Staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer umstrittenen Präventivmaßnahme [1 ed.] 9783428541232, 9783428141234

Die Publikation untersucht ein hierzulande wiederholt diskutiertes, aber noch nicht umgesetztes sicherheitspolitisches I

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Staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer umstrittenen Präventivmaßnahme [1 ed.]
 9783428541232, 9783428141234

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1247

Staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer umstrittenen Präventivmaßnahme Von Bijan Moini

Duncker & Humblot · Berlin

BIJAN MOINI

Staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1247

Staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer umstrittenen Präventivmaßnahme

Von Bijan Moini

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2013 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-14123-4 (Print) ISBN 978-3-428-54123-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-84123-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern und Großeltern

Vorwort In der Demokratie setzt sich der Wille der Mehrheit ungebremst durch – wenn diese sich nicht selbst Grenzen gesetzt hat. Die im deutschen Grundgesetz festgelegten Grenzen der Macht der demokratischen Mehrheit schützen nicht nur die Armen, die Schwachen und die Minderheiten, sondern auch die Ausgestoßenen, Verachteten und gar Gefährlichen. Es ist eine der größten Errungenschaften unserer Rechtsordnung, dass sie selbst jenen Schutz gewährt, die sie verletzt haben. Die Reichweite dieses Schutzes ist oft unklar. Der Respekt vor dem verfassten Willen des Souveräns und der hinter ihm stehenden Ethik aber zwingt, sich die zur Ergründung seiner Reichweite erforderliche Zeit des Nachdenkens einzuräumen – auch und gerade auf sensiblem Terrain. Ein solches Terrain beschreitet die vorliegende Arbeit. Sie ist ein Versuch, eine wissenschaftlich fundierte Erwiderung auf die dahingeworfene Forderung nach einem „Internetpranger für Sexualstraftäter“ zu formulieren. Der erste für eine Rationalisierung der Debatte erforderliche Schritt war die allgemein gehaltene Formulierung des Titels und der ebenso universal gehaltene Forschungsansatz: Nicht (nur) um Sexualstraftäter, sondern um alle Straftäter, nicht nur um den „Internetpranger“, sondern um alle Formen staatlicher Warnungen geht es deshalb auf den folgenden Seiten. Ich danke meinem geschätzten Doktorvater Prof. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier für seine Förderung nicht nur dieser Arbeit, sondern überhaupt meiner Person in den letzten Jahren. Ich wusste sie stets sehr zu schätzen. Herrn Prof. Dr. Christian Walter danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Des Weiteren bin ich für ihre fachliche Unterstützung Prof. Dr. Ferdinand Wollenschläger, Dr. Meinhard Schröder, Oliver Lohmann und Frank Zimmermann zu Dank verpflichtet. Dieselbe Unterstützung und noch viel mehr wurde mir durch Carolin Frey zuteil. Meiner Familie schließlich danke ich für alles, was man sich von einer Familie wünschen kann. Berlin, im April 2013

Bijan Moini

Inhaltsübersicht Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 III. Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 IV. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 A. Staatliche Warnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I. Formen staatlicher Informationstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 II. Die Dogmatik staatlicher Warnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 B. Der entlassene Straftäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 I. Der entlassene Straftäter als Träger von Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 II. Der entlassene Straftäter als Gefahrenquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 C. Verfassungsrechtliche Vorgaben für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 I. Gestaltungsmöglichkeiten staatlicher Warnsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 III. Kompetenzrechtliche Vorgaben des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 V. Vorschlag für ein verfassungsrechtlich zulässiges staatliches Warnsystem . . . . . . 222 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

10

Inhaltsübersicht

Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 III. Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 IV. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 A. Staatliche Warnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I. Formen staatlicher Informationstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 II. Die Dogmatik staatlicher Warnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Überblick zu staatlichen Warnungen in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Das Problem der Rechtsgrundlage für staatliche Warnungen . . . . . . . . . . . . . . . . 39 a) Der Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 b) Staatliche Warnungen als Eingriffe in Grundrechte bzw. als „Beeinträchtigungen“ von Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 c) Erfordernis einer einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage . . . . . . . . . . . 42 aa) Begrenzung des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 bb) Kritik der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 d) Anmerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen staatlicher Warnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 B. Der entlassene Straftäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 I. Der entlassene Straftäter als Träger von Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Der Zweck von Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

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Inhaltsverzeichnis 2. Die Rechte des entlassenen Straftäters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

II. Der entlassene Straftäter als Gefahrenquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Die Maßregeln der Besserung und Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 a) Zweck und Rechtfertigung der Maßregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 b) Die Führungsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 c) Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Individuelle Gefährlichkeitsprognosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Verfassungsrechtliche Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 b) Anforderungen an die Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 C. Verfassungsrechtliche Vorgaben für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 I. Gestaltungsmöglichkeiten staatlicher Warnsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 1. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 a) Die Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht im föderalen System der USA 64 b) Entstehungsgeschichte und Inhalt der maßgeblichen Gesetze auf Bundesebene 65 c) Gesetzliche Regelung in ausgewählten Bundesstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 aa) Minnesota . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 bb) Kalifornien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 cc) Florida . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2. Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3. Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

Inhaltsverzeichnis

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II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Eingriff in Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 a) Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 aa) Eingriff in das Recht auf Resozialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (1) Das Recht auf Resozialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (a) Rechtsprechung zu identifizierender Medienberichterstattung . . . 76 (b) Weitere bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum Recht auf Resozialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 (2) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (a) Der „Eingriff“ in der bisherigen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . 81 (b) Eingriff durch staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern . 84 (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 bb) Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . 87 (1) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (2) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (a) Erhebung und Verwendung von personenbezogenen Daten . . . . . . 89 (b) Der „Eingriff“ in der bisherigen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . 90 (c) Eingriff durch staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern . 92 (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 cc) Eingriff in das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre . . . 93 (1) Das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre . . . . . . . . . 94 (2) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 (a) Der „Eingriff“ in der bisherigen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . 96 (b) Eingriff durch staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern . 99 (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit . . . . . . . . . . . 100 aa) Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit . . . . . . . . . . . . . . . . 101 bb) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (1) Anknüpfungspunkt für den Eingriff bei Verletzungen durch Private . . 103 (a) Eingriff durch bloße Gefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (b) Eingriff infolge Zurechnung von Verletzungshandlungen Privater 105 (c) Nichterfüllung einer Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

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Inhaltsverzeichnis (2) Eingriff durch staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern . . . . 107 (a) Psychische Erkrankungen als unmittelbare Folge der Warnung . . 107 (b) Physische oder psychische Schäden durch Verhalten Privater . . . . 108 (c) Erhöhte Gefahr physischer oder psychischer Schäden . . . . . . . . . . 109 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 c) Eingriff in die Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 d) Eingriff in das Recht auf Gleichheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 e) Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 g) Das Konkurrenzverhältnis der tatbestandlich einschlägigen Grundrechte . . . . 112 aa) Die Grundrechtskonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 bb) Grundrechtskonkurrenzen bei staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 (1) Das Konkurrenzverhältnis der Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (a) Das Verhältnis der Einzelausprägungen zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (b) Das Verhältnis der Einzelausprägungen untereinander . . . . . . . . . 118 (2) Das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Recht auf Resozialisierung, dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie der allgemeinen Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 h) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Erforderlichkeit einer Rechtsgrundlage bei staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Anlass und Argumente zur Eingrenzung des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Übertragbarkeit der Gründe der Rechtsprechung auf staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 aa) Systematischer Charakter staatlicher Warnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 bb) Funktionales Äquivalent zu klassischem Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

III. Kompetenzrechtliche Vorgaben des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für Kriminalstrafen, Nebenstrafen und Nebenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

Inhaltsverzeichnis

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2. Die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das Maßregelrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG und die Maßregeln der Besserung und Sicherung . . . 129 b) Qualifikation staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern als Maßregel 130 aa) Qualifikationsmerkmale von Maßregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 bb) Einordnung einer Vorschrift zu staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3. Auffangkompetenz der Länder? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 a) Objektiv abschließende Regelung im Maßregelrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Subjektiv abschließende Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 aa) Äußerungen des Gesetzgebers in vergangenen Gesetzgebungsverfahren? 134 bb) Interpretation des gesetzgeberischen Schweigens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1. Die Menschenwürdegarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Die Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Verletzung der Menschenwürde durch staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 aa) Würdewidriges Anprangern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 (1) Die Prangerstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (2) Anprangernde Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 bb) Eingriff durch staatliche Warnung vor entlassenen Straftätern . . . . . . . . . 145 (1) Staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern als Prangerstrafe . . 145 (2) Würdewidrige anprangernde Wirkung von Warnungen vor entlassenen Straftätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Einhaltung der sogenannten Schranken-Schranken des Grundgesetzes . . . . . . . . 146 a) Einhaltung der Schranken-Schranken des Art. 103 Abs. 2 und 3 GG . . . . . . . 147 aa) Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Art. 103 Abs. 2 und 3 GG . . 147 (1) Der Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 und 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 147

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Inhaltsverzeichnis (2) Staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern als „Strafe“ i.S.d. Art. 103 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (a) US-amerikanische Diskussion zum Strafcharakter von staatlichen Warnungen vor entlassenen (Sexual-)Straftätern . . . . . . . . . . . . . . 149 (aa) Die Mehrheitsmeinung des U.S. Supreme Court . . . . . . . . . . 149 (bb) Die abweichenden Meinungen der Richter Stevens, Ginsburg und Breyer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (b) „Strafe“ i.S.d. Art. 103 Abs. 2 und 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (aa) Eigenständige Hauptstrafe, Nebenstrafe oder Nebenfolge . . . 154 (bb) Individuelle Gefährlichkeitsprognose als ausschlaggebendes Kriterium für den (fehlenden) Strafcharakter . . . . . . . . . . . . . 155 (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 bb) Einzuhaltende Schranken-Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (1) Das Gesetzlichkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (2) Das Rückwirkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (3) Das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (4) Das Doppelbestrafungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 b) Einhaltung des allgemeinen Bestimmtheitsgebots und Beachtung des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 aa) Das allgemeine Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 bb) Der Grundsatz des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 c) Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 aa) Legitimes Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 bb) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (1) Abstrakte Erörterung der Wirkungsweise von staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (a) Wirkungen staatlicher Warnungen auf die entlassenen Straftäter selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (aa) Die Rückfallquote reduzierende Wirkungen staatlicher Warnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (a) Drei Wirkungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (b) „Angst“ der Adressaten als Voraussetzung für die Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (aa) Art der Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (bb) Schwere der Straftaten als Voraussetzung für Wirksamkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

Inhaltsverzeichnis

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(cc) Unfähigkeit zur Begehung weiterer Straftaten . . . . . 172 (c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (bb) Der Reduzierung der Rückfallquote entgegenstehende Wirkungen staatlicher Warnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (b) Wirkungen staatlicher Warnungen auf potentielle Straftäter . . . . . 174 (c) Wirkungen staatlicher Warnungen auf das Sicherheitsgefühl Einzelner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (2) Tatsächliche Wirkungen staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (a) Verhinderung von Straftaten durch entlassene Straftäter . . . . . . . . 176 (aa) Erkenntnisse aus der US-amerikanischen Forschung zum Einfluss staatlicher Warnungen auf die Rückfallwahrscheinlichkeit von Sexualstraftätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (bb) Allgemeine Schlussfolgerungen für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (b) Verhinderung von Straftaten durch andere Personen . . . . . . . . . . . 180 (c) Steigerung der subjektiven Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 cc) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (1) Gleich wirksame Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (a) Alternative präventive Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (aa) Maßregeln der Besserung und Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (bb) Sonstige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 (b) Alternative Ausgestaltungsmöglichkeiten von Warnsystemen . . . . 186 (aa) Gleiche Wirksamkeit bei unterschiedlichem Anwendungsbereich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (bb) Gleiche Wirksamkeit bei unterschiedlichen Adressatenkreisen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (cc) Gleiche Wirksamkeit bei unterschiedlichen Verfahren? . . . . . 189 (dd) Gleiche Wirksamkeit bei unterschiedlicher Form? . . . . . . . . 190 (ee) Gleiche Wirksamkeit bei unterschiedlicher Dauer? . . . . . . . . 191 (c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (2) Mildere Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (a) Alternative präventive Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (b) Verschiedene Ausgestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

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Inhaltsverzeichnis dd) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (1) Ansichten zur Abwägung in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . 195 (a) Gerichtliche Abwägungsentscheidungen in vergleichbaren Fällen 195 (b) Literatur zu staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern . . 197 (c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (2) Abstrakte Bewertung der widerstreitenden Interessen . . . . . . . . . . . . . 198 (3) Fünf Kriterien mit Relevanz für die Angemessenheitsprüfung . . . . . . 200 (a) Angemessener Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (aa) Eingrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs . . . . . . . . . 201 (bb) Eingrenzung des persönlichen Anwendungsbereichs . . . . . . . 201 (b) Angemessener Adressatenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (c) Angemessenes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 (d) Angemessene Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 (aa) Aktive oder passive Warnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 (bb) Warnungen unterschiedlichen Umfangs . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (e) Angemessene Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (4) Verbleibende Bedenken und Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (a) Unbeherrschbarkeit und Schwere der Folgen staatlicher Warnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (b) Lösungsansatz: Strafandrohung für die Weitergabe von Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 ee) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 4. Einwilligung in staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern . . . . . . . . . . . . 212 a) Die Einwilligung in hoheitliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 aa) Dispositionsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 bb) Freiwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 cc) Beachtung der Schranken der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 b) Zulässigkeit staatlicher Warnungen mit Einwilligung des entlassenen Straftäters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 aa) Dispositionsbefugnis des Straftäters über seine Grundrechte . . . . . . . . . . . 218 bb) Prüfung der Zulässigkeit verschiedener Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . 219 (1) Staatliche Warnungen als Alternative zur Haftstrafe . . . . . . . . . . . . . . 219

Inhaltsverzeichnis

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(2) Staatliche Warnungen als Alternative zu Weisungen im Rahmen der Bewährung oder Führungsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 V. Vorschlag für ein verfassungsrechtlich zulässiges staatliches Warnsystem . . . . . . . . . 222 1. Ausgestaltung der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 2. Verfassungskonforme Handhabung im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. ABl. Abs. abw. a.F. AG Alt. Anm. AöR Art. Aufl. Az. BAG BAGE BayObLG BayVBl. BB Bd. BeckOK zum GG BeckRS Beschl. BGB BGBl. I; II BGH BGHSt BGHZ BT BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzgl. bzw. ca. CDU ders. DÖV DVBl.

anderer Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt Absatz abweichend alter Fassung Amtsgericht Alternative Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Auflage Aktenzeichen Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Betriebsberater. Zeitschrift für Recht und Wirtschaft Band Beck’scher Online-Kommentar zum Grundgesetz Beck’sche Rechtsprechungssammlung (beck-online) Beschluss Bürgerliches Gesetzbuch v. 18. 8. 1896 Bundesgesetzblatt Teil I; Teil II Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundestag Drucksachen des Deutschen Bundestags Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich beziehungsweise circa Christlich-Demokratische Union Deutschlands derselbe Die Öffentliche Verwaltung. Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungspolitik Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis EGMR EMRK etc. EU EuGH EuGRZ evtl. f. ff. Fn. FS G. GA gem. Ges. ggf. grds. h.L. h.M. hrsg. Hrsg. HS i. d. R. i.d.S. i. e.S. insbes. i.S.v. Isensee/Kirchhof, HbStR i.V.m. JA JR JURA JuS JZ KG Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen, StGB KJ Komm. krit. LG lit. Lit. m.a.W. Merten/Papier, HbGR MMR

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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention et cetera Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechte-Zeitschrift eventuell folgende (Seite; Randnummer) fortfolgende (Seite; Randnummer) Fußnote Festschrift Gesetz Goltdammer‘s Archiv für Strafrecht (Zeitschrift) gemäß Gesetz gegebenenfalls grundsätzlich herrschende Lehre herrschende Meinung herausgegeben Herausgeber Halbsatz in der Regel in diesem Sinne im engeren Sinne insbesondere im Sinne von Isensee, Josef/Kirchhof, Paul (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Heidelberg in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Juristische Rundschau (Zeitschrift) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung, Tübingen Kammergericht Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, Baden-Baden Kritische Justiz (Zeitschrift) Kommentar kritisch Landgericht Littera Literatur mit anderen Worten Merten, Detlef/Papier, Hans-Jürgen (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Heidelberg MultiMedia und Recht (Zeitschrift)

22 MSchKrim m.w.N. Nds., nds. n.F. NJW NordÖR Nr. NStZ NuR NVwZ o. ä. OLG OVG RG RGSt RGZ Rn. Rspr. S. s.a. sog. str. st. Rspr. u. a. Urt. usw. u. U. v. VBlBW VersR VerwArch VG VGH vgl. VuR VVDStRL z. B. Ziff. ZLR ZRP ZStW zust.

Abkürzungsverzeichnis Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform mit weiteren Nachweisen Niedersachsen, niedersächsisch neue(r) Fassung Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Natur und Recht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht oder ähnlich Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Randnummer(n) Rechtsprechung Seite siehe auch sogenannt(e, er, es) streitig ständige Rechtsprechung unter anderem; und andere Urteil und so weiter unter Umständen vom Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Zeitschrift für Versicherungsrecht Verwaltungsarchiv. Zeitschrift für Verwaltungslehre, Verwaltungsrecht und Verwaltungspolitik Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verbraucher und Recht (Zeitschrift) Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer zum Beispiel Ziffer Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft zustimmend

Einführung „On the breast of her gown, in fine red cloth, surrounded with an elaborate embroidery and fantastic flourishes of gold thread, appeared the letter A.“ (Nathaniel Hawthorne, The Scarlet Letter)

Hester Prynne, die Hauptfigur in Nathaniel Hawthornes Roman „The Scarlet Letter“1, hat ein im puritanischen Amerika des 17. Jahrhunderts gravierendes Verbrechen begangen: Ehebruch. Ihre Strafe: drei Stunden am Pranger stehen und fortan einen sie als Ehebrecherin identifizierenden, scharlachroten Buchstaben auf der Brust tragen. Es folgt eine lange Zeit der gesellschaftlichen Ächtung der stigmatisierten Frau und ihres mit dem Liebhaber gezeugten Kindes, die Hester Prynne in abgemilderter Form bis in ihren Tod begleitet. Das Hester Prynne Vorgeworfene ist heute kein Straftatbestand mehr2 und die Prangerstrafe wurde in Deutschland nach der Revolution 1848/49 abgeschafft3. Öffentliche Bloßstellungen aber sind aus dem modernen öffentlichen Leben nicht verschwunden; sie nehmen nur neue Formen an, die meist von Privaten gewählt werden. Denn die öffentliche Anprangerung ist heute ohne großen Aufwand und sogar anonym so gut wie jedermann möglich, insbesondere über das Internet. So werden dort Produkte4, Lehrer5 und Professoren6 bewertet7 und vermeintliche 1

In der deutschen Übersetzung: „Der scharlachrote Buchstabe“. Jedenfalls nicht hierzulande. In den USA kommt es noch immer zu gelegentlichen Verurteilungen wegen Ehebruchs; vgl. Turley, The Washington Post 5. September 2004, B01 ff., der von einem Fall in Virginia erzählt, in dem ein ehebrechender Mann von seiner enttäuschten Liebhaberin angezeigt und zu 20 Stunden ,Community Service‘ verurteilt wurde. 3 § 139 der – nie in Kraft getretenen – Paulskirchenverfassung lautete: „Die Todesstrafe (…) sowie die Strafen des Prangers, der Brandmarkung und der körperlichen Züchtigung, sind abgeschafft.“ Gleichwohl wurde die Prangerstrafe z. B. in Flensburg noch bis ins Jahr 1864 hinein praktiziert, vgl. Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 27; in den USA kommt sie gerade wieder in Mode, vgl. etwa Tagesschau Online v. 17. 11. 2012, online unter http://bit.ly/ T6Bs5p (Stand: 14. 04. 2013); zur Prangerstrafe näher unten Hauptteil – C.IV.1.b)aa)(1). 4 Unter der Vielzahl an Bewertungsportalen sei nur das Internetportal des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, www.lebensmittelklarheit.de, genannt, das auf Täuschungen von Verbrauchern aufmerksam machen will; dazu krit. Hassemer, FS Achenbach, 2011, S. 107 ff. 5 Dazu die sog. „spickmich.de“-Entscheidung des BGH, BGHZ 181, 328 ff., bestätigt durch BVerfG, Beschl. v. 16.08.2010 – 1 BvR 1750/09. Aus der Vielzahl an Literatur vgl. nur Kaiser, NVwZ 2009, 1474 ff. 6 Vgl. LG Berlin, CR 2007, 742. 7 Für weitere gerichtlich beurteilte Bewertungsportale vgl. die Aufzählung bei Höhne, Anm. zu BVerfG, Beschl. v. 16.08.2010 – 1 BvR 1750/09, jurisPR-ITR 5/2011, Anm. 6. 2

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Einführung

Schuldner von ihren Gläubigern als solche öffentlich gemacht8, Linke stellen die Namen mutmaßlicher Neonazis ins Netz und Aktivisten nennen dort Anwender von Tierversuchen9. Der Pranger hat also seine Anziehungskraft nicht verloren. Allein der Staat muss sich vor ihm hüten – jedenfalls vor seinem Einsatz als Strafe. Jenseits dieses Dogmas10 aber wird auch der Staat aktiv und greift zu Maßnahmen mit „prangerähnlicher“ Wirkung. In Deutschland beschränkt sich dies in der Regel auf die Anprangerung von Unternehmen, insbesondere im Zusammenhang mit Verbraucherwarnungen11, oder Zusammenschlüssen von Personen12 und betrifft in aller Regel keine Individuen13. Zumindest noch nicht. Denn es haben sich in jüngerer Zeit Stimmen erhoben, die staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern fordern, wie sie in den USA für Sexualstraftäter schon seit 20 Jahren gängige Praxis sind.

I. Hintergrund Alle US-amerikanischen Bundesstaaten registrieren aus der Haft entlassene Sexualstraftäter und geben deren personenbezogene Daten der Öffentlichkeit in unterschiedlichem Umfang preis, teilweise sogar durch eine frei zugängliche Veröffentlichung im Internet.14 Dadurch soll erreicht werden, dass die Personen im sozialen Umfeld eines entlassenen Sexualstraftäters Schutzmaßnahmen gegen diesen einleiten und so weitere von ihm ausgehende Verbrechen unterbinden können. Inwieweit dieses Ziel tatsächlich erreicht wird, ist indes umstritten.15 Die Idee staatlicher Warnungen vor entlassenen (Sexual-)Straftätern findet hierzulande gleichwohl Gefallen. Im Zusammenhang mit den – in Folge der 8 Vgl. OLG Rostock, CR 2001, 618, sowie umfassend (noch zur nicht internet-gestützten Anprangerung von Schuldnern) Edenfeld, JZ 1998, 645 ff. Auch staatlicherseits wurde die öffentliche Anprangerung säumiger Schuldner als Mittel zur Eintreibung eingesetzt. So berichtete der Spiegel in seiner Ausgabe vom 28. 08. 1995 (Heft 35/1995) auf S. 20 von grellen Zetteln mit der Aufschrift „Vollstreckungsbehörde“ auf den Frontscheiben der Autos betroffener Bürger. 9 Für weitere Beispiele aus dem Bereich des Internets vgl. NZZ Online v. 21. 01. 2009, online unter http://bit.ly/KcVoli (Stand: 13. 04. 2013). 10 Vgl. dazu unten C.IV.1.b)aa)(1). 11 Vgl. BVerfGE 105, 252 ff. – Glykol. In jüngerer Zeit sorgte der Fall der sog. „Pankower Ekelliste“ für Aufmerksamkeit; darin führt das Bezirksamt Pankow von ihm festgestellte Hygieneverhältnisse auf (dazu statt vieler Wollenschläger, VerwArch 2011, 20 ff.). 12 Wie bei den berühmt gewordenen „Sekten-Warnungen“ der Bundesregierung, vgl. BVerfGE 105, 279 ff. – Osho, bzw. BVerwG, NJW 1989, 2272 ff. – Transzendentale Meditation, sowie BVerwG, NJW 1991, 1770 ff. – Osho. 13 Zu alldem vgl. unten A. 14 Zu den Einzelheiten vgl. unten C.I. 15 Vgl. dazu näher unten C.IV.2.c)bb).

I. Hintergrund

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Rechtsprechung des EGMR16 – aus der Sicherungsverwahrung zu entlassenden Straftätern forderte am 8. August 2010 der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt, in Deutschland vor solchen Personen öffentlich zu warnen.17 Die Bundestagsabgeordneten Norbert Geis sowie Reinhard Grindel verlangten daraufhin, die Zulässigkeit entsprechender Maßnahmen zu prüfen.18 Wendt wiederholte seine Forderung im Juli 2011, nachdem ein aus der Sicherungsverwahrung entlassener Sexualstraftäter in Dortmund ein Mädchen missbrauchte; sein neuerlicher Vorstoß wurde diesmal vom brandenburgischen CDU-Landtagsabgeordneten Sven Petke unterstützt19. Solche Gedanken sind in Deutschland bereits häufiger formuliert worden. So hatte Günther Beckstein, seinerzeit bayerischer Innenminister, im Februar 2006 verkündet, er lasse prüfen, „ob erweiterte Informationsmöglichkeiten an die Öffentlichkeit über Wiederholungs-Sexualstraftäter bei uns rechtlich zulässig und zum Schutze von Kindern zweckmäßig“ seien.20 Der bereits erwähnte Petke erhob schon 2007 nach dem Mord an einer Neunjährigen aus Leipzig die Forderung nach einem Internetpranger.21 Die wiederkehrenden Vorstöße für die Einrichtung eines Internetprangers verliefen jedoch bislang im Sand.22 Trotzdem dürfte die Frage nach der Zulässigkeit von staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern noch an Brisanz gewinnen: Denn dem EGMR23 folgend stellte das BVerfG mit Urteil vom 4. Mai 2011 fest24, dass die Vorschriften über die Anordnung und Dauer der Sicherungsverwahrung mit dem Freiheitsgrundrecht der Untergebrachten nicht vereinbar sind, weil sie den Anforderungen des sog. Abstandsgebots nicht genügten25. Zwar traf das BVerfG eine Übergangsregelung bis zum 31. Mai 2013, wodurch ein Regelungsvakuum vermieden wurde. Allerdings hatten daraufhin insbesondere solche Sicherungsver16

Urt. v. 17.12.2009 – 19359/04 M. ./. Deutschland = NJW 2010, 2495 ff. Bild.de v. 8. 08. 2010, online unter http://bit.ly/KcVKZ3 (Stand: 13. 04. 2013). 18 NZZ Online v. 9. 08. 2010, online unter http://bit.ly/KcVYPU (Stand: 13. 04. 2013). 19 Märkische Oderzeitung v. 20. 07. 2011, online unter http://bit.ly/KsxqAr (Stand: 13. 04. 2013). 20 SPIEGEL ONLINE v. 18. 02. 2006, online unter: http://bit.ly/KTJmLf (Stand: 13. 04. 2013); beck-aktuell, Nr. 170477, Beckstein lässt Daten-Veröffentlichung von Sexualstraftätern prüfen. 21 Netzeitung v. 1. 03. 2007, online unter http://bit.ly/L3cS2 J (Stand: 13. 04. 2013). 22 So wurde der Vorstoß von Rainer Wendt aus dem Jahre 2010 sowohl vom Bundesministerium der Justiz als auch vom Bundesministerium des Innern zurückgewiesen, vgl. SPIEGEL ONLINE v. 9. 08. 2010, online unter http://bit.ly/9actOl (Stand: 13. 04. 2013); die Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger erneuerte ihre Auffassung von der Unvereinbarkeit staatlicher Warnungen mit dem Rechtsstaat auch gegenüber Wendts Äußerungen aus dem Jahr 2011, vgl. MMR-Aktuell v. 28. 11. 2011, Ausgabe 14. 23 Vgl. oben Fn. 16. 24 BVerfGE 128, 326 ff. – EGMR Sicherungsverwahrung. 25 BVerfGE 128, 326, 374 ff. 17

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Einführung

wahrte, die bislang auf Grund nachträglich angeordneter oder nach dem 27. Januar 1998 über die bis dato geltende Höchstdauer von zehn Jahren verlängerter Sicherungsverwahrung eingesperrt blieben, bessere Chancen auf eine Entlassung. Und auch darüber hinaus war in Anbetracht der nunmehr strengeren Kriterien für eine Sicherungsverwahrung zu erwarten, dass deutlich weniger für gefährlich befundene Straftäter dauerhaft eingesperrt bleiben würden. Deshalb kam dem Thema der Sicherungsverwahrung und insbesondere der Frage, was mit den ehemals Sicherungsverwahrten geschehen soll, große Aufmerksamkeit durch die Öffentlichkeit zu. Ähnliches dürfte bald für jene Straftäter gelten, die zwar nach altem Recht in der Sicherungsverwahrung untergebracht worden wären, nach neuem Recht aber nicht. Dass dies auch starke Emotionen weckt, liegt zumindest im Falle entlassener Sexualstraftäter auf der Hand. Es überrascht deshalb kaum, dass in Einzelfällen bereits Informationen über entlassene Straftäter an die Öffentlichkeit gelangten. So nahmen im Frühjahr 2009 die Behörden im rheinischen Heinsberg die Dinge selbst in die Hand: Die örtliche Polizei gab auf Anordnung des Landrats eine Warnung vor einem 57-jährigen Mann aus, der kurze Zeit zuvor nach 14 Jahren aus der Haft entlassen worden und nach Heinsberg gezogen war, um dort bei seinem Bruder unterzukommen.26 Bekanntgegeben wurden der Vorname, das Initial des Nachnamens und das Alter des Betroffenen sowie der Ortsteil von Heinsberg, in dem er sich aufhielt. Die von den Medien bekannt gemachte behördliche Maßnahme billigte das Innenministerium Nordrhein-Westfalens offenbar als „vertretbar“; denn die veröffentlichten Informationen seien durch die vorangegangene Presseberichterstattung bereits bekannt gewesen.27 Nach massiven Protesten seitens der Bevölkerung und erfolglosen Versuchen, in eine Großstadt umzuziehen, kapitulierte der Betroffene und bat um seine Einweisung in eine geschlossene psychiatrische Anstalt.28 In einem ähnlich gelagerten Fall – ein zu entlassender Sexualstraftäter aus Schleswig-Holstein plante, sich in Bremen niederzulassen – erwog das LKA Bremen eine Warnung seines zukünftigen sozialen Umfelds. Es verwarf diese Überlegungen jedoch wieder unter Verweis auf fehlende rechtliche Möglichkeiten, mit einem Flugblatt oder ähnlichem an die Bevölkerung heranzutreten.29 Anders in Berlin: Polizeibeamte hatten Eltern angesprochen, die mit einem entlassenen Sexualstraftäter in derselben Hochhaussiedlung lebten und deren minderjährige Töchter of-

26 ZEIT ONLINE v. 20. 03. 2009, online unter http://bit.ly/JAnrtQ (Stand: 13. 04. 2013); etwas ausführlicher zu dem Fall Goldmann, KJ 2009, 282, 284 f. 27 Vgl. WELT ONLINE v. 8.03.2009, online unter http://bit.ly/LGmps5 (Stand: 13. 04. 2013). 28 SPIEGEL ONLINE v. 7.02.2011, online unter http://bit.ly/e3wkW4 (Stand: 13. 04. 2013). 29 Hamburger Abendblatt v. 27. 10. 2008, online unter http://bit.ly/KZGnhW (Stand: 13. 04. 2013).

