Verbindungsstraßen wie die Via Appia Antica und die angeschlossenen Stadttoren büßten an Bedeutung ein. Alle Besucherströme, insbesondere die

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aus allen Teilen Europas nach Rom strebenden Pilgermassen, kamen nun aus dem Norden und betraten die Stadt im Wesentlichen durch ein Stadttor und überquerten auf ihrem Weg zu den Pilgerstätten und Prinzipalkirchen den ans Stadttor anschließenden Platz, die Piazza del Popolo. Von hier aus erschloss sich den Besuchern über die drei sich fächerförmig ins Marsfeld hinein erstreckenden Straßen die gesamte Stadt (Abb. 60). 2.5.3.2 Anpassung an die christliche Ideenwelt Das christliche Rom suchte nicht immer nur den Anschluss an die Größe des antiken Roms, sondern musste sich auch immer wieder von den heidnischen, häufig auch christenfeindlichen Symbolen abgrenzen. So war die Piazza del Popolo noch 800 Jahre nach der Christianisierung symbolisch besetzt von einem Grabmahl direkt neben dem Stadttor an den Hängen des Pincio: Hier ruhte in einem Mausoleum der Kaiser Nero, in der gesamten Christenheit gehasst als Inbegriff der Christenverfolgung, denn während seiner Herrschaft fanden besonders viele Christen in den Spektakeln des Zirkus des Caligula/Nero auf dem vatikanischen Hügel den Märtyrertod. Der genaue Standort des Mausoleums ist durch Ausgrabungen nicht sicher belegt, aber sowohl die Karte Roms von Cartaro aus dem Jahr 1576 (Abb. 62) als auch der dem heutigen archäologischen Wissensstand entsprechende Atlante di Roma Antica verweisen auf den Ort, an dem heute die Kirche S. Maria del Popolo steht. Für die Christen war der Ort wegen des Grabmahls für Nero magisch aufgeladen; Nero galt als der Inbegriff des Bösen, sein Dämon wurde als Bedrohung insbesondere für alle christlichen Pilger begriffen, die zur Wallfahrt an die heiligen Stätten Roms hier durch die Porta del Popolo die Stadt betraten, ein böses Omen. Der Legende nach war der Ort, an dem die Asche Neros begraben worden sein soll, im Mittelalter Standort eines riesigen Nussbaums, Aufenthaltsort von bösen Geistern. Der gleichen Legende nach hatte Papst Paschalis eine Vision, in der die Jungfrau Maria ihm befahl, den Baum fällen zu lassen und an seiner Stelle eine Kirche zu errichten, was dann im Jahr 1099 auch veranlasst wurde. Mit dem Fällen des Baumes und der Entfernung aller Wurzeln wurden so das Böse und seine Geister entwurzelt und vom Ort verbannt, die vormals teuflische Magie durch die Weihung des Ortes mit einer Kapelle ins Gegenteil verkehrt und positiv aufgeladen (Ciucci: 8).

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Abb. 62: Standort des Mausoleums fürr Kaiser K Nero

Quelle: Biblioteca di archeologia e storia del ell’arte, Rom

Ähnliches hatte mit dem antiken ägyptis tischen Obelisken zu geschehen, den Papst Sixtus V. Felice Peretti im Rahmen n seiner Straßenerschließung zur weithin sichtbaren Kennzeichnung der sieben Prinzipalkirchen P auf der Piazza del Popolo errichten ließ. Der Obelisk stammt auss dem d Jahr 1220 v.C. und war ursprünglich dem Pharao Ramses II. gewidmet, von on Augustus nach seinem Sieg über seinen Rivalen Antonius nach Rom geholt und nd im Circus Maximus aufgestellt worden.

IMP CAESAR DIVI F AUGUSTUS PONTIFEX MAXIMUS IMP XII COS XI TRIB POT XIV AEGUPTO IN POTESTATEM POPULI ROMANI REDACTA SOLI DONUM DEDIT

Imperator Caesar Augustus Sohn des vergöttlichten (Caesar) Pontifex Maximus Im Imperator zum 12., Konsul zum 11.,Inhaber der tribunizischen Gewalt zum 14. Mal nachdem Ägypten unter die Herrschaft des römischen Volkes gebracht war ha (diesen Obelisken) der Sonne zum Gehat schenk gegeben

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Obelisken galten im antiken Ägypten als steinerne Strahlen des Sonnengottes und symbolisierten so eine Verbindung zwischen der irdischen und der göttlichen Welt, ganz so wie im heidnischen und christlichen Rom die Figur des Pontifex maximus. Natürlich konnte das antike und heidnische Monument, das ursprünglich dem Kaiser Augustus und der Sonne geweiht war (Bartels: 123), nicht kommentarlos auf dem Platz hinter dem nördlichen Eingangstor in die Heilige Stadt aufgestellt werden; wie der von bösen Geistern besessene Ort, wo einst die Asche des heidnischen Kaisers Nero ruhte, musste auch der heidnische Obelisk von der dämonischen Aufladung befreit werden, insbesondere wegen der heidnische Götter anrufenden Inschrift (Bartels: 125): ANTE SACRAM ILLIUS AEDEM AUGUSTIOR LAETIORQ (ue) SURGO CUIUS EX UTERO VIRGINALI AUG (usto) IMPERANTE SOL IUSTITIAE EXORTUS EST

Vor dem heiligen Gotteshaus derer (der Maria) rage ich erhabener und freudiger auf, aus deren jungfräulichem Leib, während Augustus herrschte, die Sonne der Gerechtigkeit aufgegangen ist.

Wie andere Päpste auch, ließ Sixtus V. Felice Peretti auf der Spitze des Obelisks seine Wappen anbringen, drei stilisierte Berge, gekrönt von einem Stern, über dem darüber hinaus das christliche Kreuz thront. 2.5.3.3 Geometrie der Platzformen Als Alexander VII. die Neugestaltung der Piazza del Popolo in Auftrag gab, waren seine Architekten, wie alle Baumeister der Zeit, von den Idealen der Renaissance erfüllt, die ihrerseits auf die Werte und Normen der Antike zurückgehen. Konstitutiv für die Formgebung der Piazza del Popolo im 17. Jahrhundert ist die Figur des Trapezes. Schmal an seiner Nordseite, dem Stadttor, öffnet sich der Platz zunehmend und erreicht an dessen Südende bei den Zwillingskirchen etwa die dreifache Breite (Abb. 6). Das Trapez der Piazza del Popolo hat in seinen Ausmaßen (harmonisches Mittel der Breite im Verhältnis zu seiner Länge) die Proportion 1:5; dem entspräche begrifflich in der Musik die Ergänzung zur großen Terz. „Die meisten der wirklich vorhandenen Abmessungen,“ schreibt Wittkower ganz allgemein im Zusammenhang über das Verhältnis zu Ideal und Realität in der Baukunst der

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Renaissance, stimmen nicht ganz genau mit den (theoretisch exakten) Maßverhältnissen überein, aber die Abweichungen sind gering und von der Art, wie sie die Praxis mit sich bringt (a.a.O.: 86). Die Piazza del Popolo entspricht in ihrer Proportion einem der harmonischen Ideale der Baukunst ihrer Zeit. „Man mag im Zweifel sein,“ schreibt Wittkower, „ob (etwa) Palladios Maße tatsächlich so verwickelte Beziehungen enthalten. Mögen wir uns noch so genau an seine Zahlen halten – man mag uns des Irrtums beschuldigen, der modernen Proportionsforschern so oft unterläuft, dass wir in ein Gebäude Beziehungen hineinlesen, die gar nicht in der Absicht des Architekten lagen“ (ebd.: 112). Auch wenn die im Fall der Piazza del Popolo vorliegende Proportion den Idealen der Zeit entspricht, so soll doch an dieser Stelle angemerkt werden, dass diese Proportionen doch wohl eher dem Umstand geschuldet sind, dass die ihnen zugrundeliegenden topographischen Prämissen (Breite des Stadttores, Abstand der Via del Babuino zur Via della Rispetta und Entfernung vom Stadttor zur Via del Corso) in die Konzeption der Platzgestalt aufgenommen wurden. Das Trapez als geometrische Figur ist in seiner Grundform abgeleitet vom Quadrat, genauer: ein in Winkeln und Seitenlängen abgeändertes Rechteck. Das Quadrat wird gedeutet als Symbol für das „Makellose, das Vernünftige, das Unveränderliche, das Feste der Erde, während das Rechteck symbolisch „als formaler Ausdruck der Wegidee“ angesehen werden kann. Die davon abgeleitete Figur des Trapezes schließlich deutet symbolisch an, dass Verstand und Vernunft, symbolisiert im Quadrat und Rechteck, nicht überbetont und nicht übertrieben werden sollten, daher die Veränderung der geraden Winkel und auch der Länge von zwei der vier Seiten. Im Fall der Piazza del Popolo kann die Figur des Trapezes vielleicht als Symbol des Spielerischen gedeutet werden; die Strenge der Vernunft wird zurückgenommen, stattdessen werden dem Volatilen Räume eröffnet, und in der Tat hat man beim Betrachten der zeitgenössischen Vedute den Eindruck, bei der Piazza handele es sich um eine Theaterbühne mit Bühnenbild und Kulisse (vgl. Abb. 61); darauf wird zurückzukommen sein. In seiner heutigen Form hat der Platz seine angestammte trapezförmige Gestalt verloren; an ihre Stelle ist 1824 in Umsetzung eines Planes von Valadier durch die Aufweitung des Platzes ein Oval geworden: die einst längliche Platzstruktur wurde durch eine quer verlaufende ersetzt, die einstige bühnenähnliche Form ging in der nunmehrigen Weite des Platzes verloren (Abb. 63). Auf den ersten Blick würde man meinen, die Piazza del Popolo habe nun endlich, 150 Jahre nach ihrer Neugestaltung durch die Baumeister von Papst Alexander VII., die ihr gemäße Form erhalten; nicht nur, weil sich durch die Entfernung der seitlichen Platzbebauung endlich auch eine Blickbeziehung vom Eingangstor in die Stadt zum Vatikan eröffnete, sondern auch wegen des neuen

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ovalen Platzgrundrisses, denn das Oval alss abgewandelte a Form des Kreises gilt doch als genuin barocke Figur: ganz ähnlic lich wie der Kreis ist das Oval ohne Anfang und ohne Ende, Zeichen für Unendli dlichkeit und Unsterblichkeit. Sowohl Kreis als auch Oval haben einen Mittelpunkt, kt, dieser Punkt steht für das Besondere, das Einmalige; dies ist der Punkt, an dem de alles beginnt, der antike Obelisk des Ramses II., nunmehr gekrönt durch dass Wappen W der Peretti, die drei stilisierten Berge, gekrönt von einem Stern, über dem em das christliche Kreuz thront.

Abb. 63: Neugestaltung der Piazza del Popol olo nach dem Plan von Valadier (1824)

Quelle: Archivio di Stato di Roma, Collezione Dis isegni e Mappe, ord. 620, cart. 89

2.5.3.4 Der Platz als Bühne Es ist schon zuvor darauf hingewiesen worden, wor dass die Piazza del Popolo in ihrer ursprünglichen trapezoiden Form den Eindruck E einer Theaterbühne vermittelte, ein Eindruck, der jedoch durch die spätere spä Aufweitung des Platzes zu einem Oval verloren ging. Die Assoziation des d trapezförmigen Platzes mit einer Theaterbühne mag zunächst dem subjektiv tiven Empfinden geschuldet gewesen sein, beim Sichten der architektonischen Lehrbücher Le der Renaissance und des Barock gewann die anfängliche subjektive Assoziation As jedoch an Substanz. In einer seiner bedeutendsten Arbeiten n über die (Kunst- und Kultur-) Geschichte Roms (The Rome of Alexander er VII 1655-1667) widmet Richard Krautheimer ein ganzes Kapitel dem Aspekt Asp Stadtplanung und Bühnenbild: „From the renaissance on, town planning had ad been interwoven with stage design. An ideal city, hard to build in the real worl rld, was easily constructed in canvas

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and wood on the stage…Reality and fiction intertwine. The stage is a piazza in the city; conversely, real piazza, buildings and streets are teatri, showpieces, in which modern buildings and ancient monuments reflect the glories of ancient and contemporary Rome“ (Krautheimer 1985: 114 und 117). Bei der Neugestaltung der Piazza del Popolo hat Bernini offenbar genau diese Verbindung von Stadtplanung und Bühne im Auge gehabt. Zwar finden sich keine schriftlichen Notizen, die auf diesen Zusammenhang hinweisen, wohl aber eine Skizze, die eine Ansicht der in Entwicklung begriffenen Piazza als Bühne zeigt (Abb. 64). Die Piazza, schreibt Krautheimer, ähnele einem Bühnenbild, „…and as a stage set the perspectives along the three streets were enlived by the rising towers and domes of churches…Also, as demanded by the conventions of the stage set, the view along the Corso was interspersed with monuments of antiquity…Stage set and urban texture intertwined” (Krautheimer 1985: 124 f). Abb. 64: Die Piazza del Popolo als Bühne, Skizze Bernini

Quelle: Krautheimer 1985: 124

Bezüglich der besonderen Ausgestaltung der Bühnenbilder unterscheidet Serlio zwischen drei verschiedenen Genres von Theater: Scena Comica, Scena Tragica und Scena Satyrica. Dem komischen Theater schreibt er ein durch bürgerliche Bauten geprägtes Milieu vor, während für das tragische Theater seinen Vorstellungen gemäß ein nobles, dem Adel angemessenes Stadtbild vorherrschen soll. Die Neugestaltung der Piazza del Popolo im 17. Jahrhundert sah offensichtlich die Scena Tragica als Modell für sich vor, denn im Unterschied zum bürgerlichem Milieu des Bühnenbilds der Scena Comica, präsentiert sich die tragische Bühne gemäß Serlio gediegener und bietet den Blicken der Zuschauer das Milieu des hohen Adels, Königen, Herzögen, Grafen und Herrschaften gleichen gesell-

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schaftlichen Ranges angemessen: Gebäude, die Größe dieser gesellschaftliche Klasse augenscheinlich werden lassen, prachtvoll und herrschaftlich. Auf einem Serlios Lehrbuch beigefügten Holzschnitt (vgl. Kap. 1.2.2 Abb. 7) sieht man eine breite, zu einem Platz aufgeweitete Straße, die im Vordergrund auf beiden Seiten von reich mit Torbögen, Säulen, Loggien und Balkonen versehenen Palais flankiert sind, rechts im Mittelgrund einen antiken Tempel. Dahinter wird die Bühne abgeschlossen durch einen Triumphbogen, dessen Spitze von drei Stauen gekrönt ist und der einen Durchblick auf zwei ägyptische Obelisken gewährt, ein Bühnenbild, das in seinen elementaren Bestandteilen in verblüffender Weise der Piazza del Popolo und ihrem städtischen Hintergrund ähnelt. La scena tragica di Sebastiano Serlio diviene un modello al quale possiamo riferire direttamente la stessa via del Corso; una strada che aspira a trasformarsi da luogo della scena comica – ‘i casamenti della quale vogliono essere di personaggi privati, come sarìa di cittadini, avocati, mercanti, parasiti, e altre simile persone’ – a luogo della scena tragica, dove ‘li casamenti d’essa vogliono essere di grandi personaggi…(e) non si farà edificio che non habbia del nobile…in un luogo spazioso…’ La via del Corso, anche se non può essere ‘luogo spazioso’, vuole divenire tutto ciò… La scenografia passa dalla illusionistica rappresentazione prospettica di una città realizzata all’interno di un ambiente teatrale, alla raffigurazione della città stessa: gli elementi della scena, da quelli del Bramante a quelli del teatro Olimpico di Vicenza, si ricompongono nella concezione scenetica unitaria del tridente di piazza del Popolo. La città è qui come là, sempre presente, è essa stessa scena, e i cittadini sono gli attori. Al visitatore-spettatore che guarda questa città viene offerta una immagine-rappresentazione sintetica, che gli consente di ‘vivere l’ambiente’. (Ciucci: 77f)

Die tragische Bühne des Sebastiano Serlio wird ein Modell, das unmittelbar auf die Via del Corso angewendet werden kann; eine Straße, die danach strebt, sich von einer komischen Bühne – ‚deren Gebäude im Kontext von Privatpersonen erscheinen müssen, Bürger, Advokaten, Händler, Parasiten und andere ähnliche…‘ zu einem Ort der tragischen Bühne wandelt, wo ‚die Gebäude im Kontext der oberen gesellschaftlichen Klassen erscheinen müssen… (und) es darf kein Gebäude zugelassen werden, dass keinen noblen Eindruck… an einem geräumigen Ort erwecken kann…‘, in der deutschen Übersetzung: Die Via del Corso, auch wenn sie kein ‚geräumiger Ort‘ sein kann, will das alles werden… Das Bühnenbild geht von einer trügerischen Darstellung der Aussicht auf eine Stadt, die inmitten eines theatralen Ambiente angelegt ist, über in die Darstellung der Stadt selbst: die Bestandteile der Szene, angefangen bei denen des Bramante bis hin zu denen des Teatro Olimpico von Vicenza, setzen sich wieder zusammen in

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der einzigartigen Konzeption des Bühnenbilds um den Tridente der Piazza del Popolo. Die Stadt ist, hier wie da, immer gegenwärtig, sie selbst ist die Bühne, und die Bürger sind die Schauspieler. Dem Besucher-Zuschauer, der diese Stadt (von hier aus) sieht, wird das Bild einer synthetischen Darstellung geboten, das ihm gestattet, ‚das Ambiente zu leben’ (Übersetzung: W.H.). Auch heute noch dient die Piazza del Popolo als Bühne der Stadt: Hier (und in den von der Piazza ausgehenden Straßen) ist immer noch der Ort, an dem der römische Karneval bevorzugt gefeiert wird; hier, auf einem der geräumigsten Plätze der Stadt, finden Ausstellungen wie der Automobilsalon statt, und für die zahlreichen in Rom stattfindenden Rock- und Popkonzerte ist es ein Leichtes, Tribünen für die Zuschauer und eine Plattform für die Musiker zu errichten, eine Bühne für Zehntausende vor der Kulisse eines Bühnenbildes, wie es schon Bernini vor 350 Jahren für die Piazza del Popolo entworfen hatte.

2.6 P IAZZA S AN P IETRO Noch am Tage seiner Wahl am 7. April 1655 ließ der neue Papst Alexander VII. Fabio Chigi den Architekten und Bildhauer Gianlorenzo Bernini zu sich kommen, „um mit ihm die Platzfrage zu diskutieren…Papst und Architekt scheinen sich darin einig gewesen zu sein, dass…ein radikaler Neuanfang gefordert war“ (Thoenes 2010: 78). Nachdem die Neugestaltung des Petersdoms mit der prächtigen Ausgestaltung des Inneren der Basilika durch eben denselben Bernini unter dem Pontifikat von Urban VIII. Mafeo Barberini (1623-1644) abgeschlossen war, präsentierte sich der Platz vor der wichtigsten Kirche der katholischen Christenheit immer noch, allen bisherigen Eingriffen zum Trotz, in einem desolaten, der Bedeutung und Funktion des Ortes völlig unangemessenen Zustand. Man näherte sich damals Dom und Platz über den Ponte und das Castel San Angelo durch die schmalen Gassen des Borgo, wie Richard Krautheimer in seinem Buch über das Rom Alexanders VII. schreibt: The one in the middle, the Borgo Vecchio, was left of the axis of the church; the one to the right, the Borgo Nuovo, lined up with the entrance to the Vatican Palace, extending to the right of St. Peter’s…The piazza itself was shapeless, the façade of St. Peter’s spread broadly and seemingly much too low across its far end…The left, south end of the square was all cluttered up with small and large buildings…The obelisk set up in 1586 slightly to the right of the axis of the church…thus appeared to stand far left on the square. North of the church, a short arm jutted forth from the palace entrance…; adjoining it, buildings and

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outbuildings of the palace limited expansion of the square. On the open area of the piazza no protection was provided against rain and sun; for greater occations, awnings were stretched its length to the entrances of St. Peter’s and the papal palace (Krautheimer 1985: 63-65; vgl. dazu auch Abb. 65).

Abb. 65: Der Petersplatz in einem Ausschnitt der Karte von Antonio Tempesta (1661/62)

Quelle: Biblioteca Apostolica Vaticana

2.6.1 Baugeschichte Der barocken Gestaltung des Platzes ging eine lange Geschichte der Errichtung und des Neubaus der Basilika San Pietro voraus. Zwischen 320 und 326 im Auftrag von Kaiser Konstantin dem Großen errichtet, der sich nach seinem Sieg über seinen Mitkaiser Maxentius zum Christentum bekannte, wurde die Kirche rund 1200 Jahre später von Grund auf neu erbaut. In den rund 175 Jahren nach 1500 sind v.a. vier kongeniale Paarungen von Päpsten und ihren Baumeistern zu nennen, die der Kirche und dem Platz ihr neues Aussehen gaben; drei dieser Paarungen trieben den Neubau und die Weiterentwicklung der Kirche voran, eine andere Paarung Konzept und Gestaltung des Platzes. Im Jahr 1506 gab Papst Julius II. Giuliano della Rovere (1503-1513) seinem Baumeister Donato Bramante den Auftrag, ein Bauwerk zu entwerfen, das, wie er formulierte „die Größe der Gegenwart und der Zukunft verkörpern“ sollte (zitiert nach Hibbert: 170). Bramante und der Papst entschieden sich gegen den

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traditionellen Grundriss der Basilika und für einen Zentralbau mit aufgesetzter Kuppel, ein Konzept, das von der nächsten kongenialen Paarung Paul III. Alessandro Farnese (1534-1549) und seinem Baumeister Michelangelo Buonarotti in modifizierter Form fortgesetzt wurde (vgl. Abb. 66). Fünfzig Jahre später war der Bau der riesigen Kuppel beendet, aber zugleich hatte sich der Geschmack der Zeit verändert. Papst Paul V. Camillo Borghese (1605-1621) favorisierte statt des Zentralbaus wieder den Grundriss der klassischen Basilika, wohl nicht zuletzt deswegen, weil deren Grundriss symbolisch für das lateinische (katholische) Kreuz mit einem langen und einem kürzeren Balken steht, im Unterschied zu dem byzantinischen (orthodoxen) Kreuz mit den gleich langen Balken. In seinem Auftrag entwarf und baute sein Baumeister Carlo Maderno östlich an den Zentralbau Bramantes und Michelangelos ein neues Langhaus und eine neue, repräsentative Fassade zum Platz hin (vgl. Abb. 66). Schon vor dem Abschluss der Arbeiten am Neubau der Kirche hatte es zwei entscheidende Veränderungen am Platz gegeben: Papst Alexander VI. Rodrigo Borgia (1492-1503) ließ als neuen Platzzugang eine geradlinige Straße zwischen Engelsburg und Petersplatz bauen, die Via Alessandina, im Unterschied zum alten Platzzugang (Borgo Vecchio) auch Borgo Nuovo genannt, und rund 100 Jahre später ließ Papst Sixtus V. Felice Peretti (1585-1590), wie vor allen Prinzipalkirchen Roms, auf dem Platz einen antiken Obelisken aus dem nahe liegenden, ehemaligen Zirkus der Kaiser Nero und Caligula aufstellen, weithin sichtbares Orientierungszeichen für ortsfremde Pilger. Abb. 66: Grundrisse für den Neubau von St. Peter: Bramante, Michelangelo und Maderno

Quelle: Benevolo 2004: 8. 10 und 15

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Als Bernini bei Amtsantritt von Alexander VII. 1655 den Auftrag erhielt, dem Petersplatz endlich die Form und Gestalt zu geben, die für seine Funktion als Versammlungsraum für die katholische Christenheit vor ihrer bedeutendsten Kirche und dem Palast ihres obersten Würdenträgers angemessen wäre, musste er den folgenden historisch gewachsenen Prämissen Rechnung tragen: • •





Der Zugang von der Stadt (über Engelsbrücke und Engelsburg) zum Platz war mit der Via Alessandrina bzw. Borgo Nuovo festgelegt. Diese Zugangsstraße führte über eine Distanz von 850 Meter per Sichtachse von der Engelsburg an und auf direktem Wege nicht zum Petersdom, dem sakralen Sitz des Papstes, wie man eigentlich erwartet hätte, sondern auf den Eingang zum päpstlichen Palast, seinem säkularen Sitz, der Bronzetür, dem Portone bronzo. Mit der äußeren südlichen Begrenzungsmauer des Palastzugangs war zugleich geometrisch der Winkel zwischen der Fassade des Vorplatzes von St. Peter, der Piazza Retta, und der Residenz des Papstes festgelegt und damit die Gestalt des Vorplatzes weitgehend vorweg genommen. Der von Sixtus V. errichtete Obelisk sollte in der Mitte der neu zu konzipierenden Platzanlage stehen.

Zusätzlich zu den historisch bedingten Prämissen musste sich Bernini mit einigen topographischen Gegebenheiten auseinander setzen, v.a. mit dem im Platzbereich vorherrschenden Gefälle: Die genauen Höhenangaben vor den Arbeiten an der neuen Platzgestalt sind in ihrem ursprünglichen Gefälle nicht bekannt, aus den überlieferten zeitgenössischen Abbildungen lässt sich aber entnehmen, dass das Terrain von Norden her (Vatikanische Paläste) nach Süden hin sowie von Westen (Petersdom) nach Osten zu (Engelsburg) um einige Meter abschüssig verlief. Abgrabungs- und Planierungsarbeiten waren also absehbar. Schon gut 50 Jahre zuvor hatte sich Sixtus V. im Zusammenhang mit der Errichtung des Obelisken mit der Platzfrage auseinander gesetzt; ein in seinem Auftrag zwischen 1585 und 1590 entstandenes Fresco in der Vatikanischen Bibliothek zeigt eine weiträumige, quadratisch anmutende Form. Fünfzig Jahre später, nach dem durch Urban VIII. und seinem Schwerpunkt auf den Innenausbau von St. Peter geschuldeten Stillstand in der Platzfrage, beauftragte Innozenz X. Giovanni Battista Pamphilj (1644-1655) den von ihm bevorzugten Baumeister Carlo Rainaldi mit einem Entwurf zur Platzgestalt. Dessen Konzept, das den Vorplatz der Basilika verbunden mit einem ausgedehnten Hauptplatz mit dem Obelisken in der Mitte zeigt, lässt beim Betrachten angesichts der Einförmigkeit der umlaufenden zweigeschossigen Portiken, in deren „Obergeschossen …wohl

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kuriale Behörden Platz (hätten) finden sollen, einen „Hauch bürokratischer Tristesse“ aufkommen, „trotz oder gerade wegen der riesigen Dimensionen, in denen man sich das Ganze denken muss“ (Thoenes 2010: 78). Im Verlauf des Verständigungs- und Genehmigungsprozesses zwischen Baumeister, Papst und Kongregation legte Bernini im Wesentlichen drei Entwürfe mit folgendem Ergebnis vor: •









Als Zugang von der Stadt (Engelsbrücke/Engelsburg) zum Platz blieb die im Auftrag von Alexander VI. gebaute Straße Via Alessandrina/Borgo Nuovo erhalten. Die dadurch eröffnete Sichtachse von der Engelsburg zum Platz führte geradewegs auf den Eingang zum päpstlichen Palast, auf den Portone bronzo zu, und nicht auf den Petersdom. Die Hinführung der Besucher des Platzes auf den Portone bronzo akzentuierte Bernini zusätzlich durch den Bau eines Korridors, in dessen weiteren Verlauf die Scala Regia verlief, die Treppe hinauf zur Sixtinischen Kapelle. Diese Lösung implizierte, dass der Zugang zum Platz gewissermaßen über den Korridor und der Scala Regia in den päpstlichen Palast hinein verlängert wird (Abb. 67, Thoenes 2010: 81f). Symmetrisch dazu konzipierte Bernini auf der südlich gegenüberliegenden Seite einen „blinden“ Korridor, der nirgendwo hinführte. Als Resultat dieser Baumaßnahmen ergab sich so zwischen den beiden Korridoren im Norden und Süden sowie der Fassade des Petersdomes im Westen ein trapezförmiger Platz, (Piazza Retta), der in seiner geometrischen Figur und den Winkeln zwischen der Fassade des Domes und den Korridoren (84°) exakt der Form des Kapitolplatzes entspricht (Abb. 68). Östlich an die Piazza Retta anschließend konzipierte Bernini als neuen Hauptplatz ein Oval, dessen Grundriss „aus den Segmenten zweier kleinerer und zweier größerer Kreise konstruiert ist“ (Thoenes 1963: 120). Als Abgrenzung des neuen Platzes (Piazza Obliqua) entschied sich Bernini für eine Kolonnade aus vier Säulenreihen, zu zwei Halbkreisen mit insgesamt 284 dorischen Säulen aus Travertin geformt. Ein ursprünglich geplanter, das Oval nach Osten abschließender Kolonnadenarm (terzio braccio) wurde nicht realisiert (Abb. 68). An Stelle des östlich der Piazza Obliqua vorgesehenen dritten Kolonnadenarms wurde, den gleichen Fluchtlinien zum westlichen Vorplatz, der Piazza Retta folgend, ein ebenfalls trapezförmiger, aber kleinerer Platz geschaffen, die Piazza Rusticucci (Abb. 67).

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Abb. 67: Piazza San Pietro, Übersichtsplan

Quelle: eigener Entwurf nach Benevolo 2004: 44

Abb. 68: Skizze für Konstruktion von Trapezz und u Oval mit Kolonnaden

Quelle: Kitao: Figur 56

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Um das topographische Gefälle auszugleichen, wurden umfangreiche Abgrabungs- und Aufschüttungsarbeiten vorgenommen, die im Bereich der Piazza Retta in einer gegenüber der Piazza Obliqua erhöhten und auf zwei unterschiedlichen Niveaus sich erstreckenden geraden und ebenen Plattform resultierten, während sich für das Oval der Piazza Obliqua eine um den zentralen Obelisken kreisende Hohlform wie eine leicht gewölbte Wanne ergab.

Abb. 69: Zugänge zum Petersplatz: Via Alessandrina/Borgo Nuovo (Bernini, oben) und Via della Conciliazione

Quelle: eigener Entwurf nach Benevolo 2004: Fig. 31 und 99

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Mehr als 250 Jahre lang hatte Berninis Konzept Bestand, denn mit dem Tod Alexanders VII. (1667) fanden die Bautätigkeiten auf dem Platz, abgesehen von Skulpturarbeiten an den Heiligenstatuen auf den Kolonnaden, ihren Abschluss. Dann aber, im Jahr 1929, söhnte sich der Vatikan mit dem italienischen Staat durch den Abschluss der Lateran-Verträge aus; zugleich wurde der fünfzigjährige Konflikt zwischen Kirche und Staat beendet, der mit der Vereinigung der italienischen Regionalstaaten zu einem Nationalstaat und der Eroberung des bis dahin unabhängigen und souveränen Rom die weltliche Herrschaft der Päpste beendete. Das „architektonische Symbol (dieser Versöhnung) war die 1935 begonnene, zum Anno Santo (dem Heiligen Jahr) 1950 vollendete Via della Conciliazione“ (Thoenes 2010: 86). Mit der „Straße der Versöhnung“ ließ Mussolini nach Plänen seines Architekten Marcello Piacentini eine Schneise durch das historisch gewachsene Wohnquartier zwischen Engelsburg und Petersplatz schlagen und veränderte damit zugleich grundlegend eines der wesentlichsten Merkmale der Platzkonzeption Berninis. (Abb. 69). 2.6.2 Konzept und Idee des Platzes Mit der Erhaltung des von Alexander VI. geschaffenen Platzzugangs über die Via Alessandrina/Borgo Nuovo nahm Bernini nicht nur (deren divergierende Achse) in Kauf, sondern machte sie zu einem Hauptmotiv seines Projekts, indem er sie in den Palast hinein verlängerte. Sie durchschneidet also den Ovalplatz und trifft an dessen Westseite auf das zum Eingangsportal ausgebildete Kopfstück des rechten Kolonnadenflügels, setzt sich im Korridorarm fort und mündet in den Unterlauf der Scala Regia; aus ihrer Konvergenz gegen die Südwand der Cappella Sistina ergibt sich die trichterförmige Verengung des Treppenlaufs im Aufstieg zum ersten Wendepodest (vgl. Abb. 67). 2.6.2.1 Das Trapez der Piazza Retta als zwingende Folge des Platzzugangs über die Via Alessandrina Die schräge Ausrichtung des Korridorarms wird dann auf der Südseite des Platzes symmetrisch gespiegelt; das Resultat ist die Trapezform der Piazza Retta. Wir kennen das Blatt, auf dem Bernini seine Idee skizziert hat (Abb. 70): Die rechte Kolonnade setzt gerade dort ein, wo die Blickbahn der Via Alessandrina durchgeht…So erlebte der auf diesem Wege sich Nähernde über eine Distanz von nahezu einem Kilometer eine Sequenz sich steigernder Eindrücke: die geradlinige Zufahrtsstraße, den plötzlich sich öffnendem Kolonnadenplatz mit dem Schrägblick auf die Basilika, das äußere Eingangsportal und das Vestibül unter der Kolonnade, die erste, kurze Innentreppe,

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den altehrwürdigen Portone di bronzo…, den langen Korridor, das Vestibül mit dem Reiterbild Konstantins und die Scala Regia. Der Souveränitätsanspruch eines Fürsten konnte kaum eindrücklicher demonstriert werden“ (Thoenes 2010: 81f).

Abb. 70: Ideenskizze Berninis zur Lösung des Platz- und Palastzugangs

Quelle: Biblioteca Vaticana, Cod. Chigi I 19, Thoenes 2010: 82

2.6.2.2 Die perspektivisch durch die trapezoide Form der Piazza Retta bewirkte unmittelbare Präsenz des Petersdoms Der Zugang zum Petersplatz über die schmale Via Alessandrina bewirkt, dass der Petersdom „nicht als Ziel eines zurückzulegenden Weges, sondern unmittelbar präsent (ist), sobald man den Platz betritt.“ Dadurch erscheint „die trennende Piazza Retta als reine Transitzone“ und „Madernos Fassade als eigentliche Abschlusswand des Platzes“ (Thoenes 2010: 83). Nach dem Betreten des trapezoiden Platzes vergrößert sich die Fassade und füllt das gesamte Blickfeld aus, während die Seitenwände zurückweichen und den Besucher gewissermaßen auf du und du mit der madernianischen Fassade konfrontieren, wie Benevolo (a.a.O: 64) den visuellen Effekt beschreibt, den Berninis Konzeption der Piazza Retta auslöst: Als „flow and thrust, piazza as passage“ erlebt Kitao den Effekt, „the new piazza…created a sense of measured progression from a more public space to a more private one, emphasized by the rising grade and the telescoping ef-

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fects…“ (a.a.O.: 8), den Benevolo wie folgt erklärt: Die Abweichung zwischen den Seitenflügeln des Platzes lässt die Hinterwand, die Fassade des Petersdoms, näher heran rücken, tatsächlich jedoch ist sie weiter entfernt und erscheint deshalb kleiner, genau so, wie im Fall der Piazza del Campidoglio, wo Michelangelo die große Höhendifferenz zwischen dem Senatorenpalast und den beiden seitlichen Palästen visuell ausgleichen musste, auch hier war der Neigungswinkel zwischen Senatorenpalast und Konservatorenpalast mit 6° vorgegeben und damit praktisch gleich (Benevolo 2004: 43). 2.6.2.3 Die neue „architektonische“ Achse des Querovals verändert die Perspektive auf die Kuppel Während der trapezoide Platz in seiner West-Ost-Erstreckung zwischen Obelisk und Petersdom die von Sixtus V. und später von Carlo Fontana in einem Entwurf ausgearbeitete „urbanistische Achse“ aufnahm, konzipierte Bernini für den neuen Hauptplatz von St. Peter eine 90° quer dazu liegende Achse, die „architektonische Achse“. Als Zentrum des neuen Ovalplatzes akzeptierte er den sixtinischen Obelisken, zur Akzentuierung der Querachse, in direkter Verbindung der Kolonnadenenden, platzierte er zwei Brunnen auf seiner „architektonischen Achse“. „Der Obelisk markiert den idealen Augenpunkt für die Ansicht des Zentralbaus; von seinem Fuß aus hätte man Portikus, Tambour, Kuppel und Laterne noch in reinem Übereinander erkennen können“, schreibt Thoenes (1963: 107f); mit der Errichtung des Langhauses und der Präsentation des Petersdomes als Basilika änderte sich die Perspektive (Abb. 71). Nunmehr wird die Rolle der Kuppel verstärkt, erscheint als fixes Bollwerk in einer Landschaft, die sich fortlaufend verändert. Benevolo erkennt in Berninis Platzlösung und der nunmehr von der architektonischen Achse zwischen Brunnen - Obelisk und Obelisk - Brunnen eröffneten neuen Perspektive einen Vorteil gegenüber der alten, auf den Obelisken beschränkten Betrachtungsstandort: Die Kuppel scheint über der Bühne von Vorplatz und Fassade zu tanzen, zeigt sich und verschwindet wieder: „ Sopra il proscenico della facciata, lungo quasi 100 metri, la cupola danza, si rivela e si nasconde, e da questa presentazione variabile acquista un risalto ben maggiore di quello che avrebbe avuto sorgendo a ridosso della facciata michelangelesca, in una posizione fissa“ (Benevolo 2004: 53).

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Abb. 71: Perspektiven vom Obelisken auf au Fassade und Kuppel des Petersdoms

Quelle: eigener Entwurf nach Thoenes 1963: 3: 108

2.6.2.4 Die sichtdurchlässigen Säulenreihen S der Kolonnadenarme bew ewirken eine Auflösung der ästhetischen Grenze ze zwischen architektonischem und landschaftlichem Ra aum Mit der Einfassung des Ovals durch die di beiden zu Halbkreisen geformten Säulenreihen der Kolonnaden gelang Bern ernini ein Novum in der Platzarchitektur: „die Auflösung der ästhetischen Grenze nze zwischen architektonischem und natürlichem Raum. Berninis Kolonnaden schließen sch den Platz nicht ab, sie stehen frei inmitten der alten, durch Abbrüche unr nregelmäßig erweiterten ‚platea‘, und zwischen ihren Säulen hindurch schweift ft der Blick über Mauern, Gärten und Gebäude der angrenzenden Quartiere (Ab Abb. 72). Als lebendige, unreglementierte Natur wirkt die Außenwelt in die arch chitektonische Sphäre hinein, und mit der strengen Kolonnadenarchitektur verein inigt sich der landschaftliche Reiz des Panoramas, von den begrünten Hängen des de Gianicolo bis hinüber zu den Palästen des vatikanischen Hügels, zu neuem, eigentümlichem eig Zusammenhang“ (Thoenes 1963: 126). Bei der Betrachtung diese eses Spektakels erkennt der Besucher des Petersplatzes zu seinem höchsten Ersta staunen die ganze Weite und Majestät der Zusammenschau und Vereinigung dess landschaftlichen Zierrats und der Kolonnaden, „con la vista di quelle ver erdure de’ Giardini, che si riceve per gl’Intercolonnij di quei Portici, che si riconosce per somma maraviglia una sì vasta, e maestosa unione di quegli orna namenti, e Portici“ C. Fontana, zitiert nach Thoenes1963: 127).

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Abb. 72: Aufhebung der Grenze zwischen arc rchitektonischem und landschaftlichem Raum

Quelle: eigenes Bild

2.6.2.5 Die Kolonnadenflügel als „m mütterlich ausgebreitete Arme der Kirche“ Mit seiner Entscheidung, dem Hauptplatz von vo St. Peter die Form eines Ovals zu geben und die Platzgrenzen mit zwei halbk lbkreisförmigen Kolonnadenarmen zu säumen, hat Bernini weit mehr im Sinn geh ehabt, als auf eine gängige geometrische Form seiner Zeit zurückzugreifen. „Waas ihm vorschwebte, hat Bernini mit seinem bekannten Diktum von den ‚ausgebr breiteten Armen‘ der Kirche erläutert, die alle Besucher des Platzes ‚mütterlich emp mpfangen‘ sollte“ (Thoenes 2010: 83). Wittkower zitiert aus einem Bernini zugesch chriebenen Schriftstück (cod. Chig. H II 22, f. 105/ 9v) „von größter Bedeutung ng“: Im Genehmigungsverfahren des Ovalplatzes favorisierte die Mehrheit der Kongregation Ko lange die im Fresco des Vatikanischen Palastes zu Zeiten von Sixtu tus V. festgehaltene Rechtecklösung. Berninis Argumentation vor dem Gremium wird wi wie folgt wiedergegeben: Certo chi non sapesse l’inconvenienti sopradetti ti pensarebbe che à questa forma ovata si fosse S. Santità solamente appresa in riguardo del el bello, essendo questa la meraviglia, che seppe unire con il bello, il proprio, et il necessario rio. Il bello essendo questa forma circolare

piu grata all’occhio piu perfetta in se stessa, e piu iu meravigliosa à farli massime con Architravi piani sopra colonne isolate. Il proprio perch rche essendo la Chiesa di S. Pietro quasi

matrice di tutte le altre doveva haver’ un Porticoo cche per l’appunto dimostrasse di ricevere à braccia aperte maternamente i Cattolici per conf nfermarli nella crededenza, gl’Heretici per

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riunirli alla Chiesa, e gl’Infedeli per illuminarli alla vera fede; e il necessario essendosi superate le sopradette difficoltà (zitiert nach Wittkower 1931: 70)

Zu deutsch (Übersetzung: W.H.): Sicher, wer sich in Unkenntnis der oben genannten Nachteile (einer Rechtecklösung) befindet, könnte des Glaubens sein, dass Seine Heiligkeit (Alexander VII., der mit Bernini für die ovale Platzfigur eintrat) ausschließlich aus Gründen des Schönen dem Oval zugeneigt ist; das Wunder (des Ovals) aber besteht darin, dass es das Schöne mit dem Besonderen und dem Notwendigen vereint. Das Schöne ist diese Form des Kreises, die für das Auge angenehmer und in sich vollkommener erscheint und umso wunderbarer, indem dieses Schöne noch durch ebene Architrave über einzeln stehenden Säulen vergrößert wird. Das Besondere besteht darin, das die Kirche von St. Peter, gewissermaßen als „Muttertier“ aller anderen, einen Portikus, d.h. einen säulengefassten Empfangshof, vorweisen sollte, der eben genau vormacht, wie die Kirche mütterlich mit offenen Armen die Katholiken empfängt, um sie im Glauben zu bestärken, die Häretiker, um sie wieder mit der Kirche zu vereinen, und die Ungläubigen, um sie durch den wahren Glauben zu erleuchten. Das Notwendige schließlich wäre, die oben genannten Schwierigkeiten zu überwinden. Abb. 73: Der Petersplatz als Symbol für Petrus, Mittler zwischen Himmlischem und Irdischem, in einer Skizze Berninis

Quelle: Norton: Plate XXX

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2.6.2.6 Das Ensemble von Basilika, Piazza Retta und Piazza Obliqua als symbolischer Ausdruck der Rolle des Petrus als Mittler zwischen Himmlischem und Irdischem In einer Zeichnung hat Bernini seine Konzeption einer Einheit von Petersdom und Platzoval mit in einen Zusammenhang mit der Rolle des Papstes Mittler zwischen Himmlischem und Irdischem festgehalten (Abb. 73): In der Zeichnung „ist vor die Perspektive von Petersfassade und Kolonnaden eine Männerfigur so gezeichnet, daß die Kuppel von St. Peter über ihrem Kopf erscheint, während die Arme den Kolonnaden eingepaßt sind… (Bei der) eingezeichneten Gestalt (ist) nicht an eine bloße Proportionsfigur gedacht, sondern es ist unzweideutig Petrus, charakterisiert durch den enganliegenden krausen Vollbart und durch die Kuppel seiner Namenskirche, die wie eine Papstmitra über seinem Kopf erscheint. Petrus, das heißt der Papst, kann als Mittler zwischen Mensch und Gott… die ganze Menschheit mit seinem Segen umfassen, nur in diesem Projekt kommt es zu einer Korrespondenz der göttlichen und der irdischen Mission des Papstes. Daher trägt Petrus die hochaufragende Kuppel auf dem Haupt und hält die ausgebreiteten Arme im Bereich des Menschen zwischen den Kolonnaden, während sein Mund auf die Stelle der Benediktionsloggia gezeichnet ist. Die Benediktionsloggia ist sogar über den Mund hinwegpunktiert und darunter in der Halsgrube sieht man, ebenfalls punktiert, das Hauptportal von St. Peter. Eine gepunktete Linie in Form eines Kreissegments verbindet die Kolonnadentürme… mit der Spitze der Peterskuppel. Es soll ohne Zweifel gekennzeichnet werden, daß hier eine harmonische Beziehung zwischen Himmlischem und Irdischem zustande kommt“ (Wittkower 1931: 98f).

2.6.2.7 Der Petersplatz als Symbol des Schlüssels zum Paradies In der umfangreichen Literatur über den Petersplatz wird immer wieder darauf verwiesen, dass die Form beider Plätze zusammen, der Piazza Retta und der Piazza Obliqua, in ihren Längs- und Querachse spiegelbildlich das lateinische Kreuz wiedergeben, und so als bildliche und symbolische Verstärkung des Emblems des Christentums angesehen werden können (Abb. 74). Das Kreuz, das sich über die Piazza Retta und die Piazza Obliqua erstreckt, steht jetzt auf dem Kopf und kann symbolisch als Erinnerung daran gedeutet werden, dass Petrus, Kopf der ersten christlichen Gemeinde und erster Bischof Roms, anders als Jesus, mit den Füßen nach oben und dem Kopf nach unten ans Kreuz genagelt wurde. Dass diese Legende durchaus den Zeitgenossen Berninis sehr präsent war, beweisen zwei Gemälde, das von Masaccio zeigt den gekreuzigten Petrus mit dem Kopf nach unten am Kreuz, das von Caravaggio hielt den Akt der Kreuzigung rund fünfzig Jahre vor Berninis Planungen fest (Abb. 75).

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Abb. 74: Die Achsen des Petersplatzes - Spiegelung des lateinischen Kreuzes des Doms

Quelle: eigener Entwurf nach Benevolo 2004 04

Abb. 75: Kreuzigung Petri in Gemälden en von Masaccio (links, um 1470) und Caravaccio (rechts, um 1600)

Quelle: Staatliche Museen Berlin und S. Mar aria del Popolo, eigenes Bild

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Für sich genommen, spricht der Grundriss des de Platzes aber auch noch eine andere, vielleicht wichtigere Symbolsprache: e: Betrachtet in seiner Ost-WestErstreckung entspricht er im Querschnitt der de klassischen Form eines Schlüssellochs (Abb. 76). Nun kann diese Form nicht als Zufall ver erstanden werden, denn hier befinden wir uns auf dem Platz zu der Kirche, die ddem Apostel Petrus geweiht ist. Der Legende nach empfing Petrus hier in einer Erscheinung E von Jesus den Schlüssel, der die Tür zum Himmelreich öffnet (Matth tthäus 16, 19). Die Szene der Schlüsselübergabe ist auf einem Fresco von Peru erugino festgehalten, das sich in der sixtinischen Kapelle des päpstlichen Palastes es befindet (Abb. 77).

Abb. 76: Der Petersplatz als Symbol eines Schlüssellochs Sc

Quelle: eigener Entwurf nach Benevolo 2004

Die Schlüsselübergabe stellt symbolisch den Akt dar, durch den Petrus, schon Bischof von Rom, in den Rang des Stellvertr rtreters Gottes auf Erden erhoben; ihm damit die Entscheidungsgewalt in allen Frag ragen des christlichen Glaubens übereignet wird, auch in der Frage des Zugangs zzum Himmelreich. Die Botschaft, die der Grundriss des Petersplatzes in der Figurr des d Schlüssellochs für die Gläubigen bereit hält, lautet: Die Frommen, die sich buß ußbereit zum Stellvertreter Gottes auf Erden, Mittler zwischen Erde und Himmel el begeben und sich im christlichen

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Glauben auf diesem Platz zum Empfa fang des päpstlichen Segens versammeln, wird der Zugang zum Paradies eröffnet. et.

Abb. 77: Perugino: Fresco der Schlüsse selübergabe durch Jesus an Petrus

Quelle: eigenes Bild aus der Sixtinischen Kapelle

2.6.2.8 Der Petersplatz als Thea ater Benevolo macht darauf aufmerksam, dass da vom Juli 1656 an in den vatikanischen Dokumenten für den Petersplatz der B Begriff „teatro“ in Gebrauch kommt, und führt aus, dass, technisch gesehen, die ie Hohlform des Ovals um den Obelisken dazu führt, dass die Menschen, die die ie Piazza Obliqua in Massen füllen, nicht nur die Vorgänge und Szenen genau sehen se können, die sich auf der höher gelegenen Ebene der Piazza Retta und in den d Fenstern der Fassade abspielen, sondern auch sich selbst und die Gefühlsre sregungen, von denen sie mitgerissen werden (Benevolo 2004: 53). Der Begriff „teatro“ für einen oval alen Platz trifft, wie Kiato notiert, die Semantik der Zeit. Er zitiert aus den päps pstlichen avvisi zum Petersplatz „quel gran teatro attorno la piazza“, um dann zu präzisieren, p dass das Wort teatro prägnant als eine architektonische Schöpfung bezeichnet, b die sowohl den Portikus als auch den Raum umfasst, den dieser einschließt ein (Kitao: 20). Zu Zeiten Berninis galt das Oval als vollkommene Form für ein Theater, gemäß Meinung seines Zeitgenossen Alveri schließt es nämlich ich in seiner Konstruktion zwei Kreise ein; wobei der Kreis als die perfekte geom metrische Figur angesehen wurde, weil er

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weder Anfang noch Ende hat und somit der Unendlichkeit, der Ewigkeit entspricht, Symbol der göttlichen Unsterblichkeit, Einheit und Vollkommenheit: Der Petersplatz „… è cinto da vn magnifico portico, che lo rende in forma di Teatro, opera del Caualier Bernini famoso, & insieme ingenero, fatto d’ordine di Nostro Signore Alessandro Settimo… Il Teatro, come diceuo è di forma ouale, che è la piu perfetta, essendo composto di dui cerchi…“ Alveri: 153). Die Assoziation des ovalen Platzes mit einem Theater ist aus einem Vergleich mit dem Amphitheater abgeleitet und v.a. mit der Idee des Kolosseums verbunden, dem Amphitheater schlechthin (Kitao: 21). Hinzu kommt, dass der das Zentrum des Petersplatzes dominierende Obelisk aus dem (ebenfalls ovalen) Zirkus des Nero stammt, einer dem Amphitheater sehr ähnlichen Einrichtung, die sich im antiken Rom ziemlich genau da befand, wo heute der Petersplatz liegt, wie schon Alveri in seinem Buch 1664 schreibt. Carlo Fontana, ein Schüler Berninis, widmet dem Vergleich zwischen Kolosseum und Petersplatz in seinem Buch „Templum Vaticanum“ (1694) ein ganzes Kapitel und kommt zu dem Schluss; dass das Theater „Petersplatz“ sein heidnisches Vorbild nicht nur in Größe, sondern auch in Idee und Funktion übertrifft, weil es der „Pietà e Religione, & al culto di Dio con il Publico bene“ gewidmet sei (C. Fontana: 178f). Berninis Theater besteht aus zwei Teilen, der eigentlichen Bühne (Trapez, Piazza Retta) und dem Zuschauerraum (Oval, Piazza Obliqua). Es sind v.a. zwei zeremonielle Aufführungen, die im päpstlichen Theater stattfinden: der österliche Segen und die Zelebrierung des Heiligen Jahrs. The Easter blessing is bestowed from the Benediction Loggia above the central portal of the Basilica; in the Holy Year, the Pope gives his blessings from a window of his private apartment in the Palace of Sixtus V. We have already seen that the reciprocal visibility between the Pope and the populace was the central architectural problem in the development of the plan. (This) problem was solved by drawing lines of vision on the plan between the respective position of the Pope and the limits of the piazza…(Kitao: 24).

Das Amphitheater Berninis vor dem Petersdom wird so zu einer machtvollen Metapher: In the Holy Year, pilgrims gather on the Piazza Obliqua from the four corners of Christendom; the Easter blessing, administered urbi et orbi is extended to Rome itself, the caput mundi, and symbolically to the whole world. The oval piazza is not only the globe; it is also the whole universe revolving around the sun, symbolized by the obelisk. But that is not all. Overhead, there reigns, invisibly but magnificently the heavenly theatre of the Church Triumphant, or so it was felt and understood, as echoed materially in the circle of

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saintly statues above the balustrade. The Piazza obliqua is thus most completely the Theatre: the amphitheatre of the Christian universe (Kitao: 26).

2.6.2.9 Die Via della Conciliazione bedeutet nicht das Ende des Theatereffekts, aber die Einbüßung eines großen Teils davon Mit dem Bau der Via della Conciliazione im Jahr 1936 nach dem Entwurf seines Architekten Piacentini und dem dafür notwendigen Abriss der östlich vom Petersplatz gelegenen Wohnquartiere ließ Mussolini nicht nur auch den alten, von Alexander VI. und von Bernini aufgenommenen und in seiner Bedeutung verstärkten Platzzugang über die Via Alessandrina/Borgo Nuovo abreißen, sondern zugleich eines der Hauptmotive Berninis für sein Platzkonzept zerstören: Der Zugang zum Platz über die schmale Straße zwischen der Engelsburg und dem Petersdom nahm eben nicht die wichtigste Kirche der katholischen Christenheit ins Visier, sondern den Eingang in den päpstlichen Palast. Beides jedoch, Kirche und Palast, sah der Besucher erst in dem Moment, in dem er den Platz betrat: Genau dies macht den eigentlichen „Coup de théatre“ aus; man betritt das Parkett durch einen kleinen und schmalen Eingang, um dann, von einem Augenblick zum nächsten, mit Bühne und dem Inneren des Theaterbaus konfrontiert zu sein. Mit dem Bau der Via della Conciliazione wird die von Bernini als zweitrangig konzipierte „urbane Achse“ dominant und seine vorrangige „architektonische Achse“, die quer zum west-östlich ausgerichteten Petersdom orientierte Achse der Piazza Obliqua, nebensächlich und ihrer perspektivischen Bedeutung für das Erleben des Petersdoms beraubt: Kaum noch jemand wird sich wie zuvor aufgefordert fühlen, auf der architektonischen Achse zwischen den beiden Brunnen und dem Obelisken die sich Schritt für Schritt verändernde Ansicht von Fassade und Kuppel zu bestaunen; Michelangelos Kuppel hört wohl für die Mehrzahl der Besucher auf, „über der Fassade zu tanzen“ (Benevolo: 53). Dies liegt daran, dass der neue Platzzugang von der Engelsburg aus über die Via della Conciliazione den Besuchern die volle Sicht auf Fassade und Kuppel bereits einen Kilometer vorher eröffnet und auch im langen Prozess der Annäherung beibehält; beide verharren, unbeweglich und starr, für den sich auf den Dom zu bewegenden Besucher „in una posizione fissa“ (Benevolo 2004: ebd.; Abb. 71). Der Bau der Via della Conciliazione bedeutet jedoch nicht nur Verlust, sondern auch einen Gewinn, denn nur mit einer geradlinigen Avenue dieses Ausmaßes lässt sich die Idee ausdrücken, dass der Petersdom über den Platz hinaus in die Stadt (und in die Welt) hineinreicht und dass der österliche Segen, den der Papst für urbi et orbi ausspricht, auch architektonisch und städtebaulich seinen angemessenen Ausdruck gefunden hat (Kitao: 66).

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Abb. 78: Annäherung an den Petersdom über er die Via della Conciliazione

Quelle: eigenes Bild

2.6.3 Symbolische Wirkungen und atmosphärische a Qualitäten Welche Botschaften entnehmen wir nun der er Neugestaltung des Petersplatzes im 17. Jahrhundert? Bei ihrer Entschlüsselung g richten r wir unser Augenmerk insbesondere auf die atmosphärischen Qualitäten ten des Ortes und die symbolischen Wirkungen, die von den baulichen Schöpfu fungen und ihrer Platzierung am Ort ausgehen. Die symbolischen Wirkungen konzentrieren ko sich auf die folgenden fünf Aspekte: a) Wahl des Ortes, b) Umdeu eutung der Geschichte, c) Anpassung antiker, ursprünglich heidnisch geprägter Fig iguren an die christliche Ideenwelt, d) Symbolgehalt der in der Platzfigur enthaltene nen geometrischen Formen und e) die Frage nach der dem Ort eigenen Aura von M Macht und Herrschaft.

2.6.3.1 Wahl des Ortes Der Campus Vaticanus lag zwar innerhalb der d Grenzen des antiken städtischen Gebiets, war aber nicht in den durch die Aurelianische A Mauer begrenzten Bereich der Stadt eingeschlossen. Der Campu pus wurde von der Stadt erschlossen über die von NW nach SO verlaufende Viaa T Triumphalis und ihre über den Tiber

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führende Brücke Pons Neronianis sowie wie über die von W nach O verlaufende Via Cornelia und ihrer beim Mausoleum des de Hadrian über den Tiber führende Brücke Pons Aelius. Knapp einen Kilomeeter östlich des Mausoleums des Hadrian befand sich der Zirkus des Nero und d des Caligula, wo der Legende nach der Apostel Petrus, der erste Bischof Roms, s, den Märtyrertod starb (Abb. 79).

Abb. 79: Lage des Zirkus des Nero, der er Konstantinischen Basilika und des vermuteten Grabes von Petrus

Quelle: Carandini, Vol 2: Tav. 255

Der Kreuzigung des Apostels ging derr große und verheerende Brand in Rom im Juli 64 n.C. voraus, der einen großen Teil T der Stadt zerstörte. Bald verbreiteten sich Stimmen, die das Feuer ursächlich ich der christlichen Gemeinde zuschrieben, woraufhin Nero, auch um den Verdacht ht von sich selbst als Brandleger abzuwenden, die Christen, derer man habhaftt werden we konnte, zum Opfertod verurteilte. Den Schriften vieler christlicher Autore oren zufolge ist Petrus unter den Märtyrern gewesen. Sein Leichnam soll zwischen en dem Zirkus des Nero und den vatikanischen Hügeln begraben worden sein (Carandini, (C Vol. 1: 583). Die Konstantinische Basilika von St. Peter und das Grab Gr des Apostels wurden also ziemlich genau am Ort des Martyriums errichtet. t.

2.6.3.2 Umdeutung der Geschich chte und Anpassung an die christliche Ideenwelt Mit der Errichtung der Konstantinische hen Basilika wird der Ort, an dem sich der Zirkus des Nero und das Grab des Petrus Pe befanden, umgedeutet: Ein Ort des Todes und der Qualen wird symbolisch ch zum Ort des (ewigen) Lebens und paradiesischer Versprechen. Über dem Grab des Apostels erheben sich, gewissermaßen als doppeltes Himmelsgewölbe, der er von Bernini im Auftrag von Urban VIII. konzipierte Baldachin und darüber diee gewaltige, g von Michelangelo 1546/47 im Auftrag von Paul III. entworfene Kuppe pel des Petersdoms.

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Der von Sixtus V. 1586 im Verlauf der Längsachse des Petersdoms aufgestellte und heute in der Mitte der Piazza Obliqua sich erhebende Obelisk stammt aus dem Zirkus des Nero. Ursprünglich stammt der Obelisk aus Ägypten und wurde zu Ehren des Pharao Mencares 1835 v.C. in Heliopolis aufgestellt, im Jahr 37 n.C. auf Anweisung des Kaisers Caligula nach Rom gebracht und in seinem Zirkus, dem späteren Zirkus des Nero, südlich des vatikanischen Hügels neu errichtet. Als Zeichen der Sonne sollte der Obelisk, der durch seine Form und Zuspitzung symbolisch als unendlich in seiner Länge galt, für eine Verbindung von Himmel und Erde stehen und die Verständigung mit dem Göttlichen repräsentieren. In einer bronzenen Kugel soll auf seiner Spitze die Asche des Julius Cäsar aufbewahrt worden sein. Die ursprüngliche Weihinschrift war Augustus, Cäsar und Tiberius gewidmet und lautete (Bartels: 261): DIVO CAESARI DIVI IULII F(ilio) AUGUSTO TI(berio) CAESARI DIVI AUGUSTI F(ilio) AUGUSTO SACRUM Dem vergöttlichten Caesar, dem Sohn des vergöttlichten Julius, Augustus (und) Dem Tiberius Caesar, Sohn des vergöttlichten Augustus, Augustus geweiht. Sixtus V. widmete den antiken Obelisken Jesus und dem christlichen Kreuz mit der neuen Inschrift (ebd.: 264): ECCE CRUX DOMINI FUGITE PARTES ADVERSAE VICIT LEO TRIBU IUDA Siehe das Kreuz des Herrn! Flieht, gegnerische Haufen! Gesiegt hat der Löwe vom Stamm Juda

CHRISTUS VINCIT CHRISTUS REGNAT CHRISTUS IMPERAT CHRISTUS AB OMNI MALO PLEBEM SUAM DEFENDAT Christus siegt, Christus herrscht, Christus befiehlt, Christus möge gegen alles Übel sein Volk verteidigen

Wie andere Päpste auch, ließ Sixtus V. Felice Peretti am Fuß des Obelisks sein Wappen anbringen, vier Löwen, darunter die Inschrift (Bartels: 263):

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SIXTUS V PONT(ifex) MAX(imus) CRUCI INVICTAE OBELISCUM VATICANUM AB IMPURA SUPERSTIONE EXPIATUM IUSTUS ET FELICIUS CONSECRAVIT ANNO MDLXXXVI PONT(ificatus) II

Papst Sixtus V. Hat dem unbesiegten Kreuz Den Vatikanischen Obelisken, nachdem er von unreinem Aberglauben entsühnt war, gerechter und glücklicher geweiht im Jahre 1586, dem zweiten seines Pontifikats.

Das heute anstelle der antiken bronzenen Kugel mit der Asche Cäsars befindliche Kreuz soll ein Stückchen Holz des Kreuzes enthalten, an das Jesus genagelt gewesen ist. Vom Dach über der Vorhalle zum Petersdom schaut Jesus inmitten seiner Jünger (nur Petrus fehlt in der Schar, denn er wird hier stets durch den jeweiligen Papst vertreten) auf das einst heidnische, heute christliche Symbol: Es steht stellvertretend für den Papst, Stellvertreter Gottes auf Erden und als solcher Mittler zwischen Himmel und Erde, wohnhaft im benachbarten Vatikanischen Palast, die christliche Botschaft und den Segen Gottes an die Stadt und die Welt von diesem Ort sendend. Als Kaiser Konstantin im Jahr 312 vor der entscheidenden Schlacht gegen seinen Mitkaiser Maxentius durch einen Engel ein Zeichen bekommen hatte, dass er unter dem christlichen Enblem des Kreuzes gewinnen würde („in hoc signo vincis“), bekannte er sich öffentlich zum christlichen Glauben und begann alsbald ein groß angelegtes Programm des Kirchenbaus. Um die in ihrer weitaus überwiegenden Mehrzahl noch den alten römischen Göttern anhängigen Senatoren Roms nicht vor den Kopf zu stoßen, vermied er zunächst den Kirchenbau im Zentrum Roms, in und um das Forum Romanum, und wich auf Standorte an der Peripherie oder außerhalb der Mauern der Stadt aus. Als erstes entstanden die auch heute noch bedeutendsten Basiliken des Christentums, San Pietro (320326) und San Giovanni in Laterano (um 330), erstere außerhalb der Aurelianischen Mauer, letztere direkt im Innern an die Mauer anlehnend. Der Standort der Petersbasilika war durch die frühe Geschichte des Christentums mit dem Ort des Martyriums und des Grabes von Petrus, dem ersten Bischof Roms, gewissermaßen vorgegeben; aber auch der Standort der Lateranbasilika wurde von Konstantin nicht dem Zufall überlassen. Zwar mied er den Kirchbau in und um das alte römische Kultzentrum des Forum Romanum, aber mit der Wahl des Standorts für S. Giovanni in Laterano setzte er seine beiden neuen christlichen

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Basiliken doch in eindrucksvoller Weise in Beziehung zum traditionellen Zentrum Roms: Der Ort für den Bau von S. Giovanni in Laterano wurde so gewählt, dass das Kapitol auf einer Achse zwischen Petersdom und Lateranbasilika genau in der Mitte lag; zugleich führte diese Achse auch über die alte Achse der Via Sacra des Forum Romanum (vgl. Abb. 30 in Kapitel 2.2.3.2). Die Wahl der Orte für den Bau der neuen christlichen Kirchen für den Bischof von Rom, Papst der Christenheit und Stellvertreter Gottes auf Erden, spricht eine deutliche symbolische Sprache: der neue, nunmehr christliche Pontifex Maximus, bedrängt die alte Götterwelt von zwei Seiten, nimmt sie in die Zange und zugleich in ihrer Mitte auf. Diese symbolische Konstellation hatte ein gutes Jahrtausend Bestand; bis zu ihrem Exil im französischen Avignon war San Giovanni in Laterano die in der Rangfolge wichtigste Kirche Roms, zugleich war der benachbarte Lateranische Palast Wohn- und Amtssitz der Päpste. Dies änderte sich ab 1377 mit der Rückkehr der Päpste aus Avignon nach Rom; ab jetzt wird die Petersbasilika die bedeutendste Kirche, und als neuer Amtssitz wurden ab 1450 die vatikanischen Paläste gebaut. Als achtzig Jahre später Paul III. Michelangelo mit der Neukonzeption des Kapitols beauftragte, führte dessen Konzept auch zu einer Modifikation und Neuausrichtung der alten Achse zwischen S. Pietro und S. Giovanni mit dem Kapitol in der Mitte. Die neue, von der Mitte des Senatorenpalastes ausgehende und auf die Zugangstreppe zuführende Achse vollzog gegenüber der alten antiken Achse eine Drehung um exakt 180°, so dass die neue axiale Anbindung und Ausrichtung nunmehr der Sichtachse folgend in direkter Linie zu Vatikan, Peterskirche und –platz sowie den päpstlichen Palästen führte (Abb. 80). Die neue axiale Blickbeziehung wiederholte eine alte, aus der römischen Antike stammende Tradition, eine geradlinige Verbindung herzustellen zwischen dem Sitz des obersten Priesters, dem Pontifex Maximus (Regia auf dem Forum Romanum), und dem Kapitol, Mittelpunkt Roms und Inbegriff römischer Macht und Größe. Seit dem 15. Jahrhundert wohnt der christliche Pontifex Maximus in den Vatikanischen Palästen; in der durch Michelangelo hergestellten axialen Verbindung des Vatikans mit dem Kapitol blickt der römische Kaiser Marc Aurel, Inbegriff antiker römischer Größe und Macht und Träger christlicher Tugenden wie Seelenruhe, Selbstgenügsamkeit, Gerechtigkeit und Weisheit, auf den Sitz des christlichen Pontifex Maximus, dem Petersdom und den päpstlichen Palästen.

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Abb. 80: Auf Augensicht – die Reiterstatue des Marc Aurel und die Spitzen der Kuppel von S. Pietro, sichtbar zwischen den Beinen des Pferdes

Quelle: eigenes Bild

2.6.3.3 Geometrie der Platzformen Über die inhaltliche symbolische Bedeutung der Formen des Petersplatzes ist schon berichtet worden, es bleibt noch die Beschäftigung mit den darin enthaltenen räumlichen Proportionen. Das Trapez der Piazza Retta ist 110 Meter lang und im harmonischen Mittel ebenfalls 110 Meter breit, das Oval der Piazza Obliqua ist 200 Meter lang und 150 Meter breit, das Trapez der Piazza Rusticucci schließlich ist 90 Meter lang und im harmonischen Mittel auch 90 Meter breit (Abb. 27), daraus ergeben sich die Proportionen 1:1 für die Piazza Retta, 3:4 für die Piazza Obliqua und schließlich wieder 1:1 für die Piazza Rusticucci. Die Fassade des Petersdoms, die den Besuchern insbesondere ins Auge fällt, misst 46 m in der Höhe und 115 m in der Breite, woraus sich (mit etwas gutem Willen) eine Proportion von 1:2 errechnen lässt. Die Proportion eins zu eins für die Piazza Retta und die Piazza Rusticucci ist das perfekte geometrische Maß schlechthin, Grundmaß des Quadrats, Symbol für das Makellose und Vernünftige. Im Christentum wurde das Quadrat mit seinen vier gleichen Seiten und Winkeln in Verbindung mit den vier Evangelisten gebracht und von Augustinus als das Symbol der Gerechtigkeit gedeutet (Ernst: 331). Die davon abgeleitete Figur des Trapezes könnte, zumal in Zeiten

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wie dem Barock, wie schon in Kapitel…ausgeführt, als Symbol dafür gedeutet werden, dass die menschliche Existenz, im Unterschied zu der göttlichen, als vergänglich und sündhaft wahrgenommen wurde. Die Abwandlung des Quadrats zum Trapez könnte so symbolisch andeuten, dass das Makellose und Vernünftige, das Unveränderliche und Feste wie auch die Idee der göttlichen Gerechtigkeit, mit der Begrenztheit der menschlichen Natur, ihrer Vergänglichkeit und Vanitas, nicht vereinbar, sondern gewissermaßen davon abgewandelt und verzerrt erscheinen. Aus den Maßen der Piazza Obliqua ergibt sich die Proportion 3:4, in musikalischen Begriffen eine Quarte, während die Proportion der Fassade mit 1:2 musikalisch als Oktave zu fassen ist. Wenn nicht alles täuscht, empfand der Betrachter zu Zeiten der Renaissance und des Barock angesichts dieser Maße und Proportionen „ein Gefühl der Beglückung“ nicht nur für das Auge, sondern darüber hinaus wohl auch für das innere Ohr, nämlich „…die für menschliche Ohren nicht hörbare Musik der himmlischen Sphären“ (Platon: Timaios 35B-36B, zitiert nach Wittkower: 85). Auch wenn wir als moderne Menschen diesen Sinn für musikalische Harmonien verloren haben, weil in den letzten Jahrhunderten immer mehr Sinneswahrnehmungen auf das Auge verlagert worden sind, so werden die Besucher des Petersplatzes wohl auch heute noch von den Proportionen und Harmonien des Platzes und der ihn flankierenden Gebäude und Kolonnaden ergriffen sein und jenes alte, dazu passende „Gefühl der Beglückung“ empfinden. 2.6.3.4 Ort der „ecclesia triumphans“ und der „ecclesia militans“ Der Petersplatz ist in seinem Ensemble von Petersdom, den päpstlichen Palästen, den die Piazza Retta säumenden Portiken, den Kolonnaden der Piazza Obliqua sowie den axialen Verbindungen des Ortes mit der Stadt und der Welt (urbane Achse der Via della Conciliazione) und der axialen Sichtbeziehung zwischen dem Sixtinischen Palast und dem Kapitol ein magischer Ort, an und auf dem sich die Größe und Macht der katholischen Kirche entfaltet und in Beziehung tritt zu den Ursprüngen des Christentums, dem antiken Glanz des Römischen Reiches und des mittelalterlichen Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation sowie der Wiederbelebung des katholischen Glaubens nach dem Niedergang infolge von Schisma und Exil der Päpste, der Schwächung der Kirche durch Reformation und Dreißigjährigem Krieg. Magisch ist der Ort als Stätte des Martyriums, weil hier vor rund 2000 Jahren Petrus, Gründer der ersten christlichen Gemeinde und der erste Bischof von Rom, im Zuge einer ersten umfassenden Christenverfolgung den Märtyrertod

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fand, wie Jesus einige Jahrzehnte zuvor von Römern gekreuzigt und hier begraben. Der Apostel Simon wird von Jesus Petrus genannt und unter diesem Namen von ihm in Vollzug einer göttlichen Offenbarung zum Mittler zwischen Himmel und Erde, als Stellvertreter Gottes auf der Erde bestimmt: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Und ich will dir des Himmelreichs Schlüssel geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel los sein“ (Matthäus 16: 18, 19). Hier, am Ort des Martyriums und des Märtyrertodes wurde anfangs des vierten Jahrhunderts die erste christliche Basilika über dem Grab des Petrus errichtet. Symbolische Kraft strahlt der Ort als Stätte der Erneuerung des römischen Imperiums aus, denn hier wurde im Jahr 800 der Frankenkönig Karl der Große vom Papst Leo III. zum Kaiser gekrönt, symbolischer Akt der nachantiken Gründung des „Heiligen Römischen Reiches“. In den rund tausend Jahren des Bestandes des Reiches wurden hier viele Kaiser gekrönt, u.a. Otto I. (der Große), Friedrich I (Barbarossa) und Karl V. Als kaiserliche Krönungsstätte ist der Ort nicht nur Symbol der Weltherrschaft des christlichen Glaubens, sondern auch der abendländischen Macht. Von hier aus wird der Stadt und der Welt der göttliche Segen zuteil. Die Piazza Retta als Bühne mit Madernos Fassade und Michelangelos Kuppel als Bühnenbild und Kulisse steht für die „ecclesia triumphans“. Dieses Bild haben die Gläubigen vor Augen, wenn sie sich auf der Piazza Obliqua im Glauben versammeln. Das Oval der Piazza Obliqua mit ihren umstehenden Kolonnaden ist „palconscenico“, Zuschauerraum, Ort der „ecclesia militans“, Platz des Heeres der Gläubigen. Im Augenblick des päpstlichen Segens treten Papst und Gläubige, „ecclesia triumphans“ und „ecclesia militans“ mit einander in Beziehung, werden eins in kommunikativer Verbindung: für den Papst wird nun auch der Ort der „ecclesia militans“ zur Bühne, zuschauend erleben er und die Menschen auf dem Platz die Menge als Kämpfer für den Glauben. Piranesis Vedute einer Gesamtansicht von Petersdom und Petersplatz vermittelt wohl am besten einen visuellen Eindruck von dem Ort, der das Martyrium und den Opfertod des von Jesus auserwählten Apostels in den triumphalen Aufstieg des Christentums zur Weltreligion verwandelt hat, der an die Größe des römischen Imperiums anknüpft, sie als Zentrum des Heiligen Römischen Reiches fortschreibt und in dem jährlich sich wiederholenden Schauspiel des österlichen Segens stets aufs Neue zelebriert: der Petersplatz als Zentrum der (katholischen) Welt – caput mundi, teatrum mundi (Abb. 81).

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Abb. 81: Vedute von Petersdom und Petersplatz in Frontalansicht

Quelle: Piranesi, 1748

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3. Paris

3.1 P ARIS –

DIE

E NTSTEHUNG

EINER

H AUPTSTADT

Die Entwicklung der Stadt Paris ist selbstverständlich zunächst einmal geprägt von den naturräumlichen Gegebenheiten, d.h. vor allem von der Seine (Fluss, Furt, Sümpfe, Anhöhen etc.). Diese topographischen Voraussetzungen werden anfangs ergänzt und im Laufe der Zeit in wachsendem Maße dominiert von den sozialökonomischen und politischen Bedingungen. Gerade letztere sind für die räumliche Anordnung und die architektonische Gestaltung von Paris („Spacing“) von besonderer Bedeutung, da die Ausformung der Hauptstadt beiderseits des Flusses als Sitz der französischen Monarchie über Jahrhunderte immer auch Ausdruck der Herrschaftsansprüche gewesen ist. Unter urbanistischen Gesichtspunkten hat sich in keiner anderen europäische Metropole das Mittelalter so lange gehalten wie in Paris: Erst unter Napoleon III. lässt sein Präfekt Haussmann ab 1853 die mittelalterlichen Quartiere im Zentrum abreißen, um Plätze und Straßenfluchten zu gestalten, die den neuen Ansprüchen einer imperialen Hauptstadt genügen und das Bild von Paris bis heute prägen. So lässt sich die Geschichte der Stadt ganz grob in zwei Abschnitte – vor und nach Haussmann – einteilen. Trotz dieses abrupten Bruchs mit der Vergangenheit gibt es in der Grundstruktur von Paris auch Konstanten, deren augenfälligste das historische Straßenkreuz mit der Ost-West-Achse Bastille – Louvre – Champs Élysées – La Défense und der Nord-Süd-Doppelachse Rue St. Martin/Boulevard de Sebastopol – Rue St. Jacques/Boulevard St. Michel ist (Lavedan: 107f.). Die Ost-West-Achse ist bis in unsere Tage auch die symbolische Machtachse. 3.1.1 Das ursprüngliche Machtzentrum: Île de la Cité Die Ursprünge der Stadt gehen auf die Ansiedlung des gallischen Stamms der Parisii (um 250 v.Chr.) auf der Île de la Cité als gesicherte Wohnstätte zurück,

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hier kreuzte auch – dank einer Furt – die seither existierende Nord-Süd-Achse die Seine. Die Römer errichteten (nach 52 v.C.) das municipium Lutetia in Distanz zum Fluss auf dem höher gelegenen und damit hochwassergeschützten Südufer, verschoben also das Siedlungszentrum nach Süden, beließen allerdings den Sitz des Statthalters auf der gesicherten Insel. Sie übernahmen für ihre charakteristische Siedlungsform des Straßenkreuzes mit cardo und decumanus die von den Galliern vorgezeichnete Nord-Süd-Achse, während die Ost-West-Achse auf der Höhe der heutigen Rue Soufflot gelegen war (Lavedan: 74f.; Favier 1997: 67ff.; Schüle: 9, 67). Erstmals wird der zentrale Raum von Paris damit unter herrschaftlichem Zugriff gestaltet. Der im Westteil der Insel gelegene Ort des Statthaltersitzes blieb auch unter den nachfolgenden Merowingern (seit 486) und den Capetingern (seit 987) mit der königlichen Residenz des Palais weltliches Herrschafts- und Verwaltungszentrum, während sich im Ostteil der Insel seit dem 4. Jahrhundert der kirchliche Mittelpunkt um den Vorgängerbau von Notre Dame etablierte: Damit war für die Epoche des Mittelalters die charakteristische Ost-Westorientierung des geistlichen und weltlichen Machtzentrums von Frankreich vorgezeichnet. 3.1.2 Die Dreigliederung von Paris Mit Philippe Auguste (1180-1223) trat erstmals ein Herrscher auf, der entscheidende Veränderungen in der gesamten Stadtgestaltung anstieß. Er griff die gesamteuropäische Bewegung der Stadtentwicklung auf, die auch im Pariser Raum zu einer Ansiedlung von Händlern und Handwerkern geführt hatte – und zwar auf der Nordseite der Seine. Diese Entwicklung förderte der Monarch, indem er die erste Markthalle am Platz der späteren Hallen einrichtete und die Ansiedlung, ebenso wie das Südufer, mit einer Mauer, der ersten vollständigen Stadtmauer, umgab (Lavedan: 101f.). Gleichzeitig ließ er auf der Nordseite eine mächtige Wehranlage errichten, die im 15. Jahrhundert zur königlichen Residenz erweitert wurde – den Louvre. Diese Festung demonstrierte den königlichen Machtanspruch, schützte das aufstrebende Gemeinwesen und gewährte zugleich Schutz vor aufständischen Bürgern. Auf dem Südufer, wo eine Reihe von Klöstern und Abteien lagen, unterstützte der König die 1215 entstandene Universität (Sorbonne). Philippe Auguste hatte so die entscheidenden Weichenstellungen für die zukünftige Entwicklung von Paris geschaffen: Die seither geläufige Dreiteilung von Paris geht auf ihn zurück: Rive droite, das Nordufer der Seine, ist das Zentrum von Handel und Gewerbe, aber (seit dem 15. Jahrhundert) auch der politischen Herrschaft. Auf dem Südufer, der Rive gauche, trifft sich im Umkreis der Sorbonne und des Quartier latin das intellektuelle Paris (Benevolo: 703;

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Favier 1997: 75-78). Die Île de la Cité blieb mit Notre Dame das geistliche Zentrum, das gleichsam als Klammer die unterschiedlichen und gegensätzlichen Stadtteile zusammenhielt und durch zwei mittelalterliche Brücken die Verbindung herstellte. 3.1.3 Die Ost-West-Achse als Machtachse Die rasche Entwicklung der Rive droite führte unter Karl V. (1364-1380) zum Bau der zweiten Stadtmauer auf dem Nordufer, an dessen Ostrand die Bastille als wehrhaftes Stadttor entstand (Lavedan: 105f.; Favier 1997: 78ff.). Dem gewaltigen Bastilletor folgten an der Rue St. Antoine zwei (im 16. Jahrhundert verschwundene) königliche Residenzen, im weiteren Straßenverlauf stieß ein Besucher schließlich auf den seit Karl V. zur Residenz erweiterten Louvre am Westrand der neuen Mauer. Damit war die seit Römerzeiten existierende OstWest-Achse zur historischen Machtachse geworden, mit der die französischen Könige die Beherrschung der Stadt demonstrierten: Gleichsam eingezwängt zwischen den königlichen Residenzen und damit unter ihrer Kontrolle lag an dieser Achse auch die Place de Grève mit der Stadtverwaltung (Hôtel de Ville). Abb. 82: Die Pariser Stadtmauern und das historische Straßenkreuz mit der Nord-Süd und der Ost-West-Achse

Quelle: Jordan: 41

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Diese Platzierung spiegelt das prekäre, von Aufständen geprägte Verhältnis zwischen königlichem Stadtherrn und Bürgern wider (Étienne Marcel 1358) – ein Dauerkonflikt, der durch die Wirren des Hundertjährigen Krieges und die englische Parteinahme der Stadt noch verschärft wurde und dazu führte, dass die französischen Könige sich zeitweise aus Paris an die Loire zurückzogen. Erst Franz I. (1515-1547) machte Paris 1528 wieder zur dauerhaften Residenz der Monarchen (Favier 1997: 283f.). Er ließ den Louvre zu einem Renaissancepalast umbauen – ein symbolischer Akt, der den Zeitgenossen zu verstehen gab, dass der König mächtig genug war, ohne besonderen fortifikatorischen Schutz in seiner Hauptstadt zu residieren. An dem weiteren Ausbau dieses größten weltlichen Palastes waren die französischen Herrscher bis Napoleon III. beteiligt. Trotz Versailles blieb damit der Louvre über die Jahrhunderte das symbolische Machtzentrum der französischen Herrscher, das nun auch im Stadtensemble zunehmend einen zentralen Platz einnahm: Mit der Erweiterung des Louvre in westliche Richtung und dem wenige Jahre später von Katharina von Medici westwärts außerhalb der alten Stadtmauer erbauten Tuilerienschloss, das die neue Fluchtlinie fortsetzte, war die Westorientierung von Paris eingeleitet. Sie rückte den Louvre im Laufe der Jahrhunderte aus seiner ursprünglichen Randlage immer stärker ins Zentrum der Stadt und in die Mitte der historischen Machtachse. 3.1.4 Heinrich IV. und Ludwig XIV. – die absolutistische Inszenierung Der erste und der dritte Bourbonenkönig – Ludwig XIII. tritt urbanistisch gesehen kaum in Erscheinung – haben im 17. Jahrhundert Paris wie kein anderer Herrscher zwischen Philippe Auguste und Napoleon III./Haussmann mit ihrem ehrgeizigen Bauprogramm der Stadt ihren Stempel aufgedrückt und sie so zur Bühne ihrer absolutistischen Machtentfaltung gemacht (Benevolo: 704f., 712f., 730). Sie ließen Plätze und Brücken errichten, regten den Bau von Kirchen und Klöstern an, gaben Promenaden und Alleen in Auftrag und erließen strenge Bauvorschriften. Zugleich verdoppelte sich die Einwohnerzahl von Paris von 250/300.000 (um 1600) auf rund 500/700.000 (um 1700) (Babelon 1986: 166; Favier 1997: 39f.). Erst nach schweren Kämpfen gelang Heinrich IV. die Eroberung der Stadt und damit die Sicherung des inneren Friedens und seiner Herrschaft (Favier 1997: 812ff.). Der ihm zugeschriebene Ausspruch “Paris ist eine Messe wert“ drückt die Bedeutung der Hauptstadt als Voraussetzung einer friedlichen Herrschaft aus und macht zugleich Heinrichs Wertschätzung der Stadt deutlich. In

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den – im Vergleich zu Ludwig XIV. – wenigen Jahren seiner Regierung (15891610) hat er vier große Bauvorhaben zur repräsentativen Ausgestaltung seiner Hauptstadt angestoßen, von denen allerdings nur drei realisiert wurden (Hesse: 15ff.): 1.

2.

3.

4.

Bei seinem Regierungsantritt bereits im Bau ließ er den Pont Neuf zur repräsentativsten und größten Brücke über die Seine ausbauen. In der Mitte der Brücke errichtete Maria von Medici, die zweite Frau Heinrichs, nach seiner Ermordung eine Reiterstatue, die erste öffentlich aufgestellte Königsstatue in Paris. Die Figur steht gegenüber der auf sie weisenden Dreiecksspitze der Place Dauphine, dem zweiten von Heinrich IV. errichten Platz an der westlichen Spitze der Île de la Cité (Lavedan: 202 ff.). Er ist neben der Place Royale das eindrucksvollste städtebaulichen Ensemble, das Heinrich errichten ließ. Brücke, Reiterstandbild und Place Dauphine bezeugen in höchst konzentrierter Form, welche Bedeutung diesem König als Gestalter seiner Hauptstadt zukommt. Er wollte, so ließ er durch den Vorsteher der Kaufmannschaft verkünden, „eine ganze Welt und der Welt ein Wunder aus dieser Stadt“ machen (Babelon 1982: 830). Am deutlichsten wird die Absicht Heinrichs IV. seinen urbanistischen Gestaltungswillen mit einer politischen Botschaft zu verbinden an der Place Royale, der heutigen Place des Vosges (Lavedan: 231ff.). Der am östlichen Rand der mittelalterlichen Stadt gelegene Platz sollte als öffentlicher Raum den Einwohnern der Stadt zur Verfügung stehen, zugleich aber durch die einheitliche Fassadengestaltung und die beiden königlichen Pavillons den repräsentativen Rahmen für königliche Feste bilden und darüber hinaus auch von Handwerkern und Händlern bewohnt werden. Dieses Ensemble drückt die Vorstellung des Königs vom harmonischen Verhältnis zwischen Volk und Regierenden und von der klaren Ordnung in Stadt und Staat aus. Außerhalb der Stadt in nordöstlicher Richtung entstand das letzte große Bauwerk Heinrichs IV., das als Pestkrankenhaus konzipierte Hôpital St. Louis – eine Antwort auf die immer wiederkehrenden Pestausbrüche in Paris und Ausdruck der sozialen Fürsorge des Monarchen. Unweit der Place Royale hatte Heinrich IV. einen weiteren Platz geplant, dessen Realisierung aber durch seine Ermordung nicht mehr zur Ausführung kam: Von einem neuen Stadttor in der östlichen Mauer aus sollten strahlenförmig sechs Straßen mit den Namen französischer Provinzen in die Stadt führen, das Quartier sollte zahlreiche Verwaltungsbauten beherbergen (Hesse: 18). Die zentralistische Staatsauffassung hätte in diesem Ensemble ihren perfekten Ausdruck gefunden. Die drei von Heinrich initiierten Plätze

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begründen eine Tradition des Ancien Régimes, die von den französischen Königen bis ins 19. Jahrhundert fortgesetzt wird. Unter Heinrich IV. und seinen Nachfolgern beginnt die säkulare Westausdehnung von Paris, die mit La Défense ihren gegenwärtigen Endpunkt erreicht hat. Hatten die Erweiterungen des Louvre unter Franz I. und die Errichtung des Tuilerienschlosses bereits die Richtung vorgegeben, folgte mit Heinrichs Verbindungsgalerie zwischen beiden Schlössern der nächste Schritt. In unmittelbarer Nachbarschaft erbaute der Kardinal Richelieu ab 1624 das Palais Royal, dem sich die neuen Stadtquartiere um die Rue St. Honoré anschlossen. Aber auch das linke Seineufer, erschlossen durch neue Brücken (Pont Royal 1685), erlebte eine rege Bautätigkeit, die durch die Anlage königlicher Paläste (wie das Palais du Luxembourg, 1612-1622), neuer Klöster (wie das 1621 gestiftete Val de Grâce) und das Hôtel des Invalides (nach 1670) gefördert wurde (Lavedan: 215f., 258ff.). So übernahm der Faubourg St. Germain im 18. Jahrhundert die Rolle des alten Marais und entwickelte sich zum eleganten Aristokratenviertel, das an der Straße nach Versailles lag und über den Pont Royal leicht vom Louvre und den Tuilerien zu erreichen war – das machtpolitische und repräsentative Zentrum der Monarchie hatte sich nach Westen verschoben. Die absolutistische Prachtentfaltung Ludwigs XIV. (1661-1715) wird gemeinhin mit der Schlossanlage von Versailles verbunden, wohin der französische Hof 1682 umzog. Doch sollte die „Stadt den Ruhm des Königs theatralisch darstellen“ und zur „Zeremonienstadt“ (Jordan: 51) umgestaltet werden. In dieser Absicht plante der Monarch eine prachtvolle Triumphstraße von dem im Osten von Paris gelegenen Château de Vincennes bis zur Porte St. Antoine, dem Standort der Bastille; realisiert wurde allerdings nur eine von vier Baumreihen gesäumter Allee von Vincennes bis zur heutigen Place de la Nation. Zusammen mit der an der Ostfront des Louvre errichteten riesigen Kolonnade wäre bei einer Realisierung der Triumphstraße die Westorientierung zumindest ausbalanciert und die historische Achse quer durch Paris vollendet worden (Hesse: 88f.). Mit der Schaffung zweier Königsplätze setzte Ludwig XIV. die Tradition der herrschaftlichen Inszenierung fort (Lavedan: 217ff.; Hesse: 93ff.). Zur Glorifizierung seiner frühen militärischen Erfolge entstand nördlich des Louvre die Place des Victoires. Der zweite Platz, die heutige Place Vendôme, folgte der Westausdehnung der Stadt an der Rue St. Honoré und sollte ursprünglich Ort der Akademien und Bibliothek des Königs werden. Das Zentrum beider Plätze bildeten Statuen Ludwigs XIV., die die allgegenwärtige Präsenz des seiner Hauptstadt fernen Königs symbolisierten. Diese herrschaftliche Präsenz brachte der Monarch seiner Stadt – neben weiteren Bauten wie dem Observatorium, der

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Salpetrière und dem Collège des Quatre Nations (heute Institut de France) – noch an zwei weiteren Orten in Erinnerung. So ließ er die mittlerweile dem städtischen Wachstum hinderlichen Befestigungsmauern schleifen und durch einen breiten, baumbestandenen Corso samt antikisierenden Triumphbögen ersetzen (Favier 1997: 87f.). Paris wurde so zur offenen Stadt, zugleich dem Zugriff und der Kontrolle des Monarchen unterworfen. Der königlichen Fürsorge seiner Untertanen setzte Ludwig XIV. ein Denkmal im Hôtel des Invalides, dem nach Versailles größten Bauprojekt des Königs (Hesse: 96f.). Auf noch freiem Gelände des linken Seineufers ließ er ein riesiges Hospital für ehemalige Soldaten und Veteranen erbauen. Die den Monarchen glorifizierende Gesamtanlage förderte die bereits erwähnte westliche Stadterweiterung südlich der Seine. Abb. 83: Schematisierter Plan von Paris um 17. Jahrhundert mit den untersuchten Plätzen und dem Hôtel des Invalides

Quelle: Ranum: 86

Im 18. Jahrhundert gingen die städtebaulichen Veränderungen zunehmend von Privatleuten und aristokratischen Bauherren aus. Drei königliche Projekte, die die Stadtentwicklung stark beeinflussten, sind dennoch zu nennen (Hesse: 135ff.). So förderte Ludwig XV. die Westorientierung der Stadt, indem er die Place Louis XV (heute Place de la Concorde) als Verlängerung der Tuilerien-

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gärten mit Blick auf die Sichtachse der künftigen Champs Élysées errichten ließ. Auch mit dem zweiten großen Bauvorhaben setzte Ludwig XV. die Tradition seines Vaters fort: Die École Militaire mit dem Champ de Mars, einem riesigen bis zur Seine ausgedehnten Exerzierplatz, schloss sich inhaltlich und topographisch an das Hôtel des Invalides an und begrenzte zunächst die Westausdehnung von Paris auf dem linken Seineufer. Einschneidender war dann aber die begrenzende Wirkung der 1785 auf Anordnung Ludwigs XVI. errichtete Mauer der Steuerpächter, einer reinen Fiskalbarriere, mit der die Krone auf alle Pariser Ein- und Ausfuhren Zölle erhob, um so ihre notorischen Finanzprobleme zu beheben (Lavedan: 193f.).