I. Hintergrund

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fenbar in Kontakt zu dem Mann standen.30 Ein vergleichbarer Fall kam vor das VG Münster.31 In wieder anderen Fällen waren staatliche Warnungen gar nicht erforderlich, um die Bürger in Kenntnis von zugezogenen entlassenen Sexualstraftätern zu setzen.32 In diesem Zusammenhang ist der Fall des Hans-Peter M. besonders gut dokumentiert, der fast dreißig Jahre in der Sicherungsverwahrung untergebracht war und über den die ZEIT in einem Dossier berichtete33. Der Bericht schildert die Schwierigkeiten M.s im Alltag, von der Weigerung seiner Arbeitsvermittlerin, ihn weiter zu beraten, von den 100 Bewerbungen, auf die M. nie eine Antwort erhielt, von der Ausbildungseinrichtung, in der M. seine Ausbildung zum Elektroschweißer nur hätte ableisten dürfen, wenn er dazu von einem Polizisten in die 1,20 mal 1,20 Meter große Schweißkabine begleitet worden wäre, sowie von seinen weiteren Bemühungen und der dringenden Empfehlung seiner Psychiater, eine Arbeit aufzunehmen. Es wird berichtet von den Journalisten von Bild, Sat. 1 und RTL, die M. auflauerten, von den mühsamen Versuchen städtischer Angestellter in Hamburg, eine Wohnung für ihn zu finden, davon, wie M. von einer Bleibe zur nächsten gejagt wurde, zunehmend auch durch die immer rascher auf ihn aufmerksam werdende Bevölkerung – und von vielen anderen Widrigkeiten. In der Ortschaft Insel ein ähnliches Bild: Im Juli 2011 zogen zwei aus der Sicherungsverwahrung Entlassene zu, die in Freiburg – wo sie verwahrt worden waren – keine Bleibe finden konnten. Durch eine Indiskretion in der Verwaltung des Dorfes wurde die Identität der beiden bekannt. Es folgten ab September 2011 nahezu wöchentlich Proteste durch Dorfbewohner, unter die sich auch teils aggressive Neonazi-Gruppen aus der Region mischten und die bis in den Juni 2012 anhielten34 und Medien und Verwaltung sowie die Justiz des Landes Sachsen-Anhalt fortwährend beschäftigten35.

30 Vgl. WELT ONLINE v. 22. 01. 2010, online unter http://bit.ly/4GShrN (Stand: 13. 04. 2013). 31 Urt. v. 8.11.2007 – 9 K 1619/05; vgl. dazu näher unten C.IV.2.b)aa) sowie C.IV.2.c) dd)(3)(b). 32 So geschehen in der brandenburgischen Kleinstadt Joachimsthal, in der sich kurzerhand eine Bürgerinitiative gründete, die den Aufenthalt des mehrfachen Vergewaltigers Werner K. so schnell wie möglich beenden wollte. 33 DIE ZEIT vom 15. 12. 2011, S. 17 ff. 34 Vgl. Deutschlandfunk Online v. 10. 01. 2013, online unter http://bit.ly/13kmWvA (Stand: 13. 04. 2013). 35 So hat zuletzt das OVG Sachsen-Anhalt in dieser Sache einen Beschluss des VG Magdeburg bestätigt, wonach die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs nicht wiederherzustellen war, der sich gegen die Untersagung versammlungsrechtlicher Aktivitäten im unmittelbaren Wahrnehmungsbereich der Wohnung der entlassenen Straftäter richtete, Beschl. v. 25.04.2012 – 3 M 100/12; dabei stellte das OVG maßgeblich auf das Recht der entlassenen Straftäter ab, ihr Wohnhaus jederzeit betreten und verlassen und sich darin ungestört aufhalten zu können.

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Einführung

Insbesondere die letzten beiden Beispiele mögen erschütternd klingen. Was aber antworten auf die Frage „Habe ich denn kein Recht zu wissen, ob entlassene Sexualstraftäter in meiner Nachbarschaft leben oder nicht“? Ein schlichtes Nein kann kaum befriedigen, auch dann nicht, wenn sie durch die Intuition eines kontinentaleuropäisch geprägten Juristen untermauert wird. Denn was nützt juristische Intuition gegen das wohlgesetzte „Argument“ eines Populisten? Ausdrücklich haben sich in der deutschen Literatur mit dem Thema der staatlichen Warnung vor entlassenen Straftätern nur wenige befasst.36 Ob freilich dem besagten Populisten eine juristische Monografie wie die vorliegende Mäßigung abverlangen kann, muss bezweifelt werden. Sie mag aber über die vorhandenen Fachaufsätze hinaus eine Entscheidungsgrundlage für denjenigen bieten, der sich qua Amt oder von Berufs wegen dazu genötigt sieht, zu Forderungen nach der Einführung etwa eines „Internetprangers“ Stellung zu beziehen.

II. Untersuchungsgegenstand Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern – also mit einem hypothetischen Problem. Von dem Fall in Heinsberg und vergleichbaren Einzelfällen einmal abgesehen, gibt es in Deutschland keine systematischen staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern. Auf der Grundlage des geltenden Rechts ist auch kaum zu erwarten, dass sich eine solche Praxis etablieren wird: Die bestehenden länderrechtlichen Vorschriften – so viel darf vorweggenommen werden – dürften schon unter Kompetenzgesichtspunkten nicht anwendbar sein37 und knüpfen zudem an konkrete Gefahrenlagen an, die nicht Gegenstand dieser Arbeit sind38. Eine bundesrechtliche Rechtsgrundlage für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern aber besteht erst recht nicht und ist auch nicht entbehrlich.39 Welches methodische Vorgehen kommt nun in Betracht? Es wäre erstens möglich, eine Rechtsgrundlage zu formulieren, die in etwa den oben erwähnten politischen Forderungen entspricht – also etwa Warnungen vor aus der Sicherungsverwahrung Entlassenen –, um diese dann auf ihre Verfassungskonformität zu untersuchen. Der Nachteil dieses Ansatzes wäre, dass nur eine mögliche Rechtsgrundlage auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz durchleuchtet würde und die Zulässigkeit anderer Regelungsmodelle außer Acht bliebe. 36

Ausführlicher Waechter, VerwArch 92 (2001), 368 ff.; Baur/Burkhardt/Kinzig, JZ 2011, 131 ff.; Anders, JR 2011, 190 ff.; zu Einzelaspekten bzw. nur knapp Walther, MSchKrim 1997, 199 ff.; Goldmann, KJ 2009, 282 ff.; Beukelmann, NJW-Spezial 2011, 504 ff. 37 Vgl. dazu unten C.III. 38 Zur Abgrenzung des Themenbereichs sogleich unter C. 39 Vgl. dazu unten C.II.

III. Abgrenzung

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Diesem Nachteil begegnet ein alternativer Ansatz, der sich am besten anhand seiner ihn leitenden Fragestellung erklären lässt: Ist es im Rahmen des Grundgesetzes ganz grundsätzlich möglich, dass der Staat systematisch Warnungen vor entlassenen Straftätern ausspricht? Die Frage wäre also nicht, was das Grundgesetz konkret verbietet, sondern was es überhaupt gestattet. Entsprechend wäre die gesuchte Antwort, dass alle, nur bestimmte oder gar keine staatlichen Warnsysteme die Vorgaben des Grundgesetzes erfüllen können. Diese Herangehensweise wird wegen ihrer umfassenderen Aussagekraft der hiesigen Arbeit zugrundegelegt. Methodisch ist folglich derart vorzugehen, dass alle Vorgaben des Grundgesetzes herauszuarbeiten sind, die eine mögliche gesetzliche Regelung für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern erfüllen müsste. Hieraus ergibt sich dann unmittelbar, ob und ggf. in welchem Umfang eine Regelung für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern denkbar wäre.

III. Abgrenzung Der Titel dieser Arbeit gibt bereits einigen Aufschluss darüber, was nicht ihr Gegenstand ist. Vorliegend geht es um staatliche Informationstätigkeit. Aus der Betrachtung ausgeschlossen ist damit die Verbreitung personenbezogener Daten von entlassenen Straftätern durch Privatpersonen, möge sie auch öffentlich erfolgen.40 Ob solches Verhalten – sei es zum Schutz der adressierten Bevölkerung oder aus anderen Motiven – zulässig wäre oder nicht, ist nicht Gegenstand dieser Arbeit. Damit ist auch die individualisierte Medienberichterstattung über Straftaten ausgeschlossen, die bereits häufig Gegenstand juristischer Streitigkeiten war. Allerdings weist die Medienberichterstattung über zu entlassende oder entlassene Straftäter – im Gegensatz zur Berichterstattung über aktuelle Strafverfahren41 – einige Ähnlichkeiten zur hiesigen Konstellation auf.42 Entsprechend wird auf sie bei späterer Gelegenheit – namentlich bei der Erörterung des Rechts auf Resozialisierung von entlassenen

40 Zu denken wäre in diesem Zusammenhang etwa an eine Kampagne der – inzwischen nach einem Telefonabhörskandal aufgelösten – britischen Boulevardzeitung News of the World, die nach dem Tod der achtjährigen Sarah Payne im Jahr 2000 die „Naming and Shaming“Kampagne ins Leben rief, in der sie mutmaßliche Pädophile durch Veröffentlichung von Namen und Bild der Öffentlichkeit bekannt machte. Nachdem sich herausstellte, dass einige der Dargestellten tatsächlich unbescholtene Bürger waren, wurde die Kampagne wieder eingestellt. 41 Zur sog. Verdachtsberichterstattung vgl. z. B. den Überblick von Rau/Wulf, Kriminalistik 2010, 467 ff.; vgl. auch Molle, NStZ 2010, 331 ff., sowie Hohmann, NJW 2009, 881 ff., und schließlich Zabel, GA 2011, 347 ff.; aus der jüngeren verfassungsgerichtlichen Rspr.: BVerfGE 119, 309 ff.; BVerfG, NJW 2009, 350 ff.; BVerfG, NJW-RR 2010, 1195 ff. 42 Grundlegend BVerfGE 35, 202 ff. – Lebach.

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Einführung

Straftätern – eingegangen, ohne dass sie selbst zum Untersuchungsgegenstand würde.43 Ebenso wenig Gegenstand dieser Arbeit ist die Weitergabe von Informationen, die keinen Warncharakter haben. Warnungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie neben einer Information und einem Werturteil eine Form der Aufforderung enthalten, sich in Acht zu nehmen.44 Aus der Betrachtung herausgenommen sind somit Informationsübermittlungen, die keine Außenwirkung haben, sondern lediglich behördenintern erfolgen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang insbesondere die zum 1. Oktober 2006 in Bayern eingerichtete Haft-Entlassenen-Auskunfts-DateiSexualstraftäter (HEADS), die maßgeblich auf Art. 41 BayPAG basiert und im Wesentlichen den behördlichen Informationsaustausch verbessern und dadurch die Grundlagen für eine bessere Überwachung von für gefährlich befundenen Sexualstraftätern erlauben soll. Das System wurde von den meisten anderen Bundesländern kopiert, zwar im Detail mit Unterschieden und unter anderen Namen45, aber mit derselben Zielsetzung, nämlich das Rückfallrisiko von Sexualstraftätern zu verringern. Für die hiesige Fragestellung bleibt HEADS als ein mögliches milderes Mittel zu öffentlichen Warnungen interessant.46 Neben der Warnung interessieren aber auch die dieser notwendig vorgelagerten Schritte nicht näher – namentlich bleiben das Sammeln und das Speichern von Daten außen vor. Denn insoweit bestehen zwischen staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern und etwa HEADS oder den vielen anderen Datenbanken auf Bundes- und Landesebene keine Unterschiede; deren (erneute) rechtliche Untersuchung förderte entsprechend keine neuen Erkenntnisse zu Tage und ist deshalb entbehrlich. Weiter interessiert allein der entlassene Straftäter. Damit ist weder die Öffentlichkeit des Strafverfahrens noch die z. B. in Teilen der USA verbreitete Praxis, Datenbanken inhaftierter Straftäter zu veröffentlichen47, Gegenstand dieser Arbeit; ebenso wenig die Zulässigkeit von polizeilicher Ermittlungstätigkeit unter Inan-

43

Vgl. unten C.II.1.a)aa)(1)(a), dort auch ausführlich zum Lebach-Urteil. Ibler, FS Maurer, 2001, S. 145, 146 m.w.N. 45 So z. B. KURS = Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern (Niedersachsen, Nordrheinwestfalen, Baden-Württemberg); ARGUS = Auskunftsdatei rückfallgefährdeter Sexualstraftäter und Sicherheitsmanagement (Hessen); VISIR.rlp = Vorbeugendes Informationsaustauschsystem zum Schutz vor Inhaftierten und entlassenen Rückfalltätern (Rheinland-Pfalz); ISIS = Informationssystem zur Intensivüberwachung besonders rückfallgefährdeter Sexualstraftäter (Sachsen); KSKS = Kieler Sicherheitskonzept Sexualstraftäter (Schleswig-Holstein); Sachsen Anhalt: Maßnahmen zur Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung vor Straftaten von haftentlassenen rückfallgefährdeten Sexualstraftätern. 46 Entsprechend folgen dort nähere Erläuterungen, vgl. unten C.IV.2.c)cc)(1)(a)(bb). 47 Vgl. z. B. für den Bundesstaat Florida die Website www.dc.state.fl.us/ActiveInmates (Stand: 13. 04. 2013), auf der dem Besucher die Gelegenheit gegeben wird, die vollständige Liste aller derzeit in Florida inhaftierten Straftäter einzusehen, mitsamt Fotos und umfangreichen personenbezogenen Daten, darunter auch die Aufzählung der begangenen Straftaten. 44

III. Abgrenzung

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spruchnahme der Öffentlichkeit48. Klargestellt ist mit der Beschränkung auf Entlassene außerdem, dass es nur um solche Straftäter geht, die auf Grund der Schwere ihrer Tat eine Haftstrafe tatsächlich antreten müssen. Die Freiheitsstrafe i.S.d. §§ 38 f. StGB ist jenen Tätern vorbehalten, für die – auf Grund der Schwere der Tat oder der Person des Täters – eine etwaig im erfüllten Strafgesetz vorgesehene Geldstrafe ebenso wenig in Betracht kommt wie die sofortige Aussetzung der Haftstrafe zur Bewährung (vgl. § 56 StGB).49 Weniger gefährliche Straftäter sind also von vornherein ausgenommen. Außerdem gilt es hervorzuheben, dass nur der – bereits verurteilte und entlassene – Straftäter als solcher interessiert. Staatliche Warnungen sind im Rahmen dieser Arbeit nur von Interesse, soweit sie der abstrakten Gefahr begegnen wollen, die von einem entlassenen Straftäter ausgeht. Sofern eine Warnung vor einem entlassenen Straftäter ausgesprochen wird, weil dieser eine konkrete Gefahr für die Allgemeinheit oder bestimmte Personen ist, ist der Anknüpfungspunkt für die staatliche Warnung allein diese konkrete Gefahr; dass er bereits einmal – in ähnlicher oder anderer Sache – straffällig wurde, ist für die Warnung unerheblich50. Der Straftäter wird dann wie jede andere Person behandelt, von der konkrete Gefahren ausgehen. Für derlei Fälle, in denen Warnungen vor Einzelpersonen akut erforderlich sind – bspw. könnte jemand glaubhaft angekündigt haben, er werde nun losziehen und ein Massaker anrichten; ob er bereits zuvor eine Haftstrafe verbüßt hat oder nicht, macht dann für die Erforderlichkeit der staatlichen Warnung keinen Unterschied –, haben alle Länder in den jeweiligen Polizeigesetzen Rechtsgrundlagen zur Veröffentlichung personenbezogener Daten geschaffen51. Soweit ein Straftäter durch diese Vorschriften behandelt wird wie jeder andere, von dem eine konkrete Gefahr ausgeht, handelt es sich bei der staatlichen Warnung um Polizeirecht i. e.S., das hier nicht näher untersucht wird.52 Positiv formuliert interessieren nur Warnungen, mit denen auf die abstrakte, von einem Straftäter nach Entlassung ausgehende Gefahr reagiert wird, der Straftäter also als solcher zum Gegenstand einer Warnung gemacht wird – gerade weil er bereits Straftaten begangen hat.

48 In diesem Zusammenhang hatte im Jahr 2007 das OLG Celle darüber zu entscheiden, ob die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Internetforums durch die Polizei zur Aufklärung eines Kapitalverbrechens rechtmäßig war, wenn hierdurch ein konkreter Verdächtiger Anfeindungen und Vorverdächtigungen ausgesetzt wird, MMR 2008, 180 ff.; dazu – soweit es im hiesigen Kontext interessiert – unten C.IV.1.b)aa)(2). 49 Nur der Vollständigkeit halber sei noch auf die Möglichkeit einer Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 S. 1 StGB im Falle der Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe hingewiesen. 50 Allenfalls ist dieser Umstand ein Aspekt, der die konkrete Gefahr überhaupt erst begründet. 51 Art. 41 BayPAG; § 44 Nds. SOG, § 36 g BremPolG, § 41 SOG M-V; § 44 BWPolG; § 45 ASOG Bln; § 44 BbgPolG; § 21 PolDVG HA; § 23 HSOG; § 29 PoLG NRW; § 34 RpfPOG; § 34 SPolG; § 45 SächsPolG; § 28 SOG LSA; § 193 LVwG; § 41 THPAG. 52 Vgl. dazu Baur/Burkhardt/Kinzig, JZ 2011, 131, 136 f.

32

Einführung

Schließlich beschäftigt sich diese Arbeit mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern. Es wird also die Vereinbarkeit von derlei Warnungen mit dem deutschen Grundgesetz untersucht. Andere mögliche rechtliche Grenzen – wie insbesondere die von der EMRK gesetzten – bleiben außer Betracht.

IV. Gang der Untersuchung Diese Arbeit gliedert sich in drei Teile. Teil A. behandelt das Problem staatlicher Warnungen im Allgemeinen, das seit Mitte der 1980er-Jahre zunächst in tatsächlicher und in der Folge auch in rechtlicher Hinsicht kontinuierlich an Bedeutung gewonnen hat. Dabei wird es insbesondere um die Streitfrage gehen, ob und inwieweit staatliche Warnungen einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage bedürfen. In Teil B. wird näher auf den entlassenen Straftäter eingegangen als Träger bestimmter Rechte und potentielle Gefahrenquelle. Besondere Bedeutung, gerade im Kontext dieser Arbeit, kommt dabei dem Recht des entlassenen Straftäters auf Resozialisierung zu. In Teil C. der Arbeit schließlich führen beide einleitenden Überlegungen im Kern der Dissertation zusammen: der Entwicklung jener Anforderungen, die das Grundgesetz an staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern richtet. Eine kurze Darstellung der US-amerikanischen Praxis wird jenem Abschnitt als Einleitung dienen, um eine festere Vorstellung von den Ausgestaltungsmöglichkeiten staatlicher Warnsysteme zu erlangen. Neben Fragen nach der Erforderlichkeit einer Rechtsgrundlage und der Einhaltung der grundgesetzlichen Kompetenzordnung sind hernach eine Reihe materieller Anforderungen darzustellen, darunter jene aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip.

A. Staatliche Warnungen Staatliche Warnungen sind seit je Teil des öffentlichen Lebens.53 Erst im Zuge einer immer größer werdenden und kaum noch vom Einzelnen beherrschbaren Informationsflut54 allerdings griffen diese Warnungen auch spürbar in den Rechtskreis einzelner Grundrechtsträger ein, wurden also individualisiert. Durch letzteres wurden sie Gegenstand rechtswissenschaftlicher Diskussion. Vor Gericht spitzte sich diese Entwicklung erstmals im Urteil des BVerwG zur „Transzendentalen Meditation“ zu55, einer Glaubensgemeinschaft, die sich gegen die Bezeichnung als „Jugendsekte“ durch staatliche Stellen wehrte. Warnungen vor mutmaßlichen Jugendsekten blieben jedoch nicht der einzige Fall, in dem der Staat von seiner Autorität auf rein kommunikativem Wege Gebrauch machte; zur etwa selben Zeit sah er sich wiederholt gezwungen, den Bürger in seiner Eigenschaft als Verbraucher vor Gesundheitsgefahren zu warnen56. Dass sich Rechtsprechung und Literatur mit damit einhergehenden Rechtsfragen zu befassen hatten, liegt auf der Hand. Ziel dieses einführenden Abschnitts A. ist nicht eine umfassende Beschäftigung mit dem Thema staatlicher Informationstätigkeit oder auch nur staatlicher Warnungen im Besonderen. Dieses war bereits wiederholt Gegenstand umfangreicher wissenschaftlicher Forschung57, der wenig mehr als die Ergänzung um aktuelle Problemfälle58 hinzuzufügen wäre. Gleichwohl kann die über die Jahre entwickelte Dogmatik zu staatlichen Warnungen nicht einfach übergangen werden. Soweit ihre 53 Heintzen, in: Becker-Schwarze (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im öffentlichen Recht, 1991, S. 167 m.w.N.; vgl. auch Gusy, NJW 2000, 977. 54 Vgl. dazu näher Augsberg, DVBl. 2007, 733, 734 f. Noch einen anderen Aspekt betonte das BVerfG in seiner „Glykol“-Entscheidung: „[D]ie Bürger [erwarten] für ihre persönliche Meinungsbildung und Orientierung von der Regierung Informationen, wenn diese andernfalls nicht verfügbar wären. Dies kann insbesondere Bereiche betreffen, in denen die Informationsversorgung der Bevölkerung auf interessengeleiteten, mit dem Risiko der Einseitigkeit verbundenen Informationen beruht und die gesellschaftlichen Kräfte nicht ausreichen, um ein hinreichendes Informationsgleichgewicht herzustellen.“ (BVerfGE 105, 252, 269). 55 BVerwGE 82, 76 ff. 56 Vgl. dazu im Einzelnen unten A.II.1. 57 Vgl. nur die Dissertationsschriften Schmidt, Verhaltenslenkende Informationsmaßnahmen, 2003; Engel, Staatliche Informationstätigkeit, 2000; v. Danwitz, Produktempfehlungen, 2003; Spaeth, Grundrechtseingriff durch Information, 1995; vgl. auch die – etwas breiter aufgestellten – Habilitationsschriften Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991; Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, 1995; oder zum österreichischen Recht Feik, Öffentliche Verwaltungskommunikation, 2007. 58 Wie z. B. zur bereits erwähnten sog. „Pankower Ekelliste“, vgl. oben Fn. 11; weitere aktuelle Beispiele bei Schoch, NVwZ 2011, 193, 197, dort Fn. 56.

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A. Staatliche Warnungen

Erkenntnisse für die hiesige Fragestellung relevant werden, sind sie auf ihre Übertragbarkeit hin zu untersuchen. Auch wird für Problemkreise im Zusammenhang mit staatlichen Warnungen sensibilisiert. Deshalb folgen einer kurzen Darstellung der Formen staatlicher Informationstätigkeit kursorische Ausführungen zur Dogmatik staatlicher Warnungen.

I. Formen staatlicher Informationstätigkeit Der Staat dient dem Bürger. Zu diesem Zweck sind ihm von Verfassungs wegen umfangreiche Kompetenzen zugewiesen, von denen der Staat in der Regel in einem ersten Schritt durch die Schaffung weiterer, „einfacher“ Gesetze Gebrauch macht. Ein in verhältnismäßig geringem Maße kodifizierter Bereich ist der staatlicher Informationstätigkeit. Staatliche Informationstätigkeit unterscheidet sich von rechtsförmlichem Verwaltungshandeln insbesondere durch seinen mangelnden Regelungsgehalt: Während letzteres auf die Setzung von Rechtsfolgen abzielt, möchte erstere durch faktische Einwirkung das Verhalten der Adressaten beeinflussen.59 Diese Variante staatlichen Handelns kennt verschiedenste Formen und Ziele und trägt entsprechend viele Namen: Ankündigung, Appell, Aufklärung, Auskunft, Beratung, Empfehlung, Hinweis, Information, Mahnung, Stellungnahme, Warnung60, um nur einige zu nennen. Die Vielgestaltigkeit seiner Erscheinungsformen öffnet bereits einen Blick auf den großen Vorteil dieses staatlichen Instruments: Es ist flexibel und schließt Lücken an Stellen, an denen der Staat mit rechtsförmlichem Verwaltungshandeln nicht weiterkommt.61 In der wissenschaftlichen Diskussion haben sich drei Oberbegriffe für diese verhaltenslenkenden Informationsmaßnahmen62 herausgebildet: Aufklärung, Empfehlung und Warnung.63 Eine solche typisierende Eingrenzung der Begrifflichkeiten steht vor allem im Dienst der Entwicklung einer belastbaren Dogmatik.64 Die drei genannten Formen staatlicher Informationstätigkeit unterscheiden sich in erster Linie durch die Intensität der beabsichtigten Verhaltensbeeinflussung.65 59

Heintzen, NuR 1991, 301. Aufzählung nach Heintzen, NuR 1991, 301. 61 Für praktische Anwendungsbeispiele vgl. die Übersicht bei Schoch, in: Isensee/Kirchhof, HbStR, Band III, 3. Aufl. 2005, § 37 Rn. 57 ff. 62 Begriff von Schmidt, Verhaltenslenkende Informationsmaßnahmen, 2003, S. 9 ff. 63 Vgl. für diese Einteilung z. B. Engel, Staatliche Informationstätigkeit, 2000, S. 7 ff.; Schmidt, Verhaltenslenkende Informationsmaßnahmen, 2003, S. 27 ff.; Di Fabio, JuS 1997, 1; Leidinger, DÖV 1993, 925, 926 („Hinweise“ statt „Aufklärung“); Gröschner, DVBl. 1990, 619, 620; Böhm, JA 1997, 794 (jeweils „Information“ statt „Aufklärung“); Porsch, ZLR 2003, 175, 177 („Auskünfte“ statt „Aufklärung“). 64 Heintzen, in: Becker-Schwarze (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im öffentlichen Recht, 1991, S. 167, 185. 65 Leidinger, DÖV 1993, 925, 926; Gröschner, DVBl. 1990, 619, 621 f. 60

I. Formen staatlicher Informationstätigkeit

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Unter Aufklärung wird gemeinhin jene staatliche Informationstätigkeit verstanden, die den Bürger in die Lage einer selbstbestimmten Entscheidung versetzen soll, ohne dass dadurch Rechte Dritter in irgendeiner Weise betroffen werden. Sie hat generellen Charakter66 und ist – obschon mit ihr Wertungen verknüpft sind67 – aus Sicht von Grundrechtsträgern die schwächste Form der drei genannten Arten von Informationstätigkeit. Beispiele sind z. B. die AIDS/HIV-Aufklärung oder die AntiDrogen-Kampagnen. Einen Schritt weiter geht die Empfehlung. In ihr drückt der Staat durch Vermittlung von Informationen begründete Präferenzen für eine Verhaltensweise zulasten einer anderen aus. In dieser Konstellation wird typischerweise – und das ist das die Empfehlung von der Aufklärung unterscheidende Kriterium – der grundrechtlich geschützte Kreis eines Grundrechtsträgers zumindest berührt. Von der Empfehlung unterscheidet sich schließlich die Warnung wiederum durch ihre Intensität68 : Während der Staat bei ersterer dem Bürger die Bevorzugung einer bestimmten Verhaltensweise nur nahe legt, wird ihm bei letzterer der Vollzug der mit hoheitlicher Warnung belegten Verhaltensweise faktisch unmöglich gemacht. Denn warnt der Staat, so macht er dies in sehr konkreter Form und üblicherweise untermauert mit sachkundigen Argumenten. Der vernünftige Adressat wird die Warnung in der Regel ernstnehmen, während der durch sie betroffene Dritte typischerweise Schaden davonträgt. Von Warnungen in diesem (Rechts-)Sinne sind jedoch solche ohne Drittbezug zu unterscheiden, so z. B. Warnungen vor drohenden Umweltkatastrophen wie im Falle des Reaktorunfalls von Tschernobyl im Jahre 198669, bei Sturm- und Flutwarnungen oder gar bei Warnungen vor Gefahren in einem Verteidigungsfall70. Sie sind aus dem 66

Schmidt, Verhaltenslenkende Informationsmaßnahmen, 2003, S. 30. Anders Akkermann, Harmonisierung von öffentlichen Warnungen, 1998, S. 14, der allerdings von „Informationen“ im Gegensatz zu Warnungen und Empfehlungen spricht und zudem lediglich das Lebensmittelrecht in den Blick nimmt. 68 Gröschner, DVBl. 1990, 619, 621; Leidinger, DÖV 1993, 925, 926; Böhm, JA 1997, 794; a.A. Heintzen, in: Becker-Schwarze (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im öffentlichen Recht, 1991, S. 167, 176, der nach dem Ziel unterscheiden will, das mit einer staatlichen Äußerung verfolgt wird; a.A. auch Akkermann, Harmonisierung von öffentlichen Warnungen, 1998, S. 15 f., für den eine „konkrete Empfehlung, auf den Verzehr eines gesundheitsgefährdenden Lebensmittels zu verzichten, [] einer Warnung vor diesem Produkt gleich“ steht. Das überzeugt aber insofern nicht, als jede ,Empfehlung‘, die ebendiese Wirkung hat, eben eine ,versteckte‘ Warnung beinhaltet und dementsprechend wieder das Intensitätskriterium eine Vorrangstellung vor der bloßen Bezeichnung bzw. äußeren Darstellung einnimmt – was Akkermann im Übrigen selbst unter Verweis auf die gesetzlichen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB herausarbeitet. 69 Je konkreter jedoch die Warnung, desto eher können die Grundrechte Dritter betroffen sein, so z. B. im Falle der Warnung vor möglicherweise kontaminierten Milchprodukten; vgl. Ossenbühl, Behördliche Warnungen, 1986, S. 3 f. 70 Vgl. dazu § 6 Abs. 2 Gesetz über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes (ZSKG): „Die für die Warnung bei Katastrophen zuständigen Behörden der Länder warnen im Auftrage des Bundes auch vor den besonderen Gefahren, die der Bevölkerung in einem Verteidigungsfall drohen.“ 67

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A. Staatliche Warnungen

Begriff der staatlichen Warnung im rechtlichen Sinn von vornherein herauszunehmen, da sie ihre Wirkung allein im Verhältnis zwischen Staat und Adressaten entfalten.71 Im Rahmen dieser Arbeit interessiert entsprechend nur eine Kategorie staatlicher Informationstätigkeit: die der staatlichen Warnungen im Rechtssinne. Im Folgenden wird näher auf die sich um derlei Warnungen bislang rankenden dogmatischen Fragen eingegangen.

II. Die Dogmatik staatlicher Warnungen Die Diskussion um staatliche Warnungen in verschiedenen Lebensbereichen (1.) war in ihrer frühen Phase insbesondere eine Diskussion um den Eingriffscharakter solcher Informationstätigkeit. Die Frage, ob eine staatliche Maßnahme ein Grundrechtseingriff ist oder nicht, stellt sich insbesondere auch wegen des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes (2.a)). Dass durch die bloße Kundgabe von Informationen an Private in die Grundrechte anderer Privater eingegriffen werden könnte, liegt mit Blick auf die bloß mittelbare Beeinträchtigung der Grundrechtsträger zumindest nicht seit jeher auf der Hand (2.b)). Liegt aber ein Eingriff vor, so folgt aus dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes, dass es dazu einer Ermächtigungsgrundlage bedarf; über die Anforderungen an diese Ermächtigungsgrundlage besteht indes Streit (2.c)). Abgerundet wird dieser Abschnitt von einer kurzen Erörterung der Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit staatlicher Warnungen (3.).