3.2 P LACE R OYALE – EIN ‚ SCHÖNES T HEATER DES E RDKREISES ’ Am 14. Mai 1610 ereignete sich in Paris eine schreckliche Bluttat: Der Zusammenstoß zweier Wagen zwang die Kutsche Heinrichs IV. zum Halt in der Rue Ferronnerie. Diese war an vielen Stellen lediglich vier Meter breit, denn Buden und Verkaufsstände verengten in der gesamten Stadt die Straßen und behinderten den Verkehr. Schon Heinrich II. hatte 1564 gegen diesen Missstand angeordnet, dass die Straßen der Hauptstadt frei zu räumen seien – doch vergeblich: Die engen Gassen blieben ein ständiges Hindernis. Diesen Umstand nutzte der Laienbruder Ravaillac, sprang auf den Wagen des Königs und erstach ihn – ein religiös motivierter Racheakt (Babelon 1969: 47). Heinrich IV. wurde damit Opfer der Straßen seiner Stadt, um die er so lange und erbittert gekämpft und die er planvoll wie kein französischer König vor ihm zu seiner Hauptstadt ausgebaut hatte. Zwar war Paris seit 987 Sitz der Capetinger und damit Hauptstadt Frankreichs, aber seit rund 200 Jahren, seit den Tagen des Hundertjährigen Kriegs (1337-1453) zwischen England und Frankreich, lebten die französischen Könige häufig nicht in Paris, sondern beispielsweise in Bourges, Chinon oder auf ihren Schlössern an der Loire. Dass Heinrich Paris wieder zum dauerhaften Sitz der Monarchie machte, erklärt sich vor allem aus der schwierigen Situation seiner Thronübernahme: Nach der Ermordung Heinrichs III. (1589), des letzten Königs aus dem Hause Valois, war er nach dem salischen Erbfolgerecht der legitime Nachfolger. Doch seinem Anspruch standen erhebliche Hindernisse im Weg: Heinrich von Navarra war Protestant und damit vor dem Hintergrund der bürgerkriegsähnlichen Religionskriege als rex christianissimus für das mehrheitlich katholische Frankreich unvorstellbar; lediglich in einem Sechstel des Landes konnte er auf Unterstützung rechnen. Zu-

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dem war der erste Bourbone auf dem französischen Thron nur sehr entfernt – 22 Verwandtschaftsgrade – mit den Valois verwandt. Die Stadt Paris, beherrscht von der katholischen Liga und unterstützt von einer spanischen Garnison, verweigerte dem neuen Monarchen trotz zweifacher Belagerung fünf Jahre lang den Zutritt und damit die traditionelle Residenz. Umso bedeutsamer war es deshalb, dass Heinrich nach Zusage seiner Konversion zum katholischen Glauben am 22. März 1594 dort einziehen konnte, wo die legitime Herrschaft Frankreichs ihren ursprünglichen Sitz hatte (Hinrichs: 151ff.; Malettke 2008: 27ff.; vgl. Abb. 90). Die Stadt, in die er einzog, war noch gänzlich mittelalterlich geprägt: Enge Gassen, hohe Bevölkerungsdichte, schlimmste hygienische Verhältnisse, überwiegend Holzgebäude. In den Auseinandersetzungen der Religionskriege und während der Belagerungen waren in der Stadt und den Faubourgs zahlreiche Häuser zerstört worden, Tore und Befestigungen in einem desolaten Zustand und die Straßen, Brunnen und Brücken – die gesamte Infrastruktur – hatten stark gelitten, sogar Wölfe soll es gegeben haben (Babelon 1969: 50; de Andia: 14). Heinrich IV. ergriff nun die Initiative, die darniederliegende Metropole wieder aufzubauen mit dem Ziel sie zu seiner Hauptstadt auszugestalten, zum Machtzentrum des wieder erstehendenen Frankreichs. Die Zeitgenossen registrierten die umfassende Veränderung der Stadt: „Wenn du in zwei Jahren nach Paris zurückkommst, wirst du es nicht mehr erkennen“, schrieb der protestantische Schriftsteller François de Malherbe 1608 an einen Freund. Diese Intention ist im Kontext seines frühabsolutistischen Rekonstruktionsprogramms für Frankreich zu sehen: So wie er die Grundlagen eines modernen zentralisierten französischen Staates legte, indem er die Machtbefugnisse der lokalen und regionalen Autoritäten – etwa bei der Steuererhebung und dem Militärwesen – begrenzte, so definierte er die neue nationale Rolle von Paris als Mittelpunkt des Königreichs. Denn er beabsichtigte, wie er es 1601 ausdrückte, „die Jahre in dieser Stadt zu verbringen und dort zu verweilen“. Und wie der von ihm veranlasste Ausbau von Brücken und Straßen, seine Förderung von Handel und Gewerbe im gesamten Königreich zum wirtschaftlichen Aufschwung und zur Verbesserung der Lebensbedingungen beitrugen, so unterstützte er in Paris beispielsweise den Ausbau der Manufakturen, sorgte für die Verbesserung der Wasserversorgung und Entwässerung, schrieb den Bau von Steinhäusern gegen die Brandgefahr vor, ließ Straßen verbreitern und reinigen und setzte sich für die Verschönerung seiner Hauptstadt ein. Denn er wollte, so verkündete er 1601, „ dieser Stadt ganz und gar alle Annehmlichkeiten und Ausschmückungen geben, die möglich sind“ (übers.: U.H.; Babelon 1969: 48, 50). Das urbanistische Programm, mit dem Heinrich mit den spanischen und österreichischen Habsburgern gleichziehen wollte, drückt sich vor allen aber in den von ihm veranlassten Bau-

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ten, den Straßen, Plätzen und Brücken aus. Dabei stellte er sich in die legitimierende Tradition der letzten Valoiskönige, indem er zunächst an ihre unvollendeten Bauprojekte anknüpfte. Das erste Vorhaben (ab 1594) galt deshalb, gleichsam den Anspruch auf den Hauptstadtsitz befestigend, dem Ausbau des Louvre (Grand Gallerie, Pavillon Bullant), um eine angemessene Residenz in Paris zu besitzen. Dann ließ er (ab 1598) den von Heinrich III. begonnenen Bau des Pont Neuf fertigstellen und schlug mit der Rue Dauphine die städtebaulich bedeutsame Achse in das Viertel von St. Germain. Das eigene urbanistische Programm lässt seine Vorstellung des Verhältnisses zwischen dem Monarchen und seinem Volk erkennen und manifestiert sich vor allem in den Platzanlagen: Die Place Royale (ab 1605; heute Place des Vosges) markiert die permanente Präsenz des Königs in seiner Hauptstadt, sie sollte Gewerbe und Handel dienen, zugleich aber den Raum für Feste und Zeremoniell des Hofes schaffen. Die Place Dauphine (ab 1607) kündet mit ihrer von der Bezeichnung des Thronfolgers abgeleiteten Namensgebung von der Sicherung der Dynastie und der daraus erwachsenen Friedenszeit, sie war ganz der Förderung des Handels gewidmet. Die wegen der Ermordung nicht mehr realisierte Place de France sollte die enge Verbindung der Kapitale mit dem Königreich manifestieren. Die Halbkreisanlage, die strahlenförmig abgehenden Straßen mit den Namen französischer Provinzen und die am Platz angesiedelten Regierungsorgane (Grand Conseil) markierte die zentrale Bedeutung der Hauptstadt für das gesamte Königreich (Babelon 1969: 50ff.; de Andia: 17ff.; Hesse: 15ff.). Es ist bezeichnend, dass diese drei Platzanlagen nach geometrischen Formen – Quadrat, Dreieck, Halbkreis – angelegt sind: Es sind dies Grundformen der Architekten der Renaissance und des Barock, die ihre Vorbilder in den antiken Architekturtheoretikern, vor allem Vitruv, sehen. Sie stehen im Kontrast zur mittelalterlichen Stadtgestaltung beengter und unregelmäßiger Quartiere und zeugen von der Planungshoheit der königlichen Macht. Weitere Bauten belegen die Fürsorge des Königs für seine Hauptstadt und deren Bewohner: So diente das Hôpital St. Louis dem Kampf gegen die Pest, die Kai- und Hafenanlagen und die Uferpromenade an der Seine verschönerten die Stadt und förderten den wirtschaftlichen Aufschwung. Dieses Bauprogramm konnte Heinrich IV. jedoch nicht in selbstherrlicher Manier seiner Hauptstadt oktroieren, vielmehr gelang ihre Realisierung in einem komplexen Prozess der Auseinandersetzung und Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen politischen, sozialen und ökonomischen Interessen. Das wird besonders deutlich an den Platzanlagen, die sich im Paris des 17. Jahrhunderts durch ihre Randlage auf kaum bebautem Gelände auszeichnen. Im dicht besiedelten und von verschachtelten mittelalterlichen Besitzverhältnissen geprägten

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Zentrum war eine großräumige Planung weder finanziell noch politisch durchsetzbar, wenngleich die Stadtherrschaft unter Anführung der Kaufmannschaft seine Pläne insgesamt unterstützte (Ballon 1991: 164, 252). Das auf Drängen Heinrichs IV. im Jahr 1609 fertiggestellte Rathaus mit einem Reiterrelief des Königs über dem Haupteingang belegt diese Zusammenarbeit und die akzeptierte Unterordnung. Die nach den Religionskriegen notorische Finanznot des Königs sorgte zudem dafür, dass die Gebäude an den beiden realisierten Plätzen nicht etwa vom Monarchen selbst, sondern von privaten Investoren finanziert und errichtet wurden. Heinrich stützte sich dabei auf bürgerliche Unternehmer und die sozialen Aufsteiger des Amtsadels: Die Zusammenarbeit mit diesen neuen sozialen und ökonomisch potenten Kräften bezeugt, dass der frühe Absolutismus Heinrichs ganz pragmatisch geprägt war von Kooperation und Einbeziehung aller Kräfte, die der Rekonstruktion des Königreichs dienlich waren (Ballon 1991: 3-12). Diese Konstellation lässt sich auch – wie zu zeigen sein wird – in der Platzgestaltung erkennen. 3.2.1 Topographie Betrat ein Zeitgenosse Heinrichs IV. erstmals die Place Royale, dann musste er unweigerlich vor der ungewohnten freien Fläche, dem regelmäßigen großen Quadrat, der ringsherum einheitlichen Fassade erstaunt und fasziniert zugleich sein. In ganz Paris gab es keinen vergleichbaren Platz, einzig die Place de Grève vor dem Hôtel de Ville bot in dem engen und verwinkelten Häusergewirr der noch weitgehend mittelalterlichen Stadt einen Freiraum, der eingeengt von Buden und Verkaufsständen in seiner Unregelmäßigkeit jedoch gänzlich ungestaltet anmutete. Nur ein einziges Beispiel eines einheitlichen Gebäudeensembles gab es bisher in Paris, die Häuserreihe auf dem Pont Notre-Dame. Die Place Royale war die erste geplante Platzanlage in Paris und der erste Platz mit königlichem Namen. Was waren die Gründe Heinrichs IV. nach zehn Jahren unangefochtener Herrschaft als französischer König diese Platzanlage gerade an dieser Stelle zu veranlassen? Das Gelände des künftigen Platzes, der Parc des Tournelles, lag am östlichen Rand der Stadt in der Nähe der Bastille, in einem Abstand von ungefähr 150 Metern von der in ost-westlicher Richtung verlaufenden Hauptverkehrsache, die sich von der Bastille beziehungsweise der Porte de St. Antoine am Hôtel de Ville vorbei bis zum Louvre erstreckte. Da das Gelände sich im königlichen Besitz befand und ohne Bebauung war, konnte Heinrich IV. frei darüber verfügen – ein gewichtiger Grund für die Platzwahl in der dichtbesiedelten Stadt. Denn die Krone besaß weder die politische Macht noch die finanziellen Mittel Abrissar-

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beiten im größeren Umfang zugunsten n eigener Stadtbauprojekte durchzuführen. Das geschah erst unter Napoleon III. du durch seinen Präfekten Haussmann, dessen radikale Eingriffe in die noch weitgehen end mittelalterliche Struktur die Metropole völlig veränderten. Diese Differenz istt charakteristisch c für die keineswegs unbegrenzten Möglichkeiten des frühabsol olutistischen Monarchen im Hinblick auf seine Chancen urbanistischer Gestaltun ung. Ursprünglich hatte hier eine mittelalterliche Residenz der Valois – das Hôte tel des Tournelles – gestanden, doch nachdem an diesem Ort Heinrich II. 1559 bei be einem Turnier tödlich verunglückt war, hatte die Krone wenige Jahre später die Residenz abreißen lassen. Der geplante Verkauf des in einzelne Parzellen aufg fgeteilten Parks zur Finanzierung der von Katharina von Medici erbauten Tuilerie rien erwies sich als Fehlschlag. Das Gelände diente deshalb als Pferdemarkt und d Abfallplatz, Ab bis der König 1604 Parzellen für zwölf Häuser und eine Werkstätte an der Nordseite der künftigen Platzanlage an Unternehmer der Seidenmanufakturr vergab v (Ballon 1991: 64; Köstler: 48ff.).

Abb. 84: Im Kreis: Das Hôtel des Tourne rnelles mit dem Turnierplatz nahe der Bastille

Quelle: Oliver Truschet, Germain Hoyau, u, Ausschnitt aus dem Basel-Plan, vor 1559; Bibliothek der Universität Basel AA124; Atl tlas des anciens plans de Paris, planche X

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3.2.2 Funktion Ein Jahr später, im Juli 1605, verkündete Heinrich IV. dann einen Plan für die Bebauung des gesamten Geländes. Dieses Edikt (Archives Nationales, Paris XiA/8645 f284) gilt als Gründungsurkunde der Place Royale und erläutert die Zielvorstellungen, die der König mit diesem Platz verband: Wir haben beschlossen für den Nutzen und den Schmuck unserer guten Stadt Paris einen großen Platz, bebaut auf vier Seiten, zu schaffen, der dazu beiträgt die Werkstätten (manufactures) zur Herstellung von Seidentuch zu errichten und die Arbeiter unterzubringen, die wir in so großer Zahl als möglich anlocken wollen in dieses Königreich; und zugleich kann er den Bewohnern unserer Stadt, die sehr bedrängt in ihren Häusern sind wegen der von allen Seiten herbeiströmenden großen Zahl von Menschen, nützlich sein zu promenieren; ebenso kann er an Festtagen [nützlich sein], wenn es große Versammlungen gibt und bei vielen anderen Gelegenheiten, bei denen solche Plätze ganz notwendig sind. Wir haben in unserem Rat beschlossen [...] diesem Zweck den Platz zu widmen, der gegenwärtig Pferdemarkt heißt, früher Park von Tournelles, und den wir in Zukunft Königsplatz [Place Royale] nennen wollen... (übers.: U.H.; zit. nach Ballon 1991:314 A. 41).

Zunächst fällt ins Auge, dass das Edikt bei den geplanten Funktionen des Platzes als Erstes die Einrichtungen und Wohnungen der Seidenmanufaktur und der dort Beschäftigten nennt und erst an dritter Stelle die Nutzung als öffentlicher Festplatz steht, der den Rahmen – entsprechend dem neuen Namen – für Zeremonien der Monarchie bietet. Dies ist sicherlich eine Anknüpfung an die im Vorjahr an vermögende Finanziers und Unternehmer aus dem Bürgertum vergebenen Parzellen für die Seidentuchherstellung, verweist aber vor allem auf die Bemühungen Heinrichs, die wirtschaftliche Situation seines Königreiches nach allen Kräften zu verbessern. Dabei spielte die Herstellung von Seide im eigenen Land eine besondere Rolle, denn dieses Luxusprodukt kam bisher vor allem aus Italien. Überzeugt von dem merkantilistischen Programm seiner Ratgeber, dass dem Abfluss von Kapital ins Ausland durch die heimische Produktion zu begegnen sei, hatte der König überall im Land und in Paris Manufakturbetriebe, vorzugsweise Seidenmanufakturen gefördert. Der neue und prestigeträchtige Platz sollte nun dazu beitragen die benötigten Fachkräfte aus dem Ausland, besonders Italien, anzuwerben (Ballon 1991: 59ff.). Die auf den ersten Blick erstaunliche Kombination eines königlichen Platzes mit Werkstätten und Handwerkerwohnungen ist für den Pragmatismus Heinrichs IV. jedoch charakteristisch: So wie er in den Tuileriengärten Maulbeerbäume pflanzen und eine Seidenraupenzucht anlegen ließ, hatte er auch keine Berüh-

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rungsängste seinen königlichen Platz mit m dem Getriebe von Handel und Gewerbe zu teilen. Der König stellte sein Prestige Pre in den Dienst der wirtschaftlichen Rekonstruktion. Dies unterscheidet ihn hn von der vorangegangenen Dynastie der Valois und auch von seinen Nachfolg lgern. Die Fassadengestaltung des Platzes spiegelt diese Haltung wider: Die Socke ckelzone rings um den Platz bildet ein kontinuierliches Band, einheitlich gestaltet et als Laubengang, in dem sich Verkaufsläden ansiedeln sollten. Abb. 85: Die Place Royale mit Blick von on Norden auf den Pavillon du Roi; das Reiterdenkmal Ludwigs XIII. in der Plat latzmitte wurde erst 1639 von Richelieu errichtet

Quelle: Pérelle, um 1650; BN Est. Va 251b

Auch die zweite Zweckbestimmung des es Platzes verweist auf Heinrichs Fürsorge für seine Untertanen: Im engen und übervölkerten ü Paris sollte es einen freien Platz geben, der zur stadttypischen Er Erholung und Promenade einlud, wie dies ähnlich auch die neue Uferpromenadee an der Seine tat. Die Laubengänge und vor allem die für die Bewohner derr S Stadt ungewohnte Dimension des freien Platzes, gerahmt von einer prächtigen n einheitlichen e Fassade, demonstrierten die Gestaltungskraft eines Monarchen, der er nicht mehr in der mittelalterlichen Stadtstruktur der Pfarrbezirke dachte, sonder ern eine Anlage für die gesamte Metropole plante. Klingt hier schon das Motiv der Büh ühne an, so ist dieses Moment vollends bei der als Drittes genannten Funktion erke kennbar: Der für die zeitgenössischen Verhältnisse riesige Platz mit einer Seitenl nlänge von 142 Metern bot einen in Paris

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einzigartigen Rahmen für höfische Zeremonien und öffentliche Feiern. Weder der unfertige Louvre noch die der Kommune zugeordnete Place de Grève konnten auch nur annähernd eine vergleichbare Kulisse bieten. Sie ist bis zum heutigen Tage fast unverändert erhalten, wenn auch die Baumbepflanzung den ursprünglichen Gesamteindruck mindert: Den quadratische Platz umstehen auf jeder Seite neun Pavillons, auf der Nord- und Südseite sind die jeweils mittleren erhöht und dem König beziehungsweise der Königin gewidmet. Das Ensemble der insgesamt 36 Häuser vermittelt gleichwohl den Eindruck vollkommener Einheitlichkeit und Symmetrie der Fassaden und damit der gesamten Platzgestaltung. Abb. 86: Rekonstruktion der Originalfassade eines Hauses 1605

Quelle: Gady/Ouziel: 68

Einzelne Architekturelemente erzielen diese Wirkung. Die aus Stein errichtete Sockelzone enthält für jedes Haus, außer den königlichen Pavillons, zur Platzseite hin vier völlig gleichgestaltete Bögen, die den Zugang zu dem umlaufenden Laubengang und den dahinter liegenden (geplanten, jedoch nie realisierten) Läden öffnen. Da an den Häusergrenzen jeweils nur ein Pfeiler die rechts und links anschließenden Bögen trägt, entsteht der Eindruck eines fortlaufenden

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Bandes, das den gesamten Platz umspannt. Ähnliche Kontinuitätselemente finden sich in den über der Sockelzone liegenden beiden Wohngeschossen aus roten Ziegeln und hellem Sandstein: Die Häusergrenzen werden verwischt, indem die Lisenen – wie die darunterliegenden Pfeiler – die jeweils benachbarten Pavillons verbinden und nicht etwa optisch trennen. Einen ähnlichen Effekt erzielen auch die fortlaufenden horizontalen Bänder. Die hohe, schiefergedeckte Dachzone, die den regionalen klimatischen Bedingungen entspricht, weist verbindende und zugleich trennende Elemente auf. Die Krüppelwalmdächer betonen in ihrem oberen, vom jeweiligen Nachbarhaus klar getrennten Teil die Eigenständigkeit der einzelnen Pavillons, während der untere Teil der Dachkonstruktion jeweils nahtlos in die des nächsten Hauses übergeht. Von dieser Einheitlichkeit heben sich allein schon wegen ihrer Höhe die beiden dem König und der Königin zugedachten Pavillons deutlich ab, wenn sich ihre Gestaltung insgesamt auch harmonisch in das Platzensemble einfügt. In dem höheren Sockelbereich beispielsweise befinden sich keine Arkaden und damit auch keine kommerzielle Nutzungsmöglichkeit – der König fördert zwar Handel und Gewerbe, hält aber zugleich auf Distanz. Anstelle der Arkaden sind hier die Hauptzugänge zum Platz angelegt, sie erinnern mit ihrer Dreiteilung und dem höheren Mittelbogen an antike Triumphbögen – ein Verweis auf die Tradition, in der sich auch Heinrich IV. sah. Der Pavillon des Königs besitzt in den beiden darüber liegenden Geschossen fünf Achsen –im Vergleich zu lediglich vier in den übrigen Pavillons (einschließlich dem der Königin) – und damit eine eigene Mitte. Zusammen mit den vergrößerten Fenstern der Mittelachse und den königlichen Emblemen wird auf diese Weise die architektonische Eigenständigkeit des Pavillons und damit der königlichen Sonderstellung betont. Die Dächer beider Pavillons überragen deutlich die der übrigen Häuser. Heinrich IV. hat sich mit diesem Platz einen Ort geschaffen, der seinen Vorstellungen königlicher Selbstdarstellung entsprach: Symbolisch in der Mitte seiner Untertanen präsent zeugt die einheitliche Anlage vom machtvollen Gestaltungswillen des Monarchen, der die Verschönerung seiner Hauptstadt und das Wohlergehen seiner Bewohner erstrebte, zugleich aber auch eine Bühne für dynastische Zeremonien und öffentliche Festlichkeiten wünschte. Die von ihm im Gründungsedikt eingeforderte Symmetrie findet hier ihren vollendeten Ausdruck: ein wahrhaft königlicher Platz! (Gady/Ouziel: 59-73; Hesse/Petsch: 58ff.; Köstler: 53ff., 77f.; Lambeau: 52-55). Der König selbst erlebte allerdings die festliche Einweihung dieser Bühne nicht mehr. Erst im April 1612, knapp zwei Jahre nach seiner Ermordung, zelebrierten die Bourbonen hier mit großem Pomp in einem dreitägigen Festakt die Doppelverlobung Ludwigs XIII. und seiner Schwester, Elisabeth von Bourbon,

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mit Anna von Österreich und ihrem Bruder, dem künftigen spanischen König Philipp IV. (Lambeau: 169ff.; Le Moel: 86f.) Historische Reiterspiele (Carrousel) mit der symbolischen Eroberung eines Palasts der Glückseligkeit, die glanzvolle Anwesenheit des Hochadels, Tausende von Zuschauern auf ringsherum errichteten Tribünen, Kanonendonner von der nahegelegenen Bastille – das alles gehörte zum zeitgemäßen barocken Zeremoniell, für das die Place Royale eine angemessene Kulisse darstellte. Claude Chastillon hat die Szene in einem Kupferstich festgehalten, der zugleich die erste Darstellung der gesamten Platzanlage ist (vgl. Abb. 88). Die Inbesitznahme des Platzes allein durch die Aristokratie entgegen den ursprünglichen Intentionen Heinrichs deutet sich hier bereits an. 3.2.3 Achsen, Zugänge und Straßen Da der geschlossene Platz nicht an der Hauptverkehrsachse lag, stellt sich die Frage, wie er an das Straßennetz der Stadt angebunden war und welche Wirkung von dieser Anbindung ausging. Der Hauptzugang verlief von der Südseite durch den Pavillon des Königs, zusammen mit dem gegenüberliegenden Pendant der Königin entstand so die Hauptachse des Platzes, die diese beiden Gebäude zusätzlich in ihrer Bedeutung hervorhob. Wollte ein Besucher zum Platz gelangen, bog er von der Hauptverkehrsachse der Rue St. Antoine in die Rue Royale (heute Rue de Birague) ein. Die von unscheinbaren Häusern gesäumte enge Straße lenkte den Blick auf den Königsspavillon, der sich in seiner architektonischen Gestaltung an zeitgenössische Eingangsbauten verschiedener Schlösser anlehnte. Mochte dies – der Kontrast schlichter Bürgerhäuser zu einem aristokratischen Torbau – bereits den Besucher erstaunen, so musste er vollends überrascht sein von der unerwarteten und ungewöhnlichen Pracht der Platzanlage. Der Nordausgang durch den Pavillon der Königin ging in die Rue de Béarn über, die ohne nennenswerten Verkehr nach kurzer Distanz in zunächst unbebautem Gelände endete, sodass – zusammen mit der zurückhaltenderen Ausgestaltung des Pavillons – der Eindruck eines Hinter- oder Nebeneingangs entstand. Eine bescheidene, nördliche Fortsetzung der Hauptachse entstand, als der Minimen-Orden am Ende der Rue de Béarn, ca. 200 Meter nördlich der Place Royale, in den Jahren nach 1609 einen Konvent errichtete, dessen Kirchenfassade allerdings erst in den 1670er Jahren fertiggestellt wurde. Blickte man nun durch die Bögen des Pavillons der Königin, eröffnete sich eine Sichtachse auf diese Fassade (Ballon 1991: 87f., 100f., 111f.). Das Geflecht der Straßen und Achsen, in das die Place Royale eingebettet ist, weist ihr eine Sonderstellung zu: Sie war nicht in den großstädtischen Verkehrs-

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fluss eingebunden und hatte deshalb auch kaum eine Durchgangsfunktion, die Straßen führten vielmehr vorrangig zum Platz hin. Die Achsen prägten vor allem den Platz selbst und besaßen kaum eine über ihn hinausgehende Auswirkung auf die Stadtstruktur. So genügte sich – urbanistisch gesehen – die Place Royale selbst, sie war ein städtebaulicher Solitär, der ganz auf seine Funktion als königlicher Repräsentationsrahmen konzentriert war. Abb. 87: Die Place Royale liegt abseits der Hauptverkehrsachsen, lediglich im Norden (hier links) führt die Rue des Francs Bourgois auf den Platz

Quelle: Ausschnitt Plan J. Gomboust,1652, BN Est. Ve 31b; Atlas des anciens plans de Paris, planche XVIII

3.2.4 Initiatoren, Finanziers und divergierende Interessen Die ältere Forschung zur Place Royale ging davon aus, dass der Platz als vornehmes Wohnquartier der Aristokratie geplant war. Diese Vorstellung geht zum einen zurück auf die erste Darstellung des Platzes auf dem Kupferstich nach Chastillon, der die pompösen Festlichkeiten des französischen Hofes im April

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1612 festhält; zum anderen wird sie gestützt von der Tatsache, dass sich im Laufe des 17. Jahrhunderts die Aristokratie tatsächlich des Platzes als prestigeträchtiger Adresse bemächtigte. Das zitierte Gründungsedikt von 1605 spricht dagegen aber von einer dreifachen Funktion und hebt Ansiedlung und Wohnstätten der Seidenmanufaktur, die bereits im Vorjahr auf Betreiben des Königs begonnen hatte, an erster Stelle hervor. Die umlaufenden Laubengängen, in denen Verkaufsläden untergebracht werden sollten, unterstreichen zudem die kommerziellen und bürgerlichen Intentionen des Königs. Hilary Ballon hat nun auf der Grundlage bisher unbeachteter Quellen (Notariatsurkunden, Pachtverträge, Bauverträge etc.) minutiös die Entstehungsgeschichte und die darin zutage tretenden Konflikte um die Place Royale untersucht. Dabei entsteht das Bild eines Herrschers, der die politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die sich ihm in den Weg stellten, in pragmatischer Weise anging und häufig durch Kompromisse löste. Im Falle der Place Royale und anderer Plätze gleichen Namens in Frankreich deshalb generalisierend von einer „grandiose[n] Mißerfolgsgeschichte der französischen Monarchie“ (Köstler: 16) zu sprechen, verkennt die tatsächlichen Zwänge, unter denen gerade Heinrich IV. stand, der sich erst nach Jahren des Kampfes um die Krone behaupten konnte. Absolutistische Repräsentation und konkrete Herrschaftspraxis sind keineswegs deckungsgleich, zwischen der idealisierten Form monarchischer Performanz und dem zuweilen improvisierten und kompromisshaften Handeln des Königs klafft eine Lücke (Schilling: 142ff.). So ist auch die Entstehungsgeschichte der Place Royale geprägt von Kompromissen der unterschiedlichen Akteure und das Ergebnis lässt sich nur bedingt als Ausdruck königlicher Machtvollkommenheit und Selbstdarstellung interpretieren. Bereits Monate vor dem zitierten Gründungsedikt hatte die Vergabe der Grundstücke, die überwiegend im Besitz der Monarchie waren, nach folgendem Muster begonnen: Der König vergab gegen eine minimale Jahressteuer den Baugrund – gleichsam als Anerkennung für geleistete Dienste – an Mitglieder des ihm gewogenen Amtsadels, die sich im Gegenzug verpflichteten auf eigene Kosten und nach präzisen Bauvorschriften, die vor allem die Fassaden und die zu verwendenden Materialien (Stein, Ziegel, Schiefer) betrafen, die Pavillons zu errichten. Damit war es Heinrich gelungen, angesichts notorischer Finanznot die Errichtung seines Repräsentationsplatzes fast kostenlos ins Werk zu setzen und sich zugleich gegenüber den Stützen seiner Herrschaft, den Mitgliedern der noblesse de robe, erkenntlich zu zeigen (Ballon 1991: 71ff., 91ff.).

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Abb. 88: Radierung nach Claude Chasti stillon (1677): Die Place Royale als Schauplatz aristokratischen Zeremoniell iells: Die Doppelverlobung des französischen und spanischen Thronfolg olgerpaares wurde 1612 mit einem dreitägigen Carrousel auf der Place Roy oyale gefeiert

Quelle: BN. Est. rés. Hennin XIX

Züge eines Kompromisses trug dieserr geschickte g Coup allerdings auch: So entsprach die Größe der Pavillons mit ca. a. 15 Metern Fassadenlinie und dem direkt an den Platz angrenzenden Wohntraktt (groß-) bürgerlichem Zuschnitt oder dem des Amtsadels, während ein adliges Pal alais traditionell auf größerer Grundfläche und dessen Wohn- und Repräsentation onsräume in Distanz zur öffentlichen Verkehrsfläche errichtet wurden – wie beis eispielsweise das Hôtel Carnevalet (Ziskin 1992: 130ff.). Zusammen mit dem umlaufenden um Laubengang für Läden und Geschäfte entsprach dieses Design zwa war der ursprünglichen Intention Heinrichs, bürgerliches Wohnen, Kommerz und d Präsentation zu verbinden, doch bereits innerhalb der ersten beiden Jahre stand d die Hälfte der Grundstücke zum Verkauf und der Anteil bürgerlicher Anwohnerr betrug b nur noch 20%. Dass Heinrichs Interesse an der Vollendung Vol seines Platzes ungebrochen war, belegen der Aufkauf nicht im Besitzz der Krone befindlicher Grundstücke zu überhöhten Preisen und – entgegen de der ursprünglichen Praxis – die Vergabe

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jeweils mehrerer Parzellen an nur zwei potente Finanziers, als die Fertigstellung 1607 ins Stocken zu geraten drohte. Im April 1607 sah sich der König dann zu einem weiteren, einschneidenden Kompromiss gezwungen, der die anfängliche Vorstellung seines Platzes zusätzlich beschnitt: Bisher war die Nordseite des Platzes belegt von den 1604 genehmigten Bauten, den Wohnungen und Werkstätten der Seidenmanufaktur, hier war bisher keine einheitliche Fassadengestaltung durch Pavillons wie auf den drei anderen Platzseiten vorgesehen. Die schlichten Häuser entsprachen nun in keiner Weise dem neuen Standard, sie störten vielmehr den Gesamteindruck des Platzes erheblich. In welchem Umfang der König diese Auffassung teilte, bleibt wegen fehlender Quellen unklar. Abb. 89: Rekonstruktion der Lage der geplanten Seidenmanufaktur am nördlichen Rand des künftigen Platzes 1604

Quelle: Zeichnung von Julia Rogoff, in Ballon 1991: 65

Doch er versuchte sein ursprüngliches Konzept zu retten: Auf das Ansinnen der Manufakturbesitzer die erst vor drei Jahren errichteten Häuser abzureißen und durch eine Pavillonreihe zu ersetzen, wie sie die drei anderen Seiten besaßen, reagierte er ablehnend („Ce n’est pas mon avis...“; zit. nach Ballon 1991: 317 A.

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75) und unterbreitete einen Gegenvorschlag: Vor die zu erhaltenden Manufakturbetriebe, gleichsam als Blende, eine Galerie zu setzen. Damit wäre die Geschlossenheit des Platzes erreicht, zugleich wären aber die Manufakturbetriebe erhalten geblieben. Noch im gleichen Monat ordnete er jedoch den Abriss an und ließ als Kompensation für den Verlust der erst vor drei Jahren errichteten Häuser auf Kosten der Krone die Pavillons der Nordseite, einschließlich des Pavillons der Königin errichten. Wie konnte es zu diesem Umschwung kommen? Offensichtlich war dem König klar geworden, dass seine ursprüngliche Konzeption nicht mit den Interessen der Grundstückbesitzer am Platz übereinstimmte, ja sogar auf deren Widerstand stieß: Die adligen Besitzer lehnten den vom König vorgesehenen kommerziellen Charakter ab, da eine aristokratische Residenz mit Ladengeschäften und Handwerksbetrieben in Frankreich undenkbar war; zudem hatten sie entgegen der königlichen Anordnung damit begonnen Pavillons zusammenzulegen, um eine angemessene Residenz zu schaffen. Die Unternehmer der Seidenmanufaktur hingegen sahen in der Errichtung der Pavillons, in denen keiner von ihnen selbst wohnte, eine Chance durch Vermietung an dem attraktiven Platz höhere Gewinne zu erzielen, ihre Werkstätten verlegten sie auf Grundstücke nördlich des Platzes (Ballon 1991: 95ff.). Für den König selbst war damit das Kombinationskonzept in einem wesentlichen Punkt, der Ansiedlung von Handwerkern und der Einrichtung von Läden, gescheitert, doch er hatte 1607 bereits sein zweites Platzprojekt begonnen, die Place Dauphine. Sie kann als erneuter – und erfolgreicherer – Versuch gesehen werden in der Hauptstadt einen repräsentativen Ort für den Handel zu installieren. An der Place Royale drang er deshalb konsequenterweise weder auf die Einrichtung von Geschäften noch unterband er die Zusammenlegung von Pavillons und in Sullys Bauanweisung für die Nordseite wird die kommerzielle Funktion der Laubengänge nicht mehr erwähnt. Gleichwohl zeigt sich das ungebrochene Interesse des Königs an seinem Platz an dem finanziellen Engagement, das er für die Pavillons der Nordseite bewies (Ballon 1991: 104). Denn von den ursprünglich genannten Zielen in dem Gründungsedikt von 1605 wurden immerhin zwei realisiert: Die Bewohner konnten auf dem prachtvollen Platz promenieren und – sicherlich ungleich bedeutsamer – Heinrich verfügte über einen repräsentativen Rahmen für Zeremonien der Monarchie. Dass er diese Funktion vor allem im Auge hatte, lässt sich an seinem Gegenvorschlag zum Abriss der Manufakturbauten erkennen: Ihm hätte zur Vervollständigung seiner repräsentativen Bühne auch die Kulissen einer vor den Manufakturbetrieben errichteten Galerie gereicht.

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3.2.5 Symbolische Aufladung und atmosphärische Wirkung Die Einwohner der Stadt Paris hatten schwere Zeiten erlebt: In den Tagen um die so genannte Bartholomäusnacht im August 1572 waren ca. 3 000 Menschen in der Stadt ermordet worden, sie mussten wiederholte Belagerungen, eine spanische Besatzung, die Zerstörung zahlloser Häuser und mehrere Pestwellen ertragen – die bürgerkriegsähnlichen Zustände der Religionskriege hatten tiefe Spuren im Stadtbild und im Gedächtnis der Menschen hinterlassen, die Einwohnerzahl war fast halbiert auf ca. 200.000 Einwohner gesunken. Umso heller musste das Wirken des neuen Königs erscheinen, dessen Bauten die Stadt nun zierten. Sie symbolisierten seine Eroberung der Hauptstadt und wirkten wie ein Garant für eine neue friedvolle Epoche. Die Place Royale spielte dabei eine besondere Rolle. Das riesige Quadrat, ringsherum gesäumt von einer gleichmäßigen Fassade, vermittelte den Eindruck einer stabilen und wohlgeordneten Welt. So sah es im Rückblick auch Nicolas Delamare (1639-1723) in seinem Traité de la police (I, 82), der die Place Royale für „den größten, regelmäßigsten und schönsten [Platz] auf der Welt“ hielt (übers.: U.H.; zit. nach Boislisle: 8). Von der Namensgebung, die der König verordnet hatte, ging die Botschaft aus, dass diese Ordnung Ausfluss eines königlichen Machtwillens war, der über den knappen städtischen Raum verfügen konnte. Und indem er durch die beiden königlichen Pavillons seine stete Präsenz manifestierte, wurde der Platz zum Symbol für seine Herrschaft: Der Monarch an seinem Platz im Kreise der ihm zugetanen, ihn stützenden Angehörigen des Amtsadel, an die er vorzugsweise die einzelnen Parzellen vergeben hatte. Für einen zeitgenössischen Besucher vermittelte die Place Royale aber noch weitere Botschaften des Monarchen: Mit dem umlaufenden und den Platz zusammenschließenden Band der Laubengänge assoziierte er Handel und Gewerbe, wie er es von vielen Marktplätzen kannte. Der Platz des Königs als Ort des bürgerlichen Kommerz – das war eine ungewohnte, neue Kombination, die von der pragmatischen Haltung Heinrichs und seinem Willen zur Förderung des Wohlstands seiner Untertanen zeugte. Nach den Jahren der Zerissenheit und der Zerstörung vereinte er die ökonomischen und politischen Kräfte, die ihn beim Wiederaufbau des Königreichs unterstützen sollten und umgab sich mit ihren Repräsentanten. Dass der Zuschnitt der Parzellen (groß-) bürgerlicher bzw. amtsadliger Wohnkultur entsprach und nach dem Gründungsedikt die Ansiedlung der in der Manufaktur Tätigen vorsah, lässt sich auch als architektonischen Affront gegen den ihn lange Jahre bekämpfenden Schwertadel verstehen. Denn diese hochadligen Familien residierten, wenn sie in Paris weilten, in ihren vorzugsweise im Marais gelegenen städtischen Palais’, die traditionell von ganz

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anderen Ausmaßen waren als die Pavillons an der Place Royale. Am Platz des Königs war kein Raum für solche auf stolze Abgrenzung, Unabhängigkeit und Selbständigkeit bedachten Residenzen und ihre Bewohner, sie passten nicht in diese einheitliche und zugleich vereinheitlichende Fassadenfront. Nach dem Tod des Monarchen führte die Attraktivität des exklusiven Platzes allerdings dazu, dass er dennoch zum vorrangig aristokratischen Wohnquartier wurde, z.T. legten die neuen Besitzer hinter der erhaltenen Fassade Pavillons zusammen. Ließen sich in diesem Punkt die ursprünglichen Vorstellungen des Königs nicht bewahren, so musste er sich an anderer Stelle noch zu seinen Lebzeiten auf einen regelrechten Kompromiss einlassen: Die als Ort bürgerlichen Kommerz’ gedachten Laubengänge dienten nicht ihrer geplanten Funktion, vielmehr wurden Handel und Handwerk ganz vom Platz verbannt, indem mit Zustimmung des Königs die gerade errichteten Gebäude der Seidenmanufaktur abgerissen wurden, um einer weiteren Fassadenfront zu weichen und dem Platz so seine geschlossene Form zu geben. Kann man in diesem Akt die begrenzte, zu Kompromissen genötigte Macht des absolutistischen Monarchen sehen, so ist auf der anderen Seite sein schon im Gründungsedikt geäußerte Wunsch nach einem repräsentativen Platz monarchischer Zeremonien zu erkennen, dessen Vollendung er schließlich finanzierte. Sieht man einmal vom traditionellen Herrscherlob ab, haben Zeitgenossen den Platz genau unter diesem Aspekt gesehen: Er [sc. der Ort] heißt königlich hauptsächlich aus zwei Erwägungen: Zum einen weil der Platz verschönert ist ringsherum mit Gebäuden, die wahrlich eines Königs würdig sind, der Frankreich den Frieden gebracht hat [...] und zum zweiten weil er gerade dem Glanz einer wahrhaft königlichen Handlung [der Doppelverlobung 1612] gedient hat... (Le Triomphe Royal...Paris 1612 chez du Breuil; übers.: U.H.; zit. nach Lambeau: 168).

Hier klingt die in vielen Äußerungen Heinrichs überlieferte Intention nach Verschönerung (embellissement) und Schmuck (ornement) seiner Kapitale an, die nach langen Jahren der Abwesenheit des Königshofes und der mühsamen und langwierigen Eroberung durch ihn zum glanzvollen Mittelpunkt seines Reiches werden sollte. Die Place Royale wird – so sah es der Zeitgenosse Alexandre Bouteroue während der Festlichkeiten anlässlich der Doppelhochzeit – zum „Beau Théatre de L’Univers.“ (zit. nach Lambeau: 171).

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Abb. 90: Heinrich IV. als siegreicher christlicher Herrscher (Nec pietate fuit, belli nec maior in armis) mit dem Lorbeerkranz gekrönt, von links reicht ihm das in Frauengestalt personifizierte Frankreich ein Schiff, das Wappen der Stadt Paris: die Hauptstadt hat sich dem König ergeben. Darunter wird die segensreiche Herrschaft des „großen Königs“ mit der des Augustus verglichen

Quelle: Detail des Stadtplans Paris von Vassallieu, gen. Nicolay, 1609; BN Est. rés. Hennin XV 1352; Atlas des anciens plans de Paris, planche XIV

Die Begründung für den königlichen Namen des Platzes enthält noch einen weiteren Hinweis darauf, wie die Place Royale gesehen wurde: Ein so symmetrisches und wohlgeordnetes Ensemble, das atmosphärisch Stabilität und gleichförmige Ruhe ausstrahlt, ist das Ergebnis der Herrschaft eines Königs, der dem Land – nach den Zerstörungen der Religionskriege – den Frieden gebracht hat. Das Bild des Friedensfürsten, das zum traditionellen Topos des Herrscherlobs

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gehört, ist für Heinrichs IV. Politik bestimmende Leitlinie gewesen und bei der Betrachtung der Place Royale wird bei den Zeitgenossen eben dieses Bild evoziert. Der Hauptzugang zur Place Royale führte durch den in Form eines Triumphbogen gehaltenen Eingang im Pavillon des Königs. Bei dem kundigen Betrachter stellte sich mit diesem Architekturelement die von den französischen Königen bemühte Verbindung zu den römischen Kaisern her, sie galten in der monarchischen Panegyrik der Zeit als Vorbild für Herrschaft und Architektur. So zog etwa der Militär und Höfling Antoine de Bandole in seinem Werk Les Paralleles de Cesar et de Henry IIII aus dem Jahre 1609 folgenden Vergleich: „Caesar und Heinrich waren große Architekten und schmückten ihre Stadt mit schönen Gebäuden. Der eine ließ in Rom ein prächtiges Theater zum öffentlichen Vergnügen erbauen und der andere die Place Royale in Paris[...]“ (übers.: U.H.; zit. nach Ballon 1991: 317 A. 64). Betrat nun der Besucher, der gerade erst das verwirrende Straßengeflecht der Stadt hinter sich gelassen hatte, den Platz, dann vermochte er sich, wie bereits konstatiert, kaum der prachtvollen Wirkung des ebenmäßigen Ensembles entziehen. Die atmosphärische Anmutung war dabei aber durchaus ambivalent: Die wohlgeordnete und schützende Situation des Platzes konnte umschlagen in den Eindruck eingeschlossen, gleichsam gefangen zu sein auf einem Platz, der beinahe hermetisch verriegelt erschien. Wenn dies sicherlich auch nicht der Intention des Monarchen entsprach, so konnte die Einheitlichkeit des Platzes auch immer gelesen werden als Ein-, aber auch der Unterordnung der Untertanen. Ein dem König durchaus gewogener Zeitgenosse, der Abt Michel de Marolles, äußert seine vorsichtige Kritik an der Place Royale so: „Es ist dennoch nicht so, dass eine so regelmäßige Proportion immer einen so schönen Effekt für das Auge bewirkt. Die unterschiedlichen Baustile gefallen oft mehr...“ (übers.: U.H.; zit. nach Lambeau: 57). Wollte er nur die Architektur des Platzes kritisieren? Bleiben wir bei der Symmetrie und Einheitlichkeit des Platzes für einen letzten Aspekt: Die absolute Gleichförmigkeit der Gesamtanlage ist auch immer gelesen worden als „koordinative architektonische Ordnungsstruktur“, die auf die „kontrollierte und selbstbeschränkte Monarchie“ Heinrichs IV. verweist (Hesse/Petsch: 587). Wenn auch eine umstandslose Schlussfolgerung von der Baugestalt auf die staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen zu kurz greift, so sind die Arrangements auf der Place Royale durchaus aussagekräftig im Hinblick auf Ausmaß und Form der Selbstdarstellung des Monarchen (Ballon 1991: 12). Es ist bezeichnend für Heinrich, dass er auf seinem Platz kein eigenes Reiterstandbild errichten ließ, seine Witwe veranlasste 1614 ein solches – als erstes in Paris überhaupt – auf dem Pont Neuf. Auf der Place Royale war es dann Ri-

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chelieu, der für Ludwig XIII. im Jahre 1639, also noch zu dessen Lebzeiten, eine Statue installierte. Abb. 91: Die Place Royale als Rahmen königlicher Selbstdarstellung

Quelle: Ausschnitt Plan Turgot, 1734; BN. Dep. Cartes et Plans GESH 18PF37DIV3P56; Atlas des anciens plans de Paris, planche XXVII

Der Platz verwandelte sich so zum Rahmen der königlichen Selbstdarstellung: War ursprünglich die Architektur des gesamten Platzes Bedeutungsträger, ging diese Funktion jetzt vorrangig auf das Reiterstandbild über. Die Präsenz des Königs war nunmehr im Herrscherbild und nicht mehr in den königlichen Pavillons repräsentiert, die zu formalen Akzenten der Platzarchitektur herabsanken. Indem Reiter und Pferd ihre Rückseite dem Pavillon der Königin zuwendeten, wird diese Entwertung unterstrichen. Die Place Royale in dieser gewandelten Form wurde zum Modell für die Königsplätze des Absolutismus in Paris und im gesamten Frankreich, die Heinrichs Nachfolger sich zu ihrer Huldigung errichten ließen (Hesse/Petsch: 595). Im Gegensatz zu ihnen vertritt Heinrich IV. in der Phase des Frühabsolutismus ein zurückhaltenderes Programm der Selbstdarstellung, das seinen Niederschlag in der Place Royale findet: Nirgends taucht eine Abbildung von ihm auf, lediglich die königlichen Insignien schmücken seinen Pavillon. Die auf der Innenfassade des pavillon du roy angebrachte Büste scheint jüngeren Datums zu sein. Die königlichen Pavillons sind zwar architektonisch hervorgehoben, fügen sich aber in das Gesamtensemble harmonisch ein. Lediglich ihre Positionierung

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jeweils in der Mitte der Süd- und Nordseite des Platzes und damit auf der Hauptachse betonen die Sonderstellung ihrer symbolischen Bewohner.

3.3 P LACE D AUPHINE – ‚ DER SCHÖNSTE UND NÜTZLICHSTE P LATZ VON P ARIS ’ Keine zwei Jahre waren nach dem Gründungsakt für die Place Royale vergangen, da gab Heinrich IV. am 10. März 1607 den Anstoß für eine zweite Platzanlage: Auf der Île de la Cité gelegen und im urbanistischen Kontext mit weiteren Bauvorhaben, dem Pont Neuf und der Rue Dauphine, sollte innerhalb von nur drei Jahren die Place Dauphine erstehen. Nimmt man den Ausbau der unweit der Hauptstadt gelegenen Schlösser wie Fontainebleau und Saint-Germain-en-Laye, die anderen Großbaustellen in Paris – den Louvre und das Hôpital Saint Louis – und die zahlreichen kleineren Baumaßnahmen zur Verschönerung der Hauptstadt hinzu, dann wird deutlich, in welchem Maße der König die Bautätigkeit nach den Jahren von Bürgerkrieg und Zerstörung angeregt hat. Diese fast rastlose Initiative zeigt sich auch an den drängenden Nachfragen bei Sully, seinem engsten Ratgeber und für Straßen und Bauten verantwortlichen Minister, und den häufigen Besuchen verschiedener Baustellen. Dabei scheute der König kein Risiko, wie der Jurist und Chronist Pierre de L’Estoile (1546-16011) in seinem Journal (II, 142) von einer abenteuerlichen Überquerung des noch unfertigen Pont Neuf im Juni 1603 berichtet: Am Freitag, dem 20. dieses Monats, ging der König vom Quai des Augustins [Südufer] zum Louvre über den Pont Neuf, der noch nicht sehr sicher war und wo es wenige Personen gab, die sich dorthin wagten. Einige hatten sich bei dem Versuch den Hals gebrochen und waren in den Fluss gestürzt. Das hielt man Seiner Majestät vor, die antwortete (wie man sagt), dass es keinen einzigen unter ihnen gab, der König wäre wie er. (übers.: U.H.; zit. nach de Brunhoff: 53f.).

Erst drei Jahre später sollte die Brücke endgültig fertiggestellt werden und damit eine dritte Querung der Seine entstehen. Denn bisher gab es nur zwei Brücken in Paris, die über die Île de la Cité den nördlichen mit dem südlichen Teil der Stadt verbanden. Mit der Fertigstellung des Pont Neuf knüpfte Heinrich IV. wie beim Ausbau des Louvre an das Bauprogramm seiner Vorgänger an – gleichsam seine legitime Nachfolge unterstreichend: Heinrich III. hatte mit dem Bau 1578 begonnen, die Arbeiten waren jedoch ab 1586 aufgrund der bürgerkriegsähnlichen Zustände zum Stillstand gekommen. 1598 verkündete Heinrich IV. dann, dass

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die Bauarbeiten am Pont Neuf fortgesetzt werden sollten. Als die großzügig angelegte Brücke endlich dem Verkehr übergeben werden konnte, stellte sich die Frage, wie das umgebende, der Krone gehörende Gelände gestaltet werden sollte. Dies war der Ausgangspunkt für die urbanistische Planung der Architekten und Berater des Königs, die zur prachtvollen Gestaltung der gesamten Westspitze der Île de la Cité mit zahlreichen Neuerungen führte. Pont Neuf, Reiterstandbild, Place Dauphine und schließlich Rue Dauphine stellen ein im Zusammenhang geplantes und gedachtes Ensemble dar, das dem königlichen Willen Ausdruck gab, seine Hauptstadt zur repräsentativen Kapitale auszugestalten, mit Annehmlichkeiten für die Bewohnern auszustatten und zugleich wirtschaftlich zu fördern: Abb. 92: Stefano della Bella, Blick von der Pont Neuf Richtung Westen: Die erste Brücke in Paris ohne Häuser öffnet die Perspektive auf die Seine und die Stadt

Quelle: B.N. Est. Va 419j





Der Pont Neuf war die erste Brücke in Paris, die nicht von Häusern gesäumt war. Damit öffnete sich für die Passanten der Blick auf die Seine und auf den vom König ausgebauten Louvre, der Fluss erlangte über seine praktische Nutzung als wichtiger Verkehrsweg hinaus eine neue ästhetische Qualität, der die Schönheit der Stadtanlage hervorhob und damit eine neue Wahrnehmung von Paris evozierte. In der Mitte der Brücke, wo sie die Île de la Cité tangierte, befand sich eine platzartige Erweiterung, die terre plein, wo das von der Königin Ma-

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ria von Medici in Auftrag gegebene Reiterstandbild Heinrichs IV. errichtet wurde. Es war in Frankreich die erste königliche Großstatue im öffentlichen Raum. Dem Standbild gegenüber entstand ab 1607 die Place Dauphine als Quartier von Handel und gehobenem Handwerk – Heinrichs IV. zweiter und erfolgreicherer Versuch ökonomische Förderung und repräsentative Stadtgestaltung miteinander zu verbinden. Die Namensgebung ist zugleich Programm: Mit dem 1601 geborenen Thronfolger, dem späteren Ludwig XIII., war die neue Dynastie der Bourbonen in der Erbfolge abgesichert. Die Rue Dauphine schloss in gerader Linie im Süden an den Pont Neuf an und bildete so eine adäquate Fortsetzung der prachtvollen Brücke. Bei der Realisierung dieser Straße wirkten die Krone als Planer und private Entwickler als Finanziers zusammen – ein Modell, das die wachsende Bedeutung der Grundstücksspekulation bei der Stadtentwicklung erkennen lässt und zugleich auf die Grenzen monarchischer Möglichkeiten der Stadtgestaltung verweist (Ballon 1991: 121ff., 160ff.; Lavedan: 203ff.).

3.3.1 Topographie und Platzwahl Die in der Form eines Dreiecks gestaltete Place Dauphine liegt am Westende der Île de la Cité, die seit der Spätantike das geistliche und weltliche Zentrum von Paris darstellte. In der Osthälfte der Seineinsel befanden sich der Vorgängerbau von Notre-Dame, Sitz des Pariser Erzbischofs, und zahlreiche kirchliche Einrichtungen. Im Westteil errichteten seit gallo-römischer Zeit die weltlichen Herrscher ihre Residenzen, bis sie im 15. Jahrhundert in den Louvre umzogen; in diesem von einer Mauer umgebenen Bezirk, dem so genannten Palais, lagen verschiedene Gerichtshöfe, vor allem das Parlament von Paris, das höchste französische Gericht, und die Residenz von dessen Präsidenten Achille de Harlay. Er spielte bei der Errichtung der Place Dauphine eine bedeutsame Rolle, da Heinrich IV. ihn mit der Durchführung der Platzanlage betraute. Die Präsenz vieler Juristen und ihrer Klienten hatte dazu geführt, dass sich auf der Île de la Cité und den von Häusern gesäumten Brücken und Quais spezialisierte Buchhändler, Geldwechsler, aber auch Juweliere und Goldschmiede niedergelassen hatten – die Île de la Cité war also zugleich ein höchst lebhaftes kommerzielles Zentrum. In dieser zentralen Lage ein repräsentatives Bauwerk zu errichten, das zugleich der Verschönerung seiner Hauptstadt und seinen wirtschaftspolitischen Interessen diente, musste für Heinrich IV. höchst attraktiv erscheinen, zumal sich schon bald herausgestellt hatte, dass sein erster Versuch

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in dieser Richtung, die Place Royale, sich nicht ni in der von ihm geplanten Weise entwickelte. Bereits die Zeitgenossen sahen en das, wie im Mercure françois von 1608 nachzulesen ist: [Heinrich IV. ...] hatte den Parc Royal [Place Ro Royale] geplant als Ort des Geldwechsels der der Geldgeschäfte. Aber da der Platz an eine ner Ecke der Stadt liegt und zu weit vom

Palais, wo alle Bankleute immer Geschäfte erledigen g nach Verlassen des Gerichts, das zur Stunde des Geldwechsels tagt, begann er dieses Jahr J die Place Dauphine bauen zu lassen

an der Spitze der Île de Palais [Île de la Cité] und d aus a einem Ort, der ganz nutzlos war, den schönsten und nützlichsten Platz von Paris zu machen ... (übers.: U.H.; zit. nach Ballon m 1991: 323 A.1)

Abb. 93: Das Westende der Île de la Cité, um m 1500

Quelle: Très Riches Heures du Duc de Berry, fol.6 l.6, Musée Condé, Chantilly

Neben der zentralen Lage hatte das Bauge gelände des künftigen Platzes einen weiteren Vorzug in den Augen des Königs igs, da es – wie das Areal der Place Royale – der Krone gehörte. Seit dem 12.. Jahrhundert hatten hier die französischen Könige in unmittelbarer Nachbarscha haft zu ihrer Residenz einen Garten anlegen lassen, der das gesamte Gebiet zwi wischen Palais und westlicher Spitze der Île de la Cité umfasste. Auf dem Kalend nderblatt für den Monat Juni aus dem Stundenbuch des Herzogs von Berry (um 1500) 15 ist aus der Perspektive einer der beiden kleinen, der Île de la Cité vorgelager erten Inselchen die Lage des königli-

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che Schlosses und des Gartens gut zu erkennen: Gegen die Überschwemmungen der Seine war der Vergier du Roy durch eine Mauer geschützt, an seiner äußersten Spitze befand sich ein Gebäude, die Maison des Etuves, das königliche Schwitzbad, das später auch andere Funktionen erfüllte. Der künftige Pont Neuf kreuzte unter Einbeziehung einer der kleinen Inselchen die Seine in einem Abstand von ca. 25 Metern von der Westspitze der Île de la Cité. Der Zwischenraum zwischen Île und Pont Neuf wurde bereits unter Heinrich III. durch umfangreiche Aufschüttungen geschlossen, die auch das Gelände des Gartens auf das erforderliche Niveau anhoben. Damit war das Terrain für die neue Platzanlage geschaffen, das sich – den Uferlinien folgend – zwischen der neuen Brücke und dem Gebiet des Palais in Form eines Dreiecks erstreckte (Ballon 1991: 114ff.; Brunhoff: 31ff.). Abb. 9 4: Die Île de la Cité mit den vorgelagerten Inselchen, dem königlichen Garten, dem Palais

Quelle: Oliver Truschet, Germain Hoyau, Ausschnitt aus dem Basel-Plan, vor 1559; Bibliothek der Universität Basel AA124; Atlas des anciens plans de Paris, planche X

Das alte Zentrum der Hauptstadt, die Île de la Cité, entsprach in seiner Aufteilung in sakralen Ost- und säkularen Westteil der gängigen Orientierung im

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christlichen Kirchenbau. Dort hatte die Ostung, d.h. die Ausrichtung von Altar und Chor nach Osten, wie sie auch Notre Dame aufweist, symbolische Bedeutung, denn im Osten ging die Sonne auf – gleichsam an die Auferstehung erinnernd – und in diese Himmelsrichtung lag, jedenfalls von Europa aus gesehen, Jerusalem, der Ort des christlichen Mysteriums. Diese Ost-West-Ausrichtung und traditionelle Orientierung im Raum ist auch bis in die Zeit Heinrichs IV. vorherrschend in der Kartographie (Ballon 1991: 226f.). Es muss offen bleiben, ob solche Assoziationen in die Planungen des allerchristlichsten Königs für die Anlage seiner Hauptstadt eingeflossen sind; ausschlaggebend ist ganz sicher die günstige Lage nahe dem Stadtzentrum und die königliche Verfügbarkeit gewesen, um der Metropole ein weiteres Monument monarchischen Glanzes zu verleihen. In jedem Fall wird mit dieser neuen Platzanlage die säkulare Komponente im traditionellen Machtzentrum sichtbar verstärkt. 3.3.2 Baugeschichte und Funktion Als Heinrich IV. am 10. März 1607 das Gelände der künftigen Place Dauphine an Achille de Harlay, den Präsidenten des Pariser Parlaments, vergab, zeichnete er wiederum einen getreuen Gefolgsmann aus dem Amtsadel aus, der in den Kämpfen um die Krone die legitime Sukzession des Bourbonen mutig vertreten hatte. Als Gegenleistung forderte der König die Ausführung des Bauprojekts innerhalb von nur drei Jahren nach den Vorgaben seines Ministers Sully. Diese Schenkung an den 71-jährigen Harlay, der keinerlei Bauerfahrung, aber großes Ansehen besaß und im angrenzenden Hôtel de Baillage, dem Amtssitz des Gerichts, wohnte, bedeutete eine wahre Goldgrube für den Präsidenten: Er konnte die einzelnen Parzellen mit einer entsprechenden Gestaltungsauflage verkaufen und mit den Einnahmen eigene Bauvorhaben finanzieren. Zum Auftrag des Königs gehörte außer der eigentlichen Place Dauphine noch die künftige Rue de Harlay, die sich östlich an die Basis des Dreiecksplatzes anschloss und deren Häuser mit der Rückseite an das Gelände des Palais grenzten. Allerdings gelang die Fertigstellung des Platzes keineswegs in dem vom König vorgesehenen Zeitraum. Behinderten anfangs noch Arbeiten an der Aufschüttung des Geländes den Baubeginn, verzögerte späterhin ein Rechtsstreit zwischen Sully und Harlay den zügigen Ausbau. So verkaufte Harlay in den Jahren 1608 und 1609 insgesamt zehn der zwölf Parzellen, die jeweils in mehrere Einzelgrundstücke aufgeteilt waren. Zwischen 1609 und 1613 ließ Harlay dann mit dem Erlös aus den bisherigen Grundstücksverkäufen 18 Häuser an der Ostseite der Rue de Harlay errichten. Diese Grundstücke grenzten mit der Rückseite an seine Residenz, das Hôtel de Baillage. Während die Errichtung der Häu-

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ser auf der Südseite des Platzes ab 1609 16 langsam voranschritt, begannen die Bauarbeiten auf der Nordseite 1611. De Der gesamte Platz war erst 1616 vollendet – sein Initiator Heinrich IV. hat also nur ur die ersten Anfänge dieses Projekts noch erleben können (Ballon 1991: 125f., 145 45f.; Brunhoff: 57ff.). Abb. 95: Der exakte Grundriss von Robe bert Cotte (1685) lässt die Unregelmäßigkeit des Platzes erkennen en

Quelle: BN. Est. Va 419j

Die Vorgehensweise bei der Planung g der d Place Dauphine erinnert an die Entwicklungs- und Finanzierungsmethode den, wie Heinrich IV. sie bereits bei der Place Royale erprobt hatte: Der König ig vergibt Grundbesitz der Krone – gleichsam als Belohnung – an getreue Gefolg lgsleute, die im Gegenzug auf eigene Kosten nach Vorgaben bauen, auf diesee Weise den Staatshaushalt entlasten und zugleich den monarchischen Wunsch nach n Repräsentation unterstützen. An der Place Royale war allerdings das Ziell ddes Königs repräsentative Baugestaltung und Kommerz miteinander zu verbinde den nicht aufgegangen. Aus diesen Erfahrungen scheint Heinrich IV. gelernt zuu hhaben: Zwischen der Vergabe des Geländes an Harlay im März 1607 und der er Zustimmung zu den einheitlichen Pla-

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nungsvorgaben Sullys im Mai lag die Entscheidung des Königs dem Drängen der Grundstücksbesitzer an der Place Royale nachzugeben und die Werkstätten der Seidenmanufaktur durch eine repräsentative Nordseite zu ersetzen. Die Pläne für die Häuser an dem neuen Platz und an der Rue de Harlay sahen deshalb wesentlich bescheidenere Grundrisse vor, sie besaßen eine Fassadenbreite von ungefähr 8 Metern und eine Tiefe von ca. 16 Metern (bzw. 12 Meter in der Rue de Harlay), waren damit also halb so groß wie die Grundstücke an der Place Royale. So entstanden insgesamt 45 Häuser unterschiedlicher Größe auf den zwölf Parzellen. Die meisten Grundstücke waren so unterteilt, dass die Häuser Rücken an Rücken standen, die eine Fassade also zum Ufer bzw. Quai wies und die andere zur Platzseite. Damit war von vornherein deutlich, dass dieser Platz bürgerlichem Wohnen und handwerklichen Aktivitäten vorbehalten sein sollte, zumal die Arkadenbögen den kommerziellen Charakter unterstrichen. Von den Hausbesitzern waren denn auch mehr als die Hälfte bürgerliche Kaufleute oder gehobenere Handwerker wie Juweliere oder Goldschmiede, ansonsten hatten sich hier Juristen und Beamte der nahen Gerichte niedergelassen, nur ein Adliger baute an der Place Dauphine. Dass das Konzept als kommerzielles Modell erfolgreich war, kann man an der großen Nachfrage und den hohen Grundstückspreisen sehen: Sie waren an dem neuen Platz fast zehnmal höher als an der Place Royale. Grundstückspreise und Nachfrage zeitigten noch ein weiteres Phänomen, das so nicht an der Place Royale anzutreffen war: Die Besitzer unterteilten selbst die kleinen Grundstücke noch und veränderten dabei zuweilen die Fassaden und Arkadenbögen. Die Krone legte – anders als beim ersten Platz – keinen Einspruch ein, gab an dieser Stelle also den ökonomischen Bedürfnissen auf Kosten der makellosen Einheitsfassade nach (Ballon 1991: 150ff.). Wenige Jahre später, im Kontext der Entrée solonnelle Ludwigs XIV. (1660) wurde die Place Dauphine allerdings für kurze Zeit zur Bühne der prachtvollsten königlichen Selbstdarstellung: Das Platzinnere erhielt eine ovale Galerie für Zuschauer des Zuges und den Ausgang zum Pont Neuf bildete ein überdimensionierter Triumphbogen, der den Blick auf das Reiterstandbild Heinrichs IV. lenkte, den Gründer der Bourbonendynastie. Hier manifestieren sich die Unterschiede des monarchischen Repräsentationsbedürfnisses zwischen Heinrich IV. und seinem Enkel (Möseneder: 187f.). Trotz des rein bürgerlichen und kommerziellen Zuschnitts sollte natürlich auch die Place Dauphine den repräsentativen Ansprüchen des Königs genügen. Die einheitliche Fassadengestaltung besaß daher große Ähnlichkeit mit der des ersten Platzes und ist wohl ebenfalls von den Architekten Sullys entworfen worden.

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Abb. 96: Die Fassaden der Place Dauphine, Anonymus 19. Jahrhundert

Quelle: B.N. Est. Va 419j

Allerdings gab es auch bezeichnende Unterschiede, mit denen die Einheitlichkeit der Place Dauphine bei einer tatsächlich stärkeren Untergliederung durch die wesentlich kleineren Hauseinheiten betont wurde (Ballon 1991: 144, 151f.; Brunhoff: 72). Wiederum sind es einzelne Architekturelemente, die diese Wirkung erzielten: Die Sockelzone war erneut aus Quadersteinen gestaltet und von einem fortlaufenden Band von Bögen geprägt, hinter denen sich die Zugänge zu den Läden und Werkstätten befanden. Darüber lagen ebenfalls zwei Stockwerke, deren Fassaden aus Ziegelsteinen gemauert waren, und ein mit Schiefer gedecktes Dachgeschoss. Die einzelnen Häuser umfassten jedoch nicht vier Achsen wie an der Place Royale, sondern nur zweieinhalb, d.h. rechts und links von einer schmalen Eingangsachse lag jeweils ein Bogen. Durch die Fassadengestaltung wurden die Grenzen dieser Häuser verwischt und waren auf den ersten Blick nicht erkennbar: Sie waren durch eine gemeinsame Linie von Ecksteinen in den beiden Ziegelsteinetagen markiert, die jedoch nicht bis in die Sockelzone reichten und deshalb keine visuelle Trennung erzeugten. Dagegen bildeten die Steinverblendungen in den beiden Stockwerken über dem Eingang optisch eine stärkere Zäsur. Waren so schon die einzelnen Häuser nicht deutlich unterscheidbar,

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erzeugte die gleichmäßige Arkadenreihe, das darüber liegende horizontale Steinband und erst recht die im Gegensatz zur Place Royale durchgehende Dachzone mit gleichmäßig platzierten Gauben den Eindruck einer grandiosen Einheitlichkeit, die als Ausfluss königlicher Machtvollkommenheit verstanden werden konnte. Trotz der wesentlich kleinteiligeren Gliederung, die den kommerziellen Intentionen des Königs und den Bedürfnissen der Bewohner entsprach, war damit doch ein repräsentatives Ensemble entstanden. Im Vergleich zur Place Royale war es dem König und seinen Planern gelungen, das urbanistische Ideal der Verbindung von embellissement seiner Hauptstadt und ökonomischer Nützlichkeit zu verwirklichen, wie es ganz ähnlich dem oben zitierten Urteil des Mercure françois auch Pierre de L’Estoile in seinem Werk Supplément au Journal du règne d’Henri IV (II, p.177) konstatiert: „Dieser Platz war bisher nutzlos und wird in Zukunft den Bankleuten und den Kaufleuten dienen, um ihr Geschäft müheloser beim Verlassen des Palais zu tätigen.“ (übers.:U.H.; zit. nach Brunhoff: 55). Abb. 97: Pietro Francavilla, Pietro Tacca, Reiterstatue Heinrichs IV. auf dem Pont Neuf, um 1614

Quelle: Stich eines unbekannten Künstlers, B.N. Est. Va 224b

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Aber noch eine weitere Funktion erfüllte die neue Platzanlage: Mit der Namensgebung des Platzes betonte Heinrich IV. den Anspruch der neuen Dynastie auf dauerhafte Herrschaftsausübung – und dies geschah nicht an einem beliebigen Ort, sondern dort, wo sich der ursprüngliche Sitz der französischen Monarchie befand, auf der Île de la Cité. Waren an der Place Royale der Monarch und seine Gattin durch die beiden ihnen gewidmeten Pavillons diskret, aber symbolisch anwesend, so fehlte diese Präsenz auf der Place Dauphine, denn der Platz selbst war gänzlich der Funktion von Handel und Handwerk gewidmet. Doch im Ensemble von Platz und Brücke trat erstmals in Frankreich ein Reiterstandbild des Königs in Erscheinung. Es stand außerhalb des Platzes, auf der terre plein, der platzartigen Erweiterung des Pont Neuf und damit an einer der Hauptverkehrsadern der Stadt. Der König nahm hier gleichsam die Huldigung der Passanten entgegen und zugleich blickte er auf den Platz, der seinem Nachfolger gewidmet war, so als wache er über ihn. Die von Maria von Medici, der Gattin des Königs, 1604 in Auftrag gegebene, aber erst 1614 errichtete Statue war angeregt durch vergleichbare Skulpturen in Florenz (Ballon 1991:124f., 144; Boucher: 66ff.; Brunhoff: 101ff.). Die Präsentation des Königs folgte der zeitgenössischen Ikonographie des Herrscherlobs: Heinrich IV., gekleidet und bewaffnet in moderner Manier, zu seinen Füßen an den Ecken des Piedestal vier gefesselte Gefangene, die die vier Erdteile symbolisieren, Relieftafeln mit den militärischen Siegen des Königs und seinem Einzug in Paris, eine Widmungstafel, die mit den Worten „Errico IIII. Galliar. Imperat. Navar. Rex...“ beginnt. Der König wurde gefeiert als Imperator und siegreicher Feldherr, der die Feinde im Erdkreis niederringt und den Frieden bringt. Die imperiale, aus der zeitgenössischen Publizistik bekannte Botschaft ist überdeutlich, die dann Heinrichs Enkel, Ludwig XIV., noch steigert. Sein Reiterstandbild auf der Place Vendôme zeigt ihn mit Lorbeerkranz und römischem Mantel, dort und auf der Place des Victoires stehen die Statuen mitten auf den Plätzen, die eigens als Rahmen der Huldigung geschaffen wurden. Während Heinrich IV. seine Plätze aus einem sozialen und ökonomischen Impetus heraus auch für Kaufleute und Handwerker konzipierte, waren die Plätze Ludwigs XIV. vorrangig Bühnen der Selbstdarstellung. Das Selbstverständnis der absolutistischen Herrscher Frankreichs lässt sich an dieser Entwicklungslinie ablesen. In der Französischen Revolution werden dann alle diese Statuen zerstört, die Heinrichs IV. fiel als letzte – zu lebendig waren noch die Erinnerungen an den bon roi.

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3.3.3 Perspektiven, Sichtachsen und Symmetrie Für den flüchtigen Betrachter erschien die Place Dauphine wie ein symmetrisches, d.h. gleichschenkliges Dreieck. Doch diese bis heute immer wieder konstatierte Regelmäßigkeit trifft keineswegs zu (Brunhoff: 67, 72: „forme d’une triangle isocèle“). Die Place Dauphine war kein symmetrisches Ensemble, das ausgewogene Axialität und durchgehende Fluchtlinien kannte. Sie stand damit im Gegensatz zu den zeitgenössischen, an den Renaissance- und Barockidealen orientierten Erwartungen an repräsentative Bauwerke, wie sie in der vollendeten Symmetrie der Place Royale und der geplanten Place de France erkennbar sind. Henri Sauval und Jean-Baptiste Jaillot, zwei gewichtige Stadthistoriker, kritisierten deshalb heftig die angeblich misslungene Platzanlage. Pérelle und Pierre Aveline aus der Zeit Ludwig XIV. ‚korrigierten’ denn auch ihre Ansichten des Platzes entsprechend und ließen ihn symmetrisch erscheinen (Ballon 1991: 127ff.; Bek: 93f.). Abb. 98: Pierre Aveline, Blick auf die Place Dauphine von der Rue de Harlay (vor 1722): Die Perspektive ist ‚korrigiert’, sodass der Platz symmetrisch und die Reiterstatue in der Fluchtlinie erscheint

Quelle: B.N. Est. Va 226

Zunächst eine grobe Orientierung: Die Dreiecksform der Place Dauphine war durch die zusammenlaufenden Ufer der Inselspitze vorgegeben: Die beiden Längsseiten verliefen dazu parallel, während die kürzere Basisseite den Platz

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zum Palais hin abgrenzte. Zwei Zugänge ermöglichten den Zutritt, einmal von der Spitze am Pont Neuf und zum anderen von der Rue de Harlay, also von der Basisseite. Da es keine Originalzeichnungen mehr gibt, ist man für die detaillierte Betrachtung auf die Pläne von Robert de Cotte (vgl. Abb. 95) und Abbé Delagrive (ca. 1740) angewiesen. Sie zeigen, dass die Südseite etwas länger als die Nordseite war, dass die Innenwinkel des Platzes ungleich waren, dass die Häuserreihe der Nordseite zum Pont Neuf hin schmaler wurde und dass der Quai des Orfèvres breiter war als der Quai de l’Horloge. Am auffälligsten war jedoch, dass das mittig auf der terre plein – d. h. der platzartig erweiterten Plattform auf dem Pont Neuf – errichtete Reiterstandbild Heinrichs IV. nicht in der Sichtachse zur Place Dauphine positioniert war, sodass der König kaum auf den Platz sehen konnte und vom Platz aus die Statue nur teilweise zu erblicken war. Abb. 99: Die Achsverschiebung von Reiterstatue und Platz: Achse S von der Mitte der Statue zum Platzeingang der Rue de Harlay; Achse P mittig durch beide Eingänge

Quelle: Zeichnung Julia Rogoff, in: Ballon 1991:132

Wie ist dieser von Zeitgenossen als grober Fehler und Unvermögen der Architekten kritisierte Tatbestand zu erklären? Hilary Ballon versucht nachzuweisen, dass diese Asymmetrie gewollt war, eine bewusste Entscheidung gewesen sei.

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Denn der Fokus der Planer sei, ausgehend von der ursprünglichen Planung zur Zeit Heinrichs III., die Sichtachse Quai des Orfèvres – Reiterstatue gewesen. Um diese vorrangige Perspektive mit dem freien Blick auf die Statue zu bewahren, musste der Quai des Orfèvres, wenn die südliche Häuserreihe des Platzes weiterhin parallel zum Ufer verlaufen sollte, erweitert werden. Sie musste damit breiter sein als die andere Quaiseite, der Quai de l’Horloge, und so dazu führen, dass die Platzanlage nicht mittig auf der Inselspitze lag. Bei dieser Argumentation Ballons bleibt allerdings offen, warum die genannte Achse bedeutsamer sein sollte als die Fluchtlinie zwischen der Statue und der neu errichteten Place Dauphine, denn diese Perspektive hätte durch eine nördliche Erweiterung der terre plein, die allerdings einen der Brückenbogen verdeckt hätte, und eine entsprechende Verschiebung der Statue erreicht werden können. Doch die Asymmetrie des eigentlichen Platzes hat noch andere Gründe: Sie ist zum einen auf die asymmetrischen Ufer der Île de la Cité zurückzuführen, die bei der Parallelführung von Quais und Häuserreihen zu unterschiedlichen Innenwinkeln auf dem Platz führen mussten. Zum anderen entsteht diese Asymmetrie durch die Linienführung des Pont Neuf und der parallel dazu angelegten Rue de Harlay. Während die unterschiedlichen Innenwinkel aufgrund der asymmetrischen Ufer kaum auffielen und nur vom Platzinneren wahrgenommen werden konnten, erwiesen sich die unterschiedlichen Geometrien am Zugang vom Pont Neuf , einer Hauptverkehrsachse von Paris, als architektonisches Problem. Um an dieser prominenten Stelle den Eindruck eines symmetrischen Ensembles zu erzeugen, bedurfte es aufwendiger Baumaßnahmen, die bereits angedeutet wurden: Mit der angeschnittenen Erweiterung des Quai de l’Horloge rückte die Eingangsfassade fast in die Mitte zwischen den beiden Flussarmen und glich damit den breiteren Quai des Orfèvres optisch aus. Den Zugang zur Place Dauphine richteten die Architekten nicht etwa am gegenüberliegenden Pendant aus, sondern bildeten die Eingangspassage entlang der zentralen Achse der Pont-Neuf-Fassade. Das hatte wegen der asymmetrischen Häuserreihen des Platzes zur Folge, dass die Nordseite des Zugangs länger geworden wäre. Um das zu vermeiden, verjüngten die Architekten die nördliche Häuserreihe zum Pont Neuf hin und erzielten so eine symmetrische, d.h. auf beiden Seiten gleich lange Eingangspassage. Diese aufwendigen Bemühungen um ein symmetrisches Erscheinungsbild eines durch das vorgegebene Terrain und die Linienführung der Brücke asymmetrischen Platzes lassen darauf schließen, dass das Renaissanceideal eines ausbalancierten Gleichgewichts – im Gegensatz zu Ballons Schlussfolgerung – durchaus in den Köpfen der Architekten Heinrichs IV. lebendig war. Bedenkt man zudem die vollendete Symmetrie der Place Royale und der geplanten Place

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de France auf jeweils freiem Gelände, dann erscheint die Unregelmäßigkeit der Place Dauphine und vor allem die Asymmetrie von Platz und Reiterstandbild eher den Vorgaben des unregelmäßigen Terrains und der langen Bauzeit unterschiedlicher Herrscher, Planer und Architekten geschuldet. Eine Korrektur mit dem Ziel einer vollständigen Symmetrie des Platzes hätte erhebliche Kosten und Verzögerungen mit sich gebracht – an beidem konnte dem König nicht gelegen sein, für den der soziale und ökonomische Aspekt seiner Stadtplanung in jedem Fall erfüllt war. Der Eindruck eines prächtigen und glanzvollen Ensembles, das als Zeugnis des königlichen Willens zur Verschönerung seiner Hauptstadt gelten konnte, ergab sich gleichwohl für den zeitgenössischen Betrachter eher von den Schauseiten des Platzes, also von den gegenüberliegenden Seineufern und vom Pont Neuf mit Blick auf die symmetrische Eingangsfassade. Abb. 100: Stich nach Claude Chastillon: Blick auf die repräsentative Schauseite der Place Dauphine vom rechten Seineufer 1607-1615

Quelle: B.N. Est. rés. Ve 9

3.3.4 Straßennetz, Zugänge und urbanistische Planung Die Place Dauphine ist – wie bereits angedeutet – anders als die Place Royale im Rahmen umfassender urbanistischer Planungen entstanden (Ballon 1991: 137ff.). Ausgangspunkt war dabei der Pont Neuf, der als westlichste Querung die beiden Seineufer verband. Deren Entwicklung schritt mit dem Ausbau des Louvre rasch voran und erweiterte die Stadt in westliche Richtung. Die bald stark frequentierte Brücke leitete den Verkehr über den Fluss und über die seitlich am Platz verlaufenden Quais in die Cité mit dem kommerziellen Zentrum auf den Häuserbrücken, den Gerichten und dem kirchlichen Gebiet um Notre Dame und dem Hôpital general.

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Die beiden Zugänge zum Platz verbanden ihn mit diesen geschäftigen Straßen, schlossen ihn aber zugleich architektonisch gegen das turbulente Treiben ab. So war der Eingang von der Hauptverkehrsachse des Pont Neuf relativ schmal und gewährte durch die geschilderte Asymmetrie keinen vollen Einblick auf den Platz. Der Eingang von der Rue de Harlay, die die frequentierten Quais verband, lag in der Mitte der Häuserreihe ohne architektonische Hervorhebung, sodass er von außen, zumal von den Quais optisch fast verschwand. Hätten die Planer eine stärkere Einbindung in den Verkehrs- und Publikumsfluss gewollt, hätten sie ein bzw. zwei Zugänge an den Ecken des Dreiecksplatzes, also direkt an den Quais, einrichten müssen. So ist auch der direkte Zugang vom Palais, also von den Gerichten, erst 1671 mit einem Durchbruch gegenüber dem Platzeingang auf der Ostseite der Rue de Harlay erfolgt. Auf diese Weise war der Innenraum des Platzes eine ruhige Zone, abgeschirmt vom bunten Treiben der Cité, während die Außenseiten sich dem Publikumsverkehr öffnete. Auf Kunden und Passanten angewiesene Läden und ungestörtes Leben und Arbeiten waren damit an der Place Dauphine möglich – ganz in Übereinstimmung mit den Intentionen des Königs für diesen Platz von Handel und Handwerk. Zu den urbanistischen Planungen Heinrichs IV. im Zusammenhang mit dem Pont Neuf und der Place Dauphine gehört auch die bereits erwähnte Rue Dauphine (Ballon 1991: 160ff.). Nach Vollendung der prachtvollen Brücke fehlte auf dem südlichen Seineufer eine Straße als angemessene Fortsetzung in das noch wenig bevölkerte, eher ländlich anmutende Gebiet, das sich im Besitz des dort ansässigen Augustiner-Konvents und der Abtei St. Denis befand. Das Muster der Finanzierung und der Erschließung ähnelt wiederum der bereits bekannten Vorgehensweise, indem die Planung samt Bauauflagen für die Straße von der Krone vorgegeben wurde, diesmal jedoch kirchlicher Grundbesitz von privaten Investoren und der Krone erworben werden musste. Als sich die Augustinermönche allerdings der Veräußerung ihres Grundbesitzes widersetzten, bemerkte der König in seiner pragmatischen Art: „Herrje Väter, das Geld, das ihr aus dem Gewinn der Häuser ziehen werdet, ist gut [euren] Kohl wert!“ (L’Estoile, Journal II 225; übers.: U.H.; zit. nach Ballon 1991: 332f. A. 106). Und in der Tat erhielten die Augustiner eine äußerst generöse Entschädigung, die mehr als doppelt so hoch war wie die entsprechenden Grundstückspreise an der teuren Place Dauphine: Für die Realisierung seiner urbanistischen Pläne war Heinrich IV. offenbar bereit – ähnlich wie beim Aufkauf fehlender Grundstücke an der Place Royale – einen hohen Preis zu zahlen, ein weiterer Beleg für sein starkes Interesse an der Gestaltung seiner Hauptstadt.