1. Überblick zu staatlichen Warnungen in der Praxis Staatliche Warnungen sind schlicht-hoheitliche Maßnahmen des Staates72 zur Gefahrenabwehr.73 Ihre Effektivität hängt unmittelbar mit der Autorität zusammen, die der Bürger dem Staat gerade in Fällen der Warnung vor drohenden Gefahren gemeinhin zuschreibt.74 Behörden haben in der Vergangenheit im Namen des 71 Vgl. Heintzen, in: Becker-Schwarze (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im öffentlichen Recht, 1991, S. 167, 174 sowie insbes. S. 181, wo er derlei Warnungen als „NichtEingriffswarnung“ qualifiziert. 72 So schon PrOVGE 66, 316, 317 ff. – Milchuntersuchungen; vgl. weiter BVerwGE 71, 183, 186 – Transparenzlisten; Ossenbühl, Behördliche Warnungen, 1986, S. 12 f.; Akkermann, Harmonisierung von öffentlichen Warnungen, 1998, S. 11 m.w.N. Zur früheren Einordnung als Verwaltungsakt vgl. Stern, BayVBl. 1957, 86, 87 f. m.w.N. 73 Ossenbühl, Behördliche Warnungen, 1986, S. 3; Heintzen, in: Becker-Schwarze (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im öffentlichen Recht, 1991, S. 167, 176; Leidinger, DÖV 1993, 925, 926 m.w.N. 74 BVerwGE 71, 183, 194; 82, 76, 79; 87, 37, 43 f.; Ibler, FS Maurer, 2001, S. 145, 148 f.; vgl. auch BVerfGE 95, 173, 184 – Tabakwerbung –, sowie BVerfG, NJW-RR 2010, 1195, 1197; dazu Ibler, FS Maurer, 2001, S. 145, 149: „Man wird die Kraft dieser Warnungen vor allem

II. Die Dogmatik staatlicher Warnungen

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staatlichen Schutzauftrags75 in verschiedensten Konstellationen von diesem Instrument Gebrauch gemacht. Hieraus hat sich eine Reihe von Fallgruppen entwickelt, die je für sich genommen mehrfach Gegenstand von Gerichtsverfahren wurden. Die wohl bedeutendste Fallgruppe sind Warnungen vor Gefahren durch Verbraucherprodukte, insbesondere durch Lebensmittel.76 Hier warnt der Staat ausdrücklich oder verklausuliert vor dem Konsum bzw. der Verwendung bestimmter Güter, für gewöhnlich mit dem Argument, aus dem Verzehr bzw. der Benutzung drohten gesundheitliche Schäden. Derlei Warnungen waren schon früh Gegenstand von Gerichtsverfahren77 und Anlass für die erste umfassende dogmatische Auseinandersetzung des BVerwG mit den Problemen bei staatlichen Warnungen im Allgemeinen: Im Jahre 1985 hatte der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit eine Liste aller in Deutschland festgestellten diethylenhaltigen, d. h. nicht verkehrsfähigen Weine veröffentlicht. Die daraus folgenden erheblichen Absatzschwierigkeiten der Hersteller nicht nur von kontaminierten Weinen führten zur sog. Glykol-Entscheidung des BVerwG78, die vom BVerfG überprüft wurde79 ; beide Gerichte billigten die Liste. Im selben Jahr wandte sich die Firma Birkel erfolgreich gegen die Warnung des Regierungspräsidiums Stuttgart vor dem Verzehr bestimmter ihrer Teigwaren, die mit der Behauptung ihrer mikrobiellen Verunreinigung ergangen war.80 Es folgten weitere Fälle, so z. B. zu einem Warentest über Schweinemineralfuttermittel81, zum Dinitrobenzol-Gehalt des Wassers aus einer Heilwasserquelle82 oder zur Warnung vor fälschlich als rindfleischfrei deklarierten Wurstwaren auf dem Höhepunkt der BSE-Krise83. darauf zurückführen müssen, daß hier gut informierte und qualifizierte Amtswalter warnen, die nur dem Allgemeininteresse verpflichtet und deshalb besonders vertrauenswürdig sind.“ 75 Vgl. näher zum Bevölkerungsschutz als Staatsaufgabe Depenheuer, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 10/2008, Art. 87 a Rn. 1 ff. 76 Aus der umfangreichen Literatur seien genannt Akkermann, Harmonisierung von öffentlichen Warnungen, 1998; Dolde, Behördliche Warnungen, 1987; Berg, ZLR 1990, 565 ff.; Huber, ZLR 2004, 241 ff.; Spaeth, Grundrechtseingriff durch Information, 1995, S. 94 ff.; Murswiek, NVwZ 2003, 1 ff.; Schieble, VuR 2007, 401 ff.; Schoch, ZLR 2010, 121 ff.; Porsch, ZLR 2003, 175 ff; vgl. auch Di Fabio, JuS 1997, 1 bei Fn. 4 m.w.N. 77 So z. B. im Jahr 1913 vor dem Preußischen OVG, als sich betroffene Milchhändler gegen die polizeiliche Veröffentlichung der Ergebnisse einer amtlichen Milchuntersuchung in einer Tageszeitung wandten, PrOVGE 66, 316 ff. – Milchuntersuchung; oder im Jahr 1953, nachdem der Stuttgarter Oberbürgermeister öffentlich bekanntgab, das Innenministerium habe von Typhus betroffenen Landkreisen den Handel mit Endiviensalat verboten, BVerwGE 12, 87 ff. – Endiviensalat. 78 BVerwGE 87, 37 ff. – Glykol. Vgl. dazu Schoch, DVBl. 1991, 667 ff. 79 BVerfGE 105, 252 ff. – Glykol. 80 OLG Stuttgart, NJW 1990, 2690 – Birkel; vgl. näher Knitsch, ZRP 2003, 113, 114 f. 81 BVerwG, NJW 1996, 3161 f. – Warentest; dazu Schliesky, JA 1997, 284 ff. Zur zivilgerichtlichen Rspr. zu privater Produktkritik vgl. z. B. BGH, NJW 1976, 620; 1986, 981. 82 LG Göttingen, NVwZ 1992, 98 – Förster-Quellen. 83 LG Wiesbaden, NJW 2001, 2977.

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A. Staatliche Warnungen

Eng verwandt mit der Warnung vor Lebensmitteln sind solche vor anderen Verbraucherprodukten wie z. B. unsicheren technischen Geräten84. Im Lebensmittelrecht wie im Produktsicherheitsrecht schuf der Staat deshalb – teilweise in Erfüllung europarechtlicher Vorgaben85 – explizite Rechtsgrundlagen für staatliche Warnungen vor gefährlichen Lebensmitteln oder anderen Produkten (vgl. § 40 LFGB bzw. § 8 Abs. 4 S. 3 GPSG). In diesen Zusammenhang gehören schließlich auch Fälle des Gesundheitsrechts.86 In allen Konstellationen standen auf Seiten der durch die Warnung Betroffenen die klassischen Wirtschaftsgrundrechte, insbesondere die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG inmitten und waren gegen Belange des Gesundheitsschutzes abzuwägen. Anders gestaltet sich die grundrechtliche Spannungslage in einer weiteren bedeutenden Fallgruppe: So steht bei staatlichen Warnungen vor Glaubensgemeinschaften regelmäßig die in Art. 4 Abs. 1 GG garantierte Glaubensfreiheit im Streit. Insbesondere Warnungen vor religiösen Jugendsekten erlangten besondere Aufmerksamkeit. So führte die Warnung vor der „Transzendentalen Meditation“ zu vielzitierten Entscheidungen des BVerwG87 sowie des BVerfG88, die zum theoretischen Fundament für weitere Urteile in ähnlichen Zusammenhängen wurden89. Staatliche Warnungen finden sich auch im Bereich der Umweltpflege; allerdings sind die dortigen Fälle mit obigen Warnungen kaum zu vergleichen90. Denn hier warnt der Staat nicht vor unmittelbaren Gefahren für Individualrechtsgüter, sondern vor Gefahren für die Umwelt; er wird somit nur mittelbar zum Schutz der Bevöl84

Vgl. Schieble, VuR 2007, 401 ff. So z. B. Art. 10 VO (EG) 178/2002 (Lebensmittelsicherheit) oder Art. 6 Abs. 1 lit. e Ri. 92/59 EWG (Produktsicherheit). 86 Besondere Aufmerksamkeit erlangte der Fall der sog. Transparenzlisten, als eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission Listen von Arzneimitteln veröffentliche, die Rückschlüsse auf deren vermeintliche Qualität zuließen, BVerwGE 71, 183 ff. – Transparenzlisten. Vgl. auch BVerfG, NJW 1999, 3404 – Negativ-Liste. Zur bereits erwähnten sog. „Pankower Ekelliste“ zu den Hygieneverhältnissen in Gaststätten vgl. ausführlich Wollenschläger, VerwArch 2011, 20 ff. 87 BVerwGE 82, 76 ff. – Transzendentale Meditation. 88 BVerfG, NJW 1989, 3269 – Transzendentale Meditation. 89 So zu Warnungen vor der Osho-Bewegung (früher: Baghwan) BVerfG, NVwZ-RR 2002, 801; BVerwG, NJW 1991, 1770 – Baghwan I; BVerwG, NVwZ 1994, 162 – Baghwan II; BVerwGE 90, 112 ff. – Osho. Weiter OVG Berlin, NVwZ 1991, 798 – Vereinigungskirche; OVG Hamburg NVwZ 1995, 498 – Scientology; OVG Münster, NVwZ 1997, 302 – Scientology; BVerfG, NVwZ 1995, 471 – Universelles Leben; OVG Münster, NJW 1996, 3355 – Verein zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntnis. Vgl. näher Scholz, NVwZ 1992, 1152 ff.; Discher, JuS 1993, 463 ff.; Alberts, NVwZ 1994, 1150 ff.; Murswiek, NVwZ 2003, 1 ff.; sowie die Monografie von Schaub, Schutz kleiner Glaubensgemeinschaften, 2008. 90 Vgl. näher Ossenbühl, Behördliche Warnungen, 1986, S. 3, sowie für verschiedene Konstellationen Akkermann, Harmonisierung von öffentlichen Warnungen, 1998, S. 4 Fn. 15. Dort genannter Fall: Appell des Umweltbundesamtes an die Verbraucher, Waschverstärkertücher wegen ihrer umweltbelastenden Wirkung nicht zu kaufen. Weiter Lübbe-Wolff, NJW 1987, 2705 ff. 85

II. Die Dogmatik staatlicher Warnungen

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kerung tätig und nicht zur Gefahrenabwehr. In rechtlicher Hinsicht mit den oben aufgeführten staatlichen Warnungen verwandt sind jedoch Fälle, in denen der Staat Gruppierungen im Verfassungsschutzbericht erwähnt und sie damit ausdrücklich oder konkludent staatsgefährdender Tendenzen bezichtigt.91 Denn solche Bezichtigungen erfüllen auch eine Warnfunktion.92

2. Das Problem der Rechtsgrundlage für staatliche Warnungen In der Vergangenheit sahen sich Rechtsprechung und Literatur im Zusammenhang mit staatlichen Warnungen insbesondere einem großen Problem gegenüber: dem nach der Rechtsgrundlage für staatliche Warnungen. Im Kern geht es um die Frage, ob auch bei schlicht-hoheitlicher Informationstätigkeit der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes uneingeschränkte Anwendung findet. Dieser Grundsatz würde indes nur eingreifen, wenn staatliche Warnungen als Grundrechtseingriffe qualifiziert werden könnten. Hiervon ausgehend ist indes zwischen Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob es der Vorbehalt des Gesetzes erfordert, dass sich staatliche Warnungen auf eine einfachgesetzliche Ermächtigungsgrundlage stützen. a) Der Vorbehalt des Gesetzes Der Vorbehalt des Gesetzes ist ein allgemeiner Verfassungsgrundsatz, demzufolge der Staat in bestimmten Konstellationen nur auf Grund einer parlamentsgesetzlichen Grundlage handeln darf.93 Er begründet also eine formelle Rechtfertigungsvoraussetzung und ist wegen der daraus resultierenden Pflicht zur positiv91 Vgl. insbesondere die Verfassungsbeschwerde des Presseverlages „Junge Freiheit“, mit der sich dieser erfolgreich gegen den im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbericht geäußerten Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen wandte, BVerfGE 113, 63 ff. – Junge Freiheit (Kurzbesprechung bei Bertram, NJW 2005, 2890 ff.; ausführlich Murswiek, NVwZ 2006, 121 ff.); interessant auch der Fall einer Wählervereinigung, die durch die Freie und Hansestadt Hamburg im – auch online zugänglichen – Verfassungsschutzbericht als rechtsextremistisch eingestuft wurde, VG Hamburg, Urt. v. 13.12.2007 – 8 K 3483/06. Aus noch jüngerer Zeit VGH München, NVwZ-RR 2011, 62 – Linksextremismus. 92 VG München, BayVBl. 1980, 696, 697; Murswiek, NVwZ 2004, 769, 773 m.w.N. Zustimmend wohl BVerfGE 113, 63, 77 f. – Junge Freiheit. A.A. Voitl, Warnkompetenzen, 1994, S. 31 f., der darauf hinweist, in derlei Berichten werde nicht vor dem Beitritt in die genannten Organisationen gewarnt. Zuzustimmen ist ihm insofern, als ein solcher Effekt nicht Ziel der Verfassungsschutzberichte ist; gleichwohl dürfte ihnen eine entsprechende Wirkung zukommen. Überdies wird durch die Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht auch nicht nur vor einem Beitritt, sondern vor der Organisation an sich gewarnt, vgl. VGH Mannheim, VBlBW 2007, 340, 341. 93 Herzog/Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 12/2007, Art. 20 Abschn. VI Rn. 75; vgl. weiter zur Herleitung des Grundsatzes Rn. 97 ff.

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A. Staatliche Warnungen

rechtlichen Fundierung der Eingriffsvoraussetzungen die „vorgelagerte Verteidigungslinie der Grundrechte als Abwehrrechte“94. Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes ist zwar im Grundgesetz nicht explizit geregelt, wird aber teilweise aus den in den einzelnen Grundrechten verankerten Spezialvorbehalten abgeleitet95, nach a.A. als von Art. 20 Abs. 3 Hs. 2 GG vorausgesetzt erachtet96. Seine historischen Wurzeln findet dieser Grundsatz in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts „als verfassungspolitische Forderung des liberalen Bürgertums gegenüber den übermächtigen Monarchen“.97 Er hatte seinerzeit die Funktion, „den individuellen, gesellschaftlichen Bereich gegenüber der Machtfülle des Monarchen abzusichern“ und war insbesondere ein Vorbehalt für gezielte staatliche Eingriffe.98 Dieses Verständnis vom Vorbehalt des Gesetzes war Ausdruck eines antagonistischen Verhältnisses zwischen Staat und Bürger, das sich freilich im Laufe des 20. Jahrhunderts wandelte. Entsprechend ist die Funktion des Vorbehalts des Gesetzes heute differenzierter zu betrachten als noch im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts.99 Erfüllte er seinerzeit in erster Linie die rechtsstaatliche Forderung nach einer Herrschaft des Gesetzes, trat später die demokratische Forderung nach der Herrschaft des Parlaments in den Vordergrund.100 Nach Schaffung des Grundgesetzes fand diese Entwicklung ihren Ausdruck im von der Rechtsprechung entwickelten sog. Parlamentsvorbehalt nach Wesentlichkeitskriterien101, demzufolge der Gesetzgeber verpflichtet ist, in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen102. Der nun unmittelbar vom Bürger legitimierte Staat erlangte darüber hinaus einen erheblichen Zuwachs an Aufgaben, die er nicht mehr in einer durch das klassische Eingriffsverhältnis geprägten Weise erfüllen musste.103 Im Zuge dieses Wandels geriet auch das hergebrachte Verständnis vom Vorbehalt des Gesetzes unter Druck. Denn es war unklar, inwieweit dieser Grundsatz auch au94

Di Fabio, JZ 1993, 689, 691. Dazu krit. Herzog/Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 12/2007, Art. 20 Abschn. VI Rn. 98. 96 BVerfGE 40, 237, 248 f.; 49, 89, 126; Degenhart, 28. Aufl. 2012, Rn. 296; a.A. Herzog/ Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 12/2007, Art. 20 Abschn. VI Rn. 100; vgl. auch Pietzcker, JuS 1979, 710, 712 („in Art. 20 I und III verankert“). 97 Papier, in: Merten/Papier, Grundfragen der Grundrechtsdogmatik, 2007, S. 81, 96. 98 Papier, in: Merten/Papier, Grundfragen der Grundrechtsdogmatik, 2007, S. 81, 96. 99 Vgl. Herzog/Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 12/2007, Art. 20 Abschn. VI Rn. 104 m.w.N. 100 Kloepfer, JZ 1984, 685 f.; Lerche, in: Merten/Papier, HbGR Band III, 2009, § 62 Rn. 5. 101 Zur Wesentlichkeitstheorie vgl. BVerfGE 33, 1, 10 f.; 33, 125, 158; 34, 165, 192 f.; 41, 251, 259; 47, 46, 78 ff.; 49, 89, 126 f.; 68, 1, 109; 83, 130, 142; 98, 218, 251; 101, 1, 34; 123, 39, 78. 102 Dazu näher Degenhart, 28. Aufl. 2012, Rn. 312 ff.; Herzog/Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 12/2007, Art. 20 Abschn. VI Rn. 105 ff. 103 Kloepfer, JZ 1984, 685, 686. 95

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ßerhalb des klassischen Eingriffs – insoweit ist seine uneingeschränkte Geltung nach wie vor unbestritten104 – noch zur Anwendung kommen konnte. b) Staatliche Warnungen als Eingriffe in Grundrechte bzw. als „Beeinträchtigungen“ von Grundrechten Diese Frage nach dem Geltungsbereich und Inhalt des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes stellte sich der Rechtsprechung auch, als sie sich erstmals mit staatlichen Warnungen konfrontiert sah. Denn der Eingriffscharakter staatlicher Warnungen ist nicht ohne Weiteres zu bejahen105 : Das bereits erwähnte klassische Verständnis vom „Eingriff“ geht von einem hoheitlichen Rechtsakt aus, der final und unmittelbar die Grundrechtssubstanz beeinträchtigt und mit Befehl und Zwang angeordnet bzw. durchgesetzt wird.106 Eine staatliche Warnung hat jedoch keine Regelungswirkung und kann auch nicht zwangsweise durchgesetzt werden; auch wirkt sie nicht unmittelbar, sondern nur durch Reaktionen seitens der Adressaten der Warnung. Sie ist also kein klassischer Grundrechtseingriff. Dieses klassische Verständnis vom Eingriffsbegriff konnte sich jedoch angesichts eines sich immer weiter von seinen liberalen Wurzeln weg und hin zu einem sozialen Rechtsstaat entwickelnden Deutschland nicht halten.107 Besonders im Bereich der Leistungsverwaltung und des Wirtschaftsinterventionismus erwies es sich als zu eng108 und wurde deshalb erweitert. Es sollte nicht darauf ankommen, ob sich der Staat final und imperativ sowie in Form eines Rechtsakts in grundrechtlich geschützten Bereichen bewegt oder nicht, sofern nur die Wirkungen für den Einzelnen vergleichbar mit jenen waren, die mit einem klassischen Eingriff einhergingen.109 Nach modernem Verständnis ist nunmehr jedes staatliche Handeln als Eingriff zu qualifizieren, das „dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht, gleichgültig, ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tat104 BVerwGE 56, 155, 157 ff.; Degenhart, 28. Aufl. 2012, Rn. 297; Di Fabio, JuS 1997, 1, 4; Kisker, NJW 1977, 1313, 1318; Wimmer, BB 1989, 565, 569; Akkermann, Harmonisierung von öffentlichen Warnungen, 1998, S. 8 m.w.N. 105 Vgl. dazu Gusy, NJW 2000, 977, 982 ff., sowie umfassend Engel, Staatliche Informationstätigkeit, 2000, S. 142 ff., oder Schmidt, Verhaltenslenkende Informationsmaßnahmen, 2003, S. 49 ff.. 106 BVerfGE 105, 279, 300 – Osho; Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 251; Herdegen, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 2/2005, Art. 1 Abs. 3 Rn. 39; Ossenbühl, Behördliche Warnungen, 1986, S. 14 f.; ausführlich zur Definition des klassischen Eingriffs und den damit einhergehenden Schwierigkeiten Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 82 ff.; zur Dominanz des Zwangselements („Imperativität“) Peine, in: Merten/Papier, HbGR Band III, 2009, § 57 Rn. 23 ff. 107 Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 252. 108 Ossenbühl, Behördliche Warnungen, 1986, S. 15. 109 Akkermann, Harmonisierung von öffentlichen Warnungen, 1998, S. 39.

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A. Staatliche Warnungen

sächlich (faktisch, informal), mit oder ohne Befehl und Zwang erfolgt“110.111 Beim Eingriffsbegriff dürfe es „nur darum gehen, Ausnahmen auszuscheiden, in denen eindeutig ein Eingriff fehlt“.112 Soweit also staatliche Warnungen ein grundrechtlich geschütztes Verhalten auch nur teilweise unmöglich machen, sind sie als Eingriffe zu qualifizieren113 und bedürfen als solche einer Rechtfertigung – was wegen des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes auch bedeutet, dass eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist. Bei der Konfrontation mit staatlichen Warnungen fühlte sich die Rechtsprechung allerdings zu einer sprachlichen Präzisierung genötigt. Dabei prägte das BVerfG den Begriff der „Grundrechtsbeeinträchtigung“, die sich vom klassischen Eingriff eben dadurch unterscheiden soll, dass sie nur faktisch-mittelbar statt regelnd und unmittelbar wirkt114. Das BVerfG ist sich entsprechend mit der Literatur einig, dass auch staatliche Warnungen eine rechtfertigungsbedürftige Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten – in der Vergangenheit von Art. 4 Abs. 1, 5 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG – sind. c) Erfordernis einer einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage Streit aber entbrannte darüber, ob der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes auch für staatliche Warnungen (d. h. bloße „Grundrechtsbeeinträchtigungen“) uneingeschränkt gilt. Die Rechtsprechung ist der Meinung, dass bereits die Zuweisung einer Aufgabe durch das Grundgesetz zur Informationstätigkeit im Rahmen dieser Aufgabe berechtige.115 Die Literatur hingegen sieht keinen Anlass, im Falle von Grundrechtsbeeinträchtigungen Abstriche an das Erfordernis einer einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage zu machen.

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Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 253. Vgl. zum modernen Eingriffsbegriff weiter aus der Rspr.: BVerfGE 46, 120, 137 f.; 61, 291, 309; 66, 39, 57 ff.; 86, 122, 128; BVerwGE 71, 183, 190 ff. – Transparenzlisten; 90, 112, 119 ff. Aus der Lit.: Gallwas, Faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen, 1970, S. 49 ff.; Herdegen, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 2/2005, Art. 1 Abs. 3 Rn. 39; LübbeWolff, Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 47 ff.; Ossenbühl, Behördliche Warnungen, 1986, S. 15 ff.; Ibler, FS Maurer, 2001, S. 145, 154; Leidinger, DÖV 1993, 925, 928; Papier, DVBl. 1984, 801, 805; Schoch, DVBl. 1991, 667, 670; Roth, Faktische Eingriffe, 1994, S. 230 ff.; Sodan, DÖV 1987, 858, 863 f.; Albers, DVBl. 1996, 233, 234 f.; Borchert, NJW 1985, 2741, 2742; sowie Akkermann, Harmonisierung von öffentlichen Warnungen, 1998, S. 38 ff. m.w.N. 112 Ibler, FS Maurer, 2001, S. 145, 153. 113 BVerfGE 105, 252, 273; 105, 279, 300 f.; 113, 63, 76 f.; Pieroth/Schlink, 27. Aufl. 2011, Rn. 258; Herdegen, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 2/2005, Art. 1 Abs. 3 Rn. 39. 114 Dazu umfassend Akkermann, Harmonisierung von öffentlichen Warnungen, 1998, S. 41 ff. 115 BVerfGE 105, 279, 303. 111

II. Die Dogmatik staatlicher Warnungen

43

aa) Begrenzung des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes durch die Rechtsprechung Ausgangspunkt der Argumentation des BVerfG im sog. Osho-Beschluss ist die Feststellung, dass unter der Geltung des Grundgesetzes „der Grundrechtsschutz nicht auf Eingriffe im herkömmlichen Sinne begrenzt, sondern auf faktische und mittelbare Beeinträchtigungen ausgedehnt worden“ sei.116 Damit habe die Rechtsordnung auf geänderte Gefährdungslagen reagiert.117 Zugleich sei auch der Gesetzesvorbehalt ausgedehnt worden.118 Wegen der zum Teil unterschiedlichen Gründe für die Ausweitung des Grundrechtsschutzes einerseits und des Gesetzesvorbehalts andererseits sei es nicht selbstverständlich, dass der Gesetzesvorbehalt zwangsläufig mit der Ausweitung des Schutzes auf faktisch-mittelbare Beeinträchtigungen von Grundrechten in jeder Hinsicht mitgewachsen sei.119 Während die Aufgaben staatlichen Handelns ebenso wie die Voraussetzungen gezielter und unmittelbarer Eingriffe ohne Weiteres vom Gesetzgeber normiert werden könnten, gelte dies für die faktischmittelbaren Wirkungen staatlichen Handelns regelmäßig nicht.120 „Die Beeinträchtigung entsteht aus einem komplexen Geschehensablauf, bei dem Folgen grundrechtserheblich werden, die indirekt mit dem eingesetzten Mittel oder dem verwirklichten Zweck zusammenhängen.“121 Derartige faktisch-mittelbare Wirkungen entzögen sich typischerweise einer Normierung.122 Insbesondere ließen sich die Voraussetzungen einer Informationstätigkeit der Regierung gesetzlich nicht sinnvoll regeln.123 Gegenstand und Modalitäten staatlichen Informationshandelns seien so vielgestaltig, dass sie angesichts der eingeschränkten Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers allenfalls in allgemein gehaltene Formeln und Generalklauseln gefasst werden könnten. Ein Gewinn an Messbarkeit und Berechenbarkeit staatlichen Handelns sei für den Bürger auf diesem Wege regelmäßig nicht zu erreichen124.125 116

BVerfGE 105, 279, 303. BVerfGE 105, 279, 303. 118 BVerfGE 105, 279, 303. 119 BVerfGE 105, 279, 303 f. 120 BVerfGE 105, 279, 304. 121 BVerfGE 105, 279, 304. 122 BVerfGE 105, 279, 304. 123 BVerfGE 105, 279, 304; so auch schon der Beschluss des BVerfG in Sachen Transzendentale Meditation, NJW 1989, 3269, 3270. 124 BVerfGE 105, 279, 305. 125 Der EGMR gab dem BVerfG – freilich auf Grundlage der EMRK – in der Sache Recht: „Der Gerichtshof erkennt an, dass es unter Umständen schwierig ist, Gesetze über Angelegenheiten wie die Informationspflicht bestimmt zu fassen, wenn sich die maßgebenden Faktoren mit dem gesellschaftlichen Wandel und den Kommunikationsmitteln fortlaufend verändern und eine strikte Regelung unangemessen sein kann. Unter diesen Umständen bedurfte die Aufgabe der Regierung zu informieren keiner weiteren gesetzlichen Konkretisierung.“ EGMR, Urt. v. 6.11.2008 – 58911/00 = NVwZ 2010, 177, 180 – Bhagwan. Vgl. aber die in117

44

A. Staatliche Warnungen

Insgesamt begrenzt das BVerfG also den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes auf ein – aus seiner Sicht – sinnvolles und (unausgesprochen) zweckdienliches Maß. Dieses sinnvolle Maß sieht das BVerfG freilich nicht darin, den Staat bei seiner Informationstätigkeit von jedweden Bindungen freizumachen. Vielmehr folge aus dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes, dass dem Staat die Aufgabe zum Informationshandeln zugewiesen sein müsse.126 Nur insoweit sei er zum Handeln auch berechtigt. Staatliche Sektenwarnungen etwa könnten sich auf die staatliche Aufgabe der „Staatsleitung“ stützen.127 Weiter seien auch beim Informationshandeln die Kompetenzordnung128 und das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten129. Das BVerfG formuliert jedoch auch eine wichtige Ausnahme zu dieser Einschränkung des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes bei „nicht-klassischen“ Eingriffen: Eine einfachgesetzliche Rechtsgrundlage bleibe dann erforderlich, wenn sich die staatliche Maßnahme „nach der Zielsetzung und ihren Wirkungen als Ersatz für eine staatliche Maßnahme dar[stellt], die als Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren ist“.130 Fraglich ist dann natürlich, wann dies zu bejahen ist. Die Rechtsprechung hat insoweit keine klare dogmatische Linie verfolgt. Im Wesentlichen lässt sich festhalten, dass eine mittelbar-faktische Grundrechtsbeeinträchtigung jedenfalls dann als Äquivalent zu einem klassischen Grundrechtseingriff zu qualifizieren ist, wenn sie final, d. h. zielgerichtet die Handlungsmöglichkeiten einer Person bei Ausübung ihrer Grundrechte beschränkt.131 Im Falle von staatlichen Warnungen ist dies stets dann zu bejahen, wenn diese in Gestaltungsabsicht auf grundrechtliche Schutzbereiche einwirken.132 Daneben sind auch solche mittelbarfaktischen Beeinträchtigungen als Eingriffsäquivalent zu qualifizieren, die zwar

soweit gerade hinsichtlich der Frage nach einer tauglichen Rechtsgrundlage abweichenden Meinungen (gem. Art. 45 Abs. 2 EMRK, Art. 74 Abs. 2 VerfO) der Richterinnen Trajkovska und Kalaydjieva. 126 BVerfGE 105, 279, 304 f. 127 BVerfGE 105, 279, 301/307; vgl. auch BVerfG, NJW 1989, 3269, 3270 – Transzendentale Meditation; BVerwGE 82, 76, 79 ff. – Transzendentale Meditation. 128 BVerfGE 105, 279, 306. 129 BVerfGE 105, 279, 308 f. 130 BVerfGE 105, 279, 303 – Osho; ebenso BVerfGE 105, 252, 273 – Glykol; 113, 63, 76 – Junge Freiheit; vgl. auch BVerfGE 116, 202, 222; BVerwG, NJW 2006, 1303, 1304; BVerwGE 131, 171, 174; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2010, 639, 642. 131 BVerwGE 90, 112, 119 f.; Akkermann, Harmonisierung von öffentlichen Warnungen, 1998, S. 49 ff. Murswiek führt zudem das „Finalitätsäquivalent“ auf, bei dem lediglich die Lenkung des Verhaltens Dritter absichtlich verfolgt wird, dessen notwendige Folge allerdings Nachteile im grundrechtlich geschützten Freiheitsbereich des Betroffenen sind, NVwZ 2003, 1, 2. 132 Di Fabio, JuS 1997, 1 ff., sowie ausführlich Roth, Verwaltungshandeln mit Drittbetroffenheit, 1991, S. 202 ff.