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Abb. 101: Place Dauphine (1), Pont Neu euf mit Reiterstandbild (2) und Rue Dauphine (3)

Quelle: Francois Quesnel, Auschnitt aus dem de Plan von Paris, 1609; B.N. Est. rés. AA3; Atlas des anciens plans de Paris, planche XII III

Die Planung für die Rue Dauphine schrieb sch eine gerade verlaufende Verlängerung der Brückenachse und eine Breite Br von ca. 10 Metern vor, was ein urbanistisches Novum in der vom mitte ittelalterlichen Straßennetz geprägten Stadt bedeutete. Diese Vorgabe war mit dem m ausdrücklichen Wunsch des Königs nach einer einheitlichen Fassade verbunden, n, „weil es“ – wie Heinrich am 2. Mai 1607 an Sully schrieb – „ein schöner Schmu muck [bel ornement] wäre, vom Ende der Brücke diese Straße ganz mit der gleich ichen Fassade zu sehen.“ (Lettres missives 7, 219; übers.: U. H.; zit. nach Ballon n 1991: 1 333 A. 113). Doch ähnlich der Zugangsstraße zur Place Royale konnte sich ic der König nicht durchsetzen. Die Rolle der privaten Investoren war offenbarr so stark, dass sie der Stadtplanung des Monarchen Grenzen setzen konnte – besonders be dann, wenn gleichzeitig ökonomische Ziele erreicht wurden. Gleichwo hwohl hatte der König mit der Anlage der innovativen Straße, ihrem Namen und d der d Benennung zweier Seitenstraßen nach seinen Kindern (Rue d’Anjou, Rue Christine) C dem Quartier seinen Stempel aufgedrückt. Zudem gab die neue Straß raße der Entwicklung des gesamten Stadtviertels wichtige Impulse und rückte die außerhalb der alten Wallanlage liegende

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Vorstadt St. Germain näher an das Stadtzentrum heran. Im Faubourg St. Germain siedelte sich bald der Adel an und errichtete seine Stadtpalais, die Königswitwe Maria von Medici ließ ab 1612 hier ihren zeitweiligen Altersitz, das Palais du Luxembourg, errichten. 3.3.5 Niedergang und Zerstörung Von Beginn an stand die Place Dauphine in der Kritik und war in ihrem Bestand gefährdet (Ballon 1991:115, 128, 157f.; Brunhoff: 25ff.). Erregten sich zunächst Henri Sauval und Jean-Baptiste Jaillot ganz im Geist der Zeit über mangelnde Symmetrie und fehlende Axialität, erhoben sich bald auch Stimmen unter den Architekten der Krone, dass ein so prominenter Ort ganz unpassend mit viel zu kleinen Häusern und obendrein mit Ziegelsteinfassaden ausgestattet sei. Die urbanistischen Intentionen Heinrichs IV. städtische Verschönerung und monarchische Selbstdarstellung mit der Förderung von Handwerk und Handel zu verbinden waren bald nach seinem Tode verdrängt und wichen mehr und mehr der unter Ludwig XIV. kulminierenden Huldigung des absolutistischen Herrschers. Bezeichnend für die veränderte Auffassung von der angemessenen Repräsentation des Monarchen in seiner Hauptstadt ist auch, dass bei den Überlegungen zur Anlage eines Königsplatzes für Ludwig XV. die Place Dauphine ausschied, da das Terrain auch bei einem Abriss nicht hinreichend großartig sei. Vom Ende des 17. Jahrhunderts an verstummten dann auch nicht mehr die Stimmen, die einen völligen Abriss forderten, der in Teilen in der Mitte des 19. Jahrhunderts geschah. Immer mehr zeigte sich, dass private Spekulation und kommerzielle Interessen, die den Platz erst ermöglicht hatten, jetzt zu seinem Niedergang beitrugen: Seit dem 18. Jahrhundert hatte sich die Westausdehnung von Paris auch auf die Place Dauphine ausgewirkt. Der Abwanderung einer reichen Klientel in die Viertel von St. Germain und St. Honoré folgten Goldschmiede, Juweliere, andere Handwerker und Ladengeschäfte. Die Place Dauphine wurde – von der Stadtverwaltung nicht gehindert – zusehends vernachlässigt und in ihrer Einheitlichkeit zerstört, die Fassaden verändert durch neue Fensterdurchbrüche, Balkons, zusätzliche Schornsteine und Putz auf den Ziegelfassaden, viele Häuser erhielten zusätzliche Stockwerke. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann dann der Teilabriss zugunsten der Erweiterung des Gerichts- und Verwaltungsbezirks: 1857/58 verschwand die Häuserreihe auf der Ostseite der Rue de Harlay, 1874 folgten die gegenüberliegenden Gebäude auf der Basisseite des Dreiecks. Die beiden Längsseiten der Place Dauphine blieben bis heute verstümmelt und in reduzierter Form erhalten, nur die beiden Häuser mit Front zum Pont Neuf bieten

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noch das ursprüngliche Design und vermitteln so einen Eindruck davon, wie der Platz einmal ausgesehen hat. Den Stadtplaner Napoleons III., den Präfekten Baron Haussmann, hinderte nur seine Entlassung 1870 daran, den Platz völlig abzureißen. 3.3.6 Symbolische Aufladung, atmosphärische Wirkung und zeitgenössische Rezeption Mit der Anlage der Place Dauphine unternahm Heinrich IV. den erneuten und diesmal erfolgreichen Versuch für seine Hauptstadt einen Platz zu schaffen, der seinen urbanistischen Zielvorstellungen entsprach. Louis Savot (ca. 1570ca.1640), ein zeitgenössischer Mediziner und Verfasser architekturtheoretischer Abhandlungen, hat in einer Schrift anlässlich der Einweihung des Reiterstandbildes 1614 auf dem Pont Neuf die Motive des Königs klar beschrieben: In der Erkenntnis, dass Bauwerke die ewigen Monumente der Größe eines Fürsten und die Macht seiner Reichtümer, eine Beschäftigung für alle Arten von Handwerkern und den Broterwerb für eine unendliche Zahl von armen Arbeitern und Handlangern darstellen, die ohne Beschäftigung Müßiggänger, Herumtreiber und Diebe werden, gab [Heinrich] mehr als acht Millionen livres für Bauwerke aus: Er ließ den Pont Neuf bauen ...[hier folgen Bauten außerhalb von Paris],die Grande Galerie des Louvre, das Hôpital St. Louis, die Place Royale, die Place Dauphine, die Rue Dauphine, so viele Straßen im Maraisviertel du Temple wie es Provinzen gibt in Frankreich [Anspielung auf die nicht zur Ausführung gekommene Place de France]...(Discours sur le sujet du colosse du Grand Roy Henry...,Paris 1614, p. 21f.; übers.: U.H.; zit. nach Ballon 1991: 349 A. 2)

Sieht man einmal von der dem Anlass geschuldeten Huldigung des Königs ab, die beispielsweise die wichtige Rolle der privaten Investoren nicht erwähnt, erkennt Savot doch sehr genau, wie die von Heinrich IV. betriebene Sozial- und Wirtschaftspolitik dem embellissement seiner Hauptstadt und zugleich dem dauernden Ruhm seiner Person diente. Er betont die ordnungs- und sozialpolitische Komponente vor dem Hintergrund einer überwundenen Epoche von Bürgerkrieg und Not. Was er nicht direkt anspricht, ist die Tatsache, dass einige dieser Bauvorhaben nicht nur Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen waren, sondern auf Dauer von Handwerkern und Händlern als Wohn- und Arbeitsstätte genutzt wurden. Haben das die Zeitgenossen wahrgenommen? Wer die Place Dauphine betrat, hat dies unmittelbar wahrnehmen können. Denn mit der Architektur des Platzes verband sich die Botschaft, dass hier bürgerliches Leben und Arbeiten stattfand. Die Arkaden sprachen eine eindeutige

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Sprache: Hier waren Werkstätten eingerichtet und Ladengeschäfte untergebracht, der schmale Zuschnitt der Häuser ließ keine andere Nutzung zu. Offensichtlich hatte der König die Erfahrungen von der Place Royale beherzigt und schon in der Planung dafür gesorgt, dass die Wohnstandards auf die von ihm gedachte bürgerliche Schicht von Handwerkern, Händlern und niederen Chargen der Gerichte zugeschnitten waren. Der freie, nach außen abgeschirmte Platz stellte eine Ruhezone dar, die der Begegnung, dem Miteinander der Anwohner diente, ihnen gehörte dieser Ort. An keiner Stelle gab es einen Hinweis auf den König, das Reiterstandbild war außerhalb des Platzes, in publikumswirksamer Umgebung positioniert. Lediglich die Namensgebung verwies auf den Urheber und macht deutlich: Der König schafft seinen Untertanen angemessene Wohnund Arbeitsstätten im übervölkerten, nach Beendigung des Bürgerkriegs von massivem Zuzug geplagten Paris. Abb. 102: Blick von Westen auf den Pont Neuf und die Place Dauphine, um 1660

Quelle: Israel Silvestre, B.N. Est. Ed. 45

Wenn damit Heinrichs IV. urbanistische Zielsetzung im Bezug auf die soziale und ökonomische Komponente augenscheinlich an der Place Dauphine eingelöst und diese Intention – siehe Savot – in der Zeit auch verstanden worden ist, so hebt unser Autor aber an erster Stelle hervor, dass es dem König in seinen Bauwerken um Zeugnisse seiner „Größe“ und „Macht“ ging. An der Place Royale wurde diese Intention eingelöst, sobald ein Besucher aus dem engen Straßengewirr heraus den großen Platz betrat, der von außen praktisch ‚unsichtbar’ war. Die Place Dauphine dagegen war wesentlich kleiner (Innenlängsseite ca. 80

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Meter) und dadurch intimer, die spitz zulaufende Dreiecksform verstärkte diesen Eindruck. Sie entfaltete ihre Wirkung weniger von innen als von außen. Die Lage an der Westspitze der Île de la Cité exponierte das Ensemble in einer bisher für Paris unbekannten Weise: Von beiden Ufern der Seine mit ihren stark frequentierten Quais und von dem verkehrsreichen Pont Neuf fiel der Blick auf die prächtigen Außenseiten, auf die Schauseiten der Place Dauphine. Aus dieser Perspektive war im übrigen auch nicht zu erkennen, dass die Platzanlage nicht symmetrisch angelegt war. Die Wirkung eines einheitlichen, riesigen Baukörpers wurde noch gesteigert durch die gleichmäßige Fassadengestaltung, besonders aber durch die durchgehende Dachzone, die – anders als an der Place Royale – keine Unterscheidung der einzelnen Häuser erkennen ließ und so dem Betrachter eine durchgehende Front von ca. 125 Metern bot. Dass die Wirkung dieser Schauseiten den Zeitgenossen durchaus bewusst war, kann man an dem 1623 von der Stadt erlassenen Verbot ablesen, das eine Bebauung der Quaiseiten unterband, weil dadurch der Blick auf die Häuserreihe der Place Dauphine gestört worden wäre: Die Quais und angrenzenden Gebiete müssen für die Ausschmückung der Stadt erhalten bleiben, für die Gesundheit und Hygiene der dortigen Bewohner, und da eine der schönsten Zierden dieser Stadt die Île du Palais [d.i. die Westhälfte der Île de la Cité] ist, wie sie gegenwärtig bebaut ist, ausgestattet mit geräumigen Quais auf beiden Seiten des Flusses, auf denen man keine Bauten errichten kann ohne Unzweckmäßigkeit [incommodité] zu verursachen für die Struktur und Symmetrie der Gebäude [der Place Dauphine], die in ihrem jetzigen Zustand eine angenehme Ansicht bietet für Blicke vom Schloss des Louvre. (Registres des délibérations du Bureau de la Ville de Paris, ed. Paul Guerin et al., vol.18, Paris 1958, S.348; übers.: U.H.; zit. nach Ballon a: 331f. A.88).

Mit dem Hinweis auf die Blickachse Louvre-Place Dauphine wird zudem deutlich, dass dieser Platz in Relation zur königlichen Residenz gesehen wurde: Hier der Wohnsitz des Monarchen, dort der symbolische Ort seines Nachfolgers, des Dauphin, der zur Zeit des Verbots der Stadtverwaltung als Ludwig XIII. bereits selbst im Louvre residierte. Die singuläre Lage der Place Dauphine lässt darüber hinaus erkennen, welche Bedeutung Heinrich IV. dem Dauphin und damit der Sicherung seiner Herrschaft gegeben hat. Denn dieser Platz ist nicht nur eingebunden in sein größtes und spektakulärstes Projekt zur Verschönerung seiner Hauptstadt, sondern befindet sich auch in unmittelbarer Nähe zum Ursprungsort der französischen Monarchie, dem traditionellen Palais auf der Île de la Cité. Das urbanistische Projekt umfasste außer der Place Dauphine den Pont Neuf und die Rue Dauphine. Mit der Fertigstellung des Brückenbaus stellte sich der

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König in die Bautradition der Valois und bezeugte zugleich die Vorzüge der neuen Dynastie: War in der Schlussphase der Valoisherrschaft durch religiöse Unruhen und Bürgerkrieg die Vollendung des Bauwerks nicht möglich, konnte in der Friedensepoche des ersten Bourbonenkönigs die fertige Brücke den Anwohnern der Stadt zu ihrem Nutzen übergeben werden. Sie war auf diese Weise ein Symbol der wohltätigen Herrschaft Heinrichs IV. Mit der Rue Dauphine betraten der König und seine Planer urbanistisches Neuland: Die mittelalterliche Stadtstruktur und Straßenführung von Paris blieb bei allen Projekten des Königs unangetastet, seine Bauten entstanden auf brachliegendem Gelände oder, wie das Hôpital St. Louis, außerhalb der Stadt. Hier zeigten sich wiederum die Grenzen, die dem absolutistischen Monarchen bei der Gestaltung seiner Hauptstadt gezogen waren. Aber im kaum bebauten Gebiet auf der Südseite des Pont Neuf konnte erstmals eine an Axialität und Perspektive orientierte Straßenführung realisiert werden, die den zeitgenössischen Erwartungen an repräsentatives Bauen entsprach: Vom Pont Neuf blickte ein Passant die für Pariser Verhältnisse ungewöhnlich breite Straße entlang bis zum Stadttor, das den Zugang zum zukunftsträchtigen Faubourg St. Germain eröffnete. Indem zwei Seitenstraßen die Namen königlicher Kinder tragen, wird auch hier die Urheberschaft hervorgehoben. Bei beiden Bauwerken, Brücke wie Straße, sind erhebliche Mittel der Krone geflossen, ihre Ausgestaltung war dem König wichtig. Sie sind wie die Place Dauphine sicherlich und offensichtlich zum Ruhm des Königs errichtet, zeugen aber – wie Savot auch schreibt – in ihrer Funktionalität und ihrem Nutzen für die Pariser Bevölkerung davon, dass die Stadtplanung Heinrichs IV. immer auf die soziale und wirtschaftliche Förderung seiner Hauptstadt und ihrer Bewohner zielte. Dieses Motiv – und hier muss die Vergangenheitsform bemüht werden, da die Skulptur in der Französischen Revolution zerstört wurde – galt kaum für das Reiterstandbild auf der terre plein. Es entsprach, wie oben gezeigt, ganz dem Standard des zeitgenössischen Herrscherlobs, aber seine Platzierung und Blickrichtung ist doch bemerkenswert. Durch die Positionierung auf der äußersten Westspitze der Île de la Cité blickte der König zunächst auf die Passanten der Brücke und dann auf die Place Dauphine, gleichsam die Huldigung entgegennehmend und Wachsamkeit dem Dauphin gegenüber ausdrückend. Aber der Blick ging weiter ostwärts auf die Île de la Cité und traf auf die Bauten der traditionellen Residenz der französischen Könige. Er stellte so eine symbolische Verbindung der noch jungen Dynastie der Bourbonen mit allen vorangegangenen Königsgeschlechtern her (Bek: 93f.). Ging der Blick noch weiter, traf er auf die Türme von Notre-Dame, dem geistlichen Zentrum im sakral geprägten Ostteil der Insel. Die Skulptur Heinrichs IV., der fünfmal die Konfession gewechselt hatte, steht am äußersten Ende des säku-

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laren Westteils der Insel: Der König hat zwar seinen Frieden gemacht mit ‚der Religion’, bleibt aber, ganz pragmatisch, auf Distanz und betont den weltlichen Herrschaftsanspruch. Indem die Blickrichtung nach Osten gewendet ist, konzentriert sich der König auf das Geschehen in seinem Reich, eine nach Westen blickende Reiterstatue hätte an die zur Zeit Heinrichs IV. gerade beginnende Kolonialexpansion auf dem amerikanischen Kontinent erinnern können, dann hätte der König aber ganz unpassend den Passanten den Rücken zugewandt. Abb. 103: Die Blickrichtung der Reiterstatue Heinrichs IV.

Quelle: Franciscus Hoiamis, Ausschnitt aus dem Plan von Paris,1619, B.N. Est. Va 212

3.4 P LACE

DES

V ICTOIRES

Stimmengewirr und laute Rufe weckten in der Nacht vom 9. zum 10. Februar 1651 Ludwig XIV. in seinem Schlafgemach im Palais Royal. Sein Kammerdiener La Porte riet dem jungen König – er war damals gerade dreizehn Jahre alt – sich schlafend zu stellen: Eine von der adligen Fronde aufgewiegelte Pariser Volksmenge war in den Palast eingedrungen, wollte sich davon überzeugen, dass der Königs nicht geflohen war, und verließ den Palast erst, nachdem sie bis an sein Bett gelangt war. Diesmal kam Ludwig mit dem Schrecken davon, zwei

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Jahre zuvor allerdings hatte die königliche Familie in Begleitung weniger getreuer Höflinge und Minister vor den aufständischen Parisern fluchtartig das Palais Royal verlassen müssen, das die Königinmutter Anna von Österreich für sich und ihren Sohn nach dem Tod von Richelieu als Residenz gewählt hatte. Und noch ein Jahr zuvor, zu Beginn der Fronde im Jahre 1648, hatte sich Ludwig von den Musketensalven erschreckt in das Bett seines Kammerdieners geflüchtet (Petitfils: 85, 87f., 99; Gallo: 43, 51, 69). Diese einprägsamen Ereignisse haben ihre Spuren hinterlassen: Gegenüber der Pariser Bevölkerung bewahrte Ludwig eine dauerhafte Reserve und die Stadt Paris war die ungeliebte Metropole des Monarchen, der den Schlössern von Marly, Saint-Germain-en-Laye oder Fontainebleau und vor allem Versailles als Residenzen und Orte der Repräsentation den Vorzug gab. Seine Reserve zeigte sich insbesondere in der „abstention systematique“, die nach 1671 dazu führte, dass Ludwig seine Hauptstadt immer seltener und meist nur zu kurzen Aufenthalten besuchte, in seinen letzten Regierungsjahren zwischen 1700 und 1715 sogar nur viermal (de Boislisle: 1 A.1; Malettke 2008: 259; Dethan: 24ff.). Dennoch war die wirtschaftliche und urbanistische Entwicklung von Paris nach der Niederschlagung der Fronde (1653) unter Ludwig XIV. bemerkenswert – ein Verdienst, das vor allem dem leitenden Minister Colbert (1619-1683) zukommt, der zugleich als surintendant des batiments für das königliche Bauprogramm zuständig war. Er ist es auch, der bereits in einem Brief vom September 1665 seinen König mit deutlichen Worten mahnte, dass Versailles mehr sein (d.h. des Königs) Vergnügen und seine Zerstreuung sehe als seinen Ruhm und dass der Louvre – die traditionelle Herrscherresidenz – dagegen vernachlässigt sei. Er erinnerte Ludwig XIV. in Anlehnung an das seit der römischen Antike geläufige Argument daran, dass „nichts die Größe und den Geist der Fürsten mehr kennzeichnet als die Bauwerke und dass die ganze Nachwelt sie an der Elle dieser prächtigen Gebäude misst, die zu ihren Lebzeiten errichtet sind“, um dann zu bedauern, dass „der größte und tugendhafteste König an der Elle von Versailles gemessen werde“, das zu jener Zeit noch ein im Ausbau befindliches, anspruchsloses Jagdschloss Ludwigs XIII. war. Sein Vorschlag an den König lautete deshalb, für Versailles eine bestimmte Summe festzulegen und dann „alle Mittel zur Fertigstellung des Louvre einzusetzen und öffentliche Bauwerke (monuments) zu errichten, die den Ruhm und die Größe Eurer Majestät viel weiter verbreiten als dies die einstmals von den Römern errichteten tun.“ (übers.: U.H.; zit. nach de Boislisle: 2f.) Die erstaunlich offene Kritik Colberts wird allerdings durch die Referenz an die überragende Bedeutsamkeit des Monarchen abgemildert, zugleich sucht er ihn zu gewinnen durch den in der barocken Herrscherpanegyrik geläufigen Topos, dass es die Bauwerke seien, die den ewi-

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gen Ruhm der Fürsten sichern. Erstaunlich ist überdies die Weitsicht Colberts, denn erst in den 70er und 80er Jahren ließ Ludwig XIV. Versailles zur prächtigen und dauerhaft von ihm bewohnten Residenz ausbauen, während der Louvre – ab 1667 mit der mächtigen Kolonnadenfassade und weiteren Ergänzungsbauten ausgestattet – zwar als Königsresidenz erkennbar war, aber letztendlich zugunsten Versailles nie vollendet wurde (Hoppe: 35ff.). Dass sich der Monarch für Versailles und gegen den Louvre und damit im gewissen Sinne auch gegen Paris entschied, mag mit der Erinnerung an die schreckensvoll durchlebten Nächte im Palais Royal zusammenhängen. Entscheidender war in jedem Falle aber, dass die raumgreifenden Pläne der Palast- und Gartenanlagen mit ihren Achsen und schier unbegrenzten Perspektiven in der dichtbebauten Hauptstadt überhaupt nicht möglich gewesen wären: Den Raum einer solchen Prachtentfaltung, wie sie Ludwigs barockes Repräsentationsbedürfnis für angemessen hielt, bot ihm seine Metropole nicht. Im Gegensatz zu seinem Großvater Heinrich IV., für den die Eroberung der Kapitale höchsten realen und symbolischen Wert besaß, verließ Ludwig XIV. ebendiese Stadt, auch weil sie seinen Ansprüchen absolutistischer Selbstdarstellung nicht genügte. Und doch prägte und förderte Ludwig XIV. während seiner langen Regierungszeit (1661-1715) seine Hauptstadt nachhaltig, die in diesen Jahren ein enormes Wachstum verzeichnete und um 1700 zwischen 500. und 700. 000 Einwohner zählte (Babelon 1986: 166; Favier 1997: 40). Sie blieb der historisch gewachsene, traditionelle Mittelpunkt Frankreichs, das nach dem Frieden von Nimwegen (1679) zum mächtigsten Staat Europas aufgestiegen war. Die in seinen Augen angemessene Ausgestaltung der Metropole als Bühne seiner absolutistischen Selbstdarstellung beaufsichtigte der Monarch immer wieder auch höchstpersönlich durch präzise Anweisungen und Besuche. Ludwig – so Jordan – beabsichtigte, dass die „Stadt den Ruhm des Königs theatralisch darstellen“ sollte und dass sie zur „Zeremonialstadt“ umgestaltet würde (Jordan: 51). In der Medaillensammlung Médailles sur les principaux événements du règne de Louis XIV , die von den Ruhmestaten des Königs Zeugnis ablegen sollte, ist deshalb auch eine Medaille enthalten mit der Umschrift Ornata et ampliata urbe, zu der ein erläuternder Text (L’embellissement et l’aggrandissement de Paris) die zahlreichen Bau- und Verschönerungsarbeiten aufzählt (Dethan:123). In seinem Auftrag gelang es dem nüchternen Wirtschaftsfachmann Colbert und seinem Nachfolger Louvois im Amt des Ersten Baumeisters – trotz der enormen Ausgaben für den Hof und mehr noch für die Kriegsführung – die Hauptstadt nicht nur zu verschönern und die Lebensqualität seiner Bewohner zu verbessern, sondern auch ihre Wirtschaft zu entfalten (Hautecoeur: 277ff.; Lavedan:177ff.). So entstanden unter der Aufsicht der surintendants des

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bâtiments des Königs die erweiterten Gobelinmanufakturen, an der Seine neue Kai- und Hafenanlagen, Straßendurchbrüche und -erweiterungen, erste Ansätze einer Straßenbeleuchtung, von Straßenpflasterung und eines Kanalsystems sowie öffentliche Brunnen zur Trinkwasserversorgung. Zur Verschönerung und repräsentativen Ausgestaltung der Stadt, die Colbert in ein neues Rom verwandeln wollte (Cleary: 16), trugen die großzügigen Parkanlagen oder Alleen der Tuileriengärten, des Cours de la Reine, des Cours de Vincennes und die Champs-Élysées, prachtvolle Bauten wie die Kolonnaden und der weitere Ausbau des Louvre, aber auch die von Anna von Österreich gestiftete Kirche Val de Grâce, das Collège des Quatre-Nation, das Observatorium, das Hôpital de Salpètriere und die neuen Boulevards bei. Letztere veränderten die Stadtanlage wohl am prägnantesten: Anstelle der dem städtischen Wachstum hinderlichen Befestigungen, deren Funktion nun die grenznahen Vaubanfestungen übernahmen, ließ Ludwig XIV. ab 1670 den baumbestandenen Corso, den Ursprung der heutigen Boulevards anlegen. Die offene Stadt signalisierte – nach den bedrängenden Jahren der Fronde – die allgegenwärtige Macht und Zugriffsmöglichkeit des Monarchen und ließ ihn zugleich als Garant ihrer Sicherheit erscheinen. Zudem verkündeten große und dekorative Portale im Stil der römischen Triumphbögen die imperiale Tradition, in der sich der Monarch als absolutistischer Herrscher sah: Die Porte Saint-Denis trug denn auch die Inschrift LUDOVICO MAGNO – ebenso auch der Eingangsbogen des Hôtel des Invalides. Wird hier die Absicht Paris zum Schauplatz zeremonialer Präsentation und theatralischer Selbstdarstellung des absolutistischen Herrschers auszubauen bereits sichtbar, so trifft dies in gesteigertem Maße für die beiden Königsplätze und das Hôtel des Invalides zu, die ab den 70er bzw. 80er Jahren entstanden und die im Folgenden näher untersucht werden sollen. 3.4.1 Ein Höfling ergreift die Initiative: Topographie und Baugeschichte Nach Vollendung der Place Dauphine im Jahre 1616 sollte es über 60 Jahre dauern, bis in Paris erneut königliche Platzanlagen entstanden, deren erste die Place des Victoires war. Seit den 1630er Jahren hatte der Rückbau der alten Wallanlagen auf dem rechten Seineufer Raum für die wachsende Stadt geschaffen. Unweit des Palais Royal und des Louvre in nördlicher Richtung gelegen entstand in dieser prestigeträchtigen Umgebung rasch ein neues Stadtviertel mit einer Reihe von adligen Hotels (de Boislisle: 41, 79.; Cleary: 14, 198ff.; Lavedan: 215ff.). Auf dieses Quartier war auch der Duc de La Feuillade auf-

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merksam geworden, als er nach einem em geeigneten Gelände für den geplanten Platz mit einer Statue seines Königs und un seine neue Residenz suchte. Die Verwirklichung dieser Pläne, deren Ausg sgangspunkt zunächst nur die Idee einer Statue war, geschah in mehreren Etap tappen, die nachgerade dem Ablauf eines höfischen Zeremoniells glichen (de Boislisle: Bo 31ff; Gady 2003: 67ff.; Seelig: 453ff.) Denn der Herzog (1630-1691)) entstammte e einem alten Adelsgeschlecht, hatte als Militär Karriere gemacht, war in vielen Schlachten verwundet worden und gehörte als Höfling zu den engen n Vertrauten Ludwigs XIV. (de Boislisle: 11ff.).

Abb. 104: Das Hotel Ferté-Senneterree und u das gegenüberliegende Hôtel d’Emery (im Kreis) werden für die zukün künftige Place des Victoires, die sich bis zum Hôtel de l’Hôpital ertreckt, abgeris rissen

Quelle: Ausschnitt aus dem Stadtplan von on Jaques Gomboust, 1652, Atlas des anciens plans de Paris, planche XVIII

Der König dankte ihm diese Treue mit m großzügigen Gratifikationen. Manche Zeitgenossen sahen diese Ergebenhei eit allerdings eher als karrierefördernde Schmeichelei an, zumal der Herzog als a Sohn eines Parteigängers der Fronde allen Grund hatte seine Königstreue unter u Beweis zu stellen (Cenerelli: 43). Nach dem Frieden von Nimwegen (1679), (1 der den Holländischen Krieg mit einem Kompromiss beendete und an dem d der Herzog teilgenommen hatte, be-

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fand sich Ludwig XIV. auf dem Höhepunkt seiner Macht. Angesichts dieser zumindest in der offiziellen Propaganda so glanzvollen politischen und militärischen Entwicklung wollte sich de La Feuillade revanchieren, indem er seinem obersten Herrn eine Marmorstatue widmete, die er im Park seines bisherigen Stadthotels, also im privaten Rahmen aufstellen wollte. Der König wiederum ehrte das Vorhaben, indem er einen wertvollen Marmorblock bereitstellte, das Stuckmodell der entstehenden Statue in der Werkstatt des Bildhauers Desjardins wohlwollend besichtigte und de La Feuillade eine Summe zukommen ließ, die ungefähr seinen Ausgaben entsprach. Alsbald schon schenkte de La Feuillade seinem König die Statue, nachdem er bereits im April 1682 eine zweite, größere aus Bronze in Auftrag gegeben hatte, für die er nun einen geeigneten öffentlich zugänglichen Platz suchte. Zu diesem Zweck kaufte der Herzog im Dezember 1683 das große, mit einer Gartenanlage ausgestattete Hotel Ferté-Senneterre im beschriebenen Pariser Stadtquartier. Einen Monat später übertrug der König dem Herzog für vier Jahre das Amt und die Einnahmen des Gouverneurs der Dauphiné, um ihm so den Ankauf zu erleichtern. De La Feuillade beauftragte nun den Ersten Architekten des Königs, Jules Hardouin-Mansart, mit der Planung eines runden Platzes von rund 80 Metern Durchmesser, in dessen Mitte die Bronzestatue aufgestellt werden sollte. Das vom Herzog erworbene Gelände reichte allerdings keineswegs für die großzügige Planung Hardouin-Mansarts, der zudem die komplexen Besitzverhältnisse des teilweise bebauten Geländes im Wege standen: Außer der herzoglichen Neuerwerbung besaßen der König, die Stadt und weitere Eigentümer Grundstücke bzw. Häuser auf dem Gelände des zukünftigen Platzes. Mit einem königlichen Entscheid (arrêt) vom 5. März 1685 bestimmte der Monarch die genaue Lage des Platzes, befahl der Stadt Zufahrtsstraßen anzulegen und die notwendigen Grundstücke aufzukaufen, bewilligte dafür Kredite der Krone, richtete für Streitfälle eine Schiedskommission ein, ernannte schließlich seinen Ersten Architekten Hardouin-Mansart zum leitenden Planer und beauftragte den controlleur général des finances Claude Le Pelletier mit der Gesamtaufsicht über das Projekt. In einem komplizierten Grundstückstausch zwischen der Stadt, der Krone und de La Feuillade gelang es dem Herzog im selben Jahr seinen Besitz an dem entstehenden Platz so zu arrondieren, dass seine künftige Residenz auf einem trapezförmigen Grundstück die gesamte Südostseite einnahm. Allerdings griff de La Feuillades Bauplan an zwei Stellen erheblich in die von Hardouin-Mansart vorgelegte Konzeption ein: Die gerade und nicht dem Platzrund angepasste Fassade seiner Residenz sollte rund zehn Meter in den Platz hineinragen und zerstörte so die perfekte Kreisform. Diese vorgezogene Front hob architektonisch die Bedeutung des Herzogs hervor, was eine weitere

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Baumaßnahme noch unterstrich. So ließ er – gleich einem Segment – ein Eisengitter von den beiden Ecken seiner Residenz zur Königsstatue errichten, sodass der Platz und die Statue von Betrachtern nicht umrundet werden konnten. Die Absicht dieser Eingriffe ist überdeutlich: Sie betonen einerseits die Urheberschaft der Platzanlage und die Verfügbarkeit über ihre Gestaltung und sorgen andrerseits für ein unmittelbares Gegenüber des Königs und seines Höflings, der gleichsam in intimen Austausch mit seinem Herrn tritt. Der Platz wird damit zu einer Hommage an den König, aber auch an seinen Höfling de La Feuillade. Abb. 105: Plan des Platzes (nicht genordet!) mit den beiden neuen Straßen (Rue d’Aubusson, Rue de La Feuillade), dem trapezförmigen Grundstück des künftigen Hôtel de La Feuillade, dem Königsmonument und dem Gitter zwischen Hôtel und Monument

Quelle: Gady 2003: 73

Das eigentliche Zentrum und der Anlass der Platzanlage, die Statue des Königs, wurde aus der Werkstatt Desjardins noch im Dezember 1685 auf den unfertigen Platz transportiert, wo am 28. März des folgenden Jahres eine pompöse Einweihungsfeier inmitten von Baugerüsten, Schutthaufen und mit Stuck oder Leinwänden provisorisch hergestellten Fassaden stattfand. Außer der Statue waren lediglich die vier großen Leuchten errichtet, die den Platz und die Statue erhellen sollten. In Anwesenheit des Dauphin und zahlreicher Höflinge defilierten das von de La Feuillade befehligte Garderegiment, die Stadtoberen, weitere Honoratioren und Militäreinheiten in dreimaliger Umrundung an der Statue vorbei, aus

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den Brunnen der Stadt ergoss sich Wein, Feu euerwerk und Böllerschüsse begleiteten das Geschehen.

Abb. 106: Die Einweihung des Platzes am 28.3.1686: 28 Blick vom künftigen Hôtel de La Feuillade auf das Monument, links auf uf dem Podium der Dauphin mit Hofstaat, Herzog de La Feuillade zu Pferd,, die d Leuchten und die unfertigen Fassaden

Quelle: Nicolas Guérard; Musée Carnevalet, Paris ris

Als ein Jahr später Ludwig XIV. den Platz Pl und die Statue in Begleitung Desjardins besuchte, waren die Bauarbeiten n ebenfalls noch nicht vollendet, wie der Mercure Galant im Februar 1687 bericht htete: Platzseite auf seine Anordnung hin Der König sah auch die Häuser, die die Stadt auff einer e errichten ließ. Der Rest des Platzes war verhängt ngt mit großen bemalten Leinwänden, die die fehlenden Häuser darstellten und die Art und un Weise erkennen ließen, wie sie sein

sollten, wenn sie einmal fertig sein werden. (übers.: s U.H.; zit. nach de Boislisle: 71).

Für die Bauarbeiten hatte die Stadt als Teile ileigentümer bereits 1685 den Bauunternehmer und Spekulanten Jean-Baptiste Prédot Pré verpflichtet, der den Abriss der bisherigen Gebäude an der Südostseite vorn rnahm und innerhalb von drei Jahren nach den Plänen Hardouin-Mansarts die Fassaden Fa samt der dahinter liegenden Häuser errichtete. Die West- und Südwests stseite des Platzes war im Besitz des Herzogs, der hier – nach Überwindung sein iner Finanzprobleme – ab 1689 zwei Bauvorhaben begann: An der Südwestseite te ließ er ein kleines, zur Vermietung gedachtes Hotel errichten und verkaufte das as übrige Gelände an bürgerliche Be-

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amte aus der Bauverwaltung des Königs. Seine eigene prachtvolle Residenz an der Südostseite blieb unvollendet, denn de La Feuillade, Opfer seiner Megalomanie, starb hochverschuldet 1691. Sein Bruder, Erzbischof von Embrun und Bischof von Metz, verkaufte die unfertige Residenz an die Stadt, die den Rückbau anordnete und die Eisengitter entfernen ließ, sodass die ungestörte Kreisform des Platzes hergestellt war. Durch Bauauflagen des Königs und der Stadt wurde auch die Fassadengestaltung entsprechend den Planungen von HardouinMansart vollendet. Die Place des Victoires bot nun dank der einheitlichen Fassaden einen harmonischen Rahmen für die Königsstatue im Zentrum, lediglich an der Nordwestseite standen noch die alten, vor der Planung des Platzes errichteten Hôtels Pomponne und Rambouillet rechts und links der Straßenachse (Rue des Fossés Montmartre), tangential an das Platzrund anschließend. Diese komplexe Platzgeschichte zeigt, dass sehr unterschiedliche Kräfte an der Entstehung der Bauwerke und der Königsstatue mitgewirkt haben. Das führt zu der Frage, wer die Ausgestaltung entschied. Die Initiative ging vom königlichen Höfling de La Feuillade aus und führte – immer wieder unterstützt von der Stadt – erst in mehreren Etappen zur endgültigen Konzeption. Doch letztlich waren es die Krone und Ludwig XIV. persönlich, die die Fertigstellung und konkrete Ausgestaltung bestimmten (Gaehtgens 2010: 489f.). Das lässt sich an vielen Beispielen zeigen: Neben den zahlreichen arrêts, die sehr dezidiert in den Fortgang des Projekts eingriffen, spielten die wiederholten finanziellen Zuwendungen eine wichtige Rolle. Der Erste Architekt des Königs entwarf die Pläne und sein Finanzminister führte die allgemeine Bauaufsicht. Mit unscheinbaren Gesten wie der Bereitstellung des Krönungsornats als Vorlage für den Bildhauer Desjardins und der Anfertigung der vier Leuchten in den königlichen Werften zeigte die Krone ihre Anteilnahme bis in konkrete Details. Ausschlaggebend war also die Zustimmung des stets bestens informierten Königs, die er anlässlich seiner Besuche und Beratungen wiederholt artikulierte. Er besaß im absolutistischen System das „Entscheidungsmonopol“ (Ziegler 2010: 82) – eine Darstellung seiner Person auf einem öffentlichen Platz seiner Hauptstadt war undenkbar ohne seine Zustimmung. So muss man Platz und Statue als Ausdruck dessen lesen, wie Ludwig gesehen werden wollte. 3.4.2 Das Königsmonument – ein Denkmal aggressiver Propaganda Die am 28. März 1686 unter größtem Pomp eingeweihte, über vier Meter hohe Bronzestatue Ludwigs XIV. stand auf einem sieben Meter hohen Sockel im Zentrum der Place des Victoires, deren Namensgebung bereits deutlich macht,

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welche Botschaft Monument und Platz vermitteln sollten (vgl. Abb. 107). Während die Fassaden des Platzes weitgehend erhalten sind, ist die Bronzestatue in der Französischen Revolution – wie alle Königsmonumente – umgestürzt und dann eingeschmolzen worden. Eine Rekonstruktion ist aber ohne Schwierigkeiten möglich, da eine Reihe von zeitgenössischen Stichen, Beschreibungen und Reiseberichten vorhanden sind (Gaehtgens 2003: 9ff.; Seelig: 64ff.; Ziegler 2010: 87ff.). Die Place des Victoires ist der erste Platz in Paris, der von Beginn an als Ort und Rahmen für eine Königsstatue geplant war. Von diesem Monument für Ludwig XIV., das gleichsam unter den Augen des Monarchen entstand, ist also zu erwarten, dass es – wie gesagt – seinen Vorstellungen einer angemessenen Präsentation entsprach und zugleich die besondere Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zog. Eine Untersuchung zur Gestaltung, Intention und Rezeption des Platzes beginnt daher zweckmäßigerweise mit dem zentralen Monument. Abb. 107: Das Königsmonument Desjardins, Stich Nicolas Arnould zugeschrieben

Quelle: BN. Est. Va 230)

Als erstes fällt auf, dass es sich nicht um eine in der italienischen Renaissancetradition stehende Reiterstatue, sondern um eine Standfigur handelt, die zudem

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nicht in der klassischen Tracht eines römischen Feldherrn posiert, sondern im französischen Krönungsornat auftritt (Seelig: 95ff.). Die erste Beschreibung der Statue aus der Feder des französischen Diplomaten und Grammatikers RegnierDesmarais (Description du monument...Paris 1686), der zugleich Autor der Inschriften war, begründet diese Neuerung: Außerdem gibt es, so wie verschiedene Personen voreingenommen zu sein scheinen, nichts Passenderes für ein öffentliches Monument als eine Reiterstatue mit einer römischen Bekleidung. Es ist gut ihnen in wenigen Worten zu erklären, warum man bei einem so imposanten und so prächtigen Monument eine andere Art der Gestalt und Kleidung gewählt hat. Man hat nämlich den König stehend dargestellt, um besser seine Würde und seinen Wuchs zeigen zu können und seinen guten Gesichtsausdruck und diese Ausstrahlung von Hoheit und Erhabenheit, die ihn so stark von anderen Menschen unterscheidet. Und man hat ihn mit seinem königlichen Gewand bekleidet, weil diese Art der Kleidung so besonders ist bei unseren Königen, dass sie selbst dadurch von allen Königen der Erde unterschieden sind. (übers.: U. H.; zit. nach Ziegler 2010: 246 A. 596).

Diese Erklärung spiegelt die zur Zeit der Errichtung des Denkmals aktuelle Diskussion wider, ob die Antike noch Modell sein könne für die moderne Zeit (Burke: 154). Die von Desjardins geschaffene Bronzefigur liegt ganz auf der von Colbert vertretenen Linie das Bild des Königs zugunsten zeitgenössischer Repräsentation von der antikisierenden Herrscherpanegyrik zu befreien. Bei diesem querelle des Anciens et des Modernes geht es auch darum, wie eine Herrschergestalt am überzeugendsten dargestellt werden könne. Beide Modelle finden sich in den Darstellungen Ludwigs: Auf der Place Vendôme, am Hôtel des Invalides und in Versailles stößt man auf antikisierende Repräsentationen, während auf der Place des Victoires der Monarch im zeitgenössischen Dekor erscheint. Bezeichnenderweise war die erste, in Marmor geschaffene Statue im römischen Feldherrnornat gewandet, sie war für eine private Aufstellung gedacht. Für einen öffentlichen Platz erschien offensichtlich das moderne Dekor geeigneter und überzeugender: Ludwig erwirbt seine Gloire kraft eigener Taten und ist nicht angewiesen auf die Heroisierung durch antike Herrscher oder gar Götter. Diese Betonung der aktiven Rolle des Monarchen bei den Ereignissen seiner Regierungszeit sind charakteristisch für die Statue selbst und die verschiedenen Tafeln und Figuren des Gesamtmonuments. Der Auftritt im Krönungsornat evoziert die Krönung und die innerhalb dieses Zeremoniells stattfindende Salbung nach alttestamentarischen Vorbildern mit dem heiligen Öl, das angeblich zur Taufe Chlodwigs von einer Taube vom Himmel herab gebracht worden sei: Ludwig wird damit gleichsam in den Stand

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der Heiligkeit versetzt, er ist der allerchristlichste König, dessen vornehmste Aufgabe die Verteidigung des Glaubens ist – das ist nicht zufällig die zentrale Botschaft ein Jahr, nachdem der König das Edikt von Nantes aufgehoben und damit den viel kritisierten Exodus seiner protestantischen Untertanen provoziert hatte. Die Identifikation mit dem heiligen Ludwig (IX.) als Vorbild im Dome, der königlichen Kirche des Hôtel des Invalides, setzt diesen Gedanken fort. Um den Hals trägt der König die Kette des Ordens vom Heiligen Geist, sein Beinkleid und die Strümpfe entsprechen der Kleidung des Großmeisters dieses Ordens, dessen Eid zur Verteidigung des Christentums der König während der Krönungszeremonie ablegte. Eine so genaue Wiedergabe des Ornats war übrigens nur möglich, weil die Krone Desjardins für seine Arbeit die entsprechenden Kleidungsstücke überließ. Das Schwert an seiner Seite, halb verdeckt unter dem Krönungsmantel, verweist auf die zweite Botschaft der Statue, dass nämlich der allerchristlichste König die Verteidigung des Glaubens auch in die Tat umsetzte – und dies als siegreicher Feldherr: Denn über ihm erhebt sich auf einer Weltkugel stehend eine Victoria, die den König mit dem Lorbeer bekränzt, in der anderen Hand aber einen Palmzweig hält: Der dominante Feldherr ist zugleich Friedensstifter. Die weiteren Requisiten der Statue betonen, wie es auch die Namensgebung des Platzes nahelegt, die siegreiche Überlegenheit Ludwigs in den durchaus profanweltlichen Kriegen. So steht er wie Herkules mit dem rechten Fuß auf einem sich am Boden windenden dreiköpfigen Zerberus – eine Anspielung auf den Sieg über die Tripleallianz im Holländischen Krieg, der mit dem Frieden von Nimwegen beendet wurde. Hier greift die Darstellung auf das bekannte mythologische und allegorische Arsenal zurück: Löwenfell und Keule Herkules’ liegen zu Füßen des Monarchen neben Helm, Schild und Faszienbündel als Zeichen militärischer Stärke und königlicher Überlegenheit. Auf der Vorderseite der Statue direkt unterhalb der Königsfigur, war die in der Folgezeit so heftig kritisierte Widmungsinschrift Viro immortali (Dem unsterblichen Mann) zu lesen. Diese Worte galten bei vielen Zeitgenossen als blasphemisch, da selbst ein großer König nur ein sterblicher Mensch sei. Auf dem darunter liegenden Postament waren auf den vier Seiten vier große Bronzereliefs mit erklärenden Inschriften angebracht, deren zentrale Botschaft die militärische und diplomatische Überlegenheit des französischen Königs über alle anderen europäischen Monarchen und seine daraus erwachsene Rolle als Friedensfürst Europas beinhaltet. So wird auf dem an der privilegierten Vorderseite angebrachten Relief der Friede von Nimwegen, der für de La Feuillade Anlass des Monuments war, in allegorisch-historisierender Form dargestellt.

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Abb. 108: Martin Desjardins, Der Friede zu Nimwegen

Quelle: Musée de Louvre, Paris

Dem mittig platzierten König reicht die Gestalt des Friedens die Hand, er wiederum ergreift die Hand Europas und wird so zum Pazifikator des Kontinents, die Pforten des im Hintergrund sichtbaren Janustempels sind daher auch geschlossen (Seelig: 116ff.). Die anderen Reliefs enthalten konkrete militärische und diplomatische Szenen, in denen wiederum Frankreichs bzw. des Königs Überlegenheit dargestellt wird. Unterhalb des Postaments befand sich als Basis des gesamten Monuments die verbreiterte so genannte Sockelbank, die mit Inschriften und Reliefs geradezu überladen war – sie alle kündeten in ähnlicher Manier von der Größe des Monarchen. Auf dieser Sockelbank saßen vier überlebensgroße Sklaven in Ketten, die durch die beigegebenen Trophäen als die vier im Holländischen Krieg besiegten Nationen (Holland, das Deutsche Reich bzw. der habsburgisch-österreichische Kaiser, Spanien und Brandenburg) identifizierbar waren – eine Provokation, die bald zu heftigen Reaktionen führte. Königsmonument und Platz sollten Tag und Nacht von vier riesigen Leuchten erhellt werden, die an den Hauptzugängen platziert waren; mit insgesamt 24 geplanten Medaillons sollten auch sie von den Taten des Monarchen künden. Doch weder die Leuchten noch die Medaillons wurden je vollendet, denn wenige Jahre nach dem Tod de La Feuillades ließen seine Erben die Leuchten abtragen – die Überanstrengung des höfischen Eifers forderte ihren Preis. Das Ensemble des Platzes, das propagandistische Monument und die prachtvolle Hülle der Fassa-

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den erschien für den zeitgenössischen Betrachter bei einem Rundgang wie ein vollständiges Programm, das die Größe, Einmaligkeit und absolute Überlegenheit Ludwigs XIV. entfaltete. Eine derart aggressive mise en scène (Gaehtgens 2003: 31) war ohne Vorbild. Im Vergleich zur freistehenden Reiterstatue Heinrichs IV. auf dem Pont Neuf, zu dessen Füßen ebenfalls vier Sklaven – allerdings ohne Zuordnung – saßen und auf dessen Sockel zwei schlichte Reliefs mit Szenen aus dem Leben des Königs zu sehen waren, bot die Place des Victoires einen mächtigeren, nahezu erschlagenden Eindruck. 3.4.3 Funktion und Platzgestaltung „The Place des Victoires was first and foremost a setting for the royal statue“ (Cleary: 4). Keine andere Platzgestalt erfüllt diese Funktion so ideal wie die Kreisform, denn die geometrische ist auch zugleich die Bedeutungsmitte des umbauten Raumes, dessen Fassaden das Zentrum gleichsam beschützen. Von wo auch immer ein Betrachter den Platz betritt, sein Blick fällt auf das Zentrum. Der Kreis als vollkommene Form, ohne Anfang und Ende, als Symbol der Unendlichkeit und (göttlichen) Vollkommenheit strahlt Geborgenheit und perfekte Harmonie aus, der Aufenthalt auf einem solchen Platz wird deshalb meist auch als angenehm empfunden. Zudem besaß unter der Herrschaft des „Sonnenkönigs“ die Kreisform als Sonnensymbol allgegenwärtige Präsenz. Es ist ein verlockender Gedanke den Einfluss dieser Symbolik in der Platzgestalt erkennen zu wollen, doch von Hardouin-Mansart ist dazu kein Hinweis bekannt und der Initiator des Platzes de La Feuillade hatte ganz offensichtlich anderes im Sinn, als er mit der in den Kreis hineinragenden Front seiner Residenz dem König zwar näher kam, aber zugleich die Kreisform zerstörte. Diese ideale Platzform zur Huldigung einer Person war bisher für königliche Plätze ohne Vorbild und machte erstaunlicherweise auch späterhin kaum Schule. Das mag damit zusammenhängen, dass die zweite Funktion dieser Anlage, nämlich als Wohnquartier zu dienen, keineswegs ideal erfüllt wurde. Denn durch die runden Frontpassagen entstanden Grundstücke, deren Zuschnitt eine konventionelle Bebauung erschwerte. Hinzu kam an der Place des Victoires, dass durch die vorhandene Teilbebauung der Umgebung nur begrenzte Flächen zur Verfügung standen, sodass weder Gärten noch Innenhöfe möglich waren – eine standesgemäße Residenz für den Adel war damit ausgeschlossen. Dennoch galt der Platz als attraktive Adresse insbesondere für bürgerliche Steuerpächter, Finanziers und Hofbeamte, da er in der prestigeträchtigen Umgebung mehrerer adliger Hotels, des Louvre und des Palais Royal lag und die Präsenz an einem Königsplatz die besondere Loyalität des Anwohners ausdrückte (Cleary: 201; Gady

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2003: 69; Ebeling: 96, 100ff.). Die rasche Fertigstellung des Platzes erklärt sich auch aus dieser Attraktivität, denn die Grundstücke und Häuser wurden schnell zu Spekulationsobjekten, mit denen sich in kurzer Zeit hohe Gewinne erzielen ließen. Die Attraktivität des Platzes hatte aber noch einen weiteren Grund, der in der Fassadengestaltung Hardouin-Mansarts zu suchen ist. Wie an allen Königsplätzen fand auch hier eine einheitliche Formgebung als Ausdruck der königlichen Machtvollkommenheit statt: Auf einem bossierten Sockel mit Arkaden erheben sich zwei Etagen mit geschossübergreifenden ionischen Pilastern und ein Dachstuhl mit Lukarnen. Diese Formel galt zukünftig als Matrix für die königlichen Plätze in Frankreich. Doch die Unterschiede der Fassadengestaltung charakterisieren die unterschiedlichen Intentionen von Heinrich IV. und Ludwig XIV.: Zunächst fällt auf, dass die Arkaden bei Hardouin-Mansart – außer den Eingangspforten – geschlossen sind und lediglich Fensteröffnungen aufweisen. Denn anders als bei den Plätzen Heinrichs IV., wo die offenen Arkaden Handwerk und Handel als Arbeitsstätten signalisierten, ist diese ökonomische Intention bei der Place des Victoires völlig weggefallen – der Platz dient gehobenem bürgerlichem Wohnen, in erster Linie aber ist er würdiger Rahmen der königlichen Statue (Gady 2003: 83ff.). Abb. 109: Blick durch die Rue Percée auf das Hôtel de La Vrillière, rechts und links davon die nach dem Abriss des unfertigen Hôtel de La Feuillade aufgeführten Häuser nach den Planungen von J. Hardouin-Mansart

Quelle: Auszug aus: Jean Mariette, L’Architecture francaise...Paris 1723

Diese Intention wird durch zwei weitere Unterschiede unterstrichen: Waren die Fassadenflächen der Plätze Heinrichs IV. in einer Mischung aus behauenen Steinen und Ziegeln errichtet, so galt diese briques et pierres-Bauweise unter Ludwig XIV. nicht mehr als vornehm und absolut unangemessen für prestige-

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trächtige Gebäude – die Fassaden der Place des Victoires sind deshalb auch nur in Stein ausgeführt (Ballon 1991: 73). Am stärksten geprägt aber wird die Platzfassade durch die Kolossalordnung der Säulen, das heißt in diesem Falle die Pilaster mit ionischen Kapitellen, die sich über die beiden Etagen erstrecken. Sie rückt den Platz in die Nähe vornehmster Bauwerke, denn Säulen bzw. Pilaster – man denke nur an die zeitgleiche Kolossalordnung Claude Perraults an der Ostseite des Louvre – gelten seit ihrer Verwendung in der Antike als Sinnbild von tragender Kraft und von Macht. Die horizontalen Bauelemente des Gesimses und der umlaufenden Balkone zwischen Sockel und Etagen – eine Neuerung Hardouin-Mansarts, die allerdings auf den meisten zeitgenössischen Fassadendarstellungen nicht auftaucht – werden durch die vertikale Betonung der Pilaster ausbalanciert (Gady 2003: 89). Diese rhythmisieren die Fassade und lassen die Grenze zwischen den einzelnen Häusern verschwinden, denen dadurch jede Individualität genommen wird. Dieser Eindruck auf den Betrachter ist beabsichtigt, denn es geht darum, einen angemessenen Rahmen für das Monument des Königs zu schaffen, der als legibus absolutus in seiner singulären Position zu präsentieren ist und dem gegenüber der ihn umgebende Kreis der Untertanen nur in ihrer inferioren Gleichförmigkeit dargestellt werden kann. Dass ein solcher Gedanke architektonischen Ausdruck findet, entspricht durchaus barocken Vorstellungen sozialer Ordnung und findet in der zeitgenössischen Architekturtheorie, wie sie Jacques François Blondel oder Perrault vertreten haben, ihre Bestätigung: Sie greifen die antike Lehre der Säulenordnung auf, nach der die fünf verschiedenen Ordnungen bestimmten Funktionen und gesellschaftlichen Positionen zuzuordnen sind. An der Place des Victoires hat Hardouin-Mansart für die Gestaltung der Pilaster die ionische Säulenordnung verwendet. Sie nimmt eine Mittelstellung zwischen der niederrangigen dorischen und der höherrangigen korinthischen Ordnung ein und eignet sich deshalb für Bauvorhaben, „die zwar einer gehobenen Sphäre angehören, zu dieser jedoch in einem untergeordneten Verhältnis“ stehen (Hoppe: 163ff.). Genau diese Botschaft vermittelt die Fassadensprache des Ersten Architekten des Königs dem zeitgenössischen Betrachter: Der König ist umgeben von seinen Untertanen der „gehobenen Sphäre“, deren Häuser – und damit ihre Bewohner – durch die monumentale Säulenordnung ausgezeichnet werden. Da die Anwohner des Platzes vor allem dem aufstrebenden bürgerlichen Milieu als Steuerpächter, königliche Beamte und Finanziers entstammen, können sie ihren errungenen gesellschaftlichen Status an der Place des Victoires vor aller Welt demonstrieren, denn die Fassadengestaltung „ging weit über das hinaus, was der Anstand einer bürgerlichen Privatperson für sein Wohnhaus erlaubt hätte“ (Ebeling: 103). Mit der Kolossalordnung ist die Places

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des Victoires auch deutlich vornehmer als die bisherigen Plätze Heinrichs IV. (Ziskin 1999: 30). Dass die Fassadengestaltung für die Gesamtkonzeption des Platzes so wichtig war, zeigt sich auch noch an einem kleinen architektonischen Detail: Während die Platzfronten einheitlich nach dem Plan Hardouin-Mansarts ausgeführt sind, setzt sich diese Gestaltung nicht an den Längsseiten der Häuser fort, an denen die abgehenden Seitenstraßen beginnen. Für das königliche Monument war die makellose Kulisse der Fassaden zwingend, alles war auf die perfekte Inszenierung Ludwigs wie auf einer Bühne abgestellt (Gady 2003: 92; Ebeling: 105). 3.4.4 Straßen, Achsen und Perspektiven Ein runder Platz bietet sich als Knotenpunkt und Verteiler des Verkehrs an. Das war wie gezeigt allerdings nicht die Funktion, die der Place des Victoires zugedacht war, dennoch musste sie an das Straßennetz des neuen Quartiers angeschlossen werden. Auf welche Weise das geschah, verweist erneut auf die Intentionen der Platzgestaltung durch den Höfling und seinen König. Zur nordöstlichen Seite war die Anbindung einfach, weil hier die tangential den Platz berührenden Straßen, die Rue Vide-Gousset und die Rue du Petit Reposoir, verliefen. Zur gegenüberliegenden Seite in Richtung Südwesten, wo die Residenz de La Feuillades entstehen sollte, wurden auf königliche Anordnung hin zwei neue Straßen geschaffen, denen die bisherige Bebauung weichen musste. Dies geschah im Rahmen der umfassenden Abbrucharbeiten und Transaktionen von Grundstücken und Besitzrechten, die erst das Gelände für den Platz sicherten. Die beiden neuen Straßen, die Rue La Feuillade und die Rue d’Aubusson, stellten eine Verbindung zur wichtigsten Verkehrsachse des neuen Quartiers, der Rue Neuve-des-Petits-Champs oder Croix-des-Petits-Champs her (auf dem Plan Turgot: Rue de la Vrillière) (Lavedan: 218f.; de Boislisle: 48ff.; Cleary:113, 200). Zusammen mit der Rue des Fossés Montmartre (heute Rue d’Aboukir) gab es bis 1691 also fünf Zugänge zur Place des Victoires, doch für die Platzinszenierung waren nur drei von Bedeutung, denn die beiden tangentialen Straßen lenkten den Blick nicht auf das königliche Monument. Die verbleibenden drei Straßen verliefen hingegen strahlenförmig vom Platz weg und führten so den Blick des sich nähernden Betrachters zwangsläufig auf die zentrale Statue. Da diese drei Straßen in etwa das Kreisrund drittelten, sah jeder ankommende Besucher das Monument vor dem Hintergrund der gegenüberliegenden Fassade. Diese Konstruktion erzeugte damit den Eindruck eines geschlossenen Platzes.

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Nimmt man die Figur des gesalbten König igs im Krönungsornat, die Widmung Viro immortali und die vier Leuchten hinzu, u, die den Platz Tag und Nacht erhellen sollten, dann liegt die Assoziation einess geheiligten g Ortes nahe – einem ewig brennenden Licht begegnete man bisher nur ur am Altar. Für die zeitgenössischen Kritiker bedeutete dies reine Idolatrie. Wer er dieses Sanktuarium betrat, musste aufblicken zur Gestalt des Königs, denn er erhob sich auf einem sieben Meter hohen Sockel bis zu einer Gesamthöhe von n zwölf z Metern. Der begrenzte Radius des Platzes (ca. 40 Meter) verstärkte noch di diesen Zwang – die anderen Plätze in Paris mit einem Königsmonument, die Plac lace Royale und die Place Vendôme, sind größer, sodass die Proportionen hier eine inen flacheren Blickwinkel erlauben. Abb. 110: Ansicht von Nordwesten, die den Platz P in der Form nach Abriss des unfertigen Hôtel de La Feuillade mit der wied iedereröffneten Rue Percée (hier: Petite Rue de la Vrillière) zeigen

Quelle: Ausschnitt aus dem Plan Turgot, 1734; A Atlas des anciens plans de Paris, planche XXVII

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Die Statue Ludwigs XIV. war so ausgerichtet, dass sie auf die Residenz de La Feuillades blickte und nicht etwa auf eine der drei Zugangsstraßen: Der Herrscher und sein ergebener Höfling standen sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber wie im vertrauten Zwiegespräch – eine vom Herzog intendierte Privilegierung, die durch die in den Platz hineinragende Front des Hotels und das Eisengitter noch verstärkt wurde. Diese Huldigung an den Herzog tolerierte die Krone allerdings nach dem Tod de La Feuillades 1691 nicht länger, denn Gitter und vorgezogene Front verschwanden. Zudem zerschnitt die Rue Percée (heute Rue Catinat, auf dem Plan Turgot: Petite Rue de la Vrillière), die vor der Platzbebauung existiert hatte und nun wieder eröffnet wurde, das trapezförmige Grundstück der geplanten Höflingsresidenz. Die Blickrichtung des Königs war nun auf das am Ende der kurzen Rue Percée gelegene Hôtel Vrillière gerichtet – eine sehr begrenzte und daher kaum befriedigende Perspektive, da zwischen Statue und dem Hôtel kaum 100 Meter lagen! Dieser Makel – Ludwig XIV. liebte die raumgreifenden Achsen und Perspektiven – ist nur erklärlich durch die wechselhafte Geschichte der Platzgestaltung, denn an der Rue Croix-des-PetitsChamps ordnete die Krone bereits 1685 die Begradigung der Straße bzw. den Rückbau der Häuserfront an, um eine ungestörte Blickachse zwischen dem Louvre und dem Monument sicherzustellen (Gady 2003: 71; Ziegler 2010: 229 A. 363). Die visuelle Verbindung von traditioneller Herrscherresidenz und dem vornehmsten Platz monarchischer Huldigung suggeriert eine Verknüpfung der Dominanz Ludwigs XIV. über seine Hauptstadt mit der Ergebenheit seiner Untertanen – viele Jahre nach den Erfahrungen der Fronde. 3.4.5 Das Urteil der Zeitgenossen – symbolische Aufladung und Grenzen der Selbstdarstellung Anne Marguerite Petit Dunoyer (1663-1719), eine protestantische Journalistin, die nach der Aufhebung des Edikts von Nantes aus Frankreich fliehen musste, verglich in ihren 1707 erschienenen Lettres historiques et galantes (Lettre XXX) die ersten drei Bourbonenherrscher und ihre Statuen auf den Pariser Königsplätzen: Heinrich IV., sagt man, war der Vater seines Volkes, deshalb war er auf dem Pont Neuf platziert, Ludwig XIII. mitten auf der Place Royale, weil er den Adel liebte; und die Statue Ludwigs XIV. steht mitten auf der Place des Victoires, umgeben von den Häusern der Steuereintreiber [maltotiers], mit denen dieses Viertel angefüllt ist. (übers.: U.H.; zit. nach de Boislisle: 84f. A. 5).

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Ganz unrecht hat die Autorin mit ihrer sozialen Analyse der Quartiersbewohner um die Place des Victoires nicht, ihre Bemerkung zielt jedoch eher auf die weitverbreitete Unzufriedenheit in Frankreich wegen der drückenden Steuerlast. Vor allem aber setzt sie Ludwig XIV. herab, indem sie ihn in das Milieu der schlecht beleumundeten Steuereintreiber versetzt und auf diese Weise seiner gerade mit dieser Statue beabsichtigten Glorifizierung entkleidet. Die Place des Victoires – das sei hier in Erinnerung gerufen – war der erste Platz in Paris, der von vornherein und ausschließlich als Ort einer solchen Huldigung geplant war. Im Überschwang der Siegeslaune nach dem Frieden von Nimwegen, vorangetrieben von einem ehrgeizigen Höfling entstand ein Ensemble von ‚Platz und Monument’, dessen Botschaft die absolute Dominanz des französischen Königs als europäischer Kriegsherr, Friedensstifter und Verteidiger des christlichen Glaubens beinhaltete: Die Place des Victoires und das Königsstandbild sind damit Ausdruck des „universalistische(n) Programm(s)“ Ludwigs XIV. (Erben: 312). Dass diese Botschaft kein ungeteiltes Echo fand, zeigt Dunoyers herabsetzender Vergleich, der als Spottvers auch mit Bezug auf die Place Vendôme kursierte (de Boislisle: 170). Doch die Kritik nahm wesentlich schärfere Formen an und konzentrierte sich dabei im Wesentlichen auf das Königsmonument. Zu fragen ist deshalb, wie das Platzensemble auf die Zeitgenossen wirkte und warum es – jedenfalls partiell – offenbar das Gegenteil der intendierten Botschaften erzeugte. In einer Reihe von englischen und deutschen Reiseberichten der Zeit schilderten Besucher ihre Eindrücke vom Platz und vor allem vom Königsmonument (Ziegler 2010: 114f.). Dabei beeindruckte der als majestätisch empfundene Platz durch seine Kreisform und die einheitliche Fassadengestaltung, während das Monument einerseits als „herliche[s] Werck“ (L. Fr. Corfey, Reisetagebuch; zit. nach Ziegler 2010: 244 A. 578) von enormer Größe wahrgenommen wurde, andererseits aber aus verschiedenen Gründen Anlass zu kritischen Bemerkungen gab. Sie betrafen vor allem die Widmung Viro immortali, aber auch die angeketteten Sklaven oder Details wie die Vergoldung der Statue, die die Züge der Königsfigur verschwimmen ließen. Als kundiger Beobachter sei der Architekt und Architekturtheoretiker Leonhard Christoph Sturm zitiert, der die Eindrücke seines Parisaufenthalts im Jahre 1699 in seinen „Architectonische[n] ReiseAnmerkungen“ festgehalten hat: An diesem kleinen aber schönen Platz endiget sich die Gasse des petits gens, welchen der Duc de la Fevillade gantz neu gestifftet, um dem König eine Statue dahin zu setzen. Er ist fast rund, hält im Diameter bey dritthalb hundert Fuß, und ist um und um mit neuen Häusern von einerley Gestalt und Symmetrie, mit Ionischen Wand=Pfeilern gebauet, über Bogen mit Bossagen, eben wie neulichst auch die Place des Conquetes [Place Vendôme]

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gebauet worden, und stoßen fünff Gassen darauf. Mitten darauf stehet des Königs Statua, auf einem großen Postement von geäderten weißen Marmor, welcher auf einem Grund=Fuß von blaulechten Marmor stehet. Der König ist in Königlichen Habit, welcher in dem Schatz zu St. Denis aufgehoben wird, vorgestellet auf einem Cerberus trettend, mit dem Sieges=Bild, welches ihn zu krönen hinter ihm auf einer Kugel stehet. An dem Postament sind vier Bassi rilievi, und unten vier Sclaven von Metall auf dem Grund=Fuß, daran noch zwey Bas reliefs sind. Der vielen Inscriptionen zu schweigen, welche man alle bey Brice [zeitgenössischer Reiseführer], und auch in der Historie du Roy par Medailles lesen kann, welche zu verdrießlich hierher zu setzen, indeme sie mit allzustarcken Guasconnaden [Prahlereien] angefüllet sind, daß man sich wundern muß, wie ein so kluger König sie hat leyden könne, wann er anderst den Innhalt genau erfahren hat. Auf vier Ecken des Platzes sind Kuppeln von drey Dorischen Säulen aufgerichtet [...] oben stehet eine verguldete Laterne darauf. Welches einem bel esprit Anlaß gegeben sich darüber zu moquiren, daß man bey dem Apolline oder Sonnen, wie sie den König überall gebildet haben, Leuchten anzünden müsse. (Ziegler 2010: 244 A. 579).

Offenbar war der gut informierte Beobachter beeindruckt von der Schönheit des Platzes, die er auf dessen Form und Fassadengestaltung – mit Referenz auf die von Ludwig XIV. selbst veranlasste Place Vendôme – zurückführte, auch die Statue selbst und die Sklaven waren in seinen Augen angemessen. Störend, ja sogar lächerlich hingegen fand er die prahlerischen Inschriften und die Leuchten. Doch für den sorgfältigen Betrachter entfaltete sich gerade mit den zahlreichen Reliefs und Medaillons, die zum leichteren Verständnis meist mit Erläuterungen in französischer und lateinischer Sprache versehen waren, ein vollständiges Programm der Größe und Einmaligkeit des Königs. Detailliert konnte ein Besucher auf dem ‚Platz der Siege‘ die ruhmreichen Taten verfolgen, sah Ludwig stets im Mittelpunkt des Geschehens, sodass der Eindruck eines mutigen und einzigartigen Feldherrn entstehen konnte, der dank seiner militärischen Überlegenheit den Frieden brachte und als allerchristlichster König den rechten, d.h. katholischen Glauben verteidigte. Über den Reliefs, die gut erkennbar am sieben Meter hohen Piedestal angebracht waren, erhob sich die gewaltige, überlebensgroße Figur des Königs, sie wiederholte und überhöhte zugleich die bisherige Botschaft: Dargestellt im Krönungsornat, das ihn für den kundigen Besucher der säkularen Sphäre entrückte, war er zugleich – ausgezeichnet mit allen Kriegstrophäen, die unterworfenen Gegner als gefesselte Sklaven zu seinen Füßen – weltlicher Bezwinger seiner Feinde und Friedensstifter. Denn die über ihm schwebende Victoria bekränzte ihn mit dem Lorbeer und schwang in der anderen Hand den Palmzweig als Friedenssymbol. Welche Bedeutung diesem Aspekt zukam, konnte der Betrachter der an der privilegierten Frontseite des

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Piedestal angebrachten Bronzetafel entnehmen: Sie zeigte in allegorischer Manier den König als Friedensstifter Europas(vgl. Abb. 108). Abb. 111: Blick vom Hôtel de La Feuillade auf das Königsmonument; die Blöcke im Vordergrund markieren die gerade Platzfront des Hotels

Quelle: Nicolas Guérard. Place des Victoires, Stich aus Cl. Fr. Ménestrier, Histoire du Roy Louis le Grand, Paris 1689, Tafel 49)

Die vier ständig brennenden Leuchten rund um den Platz konnten den Besucher an das ewige Licht erinnern – so wie dieses auf die Hostie als Allerheiligstes verwies, zeigten jene auf das Königsmonument. Von welcher Seite ein Besucher auch den Platz betrat und die Statue betrachtete, immer stand sie vor der Folie der prachtvollen Fassade, die den gesamten Platz rahmte. Wie ein aufwändig gestalteter Schrein einen wertvollen Inhalt umfängt, so umgab die Platzfront mit der ionischen Säulenordnung die Königsstatue. Für den Betrachter, selbst wenn er kein architektonisch geschultes Auge besaß und die Statusaussage nicht erkannte, drängte sich der Eindruck auf: Hier war ein einheitlicher Gestaltungswille am Werk, der weit über den Bauauftrag eines einzelnen Hotels hinausging und eine Bühne für eine über den üblichen menschlichen Maßstäben stehende Person geschaffen hatte – eine Widmung dem unsterblichen Mann, Viro immortali. Ein Besucher konnte sich auf dem relativ engen und mit einer prachtvollen Fassade ausgestatteten Platzrund dem überwältigenden Eindruck kaum entziehen, den das hoch aufragende, zwölf Meter hohe Monument ausübte. Stand er am Platzrand, so überragte das Haupt des Königs an jeder Stelle die umschließenden Platzfronten (Hesse: 93; Brinckmann: 104f.).

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Doch diese ehrfurchtsgebietende, fast sakrale Atmosphäre, die sich dem Besucher aufdrängen mochte, teilte sich keineswegs allen Zeitgenossen mit. Im Gegenteil: Die propagandistische Inszenierung Ludwigs XIV. rief vor allem seit den späten achtziger Jahren, als absolutistische Huldigung und raue Wirklichkeit immer stärker auseinanderklafften, wachsende Kritik hervor und sie entzündete sich in besonderem Maße an dem Königsmonument auf der Place des Victoires. Es bot ganz offensichtlich hinreichend Ansatzpunkte, um den Nöten der von Kriegsleiden, wiederholten Hungerjahren, einer rigorosen Religionspolitik und den despotischen Zügen des Regimes geplagten Nation Ausdruck zu verleihen. Die Statue gehörte deshalb „zu den am meisten diskutierten und attackierten Personaldenkmälern der Frühen Neuzeit“. Die Kritik ging sogar so weit, dass satirische Plakate an der Statue angebracht wurden – ein Grund für das von de La Feuillade installierte Gitter und die Bewachung (Burke: 163ff.; Ziegler 2010: 75f.; Ziskin 1992: 102 A. 50). Der hugenottische Theologe und Publizist Pierre Jurieu (1637-1713) schrieb – um ein repräsentatives Beispiel zu zitieren – in einem Pamphlet (La religion des jesuites) aus dem Jahre 1689: Die Statue der Place des Victoires, auf dessen Sockel man eingraviert hat Viro immortali, dem unsterblichen Mann, und zu dessen Füßen alle Nationen der Welt angekettet sind, ist ein weiteres Objekt, das Europa ins Auge gefallen ist [...] Aber die Huldigungen, die dieser Statue von der Stadt Paris erwiesen worden sind, das Fest, die Verneigungen oder vielmehr die Anbetungen, die Leuchten und die brennenden Lichter sind den feinfühligen Gewissen als reinster Götzendienst erschienen. Und schließlich erschien die Selbstgefälligkeit, die der König diesem Kult entgegenbrachte, denjenigen abartig, die wissen, dass die Könige vor Gott Schatten und Bilder sind, weniger als Schatten, sie sind wahre Nichts [...] (übers.: U. H.; zit. nach Ziegler 2010: 97).

Damit waren die Kernpunkte der Kritik benannt, die sogar in Kreisen des Hofes in abgemilderter Form geäußert wurden, vor allem aber bei Protestanten im Exil immer wieder auftauchten: Die Sockelinschrift, die als heidnische Götzenverehrung empfundenen Einweihungsfeierlichkeiten und die Darstellung Ludwigs erschienen als Idolatrie eines gänzlich seiner Eigenliebe erlegenen Monarchen, die angeketteten Sklaven waren vor allem in den Augen auswärtiger Gesandter eine Beleidigung, die sogar zu diplomatischen Verwicklungen führte. Mit satirischen Flugblättern, Spottliedern und -gedichten gelangte die Kritik bis in breite Bevölkerungsschichten, für die das Königsmonument zum Sinnbild der Missachtung ihrer Nöte und Sorgen wurde: So zeigte ein Flugblatt statt der vier angeketteten Sklaven einen von vier Mätressen in Ketten geschlagenen Monarchen.

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Der massiven Kritik an der Herrschaft und Person Ludwigs XIV., die sich an der Ausgestaltung des Königsmonuments auf der Place des Victoires festmachte, begegnete die Krone auf sehr unterschiedliche Weise: Der Drucker des Flugblattes und sein Lehrling wurden 1694 auf der Place de Grève gehenkt, alle Flugblätter von der Zensurbehörde vernichtet. Auf der anderen Seite gab die Krone den diplomatischen Protesten Schwedens und Kurbrandenburgs statt, indem sie eines der am stärksten kritisierten Reliefs durch eine zweite Fassung ersetzte und damit die beanstandeten Verletzungen des Hofzeremoniells bereinigte. Diese uns heute fast unverständlichen Vorschriften der Rangordnung – es ging um die Kopfbedeckung in Anwesenheit des französischen Königs – gehörten zum eisernen Bestand barocker Etikette und waren deshalb für die Zeitgenossen von eminenter Bedeutung. Zugleich ist diese Berücksichtigung der Kritik ein erstes Anzeichen dafür, dass die Grenzen monarchischer Repräsentation auch von Ludwig XIV. wahrgenommen wurden. Nach den Erfahrungen mit der Place des Victoires lässt sich ein „Paradigmenwechsel“ (Ziegler 2010: 120) beobachten, die Krone agierte zurückhaltender, die aggressiv-auftrumpfende Attitude wich einer moderateren Form der Repräsentation. Bei der Ausgestaltung der wenig später geschaffenen Place Vendôme kontrollierte der König selbst die Inschriftentexte.

3.5 P LACE V ENDÔME –

VOM W ANDEL DES MONARCHISCHEN S ELBSTVERSTÄNDNISSES

Am 29. Juli 1698 berichtete die Marquise de Maintenon in einem Brief an den ihr vertrauten Louis Antoine de Noailles, den Erzbischof von Paris, von der Sitzung des königlichen Rats am Vortage (übers.: U.H.; zit. nach de Boislisle: 132): [...] M. de Pontchartrain [Generalkontrolleur der Finanzen] schlug dem König gestern vor alle Gebäude an diesem Platz des Hôtel de Vendôme niederzureißen und davon einen anderen zu bauen, für den Mansart [Erster Architekt des Königs] den Plan erstellen würde. Der König antwortete, dass M. de Louvois [Staatssekretär für das Kriegswesen] den Platz fast gegen seinen Willen hätte errichten lassen; dass alle seine Herren Minister etwas bauen wollten, das ihnen hinkünftig Ehre einbringen würde; dass sie Mittel gefunden hätten, ihn in der Öffentlichkeit darzustellen als jemand, der alle diese Eitelkeiten liebte; dass ich [Maintenon] Zeuge des Kummers gewesen sei, den ihm M. de Louvois und M. de La Feuillade [die Initiatoren der Place Vendôme und der Place des Victoires] bereitet hätten in dieser Sache; dass er nicht dorthin zurückfallen würde und dass er nicht wollte,

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dass man ihm Derartiges vorschlage. Ich gestehe ihnen, dass ich ihn für diese Antwort lobte [...]

Erstaunt reibt man sich die Augen über diesen Bericht, gilt Ludwig XIV. doch als nicht zu übertreffendes Beispiel pompöser Selbstdarstellung und absolutistischer Prachtentfaltung. Dass dieses Bild für die zweite Hälfte der Herrschaft des Monarchen mit Abstrichen gezeichnet werden muss, hat vielerlei Ursachen: Die verlustreichen Kriege, die katastrophale Finanzlage, die umstrittene Aufhebung des Edikts von Nantes mit dem massenhaften Exodus der Protestanten, mehrere Missernten und Hungersnöte, gefolgt von inneren Unruhen – all das ließ die Kritik an seiner Politik anwachsen, trübte in den Augen der Zeitgenossen das glanzvolle Bild seiner Herrschaft und blieb nicht ohne Auswirkung auf den König selbst. Ein sehr persönliches Element kommt hinzu: Die Briefschreiberin Madame de Maintenon, die letzte Maitresse Ludwigs XIV. und nach dem Tod der Königin seit 1683 heimlich mit ihm in morganatischer Ehe verbunden, war bis zum Lebensende des Monarchen seine vertraute Beraterin in allen Fragen des Regierungshandelns. Ihr Einfluss auf die Entscheidungen des Königs wird allerdings sehr unterschiedlich beurteilt, doch darf man davon ausgehen, dass ihre strenge Religiosität – neben den genannten Ereignissen – den alternden König dazu brachte, die triumphale Haltung und exzessive Selbstdarstellung seiner früheren Jahre kritischer zu sehen (Petitfils: 315ff.). Selbst wenn man in dem Brief die Sichtweise der Verfasserin gespiegelt sehen mag und die veränderte Einstellung Ludwigs als Produkt einer gezielten Propaganda im Gewand eines religiös verbrämten Bescheidenheitstopos’ interpretieren kann, gibt es doch genügend Zeugnisse darüber, dass sich die Haltung des Königs – und damit auch die Stimmung am Hof – tatsächlich gewandelt hatte. So schreibt der schwedische Gesandte und Architekt Daniel Cronström 1698 in einem Brief (übers.: U. H.; zit. nach Ziskin 1992: 68), dass der Geist der Lobpreisungen – und man kann sagen der Lobhudeleien – , der in diesem Königreich herrschte, sich nicht nur vermindert, sondern gänzlich verwandelt hat von Weiß zu Schwarz [...] Wenn man könnte, würde man gerne alle errichteten Monumente niederreißen und die Huldigungen tilgen, die im Leben des Königs geschrieben wurden[...]

Was Cronström beobachtete, findet seinen konkreten Niederschlag in der Stimmung und den Entscheidungen des königlichen Rats, wie ihn Madame de Maintenon geschildert hat: Die anfänglich Place de Nos Conquêtes genannte Place Vendôme sollte nach den ursprünglichen Plänen alle bisherigen Königsplätze in

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Paris übertrumpfen. Im Gegensatz zur Place des Victoires, die zeitgleich (1685) geplant wurde, war dies ein königliches Unternehmen, d. h. der König selbst finanzierte das Vorhaben und nicht die königliche Finanzverwaltung. 1698/99 dann der totale Bruch: Der König wollte diesen Platz, dessen Namensgebung in so scharfem Kontrast zur realen politischen und militärischen Lage stand, um jeden Preis loswerden. Er verkaufte das Gelände an die Stadt, die bereits errichtete Fassadenfront samt Triumphbogen wurde niedergerissen, obwohl in deren Mittelpunkt kurz zuvor das größte Reiterstandbild des Monarchen eingeweiht worden war! Abb. 112: Grundriss des 1.(= Place de Nos Conquêtes) und des 2. Platzes (Place Louis-le-Grand/Place Vendôme)

Quelle: BN. Va 234 I A 27186

In der Regie eines Finanzkonsortiums und mit Billigung Ludwigs XIV. entstand dann nach den Plänen Hardouin-Mansarts um das königliche Monument herum ein zweiter, kleinerer Platz, dessen oktogonale Form bis heute erhalten ist. Die Geschichte der Place Vendôme, zwischenzeitlich auch Place Louis-le-Grand, ist damit auch eine Geschichte des gewandelten Selbstverständnisses des Monarchen, sie belegt „a profound shift in monarchical purpose“ (Ziskin 1994: 147).

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Im Folgenden soll deshalb vor der Folie des ersten, ursprünglichen Platzkonzepts der Place de Nos Conquêtes dieser Wandel untersucht werden, denn er verspricht Auskunft darüber zu geben, wie sich die Repräsentationsformen – und damit auch die intendierten Botschaften – veränderten, in denen sich Ludwig XIV. in seiner Hauptstadt dargestellt sehen wollte, und welche Kräfte diese Veränderungen beeinflussten und vorantrieben. 3.5.1 Der erste Platz: Place de Nos Conquêtes (1685-1699) 3.5.1.1 Funktion und ursprüngliche Platzkonzeption Nach dem Tod Colberts 1683 übernahm sein Rivale Louvois als Kriegsminister auch das Amt des surintendant des bâtiments.In dieser Funktion suchte er seinen Vorgänger rasch mit neuen und spektakulären Bauvorhaben zu übertreffen (Ziskin 1992: 2ff., 57ff.; de Boislisle: 94ff.). Da der Ausbau von Versailles im Wesentlichen abgeschlossen war, richtete sich sein Augenmerk auf die Ausgestaltung der Hauptstadt. Deshalb schlug er zusammen mit dem Ersten königlichen Architekten Hardouin-Mansart dem Monarchen einen einzigartigen Königsplatz vor, dessen Größe und würdige Ausgestaltung alle bisherigen – und besonders die zeitgleich entstehende Place des Victoires – in den Schatten stellte sollte. Die Namensgebung Place de Nos Conquêtes verwies einmal mehr auf den militärischen Triumph Ludwigs XIV., der sich in diesen Jahren auf dem Höhepunkt seiner Macht befand. „Pace data aedificat aedif[icia] regia“ lautete die Umschrift auf einer der Medaillen, die die königliche Münze 1679 nach dem Frieden von Nimwegen herausgegeben hatte. Die Minister und der König hatten sich in ihrem bereits von Colbert verfolgten Bestreben, Paris zum neuen Rom auszubauen, offenbar von den Ideen des antiken Architekturtheoretiker Vitruv anregen lassen. Erst sechs Jahre zuvor war eine französische Übersetzung dieses für die Baumeister der Renaissance und des Barock maßgeblichen Autors mit einer Widmung an den König erschienen. Bei Vitruv konnte man nachlesen, dass er – nach der inneren und äußeren Sicherung des Römischen Reiches durch Augustus – dem Imperator vorschlug, durch monumentale Bauwerke sein Ansehen zu erhöhen. Ludwig XIV. verstand sich in der Nachfolge des römischen Herrschers und hatte bereits eine Reihe von Baumaßnahmen – wie das Hôtel des Invalides – zur prachtvollen Verschönerung seiner Hauptstadt angeordnet. Im Vorschlag seiner Minister sah er nun, da eine Reihe von Friedensjahren ins Land gezogen waren, eine willkommene Gelegenheit für ein Bauwerk, das seine glorreiche und segensreiche Herrschaft in der Hauptstadt würdigte (Huber: 73, 135).

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Abb. 113: Der offene und öffentliche 1. Platz: eine Bühne, in dessen Mitte die Königsstatue platziert ist, umrahmt von Kulissen, deren Abriss bereits begonnen hat, im Hintergrund die Fassade der Kapuzinerkirche

Quelle: Pierre Aveline, ca. 1699, BN. Va 234 A 27353

Über die Hervorhebung des militärischen Triumphs hinaus verbanden die beiden Initiatoren noch weitere Intentionen mit dem neuen Platz – Intentionen, bei denen sich die persönlichen Ambitionen der Minister mit der Eitelkeit des Monarchen trafen und die mit einem ganzes Bündel von Botschaften verbunden waren. So sollten an dem Platz die verschiedenen vom König ins Leben gerufenen Akademien, die königliche Bibliothek und die Münze für die Medaillenherstellung angesiedelt werden. Diese Einrichtungen, mit denen sich der Monarch als Förderer der Künste und Wissenschaften darstellte, dienten ganz wesentlich der Produktion seines Ruhms; der Platz wäre damit zu einem kulturellen Zentrum der Monarchie und zugleich zum Mittelpunkt der königlichen Propaganda geworden. Darüber hinaus war an dem Platz eine Residenz für hohe ausländische Gesandtschaften geplant. Das feierliche Empfangszeremoniell solcher Würdenträger begann traditionell vor der im Osten der Stadt gelegenen Porte St. Antoine durch die Honoratioren der Hauptstadt, die dann die Besucher quer durch Paris zu einem Quartier nahe des Palais Luxembourg geleiteten. Jetzt sollten die Gesandten westwärts über die Place Royale, vorbei am Louvre und der Place des Victoires entlang der neuen Verbindungsstraße (Rue Neuve des Petits Champs) zur Place de Nos Conquêtes gelangen. Den hochgestellten Besuchern wäre also

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auf diesem Weg die prachtvolle Ausge sgestaltung der Hauptstadt durch das noch junge Königsgeschlecht der Bourbonen en und zugleich deren dynastische Legitimität vor Augen geführt worden: Auf der vom Dynastiegründer Heinrich IV. errichteten Place Royale mit dem Stand ndbild seines Sohnes Ludwigs XIII. vorbei an der jüngst entstandenen monumenta talen Ostfassade des Louvre und dem Reitermonument Ludwigs XIV. auf der Place Pl des Victoires. In der Residenz angelangt hätte es während des traditionelle llen dreitägigen Aufenthalts genügend Gelegenheit gegeben die geplante riesig ige Reiterstatue des Monarchen und die prachtvollen Gebäude der königlichen n Bibliothek B und der Akademien zu bewundern. Erst dann hätte als Höhepunkt des de Besuchs die Audienz bei Ludwig XIV. in Versailles stattgefunden. Auf dies iese Weise wäre trotz der symbolischen Machtverschiebung von Paris nach Versailles, Vers wo Ludwig XIV. seit 1682 dauerhaft residierte, die Bedeutung der Metr etropole als repräsentativer Bestandteil des königlichen Zeremoniells unterstriche hen worden: Die Prozession durch die Hauptstadt und das Quartier an dem prachtvollen pr Platz – alles war darauf abgestellt, den Besuchern die triumphale Beedeutung des Sonnenkönigs vor Augen zu führen (Cleary: 203; Ziskin 1992: 20ff., f., 59ff.).

Abb. 114: Der hier eingetragene 1. Plat latz lag am Westrand der Stadt (1), geöffnet zur Hauptverkehrsachse auf dem Weg nach n Versailles; die ehemalige Stadtmauer ist bereits zum Baum bestan andenen Boulevard umfunktioniert, nördlich des Platzes beginnt in östlicher er Richtung die direkte Verbindungstraße zur Place des Victoires (2)

Quelle: Ausschnitt aus De Fer, Plan von Paris P (1690) Atlas des anciens plans de Paris, planche XXII

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Auch dieser Platz lag – wie alle Königsplätze – wiederum am Rand der Stadt; erst ab 1633 war das Viertel St. Honoré, in dem sich auch eine Reihe von Konventen befanden, in den von Richelieu erweiterten Mauerring einbezogen worden. Die Lage nördlich der Tuileriengärten und am Westrand der Stadt war mit Bedacht gewählt, wie die Einbeziehung in das Empfangszeremoniell für ausländische Botschaften bereits gezeigt hat: Von hier aus konnten die Gesandtschaften durch die Porte St. Honoré auf der Hauptausfallstraße nach Westen die Stadt verlassen und gelangten so nach Versailles. Aber die Platzwahl lag durchaus auch im persönlichen Interesse von Louvois und Hardouin-Mansart. So besaß Louvois eine eigene Residenz an der Verbindungsstraße zwischen den beiden Königsplätzen und der Erste Architekt des Königs hatte hier mehrere Grundstücke erworben, die sich als Spekulationsobjekte in dem aufstrebenden Viertel anboten (de Boislisle: 95ff.; Ziskin 1992: 19, 86) Bereits Colbert hatte in der durch Italien beeinflussten Tradition der Königsmonumente auf der Place Royale und auf dem Pont Neuf eine Reiterstatue Ludwigs XIV. geplant. Diese Idee griffen jetzt Louvois und Hardouin-Mansart mit der Planung des neuen Platzes umso lieber auf, als sie die zustimmende Reaktion des Königs auf das Projekt de La Feuillades bemerkten. Ihr Plan besaß allerdings eine neue, gesteigerte Dimension. Mit Billigung des Königs beauftragten sie 1685 den Bildhauer François Girardon mit der Herstellung einer Bronzestatue, die die größte bisher gegossene Reiterfigur werden sollte – passend zur exzeptionellen Größe des Platzes. Dieses Monument war zugleich Anlass für ein weiteres Projekt, das sich auf das gesamte französische Königreich erstreckte: Aus allen Provinzen trafen in der Folgezeit insgesamt 15 Gesuche ein, ebenfalls eine Statue zu Ehren Ludwigs XIV. errichten zu können (Ziskin 1992: 6; Huber: 73ff.; Ziegler 2002: 36ff.;). Dieses so genannte Statuenprogramm entsprang allerdings nicht dem spontanen Wunsch lokaler bzw. regionaler Honoratioren, sondern beruhte auf einer gelenkten Aktion, an der vermutlich Louvois und de La Feuillade beteiligt waren. Die Bedeutung bestand darin, dass hier vor allem die neuen und Grenzprovinzen auftauchten und so das einigende und festigende Band des siegreichen Monarchen in Erscheinung trat. So wie die Grenzbefestigungen Vaubans den Schutz und die Sicherheit der Untertanen militärisch garantierten, geschah dies symbolisch durch die permanente Präsenz des Monarchen. Im Zentrum diese Netzwerks – und damit den Zentralismus der königlichen Herrschaft betonend – stand die Hauptstadt mit der Place de Nos Conquêtes, die die militärischen, religiösen und kulturellen Eroberungen des Monarchen feiern sollte. Schließlich noch eine weitere Funktion, die der Platz erfüllen sollte: Die gigantische Statue war so in der Mitte des Platzes positioniert, dass der geplante

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Triumphbogen als Hintergrund erschien: Ludwig – so suggerierte dieses Arrangement wie es auch die zeitgenössischen Stiche zeigen – hatte nach der Niederschlagung der Fronde zunächst 1652 und dann 1660 mit wesentlich größerem Pomp in einem der Stadt oktroierten Akt seinen feierlichen Einzug in seine Metropole gehalten, aber nicht wie bei dem traditionellen Entrée royale deren Privilegien erneuert, sondern die Unterwerfung von Paris gefeiert (Möseneder: 33ff.). Nun hatte der Monarch seiner Hauptstadt den Rücken gekehrt, seine dauerhafte Residenz nach Versailles verlegt – feierliche Entrées fanden nicht mehr statt, aber der Einzug des Monarchen und seine Herrschaft über die Metropole waren in der materialisierten Form präsent und erinnerten an die Dominanz des Königs (Ziskin 1992: 57, 67). 3.5.1.2 Baugeschichte des ursprünglichen Platzes Der König stimmte diesem ambitionierten Plan zu und in einem ersten Schritt ließ er 1685 das notwendige Gelände ankaufen, auf dem das Hôtel de Vendôme und ein Kapuzinerinnenkloster standen; beide Gebäudekomplexe wurden abgerissen, das Kloster nördlich des künftigen Platzes neu errichtet. Es ist bezeichnend für die Bedeutung, die der König dem Unternehmen beimaß, dass die Place de Nos Conquêtes als einziger der bisherigen Königsplätze auf Kosten des Königs errichtet wurde: Grundstückserwerb, Verlegung und Neubau des Klosters, Errichtung der Platzfassaden und die Herstellung der Reiterstatue sollten aus der königlichen Schatulle finanziert werden. Eine lang gehegte Reserve, gar Ablehnung der Pläne Louvois’, wie sie Madame de Maintenon in ihrem zitierten Brief suggeriert, ist aus den Entscheidungen zu diesem Zeitpunkt nicht abzulesen – im Gegenteil: Ludwig XIV. trieb durch sein finanzielles Engagement und Besuche auf der Baustelle die Pläne seiner ehrgeizigen Baumeister voran. Doch schon im nächsten Jahr (1686) zeigte sich die angespannte finanzielle Lage der Monarchie, denn der König veräußerte alle Grundstücke am Platz außer denjenigen, die für die königlichen Einrichtungen und die Bibliothek vorgesehen waren. Die Finanzierung Ludwigs XIV. für die restlichen Bauvorhaben blieb jedoch bestehen und im Januar 1687 zeigte sich der König bei einem Besuch im Atelier von Girardon sehr zufrieden über ein Modell der geplanten Statue. Der Neubau des Klosters schritt rasch voran und war 1688 vollendet, zwei Jahre später stand auch die von Hardouin-Mansart entworfene Fassade. Wie der Stich von Aveline (vgl. Abb. 113) gut erkennen lässt, wirkte sie wie eine instabile Theaterkulisse, da die rückwärtig geplanten, nun von privaten Finanziers verantworteten Gebäude noch nicht errichtet waren. Der schwedischer Architekt Nicodème Tessin wunderte sich deshalb bei seinem Parisbesuch im Jahre 1687 auch darüber, dass diese gerade begonnene Fassa-

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denkonstruktion ohne Stützbauten aufrecht stand. Wie auf dem Stich von Aveline gleichfalls zu erkennen ist, wurde der Platz auf drei Seiten von den gleichmäßigen Fassaden umschlossen, die mit fünf Achsen rechts und links in die rue St. Honoré verlängert waren. Der Platz öffnete sich also auf der vierten Seite nach Süden und war so architektonisch wie visuell eng verzahnt mit der Hauptdurchgangsstraße, auf der sich die Gesandtschaften nähern sollten. Mitten auf dem Platz sahen die Besucher die (allerdings erst 1699 aufgestellte) Reiterstatue. Doch die hochfliegenden Pläne stockten im Sommer 1691 abrupt, als der entscheidende Initiator Louvois plötzlich verstarb. Bis 1699 fanden kaum weitere Bauarbeiten am Platz statt, Gerüchte über einen kompletten Abriss und eine Überbauung mit drei Straßenzügen tauchten auf. Die reservierte Haltung des Königs und der ehrgeizige Drang des neuen Ministers Pontchartrain, wie sie Madame de Maintenon in ihrem Brief geschildert hatte, standen offenbar gegeneinander, führten allerdings 1699 zu einer eleganten Auflösung des Konflikts: Abb. 115: Die Place de Nos Conquêtes und das nördlich wieder errichtete Kapuzinerinnenkloster

Quelle: Dolot

Der König verkaufte alle Rechte am Platz an die Stadt, die wiederum in einem Vertrag sechs finanzkräftigen Unternehmern die Neugestaltung übertrug, für die Hardouin-Mansart wiederum einen Entwurf vorlegte. So erstaunlich in diesem

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Zusammenhang die Einweihung der Reiterstatue im August desselben Jahres erscheinen mag, so plausibel wird dieser Akt, wenn man die spekulativen Interessen der neuen Finanziers berücksichtigt. Sie drängten auf die Aufstellung des seit sieben Jahren fertigen königlichen Monuments, da sie sich davon eine Aufwertung ihrer neu erworbenen Parzellen versprachen. So blickte der König von seinem hohen Piedestal in den folgenden Jahren zunächst auf den Abriss der alten Fassade und sah dann den neugestalteten Platz heranwachsen (de Boislisle: 107ff.; Cleary: 203f.; Sarmant: 58ff.). 3.5.1.3 Atmosphärische Qualitäten und symbolische Wirkung der Place de Nos Conquêtes Nach der Schilderung der Intentionen und Funktionen, die die Krone und die Platzinitiatoren mit der Place de Nos Conquêtes verbanden, ist zu fragen wie die damit intendierten Botschaften in räumlichen und architektonischen Arrangements umgesetzt wurden, so dass ein Besucher sie zu ‚lesen’ vermochte. Dabei taucht natürlich das Problem auf, dass eine Rekonstruktion der ersten Platzanlage gänzlich auf die überlieferten Entwürfe, Ansichten und Beschreibungen angewiesen ist, denn die existierende heutige Anlage, also der zweite Platz, entstand erst im neuen Jahrhundert. Hinzu kommt, dass die hochfliegenden Baupläne nur zu einem Teil realisiert worden sind, denn weder die königlichen Akademien noch der Bibliothekskomplex wurden gebaut, die Fassade völlig abgerissen. Die vorhandenen Quellen erlauben jedoch eine recht genaue Rekonstruktion, wenn sie auch in manchen Details ungenau und widersprüchlich bleiben. Schon die äußeren Maße der Place de Nos Conquêtes verwiesen auf ihre Funktion als Ort hervorgehobener Repräsentation. Die schiere Größe (ca. 168 x ca. 152 Meter), die alle anderen Plätze in Paris übertrumpfte, schlug seine Besucher in Bann. Trat er aus der vergleichsweise engen Rue St. Honoré kommend auf den Platz, so bot sich ihm ein überwältigender Eindruck: Die geschlossene und einheitliche Fassadenfront bildete den Hintergrund für das bisher größte gegossene Reiterstandbild, das sich auf einem Sockel von fast 10 Metern Höhe mit einer Gesamthöhe von 16,5 Metern erhob. Das ausschreitende Pferd, die herrschaftliche Geste der Rechten, die mit lässiger Geste gehaltenen Zügel, die fehlenden Steigbügel, vor allem aber die römische Militärkleidung Ludwigs XIV. zeigten dem kundigen Betrachter, dass hier auf ein großes imperiales Vorbild Bezug genommen worden war, auf die Reiterstatue des Marc Aurel auf dem römischen Kapitol (Erben: 130). Der einzige zeitgenössische Bezug der Figur bestand in der Perücke, die der König trug. Dieser – wie es uns heute erscheinen mag –Anachronismus störte offenbar das zeitgenössische Publikum wenig, denn er tauchte auch auf anderen Darstellungen des Monarchen auf, lediglich der

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englische Reisende Martin Lister, zeigte sic sich schockiert. Bereits Colbert hatte Paris zu einem neuen Rom umgestalten wollen, wol sein Nachfolger Louvois folgte ihm darin auf dem neuen Platz mit dem gleichen gle Legitimationsmuster: So wie die römischen Kaiser in zahllosen Siegen da d s Imperium romanum geschaffen und ihre Metropole als Zentrum der Welt ausgestaltet au hatten, so errang Ludwig XIV. als siegreicher Herrscher Frankreichs die d Vormachtstellung im christlichen Europa, zu dessen Hauptstadt er Paris ausg sgestaltete (de Boislisle: 124; Cleary: 204; Huber: 112ff.; Ziskin 1992: 6, 57f.) Abb. 116: Einweihungszeremoniell vom 13.. August A 1699: Die Proportionen von gigantischer Reiterstatue und Personen entsp tsprechen ungefähr der Realität; im e Triumphbogen, die Hintergrund der mit einen Dreiecksgiebel versehen ver Fassaden bilden eine Kulisse ohne rückwärtig rtige Gebäude

Quelle: Anonymer Stich, BN. Est. RESERVE FOL OL-QB_ 201, 73

Zu dieser ‚römischen’ Traditionspflege gehö hörten noch zwei weitere Platzarrangements – der auf der Nordseite gelegene Triu Tr mphbogen und die Dachkonstruktion. Die architektonische Verehrungsform des d Triumphbogens für Ludwig XIV. findet sich noch an verschiedenen anderen Orten Or der Hauptstadt, beispielsweise an den neu errichteten Boulevards als zerem emonielle Stadttore. Im antiken Rom wurden diese Bauwerke zum triumphalen Empfang Em des siegreich heimkehrenden Kaisers errichtet, in dieser Tradition sollten n sie auch das neue Rom schmücken und von militärischem Glanz des siegreichen en Monarchen künden. Auf der Place de Nos Conquêtes verknüpft sich mit dies iesem Bauwerk noch eine besondere

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Botschaft, die bereits angesprochen worden ist: In der Perspektive des Betrachters von der Rue St. Honoré ist Ludwig XIV. gerade durch den Triumphbogen geritten, der nahe des damaligen Stadtrands lag – eine Anspielung auf das traditionelles Zeremoniell des feierliche Einzugs des Monarchen in seine Hauptstadt (Entrée solonnelle). Die Kolossalstatue symbolisiert nun die permanente Dominanz des Herrschers über seine einst rebellische Metropole, das ehemals größte städtische Zeremoniell war in einen Dauerzustand überführt worden. Abb. 117: Entwurf des Triumphbogens – Angleichung an die Gestaltung der Südfassade des Louvre

Quelle: BN: Est. Va 234

Für die Ausgestaltung des Triumphbogens hatte Hardouin-Mansart verschiedene Entwürfe geliefert, schließlich wurde aber nicht eine Nachahmung des Titusbogens in Rom verwirklicht, sondern eine Form, die über dem Bogen ein dreieckiges Giebelfeld zeigte. Damit schwächte er zwar den imperialen Gehalt des Bauwerks ab, lehnte sich aber an die neugestaltete Ost- und Südfassade des Louvre an. Dort war der leicht vorgezogene zentrale Pavillon auch von einem Giebeldreieck gekrönt. Der Bezug von königlichem Platz und königlicher Residenz war somit jedem sichtbar. Auch die Dachkonstruktion stellte eine Verbindung zum Louvre, aber auch zum Schloss von Versailles her: Die traditionellen, dem Klima angepassten steilen Dachkonstruktionen bzw. Mansardendächer der bisherigen Königsplätze sollten an der Place de Nos Conquêtes dem römischen Flachdach mit umlaufen-

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dem Schmuckgesims weichen. Diese Neuerung entsprach den Vorstellungen Ludwigs XIV., wie er sie in den beiden Schlössern hatte umsetzen lassen, um seinen Ansprüchen einer imperialen Stellung Ausdruck zu verleihen. HardouinMansart, der ursprünglich – wegen der Parallelität zur Place des Victoires – für eine steile Dachkonstruktion plädiert hatte, fügte sich dem königlichen Wunsch. Besucher, insbesondere die ausländischen Gesandten, wären mit solchen architektonischen Elementen auf die symbolische Erhöhung ihrer zeitweiligen Residenz verwiesen und auf die Audienz in Versailles eingestimmt worden. Für die Pariser Stadtbevölkerung – soweit sie solche baulichen Hinweise zu lesen verstand – wäre dies einmal mehr ein Zeugnis des hohen Geltungsbedürfnisses ihres Herrschers geworden. Die schon von Colbert angestrebte Ausgestaltung der Metropole als neues Rom, der königliche Anspruch als neuer Augustus mit den imperialen Vorbildern gleichzuziehen – hier hätten sie räumliche Gestalt annehmen können, wenn es zur Fertigstellung des ursprünglichen Platzes gekommen wäre. Die Place de Nos Conquêtes wurde durch die Platzierung der Reiterstatue und die genannten Elemente zum ‚römischsten‘ Königsplatz in Paris und unterstrich damit am nachdrücklichsten den imperialen Anspruch Ludwigs XIV. Es war deshalb auch kein Zufall, wenn die kulturelle Elite der Hauptstadt den Vergleich mit dem ebenfalls auf drei Seiten von Gebäuden eingerahmten Kapitolplatz zog (Ziskin 1992: 57ff.; 105; Ziskin 1994: 152ff.). Die gigantische Reiterstatue bildete den Mittelpunkt des Platzes, bereits ihre schiere Größe bewirkte, dass sie unwillkürlich die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich zog. Diese Wirkung wurde noch durch die einheitliche, kontinuierlich gestaltete Fassade unterstrichen, schließlich war der Platz als Huldigung an den triumphierenden Herrscher geplant. Deshalb war die Statue auch genau auf der Hauptachse der Anlage platziert, einer Bedeutungsachse, die hinter dem König durch den Triumphbogen hindurch bis zur Fassade der neu errichteten Kirche des Kapuzinerinnenklosters verlief und vor dem Reiter auf das Kloster der Feuillants führte. So stand der Monarch in der Fluchtlinie zweier kirchlicher Einrichtungen, sie stellte die symbolische Verbindung zwischen dem allerchristlichsten König und seiner Kirche her. „Nos Conquêtes“, wie es im Namen des Platzes heißt, schlossen eben den Schutz des Christentums und die Verteidigung des katholischen Glaubens ein – im selben Jahr, als die Bauarbeiten an dem neuen Platz begannen, wurde das Edikt von Nantes aufgehoben (Ziskin 1992: 30f.). Und wenn die geplanten Akademien, die Bibliothek und die Münze tatsächlich am Platz angesiedelt worden wären, dann hätte „Nos Conquêtes“ noch einen weiteren Aspekt umfasst: Ludwig wäre nicht nur als Garant militärischer und christlicher Eroberungen aufgetreten, sondern hätte zugleich als Mäzen der

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Künste und Förderer der Wissenschaften den kulturellen Vorrang Frankreichs symbolisiert. Abb. 118: Fassadenentwurf für die Place de Nos Conquêtes: ionische Kollossalordnung, offene Arkaden als Durchgang zu den königlichen Einrichtungen; hinter dem breiten Dachgesims war ein Flachdach geplant

Quelle: Nationalmuseum Stockholm

Der Fassadenentwurf stammte wie der von der Place des Victoires ebenfalls von Hardouin-Mansart. Er ähnelte diesem in der Formensprache, denn die beiden Plätze waren vom Ersten Architekten des Königs als Pendants gedacht, als Stationen auf dem neu zu belebenden Empfangszeremoniell für ausländische Würdenträger. So bildete die bossierte Sockelzone wiederum eine durchlaufende Arkadenreihe, allerdings mit dem Unterschied, dass hier der Bogengang entsprechend dem öffentlichen Charakter des Platzes offen blieb und so den Zugang zu den einzelnen königlichen Einrichtungen ermöglicht hätte. Darüber erhoben sich zwei Etagen, deren Fensterreihen wiederum durch eine ionische Kolossalordnung verbunden waren – mit diesem Fassadenelement wurde also auch an diesem Platz signalisiert, dass es sich um herausgehobene Bauwerke handelte (Ziskin 1992: 28f). Eine Dachkonstruktion ist auf dem ersten Platz nie ausgeführt worden, da die hinter den Fassaden geplanten Gebäude nicht mehr errichtet wurden. Die Fassade der Place de Nos Conquêtes wirkte allerdings wesentlich mächtiger als an der Places des Victoires, da sie den Platz – nur durch den Triumphbogen unterbrochen – auf drei Seiten ohne jede Unterbrechung in völliger Gleichförmigkeit umgab. Diese strenge Kontinuität ließ nicht erkennen, wo die

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einzelnen geplanten königlichen Einrichtungen begannen bzw. endeten. Mit dieser Einheitlichkeit erzielte die Architektur einen besonderen Effekt, der noch stärker wirkte als an der Place des Victoires: Die Fassade besaß vorrangig den Charakter einer Kulisse für die zentrale Figur des Monarchen – symbolisch gesprochen: Vor der herausgehobenen Gestalt des Monarchen war seine Umgebung unterschiedslos und gleichförmig, ihre wesentlich Funktion bestand in der Beförderung seines Ruhms – eine Funktion, der die geplanten königlichen Einrichtungen gedient hätten. Hesse hat dieses Arrangement als Abbild des absolutistischen Staates gesehen (Hesse: 95). Der auf drei Seiten geschlossene Platz besaß die Form eines leicht ausgebildeten Rechtecks, eine Form, die sich im Gegensatz zum eher statisch wirkenden Quadrat durch die Andeutung einer Richtung, einer unmerklichen Sogwirkung auszeichnet. Sie orientiert hier auf die zentralen Elemente des Platzes, das Reiterstandbild und den Triumphbogen. Sie wurden wie auf einer Bühne präsentiert, denn die kontinuierliche Fassadenfront wirkte wie eine Kulisse, ein Eindruck, den auch der Stich von Aveline vermittelt: Die Zuschauer befanden sich an der offenen vierten Seite, am Zugang von der Rue St. Honoré, die Darbietung spielte sich auf dem Platz selbst ab. Dass Königsplätze „natürlich für Schauspiele geschaffen [wurden]“ (Huber: 326) war für die Zeitgenossen selbstverständlich. In diesem Sinne war der Platz auch konzipiert als Ort eines der prächtigsten barocken Zeremoniells, des Empfangszeremoniells für hochgestellte ausländische Gesandtschaften, die hier vor dem Besuch in Versailles in der für sie eigens geplanten Residenz verweilten. Das geplante Zeremoniell, aber auch die vorgesehenen königlichen Einrichtungen machten deutlich, dass dieser Platz vorranging einen öffentlichen Charakter besaß und als Bühne angesehen wurde. Die gesamte Anlage erinnert an die von Serlio „Tragische Bühne“ genannte Platzgestaltung (vgl. Abb. 7) – die für den hohen Adel und den König adäquate Gestaltung durch prachtvolle Gebäude einschließlich Triumphbogen. Die Stadt selbst wird auf ihren öffentlichen Plätzen zur Bühne (vgl. Kap. 1.2). Wie dieser erste, nie vollendete Platz auf die zeitgenössischen Betrachter wirkte, kann man in der von Germaine Brice verfassten Beschreibung von Paris nachlesen: Die Place de Nos Conquêtes sei „der größte und allerprächtigste Platz in Europa“ gewesen, dessen Abriss nur Bedauern hervorgerufen habe: Man kann den edlen und prächtigen Entwurf des Marquis de Louvois nicht genügend preisen [...], der der Nachwelt eine großartige Idee der Herrlichkeit und des vorzüglichen Geschmacks unseres Jahrhunderts gegeben hätte. Aber diese großartigen und prächtigen Projekte, so nützlich für die Öffentlichkeit, sind gänzlich aufgegeben worden zur großen Verwunderung aller. (übers.: U.H.; zit. nach Ziskin 1992: 105f.)

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3.5.2 Der zweite Platz: Place Louis-le-Grand/Place Vendôme (1699-1720) Pontchartrain, wichtigster Minister Ludwigs XIV. gegen Ende des 17. Jahrhunderts und Hardouin-Mansart, der Erste Architekt des Königs, hatten ganz offensichtlich andere Pläne mit der unfertigen Place de Nos Conquêtes als ihr Monarch. Ihre nicht ganz uneigennützige Initiative – beide hatten Grundbesitz im Viertel, beider Ansehen und Stellung hing von ihren politischen Erfolgen ab – führte dazu, dass an der Stelle des bisherigen ein neuer, zweiter Platz entstand. Schon einige Monate vor dem anfangs zitierten königlichen Rat hatte die Krone beschlossen, den gesamten Platz an private Investoren zu veräußern, doch die Angebote blieben weit hinter den Erwartungen der königlichen Verwaltung zurück, denn sie lagen niedriger als die Summe, die allein der Ankauf des alten Hôtel de Vendôme gekostet hatte, ganz zu schweigen von den bisher aufgewendeten Baukosten von über 2 Millionen livres. Finanziell war das königliche Unternehmen für den ersten und bisher einzig vom Monarchen selbst finanzierten Königsplatz also ein deutliches Verlustgeschäft, das Ludwig XIV. unter den gegebenen Rahmenbedingungen möglichst rasch abwickeln wollte. Nimmt man die geschilderte allgemeine Stimmung hinzu, die durch den verlustreichen Frieden von Rijswijk (1697) weiter eingetrübt wurde, dann bot das von Pontchartrain ersonnene und im Kronrat unterbreitete Arrangement eine alle Seiten befriedigende Lösung: Im April 1699 überließ der König den gesamten Platz der Stadt Paris, die sich verpflichtete die alte Fassade abzureißen, einen neuen Platz zu errichten und außerdem eine Kaserne zu bauen für die Musketiere, eine in der Stadt stationierte Militäreinheit. Sie hatte bisher durch ihre Einquartierung bei der Pariser Bevölkerung für Unmut gesorgt. Das Desaster des ersten Platzes verwandelte sich so für den König in eine großzügige Geste an seine Stadt, bei der er obendrein eine Kaserne gewann und sich das Recht vorbehielt, die Platzgestaltung zu bestimmen (de Boislisle: 134ff.; Ziskin 1992: 72ff.). In den Formen des barocken Zeremoniells dankte der Bürgermeister der Stadt dem Monarchen bei einem Besuch in Versailles: Sire, wir kommen mit den Gefühlen einer tiefen Dankbarkeit Eurer Majestät zu danken für die Gnade, die Sie uns gewähren wollen, auf Kosten Ihrer eigenen Interessen, einen öffentlichen Platz zu bewahren, der einer der hauptsächlichen Schmuckstücke Eures Königreichs werden wird [...] Wir werden all unsere Sorgfalt darauf verwenden diesen Platz nach Euren Absichten zu gestalten und werden mit Eifer an der Vollendung dieses Werks arbeiten. Aber, Sire, der Platz kann nicht vollkommen sein ohne die erhabene [auguste]

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Gegenwart Eurer Majestät. Erlaubt daher, dass unsere Hände in Übereinstimmung mit unseren Herzen eine Statue errichten. (übers.: U.H.; zit. nach de Boislisle: 140)

Auf diese Bitte eine Statue des Monarchen errichten zu dürfen, antwortete Ludwig XIV. zunächst abweisend mit den bekannten Bescheidenheitsformeln, um dann doch der Stadt die Errichtung anheimzustellen. Abgesehen von der Tatsache, dass es seit der Gegenreformation zur Demuts-Praxis christlicher Herrscher gehörte sich öffentlichen Denkmalsehrungen gegenüber zu sträuben, zeigt diese Szene die ganze Ambivalenz der königlichen Haltung gegen Ende des Jahrhunderts: Die absolutistische Prachtentfaltung eines dem Monarchen geweihten Platzes samt Statue bleibt trotz aller Bescheidenheitstopoi Bestandteil der königlichen Repräsentation (Ziegler 2010: 122). Und konsequenterweise lautet der Name des neuen Platzes Place Louis-le-Grand, was dann später zu Place Vendôme wurde. Abb. 119: Die geschlossene Form des neuen Platzes wirkt wie ein Schrein für die Reiterstatue, auch auf dem in den 1730er Jahren entstanden Stadtplan von Turgot sind noch viele Baulücken zu erkennen

Quelle: Atlas des anciens plans de Paris, planche XXVII

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3.5.2.1 Baugeschichte des zweiten Platzes Mit dem Anfang April 1699 geschlossenen Vertrag zwischen dem König und der Stadt Paris war der Startschuss für den neuen, zweiten Platz gefallen. Jetzt ging es Schlag auf Schlag: Hardouin-Mansart hatte im selben Monat einen Plan für einen verkleinerten Platz in oktogonaler Form vorgelegt. Die Verkleinerung um ca. 20 Meter in der Länge und ca. 15 Meter in der Breite (auf 146 x 136 Meter) vergrößerte die zur Verfügung stehenden Grundflächen der Parzellen und machte sie für eine großzügigere Bebauung attraktiv, die Kosten der Stadt für die von ihr zu finanzierende Pflasterung sanken dagegen (Gady 2010: 524). Die Stadt veräußerte bereits im Mai das gesamte Areal an ein Finanzkonsortium mit der Auflage, die alte, nun nicht mehr passende Fassade abzureißen und eine neue auf ihre Kosten zu errichten. Die sechs Finanziers, darunter ein Rechtsanwalt und ein Architekt, hofften durch den Verkauf des parzellierten Platzareals ihren Einsatz gewinnbringend angelegt zu haben. Deshalb drangen sie auch darauf, dass die bereits seit mehreren Jahren fertiggestellte Reiterstatue möglichst rasch als prestigeförderndes Element auf dem Platz installiert wurde – dies geschah mit großem Pomp, ähnlich wie bei der Place des Victoires, im August desselben Jahres. Einen Monat später begann der Abriss der bisherigen Fassade und bereits im Sommer 1702 stand die neue nach dem Entwurf von Hardouin-Mansart. So rasch auf Drängen der Finanziers die neue Platzfront errichtet worden war, umso schleppender gestaltete sich dagegen der Verkauf der dahinter liegenden Grundstücke. Während 1702 bereits vier Gebäude standen, waren 1715 von den 28 Parzellen am Platz erst 17 bebaut. Zwischenzeitlich war man in der Not dazu übergegangen auch kleinere Parzellen zu verkaufen. Erst der schottische Spekulant und Bankier John Law kaufte die restlichen Grundstücke auf, verlor sie allerdings 1720 beim Zusammenbruch seines Finanzsystems wiederum. Die Ursache des zögerlichen Verkaufs hing mit der Tatsache zusammen, dass der Platz zu einem Spekulationsobjekt der Pariser Finanziers geworden war. Mit dem Ausbruch des Spanischen Erbfolgekriegs 1702 investierten sie in wesentlich lukrativere Kriegsanleihen und zogen ihr Geld aus Grundstücksgeschäften ab. Der neue Platz wurde deshalb erst in den zwanziger Jahren fertiggestellt, als Immobilien und Grundstücke für Spekulanten wieder attraktiver waren und der Platz für Finanziers erneut zur begehrten Adresse aufstieg. (Cleary: 203, 206; Gady 2002: 76 ff., Pénicaut: 70ff., Ziskin 1992: 87ff., 118ff., 213f.).

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Abb. 120: Die oktogonale Place Louis-le-Grand von der Rue St. Honoré gesehen: Die rasch errichteten Fassaden umgeben die Statue wie einen Schrein (écrin), auf den dahinterliegenden Parzellen entstanden meist erst später die dazugehörigen Gebäude

Quelle: Stich von Perelle; BN. Est. Va 234

3.5.2.2 Platzkonzeption und Funktion Der Entwurf Hardouin-Mansarts für den neuen Platz geht von einer veränderten Konzeption aus: Die Place de Nos Conquêtes war ein offener, nur auf drei Seiten von einer Fassade eingefasster Platz, der gleichsam eine Bühne für das Empfangszeremoniell ausländischer Würdenträger bilden und mehrere königliche Einrichtungen beherbergen sollte. Im Gegensatz zu diesem öffentlichen Ort erschien der Entwurf für die Place Louis-le-Grand, die heutige Place Vendôme, mit ihrer auf allen vier Seiten durchgehenden Fassadenfront wie ein geschlossener, repräsentativer Residenzplatz, der nach Norden und Süden lediglich je einen verhältnismäßig schmalen Zugang besaß. Der Triumphbogen war ersatzlos gestrichen. Die abgeschlossen, fast introvertierte Form wurde noch betont durch die abgeschrägten Ecken, die dem Platz insgesamt die heute noch bestehende oktogonale Form geben. Noch stärker als die Place des Victoires mit ihren verschiedenen Zugängen wurde der neue Platz damit zu einer Hülle, zu einem Schrein für die nach wie vor im Zentrum platzierte Königsstatue. Anders als bei dem ersten Platz war die einheitliche Fassadenfront aufgelockert durch sechs

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leicht vorgezogene Pavillons, von denen vier die abgeschrägten Ecken formten und zwei größere jeweils in der Mitte der beiden Längsseiten platziert waren. Mit diesen Pavillons oder Risaliten, die von dreieckigen Giebelfeldern gekrönt wurden, besaß der Platz eine dezidiert aristokratische Anmutung, denn sie suggerierten großzügige Residenzen hinter den Fassaden. Hardouin-Mansart zielte mit diesem Konzept auf eine soziale Schicht, für die repräsentative Wohnstätten als Ausweis ihres gesellschaftlichen Status zwingend war und die sich in der Lage sah, solche Anlagen auch zu finanzieren, da die Unterstützung durch den König entfallen war. Diese Schicht der Finanziers, die ihr Vermögen durch Ämterkauf in der Finanzverwaltung, Finanzgeschäfte und Spekulationen erworben hatte, dadurch oft in den Amtsadel aufgestiegen war, siedelte sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts und dann wieder im Laufe des 18. Jahrhunderts vorzugsweise im Bereich zwischen der Place des Victoires und dem entstehenden Viertel um den neuen Platz an, denn hier befanden sich auch Residenzen wichtiger Minister und königliche Verwaltungseinrichtungen. Die Place Louis-leGrand besaß – ähnlich wie die Place des Victoires – durch die Königsstatue eine besondere Attraktivität für die Finanziers, war doch die Nähe zur Krone Voraussetzung ihres finanziellen Erfolgs. Dagegen zogen es die Mitglieder des Schwertadels und der Magistrate vor – nach den schweren Auseinandersetzungen während der Fronde – nicht im Angesicht des Königs zu residieren. Damit wurde auch der vierte Königsplatz in Paris von bürgerlichen Investoren bzw. Mitgliedern des Amtsadels finanziert. Die Place Louis-le-Grand war also einerseits – schon durch ihren Namen – als Ort der königlichen Huldigung konzipiert, andererseits aber geplant mit Rücksicht auf die erwartete und erhoffte finanzstarke Klientel. Diese Ambivalenz in Konzeption und Funktion schlug sich auch in einer Reihe von Architekturelementen nieder, wie sie die eindeutige Zuordnung des ersten Platzes als öffentlicher Zeremonienplatz nicht kannte. So war die Fassade über den umlaufenden Arkaden wiederum von einer die beiden Etagen übergreifenden Kolossalordnung geprägt, doch die Pilaster endeten nicht in ionischen Kapitellen wie am ersten Platz, sondern in korinthischen. Diese Kapitelform galt in der zeitgenössischen Architekturtheorie als die vornehmste, vor allem königlichen Bauten vorbehaltene Säulenform, sie war deshalb an der neuen Front des Louvre und in Versailles anzutreffen. An der Place Louis-le-Grand bildete sie nun in der Fassade den königlichen Rahmen für die Huldigung des zentral errichteten Reitermonuments. Weitere Elemente kommen hinzu, die den Platz in seiner Bedeutung als Königsplatz herausstreichen: Die Balkongitter der ersten Etage waren in den Königsfarben blau-gold gestrichen und jeweils verziert mit einem Sonnenemblem, dem Symbol Ludwigs XIV. Darüber hinaus schmückten die Giebelfelder

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der sechs Pavillons die französischen Wappen mit drei Lilien in ihrer Mitte und einer Krone darüber, die auf dem Platz installierten Laternen zierten ebenfalls die königlichen Insignien einschließlich der Krone und des Buchstabens ‚L’. Abb. 121: Pavillon/Risalit auf der Mitte der Längsseite: Die korinthische Kolossalordnung, die Giebelfelder mit den Königsinsignien und den armes de France zeigen die architektonische Nähe zum Louvre, das Mansardendach verweist auf den Wohncharakter des Platzes

Quelle: Nationalmuseum Stockholm THC 2683

Dagegen stand die Dachkonstruktion als auffälligster Indikator für die Wohnfunktion des Platzes: Anders als bei dem ersten Platzprojekt, wo auf ausdrücklichen Wunsch des Königs ein Flachdach mit römischer und damit imperialer Anmutung geplant war, ließ Hardouin-Mansart an der Place Louis-le-Grand ein steiles Mansardendach errichten, das zwar Dachfenster, aber keine Balustrade aufwies. Diese Konstruktion, die der Architekt auch an der Place des Victoires realisiert hatte, brachte ihm prompt die Kritik J.-F. Blondels ein, der sie hier wie dort als unangemessen für einen Königsplatz ansah. Da die künftigen Platzbewohner für ihren Anteil an der Fassadenkonstruktion aufkommen mussten, hatte Hardouin-Mansart Rücksicht auf sie genommen: So war die Fassadengestaltung insgesamt schlichter gehalten und an den Pavillons hatte er auf Säulenvorhallen verzichtet, die die begrenzten Grundstücke verkleinert und die Lichtverhältnisse in den Räumen des Erdgeschosses verschlechtert hätten. Auch die offenen Arkaden waren verschwunden. Sie hatten am ersten Platz den öffentlichen Charakter mit dem geplanten freien Zugang zu den königlichen Einrichtungen betont. Jetzt waren die Arkadenbögen geschlossen und vergrößerten damit den Bereich priva-

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ter Nutzung. So attraktiv die Häuser an der Place Louis-le-Grand für die Finanziers auch waren, so stellten sie doch einen Kompromiss dar: Die Fassaden, vor allem die Pavillons, die königlichen Insignien samt Reiterstatue ließen Assoziationen aristokratischer Residenzen aufkommen, wie es das Prestigebedürfnis der Finanziers anstrebte. Die durch die Platzanlage beschränkten Wohnflächen der Häuser selbst waren jedoch keineswegs von aristokratischem, sondern eher von großbürgerlichem Zuschnitt, zumal hier Haus an Haus stand: Anders als die separaten adligen Hotels, deren Wohnbereich durch einen Hof vom öffentlichen Raum getrennt war, lebten die Finanziers direkt am Platz, Raum für standesgemäße Stallungen und Remisen gab es kaum. Dieser Kompromiss wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass die Fassade ‚log’, weil nämlich die aristokratisch wirkenden Pavillons keineswegs der dahinter liegenden Aufteilung entsprachen, d.h. manche Häuser waren schmaler als eine Pavillonbreite. Trotz dieser Beschränkungen zogen die Finanziers an den neuen Platz, weil – ähnlich wie an der Place des Victoires – die prestigeträchtige Fassade ihren sozialen Status übertraf und der Königsplatz als repräsentative Adresse galt (Gady 2002: 80ff., Ziskin 1992: 92, 89ff., 109ff.,147ff.). 3.5.2.3 Achsen, Perspektiven und urbanistische Einpassung Durch die beiden relativ schmalen Zugänge war der neue Platz nicht mehr integriert in das urbane Kommunikationsnetz. Die beiden nach Norden bzw. Süden gerichteten Straßen verbanden den Platz mit den wichtigen Ost-WestVerkehrsadern, sodass er leicht erreichbar blieb, aber den Charakter eines ruhigen Wohnplatzes mit königlichem Flair bewahrte. Die Place Vendôme ähnelte damit der Place Royale, die gleichfalls einen nach außen abgeschlossenen Ort bildete. Doch das Gesamtarrangement der Achsen und Bezugslinien lässt charakteristische Unterschiede erkennen. Am Platz Heinrichs IV. wird die Hauptachse durch die gegenüberliegenden königlichen Pavillons markiert, die zugleich die zurückhaltende Anwesenheit des Königs symbolisieren. Auf dem Platz Ludwigs XIV. wird die Hauptachse zwar auch durch die gegenüberliegenden Zugänge bestimmt, aber in der Mitte dieser Nord-Süd-Achse steht die Reiterstatue des Monarchen. Diese Zentralität wird durch weitere Achsen noch erhöht, die sich genau am Standort der Statue schneiden Denn die sechs aus der Fassadenfront herausgehobenen Pavillons bilden optische Fixpunkte für die Orientierung auf dem Platz. So stellen die beiden Pavillons an den Längsseiten des Platzes eine Gegenachse in westöstlicher Richtung dar und die vier Pavillons an den abgeschrägten Ecken bilden ein sich kreuzendes diagonales Achsenpaar. Auf diese Weise wird die in ihrer Monumentalität bereits überragende Reiterstatue nochmals hervorgehoben.

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Nimmt man zu dieser zentralen Positionierung noch die zahlreichen, über den Platz verteilten königlichen Insignien hinzu, dann wird das gewandelte Selbstverständnis zwischen Heinrich IV. und Ludwig XIV. deutlich. Von einer neuen Bescheidenheit des Monarchen, wie sie Madame de Maintenon berichtete, ist hier wenig zu merken. Abb. 122: Grundriss des 2. Platzes: Die Reiterstatue ist im Schnittpunkt von Haupt-, Gegen- und Diagonalachsen positioniert, die Klöster der Kapuzinerinnen und der Feuillants sind optisch und symbolisch mit dem König verbunden

Quelle: Dolot

Die Hauptachse auf der Place Vendôme eröffnet die Perspektive auf die Klöster der Kapuzinerinnen im Norden und der Feuillants im Süden. Diese symbolische Verbindung mit dem Monarchen als Beschützer der Religion bestand schon in der Konstruktion des ersten Platzes. Doch jetzt wurde sie zum Kritikpunkt: Der

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Geograph und königliche Historiograph Piganiol de la Force (1673-1753) beklagte, dass die beiden Zugangsstraßen zu eng seien und dass sie keinerlei Perspektive zuließen, sondern von den Klosterportalen begrenzt seien, sodass der gesamte Platz „eher das Bild eines riesigen Klosters abgebe als das eines königlichen Platzes, dessen Erhabenheit von Weitem durch schöne Alleen angekündigt werden sollten.“ (übers.: U.H.; zit. nach de Boislisle: 163). Diese Perspektive bietet das Platzensemble in der Tat nicht und die Kritik scheint eher an den weitläufigen Gartenanlagen von Versailles oder auch an den neuen Boulevards orientiert zu sein (Ziskin 1992: 89ff.). 3.5.2.4 Nachleben und heutige Funktion Nach dem Zusammenbruch des Finanzsystem John Laws, der zeitweise massive Unruhen auf dem Platz zeitigte, wurde die Place Vendôme im 18. Jahrhundert ein bevorzugter Wohnort der Finanziers und Steuerpächter, die die Ruhe und das repräsentative Ambiente suchten. Einmal im Jahr, Anfang September, belebte sich der Platz allerdings, wenn die Stände und Buden des St. Ovide-Markt aufgeschlagen wurden. Die prachtvollen Fassaden und das dominante Königsmonument boten auch den angemessenen Rahmen für die Feierlichkeiten anlässlich verschiedenen königlicher Hochzeiten. (Cleary: 208). Seit der Französischen Revolution erfuhr der Platz eine ganze Kette von Veränderungen, die den Rhythmus des politischen Wandels widerspiegeln. Während der Revolution wurde 1792 das bronzene Reiterstandbild Ludwigs XIV. wie alle Königsstatuen zerstört und eingeschmolzen, der Platz hieß nach der revolutionären Sektion Place des Piques. Unter Napoleon erhielt der Platz dann endgültig seinen heutigen Namen. Der Kaiser nahm die imperiale und militärische Tradition der herrschaftlichen Huldigung der Place de Nos Conquêtes wieder auf, indem er zwischen 1806 und 1810 nach dem Vorbild der Säulen für Trajan und Marc Aurel in Rom eine 44 Meter hohe Triumphsäule, die Colonne de la Grande Armée errichten ließ. Sie war umkleidet mit einem aufsteigenden Band von Bronzereliefs, die Szenen aus den siegreichen Schlachten des Kaisers darstellten und aus erbeuteten russischen und österreichischen Kanonen hergestellt waren. Am Fuß der Säule befand sich eine Widmungstafel, die Napoleon als Imperator Augustus titulierte, auf ihrer Spitze stand eine römisch gewandete Statue des Kaisers. Doch sie verschwand 1814 mit dem Sturz Napoleons, um in der Restauration der Juli-Monarchie unter dem „Bürgerkönig“ Louis-Philippe 1833 in bescheidener Form – Napoleon als „petit Corporal“ – wieder aufzutauchen. Napoleon III., bedacht auf populistische Absicherung seines prekären Herrschaftssystem, ließ 1863 den kleinen Korporal wiederum durch einen römischen Imperator ersetzten.

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Die Kommunarden – man fühlt sich an die Kritik der Reiterstatue auf der Place des Victoires erinnert – sahen in der Säule Sä ein Monument der Barbarei, ein Symbol brutaler Gewalt und eine Beleidigu igung der Besiegten: Sie stürzten die Säule im Mai 1871, doch bereits zwei Jahre re später wurde sie erneut errichtet – mit dem römisch gewandeten Napoleon auff der Spitze. Seither ist es ruhiger um den Platz geworden, nicht mehr wohlhabend nde Finanziers dominieren ihn, luxuriöse Schmuck- und Uhrengeschäfte und ein n prestigeträchtiges p Hotel beherrschen jetzt das Bild. Die Fassaden des Platzes habe ben – außer den in den Arkaden eingerichteten Geschäften – die politischen Wand ndlungen praktisch unverändert überstanden, sodass der ursprüngliche Eindruck ck rekonstruierbar bleibt. Allerdings sind im Zuge der Umgestaltung von Paris durch du Haussmann die beiden Zugänge durch Abbruch der beiden Klosteranlagen en mit gradlinigen Straßenschneisen verbunden worden, sodass man sagen könnt nte, die Kritik mangelnder Perspektiven von Piganiol de la Force hat ihre späte Umsetzung Um erfahren (Dolot: 4ff.). Abb. 123: Die Colonne de la Grande Armée. e. Nach der Zerstörung durch die Kommune 1871 wurde sie rasch wieder aufgerichtet. ge Darstellung von 1887

Quelle: BN. Est. RESERVE-QB-370,60-FT 4

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3.5.2.5 Atmosphärische Wirkung, symbolische Aufladung und Rezeption Wie es wichtig ist für das Volk [public] nur von einem einzigen regiert zu werden, so ist es auch wichtig, dass derjenige, der diese Funktion inne hat, derart über die anderen erhoben ist, dass es keinen gibt, der mit ihm verwechselt oder verglichen werden kann.

Dieser Satz stammt aus den Mémoires Ludwigs XIV., einer von ihm verfassten Schrift mit Ratschlägen für den Kronprinzen zum rechten Regierungshandeln (übers.: U.H.; zit. nach Huber: 333). Sie ist damit zugleich ein Zeugnis des Selbstverständnisses des Monarchen von seinem Amt und seiner Stellung als absolutistischer Herrscher. Betrachtet man die Place Louis-le-Grand im Lichte dieses Satzes, dann erscheint er wie eine Anweisung zur Ausgestaltung des Platzes: In seiner Mitte erhob sich der fast zehn Meter hohe Sockel, auf dem der überlebensgroße Reiter stand – zusammen erreichten sie eine Höhe von 16,5 Metern. Diese megalomanischen Ausmaße lassen sich auf den Stichen nachvollziehen, die anlässlich der Einweihung der Statue am 13. August 1699 gefertigt wurden (vgl. Abb. 116). Neben weiteren fällt ein Stich auf, der eindeutig den neuen Platz wiedergibt, da im Hintergrund des Reiters das Giebeldreieck des längsseitigen Mittelrisalits und die vollendete Dachkonstruktion zu erkennen sind (vgl. Abb. 123). Die Menschen, die die Statue zeremoniell umrunden, erscheinen wie Zwerge angesichts des übergroßen Monuments. Gegenüber dem Monarchen – das war die eindeutige Botschaft – waren sie ‚inferiores’, mit dem einzigartigen Herrscher weder zu verwechseln noch zu vergleichen. Die im Wortsinn abgehobene Position suggeriert eine klare Hierarchie, die die Ordnung des absolutistischen Staates spiegelt: Der Monarch steht unerreichbar über seinem Volk, das ihm ergeben und unterworfen ist. Die Legitimation dieser Ordnung entsprang nach den Theoretikern des Absolutismus nicht etwa irdischem Machtstreben, sondern war im Weltenplan Gottes begründet: Für den Bischof und Hofprediger Jaques Bénigne Bossuet (1627-1704) war die irdische Macht direkt von Gott auf die Monarchen übertragen: „Es ist Gott, der die Könige erschafft und der die Königshäuser einrichtet.“ (zit. nach Huber: 353) Das sichtbare Zeichen des von Gott ausgezeichneten französischen Königs findet sich im Krönungszeremoniell, in dem er mit dem heiligen Öl gesalbt wurde, und in der ihm zugesprochenen Fähigkeit durch die Berührung Skrofulöser diese zu heilen – eine Praxis, die Ludwig XIV. schätzungsweise an mindestens 350.000 Menschen vollzog (Burke: 189). Im Kosmos solcher zeitgenössischen Vorstellungen waren Anspruch und Selbstverständnis Ludwigs XIV. trotz vereinzelter Kritik durchaus akzeptiert. In dem Reiterstandbild und dem Platz sahen damalige Be-

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trachter deshalb aller Wahrscheinlichkeit nach na auch die angemessene Form, in die die Huldigung ihres Herrschers gekleide det war – selbst wenn sie eine propagandistische Überhöhung konstatierten (Hube ber: 331ff.)

Abb. 124: Das Reiterstandbild vor dem Hinte ntergrund des 2. Platzes

Quelle: Stich von Pierre Lepautre, BN. Est. RESE ERVE FOL-QB-201, 73

Im Gegensatz zur Place des Victoires ersc rschien der Monarch auf dem neuen Königsplatz als Reiter im römischen Ornat – auch dies eine Erhöhung Ludwigs XIV. Denn damit knüpfte er, wie bereits gez ezeigt, an sein imperiales Vorbild an. Diese Darstellung des Herrschers steht in der de Tradition des Marc Aurel und der damit verbundenen Metaphorik von Reiten und u Regieren. So wie der Reiter sein Pferd zügelt und lenkt, so beherrscht der reitende re König sein Reich und seine Untertanen. Die mühelose Zügelung mit nur ur einer, der linken Hand verweist auf die souveräne Staatsführung des Monarchen, n, der das wilde Staatswesen (Fronde, Aufstände) im Zaume hält: Er sitzt fest im Sattel. S Auch diese Symbolik dürften die Zeitgenossen verstanden haben, war doc och bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts eine öffentliche Reiterdarstellung den n Königen K vorbehalten (Huber: 48ff.). Allerdings bot die herrscherliche Geste derr Rechten, R die sich ebenso beim römischen Vorbild findet, Anlass zu beißenderr Kritik, K wie sie sich in einem SpottEpigramm der Zeit findet:

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Du siehst dies Bildnis! Weist du, was es bedeutet? Ludwig, mit seinem deutenden Finger zeigt auf die Kapuziner des großen Klosters. Bürger, sagt er, durch ihre Armut haben diese guten Väter Eintritt in den Himmel gewonnen, damit ihr solche Gnade erreicht, wünschte ich euch auf ihren Stand zu mindern. (übers.: U.H.; zit. nach Ziskin 1992: 104, A. 55)

Diese Kritik desavouiert nicht nur die in der königlichen Propaganda stets betonte Schutzherrschaft des allerchristlichsten Königs für die Religion, sondern spielt auch auf die repressiven politischen und fiskalischen Tendenzen des absolutistischen Herrschaftssystems an. Waren an der Reiterstatue, deren Aufstellung 1699 der König nur zögerlich zugestimmt hatte, keinerlei Abstriche an der triumphalen Selbstdarstellung des Monarchen zu erkennen, so geschah dies deutlich an den Inschriften, die an den vier Seiten des Sockels angebracht wurden. Ludwig XIV. selbst beauftragte Pontchartrain seine Wünsche an die Akademie der Inschriften weiterzuleiten: „Der König wünscht nichts Großartiges, sondern nur Kluges und Vernünftiges – mit einem Wort nichts, was den Reliefs, den Sklaven und Inschriften der Statue der Place des Victoires entspricht.“ (übers.: U.H.; zit. nach de Boislisle: 148). Die Vorschläge der Akademie prüfte der König selbst und verlangte, dass das Wort aeternitas getilgt werde‚ erinnere es doch an die scharfe Kritik, die die Widmung Viro immortalis an der Statue der Place des Victoires hervorgerufen hatte. So bereinigt erschienen dann in den Jahren nach 1704 die nicht mehr beanstandeten lateinischen Inschriften auf dem schlichten Marmorsockel: Widmung der Stadt an den König mit Dank für seine unzähligen Wohltaten und Verschönerungen

Erinnerung an die Stärkung des katholischen Glaubens und des Kampfes gegen die Häresie.

Würdigung der Förderung der öffentlichen Bauten und der Kunst sowie der Reorganisation von Justiz und Verwaltung

Lob der militärischen Siege und Eroberungen zu Land und zu Wasser

Bedenkt man, dass das ursprüngliche Sockelprogramm eine Reihe allegorischer Figuren und Embleme (Europa, Amerika, Sklaven, Siegeszeichen, Waffen und den König verehrendes Volk) enthalten sollte, dann war an der Sockelgestaltung für die Betrachter in der Tat die gewandelte Gesinnung Ludwigs XIV. zu erkennen. Gleichwohl bot auch diese zurückhaltendere Fassung wiederum Anlass zur Kritik: Voltaire hielt sie für Schmeicheleien, krasser als die an der Place des Victoires. Für die zeitgenössischen Besucher hingegen dürfte sie im Vergleich zu dem Parallelplatz sachlicher erscheinen, da sie nüchterner und weniger triumphal die Tätigkeit Ludwigs XIV. auf den wichtigsten Feldern seiner Regierung darstellte. Allerdings war der Kreis der Leser erheblich eingeschränkt, da die

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Inschriften in lateinischer Sprache abgefasst waren – das entsprach wiederum römischer Tradition und bot zudem die Chance, dass den klassisch vorgebildeten Lesern die Analogie zum Tatenbericht des Augustus ins Auge sprang – eine subtilere Form der Propaganda als sie an der Place des Victoires vorherrschte. (de Boislisle: 148ff.; Cleary: 204; Ziskin 1992: 101f.) Im Vergleich zum ersten Platz war – wie bereits dargestellt – die Fokussierung auf die Reiterstatue durch die zusätzliche Achsenbildung der Pavillons und die geschlossene Form noch einmal gesteigert, die visuell und tatsächlich beherrschende Position des Monarchen erschloss sich jedem Betrachter unmittelbar. Die oktogonale Form und die harmonische Fassadengestaltung kommen in ihren symbolischen Bedeutungen hinzu. Sie zeigen, dass die Tradition der antiken Architekurtheoretiker über die italienischen Renaissanceautoren auch in Frankreich wiederzufinden ist (Huber: 135ff.). Die Achtzahl ist bereits bei Vitruv mit der Idee der Windrose verbunden, die von einem Mittelpunkt aus in alle Richtungen ausstrahlt. Die Vorstellung des von einem Zentrum aus beherrschten Landes kann unmittelbar an dieses Bild anschließen. Sie entsprach dem absolutistischen Staatsverständnis Ludwigs XIV., der den Hochadel an den Hof fesselte und so die regionalen Machtzentren der Provinzen aushebelte. Im christlichen Kontext ist mit der Achtzahl die Auferstehung Christi, der glückliche Anfang, der Neubeginn – mit dem achten Tag beginnt eine neue Woche – und die Taufe verbunden. Daher ist das Oktogon häufig bei Baptisterien zu finden (von Naredi-Rainer: 51, 53; Dölger: 153ff.). Inwieweit diese Symbolik für die Platzgestaltung eine Rolle gespielt hat und von den Zeitgenossen wahrgenommen wurde, muss offen bleiben, da es dazu keine Zeugnisse gibt. Im Bezug auf die Fassadengestaltung dürften der Symbolgehalt und die darin enthaltene Botschaft für die zeitgenössischen Betrachter deutlicher zu Tage treten. So hebt der Magistrat Nicolas Delamare (1639-1723) in seinem Traité de Police die Königsplätze wegen ihrer Verschönerung der Stadt, ihrer Ausmaße und der Symmetrie vor allen anderen Plätzen hervor, sie seien „Früchte des Friedens und der Ruhe in den Staaten“ (zit. nach: Huber: 135). Diese Wirkung beruhte im Wesentlichen auf der Gestaltung der Fassaden, deren Regelmäßigkeit den antiken Proportionsanweisungen folgte. Die französischen Architekturtheoretiker hatten diese Proportionslehren aufgegriffen: „Die Proportionen bilden das Wesen des Schönen in allen Werken der Kunst“. Die regelmäßige und harmonische Fassadengestaltung an der Place Louis-le-Grand war deshalb Ausfluss dieser Vorstellungen und Ludwig XIV. ordnete persönlich an, dass „die äußere Regelmäßigkeit der Gebäude, die wir beachtet wissen wollen“ (übers.: U.H.; zit. nach: Huber: 136 und 137), auch tatsächlich gewahrt wurde. Diese Forderung nach einer ästhetisch schönen Gestaltung war deshalb so bedeutsam, weil sie

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sich verband mit den bereits zitierten Vorstellungen von Frieden und Ruhe: Die schöne und harmonische Fassade war zugleich ein Hinweis auf das wohltätige Wirken ihres Verursachers. Der in der Platzmitte positionierte Herrscher war eben auch der Garant eines wohlgeordneten Staatswesens, das sich in der geordneten Architektur spiegelte. Die unmittelbare Wirkung der Fassade war offensichtlich überwältigend, wenn man Germain Brice folgt, der seine Eindrücke von der Fassade des ersten Platzes, die auch für den zweiten gelten kann, so zusammenfasste: „Alle diese Dinge [der Fassadengestaltung] bilden eine schöne und edle Ausstattung, die viel Freude für das Auge bietet und unendlich befriedigt.“ (übers.: U.H.; zit. nach Sarmant: 59) Hier erkennt man den an der antiken Proportionslehre geschulten Blick, der in den harmonisch geordneten Elementen eines Gebäudes die wohltuende Wirkung auf das Auge und das Gemüt verspürt. Wenn man versucht ein Fazit zu ziehen, welche Botschaften die Place Louisle-Grand im Vergleich zum ersten Platz, der Places de Nos Conquêtes, vermittelte, dann kann man zunächst konstatieren, dass die Sprache gemäßigter, zurückhaltender geworden war. Am deutlichsten wird dies daran, dass der Triumphbogen ersatzlos weggefallen war und die Inschriften am Sockel der Reiterstatue jede aggressive Rhetorik vermieden. Auch die zahlreichen königlichen Akademien und Einrichtungen, die Bibliothek und die Residenz für hohe Gesandte waren verschwunden, ebenso war das imperiale Assoziationen weckende Flachdach einem Mansardendach gewichen: Aus dem öffentlichen und offenen Platz für pompöse Zeremonien war ein geschlossener, eher privater und introvertierter Wohnplatz der Finanziers geworden. Die gigantische Reiterstatue hingegen, die durch das neue Platzarrangement noch stärker in den Mittelpunkt rückte, die korinthische Säulenordnung, die königlichen Embleme an den Fassaden und Balkongittern – sie deuten auf ein ungebrochenes Repräsentationsbedürfnis des Monarchen hin. Diese Ambivalenz zwischen triumphaler Selbstdarstellung und offenkundiger Zurückhaltung charakterisiert die Haltung Ludwig XIV. in seinen letzten Lebensjahrzehnten und ist vielfach dokumentiert (Sarmant: 62; Ziegler 2010: 116ff.) So notierte der Marquis de Sourches im Juli 1698, als die Zukunft des Platzes diskutiert wurde: Selbst wenn ihm [Ludwig XIV.] 800.000 livres [für den ersten Platz] geboten würden und der Ruhm seine Statue auf einem oktogonalen Platz zu sehen, der eine der schönen Dinge Europas sein würde, bestand er auf seiner Meinung und fügte hinzu, dass er nicht länger für den Ruhm in dieser Welt arbeiten, sondern sich nur noch der Sorge um die Ewigkeit widmen sollte. (übers.: U.H.; zit. nach Boislisle: 133)

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Zu diesem christlich gefärbten Bescheidenheitstopos passt auch, dass die Akademie für Medaillen und Inschriften zur Einweihung des Platzes eine Medaille prägen ließ, die im offiziellen und zu Propagandazwecken hergestellten Sammelband Médailles des événements les plus remarquables du règne de Louis le Grand folgendermaßen kommentiert wurde: Erst die intensiven Bitten seiner Untertanen habe den König bewegt der Aufstellung seiner Statue zuzustimmen (de Boislisle: 127 A. 1). „Die Inszenierung des Sonnenkönigs“ (Burke: bes. 131ff.) setzte sich offensichtlich in neuen Formen fort, die jedoch nach wie vor dem absolutistischen Selbstverständnis des Monarchen gehorchten. Die Place Louis-le-Grand ist Zeugnis dieser Ambivalenz. Zwar erforderte das veränderte Konzept und die neue Finanzierung eine andere Ausgestaltung: „Trotzdem, die politische Botschaft – eine würdige Schatulle [écrin] für die Statue des Souveräns zu errichten – bleibt unverändert.“ (Gady 2002: 76).

3.6 H ÔTEL DES I NVALIDES – „ LA PLUS GRANDE PENSÉE

DE MON REGNE “

Über 50.000 Vagabunden, Landstreicher, in Banden organisierte Bettler durchstreiften nach dem Ende der Fronde (1653) Paris. Mag diese Zahl auch schwer verifizierbar sein und vielleicht auch übertrieben erscheinen, so zeigt sie doch, wie die bürgerkriegsähnlichen Zustände und die damit einhergehende Erschütterung des gesellschaftlichen Ordnungsgefüges ein soziales Elend erzeugten, das so ganz im Kontrast zum Bild der glanzvollen Metropole stand. Unter diesen marginalisierten Menschen befanden sich auch zahllose Soldaten – entlassen, oft erkrankt, verkrüppelt oder verarmt. Seit dem Hundertjährigen Krieg (13371453), also seit in Frankreich reguläre Armeen existierten, war es ein permanentes Problem, wie die Veteranen und Kriegsinvaliden versorgt werden konnten. Der Stich von Jacques Callot illustriert die traurigen Zustände der Epoche. Gängige, allerdings völlig unbefriedigende Praxis war die Zuweisung als so genannte Oblaten bzw. Laienbrüder in die Klöster und Abteien des Landes. Dass das Zusammenleben von Menschen so unterschiedlicher Lebensformen zu Spannungen und heftigen Klagen führte, liegt auf der Hand. Heinrich IV. und nach ihm Richelieu unternahmen erste, allerdings gescheiterte Ansätze das Problem durch staatliche Einrichtungen anzugehen. Erst unter Ludwig XIV. und der Aufsicht seines Kriegsministers Louvois entstand dann ab 1670 die völlig neuartige soziale Einrichtung, eine Mischung aus Kaserne, Kloster und Hospital: das Hôtel des Invalides. Es galt in seiner Zeit als vorbildlich und diente beispielsweise Zar Peter dem Großen als Vorlage. Es war das größte Bauvorhaben des Mo-

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narchen in seiner Hauptstadt und sollte neben der zentralen Aufgabe der Veteranenversorgung die öffentliche Sicherheit in Paris erhöhen, zugleich aber auch die Attraktivität des Soldatenberufs erhöhen, denn Louvois beklagte die schleppende Rekrutierung für die Kriege seines Königs (Baillargeat: 127ff.; Jestaz: 28f.; Reuterswärd: 36f.). Als Ludwig XIV. in seinem Testament eine Art Rechenschaftsbericht seiner Regierungstätigkeit verfasste, urteilte er über den Entschluss zur Errichtung des Hôtel des Invalides, dass er „la plus grande pensée de mon règne“ gewesen sei (zit. nach Lagrange: 22). Abb. 125: Invalide suchen ein Hospiz auf

Quelle: J. Callot, L’hôpital; Stich Nr. 15 aus der Serie Les Misères et les Malheurs de la guerre, Paris 1633

3.6.1 Topographie und Urbanistik Die Anlage des Hôtel des Invalides entstand in der Ebene von Grenelle, einem im Südwesten der damaligen Stadt gelegenen, praktisch unbebauten Gelände außerhalb des geplanten Boulevardhalbkreises, nahe genug an der Seine, um die Versorgung der vielen Menschen zu erleichtern. Diese Platzierung sollte sich als bedeutsame Weichenstellung für die weitere Stadtentwicklung herausstellen. Denn das Gebiet um den überaus repräsentativen Komplex der königlichen Stiftung mit der damals größten Kuppel der Stadt galt bei der adligen Oberschicht schon bald als bevorzugtes Wohnquartier. Sie zog seit dem beginnenden 18. Jahrhundert aus ihrem traditionellen, allerdings relativ beengten Viertel des Marais hierher, in den Faubourg Saint-Germain, um Stadtpalais errichten zu können, die ihren gewachsenen räumlichen Ansprüchen genügten. Zur Strukturierung des neuen Stadtviertels trugen auch die Außenanlagen und Zufahrtswege des Hôtel des Invalides bei. Sie ließen großzügige Sichtachsen und Perspektiven

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entstehen, wie sie Ludwig XIV. liebte, im dichtbebauten Paris allerdings nicht realisieren konnte: In nördlicher Richtung erstreckte sich bis zur Seine eine (erst unter Ludwig XV. vollendete) etwa 600 Meter lange durch Hecken und Rasenflächen gegliederte Esplanade, die den sich nähernden Besucher mehrere Minuten lang geradezu zwang die die knapp 200 Meter breite Fassade zu bewundern. Von dort aus fiel der heute durch moderne Bauten verstellte Blick – wie der erste Bauvertrag von 1671 besonders betont – über die Seine hinweg auf die Allee des Cour de la Reine und die Tuilerien, nahm also Verbindung auf zu den königlichen Anlagen, die wie der Louvre traditionell auf dem Nordufer der Seine angesiedelt waren. Auf der Südseite, also stadtauswärts und damals noch auf freiem Feld, entstand ein strahlenförmiges Straßennetz von Alleen, dessen fünf Arme auf den Dom und seine alles überragende Kuppel zuliefen: Die Sichtachsen hoben die zentrale Stellung der dem König vorbehaltenen Kirche hervor, die vielleicht zeitweise sogar als künftige Grablege des Monarchen geplant war. Bis heute prägt diese Struktur das Stadtviertel (Hesse: 96; Kimpel: 229; Reuterswärd: 107). 3.6.2 Baugeschichte, Initiatoren und Architekten 35 Jahren nach der Grundsteinlegung, am 28. August 1706, übergab der Architekt Jules Hardouin-Mansart in Anwesenheit des Hofes und im Rahmen einer feierlichen Zeremonie Ludwig XIV. die Schlüssel zum Hôtel des Invalides. Diese lange Bauzeit spiegelt die Größe der Aufgabe und die Schwierigkeiten, die der Vollendung des riesigen Komplexes im Laufe der Jahre entgegenstanden: die Neuartigkeit der Einrichtung und ihrer vielfältigen Funktionen, der Wechsel (1676) vom ersten zum zweiten Architekten, die unterschiedliche Konzeptionen verfolgten, der Tod des federführenden Ministers Louvois (1691) und schließlich die kriegsbedingten finanziellen Engpässe, die zu Verzögerungen und sogar zum zeitweiligen Baustopp (1695-1699) führten. Stellt man allerdings die Aufwendungen für die Konstruktion des Hôtel des Invalides den Baukosten für die Schlossanlage von Versailles gegenüber, dann werden die vergleichsweise bescheidenen Dimensionen des Veteranenheims deutlich: Die Maurerarbeiten bis 1678 beliefen sich auf rund 1,2 Millionen livres, die Architekten erhielten für alle von ihnen veranlassten bzw. durchgeführten Arbeiten bis 1685 knapp 2 Millionen livres – in Versailles entstanden während der gesamten Regierungszeit Ludwigs XIV. Kosten in Höhe von 68 Millionen livres (Lagrange/Reverseau: 15; Reuterswärd: 117). Anfangs schritten die Bauarbeiten rasch voran: Nachdem Louvois die notwendigen Grundstücke durch Ankauf oder Enteignung erworben hatte, beauf-

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tragte er 1671 den Architekten Libéral Bruant, der sich bereits einen Namen beim Bau des Armen- und Krankenhauses Hôpital de la Salpetrière gemacht hatte, mit der gigantischen Aufgabe. Innerhalb von nur vier Jahren errichtete er die Nordfassade und den dahinter liegenden Komplex mit den Unterkünften und Refektorien, sodass die ersten Pensionäre, wie die Veteranen und Invaliden genannt wurden, bereits im Herbst 1674 einziehen konnten. Im April desselben Jahres erließ Ludwigs XIV. das Stiftungsedikt, in dem er in absolutistischer Manier die Gründungsintentionen darlegte: [...] Wir haben es als nicht weniger würdig Unserer Frömmigkeit als Unserer Gerechtigkeit erachtet aus dem Elend und der Bettelei diejenigen armen Offiziere und Soldaten Unserer Truppen zu ziehen, die im Dienst alt oder die in den vergangenen Kriegen zu Krüppeln geworden sind und die nicht nur außer Stande sind weiterhin zu dienen, sondern auch nichts zum Lebensunterhalt beitragen können. Und es ist ganz angemessen, dass diejenigen, die aus freien Stücken ihr Leben einsetzten und ihr Blut vergossen zur Verteidigung und zur Unterstützung dieser Monarchie [...], die Ruhe genießen, die sie Uns und Unseren Untertanen sicherten, und ihren Lebensabend in Ruhe verbringen. (übers.: U.H.; zit. nach Pérau: 38f.)

Abb. 126: Grundriss des Gesamtkomplexes des Hôtel des Invalides

Quelle: Pérau: Plan 6

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Entfalten sich hier die zum traditionellen Bild des fürsorglichen und großherzigen christlichen Königs gehörenden Eigenschaften, so zeigt das weitere Edikt die für Ludwig XIV. charakteristische und detailgenaue Sorgfalt seiner Regierungstätigkeit: Als „fondateur [...], protecteur et conservateur“ des Hôtel des Invalides stellte er die dauerhafte Finanzierung sicher, indem er die bisher zur Aufnahme der Invaliden gezwungenen Klöster und Abteien zu regelmäßigen Abgaben und die Kriegskasse zu kontinuierlichen Zahlungen verpflichtete. Er befreite das Veteranenheim von allen Steuern und sonstigen Lasten, beispielsweise von der berüchtigten gabelle, der Salzsteuer. Das Edikt regelt darüber hinaus die Eintrittsbedingungen für die Invaliden, die Ausstattung mit pflegerischem und ärztlichem Personal, die innere Ordnung und die Organisation der Verwaltung, an deren Spitze ein dem Kriegsminister unterstellter Direktor stand (Pérau: 39ff.). Was der Einrichtung jetzt vor allem noch fehlte, war die Kirche, denn die neuen Bewohner sollten in strenger christlicher Zucht ihren Lebensabend verbringen. Doch die Zusammenarbeit des Ministers mit seinem Architekten klappte nicht mehr: Neben Verzögerungen am Bau und finanziellen Unstimmigkeiten gab schließlich der von Bruant vorgelegte Entwurf einer zentral platzierten Kirche mit großem Chor (für die Soldaten) und einem Querschiff (für den König) den Ausschlag: Nach einer vernichtenden Kritik des Entwurfs durch den führenden Architekturtheoretiker und Direktor der Academie royale d’architecture François Blondel im Januar 1676 entließ Louvois seinen bisherigen Architekten und engagierte den kaum dreißigjährigen Jules Hardouin-Mansart. Träger eines großen Namens – sein Großonkel war der berühmte Hofarchitekt François Mansart (gest. 1666) – hatte er die Gunst der Stunde begriffen und legte innerhalb kürzester Zeit einen grandiosen Entwurf mit zwei getrennten Kirchen vor, der sowohl den Minister wie auch den König überzeugten: Die schlicht gestaltete und vom Innenhof zugängliche Soldatenkirche entsprach ungefähr dem Entwurf Bruants, das Querschiff war allerdings verschwunden. An seine Stelle trat jetzt als eigenständige Kirche des Königs ein prachtvoller Kuppelbau mit einer nach Süden ausgerichteten Schauseite samt einem repräsentativen Zugang. Dieses kühne Konzept eines Schwenks um 180 Grad stellte die bisherige Planung eines zentral platzierten Gotteshause auf den Kopf, denn es bot dem Monarchen und seinem Hof einen eigenen, den zeremoniellen Bedürfnissen entsprechenden Zutritt zum Hôtel des Invalides. Die grandiose Wirkung des Entwurfs wurde noch gesteigert durch den – allerdings wegen der kriegsbedingten Finanznot nie realisierten – Plan eines ausgreifenden Kolonnadenhalbkreises vor der Schauseite, der an die Platzkonstruktion Berninis vor dem Petersdom in Rom erinnerte (Jestaz: 32ff.; Reuterswärd: 9ff.) Mit dieser fundamentalen Veränderung des

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Bauplans wich Hardouin-Mansart auch von dem oft als Vorbild genannten Escorial ab: Zwar besaß das Hôtel des Invalides ebenfalls einen gitterförmigen Grundriss, aber die neue Kirche, die église royale, lag nicht mehr im Zentrum der Anlage, sondern war an die südliche Außenseite gerückt, sodass sie mit dem prachtvollen Zugang den repräsentativen Bedürfnissen des Monarchen genügte – ein erster Hinweis darauf, dass das Ensemble des Hôtel des Invalides eine Doppelfunktion erfüllte, nämlich Versorgung der Veteranen, aber zugleich repräsentativer Ort des französischen Königtums. Im Laufe des Jahres 1676 übernahm Hardouin-Mansart als Architekt die Weiterführung der gesamten Bauarbeiten: Zunächst entstanden bis 1679 die Soldatenkirche, der Vorhof samt Eingangspavillons und umlaufenden Grabenanlagen an der Nordseite sowie der Krankentrakt – damit war bis auf einige Ergänzungsbauten das eigentliche Hôtel des Invalides fertig gestellt. Der Bau der Kirche des Königs, der église royale, zog sich allerdings über drei Jahrzehnte hin: Nach dem Baubeginn 1677 waren bis 1687 die Fundamente und Wandflächen erstellt, die Kuppel entstand nach verschiedenen Zwischenentwürfen bis 1691, die innere Ausgestaltung mit Wand- und Deckengemälden, Skulpturen und Reliefs dauerte bis 1706 (Jestaz: 36f.; Reuterswärd: 23ff.). War diese verhältnismäßig lange Zeitspanne sicherlich dem Tod des federführenden Kriegsministers Louvois’ (1691) und den kriegsbedingten Finanzproblemen geschuldet, so bieten sich noch zwei weitere Gründe für die lange Bauzeit an. Sie betrafen zum einen die wesentlich aufwändigere Ausstattung und die technischen Raffinessen, wie sie sich beispielsweise bei der zweigeteilten Kuppel zeigen: Ihr unterer Teil besitzt eine große kreisrunde Öffnung, durch die ein in der Kirche stehender Betrachter auf die darüber liegende zweite Kuppel, die calotte, blickt. Sie wird durch die nur von außen wahrzunehmende, hinter der Schale der unteren Kuppel verborgenen Fensterreihe (Attikafenster) beleuchtet – eine Lösung, die verhindert, dass das Deckenfresko der calotte durch die sonst übliche Fensterreihe unterhalb der Laterne unterbrochen wird. Für den Betrachter entsteht so der illusionistische Effekt, dass er eine einzige, ununterbrochene Kuppel über sich wahrnimmt, die auf magische Weise erhellt ist (Jestaz: 80, 89f.). Zum anderen könnte die lange Bauzeit mit der in der Forschung diskutierten Frage zusammenhängen, welche Funktion der église royale zu unterschiedlichen Zeiten zugedacht war: Sollte sie Mausoleum für Ludwig den Heiligen, dem beide Kirchen des Hôtel des Invalides geweiht waren, oder gar Grablege für Ludwig XIV. werden? Kleine, aber gewichtige Veränderungen in der Ausstattung legen diese Frage nahe: So war der erste

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Abb. 127: Schnitt durch Soldaten- und Königskirche mit der eingetieften Rotunde der Grabanlage Napoleons

Quelle: Lagrange: nach 61

Entwurf des Deckengemäldes in der ursprünglich einschalig geplanten Kuppel – zeitgleich mit dem Holländischen Krieg – als eine Darstellung Ludwigs XIV. in Gestalt eines siegreichen Feldherrn geplant und die Turmspitze des Doms sollte mit einem Obelisken – als Symbol der Apotheose – und einer auf einem Globus aufruhenden Krone samt Kreuz gekrönt werden. Beide Pläne kamen nicht zur Ausführung, offenbar stand die Idee der letzten Ruhestätte für Ludwig XIV. höchstens kurzfristig im Raume, zumal sie einen Bruch mit der traditionellen Grablege der französischen Könige in der Kirche von St. Denis bedeutet hätte (Gady 2010: 159; Holst: 54ff.; Reuterswärd: 95ff., 133ff.). Überblickt man die fertige Anlage des Hôtel des Invalides, dann entsteht das Bild einer eigenen Stadt: Neben den Wohn- und Aufenthaltsräumen der Pensionäre sowie der ausgedehnten Krankenabteilung mit maximal 300 Betten samt Apotheke, Ärzten und Pflegepersonal gab es alle Versorgungseinrichtungen, die für die zeitweilig über 4000 (1714) Pensionäre notwendig waren (Küchen, Bäckereien, Vorratskeller, Wäschereien etc.), dazu zwei Kirchen, verschiedene Werkstätten für die zur Arbeit fähigen Insassen, einen Friedhof, Gartenanlagen und ein vorbildliches Abwasser- und Sanitärsystem.

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3.6.3 Baugestalt und Funktion Wer sich dem Hôtel des Invalides von der Seine her über die fast unmerklich ansteigende Esplanade nähert, ist zunächst gefangen von dem Anblick der mächtigen Fassade: „Nichts ist majestätischer als der Anblick, den das Hôtel des Invalides bietet, wenn man – um es zu erreichen – den Weg vom Ufer der Seine mitten durch die Esplanade einschlägt.“ So urteilt bereits Gabriel Pérau in seiner 1756 erschienenen Beschreibung (übers.: U.H.; Pérau:50). Doch bevor ein Besucher sich der Anlage nähern kann, versperrt ein großes Gitter, eingefasst von zwei Wach-Pavillons, den Zugang. Abb. 128: Gesamtansicht des Hôtel des Invalides von Norden

Quelle: Pérau: Plan 2

Die Ausschmückung dieses Ensembles stimmt ihn weniger auf die Funktion als auf den Erbauer des vor ihm liegenden Bauwerks und seine Bedeutung ein: Auf dem Torbogen erhebt sich das Lilienwappen des französischen Königs, das von einer Krone geziert und von den Kreuzen der Orden des Heiligen Michael und des Heiligen Geistes flankiert wird (Lagrange: Rückseite des Heftes; Pérau: 52). Diesen exklusiven, hochadligen Orden, gegründet in der Tradition der christlichen Kreuzritter, stand der französische König als Großmeister vor. Sie waren unter anderem mit der Absicht der Stärkung der königlichen Zentralgewalt ent-

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standen und galten als rivalisierendes Gegenstück zum ursprünglich burgundischen Orden des Goldenen Vlies, der als vornehmster Orden des Heiligen Römischen Reichs galt und dem seit 1700 der Kaiser als Großmeister vorstand. Die beiden Pavillons schmückt ebenfalls das französische Königswappen, zusätzlich sind die ineinander verflochtenen Buchstaben „L“ und das Sonnenemblem zu sehen – Embleme des Königs, die im gesamten Gebäudekomplex immer wieder auftauchen. Insgesamt war damit bereits vor Eintritt in das Hôtel des Invalides der hohe Ton angeschlagen, der auf die Urheberschaft des Gebäudekomplexes und die Bedeutung des französischen Königtums hindeutet. Auf den militärischen Charakter der Einrichtung verwiesen lediglich die auf den Pavillons angebrachten Kanonenkugeln samt einer entflammten Granate und die in Vaubanmanier gestaltete symbolische Wall- und Grabenanlage. Abb. 129: Das Eingangsportal

Quelle: Pérau: Plan 3

Die Masse der gewaltigen, völlig symmetrischen Nordfassade mit einer Breite von 195 (das sind genau 100 toises) und einer Höhe von rund 25 Metern wird zum einen vertikal durch eine sparsame Rhythmisierung aufgelockert, sodass zwischen den vierachsigen Eckrisaliten und dem zentralen Pavillon auf beiden Seiten eine Gliederung durch bossierte Bänder vom Boden bis zum Dachgeschoss in der Abfolge von 4-1-6-1-4 Achsen entsteht, eine Rhythmisierung, die

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sich in den Lukarnen und Schornsteinen in ähnlicher Form fortsetzt. Zum anderen ist die Horizontale durch ein breites Gesims unterhalb der vierten Etage betont. Es fällt auf, dass die Fassade von einem traditionellen Spitzdach gekrönt wird, während die etwa zeitgleichen königlichen Bauten am Louvre und in Versailles Flachdächer aufweisen, wie sie dem imperialen römischen Stil entsprachen: Das Hôtel des Invalides ist eben keine Residenz des Königs, sondern dient als Unterkunft seiner Untertanen. Durch die gleichförmige Fassadengestaltung tritt der zentrale Pavillon, der den Haupteingang zum Hotel bildet, umso stärker hervor. Er sprengt die Fassadenordnung geradezu, indem er aus einem einzigen großen Bogen besteht, der gestützt auf zwei breite Doppelpilaster sich über die gesamte Höhe der Fassade erstreckt. Dieses architektonische Arrangement lenkt den Blick und die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das große Tympanon im Bogenfeld: Dort sieht er das Relief eines überlebensgroßen Ludwigs XIV. zu Pferd im römischen Gewand samt Perücke, die rechte Hand zum Befehlsgestus ausgestreckt – eine Darstellung wie sie auch auf der Place Vendôme begegnete und die den König in der Nachfolge der römischen Imperatoren als militärisch siegreichen und politisch dominanten Herrscher präsentiert. Direkt darunter liest man die lateinische Widmung: LUDOVICUS MAGNUS

MILITIBUS REGALI MUNIFICENTIA IN PERPETUUM PROVIDENS HAS AEDES POSUIT AN M.DC.LXXV. (Ludwig der Große in seiner königlichen Freigebigkeit gründete, vorsorgend auf Dauer, diese Gebäude den Soldaten im Jahre 1675). Die Inschrift wird flankiert von zwei Skulpturen, der Gerechtigkeit und der Klugheit, auf Sockeln zu beiden Seiten der Eingangstür stehen zwei weitere Skulpturen: Mars und MinervaAthene – der Kriegsgott und die über ihre militärischen Eigenschaften hinaus als Beschützerin der Künste und des Gewerbes tätige Göttin. Das alles – vom König zu seinen Lebzeiten konzipiert, aber erst 1735 vollendet – ist überwölbt von einem gewaltigen, mit Trophäen geschmückten Bogen, der in einem Sonnenemblem gipfelt (Jestaz: 65ff.; Lagrange: 10ff.). Dieses Ensemble – eine Steigerung der königlichen Präsentation im Vergleich zum Eingangsgitter – wirkt auf den Besucher wie die Verkündigung des königlichen Regierungsprogramms und zugleich des Selbstverständnisses des Monarchen. Es fehlt allerdings das Attribut des Glaubenskämpfers, rex christianissimus, ein Thema, das der Bestimmung der Gebäude entsprechend nicht hier, sondern erst in der église royale breit entfaltet wird.

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Durch das Eingangsportal gelangt der Besucher auf den zentralen Innenhof, die cour royal, der mit 102 zu 64 Metern den größten der verschiedenen Höfe bildet. Er wird gesäumt von einer zweistöckigen Galerie, von der aus die Unterkünfte und die Refektorien erreichbar waren. Im Kontrast zum prächtigen Eingangsportal strahlt dieser Hof militärische Strenge aus, er ist äußerst schlicht gehalten, lediglich durch Eck- und Mittelrisalite sowie Lukarnen in Form von Harnischen aufgelockert. Die rechts und links anschließenden vier Refektorien für die Soldaten – die der Offiziere liegen getrennt davon – setzten dann das Programm des Eingangsportals fort: In den Speisesälen saßen an acht Tischen jeweils 50 Pensionäre, sie blickten dabei auf eine nahezu ununterbrochene Reihe von Fresken und Gemälden mit den Siegen im Devolutionskrieg (1667-1668) und im Holländischen Krieg (1672-1678). Auch hier steht Ludwig XIV. stets als strahlender Sieger im Vordergrund, aber die Belehrung geht auch noch in andere Richtung. So zeigt ein Gemälde als Personen den Überfluss, die Pracht und Frankreich, die alle drei auf Knien dem Himmel für die Wohltaten danken, die das Land überhäufen unter der Regierung Ludwigs XIV. Auf einem anderen Gemälde sieht man, wie Ludwig XIV. den Dank der Botschafter von Spanien, Holland und Deutschland entgegennimmt für den gerade geschlossenen Frieden (Lagrange: 14ff.; Jestaz: 68ff.; Pérau: 54ff.). Genau gegenüber dem Haupteingang, auf der Hauptachse der Gesamtanlage, befindet sich der Zugang zur Soldatenkirche: Ihre zentrale Lage – Unterkünfte und alle alltäglichen Beschäftigungen liegen rechts und links davon – unterstreicht die Bedeutung der christlichen, genauer katholischen Religion für das Leben im Veteranenheim. So begann der Eintritt in das Hôtel des Invalides, der nur mit einem Empfehlungsscheiben des ehemaligen Vorgesetzten nach zehn und später zwanzig Dienstjahren möglich war, mit einer 40-tägigen Probeaufnahme und einer Generalbeichte. Die Teilnahme an den sonntäglichen Messen und an den täglichen Morgen- und Abendgebeten war Pflicht, ebenso für die Gesunden die Arbeit in den Werkstätten, Gotteslästerer und Protestanten (nach 1685!) mussten das Heim verlassen, Frauen – außer den „Grauen Schwestern“ im Krankentrakt – war der Zutritt verwehrt, zwölf Priester versahen die geistlichen Aufgaben. Insofern ähnelte das Hôtel des Invalides durchaus einem Konvent, in dem zudem ein strenges militärische Regiment – einer Kaserne vergleichbar – herrschte mit obligatorischen militärischen Übungen der in Kompanien eingeteilten Veteranen und scharfen Strafen. Selbstverständlich waren Soldaten und Offiziere in praktisch allen Bereichen getrennt (Lagrange: 26f.). Wie die cour royale ist auch die Soldatenkirche von strenger Schlichtheit und folgt damit dem militärischen Geist, der das eigentliche Veteranenheim vornehmlich prägt – im Gegensatz zur prachtvollen Gestaltung von Eingangs-

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portal und Königskirche. Beide Bauteile entsprechen damit in ihrer Gestaltung der ihnen eigenen Funktion von militärisch-karitativen und repräsentativen Aufgaben. Die dreischiffige Emporenbasilika von großer Länge wirkt wie ein Mönchschor, der mit den weiten Arkaden Platz für die große Zahl der Pensionäre bot. Sie bildete im ursprünglichen Plan Bruants als Längsschiff nur den choeur des soldats, während das geplante Querschiff und der Chor dem König vorbehalten sein sollten. Die schon geschilderte totale Neukonzeption von Hardouin-Mansart übernahm praktisch das Längsschiff Bruants als eigenständiges Gotteshaus und schloss die neue prachtvolle Kirche des Königs in südliche Richtung an (Jestaz: 71ff.; Lagrange: 28ff.). Als Verbindung beider Kirchen fungierte ein gemeinsames Sanktuarium mit einem Doppelaltar, der wegen des Niveauunterschieds unterschiedliche Höhe (ca. 2 Meter) besaß. Es fällt auf, dass die sonst in christlichen Kirchen übliche Ostung hier nicht eingehalten werden kann: Der Altar ist von der Soldatenkirche aus gesehen nach Süden ausgerichtet und in der Königskirche nach Norden. Als Erklärung bietet sich an, dass eine Ausrichtung der Kirchen nach Osten die klare Axialität und Symmetrie der Gesamtanlage zerstört hätte: Der Hauptzugang von der damaligen Stadt, also von der Seine aus über die weitläufige Esplanade, war auf die prachtvolle Schauseite der Fassade ausgerichtet. Die so erzeugte Sichtachse wäre nach Durchschreiten des Eingangsportals durch eine geostete, d.h. querstehende Kirche unterbrochen worden, die Symmetrie der Gesamtanlage wäre nicht mehr möglich gewesen: Ist hier die christliche Tradition den weltlichen Repräsentationsbedürfnissen gewichen? Die ursprüngliche Verbindung beider Kirchen durch das Sanktuarium ist seit dem 19. Jahrhundert durch eine große Glaswand verschlossen. Die stilistischen und ausstattungsmäßigen Unterschiede beider Gebäude und deren Funktion werden so noch einmal unterstrichen. Für den Besucher bietet es sich deshalb an, die Kirche des Königs, den dome, von der Südseite zu betreten, also von der Schauseite, wie sie sich beim Besuch des Monarchen darbot. Das ca. 101 Meter hohe Bauwerk bietet eine klare Strukturierung in drei etwa gleich große Elemente: der quadratische Korpus, der runde Tambour und die gewölbte Kuppel mit Laterne und Turmspitze. Im Gegensatz zur massigen Erscheinung der Nordfassade hat Hardouin-Mansart durch die raffinierte Gliederung des Baukörpers eine elegant anmutende Schlankheit und Vertikalität erzeugt. So wird bereits der massive Korpus dynamisiert, indem Säulen auf den glatten Außenflächen fehlen und sich zur Mitte hin dichter staffeln, die Wandflächen gleichzeitig leicht vorspringen und der Mittelteil durch ein Giebeldreieck erhöht ist. Die gleiche Wirkung erzeugt die diagonale, d. h. „über Eck“ (Mellenthien: 58) Anordnung der aus jeweils zwei Säulen bestehenden Hauptstrebepfeiler des Tambour, die verti-

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kalen Rippen auf der Kuppel und die wieder in der Hauptrichtung angeordneten Säulchen der Laterne, die von einer schmalen Spitze gekrönt wird (Jestaz: 77ff.; Kimpel: 230; Mellenthien: 54ff.; Hesse: 99f.). Abb. 130: Die Dreiteilung des Aufbaus der Königskirche

Quelle: Lagrange: 36

Das ursprünglich sehr umfangreiche Skulpturenprogramm ist in der Französischen Revolution stark reduziert worden, doch die wesentlichen Botschaften der Fassade sind erhalten. Zunächst fällt auf, dass den Korpus im unteren Teil dorische und im oberen korinthische Säulen zieren – der klassischen Architekturlehre entsprechend drückte sich darin die kriegerisch-militärische und die königliche Funktion des Gebäudes aus. Rechts und links vom Eingang, dessen Tür dem König vorbehalten war und die wiederum geschmückt ist mit dem Lilienwappen, einer Krone und den verschlungenen Initialen Ludwigs XIV. und des Heiligen Ludwig (L+L; S+L), stehen zwei Skulpturen: Karl der Große und Ludwig der Heilige – sie sind gleichsam Leitfiguren, in deren Nachfolge sich Ludwig XIV. sah. Denn sie verkörpern die monarchische Kontinuität und Legitimität sowie das Bündnis von Krone und (katholischer) Religion. Die Beschwörung dieser Alli-

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anz von Kirche und Königtum setzt sich im mittleren Giebelfeld fort, wo erneut das Lilienwappen erscheint, und steigert sich dann in der Kuppel. Sie ist mit vergoldeten Trophäen geschmückt, auf denen – für den Besucher natürlich nicht sichtbar – römische Feldzeichen mit den Initialen SPQR (Senatus Populusque Romanus) zu sehen sind. Die schlanke, wiederum mit den Königslilien verzierte Spitze auf der Laterne wird von einem Kreuz, das auf einem Globus aufruht, gekrönt. In einer früheren Version, die 1691 verschwand, war dazwischen noch eine Krone geschoben (Lagrange: 36ff.; Reuterswärd: 96). D. Cronström, der schwedische Architekt und Reisende, bewunderte in seinem Bericht aus dem Jahre 1700 die monumentale Kuppel und schreibt, sie sei „im Geschmack [gout] von St. Peter in Rom“ (zit. nach Reuterswärd: 95) errichtet – eine nicht zufällige Assoziation, denn Michelangelos Werk galt als Vorbild und die Königskirche als „nationale Entsprechung zum römischen Petersdom“ (Hesse: 97). Der Vergleich wird noch treffender, wenn man an den ursprünglich geplanten Kolonnadenhalbkreis vor der Schauseite der Kirche denkt: Dieses Ensemble hätte dem römischen Petersplatz geglichen. Abb. 131: Das nicht realisierte Projekt des Vorplatzes mit dem Kolonnadenhalbkreis

Quelle: Hardouin-Mansart 1698-1700 angefertigt (BN. Est.)