II. Die Dogmatik staatlicher Warnungen

45

nicht finale, sondern unbeabsichtigte Nebenfolge, aber eine schwerwiegende Beeinträchtigung der grundrechtlich geschützten Freiheitssphäre sind.133 bb) Kritik der Literatur Das Verständnis der Rechtsprechung vom Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes stieß in der Literatur auf zum Teil heftige Kritik.134 Schon der Schluss von der Aufgabe der Staatsleitung auf die Befugnis zu staatlichen Warnungen sei – wie auch sonst im öffentlichen Recht – schlicht unzulässig.135 Eine Aufgabenzuweisungsnorm könne als Rechtsgrundlage für staatliche Informationstätigkeit nur dann ausreichen, wenn hierdurch überhaupt nicht in Grundrechte eingegriffen werde.136 Dies auch dann, wenn man die Regierung bei der Erfüllung ihrer Aufgabe an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden sehe; denn dieser Grundsatz besage allein, wie der Staat Grundrechte einschränken dürfe, nicht hingegen, wann.137 Auch wurde – sich einmal auf die Prämisse der Rechtsprechung einlassend – die pauschale Zuordnung jeglicher Informationstätigkeit zum Bereich der Staatsleitung für nicht überzeugend gehalten.138 Das Argument von der angeblichen Unmöglichkeit einer sinnvollen einfachgesetzlichen Ausformung des Verhältnismäßigkeitsprinzips werde durch die bloße Existenz des Gefahrenabwehrrechts widerlegt.139 Deutlich werde dies durch

133 BVerwGE 82, 76, 78 f. – Transzendentale Meditation; 87, 37, 43 f. – Glykol; 90, 112, 121 – Osho; Akkermann, Harmonisierung von öffentlichen Warnungen, 1998, S. 68. 134 Vgl. aus der umfangreichen Literatur Heintzen, in: Becker-Schwarze (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im öffentlichen Recht, 1991, S. 167, 178 f.; Gusy, NJW 2000, 977, 985; Gröschner, DVBl. 1990, 619, 623 f.; Wahl/Masing, JZ 1990, 533, 555; Huber, JZ 2003, 290, 292 ff.; Leidinger, DÖV 1993, 925, 930 f.; Engelbert/Kutscha, NJW 1993, 1233, 1234; Akkermann, Harmonisierung von öffentlichen Warnungen, 1998, S. 108 ff.; Fricke, VersR 1992, 1325, 1326 f.; Klement, DÖV 2005, 507, 514 f.; Muckel, JA 1995, 343, 346 ff.; Roth, Verwaltungshandeln mit Drittbetroffenheit, 1991, S. 244 ff.; Murswiek, NVwZ 2003, 1, 7; Schatzschneider, NJW 1991, 3202, 3203; Bethge, in: Merten/Papier, HbGR Band III, 2009, § 58 Rn. 111 ff.; Voitl, Warnkompetenzen, 1994, S. 32 ff.; Schoch, DVBl. 1991, 667, 670 ff.; Schenke, 7. Aufl. 2011, Rn. 41; Spaeth, Grundrechtseingriff durch Information, 1995, S. 56 ff.; Wehr, JuS 1997, 419, 421; Engel, Staatliche Informationstätigkeit, 2000, S. 219 f.; Schoch, in: Isensee/Kirchhof, HbStR, 3. Aufl. 2005, § 37 Rn. 112 f.; Schoch, NVwZ 2011, 193, 196; Ibler, FS Maurer, 2001, S. 145, 156 f.; Rupp, FS Bethge, 2009, S. 51, 59 f. A.A. z. B. Scholz, NVwZ 1992, 1152, 130 ff. 135 Vgl. nur Huber, der diesen Schluss als „eine juristische Todsünde“ bezeichnet, ZLR 2004, 241, 255. 136 Ossenbühl, Behördliche Warnungen, 1986, S. 39; Discher, JuS 1993, 463, 468; Schoch, DVBl. 1991, 667, 672 f. m.w.N. 137 Gusy, NJW 2000, 977, 985. 138 Huber, ZLR 2004, 241, 256; Murswiek, NVwZ 2003, 1, 7; krit. auch Schoch, NVwZ 2011, 193, 197. 139 Heintzen, in: Becker-Schwarze (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im öffentlichen Recht, 1991, S. 167, 172; Akkermann, Harmonisierung von öffentlichen Warnungen, 1998, S. 111 f.

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A. Staatliche Warnungen

die bereits bestehenden, die staatliche Informationstätigkeit befriedigend regelnden Spezialgesetze.140 Tatsächlich ist dieses Argument schwerlich von der Hand zu weisen. Heute sind in diesem Zusammenhang beispielhaft zu nennen § 26 ProdSG141, § 7 Gesetz über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSIG)142, § 69 Arzneimittelgesetz (AMG)143, § 28 Medizinproduktegesetz (MPG)144 oder – im Landesrecht – § 13 AGLMBG-BaWü145, der als Folge der oben146 erwähnten Birkel-Rechtsprechung geschaffen wurde147. Die Gerichte haben auch selbst in anderen Zusammenhängen einfachgesetzliche Ermächtigungsgrundlagen für behördliche Informationstätigkeit verlangt.148 140 Di Fabio, JuS 1997, 1, 5. Aber auch auf die sicherheitsrechtlichen Generalklauseln – gleichsam als Ausdruck kodifizierter Vagheit – ist hinzuweisen, vgl. Gusy, NJW 2000, 977, 985. 141 Abs. 2 S. 2 Nr. 9: „[Die Marktüberwachungsbehörden sind insbesondere befugt] anzuordnen, dass die Öffentlichkeit vor den Risiken gewarnt wird, die mit einem auf dem Markt bereitgestellten Produkt verbunden sind; die Marktüberwachungsbehörde kann selbst die Öffentlichkeit warnen, wenn der Wirtschaftsakteur nicht oder nicht rechtzeitig warnt oder eine andere ebenso wirksame Maßnahme nicht oder nicht rechtzeitig trifft.“ 142 Abs. 2 S. 1: „Zur Erfüllung seiner Aufgaben nach § 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 14 kann das Bundesamt die Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung und des Herstellers des betroffenen Produkts vor Sicherheitslücken in informationstechnischen Produkten und Diensten und vor Schadprogrammen warnen oder Sicherheitsmaßnahmen sowie den Einsatz bestimmter Sicherheitsprodukte empfehlen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Gefahren für die Sicherheit in der Informationstechnik hiervon ausgehen.“ 143 Abs. 4: „Im Falle des Absatzes 1 Satz 3 [Rückruf von Medikamenten, wenn zur Abwehr von Gefahren für die Gesundheit geboten] kann auch eine öffentliche Warnung durch die zuständige Bundesoberbehörde erfolgen.“ 144 Abs. 4: „1Die zuständige Behörde kann veranlassen, dass alle, die einer von einem Medizinprodukt ausgehenden Gefahr ausgesetzt sein können, rechtzeitig in geeigneter Form auf diese Gefahr hingewiesen werden. 2Eine hoheitliche Warnung der Öffentlichkeit ist zulässig, wenn bei Gefahr im Verzug andere ebenso wirksame Maßnahmen nicht oder nicht rechtzeitig getroffen werden können.“ 145 S. 1: „Ist nicht auszuschließen, daß ein Produkt, das zumindest im Verdacht einer konkreten Gefährdung der Gesundheit der Verbraucher steht, ganz oder teilweise an den Verbraucher gelangt oder gelangt ist, kann eine Warnung der Öffentlichkeit unter Nennung der Produktbezeichnung und des Unternehmers ergehen, unter dessen Namen oder Firma das Produkt in den Verkehr gebracht wird (Unternehmer), wenn dies erforderlich erscheint, um Gefahren für die Gesundheit durch den Verzehr oder Gebrauch des Produkts abzuwehren.“ 146 Vgl. A.II.1. 147 Leidinger, DÖV 1993, 925, 935 Fn. 130. 148 So für die Veröffentlichung von Warentests durch die Landwirtschaftskammer: BVerwG, NJW 1996, 3161, 3262; im Fall der Veröffentlichung einer Präparatübersicht („Negativ-Liste“): BVerfG, NJW 1999, 3404, 3405; sowie für die Veröffentlichung eines Verfassungsschutzberichts unter Eingriff in die Pressefreiheit: BVerfGE 113, 63, 78. Abweichend aber die Entscheidung des BVerfG im „Fall Löw“ (BVerfG, NJW 2011, 511 ff.): hier hatte sich die Bundeszentrale für Politische Bildung vom in einer ihrer Publikationen erschienen Aufsatz eines Historikers in drastischen Worten distanziert. Dieser hatte die These vertreten, dass die Mehrheit der Deutschen zur NS-Zeit nicht antisemitisch eingestellt gewesen sei. Gegen die Folgen des daraufhin ergangenen Rundbriefs der sich distanzierenden Bun-

II. Die Dogmatik staatlicher Warnungen

47

Soweit derlei Vorschriften nicht eingreifen, sei an die Polizeigesetze der Länder, insbesondere die polizeilichen Generalklauseln zu denken.149 Diese sind Befugnisnormen150, auf welche immer dann zurückgegriffen werden kann, wenn keine spezielle Rechtsgrundlage einschlägig ist151 und eine Gefahr für eines der polizeilichen Schutzgüter besteht152. Um ebensolche Gefahrenabwehr geht es bei staatlichen Warnungen vor fehlerhaften Produkten oder jugendgefährdenden Sekten, womit prinzipiell der Anwendungsbereich der jeweiligen Vorschriften153 eröffnet wäre. Dass eine Anwendung der Generalklauseln auf staatliche Warnungen gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete allgemeine Bestimmtheitsgebot154 verstoßen könnte, soll hier nur angedeutet werden.155 d) Anmerkung Der oben dargelegte Streit ist – wie der „Fall Löw“156 zeigt – noch nicht beigelegt.157 An gegebener Stelle ist in der hiesigen Arbeit die Frage zu beantworten, ob staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage bedürfen. Soweit es sich bei derlei Warnungen um ein funktionales Äquivalent zu klassischen Grundrechtseingriffen handelte, kämen sowohl die Rechtsprechung als auch die Literatur ohnehin zu demselben Ergebnis. Im Übrigen wird zu erwägen sein, ob die Argumente der Rechtsprechung überhaupt auf die Konstellation einer staatlichen Warnung vor entlassenen Straftätern übertragbar sind.158 Wäre dies nicht der Fall, könnte eine Entscheidung des soeben dargestellten dogmatischen Streits in dieser Arbeit unterbleiben.

deszentrale an ihre Leser wandte sich der Autor. Das BVerfG verliert in diesem Fall – unter Berufung auf seinen Osho-Beschluss – kein Wort zum Erfordernis einer Rechtsgrundlage für dieses Vorgehen und erörtert insbesondere nicht, ob die bloße „Grundrechtsbeeinträchtigung“ nicht ein funktionales Äquivalent zu einem klassischen Eingriff sein könnte, was auch nach Auffassung der Rechtsprechung zu einer uneingeschränkten Geltung des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes geführt hätte (vgl. BVerfGE 105, 279, 303). Krit. zum „Fall Löw“ Schoch, NVwZ 2011, 193 ff., insbes. S. 195 f. 149 Vgl. Schmidt, Verhaltenslenkende Informationsmaßnahmen, 2003, S. 116 ff. 150 Schenke, 7. Aufl. 2011, Rn. 37 f. 151 Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 2007, Rn. 148 ff. 152 Vgl. näher Schenke, 7. Aufl. 2011, Rn. 53 ff. 153 So z. B. in Bayern Art. 11 Abs. 1 PAG. 154 Dazu BVerfGE 21, 73, 78 – Grundstückverkehrsgesetz; BVerfGE 49, 168, 181 – Aufenthaltserlaubnis; BVerfGE 62, 169, 183 – Sperrguthaben DDR. 155 Zum allgemeinen Bestimmtheitsgebot im Kontext staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern vgl. unten C.IV.2.b). 156 BVerfG, NJW 2011, 511 ff.; zum Sachverhalt oben Fn. 148. 157 Eine aktuelle, freilich „tendenziöse“ Wiedergabe des aktuellen Streitstandes bietet Schoch, NVwZ 2011, 193 ff. 158 Vgl. dazu unten C.II.2.

48

A. Staatliche Warnungen

3. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen staatlicher Warnungen Rechtsprechung und Literatur haben sich nicht nur mit dem Problem der Rechtsgrundlage, sondern auch generell mit den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für staatliche Warnungen beschäftigt. In formeller Hinsicht ist zunächst die Zuständigkeitsordnung einzuhalten.159 Sie gestaltet sich bei einer Berufung auf die Aufgabe der „Staatsleitung“ als durchaus problematisch.160 Außerdem wird unter Verfahrensgesichtspunkten die Notwendigkeit einer vorherigen Anhörung des Betroffenen hervorgehoben161; ist sie unterblieben, ist dies ein nachträglich heilbarer Formmangel162. In materieller Hinsicht ist das Vorliegen einer Gefahr erforderlich.163 Auch ein bloßer Gefahrenverdacht kann genügen164, zumal dann, wenn der vermeintlich eintretende Schaden große Ausmaße hätte.165 Den Staat trifft dann aber die Pflicht, den Sachverhalt zuvor umfassend aufzuklären.166 Weiter muss die Warnung richtig sein, d. h. behauptete Tatsachen müssen zutreffen.167 Hierfür wiederum muss die in der Warnung enthaltene Wertung zumindest begründbar sein und darf nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen.168 Schließlich haben staatliche Warnungen – wie bereits erwähnt – dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu genügen, d. h. sie dürfen nicht

159

Vgl. nur BVerfGE 105, 279, 306 ff. – Osho. Dazu ausführlich Voitl, Warnkompetenzen, 1994. 161 LG Stuttgart, NJW 1989, 2257, 2261; Leidinger, DÖV 1993, 925, 934; Ossenbühl, Behördliche Warnungen, 1986, S. 68 ff., sowie Akkermann, Harmonisierung von öffentlichen Warnungen, 1998, S. 101 m.w.N. Vgl. auch Gusy, NJW 2000, 977, 985, der sich allerdings fälschlich auf BVerwGE 82, 76, 96 – Transzendentale Meditation, bezieht, das die Notwendigkeit einer Anhörung gerade offen lässt. Das Anhörungsrecht wird – da schlicht-hoheitliches Verwaltungshandeln nicht den Regelungen des VwVfG unterfällt – analog § 28 Abs. 1 VwVfG begründet, während es nach a.A. direkt aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs herzuleiten ist; vgl. dazu näher Akkermann, Harmonisierung von öffentlichen Warnungen, 1998, S. 101 ff. 162 BVerwGE 82, 76, 96 – Transzendentale Meditation. 163 Leidinger, DÖV 1993, 925, 932; Gusy, NJW 2000, 977, 985. 164 BVerwGE 82, 76, 81; BVerwG, NVwZ 1994, 162, 163; VGH München, NVwZ 1995, 793, 795; Gusy, NJW 2000, 977, 985; Heintzen, NuR 1991, 301, 303; Schmidt, Verhaltenslenkende Informationsmaßnahmen, 2003, S. 120 f. 165 Leidinger, DÖV 1993, 925, 932. 166 BVerwG, NJW 1991, 1770, 1771; Gusy, NJW 2000, 977, 985; Di Fabio, JuS 1997, 1, 6. 167 BVerfG, NJW 1989, 3269, 3270 f. – Transzendentale Meditation; BVerwG, NJW 1991, 1770, 1771 – Baghwan I; BVerwGE 131, 171, 176; VGH Kassel, DVBl. 1996, 819; Gusy, NJW 2000, 977, 985; Ossenbühl, Behördliche Warnungen, 1986, S. 75. 168 BVerfG, NJW 1989, 3269, 3270 – Transzendentale Meditation; VGH München, NVwZ 1995, 793, 796 – Universelles Leben; Di Fabio, JuS 1997, 1, 6 f.; Gusy, NJW 2000, 977, 985; vgl. auch BVerfGE 40, 287, 293. 160

III. Zusammenfassung

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zu einem Schaden beim Betroffenen führen, der zu dem bezweckten Erfolg außer Verhältnis steht.169 Manche Autoren weisen darauf hin, dass sich besondere Probleme im Falle sog. Risikolagen stellen. Diese liegen vor, wenn die verfügbaren technischen oder wissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeiten nicht ausreichen, um sicher zu bestimmen, ob überhaupt eine Gefahr besteht.170 Dann sollen Warnungen nur zulässig sein, wenn die entsprechenden Ermächtigungsgrundlagen geringere Anforderungen an staatliches Tätigwerden stellen, sodass z. B. bloße Bedenken, Verdachtsmomente oder Zweifel bereits genügen.171

III. Zusammenfassung Die Dogmatik zu staatlichen Warnungen ist noch immer nicht geklärt. Umstritten ist insbesondere die Frage, ob staatliche Informationstätigkeit, die natürliche oder juristische Personen in ihren grundrechtlichen Freiheiten beeinträchtigt, stets einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage bedarf. Während die Literatur dies nahezu einhellig bejaht, möchte es die Rechtsprechung davon abhängig machen, ob die Warnung ein funktionales Äquivalent zu einem klassischen Grundrechteingriff ist oder dahinter zurückbleibt. In letzterem Fall soll der Staat bereits dann tätig werden dürfen, wenn er sich auf eine grundgesetzliche Aufgabe stützen kann und er die übrigen formellen und materiellen Voraussetzungen für rechtmäßiges Staatshandeln erfüllt. Im Rahmen dieser Arbeit wird auf eben diese Frage einzugehen sein, ob staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage bedürfen oder ob auch in diesem Fall Abstriche an den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes gemacht werden können.172

169 BVerfG, NJW 1989, 3269, 3270 – Transzendentale Meditation; BVerfGE 105, 279, 301 – Osho; BVerwGE 82, 76, 81 – Transzendentale Meditation; OLG Stuttgart, NJW 1990, 2690, 2693 – Birkel; Murswiek, NVwZ 2003, 1, 7; Ossenbühl, Behördliche Warnungen, 1986, S. 70 f.; Heintzen, NuR 1991, 301, 303; vgl. auch Akkermann, Harmonisierung von öffentlichen Warnungen, 1998, S. 85 ff. 170 Leidinger, DÖV 1993, 925, 932; Heintzen, NuR 1991, 301, 304; vgl. auch zu Begrifflichkeiten um das Thema des Risikos, der Vorsorge sowie der Gefahrenabwehr Ossenbühl, NVwZ 1986, 161 ff., insbes. S. 162 f. 171 Leidinger, DÖV 1993, 925, 932; Heintzen, NuR 1991, 301, 304. 172 Vgl. dazu unten C.II.2.

B. Der entlassene Straftäter Der entlassene Straftäter hat – und dies ist ein überragend wichtiger Ausgangspunkt für alle folgenden Überlegungen – die ihm für die Begehung seiner Tat auferlegte Strafe bereits verbüßt. Er hat bestimmte Rechte inne, die sich insbesondere auch aus dem Zweck von Strafe ergeben (I.). Gleichwohl ist er durch seine vorherige(n) Verurteilung(en) als potentielle Gefahrenquelle identifiziert und muss ggf. die Haft überdauernde Freiheitsbeschränkungen hinnehmen (II.). Diese Beschränkungen sind in Deutschland die Maßregeln der Besserung und Sicherung.

I. Der entlassene Straftäter als Träger von Rechten Eine Person verliert mit Begehung einer Straftat nicht ihre Rechte. Allerdings können diese Rechte zeitweise eingeschränkt werden. So reduziert die Freiheitsstrafe das Recht auf körperliche Bewegungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG auf ein Minimum, beeinträchtigt weitere Grundrechte wie das Briefgeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) oder das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) und verhindert mittelbar die Wahrnehmung von Freiheiten wie dem Recht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) oder dem Recht auf Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG). Irgendwann aber ist die Strafe verbüßt.

1. Der Zweck von Strafe Seit langer Zeit werden bei der Frage, welchen Zweck Strafe in einer Gesellschaft erfüllt, dieselben drei Grundkonzeptionen angeboten.173 Es sind dies die Konzeption der Vergeltung einerseits, die der Spezialprävention sowie die der Generalprävention andererseits. Nach der ersten Auffassung174 – formuliert insbesondere von Kant und Hegel175 – soll die Strafe unabhängig von ihren sozialen Auswirkungen die Tat durch Auferlegung eines Übels vergelten und so ein Mittel der ausgleichenden Gerech173 Für einen hervorragenden Überblick vgl. Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 3 Rn. 1 ff., aber auch Streng, Strafsanktionen, 2. Aufl. 2002, Rn. 10 ff. 174 Vertreten z. B. noch von Kaufmann, Schuldprinzip, 2. Aufl. 1976, S. 201 ff. 175 Hassemer/Neumann, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, Vorbemerkungen zu § 1 Rn. 269. Zur heutigen Relevanz Kants vgl. z. B. Byrd/Hruschka, JZ 2007, 957 ff., zu Hegel vgl. Seelmann, JuS 1979, 687 ff.

I. Der entlassene Straftäter als Träger von Rechten

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tigkeit sein176. Nach der zweiten Auffassung – maßgeblich von Franz v. Liszt geprägt177 – dient Strafe in erster Linie dazu, durch Wegsperren und Läuterung den Täter von weiteren Straftaten abzuhalten (Spezialprävention). Nach der dritten Auffassung, die insbesondere von Paul J. A. v. Feuerbach178 entwickelt wurde, ist Zweck von Strafe, die Allgemeinheit von Straftaten derselben Art und generell abzuhalten, also zu legalem Verhalten zu motivieren179 (Generalprävention). Man spricht bei der Vergeltungslehre von einer „absoluten“ Theorie, „weil für die Lehre der Sinn der Strafe von ihrer gesellschaftlichen Wirkung unabhängig, ,losgelöst‘ ist (lat. absolutus = losgelöst)“180, während die spezial- und generalpräventiven Lehren deshalb relativ, also zweckbezogen sind, weil sie „durch die Strafe soziale Wirkungen erzielen wollen, indem sie auf den Täter oder auf die Allgemeinheit mit dem Ziel der Verbrechensverhinderung einwirken“181. Diese drei Konzeptionen wurden später in der sog. Vereinigungstheorie zusammengeführt – ein Ansatz, der trotz seiner vielfältigen Ausformungen weite Anerkennung genießt.182 Der Vereinigungstheorie zufolge erfüllt Strafe jeden der drei oben genannten Zwecke.183 Die moderne Strafzwecklehre bietet ein sehr viel differenzierteres Bild als es die klassische Lehre je zu zeichnen versuchte.184 So wird heute insbesondere das unterschiedliche Gewicht der Strafzwecke in der zeitlichen Dimension hervorgehoben.185 Danach diene die reine Strafdrohung ausschließlich der Generalprävention. Sie könne auch nur dann ihren Zweck erfüllen, wenn die Straftatbestände genau 176 Hassemer/Neumann, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, Vorbemerkungen zu § 1 Rn. 270; Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 3 Rn. 2. 177 Vgl. v. Liszt, ZStW 3 (1883), 1 ff. 178 Vgl. zu seinen Gedanken näher v. Feuerbach, Lehrbuch des peinlichen Rechts, § 16. 179 Roxin, FS Müller-Dietz, 2001, S. 701, 702. Zur Kritik an der Lehre von der Abschreckung vgl. Hassemer/Neumann, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, Vorbemerkungen zu § 1 Rn. 281 ff. 180 Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 3 Rn. 2. Hassemer/Neumann formulieren: „… eine Theorie, welche das staatliche Strafen von einer Zweckverfolgung loslöst (,absolut‘) und es auf den Ausgleich begangenen Unrechts beschränkt (,repressiv‘)“ (in: Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, Vorbemerkungen zu § 1 Rn. 270). 181 Roxin, FS Müller-Dietz, 2001, S. 701, 702; vgl. auch Streng, Strafsanktionen, 2. Aufl. 2002, Rn. 10. 182 Vgl. im Ansatz schon RGSt 58, 106, 109, sowie BGHSt 7, 214, 216; später BVerfGE 21, 391, 404; 39, 1, 57, sowie insbes. BVerfGE 45, 187, 253 f.; jünger: BVerfGE 109, 133, 173. Aus der Lit. Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 3 Rn. 37 ff.; Kühl, in: Lackner/Kühl (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2011, § 46 Rn. 2; Weigend, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2007, Einleitung Rn. 58 ff.; Jescheck/Weigend, AT, 5. Aufl. 1996, § 8 V. 183 Roxin plädiert jedoch dafür, die Strafzwecke nicht lediglich zu addieren (AT I, 4. Aufl. 2006, § 3 Rn. 35 f.). Er vertritt sogar die Auffassung, Vergeltung könne man als Strafzweck heute nicht mehr gelten lassen (Rn. 44 ff.); allein das der Vergeltungstheorie zugrundeliegende Schuldprinzip möchte er als Mittel zur Begrenzung der Strafe in die Strafzwecklehre integriert wissen (Rn. 51 ff.). 184 Vgl. überblicksartig Roxin, FS Müller-Dietz, 2001, S. 701, 704 ff. 185 Roxin, FS Müller-Dietz, 2001, S. 701, 711 ff.

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B. Der entlassene Straftäter

umrissen und klar formuliert seien.186 Mit der Verhängung einer konkreten Sanktion gewinne auch die spezialpräventive Funktion der Strafe an Bedeutung.187 Im Strafvollzug schließlich soll nach moderner Auffassung nur noch die Resozialisierung angestrebt werden188, d. h. die Spezialprävention im Vordergrund stehen. Das bedeute nicht, dass nicht daneben auch generalpräventive Effekte entstünden; diese seien jedoch kein Ziel des Strafvollzugs.189 Diese Bedeutung des Strafvollzugs ist hervorzuheben. Seit Schaffung des Strafvollzugsgesetzes des Bundes im Jahre 1976 heißt es unter der amtlichen Überschrift „Aufgaben des Vollzuges“ in § 2 S. 1: „Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel).“ Ist also die Verhängung der Strafe selbst noch mehrdimensional, so dient ihr Vollzug in erster Linie der Resozialisierung des Straftäters.190 Die erfolgreiche Reintegration eines Straftäters in die Gesellschaft ist in seinem wie in ihrem Interesse. Entsprechend hat zum Gelingen dieser Aufgabe auch die Gesellschaft selbst beizutragen.191

2. Die Rechte des entlassenen Straftäters Aus dem Gesagten ergibt sich folgendes Bild: Der aus der Haft entlassene Straftäter hat mit der Verbüßung seiner Freiheitsstrafe das von ihm schuldhaft verursachte Unrecht i.S.d. Vergeltungstheorie ausgeglichen, d. h. der Gerechtigkeit ist in einem metaphysischen Sinne Genüge getan. Darüber hinaus hat er i.S.d. der Theorie von der Generalprävention einen Dienst an der Gesellschaft geleistet, indem nämlich seine Bestrafung als abschreckendes Beispiel diente. Jede weitere Einschränkung des entlassenen Straftäters unter Verweis auf seine einmal auf sich geladene Schuld oder die abschreckende Wirkung seiner Freiheitseinbußen auf andere ist mit Verbüßung

186

Roxin, FS Müller-Dietz, 2001, S. 701, 711. Roxin, FS Müller-Dietz, 2001, S. 701, 712. 188 Roxin, FS Müller-Dietz, 2001, S. 701, 712; Müller-Dietz, Strafzwecke und Vollzugsziel, 1973, S. 41. 189 So jedenfalls Roxin, FS Müller-Dietz, 2001, S. 701, 713. 190 Die Föderalismusreform aus dem Jahr 2006 hat allerdings dazu geführt, dass einige Länder eigene Strafvollzugsgesetze in Kraft gesetzt haben, die teilweise andere Gewichte setzen. So heißt es in Art. 2 BayStVollzG: „Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Er soll die Gefangenen befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Behandlungsauftrag).“; vgl. dazu etwa Arloth, GA 2008, 129 ff.; der am 6. 9. 2011 vorgestellte gemeinsame Musterentwurf für ein einheitliches Landesstrafvollzugsgesetz von zehn anderen Bundesländern erhält aber in § 2 Satz 1 das Ziel der Resozialisierung aufrecht. 191 BVerfGE 35, 202, 236 – Lebach. 187

II. Der entlassene Straftäter als Gefahrenquelle

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der Strafe unzulässig, weil insoweit durch keinen Strafzweck mehr gedeckt. Der entlassene Straftäter müsste mithin jedem anderen Bürger wieder gleichstehen.192 Allerdings bestehen zum Zeitpunkt der Entlassung häufig Unsicherheiten über den spezialpräventiven Erfolg einer Haftstrafe. Die Betroffenen mögen bisweilen ein nicht unerhebliches Rückfallrisiko aufweisen. Dieses Rückfallrisiko kann über die Haftzeit hinaus andauernde Belastungen des Betroffenen rechtfertigen (dazu sogleich). In seiner positiven Dimension räumt die latente Rückfallgefahr dem entlassenen Straftäter jedoch auch eine Rechtsposition ein: Er hat ein aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitetes Recht auf Resozialisierung. Dieses Recht ist nicht nur im bereits zitierten § 2 S. 1 StVollzG kodifiziertes objektives Recht des Strafvollzugs193, sondern verschafft dem einzelnen Straftäter während der Haftdauer auch eine subjektive Rechtsposition, die ihm einen (eingeschränkten) Anspruch auf seine Resozialisierung fördernde Maßnahmen des Staates gewährt. Diese subjektive Rechtsposition wirkt auch über die Entlassung hinaus, dann mit vorwiegend abwehrrechtlichem Charakter, und gebietet dem Staat, alles einer Wiedereingliederung des Straftäters Hinderliche selbst zu unterlassen und gegebenenfalls integrationsfeindliche Maßnahmen Dritter zu unterbinden.194 Der entlassene Straftäter ist also nach Entlassung im Prinzip wieder im Vollbesitz seiner Rechte. Darüber hinaus gewährt ihm die Rechtsordnung zusätzlichen Schutz, um seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu fördern.

II. Der entlassene Straftäter als Gefahrenquelle Wie bereits angedeutet kann allerdings die Gefahr, dass ein entlassener Straftäter weitere Straftaten begeht, über die Haft hinaus andauernde Beschränkungen seiner Rechte rechtfertigen. Insbesondere wenn weiterhin schwerwiegende Straftaten drohen, besteht ein Bedürfnis, die Betroffenen von deren Begehung abzuhalten. Auf diese Herausforderung antwortet das deutsche Strafrecht insbesondere mit den sog. Maßregeln der Besserung und Sicherung, die in § 61 StGB abschließend aufgeführt sind.195 Sie stehen im zweispurig aufgebauten deutschen Sanktionensystem196 ei192

Böllinger/Pollähne, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 61 Rn. 23. 193 In den erwähnten Ländergesetzen: Art. 2 S. 2 BayStVollzG; § 2 Abs. 1 S. 2 BWStVollzG; § 2 S. 1 HambStVollzG; § 2 S. 1 HStVollzG; § 5 S. 1 NdsJVollzG; schließlich § 2 S. 1 des Musterentwurfs von zehn weiteren Bundesländern vom 23. 08. 2011. 194 Zum Recht auf Resozialisierung ausführlich unten, C.II.1.a)aa)(1). 195 Zu deren Geschichte vgl. Dessecker, Gefährlichkeit und Verhältnismäßigkeit, 2004, S. 25 ff., oder Eser, FS Müller-Dietz, 2001, S. 213 ff. 196 Vgl. dazu näher Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 1 Rn. 1 ff., wobei er mit dem gewandelten Verständnis des Zwecks von Strafe eine Annäherung an die Einspurigkeit erkennt, § 3 Rn. 68; weiter BVerfGE 91, 1, 31 zu § 64 StGB; 109, 173 f. zu § 66 StGB; Stree/Kinzig, in: Schönke/ Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 2010, Vorbemerkungen zu den §§ 61 ff. Rn. 1;

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B. Der entlassene Straftäter

genständig neben den Strafen. Eine herausragende Rolle im Maßregelrecht spielen die individuellen Gefährlichkeitsprognosen, auf die kurz gesondert eingegangen werden soll.

1. Die Maßregeln der Besserung und Sicherung a) Zweck und Rechtfertigung der Maßregeln Dem Maßregelrecht liegt der Gedanke zugrunde, dass im Einzelfall die von einem Täter ausgehende Gefährlichkeit für die Allgemeinheit so groß sein kann, dass die durch die Schuld beschränkte Strafe nicht ausreicht, um die Allgemeinheit wirksam vor dem Betroffenen zu schützen.197 Die zu diesem Schutz gestatteten Maßregeln dienen der Gefahrenabwehr und haben mithin keinen strafenden, sondern rein präventiven Charakter.198 Dieser Qualifikation entspricht auch die verbreitete Rechtfertigung für die teils erheblichen Freiheitsbeschränkungen199, denen die Betroffenen unterworfen werden: Gestattet sei jede freiheitsbeschränkende Maßnahme, wenn der Gebrauch der entzogenen Freiheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Beeinträchtigungen anderer führte, die in ihrer Gesamtheit schwerer wögen als die Einschränkungen, die man dem Straftäter auferlege.200 Diese Rechtfertigungsvoraussetzung findet ihren Ausdruck auch in § 62 StGB, wonach eine Maßregel trotz an sich bestehender Gefährlichkeit nicht angeordnet werden darf, „wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht“201. Unter den vom Gesetz vorgesehenen Fällen der Maßregeln der Besserung und Sicherung finden sich zwei Maßregeln, die speziell auf aus der Haft entlassene bzw. zu entlassende Straftäter zugeschnitten sind: die Führungsaufsicht nach §§ 68 ff.

MüKoStGB/van Gemmeren, § 61 Rn. 1; Böllinger/Pollähne, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 61 Rn. 2. 197 Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 3 Rn. 63. 198 Böllinger/Pollähne, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 61 Rn. 16; vgl. auch Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 2010, Vorbemerkungen zu den §§ 61 ff. Rn. 2, für weitere Formulierungen, die in der Sache allerdings dasselbe meinen. 199 Darunter am prominentesten und schwerwiegendsten die sogleich dargestellte Sicherungsverwahrung. 200 Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 3 Rn. 66; ähnlich schon Nowakowski, FS von Weber, 1963, S. 98, 103; ebenso MüKoStGB/van Gemmeren, § 61 Rn. 2; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 2010, Vorbemerkungen zu den §§ 61 ff. Rn. 2 m.w.N. Ausführlich zur Rechtfertigung speziell der Sicherungsverwahrung auch Kinzig, Sicherungsverwahrung, 1996, S. 29 ff. 201 Ausführlich zur Bedeutung der Verhältnismäßigkeit im Maßregelrecht Bae, Verhältnismäßigkeit im Maßregelrecht, 1985.

II. Der entlassene Straftäter als Gefahrenquelle

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StGB einerseits, die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach §§ 66 ff. StGB andererseits. b) Die Führungsaufsicht Die Führungsaufsicht dient gem. § 68a Abs. 2 StGB der Hilfe und Betreuung des aus der Haft Entlassenen sowie gem. § 68a Abs. 3 StGB zugleich seiner Überwachung und Kontrolle. Sie entsteht entweder kraft richterlicher Anordnung in den gesetzlich vorgesehenen Fällen (§ 68 Abs. 1 StGB) oder kraft Gesetzes (§ 68 Abs. 2 StGB202). Sie darf richterlich nur angeordnet werden, wenn die Gefahr besteht, dass der Betroffene weitere Straftaten begehen wird, und die Maßnahme des Weiteren verhältnismäßig ist (vgl. § 62 StGB). Deshalb fallen unter die vom Gesetz vorgesehenen Fälle für die Führungsaufsicht von vornherein nur Deliktsarten, bei denen wiederholte Auffälligkeiten zum charakteristischen Erscheinungsbild gehören.203 Darüber hinaus ist aber die Gefahr eben auch individuell festzustellen. Dazu muss das Gericht zu der Überzeugung gelangen, dass die Begehung weiterer Straftaten derselben Deliktsgruppe „wahrscheinlich“ ist.204 Mittel der Führungsaufsicht ist insbesondere der Weisungskatalog des § 68b StGB, wonach das Gericht für die Dauer der Führungsaufsicht den Straftäter z. B. anweisen kann, sich nicht an bestimmten Orten aufzuhalten, die ihm Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können (§ 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB), ihm die Ausübung bestimmter Tätigkeiten verbieten (Nr. 4) und ihm eine Meldepflicht auferlegen (Nr. 7) kann. Prominent ist auch die Weisung an den Entlassenen, die für eine elektronische Überwachung seines Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen (Nr. 12).205 Mit Hilfe solcher „elektronischer Fußfesseln“ sollen die Sicherheitsbehörden die Möglichkeit erhalten, die Einhaltung aufenthaltsbezogener Weisungen nach anderen Nummern des § 68b Abs. 1 S. 1 StGB zu überprüfen. Zudem erhofft sich der Gesetzgeber von der Einführung der elektronischen Fußfessel eine abschreckende Wirkung, da die Gefahr der Entdeckung einer Tat durch die elektronische Überwachung des Aufenthaltsorts erhöht werde.206 Das Gericht kann auch über den Katalog des § 68b Abs. 1 S. 1 StGB hinaus nach Abs. 2 S. 1 weitere Weisungen erteilen. Ein Verstoß gegen Weisungen der in § 68b Abs. 1 StGB bezeichneten Art ist nach § 145a StGB mit Strafe bewehrt. 202

Hierin erfasst sind über § 181b StGB insbesondere Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. 203 Ostendorf, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 68 Rn. 6. 204 Ostendorf, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 68 Rn. 6 ff. 205 Vgl. dazu näher Brauneisen, StV 2011, 311 ff. 206 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP für das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen, BT-Drs. 17/3403, S. 17; das hat allerdings zumindest in einem Fall einen derart Überwachten nicht von einer erneuten Sexualstraftat abgehalten, vgl. SPIEGEL Online v. 9. 1. 2013, online unter: http:// bit.ly/WyXjA2 (Stand: 13. 04. 2013).

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B. Der entlassene Straftäter

Trotz dieser vielfältigen Instrumente ist die Wirksamkeit der Führungsaufsicht umstritten.207 So wird ihr u. a. vorgeworfen, die Verbindung mit einer Strafandrohung verschaffe ihr den Anschein einer „Zwangssozialisation“, in der das repressive Element zu Lasten von Hilfe und Betreuung die Dominanz gewinne.208 Gleichwohl wird sie in bestimmten Fallkonstellationen als eine „ambulante Alternative“ zur Sicherungsverwahrung betrachtet und entsprechend statt der schwerwiegendsten unter den Maßregeln eingesetzt.209 c) Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung Die Folgen einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) sind weit gravierender als die der Führungsaufsicht: Dem an sich zu entlassenden Straftäter wird – weil von ihm besonders große Gefahren für die Allgemeinheit ausgehen – über die Dauer seiner Freiheitsstrafe hinaus die Freiheit entzogen.210 Die Sicherungsverwahrung ist letzte „Notmaßnahme der Kriminalpolitik“211 und im System der Maßregeln jene mit dem „schärfsten Maß an Übelszufügung“212 überhaupt. Ist eine Reihe formeller Voraussetzungen (§ 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 – 3 StGB)213 erfüllt214, so wird die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet, wenn „die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten (…) für die Allgemeinheit gefährlich ist“ (§ 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB).215 Hangtäter ist nach gängiger Rechtsprechung, wer 207 Vgl. Grosser/Maelicke, in: Cornel/Kawamura-Reindl/Maelicke u. a. (Hrsg.), Resozialisierung, 3. Aufl. 2009, S. 192, 195 ff. m.w.N. 208 Ostendorf, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, Vorbemerkungen zu den §§ 68 bis 68 g Rn. 14. 209 Schneider, NStZ 2007, 441, 442; vgl. auch Ostendorf, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, Vorbemerkungen zu den §§ 68 bis 68 g Rn. 18. 210 Zu einer Kritik der jüngeren Entwicklung der Sicherungsverwahrung vgl. Boetticher, FS Schöch, 2010, S. 715 ff. 211 Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drs. V/4094, S. 19; BGHSt 30, 220, 222. 212 Böllinger/Pollähne, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 66 Rn. 31. 213 Nach Nr. 1: Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer unter lit. a–c näher bezeichneten Straftat; nach Nr. 2: zwei Vorverurteilungen wegen der unter Nr. 1 genannten Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von jeweils mindestens einem Jahr; nach Nr. 3: Verbüßung von mindestens zwei Jahren wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat. Diesen formellen Voraussetzungen kommt allerdings im Vergleich zu der folgenden materiellen Voraussetzung keine starke Filterfunktion zu, vgl. – allerdings zum alten Recht – Kinzig, NStZ 1998, 14 ff. 214 Vgl. näher Kinzig, Sicherungsverwahrung, 1996, S. 49 ff. 215 Das BVerfG hat mit Urt. v. 4. 05. 2011 § 66 StGB für unvereinbar mit Art. 2 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG erklärt (E 128, 326 ff. – EGMR Sicherungsverwahrung). Bis längstens zum 31. Mai 2013 bleiben die Vorschriften aber mit der Maßgabe anwendbar, dass eine besonders strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen ist.

II. Der entlassene Straftäter als Gefahrenquelle

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infolge eines aufgrund charakterlicher Veranlagung bestehenden oder durch Übung erworbenen Hanges zur Wiederholung neigt216, der dauernd zu Straftaten entschlossen ist oder auf Grund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt.217 Als Indikatoren für die Feststellung eines Hanges werden insbesondere genannt: Herkunft, Persönlichkeitsstruktur, allgemeines Sozialverhalten, Häufigkeit und Art der kriminellen Vorbelastung des Täter sowie die Rückfallgeschwindigkeit.218 Der Hang i.S.d. § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB wird in der Literatur zwar als „normativ überfrachtete[r] und widersprüchliche[r]“219, gar inhaltsleerer220 Begriff bezeichnet und unter nahezu jedem denkbaren Gesichtspunkt kritisiert221. Gleichwohl spielt diese erste materielle Voraussetzung des § 66 StGB in der Rechtsprechung eine gegenüber der zweiten und dritten Voraussetzung dominante Rolle.222 Der Hang muss sich nämlich weiter auf erhebliche Straftaten beziehen und der Straftäter muss infolge des Hanges zu solchen Straftaten als für die Allgemeinheit gefährlich eingestuft werden. Zur Bestimmung der Erheblichkeit kann nicht allein abstrakt auf den erwarteten Straftatbestand abgestellt werden223, ebenso wenig allein auf den erwarteten tatsächlichen Erfolg224. Vielmehr bejaht die Rechtsprechung die Erheblichkeit bei Verbrechen i.S.d. § 12 Abs. 1 StGB in der Regel225, in einem „unteren Bereich“ der Vergehen i.S.d. § 12 Abs. 2 StGB ist sie ohne Weiteres ausgeschlossen226; dazwischen kommt es entscheidend auf den einzelfallspezifischen Schwe216

Soweit schon RGSt 72, 295. BGH, NStZ 1995, 178 f.; 1999, 502, 503; 2002, 537, 538; 2003, 201, 202; 2008, 27, 28. 218 Aufzählung bei Böllinger/Pollähne, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 66 Rn. 82. Für eine vorrangige Heranziehung der bisherigen kriminellen Karriere und der Anlasstat Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 2010, § 66 Rn. 26. Vgl. auch die teils anderen Indikatoren mit Nachweisen aus der Rspr. bei Kinzig, NStZ 1998, 14, 15. 219 So Böllinger/Pollähne, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 66 Rn. 90. 220 So nach empirischer Analyse der gerichtlichen Begründungen zum Vorliegen eines Hanges Kinzig, NStZ 1998, 14, 19. 221 Vgl. näher die Rezeption der Kritik am Hangbegriff bei Kinzig, NStZ 1998, 14, 15 f. 222 Kinzig, NStZ 1998, 14, 16 ff. 223 Böllinger/Pollähne, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 66 Rn. 92. 224 BGH, NStZ 1986, 165; NStZ-RR 2002, 38; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 2010, § 66 Rn. 29; Böllinger/Pollähne, in: Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 66 Rn. 92. 225 So sind z. B. wohl BGH, NJW 1976, 300, und BGH, NJW 1980, 1055 f., zu verstehen; ebenso Böllinger/Pollähne, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 66 Rn. 92; vorsichtiger MüKoStGB/Ullenbruch, § 66 Rn. 104 ff.; Stree/Kinzig, in: Schönke/ Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 2010, § 66 Rn. 29. 226 BGHSt 24, 153 f.; 24, 160, 162 („… sollen Straftaten geringer oder nur mittlerer Schwere regelmäßig nicht mehr die Anordnung der Sicherungsverwahrung begründen.“); OLG Nürnberg, NJW 1971, 1573 m.w.N. aus der Rspr. 217

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B. Der entlassene Straftäter

regrad der Tat an227. Schließlich muss zur Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auch das Erfordernis der aus dem Hang folgenden Gefährlichkeit erfüllt sein. Dies ist dann zu bejahen, wenn die überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Straftäter weitere erhebliche Straftaten begehen wird.228 Um dies beurteilen zu können, sind belastbare Gefährlichkeitsprognosen zu erstellen.

2. Individuelle Gefährlichkeitsprognosen Derartige individuelle Gefährlichkeitsprognosen sind materielle Kernvoraussetzung des Maßregelrechts.229 Ihre Notwendigkeit kann einerseits schon aus dem Willkürverbot230, andererseits aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgeleitet werden; sie sind daher äußerst gewissenhaft vorzunehmen. a) Verfassungsrechtliche Notwendigkeit Das Willkürverbot entstand aus dem Versuch, den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG negativ zu definieren.231 Möchte der Staat dem Gleichheitsgebot gerecht werden, muss er nicht etwa jeden vergleichbaren Sachverhalt gleich behandeln, sondern darf in jeder Rechtsordnung notwendige Differenzierungen232 vornehmen, solange die dadurch bedingten Ungleichbehandlungen – bzw. die Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte – auf sachliche Gründe gestützt sind.233 In der frühesten Formulierung des BVerfG234 ist der Gleichheitssatz deshalb dann verletzt, „wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder 227

Vgl. näher MüKoStGB/Ullenbruch, § 66 Rn. 102 ff. Böllinger/Pollähne, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 66 Rn. 105. 229 Böllinger/Pollähne, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 61 Rn. 58. 230 Zu diesem ausführlich z. B. Scholler, Gleichheitssatz, 1969; Hartmann, Willkürverbot und Gleichheitsgebot, 1972. 231 Dazu grundlegend Leibholz, Gleichheit, 1925. Lange Zeit wurde der Gleichheitssatz gar mit dem Willkürverbot erschöpfend umschrieben, vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 10/1996, Art. 3 Anhang Rn. 3; zur vielseitigen Kritik hieran s. nur Wendt, NVwZ 1988, 778 ff.; zur Weiterentwicklung des Gleichheitssatzes durch die Rspr. selbst vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 10/1996, Art. 3 Anhang Rn. 6 f. 232 Vgl. Gusy, NJW 1988, 2505, 2506. 233 Ob daneben ein von willkürlichen Gleich- und Ungleichbehandlungen unabhängiges allgemeines Willkürverbot aus dem Rechtsstaats- bzw. dem Bundesstaatsprinzip abgeleitet werden kann und sollte (so Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 10/1996, Art. 3 Anhang Rn. 5) kann dahinstehen, da zumindest in der Sache keine Zweifel an einem umfassenden Willkürverbot bestehen. 234 BVerfGE 1, 14, 52. 228

II. Der entlassene Straftäter als Gefahrenquelle

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Gleichbehandlung nicht finden läßt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß“. Das Erfordernis individueller Gefährlichkeitsprognosen im Maßregelrecht ist wohl der Versuch, die einem bestimmten Personenkreis auferlegten Freiheitsbeschränkungen vor dem Grundgesetz zu rechtfertigen. Die Anordnung von Maßregeln ist darüber hinaus unangemessen – d. h. unverhältnismäßig –, wenn für das konkret bedrohte Rechtsgut die Rückfallwahrscheinlichkeit zu niedrig ist.235 Das BVerfG hat zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Maßregeln der Besserung und Sicherung unter Wiedergabe des § 62 StGB erklärt: „Eine solche Maßregel darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zum Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht. Damit hat [der Gesetzgeber] ohnehin von Verfassungs wegen geltendes Recht nochmals im sachlichen Kodifikationszusammenhang hervorgehoben…“.236 Das Gericht hält also die Anknüpfung an die individuelle Gefährlichkeit für ein zwingendes Erfordernis des Verhältnismäßigkeitsprinzips. b) Anforderungen an die Prognose Mithin ist sowohl für die Führungsaufsicht nach § 68 Abs. 1 StGB237 als auch für die Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB die Frage der Bemessung der Gefährlichkeit im Einzelfall entscheidend. Für diese ausschlaggebend ist zunächst die individuelle Rückfallwahrscheinlichkeit; hinzu kommen Art und Schwere der erwarteten Straftat. Die Methoden zur Bemessung der individuellen Gefährlichkeit sind vielfältig und komplex.238 Ausgangspunkt239 ist dabei stets die auf bestimmte Tätergruppen bezogene, also gruppenbezogene Rückfallwahrscheinlichkeit.240 Diese ist statistisch 235 So für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung Rissing-van Saan/Peglau, in: Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 12. Aufl. 2008, § 66 StGB Rn. 34. 236 BVerfGE 70, 297, 312 (Herv. d. Verf.). 237 Auch bei den Fällen der kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht (§ 68 Abs. 2 StGB) ist zumindest irgendwann einmal eine Gefährlichkeitsprognose erfolgt – mit Ausnahme der automatisch eintretenden Führungsaufsicht nach § 68 f StGB, die allerdings nach Abs. 2 der Vorschrift im Falle einer positiven Legalprognose entfallen muss. 238 Vgl. dazu umfassend Dahle, Psychologische Kriminalprognose, 2005; zusammenfassend Edenfeld, JZ 1998, 645, 120 ff.; im Zusammenhang speziell mit der Sicherungsverwahrung auch Kinzig, Sicherungsverwahrung, 1996, S. 79 ff.; stärker aus psychologischer Sicht Leygraf, in: Venzlaff/Foerster/Bork (Hrsg.), Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl. 2009, S. 483 ff. 239 Dass abstrakte statistische Werte über Rückfallwahrscheinlichkeiten dem Einzelfall nicht gerecht werden können, musste der BGH im Zusammenhang mit § 66 StGB ausdrücklich klarstellen, NStZ 2009, 323. Siehe auch BVerfGE 109, 190, 242 – Nachträgliche Sicherungsverwahrung; BVerfG, NStZ 2007, 87, 88; BGHSt 50, 121, 130 f. 240 Vgl. zu diesen sog. Basisraten Dünkel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 57 Rn. 125 ff.; siehe auch Jehle/Heinz u. a., Legalbewährung, S. 69.

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B. Der entlassene Straftäter

erfassbar und damit eine hinreichend gesicherte Grundlage für die weit größere Herausforderung der Bestimmung der individuellen Rückfallwahrscheinlichkeit. Zu deren Beurteilung wurden zahlreiche Kriterien in verschiedensten Kombinationen, Gewichtungen und Verfahren herangezogen, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann.241 Hingewiesen sei aber auf einige grundlegende Voraussetzungen für belastbare Prognosegutachten, um die Komplexität der Fragestellung deutlich zu machen. So fordert das BVerfG „eine Auseinandersetzung mit dem Anlassdelikt, der prädeliktischen Persönlichkeit, der postdeliktischen Persönlichkeitsentwicklung sowie dem sozialen Empfangsraum [gemeint sind die Perspektiven und Außenbezüge] des Täters“; daneben sei besonderes Augenmerk auf das Verhalten des Verurteilten bei etwaigen Vollzugslockerungen zu richten.242 Eine Arbeitsgruppe aus Richtern am BGH, Bundesanwälten und weiteren Juristen, forensischen Psychiatern und Psychologen sowie Sexualmedizinern erarbeitete auf dieser Basis sehr detaillierte Mindestanforderungen für Prognosegutachten243, in denen neben einer Vielzahl formeller244 auch zahlreiche inhaltliche Anforderungen formuliert werden. Diese Anforderungen betreffen insbesondere die Methoden und den Umfang der Informationsgewinnung, daneben Fragen zur Diagnose und zur Abfassung des Gutachtens. Dazu werden für die Beurteilung der Gefährlichkeit eines Straftäters Informationen für relevant erachtet zu: Herkunftsfamilie, Ersatzfamilie, Kindheit (Kindergartenalter, Grundschulalter), Schule/Ausbildung/Beruf, finanzieller Situation, Erkrankungen (allgemein/psychiatrisch), Suchtmitteln, Sexualität, Partnerschaften, Freizeitgestaltung, Lebenszeit-Delinquenz (evtl. Benennung spezifischer Tatphänomene sowie Progredienz, Gewaltbereitschaft, Tatmotive etc.), ggf. Vollzugs- und Therapieverlauf, sozialen Bezügen, Lebenseinstellungen, Selbsteinschätzung, Umgang mit Konflikten und zur Zukunftsperspektive. Die so ermittelten Prognosen sind freilich nicht fehlerresistent. Die Fehlerquoten von Gefährlichkeitsprognosen sind zwar kaum messbar – wird z. B. jemand fälschlich in Sicherungsverwahrung untergebracht, bleibt unklar, ob er tatsächlich rückfällig geworden wäre –, allerdings ist bereits eine theoretische Annäherung an das Problem äußerst aufschlussreich245 : Bei einer durchschnittlichen Rückfallquote von 20 % und einer Trefferquote der Gefährlichkeitsprognose von 75 % ergäben sich bei 100 Begutachtungen 5 Fehlprognosen zu Lasten der Allgemeinheit (d. h. es würden im Falle der Sicherungsverwahrung 5 Straftäter in die Freiheit entlassen, die tatsächlich rückfällig werden) und 20 Fehlprognosen zu Lasten der Verurteilten (d. h. 241

Vgl. dazu aus dem jüngeren Schrifttum umfassend Pollähne, Kriminalprognostik, 2010; oder Kinzig, Legalbewährung, 2. Aufl. 2010, S. 134 ff. 242 BVerfGE 198, 133, 165 f. 243 Dargestellt in Boetticher/Kröber/Müller-Isberner u. a., NStZ 2006, 537 ff. 244 Wie z. B. der Angabe der Erkenntnisquellen oder die Offenlegung von Unklarheiten und Schwierigkeiten. 245 Beispiel von Nedopil, NStZ 2002, 344, 346.

III. Zusammenfassung

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es würden 20 Straftäter in die Sicherungsverwahrung gelangen, die tatsächlich nicht mehr rückfällig würden). Ist die Trefferquote der Prognose niedriger als die durchschnittliche Rückfallquote, bringt die Prognose gar keine weitergehende Erkenntnis mehr.246 Damit sei veranschaulicht, dass taugliche Gefährlichkeitsprognosen zwar schwierig, aber lohnenswert sind.247 Die mittlerweile hohe Treffsicherheit insbesondere im Hochrisikobereich hat das BVerfG in seiner Entscheidung zur langfristigen Sicherungsverwahrung explizit gewürdigt.248 Diese Auffassung wird indes nicht von allen Seiten geteilt.249

3. Zwischenergebnis Das Ergebnis individueller Gefährlichkeitsprognosen bestimmt in erheblicher Weise den Umgang mit Straftätern. Es entscheidet u. a. über die Strafaussetzung zur Bewährung, über die Strafrestaussetzung, über die Anordnung von Führungsaufsicht und im Extremfall über die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung.250 Damit spielen individuelle Gefährlichkeitsprognosen für den Betroffenen eine erhebliche Rolle und definieren letztlich seinen zumindest vorübergehenden Rechtsstatus in der Gesellschaft. Individuelle Gefährlichkeitsprognosen müssen deshalb hohen Ansprüchen genügen, insbesondere wenn es um den Umgang mit Vollverbüßern geht, die mit ihrer Entlassung grundsätzlich in ihren Rechtsstatus vor der Verurteilung zurückversetzt sind. Wenn die individuelle Gefährlichkeitsprognose damit aus Sicht des Betroffenen mit erheblichen Freiheitsbeschränkungen verbunden sein mag, so ist das jedoch nur die halbe Wahrheit; denn sie ist zugleich Ausdruck der vom Rechtsstaat eingeforderten Gewähr dafür, dass nur solche entlassenen Straftäter über ihre Haft hinaus wirkenden Belastungen ausgesetzt werden, die nach bestmöglicher Prognose als gefährlich einzustufen sind.

III. Zusammenfassung Ein Straftäter hat Rechte. Er ist nach Begehung der Tat nicht bloßes Objekt staatlicher Strafgewalt – erst recht dann nicht mehr, wenn er die vom Gericht verhängte Strafe verbüßt hat. Ein aus der Haft entlassener Straftäter ist deshalb grundsätzlich wieder im Vollbesitz seiner Freiheitsrechte. Darüber hinaus gewährt 246

Nedopil, NStZ 2002, 344, 347. Zum Wert fachgerecht angewendeter Prognoseinstrumente vgl. Boetticher/Dittmann/ Nedopil u. a., NStZ 2009, 478, 479. 248 BVerfGE 109, 133, 158. 249 Krit. zur Praxis der Individualprognose im Zusammenhang mit der Sicherungsverwahrung Alex, Nachträgliche Sicherungsverwahrung, 2010, insbes. S. 119 ff. 250 Für einen Überblick über im Gesetz vorgesehene Prognosen vgl. Boetticher/Kröber/ Müller-Isberner et al., NStZ 2006, 537, 538. 247

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B. Der entlassene Straftäter

ihm die Rechtsordnung sogar zusätzlichen Schutz, um seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu fördern. Von entlassenen Straftätern gehen teilweise Gefahren aus. Sie einzuhegen ist Aufgabe staatlicher Gewalt. Der Gesetzgeber hat dazu das Maßregelrecht geschaffen. Zusätzlichen, an seine Straftat anknüpfenden Belastungen zum Schutz der Bevölkerung darf der entlassene Straftäter nur unterworfen werden, wenn eine fachgerecht erstellte individuelle Gefährlichkeitsprognose zu der Vermutung Anlass gibt, dass er weiterhin eine Gefahr für die Allgemeinheit ist. Mit diesem Anspruch versucht das deutsche Maßregelrecht dem Willkürverbot wie dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu genügen.

C. Verfassungsrechtliche Vorgaben für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern Die vorstehenden Teile A. und B. haben den Weg bereitet für die Hinwendung zum eigentlichen Thema der Arbeit: staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern. In Teil A. wurden einige Schwierigkeiten aufgezeigt, die mit staatlichen Warnungen allgemein einhergehen, darunter die Streitfrage nach dem Erfordernis einer Rechtsgrundlage. Dieselbe Frage ist auch im Zusammenhang mit Warnungen vor entlassenen Straftätern zu beantworten. In Teil B. wurde aufgezeigt, welche Rechte einem entlassenen Straftäter zustehen und welche seine Haft überdauernden Freiheitsbeschränkungen ihm unser Rechtssystem unter welchen Voraussetzungen auferlegt. In dieses Spannungsfeld müsste sich auch eine Ermächtigung zu Warnungen vor entlassenen Straftätern einfügen lassen. Im vorliegenden Teil C. dieser Arbeit geht es um die verfassungsrechtlichen Vorgaben für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern. Welche Anforderungen müsste eine Ermächtigung zu solchen Warnungen erfüllen? Wie wäre sie auszugestalten, um die Grundrechte der Betroffenen nicht zu verletzen? Ist eine verfassungsgemäße Regelung überhaupt denkbar? Die Untersuchung ist offen gestaltet. Begrenzt wird sie allein durch den bereits in der Einführung zu dieser Arbeit gesteckten Rahmen: Es geht nicht um die Warnung von Betroffenen in akuten Gefahrensituationen; vielmehr geht es um Warnungen vor der nur abstrakten Gefahr, die vom entlassenen Straftäter ausgeht. Es geht auch nicht um die bloße Registrierung und polizeiliche Überwachung von entlassenen Straftätern wie bei der HaftEntlassenen-Auskunfts-Datei-Sexualstraftäter (HEADS)251, sondern um die Übermittlung von Informationen durch den Staat an die Öffentlichkeit. Innerhalb dieses Rahmens ist zunächst die Frage von Interesse, welche Gestaltungsmöglichkeiten überhaupt bestehen, d. h. an welche Voraussetzungen staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern geknüpft und in welcher Form sie an wen übermittelt werden könnten (I.). Anschließend ist zu klären, ob für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern eine Rechtsgrundlage überhaupt erforderlich ist (II.). Weil dies zu bejahen ist, müsste im Falle der Schaffung einer Rechtsgrundlage die grundgesetzliche Kompetenzordnung eingehalten werden (III.). Aus dem Grundgesetz ergeben sich schließlich eine Reihe materiell-rechtlicher Anforderungen an staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern (IV.). Unter Beachtung

251

Vgl. dazu oben Einführung III.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

aller entwickelten Vorgaben wird abschließend ein Vorschlag für ein zulässiges staatliches Warnsystem formuliert (V.).

I. Gestaltungsmöglichkeiten staatlicher Warnsysteme Mit staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern werden keine festen Vorstellungen verbunden. In jenen Staaten, die solche Warnungen nutzen, haben sich ganz unterschiedliche Strukturen herausgebildet. Warnungen werden an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft, über verschiedene Medien verbreitet und weichen zudem in ihrer Reichweite erheblich voneinander ab. Um einen Eindruck dieses Spektrums zu vermitteln, werden die Regelungen einiger Staaten näher vorgestellt. Die längste Tradition und größte Verbreitung hat die Veröffentlichung personenbezogener Daten von entlassenen Straftätern in den USA. Kurz eingegangen werden soll auch auf die Regelung in der kanadischen Provinz Alberta und im Vereinigten Königreich.

1. USA In den USA unterhalten alle 50 Bundesstaaten irgendeine Form von Mechanismus, durch den die Bevölkerung vor entlassenen Sexualstraftätern gewarnt wird. Vor anderen Tätergruppen wird nicht gewarnt. Nach einem knappen Blick auf das Kompetenzgefüge der Vereinigten Staaten im Strafrecht (a)) und die Entstehungsgeschichte der bundesgesetzlichen Regelungen in den USA, die personenbezogene Daten entlassener Straftätern der Öffentlichkeit zugänglich machen (b)), folgt eine Zusammenfassung der Bestimmungen einiger beispielhafter Bundesstaaten (c)). a) Die Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht im föderalen System der USA Die US-amerikanische Verfassung regelt die Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den Einzelstaaten durch Aufzählung der Bundeskompetenzen.252 Gemäß dem 10. Zusatzartikel zur US-Verfassung liegt die Zuständigkeit für alle anderen als den ausdrücklich dem Bund zugewiesenen Bereichen bei den Bundesstaaten. Im Strafrecht weist die US-Verfassung dem Bund ausdrücklich nur die Gesetzgebungskompetenz für die Piraterie, die Kriminalität zur See, die Geldfälschung, die Militärstraftaten und das Völkerrecht (Art. 1 § 8 US-Verfassung) sowie den Hochverrat (Art. 3 § 3 US-Verfassung) zu. Hinzu kommt allerdings die sog. police power, welche zu allen für den Schutz von „lives, liberties and porperties of the people“253 252 Für eine knappe Darstellung der Kompetenzverteilung in den USA vgl. Brugger, Öffentliches Recht der USA, 2. Aufl. 2001, S. 62 ff. 253 James Madison, zitiert nach Logan, Ohio State Journal of Criminal Law 6 (2008), 51, 53.