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Für Jules Hardouin-Mansart gab es allerdings ein näherliegendes Vorbild: Sein Großonkel, François Mansart, hatte für die traditionelle Grablege der französischen Könige in der Kirche von St. Denis ein – nie realisiertes – BourbonenMausoleum entworfen. Dass dieser Plan den jungen Architekten inspiriert hatte, kann man erkennen, wenn man die Kirche des Königs betritt: Sie besitzt einen quadratischer Grundriss mit einem eingeschriebenen griechischen Kreuz, vier Kapellen in den vier Ecken und zwei weiteren an den Seiten. Die Kuppel wird von vier mächtigen, diagonal gestellten Pfeilern getragen, deren Massivität durch Öffnungen zu den Kapellen und je zwei vorgesetzte korinthischen Säulen, die die Eckzwickel zu tragen scheinen, aufgehoben ist. Darüber wölbt sich die bereits vorgestellte doppelschalige Kuppel. In diesem knapp skizzierten architektonischen Rahmen entfaltet sich das ganze Programm der „heilsgeschichtlichen Legitimierung des französischen Königtums“ (Hesse: 97), in dessen Zentrum die Figur Ludwig des Heiligen steht, während Ludwig XIV. im Gegensatz zur übrigen Ausschmückung des Hôtel des Invalides zurücktritt und lediglich mit seinem Monogramm und dem Sonnenemblem präsent bleibt. Die église royale erschien als der angemessene Ort, um mit den dort zu sehenden Reliefs und zahlreichen Gemälden an das heiligmäßige Leben des großen Vorgängers zu erinnern, in dessen Nachfolge sich der aktuelle Monarch sah (Pérau: 75ff.). Die Ausstattung verkündet in immer neuen Varianten die dynastische Kontinuität und die enge Verbindung des französischen Königtums mit der christlichen Religion: So ziert den unteren Rand der Kuppel ein fortlaufender Lilienfries, darüber folgt – noch unter der Fensterreihe – ein Band von Medaillons mit zwölf ‚französischen’ Königen, beginnend mit dem Merowingerkönig Chlodwig bis hin zu den drei Bourbonenherrschern Heinrich IV., seinem Sohn Ludwig XIII. und dem Enkel Ludwig XIV. (Pérau: 84). Das Bild des letzteren ist an prominentester Stelle, nämlich über dem Altar platziert. Als Pendant zur Königsreihe sind dann über der Fensterreihe die zwölf Apostel dargestellt, die Helfer Christi bei der Verbreitung des christlichen Glaubens. Die etwas mühsam hergestellte Zahlenanalogie kann als legitimierende Konstruktion verstanden werden, nach der die französischen Könige in der Nachfolge der Apostel handeln. Zusammen mit dem Fresko von La Fosse in der calotte, wo der heilige Ludwig Christus sein Schwert darbietet, sind diese Darstellungen eine Illustration des Gottesgnadentums: Das präsentierte Schwert als Symbol der Macht empfängt der französische König direkt von Gott, die lange Reihe der – angeblichen – Ahnen Ludwigs XIV. handelt wie die Apostel im Namen des Herrn (Jestaz: 39ff., 83ff.; Lagrange: 43ff.).

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Abb. 132: Das Deckenfresko der calotte von Charles de La Fosse, nach 1695

Quelle: Lagrange: 44

Im Gegensatz zu den von Ludwig XIV. veranlassten Plätzen war das Innere der église royale dem Monarchen, seinem Hof und seinen vornehmen Gästen, das heißt also einem eng begrenzten Personenkreis vorbehalten. Aber gerade diesem Publikum und vor allem seinem eigenen Selbstverständnis als absolutistischem Herrscher gegenüber war der König zur repräsentativen Inszenierung, zur Entfaltung eines prachtvollen Zeremoniells verpflichtet. Neben dieser für den barocken Zeitgeist typischen Funktion, die in der Königskirche ihren Höhepunkt erreicht, aber auch in allen anderen Bauten des Hôtel des Invalides anzutreffen ist, sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass die zentrale und für die Epoche vorbildliche Funktion in der Betreuung der Veteranen bestand. Um diese Aufgabe zu bewältigen, übernahm man zeittypische Organisationsformen: Das Hotel folgte wie eine Kaserne einem strengen militärischen Reglement und wie ein Konvent den religiösen Pflichten (Gottesdienstpflicht, Lebensführung, Beichte etc.), den Krankentrakt führten 30 geistliche Schwestern (Soeurs grises) und die Werkstätten glichen Manufakturen (Lagrange: 17ff.).

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3.6.4 Exkurs: Die klassische Proportionslehre als Konstruktionsprinzip Die bereits erwähnte Kritik François Blondels an dem Entwurf Libéral Bruants für die Soldatenkirche fußt im Wesentlichen auf den Kriterien der proportion harmonique, wie sie die italienischen und nach ihnen die französischen Architekturtheoretiker der frühen Neuzeit vertraten. Sie griffen dabei letztlich auf die angebliche Entdeckung des Pythagoras zurück, nach der die unserem Ohr wohlklingende Harmonie zweier unterschiedlicher Töne auf einem ganz bestimmten Zahlenverhältnis beruht, das auf zwei Saiten eines Instruments abgetragen werden kann. So erklingt beispielsweise bei einem Saitenverhältnis 1:2 das Intervall einer Oktave, bei einem Verhältnis 2:3 eine Quinte und bei einem Verhältnis 3:4 eine Quarte. Diese unserem Ohr so angenehmen Zahlenverhältnisse sind nach Platon Abbild der Harmonie des Universums, sie sind deshalb auch unserem Auge angenehm, wenn wir z.B. Gebäude sehen, die nach diesen Relationen konstruiert sind. Seit der Renaissance gehörte die auf diesen Prinzipien beruhende Proportionslehre zum festen Bestand der Architekturtheorie und vielfach auch der konkreten Bauausführung. Blondel listet nun in seiner Kritik der Soldatenkirche zunächst siebzehn Proportionen auf, die diesen harmonischen Zahlenverhältnissen entsprechen: „Alle diese Proportionen sind gerechtfertigt (autorisées) durch die Vernunft (raison) und die Beispiele verschiedener ansehnlicher Gebäude [...]“, um daran anschließend einen wesentlich längeren Katalog mit Kritikpunkten zu präsentieren. Auch hier spielen (falsche) Proportionen eine zentrale Rolle, da „[...] es kein Beispiel gibt weder in der Antike noch in Gebäuden, die Ansehen genießen [...]“, wo solche vermeintlichen Bausünden auftauchen (übers.: U.H.; zit. nach Reuterwärd: 109). Kann man an diesem Beispiel sehen, in welchem Umfang die Proportionslehre maßstabsetzend die Planung repräsentativer Bauwerke beeinflusst hat, so bleibt unklar, ob die von Jules Hardouin-Mansart nach den Vorlagen Bruants realisierte Soldatenkirche den ‚autorisierten’ Proportionen entspricht. Behelfsmäßige eigene Messungen anhand der Grundrisse bei Pérau ergeben, dass Mansart wohl nur z.T. die Maße seines Vorgängers übernommen hat. So ist die von Blondel gelobte Relation von 1:2, also die Oktave, im Verhältnis der Länge und Breite der Soldatenkirche keineswegs eingehalten – das Gebäude ist wesentlich länger, sodass sich ungefähr ein Verhältnis 1:3 ergibt, was allerdings ebenfalls einer erlaubten Relation entspricht, nämlich der Quinte über Oktave. Dagegen verhalten sich die Breite von Mittel- und Seitenschiff wie 1:2 – so wie es Blondel lobend auflistet. Welchen Einfluss die proportion harmonique auch auf die Praxis besaß, kann man am ersten Bauvertrag zwischen

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Louvois und Bruant (1671) sehen, wo bestimmte Proportionen vorgeschrieben werden: So soll neben den vier kleineren, fast quadratischen Nebenhöfen der große zentrale Innenhof, die cour royale, 45 oder 46 toises tief und 30 toises breit sein, also einer Relation von 2:3, einer Quinte, entsprechen und damit ein harmonisches Raumgefühl erzeugen. Misst man diese Vorgabe auf dem Grundrissen bei Pérau nach, dann stellt sich allerdings eine leichte Abweichung heraus – ein Phänomen, das immer wieder zu beobachten ist, weil Planung und Bauausführung sich nicht immer exakt entsprechen und die vorgegebenen Maße, wie in diesem Fall, Schwankungen erlauben (Mellenthien: 13ff., 153ff.; Reuterswärd: 107ff). Welche Bedeutung die Proportionen für die Erzeugung eines ästhetisch ansprechenden Bauwerks haben können, lässt sich dank der Untersuchung Mellenthins an der église royale nachvollziehen (Mellenthin: 54ff., 250ff.): Die Fassade des Korpus ist – jeweils leicht vorspringend – dreifach gestaffelt mit je einer Fensterachse. Dabei ist die Wandfläche über die gesamte Gebäudebreite – die erste Schicht – doppelt so breit wie hoch, entspricht also einer Relation 1:2, der Oktave. Die leicht vorspringende und erhöhte zweite Schicht ist quadratisch, weist also ein Verhältnis 1:1, das Unison, auf. Die dritte Schicht des nochmals erhöhten Mittelteils mit dem Dreiecksgiebel nimmt die Relation 1:2 wieder auf, jetzt allerdings in der Vertikalen. Diese hochgestellten Oktavflächen wiederholen sich in den beiden äußeren Wandflächen der ersten Schicht und bilden so eine „einheitsstiftende Verklammerung“ (Mellenthin: 55). Die Nischen beiderseits des Mittelteils akzentuieren nochmals die zentrale Eingangsachse. Die Fenster- bzw. Türöffnungen mit ihren Rahmungen weisen alle sechs das Verhältnis 3:4 der Quarte auf. Im Gegensatz zu diesen präzisen Zahlenangaben konnte Mellenthin für den Tambour und die Kuppel keine eindeutigen Ergebnisse vorlegen, ist jedoch davon überzeugt, dass auch hier die proportion harmonique bestimmend gewesen ist. Geht man davon aus, dass aus der Sicht des Betrachters die Rundungen des Baukörpers als plane Ausdehnungen erscheinen, dann weist das Untergeschoss des Tambour ein Verhältnis von 1:3 aus, also der Quinte über Oktave, und das darüberliegende Obergeschoss eine Relation 1:4, also der Doppeloktave. Die Kuppel schließlich scheint nach den Proportionen 2:3 der Quinte gestaltet zu sein – in der Musik wird diesem Intervall bezeichnenderweise ein überwölbender Charakter zugesprochen. Im Fensterfeld der Laterne wiederholt sich das Unison der zweiten Schicht des Korpus. Die Verwendung nur weniger Relationen erzeugt ein hohes Maß an harmonischer Einheitlichkeit – „Ursache für die jeden Betrachter ansprechende Ausgewogenheit in der Gestaltung des Domes“ (Mellenthin: 57).

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Abb. 133: Die von Mellenthin vorgenommenen Proportionsmessungen an der Fassade der Königskirche

Quelle: Mellenthin: 250

Leider gibt es zur Hauptfassade der Nordseite keine Untersuchungen zur dort eventuell realisierten proportion harmonique. In der Beschreibung Péraus findet sich allerdings ein Hinweis, dass sie „[...] die Aufmerksamkeit der Neugierigen und der Kenner auf sich zieht durch ihre prächtige Ordnung und durch die Richtigkeit ihrer Proportionen [...]“ (übers.: U.H.; Pérau: 88). Dieses Urteil ist leicht nachvollziehbar, wenn man die als perfekte Schauseite ausgestaltete Nordfassade betrachtet: Ihre vollkommene Symmetrie lässt die Potenz des Erbauers erahnen, der die Macht und die Mittel besaß eine solche Einheitlichkeit anzuordnen. Diese Einheitlichkeit könnte massiv und erdrückend wirken, doch die Rhythmisierung der Fassade wirkt dem entgegen. Sie folgt wiederum bestimmten Proportionen – soweit sich dies an den Grundrissen und Plänen bei Pérau nachvollziehen lässt (Pérau: Plan 2, 3 und 5). So sind die beiden Eckrisalite und der zentrale Eingangspavillon mit dem Triumphbogen ungefähr von gleicher Breite, die dazwischen liegenden Trakte zu beiden Seiten haben jeweils die

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vierfache Breite, stehen also zu den vorspringenden Bauteilen im Verhältnis 1:4, was einer Doppeloktave entspricht. Innerhalb der beiden Trakte erfolgt eine weitere Rhythmisierung, indem die jeweils 16 Achsen in einer durch bossierte Bänder markierten Abfolge von 4-1-6-1-4 gegliedert sind und so jeweils drei Abschnitte bilden. Auch hier also wieder die bekannten Relationen von 1:4 und von 4:6, was einer Quinte (2:3) entspricht. Die gesamte Fassade erstreckt sich über eine Breite von rund 195 Metern, was 100 toises, dem zeitgenössischen Längenmaß, entspricht. Da die durchgehend gleichmäßige Höhe der Front einschließlich Dachkonstruktion etwas mehr als 25 Meter (= 13 toises, 1 Fuß) beträgt, lässt sich hier eine annähernde Relation von zweimal 1:4 feststellen. Betrachtet man diese Detailzahlen und Relationen im Zusammenhang, dann liegt der Schluss nahe, dass für Libéral Bruant als Architekt auch bei der Planung der Schauseite die Vorgaben der proportion harmonique ausschlaggebend waren. Trotz des insgesamt massiven Baukörpers wirkt die gesamte Fassade daher vollkommen harmonisch und ausgewogen. 3.6.5 Atmosphärische Wirkung und symbolische Aufladung Sire, ich habe die Ehre Eurer Majestät den Schlüssel dieses heiligen Tempels zu Füßen zu legen, den Eure Frömmigkeit zum Ruhme Gottes hat errichten lassen. [Ich bin] glücklich, wenn diese Arbeit, die Sie meinen Bemühungen seit dreißig Jahren anvertraut haben, der erhabenen Idee, die Eurer Majestät mir davon gab, und den weisen Ratschlägen entsprechen kann. Dieses prachtvolle Monument Eures Glaubens wird in der fernsten Nachwelt die Größe Eurer Herrschaft erweisen (übers.: U.H.; zit. Nach Lagrange/Reverseau: 27).

Mit diesen Worten überreichte Jules Hardouin-Mansart am 28. August 1706 Ludwig XIV. die Königskirche – ganz offensichtlich nicht ohne Stolz und Selbstbewusstsein für das jahrzehntelange Vertrauen des Monarchen und unter Hinweis auf dessen nicht nur als rhetorische Floskel zu verstehende Anteilnahme an der Bauplanung. Wenn dabei weniger von der eigentlichen Funktion des Bauwerks die Rede ist, so entspricht dies ganz einem der römischen Antike entlehnten Topos der Herrscherpanegyrik, die in den großen Bauwerken den Nachruhm der Herrscher gesichert sah. Zwar hatte Ludwig XIV. während der langen Entstehungszeit die Baustelle insgesamt drei Mal besucht, aber es ist bezeichnend, dass erst mit der Fertigstellung des Domes ein großes Einweihungszeremoniell stattfand – die Eröffnung des Veteranenheims, der eigentliche Zweck der Anlage, bot offensichtlich nicht den angemessenen Rahmen für den Auftritt des Königs.

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Dem monarchischen Repräsentationsbedürfnis entsprach nun der Ort voll und ganz – allerdings im Vergleich zur ursprünglichen Konzeption in gewandelter Form und mit veränderten Botschaften: Die Kuppel der prachtvollen Kirche zeigt nicht mehr Ludwig XIV. als triumphalen Sieger über seine Feinde, wie es der erste Entwurf La Fosses aus dem Jahr 1676 noch vorsah, als sich der König im Erfolg seiner militärischen Siege sonnte. Jetzt erscheint dort Ludwig IX., der heilige Vorgänger, wie er Christus und Maria sein Schwert präsentiert. Auch hier scheint sich die veränderte Gesamtlage des französischen Königreichs am Ende des Jahrhunderts, die – wie bereits dargestellt – zu einem deutlichen Stimmungsumschwung des Königs und zu einer weniger triumphalen Selbstdarstellung geführt hatte, ausgewirkt zu haben (Holst: 54ff.). Ludwig XIV. ist zwar im gesamten Innenraum durch zahllose Monogramme und das Sonnenemblem anwesend und erinnert damit unübersehbar an seine Urheberschaft, aber aus dem Bildprogramm der Kirche ist er (als noch lebender Monarch?) verschwunden. An seine Stelle tritt Ludwig der Heilige, dem als Patron der Soldaten der Hauptaltar beider Kirchen geweiht ist. Die Botschaft seines heiligmäßigen Lebens setzt sich in zahlreichen Darstellungen in der Kirche fort, indem kaum Kampfszenen (Eroberung Damiettes), dafür aber umso mehr Bilder zu sehen sind, die den König in der Nachfolge Christi zeigen (Fußwaschung, Krankenheilung, Armenfürsorge etc.). Indem der König sich zu untergeordneten Diensten erniedrigt, erhöht er sich zugleich in der Imitatio Christi. Die Skulptur des heiligen Ludwig links vom Eingang zur Königskirche vermittelt diese veränderte Botschaft: Der Heilige ist durch seinen Schild zwar als Kreuzritter erkennbar – mit seinem rechten Fuß tritt er auf einen Turban – , trägt aber keine Waffen und als Rüstung nur Arm- und Beinschienen. Er hält stattdessen die Dornenkrone in der Linken: Der Glaube obsiegt letztendlich und ist stärker als das Schwert, selbst wenn dies gegen die Ungläubigen oder die Feinde der Kirche notwendig sein mag. In dieser Figur, so kann man die exponierte Darstellung verstehen, manifestiert sich der „neue“ Ludwig, dessen harsche Religionspolitik gegen die Hugenotten so umstritten war und der an seinem Lebensende nicht mehr für weltlichen Ruhm, sondern für sein ewiges Seelenheil leben wollte (de Boislisle: 133; vgl. Kap. 3.5). Die Skulptur auf der rechten Seite des Eingangs, Karl der Große, ist dagegen kriegerisch gewandet mit Schwert und dem Herrschaftszeichen des Reichsapfels, an den Waden umgürtet mit dem Löwenemblem des Herkules als Siegeszeichen. Wie Karl der Große verstand sich Ludwig XIV. als Schutzherr der Kirche und wie der Kapetinger sah er im engen Zusammenwirken von Königtum und Kirche die Erfüllung seiner Aufgaben.

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Doch die Skulptur Karls beinhaltett noch n eine andere Botschaft: Er galt in der zeitgenössischen französischen Herrsch schaftsideologie als Ahnherr der französischen Königsdynastien, die ihre Legitim timität und ihren Vorrang im Gegensatz zur kaiserlichen Wahlmonarchie des Heilig iligen Römischen Reiches mit dem höherwertigen Geblütsrecht begründete. Die französischen Könige verstanden sich daher als älteste und höchstrangige Souveräne S in Europa, obwohl von einer dynastischen Kontinuität von den Meerowingern über die Kapetinger und die Valois zu den Bourbonen nicht die Red ede sein kann (Jestaz: 38ff.). Auch an anderer Stelle wird die Rivalität zum Kais aiser bzw. der Vorrang des französischen Monarchen deutlich, wenn etwa das Gitter Gi des Zugangsportals die bereits genannten Ordenskreuze zieren, oder wen wenn auf einem Gemälde des Refektoriums Ludwig XIV. huldvoll den Dank derr europäischen Mächte für den Friedensschluss von 1678 entgegennimmt.

Abb. 134: Ludwig der Heilige, heiligges esprochen 1297 (nach Nicolas Coustou 1658-1733)

Quelle: Foto: U.H.

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Abb. 135: Karl der Große/Charlemagne, heil eiliggesprochen 1165 ( nach Antoine Coysevox)

Quelle: Foto: U.H.

Die beiden derart exponierten Skulpturen symbolisieren, sym so erscheint es, in konzentrierter Form die Leitlinien der Politik und un die Legitimationsstrategien Ludwigs: Mit der Namensgleichheit seines heilig iligen Vorgängers ist auch eine Identifikation vollzogen, die es dem aktuellen Kön önig erlaubte sich selbst in der Gestalt des Heiligen zu rühmen – was in der Kirche he in umfangreicher Weise geschieht. Der „neue“ Ludwig konnte seine umstritten ene Religionspolitik gegen die Hugenotten als konsequente Fortsetzung des Kampfes Ka seines heiligen Vorgängers darstellen und die Berufung auf das Gottesg sgnadentum, wie es das Kuppelfresko darstellt, ist in diesem Kampf ein zentrales Legitimationsargument. L Dass der rex christianissimus sich gleichzeitig mit den muslimischen mu Türken gegen Habsburg verbündete, illustriert nur die Brüchigkeit dieser die Konstruktion. Denn für Ludwig XIV. war die Religion und die französisch sche Kirche natürlich ein Instrument seiner Politik. Die Königskirche ist auch dafü afür ein Zeugnis: Galt die Kuppel, wie bereits der Zeitgenosse Cronström bemerkte, te, als Pendant zum römischen Petersdom, so hätte der geplante Kolonnadenh nhalbkreis vollends die symbolische Ranggleichheit demonstriert. Das Ensemble le wäre Ausdruck des Gallikanismus gewesen, der französischen Kirchenpolitik,, die d traditionell auf die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von Rom achtete.. So S hatte Ludwig XIV. 1682 ein Nati-

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onalkonzil einberufen, das in der Verkündigung der vier „Gallikanischen Freiheiten“ gipfelte. Sie wiesen jegliche Einmischung des Papstes in weltlichen Angelegenheiten scharf zurück – nicht zuletzt um den Einfluss des Königs zu stärken (Malettke 2008: 262f.; Hesse: 98). Wie vertragen sich nun diese vergleichsweise zurückhaltenden Botschaften des späten Ludwigs XIV. mit dem triumphalen Gestus der Nordfassade und der Darstellung in den Refektorien? Auch hier dürfte der bereits erwähnte Stimmungsumschwung des Monarchen aufgrund der desolaten Gesamtlage der Monarchie gegen Ende des 17. Jahrhunderts eine Rolle gespielt haben. Die Planung für das Hôtel des Invalides und die Fertigstellung des eigentlichen Invalidenheims samt Nordfassade und Soldatenkirche (1670-1679) fiel in die Zeit größter militärischer Triumphe Ludwigs XIV., während die Ausgestaltung der Königskirche erst in den Jahren vor und nach 1700 geschah. In der von Erfolgen gekrönten Zeit, als er außerhalb der Metropole den Ausbau von Versailles vorantrieb, ließ er in der Stadt, bzw. am damaligen Stadtrand, ein in Ausmaßen und Perspektiven an seine Residenz erinnerndes Bauvorhaben beginnen. Die weiträumige Esplanade und die monumentale Fassade lassen auch den heutigen Betrachter – ähnlich wie in Versailles – allein auf Grund der schieren Größe als klein erscheinen, zumindest für den Zeitgenossen mag sich angesichts dieser Dimensionen ein Gefühl der Unterlegenheit und der Demut eingestellt haben, das aus der scheinbar unbegrenzten Verfügbarkeit des Königs über Raum und materielle Mittel entsprang. Dieser atmosphärische Eindruck wird verstärkt, wenn sich ein Betrachter der Fassade nähert. Denn über dem Eingangsportal, das Ludwig XIV. als römischen Imperator zeigt, sieht er die Kuppel der Königskirche: Über dem König, so suggeriert diese Perspektive, wölbt sich die göttliche Sphäre, der Monarch steht direkt unter dem in der Domkuppel dargestellten Schutz Gottes – die Schwertweihe des heiligen Ludwigs durch Christus symbolisiert die Übergabe der weltlichen Herrschaft durch Gott, das Gottesgnadentum. Die Botschaft aus dem Inneren der Kirche wiederholt sich damit an der Außenseite für den sich nähernden Betrachter. Erst die strenge Axialität der gesamten Anlage erlaubt diese Perspektive, eine Ostung der Kirchen hätte diese Symbolik nicht ermöglicht. Das Eingangsportal selbst erscheint wie ein „überdimensionierter Triumphbogen“ (Kimpel: 229), der die geschlossene Fassade förmlich sprengt. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass bei jedem Schritt zum Portal der Bogen über die Dachlinie hinauszuwachsen scheint. Durch diesen Bogen, der vom Sonnenemblem gekrönt ist, reitet LUDOVICUS MAGNUS als römischer Imperator (vgl. Kap. 3.5.1.1) – ein weiteres Legitimationselement seiner Herrschaft, indem er sich als Nachfolger der römischen Kaiser in die Reihe der gro-

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ßen Eroberer und siegreichen Herrscher stellte. Diese Botschaft verkünden auch die auf der Kuppel angebrachten Initialen SPQR, die die Feldzeichen der römischen Legionen zierten. Der Freigebigkeit des Königs – so liest man auf der Tafel zu seinen Füßen – ist das Invalidenheim zu verdanken. Diese Inschrift, folgerichtig in lateinischer Sprache, ist im Übrigen der einzige Hinweis auf die Funktion des Gebäudekomplexes im Gegensatz zu der überreichen Anzahl von Symbolen und Initialen wie dem Sonnenemblem, den Lilien oder den „L“Initialen, die immer wieder auf den Initiator des Bauwerks verweisen: Das Hôtel des Invalides ist eben nicht nur Veteranenheim, sondern zugleich Zeugnis der Macht und Größe ihres Erbauers. Zu den Füßen des Monarchen sind zwei Skulpturen positioniert, die die Weisheit und die Gerechtigkeit darstellen. Zusammen mit dem Reiterrelief, das den tapferen Feldherrn evoziert, sind damit drei der vier Kardinaltugenden versammelt – sie sollen offenbar die Herrschaftspraxis Ludwigs XIV. symbolisieren. Es fehlt bezeichnenderweise temperantia, die Mäßigung. Rechts und links neben der monumentalen Eingangstür erheben sich auf Sockeln zwei Skulpturen, die Mars und Minerva-Athene darstellen. Mag diese Doppelung der Kriegsgötter zunächst verwundern, so ist daran zu erinnern, dass Athene auch als Schutzherrin der Künste und des Handwerk galt. Für den Betrachter entsteht angesichts der monumentalen Fassade der Eindruck, dass er im Begriff ist eine Ruhmeshalle des Monarchen zu betreten. Betrachtet man die beiden zeitlich, stilistisch und in ihren Botschaften differierenden Elemente des gesamten Komplexes zusammen – nämlich Fassade und Invalidenheim einerseits und die Königskirche andererseits – dann formen sie gemeinsam ein Ensemble, in dem die verschiedenen Aspekte des nicht ganz widerspruchsfreien Herrschaftsverständnisses Ludwigs XIV. zusammenfließen: Der Anspruch auf militärische Dominanz und politische sowie zeremonielle Vorrangstellung in Europa, die Rolle als Friedensfürst und mildtätiger Herrscher, die Aufgabe als rex christianissimus zur Verteidigung des katholischen Glaubens und schließlich die heilsgeschichtliche Legitimation seiner Dynastie durch die Lehre vom Gottesgnadentum. Symbolisch vertreten werden diese Aspekte durch die römischen Imperatoren, Karl den Großen und den heiligen Ludwig. Die Glorifizierung Ludwigs XIV. und die Apotheose der französischen Monarchie verbinden sich auf diese Weise in dem grandiosen Bauwerk (Erben: 342ff.). 3.6.6 Funktionswandel und Kontinuität – ein Spiegel der französischen Geschichte Wer heute den Komplex des Hôtel des Invalides besucht, wendet sich meist der pompösen Grabanlage Napoleons zu, in die die ehemalige Kirche des Königs

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umgewandelt ist, und besichtigt dann vielleicht noch das große Armeemuseum. Was Ludwig XIV. für sich selbst nicht in die Tat umsetzte, verwirklichte der ‚Bürgerkönig’ Louis-Philippe, indem er – einen Popularitätsschub erhoffend – den Dom zur Grabstätte des Kaisers umwidmete. Bereits zu Lebzeiten hatte der Korse für die Beseitigung der Veränderungen durch die Revolution gesorgt. Nachdem die Volksmenge am 14. Juli 1789 sich mit Gewehren und Kanonen aus den Magazinen des Hotels versorgt hatte, die Königsembleme in der Folgezeit verschwanden und die Kirche in einen Tempel des Mars verwandelt wurde, stellte der Erste Konsul 1801 den katholischen Kult im Dom wieder her. Mit der Einrichtung der Grabstätten für Turenne und Vauban, zweier herausragender Diener des Ancien Régimes, unternahm er den Versuch das Erbe der Revolution mit der Monarchie zu versöhnen. In der Epoche der Restauration nach 1815 kehrten dann auch nach und nach die königlichen Wappen und Embleme zurück, ein Teil der zerstörten Reliefs und Skulpturen wurden erneuert oder erstmals installiert. Der eklatanteste Eingriff in die Bausubstanz des Hôtel des Invalides stellt sicherlich die Grablege Napoleons in der ehemaligen Königskirche dar. Seine sterblichen Überreste waren vom Prinzen von Joinville, dem dritten Sohn LouisPhilippes, aus St. Helena nach Frankreich überführt worden. Am 15. Dezember 1840 bewegte sich ein pompöser Zug – der Sarg auf einem haushohen Wagen, gezogen von zahlreichen Schimmeln, begleitet von Militäreskorten – zum Invalidendom, wo ihn der Bürgerkönig persönlich empfing. Es sollten allerdings weitere 21 Jahre vergehen, bis die Grablege eingeweiht werden konnte – wiederum ein prachtvoller Staatsakt, diesmal von einem Neffen des Korsen angeführt, von Napoleon III., dem Schöpfer des zweiten Kaiserreichs, der wie der Bürgerkönig vom Glanz seines Vorgängers zu profitieren hoffte. Die in den Boden der Königskirche eingesenkte Rotunde von sechs Metern Tiefe und einem Durchmesser von 15 Metern präsentiert auf einem Sockel den kaiserlichen Porphyrsarg mit den Überresten Napoleon Bonapartes, im Umgang rühmen Reliefs seine militärischen Siege und die zivilen Reformen. In der Folgezeit kamen zahlreiche weitere Grabstellen hinzu: Neben Jérôme und Joseph, den beiden königlichen Brüdern Napoleons, eine Reihe führender Militärs wie beispielsweise Foch oder Leclerc, sodass sich die ehemalige Kirche zu einem wahren Pantheon des Militärs entwickelt hat. Und noch Adolf Hitler nutze die Tradition des Domes, indem er 1940 den Sarg des Herzogs von Reichstadt (Napoleon II., König von Rom) aus Östereich überführen ließ – symbolischer Akt der Zusammenarbeit des NSRegimes mit Vichy-Frankreich. Von den ursprünglichen Bewohnern des Komplexes, den Invaliden, sind bis in unsere Tage nur noch wenige geblieben: Ging ihre Zahl nach 1870 bis zum

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Ersten Weltkrieg auf ca. 20 zurück – es gab in Europa kaum Kriege – , leben heute (2014) knapp 100 Pensionäre dort. Dafür haben eine Reihe militärischer Verwaltungseinrichtungen, ein medizinisches Zentrum, mehrere Museen dort Einzug gehalten. Die ursprüngliche Nutzung als Invalidenheim spielt also heute kaum noch eine Rolle, eine militärische Ruhmeshalle und ein Zeugnis der absolutistischen Ambitionen eines Ludwigs XIV. ist das Hôtel des Invalides jedoch geblieben (Lagrange: 46ff.; Lagrange/Reverseau: 35ff.; www.musee-armee.fr/plan -interactif; letzter Zugriff: 12.6.15).

4. London

4.1 S TATT EINER E INLEITUNG : T HESEN ZUR S TADTENTWICKLUNG L ONDONS Um 1600 ist London eine von „Europe’s top five cities“ (Porter 1996: 34) – auch wenn diese Stadt zumindest bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts als eine geteilte betrachtet werden muss: Erst 1878 wird das letzte Stadttor, das London von Westminster trennt, abgetragen. Die Teilung selbst war – auch wenn sie durch die Entscheidung Eduards des Bekenners, den Bau der Westminster Abbey (1045) selbst zu beaufsichtigen und deshalb aus dem Wardrobe Palace (im Stadtgebiet nahe St. Paul) auszuziehen, vorweggenommen wurde – ein Resultat der normannischen Invasion (1066). Wilhelm der Eroberer ersetzte nicht nur nahezu vollständig die angelsächsische Aristokratie durch eine normannische, sondern legte zur Sicherung seines Sieges drei Befestigungen an (Baynard’s Castle, Montfichet und den – erst später so genannten – Tower of London); dazu schuf er sich ein Ausweichquartier (Windsor) und etablierte seinen Hof in sicherem Abstand von der Stadt: in Westminster, das (wegen seiner zahlreichen Bischofssitze) mehr einer kirchlichen Enklave als einem Regierungssitz ähnelte. Die Zweiteilung, die zumindest strukturell bis heute beobachtbar geblieben ist, erfuhr jedoch im Lauf der letzten 1000 Jahre mehrere deutliche Transformationsschübe durch die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Entwicklungen – vor allem im Zusammenhang mit der Reformation, dem Bürgerkrieg und der Restauration sowie der Industrialisierung (vgl. Bucholz/Ward, passim). Die Reformation in England revolutionierte nicht nur das Stadtbild der Londoner City, sondern auch das Gebiet von Westminster. In zwei Schritten wurden alle Klöster und kirchlichen Einrichtungen aufgelöst, zunächst der königlichen Krone zugeteilt und anschließend zum größeren Teil verkauft und zum kleineren verschenkt. Insgesamt handelte es sich um 560 Institutionen mit einem Landbesitz, der 1539 mit £132.000 veranschlagt wurde. (Der heutige Wert liegt je nach

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Berechnungsindex zwischen £56 und £650 Millionen Pfund.) Diese Landverteilung löste einen Bauboom aus. Da auch die Bevölkerung stark anstieg, nutzten große und kleine Adelige die Gunst der Stunde, kauften Land und bebauten es. Als die Stadtbevölkerung allerdings immer stärker anstieg, verkauften die besser Betuchten ihre Stadtbesitzungen (durchaus mit Profit) und zogen in bessere, weniger bevölkerte Viertel: vor allem nach Westen in Richtung des seit Heinrich VIII. königlichen Palastes von Whitehall. Während Heinrich VIII. von Whitehall und seinen diversen Landsitzen aus regierte, begnügte sich Elisabeth mit Whitehall und Greenwich. Mit der Ankunft der Stuarts in London (1603) wurde Westminster repräsentativer: „[T]he early Stuarts made Whitehall the permanent nucleus of state occasions, royal entertainments and diplomacy“ (Porter 1996: 69). Nach dem Queen’s House (in Greenwich) ließ Jakob I. von Inigo Jones auch ein neues Banqueting House (1622 vollendet) erbauen. Einige wenige reiche Aristokraten folgten seinem Beispiel: der Strand wurde bebaut und der 4. Earl von Bedford ließ Covent Garden in der Form einer Piazza anlegen. „Erstmals wird hier ein Grundmuster der Urbanisierung Londons sichtbar: das Anlegen großer, im Zentrum freibelassener Platzanlagen mit repräsentativer Randbebauung als privates, gewinnorientiertes Vorhaben einzelner Investoren.“ (Höcker: 29) Der Bürgerkrieg und die Republik (1642-1660) haben – sieht man vom Schleifen einiger Burgen und von den errichteten, aber nicht genutzten Stadtbefestigungen ab – keine baulichen Veränderungen gezeitigt, wohl aber die folgende Restauration und das große Feuer. Letzteres zerstörte im September 1666 vier Fünftel der City, die bis dahin immer noch ein mittelalterliches Gesicht getragen hatte. Über 13.000 Häuser wurden zerstört, 400 Straßen in ein rauchendes Trümmerfeld verwandelt. Obwohl namhafte Architekten unmittelbar nach der Katastrophe durchdachte Pläne vorlegten, die Modernisierung und Wiederaufbau verbinden wollten, gab es pragmatisch nur eine Lösung: den Wiederaufbau durch die vormaligen Eigentümer. Wenngleich einige Straßen erweitert, Bürgersteige eingeführt und bestimmte Baustandards verbindlich gemacht wurden, blieb doch der alte Straßenverlauf weitgehend erhalten. Mit der Restauration wurde aus Westminster das West End und gleichzeitig die Teilung der Stadt in eine westliche und eine östliche Hälfte definitiv. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um die übliche ästhetische Demonstration absolutistischer Herrschaft: The West End was not imposed from on high as an ensemble; it grew through piecemeal development of self-contained aristocratic estates, forming individual building-blocks. The coherence of the mosaic was due not to dictated vision but to shared values, strength-

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ened by matrimonial alliances. […] it was the work not of princes or popes but of aristocratic capitalism, its driving force noblemen building for profit and prestige. (Porter 1996: 96, 95)

Das Resultat war „an accumulation of units, detached from each other, lacking stately connecting boulevards and panoramas“ (Porter 1996: 96). Die unmittelbar nach der Restauration angelegten Straßen Pall Mall (nördlich vom St. James’s Palace) und The Mall (südlich davon) erhalten erst im Laufe des 19. Jahrhunderts den Charakter von Pracht- und Paradestraßen (vgl. Höcker: 145f.).

4.2 E NGLAND IM 17. J AHRHUNDERT 4.2.1 Der historisch-politische Kontext Das 17. Jahrhundert war zweifelsohne eines der ereignisreichsten, ja: dramatischsten der britischen Geschichte: Mit dem Ende der Tudor-Linie kamen die Stuarts nicht nur auf den englischen Thron, sie wurden auch als erstes Haus Herrscher der gesamten britischen Inseln (union of the crowns). Soviel Macht und Herrschaft über ein so heterogenes Gebilde – England (inklusive Wales) als mächtiger und bevölkerungsreichster Zentralstaat (mit anglikanischer Kirche), Schottland mit einem in London residierenden (also in Edinburgh abwesenden) König (mit einer deutlich protestantischeren Kirche) und Irland (mehrheitlich katholisch, aber von englischen und schottischen Nicht-Katholiken besetzt) – erforderte ein großes Maß an Geschick, Diplomatie und guten Willen auf allen Seiten. Sie waren nicht zu haben. Die Schrecken des folgenden ‚Bürgerkriegs‘ (1642-1649) veranlassten Thomas Hobbes zu der Überlegung, dass nur eines schlimmer sei als absolute Gewalt: ihre Abwesenheit. Die Restauration (1660) stellte die Uhr um zwanzig Jahre zurück: man sprach von einem Interregnum, als sei nichts geschehen. Wieder folgten zwei Könige aufeinander, von denen der erste (Karl II.) wie sein Großvater ausgleichend-diplomatisch agierte, während sein Bruder (Jakob II.) das glatte Gegenteil war. Auch die zweite ‚Revolution‘ war nicht unblutig, obwohl sie gerne so bezeichnet wird, aber an ihrem Ende stand eine nunmehr konstitutionelle Monarchie. Im Einzelnen: Als Elizabeth I. 1603 starb, endete mit ihrem Tod auch die Tudor-Linie. Ihr Nachfolger wurde König Jakob VI. von Schottland, der Sohn von Mary, Queen of Scots und ihrem zweiten Ehemann (Lord Darnley). Seine Urgroßmutter Margaret war die Schwester von Heinrich VIII. gewesen und zur Befriedung der englisch-schottischen Verhältnisse mit Jakob IV. von Schottland

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verheiratet worden. Dessen Urenkel Jakob VI. von Schottland wurde nun auch Jakob I. von England und herrschte damit auch über Wales und Irland, die Heinrich VIII. bereits 1536/1541 und 1543 unter englische Herrschaft gebracht hatte. Jakob I. wurde einerseits mit Begeisterung in England empfangen, war andererseits aber auch der Gegenstand von politischen Verschwörungen (Gun Powder Plot). Die Vereinigung der Kronen wurde von einigen begrüßt, andere sahen sie eher kritisch. Das Parlament verweigerte James 1604 (mit juristischen Argumenten) den Titel „King of Great Britain“, worauf er sich nur selbst als solcher proklamieren konnte. Sowohl Jakob I. als auch sein Sohn Karl I., der ihm 1625 nachfolgte, verstanden sich als Könige von Gottes Gnaden: „The state of monarchy is the supremest thing upon earth: for kings are not only God’s lieutenants upon earth and sit upon God’s throne, but even by God himself they are called gods.“ (Zit. bei Kramer: 223) Aber während Jakob im Inneren wie im Äußeren vornehmlich diplomatisch und ausgleichend agierte, war Karl von sich und seiner Meinung mehr als überzeugt. Er meinte, bereits vier Jahre nach seiner Thronbesteigung sein englisches Parlament entlassen zu können und für weitere elf Jahre kein neues einberufen zu müssen. Als er dann jedoch versuchte, den Schotten – deren König er ja auch war und deren Reformation sich ja deutlich von der englischen unterschieden hatte – ein an der anglikanischen Kirche orientiertes Gebetbuch aufzuzwingen, kam es zu einem Konflikt, der Karl nötigte, sein englisches Parlament einzuberufen, weil er Krieg gegen die Schotten führen wollte und dafür Geld brauchte. Diese Situation nutzte das (englische) Parlament, um – zunächst – die Missstände der letzten Dekade anzuprangern; die wollte Karl aber nicht hören und schickte das Parlament wieder nach Hause. Mittlerweile hatten die Schotten sich gerüstet, Karl musste eine militärische Niederlage einstecken und Frieden schließen. Der Streit zwischen den Engländern und Schotten ermunterte die Iren, den Aufstand gegen ihre englischen und schottischen Besatzer zu wagen. Um den Aufstand niederschlagen zu können, brauchte Karl wieder das Parlament, das aber – kaum einberufen – sich erstmal daran machte, seine eigene Existenz zu sichern. Es beschloss 1641 zweierlei: dass wenigstens alle drei Jahre ein Parlament einberufen werden sollte und dass es nicht gegen seinen Willen aufgelöst werden konnte. Als jedoch Gerüchte aufkamen, der König habe

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den Aufstand der Iren möglicherweise selbst angezettelt, um seine Kritiker zum Schweigen zu bringen und politisch wieder handlungsfähig zu werden, brach das Vertrauen in ihn und seine Regierung zusammen. Das Parlament verabschiedete eine „große Beschwerde“ (Grand Remonstrance), die zu diskutieren der König sich weigerte. Als er dann noch versuchte, die führenden Oppositionellen im Parlament verhaften zu lassen, begann der sog. Bürgerkrieg. Das Parlament mobilisierte Truppen, ebenso der König. In der folgenden Auseinandersetzung, die von 1642-1648 dauerte, versuchte der König mehrfach, die drei Königreiche gegeneinander auszuspielen – mit mehr oder minder großem Erfolg. Letztendlich war es die Schlagkraft der New Model Army des Parlaments, die den Ausschlag gab: Karl wurde gefangen, floh, wurde wieder gefangen, vor Gericht gestellt, des Hochverrats angeklagt und am 30. Januar 1649 vor dem Banqueting House hingerichtet. Die Zeit des Commonwealth bzw. der Republic wurde wesentlich von Cromwell und seinen Unterstützern bestimmt. Wenngleich militärisch und (trotz der gewaltigen Ressourcen, die der Krieg verschlungen hatte) wirtschaftlich erfolgreich, gelang es den „Puritanern“ nicht, die Lage im Inneren des heterogenen Insel-Staates zu befrieden. Als nach dem Tode Cromwells (1658) ein Machtvakuum entstand, das sein Sohn (und designierter Nachfolger) nicht füllen konnte, veranstaltete die Armee einen Putsch und verhandelte mit Karl II., der in den Niederlanden im Exil weilte, über die Wiederherstellung der Monarchie. Die Rückkehr des Königs und seines Hofes bedeutete mehrerlei: Politisch wurde die Herrschaft der Stuarts fortgesetzt; die Gesetze, mit denen das alte Parlament sich unauflöslich gemacht hatte, galten nicht mehr. Durch den Aufenthalt auf dem Kontinent – zunächst in Frankreich, dann in den Niederlanden – war zudem der katholische Einfluss am Hofe größer geworden. Auch der kulturelle Geschmack des Königs und seiner Eliten war stark von kontinentalen Einflüssen geprägt: Das wurde u.a. an Entwicklungen in der Mode, der Hofetikette, dem Theater (in dem jetzt weibliche Rollen von Schauspielerinnen besetzt wurden) und der Architektur deutlich. Da Karl II. zwar keineswegs ohne, aber ohne legitime Nachkommen blieb, wurde sein katholischer Bruder Jakob II. 1685 sein Nachfolger. Er verspielte in weniger als drei Jahren alle politischen Sympathien, so dass einflussreiche Engländer seinen Neffen und Schwiegersohn, Wilhelm III., den Prinzen von Oranien, aufforderten, in England die Macht zu übernehmen. Der ließ sich nicht lange bitten und landete mit einer Streitmacht an der englischen Küste; Jakob II. geriet in Panik und floh nach Frankreich. Nachdem Wilhelm und seine Frau Mary die vom Parlament verabschiedete Declaration of Rights akzeptiert hatten, wurden sie 1689 als gemeinsame Herrscher gekrönt. Die britische Monarchie war nun-

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mehr eine konstitutionelle. Wilhelm musste seine Herrschaft im Inneren zunächst gegen Jakob II. in Irland (1690) und Stuart-Unterstützer in Schottland (bis 1692) verteidigen und gleichzeitig gegen Frankreich einen neunjährigen Krieg (bis 1697) führen. Als Mary 1694 starb, regierte Wilhelm bis zu seinem Tod 1702 allein. Auf ihn folgte Marys Schwester Anne (1702-1714). Mit ihrem Tod war die Herrschaft der Stuarts zu Ende: Im Act of Settlement (1701) schloss das Parlament die Nachkommen von Jakob II. und weitere 57 Anspruchsberechtigte wegen ihres katholischen Glaubens von der Thronfolge aus. Über Elizabeth, die Tochter von Jakob I. (und Schwester von Karl I.), die den protestantischen Kurfürsten von Rheinland-Pfalz geheiratet hatte, ging die Krone an deren Tochter Sophia, die mit dem Kurfürsten von Hannover verheiratet war. Da sie starb, ehe sie Anne nachfolgen konnte, fiel die britische Krone an ihren Sohn Georg I. 4.2.2 Acht Anmerkungen zum architekturhistorischen Kontext 1. Um 1600 gab es auf den britischen Inseln noch keine Architekten im heutigen Sinne. Für die meisten mit dem Bau(en) Beschäftigten war das, was sie taten, eher ein Handwerk als das Praktizieren einer Kunst oder Wissenschaft (vgl. zum Folgenden Colvin: 22ff.). Die Errichtung eines Hauses war das Produkt von Teamarbeit, die allerdings deshalb nicht unproblematisch war, weil jeder Berufszweig die anstehenden Probleme aus seiner Sicht lösen wollte und eine technische oder ästhetische Oberaufsicht selten war. Das änderte sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts entscheidend. Zumindest zwei Entwicklungen haben hierzu beigetragen. Zum einen neigte sich die Zeit der Zünfte, die die unterschiedlichen Sparten des Handwerks – hier: Maurer, Steinmetze, Bildhauer, Bautischler und Bauschreiner – organisierten, ihrem Ende zu, weil die Zahl der von den Zünften (und ihren Regeln) unabhängigen Handwerker – auf Grund der ständig steigenden Nachfrage – zunahm und auf diese Weise den Einfluss der Zünfte untergrub. Zum anderen sorgte der ‚neue’, sich durchsetzende künstlerische Geschmack der Stuart-Könige und ihrer Eliten dafür, dass nunmehr ‚komplexere’ Bauwerke, die neben spezifischen handwerklichen Fertigkeiten auch mathematische Fähigkeiten und ein generelles theoretisches Verständnis (inklusive der Kenntnis antiker Vorbilder) erforderten, erwünscht waren. The classical architecture which Inigo Jones introduced into England was based on a highly sophisticated theory of design which could not well be studied outside Italy, and was beyond the intellectual grasp of the average master builder. Moreover, its execution demanded that the craftsman should subordinate himself to a single controlling mind in a way which he had never been required to do before. It demanded, in fact, the employment

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of someone whose education had included the conscious study of design, and whose functions were to be supervisor rather than executive: in other words, the architect. (Colvin: 24).

2. So wie das 17. Jahrhundert einerseits die ersten modernen Architekten hervorbrachte, so war es andererseits das letzte Jahrhundert, in dem ein britischer König durch sein Office of Works und dessen Personal (wie den Surveyor of the King’s Works) die Bautätigkeit in seinem Land – durch seine Paläste und von ihm angeregte bzw. finanzierte Bauten – nicht nur beeinflussen, sondern entscheidend prägen konnte (vgl. Summerson 1993: 277). Letzterer Umstand fand im Gefolge der sog. Glorreichen Revolution von 1688-1689 sein Ende – u.a. deshalb, weil nunmehr alle finanziellen Aktivitäten des Landes, soweit sie nicht aus der Privatschatulle des Monarchen finanziert wurden, der Genehmigung des Parlaments bedurften. In der Folgezeit suchten sich die Künstler und Handwerker ihre Auftraggeber, die über die nötigen Mittel verfügten, wo sie sie fanden. Zwei der zweifellos größten Architekten nicht nur dieses Jahrhunderts, sondern der britischen Architekturgeschichte insgesamt bekleideten auch das Amt des Surveyor of the King’s Works: Inigo Jones (1573-1652) von 1615-1643 und Christopher Wren (1632-1723) von 1668-1719. Beide waren nicht nur sehr einflussreich, sondern auch immens erfolgreich – und dennoch hätten sie (und ihre Karrieren) unterschiedlicher nicht sein bzw. verlaufen können. Gemeinsam ist beiden, dass sie in nicht-architektonischen Bereichen zu arbeiten begannen: Jones war wohl zunächst „picturemaker“, um sich dann stark im Bereich des Theaters zu engagieren: Zwischen 1605 und 1640 war er (oft gemeinsam mit dem Dichter Ben Johnson) für die Produktion von über 50 höfischen Maskenspielen, Theaterstücken und anderen höfischen Belustigungen verantwortlich (vgl. Colvin: 585). Erst über diese Arbeit mit ihrem hohen Anteil an bühnenbildnerischen und -technischen Tätigkeiten fand er zur Architektur. Wren dagegen hatte eine ausgezeichnete Schulbildung, studierte in Oxford, wurde 1657 Professor für Astronomie am Gresham College (London) und kehrte 1661 als ebensolcher nach Oxford zurück. Seine weitgespannten Interessen (Mathematik, Physik, Meteorologie u.a.m.), seine Expertise als Zeichner und seine große Vorliebe für Modelle (und ihre praktische Konstruktion) wuchsen mit der Zeit beinahe naturwüchsig zu einem Interesse an der Architektur zusammen (vgl. Colvin: 1152). Während Jones als „great traveller“ galt – er war in Dänemark (1603), in Frankreich und mindestens zweimal (zwischen 1598 und 1603 und 1613-1614) in Italien (Colvin: 585-586) – hat Wren, soweit wir wissen, nur eine Auslandsreise gemacht: 1665 nach Frankreich „to survey the most esteem’d Fabricks of Paris“ (zit. bei Colvin: 1153).

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3. Insbesondere die letzte Italienreise, die Inigo Jones im Gefolge des Earl of Arundel (der einer der größten Mäzene und Kunstsammler Englands werden sollte) antrat und die mehr als ein Jahr dauern sollte, hinterließ einen tiefen Eindruck. In dieser Zeit besuchte Jones Mailand, Padua, Parma, Siena, Florenz, Bologna, Vicenza, Rom, Neapel, Genua und Turin, um schließlich über Paris nach London zurückzukehren. Seine Ausgaben von Palladios Quattro Libri, Serlios Architettura und anderer Werke (von Vignola und Lomazzo) zeigen, dass er sie als Führer zu den dort beschriebenen historischen Bauten benutzt, ihre Angaben kritisch geprüft und kommentiert hat. In Venedig hat er zudem Scamozzi (einen Schüler Palladios) getroffen und von ihm Originale erworben. Als er (kurz nach seiner Rückkehr) 1615 zum Surveyor of the King’s Works bestellt wurde, war er mehr als gut gerüstet, nicht nur das Bestehende zu erhalten, sondern auch Neues zu schaffen. Drei der wichtigsten Bauten, die auch heute noch – wenn auch in veränderter Form – in Augenschein genommen werden können, sind das Banqueting House in Whitehall, das Queen’s House in Greenwich und die Queen’s Chapel im St. James’s Palace, die Jones für die Stuart-Könige Jakob I. und Karl I. baute. Sie bezeugen, dass Jones nicht nur die antiken Vorbilder (wie sie von Palladio und Scamozzi vermittelt wurden) genau studiert hat, sondern vor allem, dass er fähig war, ihre Anregungen aufzunehmen und in dem neuen – englischen – Kontext kongenial umzusetzen. So etwas hatte es in England bis dahin nicht gegeben. Die alte St. Paul’s Kathedrale renovierte Jones in den 1630er Jahren und versah sie mit einer neuen (hauptsächlich von Karl I. gestifteten) Westfront. Ihr besonderes Merkmal war eine große Korinthische Säulenhalle – die größte nördlich der Alpen –, die die Erhabenheit klassischer Architektur noch auf den Abbildungen ahnen lässt. Die Anlage von Covent Garden (inklusive der Kirche St. Paul’s) entstand im Auftrag des Earl of Bedford und sollte ein Vorbild für die Stadtplaner der kommenden Jahrhunderte werden. 4. Es wäre allerdings verfehlt (oder doch zumindest sehr einschränkend), wollte man die intellektuelle Entwicklung und praktische Tätigkeit von Jones und seinen Zeitgenossen lediglich auf die italienischen Vorbilder zurückführen. Zunächst einmal waren sich alle Zeitgenossen dessen bewusst, dass Bauten beredte Bilder von Herrschaft darstellten: Ihre Funktion war es, bei Gleichgestellten Bewunderung und bei Untergebenen Ehrfurchtsgefühle zu wecken. Letztere kamen dem Herrscher und (nach ihm) seinem Gefolge zu. An ihrer Auffassung von Gottkönigtum ließen (wie wir bereits gesehen haben) weder Jakob noch sein Sohn Zweifel aufkommen. Diese Auffassung wurde als übereinstimmend mit der Verfassung der Welt empfunden, wie sie in Platos Timaios entwickelt worden ist (vgl. zum Folgenden Hart). Hiernach bestand das Universum aus drei Schichten:

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der Welt der Menschen, der Welt der Planeten und Fixsterne und der Welt Gottes und der Engel. Letztere wurde mit dem Reich der platonischen Ideen gleichgesetzt. Diese konnten auf den Menschen nur ‚abstrahlen‘, wenn es den Künstlern gelang, durch die Schönheit natürlicher Formen – der Mensch (natürliche Form) als Ebenbild Gottes (Idee) – die Menschen die Vollendung der Welt Gottes und der Engel (bzw. der Ideen) Schritt für Schritt ahnen und (wo möglich) erfassen zu lassen. Hierbei wurde von einer grundsätzlichen Relation zwischen der Welt der Menschen (Mikrokosmos) und der Welt der Planeten (Makrokosmos) ausgegangen. Dabei galt die Musik als das wirkmächtigste Medium, das dadurch, dass es die harmonischen Proportionen von Mikrokosmos und Makrokosmos verkörperte und zur Darstellung brachte, diese dem Geist und der Seele des Menschen vermitteln konnte. Der klassischen Architektur wurde als ‚gefrorener Musik‘ ein vergleichbarer Effekt zugeschrieben. Die Grundlage hierfür bildete die neoplatonische Gleichsetzung von Platos Charakterisierung der regelmäßigen Formen des Makrokosmos und ihrer Reflexion im Mikrokosmos mit Vitruvs Zeichnung der menschlichen Figur, die von einem Kreis und einem Quadrat (Symbolen der Vollkommenheit Gottes und der Welt) umfangen war. 5. Ihren unmittelbarsten Ausdruck fand diese Auffassung in den court masques – insbesondere unter der Herrschaft von Karl I. Inspiriert von den Intermezzi des Medici-Hofes am Ende des 16. Jahrhunderts, waren diese Maskenspiele platonische Allegorien, die die Macht und den Glanz des Hofes darstellen und preisen sollten. Hierbei waren die Protagonisten des Hofes (inklusive des Monarchen) auch oft die Protagonisten auf der Bühne. In dem Maskenspiel wurde der Hof als Inbegriff göttlicher wie gesellschaftlicher Ordnung mit seinen Widerparts (Hölle, schwarzer Magie, Anarchie) konfrontiert und dem Herrscher die Möglichkeit gegeben, mit Hilfe seiner ‚guten‘ (weißen) magischen Kräfte die scheinbar unvereinbaren Widersprüche zu versöhnen und zu ‚heilen‘. The image of the monarch, church, and state was here perfected through the revelation of the divine Ideas – justice, religion, virtue, peace – of which the Stuart Court was at first a mere earthly reflection but later, during the years of Charles’s autocracy [1629-1640], was elevated to become a living embodiment. (Hart: 17)

Hierzu passt, dass sich Jakob I. als britischer Salomon, Augustus und Konstantin (also als jüdischer König, heidnischer Kaiser und christlicher Prinz) stilisieren ließ, der nach einem halben Jahrhundert weiblicher Herrschaft Albion in alter Größe wieder erstehen lassen und dadurch seinen Anspruch auf den Thron absichern wollte. Diese Apotheose fand in einem der Deckengemälde im Banqueting

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House, die Karl I. zum Andenken seines Vaters bei Peter Paul Rubens 1629 in Auftrag gab und in dem Rubens Jakob I. als Salomon darstellte, ihren Höhepunkt. 6. Die Kreativität von Inigo Jones speiste sich also aus einer Vielzahl von Quellen: Da waren zum einen die antiken Vorbilder, wie sie bei Vitruv dargestellt und von den italienischen Architekten der Renaissance (Alberti, Palladio, Serlio, Scamozzi) aufgenommen und weiterentwickelt wurden; da war zum anderen das platonische Weltverständnis und seine Wiederentdeckung, das einerseits den Gedanken der harmonischen Proportionen für die Architektur fruchtbar machte, andererseits in den Maskenspielen auf beeindruckende Weise mit der Vorstellung vom Gottkönigtum harmonierte; da war schließlich die aufwendige Theatertechnik mit ihren neuen Bühnenperspektiven, komplexen Maschinen und theatralischen Effekten, die auf den Bau von Palästen und Häusern anwendbar war. Jones war zudem als sozialer Aufsteiger von Vorstellungen von Etikette und Schicklichkeit beeindruckt; für ihn (wie für die meisten seiner Zeitgenossen) war Architektur wesentlich hierarchischer Natur: Die Gebäude sollten den angemessenen Platz seines Besitzers in der sozialen Hierarchie widerspiegeln. So wie die Menschen der Antike gewisse Säulenformen bestimmten Göttinnen und Göttern zugeordnet hatten, so sollten – laut Serlio – auch die Architekten des 16. und 17. Jahrhunderts verfahren. Entsprechend hat Jones in seiner Architektur bewusst Zeichen der Autorität verwendet (vgl. Worsley 2007: 123-153): Da war zum einen der dreieckige Giebel: entweder als Krönung einer freistehenden Säulenhalle oder eines angebauten Vorbaus; das beste Beispiel ist die (1666 zerstörte) Westfront der St. Pauls-Kathedrale. Da war zum anderen die Säulenhalle (oder -reihe) selbst, die entweder mit der Kirche oder der Monarchie assoziiert wurde. Die Säulenreihe stand für eine heidnische Tempelfront, die nunmehr durch einen christlichen Herrscher – verstehe er sich Fidei Defensor oder als Oberhaupt der Kirche – angeeignet und zu neuer Blüte geführt wurde. Da war schließlich das dreiteilige venezianische Fenster, das sich im 16. Jahrhundert zu einem weithin akzeptierten Symbol von (weltlicher wie geistiger) Herrschaft entwickelt hatte; Jones hat das nach Osten gerichtete Fenster der Queen’s Chapel im St. James’s Palace entsprechend gebaut. Neben ihrer Großartigkeit strahl(t)en die Bauten von Jones immer auch ein gewisses Maß an würdevoller Zurückhaltung, ja Nüchternheit aus. Auf dem Gipfel seiner Schaffenskraft in den 1630er Jahren verwendete er tempelartige Säulenreihen für religiöse Gebäude, die klassische Säulenordnung für königliche Paläste und reduzierte architektonische Zierden für Wohnhäuser (auch der Eliten) auf ein Minimum – was sich vor allem daran zeigte, dass Jones sie – anders als viele Zeitgenossen – ohne volle, halbe oder

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angedeutet Säulen konzipierte und baute (vgl. Worsley 1995: 8). Es ist, als hätte Jones architektonisch die Folgen des Bürgerkriegs – eine Tendenz zu Genügsamkeit, Herbheit und Schmucklosigkeit – vorweggenommen. Man kann Jones mit Fug und Recht sowohl als „klassischen“ wie auch als „neo-klassischen“ Architekten bezeichnen (vgl. zum Folgenden Worsley 1995: 45): In seiner ersten Phase (Banqueting House) nimmt er für die Konstruktion öffentlicher Gebäude gekonnt die Anregungen von Palladio und Scamozzi auf, während er ihre Pracht für die Privathäuser reduziert. In den Werken seiner späteren Zeit (Covent Garden, 1631-1637; Westfront der St. Paul’s Kathedrale, 1633-42) lässt er sich von Vorbildern aus dem antiken Rom inspirieren. Das gilt auch für die Skizzen zu einem neuen Palast in Whitehall (vgl. Worsley 1995: 4950). 7. Mit dem Bürgerkrieg endete (1643) auch Jones’ Amt als Surveyor of the King’s Works. Jones war bereits siebzig. Er begleitete den König während des Krieges, arbeitete auch für ihn (u.a. auch bei dem Bau von Befestigungsanlagen), ja er machte noch Entwürfe für einen neuen Palast in Whitehall. Aber die erbte sein Schüler und langjähriger Assistent John Webb (1611-1672) und nutzte sie später, nach der Restauration. Viele der Ideen, die Jones zugeschrieben werden, sind uns nur in der Form überliefert, wie sie von Webb aufgezeichnet wurden. Das gilt vor allem auch für eben diesen, noch in den 1640er Jahren konzipierten neuen Whitehall Palace für Karl I. Die Zeit des sog. Interregnums (1649-1660) war großen Bauvorhaben nicht günstig: Der Krieg hatte zu viele Ressourcen geschluckt, die puritanischen Kriegsgewinner erschraken, als sie realisierten, wie hoch die hohen Kosten der Gebäudeerhaltung waren, und waren deshalb eher an der Zerstörung (und Verwertung) baulicher Zeichen königlicher und aristokratischer Macht interessiert – Whitehall sollte zum Verkauf angeboten werden – als an baulicher Selbstinszenierung. Diese begann erst wieder nach der Restauration. Die Architektur nach der Restauration setzte sich – durch mehr Nüchternheit und Schlichtheit – von dem Überschwang der frühen Stuartzeit ab (vgl. Thurley 2013: 250ff.). Dies war bereits in den von Jones konzipierten Wohnhäusern (wie Covent Garden) zu spüren. Die Ideen von Exilanten wie Hugh May, der in den Niederlanden gearbeitet hatte, gingen in eine ähnliche Richtung. Aber auch diese Haltung löste eine Gegenbewegung aus: Just as Jacobean excess [der frühen Stuarts Jakob I. und Karl I.] led, in counterpoint, to the elegant proportions of [Roger] Pratt and [Hugh] May [in der Restaurationszeit], so (vgl.

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Abb. 66)their architectural austerity led to a mannered classicism that deliberated flouted the rules to create a sense of drama and excitement. (Thurley 2013: 62)

„Sense of drama and excitement“ verbreiteten am Ende des 17. Jahrhunderts die Werke der englischen Barockarchitekten, zu denen u.a. William Talman (16501719), Nicholas Hawksmoor (1661-1736), John Vanbrugh (1884-1726) und Thomas Archer (1668-1743) zählten. Christopher Wren (1632-1732) gilt vielen als der größte englische Barockarchitekt, aber bei ihm muss man verschiedene Phasen seines Werkes unterscheiden. Das wird nirgendwo deutlicher, als bei dem Vergleich seiner beiden ‚Paläste‘ für die Kranken und Invaliden. Karl II. wollte es seinem Vorbild Ludwig XIV. gleichtun, der Les Invalides ab 1670 bauen ließ. Wren konzipierte und baute das Royal Hospital (Chelsea) 1682-1689 zwar monumental, aber klösterlich streng, funktional und schmucklos. Dagegen war das Royal Hospital for Seamen (Greenwich), das Wren 1696 begann und das von Hawksmoor u.a. in der Folgezeit weitergebaut wurde, wesentlich aufwendiger gestaltet. Es gliederte nicht nur den mächtigen (von John Webb 1664-1669 gebauten) King Charles Block ein, sondern verdoppelte ihn, verdoppelte dann die gesamte Anlage mit einer monumentalen doppelten Säulenreihe und ließ nur den Blick auf das Queen’s House frei (vgl. Summerson 1993: 273). Als Reaktion auf die ca. eine Generation währende „English Baroque School“ (vgl. Summerson 1993: 269), erfolgte anschließend eine Wiederentdeckung Palladios, die die britische Architektur der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bestimmen sollte. 8. Wrens Leistung lässt sich nur schwer angemessen bewerten. Er war nicht nur Surveyor of the King’s Works von 1669-1719; er hat zahllose öffentliche und private Gebäude entworfen und ihren Bau geleitet bzw. überwacht: Kapellen, Lehrgebäude und Bibliotheken in den Universitäten Oxford und Cambridge, Hospitäler und Kirchen im sog. öffentlichen Raum (von den bei dem Brand in der City von 1666 87 zerstörten Kirchen wurden allein 50 unter seiner Aufsicht wieder errichtet [vgl. Colvin: 1162-1165]). Und nicht zu vergessen: der Neubau der St. Paul’s Cathedral (1675-1710). „For forty years he was the acknowledged arbiter of English architectural taste, and his own output of buildings was greater than that of any other English architect of his time.“ (Colvin: 1154). Als Autodidakt war sein Zugang zur Architektur ein empirischer: Er ließ sich von dem, was er mittels Bilder und Gravuren anschauen konnte, inspirieren. Oft musste er – auf Grund von Überlastung – improvisieren, aber St. Paul’s Cathedral war sein immer wieder bedachtes und revidiertes Meisterstück. Sein Anteil an den königlichen Palästen war vergleichsweise gering, weil er nur we-

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nige Entwürfe auch umsetzen konnte: Der Bau des von Karl II. gewünschten neuen Palastes in Winchester wurde bei dessen Tod gestoppt, in Whitehall kam Wren über Ausbesserungen nicht hinaus, in Hampton Court gestaltete er für Wilhelm und Mary die eindrucksvolle Südseite des Palastes, aber in Greenwich konnte er nur noch die ersten Entwürfe realisieren.

4.3 L ONDON IM 17. J AHRHUNDERT 4.3.1 Demographische Entwicklung und Bautätigkeit Architecture has its political use, public buildings being the ornament of a country; it establishes a nation, draws people and commerce, makes a people love their native country, which passion is the original of all great actions in a commonwealth. Christopher Wren (zit. bei Newman: 229)

Zwischen 1600 und 1700 entwickelte sich London mit rund 200.000 Einwohnern von der drittgrößten Stadt Europas nach Neapel (281.000) und Paris (220.000) zu dessen größter mit nunmehr 575.000 Einwohnern (Bolton: 316). Diese Expansion Londons geschah trotz der Maßnahmen ihrer Herrscher und Verwalter, die im 16. und auch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts versuchten, das Wachstum der Stadt einzuschränken – vor allem deshalb, weil es nicht leicht fiel, die steigende Anzahl der Menschen angemessen zu regieren, d.h. zu beschäftigen, menschenwürdig unterzubringen sowie die – mehr oder weniger ‚wild‘ boomende – Bauwirtschaft durch entsprechende Gesetze in geordnete Bahnen zu lenken (vgl. Brett-James: 67-126). Zentral für letztere Schwierigkeiten war die Tatsache, dass London keine einheitliche Stadt war und deshalb keine entsprechende Verwaltung besaß; ein Versuch, die suburbs einzugemeinden, scheiterte 1636 (vgl. Brett-James: 223-247, 324; Reddaway: 44; Bucholz/Ward: 122). Im Grunde bestand die Stadt um 1600 – so wissen wir aus John Stows Survey von 1598 – aus drei Teilen: The City, at its centre, most of it enclosed by a wall, was its commercial and industrial heart, densely populated, prosperous und busy. It was the historic core of the capital […]. Though already built-up, it continued to change in the 16th century, with much rebuilding on old sites, and new building in monastic precincts after the Dissolution of the monasteries. Its many churches and Company halls were augmented by great 16th-century institutions such as the Royal Exchange and it retained a typical medieval mix of inhabitants, from alderman to pauper, rich and poor living cheek by jowl in a tangle of streets, alleys

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and courts.To the west of the City a second area, an exclusive suburb stretching along the Strand towards Westminster, was developing. The landed elite, government servants and lawyers lived in gracious houses along the Thames bank, or in the legal quarter around Fleet Street. […] Unlike the City, with its mixture of rich and poor, craftsmen and merchants, the West End was economically and socially more homogeneous, built for, and inhabited by, political and professional groups. The third area, a more diffuse suburban growth to the north and east, and in Southwark and its environs, provided a counterbalance to the West End. It housed a growing army of craftsmen and semi-skilled workers who serviced the trade and wealthy population of the capital. (Clout: 60-61)

Diese Unterteilung – „government and service industries were based to the west of the City, financial services were located in the City itself, and manufacturing spread out to the east“ (Clout: 65) – ist deshalb wichtig, weil sie sich zum einen im 17. Jahrhundert verfestigen und auch in den kommenden Jahrhunderten erhalten sollte und zum anderen der Anstieg der Bevölkerung im Bereich der City relativ gering, in den beiden anderen Bereichen dagegen sehr groß war, so dass im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts die Bevölkerungszahl der City weniger als die Hälfte der Gesamtbevölkerung Londons ausmachte (Bolton: 317). Dass die Bevölkerung vor allem außerhalb der City wuchs, war nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass die Ländereien der 1536 aufgelösten Klöster mittlerweile verschenkt bzw. verkauft worden waren und schrittweise zu Bauland umgewandelt wurden. Auch wenn bis ins 17. Jahrhundert versucht wurde, das Wachstum Londons zu begrenzen, Bautätigkeit war angesichts der kontinuierlich steigenden Nachfrage nach Wohnungen aller Art und Ausstattung in allen Teilen der Stadt nötig: Man hat errechnet, dass der Nettozuwachs der Bevölkerung Londons zwischen 1650 und 1750 bei 8.000 Personen pro Jahr lag (vgl. Stone: 171). Während es innerhalb der City zunächst vor allem um Reparatur- und nach dem großen Feuer von 1666 um Wiederaufbau ging, wurden im sog. West End neue Wohnviertel angelegt. Von Anfang an kann man bei diesen Baumaßnahmen – wie oben bereits angedeutet – „residential segregation“ (Bolton: 328) beobachten: „Much of the West End […] was developed by perceptive aristocratic property developers […] who were catering for the new demand for town houses from the nation’s elite.“ (Bolton: 320). So wurden „geographical cultural boundaries“ (Bolton: 331) gezogen, die „social enclaves“ (Bolton: 320; vgl. Power:177-182) wie Covent Garden Piazza oder Lincoln’s Inn Fields zur Folge hatten (s.u.). Um 1630 wurde aber auch von den Gegnern der Expansion akzeptiert, dass London wachsen würde – jetzt ging es darum, Maßstäbe und Regeln festzulegen, nach denen die noch nicht bebauten Teile der Stadt bebaut und nach welchen

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Kriterien die neuen Häuser konstruiert werden sollten. Die erste Regel hatte Jakob I. (1603-1625) bereits 1615 verkündet: from sticks to bricks: vom Holz zum Ziegelstein: As is said of the first emperor of Rome, that he had found the city of Rome of brick and left it of marble, so Wee, whom God hath honoured to be the first of Britaine, might be able to say in same proportion, that we had found our Citie and suburbs of London of stickes, and left them of bricke, being a material farre more durable, safe from fire and beautiful and magnificent. (Zit. in Brett-James: 90)

Vorschriften wie diese waren nicht unproblematisch: Zum einen war ihre Reichweite nicht ohne weiteres klar und bedurfte immer wieder der Klarstellung. Zunächst ging es um die City selbst und dann um Gebäude im Umkreis von ein, zwei, fünf und schließlich sieben Meilen außerhalb der Stadttore; unter Cromwell (in der Mitte des Jahrhunderts) wurde die Reichweite auf zehn Meilen festgelegt. Zum anderen wurden immer wieder Ausnahmen beantragt und gegen eine Gebühr, die die Kassen des Königs füllte, genehmigt. Gleichwohl blieb Jakob I. beharrlich und verfügte 1618, dass „[s]toreys were to be ten feet in height and half-storeys seven and a half feet […], all outer walls, jambs, heads and soyles of windows were to be of brick or stone, and the wooden frames were not to be put in until the masonry was able to stand by itself“ (zit. in Brett-James: 96). Karl I. (1625-49) folgte dieser Politik (vgl. Brett-James: 109), nutzte allerdings die Ausnahmeregelungen noch mehr als sein Vater, um seine Kassen für nationale und internationale kriegerische Konflikte zu füllen (vgl. Brett-James: 117). Andererseits begann in den 1630er Jahren auch die Bebauung des Gebiets zwischen der City und Westminster, des sog. West End. Sie führte zur Konzipierung der Plätze (squares) Lincoln’s Inn Fields und Covent Garden; andere (St. James’s, Picadilly) folgten erst im letzten Drittel des Jahrhunderts (vgl. Brett-James: 151186; 366-398; Bucholz/Ward: 57, 153-154, 345-353). Bevor die letzteren angelegt werden konnten, bremsten drei folgenreiche Ereignisse die städtebauliche Entwicklung auf entscheidende Weise: Zunächst führte der Bürgerkrieg dazu, dass die Londoner, die mehrheitlich gegen den König und seine Fraktion standen, zur Verteidigung der Stadt eine elf Meilen lange Befestigungsanlage bauten (vgl. Clout: 66-67), die Material und Zeit kostete. Sodann wurde die Stadt im Jahre 1665 (zum vierten Mal im 17. Jahrhundert nach 1603, 1625 und 1636) von der Pest heimgesucht, die 70.000 Opfer forderte – mehr als bei den drei vorhergehenden Ausbrüchen zusammengenommen (vgl. Clout: 67). Ein Jahr später schließlich vernichtete ein Großbrand Anfang September etwa 4/5 der City. Zwar waren ‚nur‘ acht Tote zu beklagen, aber zehntausende – die Schätzungen

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schwanken zwischen 65.000 und 80.000 (vgl. Porter 2009: 54-55) – waren obdachlos (vgl. Barker/Jackson: 33). 4.3.2 Die Expansion nach Westen 4.3.2.1 Plätze: Ihre Form und Entwicklung Während und nach dem Wiederaufbau der abgebrannten Stadtteile der City setzte sich eine Entwicklung fort, die bereits vor dem Bürgerkrieg begonnen hatte: die Schaffung von angemessenen Wohnquartieren für die gesellschaftlichen Oberschichten (Aristokratie, Gentry), die höfischen Amtsträger und ausgewählte Vertreter der bürgerlichen Schichten, denen ihre Quartiere in der City zu beengt und zu wenig komfortabel, vor allem aber nicht nah genug am Geschehen des Hofes gelegen waren (vgl. Stone: 173-177). Als Form wurde für diese Quartiere – zunächst vereinzelt, aber zum Ende des Jahrhunderts immer häufiger – die des von Wohngebäuden umsäumten Platzes gewählt, die ihrerseits in den Plätzen – insbesondere Italiens und Frankreichs – ihr unverkennbares Vorbild hatte (vgl. Zucker, Fusch). Ein Platz ist – ganz allgemein gesprochen – ein möglicher räumlichstruktureller Rahmen für menschliche Handlungen, der auf bestimmten Faktoren beruht: „on the relation between the forms of the surrounding buildings; on their uniformity or their variety; on their absolute dimensions and their relative proportions in comparison with width and length of the open area; on the angle of the entering streets; and, finally, on the location of monuments, fountains, or other three-dimensional accents“ (Zucker: 3). Solche Plätze können sich über einen längeren Zeitraum mehr oder minder zufällig herausbilden, sie können aber auch die Produkte bewusst geplanter Neuschöpfungen sein. Letztere lassen sich bereits im antiken Griechenland und Rom finden und erlangen eine erneute Blütezeit in den Bauten der europäischen Renaissance und im Barock sowie in deren Folgewirkungen in den Kolonien. Die entsprechenden Planungsüberlegungen speisten sich aus verschiedenen Quellen: den Anlagen der mittelalterlichen sog. „Bastide“-Städte (vgl. Reps: 2-3), den Konstruktionen politischer Utopien (von Morus, Campanella, Andreae u.a.) sowie an Vitruvius anschließenden architektur-theoretischen Überlegungen von Leon Battista Alberti (De Re Aedificatoria, 1485) und Andrea Palladio (I Quattro Libri dell' Architettura, 1570), wobei insbesondere Palladios Anliegen in Bezug auf die Stadt als „visual experience“ (Reps: 4) von Bedeutung war. Strukturell lassen sich verschiedene Typen von Plätzen unterscheiden; Zucker spricht sogar von „archetypes“ und listet fünf auf (6-17), von denen ich zwei – für den vorliegenden Zusammenhang besonders wichtige – herausgreifen

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und kurz beschreiben will. (1) Der geschlossene Platz (closed square) zeichnet sich durch das aus, was der Name signalisiert: Er bildet einen komplett umschlossenen Raum, sei er quadratisch, rechteckig oder kreisrund, dessen Begrenzung nur durch die zu ihm führenden Straßen unterbrochen wird. Ein klassisches Beispiel ist die Place des Vosges (Place Royal) in Paris. Dabei ist es weniger wichtig, dass die den Platz umgebenden Häuser identisch sind, als dass sie in ihrer komplexen Wechselwirkung (Höhe, Breite, Giebel, Arkaden u. ä. m.) den Eindruck räumlicher Ausgewogenheit erzeugen (vgl. Zucker: 9). (2) Der zweite Typ von Platz wird durch Bildung seiner Perspektive(n) beherrscht: „The dominated square is characterized by one individual structure or a group of buildings toward which the open space is directed and to which other surrounding structures are related.“ (Zucker: 11) Dieses Bauwerk kann eine Kirche, ein Palast, ein Rathaus (oder auch die Börse), aber auch ein Tor, Brunnen oder Denkmal sein. Klassische Beispiele wären der Petersplatz (Rom) oder die Place de lʼOdeon (Paris). Während der erste Platz-Typ durch „careful proportioning“ ein „static equilibrium“ schafft, produziert der zweite „a dynamic directive of motion“ (Zucker: 11). Funktional lassen sich ebenfalls zwei Typen von Plätzen unterscheiden: zum einen öffentliche, bzw. für die Öffentlichkeit konzipierte Plätze (public squares), an denen entweder gesellschaftlich wichtige Gebäude (Paläste, Rathäuser, Kirchen) lagen oder die für (kirchliche oder säkulare) Versammlungen oder Veranstaltungen genutzt wurden, und zum anderen Plätze, die als Wohnquartiere dienten (residential squares) (vgl. Reps: 19), wobei auch Kombinationen selbstverständlich möglich waren. Beispiele von Plätzen der ersten Art sind die Piazza di San Marco in Venedig, die Piazza della Signoria in Florenz und die Piazza di Campidoglio in Rom, Plätze der zweiten Art sind die Place Royal (1605) und die Place Dauphine (1607) in Paris und die ab den 1630er Jahren angelegten Plätze im westlichen (d.h. westlich von der City gelegenen) London (s.u.). Dabei ist darauf hinzuweisen, dass – wären die Entwürfe von Evelyn, Hooke, Newcourt oder Wren für den Wiederaufbau der niedergebrannten City realisiert worden (s.u.) – es beide Arten von Plätzen in London gegeben hätte (vgl. Whitfield: 67); bei der Expansion nach Westen dagegen spielten Überlegungen zu für die Öffentlichkeit angelegten Plätzen eine nachgeordnete, erst im späten 18. Jahrhundert wieder aufgenommene und im 19. Jahrhundert verwirklichte Rolle. 4.3.2.2 Die Anfänge: Londonderry, Moor(e)fields Normalerweise beginnt ein geschichtlicher Abriss der London Squares mit der Planung und Anlegung von Covent Garden (cf. Rasmussen: 165ff., Whitfield: 51). So zutreffend dies hinsichtlich der Vorbildfunktion sein mag, die Covent

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Garden bei der Entwicklung der Londoner squares zukommt (s.u.), so sehr spart diese Geschichtsschreibung zwei alternative Stränge der britischen Platzentwicklung aus, die Beachtung verdienen. Zum einen lässt sich nämlich feststellen, dass bestimmte Planungsstrategien, die bekannt waren, aber beim Neubau der City aus erwähnten Gründen (s.o.) nicht verwirklicht werden konnten, in den Kolonien – zunächst in Irland, später in Nordamerika (vgl. Reps: passim) – zum Tragen kamen. Ein beeindruckendes Beispiel ist der Plan von Londonderry aus dem Jahre 1622, der die Stadt um den zentral angelegten Platz strukturiert (vgl. Reps: 13-15). Zum anderen war das Interessengeflecht beim Anlegen von Plätzen komplexer, als es auf den ersten Blick aussieht (vgl. Rasmussen: 80-84, Lubbock: 2936, McKellar: 191-207, Longstaffe-Gowan: 17-19): Es ging nicht nur um die Schaffung imponierender Bauwerke oder die Bereitstellung von luxuriösem Wohnraum. Mindestens ebenso relevant waren die Interessen breiter Bevölkerungsschichten, die es sich finanziell gar nicht leisten konnten, an dieser Stelle Häuser zu erwerben oder zu mieten, die aber den traditionell freien Zugang zu diesen Plätzen, von denen sich viele auf Allmende-Grund (common fields) befanden, für ihre individuelle und kollektive Reproduktion (vom Viehweiden über das Wäschetrocknen bis zum Spazierengehen in der Freizeit) erhalten wissen wollten. So gesehen waren mindestens fünf Gruppen und ihre Interessen an der Planung und tatsächlichen Gestaltung der Plätze beteiligt: (i) der Hof, allen voran der König, der zwar die Vergrößerung der Stadt einschränken wollte, aber wenn es sich als unabdingbar erwies zu bauen, angemessene und repräsentative Gebäude für seine Hauptstadt wünschte, (ii) die Bürger, die den freien Zugang zu den Plätzen erhalten wollten, (iii) die zukünftigen Eigner und Mieter, die den Zugang zu den Plätzen auf die am Platz wohnenden Parteien beschränken wollten, (iv) die Architekten, die die Plätze und die sie umgebenden Bauten entwarfen, sowie (v) die Bauspekulanten, die in dieser Entwicklung das große Geschäft witterten. Das Problem des freien vs. eingeschränkten Zugangs ist unterschiedlich gelöst worden, hat aber bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts bestanden. Moor(e)fields (nördlich außerhalb der Stadtmauer [Moorgate] gelegen; heute: Finsbury Circus, unweit Liverpool Street Station) wurde bereits im 12. Jahrhundert als öffentliches Erholungsgebiet erwähnt (vgl. Longstaffe-Gowan: 19, Rasmussen: 80ff). Es passte zur Politik von Jakob I., der das Anwachsen der Stadt einschränken wollte, dass er den Bürgermeister der City für die Instandhaltung dieses Bereichs lobte. 1607 erfolgt eine Renovierung und Erweiterung durch die Trockenlegung eines Sumpfes, die sich auch von einer königlichen Proklamation, die Neubauten in einem Dreimeilenradius um die City verbietet und Wert auf den Erhalt von Grünflächen legt, bestätigt wird. Auf genau diesen

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Zusammenhang berufen sich Bürger, die sich 1613 gegen die Bebauung einer anderen Freifläche – Lincolnʼs Inn Fields – wehren (s.u.). Der Kompromiss, der langfristig ausgehandelt wird, besteht darin, dass die Freiflächen als solche – wie auch immer gestaltet und genutzt – erhalten bleiben müssen und nur an ihren Rändern bebaut werden dürfen.

4.4 C OVENT G ARDEN 4.4.1 Topographie und Vorgeschichte Ursprünglich gehörte der Grund und Boden, auf dem die Covent Garden Piazza entstehen sollte, zur Benediktiner-Abtei St. Peter (Westminster) und wurde of den Mönchen seit dem frühen 13. Jahrhundert als „Convent Garden“ genutzt (vgl. Sheppard 1970, Powell: 369-372). Er wurde als Folge der Auflösung der Klöster 1541 und 1552 der Russell-Familie (später den Earls, dann Dukes von Bedford) von der Krone (Heinrich VIII., Eduard VI.) geschenkt.1 Das Anwesen,

1 Die Bedford Estate wurde 1669 um die Bloomsbury Estate ergänzt, „when William, son of the 5th Earl von Bedford, married a young widow, Lady Rachel Vaughan, one of the daughters of the 4th Earl of Southampton. She had recently inherited from her father the agricultural fields we now know as Bloomsbury. […] Lady Rachel’s father had begun the development of Bloomsbury in the 1660s. First he had built for his own occupation Southampton House, a large mansion on a site called the Long Field. Around the sides of the open space before it he had let plots for building a residential square, emulating the 4th Earl of Bedford’s development in Covent Garden, though without a church. Bloomsbury Square (at first called Southampton Square) was the re sult. Great Russell Street was laid out to connect the house and Square with Totten ham Court Road. Thus, when Lady Rachel married Lord William, her father’s ‘little town’ was already begun and formed a welcome addition to the Bedford Estates. Lord William was one of the leaders of the political struggle to secure the Protestant suc cession to the throne. After he was implicated in the Rye House Plot, he was convict ed of treason and beheaded in Lincoln’s Inn Fields [vgl. Kap. 4.5: J.K.] in 1683, but his widow remained in Bloomsbury and continued its development and management. In 1688 […] William and Mary ascended the throne and established the Protestant succession. In recognition von Lord William’s great sacrifice, his father, the 5th Earl, was created Marquess of Tavistock and 1st Duke of Bedford in 1694. The 1st Duke died in 1700 and was succeeded by Wriothesley, son of Lady Rachel and Lord Wil liam. The Russell’s London mansion had, for over a hundred years, been located on

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das im 16. Jahrhundert noch weitgehen end unbebautes Weideland war (Abb. 136), reichte vom Strand bis Long Acre und d von der Drury Lane zur St. Martinʼs Lane.