I. Gestaltungsmöglichkeiten staatlicher Warnsysteme

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erforderlichen Maßnahmen ermächtigt, traditionell aber zurückhaltend ausgeübt wurde254. Mit steigender Mobilität seiner Bürger, sah sich der Bund jedoch in der Zeit nach dem Unabhängigkeitskrieg dazu genötigt, seine Gesetzgebungstätigkeit im Strafrecht auszuweiten255 – eine Entwicklung, die insbesondere ab den 1960erJahren an Geschwindigkeit zunahm256, ohne dass aber der Bund signifikante Änderungen im materiellen Recht erzwang257. Ein qualitativer Sprung war jedoch die Gesetzgebung des Bundes ab dem Jahr 1994 im Sexualstrafrecht, als der US-Kongress seine finanziellen Unterstützungsprogramme einsetzte, um ein gesetzgeberisches Tätigwerden der Bundesstaaten zum Schutz vor entlassenen Sexualstraftätern zu erreichen. Dazu verband er die Nichteinhaltung nationaler Vorgaben des Wetterling Act (dazu sogleich) durch die Bundesstaaten mit einem Verlust von zehn Prozent der im Rahmen des Byrne Formula Grant gewährten Zuschusses des Bundes für das Justizwesen in den Bundesstaaten (vgl. Titel 42 § 14071 (g)(2)(A) United States Code). Diese Technik wird in der Literatur als Umgehung der verfassungsmäßigen Kompetenzverteilung betrachtet und entsprechend kritisiert258, scheint aber sehr effektiv zu sein259. b) Entstehungsgeschichte und Inhalt der maßgeblichen Gesetze auf Bundesebene Die heutige US-amerikanische Staatspraxis260 staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern ist eng mit dem Schicksal zweier Kinder verbunden, die in den 1990er-Jahren Opfer schwerer Verbrechen wurden261: Jacob Wetterling und Megan Kanka. Ersterer war elf Jahre alt, als er von einem Unbekannten entführt wurde. Das Verbrechen wurde nie aufgeklärt. Im Zuge der Ermittlungen wurde bekannt, dass in der Umgebung des Tatorts ein sog. halfway house für aus der Haft entlassene Sexualstraftäter existierte, in dem diese übergangsweise lebten. Dass die Ermittlungsbehörden hierüber nicht von vornherein informiert waren und damit potentielle 254

Logan, Ohio State Journal of Criminal Law 6 (2008), 51, 53. So Anfang des 20. Jahrhunderts für grenzüberschreitende Zuhälterei, Betäubungsmittel, Entführung oder grenzüberschreitenden Autodiebstahl; vgl. näher Logan, Ohio State Journal of Criminal Law 6 (2008), 51, 53 f. 256 Vgl. Logan, Ohio State Journal of Criminal Law 6 (2008), 51, 55 ff. 257 Logan, Ohio State Journal of Criminal Law 6 (2008), 51, 59. 258 Vgl. Logan, Ohio State Journal of Criminal Law 6 (2008), 51 ff.; Baker, Annals of the American Academy of Political and Social Science 2001, 104 ff.; und generell kritisch zu Kompetenzerweiterungen des Bundes Stuntz, Harvard Law Journal 119 (2006), 780, 843 ff.; Marshall, DePaul Law Review 44 (1995), 719 ff. 259 Vgl. Logan, Ohio State Journal of Criminal Law 6 (2008), 51, 82; Yung, Harvard Journal on Legislation 46 (2009), 369, 372 m.w.N. 260 Für eine ausführliche Herleitung der Gesetzgebungsgeschichte seit den 1930er-Jahren vgl. Logan, New England Journal on Criminal & Civil Confinement 34 (2008), 3 ff. 261 Für Kritik zu dieser Entwicklung vgl. nur Janus, Failure to protect, 2006, S. 14 ff. 255

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Verdächtige übersahen, bot Anlass für den im Jahr 1994 verabschiedeten Jacob Wetterling Crimes Against Children and Sexually Violent Offender Registration Act.262 Durch dieses Gesetz wurden die US-Bundesstaaten zur Einrichtung von Datenbanken u. a. über Sexualstraftäter verpflichtet, in denen insbesondere die aktuelle Adresse der Betroffenen aufzuführen ist. Um die Richtigkeit der Daten zu gewährleisten, wurden die Betroffenen in dem Gesetz zur Mitteilung ihrer Wohnadressen an die Behörden verpflichtet. Schon der Jacob Wetterling Act gestattete, verpflichtete aber nicht dazu, die Öffentlichkeit vor als besonders gefährlich eingestuften Sexualstraftätern zu warnen. Eine entsprechende Verpflichtung aller Bundesstaaten brachte erst eine unter dem Namen Megan’s Law bekannt gewordene Erweiterung obigen Rechtsakts aus dem Jahre 1996. Dieses Gesetz wurde benannt nach der siebenjährigen Megan Kanka, die 1994 von einem entlassenen Sexualstraftäter sexuell missbraucht und anschließend getötet wurde. Der Jacob Wetterling Act wurde außerdem durch den ebenfalls 1996 verabschiedeten Pam Lyncher Act (Aufbau einer öffentlich zugänglichen nationalen Datenbank263) sowie den Adam Walsh Protection and Safety Act (AWA) aus dem Jahr 2006 ergänzt und präzisiert.264 Mit letzterem Gesetz wurde insbesondere ein Klassifikationssystem für Sexualstraftäter eingeführt, das Betroffene in drei Kategorien einteilt, an die Aspekte wie die Dauer der Registrierung, die Zeiträume für eine Rückmeldung und die Notwendigkeit einer Online-Veröffentlichung der Daten anknüpfen. Die Einteilung erfolgt dabei nicht auf Grundlage einer individuellen Gefährlichkeitsprognose, sondern nach der Art der Delikte, derentwegen die Straftäter verurteilt wurden.265 Auch sollen sich nunmehr alle, die sich einer Sexualstraftat („sex offense“) schuldig gemacht haben, registrieren müssen (vgl. Titel 42 § 16911 (5) United States Code), nicht mehr nur jene Straftäter, die zudem gewalttätig oder gegen Kinder vorgingen (so noch der Wetterling Act).266

262

Die Bundesstaaten waren jedoch schneller. So hatte der Bundesstaat Washington bereits 1990 mit dem Community Protection Act ein Gesetz verabschiedet, das neben der verpflichtenden Registrierung von Sexualstraftätern auch die Weitergabe von deren personenbezogenen Daten an die Öffentlichkeit gestattete. Eine reine Datenbank (ohne Möglichkeit öffentlicher Warnungen) hatte Kalifornien bereits 1947 eingerichtet. 263 Die „Dru Sjodin National Sex Offender Public Website“ ist abrufbar unter www.nsopw.gov (Stand: 13. 04. 2013). 264 Für einen Überblick über weitere Gesetzesakte vgl. Logan, Ohio State Journal of Criminal Law 6 (2008), 51, 72 ff. 265 Für eine kritische Analyse der rechtlichen wie praktischen Folgen, insbesondere für solche Bundesstaaten, die bis dato sehr viel differenziertere Klassifizierungssysteme entwickelt hatten, vgl. Harris/Lobanov-Rostovsky/Levenson, Criminal Justice and Behaviour 37 (2010), 503 ff.; aufschlussreich auch Yung, Harvard Journal on Legislation 46 (2009), 369 ff. 266 Für eine ausführliche Zusammenfassung des Adam Walsh Protection and Safety Act (2006) vgl. Logan, Ohio State Journal of Criminal Law 6 (2008), 51, 76 ff.

I. Gestaltungsmöglichkeiten staatlicher Warnsysteme

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c) Gesetzliche Regelung in ausgewählten Bundesstaaten Alle US-Bundesstaaten haben seit den Verbrechen an Jacob Wetterling und Megan Kanka Regelungen zur Registrierung von und Aufklärung über entlassene Sexualstraftäter. In den frühen 1990er-Jahren bestanden zwischen diesen Regelungen noch große Unterschiede. Diese Unterschiede wurden durch die oben vorgestellten Bundesgesetze reduziert, aber nicht beseitigt. So werden namentlich der Umfang der veröffentlichten Informationen, die Dauer der Veröffentlichung und die Bewertung der Gefährlichkeit des entlassenen Straftäters noch höchst unterschiedlich gehandhabt.267 Z.B. reicht bei der Beurteilung der Gefährlichkeit von Straftätern das Spektrum von individuellen, wissenschaftlich fundierten Risikobewertungen bis zu rein abstrakten Einstufungen nach der Art des zugrundeliegenden Delikts. Es folgen Ausführungen zu einigen exemplarischen Regelungen in den Bundesstaaten, die zugleich Vertreter zweier konkurrierender Modelle sind. Zunächst wurde mit Minnesota (aa)) ein Bundesstaat gewählt, der mit individuellen Gefährlichkeitsprognosen arbeitet und alle den Täter belastende Rechtsfolgen hieran anknüpft. Mit Kalifornien (bb)) und Florida (cc)) werden außerdem zwei Vertreter eines Ansatzes vorgestellt, der das Kategorisierungsmodell des AWA anwendet. aa) Minnesota Der US-Bundesstaat Minnesota unterhält ein verhältnismäßig differenziertes System aus Registrierung und Veröffentlichung der personenbezogenen Daten von entlassenen Sexualstraftätern. Registrierungspflichtig ist jeder Sexualstraftäter268, also vom Criminal Sexual Conduct in the First Degree (etwa: schwerer sexueller Missbrauch von Kindern269) bis zum Criminal Sexual Conduct in the Fifth Degree (etwa: exhibitionistische Handlungen270). Diese Pflicht besteht grundsätzlich für zehn Jahre.271 Sie kann unter bestimmten Umständen – so z. B. im Falle von Rückfalltätern272 – bis zum Lebensende des Betroffenen verlängert werden. Mitzuteilen hat der Straftäter u. a. die Adresse seines Erstwohnsitzes, die Adresse seines Arbeitgebers sowie die Daten seines Kfz.273 Ein Verstoß gegen die Registrierungspflicht kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden.274 Jeder Sexualstraftäter wird vor seiner Entlassung durch ein fünfköpfiges Gremium einem von drei Risikolevels zugeordnet. In Risikolevel I werden Personen mit 267 268 269 270 271 272 273 274

Fitch, Megan’s Law: Does it protect children?, 2006, S. 17 f. § 243.166 Subd. 1b lit. a (1) (iii) Minnesota Statutes. § 609.342 Minnesota Statutes. § 609.3451 Minnesota Statutes. § 243.166 Subd. 6 (a) Minnesota Statutes. § 243.166 Subd. 6 (d) Minnesota Statutes. § 243.155 Subd. 5a (a) Minnesota Statutes. § 243.166 Subd. 5 (a) Minnesota Statutes.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

niedrigem, in Risikolevel II Personen mit moderatem und in Risikolevel III Personen mit hohem Rückfallrisiko eingeordnet.275 Wird der Sexualstraftäter in Risikolevel II oder III eingestuft, kann er eine Überprüfung dieser Entscheidung beantragen.276 Für die Bestimmung des individuellen Rückfallrisikos sind folgende Faktoren zu berücksichtigen277: die Schwere der befürchteten Rückfalltat278 ; die Vorstrafen des Betroffenen279; der Charakter des Täters280; die Verfügbarkeit von Unterstützung durch die Gemeinschaft281; konkrete Hinweise darauf, dass der Täter rückfällig werden könnte; sowie seine physische Verfassung, also fortgeschrittenes Alter oder Krankheit. An das so bestimmte Risikolevel knüpfen die Bestimmungen zu aktiver und passiver Aufklärung der Bevölkerung über die entlassenen Sexualstraftäter an. Minderjährige Straftäter sind von diesen Veröffentlichungen in der Regel nicht betroffen.282 Aktiv aufklären können die zuständigen Sicherheitsbehörden die Bevölkerung, soweit dies für deren Schutz relevant und notwendig („relevant and necessary“) ist.283 Dabei hängt der Umfang der mitgeteilten Information vom Risikolevel des Betroffenen ab.284 Personenbezogene Daten von Risikolevel I zugeordneten Sexualstraftätern werden grundsätzlich nur zwischen den Sicherheitsbehörden verbreitet, können jedoch auch an frühere Opfer oder Zeugen weitergegeben werden. Im Bereich des Risikolevels II können personenbezogene Daten zusätzlich an Einrichtungen wie Schulen oder Kindertagesstätten in der Umgebung des Straftäters, daneben auch an Personen übermittelt werden, die als Opfer einer Rückfalltat in Betracht kommen. Hinsichtlich der personenbezogenen Daten von Sexualstraftätern in Risikolevel III ist die Sicherheitsbehörde sogar verpflichtet, sie an die eben Genannten und an weitere Personen zu übermitteln, die mit dem Straftäter in Kontakt kommen könnten.285 Als Mittel stehen den Behörden viele Möglichkeiten zur Verfügung, darunter die Nutzung von Radio oder Printmedien oder die Information im Rahmen von Bürgerversammlungen.

275

§ 244.052 Subd. 3 (e) Minnesota Statutes. § 244.052 Subd. 6 (a) Minnesota Statutes. 277 § 244.052 Subd. 3 (g) Minnesota Statutes. 278 Gemessen am Grad der wahrscheinlichen Gewalteinwirkung bzw. Schädigung des Opfers; am Grad der wahrscheinlichen physischen Einwirkung; am Alter des wahrscheinlichen Opfers. 279 Relevant sind u. a. die Beziehung zu früheren Opfern des Täters; die Anzahl der Vorstrafen oder früherer Opfer; der Gesamtzeitraum der Straffälligkeit. 280 Umgang mit Therapiebemühungen; Drogenkonsum. 281 Darunter die familiären und sozialen Beziehungen des Täters sowie sein Ausbildungsniveau und die Aussicht auf einen stabilen Arbeitsplatz. 282 Fitch, Megan’s Law: Does it protect children?, 2006, S. 28. 283 § 244.052 Subd. 4 (a) Minnesota Statutes. 284 § 244.052 Subd. 4 (b) Minnesota Statutes. 285 Zu Ausnahmen von dieser Regel vgl. § 244.052 Subd. 4 (b) (3) Minnesota Statutes. 276

I. Gestaltungsmöglichkeiten staatlicher Warnsysteme

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Passive Aufklärung der Bevölkerung erfolgt durch eine Internetseite. Auf dieser muss der Bevollmächtigte der Strafvollzugsbehörde aktuelle Informationen über alle dem Risikolevel III zugeordneten Straftäter – aber auch nur über solche – bereitstellen.286 Die Internetseite enthält umfassende Informationen zum betroffenen Straftäter, darunter Porträtfotos, sein Geburtsdatum, seine Wohnanschrift sowie Angaben zu den von ihm begangenen Sexualstraftaten.287 Nach diesen Informationen kann jeder Interessierte durch Eingabe eines Vor- oder Nachnamens, einer Stadt oder einem County suchen. bb) Kalifornien Kalifornien führt bereits seit 1947 eine Sexualstraftäterdatei. Seit 1995 konnten interessierte Bürger per Telefon Daten zu 47.000 wegen sexuellen Kindesmissbrauchs Verurteilten abrufen, 1996 wurde die umfasste Tätergruppe noch erweitert um Straftäter, die wegen bestimmter Sexualstraftaten gegen Erwachsene verurteilt wurden. Seit dem Jahr 2004 sind diese Informationen auch im Internet abrufbar. Kalifornien regelt Registrierung und Veröffentlichung der personenbezogenen Daten verurteilter Sexualstraftäter deutlich undifferenzierter als Minnesota in den §§ 290 ff. seines Strafgesetzbuchs (California Penal Code). Danach unterliegen so gut wie alle Sexualstraftäter einer grundsätzlich lebenslangen Registrierungspflicht288 und müssen sich jährlich rückmelden289, nach Umzug innerhalb von fünf Tagen290. Ist der betroffene Sexualstraftäter wegen Anwendung von Gewalt verurteilt worden, muss er sich gar alle neunzig Tage rückmelden.291 Verstößt er gegen diese Pflicht, macht er sich strafbar.292 Die aktive Aufklärung der Bevölkerung regelt § 290.45 Penal Code. Danach können die Sicherheitsbehörden über jeden registrierungspflichtigen Sexualstraftäterauf auf jede ihnen geeignet erscheinende Weise Informationen an die Öffentlichkeit weitergeben, wenn dies zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit erforderlich ist.293 Welche der registrierten Daten zudem frei zugänglich im Internet veröffentlicht werden, hängt von der Art der begangenen Straftat ab. Individuelle Gefährlichkeitsprognosen werden nicht durchgeführt. Drei Kategorien sind zu unterscheiden:

286 § 244.052 Subd. 4b Minnesota Statutes; am 13. 04. 2013 waren dies 292 Personen (online unter: http://www.doc.state.mn.us/level3/search.asp). 287 Beispiel: „Offender has a history of sexual contact with female victims (age 13-adult). The contact included fondling and penetration. Offender was known to victims.“ 288 § 290 (b) Penal Code. 289 § 290.012 (a) Penal Code. 290 § 290.013 (a) Penal Code. 291 § 290.012 (b) Penal Code. 292 § 290.018 Penal Code. 293 § 290.45 (a) (1) Penal Code.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Wer schwere Straftaten begangen hat294, findet seinen Namen, ein Foto, eine Beschreibung, sein Geburtsdatum, seine Vorstrafen, das entscheidende Urteil und seine Wohnadresse online wieder. In die zweite Kategorie fällt, wer wegen weniger schwerer Straftaten verurteilt wurde.295 Von diesen Straftätern wird statt der vollständigen Wohnadresse nur die Postleitzahl ins Netz gestellt.296 Alle übrigen Personen – etwa ein Viertel aller Sexualstraftäter297 – können sich von der Veröffentlichung befreien lassen.298 Wer nach Jugendstrafrecht verurteilt wurde, unterliegt zwar einer Registrierungspflicht299, seine Daten werden indes nicht im Internet veröffentlicht. Nach den aufgeführten Daten kann durch die Besucher der Internetseite gezielt und ohne Anlass gesucht werden. cc) Florida Florida belastet mit der Aufklärung über Sexualstraftäter diese noch etwas stärker als Kalifornien. Das Recht des südöstlichen US-Bundesstaates unterscheidet zwischen sexuellen Gewalttätern („sexual predator“) und anderen Sexualstraftätern („sexual offender“) und knüpft daran eine Reihe von Rechtsfolgen. Der Registrierungspflicht unterliegen beide Gruppen; sie ist außerordentlich weitreichend und umfasst z. B. auch die Mitteilung von E-Mail-Adressen und Chat-Namen noch vor deren Einsatz.300 Die Registrierungspflicht besteht grundsätzlich lebenslang, kann unter bestimmten Voraussetzungen jedoch nach 25 Jahren aufgehoben werden.301 Verstößt ein Sexualstraftäter gegen seine Registrierungspflichten, so macht er sich einer Straftat dritten Grades schuldig und erhält bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe.302 Aktive Aufklärung der Bevölkerung erfolgt im Falle von sexuellen Gewalttätern regelmäßig.303 Innerhalb von 48 Stunden nach Zuzug müssen die Sicherheitsbehörden Schulen und Kindertagesstätten informieren, die sich in einem Radius von einer Meile um den Wohnsitz des sexuellen Gewalttäters befinden. Bei anderen Sexualstraftätern sind die Sicherheitsbehörden zwar nicht verpflichtet, aber dazu ermächtigt, die Bevölkerung aufzuklären.304 294

Vgl. Katalog in § 290.46 (b) Abs. 2 und (c) Penal Code. § 290.46 (d) Abs. 2 Penal Code. 296 Die Website (www.meganslaw.ca.gov) wird übrigens in 13 verschiedenen Sprachen angeboten. 297 Fitch, Megan’s Law: Does it protect children?, 2006, S. 22. 298 § 290.46. (e) Penal Code. 299 § 290.008 (a) bis (c) Penal Code. 300 § 775.21 (6) (g) Nr. 4 Florida Statutes (sexuelle Gewalttäter) bzw. § 943.0435 (4) (d) Florida Statutes (andere Sexualstraftäter). 301 § 943.0435 (11) Florida Statutes. 302 § 775.21 (10) (a) bzw. § 943.0435 (9) (a) Florida Statutes i.V.m. §§ 775.082 ff. Florida Statutes. 303 § 775.21 (7) Florida Statutes. 304 § 944.606 (4) Florida Statutes. 295

I. Gestaltungsmöglichkeiten staatlicher Warnsysteme

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Der passiven Aufklärung der Bevölkerung dient neben einer gebührenfreien Telefon-Hotline auch in Florida das Internet.305 Sämtliche registrierungspflichte Sexualstraftäter sind darin aufgeführt. Wie auch im Falle von Minnesota und Kalifornien enthält die Internetseite u. a. Angaben zu Namen, Geburtsdatum und Adresse des Betroffenen. Die Informationen zur Tat beschränken sich auf die Anzeige des Straftatbestandes, für dessen Erfüllung der Straftäter verurteilt wurde. Gesucht werden kann auf der Internetseite auch nach E-Mail-Adressen und ChatNamen. Es besteht außerdem ein Notifikationssystem, mit dessen Hilfe Interessierte automatisch informiert werden, sobald irgendein Sexualstraftäter – oder auch ein ganz bestimmter Sexualstraftäter – in die Nachbarschaft zieht. dd) Zusammenfassung Es wird deutlich, wie inhomogen die Rechtslage in den USA derzeit ist. Während in Bundesstaaten wie Minnesota der Versuch unternommen wird, die Kollateralschäden von staatlichen Warnungen dadurch möglichst gering zu halten, dass individuelle Gefährlichkeitsprognosen der Betroffenen ermittelt werden, machen es sich andere Bundesstaaten wie Kalifornien und Florida deutlich leichter.306 Allen Ansätzen gemeinsam sind jedoch folgende Aspekte: Von der Registrierungspflicht werden so gut wie alle Sexualstraftäter erfasst; die Registrierungspflicht besteht über einen erheblichen Zeitraum (mind. zehn Jahre) ohne Möglichkeit, sie zu beseitigen; Verstöße gegen die Registrierungspflicht werden strafrechtlich verfolgt; alle Rechtsordnungen sehen Mechanismen für aktive und passive Aufklärung der Bevölkerung über zugezogene Sexualstraftäter vor; und zur passiven Aufklärung verwenden alle untersuchten Rechtsordnungen Internetseiten mit benutzerfreundlichen Suchfunktionen307.

2. Kanada Den US-amerikanischen Regelungen vergleichbare Gesetze existieren auch in Kanada. Auf nationaler Ebene wurde durch Gesetz vom 1. April 2004308 – der Sex Offender Information Registration Act (SOIRA) – eine nationale Sexualstraftäter305

§ 943.043 Florida Statutes. Das Abstellen nur auf die Art der Straftat zur Bestimmung von Umfang und Art der staatlichen Warnung hat der U.S. Supreme Court übrigens gebilligt, Smith v. Doe, 538 U.S. 84, 103 (2003): „Alaska could conclude that a conviction for a sex offense provides evidence of substantial risk of recidivism.“ Zu diesem Urteil näher unten C.IV.2.a)aa)(2)(a). 307 Der Gebrauch von Internetseiten erfolgte in den USA allerdings nicht seit jeher flächendeckend, vgl. Duwe/Donnay, Criminology 46 (2008), 411, 412. Mittlerweile scheinen aber alle Bundesstaaten über eine entsprechende Internetseite zu verfügen, vgl. die Zusammenstellung bei Human Rights Watch, No Easy Answers, 2007, S. 136 f. Daneben bietet die bereits erwähnte nationale Datenbank umfassenden Zugang zu Täterdaten. 308 Bill C-16, in Kraft getreten am 15. 12. 2004. 306

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

datenbank („National Sex Offender Registry“) geschaffen.309 Diese Datenbank ist indes allein für den Gebrauch durch die Sicherheitsbehörden bestimmt und der Öffentlichkeit nicht zugänglich, § 16 SOIRA. Eine nationale Internetseite vergleichbar der US-amerikanischen Dru Sjodin National Sex Offender Public Website existiert in Kanada nicht. Allerdings können nationale Behörden auf Grundlage des § 8 (2) (m) Privacy Act die Bevölkerung im Einzelfall warnen, wenn hierdurch das öffentliche Interesse gewahrt wird und dieses den daraus resultierenden Eingriff in die Privatsphäre klar überwiegt („clearly outweighs“). Ähnliche Vorschriften finden sich auf Ebene der Provinzen, so z. B. in Ontario mit § 41 [Ontario] Police Services Act. Die Provinz Alberta veröffentlicht zudem auf Grundlage des § 32 (1) (a) [Alberta] Freedom on Information Act Informationen zu einzelnen entlassenen Straftätern in Form von Pressemitteilungen sowie einer Liste im Internet. Darin sind nicht nur Sexualstraftäter, sondern alle als besonders gefährlich eingeschätzten Straftäter („high risk offenders“) aufgeführt, die aus der Haft entlassen werden. Der Prozess der Risikoprognose ist einfachgesetzlich nicht näher geregelt; allerdings existiert eine Vereinbarung310 zwischen den beteiligten Institutionen, die dessen Einzelheiten regelt. Danach ist die Strafvollzugsabteilung des Ministeriums für öffentliche Sicherheit für die Beurteilung der einzelnen Straftäter zuständig (§ 4 lit. a der Vereinbarung); die Entscheidung über die Veröffentlichung der personenbezogenen Daten im Internet trifft jedoch die lokale Polizeibehörde (§ 10 der Vereinbarung). Die im Internet aufgeführten Profile enthalten neben Angaben zur Person und einem Bild auch Listen von Vorstrafen der Betroffenen. Eine Wohnadresse wird nicht angegeben, sondern es wird nur mitgeteilt, dass sich der entlassene Straftäter in einem bestimmten Raum Albertas aufhalte. Die Profile werden entfernt, wenn der entlassene Straftäter zwölf Monate straffrei blieb und nicht mehr unter gerichtlich angeordneter Überwachung steht. Alberta ist also zurückhaltender, was die Veröffentlichung von Täterdaten zur Warnung der Öffentlichkeit angeht. Auffällig ist zudem, dass die die Veröffentlichung regelnden Vorschriften untergesetzlichen Charakter haben. Während in den USA jede Eventualität berücksichtigt und ganze Konvolute an Gesetzestexten entstanden sind, verlässt sich der Gesetzgeber in Alberta auf die rechtmäßige Anwendung von Generalklauseln durch das Ministerium für öffentliche Sicherheit sowie die Sicherheitsbehörden.

309 Modell für diese stand die Datenbank der kanadischen Provinz Ontario. Sie wurde bereits 2001 nach Inkrafttreten des sog. Christopher’s Law geschaffen. Dieses Gesetz wurde benannt nach Christopher Stephenson, der 1988 im Alter von elf Jahren von einem entlassenen Sexualstraftäter ermordet wurde. 310 Nämlich das Protocol regarding the release of information in respect of individuals who are believed to present a risk of significant harm to the health or safety of any person, group of people or the public aus dem Jahr 2008.

I. Gestaltungsmöglichkeiten staatlicher Warnsysteme

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3. Vereinigtes Königreich Eine Datenbank, in der personenbezogene Daten von Sexualstraftätern gesammelt werden, existiert auch im Vereinigten Königreich. Dort darf die Polizei personenbezogene Daten auf Anfrage an Einzelpersonen übermitteln, die ein begründetes Interesse an einschlägigen Vorstrafen bestimmter Individuen geltend machen können.311 Das child sex offender disclosure scheme war vor seiner Einführung in ganz England und Wales im April 2011 in einer mehrmonatigen Pilotphase getestet worden und dient allein dem Schutz von Kindern. So können z. B. Eltern (oder auch andere Besorgte wie die Großeltern) einen Auskunftsantrag hinsichtlich des Betreuers in einer Kindertagesstätte stellen oder allein erziehende Mütter hinsichtlich ihres neuen Lebenspartners. Die Polizei gibt Daten von Sexualstraftätern allerdings nur dann an die Eltern (und nur an diese) weiter, wenn die untersuchte Person bereits wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde, wenn sie aus Sicht der Polizei eine Gefahr für das Kind und eine Warnung an die Eltern verhältnismäßig und insbesondere dazu geeignet ist, die Sicherheit des Kindes zu erhöhen. Den Informierten ist es verboten, die Warnung an andere Personen weiterzugeben, ohne dass die Weitergabe allerdings explizit mit Strafe bedroht wäre. Auch der Sexualstraftäter wird im Regelfall über die Warnung informiert. Eine von der Leicester De Monfort University durchgeführte Evaluation der Pilotphase bewertete das Modell insgesamt positiv.312 Insbesondere seien nur selten negative Folgen für die betroffenen Sexualstraftäter erkennbar gewesen.313 Zu bemerken ist hierzu allerdings, dass die Zahl der Interviewten und die Dauer des Evaluationszeitraums sehr gering waren und insbesondere unter den befragten Sexualstraftätern keine solche waren, über die Informationen verbreitet wurden. Auch beschäftigte sich die Evaluation zuvörderst mit einer Auswertung der Zahlen zu Anfragen, Anträgen und Warnungen sowie den subjektiven Bewertungen durch die Nutzer; einen Versuch, den effektiven Mehrwert des Modells einzuschätzen, unternahm die Studie nicht.

311 Ausführlich zum britischen Modell das Guidance Document des Innenministeriums, online unter http://bit.ly/KSvG4 J (Stand: 13. 04. 2013). Das Vereinigte Königreich kennt noch zwei andere Instrumente, kraft derer die Öffentlichkeit vor Straftätern gewarnt werden kann: die Multi-Agency Public Protection Arrangements (MAPPA) sowie die Safeguarding Children Arrangements. Beide Instrumente sehen einzelfallbezogene Warnungen an bestimmte Individuen vor, ohne dass aber eine gezielte Informationserlangung durch die Bevölkerung möglich wäre. Interessant zu MAPPA auch das Urt. d. UK Supreme Court v. 21. 04. 2010 – R and Thompson v. Secretary of State for the Home Department –, in dem das Gericht entschied, dass eine lebenslange Registrierungspflicht für Straftäter mit Art. 8 EMRK unvereinbar sei. 312 Kemshall/Wood (u. a.) – Child Sex Offender Review (CSOR) Public Disclosure Pilots: a process evaluation, 2. Aufl., online unter http://bit.ly/K9coH9 (Stand: 13. 04. 2013). 313 Kemshall/Wood – Public Disclosure Pilots, S. 17 ff.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage Mit dem so gewonnenen ersten Eindruck von den verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten staatlicher Warnsysteme sei der Blick nun auf die erste dogmatische Frage gerichtet: die nach der Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage. Wie bereits dargestellt wurde, herrscht Uneinigkeit darüber, ob der Staat Warnungen allein auf Grund einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage aussprechen darf oder ob der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes bei staatlicher Informationstätigkeit nur eingeschränkte Geltung beansprucht; nach letzterer Auffassung soll bereits eine bloße Aufgabenzuweisung dem Staat als Handlungsgrundlage genügen.314 Aus dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes315 folgt zunächst, dass eine Rechtsgrundlage immer dann erforderlich ist, wenn der Staat in Grundrechte des Bürgers eingreift. Entsprechend wird an dieser Stelle der Arbeit als erstes untersucht, unter welchen Voraussetzungen staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern in welche Grundrechte eingreifen. In einem zweiten Schritt ist dann zu prüfen, ob sich die Erwägungen des BVerfG, die es zu einer Einschränkung des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes bei anderen Formen staatlicher Warnungen veranlassten, auf die hiesige Konstellation übertragen werden können; sollte dies nicht der Fall sein, wäre die Frage nach der Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage zu bejahen.