Abb. 136: Covent Garden (Agas Map), 1561-70

Quelle: http://en.wikipedia.org/w/index.php? p?oldid=416541322 (6.03.2011)

Karl I. war (wie sein Vater Jakob I.)) zunächst z der Meinung, Bautätigkeiten im „Großraum London“ unterbinden (ode der doch zumindest stark regulieren) zu müssen. Gleichwohl versuchten immer er wieder Bauspekulanten, ‚wild‘ zu bauen und ggfs. im Nachhinein eine Strafe zu zahlen. Ob der 4. Earl von Bedford zunächst unerlaubt gebaut hatte oder nic icht, ist nicht mehr zu klären (vgl. BrettJames: 169). Jedenfalls beantragte er 1630 16 eine Genehmigung für die Anlage eines Platzes im Zentrum seiner Bedford d Estate (Abb. 137) – nördlich vom Strand, die traditionell die City mit Westminste ster verband – und den Bau der ihn einrahmenden Häuser.

the north side of the Strand. Its close proximity pr to the Covent Garden market did not endear it to Wriothesley and so it was abandoned ab and demolished [in 1704]. By 1706, Southampton Street had been laid out ov over its site […]. It was to [Southampton House

in Bloomsbury] that he moved his house usehold and all the family’s business papers. He died in 1711 but Lady Rachel continued ed to manage the Estate until her death in 1723.“

Quelle: http://www.bedfordestates.com/bedforde rdestates/index.cfm/pcms/site.The_Estate.Histo

ry/ (11.02.14)

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Abb. 137: Die Bedford Estate in Covent Garden

Quelle: Sheppard 1998: 178

Abb. 138: Covent Garden: Piazza und Kirche

Quelle: Summerson 2010: 14

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Mitte Januar 1631 erteilte der König dem Earl von Bedford die Erlaubnis, in Covent Garden und Long Acre zu bauen „with a pardon for any offence committed against the royal [building] proclamations“ (Brett-James: 169). Im März schloss der Earl die ersten Pachtverträge mit den individuellen Bauherren, in späteren Frühjahr wurden die Straßenführungen festgelegt, und im Juli 1631 begann der Bau: Die Kirche wurde zwischen 1631 und 1634, die Häuser an der Nord- und Ostseite des Platzes zwischen 1633 und 1638 gebaut. Für die Kirche und die Häuser war vor allem der Baubeauftragte des Königs (Surveyor of the King’s Works) seit 1615, Inigo Jones, verantwortlich (vgl. Summerson 1993: 124, Summerson 2010: 12-15). Die Anlage des Platzes (vgl. Abb. 138) lässt sich wie folgt beschreiben: In the pristine state of the Piazza the main and longitudinal axis was arranged to extend east to west, with the vista from Russell Street closing on St. Paulʼs Church, the focal climax of the whole design, its noble Tuscan portico enhanced in scale by comparison with the flanking churchyard gateways and the modest pavilion-like houses terminating the west side. The north and east sides were lined with the tall and completely uniform fronts of the portico houses, their continuity broken only by the wide street entering centrally in each side. These lofty four-storeyed houses were planned with their two upper floors extending over the vaulted walks behind the rusticated arcades of the lower stage, and their fronts were finished above the pilastered upper face with a continuous eaves-cornice. (Sheppard 1970)

Covent Garden war nicht nur „the first planned layout of any consideration in the expansion of London beyond the City“ (Sheppard 1970), sondern auch das Produkt der glücklichen Verbindung dreier Männer an einem Ort: „Charles I, with his fine taste and would-be autocratic control of London’s architecture; Jones with his perfectly mature understanding of Italian design; and the Earl of Bedford with his businesslike aptitude for speculative building“ (Summerson 2010: 13; vgl. auch Duggan: 144). Covent Garden war darüber hinaus das erste gelungene Beispiel im Bereich der Stadtplanung und -gestaltung für eine komplexe Aneignung und Verarbeitung italienischer und französischer Vorbilder. John Evelyn schrieb nach einem Besuch von Livorno in sein Tagebuch (21. Oktober 1644): „The piazza is very fair and commodious, and, with the church whose four columns at the portico are of black marble polished, gave the first hint to the building both of the church and piazza in Covent Garden with us, though very perfectly pursued.” (Zit. bei Rasmussen: 166) Die – für heutige Betrachter offensichtliche – Ähnlichkeit mit der Pariser Place Royal scheint er dagegen nicht bemerkt zu haben (vgl. Channing Downs: 18).

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Es ist nicht unwahrscheinlich (wenn auch nicht sicher), dass Inigo Jones bei seinen Italienaufenthalten (1613-15) die Piazza in Livorno gesehen hat; ganz bestimmt aber war ihm die im Bau befindliche Place Royale von seiner Parisreise (1609) bekannt (vgl. Rasmussen: 168). Möglicherweise ist die architekturgeschichtliche Beziehung zwischen Livorno, Paris und London sogar noch komplexer und dichter (vgl. zum Folgenden Summerson 1990: 44): Livorno erfuhr einen großen wirtschaftlichen und politischen Aufschwung, nachdem Ferdinando Medici 1587 Herzog der Toskana wurde. Der Ausbau des Hafens, aber auch der Bau der Kathedrale und der Piazza waren Teile eines der größten städteplanerischen Projekte ihrer Zeit. Ferdinandos Nichte war Marie von Medici, die Frau von Henri IV, der seinerseits die Place Royale und Place Dauphine Anfang des 17. Jahrhunderts in Paris anlegen ließ. Und die Frau von Karl I., der ein großes und aktives Interesse an der Planung und Gestaltung von Covent Garden zeigte (vgl. Duggan: 141, 144), war Henrietta Maria, die Tochter von Marie von Medici. Ob und wenn ja, welche Rolle das Medici-Netzwerk tatsächlich gespielt hat, ist nicht bekannt. Aber die Ähnlichkeit der architektonischen wie ökonomischen Prinzipien ist verblüffend. Der Hauptunterschied besteht bei den Bauherren: In der Toskana und in Frankreich waren es auch die Landesherren, in London ein Vertreter der Aristokratie. Andererseits wurde Jones sicher auch durch antike Vorbilder – die Kombination vom Tempel und Forum – beeindruckt, wie er sie bei Palladio studiert hat. Die Konstruktion und der Bau der Kirche (s.u.) spielen im Zusammenhang mit der Anlage des Platzes eine nicht zu vernachlässigende Rolle; nicht umsonst ist die Gesamtanlage als „comprehensive essay in the Tuscan mood“ (Summerson 1966: 93) charakterisiert worden. 4.4.2 Platzanlage, Bebauung, Zugänge, Perspektiven Aus der folgenden Abbildung (Abb. 139) erschließt sich gut die bereits angedeutete Anlage des Platzes: Er bildete ein Rechteck von 420 x 316 Fuß (= ca. 128,02 x 96,32 m; [4:3]), in dessen Zentrum ein von Bänken umrahmter kleiner Baum stand, der nach der Restauration durch eine Säule mit einer Sonnenuhr an der Spitze ersetzt wurde.2 Während seine Westseite von der St. Paul’s Kirche dominiert wurde, flankierten seine Nord- und Ost-Seite vierstöckige Häuser, die zum Platz hin auf Arkaden gebaut waren. An der Südseite befanden sich – von einer

2 Es ist möglich (aber nicht gesichert), dass der Earl von Bedford 1838 versprochen hat, eine Messingstatue von Jakob I. in der Platzmitte aufzustellen, dies dann aber (u.U. aus Verärgerung über weitere Geldforderungen) nicht getan hat (vgl. Sheppard 1970).

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Mauer abgetrennt – die zum Bedford House gehörigen Gärten und dahinter (am Strand) Bedford House. Die zwei von Westen auf den Platz zulaufenden Straßen trugen den Namen des Königs und seiner Gattin; zwei weitere Straßen, die von Norden und Osten auf den Platz führten, trugen die Namen des vorherigen Königs und der Familie des Grundbesitzers: Diese Assoziation signalisierte höchsten An- wie Zuspruch. Der Platz selbst war mit Kies bedeckt und – wenngleich durch ein Gitter eingezäunt – frei begehbar; er stieg zu seiner Mitte leicht an, so dass das Regenwasser gut abfließen und die Passanten trockenen Fußes an ihr Ziel kommen konnten. Zwischen dem Gitter und den Gebäuden verlief jeweils eine Straße. Außerdem ist bemerkenswert, dass die Häuser an der Nord- und Ost-Seite des Platzes größer (und damit: eindrucksvoller) als die in den Seitenstraßen waren. Die auffälligsten Gebäude an der Piazza waren, sieht man einmal von der Kirche (s.u.) ab, die portico houses, d.h. die über Arkaden an der Seite zur Piazza errichteten Häuser. Es gab derer insgesamt siebzehn, und sie wurden alle zwischen 1633 und 1638 erbaut (vgl. hierzu und zum Folgenden Sheppard 1970). Inspiriert war ihre Anlage wahrscheinlich von einem Holzschnitt aus Sebastiano Serlios vierten Buch der Architettura (1566) (vgl. Serlio 1982, 1996). Wenngleich die Häuser im Inneren unterschiedlich angelegt waren, so hatten sie doch eine gemeinsame gleichförmige Fassade, „composed of a lofty arcaded base of rusticated stonework sustaining a two-storeyed upper face of red brick, divided by plain pilasterstrips into bays, one window wide, corresponding to the arched openings below“ (Sheppard 1970). Die beiden Häuserreihen an der NordSeite hatten je zwölf Bögen; die beiden Häuserreihen an der Ost-Seite bestanden aus je acht Bögen. Höhe und Weite der Bögen waren sorgsam auf die Breite der Stützpfeiler abgestimmt: Die Bögen waren zehn Fuß (= 3,05m) weit, zwanzig Fuß hoch (= 6,10m); die Stützpfeiler waren an der Vorderseite vier Fuß (= 2/5 der Bogenweite) und an den Ecken doppelt so breit. Damit die Säulenabstände des Erdgeschosses in den höheren Geschossen eine Fortsetzung fanden, waren im zweiten und dritten Stock entsprechende Lisenen angebracht (s.o.). Auch die Gestaltung der Fenster trug zur Gleichmäßigkeit der Fassade bei: Alle waren vier Fuß und sechs Inches (= 1,37m) breit; die Fenster im zweiten Stock waren neun Fuß (= 2,74m), die im dritten Stock dagegen nur vier Fuß (= 1,22m) hoch. Die Arkaden waren innen 21 Fuß (= 6,40m) breit und so hoch, dass sie das Erdgeschoss und das erste (Zwischen-) Geschoss (Mezzanine) umfassten (Abb. in Channing Downs: 25; Summerson 1990: 42). Über die Verteilung der Türen weiß man wenig; es ist aber wahrscheinlich, dass sich hinter jeder zweiten Arkade eine Tür befand. Die Häuser waren vierstöckig: Zwei Stockwerke hinter den

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Arkaden, zwei oberhalb davon. Die besten Wohnungen lagen im 3. Stock; sie bildeten eine Art Beletage (piano nobile) über den Arkaden. Abb. 139: W. Hollars Ansicht des West Ends, ca.1658 (Ausschnitt)

Quelle: Hind 1922, Tafel XIV

Die Kirche von St. Paul’s – nicht zu verwechseln mit der Kathedrale in der City – war die erste völlig neu gebaute anglikanische Kirche in London seit der Reformation (vgl. Summerson 1993: 126). Insofern wurde nicht nur ihre Architektur kritisch begleitet, auch löste ihr Bau eine Reihe liturgischer Fragen aus, die kontrovers diskutiert wurden. Am Anfang nahezu aller Beschreibungen der Kirche steht die Anekdote, die Horace Walpole 1756 publizierte, nachdem sie ihm vom speaker des House of Commons (Arthur Onslow, 1691-1768) erzählt worden war. When the Earl of Bedford sent for Inigo, he told him he wanted a chapel for the parishioners of Covent-garden, but added, he wou’d not got to any considerable expence; in short,

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said he, I wou’d not have it much better than a barn. – well! Then, replied Jones, you shall have the handsomest barn in England. (Zit. bei Sheppard 1970)

Das zwar begrenzte, aber in seiner Begrenztheit deutliche, Interesse des Königs an der Verschönerung Londons zeigt sich nicht nur daran, dass er Jones erlaubte, die Piazza mit Kirche und Häusern zu entwerfen und ihren Bau zu betreuen, sondern auch darin, dass er offensichtlich einen Großteil von Natursteinen (Portland stone), der für Bauarbeiten in Whitehall gedacht war, für den Kirchenbau an den Earl von Bedford verkaufte.3 Der Earl selbst musste einerseits ein Interesse an der Kirche haben, weil sie den Platz attraktiver und damit die zu verpachtenden Grundstücke wertvoller machte. Andererseits wird die herbe Schlichtheit der tempelartigen Kirche dem religiösen Verständnis des Earls, dem man nachsagt, er habe (zumindest ideell) den Puritanern nahegestanden, entsprochen haben. Von den religiösen Ansichten des Architekten wissen wir zu wenig, um uns ein Urteil über seine Rolle in diesem Zusammenhang bilden zu können. Er hat erfolgreich katholische Kapellen (Somerset House, St. James’s) gestaltet, wurde allerdings von einem Vertreter des päpstlichen Stuhls als „Puritanissimo fiero“ und von einem Kapuzinermönch als „senza religione“ charakterisiert (vgl. Sheppard 1970). Von den fünf auf die Antike zurückgehenden und in der Renaissance kanonisierten Säulenordnungen (vgl. Hesse: 252ff.) – toskanisch, dorisch, ionisch, korinthisch und einer Mischform – wählte Jones für die Kirche St. Paul’s die schlichteste: die toskanische, deren einfacher und kräftiger Charakter von den architektonischen Vorbildern weniger für öffentliche Repräsentations- als vielmehr Nutz- und Gebrauchsbauten (Stadttore, militärische Anlagen, Gefängnisse) gewählt wurde. Andererseits war gewiss die dezidierte Schlichtheit eine angemessene Art und Weise für eine reformierte christliche Kirche, ihrem Streben nach einfachen (bzw. weniger prunkvollen) Formen der Gottesverehrung Ausdruck zu verleihen (vgl. Summerson 1990: 46). Eine religiöse Kontroverse rief die Kirche dadurch hervor, dass die Positionierung des Altars umstritten war. Da am Ostende des Platzes die Russel Street die Verbindung zur Drury Lane (einer größeren Durchgangsstraße) herstellte, musste die Kirche am Westende des Platzes gebaut werden. Nur wenn man nun den Altar auch am Westende der Kirche platzierte, konnte der Zugang zur Kirche vom Platz her (über eine entsprechende Treppe) erfolgen. Das widersprach

3 Der Bau kostete insgesamt £4.886. Das war etwas mehr, als der Earl für die drei Mus terhäuser zahlte. Die Steine wurden allerdings nur für die Säulen verwendet; der Rest des Baus bestand aus mit Stuck verkleideten Ziegeln.

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allerdings – darin war sich eine große Mehrheit der Kirchenvertreter quer durch die religiösen Strömungen einig – der christlichen Tradition, für die der Altar an das Ostende der Kirche (in Richtung der aufgehenden Sonne, aber auch des Morgenlandes, aus dem das Heil gekommen war) gehörte. Noch während des ursprünglichen Baus wurden entsprechende Korrekturen durchgeführt: Der Zugang zur Kirche erfolgte vom an der Rückseite gelegenen Kirchhof her; die Treppe vom Platz aus führte nun zu einer falschen Tür unter dem Portikus. Noch in einer weiteren Hinsicht war das Schicksal dieser Kirche ungewöhnlich: Sie wurde 1634 fertiggestellt, musste aber bis 1638 auf ihre feierliche (Ein-)Weihung warten, weil die Kirchengemeinde des größeren Bezirks (St. Martin in the Fields) sich weigerte, eine neue Kirche, die ihr ja Konkurrenz machte (weil sie Abgaben zahlende Gläubige abzog), zu akzeptieren. Die Südseite des Platzes blieb, auch wenn anzunehmen ist, dass Inigo Jones hierfür Pläne entwickelt hat, bis zum Ende des 17. Jahrhunderts unbebaut. Die Lage von Bedford House selbst (vgl. Abb. 137) war in seiner seitlichen Ausrichtung zum Strand ungewöhnlich, aber wahrscheinlich dem nur schmalen Zugang zu dieser die City mit Westminster verbindenden Straße geschuldet. Als der Duke von Bedford im Jahre 1700 seinen Wohnsitz nach Southampton House (Bloomsbury) verlegte, wurde auf dem Grund des alten, noch vorwiegend aus Holz gefertigten und bis 1704 erhaltenen Hauses und des Gartens gebaut. Vor allem wurde durch die Anlegung der Southampton Street – benannt nach Lady Rachel, der Tochter des Earls von Southampton – eine direkte Verbindung zwischen dem Strand und Covent Garden geschaffen (vgl. oben Fußnote 1). Der Umzug der Familie nach Bloomsbury mag dem allgemeinen – und noch zu diskutierenden – Trend geschuldet gewesen sein, immer bessere Wohnquartiere in weiter westlich, dem Palast näher gelegenen Stadtvierteln zu suchen. Auch mag die Familie Bedford, die gern von den von ihr vergebenen Marktlizenzen profitierte, den Lärm und Schmutz, den der Markt, der sich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in Covent Garden entwickelte, gescheut haben. 4.4.3 Architekten, Bauherren, Anwohner Vor der Gründung des Metropolitan Board of Works (1855) und auch noch danach war die landed estate, d.h. die jeweiligen Land- und Grundbesitzer die zentralen Faktoren in der Londoner Bauplanung und -gestaltung. Sie besaßen die Ländereien, die sie entweder selbst als Bauland (mit entsprechenden Projekten) entwickelten oder an professionelle Bauunternehmer zu diesem Zwecke verpachteten. In den Pachtverträgen wurde nicht nur Länge und Kosten der Pacht, sondern u.a. auch festgehalten, dass das äußere Erscheinungsbild der von den

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Pächtern (bzw. den von ihnen bestellten Bauunternehmern) noch zu bauenden Häuser bestimmten Vorgaben, die sich u.U. aus Vorbildern ergaben, entsprechen müsste, wenn auch im Inneren Varianten erlaubt waren. Auf diese Weise bestimmten die Grundbesitzer die ökonomischen, sozialen wie architektonischen Verhältnisse der Stadtviertel, in denen sie ihre Ländereien verpachteten. Die Pachtverträge selbst waren ein Kapitel für sich: Sie wurden im frühen 17. Jahrhundert in der Regel für 31 Jahre abgeschlossen; danach fiel der Grund und Boden einschließlich der auf ihm stehenden Gebäude an den Grundbesitzer zurück. Das bedeutete für die Investoren, dass sich ihre Anlagen (relativ) schnell amortisieren mussten – was sehr oft dazu führte, dass billige Baumaterialien verwendet wurden.4 Wenn sich aber die Investition amortisierte, ermunterte dies den Grundbesitzer, die Pacht für den folgenden Zeitraum zu erhöhen. Um die zum Teil wüsten Spekulationen (und daraus resultierenden Bankrotte) zu verhindern und die Bauqualität zu steigern, wurden die Pachtverträge im Laufe des Jahrhunderts (im Durchschnitt) verlängert – zunächst auf 41, dann auf 61 und schließlich auf 99 Jahre im 18. Jahrhundert (vgl. Longstaffe-Gowan: 69). Der 4. Earl von Bedford war zu seiner Zeit ein Pionier auf diesem Gebiet. Die Anfänge seiner Tätigkeit wurden bereits beschrieben (s.o.). Wahrscheinlich hat er dann im Frühjahr 1633 damit begonnen, drei der portico houses (an der Ostseite des Platzes, nördlich der Russell Street) auf eigene Kosten errichten zu lassen, damit sie Vorbilder für den Bau of weiteren dienen konnten.5 Viele seiner Pächter waren Bauunternehmer und Kaufleute, aber auch Angestellte des Hofes (wie der Leibarzt der Königin) und Kollegen des Architekten waren darunter (vgl. Sheppard 1970). Was aber wissen wir über die tatsächlichen Anwohner? In Strypes Stadtbeschreibung von 1720 werden diese Häuser als „stately Buildings for the dwelling of Persons of Repute and Quality“ bezeichnet, „their Fronts standing on Pillars and Arches of Bricks and Stone Rustick Work, with Piazzas or Walks like those in the Royal Exchange in London, and imitating the Rialto in Venice“ (zit. bei Brett-James: 174).6 Und er fügt hinzu, dass die Häuser von „a Mixture of Nobility, Gentry and Wealthy Tradesmen“ (zit. bei Brett-James: 174) bewohnt werden, die sich hier als Folge des Feuers von 1666, das Covent Garden verschonte, angesiedelt hatten, keine Armen um sich haben („scarce

4

Bereits 1670 stürzten drei Häuser an der Ost-Seite des Platzes ein und mussten neu er richtet werden (vgl. Sheppard 1970).

5

Seine Kosten sind überliefert: £4.703 16s. 5 3/4d. Nach heutigen Vorstellungen wären das zwischen £641.000 und £134.700 (vgl. Sheppard 1970).

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Strype wiederholt einen Fehler, der immer wieder in zeitgenössischen Dokumenten auftaucht: Die Bogengänge – nicht der Platz – werden als „piazza(s)“ bezeichnet.

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admitting any Poor“) und nicht von elenden Gassen und Höfen umgeben sein wollten. Ein Blick auf die erhaltenen Anwohnerlisten (vgl. Sheppard 1970) bestätigen diese Aussage: Vertreter der Aristokratie (an der Spitze ein Marquis) wohnten Tür an Tür mit Mitgliedern des langen Parlaments (1640-1660), Kirchenvertretern (Bischöfen, Äbten), namhaften Politikern, Gesandten, Mitgliedern des Klein- und Landadels, aber auch Medizinern und reichen Kaufleuten. Gregory King (1648-1712), ein aus heutiger Sicht besonders interessanter Zeitgenosse, lebte von 1677-1679 in Covent Garden. Er war nicht nur Genealoge, Heraldiker und Regierungsbeamter, sondern auch der erste Wirtschaftsstatistiker von Format, dem wir erstaunlich genaue Einblicke in die Struktur(en) der britischen Gesellschaft am Ende des 17. Jahrhunderts verdanken (vgl. „King, Gregory“). Allerdings blieb die Zusammensetzung der Anwohner im Laufe der Jahre nicht gleich. Nicht nur die zunächst kurzfristigen Pachtverträge führten zu einer relativ großen Fluktuation der Mieter, sondern auch die politischen Entwicklungen vom Bürgerkrieg zu der Restauration und – gegen Ende des 17. Jahrhunderts – die Umfunktionierung der Piazza, die durch die erweiterte Nutzung des Marktes, den Bau von Theatern und Kaffeehäusern im näheren Umfeld andere soziale Schichten als Publikum, aber auch als Mieter in dieses Viertel lockten. Der Markt, der in kleinem Umfang am Südrand der Piazza stattgefunden hatte, rückte 1670 in ihre Mitte und brachte nicht nur mehr Menschen, sondern auch Lärm, Schmutz und Kriminalität mit sich. Der Bau von weiter westlich (den königlichen Palästen näher) liegenden Plätzen wie Soho, St. James’s und Leicester Square zog recht bald die persons of the greatest distinction in vornehmere Gefilde ab. 4.4.4 Zeitgenössische Rezeption, Symbolträchtigkeit, Soziale Atmosphäre Zu den ersten zeitgenössischen Reaktionen auf den Bau von Covent Garden gehört die bereits zitierte von John Evelyn (s.o.). Zahlreiche weitere Kommentare beziehen sich vornehmlich auf die Kirche St. Paul’s: Für Colen Campbell, den Autor des Vitruvius Britannicus (1717-1725), ist sie „the only piece the Moderns have yet produced, that can admit of a just Comparison with the works of Antiquity, where a majestick Simplicity commands the Approbation of the Judicious“; John Stow bezeichnet sie in seiner Survey als „the only View in imitation of the Italians, we have in or about London“ (zit. bei Summerson 1990: 270, FN 41). Der Architekturkritiker Ralph beschreibt die Kirche als „without a rival, one of the most perfect pieces of architecture that the art of man can produce“ und auch

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für Thomas Malton ist sie „one of the most perfect pieces of art ever produced in this country“ (zit. bei Summerson 1990: 51). Dies klingt zwar ein wenig, als hätten Lokalpatrioten voneinander abgeschrieben – gleichwohl bezeugt es die große Akzeptanz, die die Kirche, aber auch das Ensemble des Platzes als Ganzes, gefunden hatte. Die Gesamtanlage von Covent Garden war „London’s first formal open space“ (Summerson 1993: 124), und daraus sollte diesem Platz in der Folgezeit eine Vorbildfunktion erwachsen. Gleichwohl war ein solcher Platz weder das alleinige Modell städteplanerischer Entwicklung, noch gab es nur eine Version von ihm. Covent Garden war wohl „the epitome of imported European classicism“ (McKellar: 193), das durch seine Einheit in Entwurf und Stil beeindruckte, aber als Wohnort neuerer Art für adlige und großbürgerliche Mieter war er nur kurzfristig relevant, weil mit der Ausweitung des Marktes und der Vervielfachung der Geschäfte unter den Arkaden die Funktion des Handels wichtiger wurde als die des Wohnens.7 John Gay, der Autor der Beggar’s Opera (vgl. Kap. 4.5.), hat in seinem langen Gedicht Trivia: or, the Art of Walking the Streets of London (1716) die Veränderung of Covent Garden sehr eindrucksvoll dargestellt: Where Covent-garden’s famous Temple stands, that boasts the Work of Jonesʼ immortal Hands; Columns, with plain Magnificence appear, and graceful Porches lead along the Square: Here oft my Course I bend, when lo! From far, I spy the Furies of the Football War: The ʼPrentice quits his Shop, to join the Crew, encreasing Crouds the flying Game pursue. Thus, as you roll the Ball oʼer snowy Ground, the gathʼring Globe augments with evʼry Round: But wither shall I run? The Throng draws night, the Ball now Skims the Street, now soars on high; the dextrous Glazier strong returns the Bound, and gingling Sashes on the Pent-house sound. (Brant & Whyman: 187)

Weitere squares – ein Stadtführer von 1730 (Pote 1730) nennt 27; am Ende des 19. Jahrhunderts sollten es mehr als 300 sein – wurden in An- wie Ablehnung

7

Lincoln’s Inn Fields beispielsweise gehört, wie wir sehen werden (vgl. Kap. 4.5) in eine andere ‚Tradition‘ der Platzentwicklung.

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dieses Vorbildes konzipiert und gebaut: „Der von Wohnhäusern umstandene Platz wurde in Paris bzw. auf dem gesamten Kontinent nie so heimisch wie in England.“ (Girouard 1987: 223) Der englische Platz war – im Gegensatz8 zum italienischen und französischen public square – eher ein residential square. Während in Frankreich und Italien die Vorstellung von Plätzen nicht nur implizierte, dass sie öffentlich zugänglich sein sollten, sondern dass ein Platz unbedingt dazu da sei, „um die Öffentlichkeit hier zusammenkommen zu lassen“ (Girouard 1987: 224), war diese Vorstellung in England weniger ausgeprägt. Während die italienischen und französischen Plätze durch ihre – intendierte – Öffentlichkeitswirksamkeit auch – oder: vor allem? – der Selbstdarstellung ihrer Bauherrn und -meister dienten, war dies in London zweitrangig. Wer wirklich zeigen wollte (und materiell konnte), was er sich leisten konnte, tat dies in England durch seinen Landsitz, der historisch bis ins 19. Jahrhundert (ja, vielleicht sogar bis in die jüngere Vergangenheit) wichtiger war als die Residenz in der Stadt (vgl. Girouard 1978). Letztere brauchte man zwar, um am politischen Leben (Hof, Parlament) teilnehmen oder Geschäfte machen zu können, aber doch immer nur vorübergehend – und zumeist (abgesehen vom Königshaus und der Hocharistokratie) als Mieter. Für solche Zwecke eigneten sich die Wohnquartiere an den residential squares hervorragend, weil sie exklusiv, ruhig gelegen und bequem erreichbar waren. Wenn sie außerdem noch zur Verschönerung der Stadt beitrugen – umso besser. Aber um diesem Anspruch zu genügen, brauchte es nicht viel:9 Der Platz musste eine dem ‚Ordnungsgeist‘ der Zeit entsprechende Form haben. Diese konnte quadratisch, rechteckig, aber auch sechs- bzw. achteckig, schließlich auch kreis- oder halbkreisförmig sein. Was außerdem zählte, waren die Gestaltung seines Zentrums (mit Säule, Brunnen oder – sehr selten – Standbildern des Königs oder des Grundeigentümers), die Anlage der Wege oder Straßen sowie ggfs. der Zäune und schließlich die Einheitlichkeit (oder zumindest: die Erkennbarkeit der Form) der Häuserfassaden. Eine Kirche oder ein weltliches Bauwerk konnten dem Platz eine Perspektive hinzufügen, mussten es aber nicht. Insgesamt wurde – angesichts der großen Zahl geplanter Plätze – Uniformität vermieden: Jeder Platz war (ist) anders als der nächste.

8 Vgl. aber die Aussagen zur Piazza Colonna (Kap. 2.3) und Piazza Navona (Kap. 2.4). 9 Vgl. Mark Girouards harsches Urteil: „Vom Covent Garden 1631 bis hin zum Bedford Square 1775 gab es in London keinen Platz, der architektonisch bemerkenswert gewe sen wäre.“ (1987: 225)

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4.5 L INCOLN ’ S I NN F IELDS Lincoln’s Inn Fields war – wie wir noch sehen werden – ein völlig anders gearteter Platz als Covent Garden. Auch wenn er als „the capital’s largest square“ (Powell: 382) gilt, so gibt es doch auch Historiker, die bezweifeln, dass es sich um einen der ‚üblichen‘ squares handelt (vgl. McKellar: 195-198). Zwei zentrale Eigenschaften machten ihn jedenfalls eher zu einem public als zu einem residential square: er diente als Austragungsort von Duellen und von öffentlichen Hinrichtungen.10 Der von uns behandelte Zeitraum wird von zwei solchen Hinrichtungen eingerahmt, die auch historisch bedeutsam waren. Im September 1586 wurden Anthony Babington und seiner Mitverschwörer verurteilt und hingerichtet, weil sie die Ermordung von Elizabeth I. und ihre Ersetzung durch Mary, Queen of Scots geplant hatten (der sog. Babington Plot). Sie wurden am 20. und 21. September vom Tower durch die Stadt nach Lincoln’s Inn Fields geführt, dort gehängt und gevierteilt. (Angeblich war der öffentliche Aufschrei über die blutige Hinrichtung so groß, dass Elizabeth anordnete, man solle die Todeskandidaten am folgenden Tage ‚nur‘ aufhängen, bis sie tot seien.) Knapp einhundert Jahre später wurde Lord William Russell, der Sohn des 5. Earl von Bedford für seine angebliche Mitwirkung am sog. Rye House Plot verurteilt und ebenfalls in Lincoln’s Inn Fields hingerichtet (vgl. oben, Kapitel 4.4, Fußnote 1). Der Rye House Plot (1683) richtete sich gegen Karl II., seinen Bruder (und Nachfolger auf dem Thron 1685-88) Jakob II. und ihre Katholizismus- und Frankreich-freundliche Politik. Obwohl Russell in deutlicher Opposition zum König stand und das Gesetz, das Jakob II. (und jeden anderen Katholiken) von der Thronfolge ausschließen sollte, im Parlament unterstützte, konnte ihm eine Beteiligung an der Verschwörung nicht wirklich nachgewiesen werden. Wenn er auch einen für seine Zeit relativ fairen Prozess erhielt, wurde er doch verurteilt und am 21. Juli 1683 hingerichtet. Der Scharfrichter brauchte vier Schläge, um den Kopf vom Rumpf

10 Die Praxis des Ehrenduells ist im Laufe des 16. Jahrhunderts von Kontinent nach Eng land ‚eingewandert‘ und hat sich, obwohl es bereits unter Elizabeth I. verboten wurde, im Kontext von Adel und Militär großer Beliebtheit zur ‚Klärung‘ von Streitigkeiten erfreut. Das letzte bekannte Duell fand 1852 statt. – Öffentliche Hinrichtungen haben als Abschreckungsmaßnahme (hanging some for the larger purpose of tutoring the rest) ebenfalls eine lange Tradition. In England erfolgte die letzte öffentliche Hinrich tung 1868, die letzte – nicht-öffentliche – Vollstreckung der Todesstrafe 1964.

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zu trennen. Angeblich soll Russell zwischendurch zu ihm bemerkt haben: „You dog, did I give you 10 guineas to use me so inhumanely?“11 4.5.1 Topographie und Vorgeschichte Die Abbildung 140 zeigt das Land, auf dem Lincoln’s Inn Fields entstehen sollte, am Ende des 16. Jahrhunderts – also etwa zur Zeit, zu der Babingtons Hinrichtung stattfand. Deutlich erkennbar sind drei Teile: Purse Field, Cup Field und Ficket’s Field, von denen Cup Field gänzlich, Purse Field zu zwei Dritteln im späteren Platz aufgegangen sind, während Ficket’s Field nur unwesentlich zu seiner Fläche beigetragen hat (vgl. Riley/Gomme). In der frühen Herrschaftszeit von Heinrich VIII. gehörte eines der beiden Felder zum Hospital von St. John of Jerusalem (dem Malteserorden), das andere zum Hospital von St. Giles in the Fields (benannt nach dem heiligen Ägidius). In der Folgezeit wurden die Felder von den jeweiligen Prioren an Gasthäuser (inns) als Weideland verpachtet, gleichzeitig aber auch als Freizeitbereiche (Spielfelder) von den Studenten des benachbarten Lincoln’s Inn genutzt. Mit der Auflösung der Klöster und Orden fiel das Land an die Krone (1541), wurde aber weiter wie vorher genutzt. Abb. 140 : Lincoln’s Inn Fields

Quelle: www.british-history.ac.uk/report.aspx?compid=74165 (18.02.2014)

11 http://en.wikipedia.org/w/index.php?oldid=416028408 (18.2.2014)

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Im England jener Zeit existierten vier große Anwaltskammern (sog. Inns of Court), deren Entstehungsgeschichte sich teilweise bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen lässt: The Honourable Society of Lincoln’s Inn, The Honourable Society of the Inner Temple, The Honourable Society of the Middle Temple und The Honourable Society of Gray’s Inn. Alle Rechtsanwälte, die vor Gericht auftreten durften (barrister), mussten einer dieser Kammern angehören, die nicht nur eine Aufsichts- und Kontrollfunktion hatten, sondern bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts auch für die Ausbildung der angehenden Juristen zuständig waren. Wie die Colleges in Oxford und Cambridge stellten sie ihren Mitgliedern Bibliotheken, Arbeits- und Schlafräume zur Verfügung und boten Speisemöglichkeiten; der Begriff inn12 bedeutete eben in diesem Zusammenhang auch „Pension“. Die beiden Anwaltskammern Inner Temple und Middle Temple lagen im Bereich der City von London; die beiden anderen westlich davon, außerhalb der alten Stadtmauer. Auf der obigen Abbildung ist Lincoln’s Inn deutlich am östlichen Rande von Lincoln’s Inn Fields zu erkennen: „The East side [of Lincoln’s Inn Fields] lieth open to Lincolns Inn Garden, which gives a delightful prospect to the inhabitants […].“ (Strype 1720, zit. bei McKellar:197) Aus dieser Lage wird das dauerhafte Interesse der Society of Lincoln’s Inn verständlich, mit dem sie im 17. Jahrhundert darum kämpfte, den Platz in seiner ursprünglichen Funktion (zum Viehweiden, Wäschetrocknen und Spazierengehen) zu nutzen und seine Bebauung zu verhindern. 4.5.2 Platzanlage und Bebauung; Architekten und Bauherrn Mit dem Beginn des 17. Jahrhunderts (und dem bereits beschriebenen Bevölkerungsanstieg im ‚Großraum‘ von London) wurde auch der Druck größer, noch unbebaute Flächen zur Bebauung freizugeben (vgl. Riley/Gomme). Eine der Beschränkungen, mit denen man zunächst Neubauten hatte verhindern wollen, bestimmte, dass sie innerhalb einer Drei-Meilen-Zone um die Stadt herum einer besonderen königlichen Genehmigung bedurften. 1613 pachtete Sir Charles Cornwallis das Purse Field und beantragte, ein Haus auf ihm bauen zu dürfen. Sofort protestierte die Society of Lincoln’s Inn beim Privy Council (Kronrat). Letzterer reagierte prompt, verweigerte Cornwallis nicht nur die Lizenz, sondern instruierte auch eine Reihe von ortsnahen (Friedens-)Richtern, eine Eingabe der „students of Lincoln’s Inn Fields“ ernst zunehmen, die sich beschwert hatten,

12 Insgesamt gab es in Großbritannien zum Ende des 16. Jahrhunderts ca. 6.000 inns. („inn.“ Encyclopædia Britannica. Encyclopædia Britannica Ultimate Reference Suite. Chicago: Encyclopædia Britannica, 2012).

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„that some doe goe aboute to errect new buildings in a feild neere unto them called Lincolnes Inne Feildes, with an intent to convert the whole feild into new buildinges, contrary to His Matie´s Proclamation…and to the greate pestring and annoyaunce of that Society“. Zudem forderte das Privy Council die Richter auf, „to restrayne and forbid that building by such effectuall meanes as you shall think meete“. Vier Jahre später (1617) unterbreiteten Vertreter der Inns of Court und der an die Fields angrenzenden Gemeinden Jakob I. eine Petition, in der sie sich auf den ‚Präzedenzfall‘ Moorefields aus dem Jahre 1607 (s.o., Kapitel 4.3.2) bezogen und ihn baten, „that the feildes commonly called Lincolnes Inn Feildes, being parcell of His Maties inheritance, might for their generall Commonditie and health be converted into walkes after the same manner as Morefeildes are now made to the greate pleasure and benefite of that Citty“. Der König nahm die Petition wohlwollend an und das Privy Council verfasste einen Rundbrief an die Vertreter der örtlichen Elite, in dem es diese aufforderte, Anleihen einzuwerben, um die Kosten eines „soe worthie and commendable a worke“ zu decken. Mehr noch: das Privy Council warb offen für das Projekt und nannte es „a meanes to frustrate the covetous and greedy endeavors of such persons as daylie seeke to fill upp that small remaynder of Ayre in those partes with unnecessary and unprofittable Buildings, which have been found the greatest meanes of breedinge and harbouring Scarcity and Infection, to the general inconvenience of the whole Kingdome“ (alle Zitate bei Riley/Gomme). Als sich der König (so wird berichtet) nach einem Jahr erkundigte, welche Fortschritte das Projekt nähme, stellte sich heraus, dass bisher nichts geschehen war. Daraufhin wurde eine Kommission beauftragt, die zunächst noch einmal feststellte, dass eine Umwandlung der Fields in „faire and goodlye walkes“ eine große Zierde für die Stadt, Frische und Freude für die Gesundheit und Erholung ihrer Bewohner und überhaupt ein denkwürdiges Werk für die Nachwelt darstellen würde, um sodann zu empfehlen, dass „the same may be most speedely, substancially and gracefully accomplished and performed, as well by removing and repressing all nuisances and inconvenient buildinges which confine upon the same“ (zit. bei Riley/Gomme). So vollmundig diese Vollmacht klang – es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Kommission irgendetwas erreicht hat. Im Gegenteil: Soweit wir wissen, war sie ein Reinfall. Daran konnte auch die Tatsache, dass Inigo Jones ihr angehörte, nichts ändern. Zwanzig Jahre später hat sich die Situation völlig gewandelt. Der Bauunternehmer William Newton pachtete 1629 Cup Field und 1638 Purse Field dazu. Im selben Jahr bat er Karl I. um die Erlaubnis, 32 Häuser auf dem Grund und Boden – der ja immer noch der Krone gehörte – bauen zu dürfen (vgl. Brett-James: 155, Summerson 1993: 149-150). Newton verfolgte dabei eine einfache Strategie. Er

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machte den König darauf aufmerksam, wie gering dessen Pachteinnahmen von den Grundstücken im gegenwärtigen Zustand waren, und wies damit indirekt darauf hin, welche Einkommenssteigerungen von einer Bebauung zu erwarten waren. Dass sich auch diesmal die Society of Lincoln’s Inn wieder gegen die Bebauung wandte, nützte nichts: Der König erteilte die Genehmigung – und Newton ging unverzüglich ans Werk. Allerdings hatte er die Zusage gemacht, nur die Ränder der Plätze zu bebauen, während „the square peece of ground [in the centre] […] shall from thence fourth and for ever hereafter lye open and unbuilt“ (zit. bei Riley/Gomme). Schon im August 1641 waren alle Häuser am südlichen Rande und ein Teil der Häuser am westlichen Rande von Purse Field fertig. Als ein weiterer Bauunternehmer auf Ficket’s Field bauen wollte, entschloss sich die Society of Lincoln’s Inn, einen weiteren Vorstoß zur Erhaltung der Fields zu machen. Da sich die Petitionen an die Krone als nicht wirksam erwiesen hatten, wandte sie sich diesmal an das House of Commons. Das Unterhaus war der Petition geneigt und beschloss einen Stopp für weitere Bautätigkeiten, bis es die Angelegenheit diskutiert und endgültig entschieden habe. Newton machte seinerseits eine Eingabe und versuchte, die Society milde zu stimmen. Die Angelegenheit zog sich hin, und als im August 1642 der Bürgerkrieg begann, war noch keine Entscheidung gefallen. Ein Jahr später starb Newton, und in den folgenden zehn Jahren ruhte alle Bautätigkeit rund um die Fields. Allerdings wird in einer Petition an das Parlament aus dem Jahre 1645 der heruntergekommene Zustand der Fields („loads of dung and dirt“ [zit. bei Riley/Gomme]) beklagt. 1653 verkaufte Humphrey Newton, der Bruder und treuhänderische Verwalter von William, einen Teil der Pacht von Purse Field an drei Personen, die darauf zu bauen beabsichtigten. Da sie ihrerseits den Widerstand der Society of Lincoln’s Inn fürchteten, versuchten sie, zu einer Einigung mit ihr zu kommen – mit Erfolg. Die Vereinbarung legte u.a. fest, dass die Häuserreihen einen bestimmten Abstand zur Mauer von Lincoln’s Inn halten und die Häuser selbst bestimmte Proportionen – „in front, height, breadth, strength and beauty“ (zit. bei Riley/Gomme) aufweisen sollten. Spätestens 1659 waren die Bauarbeiten abgeschlossen; die drei Seiten von Lincoln’s Inn Fields waren bebaut. An diesen Seiten liefen drei Straßen: Newman’s Row (später Holborn Row bzw. Turnstile Row) im Norden, Arch Row (auch West Row) im Westen und Portugal Row im Süden (s.u.). Was die Baugeschichte dieses Platzes so interessant macht, ist, dass zum einen hier deutlich widerstreitende Interessen (Grundbesitzer vs. Society of Lincoln’s Inn) und ihre permanenten Durchsetzungsversuche zu beobachten sind. Zum anderen erfolgte – trotz der Verhandlungen – kein Versuch, bei der Bebauung so etwas wie ein ästhetisches Gesamtkonzept zu entwerfen bzw. umzuset-

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zen. Weder die Kommission von 1618 noch die Baulizenz für Newton zwanzig Jahre später machten hier irgendwelche Vorschläge bzw. Auflagen. Auch die Einigung zwischen den neuen Bauherren (Sir William Cowper, Robert Henley, James Cowper) und der Society (1657) formulierte nur allgemeine Auflagen (s.o.). Wenn es Einheitlichkeit gegeben haben sollte (vgl. dazu Abb. 141), so kann sie allenfalls aus einem wie auch immer erreichten informellen Konsens resultiert sein. Ein Beispiel dafür wären die Häuser Nr. 54 und 55, die nach einander gebaut, dann aber durch einen Bogen verbunden wurden; hier wurde auf eine einheitliche Fassade Wert gelegt (vgl. Riley/ Gomme). Abb. 141: Lincoln’s Inn Fields im Jahre 1682 (Karte von Morden/Lea)

Quelle: http://flif.org/2011/12/12/lincolns-inn-fields-1682-map/ (10.06.2015)

Von allen Häusern, die Mitte des 17. Jahrhunderts in Lincoln’s Inn Fields gebaut worden sind, ist eines erhalten geblieben: Lindsey House, an der Westseite des Platzes (heute Nr. 59-60). Wenngleich es im Inneren vielfach umgebaut (gelegentlich auch geteilt) wurde, so hat sich sein Äußeres bemerkenswert gut erhalten. Es geht vermutlich – Belege gibt es nicht – auf einen Entwurf von Inigo Jones zurück (vgl. zum Folgenden Gaunt 2001-2005). Das Haus (Abb. 143) hat drei Stockwerke, ein Dachgeschoß und einen Keller. Es ist aus Ziegeln und Steinen gemauert und trägt ein Schieferdach. Die zum Platz gerichtete Hausfront besteht aus Stein und mit Stuck verkleidetem, rot-braun gestrichenem Mauerwerk; sie präsentiert fünf symmetrisch angeordnete Fensternischen (im 1. und 2. Stock), die durch sechs weiße, sich verschlankende, ionische Wandpfeiler eingerahmt werden, die ihrerseits über dem 2. Stock ein durchgehendes Gesims stützen. Darüber ist ein schmales Geländer angebracht. Die Fenster im 1. Stock sind mit Giebelverzierungen versehen, wobei die vier äußeren dreieckig sind, das zentrale dagegen aus einem gebrochenen Bogen besteht, der früher noch von ei-

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ner weiblichen Büste gekrönt war. „In Lindsey House we see a substantial, fashionable and well-built town property of the mid seventeenth century, of the era of Caroline urban development […].“ (Gaunt 2001-2005) Nach Lindsey House wurden die sterblichen Überreste (Kopf und Rumpf) von Lord William Russell nach seiner Hinrichtung (1688) gebracht und erst von dort in seine Residenz Southampton House (später Bedford House, Bloomsbury Square) überführt. Abb. 142: W. Hollars Ansicht des West Ends, ca. 1658 (Ausschnitt)

Quelle: Hind 1922, Tafel XIV

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Abb. 143: Lindsey House (Gegenwart)

Quelle: http://imageshack.com/f/503/p1020574gd1 d1.jpg (30.05.2015)

4.5.3 Das Theater In den umfangreichen Prozess, in dem in der er Renaissance das Altertum neuerlich angeeignet wurde, gehört auch die Wiederen rentdeckung der Theater (vgl. Kapitel 4.2.2). Nicht nur die griechischen und röm ömischen Autoren kamen wieder zur Geltung – auch die Bauten und ihre von Vitruv Vi beschriebenen Konzeptionen wurden durch Architekten wie die bereits erwähnten erwä Alberti und Serlio erschlossen und im Hinblick auf aktuelle Erfordernis nisse ergänzt. Zu letzteren gehörte einerseits der Einzug der Theater in geschlos ossene Gebäude, die vor allem Problemlösungen für Beleuchtung und Akustik k erforderten. e (Aus der Antike gab es für Theater in geschlossenen Gebäuden nur ur das römische odeum oder odeon – den Ort zum Singen – als Vorbild.) Andere ererseits ergaben sich aus der Entdeckung der Perspektive in der Malerei neue An Ansprüche an die Bühnen- und Szenengestaltung. Das Teatro Olimpico (Vicenz nza), das von Palladio begonnen und von Scamotti 1585 vollendet wurde, war das erste geschlossene moderne Theater, aber das Vorbild für Europa (Ausnahme me: England) sollte das von Giovanni Aleotti gebaute Teatro Farnese (Parma, 1618 18) werden.

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Die elisabethanischen Theater waren dagegen noch Freilufttheater, wenngleich ihre innere Struktur – die verschiedenen Stockwerke, die Bühne, die Versenkung, die Türen, das Bühnenhaus, die Oberbühne usw. – ähnlich komplex war wie bei den geschlossenen Bühnen auf dem Kontinent (vgl. Suerbaum: 399472; Castrop 2000). Erst mit der Restauration des Königtums (1660) konnte die Entwicklung der Theater, die von den Puritanern unterdrückt worden waren, auch in England weitergehen. Das sog. Restoration playhouse war ein Hybrid: Zum einen übernahm es den opulenten Aufbau der (vom Kontinent importierten) barocken Kulissenbühne (mit Proszenium-Bogen), zum anderen aber wurde vielfach die sog. apron stage der Shakespeare-Zeit beibehalten. Es war, als wollten die englischen Theatermacher nicht auf den engen/intimen Kontakt zwischen den Schauspielern und den Zuschauern verzichten. Karl II. war (wie sein Bruder Jakob, der Herzog von York) ein Fan und eifriger Förderer des Theaters – nicht zuletzt, weil nun nach kontinentalem Vorbild auch Schauspielerinnen auf den Bühnen tätig und damit auch dem Werben wohlhabender Männer zugänglich waren. Der König und sein Bruder ‚sponserten‘ zwei Gruppen: die King’s Company (unter der Leitung von Thomas Killigrew) und die Duke’s Company (unter der Leitung von Sir William Davenant). Da die Theater aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg mehr oder minder verfallen waren, mussten beide Gruppen von Grund auf neu starten. Die erste zu entscheidende Frage war die des Standorts. Die Theater sollten vom Rande der Stadt möglichst nahe an die potentiellen Zuschauer gebracht werden. Deshalb bot es sich an, Standorte zwischen der City und dem Hof zu finden – mithin genau in den Gebieten, wo neue Wohnquartiere geschaffen wurden und die eleganten Londoner Eliten lebten. Dadurch änderte sich allerdings auch die soziale Zusammensetzung des Publikums: War es zu Shakespeares Zeiten noch sehr heterogen gewesen, reduzierte es sich nun weitgehend auf die beau monde. Als Folge davon wurden die Theater kleiner und intimer: Sie fassten etwa 500 bis 800 Zuschauer. Nach einem kurzen Vorspiel im Cockpit bzw. Phoenix Theatre (nahe der Drury Lane) zog die Duke’s Company in eine umgebaute Tennishalle (Lisle’s Tennis Court) an der Portugal Street (am Südrand von Lincoln’s Inn Fields) und spielte hier von 1662 bis 1671, als das für sie neu gebaute Dorset Gardens Theatre (in Whitefriars an der Themse) eröffnet wurde. Aus dem Theater wurde abermals eine Tennishalle – die allerdings 1695 wiederum in ein Theater (unter der Führung von Thomas Betterton, dem Nachfolger Davenants) umgerüstet wurde. Dieses Theater galt allerdings als wenig attraktiv, so dass 1714 der Theater-Impresario Christopher Rich (1657-1714) ein völlig neues Theater errichten ließ. Seine Einweihung und späteren Erfolge – hier wurde 1727 John Gays The

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Beggar’s Opera uraufgeführt – hat er nicht ht mehr erlebt; das Ende des Theaters (1732) allerdings auch nicht: Sein Sohn, ein ei berühmter und sehr erfolgreicher Pantomime, zog mit seiner Truppe in das neu eugebaute Theater in Covent Garden. Das Duke’s Theatre in Lincoln’s Inn Fiel ields war das erste Theater in London, das eine bewegliche Kulissenbühne besaß, ß, deren Doppelkulissen ungewohnte Durchblicke und dreidimensionale Effektee erlaubten. Die folgende Abbildung konzentriert sich auf diese neuen Dimensi nsionen. Saßen im elisabethanischen Theater die Zuschauer noch an drei Seiten en der Bühne (und bildeten so auch selbst einen Hintergrund der theatralischen n Produktion), so sitzen sie hier alle mit dem Blick auf die Bühne gerichtet. Das Gemeinschaftserlebnis von Schauspielern und Publikum tritt gegenüber der Präsentation Pr des zu Bestaunenden zurück; eine neue Kultur des Sehens und Wah ahrnehmens bildet sich heraus, in der das Spektakel (oder doch zumindest das Spektakuläre) Sp im Zentrum steht. Das lässt sich nicht nur an späteren Theatern auch au an ihrem Äußeren ablesen, sondern strahlt auch auf andere Bauwerke aus, s, so s dass die Stadt oder doch gewisse Teile von ihr – insbesondere entsprechend angelegte an Plätze – zu Bühnen für das gesellschaftliche Spektakel werden (können). n). Abb. 144: Inside of the Dukes Theatre (Linco coln’s Inn Fields)

Quelle: http://www.vam.ac.uk/content/articles/0-9/17th -century-theatre/ (30.05.2015) 9

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4.5.4 Anwohner In Lincoln’s Inn Fields wohnten von Beginn der Bebauung bis ins späte 18. Jahrhundert Vertreter des hohen wie niederen Adels, der politischen und juristischen, später auch der medizinischen Eliten und ihre Familien. Dukes (Herzöge), Marquesses, Earls (Grafen), Viscounts und Barons (Barone) wohnten Tür an Tür. Vier Lord Chancellors (Justizminister) residierten im 17. Jahrhundert in Nr. 52; zahllose Staats- und Rechtsanwälte, später dann auch Ärzte wohnten in den Nachbarhäusern. Eine systematische Erhebung der politischen Orientierung der Anwohner ist nicht möglich, weil die Dokumente lückenhaft sind, aber nach einem vorläufigen Eindruck (vgl. Riley/Gomme) kann man annehmen, dass die Unterstützer des Königs (Royalisten) während des Bürgerkriegs und nach der Restauration die stärkste Fraktion stellten, wenngleich auch prominente Unterstützer des Parlaments und – in den späten 1680er Jahren – Gegner von Jakob II. am Platz wohnten. Vielen Zeitgenossen galt der Platz allerdings als „a den of Popish recusants“ (Gaunt 2001-2005), und das nicht nur, weil im sog. Powis House (Nr. 66 und 67) William Herbert, Marquis of Powis, einer der vornehmsten Vertreter der katholischen Aristokratie wohnte, sondern auch weil – als Folge der Katholizismusfreundlichen Politik von Jakob II. – an der Rückseite von Nr. 54 ein katholisches Gotteshaus errichtet wurde. Jakob II. hatte von seinen Neigungen zur katholischen Kirche nie einen Hehl gemacht. 1668 oder 1669 trat er zum katholischen Glauben über, wenngleich er bis 1672 die Sakramente der Anglikanischen Kirche nahm und bis 1676 am Anglikanischen Gottesdienst teilnahm. Aber bereits 1673 hatte er – der hohe und höchste Ämter bekleidete – auf diese verzichtet, um keinen anti-katholischen Eid schwören zu müssen. In selben Jahr heiratete er nach dem Tode seiner ersten Frau ein zweites Mal: die katholische Marie von Modena. Zwischen 1679 und 1681 gab es mehrere Versuche des Parlaments, ihn von der Thronfolge, die wahrscheinlich war, weil Karl II. nur illegitime Kinder hatte, auszuschließen. Diese Versuche waren letztendlich – auch weil Karl II. das Parlament entließ – erfolglos. Als Jakob II. 1685 seinem Bruder, der auf dem Sterbebett noch zum Katholizismus konvertiert war, auf den Thron nachfolgte, milderte er zunächst die ausschließenden Maßnahmen gegen die Katholiken. 1687 allerdings intensivierte er seine pro-katholische Politik, indem er Magdalen College (Oxford) der katholischen Kirche überließ und offiziell einen Nuntius des Papstes in St. James akkreditierte. Im April folgte die sog. Declaration of Indulgence (Ablasserklärung), die alle Gesetze gegen Katholiken und Dissenters (Andersgläubige, meist radikalere Protestanten) aussetzte. Diese Freiheit(en) nutzte eine Gruppe von Franziskanern, um in den Nr. 53-54 von Lincoln’s Inn

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Field ein kleines Kloster zu gründen; am 2. Februar 1688 wurde die dazu gehörige Kapelle (an der Rückseite von Nr. 54; Zugang von der Duke St.) eröffnet. Bis zu diesem Zeitpunkt waren römisch-katholische Gotteshäuser illegal gewesen – es sei denn, sie hätten zu den Botschaften der römisch-katholischen Höfe bzw. Ländern gehört, die in Großbritannien diplomatisch vertreten waren. Als im Herbst desselben Jahres Wilhelm von Oranien von einflussreichen Vertretern der englischen Eliten gebeten wurde, zusammen mit seiner Frau Mary, der Tochter von Jakob II., die Krone in England zu übernehmen und er dieser Einladung folgte, verlor Jakob II. die Nerven und floh nach Frankreich. Das Volk von London (oder doch zumindest große Teile von ihm) machten sich über die mittlerweile entstandenen katholischen Gotteshäuser her: Die Kapelle in Lincoln’s Inn Fields wurde dem Erdboden gleich gemacht, Verzierungen, Bilder, Bücher usw. wurden auf dem Platz verbrannt. Später zog die Botschaft von Portugal in das Haus Nr. 54 und ermöglichte nicht nur den Wiederaufbau des Gotteshauses, sondern auch seine ihm zugedachte Wirkung. Anfang des 18. Jahrhunderts übernahm die Botschaft von Sardinien das Gebäude und das Gotteshaus wurde allgemein „the Sardinian Chapel“ genannt. 4.5.5 Zeitgenössische Rezeption, Symbolträchtigkeit, Soziale Atmosphäre Lincoln’s Inn Fields war von Anfang an von widersprüchlichen Interessen geprägt: Hier die Pächter und potentiellen Bauherren, die aus vielerlei Gründen ein angemessenes Wohnquartier für die englischen Eliten errichten und davon profitieren wollten, dort die Society of Lincoln’s Inn, die einen möglichst großen Teil der Fläche als mehr oder minder öffentlichen Erholungsraum bewahrt wissen wollte. Gleichwohl konnte sich auch die Society dem Verlangen nach mehr Wohnraum (und den entsprechenden Besitzerinteressen) nicht endlos verschließen: Purse Field wurde eingezäunt und mit einer Reihe von Bäumen bepflanzt. Cup Field, das an die Gärten of Lincoln’s Inn grenzte, wurde – entsprechend der Abmachung mit den Bauunternehmern – „levelled, plained, and cast into grass plots and gravel walks of convenient breadth, railed all along on each side, and set with rows of trees“ (Riley/Gomme). Allerdings schützten die Anlagen und Zäune den Platz nicht vor – physischem wie sittlichem – Verfall. Where Lincoln’s-Inn, wide Space, is rail’d around Cross not with vent’rous Step; there oft’ is found the lurking Thief, who while the Day-light shone, made the walls eccho with his beggong Tone:

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That Crutch which late Compassion mov’d, shall wound thy bleeding Head, and fell thee tot he Ground. Though thou art tempered by the Link-man’s Call, yet trust him not along the lonely Wall; in the Mid-way he’ll quench the flaming Brand, and share the Booty with the pilf’ring Band. Still keep the publick Streets, where oily Rays Shot from the Crystal Lamp, o’erspread the Ways. (Brant/Whyman 2007: 197)

Wiederholt wurden in der Endphase des 17. und durchgängig im 18. Jahrhundert Versuche unternommen, den Platz zu gestalten und seinen Missbrauch (z.B. als Müllabladeplatz bzw. als Versammlungsort von Obdachlosen und Kriminellen) zu unterbinden. Auch wurde immer wieder die Idee ventiliert, auf dem Platz eine – protestantische – Kirche zu bauen, aber alle diese Pläne wurden nicht realisiert. Was blieb, war ein seriöser residential square, dessen Wohnungen allerdings im Laufe des 19. Jahrhunderts zum großen Teil in Büros umgewandelt wurden.

4.6 D AS F EUER VON 1666

UND SEINE

F OLGEN

Einhundert Jahre nach dem großen Brand in der City of London kritisierte der Architekt und Bauingenieur John Gwynn den erfolgten Wiederaufbau und beklagte eindringlich den allgemeinen „failure of urban grandeur“ (Porter 1996: 124) der Stadt: Such a vast city as London ought to have had at least three capital streets which should have run through the whole, and at convenient distances have been intersected by other capital streets at right angles, by which means all the interior streets would have an easy and convenient communication with them. (Zit. in Porter 1996: 124)

Die öffentlichen Gebäude (so kritisierte er weiter) hinterließen keine bleibenden Eindrücke, kirchliche Architektur existiere kaum, die königlichen Paläste seien ärmlich, die Straßen relativ schmal, verwinkelt und in schlechtem Zustand. London sei zwar bekannt wegen seines Reichtums und seiner höflichen Umgangsformen – diese stünden aber in seltsamem Gegensatz zu dem Bild, das die Stadt von sich gäbe. Vergleicht man einen Stadtplan aus der Zeit vor dem Feuer mit den Plänen, die unmittelbar nach der Katastrophe vorgelegt wurden (vgl. Barker/Jackson: 28-29, 36-37), so ist man geneigt, Gwynn Recht zu geben, weil das,

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was seinerzeit denkbar war, aber nicht realisiert wurde, beeindruckend ist. Die Frage ist: Warum wurden die Pläne nicht realisiert? Das Feuer brach an einem frühen Sonntagmorgen (2. September) in einer Bäckerei in der Pudding Lane (nahe der London Bridge) aus. Es handelte sich nicht, wie seinerzeit vermutet wurde, um einen holländischen, französischen oder gar katholischen Anschlag, sondern war aller Wahrscheinlichkeit nach um ein Produkt der Unachtsamkeit (vgl. Barker/Jackson: 33). Ein starker Ostwind, der sich erst am Dienstagabend legte, trieb das Feuer vor sich her nach Westen, so dass die letzten Flammen erst am Freitag (7. September) gelöscht werden konnten. Insgesamt wurden ca. 13.000 Häuser, 87 Kirchen und 52 Firmenkontore zerstört (vgl. Abb. 145); der Gesamtverlust wurde auf £10.000.000 geschätzt – und das zu einer Zeit, in der die City über jährliche Einkünfte von £12.000 verfügen konnte (vgl. Clout: 68; Barker/Jackson: 32-33; Bell: 223-224). Neben dem Wind waren vor allem die Bauweise der Häuser, der Zustand der Straßen, aber auch das zögerliche Verhalten der Hausbesitzer sowie die verspäteten Reaktionen der Verantwortlichen für das Ausmaß der Katastrophe verantwortlich. Vor den Brand war die Londoner City im Grunde immer noch eine ‚mittelalterliche‘ Stadt, in der zu viele Gebäude mit Holz gebaut waren, die einem Feuer schneller zum Opfer werden konnten als Steinbauten. Abb. 145: Das Ausmaß des Feuers von 1666

Quelle: Sheppard 1998: 184

Zudem standen diese Häuser überwiegend zu dicht beieinander und waren – trotz der vorangegangenen Bevölkerungsverluste (durch Bürgerkrieg und Pest) – mehr als überbelegt. Um zusätzlichen Raum zu schaffen, waren oft die oberen

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Geschosse über die Hausgrenze des Erdgeschosses vorgebaut worden, so dass sie in die eh schon schmalen Gassen und Straßen hineinragten und generell den stetig zunehmenden Fuhrwerkverkehr, im konkreten Fall des Feuers jedoch vor allem die nötigen Löscharbeiten behinderten. Die Häuser waren auf Grund ihrer Holzanteile (und einer vorangegangenen Trockenperiode) nicht nur leicht entzündbar – in ihnen lagerten auch mehrheitlich leicht brennbare Waren. Zwar wurde versucht, durch das Einreißen und die Sprengung von ganzen Häuserzeilen Raum zu schaffen und das Überspringen der Flammen zu verhindern, aber viele Hausbesitzer zögerten zu lange mit ihrer Zustimmung, um dieser Maßnahme zum Erfolg zu verhelfen; die Stadtverwaltung (der Bürgermeister) ihrerseits (seinerseits) zögerte zu lange, die erforderlichen Maßnahmen durchzusetzen, weil sie (er) für den Wiederaufbau verantwortlich war. Unmittelbar nach dem Ende des Brandes waren sich der König, seine Ratgeber wie auch die Stadtverwaltung einig, dass es für die abgebrannte Stadt eine neue Anlage geben müsse. Entsprechend schnell wurden bereits am 11. September (von Christopher Wren), am 13. September (von John Evelyn) und am 19. September (von Robert Hooke) Entwürfe vorgelegt. Es folgten ein weiterer von dem Stadtvermesser Peter Mills (nicht überliefert), drei einander sehr ähnliche Entwürfe des Kartographen Richard Newcourt und einer von Captain Valentine Knight (vgl. Reddaway: 53; Barker/Jackson: 36-37; Brett-James: 298-305). Insbesondere die Pläne von Wren, Evelyn, Newcourt und Hooke verdienen Beachtung, weil sie tatsächlich der City ein völlig neues Gesicht gegeben hätten. In Wrens und Evelyns Plänen sind die kontinentalen Vorbilder leicht erkennbar (vgl. zum Folgenden Barker/Jackson: 36-37; Girouard 1987: 220-223; Abb. in Rasmussen: 107-109). Wren hatte gerade acht Monate in Paris verbracht und dort sowohl die klassischen Gebäude als auch die Straßenführung studiert. Er schlug für den Neubau der City entsprechend eine geradlinige Straßenführung vor, die einerseits bestimmte Sichtachsen auf relevante Gebäude (wie Kirchen und die Royal Exchange) eröffnen, andererseits durch markante Plätze (achteckige piazzas und viereckige squares) mit repräsentativen Wohnhäusern unterbrochen werden sollten. Vor allem plante Wren eine völlig neue Konstruktion und Bebauung des Themseufers, die den Warenumschlag erleichtern und beschleunigen sollte. Evelyns Vorstellungen wiesen eine gewisse Ähnlichkeit mit Wrens auf. So spielten auch bei ihm die Plätze nach italienischem Vorbild eine zentrale Rolle, die er noch schematischer als Wren verteilte und auch – besonders am nördlichen Zugang zur London Bridge – größer anlegte. Auch er wollte das Themseufer neu konzipieren – allerdings weniger im Hinblick auf den Handel als auf die ansehnlichen Plätze, die denjenigen, die sich ihnen auf der Themse näherten, ins Auge fallen sollten. Wrens und Evelyns Vorstellungen (vgl.

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Ross/Clark: 114-115; Reps: 16-18) stimmen in ihrer Auffassung vom Raum und den im Raum gezielt repräsentativ angeordneten Gebäuden weitgehend überein: Für sie geht es um den öffentlich zur Schau gestellten Glanz der Metropole (vgl. Whitfield: 67). Diese Bauweise war – was die Anlage einzelner Plätze anbelangt – in Ansätzen im westlichen Stadtgebiet in den 1630er Jahren begonnen (s.o.), aber bisher noch nicht weiter geführt worden. Richard Newcourts Idee war sicherlich die radikalste (vgl. Reps: 164): The whole area was divided into sixty-four or forty-eight square blocks, each separated from its neighbour by a wide road, and similarly separated from the City wall, which was to be rebuilt to make an exact parallelogram. The space left bare by the irregular winding of the Thames to be empty so as to form an important and useful open space. There were to be either eight blocks from east to west and eight from north to south, or only six from north to south. Each block was to consist of four L-shaped groups of buildings massed round a central open space, separated from it by a wide path. In the central open space was to be erected a church surrounded by a churchyard. This would give either sixty-four or forty-eight churches, each with appropriate room for burials. In the centre of the whole series of blocks was to be a large open space, equal to four squares, and east of this one space for St. Paul’s and one presumably for the Bank. (Brett-James: 299)

So unwirksam diese – wie auch Robert Hookes (vgl. Reps: 18) ganz ähnliche – Vorstellungen bei der Neuplanung der Londoner City waren, so wirksam waren sie bei späteren Städteplanungen beispielsweise in den USA (vgl. Reps: passim). Der Karte von John Ogilby und William Morgan aus dem Jahre 1676, die als „the first truly accurate map of London“ (Barker/Jackson: 38) gilt, kann man sehr gut entnehmen, wie die Anfang 1667 gefassten Pläne schließlich umgesetzt worden sind. The solution adopted evolved over the autumn of 1666, and was as imaginative as it was pragmatic. It was generally agreed that the superstructure of the new City should not be a direct replication of the old. Timber building would therefore be banned in favour of brick: the old streets and lanes would be paved and widened, and obstructions such as market buildings and conduits would be moved out of the roadways. […] The new town was to be built on the old plan, but with hygiene and access much improved, the risk of major fire decreased, and without major dislocation to the complex pattern of private ownership. (Barker/Jackson: 80, 82)

Zur Vorbereitung und Aufsicht bei der Durchführung dieses Plans wurde eine Kommission gebildet, in die der König und die Stadt je drei Vertreter schickten

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(Wren, May, Pratt; Hooke, Jarman, Mills). Im Februar 1667 verabschiedete das Parlament zwei Gesetze. Das erste (18-19 Chas II, 7) etablierte den sog. Fire Court, der widerstreitende Besitzansprüche klären musste. Diese Institution, deren Arbeit auf ein Jahr veranschlagt war, war bis 1676 tätig – eine Tatsache, die auf die Komplexität der Eigentumsverhältnisse verweist und die Möglichkeiten einer radikaleren Neuorientierung einmal mehr in Frage stellt (s.o.). Das zweite Gesetz (18-19 Chas II, 8) „represents the most comprehensive development plan the City had ever seen“ (Milne: 116). Für die neuen Häuser wurden vier Klassen oder Typen konzipiert, deren Struktur (Stockwerke) und Baumaterialien genau festgelegt wurden. Die Straßen wurden – i.d.R. nach ihrer Verkehrsfrequenz – als Durchgangsstraßen (thoroughfares), Straßen (streets), Sträßchen (lanes) und Gassen (alleys) definiert und in ihrer Mindestweite bestimmt. Insgesamt profitierten ca. 150 Straßen unterschiedlicher Größenordnung von dieser Erweiterung. Zudem wurde eine neue repräsentative Straße – die heutige King und Queen Street –, die von der Themse zur Guildhall führte, gebaut (vgl. Milne: 82; Barker/Jackson: 41). Wenngleich also der Wiederaufbau der City nicht kontinentalen Vorbildern (Wren, Evelyn) oder zukünftige Entwicklungen antizipierenden Entwürfen (Newcourt, Hooke) folgte (vgl. Porter 2009: 77-83) und dadurch einen – der politischen Position Großbritanniens angemessenen – Schub an städtebaulicher Prachtentfaltung oder dezidierter Modernisierung verhinderte, so ist doch die beißende Kritik der Nachwelt (Gwynn u.a., s.o.) mit Vorsicht zu genießen (vgl. Milne: 88). An die Stelle von ca. 13.000 abgebrannten Häusern waren 9.000 neue getreten. Die City „had been substantially rebuilt with speed, care and skill: the medieval plan had been transformed into an elegant modern city of red brick and white stone“ (Milne: 88). Mit der durchaus nicht unüblichen britischen Mischung aus so viel Pragmatismus wie nötig und so viel Phantasie wie möglich gelang der Wiederaufbau der Wohnhäuser in gut sieben Jahren. Die repräsentativen Bauten (Kirchen, Zunfthäuser etc.) brauchten länger; St. Paul’s wurde erst 1712 fertiggestellt. Es waren vor allen Dingen zwei Faktoren rechtlicher und ökonomischer Art, die gegen die grundsätzlichen Neustrukturierungen der vorgelegten Pläne und für einen pragmatisch am alten Straßenbild orientierten Neuaufbau sprachen: Zum einen mussten „the right of all the individual property holders“ (Milne: 80) respektiert werden. Bei einer Neustrukturierung hätten alle Grundstücke zusammengelegt werden müssen, um die Rechte anschließend neu zu verteilen. Wie lange dies gedauert hätte, kann man sich ausmalen, wenn man bedenkt, dass die Klärung der Rechte für den Neuaufbau auf der Basis der vor dem Ausbruch des Feuers geltenden Straßen- und Grundstücke-Struktur neun Jahre dauerte (vgl.

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Milne: 88; Bucholz/Ward: 327). Zum anderen war der Zeitfaktor von großer Bedeutung: Das kommerzielle Leben der Stadt war durch das Feuer zum Erliegen gekommen; die Handwerker und Kaufleute waren – aus der Not der Flucht vor dem Feuer eine Tugend machend – in die Vororte abgewandert. Um ihre Rückkehr zu beschleunigen und um zu verhindern, dass sie sich permanent in den Übergangsquartieren einrichteten, war ein schneller Wiederaufbau dringend nötig. Hinzu kamen zwei grundsätzlichere Erwägungen: Zum einen hatte der britische König – im Vergleich zum französischen oder zum Papst in Rom – wesentlich weniger Geld zur Verfügung (vgl. Bucholz/Ward: 58, 133, 137). In der Verwendung öffentlicher Gelder war er dem Parlament verantwortlich. Warum sollte er – wo er doch seinen Regierungssitz eh schon außerhalb der City hatte – in ihre Prachtentfaltung investieren? Zum anderen hatte Karl II. – auch auf Grund der Tatsache, dass er zwar seine Königswürde durch die Restauration von 1660 wiedererlangt hatte, sie aber auch immer wieder wegen seiner religiösen Orientierung zum Katholizismus in Zweifel gezogen wurde – Angst vor Unruhen im Volk. Um sie zu verhindern, setzte er während des Feuers viel Militär in der Stadt und ihrer Umgebung ein und war an einem schnellen Wiederaufbau auch deshalb interessiert, weil er Unzufriedenheit in der Bevölkerung verhindern wollte. Schließlich ist zu bedenken, dass selbst diejenigen, denen die komplexen Eigentumsverhältnisse, die baldige Rückkehr der Handwerker und Kaufleute oder drohende soziale Unruhen gleichgültig sein konnten, sich vor grundsätzlichen, radikalen und u.U. nur mit Gewalt durchsetzbaren Maßnahmen scheuten, weil die – negativen – Erfahrungen mit ebensolchen Maßnahmen während des Commonwealth erst wenige Jahre zurücklagen.

4.7 S T . J AMES ’ S S QUARE Was immer mit den bisher besprochenen Plätzen architektonisch, kulturgeschichtlich und im weiteren Sinne politisch begonnen wurde – in der Konzeption und Gestaltung des St. James’s Square fand es in der Restaurationszeit seinen vorläufigen Höhepunkt. Der Platz und seine Umgebung galt als „the Court suburb of post-Restoration London“ (Sheppard 1960), der im Hinblick auf seine Pracht und Herrlichkeit (magnificence) von keinem anderen Stadtteil Londons übertroffen wurde. Hiervon war selbst der kritische James Ralph beeindruckt, der dem St. James’s Square „an appearance of grandeur superior to any other place in town“ (zit. bei Powell: 326) attestierte. A.I. Dasent hat sich in seiner History of St. James’s Square noch vorgestellt, was heute kaum noch nachvoll-

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ziehbar ist: Karl II. macht einen morgendlichen Spaziergang, der ihn von seinem Palast (Whitehall) durch den St. James’s Park führt, die Straße Pall Mall kreuzen und von Süden her den St. James’s Square betreten lässt, wo er dem einen oder anderen seiner Minister oder Berater oder aber auch einer seiner (nicht eben wenigen) Mätressen einen Besuch abstattet (28-48). 4.7.1 Topographie und Vorgeschichte Das Land, auf dem der St. James’s Square und die den Platz umgebenden Bauten und Straßen liegen sollten, gehörte vor der Reformation diversen Institutionen der katholischen Kirche; zwischen 1531 und 1536 fiel es an die Krone. Heinrich VIII. schloss die verschiedenen Ländereien in einer Vogtei (Bailiwick of St. James) zusammen, die ca. 45 acres (= 0,18211 km2) groß war, behielt einen Teil davon für den eigenen Bedarf und verpachtete den Rest. Jakob I. übergab das Land 1617 an Treuhänder, die es für seinen Sohn (Karl I.) verwalten sollten; der wiederum gab es 1629 (abermals treuhänderisch verwaltet) an seine Frau (Henrietta Maria) als Teil ihre Wittums weiter. Nach der Restauration wurden von ihrem Sohn (Karl II.) neue Treuhänder eingesetzt. Unter ihnen war Henry Jermyn, der bereits seit 1628 in Henrietta Marias Diensten gestanden und sie 1644 ins Exil nach Frankreich begleitet hatte. Er wurde 1660 für seine langen Dienste zum Earl von St. Albans erhoben. Drei der vier Straßen, die das Viertel eingrenzen, existierten bereits vor dem 16. Jahrhundert: Im Norden führte die Straße (später Picadilly) nach Reading; im Osten verlief Haymarket, eine Ausfallstraße nach Norden; im Süden befindet sich Pall Mall, eine Allee, später eine Straße, die von Charing Cross zum St. James’s Palace führte. Die westliche Begrenzung (St. James’s Street) entstand im Zusammenhang mit der Bebauung des Viertels. Heinrich VIII. hatte nicht nur das Land von der Kirche übernommen, sondern es auch einhegen und in Wiesen und Weiden umwandeln lassen, die für königliche Sportveranstaltungen, aber auch für Truppenmusterungen genutzt wurden. Obwohl er gleichzeitig unmittelbar südlich am Rande des späteren St. James’s Park den St. James’s Palace (1531-1536) bauen ließ, fanden sich in der Palastnähe zunächst kaum weitere Bauten. Die ersten Gebäude wurden erst Anfang des 17. Jahrhunderts errichtet, aber am Ende der Commonwealth-Zeit waren es immerhin ca. 220 Häuser.

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Abb. 146: Das Gelände, auf dem der St. James’s Square entstehen sollte, um die Mitte des 17. Jahrhunderts

Quelle: www.british-history.ac.uk/survey-london/vols29-30/pt1/plate-1 (25.03.2014)

Henry Jermyn, der Earl von St. Albans (ca. 1604-1684) gilt als der ‚Gründer‘ des Londoner West Ends. 1661 konnte er das Land der Vogtei St. James für 30 Jahre pachten, von dem er seinerseits große Teile (vornehmlich für 21 Jahre) weiter verpachtete. Diese zeitlich und vor allem ökonomisch begrenzte Perspektive verbesserte er dadurch, dass es ihm gelang, für einen Teil des Landes den Pachtvertrag 1662 bis 1720 und in den 1670er Jahren bis 1740 zu verlängern.13 Dieser Vertrag besiegelte eine sog. leasehold, durch die der Pächter für einen bestimmten Zeitraum die Rechte an einem bestimmten Eigentum (Boden, Gebäude usw.) erwarb; bei Ablauf der Frist fiel das Eigentum an seinen Besitzer zurück. Für einen anderen Teil des Landes, zu dem auch der St. James’s Square gehörte, konnte der Earl von Albans 1665 eine sog. freehold erwerben, d.h. er konnte es tatsächlich kaufen, um es dann weiter zu verkaufen oder zu vererben. Allerdings gelang ihm das nicht sofort. Zunächst hatte er in seinem Ansinnen, Grund kaufen zu wollen, den König darauf hingewiesen, dass „ye beauty of this great Towne and ye convenience of your Court are defective in point of houses fitt for ye

13 Dieser Prozess dauerte länger als gewöhnlich, und es ist nicht auszuschließen, dass der Lord High Treasurer von Karl II., der 4. Earl von Southampton, dabei seine Finger im Spiel hatte, um einen Konkurrenten zu seinen eigenen Plänen am Bloomsbury Square zu behindern.

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dwellings of Noble men and other Persons of quality, and that your Majesty hath thought fitt for some Remedy hereof to appoint yt ye Place in St. James Field should be built in great and good houses“. Aber der König war nicht so ohne weiteres bereit, einen Teil seines Landes tatsächlich zu veräußern. Erst als Jermyn ihm klarmachen konnte, dass „unlesse your Majestie be pleased to grant ye inheritance of ye Ground whereon some 13 or 14 houses yt will compose ye said Place are to stand, it will be very hard to attaine ye end proposed for yt men will not build Pallaces upon any terme but yt of Inheritance“ (zit. bei Sheppard 1960), ließ sich der König von der Notwendigkeit des Verkaufs überzeugen. Unter den verbesserten Bedingungen konnte er nun zum einen ausgewählte Teile seines Besitzes verkaufen und zum anderen für verschiedene Grundstücke seiner Pacht längere Verträge (i.d.R. 45 Jahre) anbieten, wodurch Investoren bzw. zukünftige Besitzer angelockt und zum Bauen motiviert wurden. Der Bebauungsplan14 sah wie folgt aus: Abb. 147: Bebauungsplan des St. James’s Square

Quelle: www.british-history.ac.uk/survey-london/vols29-30/pt1/pp56-76 (25.03.2014) 14 „The general plan for the freehold bears a resemblance to the Earl of Southampton's for his estate in Bloomsbury which was being developed in the years immediately preceding St. Albans's. Both included a square and market, with the noble estatedeveloper's house forming part of the layout. As in Bloomsbury the market was one of the earliest parts to be built, although, unlike Southampton, St. Albans did not own the freehold of the market place. Moreover, St. Albans, again unlike Southampton, chose or was obliged to sell, not merely lease, the sites round the square.” (Sheppard 1960)

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4.7.2 Platzanlage und Bebauung; Architekten und Bauherrn Insgesamt dauerte es ungefähr 20 Jahre, bis der Platz zum ersten Mal bebaut war. Nachdem die Pacht- und Kaufverträge abgeschlossen waren, verzögerten der Ausbruch der Pest (1665) und das große Feuer in der City (1666) den Baubeginn. Die hauptsächliche Bauzeit war von 1667 bis 1676. Allerdings mussten Abstriche vom ursprünglichen Konzept gemacht werden: Jermyn hatte geplant, an den drei Seiten des Platzes – der südliche Rand fiel weg, weil die dortigen Häuser zur Straße Pall Mall ausgerichtet waren – die Grundstücke für 13 bis 14 palastartige Gebäude auszulegen, die sich allerdings nicht alle als verkäuflich erwiesen. Deshalb wurden sie verkleinert, so dass schließlich zweiundzwanzig Häuser gebaut wurden. Für sie wurde – trotz traditioneller Bauplanung und Baudurchführung – ein erstaunliches Maß an Uniformität erreicht. Der Architekt ist nicht bekannt, aber man geht davon aus, dass der König bzw. seine Beauftragten ein gewisses Maß an Aufsicht ausgeübt haben. Auf den folgenden Abbildungen kann man die einheitliche Bauweise der Ost- und Nordseiten des Platzes gut erkennen – selbst wenn sie von den Künstlern besonders hervorgehoben sein sollten. Abb. 148: St. James’s Square und Umgebung

Quelle: www.british-history.ac.uk/survey-london/vols29-30/pt1/plate-4 (25.03.2014) St. James’s Square, like Covent Garden Piazza was imperfect on the south side, but on the other three sides the house-fronts, whatever their width, were combined to present a fairly regular sequence of vertical features – the stonework surrounds of three superimposed windows – spaced between plain piers of red brick, below a wooden eaves-cornice and a

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steeply pitched roof containing a range of pedimented dormers. One remarks the complete absence of the projecting bandcourses between storeys which were a characteristic feature of most other late seventeenth-century house-fronts in London. The pronounced verticality of these St. James’s Square fronts suggests a French influence […] tempered with an English reserve of expression […]. (Sheppard 1960)

Wenn der Platz auch nicht so prächtig wurde wie geplant, war er doch eindrucksvoll genug, um die creme der englischen Gesellschaft anzuziehen. Hier wollten alle diejenigen wohnen, die zum Hof und Parlament Zugang hatten und ihren politischen Geschäften nachgehen wollten (vgl. Abb. 149 von ca. 1722). Wie schon andernorts (z.B. in Covent Garden) beobachtet, zelebrierten die den Platz umgebenden Straßen die Namen der königlichen Familie und der Familie des Earl von Albans. Der Platz selbst soll – zumindest zeitweise – „Place Royal“ genannt worden sein – in schamloser Imitation des gleichnamigen Pariser Platzes. Von den ursprünglichen Gebäuden steht heute – sieht man von der Church of St. James ab – keines mehr.15 Insgesamt bildete der Platz – nicht wegen, sondern eher trotz der großartigen Häuser – eine in sich abgeschlossene Wohngegend. Die Kirche lag nicht direkt am Platz, sondern an der Jermyn Street, der Markt lag auch nicht am Platz, sondern an einer Seitenstraße, und die Zugänge zum Platz waren eher schmal und nicht auf Durchgangsverkehr ausgerichtet. Über die Außenansicht einzelner Häuser lohnt es sich kaum zu referieren, weil ihre reale Verschiedenheit sich hinter ihrem uniformen Äußeren verbarg. Ein durchschnittliches Haus (Nr. 3 an der Ostseite des Platzes) war 50 Fuß breit und hatte vier Stockwerke (Abb. 150). Das Haus, das sich der Earl von St. Albans 1675-1676 bauen ließ (und in dem er bis 1682 wohnte) war zwar 120 Fuß breit (mit 11 Fenstern nebeneinander), unterschied sich aber äußerlich nicht wesentlich von dem (nach den Abbildungen von Kip und Nicholls rekonstruierten) Abgebildeten. In den 1730er Jahren wurde es abgerissen und drei Häuser (No. 9, 10 und 11) an seine Stelle gesetzt.

15 Die meisten Häuser gehören zur dritten, vierten oder fünften Baugeneration.

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Abb. 149: Sutton Nicholls Ansicht des St. James’s Square (ca. 1722)

Quelle: www.british-history.ac.uk/survey-london/vols29-30/pt1/plate-128 (25.03.2014)

Was dem Platz längere Zeit fehlte, war eine belastbare Infrastruktur. Zwar war in den 1660er Jahren die Frisch- und Abwasserversorgung geregelt und auch ein gepflasterter Fußweg um den Platz herum angelegt worden, aber an der Verschönerung oder auch nur allgemeinen Erhaltung des Platzes schien wenig Interesse zu bestehen. Ähnlich wie in Lincoln’s Inn Fields wurde auch die Platzmitte zum Schutt- und Dungabladeplatz. Erst 1725 schlossen sich eine Reihe der Anlieger zusammen, um Abhilfe zu schaffen. Ihre Petition an das Parlament hatte ein Gesetz zur Folge, das ihnen erlaubte „to clean repair adorn and beautify the [square], in a becoming and graceful Manner“ (zit. bei Sheppard 1960) und zu diesem Zwecke auch Gebühren zu erheben.16 Zuerst stellten die Anlieger einen Verwalter ein, der die täglichen Geschäfte zu regeln hatte. Dann wurden zwei Wachleute für den Tag und zwei für die Nacht angestellt; die Nachtleute riefen zwischen 10 Uhr abends und 6 Uhr morgens die Stunden aus. Erst mit der Schaffung einer allgemeinen Polizei in London (1829) wurde dieser Dienst eingestellt. Zur Verschönerung des Platzes wurde außerdem ein Wasserbassin geplant und

16 Dieses Gesetz war das erste seiner Art, das die Erhaltung eines öffentlichen Platzes regelte (vgl. Sheppard 1960).

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errichtet – wie auf dem späteren Bild von Sutton (nach 1727-1728) (aber auch von Bowles [1752]) deutlich erkennbar ist. Abb. 150: Modellzeichnung eines Hauses am St. James’s Square

Quelle: www.british-history.ac.uk/report.aspx?compid=40547 (31.03.2014)

Im Dezember 1697 war bereits angekündigt worden, dass „the kings statue in brasse is ordered to be sett up in St. James's square, with several devices and mottoes trampling down popery, breaking the chains of bondage, slavery, etc.“ (zit. bei Sheppard 1960). Sie sollte „on a fine Pedestal of Marble“ stehen und die loyalen Unterstützer von Wilhelm III. erfreuen, die auf diesem Platz auch seine Siege und erfolgreichen Friedensverhandlungen feierten. Allerdings wurde aus dem Vorschlag nichts. Auch zwei weitere Anläufe (1710 und 1721) verliefen im Sande. 1724 war dann das Geld für das Standbild aus einer Hinterlassenschaft vorhanden, aber es dauerte weitere 70 Jahre, bis die Pläne konkrete Gestalt annahmen, und weitere 14 Jahre bis die Statue 1808 endlich errichtet wurde. Wilhelm III. ist auf Abbildung 152 als römischer General dargestellt, der seinen Kommandostab in der rechten Hand trägt. Pferd und Reiter sind nach Norden gewandt; es könnte zumindest so aussehen, als ob der König in Richtung der St. James’s Church reitet.

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Abb. 151: Sutton Nicholls Ansicht des St. James’s Square (ca. 1727-1728)

Quelle: www.british-history.ac.uk/survey-london/vols29-30/pt1/plate-129 (25.03.2014)

Der Bau dieser Kirche entsprang nicht nur den Wünschen den Anwohner, die die Existenz einer attraktiven Kirche als Beitrag zur allgemeinen Wohnqualität werteten, sondern ergab sich auch aus der Notwendigkeit, die steigende Zahl von Anwohnern – die seinerzeit auch regelmäßige Kirchgänger waren – mit entsprechenden Gotteshäusern zu versorgen. Das ging nicht immer ohne Konflikte ab, weil die bereits existierenden Kirchengemeinden eine Reduzierung ihres Einzugsgebietes (und damit ihrer Einnahmen) hinnehmen mussten.17 Die Kirche von St. James’s wurde von Christopher Wren entworfen und gilt gemeinhin als die schönste der vier, die er auf freiem (d.h. zuvor unbebautem) Gelände bauen konnte.18 In seinem Traktat „Upon the Building of National Churches“ hat Wren dazu ausgeführt:

17 Wir konnten das bereits bei dem Bau und der Einweihung der Kirche von St. Paul, Covent Garden, beobachten (vgl. Kapitel 4.4). 18 Die anderen waren St. Anne's, Soho, St. Andrew's by the Wardrobe, and St. Andrew's, Holborn.

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Abb. 152: Standbild Wilhelms III.

Quelle: www.british-history.ac.uk/survey-london/vols29-30/pt1/plate-132 (30.03.2014) The Churches […] must be large; but still, in our reformed Religion, it should seem vain to make a Parish-church larger, than that all who are present can both hear and see. The Romanists, indeed, may build larger Churches, it is enough if they hear the Murmer of the Mass, and see the Elevation of the Host, but ours are to be fitted for Auditories. I can hardly think it practicable to make a single Room so capacious, with Pews and Galleries, as to hold above 2.000 Persons, and all to hear the Service, and both to hear distinctly, and see the Preacher. I endeavoured to effect this, in building the Parish Church of St. James's, Westminster, which, I presume, is the most capacious, with these Qualifications, that hath yet been built; and yet at a solemn Time, when the Church was much crowded, I could not discern from a Gallery that 2.000 were present. In this Church I mention, though very broad, and the middle Nave arched up, yet there are no Walls of a second Order, nor Lanterns, nor Buttresses, but the whole Roof rests upon the Pillars, as do also the Galleries; I think it may be found beautiful and convenient, and as such, the cheapest of any Form I could invent. (Zit. bei Sheppard 1960)

Am 3. April 1676 wurde der Grundstein vom Earl von St. Albans und dem Bischof von London gelegt. Die Einweihung der Kirche (Mitte 1684) hat der Earl nicht mehr erlebt; er verstarb Anfang des Jahres. Die Kosten der Kirche beliefen sich auf £7.000 – also fast doppelt soviel wie bei der Kirche von St. Paul, Covent

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Garden. Hinzu kam noch, dass der Bau des Turms wegen offensichtlicher Imkompetenz und wiederholter Baufehler wesentlicher länger dauerte und vermehrte Kosten nach sich zog. Das schlichte und zweckmäßige Äußere der Kirche ist von Zeitgenossen oft scharf kritisiert und als Widerspruch zu dem reichen und eleganten Inneren empfunden worden.19 Dagegen hat Wren das Problem, dass die Kirche nicht direkt am St. James’s Square lag, mit Bravour gemeistert: Wie auf dem Stichen von Nicholls (vgl. Abb. 149 und 151) deutlich zu sehen ist, hat er an die Südseite einen imposanten Haupteingang20 gelegt, so dass man, wenn man aus der Kirche trat, bis auf den Platz schauen konnte. Die Gemeinde war so reich wie eigensinnig: Ihre Mitglieder brachten nicht nur Handwerker mit, von denen sie sich ihre Bänke und Sitze individuell verschönern und bequemer machen ließen, sie nutzten die Gottesdienste auch zur Darstellung ihres Reichtums. John Evelyn schrieb, dass er in einer anderen Kirche eine kritische Predigt über das Tragen prunkvoller Kleidung gehört hatte, die

19 „The walls throughout were faced with red brick, generally laid in Flemish bond, and Portland stone was used for the window architraves, the doorcases, the plain underly ing plinth, the bandcourse immediately below the upper tier of windows, and for the long-and-short chamfered quoins at each angle of the church and tower. The north and south elevations are similar in composition, but differ slightly in treatment since the north side was at first partly concealed from Piccadilly by houses. There are two tiers of five evenly spaced windows, that in the middle of the lower tier replacing an origin nal doorway, dressed with a stone frontispiece described below. A vestry, linking church and rectory, has always taken the place of the easternmost window of the north elevation. The lower windows are of squat proportion and have segmental-arched heads; the upper windows are relatively tall and have round-arched heads. All are dressed with wide moulded architraves, eared at the heads and broken by keystones, those of the lower tier being plain, and those above having a form of moulded scrollconsole except the middle one which is carved with a cherub's head on folded wings. The Hulsbergh engraving of the north front, and Sutton Nicholls's north prospect of St. James's Square […], show that the north and south elevations, and the return fronts of the aisles, were originally finished with a modillioned eaves-cornice of wood, with gutter ornaments of lion heads at centres between the windows.“ (Sheppard 1960) 20 „The door, which was surmounted by a panel resting on cherub-head corbels, was framed by a straight-headed moulded architrave, flanked by panelled pilaster-strips with scrolled consoles bearing the cornice-hood. On each side was an engaged halfpilaster and a pilaster of an Ionic order, plain-shafted, carrying an extension of the en tablature, its frieze carved with festoons and the Jermyn mullets and crescents. Profile scroll-consoles flank the architrave of the window above.“ (Sheppard 1960)

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besser in der Kirche von „St. James's or some other of the Theatrical Churches in Lond[on] [gehalten worden wäre], where the Ladys and Women were so richly and wantonly dressed and full of Jewells“ (zit. bei Sheppard 1960). James Macky beschwerte sich, dass ein Fremder für seinen Sitz zahlen musste, so dass „it costs one almost as dear to see a Play“; dennoch sei die Kirche einen Besuch wert „on a Holiday or Sunday, when the fine Assembly of Beauties and Quality come there“ (zit. bei Sheppard 1960). Es erstaunt dann auch nicht, dass dieser Reichtum auch Leute anzog, die von ihm auf ihre Weise zu profitieren gedachten: 1693 wurde jemand angestellt, der während der Gottesdienste nach Taschendieben Ausschau hielt … 4.7.3 Anwohner Das Ziel von St. Albans war einfach: In der Nähe des Palastes sollte ein Quartier „for the conveniency of the Nobility and Gentry“ geschaffen werden, „who were to attend upon his Majestie’s Person, and in Parliament“ (zit. bei Harwood/Saint: 97). Dass dieses Ziel erreicht wurde, steht außer Frage. St. James’s Square war bis ins 20. Jahrhundert ein Ort für die „haunts of the mighty“ (Dasent: 203). Er lag, wie man heute sagen würde, „voll im Trend“: The path of fashion in those latter days of the seventeenth century may readily be traced westwards, from Lincoln’s Inn Fields, through Great Queen Street and Covent Garden, towards Leicester Fields, and thence onward again to the undiscovered region beyond the Haymarket and to the north of Pall Mall. (Dasent: 8-9)

Nicht weniger als fünfzehn Premierminister lebten vom 17. bis zum 19. Jahrhundert an diesem Platz, umgeben von Ministern, Beamten und Politikern unterschiedlicher Couleur. Insbesondere in den ersten 50 Jahren seiner Existenz war der Platz das Zentrum hoher politischer und sozialer Würdenträger. Zwischen 1697 und 1721 lebten hier sechs Herzöge (Chandos, Dorset, Kent, Norfolk, Portland and Southampton), sieben Earls, eine Gräfin, ein Baron, ein Baronett und drei Gentlemen ohne Titel, von denen aber zwei später geadelt wurden. Außerdem befanden sich hier viele Botschaften der wichtigsten europäischen Staaten und schließlich war dies ein Platz, auf dem Freudenfeiern (mit entsprechendem Feuerwerk) bei errungenen Siegen (Namur; Battle of the Boyne) oder Friedensschlüssen (Ryswick) stattfanden. Mit der Verlagerung des Hofes von Whitehall, das 1698 mit Ausnahme des Banqueting House den Flammen zum Opfer fiel, nach St. James’s Palace verän-

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derte sich auch der Charakter von St. James’s Square: Die noch größere räumliche Nähe zum Hof führte zu einer starken Zunahme der coffee houses (vor allem in St. James’s Street und Pall Mall), in denen Politiker und ihnen verbundene Gruppen diskutierten und ihre Geschäfte vorbereiteten. Im folgenden Jahrhundert wandelten sich viele dieser coffee houses in die gentlemen’s clubs, die ihren Mitgliedern Unterkunft, Verpflegung und eine angenehme soziale Atmosphäre zur Verfügung stellten. 4.7.4 Zeitgenössische Rezeption, Symbolträchtigkeit, Soziale Atmosphäre Trotz aller Schlichtheit bestach St. James’s Square dadurch, dass der Platz eine größere Einheitlichkeit in der Bauweise, aber auch insgesamt eine geschlossenere Einheit als seine Vorgänger (Covent Garden, Lincoln's Inn Fields, Bloomsbury Square) bildete. Die drei Straßenzugänge lagen so (zentral auf der Nord-, Ost- und Westseite), dass die vier Ecken des Platzes den Eindruck eines intendierten abgeschlossenen Raumes vermittelten. Die uniforme Bebauung der Ränder und der zentrale (zunächst leere) Platz produzierten einen Effekt, der eher an den Innenhof eines College (oder Klosters) als an einen großstädtischen Platz mit Elite-Wohnquartieren gemahnte. Dabei ist nicht einmal abschließend geklärt, ob dieser uniforme Effekt – dessen Architekten wir nicht kennen – wirklich so intendiert war oder ob er dem Zwang zur Sparsamkeit geschuldet war. Aber der Platz hat immer wieder seine Bewunderer gefunden. 1776 schrieb Sir John Fielding: St. James’s Square is beautiful and spacious […]. Although the Appearance of the Square hath an Air of Grandeur, yet that by no Means resulteth from the Pomp and Greatness of the Structures about it; but rather from a prevailing Regularity throughout, joined to the Neatness of the Pavement. The Bason in the Middle contributes not a little in producing the Effect. The Houses are built more for the Convenience of their opulent and noble Possessors, than for causing Surprize in the Beholders. (Zit. bei Sheppard 1960)

In der Architekturzeitschrift The Builder findet sich 1876 die Bemerkung, dass St. James’s Square „still remains the most aristocratic square in London“, um anschließend den Premier Benjamin Disraeli mit seiner Ansicht, der Platz könnte „be looked upon as our Faubourg St. Germain“, zu zitieren (zit. bei Sheppard 1960).

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4.8 D IE T HEMSE ,

DER

R OYAL H IGHWAY The Thames is liquid history. (John Burns [1929])

In den vorausgehenden Kapiteln wurde das Thema „Die Stadt als Bühne“ vornehmlich unter Bezug auf die städtebauliche Entwicklung der City of London und im Hinblick auf die Expansion nach Westen sowie die damit zusammenhängende Entwicklung der für das Londoner Stadtbild so entscheidenden squares behandelt. Das Schwergewicht lag hierbei auf den Bautätigkeiten der adligen wie städtischen Eliten; die unterstützende Haltung der Monarchen spielte zwar eine wichtige, aber doch nicht die Hauptrolle. Die Prominenz der squares war abhängig von ihrer strukturellen Anbindung durch Straßen und entsprechende Verkehrsmittel (s.u.). Was in den vorliegenden Überlegungen bisher keine Rolle gespielt hat, ist, dass in London für lange Zeit die Themse die Hauptader des Verkehrs und auch der Repräsentation war: Das gilt vor allem für das 16. und (mit einigen Einschränkungen) auch für des 17. Jahrhundert. An der Themse finden sich auch – neben Bauten der Adeligen und der Kirche (insbesondere zwischen der City und Westminster) – an zentralen Stellen der Stadt, aber auch ober- und unterhalb derselben Paläste der Monarchen, die ‚flussbezogen’, d.h. im Hinblick auf ihre architektonische Wirksamkeit, wenn sich ihnen ein Besucher über das Wasser näherte, angelegt, gebaut und genutzt wurden. Whitehall Palace was built to face the river not only in an architectural and aesthetic sense but in an intensely functional sense, too. This was the same for all the other royal palaces and, in particular, for the large aristocratic mansions that were build all on the Strand from the 1550s onwards. (Thurley 2012: 21)

Diesen Gebäuden und der Funktion des Flusses als royal highway gilt das Interesse des folgenden Kapitels. In der frühen Neuzeit war das Reisen noch relativ beschwerlich: Nur wenige Straßen waren befestigt und die Reisenden mussten sich – in unbeheizten und ungefederten –Wagen zusammenpferchen und durchrütteln lassen. Längere Reisen legte man besser zu Pferde oder, wenn man über das entsprechende Personal verfügte, in einer Sänfte zurück. Die meisten aber gingen zu Fuß oder blieben zu Hause. Das änderte sich, als Mitte des 16. Jahrhunderts eine Kutschenart, die zuerst in Ungarn entwickelt worden war, in England bekannt wurde. Bei der sog. Pomeranian coach (vgl. Thurley 2012: 21) ruhte der Fahrgastraum nicht mehr direkt auf den Achsen, sondern war an Lederbändern zwischen ihnen aufgehängt. Diese technische Neuerung machte – auch längere – Reisen wesentlich komfortabler; ihre Nutzung entwickelte sich –

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zumindest bei den Eliten – zu einer Mode: 1601 gab es so viele Mietdroschken (hackney coaches) in London, dass das Oberhaus über einen Gesetzentwurf beriet, ihren Gebrauch auf die ‚besseren Kreise‘ zu beschränken (vgl. Edwards: 10). Das Gesetz kam nicht durch und 1630 war ihre Zahl auf 6.000 gestiegen. Über Land wurden die ersten Postkutschenverbindungen eingerichtet: Die Reise von London nach Cambridge dauerte zunächst zwei, die nach Liverpool zehn Tage. Anfang des 18. Jahrhunderts gab es bereits Verbindungen zwischen London und 180 Städten im ganzen Land. Diese Entwicklung führte zu einer kleinen Revolution: War der Transport von Menschen und Güter jahrhundertelang über das Wasser dem über Land vorgezogen worden, weil er einfach bequemer und auch leichter zu bewerkstelligen war, so veränderte sich dies in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts. Mit der – zumindest partiellen – Verlegung des Verkehrs vom Wasser auf die Straßen ging auch ein Wandel der Gestaltung der Häuser einher. Waren die königlichen Paläste (Greenwich, Baynard’s Castle, Somerset House, Whitehall, Richmond, Nonsuch, Hampton Court, Oatlands, Windsor) nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch auf den Kontext der Flusslandschaft und die Annäherung der Besucher über das Wasser bezogen, so sollte sich dies langfristig ändern. Unter den frühen Tudors war die Themse die eigentliche Prachtstraße, auf der einerseits königlich veranlasste Architektur ausgestellt, königliches Zeremoniell inszeniert wurden und über die sich andererseits Besucher, seien sie aus dem In- oder Ausland, dem Land und seiner Hauptstadt näherten.21 Elizabeth bevorzugte bereits die Kutsche. Unter den Stuarts erhielt die Themse erneut große Bedeutung – wenn auch nicht als Transportweg,22 so doch (wie unter Heinrich VII. und VIII.) als Bühne monarchischer Selbstinszenierung (vgl. Starkey). Auch die City of London und ihre Vertreter – vor allem die Zünfte, der von ihnen gewählte Lord Mayor und der Rat – hatte die Themse bereits seit Mitte des 15. Jahrhunderts als Bühne zur Darstellung ihres ökonomischen, politischen und kulturellen Gewichts genutzt. Im Folgenden sei eine Reise flussaufwärts von Greenwich nach Windsor um 1600 imaginiert.

21 Peter Eisenberg macht im Jahre 1614 eine lange Liste auf: „The palaces and places along the bank of the Thames passing towards Westminster, are – […]“ (Rye: 171172) 22 Es könnte allerdings sein, dass die Themse im 17. Jahrhundert – wenn auch nur kurz fristig – als Tramsportweg wieder attraktiv wurde, weil die rasant steigende Anzahl von Kutschen und Droschken innerhalb von Londons engen Straßen und Gassen zu erheblichen Verkehrsproblemen führte. Das änderte sich in der City erst nach dem Feuer von 1666, als die Verkehrswege durchweg verbreitert wurden.

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I. Elizabeth I. war im März 1603 gestorbe ben und einen Monat später begraben worden. Jakob VI. von Schottland, der ihrr nachfolgte n (vgl. Kapitel 4.2.1), wurde am 25. Juli 1603 in Westminster Abbey y gekrönt. Wenn wir annehmen, dass die meisten der zahlreichen ausländischen n Würdenträger, die zu dieser Gelegenheit nach England reisten, sich London über ber die Themse näherten, so kann man sich vorstellen, dass sie interessiert nach beid eiden Seiten schauten, was es hier zu sehen gab. Zunächst wird ihnen der Greenwich ch Palace (mit dem etwas erhöht liegenden Greenwich Castle) aufgefallen sein. Dieser Di Palast, der auch wegen seiner ansprechenden Lage Palace of Placentia bbzw. Palace of Pleazaunce genannt wurde, war ursprünglich ein größeres Landhau aus, das Heinrich VII. um 1500 erweitern und zu großen Teilen neu bauen ließ.. Hier Hi wurde nicht nur Heinrich VIII. geboren, sondern auch seine Töchter Mary und u Elizabeth; sein Sohn Eduard VI. starb hier. Für Heinrich VIII. wie auch Elizab zabeth I. war dieser Palast neben Whitehall der wichtigste Amtssitz und Aufenthalts ltsort. Dagegen verfiel der Palast unter den Stuarts und in der Zeit der Bürgerkriege ge. Abb. 153: Der Tower von London

Quelle: Hind 1922: Tafel IX

Ungefähr sieben Kilometer flussaufwär wärts war der Besucher als nächstes mit dem ungleich mächtigeren Tower konfronti ntiert. Die normannischen Eroberer hatten 1066 eine jahrhundertelange Geschichte hte der Invasion der britischen Inseln been-

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det, deren Höhepunkte die Eroberungszüge der Römer (43), der Angeln, Sachsen, Jüten (300-500) und der Wikinger (800-900) darstellten. Die Normannen eroberten in einem zähen Kampf große Teile des Landes, ersetzten die angelsächsische Elite durch ihre eigene und sicherten ihre militärische und soziale Stellung mit einer Reihe von (in jener Zeit) hochmodernen Befestigungsanlagen. Zu diesen gehörte u.a. der Tower von London, der – außerhalb der Stadtmauern gelegen und nur mit zwei Zugängen versehen23 – nicht nur die Stadt, sondern auch den Verkehr mit ihr unter Kontrolle halten sollte. Das Zentrum dieser Anlage, der sog. White Tower, wurde zwischen 1077 und 1097 gebaut. Er ist viergeschossig mit drei Räumen in jedem Stock. Die Anlage wurde in den folgenden Jahrhunderten – insbesondere unter Richard Löwenherz und Eduard I. – um einen inneren und äußeren Mauerring erweitert. Ihre Funktionen waren vielfältig: Sie war Festung, Amtssitz, aber auch Gefängnis und Ort der Gerichtsbarkeit (und von Hinrichtungen). Mit Beginn der Tudor-Herrschaft wurde der Tower nur noch selten als königliche Residenz genutzt. Aus symbolischen Gründen verbrachten noch alle drei Kinder Heinrichs VIII. – Eduard VI., Mary I., Elizabeth I. – vor ihren jeweiligen Krönungen einige Tage im Tower, danach wurde er eher als Gefängnis, Waffen- und Munitionsdepot genutzt. Sicherlich war es (auch) die Funktion als Gefängnis und Hinrichtungsstätte, die den Tower als Symbol königlicher Macht und Herrschaft so eindrücklich sein ließ. Innerhalb des Towers wurden nur wenige Verurteilte (auf dem Tower Green) hingerichtet; zumeist handelte es sich um politisch ‚heikle’ Opfer, deren öffentlicher Tod (wie bei Lady Jane Grey, der Konkurrentin von Mary I. um die Königskrone) die Massen hätte gegen den Herrscher hätte aufbringen können. Die meisten Todeskandidaten wurden außerhalb des Tower (auf dem Tower Hill) öffentlich hingerichtet. Weitere 4,5 km flussaufwärts, wo die Fleet in die Themse mündet, lag Baynard’s Castle – ursprünglich zusammen mit dem etwas höher gelegenen Montfichet Tower eine weitere normannische Befestigung –, das im 13. Jahrhundert zerstört und später an die Dominikaner verkauft wurde. Noch vor der Reformation erwarb das Haus von York das Gebäude, Heinrich VII. ließ es zu einem königlichen Palast umbauen und Heinrich VIII. schenkte es seiner ersten Frau zur ihrer beider Hochzeit.

23 Der eine Zugang war zu Lande (an der südwestlichen Ecke der Befestigung war ein Tor zur Stadt), der andere – das sog. Traitorsʼ Gate, durch das Gefangene gebracht wurden – zu Wasser. Auf der (obigen) Abbildung vor Hollar ist letzterer Zugang gut zu erkennen.

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Wenige hundert Meter oberhalb von on Baynard’s Castle liegt Somerset House. Edward Seymour, der Earl (und spätere ere Duke) of Somerset und Regent für den minderjährigen Eduard VI. (von 1547 47-1549), ließ sich ein prachtvolles Haus (Somerset House) am Strand bauen (Ab Abb. 154), das als Englands „first classical building comparable in sophistication with wi what was being designed in Europe at the time“ (Howarth: 20) gelten kann und un später einer Reihe von Königinnen als Residenz diente.

Abb. 154: Somerset House

Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/Somerset_Hous use#mediaviewer/File:Somerset_House_by_Kip _1722.JPG (21.06.2015)

Somerset selbst hatte nicht viel von seinem sei Haus. Als es sich seiner – vorläufigen – Fertigstellung näherte, war er bereits be einem Putsch zum Opfer gefallen. Der (imaginäre) Besucher konnte zwar war Teile der Anlage sehen, andere werden jedoch noch hinter Baugerüsten versteck eckt gewesen sein. Nach weiteren 3 km erreicht der er Besucher den königlichen Palast von Whitehall. Mehr als 300 Jahre – vom 13. 13 bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts – hatten die Erzbischöfe von York ihree Residenz R im sog. „York House“ südlich von Charing Cross. 1514 wurde Thoma mas Wolsey, der Heinrich VIII. bereits seit

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seiner Thronbesteigung (1509) beriet, vom Papst zum Erzbischof von York, im folgenden Jahr zum Kardinal ernannt und von Heinrich VIII. zu seinem engsten Berater (Lord Chancellor) befördert. Er begann sofort damit, Gelände um das ursprüngliche York House aufzukaufen, die bereits vorhandenen Gebäude zu ergänzen und das gesamte Ensemble zu einem prachtvollen Palast auszubauen (vgl. Thurley 2008: 21). Heinrich VIII., dem 1512 große Teile seines Palastes in Westminster abgebrannt waren, ließ sich oft nach York House einladen und bewunderte dessen Opulenz – wie auch die von Wolseys Landsitz Hampton Court, der ca. 12 Meilen südwestlich von Whitehall an der Themse lag (vgl. Thurley 2003). Als es Wolsey nicht gelang, den Papst, dessen offizieller Legat er auch noch seit 1518 war, zur Annullierung der Ehe zwischen Heinrich VIII. und seiner ersten Frau Catherine of Aragon zu bewegen, entzog ihm Heinrich 1529 nicht nur sein Vertrauen, sondern enthob ihn seiner säkularen Ämter und konfiszierte seinen Besitz (vor allem York House und Hampton Court mit allen dort vorhandenen Reichtümern). Die Inbesitznahme von York House, das Heinrich in WhiteHall umbenannte, war noch nicht legalisiert, als er schon mit dem Umbau und den Erweiterungen beginnen ließ. Ein frühzeitiger Besuch nur wenige Wochen nach Wolseys Entlassung hatte Heinrich und seine neue Liebe Anne Boleyn davon überzeugt, dass sie in Whitehall residieren wollten. (Als der Umbau fertig war, war allerdings Anne bereits in Ungnade gefallen und enthauptet worden.) Vor allem als Folge der Loslösung der englischen Kirche von Rom (1534) und der daraus resultierenden Auflösung der Klöster (1536, 1538) – die (katholische) Kirche besaß gut ein Viertel des englischen Grund und Bodens – floss eine Menge Geld in die königliche Schatztruhe, das Heinrich VIII. in den 1530er und 40er Jahren erlaubte, seine bereits existierenden Paläste erweitern und modernisieren sowie neue – St. James’s, Oatlands und Nonsuch – bauen zu lassen. Die Konzeption von Whitehall war ungewöhnlich (vgl. Thurley 2013: 215): Der Palast wurde auf den beiden Seiten einer Straße (King Street) angelegt, wobei der westliche Teil zur Ertüchtigung (Tennisplatz und -halle sowie Kegelbahn) und zur Belustigung (Cockpit) diente, während der östliche – zur Themse hin gelegene – Teil die Repräsentations- und Wohnräume enthielt. Beide Teile waren durch eine Galerie und ein großes (von Hans Holbein entworfenes) Tor miteinander verbunden. The royal lodgings were a mix of tradition and innovation. Traditionally centred on a great hall and great chamber, this palace had a long, narrow wing containing a privy – or private – gallery and a sequence of privy lodgings. It was the first royal palace to be built on a

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single level rather than incorporating a tow wer, and the first to have such extensive privy lodgings. The queen, too, had a suite of room oms and her own gallery. (Thurley 2013: 215)

Abb. 155: Westminster von Charing Cro ross bis Westminster Abbey

Quelle: Groos 1981: 39

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Unter Heinrichs Nachfolgern (Eduard VI., Mary I. und Elizabeth I.) wurde wesentlich weniger gebaut. Mary und Elizabeth waren – abgesehen von der Errichtung sog. Funktionsbauten (banqueting houses) zum Empfang von Gästen – eher zurückhaltend in ihrer Bautätigkeit. Trotzdem hat die Pracht von Whitehall ausländische Besucher fasziniert, wie aus dem Bericht des mährischen Barons Waldstein aus dem Jahre 1600 zu entnehmen ist: Whitehall […] is truly majestic, bounded on the one side by a park which adjoins another palace which is called St James’s, and on the other side by the Thames, and it is a place which fills one with wonder, not so much because of its great size as because of the magnificence of its bed chambers and living rooms which are furnished with the most gorgeous splendour. (Groos: 43)

Im Folgenden beschreibt Waldstein wortreich und mit großer Bewunderung die einzelnen Räume des Palastes, ihre Wandbehänge und Gemälde. Der Höhepunkt seiner Reise war zweifelsohne der Empfang bei Elizabeth I. Abb. 156: Richmond Palace von W. Hollar

Quelle: Hind 1922: Tafel LVIII

Die Tochter Heinrichs VII., Margaret, heiratete hier den schottischen König Jakob IV. – und über diese Verbindung geriet dessen Urenkel Jakob VI. 1603 auf den englischen Thron. Heinrich VII. starb 1509 in Richmond Palace – genau wie seine Enkelin Elizabeth, die sich vorzugsweise hier aufhielt. Wenige Kilometer flussaufwärts – Ebbe und Flut beeinflussen nicht länger den Verkehr auf der Themse – lag auf einer Anhöhe (wiederum auf dem südlichen Ufer) Nonsuch Palace, das (wie der Name schon andeutet: „none such place like it“) vielleicht größte Bauprojekt von Heinrich VIII. Der Bau wurde 1538 begonnen und war bei Heinrichs Tod (1547) noch nicht fertig. Seine Tochter Mary I. verkaufte den Palast, aber am Ende des Jahrhunderts war er wieder in königlichen Händen. Englandreisende priesen nicht nur den Palast und seine

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Ausstattung, sondern auch seine ihn umgebende Parklandschaft, den reichen Wildbestand und die künstlerische Gartengestaltung. Paul Hentzer, ein deutscher Jurist, schrieb in seinem Reisebericht von 1598: Nonesuch, a royal retreat, in a place formerly called Cuddington, a very healthful situation, chosen by King Henry VIII. for his pleasure and retirement, and built by him with an excess of magnificence and elegance, even to ostentation: one would imagine everything that architecture can perform to have been employed in this one work. There are everywhere so many statues that seem to breathe so many miracles of consummate art, so many casts that rival even the perfection of Roman antiquity, that it may well claim and justify its name of Nonesuch, being without an equal; or as the post sung: “This, which no equal has in art or fame, Britons deservedly do NONESUCH name.” The palace itself is so encompassed with parks full of deer, delicious gardens, groves ornamented with trellis-work, cabinets of verdure, and walks so embrowned by trees, that it seems to be a place pitched upon by Pleasure herself, to dwell in along with Health. In the pleasure and artificial gardens are many columns and pyramids of marble, two fountains that spout water one round the other like a pyramid, upon which are perched small birds that stream water out of their bills. In the Grove of Diana is a very agreeable fountain, with Actaeon turned into a stag, as he was sprinkled by the goddess and her nymphs, with inscriptions. There is besides another pyramid of marble full of concealed pipes, which spurt upon all who come within their reach. Quelle: www.gutenberg.org/cache/epub/1992/pg1992.html (22.06.2015)

Nur weniger hundert Meter flussaufwärts lag (und liegt immer noch) auf dem gegenüber liegenden Ufer Hampton Court. Der Grund und Boden gehörte ursprünglich dem Johanniterorden, der ihn aber ab dem 15. Jahrhundert verpachtete. Thomas Wolsey, der Erzbischof von York, pachtete 1514 Haus und Grund und errichtete in den nächsten zehn Jahren einen prachtvollen Landsitz – um den ihn nicht nur der König beneidete. Als Wolsey bemerkte, dass er in Heinrichs Gunst sank, schenkte er ihm Hampton Court 1528. Das konnte allerdings seinen Sturz nicht aufhalten. Mit der Vollendung des Baus 1540 war eines der prächtigsten und „modernsten“ Schlösser Englands entstanden, in dem Heinrich Gäste aus dem eigenen Land wie auch ganz Europa empfing. Und dieser Palast blieb – abgesehen von internen Renovierungen und Neuausstattungen – für die nächsten anderthalb Jahrhunderte unverändert. Abermals zwei Kilometer flussaufwärts (nun wiederum auf dem südlichen Ufer zwischen dem heutigen Weybridge und Walton-on-Thames) lag Oatlands.

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Heinrich VIII. ließ diesen Palast zunächst 1538 für Anna von Kleve bauen; 1540 heiratete er hier seine fünfte Frau, Catherine Howard. Alle Tudor-Herrscher und frühen Stuart-Herrscher nutzten diesen – eher kleinen – Palast, um sich von den Tagesgeschäften auszuruhen und in den ‚kleinen Kreis’ ihrer engsten Vertrauten zurückzuziehen. Weitere acht Kilometer flussaufwärts (und ca. 70 km vom Tower entfernt) befindet sich auf dem Südufer der Themse das dritte Bollwerk der Normannen: Windsor Castle. Abb. 157: Windsor Castle aus Südosten, W. Hollar

Quelle: Hind 1922: Tafel LIX

Wilhelm der Eroberer ließ 1070 auf dem Boden einer ehemals königlichsächsischen Residenz einen Hügel aufwerfen, auf dem zunächst durch eine Palisade geschützte Gebäude errichtet wurden. Heinrich II. ließ im 12. Jahrhundert den steinernen und weithin sichtbaren Round Tower errichten, der in den folgenden Jahrhunderten durch zwei viereckige Gebäudekomplexe ergänzt wurde. Westlich vom Round Tower liegt der sog. lower ward mit zwei Kirchen, die – nach Westminster Abbey – die wichtigsten königlichen Mausoleen darstellen; östlich vom Round Tower liegen (im sog. upper ward) die Gemächer für den Monarchen bzw. die Monarchin und seine/ihre Gäste. Die umliegenden Parks sind 2300 acres (900 Hektar) groß. II. Wenn wir uns nun eine zweite Reise ungefähr einhundert Jahre später (1700) vorstellen, so hat sich manches geändert. Einerseits werden einige Paläste nicht

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mehr genutzt oder sind gar nicht mehr vorhanden, andererseits sind neue Bauprojekte hinzugekommen. Von den zwölf Palästen zwischen Greenwich und Windsor sind fünf mehr oder weniger verschwunden: Richmond Palace und Oatlands Palace wurden nach der Hinrichtung Karls I. (1649) von den Parlamentariern verkauft, von den Käufern abgetragen und die Steine als Baumaterial verkauft. Baynard’s Castle fiel dem Feuer von 1666 zum Opfer und wurde nicht wieder aufgebaut. Den Nonsuch Palace schenkte Karl II. einer seiner zahlreichen Mätressen (und Mutter von fünf seiner unehelichen Kinder [vgl. Thurley 2003: 140]), Barbara Villiers, der Gräfin von Castlemaine, die ihn ihrerseits in den 1680er Jahren (als Baumaterial) verkaufte, um Spielschulden zu begleichen. Der größte Verlust aber – im Hinblick auf das königliche Prestige – war der Brand des Whitehall Palace im Jahre 1698. Durch die Unachtsamkeit einer Dienstbotin ausgelöst, wurde nahezu der gesamte Palast zerstört. Nur mit großen Anstrengungen konnte das Banqueting House vor den Flammen gerettet werden – zu unserem Glück, gehört es doch zu den wenigen erhaltenen Bauten, die das bahnbrechend Neue der klassischen Architektur erahnen lassen. Wiewohl sich Jakob I. bis zu seinem Tode zunächst einerseits gegen eine Ausweitung von Bautätigkeiten in London wandte, weil er das Anwachsen der Bevölkerung fürchtete und verhindern wollte, andererseits aber auch ausgewählte Bauvorhaben seiner adligen Freunde und Verbündeten nicht allzu sehr behindern wollte (um sie nicht gegen sich aufzubringen) und schließlich selbst auch daran interessiert war, der Herrschaft in seinem neuen Königreich seinen baulichen Stempel aufzudrücken, finden sich vor allem zwei Bauwerke, die mit seinem Namen und dem Namen seines Architekten Inigo Jones (1573-1652) verbunden sind: das Queen’s House (1616-1619; 1635-1638) in Greenwich und das Banqueting House (1619-1622) in Whitehall. Jakob hatte zwar keine eigenen architektonischen Vorstellungen, aber ihm war klar, dass Gebäude „eloquent images of rule“ (Howarth: 44) darstellten. Dementsprechend war er auch bereit, in sie zu investieren – zumal er (anders als Elizabeth) den angemessenen Raum für eine ganze königliche Familie in Rechnung stellen musste. Die jährlichen Aufwendungen für die königlichen Paläste, die in den letzten Regierungsjahren von Elizabeth etwa £4.000 betragen hatten, stiegen auf £7.000 (1603-04) und kaum glaubliche £23.000 (1609-10) (Thurley 2008: 48). Ein Teil der Kosten wird durch den Neubau des Banqueting House entstanden sein, den James bereits 1604 bei Robert Stickells in Auftrag gab. Allerdings war er mit dem Ergebnis, das 1608 mit einem Maskenspiel eingeweiht wurde, wenig zufrieden: Die Säulen im Inneren versperrten nicht nur dort die Sicht, sondern durch ihre Stellung vor den Fenstern auch die Sicht nach draußen (vgl. Thurley 2008: 49).

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Als das Banqueting House 1619 abbrannte, war mittlerweile Inigo Jones (1573-1652) als Surveyor of the King’s Works 1615 in den Dienst von Jakob getreten – und damit für den Neubau verantwortlich. Jones hatte bereits drei Jahre zuvor mit dem Bau des Queen’s House (für Anne von Dänemark) in Greenwich begonnen, musste ihn nun jedoch – zumal die Königin im März 1619 verstorben war – unterbrechen, um sich dem neuen Banqueting House zu widmen. Zweifelsohne war Jones durch seine mehrfachen Italien-Aufenthalte (zuletzt 1613-14) und die dort erfahrenen Anschauungen zutiefst beeinflusst (vgl. Kap. 4.2.2). Er hatte diese Reisen nicht nur im Begleittross englischer Kenner von Kunst und Architektur (wie dem Earl of Rutland, Lord Henry Wotton oder dem Earl of Arundel) unternommen, sondern auch vor Ort italienische Architekten (wie Vicenzo Scamozzi) getroffen. Er verarbeitete, was er sah, durchaus nicht unkritisch und formulierte einen Anspruch, der sich explizit vom Überschwang Michelangelos abgrenzte und implizit an Palladios klassischer Schlichtheit orientierte: And to saie trew all thes composed ornaments the wch Proceed out of ye aboundance of dessigners and wear brought in by Michill Angell and his followers in my oppignion do not well in sollid Architecture and ye fasciati of houses, but in gardens loggis stucco or ornaments of chimnies peeces or in the inner parts of houses thos compositions are of necessity to be yoused. For as outwardly every wyse ma carrieth a gravity in Publicke Places, whear there is nothing els looked for, yet inwardly hath his immaginacy set on fire, and sumtimes licenciously flying out, as nature hirsealf doeth often tymes stravagantly, to delight, amase us sumtimes moufe us to laughter, sumtimes to contemplation and horror, so in architecture ye outward ornaments oft [ought] to be sollid, proporsionable according to the rulles, masculine and unaffected. (Zit. bei Howarth: 30)

Das Banqueting House (Abb. 158) sollte – in Umsetzung der abschließenden Forderung – magnificence und decorum auf zurückhaltende, aber eindrückliche Art und Weise miteinander verbinden: „In architecture as in life the face of authority should be characterized by gravitas, while qualities of imagination and wit are revealed only in more intimate settings.“ (Smuts: 96) Das Gebäude ist zweigeschossig (vgl. zum Folgenden Thurley 2008: 50ff.). Über einem Erdgeschoss erhebt sich das Hauptgebäude, in dem sich die Banqueting Hall befindet. Der Name ist insofern irreführend, als in diesem Raum (wie in früheren, die die gleiche Bezeichnung führten) keineswegs nur (oder auch nur hauptsächlich) Bankette stattfanden. Er diente vielmehr einer Vielzahl von Zwecken, erfüllte also eine Reihe von offiziellen Funktionen – wie beispielsweise bei dem Empfang ausländischer Diplomaten und Würdenträger

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(die galt es zu beeindrucken!), aber auc uch bei Festen (wie Hochzeiten) oder royalen Belustigungen (wie etwa den höfisch schen Maskenspielen).

Abb. 158: Das Banqueting House

Quelle: http://www.shafe.co.uk/crystal/images/lshafe afe/Banqueting_House_18thC_engraving.jpg

(22.06.2015)

Beim Bau wurden drei verschieden ene Arten von Stein verwendet: beim rusti(fi)zierten Erdgeschoss wurde brau aun-gefärbter Stein aus Oxfordshire, für die Wände tabakfarbiger Stein aus Northam amptonshire genutzt und die weißen Säulen, Simse und Geländer wurden aus us Portland-Stein gefertigt. Die Ost- und Westansichten sind symmetrisch; jedee weist (wie man sieht) sieben Fensteröffnungen auf. Das Kellergeschoss bildet et durch seine Rusti(fi)zierung den Sockel des gesamten Gebäudes. Der obere (Ha Haupt-)Teil des Gebäudes besteht aus zwei übereinander liegenden Teilen: der untere un Teil wird von Ionischen, der obere Teil von Säulen einer kompositen Ordnung Ord (einer Kombination der Schnecken der Ionischen und des Laubwerks der Korinthischen K Säulen) getragen. Das zentrale Merkmal der Fassade sind die drei rei zentralen – vorspringenden – Fensternischen. Die Ecken des Gebäudes werden en beidseitig durch doppelte Säulen gebildet. Die Fenster sind rechteckig, wobei ei die untere Reihe abwechselnd halbrunde bzw. dreieckige Giebel aufweist, währe rend die obere Reihe keine Giebel hat. Bedauerlicherweise kann man heute die ie Wirkung dieses Gebäudes kaum noch nachvollziehen. Zum einen war die bee eeindruckende Gleichmäßigkeit, die Würde

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und Proportionalität dieses Baus (ein doppel elter Würfel von 55x55x110 Fuß) etwas in England bisher nicht Gesehenes. Zum um anderen darf man nicht vermuten, dass das Gebäude in seiner Schlichtheit eintö tönig oder gar langweilig gewirkt hat, weil die drei verschiedenen Steinarten dem Gebäude Ge ursprünglich ‚Farbe(n)’ gegeben haben, die heute nicht mehr zu sehen en ist (sind), weil bei einer Renovierung in den 1820er Jahren das ganze Gebäude Geb mit Portland-Stein verkleidet wurde. Schließlich kann man die eindrücklic liche Größe des Gebäudes heute kaum erahnen; die folgende Ansicht von W. Holla llar aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts (s.u.) macht sie deutlich. Allerdings muss m die Verlässlichkeit von Hollars Abbildung bezweifelt werden, da seine Darst rstellung des Banqueting House acht – an Stelle der tatsächlichen sieben – Fensterni nischen zeigt.

Abb. 159: W. Hollar: Palatium Regis prope Londinum L (= Whitehall) (ca. 1647)

Quelle: Hind 1922: Tafel L

Das Nordende (s.u.), an dem sich der Eingan ang mit drei Türen befand, wurde von einem auf Säulen gestützten Balkon verziert. rt. Im Inneren der Banqueting Hall befand sich am Südende der Thron des Königss unter einem Baldachin, und an allen Seiten des Saales (außer an der Südseite) war eine Galerie angebracht. Nach dreijähriger Bauzeit konnte das Ba Banqueting House 1622 in Gebrauch genommen werden. Der König hatte nun (mit ( direkter Verbindung zu seinen Privatgemächern) einen großen festlichen Saal S (im Hauptgeschoss) und eine kleinere „Grotte“ im Erdgeschoss (für eherr ‚private’ Feiern). Insgesamt war Ja‚ kob mit dem Bau mehr als zufrieden, auch we wenn sich die veranschlagten Kosten von £9.850 nicht unwesentlich auf £15.648 8 (vgl. Thurley 2008: 50) erhöht hatten. Endlich hatte er ein Gebäude, das sich mit m anderen Palästen in Europa messen konnte – ein Gebäude, in dem er nicht ht nur ausländische Staatsoberhäupter und Würdenträger empfangen, Verträge absc schließen, die Vertreter der Parlamen-

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te empfangen, Adelstitel verleihen und Feste feiern konnte. Das Banqueting House sollte nicht nur ihm, sondern dem Geschlecht der Stuarts als Zentrum des Hofzeremoniells Größe verleihen (vgl. Thurley 2008: 53). Als Jakob 1625 starb, konnte er nicht wissen, dass sein Sohn Karl I. diese Botschaft einerseits noch dadurch überhöhen sollte, dass er durch Peter Paul Rubens die Decke der Banqueting Hall ausmalen ließ, sie andererseits aber durch seine Politik und seinen unrühmlichen Tod – die Hinrichtung vor eben diesem Banqueting House – in Frage stellen würde. Abb. 160: Die Nordseite des Banqueting House

Quelle: Thurley 2008: 52

Während des sog. Interregnums wurde Whitehall verschiedentlich genutzt: Es bot sich an, den Palast weiterhin als Sitz der Verwaltung des Landes zu behalten. Zudem bot er Platz als Quartier für das Militär. Von den Reichtümern des Königs wurde eine Bestandsaufnahme gemacht; sie sollten verkauft werden. Als Oliver Cromwell im Dezember 1653 von der Armee zum Lord Protector des Commonwealth gemacht wurde, entschied er sich für Whitehall als Regierungsund Hampton Court als Landsitz. Aber die wirtschaftliche und politische Lage nach dem Bürgerkrieg – „The wars were bloody, and their costs were immense.“ (Kramer: 89) – erlaubte kaum die einfachsten Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten. Als Cromwell 1658 starb, entschloss sich das Parlament, Whitehall zum

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Verkauf anzubieten. Dem kam allerdings die ie Restauration des Königtums (1660) zuvor. Karl II. (1630-85) hatte sein Exil in Fra rankreich und den Niederlanden verbracht. Französische Mode, französisches Design De und französische Architektur waren für ihn der Maßstab aller Dinge. Ber ereits ein Jahr nach seiner Rückkehr dachte er ernsthaft darüber nach, wie er mit it welchem Ausmaß an ihm zustehender Pracht Whitehall aus- bzw. neu bauen n lassen wollte. Die Pläne von John Webb (vgl. Thurley 1999: 102-3) sind beei eindruckend, aber lassen ahnen, dass sie angesichts der auch für Karl angespannte nten Finanzlage – zudem wurde London 1665 von der Pest, 1666 von dem groß oßen Feuer heimgesucht – nicht realisierbar waren. Ab 1683 ließ Karl Christophe her Wren einen Palast in Winchester ngs konnte auch dieser nicht in bauen, der Versailles nachempfunden war; allerdi al vollem Umfang realisiert werden, weil das Geld Ge ausging. Nicht nur die City of London war – wie wi wir bereits erfahren haben – von Feuer bedroht. Auch die königlichen Paläs läste und Residenzen waren dagegen nicht gefeit. Allein im 17. Jahrhundert wisse sen wir von mindestens einem halben Dutzend Bränden in Whitehall – der letzte im Jahre 1698 sollte die Anlage (s.u.) nahezu komplett zerstören.

Abb. 161: Whitehall (Vogelperspektive)

Quelle: Leonard Knyff, c.1695 https://wcclibrari aries.wordpress.com/2012/08/07/the-royalriver-thames/ (22.06.2015)

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Westminster und der Tower hatten sich von königlichen Residenzen in Regierungs- und Verwaltungszentren gewandelt. In Windsor Castle waren – insbesondere durch Karl II. – die repräsentativen Räume renoviert bzw. neu gestaltet worden. Somerset House wurde von den meisten Königinnen als ihr Palast akzeptiert und für sie auch jeweils hergerichtet bzw. renoviert. Hampton Court war in mancherlei Hinsicht ein Sonderfall: Für die ‚frühen’ Stuarts war der Palast in seiner Struktur und seinem Ambiente altertümlich. Während Jakob I. damit nicht viel anfangen konnte – er ließ zwar Inigo Jones eine Bestandsaufnahme erstellen, von seinen Folgerungen wurde aber nichts realisiert –, war sein Sohn Karl I. ein Bewunderer Heinrichs VIII., dem daran gelegen war, die extrem strenge Förmlichkeit und das Zeremoniell der Tudorzeit wieder zu etablieren (Thurley 2003: 114). Vielleicht war dies der Hauptgrund, warum die architektonischen Neuerungen, die sich in Greenwich, Whitehall, und Somerset House fanden, in Hampton Court fehlten. Anders als andere königliche Residenzen blieb Hampton Court während des Bürgerkriegs verschont; zeitweise nutzte es Cromwell auch als Landsitz für sich und seine Familie. Abb. 162: Hampton Court von Süden aus gesehen.

Quelle: http://www.britishmuseum.org/research/collection_online/collection_object_details.aspx? objectId=751202&partId=1&searchText=hampton+court+knyff&page=1 (22.06.2015)

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Karl II. interessierte sich nur während seiner Flitterwochen für Hampton Court; später quartierte er Barbara Villiers (s.o.) und ihre gemeinsamen Kinder dort ein. Erst Wilhelm III. und Maria II. begeisterten sich wieder für Hampton Court, ließen Christopher Wren und Nicholas Hawksmoor eine Reihe von Plänen entwickeln, von denen aber nur Teile realisiert werden konnten. Das lag einmal an den hohen Kriegskosten, die das Land belasteten: Wilhelm musste seine Herrschaft, die sich in England unproblematisch etabliert hatte, in Schottland und Irland erst gewaltsam durchsetzen. Dazu kam der Krieg auf dem Kontinent gegen Frankreich. Maria vertrat Wilhelm nicht nur politisch in seiner Abwesenheit, sondern beaufsichtigte auch die Palastrenovierungen, die allerdings mit ihrem Tode 1694 abrupt endeten und erst drei Jahre später wieder aufgenommen wurden. Wren und (in der zweiten Bauphase) William Talman gestalteten die zum Fluss und zum Park gewandten Süd- und Ostseiten vollständig neu. Sie ersetzen die verwinkelte Tudorfassade durch eine elegante Barockfassade, die das Vorbild Versailles zwar ahnen lässt, sich aber durch den lebhaften Kontrast von roten Ziegel und weißem Portlandstein auch von dem Vorbild unterscheidet. Abb. 163: Das Queen’s House, Grundriss

Quelle: Summerson 1993: 120

Die Bauvorhaben waren um 1700 zunächst vollendet. Sie wurden ergänzt durch eine – konzeptionell imponierende und praktisch überzeugende Gartenanlage, die mit über 50 Morgen sicherlich die größte Großbritanniens war. Drei neue

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und – wie das Banqueting House – neuartige Bauprojekte bedürfen der Erwähnung: Eines gehört noch zu den im engeren Sinne königlichen Bauten: das Queen’s House in Greenwich (aus der Zeit vor dem sog. Bürgerkrieg). Die beiden anderen – das Royal Hospital in Chelsea (begonnen 1681) und Royal Naval Hospital in Greenwich (begonnen 1692) – sind zwar von den jeweiligen Monarchen (Karl II. und Mary II.) initiierte Bauten, dienen aber der königlichen Selbstdarstellung eher (wie Les Invalides in Paris) indirekt. Der Bau des Queen’s House (Greenwich) wurde 1616 nach einem Entwurf von Inigo Jones begonnen, aber bereits 1618 abgebrochen, weil Anne von Dänemark erkrankte und im folgenden Jahr starb. Erst zehn Jahre später wurde der Bau – nunmehr für die Frau Karls I., Henrietta Maria – fortgesetzt und 1635 fertiggestellt. Die H-Form des Gebäudes war dem Kontext geschuldet (vgl. Summerson 1993: 110f.): Der Palast und die Gärten in Greenwich waren durch die Straße von Deptford nach Woolwich geteilt, wer vom Palast in die Gärten wollte, musste sie überqueren. Jones machte aus der Not eine Tugend: Er konstruierte und situierte das Haus so, dass die Straße zwischen den beiden – durch eine Brücke verbundenen – Teilen hindurchführte. Nun konnten die herrschaftlichen Personen den Park erreichen, ohne die Straße kreuzen zu müssen, und zusätzlich waren Palast und Park architektonisch effektiv miteinander verbunden. Als später (1697) die Straße verlegt wurde, war es völlig unproblematisch, aus dem Hförmigen Gebäude ein quadratisches herzustellen. Wenngleich die italienischen Vorbilder für das Queen’s House nachweisbar sind (vgl. Summerson 1993: 121), so ist doch andererseits unverkennbar, dass Jones sich keineswegs sklavisch an sie gehalten hat, sondern – wie auch beim Banqueting House – eigene Wege gegangen ist: Die Säulen an der Loggia-Seite weisen „un-italienisch“ weite Abstände auf, die Fronten nach Norden und Süden sind zwar wohlproportioniert, lassen aber in ihrer Schlichtheit einen deutlichen Schwerpunkt bzw. ein Gravitationszentrum vermissen. Alle – größeren – Pläne zur architektonischen Renovierung bestehender sowie zur Planung und Gestaltung neuer königlicher Häuser oder Paläste wurden 1666 brutal durch das Feuer in der City of London (vgl. Kap. 4.6.) gestoppt. Da der Wiederaufbau der Stadt u.a. durch die Erhebung einer Kohlesteuer finanziert werden musste; verbot sich jede verschwenderische Geste des Monarchen. Erst 15 Jahre später begann erneut verstärkte königliche Bautätigkeit – jetzt mit einem Gebäude, das zwar (indirekt) die Großzügigkeit des Königs bezeugte, aber vordergründig der Pflege kranker Soldaten dienen sollte: das Royal Hospital in Chelsea (begonnen 1681). Offensichtlich war Karl II. von der Idee Ludwigs XIV. beeindruckt, der 1670 Les Invalides hatte bauen lassen (vgl. Kap. 3.6.).

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Außerdem war im Jahr zuvor von dem Lord Lieutenant of Ireland (dem Stellvertreter des Königs) ein Parallelprojekt in Dublin begonnen worden (Kilmainham Hospital). Der Anblick des Royal Hospitals signalisiert klösterliche Strenge (vgl. Summerson 1993: 222f.). Es besteht aus einem zum Fluss hin offenen großen Hof, der an drei Seiten von einer dreistöckigen Gebäudereihe eingerahmt wird. Im Zentrum der zentralen Gebäudereihe befindet sich ein imposantes Portico mit dorischen Säulen und einem dreieckigen Giebel; auf der (vom Fluss abgewandten) Rückseite des Gebäudes befindet sich ebenfalls ein (allerdings kleineres) Portico. Das Haupt-Portico findet sich in den beiden Seitenflügeln in abgeschwächter bzw. abgeflachter Form wieder. Die Seitenflügel haben Dachfenster; der zentrale Mittelteil wird von einer Laterne gekrönt. Das Gebäude strahlt Autorität und würdevolle Zurückhaltung aus – seinerzeit gewiss angemesse Haltungen gegenüber jenen, die sich um das Vaterland verdient gemacht hatten.24 Weitaus spektakulärer war der Bau des Royal Hospital for Seamen in Greenwich, der von Maria II. 1692 initiiert, nach ihrem Tode von Wilhelm III. weiter gefördert, aber erst 1742 abgeschlossen werden konnte. Von Christopher Wren stammen erste Entwürfe, die John Webbs King Charles’s Block (16621669) integrierten und von Nicholas Hawksmoor erweitert wurden. Der Bau erfolgte in mehreren Schritten (vgl. Summerson 1993: 273 und Abb. 164).

24 Daniel Defoe hat das Hospital im 6. Brief seiner Tour Through the Whole Island of Great Britain lobend kommentiert: “Here is the noblest building, and the best founda tion of its kind in the world, viz. for the entertainment of maimed and old soldiers. […] Here the poor men are lodged, well clothed, well furnished, and well fed, and I dare say there are thousands of poor families in England who are said to live well too, and do not feed as the soldiers there are fed; […].” (346) – Man könnte allerdings auch spekulieren, dass Karl II. mit diesem durchaus spektakulären Bau von einem pa rallelen Vorhaben – dem Neubau des Palastes in Winchester (begonnen 1683) – ab lenken wollte. Dafür gibt es allerdings keinen Beleg.

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Abb. 164: Das Royal Hospital von Greenwich, Grundriss

Quelle: Summerson 1993: 273

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In der Abfolge vom Flussufer zurückweichender und sich gleichzeitig verengender Innenhöfe bezog sich Wren einerseits auf sein eigenes Vorgehen bei Bau des Palastes von Winchester, andererseits auf das große französische Vorbild Versailles. Die Säulenreihen vor und die Dome auf den beiden zentralen Gebäuden verbinden italienische (Michelangelos Petersdom) mit französischen (Mansarts Louvre) Einflüssen. Unverkennbar folgt die Anlage dem Wunsche von Königin Maria II., die Sicht vom Queen’s House auf die Themse nicht zu verbauen – mit dem Effekt, dass aus der Gegenrichtung das Queen’s House zum Zielpunkt des sich verengenden Blickwinkels wird. Nicholas Hawksmoor hat in seinen Remarks on the Founding and Carrying on the Buildings of the Royal Hospital at Greenwich (1728) keinen Zweifel daran gelassen, dass ein zentrales Gebot des königlichen Auftrags war, „to build the Fabrick with great Magnificence and Order“ (zit. bei Bold: 136). Während Samuel Johnson bei seinem Besuch nach der Fertigstellung befand, die Anlage sei „too magnificent for a place of charity“ (zit. bei Bold: 136), war der Surveyor of the King’s Works Christopher Wren selbstverständlich anderer Meinung: Architecture has ist political Use; publick Buildings being the Ornament of a Country; it establishes a Nation, draws People and Commerce, makes the People love their native Country, which Passion is the Original of all great Actions in a Commonwealth. (Zit. bei Bold: 136)

Das Royal Hospital for Seamen ist vielleicht ein Beispiel dafür, dass Großartigkeit und Wohltätigkeit eine Verbindung eingehen können. Wenn der oder die Wohltäter die Pracht zur Darstellung einer ‚guten Sache’ (hier: der Verdienst ums Vaterland) nutzen, fällt zwar auch ein Teil dieses Glanzes auf sie, aber nur der kleinere Teil. Was dem Betrachter auffällt (und alle Reisenden, die sich London zu Wasser in den letzten 250 Jahren genähert haben, beeindruckt hat), ist die Großzügigkeit, mit der hier eine mildtätige Einrichtung gebaut und ausgestattet worden ist. Beide – das Royal Hospital in Chelsea und das Royal Hospital for Seamen in Greenwich – zeichnen sich durch ihre flussbezogene Architektur aus. Bei dem ersteren verlängert die flussabwärts gerichtete Perspektive die Möglichkeit des Anblicks; das letzte bildet in seiner Gesamtheit „a near perfect ensemble, the noblest river view in London“ (Woodley: 117). III. Die Häuser und Paläste an ihren Ufern machten die Themse zum royal highway, aber die Rituale und Zeremonien, die auf ihr auf- bzw. durchgeführt wurden, machten sie zu der politischen Bühne, auf der Machtdemonstrationen der Mo-

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narchen und Loyalitätsbekundungen der Untergebenen sich wirkungsvoll ergänzten. Neben dem Empfang ausländischer Herrscher und Würdenträger waren es vor allem die problematischen Hochzeiten von Heinrich VIII., Karl I. und Karl II., die auf der Themse bestaunt, bewundert, aber auch ideologisch verhandelt wurden (vgl. zum Folgenden Schneer: 57-80; Starkey). Am 25. Januar 1533 heiratete Heinrich VIII. Anne Boleyn, obwohl er noch mit Katharina von Aragon verheiratet war. Erst am 23. Mai erklärte Thomas Cranmer, der Erzbischof von Canterbury, die Ehe für ungültig. Am 29. Mai wurde Anne, die am 1. Juni in der Westminster Abbey gekrönt werden sollte, von 50 geschmückten Booten der großen zwölf Londoner Zünfte als Eskorte in Greenwich abgeholt. Am Nachmittag fuhr sie in einem prunkvollen eigenen Boot mit der Flut flussaufwärts – der Nachmittagssonne entgegen – zum Tower. Die an den Ufern liegende Schiffe waren beflaggt und feuerten, als Anne vorbeifuhr, mit ihren Kanonen Salut; voraus fuhr eine Jolle, die einen feuerspeienden Drachen an Bord hatte, der symbolischen den Weg von allem Übel befreiten sollte. Vom Tower zog die – hochschwangere – Anne, nun allerdings zu Land, zunächst nach Whitehall (wo Heinrich schon per Boot angekommen war) und von dort zur Krönung nach Westminster Abbey. Anne machte noch mindestens eine weitere Fahrt auf der Themse – wieder von Greenwich zum Tower, diesmal (am 2. Mai 1536) allerdings, um vor Gericht gestellt und hingerichtet zu werden. Heinrich VIII. hat noch vier weitere Frauen geehelicht. Keine wurde gekrönt, aber drei von ihnen wurden mit einer Prozession auf der Themse feierlich in ihren Stand als Heinrichs Gemahlin eingeführt: Jane Seymour fuhr am Pfingstsonntag (4. Juni) 1536 – Anne war erst am 19. Mai hingerichtet worden – von Greenwich nach Whitehall, allerdings ohne eine Beteiligung der Zünfte, wobei nicht klar ist, ob dies moralische oder logistische Gründe hatte. Anna von Kleve fuhr am 4. Februar 1540 von Greenwich nach Westminster. Heinrich trennte sich recht bald nach der Hochzeit von ihr und heiratete im August desselben Jahres Catherine Howard in Hampton Court. Ihre Wasserprozession fand im März 1541 statt: diesmal von Westminster nach Greenwich. Wenn man in Rechnung stellt, dass Heinrich innerhalb von zehn Jahren (1533-1543) fünfmal heiratete, lässt sich nachvollziehen, dass ihm und seinen Beratern daran gelegen war, möglichst eine populäre Form der Anerkennung der jeweils neuen Königin zu erreichen – zumal der König ja zwei Ehen (mit Katharina von Aragon und Anna von Kleve) hatte annullieren und zwei Frauen (Anne Boleyn und Catherine Howard) wegen Untreue hatte zum Tode verurteilen und hinrichtenlassen. Die Fahrten auf der Themse boten den nötigen Raum, um durch Prunk und Prachtentfaltung Machtund Herrschaftsansprüche zu demonstrieren und die entsprechenden Loyalitätsbekundungen einzufordern.

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Elizabeth bevorzugte es, sich zu Lande zu bewegen. Aber ihre Regierungszeit wird auch von zwei Reisen auf der Themse eingerahmt: Zu ihrer Krönung 1558 fuhr sie mit dem Boot von Greenwich zum Tower und erst von dort mit der Kutsche nach Westminster. Als sie 1603 im Richmond Palace starb, wurde ihr Leichnam nachts in einem mit schwarzem Tuch ausgekleideten Boot von dort nach Whitehall gebracht, wo er aufgebahrt wurde. Das Problem der Stuart-Könige war nicht, dass sie mehrere Ehefrauen hatten, sondern dass ihre Ehefrauen Katholikinnen waren, die der Mehrheit der Bevölkerung ‚verdächtig‘ waren, weil sie sich im protestantischen England nicht krönen, ja nicht einmal trauen lassen wollten (vgl. Starkey: 15). Die Französin Henrietta Maria war die erste katholische Prinzessin Europas, die mit Karl I. einen protestantischen König heiratete. Diese Heirat fand im Kontext des 30jährigen Krieges statt und entsprechend dringend waren die Interessen der katholischen Staaten an einer Rückkehr Englands zum Katholizismus. Auch der Vatikan übte einen starken Einfluss aus, so dass sich Henrietta Maria nur mit einem Stellvertreter Karls I. an der Tür von Nôtre Dame trauen ließ, der aber bei der folgenden Messe draußen bleiben musste. In England stimmte sie nur einer Segnung mit ihrem leibhaftigen Gemahl zu und weigerte sich standhaft, seiner Krönung zum König, die nach protestantischem Ritual erfolgte, beizuwohnen. Aus diesen Zusammenhängen ist ersichtlich, wie wichtig für das Königshaus eine Loyalitätsbekundung des Volkes war. Ein Zeitgenosse schrieb über die Fahrt von Gravesend nach Whitehall: The last night, at five o’clock, (there being a very great shower) the king and queen, in the royal barge, with many other barges of honour, and thousands of boats, passed through London Bridge to Whitehall; infinite numbers, besides those in wherries, standing in houses, ships, lighters, western barges; and on each side ofthe shore, fifty good ships discharging their ordnance, as their majesties passed along by, as last of all, the Tower did … the king and queen were both in green suits. The barge windows, not withstanding the vehement shower, were open. (Zit. bei Sanders: 34)

Knapp vierzig Jahre später (im Mai 1662) heiratete Karl II. die portugiesische Prinzessin Katharina von Braganza bei ihrer Ankunft in Portsmouth gleich zweimal: einmal heimlich nach katholischem, dann öffentlich nach protestantischem Ritus. Von Portsmouth begab sich das Paar nach Hampton Court, um von dort am 23. August in einer wahrhaft triumphalen Wasserprozession flussabwärts nach Whitehall zu fahren. Ende Juli hatte der König den Lord Mayor der City wissen lassen, er erwarte „such demonstrations of affection from this Cittie

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as hath bin vsual upon such great & solemne occasione“ (zit. bei Schneer: 61). so Karl II. bekam, was er sich wünschte: Abb. 165: Aqua Triumphalis

Quelle: www.britishmuseum.org/research/collection on_online/collection_object_details/collection_i

mage_gallery.aspx?assetId=579019&objectI ctId=1666431&partId=1 (30.03.2014)

John Evelyn vermerkte in seinem Tagebuch, T dass dieses Ereignis – Aqua Triumphalis – unvergleichlich war: es war wa the most magnificent Triumph ever flotedd on the Thames, considering the innumerable

number of boates & Vessels, dressd and ado dornd with all imaginable Pomp: but above all, the Thrones, Arches, Pageants & other repr presentations, stately barges of the Lord Mayor & Companies, with various Inventions, mus usique, &Peales of Ordnance both from vessels

and shore (zit. bei Schneer: 61).

Dieser Triumph sollte sich als nicht wiederholbar wi erweisen. Als Karls Bruder, der katholische Jakob II. und seine kath tholische (zweite) Frau Maria von Modena am 21. April 1685 gekrönt wurden, trau rauten sie sich nur die kürzeste aller möglichen Flussfahrten zu: die wenige hund ndert Meter lange Strecke von Whitehall nach Westminster. Aus der historischen en Rückschau liest sich dies wie ein früher Hinweis auf die fatale Politik und das unrühmliche un Ende Jakobs II. War die Themse auf die oben besch chriebene Weise also einerseits eine Bühne, auf der sich unsichere bzw. angezweif weifelte Herrscher öffentliche Anerkennung und Zustimmung holen konnten, so war sie andererseits auch eine Bühne für die Kaufleute der City of London, auf derr sie regelmäßig ihren wachsenden ökonomischen Reichtum und politischen Einfluss Ein zur Darstellung bringen konnten. Mehr als vierhundert Jahre lang – von on 1453 bis 1856 – fuhr der jeweils Ende September neu gewählte Lord Mayo ayor Ende Oktober von der City nach

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Westminster, um vor dem König bzw. den Richtern der Krone seinen Eid abzulegen, war er doch in der Stadt der Repräsentant des Königs. Auf der Fahrt (flussauf- wie flussabwärts) wurde sein prachtvoll geschmücktes Boot von den Booten der anderen Zünfte begleitet. Bei seiner Rückkehr in die City wurde er in der Nähe von St. Paul’s würdevoll empfangen und zunächst zum Bankett ins Rathaus, später mit einem Fackelzug nach Hause geleitet. Die Boote ließen die jeweiligen Zünfte bei spezialisierten Bootbauern bauen, verzieren und ausschmücken. Viele dieser Bootsbauer bauten auch andere Schiffe – für die königliche Marine und für die Handelsgesellschaften. Auch zwischen den Bootsbauern einerseits und Theaterhandwerkern andererseits gab es Arbeitsbeziehungen: Die Ausstattung von sog. Wasserspielen, bei denen Theaterstücke (vergleichbar den höfischen Maskenspielen) auf Booten (oder am Ufer) inszeniert wurden, erforderten entsprechend berufsübergreifende Kompetenzen. Gelegentlich wurde die Themse auch für das sog. einfache Volk ‚begehbar‘: wenn sie in besonders harten Wintern zufror. Zwischen der Zeit Elizabeths und dem Beginn des 19. Jahrhunderts sind neun sog. Frost Fairs überliefert (vgl. Srigley): 1564-1565, 1608-1609, 1634-1635, 1688-1689, 1715-1716, 1739-1740, 1789-1790 und 1813-1814. Die Frost Fair im Winter 1683-1684 ist wohl die bekannteste, weil sie ungewöhnlich lange dauerte: Mitte Dezember begann die Themse, zuzufrieren, Ende Dezember war sie begehbar und taute erst Anfang Februar wieder auf. In der Zeit dazwischen wurden Buden und Zelte auf dem Eis errichtet, in denen man essen und trinken konnte, in denen Musik und Theater gespielt wurde, in Druckereien wurden Karten angefertigt, auf denen man seinen Namen zu dem Ereignis hinzufügen lassen konnte, Kutschen (statt Booten) fuhren die Besucher von einem Ort zum anderen – und sogar die königliche Familie und Mitglieder des Adels besuchten diesen Jahrmarkt. John Evelyn notierte in seinem Tagebuch (24. Januar 1684): The frost continuing more and more severe, the Thames before London, was still planted with boothes in formal streetes, all sorts of shops and trades furnish’d and full of commodities even to a printing-presse. … Coaches plied from Westminster to the Temple, and from several other staires to and fro, as in the streetes; sleds, sliding with skeetes, a bullbaiting, horse and coach races, puppet-playes, and interludes, cookes, tipling, and other lewd places, so that it seem’d to be a bacchanalian triumph, or carnival on the water. (Zit. bei Srigley: 851)

Die Armen litten allerdings heftig unter den widrigen Witterungsbedingungen und auch die gut 2.000 Thames watermen, die normalerweise Fahrgäste flussauf-

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und -abwärts in ihren Booten beförderten, hatten eine schwere Zeit, obwohl sie – hochflexibel – ihre Boote kurzerhand auf Schlitten setzten … Alle bisher beschrieben Zeremonien u.a. Veranstaltungen wurden durch musikalische Darbietungen begleitet (vgl. Wood). Bei den Wasserprozessionen befanden sich auf den Booten des Königs und seiner Begleiter wie auch auf den Booten des Lord Mayor und der Ratsherren fünf bis neun, gelegentlich auch mehr Musiker – vor allem Trompeter und Pauker –, die der Zeremonie die entsprechende Note verliehen. Die Wahl von Trompeten und Pauken war einmal schlicht der Hörbarkeit, zum anderen aber auch der musikalischen Tradition geschuldet: Herrscher wurden mit eben diesen Instrumenten angekündigt. Bei der Aufführung von Wasserschauspielen und der Veranstaltung von separat geplanten Konzerten auf dem Fluss konnte die Zahl der beteiligten Musiker auf über einhundert steigen. Eins der bekanntesten dieser Konzerte fand im Juni 1688 zu Ehren von James Edward Francis Stuart statt, dessen Geburt der letzte (und wohl entscheidende) Auslöser für Vertreter der englischen Eliten war, Wilhelm III. und Maria II von Oranien zu bitten, den englischen Thron zu übernehmen. Aber über das Konzert wurde wie folgt berichtet: White-Hall, Munday 18th June. This Evening Mr. Abell, One of His Majesties Music, Presented a Noble Musical Entertainment on the Water: The Barge was Richly Adorn’d and Furnisht with a Multitude of Flambeaux; Seignior Fede, Master, of His Majesties Chappel Royal, was pleased to Compose the Musick, which by the Vote of Competent Judges, was thought to be as delicate as ever was done by any Master in the World; and was no less excellently performed, by all the Gentlemen of His Majesty’s Musick, and most of the greatest Masters in Town, both of Voices and of Instruments, being in Number above One Hundred and Thirty … It was performed before White-Hall, in Honour of the Royal Family, and before Somerset-House, in Respect to Her Majesty the Queen Dowager; Te Deum Laudamus being Sung in both Places; and was Attended along the River with innumerable Boats and Barges. Accommodated with Torches and Flambeaux; so that, besides the inestimable Delight of the Ear, the Eye was Courted with most a [sic] Divertive Prospect. – The Musick being ended, all the Nobility and Company that were upon the Water, gave three Shouts to Express their Joy and Satisfaction. (Zit. bei Wood: 568)

5. Drei Städte als Bühnen: Rom, Paris, London

5.1 E IN V ERGLEICH IHRER F ORMEN UND F UNKTIONEN 5.1.1 Topographie Nahezu allen in dieser Studie vorgestellten Plätzen ist gemein, dass sie sich – anders als in der Gegenwart – im 17. Jahrhundert an der Peripherie des damaligen Stadtgebiets befanden. Ihre Anlage war Teil der – dem allgemeinen Bevölkerungsanstieg geschuldeten – zunehmenden Bautätigkeit in den Metropolen. Auf ihre je spezifische Art trugen sie zu deren baulicher Entwicklung und repräsentativer Gestaltung bei. Lage: Während im heutigen Rom alle Plätze zentral liegen, nahmen die meisten von ihnen im Rom des 17. Jahrhunderts einen peripheren Standort ein: Die Piazza San Pietro inmitten des Vatikan lag im Nordwesten, außerhalb der Mauern des antiken Roms und jenseits des Tiber gelegen und damals nur durch eine Brücke (Ponte S. Angelo) mit der Stadt verbunden. Die Piazza del Popolo lag im äußersten Norden an der antiken (aurealischen) Stadtmauer; sie bildete das wichtigste Eingangstor nach Rom von Norden, von England, Frankreich und von Deutschland her, von wo nicht nur die bedeutendsten Herrscher Europas, sondern auch die Massen der christlichen Pilger ihren Eingang nach Rom fanden. Die Piazza del Campidoglio auf dem Kapitol und die Piazza Colonna etwas nördlich vom Kapitol auf dem Weg zur Porta del Popolo lagen zwar zentral im imperialen Rom, im 17. Jahrhundert aber immer noch peripher, denn der Kapitolshügel und die Via Flaminia (Via del Corso) markierten seit dem Frühmittelalter in Rom die Grenze zwischen dem „abitato“ im Nordwesten der Stadt und dem „disabitato“ im Südosten: Nachdem die Goten Mitte des 6. Jahrhunderts die in die Stadt führenden Wasserleitungen und Aquädukte zerstört hatten, war der gesamte Südosten der Stadt unbewohnbar geworden, nur der Nordwes-

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ten, der im Tiberknie gelegene Teil Roms sicherte die Versorgung mit Trinkwasser. In diesem Teil der Stadt liegt nur die Piazza Navona, wahrlich zentral im damaligen „abitato“. Auch in Paris befanden sich alle vier Plätze und das Hôtel des Invalides in Randlage zur bisherigen Stadt – v.a. wegen der dichten Besiedlung, die keine großflächigen Planungen mit Sichtachsen etc. zuließ. Dies ist ein Hinweis auf die begrenzten Zugriffschancen der französischen absolutistischen Herrscher auf städtisches Territorium – ihre Macht ist keineswegs unbegrenzt, sondern von finanziellen (Grunderwerbskosten, Grundbesitzern) und politisch-sozialen (städtische und Adelsopposition) Bedingungen limitiert. Heinrich IV. ließ seine Plätze auf königlichem, bisher unbebautem Grund anlegen und vergab die Parzellen an gewogene Mitglieder aus (Amts-)Adel und Großbürgertum, die auf eigene Kosten Häuser und Palais errichteten; Ludwig XIV. dagegen erwarb Grund und Boden für seine Plätze und das Hôtel, dafür waren (bei den Plätzen) umfangreiche Abrissarbeiten vorhandener Gebäude notwendig. Außer der Place des Victoires, die (allerdings nicht in der ursprünglichen Konzeption) einen Verkehrsknotenpunkt bildete, waren die anderen Plätze eher abgeschlossen, durch verhältnismäßig enge Stichstraßen mit den Hauptverkehrsadern verbunden: Sie bildeten ‚Inseln‘, autonome Einheiten mit eigenständiger, unterschiedlicher Funktion. Die räumlichen Bezüge zum Stadtensemble insgesamt waren daher beschränkt: bei der Place Dauphine nur durch die Außenseite als Schauseite, am deutlichsten beim Hôtel des Invalides durch die Esplanade zur Seine als Schauseite zur wichtigen Verkehrsachse. Alle Ländereien, auf denen die drei Londoner Plätze – Covent Garden, Lincoln’s Inn Fields und St. James’s Square – entstehen sollten, lagen zum Zeitpunkt ihrer Konzeption und Bebauung ebenfalls in erkennbarer Randlage, d.h. es handelte sich – sieht man von einigen ‚wild‘ gebauten Häusern und Hütten ab – um das, was man heutzutage als Neubaugebiete bezeichnen würde. Die (vom Feuer im Jahre 1666 verschonten) Plätze lagen außerhalb der Stadtmauern westlich der City of London und nördlich vom Strand, der die City mit Whitehall verband. Alle diese Grundstücke gehörten bis ins 16. Jahrhundert Einrichtungen der katholischen Kirche. Mit der Auflösung der Klöster u.a. kirchlichen Institutionen in den 1530er Jahren fiel das Land zunächst an die Krone, die es ihren Verbündeten entweder (zu einem kleineren Teil) schenkte oder aber (zu einem größeren Teil) billig verkaufte. Heinrich VIII. sicherte sich auf diese Weise die politische Unterstützung der Aristokratie, die selbst seine katholische Tochter Mary I., als sie von 1553 bis 1558 Königin war, nicht gefährden wollte und deshalb die Forderungen des Papstes nach Restituierung des Kirchenbesitzes ignorierte.

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Bedeutung für die Stadtentwicklung bzw. -gestaltung: Wie zentral auch immer im damaligen Rom die Piazza Navona lag, für die Entwicklung der Stadt war sie nahezu ohne Bedeutung: Akzente setzte sie nur in der Phase ihrer päpstlichen Inszenierung durch Innozenz X. zwischen 1644 und 1655, als sie zur Bühne hochherrschaftlicher Aufwartungen und Feste im Palazzo Pamphilj wurde; unmittelbar nach dem Ableben des Papstes wurde sie wieder ein Platz des Volkes, abseits der großen Verkehrsadern der Stadt. Von begrenzter, aber stets zunehmender Bedeutung für die Stadtentwicklung war und ist die Piazza Colonna: Einst lediglich Standort des Stadtpalais’ von Papst Alexander VII. Fabio Chigi und seiner Nepoten, entwickelte sich der Platz mit dem Palazzo Chigi immer mehr zu einem Ort der Politik, Sitz der Botschaften zunächst von Spanien und dann Österreich-Ungarns, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Sitz des Kolonial-, später des Außenministeriums und seit Mitte des 20. Jahrhunderts schließlich Sitz des italienischen Premierministers. Von übergeordneter Bedeutung für die Stadtentwicklung ist die Piazza del Popolo, seit dem Frühmittelalter der wichtigste Zugang zur Stadt von Norden und von Mitteleuropa her, von wo die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und die Herrscher Frankreichs über einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren die Stadt betraten. Von hier aus gewann man den ersten und deshalb so wichtigen Eindruck von Rom; die Piazza del Popolo wurde daher zu einer Bühne der Stadt inszeniert, die Einblicke sowohl in die antike Größe Roms als auch in die päpstliche Pracht und Macht gewährte. Von wirklich zentraler Bedeutung für die Stadtentwicklung sind aber die verbleibenden beiden Plätze, Piazza del Campidoglio und Piazza San Pietro, der erste steht für das profane, der zweite für das sakrale Rom. Im antiken Rom war das Kapitol sakrales und profanes Zentrum zugleich: Standort der Tempel für die höchsten Götter und für das Tabularium, das Staatsarchiv. Der wichtigste öffentliche Raum, das Forum Romanum und die Via Sacra waren auf das Kapitol ausgerichtet, zu Füßen des Hügels unterhalb der Tempel und des Tabulariums standen das Comitium (politisches Zentrum des antiken Rom) mit der Curia (Senat) und der Rostra (Rednertribüne). Im Mittelalter wurde auf den Fundamenten des Tabulariums das Rathaus gebaut, im 16. und 17. Jahrhundert die Kapitolinischen Museen, wo seither die archäologischen Schätze gezeigt werden, die auf dem Forum Romanum ausgegraben wurden, Monumente der antiken Größe und Macht der Stadt, caput mundi. Die Piazza del Campidoglio ist damit nicht nur ein Ort mit zentraler Bedeutung für Rom, sondern für ganz Europa: Hier wurden anlässlich der Gründung der EWG die Römischen Verträge (1957) unterzeichnet, hier finden auch weiterhin Tagungen und Konferenzen auf europäischer Bühne statt. Was das Kapitol für das profane, ist der Vatikan für das sakrale Rom und Euro-

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pa, ja, die Welt. Die Piazza San Pietro ist der Sitz des Pontifex Maximus, Oberhaupt der katholischen Kirche, Stellvertreter Gottes auf Erden, von hier erteilt er den Gläubigen den Segen „urbi et orbi“, an die Stadt und an die Welt. Die Pariser Plätze und das Hôtel des Invalides sind urbanistisch einflussreiche Ensembles in dreifacher Hinsicht: •





Paris erhält erstmals – im Kontrast zum mittelalterlichen Stadtbild von Enge und Chaos – großflächig gestaltete Räume, die nach italienischrömischem Vorbild die ‚moderne‘, d.h. absolutistische Metropole repräsentieren. Zeitgenossen sprechen stereotyp von einem der Hauptstadt adäquaten embellissement und ornement. Paris wird durch die Plätze (und andere Bauten!) als Hauptstadt aufgewertet. Die neuen Plätze und das Hôtel des Invalides sind Anstoß für die Stadtausdehnung, denn ihre Randlage führt zur Entstehung neuer Stadtviertel: Von der Place des Victoires geht die Ausdehnung Richtung Norden, die Place Vendôme führt zur Westausdehnung (St. Honoré), der Bau des Hôtel des Invalides (das außerhalb des bisherigen Mauerrings lag) initiiert die Entwicklung des Faubourg St. Germain. Die neuen Plätze fördern eine innerstädtische Bedeutungsverlagerung (und damit auch die Bodenspekulation), denn die Königsplätze bzw. Bauten und Umgebung sind begehrt als prestigeträchtige Wohnorte und Kapitalanlage: Die Place Royale wird exklusive aristokratische (Amtsadel) Residenz, in den Faubourg St. Germain zieht die bisher im Marais ansässige Aristokratie, an der Place Vendôme kaufen sich der königlichen Verwaltung verbundene Finanziers ein, das Ensemble von Place Dauphine, stark frequentierter Pont Neuf und Rue Dauphine bilden (zusammen mit dem Sitz des höchsten Gerichts [Parlament]) ein gleichsam säkulares Gegengewicht im Westen der Île de la Cité zur im Osten gelegenen Notre Dame, dem geistlichen Zentrum Frankreichs.

Ähnliches gilt für London: Die Bebauung des später so genannten West Ends bot sich aus mehreren Gründen an: Zum einen wurde der Hof mit den Stuarts ‚sesshafter’, d.h. der Monarch regierte zwar nach wie vor von seinen verschiedenen Anwesen aus das Land, zog aber nicht mehr so häufig – wie etwa noch Elizabeth I. – von einem adeligen Untertan zum nächsten auf seinem royal progress durch das Land. Dadurch verfestigten sich die höfischen Strukturen in Whitehall und lösten einen entsprechenden Strukturwandel in der Umgebung (Residenzen des Adels, Wohnquartiere unterschiedlichen Niveaus für Parlamentarier, Höflinge,

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Dienstleistende aller Art) aus. Dieser führte im Laufe der kommenden 200 Jahre zu einem wahren Netzwerk von mehr als 300 Plätzen, die das Londoner Stadtbild prägten. Wenngleich Anfang des 17. Jahrhunderts der Monarch und seine Regierung immer noch und immer wieder versuchten, das Wachstum der Stadtbevölkerung einzudämmen, so war doch bald klar, dass dies unmöglich war. Ungleich wichtiger wurde es deshalb für die Regierung und Verwaltung, auf die unumgänglichen Bautätigkeiten selbst Einfluss zu nehmen, um die Entstehung materiell solider, ökonomisch profitabler und – wenn möglich – ästhetisch ansprechender Gebäude zu befördern. Dies sollte sukzessive durch entsprechende Verordnungen und Gesetze erreicht werden. 5.1.2 Bauherren und Architekten Bezüglich der Bauherren ergaben sich im 17. Jahrhundert bei der Gestaltung der Plätze deutliche Unterschiede: Während in Rom die Päpste nahezu uneingeschränkt herrschten und entsprechend die ungeteilte Entscheidungsgewalt im Planungs- und Bauvorgang der Plätze innehatten, konnten die Könige von Frankreich und England diesbezüglich bei weitem nicht so dominierend auftreten; vielmehr waren sie wegen mangelnder Finanzmittel, aber auch wegen der vorherrschenden Grundbesitzverhältnisse bei der Realisierung ihrer Bauvorhaben auf das Mitwirken des Adels und teilweise auch des Bürgertums angewiesen. Bauherren und zugleich Finanziers aller städtebaulich bedeutenden Vorhaben waren in Rom von der Postantike bis ins 19. Jahrhundert hinein die Päpste und ihre Nepoten, bis das Risorgimento und Garibaldis Truppen mit der Einnahme Roms und der anschließenden Erklärung der Stadt zur Hauptstadt des Königreichs Italien dem Kirchenstaat und der weltlichen Herrschaft der Päpste ein Ende setzten. Allen päpstlichen Bauherren gemeinsam ist, dass es ihnen immer nur um Repräsentation ging, um die Legitimierung und Stabilisierung von Macht und Herrschaft des Papsttums und zugleich der jeweiligen päpstlichen Familie. Bezogen auf die Platzgestaltungen im 17. Jahrhundert sind hier v.a. zu nennen: Papst Sixtus V. Felice Peretti (1585-1590), der als Vorbereiter späterer Platzgestaltungen städtebauliche Akzente setzte durch die Installation von antiken ägyptischen Obelisken und Siegessäulen an den Orten, die für Pilger bei ihrem Besuch der heiligen Stätten am wichtigsten waren; die hoch aufragenden Säulen waren auch für Ortsunkundige leicht zu erkennen. Papst Paul III. Alessandro Farnese (1534-1549) erteilte schon im 16. Jahrhundert den Auftrag zur Neugestaltung des Kapitols, die jedoch erst gut 100 Jahre später (1654) abgeschlossen

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wurde. Papst Innozenz X. ließ das antike Stadion des Domitian, den mittelalterlichen Campus agonis, zur barocken Piazza Navona umbauen. Städtebaulich als Bauherr (und auch architektonischer Gestalter) am bedeutendsten ist ohne Zweifel Papst Alexander VII. Fabio Chigi (1655-1667). Auf seine Initiative und seinen Gestaltungswillen hin wurden nicht weniger als 36 städtebauliche Projekte unternommen, Straßenumbauten, Platzgestaltungen und Gebäude, darunter drei der hier vorgestellten Plätze: Piazza Colonna, Piazza del Popolo und Piazza San Pietro. Die Frage des Grundbesitzes war ebenso wie die Frage der Finanzierung der Vorhaben von eher untergeordneter Bedeutung: Die päpstliche Schatzschatulle war zwar nicht unerschöpflich, in jedem Fall aber wesentlich reichhaltiger als die königlichen Ressourcen in Paris und London. Auch konnte der Papst bei seinen Bauvorhaben zwar nicht alles allein entscheiden, in der Regel fiel es ihm aber nicht übermäßig schwer, die bei der Umsetzung der päpstlichen Pläne erforderliche Zustimmung der Kongregation zu erhalten. In Paris ist bei allen vier Plätzen und dem Hôtel des Invalides die Rolle der Könige entscheidend, aber nicht exklusiv: Ohne ihre Zustimmung ist in der absolutistischen Monarchie kein Bauwerk dieser Dimension denkbar. Das Maß der Initiative, die aktuelle Mitwirkung anderer Akteure und die Interessenslagen unterscheiden sich bei Heinrich IV. und Ludwig XIV. jedoch erheblich (Ludwig XIII. ist im urbanistischen Kontext vernachlässigbar); gemeinsam ist beiden Königen das Bestreben, ihre Hauptstadt als Bühne eigener monarchischer Repräsentation herzustellen. Heinrich IV. geht es nach Ende der bürgerkriegsähnlichen Religionskriege um Rekonstruktion auf allen Ebenen unter Einbeziehung möglichst aller politischen, sozialen, ökonomischen Kräfte: Bei der Planung von Place Royale und Place Dauphine verbinden sich deshalb repräsentative mit kommerziellen (Seidenmanufaktur, Handwerk, Handel) Motiven, letztere lassen sich nur an der Place Dauphine realisieren, an der Place Royale setzen sich die Interessen der adligen Grundbesitzer durch. Die Plätze Ludwigs XIV. dienen vor allem gesteigerten Ruhm- und Repräsentationszwecken mit den Königsdenkmälern im Zentrum der Plätze, sie sind ein „setting for the royal statue“ (Cleary). Während Heinrich IV. mittels seiner Minister (Sully) agiert, treten bei Ludwig XIV. Höflinge (de La Feuillade) und ehrgeizige Minister (Colbert, Louvois) mit durchaus eigenen Interessen (Königsgunst, Karriere, Grundbesitz in Platznähe) als treibende Kräfte hervor. An allen Plätzen und dem Hôtel des Invalides sind Heinrich IV. und Ludwig XIV. finanziell engagiert – in unterschiedlichem Umfang: Heinrich IV. lässt auf königlichem Grund bauen, vergibt Parzellen an ihn politisch unterstützende

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Personen, die dann auf eigene Kosten nach (ministeriellen) Vorgaben bauen. Ludwig XIV. betreibt ein ähnliches Finanzierungsmodell (Grundeigner finanzieren die Gebäude), ist jedoch finanziell stärker involviert, da er die Grundstücke für die Plätze und das Hôtel des Invalides erwerben muss. Er gewährt finanzielle Unterstützung bei der Place des Victoires und finanziert die 1. Place Vendôme vollständig ebenso wie das Hôtel des Invalides. Die Grundbesitzer an den Plätzen bauen zwar nach den ministeriellen Vorgaben einheitliche Gebäudefronten zur Wahrung der Repräsentationsfunktion, beeinflussen aber deutlich den Platzcharakter: Die Place Royale wird entgegen der königlichen Intention reines Adelsquartier; die Place Dauphine bleibt – auch wegen der wesentlich kleineren Grundstücke! – in bürgerlich-kommerzieller Nutzung, die 2. Place Vendôme wird von Finanziers zur exklusiven Wohnadresse gewandelt. Spekulation spielt dabei eine zunehmende Rolle. In London lagen bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts die Wohnstätten des Adels, der Kaufleute und Handwerker, ja auch der ärmeren Bevölkerung noch relativ nah beieinander in der City von London. Als die Stadtmauern dem ‚Druck’ von innen (durch die ständig wachsende Bevölkerung) und von außen (sie waren sicherungstechnisch überflüssig geworden) nicht mehr Stand halten konnten, wurde es möglich, beim Neubau von Wohnquartieren auch eine deutliche(re) Segregation der sozialen Klassen zu etablieren (vgl. Lawrence 1993: 90). Die vom Adel und gehobenen Bürgertum bevorzugten Quartiere mussten in der Nähe des Hofes, noch besser: zwischen Hof und City liegen, um auf diese Weise die Wege zwischen dem Geschäft, der staatlichen Verwaltung und der Wohnung möglichst kurz zu halten. Sie sollten zudem westlich der City liegen, um durch den vorherrschenden Westwind einerseits den diversen Formen der Luftverschmutzung und durch die von West nach Ost fließende Themse andererseits den toxischen Abwässern der Produktionsstätten zu entgehen. Hier beginnt die Erfolgsgeschichte der Grundbesitzer, die im 16. Jahrhundert die ehemaligen Ländereien der katholischen Kirche erworben hatten: Die Ländereien wurden sukzessive zu Bauland erklärt, das Bauland wurde an Investoren verpachtet (vgl. Kap. 4.3), die ihrerseits Architekten bzw. Baumeister Häuser entwerfen und bauen ließen. Dabei griffen (mindestens) zwei Profitinteressen ineinander: Zum einen wollten die Grundbesitzer von der Pacht profitieren. Deshalb boten sie (zunächst) nur kurzzeitige Verträge an, um bei ihrer Erneuerung, sollte sich erwiesen haben, dass der Pächter seinerseits profitabel gewirtschaftet hatte, den Preis zu erhöhen. Das zwang die Pächter, die Bauten möglichst schnell und effizient errichten zu lassen, um eine angemessene Rendite zu erzielen. Bedauerlicherweise führten diese Zwänge oft zur Verwendung minderwertigen Materials und zu entsprechend geringer Haltbarkeit der Häuser. Erst

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als im Laufe des 17. Jahrhunderts die Laufzeit der Pachtverträge sukzessive verlängert und die Bauaufsicht strenger gehandhabt wurden, gewannen die Wohnhäuser an Substanz und Haltbarkeit. Zwar fühlen sich in allen drei Städten die Bauherren und die von ihnen mit der Ausführung ihrer Pläne beauftragten Personen grundsätzlich den architektonischen Prinzipien der Renaissance verbunden, aber hinsichtlich der Heranziehung von Architekten und der Einhaltung strenger architektonischer Leitbilder unterscheiden sich die drei Metropolen erheblich. In Rom erscheinen als Architekten und Baumeister für die päpstlichen Bauvorhaben illustre Namen: Paul III. beauftragte schon 1535 Michelangelo Buonarotti mit der Neugestaltung des Platzes auf dem Kapitol. Der hatte den Plan auch bereits im gleichen Jahr fertig, allerdings war es dann dem Papst wichtiger, Michelangelo zunächst mit dem Bau des Petersdomes und der Ausmalung der Sixtinischen Kapelle zu beschäftigen, so dass die Ausführung der Pläne für die Piazza del Campidoglio v.a. in den Händen von Giacomo della Porta (15321602) lag. Mit der Neugestaltung der Piazza Navona beauftragte Innozenz X. gleich vier renommierte Architekten: Girolamo Rainaldi (1570-1655) und dessen Sohn Carlo (1611-1691) für den Bau des Palazzo Pamphilj und der Kirche Sant’Agnese, die dann allerdings bald in die Planung und Vollendung durch Francesco Borromini (1599-1667) überging, während auf dem Platz Gianlorenzo Bernini (1598-1680) mit dem Bau des Vier-Ströme-Brunnens und dem darauf platzierten Obelisken die stärksten Akzente setzte. Als Lieblingsarchitekt von Alexander VII. war Bernini auch mit den Planungen und Umgestaltungen der Piazza Colonna, der Piazza del Popolo und der Piazza San Pietro beauftragt. Im Fall der Piazza del Popolo ist allerdings auch noch Carlo Rainaldi zu nennen, der die grundlegenden Entwürfe für die Zwillingskirchen zwischen den drei von der Piazza und in die Stadt führenden Straßen vorgelegt hatte, während die genauere Planung und der Bau der beiden Kirchen dann nur in einem Fall (S. Maria dei Miracoli) von ihm durchgeführt wurde, während die andere (S. Maria di Montesanto) Bernini und Carlo Fontana übergeben wurde. Bleibt noch nachzutragen, dass ein Teil der Piazza San Pietro, die Piazza Retta, in gewisser Weise durch Maderno und dessen Fassade des Petersdomes sowie durch die Straßenplanung von Alexander VI. vorgegeben war: In Verlängerung der von Alexander VI. geschaffenen Via Alessandrina bis zur Scala Regia war der Winkel zwischen Petersdom und den angrenzenden päpstlichen Palästen, und damit die trapezoide Form der Piazza Retta festgelegt. In Paris lagen Planung, Architektur und Bauaufsicht bei Beamten, Ministern und Vertrauten der Könige (Minister: Sully, Colbert, Louvois; Architekten: v.a.