1. Eingriff in Grundrechte Als Grundrechte, in deren Schutzbereich durch staatliche Warnungen eingegriffen werden könnte, kommen zunächst in Betracht das Recht auf Resozialisierung, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre, die allesamt Ausprägungen des in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind (a)). Des Weiteren sind die Voraussetzungen für einen Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG (b)), in die in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Menschenwürde (c)) und schließlich in das Recht auf Gleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG (d)) sowie die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG (e)) zu prüfen. a) Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Die Rechtsprechung hat aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 GG das allgemeine Persönlichkeitsrecht entwi314 315

Vgl. dazu ausführlich oben A.II.2.c). Vgl. dazu oben A.II.2.a).

II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage

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ckelt.316 Mit der Zeit haben sich verschiedene Ausprägungen dieses eigenständigen Grundrechts317 herausgebildet, deren drei im Folgenden relevant sind und daher näher betrachtet werden. Wie bereits in der Einführung dieser Arbeit klargestellt, wird dabei nur auf die Eingriffsqualität der staatlichen Warnung selbst eingegangen – nicht aber auf die vorgelagerten Schritte des Sammelns und Speicherns von personenbezogenen Daten, die eigene Eingriffsakte sein können. Insoweit unterscheidet sich nämlich die Problematik staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern nicht von der bei anderen Datenbanken, die personenbezogene Daten von (entlassenen) Straftätern oder sonstigen als gefährlich eingestuften Personen enthalten.318 Beschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind häufig keine Eingriffe im klassischen Sinne – also final und unmittelbar, als Rechtsakt mit Befehl und Zwang durchgesetzt. Wie bereits dargelegt, ist der klassische Eingriffsbegriff jedoch zu eng.319 Nach moderner Auffassung ist ein Eingriff „jedes staatliche Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht, gleichgültig ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich (faktisch, informal), mit oder ohne Befehl und Zwang eintritt.“320 Dieser moderne Eingriffsbegriff ist wegen seiner Weite wiederum einschränkungsbedürftig: Auf das Merkmal der Finalität, also der zielgerichteten Beschränkung eines geschützten Verhaltens, wird nur dann verzichtet, wenn die Beschränkung eine gewisse Schwere erreicht.321 Im Kontext staatlicher Informationstätigkeit spricht nach der Rechtsprechung des BVerwG für den Eingriffscharakter einer Warnung auch, wenn die Folgen, „soweit sie das Verhalten der gewarnten Öffentlichkeit betreffen, beabsichtigt und im übrigen vorhergesehen und in Kauf genommen“ sind322, d. h. wenn der Staat zwar den Grundrechtseingriff nicht gezielt will, wohl aber das ihn vorhersehbar herbeiführende Verhalten der Adressaten seiner Warnung.

316

So zuerst BGHZ, 13, 334 ff.; in der Rspr. des BVerfG erstmals E 34, 238, 246 ff., bzw. E 34, 269, 280 ff.; zu diesem Grundrecht in jeder Hinsicht umfassend Luch, Medienpersönlichkeitsrecht, 2008, S. 13 ff. 317 Vgl. zur eigenständigen Bedeutung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber der Handlungsfreiheit insbesondere Jarass, NJW 1989, 857, 858; unklar, aber m.w.N. Vogelgesang, Informationelle Selbstbestimmung, 1987, S. 127 ff.; vgl. auch Di Fabio, in: Maunz/ Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 127 („Statur eines Grundrechts im Grundrecht“, s. aber auch Rn. 128); Stern/Sachs/Dietlein, Staatsrecht IV/1, 2006, S. 191; Heß, Grundrechtskonkurrenzen, 2000, S. 219. 318 Vgl. oben Einführung III. 319 Vgl. oben A.II.2.b). 320 Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 253; für weitere Nachweise zum modernen Eingriffsbegriff vgl. oben Fn. 111. 321 Murswiek, DVBl. 1997, 1021, 1023 ff. 322 BVerwGE 82, 76, 78; ebenso BVerwGE 87, 37, 43 f.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

aa) Eingriff in das Recht auf Resozialisierung Im Kontext dieser Arbeit am bedeutsamsten ist ein möglicher Eingriff durch staatliche Warnung vor entlassenen Straftätern in deren Recht auf Resozialisierung. (1) Das Recht auf Resozialisierung Der Schutzbereich des Rechts auf Resozialisierung erschließt sich am besten durch das Studium seiner Genese in der Rechtsprechung.323 Es wurde vom BVerfG im Zusammenhang mit der identifizierenden Medienberichterstattung über Strafprozesse entwickelt324 (a)) und in Entscheidungen zur Tilgungsreife von Eintragungen in das Bundeszentralregister325 sowie insbesondere zum Strafvollzug weiter präzisiert326 (b)).327 Allgemein gesagt garantiert das Recht dem Straftäter die Chance, sich nach Verbüßung seiner Strafe wieder in die Gesellschaft einzuordnen (c)).328 (a) Rechtsprechung zu identifizierender Medienberichterstattung Das BVerfG entschied am 5. Juni 1973 über eine Verfassungsbeschwerde gegen die Ablehnung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung.329 Gegenstand des zivilgerichtlichen Verfahrens war das Begehren des Beschwerdeführers, dem ZDF zu untersagen, ein von diesem produziertes Dokumentarspiel auszustrahlen, soweit darin der Beschwerdeführer dargestellt oder sein Name erwähnt wird. Der Beschwerdeführer war als Gehilfe am sog. Soldatenmord von Lebach zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden. In besagtem Dokumentarspiel, welches die Tat sowie die Jagd auf die Täter nachspielte, sollte sein Bild gezeigt sowie sein Name wiederholt erwähnt werden. 323

Für seine Herleitung aus verschiedenen Verfassungsprinzipien vgl. ausführlich Leyendecker, (Re-) Sozialisierung, 2002, S. 95 ff. 324 Grundlegend BVerfGE 35, 202, 235 f. – Lebach; des Weiteren BVerfGE 103, 44, 68; BVerfG, NJW 2008, 977, 980. Bemerkenswerterweise hat aber auch schon das Reichsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahre 1927 im Zusammenhang mit dem Betrieb einer sog. „Auskunftei“ erklärt: „Denn es entspricht in der Tat den zur sittlichen Norm gewordenen heutigen Anschauungen…, daß eine, wenn auch schwere Bestrafung, vor allem eine einmalige in jungen Jahren erlittene, dem Verurteilten nicht lebenslang nachgetragen werden darf, daß ihm vielmehr dazu verholfen werden muß, die Verfehlung durch einwandfreies soziales Verhalten wieder gutzumachen, sich ein neues wirtschaftliches Leben aufzubauen und sein gesellschaftliches Ansehen wieder zu erwerben.“ RGZ 115,416, 417. 325 BVerfGE 36, 174, 188 f. 326 BVerfGE 45, 187, 238 ff.; BVerfGE 64, 261, 273 ff.; BVerfG, NJW 1995, 772 ff.; BVerfG, NStZ 1995, 613, 614 f.; BVerfGE 98, 169, 200 ff.; BVerfG, NStZ 1998, 430 f.; BVerfG, NJW 2002, 2023 ff.; BVerfG, NJW 2004, 3030 f.; BVerfGE 116, 69, 85 ff.; BVerfG, NJW 2007, 1933, 1935 f.; BVerfG, NJW 2011, 2113, 2118. 327 Sachlich verwandt auch BVerfGE 66, 337 ff. (kein lebenslanger Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft). 328 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 216. 329 BVerfGE 35, 202 ff. – Lebach.

II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage

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Das BVerfG hielt die Verfassungsbeschwerde mit folgenden Argumenten für begründet: Zwar unterliege nicht der gesamte Bereich des privaten Lebens dem absoluten Schutz des genannten Grundrechts und auch sei die Freiheit der Berichterstattung durch den Rundfunk gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG bei der Interessenabwägung ebenso zu berücksichtigen wie ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit an dem Fall; letzteres überwiege gar im Falle aktueller Berichterstattung die Rechte des Straftäters in der Regel. Allerdings stelle die Berichterstattung – noch dazu in einer beliebten Darstellungsform wie dem Dokumentarspiel – einen schweren Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des beschriebenen Täters dar.330 Das Gericht führte aus: „Die Ausstrahlungswirkung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Persönlichkeit lässt es [] nicht zu, daß die Kommunikationsmedien sich über die aktuelle Berichterstattung hinaus zeitlich unbeschränkt mit der Person eines Straftäters und seiner Privatsphäre befassen.“331 Für entscheidend hält das BVerfG also den zeitlichen Abstand zur Tat, ohne dass es sich in der Lage sähe, diesen generell zu fixieren. Vielmehr hänge seine Beurteilung vom Interesse an der Resozialisierung des Täters ab. Dieses Interesse erwachse aus Sicht des Täters aus seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Eine Gefährdung der Resozialisierung durch nicht mehr vom aktuellen Informationsinteresse gedeckte Fernsehberichterstattung sei unzulässig und regelmäßig dann anzunehmen, wenn eine den Täter identifizierende Sendung nach seiner Entlassung oder in zeitlicher Nähe dazu ausgestrahlt werden solle332.333 Das im Lebach-Fall entwickelte Recht auf Resozialisierung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie die sonstigen Ausführungen des BVerfG zur Abwägung im Falle der Berichterstattung über Straftäter wurden zum Dreh- und Angelpunkt für eine Vielzahl von nachfolgenden Gerichtsentscheidungen334, gerade auch in jüngerer Zeit335. Eine große Zahl der Fälle der letzten Jahre beschäftigt sich mit der 330

BVerfGE 35, 202, 220 ff. BVerfGE 35, 202, 233. 332 BVerfGE 35, 202, 234 ff. 333 Dagegen hielt der österreichische Oberste Gerichtshof die mediale Verbreitung des Bildes eines vielfach vorbestraften Betrügers für angemessen, da in diesem Fall die Warnung vor diesem aus der Haft zu entlassenden Straftäter ein berechtigtes Anliegen der Öffentlichkeit sei (Medien und Recht 1996, 149). 334 Vgl. BVerfG, NJW 1990, 1980; BVerfG, NJW 1993, 478; BVerfG, NJW 2000, 1859 – Lebach II; OLG Düsseldorf, AfP 1980, 108; OLG München, AfP 1981, 360; OLG München, Urt. v. 19.12.1986 – 21 U 1989/86; OLG Hamm, AfP 1988, 258; OLG Köln, AfP 1989, 683; OLG Nürnberg, NJW 1996, 530; OLGR Frankfurt, 1997, 191, um nur einige zu nennen. 335 BVerfG, NJW-RR 2007, 1191 ff.; BVerfG, NJW-RR 2007, 1340 ff.; BVerfG, Beschl. v. 20.08.2007 – 1 BvR 1913/07, 1 BvR 2024/07; BVerfG, NJW 2009, 3357 ff.; BGH, NJW 2009, 3576 ff. – Kannibale von Rotenburg; BGH, NJW 2010, 2432 ff.; BGHZ 183, 353 ff.; BGH, Urt. v. 20. 04. 2010 – VI ZR 246/08; BGH, NJW 2010, 2728 ff.; BGH, MMR 2011, 548 ff.; BGH, NJW 2011, 2285 ff.; BGH, NJW 2012, 2197 ff.; BGH, MMR 2013, 194 ff.; OLG München, AfP 2007, 135 ff.; OLGR Frankfurt 2007, 680 ff.; OLGR Hamburg 2007, 785 ff.; OLG Frankfurt, ZUM 2007, 915 ff.; OLG Hamburg, ZUM-RD 2008, 405 ff.; OLG München, AfP 2008, 618 ff.; OLGR Nürnberg 2008, 722 f.; OLG Frankfurt, AfP 2008, 621 ff.; OLG Hamburg, ZUM 2009, 232 ff.; OLG Hamburg, ZUM 2009, 857 ff. 331

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Frage, unter welchen Umständen Informationen über alte Straftaten im Internet bereitgehalten werden dürfen.336 Dazu hat der BGH am 15. Dezember 2009 ein grundlegendes Urteil gefällt337, in dem er im Wesentlichen die bereits vom BVerfG entwickelten Grundsätze wiedergab. Diese weiterentwickelnd stellte der BGH jedoch fest, dass zumindest dann, wenn „die Veröffentlichung der Meldung ursprünglich zulässig war, die Meldung nur durch gezielte Suche auffindbar ist und erkennen lässt, dass es sich um eine frühere Berichterstattung handelt“ (LS. 2), die Rundfunkfreiheit das Persönlichkeitsrecht des Straftäters überwiegen könne. Diese Linie bestätigte der BGH in mehreren Urteilen gegen denselben Kläger, der gegen verschiedene Online-Medien – bis zu den jeweiligen OLG erfolgreich – vorgegangen war.338 Damit stellt sich die aktuelle Linie der Rechtsprechung zur identifizierenden Medienberichterstattung nach Haftentlassung wie folgt dar: Der Straftäter hat wie jedermann wahre Tatsachenbehauptungen in der Regel hinzunehmen. Im Falle aktueller identifizierender Berichterstattung über Straftaten verdienen bei der Abwägung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit an dieser sowie der Presse- und Rundfunkfreiheit mit dem Persönlichkeitsrecht des Straftäters in der Regel erstere den Vorzug.339 Mit zeitlicher Distanz zur Straftat gewinnt indes das Interesse des Täters, vor einer Reaktualisierung seiner Verfehlung verschont zu bleiben, zunehmend an Bedeutung.340 Die Berichterstattung wird im Allgemeinen dann unzulässig sein, wenn sie die Resozialisierung des Täters gefährdet; das ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn der Betroffene bereits entlassen wurde oder kurz vor der Entlassung steht.341 Damit vermittelt das allgemeine Persönlichkeitsrecht Straftätern allerdings keinen Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit ihrer Tat konfrontiert zu werden342, auch nicht nach Verbüßung einer Strafhaft343. Ob und ggf. wie dies geschehen darf, ist durch Abwägung im konkreten Fall festzustellen.344

336 BGH, NJW 2010, 2432; BGHZ 183, 353 ff.; BGH, NJW 2010, 2728 ff.; BGH, Urt. v. 22. 02. 2011 – VI ZR 346/09; BGH, MMR 2011, 548 ff.; BGH, NJW 2011, 2285 ff.; BGH, NJW 2012, 2197 ff.; BGH, MMR 2013, 194 ff.; OLGR Hamburg 2007, 785 ff.; OLG Frankfurt, ZUM 2007, 915 ff.; OLG Hamburg, ZUM-RD 2008, 405 ff.; OLG München, AfP 2008, 618; OLGR Nürnberg 2008, 722 ff.; OLG Frankfurt, AfP 2008, 621 ff.; OLG Hamburg, ZUM 2009, 232 ff.; s. zu diesem Thema aus der Lit. z. B. Kaufmann, MMR 2010, 520 ff. 337 BGHZ 183, 353 ff. – www.spiegel.de; zustimmend Molle, NStZ 2010, 331, 335. 338 BGH, NJW 2010, 2432 ff. – www.morgenweb.de; BGH, NJW 2010, 2728 ff.; BGH, MDR 2011, 423 – www.ksta.de; BGH, Urt. v. 22. 02. 2011 – VI ZR 346/09 – www.faz.net; BGH, Urt. v. 22. 02. 2011 – VI ZR 114/09 – www.sz-online.de. 339 BVerfGE 35, 202, 231; BVerfG, NJW 1993, 1463, 1464. 340 BVerfGE 35, 202, 233; BVerfG, NJW 2009, 3357, 3358. 341 BVerfGE 35, 202, 237. 342 BVerfG, NJW 2000, 1859, 1860 – Lebach II. 343 BGH, NJW 2010, 2728, 2729. 344 BVerfG, NJW 2000, 1859, 1860.

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(b) Weitere bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum Recht auf Resozialisierung Auch in anderen Zusammenhängen gewann das Recht auf Resozialisierung an Bedeutung, allerdings nicht immer in seiner Funktion als Abwehrrecht345. So hatte das BVerfG in einem konkreten Normenkontrollverfahren zu Bestimmungen des Bundeszentralregistergesetzes über die Verfassungsmäßigkeit des Verbots zu entscheiden, dem betroffenen Straftäter frühere Taten und Verurteilungen im Rechtsverkehr vorzuhalten.346 Dass ein solches Verbot nicht willkürlich sei, begründete der Senat mit dem Ziel der Resozialisierung von Straftätern: „Die Wiedereingliederung des Verurteilten in die Gesellschaft soll nicht dadurch vereitelt oder gefährdet werden, daß ihm eine länger zurückliegende Verfehlung erneut vorgehalten wird und zur Kenntnis der Umwelt gelangt, die Vorbestraften – insbesondere im Berufs- und Erwerbsleben – noch weithin mit Mißtrauen, Unverständnis und Ablehnung begegnet.“347 In seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe nahm das BVerfG den Strafvollzug in die Pflicht; er sei auch für zu lebenslanger Haft Verurteilte gesetzlich so zu gestalten, dass deren „Anspruch auf Resozialisierung“ Genüge getan werde.348 Das Recht auf Resozialisierung sei auch durch die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht selbst verletzt, solange der Verurteilte nur die Chance habe, nach Verbüßung einer gewissen Haftzeit wieder in die Freiheit zu gelangen.349 In seinem Urteil zur Arbeitspflicht von Strafgefangenen erklärte das BVerfG, der Strafvollzug sei von Verfassungs wegen auf das Ziel der Resozialisierung der Gefangenen hin auszurichten350 – dies ergebe sich einfachgesetzlich auch aus § 2 S. 1 StVollzG, der die Befähigung des Gefangenen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen, explizit zur Aufgabe des Vollzugs der Freiheitsstrafe erklärt. Das Resozialisierungsverbot verpflichte den Gesetzgeber, ein wirksames Resozialisierungskonzept zu entwickeln und den Strafvollzug darauf aufzubauen.351 Pflichtarbeit sei nur dann ein wirksames Resozialisierungsmittel, wenn die geleistete Arbeit angemessene Anerkennung finde. Sie müsse dem Gefangenen „den Wert regelmäßiger Arbeit für ein künftiges eigenverantwortetes und straffreies Leben in Gestalt eines für ihn greifbaren Vorteils vor Augen“ führen.352 Das Recht auf

345 Zum Anspruch des Straftäters auf Resozialisierung vgl. auch Leyendecker, (Re-) Sozialisierung, 2002, S. 106 ff. 346 BVerfGE 36, 174 ff. 347 BVerfGE 36, 174, 188. 348 BVerfGE 45, 187, 238 f.; vgl. auch BVerfGE 117, 71, 91 ff. 349 BVerfGE 45, 187, 258. 350 BVerfGE 98, 169, 200; vgl. auch BVerfGE 116, 69, 85 ff. m.w.N. 351 BVerfGE 98, 169, 201. 352 BVerfGE 98, 169, 201.

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Resozialisierung verpflichte den Staat auch, persönlichkeitsschädigenden Auswirkungen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken.353 Weiter stellte das BVerfG in seinem Beschluss zum Besuchsausgang eines Gefangenen im geschlossenen Vollzug fest, dass das Recht auf Resozialisierung die Justizvollzuganstalt dazu zwinge, die Verwehrung von Vollzugslockerungen hinreichend konkret zu begründen.354 Denn solche Vollzugslockerungen förderten eine Wiedereingliederung des Strafgefangenen, weshalb der Spielraum bei der Beurteilung des Versagungsgrundes der Flucht- und Missbrauchsgefahr insoweit begrenzt sei, als eine „rechtsstaatlich fundierte Prüfungspflicht“ erforderlich bleibe.355 Auch im Zusammenhang mit der Verlegung eines Gefangenen in eine Haftanstalt in der Nähe seiner Familie betonte das BVerfG die Bedeutung des Resozialisierungsgrundsatzes für die Ausgestaltung des Strafvollzugs.356 (c) Zusammenfassung In der (bundesverfassungsgerichtlichen) Rechtsprechung zum Recht auf Resozialisierung geht es also in erster Linie um zwei Ausprägungen seines Schutzbereichs: den Schutz vor identifizierender Medienberichterstattung kurz vor oder nach der Entlassung eines Straftäters einerseits (= Abwehrkomponente) und den Anspruch eines Strafgefangenen auf Förderung seiner Wiedereingliederung im Rahmen des Vollzugs seiner Freiheitsstrafe andererseits (= Anspruchskomponente). Das Recht auf Resozialisierung garantiert also dem Straftäter, sich nach Verbüßung seiner Strafe wieder in die Gesellschaft einordnen zu können.357 Das BVerfG stellte jedoch ebenso klar, dass das entscheidende Stadium erst mit der Entlassung des Straftäters beginnt.358 Entsprechend muss nicht nur der Straffällige auf die Rückkehr in die freie menschliche Gesellschaft vorbereitet werden, sondern diese muss ihrerseits bereit sein, ihn wieder aufzunehmen.359 Der entlassene Straftäter ist vor einer drohenden sozialen Isolierung als Folge vorhergehender Stigmatisierungen zu schützen.360 Damit kommt der Nicht-Identifizierbarkeit eines entlassenen Straftäters – also der Möglichkeit, eine Vorbestrafung vor seiner Umgebung zu verbergen und einen Neuanfang zu machen – entscheidende Bedeutung zu.361

353

BVerfGE 98, 169, 200. BVerfG, NStZ 1998, 430. 355 BVerfG, NStZ 1998, 430, 431. Vgl. auch aus der jüngeren Rspr. BVerfG, Beschl. v. 5.08.2010 – 2 BvR 729/08. 356 BVerfG, NStZ-RR 2006, 325 f. 357 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 216. 358 BVerfGE 35, 202, 235. 359 BVerfGE 35, 202, 235. 360 BVerfG, NJW 2000, 1859, 1860. 361 So auch Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 218. 354

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Die Literatur hat an dem von der Rechtsprechung entwickelten Schutzbereich des Rechts auf Resozialisierung nichts Wesentliches auszusetzen und bezieht sich gänzlich auf die soeben wiedergegebene Rechtsprechung.362 (2) Eingriff in den Schutzbereich Zu klären ist nun, unter welchen Voraussetzungen staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern in deren Recht auf Resozialisierung eingreifen. Ein Eingriff in das Recht auf Resozialisierung im klassischen Sinne werden staatliche Warnungen wohl nie sein. Dafür fehlt es regelmäßig schon am Kriterium der Finalität. Denn selbst wenn der Staat derlei Warnungen als echte Strafe, als An-den-Pranger-Stellen im mittelalterlichen Sinne ausgestaltete, so ginge es ihm doch auch in dieser extremsten Form allenfalls um die Bestrafung des Einzelnen, regelmäßig noch um die Verhinderung zukünftiger Straftaten, nie jedoch zielgerichtet um die Verhinderung seiner Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Dieses Ziel zu verfolgen wäre geradezu unsinnig, erklärte der Staat doch damit, er strebe eine Isolierung des Straftäters und die aus dieser resultierenden Gefahren für die Bevölkerung an. Weil es also am finalen Element fehlt, könnte die staatliche Warnung nur als Eingriff in das Recht auf Resozialisierung qualifiziert werden, wenn sie eine gewisse Schwere erreicht.363 Nach der bereits oben zitierten Rechtsprechung des BVerwG würde für einen Eingriff auch sprechen, wenn die Folgen der staatlichen Warnung, soweit sie das Verhalten der gewarnten Öffentlichkeit betreffen, beabsichtigt und im übrigen vorhergesehen und in Kauf genommen wären.364 (a) Der „Eingriff“ in der bisherigen Rechtsprechung Im hier besonders interessierenden medialen Kontext wurden fachgerichtliche Urteile als Eingriffe in das Recht auf Resozialisierung eingestuft, wenn sie den Täter identifizierende Berichterstattung über dessen Straftaten kurz vor oder nach seiner Entlassung gestatteten. Das BVerfG erklärte, anderes könne allenfalls gelten, „wenn die Berichterstattung gerade in der Absicht erfolgt, Verständnis für den Täter zu erwecken, etwa um eine Wiederaufnahme des Verfahrens, einen Gnadenakt oder eine sonstige Hilfe zu erreichen.“365 D.h. es genügt, einen entlassenen Straftäter im Rahmen einer medialen Berichterstattung mit seiner Straftat (erneut) in Verbindung zu bringen, um von einem Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht auszugehen – denn 362 Vgl. nur Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 216 ff.; Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2004, Art. 1 I Rn. 145; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 6. Aufl. 2010, Art. 1 Rn. 50; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2011, Art. 1 Rn. 44 ff. 363 Vgl. oben C.II.1.a). 364 BVerwGE 82, 76, 78; ebenso BVerwGE 87, 37, 43 f. 365 BVerfGE 35, 202, 226 – Lebach.

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dadurch werde seine Person aus der Sicht des Adressaten „von vornherein negativ qualifiziert“366 und mithin seine Resozialisierung gefährdet. Hieran schließen sich zwei Fragen an: Genügt eine bloße Gefährdung zur Feststellung eines Eingriffs? Und wie genau wird die Resozialisierung überhaupt gefährdet, wenn sich das Wissen von Straftaten im sozialen Umfeld verbreitet? Es überzeugt, dass das BVerfG schon eine bloße Gefährdung – oder Erschwerung – der Resozialisierung ausreichen lässt, um einen Eingriff zu bejahen: Die Wiedereingliederung eines Straftäters in die Gesellschaft ist streng genommen erst mit dem Tod des Betroffenen gescheitert. Wäre erst zu diesem Zeitpunkt ein Eingriff in das Recht auf Resozialisierung feststellbar, sähe sich der Staat nie zur Rechtfertigung von Maßnahmen gezwungen, die die Wiedereingliederung beeinträchtigen. Resozialisierung ist ein komplizierter Prozess, der sich über einen langen Zeitraum erstrecken kann. Damit ist die Gefährdung der Resozialisierung auf absehbare Zeit sogar der einzig logische Anknüpfungspunkt für die Feststellung eines Eingriffs, der ihn einem Rechtfertigungszwang unterwirft. Ohne dass es darauf näher eingeht, vertritt das BVerfG in der Lebach-Entscheidung die Auffassung, dass eine „negative Qualifizierung“ durch die Verknüpfung einer Person mit einer gravierenden Straftat zu Hemmnissen für ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft führen kann.367 Im Ergebnis führt auch an dieser Schlussfolgerung kein Weg vorbei. Dazu genügt ein Blick auf die US-amerikanischen Erfahrungen mit staatlichen Warnungen vor entlassenen Sexualstraftäter, die hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Resozialisierungschancen mit der medialen Streuung entsprechender Daten vergleichbar ist: So werden identifizierte entlassene Sexualstraftäter weitläufig gemieden, ihnen – und auch ihren Angehörigen – wird abschätzig, feindselig oder auch nur ängstlich gegenüber getreten368, sie haben Schwierigkeiten, neue zwischenmenschliche Beziehungen einzugehen bzw. alte zu pflegen369, ihnen werden häufig Miet- oder Arbeitsverträge gekündigt oder gar nicht erst angeboten370, 371, der Zugang zum öffentlichen Leben wird ihnen erschwert oder 366

BVerfGE 35, 202, 226. So pauschal auch BVerfGE 36, 174, 188; vgl. zur Drohung einer „sozialen Ausgrenzung“ auch BVerfGE 97, 391 ff. – Missbrauchsbezichtigung [dazu unten mehr, C.II.1.a.cc (2)(a)]; BVerfG, NJW 2009, 3357, 3358; BGH, NJW 2010, 2728, 2729. 368 Tewksbury/Lees, Sociological Spectrum 26 (2006), 309, 327 ff. 369 Tewksbury/Lees, Sociological Spectrum 26 (2006), 309, 322 ff. 370 Vgl. dazu auch einen Beschluss des LG Dortmund, wonach ehemalige Sicherungsverwahrte, die in Folge des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 – 19359/04 M./Deutschland = NJW 2010, 2495 ff. – aus der Sicherungsverwahrung entlassen wurden, ihre Vermieter über diesen Umstand vor Vertragsschluss aufklären müssen; verschwiegen sie, dass sie nicht wegen einer erfolgreichen Resozialisierung, sondern nur unter „massiven begleitenden Auflagen“ entlassen wurden, könnten die Vermieter die Verträge wegen arglistiger Täuschung anfechten, Beschl. v. 8.07.2011 – 1 S 198/11. Zu Fällen aus den USA vgl. z. B. Zevitz/Farkas, Behavioral Sciences and the Law 18 (2000), 375, 382. 371 Zu den Folgen bei der Suche nach einem Arbeitsplatz vgl. Tewksbury/Lees, Sociological Spectrum 26 (2006), 309, 319 ff. 367

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sie werden vertrieben372 bzw. – im Extremfall – bedroht oder sogar physisch angegriffen373. Schon die Angst vor letzterem kann die betroffenen Straftäter in ihrer Freiheit erheblich einschränken.374 Derlei Folgen ließen sich teilweise bereits in Deutschland beobachten, nachdem entlassene Sexualstraftäter identifiziert wurden375, und treten in den USA nach staatlichen Warnungen in einer kaum überschaubaren Zahl von Fällen immer wieder auf376. Auch die Motivation, sich wiedereingliedern zu wollen, kann durch das Gefühl der Stigmatisierung sinken.377 Die Einschätzung des BVerfG zur Wirkung der Berichterstattung nach Haftentlassung kann also grundsätzlich geteilt werden. Denkt man etwas allgemeiner, so kann sich eine ernsthafte Gefahr für die Resozialisierung des entlassenen Straftäters aus der staatlichen Warnung jedoch nur unter zwei Voraussetzungen ergeben: Erstens muss gerade auch das soziale Umfeld des Straftäters über seinen Hintergrund informiert werden; denn in dieses Umfeld müsste er wieder eingegliedert werden und eben dieser Wiedereingliederungsprozess würde durch die Warnung möglicherweise gestört. Dies aber nur, wenn – zweitens – die über den Straftäter verbreiteten Informationen missbilligende Reaktionen seines sozialen Umfelds provozieren. So dürfte die Kenntnis über pädophile Gewalttaten in der kleinstädtischen Umgebung des hinzugezogenen Straftäters seine Resozialisierung weit stärker belasten als die Kenntnis über begangene Einbruchsdiebstähle im kleinkriminellen Milieu einer Großstadt mit hoher Kriminalitätsrate. Eine breite Missbilligung dürften gemeinhin schwerere Sexualstraftaten, insbesondere solche gegen Kinder erfahren378, unabhängig vom sozialen Umfeld des Straftäters. Auch Mörder und Totschläger oder Terroristen379 dürften in der Regel Schwierigkeiten bei ihrer Wiedereingliederung bekommen. Schon bei anderen Gewalttaten könnte diese Wirkung jedoch hochgradig vom sozialen Umfeld und der dort vorhandenen Akzeptanz von Straftaten jener Art abhängen. Dies gilt erst recht für Straftaten gegen das Vermögen oder bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Im Extremfall ist sogar denkbar, dass die betroffenen Straftäter in ihrem 372