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J. Hardouin-Mansart), während die Bauausführung städtischen (Groß-) Unternehmern oblag. Um 1600 gab es auf den britischen Inseln noch keine Architekten im heutigen Sinne. Gebaut wurde von Baumeistern und ihren Handwerkern. Die Errichtung eines Hauses war das Produkt von Teamarbeit, wobei allerdings eine technische oder ästhetische Oberaufsicht nicht selbstverständlich war. Das änderte sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts, weil zum einen die Schwächung der Zünfte mit einer Stärkung der Bauleiter – bald schon: Architekten – einherging und zum anderen der ‚neue‘ künstlerische Geschmack der Stuart-Könige und ihrer Eliten dafür sorgte, dass komplexere Bauwerke, die neben spezifischen handwerklichen Fertigkeiten auch mathematische Fähigkeiten und ein generelles theoretisches Verständnis (inklusive der Kenntnis antiker Vorbilder) erforderten, erwünscht waren. Gleichwohl waren die Häuser an den squares vorwiegend zwar repräsentative, aber keineswegs prunkvolle Nutzbauten. 5.1.3 Vorbilder/Traditionen Während die Neugestaltung der römischen Plätze an die landeseigene, imperiale Tradition anknüpfen konnte, waren für die Pariser eben diese römischen und (über Rom hinaus) italienischen Vorbilder entscheidend, während landeseigene und zeitgenössische auswärtige Einflüsse gering waren. Ohne die italienischen Vorbilder wären die Londoner Plätze ebenfalls nicht denkbar gewesen; hinzu traten (zumindest in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts) auch französische und holländische Einflüsse, die sich aus dem Exil des Königshauses und vieler Künstler während Cromwells Herrschaft erklären. Die Neugestaltung der fünf barocken Plätze Roms knüpft eindeutig an die landeseigene Tradition an, die Größe des imperialen Rom. Alle Standorte der fünf Plätze sind an Orten antiker Stätten errichtet worden, an denen sich im Rom der Kaiserzeit Tempel, Arenen, Grabstätten und Siegessäulen befanden, die den höchsten Gottheiten und gottgleichen Kaisern gewidmet oder später christlichen Märtyrern geweiht waren. Auf dem Kapitol standen die Tempel für Jupiter und Juno sowie das Tabularium, Inbegriff der antiken römischen Identität. Auf dem Gebiet der heutigen Piazza Colonna standen der Tempel und die Siegessäule für Marc Aurel, Symbol für militärische Stärke, imperialer Macht und Prosperität, aber auch für Gerechtigkeit, Weisheit und Selbstgenügsamkeit. Die Arena, wo sich heute die Piazza Navona befindet, wurde vom Kaiser Domitian für Wettkämpfe zu Ehren des Jupiter gebaut; hier starb der Legende nach auch die junge Christin Agnes den Märtyrertod. An der heutigen Piazza del Popolo befand sich einst das Grabmal des Kaisers Nero, u.a. berüchtigt wegen der von ihm angeord-

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neten Christenverfolgungen; als Akt des Exorzismus wurde der auf seinem Grab gepflanzte Baum gefällt und seine Wurzeln ausgegraben, an gleicher Stelle wurde zunächst eine christliche Kapelle, später die Kirche S. Maria del Popolo errichtet; der Platz war damit gewissermaßen geweiht. Auf dem Gelände der heutigen Piazza S. Pietro schließlich befand sich einst die antike Arena des Caligula und des Nero, auch hier starben viele Christen den Märtyrertod, der Legende nach als prominentester Christ der Apostel Petrus, erster Bischof von Rom; dem Matthäus-Evangelium zufolge empfing hier Petrus von Jesus den Schlüssel zum Himmelreich. Die Kuppel des Petersdoms befindet sich exakt über der Stelle, wo das Grab des Petrus vermutet wird. Die architektonischen Vorbilder der Baumeister der Renaissance und des Barock, die mit der Konzeption der fünf Plätze beauftragt waren, stammen alle aus Italien. Als nicht weiter hinterfragbare Autorität galt allen der im ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung lebende römische Baumeister Vitruv und dessen Schrift De architectura. Auf ihn und seine Schrift berufen sich die architektonischen Größen der italienischen Renaissance in ihren Lehrbüchern: Leon Battista Alberti (1404-1472, De re aedificatoria), Leonardo da Vinci (14521519, Le proporzioni umane secondo Vitruvio), Sebastiano Serlio (1475-1554, Il primo e il secondo libro dell’architettura) und Andrea Palladio (1508-1580, Quattro libri dell’architettura), um nur die wichtigsten zu nennen. Am wichtigsten für die Pariser Plätze sind römische Vorbilder bzw. Traditionen, vermittelt und umgeformt durch die italienische Renaissance. Die Architekturtheoretiker wie Blondel greifen Antike- und Renaissance-Autoren (Vitruv, Palladio, Serlio etc.) auf, die damit leitend werden für Bauvorschriften und Beurteilungskriterien (Proportionenlehre). Daneben spielen christliche Traditionen eine wichtige Rolle, während landeseigene und (zeitnahe) auswärtige Einflüsse eher gering sind. Durch die urbanistische Gestaltung, bei der Plätze zentral sind, soll Paris ein neues/zweites Rom werden. Als Vorbild für die Platzgestaltung wirkt das römische Kapitol mit der Reiterstatue Marc Aurels. Architektonische (imperiale) Traditionen werden besonders unter Ludwig XIV. übernommen in den Proportionen (exemplifiziert am Hôtel des Invalides), den Triumphbögen (Porte de St. Denis als Stadttor), den Säulenformen (mit entsprechender sozialer Zuordnung) und der Verwendung des römischem Flachdachs (Louvre, Versailles). Die Platzgestaltung mit einheitlichen Fassaden und Laubengängen/Arkaden entstammt der italienischen Renaissance. Die christliche Tradition prägt selbstverständlich die Kirchengestaltung: So sind die Domkuppel und das (nicht realisierte) Halbrund der Königskirche im Invalidenkomplex deutliche Analogien zum Petersdom und damit zugleich Zei-

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chen des Anspruchs auf die kirchliche Selbständigkeit (Gallikanismus); darüber hinaus finden sich Anklänge an den Escorial und ähnliche Klosterkomplexe. Das Konzept des rex christianissimus als Leitbild beeinflusst die Darstellung Ludwigs XIV. in Statuen (auf der Place des Victoires), Gemälden und Reliefs (Hôtel des Invalides). Landeseigene Traditionen zeigen sich in der Materialauswahl: Unter Heinrich IV. werden die Häuser beider Plätze aus Ziegeln und Steinen (briques et pierres) errichtet, unter Ludwig XIV. gelten diese Materialien für gehobene Bauten als nicht standesgemäß – entsprechend sind seine Bauten römischen Vorbildern folgend in Stein bzw. Putz ausgeführt. Die Dächer sind bei Heinrich IV. und Ludwig XIV. schiefergedeckt, denn Steil- und Mansardendächer entsprechen den klimatischen Bedingungen Frankreichs; Ludwig XIV. bevorzugt für den Louvre und Versailles (römische) Flachdächer. Neben die Fortsetzung der Renaissance-Bauweise, wie sie unter den Tudors im zweiten und dritten Drittel des 16. Jahrhunderts stattgefunden hatte (vgl. Summerson 1993: 23-101), traten in London ab 1610 vermehrt Einflüsse, die der Herrschaft der Stuarts und ihren Beziehungen zu anderen europäischen Herrscherhäusern, ihren Ländern und Kulturen geschuldet waren. In diesem Kontext sind Italien und Frankreich an erster Stelle zu nennen. Ohne die Kenntnisse, die z.B. Inigo Jones auf seinen Reisen in diese Länder erwarb – sei’s durch das Studium der Pläne und gedruckten Werke von Alberti, Serlio u.a., sei’s durch bloße Anschauung –, wären seine seinerzeit bahnbrechenden und heute immer noch beeindruckende Bauten (vor allem das Queen’s House und das Banqueting House) nicht denkbar. Selbst der Aufenthalt im Exil während des Bürgerkriegs sollte sich (wie bei Hugh May, der in den Niederlanden lebte) im Nachhinein als kulturelle Bereicherung für die Baukunst Englands erweisen. Und wenn auch Christopher Wren selbst nur wenig gereist ist, hat er doch aus kontinentalen Plänen, Stichen u.a. Abbildungen sich so viel angeeignet, dass er nahezu ein halbes Jahrhundert die treibende Kraft der englischen Architektur sein konnte. Dabei haben die klassischen Bauwerke der Antike eine ebenso große Rolle gespielt wie die von ihnen inspirierten Neubauten, weil sie einen schier unerschöpflichen Vorrat an einerseits deutlich kulturell markierten, andererseits aber auch flexibel kombinierbaren Stilelementen bereitstellten. 5.1.4 Stadtentwicklung/Stadtgestaltung Bedeutung für die städtische Entwicklung: In allen drei Städten trugen die im 17. Jahrhundert gebauten Plätze, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, so doch zweifellos in nicht unerheblichem Maße zur städtischen Weiterentwicklung bei.

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Dies gilt zunächst einmal rein territorial: In London setzten die neuen Plätze Akzente im nach dem verheerenden Brand von 1666 außerhalb der City neu entstehenden West End, in Paris sind die neuen Plätze Anstoß für eine Stadtausdehnung und zur Entstehung neuer Stadtviertel: Von der Place des Victoires geht die Ausdehnung Richtung Norden, die Place Vendôme führt zur Westausdehnung (St. Honoré), der Bau des Hôtel des Invalides (das außerhalb des bisherigen Mauerrings liegt) initiiert die Entwicklung des Faubourg St. Germain. In Rom schließlich trugen die päpstlichen Bauinitiativen, zumindest im Fall der Piazza del Popolo und der Piazza Colonna, dazu bei, die Reurbanisierung der Stadt über die Grenzen des „abitato“ hinaus ins „disabitato“ hinein auszudehnen. Zugleich führten die Bauinitiativen auf den vorgestellten Plätzen generell zu einer Aufwertung der bisher peripheren Stadtgebiete. In London wurde dadurch ein nachhaltiger Strukturwandel in der neu entstehenden urbanen Umgebung des West Ends (Residenzen des Adels, Wohnquartiere unterschiedlichen Niveaus für Parlamentarier, Höflinge, Dienstleistende aller Art) ausgelöst und in Paris förderten die neuen Plätze eine innerstädtische Bedeutungsverlagerung (und damit auch Bodenspekulation), denn die Königsplätze bzw. Bauten und Umgebung waren begehrt als prestigeträchtige Wohnorte und Kapitalanlage. In Rom führten die Bautätigkeiten der Päpste kurz vor und im 17. Jahrhundert v.a. im Osten der Stadt, also jenseits der Via del Corso und der Piazza Colonna, insbesondere da, wo das Klima auf den Hügeln Roms im Sommer einen etwas angenehmeren Aufenthalt versprach, zur Errichtung repräsentativer und prestigeträchtiger Bauten von Päpsten und ihren Nepoten, wie z.B. der Palazzo Quirinale, der Palazzo Barberini, die Villa Medici, die Villa Borghese etc. Maße und Proportionen: Hinsichtlich der Gestaltung fallen schon Unterschiede in der Aufwändigkeit und der Prachtentfaltung auf, allen gemeinsam aber ist ihnen die Verpflichtung auf die Prinzipien der Renaissance bezüglich von Maßen und Proportionen. In London haben alle drei Plätze einen rechteckigen Charakter (Covent Garden im Verhältnis 4:3, Lincoln’s Inn Fields 3:2, St. James’s Square 1:1), sind zunächst (bis weit ins 18. Jahrhundert hinein) nicht bepflanzt1 und von keinem königlichen u.a. Denkmal/Standbild geziert. Die Häuser beeindrucken nicht so sehr durch Prachtentfaltung als durch ihre durchgehende Front, ihre harmonische (wenn auch gelegentlich eintönige) Geschlossenheit. Dabei spielten (wie bei der Form des Platzes) die klassischen Proportionen bei der Frontaufteilung, den Fenstern, Simsen, Geländern, Dachformen und -fenstern sowie Verzierungen eine nicht zu übersehende Rolle (vgl. Kap. 4.4.2, 1

“From paved plazas in the 1630s based on European models, the squares developed into shady green parks in the 1780s, transformed not only in appearance but also in function, from public plazas to private parks.“ (Lawrence 1993: 91)

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4.5.2, 4.7.2). Sie vermittelten – auf je individuelle Weise – den Eindruck von Ebenmaß und harmonischer Proportion, der bei aller Schlichtheit ganz selbstverständlich auch ein Element des selbstbewusst Wohlgefälligen hatte. Die an den Plätzen entlang laufenden Straßen trugen die Namen der Monarchen und ihrer Ehegemahle, gelegentlich auch die der Grundbesitzer. Auf diese Weise wurde der gesellschaftliche Rahmen der Akteure auf dem Platz abgesteckt. In Paris ist nur bei der Place Dauphine (leicht ungleichschenkliches Dreieck) die Platzform durch die Natur (Seine) vorgegeben, ansonsten sind die Plätze und das Hôtel des Invalides quadratisch (Place Royale), leicht rechteckig mit abgeschrägten Ecken, d.h. oktogonal (2. Place Vendôme), kreisrund (Place des Victoires), immer symmetrisch und damit an geometrischen Grundformen orientiert. Die antike Proportionenlehre der Renaissance ist fundamental für harmonische, dem Auge und Empfinden angenehme Baukörper, was sich exemplarisch an den beiden Schauseiten (Seine-Fassade und Königskirche) des Hôtel des Invalides belegen lässt, deren Proportionen den musikalischen Harmonieverhältnissen von Quinte, Quarte, Oktave etc. entsprechen. In Rom folgt die Platzgestaltung ebenfalls konsequent gemäß Vitruvscher Lehre strengen geometrischen Formen, in der Renaissance herrschen Kreis und Quadrat vor, in ihrer Form einfach und klar, Symbole für die Einheit, göttliche Perfektion und Vollkommenheit. Im Barock werden Kreis und Quadrat dann verzerrt zu den Figuren des Ovals und des Trapez, Symbole für das menschliche Streben nach göttlicher Vollkommenheit, die allerdings nie erreicht werden kann, sondern sich als exzentrische Abweichung von den vollkommenen Formen manifestiert. Die Formen der barocken römischen Plätze sind durchkomponiert nach geometrischem Maß und Proportionen, die entsprechend der Lehre des Pythagoras und in seiner Folge des Vitruv und Zarlino die Mathematik als gemeinsame Grundlage für architektonische und musikalische Harmonie sahen. Auf dieser strengen mathematischen Grundlage entstanden Platzflächen und sie säumende Gebäudefassaden, deren Maße auf der „harmonischen Zerlegung der Oktave in ihre Teilungen“ (Zarlino) beruhen: 1:2 Oktave, 2:3 Quinte, 3:4 Quarte, 4:5 große Terz, 5:6 kleine Terz etc. Bauten und bauliche Symbole: Je repräsentativer die Plätze und je hochrangiger die Bauherren, umso ausgeprägter erscheint in der Platzgestaltung die Setzung herrschaftlicher Symbole wie z.B. die Einbeziehung von Perspektiven und Achsen und die Platzierung von Statuen. Dies wird insbesondere in Paris und Rom deutlich. In Paris sind zwar die Sichtachsen und Perspektiven über die Plätze hinaus beschränkt wegen ihrer schmalen Zugänge (außer an der Place des Victoires) und räumlich begrenzt wegen der dichten Stadtbebauung. Aber von der Place Dauphine blickt man auf die außerhalb platzierte Reiterstatue Hein-

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richs IV. und bei der Place des Victoires fokussieren die drei regelmäßig um den Platz angelegten Zugangsstraßen den Blick auf die Reiterstatue. Die Königsstatuen selbst stehen jeweils auf dem Platzmittelpunkt, d.h. auf den Hauptachsen im optischen und bedeutungsmäßigen Zentrum. Das Hôtel des Invalides hingegen ist völlig symmetrisch und axial-perspektivisch angelegt: Von der 600mEsplanade mit Sichtachse auf den Hauptzugang (mit dem Ludwig XIV.-Relief ) verläuft die Hauptachse weiter in Nord-Südrichtung längsseits durch die Soldatenkirche bis zur Königskirche (Dome), damit ist die traditionelle Ostung der Kirchen zugunsten der symmetrischen Axialität und Prachtentfaltung aufgegeben. Insbesondere in Rom aber, wo die Päpste als Stellvertreter Christi ein besonderes Bedürfnis nach einer Zurschaustellung symbolischer Herrschaft zeigten, arbeiteten die Architekten der Plätze mit Vorliebe gradlinige Achsen und Kreuzmuster ein, wiederholt auch symmetrische und spiegelbildliche Anordnungen. Als besondere architektonische Arrangements herrschen Fassaden mit typisch barocken Formen vor, Reihen von Säulen nach antikem Vorbild, Kolonnaden und Arkaden dienen als Abgrenzungen von ‚drinnen’ und ‚draußen’, von privatem und öffentlichem Raum, majestätische Kuppeln erheben sich über den Treffpunkten der Längs -und Querschiffe der Basiliken, Gebäude und Denkmäler werden mit den Insignien ihrer Bauherren versehen, den Wappen der päpstlichen Familien. Ausstattung mit repräsentativen Gebäuden wie Kirchen und Stadtpalais: Größere Gestaltungsunterschiede zwischen den Plätzen in den drei Städten ergeben sich zweifelsohne auch bezüglich ihrer Ausstattung mit öffentlichen Bauten, was im 17. Jahrhundert v.a. zweierlei bedeutete: Kirchen und Paläste. Im Falle von Rom ist man versucht zu sagen: Keine Piazza ohne Kirche: Mit Ausnahme der Piazza Colonna sind alle untersuchten Plätze Standort mindestens einer Kirche, die Piazza Navona hat zwei, die Piazza del Popolo gar drei. Alle Plätze sind Standort von repräsentativen Palästen, zwei davon beheimaten heute exquisite Museen, an der Piazza del Campidoglio die kapitolinischen Museen, an der Piazza S. Pietro die vatikanischen Museen. Alle fünf Plätze sind mit Denkmälern ersten Ranges ausgestattet: Obelisken aus dem antiken Ägypten auf der Piazza del Popolo, der Piazza Navona und der Piazza S. Pietro, Brunnen als Symbol des Lebens auf vier von fünf Plätzen, darunter Berninis Vier-Ströme-Brunnen in der Mitte der Piazza Navona, Statuen antiker Größen und mythischer Figuren wie das Reiterstandbild des Marc Aurel und der Dea Roma, eingerahmt von den Flussgöttern, auf der Piazza del Campidoglio, schließlich die Siegessäule zu Ehren des Marc Aurel auf der Piazza Colonna. In Paris hingegen dienten die Gebäude an den vier Plätzen durchweg privatem Wohnen bzw. Wirtschaften (Place Dauphine), dennoch sind sie immer auch

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öffentliche Plätze mit unterschiedlicher Nutzungsintensität gewesen. Die 1. Place Vendôme dagegen war geplant als Ort der königlichen Bibliothek, Akademien und Residenz auswärtiger Gesandtschaften, die 2. (realisierte) war dann gehobener Residenzplatz. Das Hôtel des Invalides, das größte Bauvorhaben Ludwigs XIV. nach Versailles, besaß öffentliche Funktion als Veteranenheim. In London war offensichtlich die Rolle sakraler Bauten zwar nicht unwichtig, aber allem Anschein nach auch nicht von übermäßiger Bedeutung. Wenn man bedenkt, dass die Kirche von St. Paul’s (Covent Garden) die erste völlig neu gebaute anglikanische Kirche in London nach der Reformation war, ist ihr Format (bei aller Wertschätzung der Zeitgenossen) doch eher bescheiden. Lincoln’s Inn Fields hatte gar keine Kirche, und die Kirche von St. James’s lag nicht am Platz selbst, sondern in einer Seitenstraße. Das macht mehr als deutlich, dass es bei diesen residential squares primär um die private Wohn- und Lebensqualität ging, für die die Exklusivität wichtiger war als die Außenwirkung. Demgegenüber zeichnen sich die Paläste der Monarchen und der höheren Aristokratie durch größeren Einsatz von Insignien und Symbolen der Macht aus (vgl. dazu Kap. 4.2.2): Dreieckige Giebel als Abschluss einer Säulenhalle oder eines Vorbaus, Säulenreihen bzw. -hallen oder das dreiteilige venezianische Fenster – alles Zeichen christlicher wie weltlicher Herrschaft – finden sich immer wieder: gehäuft auf bedauerlicherweise nicht ausgeführten Plänen, aber auch ausgeführt, wie z.B. in der Queen’s Chapel im St. James’s Palace, im Royal Hospital for Seamen (Greenwich), am Banqueting House. In den erhaltenen Skizzen zum Neubau von Whitehall wie auch in der Anlage von Hampton Court lässt sich zudem studieren, welche Wirkungen im Hinblick auf Perspektivierung und Achsenbildung vom Zusammenspiel von Gebäuden und Gartenanlagen erzielt werden konnten. 5.1.5 Funktion Alle in den drei Städten vorgestellten Plätze wurden repräsentativ angelegt, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Dies gilt v.a. für Rom. Alle fünf Plätze dienten vorrangig der (Re-) Präsentation päpstlicher Macht und Herrschaft sowie deren Legitimation und Stabilisierung, nicht zuletzt aber auch der Repräsentation und ‚Verewigung’ ihrer jeweiligen Vertreter: Portiken von die Plätze säumenden Stadtpalais, Kirchen und Denkmäler enthalten i.d.R. Inschriften, die auf den Bauherren, Auftraggeber und Finanzier hinweisen. Die Piazza del Campidoglio mit den sie begrenzenden Gebäuden des Senatoren-, des Konservatoren- und Neuen Palastes verweist symbolisch auf die antike Größe der Stadt und ihre Herrschaft über die Welt, die Piazza Colonna knüpft

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mit dem Stadtpalais Alexanders VII. (der Palazzo Chigi steht auf den Fundamenten des Tempels für Marc Aurel) und der Siegessäule des Marc Aurel symbolisch an die Macht und Weisheit eines der großen Kaiser Roms an, das Stadtpalais für Innozenz X. und die Kirche S. Agnese auf der Piazza Navona bezeugen die Macht der Familie Pamphilj und die Unsterblichkeit der christlichen Märtyrer, der Vier-Ströme-Brunnen symbolisiert anhand der größten Flüsse der vier Kontinente Europa, Asien, Afrika und Amerika die Herrschaft des Papstes über die damals bekannte Welt, die Piazza del Popolo ist das Haupttor Roms, von hier aus erschließt sich den Besuchern die Stadt, die Piazza ist deshalb als die Bühne der Stadt schlechthin konzipiert. So wie die Piazza del Popolo die Bühne der Stadt ist, gilt die Piazza S. Pietro als Bühne der christlichen Welt, als ‚Himmelspforte’ symbolisiert sie den Eingang zum Paradies, hier wird der päpstliche Segen an die Stadt und an die Welt ausgeteilt, der Platz ist der Ort der ecclesia triumphans (Papst) und der ecclesia militans (Heer der Gläubigen). Mit Ausnahme eines Platzes ist die Wohnfunktion ausgeschlossen, dies ist nur an der Piazza Navona vorgesehen. Aber auch hier wie an den übrigen Plätzen herrscht die Öffentlichkeit vor. Auch wenn alle fünf Plätze Standort von Residenzen und Palästen sind, hat öffentlicher Zugang Vorrang vor privater Nutzung. Die Öffentlichkeit wird nur bei besonderen Gelegenheiten, z.B. zum Schutz vor politisch oder terroristisch motivierten Anschlägen eingeschränkt. Alle Plätze sind oder waren Orte zeremonieller Veranstaltungen und Prozessionen: Das Kapitol war Ziel der antiken Triumphzüge, auch Paul III. hatte einen Triumphzug für Karl V. im Sinn, als er Michelangelo den Auftrag zur Neugestaltung des Platzes gab. Bis heute ist der Platz bzw. der Senatorenpalast Ort zeremonieller Veranstaltungen auf höchster Ebene. Die Piazza Navona war im 17. Jahrhundert Ort barocker Festumzüge, davor und danach Ort volksnaher Geschäftigkeit und bürgerlichen Flanierens, heute Treff- und Flanierpunkt von Reisenden aus aller Welt. Die Piazza Colonna mit dem Palazzo Chigi war schon bald nach dem Pontifikat von Alexander VII. ein Ort der Diplomatie, heute ist es ein Ort der Politik, der Macht und Herrschaft, wo vor dem Sitz des italienischen Ministerpräsidenten ständig Aufmärsche, Kundgebungen und Demonstrationen stattfinden. Die Piazza del Popolo war für den Empfang von Kaisern und Königen konzipiert, von hier aus, von der Bühne der Stadt, die einer Ouvertüre gleich den Besuchern einen Einblick in das städtische Ensemble Roms bot, nahmen die Umzüge der gekrönten Häupter durch die Stadt ihren Ausgangspunkt, heute ist sie immer noch Ausgangspunkt und Standort zeremonieller Feiern und Umzüge: Karneval, Konzerte, Ausstellungen aller Art. Die Piazza S. Pietro schließlich ist der Ort, von dem der päpstliche Segen an die Stadt und an die Welt ausgeteilt

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wird, hier werden die Pilger aus aller Welt empfangen, hier werden die heiligen Jahre verkündet und gefeiert. Zweifellos überwiegt auch in Paris zumindest bei den vier vorgestellten Plätzen die Repräsentationsfunktion, beim fünften Beispiel, dem Hôtel des Invalides, wohl auch, wenn auch mit Abstrichen. Im Fall der Pariser Plätze hat die Repräsentation verschiedene Aspekte: •







Die Plätze sind in erster Linie „setting[s] for the royal statue“ (Cleary), Orte, an denen in räumlich prominenter Weise die Huldigung des Monarchen zelebriert wird; bei Heinrich IV. geschieht dies in reduzierter Form in schlichter Präsentation, bei Ludwig XIV. ist die Repräsentation auf beiden Plätzen und im Hôtel des Invalides gesteigert durch ein plastisches/sprachliches Arrangement (Imperator, siegreicher Feldherr, Friedensstifter, Verteidiger der Religion), das propagandistisch sein Herrschaftsprogramm entfaltet. Das durch die Religionskriege und durch die Fronde erschütterte Paris wird von beiden Monarchen als Hauptstadt glanzvoll ausgebaut – gemäß dem Anspruch Heinrichs IV. (Einheit Frankreichs mit Zentrum Paris restaurieren) und Ludwigs XIV. (Paris zur europäischen Kapitale erheben). Dabei sind die vier Plätze und das Hôtel des Invalides wichtige Zeugnisse der Größe und Macht der Herrscher, die sich an der klassischen Maxime (Herrscher verewigen sich in ihren Bauten) und den antiken Vorbildern orientieren: Paris als neues Rom. Die Namensgebung der Plätze repräsentiert den Herrschaftsanspruch: Heinrich IV. betont den dauerhaften Anspruch der neuen Dynastie: Place Royale, Place Dauphine. Ludwig XIV. hebt die militärischen Erfolge hervor – und damit den Anspruch als europäische Vormacht: Place des Victoires, Place des Nos Conquêtes (heute Place Vendôme). Alle vier Plätze dienten mehr oder weniger intensiv als Bühnen königlicher Macht- und Prachtentfaltung: So sollten auf der Place Royale nach dem Gründungsdekret königliche Feste stattfinden; die Place Dauphine war mit Aufbauten Station beim feierlichen entrée Ludwigs XIV. 1660; die Place des Victoires und die Place Vendôme waren Schauplätze prachtvollen Einweihungszeremonien und sollten Stationen des neuen Empfangszeremoniells für ausländische Gesandtschaften werden.

Neben den repräsentativen Funktionen besaßen die Plätze und das Hôtel des Invalides aber noch weitere Funktionen und Nutzungsarten: So waren alle Plätze als Wohnquartiere konzipiert und genutzt. Die Nähe zum König und die Ausstat-

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tung führten zur Ansiedlung von großbürgerlich/aristokratischen Schichten – außer an der Place Dauphine, wo sich Handel und Handwerk ansiedelten, was an der Place Royale geplant, aber nicht realisiert wurde. Alle Plätze waren zugleich öffentliche Orte, allerdings durch die Anwohner und Grundbesitzer in dieser Funktion z.T. eingeschränkt (Place Royale, Place Vendôme). Das Hôtel des Invalides besitzt als Zweckbau eine Sonderrolle: Die vorrangige Funktion und Nutzung besteht in der Versorgung der ehemaligen Soldaten. Doch das Eingangsportal (mit dem Reiterrelief Ludwigs XIV.), die Wandgemälde in den Speisesälen und v.a. die königliche Kirche dienen eindeutig der Repräsentation, indem das gesamte Herrschaftsprogramm Ludwigs XIV. vorgestellt und der gesamte Gebäudekomplex mit den königlichen Insignien geradezu übersät ist. Am geringsten fällt der Grad der Repräsentativität im Fall der Plätze von London aus. Dies ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass, im Unterschied zu den Plätzen in Rom und Paris, nicht Päpste oder Könige die Bauherren waren, sondern adlige Herrschaften. Insofern kamen den vorgestellten Plätzen von London repräsentative Funktionen v.a. als gehobene, wenn nicht exklusive Wohnquartiere zu. Die drei thematisierten Plätze (und die mehr als 300 weiteren residential squares, die in den nächsten 200 Jahren angelegt werden sollten) repräsentieren eine komplexe Wohnkultur (vgl. Lawrence 1993: 95). Die Frage des Landbesitzes war traditionell geregelt, d.h. sie folgte Vorstellungen, die noch auf die Feudalzeit zurückgingen: Das Land wurde – abgesehen von Ausnahmefällen – grundsätzlich nicht verkauft, sondern befristet verpachtet; der Pächter war als Bauherr für die Planung und Gestaltung der Gebäude verantwortlich, übertrug aber in der Regel die Durchführung des Bauvorhabens einem Bauunternehmer, wenn er genügend Kunden, die ein Haus für einen bestimmten Zeitraum mieten oder kaufen wollten, gefunden hatte.2 Die Anwohner erwarben auf Zeit das Recht, in einem Ambiente zu wohnen, das ihnen eine gewisse soziale Exklusivität wie auch einen bestimmten ästhetischen Genuss versprach. The visual openness of the early squares was an integral element in their form. They were intended to be open space surrounded by buildings, ideally of uniform design and creating a unified spatial composition. The houses facing each other across a square were a social setting as much as an aesthetic achievement. Each square was thought of as being like a

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Auch wenn der Bauherr insgesamt verantwortlich war, heißt das nicht unbedingt, dass er seine Ansichten in allen Fällen gegen seinen Bauunternehmer und/oder die zukünf tigen Mieter/Käufer durchsetzen konnte. Letztere schufen oft bauliche Fakten, die sich nicht immer rückgängig machen ließen; oft mussten Kompromisse gefunden werden, damit nicht ganze Bauvorhaben scheiterten.

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village, an intimate neighbourhood grouping, in the larger context of the city. (Lawrence 1993: 101)

Die meisten der residential squares zehrten zudem von dem Prestige, das sich entweder aus dem am Platz liegenden Familiensitz des Grundbesitzers oder aus der Nähe zum königlichen Palast herleitete. Die Plätze dienten darüber hinaus der Inszenierung eines Lebensstils, der auf Besitz beruhte, soziale Beziehungen pflegte und beide – Besitz und Beziehungen – zu mehren trachtete. The earlier squares depended on their visual openness for their social role: they provided sight of all the houses of the square and a full view of all who walked in the square itself. To walk in an open square was to promenade publicly and the purpose of the promenade was to meet and to be seen by others doing the same; it was a social act, and the square was a special place for meetings and conversations. (Lawrence 1993: 106)

Waren die Plätze in ihrer Anfangszeit noch prinzipiell allen zugänglich – hier wirkt das (im Falle von Lincoln’s Inn Fields besonders starke) Interesse am allgemeinen Zugang zu den commons (Allmende) nach –, so sollte sich dies gegen Ende des 17. und grundsätzlich im 18. Jahrhundert ändern. Mit der Begründung, der Verwahrlosung der Plätze entgegen zu wirken und sie nicht zum Ort nicht genehmigter Versammlungen verkommen zu lassen, wurden die Zentren der residential squares vielfach eingezäunt, sukzessive begrünt und nur noch den Bewohnern der Häuser zugänglich gemacht. Diese Form der ‚Einhegung’ erfolgte – anders als etwa auf dem Lande – nicht auf Initiative der Grundbesitzer, sondern auf Initiative der Mieter/Hausbesitzer.3 Nicht alle Plätze konnten sich ihr Prestige, ihren Status erhalten. Der Niedergang von Covent Garden ist hierfür ein gutes Beispiel (vgl. Kap. 4.4.4): Selbstverständlich brauchte ein square zur Versorgung seiner Anwohner einen Markt, auf dem die Bediensteten die Lebensmittel erstehen konnten. Aber dieser Markt war ‚besser’ in einer Seitenstraße untergebracht; wenn man ihn – u.U. aus Geldgier (Marktstände konnten nur gegen Abgaben errichtet werden) – auf dem Platz selber erlaubte oder (wie der Earl of Bedford) gar förderte, durfte man sich nicht wundern, wenn sein Lärm und Schmutz (gar nicht zu reden von dem ‚gemeinen Volk‘) das Prestige des Platzes als Wohnquartier für die sozialen Eliten beeinträchtigte.

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Dies kann man heute noch am St. James’s Square beobachten, dessen eingezäunter ‚Innenraum‘ der Öffentlichkeit nur montags bis freitags, jeweils von 10 Uhr bis 16.30 Uhr, zu allen anderen Zeiten aber den Anwohnern zur Verfügung steht.

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5.1.6 Rezeption Die Platzanlagen und angrenzenden Bauten sind in allen drei Städten mit wenigen Ausnahmen ausgesprochen positiv aufgenommen worden, dies gilt für die Bevölkerung insgesamt, die nutznießenden Bewohner und Besucher sowie für die Kritik. Die Neuartigkeit, Größe und prachtvoll-repräsentative Ausgestaltung der Anlagen dürften dabei ausschlaggebende Gründe gewesen sein. Die durchgängig positive Rezeption der Platzanlagen in Rom mag damit zusammenhängen, dass die Päpste als vorrangige Bauherren mehr als die weltlichen Herrscher des 17. Jahrhunderts in Europa über absolutistische Herrschergewalt verfügten und Kritik sich deshalb allenfalls anonym wie an der Statue des Pasquino (Piazza Navona) äußerte. Weit mehr dürfte jedoch zutreffen, dass die barocken Baumeister sich von den Prinzipien der architektonischen Autoritäten der Antike und der Renaissance leiten ließen, deren universelle Schönheitsideale allgemeine Zustimmung fanden. Eine ähnlich breite Zustimmung für die Platzanlagen und Bauten lässt sich in Paris konstatieren. Die Plätze des bon roi Heinrichs IV. wurden nach den Religionskriegen als Zeichen stabiler und wohlgeordneter Herrschaft geschätzt und galten als schön und nützlich. Bei den Anlagen Ludwigs XIV. fanden sich bei grundsätzlicher Akzeptanz der absolutistischen Selbstdarstellung allerdings auch kritische Töne, die sich insbesondere an der Place des Victoires und der dort platzierten Königsstatue (Blasphemie) festmachten, während das Hôtel des Invalides ungeteilte Zustimmung fand. Auswärtige Besucher staunten meist über die élevations, während Architekturkritiker (v.a. Jacques Franęois Blondel) monierten, dass die antiken und italienischen Vorbilder nicht durchgängig befolgt seien. In London traf man auf zwei unterschiedliche Bautypen: einerseits die individuell gestalteten königlichen Paläste und von den Monarchen gestifteten Einrichtungen entlang dem royal highway der Themse und andererseits die neu entstandenen squares als exklusive Wohnquartiere der sozialen Eliten mit geschlossenen, uniformen Eindruck erzeugenden Häuserfronten. Beide Typen verwendeten klassische Stilelemente der Antike und Renaissance, die kontinentalen Anregungen entstammten und mit spezifisch englischer Flexion umgesetzt wurden (Banqueting House). Die squares waren darüber hinaus mehr als nur Wohnquartiere: Ihre Einförmigkeit galt als Zeichen sozialer Exklusivität der ‚gleichen’ (d.h. von ihrem Einkommen lebenden) gentlemen. Das Netzwerk der squares spiegelte gleichsam die Beschaffenheit der Aristokratie: Jeder war zunächst sich selbst genug, war aber zugleich mit den anderen durch den verzweigten Zusammenhang der Plätze in der Stadt verbunden.

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5.2 S YMBOLISCHE W IRKUNGEN UND ATMOSPHÄRISCHE Q UALITÄTEN Landschaften und Orte verstehen wir als von Menschen gestaltete Räume, als Akte der Kommunikation, und wir gehen also davon aus, dass Orte wie Texte gelesen werden können, weil sie Botschaften enthalten, die den Auftraggebern und ihren Architekten wichtig waren, Botschaften, die sie ihren Zeitgenossen und der Nachwelt mitteilen und festhalten wollten (vgl. dazu genauer Kapitel 1.1.5). Räumliche Strukturen und Architektur entfalten in der gesellschaftlichen Wahrnehmung bestimmte „symbolische Wirkungen“, eine „atmosphärische Qualität“ des Ortes. Orte schaffen deshalb über symbolische Wirkungen und atmosphärische Qualitäten Attraktivität, Identität und Zugehörigkeitsgefühle (Inklusion), sind aber auch geeignet, vermittelt über eine bestimmte räumliche Ordnung und Architektur, Ausgrenzungen vorzunehmen (Exklusion). Es sind v.a. die symbolischen Wirkungen und die atmosphärischen Qualitäten von Orten, die diejenigen, die über die entsprechenden materiellen, sozialen und kulturellen Ressourcen (Reichtum, Macht) verfügen, dazu motivieren, Orte als „Schauplätze“ zu inszenieren, räumliche Ordnungen zu schaffen, die Geschichten erzählen (narrative Räume) und die in ihrer symbolischen Wirkung eine Atmosphäre des Staunens, der Faszination und des kulturellen und gesellschaftlichen Halts, der Zugehörigkeit und der Identität vermitteln, wodurch zugleich die bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse reproduziert und legitimiert werden können. 5.2.1 Rom Welche Botschaften entnehmen wir nun der Neugestaltung der im Rom des 16. und 17. Jahrhundert entstehenden Plätze? Bei ihrer Entschlüsselung richten wir unser Augenmerk insbesondere auf die atmosphärischen Qualitäten des Ortes und die symbolischen Wirkungen, die von den baulichen Schöpfungen und ihrer Platzierung im Raum ausgehen. Die symbolischen Wirkungen konzentrieren sich auf die folgenden vier Aspekte: a) Wahl des Ortes, b) Umdeutung der antiken (heidnischen) Geschichte und ihre Anpassung an die christliche Ideenwelt, c) Symbolgehalt der in der Platzfigur enthaltenen geometrischen Formen und d) die Frage nach der dem Ort eigenen Aura von Macht und Herrschaft.

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5.2.1.1 Wahl des Ortes Alle hier vorgestellten Plätze Roms knüpfen bei ihrer Ortswahl an das antike Rom an: Dabei war das Kapitol der wohl bedeutendste Ort in der Geschichte des antiken Roms, denn hier befanden sich mit den Tempeln für die höchsten römischen Gottheiten Jupiter und Juno die wichtigsten religiösen Kultstätten des römischen Reiches sowie, seit Anfang des 1. Jahrhunderts v. Chr., mit dem Tabularium (Staatsarchiv) der wichtigste Ort für die römische Identität als Staat. Als derart herausragender Ort der Geschichte symbolisierte das Kapitol, in der Antike wie auch im päpstlichen Rom des 16. und 17. Jahrhunderts, den Mittelpunkt der Stadt und der Welt, caput mundi. Als Ziel und Endpunkt der römischen Triumphzüge war das Kapitol auch die Schaubühne der Macht, caput mundi – theatrum mundi. Die Piazza Colonna ist in erster Linie mit dem Namen des Kaisers Marc Aurel konnotiert; der Platz ist nicht nur der Standort für seine Siegessäule, sondern wahrscheinlich auch der Standort für den Tempel zu seinen Ehren, Templum divi Marci Aurelii, für den Kaiser und Gott Marc Aurel (Abb. 42). Die Piazza Navona liegt inmitten des antiken Marsfeldes an dem Ort, der seit dem Ende des ersten Jahrhunderts n.C. Standort des Stadions des Domitian war, ein Ort zu Ehren des Jupiter für Wagenrennen, athletische Wettkämpfe und musikalische Aufführungen. Die Neugestaltung des Platzes durch Innozenz X. spiegelt offensichtlich einen symbolischen Akt wider, die Wiederauferstehung der alten, antiken Größe und Macht Roms, nun aber im Zeichen der christlichen Macht. Die Piazza del Popolo war schon in der Antike von herausragender Bedeutung, weil von der Porta Flaminia/ del Popolo eine direkte und geradlinig verlaufende Straße (Via Flaminia/ Lata/ Corso) zur Mitte Roms, dem Kapitol mit den darauf befindlichen Tempeln für die höchsten römischen Götter, führte und gleich im Anschluss an das Kapitol auch zum Forum Romanum und den Kaiserfora. Der Zugang zu diesem Zentrum führte für die Besucher aus Europa durch das nördliche Stadttor und über die Piazza del Popolo. An dem Ort, wo sich heute der Petersdom und der Petersplatz befinden, lag im antiken Rom der Zirkus des Nero und des Caligula, wo der Legende nach der Apostel Petrus, der erste Bischof Roms, den Märtyrertod starb. Die Konstantinische Basilika von St. Peter und das Grab des Apostels wurden also ziemlich genau am Ort des Martyriums errichtet. Mit der Errichtung der Konstantinischen Basilika wird der Ort umgedeutet: Ein Ort des Todes und der Qualen wird symbolisch zum Ort des (ewigen) Lebens und paradiesischer Versprechen.

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5.2.1.2 Umdeutung der antiken (heidnischen) Geschichte und ihre Anpassung an die christliche Ideenwelt Natürlich konnten die Orte und ihre Wahrzeichen bei der Neukonzeption der Plätze nicht unkommentiert der Christenheit präsentiert werden; die antike Geschichte wurde deshalb in der räumlichen Textur und durch Inschriften an den Monumenten ‚umgeschrieben’, verändert und an die christliche Ideenwelt angepasst. Im Falle des Kapitols wurde diese Umschreibung und Anpassung noch zu Zeiten des Römischen Imperiums vollzogen. Während in der Antike das Kapitol eindeutig über die Via Sacra mit den Sitzen des an das Forum Romanum angrenzenden Standorten des Pontifex maximus (Regia) und seiner Priesterinnen, den Vestalinnen (Tempel der Vesta), angeschlossen war (Abb. 29), erfuhr diese Achse seit der Christianisierung Roms zu Beginn des vierten Jahrhundert n.C. eine Überlagerung: Die von Konstantin dem Großen gebauten päpstlichen Basiliken San Pietro und San Giovanni in Laterano bilden eine Achse, die das Kapitol mit den Tempeln für Jupiter und Juno und die heidnische Via sacra exakt in die Mitte, gewissermaßen ‚in die Zange‘ (Abb. 30). nimmt. Das Zentrum Roms ist nun eindeutig christlich dominiert. Auch die auf Geheiß von Papst Paul III. Alessandro Farnese vom Lateran aufs Kapitol verbrachte Reiterstatue des Kaisers und Philosophen Marc Aurel, zu dessen Amtszeiten das Römische Imperium seine größte territoriale Ausdehnung hatte, ließ sich unschwer mit den Werten und Prinzipen des Christentums vereinbaren: Selbsterkenntnis und das Streben nach Selbstvervollkommnung, Selbstgenügsamkeit und Askese waren Prinzipien, die auch im Christentum von hoher Bedeutung waren und sind. Auch die Piazza Colonna ist in erster Linie mit dem Namen des Kaisers Marc Aurel konnotiert, der Platz ist nicht nur der Standort für seine Siegessäule, sondern wahrscheinlich auch der Standort für den Tempel zu seinen Ehren (Abb. 42). Aber auch hier konnten der Ort und sein Wahrzeichen natürlich nicht unkommentiert der Christenheit präsentiert werden. Am Sockel der Siegessäule ließ Papst Sixtus V. Felice Peretti die folgende Inschrift anbringen: „Triumphal und heilig bin ich jetzt, da ich Christi wahrhaft gläubigen Schüler trage, der durch des Kreuzes Verkündigung über Römer und Barbaren triumphiert hat.“ Auf der Spitze der Säule wurde deshalb, wie im Sockeltext festgeschrieben, die Statue des Marc Aurel entfernt und durch eine Statue mit der Figur des Apostels Paulus, des „gläubigen Schülers Christi’“, ersetzt, der darüber hinaus mit einem Heiligenschein gekrönt wurde – Umdeutung der Geschichte und Eingliederung des heidnischen Pontifex maximus in die christliche Ideenwelt. Prunkstück der Piazza Navona und daher ihr Mittelpunkt ist zweifellos der von Bernini erschaffene Vier-Ströme-Brunnen, über dem sich der von Domitian aus Ägypten nach Rom verbrachte Obelisk erhebt (Abb. 52). Obelisken galten

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im antiken Ägypten als steinerne Strahlen des Sonnengottes und symbolisierten so eine Verbindung zwischen der irdischen und der göttlichen Welt, ganz so wie im heidnischen und christlichen Rom die Figur des Pontifex maximus. Zur Eingliederung des heidnischen Monuments wurde auf dem Obelisken und an seiner Basis das Wappen der päpstlichen Familie eingefügt (die Taube mit dem Olivenzweig im Schnabel, Symbol des Heiligen Geistes, des christlichen Friedens und Zeichen der Pamphilj zugleich: Bosticco u.a.: 34) und auf dem Sockel des Obelisken eine Inschrift mit den folgenden Worten angebracht: „Die schuldbefleckten Götzen der Ägypter/ Drückt nieder die unschuldige Taube,/ Die, des Friedens Ölzweig tragend/ Und mit den Lilien der Tugenden bekränzt,/ Indem sie den Obelisken als Siegesmal für sich aufstellt,/ In Rom triumphiert.“ Die Piazza del Popolo war seit der Antike symbolisch besetzt vom Grabmal des Kaisers Nero, in der gesamten Christenheit gehasst als Inbegriff der Christenverfolgung. Der Legende nach war der Ort im Mittelalter Standort eines riesigen Nussbaums, Aufenthaltsort von bösen Geistern. Der gleichen Legende nach hatte Papst Paschalis II. im Jahr 1099 eine Vision, in der die Jungfrau Maria ihm befahl, den Baum fällen zu lassen und an seiner Stelle eine Kirche zu errichten. Mit dem Fällen des Baumes und der Entfernung aller Wurzeln wurden so das Böse und seine Geister entwurzelt und vom Ort verbannt, die vormals teuflische Magie durch die Weihung des Ortes mit einer Kapelle ins Gegenteil verkehrt und positiv aufgeladen. Ähnliches hatte mit dem antiken ägyptischen Obelisken zu geschehen, den Papst Sixtus V. Felice Peretti im Rahmen seiner Straßenerschließung zur weithin sichtbaren Kennzeichnung der sieben Prinzipalkirchen auf der Piazza del Popolo errichten ließ. Der Obelisk stammt aus dem Jahr 1220 v.C. und war ursprünglich dem Pharao Ramses II. gewidmet, von Augustus nach seinem Sieg über seinen Rivalen Antonius nach Rom geholt und im Circus Maximus aufgestellt worden. Eine Inschrift befreite den Obelisken von der dämonischen Aufladung: „Vor dem heiligen/ Gotteshaus dieser (der Maria)/ rage ich erhabener/ und freudiger auf,/ aus deren/ jungfräulichem Leib,/ während Augustus herrschte,/ die Sonne der Gerechtigkeit/ aufgegangen ist.“ Der von Sixtus V. 1586 auf der Piazza S. Pietro aufgestellte Obelisk stammt aus dem Zirkus des Nero. Ursprünglich aus Ägypten und zu Ehren des Pharao Mencares 1835 v.C. in Heliopolis aufgestellt, wurde er im Jahr 37 n.C. auf Anweisung des Kaisers Caligula nach Rom gebracht und in seinem Zirkus, dem späteren Zirkus des Nero, südlich des vatikanischen Hügels errichtet. In einer bronzenen Kugel soll auf seiner Spitze die Asche des Julius Cäsar aufbewahrt worden sein. Die ursprüngliche Weihinschrift war Augustus, Cäsar und Tiberius gewidmet, Sixtus V. widmete den antiken Obelisken Christus und dem christlichen Kreuz mit der neuen Inschrift: „Christus siegt,/ Christus herrscht,/ Christus

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befiehlt,/ Christus möge gegen alles Übel/ sein Volk/ verteidigen!“ Wie andere Päpste auch ließ Sixtus V. Felice Peretti am Fuß des Obelisks sein Wappen anbringen, vier Löwen, darunter die Inschrift: „Papst Sixtus V./ Hat dem unbesiegten Kreuz/ Den Vatikanischen Obelisken,/ nachdem er von unreinem Aberglauben/ entsühnt war, gerechter/ und glücklicher geweiht/ im Jahre 1586, dem zweiten seines Pontifikats.“ Der Standort für die Petersbasilika war festgelegt durch den Ort des Martyriums von Petrus. Die Wahl der Orte für die beiden neuen christlichen Kirchen für den Bischof von Rom, Papst der Christenheit und Stellvertreter Gottes auf Erden, spricht eine deutliche symbolische Sprache: Die alte Götterwelt und ihre höchsten Priester auf dem Kapitol und der alten Via Sacra liegen genau in der Mitte der Achse zwischen den beiden päpstlichen Basiliken, der neue, nunmehr christliche Pontifex maximus, bedrängt die alte Götterwelt nun von zwei Seiten. 5.2.1.3 Symbolgehalt der in der Platzfigur enthaltenen geometrischen Formen Die Architekten und Baumeister des 16. und 17. Jahrhunderts waren den Idealen der Renaissance verpflichtet, die ihrerseits, daher der die Epoche kennzeichnende Begriff, auf die Werte und Normen der Antike zurückgehen. Das architektonische und städtebauliche Leitmotiv der Renaissance lautete: „Ordo, pondo et mensura, artem sine scientia nihil est“ – „Ordnung, Gewicht und Maß, nichts ist Kunst ohne Wissenschaft“, d.h. Mathematik. Von besonderer Bedeutung war in diesem Zusammenhang die Lehre des Pythagoras, demzufolge der musikalischen Harmonie ganz bestimmte Zahlenrelationen zu Grunde liegen: Proportionen wie z.B. 2:3 (Quinte) und 3:4 (Quarte) innerhalb von 1:2 (Oktave). Proportionen werden zu Harmonien, „Wohlklängen“ (vgl. Kap. 1.3). Die von Michelangelo entworfenen Maße für die Piazza del Campidoglio entsprechen weitestgehend den Idealen einer Analogie zwischen musikalischen und architektonischen Harmonien: Das Trapez hat eine Proportion von 2:3, entspricht also musikalisch einer Quinte. Das Oval hat eine Proportion von 5:6, musikalisch eine kleine Terz. Die Höhenproportion von Reiterstatue zu Palasthöhe beträgt in dieser Perspektive 2:3, mithin eine Quinte. Die Fassadenmaße des Senatorenpalastes entsprechen in dieser Wahrnehmung einer Oktave (1:2), eine Quinte wiederum bei der Wahrnehmung der Höhenproportionen zwischen Senatorenpalast einerseits und Konservatoren- und Neuem Palast andererseits. Auch die Piazza Colonna folgt den Idealen einer streng geometrischen Formgebung: Sie passt sogar in besonderer Weise zu der Zeichnung Leonardos über das architektonische im menschlichen Maß: Sowohl Quadrat als auch (immanent) Kreis liegen der Formgebung der Piazza Colonna zu Grunde (Abb. 44).

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Leider entsprach der vorgefundene Standort der Säule nicht den ästhetischen Vorstellungen von Papst und Baumeister; die Säule liegt eben nicht genau im Mittelpunkt des Platzes. Die von Bernini geplante optische Verschiebung (vgl. Abb. 39) hätte geometrisch daran allerdings auch nichts geändert. Da die heutige Piazza Navona exakt auf den Fundamenten des antiken Stadions des Domitian erbaut wurde, hat sie auch dessen Proportionen übernommen: Die Innenmaße der Piazza Navona entsprechen seit Restauration der Platzanlage im Barock einer Proportion von 1:4, komplementäre Ergänzung zur Proportion 3:4, der Quarte. Auch wenn die im Fall der Piazza Navona vorliegende Proportion durchaus den Maßen und Idealen der Zeit entspricht, erscheint es naheliegend, dass es sich hier schlicht um die Übernahme der Maße handelt, die sich aus den Fundamenten des antiken Stadions ergeben hatten. Konstitutiv für die Formgebung der Piazza del Popolo im 17. Jahrhundert ist die Figur des Trapez’ in seinen Proportionen 1:5; dem entspräche begrifflich in der Musik die Ergänzung zur großen Terz. Auch hier ist es mehr als wahrscheinlich, dass diese Proportionen doch wohl eher den topographischen Prämissen (Breite des Stadttores, Abstand der Via del Babuino zur Via della Rispetta und Entfernung vom Stadttor zur Via del Corso) geschuldet sind. Das Trapez repräsentiert im 17. Jahrhundert zweifellos die Figur der Theaterbühne. Die Piazza del Popolo, schreibt Krautheimer, ähnelt einem Bühnenbild, Realität und Fiktion verschmelzen miteinander, die Bühne ist ein Platz in der Stadt, der städtische Platz wird zur Bühne. Bei den Skizzen Berninis findet sich eine Zeichnung, die ganz offensichtlich die Piazza del Popolo als Bühne vor der Kulisse der Stadt zeigt. Die geometrischen Figuren des Petersplatzes und ihre Proportionen spiegeln in hohem Maße die Raumprinzipien der Renaissance und des Barock. Das Trapez der Piazza Retta ist in seiner Proportion 1:1, gleiches ergibt sich für die Piazza Rusticucci, 3:4 lautet die Proportion für die Piazza Obliqua. Die Fassade des Petersdoms, die den Besuchern insbesondere ins Auge fällt, misst 46 m in der Höhe und 115 m in der Breite, woraus sich (mit etwas gutem Willen) eine Proportion von 1:2 errechnen lässt. Die inhaltliche Deutung der geometrischen Formen ist weit vom Wesen der Mathematik als einer exakten Wissenschaft entfernt, beruht auf der Subjektivität semantischer Auslegungen. Die bei den vorgestellten Plätzen Roms vorherrschenden geometrischen Formen sind Quadrat und Kreis (Piazza Colonna), bei allen anderen Trapez und Oval. Ein Kreis gilt als Symbol der Unendlichkeit, als ewiger Fluss des Lebens, kann also als Unsterblichkeit, Einheit, Perfektion, Vollkommenheit gedeutet werden. Die vom Kreis abgeleitete Figur des Ovals kann in ihrer Verzerrung als bewusste Abweichung von den Maßen der Perfekti-

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on interpretiert werden. Im Barock war man sich bewusst, dass der Mensch ein vergängliches und sehr endliches Wesen ist; die Verzerrung der Kreisform könnte daher auch andeuten, dass der Mensch und seine Werke eben nicht der im Kreis symbolisierten göttlichen Vollkommenheit gleich sein können. Ähnlich verhält es sich bei den barocken Veränderungen des Quadrats zum Trapez. Während die vier geraden Winkel und gleichen Seitenlängen des Quadrats symbolisch für das Unveränderliche, das Feste der Erde, für Ewigkeit und Vollkommenheit stehen, kann die Verzerrung des Quadrats zum Trapez inhaltlich so gedeutet werden, dass die Welt des Erdhaften letztlich doch überirdisch und jenseitig begründet ist, eingebettet ist in den übergeordneten Rahmen des Göttlichen. 5.2.1.4 Orte von Macht und Herrschaft? Die Piazza del Campidoglio ist in ihrem Symbolgehalt zweifellos als ein Ort von Macht Herrschaft anzusehen, denn alle von Paul III. in Auftrag gegebenen Bauten dokumentieren eindrucksvoll den Willen des Papstes, seine Macht und Herrschaft nicht zuletzt durch räumliche Botschaften anhand herausragender Architektur und Platzgestaltung zu legitimieren und zu konsolidieren. Dies ist wohl auch von der neuen, zur Weltherrschaft aufgestiegenen Macht der Gegenwart, den Vereinigten Staaten von Amerika, verstanden worden, denn das Pentagon ist eine Demonstration von Macht und Herrschaft nach dem Vorbild des päpstlichen Modells (Abb. 35.2). Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass Alexander VII. die politische Ortsbestimmung des Platzes in der republikanischen Antike kannte – die Piazza Colonna ist mit der Neukonzeption und dem Umbau des ehemaligen Palazzo Aldobrandini zum Palazzo Chigi in ihrer Bestimmung zu dem zurückgekehrt, was sie schon zu den republikanischen Zeiten Roms charakterisierte: ein Ort der Politik. Hier, im Palazzo Chigi und dem davor liegenden Platz, in unmittelbarer Nähe des Mons Septorius, dem Ort der septa, wo sich im republikanischen Rom Patrizier und Plebejer versammelten, um ihre politischen Rechte auszuüben und über die Geschicke des Staates abzustimmen, ist auch in der Neuzeit ein bevorzugter Ort der Politik in Italien. Der Palazzo Chigi ist Sitz des italienischen Ministerpräsidenten. Auch die Piazza Navona ist von ihrem päpstlichen Bauherren Innozenz X. sicherlich als Ort von Macht und Herrschaft intendiert worden: Insbesondere der Vier-Ströme-Brunnen drückt die Wiederauferstehung der alten, antiken Größe und Macht Roms aus, nun aber im Zeichen der christlichen Macht: Die vier Ströme Nil (Afrika), Rio della Plata (Amerika), Ganges (Asien) und Donau (Europa) symbolisieren in Gestalt der jeweiligen Flussgötter die christliche

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Herrschaft über die zu der Zeit bekannten Erdteile und die Welt. Hat man Bilder wie das von Giovanni Pannini (Festa del Lago di Piazza Navona) vor Augen, ist man geneigt, die Piazza Navona als einen Ort anzusehen, von dem eine Aura der Macht und Herrschaft ausgeht, aber schon kurz nach dem Tod von Papst Innozenz X. erlangte der Platz seine volkstümliche Physiognomie mit der Vielzahl seiner Händler, ihren aus wehenden weißen Vorhängen errichteten Ständen, den improvisierten Bühnen der Scharlatane und Gaukler und dem Volk von Rom wieder. Die Piazza del Popolo ist in ihrer Anlage, Formgebung und Geschichte repräsentativ, aber nicht herrschaftlich. Sie ist, wie der Name sagt, ein Platz des Volkes. Ihre Bedeutung liegt eher in der Betonung der Platznutzung als Theater: Die Piazza del Popolo, schreibt Krautheimer, ähnelt nämlich einem Bühnenbild, Realität und Fiktion verschmelzen hier miteinander, die Bühne ist ein Platz in der Stadt, der städtische Platz wird zur Bühne. Bei den Skizzen Berninis findet sich auch eine Zeichnung, die ganz offensichtlich die Piazza del Popolo als Bühne vor der Kulisse der Stadt zeigt. Die Basilika am Petersplatz ist als kaiserliche Krönungsstätte nicht nur Symbol der Weltherrschaft des christlichen Glaubens, sondern auch der abendländischen Macht. Von hier aus wird der Stadt und der Welt der göttliche Segen zuteil. Die Piazza Retta als Bühne mit Madernos Fassade und Michelangelos Kuppel als Bühnenbild und Kulisse steht für die ecclesia triumphans. Dieses Bild haben die Gläubigen vor Augen, wenn sie sich auf der Piazza Obliqua im Glauben versammeln. Das Oval der Piazza Obliqua mit ihren umstehenden Kolonnaden ist der palconscenico (Zuschauerraum), Ort der ecclesia militans, Platz des Heeres der Gläubigen. Im Augenblick des päpstlichen Segens treten Papst und Gläubige, ecclesia triumphans und ecclesia militans miteinander in Beziehung, werden eins in kommunikativer Verbindung: für den Papst wird nun auch der Ort der ecclesia militans zur Bühne, zuschauend erleben er und die Menschen auf dem Platz sich selbst als triumphale Kämpfer für den Glauben. 5.2.2 Paris Mit Heinrich IV. (1589-1610) beginnt in Frankreich nicht nur die Herrschaft einer neuen Königsdynastie, sondern auch ein neues Kapitel in der Ausgestaltung der Hauptstadt – und beides ist auf das engste miteinander verwoben. Paris und das gesamte Königreich hatten schwere Jahre durchlitten: Die Bürgerkriege, der jahrelange Kampf um die Anerkennung des ersten Bourbonenkönigs, Pestwellen und die Belagerung der Hauptstadt hatten das Land und seine Bewohner zutiefst getroffen. Das 17. Jahrhundert sah nun zunächst unter Heinrich IV. die

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Befriedung und den Wiederaufbau des Landes, den glanzvollen Aufstieg der neuen Dynastie und schließlich die volle Entfaltung des absolutistischen Herrschaftssystems unter Ludwig XIV. Wie wirkte sich diese Entwicklung auf die Hauptstadt aus, wie prägten die absolutistischen Herrscher die Ausgestaltung der Metropole und welche Botschaften sollten dabei durch die neuerstandenen Ensembles vermittelt werden? Es ist dies die anfangs entwickelte Fragestellung nach dem „Spacing“ und der „Syntheseleistung“ durch das (zeitgenössische) Publikum (vgl. Kap.1.5.1). Als Heinrich IV. 1594 nach fünf Jahren Kampf in seine Hauptstadt einziehen konnte und seinen ‚Frieden mit der Religion‘ vollzogen hatte, begann er ein umfangreiches Rekonstruktionsprogramm, in dem Paris eine besondere Rolle spielte. Denn die Stadt war traditioneller Herrschersitz und Zentrum des französischen Königreichs – ein gewichtiges Argument in der lange bestrittenen Legitimation der neuen Dynastie. Als Zeichen der Kontinuität und der rechtmäßigen Nachfolge nahm Heinrich IV. in der Hauptstadt als Erstes Baumaßnahmen in Angriff, die die letzten Könige aus dem Hause Valois begonnen, aber wegen der Bürgerkriege nicht hatten fertigstellen können: So ließ er die Arbeiten am Louvre, der angestammte Königsresidenz, fortsetzen und vollendete den Bau des Pont Neuf als dringend notwendige dritte Seinequerung. Diese Vorhaben lassen bereits erkennen, dass der erste Bourbone, der bon roi, neben der Repräsentation immer auch die Lebensbedingungen seiner Untertanen im Blick hatte. Neben weiteren Maßnahmen zum embellissement und zum ornement seiner Hauptstadt, wie es immer wieder hieß, fallen vor allem drei Projekte ins Auge, die Botschaften des Königs und seiner intendierten Politik vermitteln. Es sind dies die beiden untersuchten Königsplätze und die dritte, durch seine Ermordung 1610 nicht mehr realisierte Place de France. Bereits die Namensgebung der drei Plätze enthält eine programmatische Botschaft: Die Place Royale als erstes Bauvorhaben ist dem König als gegenwärtigem Herrscher gewidmet, es ist das erste vollständig geplante und regelmäßige Platzensemble der Hauptstadt, das in seiner Singularität und Einheitlichkeit die (Gestaltungs-)Macht des Monarchen vermittelt. Die Place Dauphine als Platz des Thronfolgers bezeugt den Anspruch dynastischer Kontinuität und damit gesicherter Herrschaftsverhältnisse. Die geplante Place de France mit zentralen Verwaltungsgebäuden und den Straßennamen nach französischen Provinzen hätte die Funktion der Hauptstadt als Mittelpunkt der königlichen Herrschaft signalisiert. Im Gründungsedikt der Place Royale 1605 verkündete Heinrich IV. seine Intentionen, die er mit dem Platz – in dieser Reihenfolge! – verfolgte: Er sollte Arbeits- und Wohnstätte der Manufakturbetriebe, Raum zum Promenieren der beengt lebenden Städter und schließlich auch Ort königlicher Feste oder Zere-

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monien werden (vgl. Kap. 3.2.2). Zwar entwickelte sich der Platz gegen den königlichen Willen zum aristokratischen Wohnquartier, aber die Platzarchitektur („Spacing“) lässt doch die am ursprünglichen Konzept orientierten Botschaften erkennen. So verweisen bereits die Laubengänge auf die Absicht des Monarchen, hier Handel und Gewerbe anzusiedeln, während die jeweils neun Pavillons auf jeder Seite den gehobenen Wohnstandard des vom Monarchen geförderten Amtsadels anzeigen. Das deutliche Signal Heinrichs IV., möglichst alle Kräfte für den Wiederaufbau des französischen Königreichs zu vereinen, manifestiert sich in diesem Arrangement. Darüber hinaus vermittelt die vollkommene Symmetrie des einheitlich gestalteten, weiten Raumes, dass der Initiator dieser Anlage über umfassende politische und materielle Ressourcen verfügt: Die prachtvolle Gestaltung wird zum Symbol für die vom machtvollen Herrscher geschaffene Ordnung und Stabilität im Lande, die nach den Bürgerkriegen den so ersehnten Frieden garantierte. Auf diesem Platz erinnern ursprünglich nur die beiden architektonisch hervorgehobenen Pavillons des Königspaares an die Präsenz der neuen Dynastie, sie sind umgeben von den etwas niedrigeren Häuserzeilen des Gevierts: ein Bild des königlichen Selbstverständnisses – der Monarch als primus inter pares im Kreise seiner Untertanen (vgl. Kap. 3.2.5). An der Place Dauphine gelang, was am ersten Platz fehlschlug: Er wurde zum Wohnquartier von Handel und Gewerbe und ist doch zugleich auch repräsentatives Schaustück der neuen Dynastie. Während die schmalen Grundstücke mit einer Hausbreite von nur zweieinhalb Jochen auf die hier ansässige soziale Schicht verweisen, präsentiert sich die einheitlich gestaltete Außenfront zu beiden Ufern der Seine als prachtvolle Fassade. Mit ihr setzte Heinrich IV. in dieser exponierten Lage ein deutliches Zeichen: Das traditionelle Machtzentrum Frankreichs, die Île de la Cité, war symbolisch geteilt. In ihrer Westhälfte lag seit den Capetingern der Sitz der königlichen Residenz und genau an diesem Jahrhunderte alten Herrschersitz platziert er mit dem neuen Platz seinen Thronfolger, den Dauphin. Die Osthälfte der Île de la Cité mit Notre Dame war seit alters her Zentrum der geistlichen Macht. Indem der Monarch, der fünf Mal die Konfession gewechselt hatte, den säkularen Raum des alten Machtzentrums architektonisch so prachtvoll ausbaute, betonte er seine weltliche Herrschaft und zugleich die Distanz zur Religion. Das nach seinem Tod errichtete Reiterstandbild auf dem Pont Neuf blickt schützend oder kontrollierend auf beides – die säkulare und die geistliche Sphäre und steht zwischen dem alten (Palais) und neuen (Louvre) Herrschaftszentrum (vgl. Kap. 3.3.6). Das Ensemble von Place Dauphine, Pont Neuf und magistraler Rue Dauphine stellt zudem eine völlig neue urbanistische Gesamtgestaltung dar, die den Willen des Königs zur Aufwertung seiner Hauptstadt als wiedererstarktes Machtzentrum demonstriert.

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Obwohl Ludwig XIV. seit den 1680er Jahren seine Residenz nach Versailles verlegt hatte, setzte er alles daran, Paris zum neuen Rom und zur vornehmsten Metropole umzugestalten, denn die Hauptstadt sollte „Zeremonialstadt“ (Jordan) für den ersten Herrscher Europas werden – eine Steigerung, die seinem absolutistischen Selbstverständnis und Drang nach Darstellung seiner gloire entsprach. Die beiden untersuchten Plätze und das Hôtel des Invalides repräsentieren diese Haltung. Schon der Name der Place des Victoires verkündete, dass Ludwig XIV. als überragender Feldherr gesehen werden wollte. Seine Statue zierte den ersten ausschließlich der Huldigung des Monarchen gewidmeten Platz, das gesamte Platzarrangement und die Ausgestaltung des Denkmals vermittelten die Botschaft von der Singularität und Erhabenheit des Königs: Das an den gesalbten Herrscher erinnernde Krönungsornat, die an das ewige Licht gemahnenden Platzleuchten, die Widmungsinschrift „Viro immortali“ – all das hebt den Monarchen in eine sakrale Sphäre, ein bei zeitgenössischen Theoretikern des Absolutismus durchaus geläufiger Topos. Nimmt man die über dem König schwebende Victoria mit dem friedensstiftenden Palmzweig und die vier zu Füßen angeketteten Sklaven – identifizierbar als besiegte Nationen – hinzu, dann ist das Bild des ersten Militärs und europäischen Friedensfürsten vollendet. Um diese Statue herum bildete der kreisrunde Platz mit seiner einheitlichen Fassade und der vornehmen ionischen Kolossalordnung einen würdigen Rahmen, der den Monarchen als legibus absolutus abgehoben von der Masse im Kreise seiner Untertanen symbolisierte (vgl. Kap. 3.4.2). Dass eine solche Darstellung vor allem bei Protestanten und vormaligen Kriegsgegnern Kritik hervorrief, verweist auch auf die Grenzen übersteigerter Selbstdarstellung und intendierter Botschaften – „Syntheseleistungen“ können durchaus ambivalent ausfallen und beabsichtigte Wirkungen konterkarieren. Place de Nos Conquêtes, der ursprüngliche Name des zweiten, heute Place Vendôme genannten Platzes, den Ludwig XIV. errichten ließ, scheint zusammen mit dem riesigen Reiterstandbild die exzessive Selbstdarstellung des Monarchen fortzusetzen. Doch dieser Platz ist auch Zeugnis des Wandels im Selbstverständnis des alternden Königs, ein Wandel, der eine Folge politischer, sozialer und militärischer Debakel war. Der Platz wird damit auch zu einem Beispiel für die Wechselwirkung zwischen dem „Spacing“ und den „Syntheseleistungen“. Ursprünglich war der „größte und allerprächtigste Platz Europas“, wie der Zeitgenosse Germaine Brice urteilte, als megalomaner Ort der königlichen Akademien und Einrichtungen geplant, auf drei Seiten von einer prachtvollen Fassade umgeben stellte er – offen zur Hauptverkehrsachse – eine übergroße Bühne absolutistischer Zeremonien dar. Ein 16,5 Meter hohes Reiterstandbild in der Platzmitte in Anlehnung an die Statue des Marc Aurel auf dem Kapitol und ein römi-

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scher Triumphbogen sollten den imperialen Anspruch des Königs manifestieren. Doch dieses Konzept scheiterte an der Finanznot des Staates und an den angedeuteten Katastrophen (vgl. Kap. 3.5.1.3). Die bereits erstellte Fassade samt Triumphbogen wurden abgerissen und der verkleinerte, oktogonale Platz, wie er heute noch existiert, errichtet. Das erhaltene Reiterstandbild, die korinthische Säulenordnung, wie sie auch die Louvrefassade zeigte, und die ringsum in den Balkongittern integrierten Sonnenembleme ließen auch weiterhin das Repräsentationsbedürfnis des Königs erkennen: Die Menschen wirkten vor dem monumentalen Reiter wie Zwerge, der ca. 10 Meter hohe Sockel versetzte den Monarchen in unerreichbare Höhe – ganz so wie Ludwig XIV. die Stellung des absolutistischen Herrschers in seinen Mémoires beschrieben hatte. Doch der fehlende Triumphbogen und vor allem die gemäßigten Sockelinschriften, die der König persönlich auf mögliche Invektiven hin überprüft hatte, lassen sich als Anzeichen einer maßvolleren Selbstdarstellung lesen (vgl. Kap. 3.5.2.5). Das größte Bauvorhaben Ludwigs XIV. in seiner Hauptstadt, das Hôtel des Invalides, erfüllte eine Doppelfunktion: Es war einerseits Veteranenheim für ehemalige Soldaten und andrerseits repräsentativer Ort des französischen Königtums. Während der langen Bauzeit (1671-1706) manifestierte sich auch hier der bereits konstatierte Wandel des königlichen Selbstverständnisses. Die imposante, in den frühen 1670er Jahren fertig gestellte Nordfassade, Schauseite für alle Besucher, die von der damaligen Stadt kamen, lenkte durch ihre zurückhaltende Gestaltung den Blick auf den zentralen Eingangsbogen, den das Relief mit dem römisch gewandeten Reiterkönig schmückte, Ludovicus Magnus, so verkündet eine Tafel, stiftete das Ensemble. Über diese bereits bekannte imperiale Botschaft hinaus fallen zwei den Monarchen umgebende Kardinaltugenden auf: Sie sollen offenbar die Herrschaftspraxis Ludwigs XIV. symbolisieren. Die bereits erwähnte Verbindung des Monarchen zur göttlichen Sphäre, seine Gottesunmittelbarkeit erfährt der Besucher, wenn er über dem Bogen mit dem königlichen Reiter die goldene Kuppel des Doms erblickt (vgl. Kap. 3.6.3). Dieser Effekt kann nur dadurch erzielt werden, dass der symmetrische Gesamtkomplex in strenger Nord-Süd-Axialität ausgerichtet ist und so die herkömmliche Ostung der beiden Kirchen aufgegeben ist: Bruch mit der christlichen Tradition zugunsten weltlicher Repräsentation? Der triumphale Gestus des siegreichen Herrschers und Feldherrn aus der frühen Bauphase findet sich auch noch in zahlreichen Gemälden der vier Refektorien. Dagegen vermittelt die nach Süden ausgerichtete Schauseite der Königskirche aus der letzten Bauphase eine abgewandelte Botschaft (vgl. Kap. 3.6.5). Die das Kirchenportal flankierenden Statuen Karls des Großen und Ludwigs des Heiligen symbolisieren die aktuellen Leitlinien und Legitimation der Politik des Königs: Die in der Namensgleichheit angelegte

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Identifizierung mit dem Heiligen kündet von der neuen Demut des Herrschers und legitimiert Ludwigs XIV. Religionspolitik, der (angebliche) Ahnherr der französischen Königsdynastien begründet qua Geblütsrecht den Vorrang der französischen Monarchie vor der Wahlmonarchie des Deutschen Reiches. Die Allianz von Königtum und Kirche setzt sich im Kircheninneren als „heilsgeschichtliche Legitimation des französischen Königtums“ (Hesse) fort: Das Kuppelgemälde zeigt den heiligen Ludwig, wie er Christus sein Schwert darbietet; in einem früheren Entwurf sollte hier Ludwig XIV. als triumphierender Sieger erscheinen. Dass der massige Bau des Invalidenheims dennoch harmonisch und ausgewogen wirkt, verdankt er der Tatsache, dass hier die Vorschriften der klassischen Proportionslehre realisiert wurden – an der Gliederung der Nordfassade und der Komposition der Königskirche lässt sich das exemplarisch belegen (vgl. Kap. 3.6.4). 5.2.3 London Als die schottischen Stuarts 1603 den Tudors auf den englischen Thron folgten und damit zum ersten Mal die drei Reiche (England, Schottland, Irland) und vier Nationen (die drei vorigen und Wales) der britischen Inseln unter einem Monarchen vereinten, stellte sie dies vor eine Reihe großer und weitgehend unbekannter Herausforderungen. Im Inneren galt es erstens, eine gemeinsame Politik zu entwickeln, an der neben dem König, seinen Beratern und Beamten drei Parlamente (in London, Edinburgh und Dublin) mit ungleichen Befugnissen beteiligt waren; zweitens musste ein – möglichst friedliches – Miteinander der christlichen Religionen hergestellt werden: England, Wales und Schottland waren zwar mehrheitlich protestantisch, folgten aber, da die Reformation(en) jeweils anders verlaufen war, unterschiedlichen Varianten des Protestantismus. In Schottland gab es eine sozial hoch angesehene katholische Minderheit (in den highland clans), während in Irland die Mehrheit zwar katholisch war, aber von einer (von England eingesetzten) protestantischen Minderheit regiert wurde. Hinzu kam – drittens – die sprachliche Heterogenität: Das Englische war überall die dominante Sprache, das in Irland und dem schottischen Hochland mehrheitlich gesprochene Gälisch wurde unterdrückt, während die Waliser das Recht auf ihre Sprache mit dem Versprechen auf politisches Wohlverhalten ausgehandelt hatten.4 Im Äußeren musste dieses heterogene Gebilde, dessen Teile zu den Staaten des Kontinents ganz unterschiedliche Beziehungen gepflegt hatten – vgl. die auld 4

In diesem Zusammenhang war die theologische und sprachlich-kulturelle Wirkung der von Jakob I. 1604 in Auftrag gegebenen, 1611 abgeschlossenen Übersetzung der Bibel ins Englische von entscheidender Bedeutung.

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alliance zwischen Schottland und Frankreich –, sich zunächst orientieren und vor allem angesichts der europäischen Religionskriege Bündnispartner suchen und finden. Das ließ in den ersten Dekaden der Stuart-Herrschaft – auch angesichts der immens steigenden Kriegskosten – wenig Raum für architektonische Selbstdarstellung: Einige wenige Bauten wurden errichtet (Banqueting House, Queen’s House), andere geplant, aber nicht (oder doch nur sehr verspätet) verwirklicht. Die räumlichen Botschaften aus dem London des 17. Jahrhunderts erscheinen daher im Vergleich zu denen aus Paris und Rom bescheidener, gewissermaßen mit britischer Zurückhaltung vorgetragen; erst in den beiden folgenden Jahrhunderten werden sie selbstbewusster und anspruchsvoller, aber auch selbstgefälliger und überheblicher. Die Londoner squares waren – anders als in Rom oder Paris – keine Bühnen für den Herrscher, sondern eher für die ihn stützenden Eliten. Sie entstanden – anders als die römischen Plätze – nicht auf einem Grund, der bereits ‚erschlossen‘, d.h. durch frühere Bautätigkeiten ‚markiert‘ oder ‚gezeichnet‘ war; sie befanden sich in Randlage zur City of London und waren genuine Neubaugebiete. Sie bildeten – wie sich herausstellen sollte – eine angemessene Reaktion auf zwei im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts unabhängig voneinander entstehende Problemlagen. Zum einen setzte die Verfestigung der höfischen Strukturen in Whitehall einen Strukturwandel in Bewegung, der in seiner näheren Umgebung den Bau von adeligen Residenzen und Wohnquartieren für Höflinge, Parlamentarier und Dienstleistende nötig machte. Zum anderen litt die City selbst unter dem ständigen Zustrom von Menschen (vgl. Kap. 4.3.1), was dazu führte, dass sich innerhalb der Stadtmauern das bestehende Nebeneinander verschiedener sozialer Klassen und Schichten ‚entmischte‘: Wer immer es sich leisten konnte, zog in neue, sozial adäquate(re) Wohnquartiere außerhalb der City – vornehmlich nach Westen, in Richtung des Hofes (Whitehall). Dies trifft auf alle drei hier vorgestellten Plätze zu. Die entstehenden squares waren in Grunde Soziotope: Räume, die sich bestimmte, auf soziale Exklusivität und ihr gemäße Selbstdarstellung bedachte, soziale Gruppen einrichteten, in denen sie lebten und ihren Lebensstil als vorbildlich inszenierten. Sie profitierten dabei (materiell) von dem hundert Jahre zuvor billig erworbenen Grund und Boden der ehemals katholischen Kirchengüter und (ideell) von dem Interesse der Stuart-Könige, London einen den Städten des Kontinents vergleichbaren künstlerischen Glanz zu verleihen. Während der ‚große Wurf‘ nicht gelang – dazu waren die Stuart-Könige zu arm und politisch zu wenig geschickt –, gelangen viele kleinere: u.a. das Banqueting House, die St. Paul’s Cathedral, das Royal Hospital von Greenwich – und eben das ‚Netzwerk‘ der squares in London. Bei ihrer Anlage und Ausführung haben nicht nur die

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königlichen Baumeister Inigo Jones und Christopher Wren – ohne Zweifel zwei der größten Architekten des 17. Jahrhunderts – entscheidend mitgewirkt, sondern auch viele ihrer kaum minder versierten Kollegen (vgl. Kap. 4.2.2). Sie alle machten sich die Erfahrungen ihrer italienischen und französischen Kollegen (vgl. Kap. 2.1.8) zunutze, die die Antike nicht nur wiederentdeckt hatten, sondern sich in ihren modernen Bauten von ihr auch inspirieren ließen. Bei der Baugestaltung ging es – bei allen Unterschieden – grundsätzlich um zweierlei: Wer baut? Und: was ist dem Bauherrn angemessen? Je höher der Bauherr in der sozialen Hierarchie stand, desto beeindruckender, prächtiger und staunenswerter musste das Gebäude sein. Um dies zu erreichen, standen prinzipiell zwei Mittel zur Verfügung: Zum einen gab es die Vorstellung, dass die Anlage eines Gebäudes oder eines Ensembles sich nach bestimmten Vorbildern aus der Bühnenkunst konzipieren ließ, die ihrerseits unter der Prämisse optimaler Darstellung der Akteure erdacht und ausprobiert worden waren (vgl. Kap. 1.2). Zum anderen konnten durch die Wahl von Proportionen, mit denen die Teile konstruiert und das Ensemble als Ganzes angeordnet wurde, Gefühlsregungen (wie beispielsweise Staunen und Faszination) erzeugt werden, die die Betrachter begeisterten (vgl. Kap. 1.3). Henry Wotton, einer der ersten Architekturtheoretiker Englands, schrieb 1624: „In truth a sound piece of good Art, where the Materials being but ordinarie stone without any garnishment of sculpture, doe yet rauish the Beholder, (and hee knowes not how) by a secret Harmony in the Proportions.“ (Wotton: 12). Wotton deckte dieses Geheimnis dann mit Verweis auf Pythagoras – „where it was a fundamentall Maxime, that the Images of all things are latent in Numbers“ (Wotton: 53) – auf und folgerte, dass die anmutigsten Proportionen (etwa zwischen der Breite und Höhe eines Fensters oder Gebäudes) „Symmetrie to Symphonie“ verwandelten, „and the harmonie of Sounde, to a kinde of harmonie in Sight“ (ebenda). Vereinfacht gesagt: Die Kontemplation der Proportionen eines Gebäudes versetzt das Gemüt, die Seele des Betrachters in ähnliche Schwingungen wie die Harmonien der Musik: Proportionen, die als Töne (Oktave, Quinte, Quarte usw.) den Hörer (bzw. sein Ohr) erfreuen, ehrfürchtig werden lassen oder zu Tränen rühren, werden, wenn sie die Form und Anordnung von Säulen, Giebeln, Fenstern, Sälen, Häusern und Palästen u.a.m. bestimmen, auch von seinen Augen als wohlgefällig, Ehrfurcht heischend oder schmerzlich empfunden. Dies war der Anspruch, an dem sich die Architekten und Baumeister der Renaissance und des Barock messen lassen wollten. Die Anlagen der königlichen Paläste (wie z.B. in Greenwich und Hampton Court [vgl. Kap. 4.8]) profitierten ebenso von diesen Überlegungen wie die Planung und Bebauung der Londoner squares. Das „Spacing“ der Letzteren –

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bestimmt durch klar erkennbare Formen, ausgewogene Proportionen und einen freien Blick auf den Platz und die ihn rahmenden Gebäude – intendierte eine Nutzung, in der sich soziale Exklusivität mit ästhetischem Genuss und rationales Denken mit gesitteter Geselligkeit verbanden. Hier schufen Vertreter des Adels und des gehobenen Bürgertums sich eine Lebenswelt, in der sie sich und ihresgleichen sahen und von ihnen gesehen wurden, in der sie sich – Beifall heischend – in Szene setzen und ggfs. auch applaudieren konnten. Die „Syntheseleistungen“ zeitgenössischer in- wie ausländischer Besucher bezeugten, dass diese ‚Botschaft‘ nicht nur ankam, sondern auch als ausgesprochen nachahmenswert empfunden wurde. Entsprechende Entwicklungen – die Anlage von Plätzen, in der Folgezeit auch mit intensiverer Begrünung, die den Grad der Privatheit förderte – sind nicht nur in vielen größeren Städten Europas, sondern auch in Nordamerika zu verzeichnen. Es verwunderte also nicht, dass der Autor von The New State of England Under Their Majesties K[ing] William and Q[ueen] Mary schrieb: For Stateliness London may yield to Paris, but in point of Trade und Riches London far outdoes it. Yet for stately, strait, and capacious Streets, there are few finer than Cheapside, Cornhill, Lombard-street, Fleet-street, Hatton-Garden, Pall-Mall, and several others, especially near the Court. Nor is there any foreign City that can shew so many Piazzas or fine Squares, such as Lincolns-Inn Fields, Lincolns-Inn Square, Grays-Inn, Red-Lyon, and Southampton Squares, the Golden Square, King’s Square in Soho, S. James’s Square, Leicester-Fields, and Covent-Garden. The first of which is chiefly noted for its Spaciousness, and King’s Square for its Stateliness. (Miège: Part I, 231)

Nachwort / Danksagung

Die vorliegende Studie ist das Ergebnis eines mehrjährigen Forschungsvorhabens, das von der Fritz Thyssen Stiftung großzügig finanziert wurde, so dass uns nicht nur Quellenstudien vor Ort, sondern auch eine gemeinsame Begehung der Städte und Plätze möglich war. Auch zu den Druckkosten hat die Fritz Thyssen Stiftung einen Zuschuss gegeben. Dafür sei herzlich gedankt. Ein besonderer Dank gebührt den Museen und Bibliotheken, in denen wir geforscht haben und deren Personal uns in unserer Arbeit unermüdlich unterstützt hat: die Biblioteca di archeologia e storia dell’arte, insbesondere Signora Perla Pedretti e Signore Giampaolo Bellardinelli und die Biblioteca Apostolica Vaticana, insbesondere Signora Ilaria Ciolli (Rom), die Bibliothèque nationale de France (Paris) und die British Library (London). Ohne Gunnar Hanke hätten Texte und Abbildungen nicht so ausgewogen ihre Plätze gefunden. Dem Team des transcript-Verlags verdanken wir eine reibungslose Produktion und ein pünktliches Erscheinen des Bandes. W.H. / U.H. / J.K.

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