Vgl. dazu die in der Einführung dieser Arbeit dargestellten Fälle. Teilweise wird gar eine Verfolgung der Betroffenen „auf Schritt und Tritt“ durch organisierte Bürgerwehren befürchtet, vgl. Beukelmann, NJW-Spezial 2011, 504 ff. 374 Tewksbury/Lees, Sociological Spectrum 26 (2006), 309, 325 f; vgl. auch für die Folgen des durch staatliche Warnungen ausgelösten Stress Tewksbury/Zgoba, International Journal of Offender Therapy and Comparative Criminology 54 (2010), 537 ff. 375 Vgl. dazu die in der Einführung erläuterten Fälle in Heinsberg und Hamburg. 376 Eine ausführliche Darstellung von sich wiederholenden Mustern und extremen Einzelfällen bis zu Akten von Selbstjustiz mit Todesfolge bietet im Zusammenhang mit staatlichen Warnungen vor Sexualstraftätern Logan, Knowledge as power, 2009, S. 125 ff. m.w.N. Vgl. auch Burchfield/Mingus, Criminal Justice and Behaviour 35 (2008), 356, 358 ff. 377 Tewksbury/Lees, Sociological Spectrum 26 (2006), 309, 331. 378 Vgl. für den Fall der Bezichtigung mit einem Kindesmissbrauch die später noch näher erläuterte Entscheidung des BVerfG (E 97, 391 ff. – Missbrauchsbezichtigung), unten C.II.1.a) cc)(2)(a). 379 Zur stigmatisierenden Wirkung sog. Terrorismuslisten z. B. Kaleck, KJ 2011, 63, 63 f. 373

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Milieu einen Ansehenszuwachs erfahren und sie ihre kriminelle Karriere stabilisieren380; in diesem Fall könnte von einer Missbilligung ihrer Person durch ihr soziales Umfeld nicht gesprochen werden. Ist, wie im Lebach-Fall, die Ausstrahlung eines Dokumentarspiels über einen Mordfall im nationalen Fernsehen geplant, sind jedoch beide der genannten Voraussetzungen erfüllt: Durch die Ausstrahlung würde eine große Anzahl von Menschen in verschiedensten Milieus informiert; wegen der Art der Straftat – ein Mord – müsste auch die Missbilligung durch das soziale Umfeld des Betroffenen zu bejahen sein. Schließlich ist auch die von der Eingriffsdogmatik geforderte „gewisse Schwere“ der Beeinträchtigung wegen der potentiell weitreichenden Folgen für den Betroffenen in einem solchen Fall ohne weiteres zu bejahen, sodass im Lebach-Fall zwar kein klassischer Eingriff, wohl aber ein Eingriff nach modernem Verständnis vorlag. (b) Eingriff durch staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern Der Staat als Quelle von Informationen strahlt gemeinhin eine hohe Autorität aus381, sodass die Identifizierung eines entlassenen Straftäters durch den Staat in jedem Falle ernst genommen und ihr Wahrheitsgehalt nicht angezweifelt würde. Nach dem soeben Ausgeführten wären staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern unter folgenden weiteren Voraussetzungen als Eingriff in das Recht auf Resozialisierung einzustufen: (1) die Warnung muss das soziale Umfeld des Straftäters erreichen, (2) es muss die Gefahr bestehen, dass der Inhalt der Warnung das soziale Umfeld zu ausgrenzenden Maßnahmen animiert, (3a) die erwarteten ausgrenzenden Reaktionen müssten im Einzelfall bzw. in ihrer Summe eine gewisse Schwere erreichen oder (3b) die ausgrenzenden Reaktionen müssten unabhängig von ihrem Ausmaß für den die Warnung aussprechenden Staat eine vorhersehbare Folge gewollter Handlungen Dritter – wie etwa von Selbstschutzmaßnahmen – sein. Das bedeutet konkret: Wird z. B. eine staatliche Warnung vor einem Sexualstraftäter wie im Falle der US-amerikanischen Warnsysteme382 an die Gesamtbevölkerung (Kalifornien, Florida) oder gezielt an das soziale Umfeld des sich Niederlassenden (Minnesota) gerichtet, so wäre ein Eingriff in das Recht auf Resozialisierung zu bejahen. Wie auch im Falle der Medienberichterstattung ergibt sich der Eingriffscharakter aus dem wahrscheinlichen Eintritt ausgrenzender Maßnahmen seitens des sozialen Umfelds des entlassenen Sexualstraftäters.383 Dass dieser Verdacht begründet ist, legen auch die ausdrücklichen Hinweise auf anprangernden US-amerikanischen Internetseiten nahe, dass die zur Verfügung gestellten Informationen nicht für andere Zwecke als 380 381 382 383

So Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 386. Vgl. dazu bereits oben A.II.1. (insbes. Nachweise in Fn. 74). Vgl. dazu oben C.I. Vgl. dazu die Aufzählung möglicher Folgen oben C.II.1.a)aa)(2)(a).

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zur Gefahrenabwehr eingesetzt werden dürfen; bisweilen steht ein Missbrauch der Daten sogar seinerseits unter Strafe384. Dass die Verhinderung der Resozialisierung dann durch die Bevölkerung, nicht aber unmittelbar durch den Staat betrieben wird, ist – wie bereits deutlich gemacht – unschädlich: Der staatliche Eingriff liegt bereits in der ausgesprochenen Warnung und der damit verbundenen Gefährdung der Resozialisierung. Ob sich diese Gefahr letztlich realisiert, ist für diese Feststellung ohne Belang. Die befürchtete Beeinträchtigung würde im Falle von Sexualstraftätern auch eine gewisse Schwere erreichen, sodass es nicht darauf ankäme, dass sie nur mittelbare Folge der staatlichen Informationstätigkeit wäre. Außerdem verfolgt der Staat mit seiner Warnung ein Ziel – das Sich-in-Acht-nehmen der informierten Bevölkerung vor den identifizierten Straftätern –, welches als für den Staat vorhersehbare Folge eine Gefährdung der Wiedereingliederung mit sich bringt. Etwas schwieriger gestaltet sich die Beurteilung des Eingriffscharakters bei der Informationsweitergabe nur an Einzelpersonen, wie sie im Vereinigten Königreich praktiziert wird. Im britischen Modell werden Informationen zu einzelnen Sexualstraftätern nur auf Antrag und nur an Personen übermittelt, die ein berechtigtes Interesse an Aufklärung über den Hintergrund eines bestimmten Menschen geltend machen können. Ob schon die Kenntnis nur dieser einen Person vom Hintergrund eines Sexualstraftäters dessen Resozialisierung gefährden könnte, mag durchaus bezweifelt werden. Allerdings ist jederzeit davon auszugehen, dass die übermittelte Information nicht geheim bleibt, sondern dem sozialen Umfeld des Betroffenen mit der Zeit bekannt werden wird.385 Dass auch die Medien von der Person des entlassenen Sexualstraftäters erfahren und das Thema seines Zuzugs aufgreifen, ist ohne Weiteres denkbar. Gerade diese Unkontrollierbarkeit bis hin zum „Medienpranger“386 macht die staatliche Warnung aus. Dies auch deshalb, weil Private nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet werden können.387 So wie der Straftäter einen Anspruch auf Förderung seiner Wiedereingliederung in die Gesellschaft gegenüber dem 384 Anders, JR 2011, 190, 193, zitiert § 290.46 (l) California Penal Code: „(1) A person is authorized to use information disclosed pursuant to this section only to protect a person at risk. (2) Except as authorized under paragraph (1) or any other provision of law, use of any information that is disclosed pursuant to this section for purposes relating to any of the following is prohibited: (A) Health insurance. (B) Insurance. (C) Loans. (D) Credit. (E) Employment. (F) Education, scholarships, or fellowships. (G) Housing or accommodations. (H) Benefits, privileges, or services provided by any business establishment.“ Ein Verstoß hiergegen kann mit Geldbuße geahndet werden (§ 290.46 (l) (4) (A) California Penal Code). Werden Daten zur Begehung von Straftaten missbraucht, so tritt zur Strafe wegen dieser Taten eine zusätzliche Geld- oder Freiheitsstrafe hinzu, § 290.46 (j) California Penal Code. 385 Anders, JR 2011, 190, 190, verwendet den Begriff des „Schneeballsystems“. 386 Von Stern als „die einen Menschen am stärksten verletzende Handlungsweise“ bezeichnet, vgl. Stern/Sachs/Dietlein, Staatsrecht IV/1, 2006, S. 196. 387 Anders, JR 2011, 190 f., unter Verweis auf die beschränkte Anwendbarkeit des VerpflichtungsG. Ähnlich auch VG München, BayVBl. 1980, 696, 698, für den Fall der Verteilung eines einen Grundrechtsträger belastenden Presseerzeugnisses nur an die Abgeordneten des Bayerischen Landtags.

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Staat hat, so hat er auch einen Anspruch auf Unterlassen aller Gefährdungen dieser Wiedereingliederung. Auf die Größe des Adressatenkreises der staatlichen Warnung vor einem entlassenen Straftäter kann es nicht ankommen; die Gefahr einer Behinderung der Wiedereingliederung auf absehbare Zeit mag geringer sein, sie wäre aber immer noch erheblich. Entsprechend urteilte das BVerfG auch in anderem Zusammenhang, die Breitenwirkung der diskriminierenden Folge einer Information sei (nur) für das Gewicht der Grundrechtsbeeinträchtigung von Belang.388 Wie bereits im Zusammenhang mit der medialen Berichterstattung erwähnt, könnte man geneigt sein, einen Eingriff in das Recht auf Resozialisierung dann zu verneinen, wenn z. B. vor im kriminellen Milieu fest verankerten Intensivtätern wegen der Begehung von Vermögensstraftaten oder Körperverletzungsdelikten gewarnt wird. Man denke hier etwa an Mitglieder von Rockerbanden, die sich selbst ohnehin außerhalb der gesellschaftlichen Ordnung sehen und frei von rechtlichen Bindungen wähnen. Kehrt ein solcher Straftäter in sein angestammtes soziales Umfeld zurück und nimmt seinen alten Lebensstil wieder auf, drohen aus der staatlichen Warnung keine Nachteile für die soziale Integration des Betroffenen: Sein kriminelles Umfeld wird ihn wegen der Warnung jedenfalls nicht ausgrenzen; an einer Integration in die restliche Gesellschaft versucht er sich nicht und hat hieran auch kein Interesse. Das kann aber nicht zu einer Verneinung des Eingriffscharakters einer staatlichen Warnung führen. Denn andernfalls würde dem entlassenen Straftäter abgesprochen, dass er in der Zukunft einmal entscheiden könnte, sich in die Gesellschaft der Rechtstreuen einzugliedern. Soweit und solange er hieran kein Interesse hat, wäre allenfalls die Möglichkeit einer Einwilligung in die staatliche Warnung zu erörtern.389 (3) Zusammenfassung Jede denkbare Form von staatlichen Warnungen vor einem entlassenen Straftäter identifiziert den Straftäter potentiell gegenüber seinem sozialen Umfeld. Wenn die Straftat im sozialen Umfeld des Betroffenen missbilligt wird, gefährdet die Warnung die Wiedereingliederung des stigmatisierten Straftäters in die Gesellschaft und ist unter der Bedingung ein mittelbarer Eingriff in dessen Recht auf Resozialisierung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG390, dass ihre Folgen für den Straftäter schwer wiegen oder sie in vorhersehbarer Weise durch vom Staat gewollte Handlungen Dritter verursacht wurden.

388 BVerfGE 97, 391, 405 – Missbrauchsbezichtigung; dazu ausführlich unten C.II.1.a) cc)(2)(a). 389 Vgl. dazu unten C.IV.4. 390 Im Ergebnis – allerdings pauschal für alle Fälle von staatlichen Warnungen vor Straftätern – einen Eingriff ebenfalls bejahend Baur/Burkhardt/Kinzig, JZ 2011, 131, 138; differenzierter Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 385 f.

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bb) Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Neben einem Eingriff in das Recht auf Resozialisierung kommt auch ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Betracht. (1) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – Stern bezeichnet es als eine „gelungene[] juristische[] Entdeckung“391 – wurde vom BVerfG im sog. Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 1983 entwickelt392.393 Wie das Recht auf Resozialisierung ist es eine Ausprägung des in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrechts, d. h. kein eigenständiges Grundrecht394, sondern „die interpretatorische Fortschreibung des Selbstdarstellungsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG“395. Es gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu verfügen.396 Geschützt wird nicht vor der Entstellung des Persönlichkeitsbildes, sondern vor seiner umfassenden Herstellung397 sowie vor dem Entzug der Möglichkeit, selbst über die Präsentation der eigenen Person zu bestimmen398. Zur Begründung eines solchen Rechts führte das BVerfG aus: „Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar,

391

Stern/Sachs/Dietlein, Staatsrecht IV/1, 2006, S. 231; Anders, JR 2011, 190, 195 f. BVerfGE 65, 1 ff. – Volkszählung; dazu Schneider, DÖV 1984, 161 ff.; Krause, JuS 1984, 268 ff.; Simitis, NJW 1984, 398 ff. Auf eine ausführliche Darstellung der Genese des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wird in Anbetracht der umfangreichen Rspr. und Lit. hierzu verzichtet. Vgl. aus der bundesverfassungsgerichtlichen Rspr. insbes. BVerfGE 78, 77, 84 ff. – Veröffentlichung einer Entmündigung (dazu sogleich näher); außerdem BVerfGE 84, 192, 195 f.; 84, 239, 279; 92, 191, 197; 113, 29, 46; 115, 166, 188; 115, 320, 341 f.; 118, 168, 184; 120, 378, 397. Weitere Nachweise aus der instanzgerichtlichen Rspr. bei Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 176, Fn. 19. Für Darstellungen aus der Literatur vgl. die Nachweise bei Luch, Medienpersönlichkeitsrecht, 2008, S. 120 ff. 393 Zu einer kritischen Analyse der dogmatischen Konstruktion des Grundrechts vgl. Ladeur, DÖV 2009, 45 ff. 394 Simitis, NJW 1984, 398, 399; Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 173; Luch, Medienpersönlichkeitsrecht, 2008, S. 127 f. m.w.N.; dazu näher unten C.II.1.g)bb)(1)(a). 395 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 173. 396 BVerfGE 65, 1, 43. 397 Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2004, Art. 2 Abs. 1 Rn. 78. 398 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 166. 392

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß.“399 Vom Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung umfasst ist im Einzelnen „jede[] Form der Erhebung, schlichter Kenntnisnahme, Speicherung, Verwendung, Weitergabe oder Veröffentlichung von persönlichen – d. h. individualisierten oder individualisierbaren – Informationen“.400 Darauf, ob die Verfahren automatisiert oder manuell erfolgen, kommt es nicht an.401 Durch die Miteinbeziehung auch der Verwendung der Daten in den Schutzbereich wird dem Umstand Rechnung getragen, dass oftmals nicht die Informationen selbst, sondern ihre Weitergabe und Verknüpfung die Privatsphäre zerstören.402 Auf die Sensibilität der Daten an sich kommt es also gerade nicht an: „[U]nter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung [gibt es] kein ,belangloses‘ Datum mehr“.403 Sachlich erfasst werden alle sog. „personenbezogenen Daten“, d. h. Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person404, mithin alle Informationen, die über die Bezugsperson etwas aussagen können405. Gemeint sind etwa Daten über die persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse406, das Vorstrafenregister407, gesundheitsbezogene Daten408, die DNA409, aber auch das gesprochene Wort410, gespeicherte Kommunikationsverbindungsdaten411, das Schriftbild412 sowie Bewegungsdaten413. Selbst Basisdaten wie Name und Anschrift sowie offenkundige oder allgemein zugängliche Informationen sind vom 399 BVerfGE 65, 1, 43; zit. auch von Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2004, Art. 2 Abs. 1 Rn. 78. 400 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 176 mit einer Vielzahl von Beispielen aus der Rspr. 401 BVerfGE 78, 77 ff. – Veröffentlichung einer Entmündigung. 402 Benda, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 7 Rn. 31. 403 BVerfGE 65, 1, 45. Die Zuordnung der erhobenen Daten zur Privat- oder gar Intimsphäre noch für ausschlaggebend haltend BVerfGE 27, 1, 7 – Mikrozensus. 404 BVerfGE 65, 1, 42, unter Verweis auf § 2 Abs. 1 BDSG a.F. (heute § 3 Abs. 1). 405 BVerfGE 128, 1, 44 – Gentechnikgesetz. 406 BVerfGE 77, 121, 125; BVerfG, NJW 1988, 3009. 407 So jdf. implizit BVerfG, NJW 2002, 2307. 408 BVerfGE 32, 373, 379 f.; 44, 353, 372 f.; 78, 77, 84; 84, 192, 195 f.; 89, 69, 83 f.; BVerfG, NVwZ 2005, 571. 409 BVerfGE 103, 21, 32 f.; BVerfG, NJW 2001, 2320, 2321; BVerfG, Beschl. v. 10.03.2009 – 2 BvR 400/09. 410 BVerfGE 54, 148, 155 m.w.N. 411 BVerfGE 115, 166, 189 f. 412 So wenn es zum Zwecke der Persönlichkeitsausforschung verwendet werden soll; vgl. BAGE 41, 54, 61 ff. (Anfechtung eines Arbeitsverhältnisses wegen arglistiger Täuschung über handgeschriebenen Lebenslauf). 413 BVerfGE 112, 304, 318.

II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage

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Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung mit umfasst.414 Waechter qualifiziert im Zusammenhang mit sog. Gefährderansprachen auch die Information „der Betroffene hat irgendetwas mit der Polizei zu tun“ als personenbezogenes Datum.415 (2) Eingriff in den Schutzbereich Unter Zugrundelegung des modernen Eingriffsbegriffs416 wird in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen, wenn der Staat Daten erhebt, diese einer Datenverarbeitung zuführt oder sie an Dritte417, andere Behörden418 oder gar die Öffentlichkeit419 übermittelt.420 (a) Erhebung und Verwendung von personenbezogenen Daten Beim Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist zwischen zwei Eingriffsarten zu unterscheiden: der Erhebung und der Verwendung von personenbezogenen Daten. Die Erhebung von personenbezogenen Daten durch den Staat – in § 3 Abs. 3 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) als das „Beschaffen von Daten“ bezeichnet – ist seit jeher für sich genommen als Eingriff zu qualifizieren, wenn die Daten sog. intime Vorgänge betreffen, also der „Bereich menschlichen Eigenlebens erfaßt [wird], der von Natur aus Geheimnischarakter hat“.421 Seit dem Volkszählungsurteil wird auch jeder andere Erhebungsakt als Eingriff eingestuft, gleich welcher Qualität die personenbezogenen Daten sind.422 Vom Eingriffscharakter schlicht jeder Erhebung personenbezogener Daten geht auch das BDSG aus, wenn es in seinem § 4 jede solche Erhebung nur unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig erklärt.423 Solche Eingriffe in Form einer Informationserhebung sind z. B. zwangsweise Befragungen oder sonstige zielgerichtete Ermittlungsmaßnahmen wie etwa Observationen oder Identitätsfeststellungen.424 Diese Maßnahmen und auch die Volkszählung sind jedoch für den Betroffenen spürbar oder betreffen ihn jedenfalls – wie im 414

BVerfGE 128, 1, 44 f.; vgl. auch OLG Köln, ZUM-RD 2003, 79, 81. Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 373. 416 Vgl. dazu bereits oben A.II.2.b) sowie C.II.1.a)aa)(2). 417 BVerfG, NJW 1988, 3009 f. 418 Dazu näher Heckel, NVwZ 1994, 224 ff. 419 BVerfGE 78, 77, 84. 420 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 176 m.w.N. 421 BVerfGE 27, 1, 7 – Mikrozensus. Vgl. auch Luch, Medienpersönlichkeitsrecht, 2008, S. 124 ff. m.w.N. 422 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 176. 423 Vgl. auch Gola/Schomerus, in: Gola/Klug/Körffer u. a. (Hrsg.), BDSG. Bundesdatenschutzgesetz, 11. Aufl. 2012, § 4 BDSG Rn. 1 f. 424 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 176 m.w.N. und Beispielen. 415

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Falle der heimlichen Observation – in anderer Weise direkt. Fehlt ein solches invasives Element, sucht sich also z. B. eine Behörde die benötigten Informationen aus bereits vorhandenen, bei anderer Gelegenheit erhobenen Datenbeständen zusammen, so ist fraglich, ob der Erhebungsakt selbst bereits ein Eingriff ist. Hiergegen könnte sprechen, dass die bloße Kenntnisnahme anderweitig rechtmäßig abgespeicherter personenbezogener Daten nicht geeignet ist, den Bürger zusätzlich zu beeinträchtigen. Es wird auf diese Frage – Eingriff durch nicht-invasiven Erhebungsakt? – jedoch regelmäßig nicht ankommen, denn die erhobene Information wird im Regelfall nicht lediglich zur Kenntnis genommen werden, sondern in einer neuen Datenbank abgespeichert, um dann anders weiterverwendet zu werden. Die Verwendung von personenbezogenen Daten ist regelmäßig ein Eingriff.425 War schon die Erhebung der Daten als Eingriff zu qualifizieren, handelt es sich bei der weiteren Verwendung um einen zweiten.426 Das BDSG unterscheidet bei der Verwendung noch die „Verarbeitung“ von der „Nutzung“ der Daten; während erstere das Speichern, Verändern, Übermitteln, Sperren und Löschen der Daten umfasst, soll letztere jede andere Verwendung erfassen. Nur eine Sonderform der „Übermittlung“ ist die Ermöglichung eines Abrufs von Daten im Internet.427 Die Speicherung und weitere Bearbeitung sowie erst recht die Übermittlung selbst von nicht-invasiv erhobenen Daten ist damit stets als Eingriff zu bewerten, sodass es nicht darauf ankommt, ob bereits die Erhebung Eingriffscharakter hatte oder nicht. Wie bereits wiederholt erwähnt428, interessiert im hiesigen Zusammenhang nur die Verwendung personenbezogener Daten von entlassenen Straftätern, nicht aber ihre Erhebung. (b) Der „Eingriff“ in der bisherigen Rechtsprechung Um typische Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung näher zu beschreiben, sind im hiesigen Kontext drei Gerichtsentscheidungen besonders erwähnenswert. In einem am 9. März 1988 entschiedenen konkreten Normenkontrollverfahren429 legte das AG Detmold dem BVerfG die Frage vor, ob die von § 687 ZPO a.F. vorgeschriebene öffentliche Bekanntmachung einer Entmündigung430 mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht vereinbar sei. Das BVerfG sah „Akt und Status der Entmündigung sowie die persönlichen Umstände, die zur Entmündigung geführt haben“, vom Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung umfasst.431 In dieses Recht werde nicht nur durch die Erhebung von persön425 426 427 428 429 430 431

Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 176 m.w.N. Luch, Medienpersönlichkeitsrecht, 2008, S. 125 f. BVerfGE 128, 1, 45. Vgl. etwa Einführung III. BVerfGE 78, 77 ff. Inzwischen als „Rechtliche Betreuung“ geregelt in den §§ 1896 ff. BGB. BVerfGE 78, 77, 84.

II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage

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lichen Daten eingegriffen, sondern auch im Falle der Verarbeitung dieser Daten.432 Die öffentliche Bekanntmachung nach § 687 ZPO a.F. sei dabei eine Sonderform staatlicher Datenübermittlung und somit ein Eingriff.433 Auf der Rechtfertigungsebene hielt das BVerfG die Bekanntmachungsvorschrift für unverhältnismäßig, da die tiefgreifende Beschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zum verfolgten Zweck der Aufklärung des Rechtsverkehrs außer Verhältnis stehe.434 Auf diese Begründung wird an späterer Stelle noch einmal zurückzukommen sein.435 Sachlich ähnlich gelagert war ein weiteres, nur unwesentlich jüngeres Verfahren vor dem BVerfG436. Der Beschwerdeführer war im Schuldnerverzeichnis (§ 915 ZPO a.F.) eingetragen und hatte vergeblich einen Antrag auf vorzeitige Löschung gestellt, nachdem er seine Schuld gegenüber dem Antragsteller für seine Aufnahme in das Verzeichnis beglichen hatte. Die daraufhin erhobene Verfassungsbeschwerde wurde durch Nichtzulassungsbeschluss abgewiesen. Das BVerfG erkannte jedoch an, dass die Eintragung im Schuldnerverzeichnis in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreife.437 Auch der Bereich des wirtschaftlichen Handelns enthalte personenbezogene Informationen438 ; wohl weil die Eintragung im Schuldnerverzeichnis die finanziellen Verhältnisse des Betroffenen öffentlich macht, geht das BVerfG auch ohne näher darauf einzugehen von der Eingriffsqualität dieser Eintragung aus. Es prüft dann weiter das Vorliegen einer gesetzlichen Grundlage für die Eintragung439.440 Interessant ist schließlich auch ein Urteil des BGH zu einer Namensliste von ca. 4.500 angeblichen inoffiziellen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.441 Diese Liste wurde von anonymen Autoren verfasst und von einer Bürgerbewegung in Halle zur öffentlichen Einsichtnahme ausgelegt. Der BGH erklärte dazu, schon das Verfügbarmachen der persönlichen Daten der Klägerin durch 432

BVerfGE 78, 77, 84. BVerfGE 78, 77, 84. 434 BVerfGE 78, 77, 86 f. 435 Siehe unten C.IV.2.c)dd)(3)(b). 436 BVerfG, NJW 1988, 3009 f. 437 BVerfG, NJW 1988, 3009. 438 BVerfG, NJW 1988, 3009. 439 BVerfG, NJW 1988, 3009. 440 Das Schuldnerverzeichnis kann seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung vom 29. 07. 2009 (BGBl. I 2009, S. 2258) am 1. 1. 2013 auch im Internet eingesehen werden, vgl. den neuen § 882 h Abs. 1 S. 2 ZPO. Zur Führung eines online zugänglichen Schuldnerverzeichnisses durch Private vgl. OLG Rostock, NJOZ 2001, 950 ff. (dazu nur knapp – die Verfassungsbeschwerde wurde als unzulässig zurückgewiesen: BVerfG, NJW 2002, 741 f.), sowie LG Koblenz, NJOZ 2009, 4452. Zum Thema auch kurz, aber m.w.N.: Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 370. 441 BGH, JZ 1995, 253 ff. Ausführlich zur Problematik des Persönlichkeitsschutzes im Zusammenhang mit StaSi-Unterlagen, insbes. zum Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) Bonitz, Persönlichkeitsrechtsschutz im StUG, 2009. 433

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

die Veröffentlichung der Namensliste begründe einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.442 Die Veröffentlichung des mit personenbezogenen Daten unterlegten Hinweises auf die Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter sei jedoch darüber hinaus geeignet, „Ansehen und Wertschätzung der Kl. in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen und sie gewissermaßen an den Pranger zu stellen“.443 Diese „Abstempelung“ treffe die Klägerin damit schwer in ihrem Anspruch auf soziale Geltung.444 Damit wird die bisweilen enge Verknüpfung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und des sog. Rechts auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre deutlich. Entsprechend wird auch im hiesigen Kontext auf letzteres noch einzugehen sein.445 (c) Eingriff durch staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern Nach dieser Vorarbeit sind nunmehr die Voraussetzungen zu skizzieren, unter denen staatliche Warnungen vor einem entlassenen Straftäter – nicht die Erhebung der hierfür erforderlichen Daten – als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu qualifizieren wären. Wie dargelegt, ist der sachliche Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sehr weit zu fassen. Die staatliche Warnung vor einem entlassenen Straftäter wird regelmäßig von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Daten enthalten. Die Warnung könnte je nach Gestaltung Namen und Adresse, körperliche Merkmale, ein Lichtbild, Daten zu Arbeitgeber und Vereinstätigkeiten sowie insbesondere die Vorstrafen des Betroffenen enthalten. Darüber hinaus ist es denkbar, dass die Warnung behördliche Einschätzungen über das von dem Straftäter ausgehende Gefahrenpotential enthält. Völlig unabhängig davon aber, ob alle oder nur einzelne dieser Informationen in der Warnung enthalten sind, können alle aufgeführten Daten als personenbezogen und damit als vom Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung erfasst betrachtet werden. Im Duktus der Entmündigungsentscheidung dokumentieren die Daten zumindest den Akt und Status der Entlassung eines Straftäters aus der Haft. Durch die Übermittlung einer Warnung werden diese Daten auch „verwendet“ – unabhängig von der Zahl der Adressaten. Die damit befasste Behörde wird die personenbezogenen Daten als Warnung wenigstens zum Teil und wenigstens einem ausgewählten Personenkreis übermitteln. Hierfür genügt, wie sich aus der zitierten BGH-Entscheidung zur Veröffentlichung einer Namensliste ehemaliger Inoffizieller Mitarbeiter der StaSi ergibt, auch die passive Information der Bevölkerung, etwa durch eine Veröffentlichung der personenbezogenen Daten im Internet. Die nur passiv zur Verfügung gestellte Information genügte dem BVerfG auch in seinen 442 443 444 445

BGH, JZ 1995, 253, 254. BGH, JZ 1995, 253, 254. BGH, JZ 1995, 253, 254. Vgl. unten C.II.1.a)cc).

II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage

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Entscheidungen zur Bekanntmachung der Entmündigung und zur Aufführung im Schuldnerverzeichnis für die Feststellung eines Eingriffs. Durch die Bekanntmachung einer Warnung vor einem entlassenen Straftäter greift der Staat mithin in dessen Recht ein, selbst über die Darstellung seiner Person zu bestimmen. Welcher Intensität die Weiterverwendung der Daten im Einzelnen ist, spielt für die Qualifikation als Eingriff keine Rolle. Unerheblich ist für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung entsprechend auch, dass in Fällen der Warnung vor einem entlassenen Straftäter das gezeichnete Bild regelmäßig ein negatives sein wird. (3) Zusammenfassung Durch die Übermittlung von personenbezogenen Daten eines entlassenen Straftäters an Dritte greift der Staat regelmäßig und unmittelbar in dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein.446 Dies ist unabhängig davon zu bejahen, wie detailliert die Informationen sind, ob sie mit einer Wertung verknüpft oder an wie viele Personen sie übermittelt werden sowie ob die Verbreitung der Warnung aktiv betrieben oder die Warnung auf einer Plattform wie einer Internetseite veröffentlicht wird. cc) Eingriff in das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre Wie bereits angedeutet ist neben dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch noch eine weitere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu berücksichtigen: das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre447. Es enthält mit dem Schutz der Ehre eine über das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hinausgehende Dimension, die unabhängig von der Erhebung und Verwendung von Daten durch den Staat ist.

446

In dieser Allgemeinheit wohl auch Goldmann, KJ 2009, 282, 286 f.; Anders, JR 2011, 190, 197; vgl. zudem Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 378 ff., der einen Eingriffscharakter von Informationsübermittlungen allgemein dann ablehnt, wenn der Gesetzgeber nur den „(historisch) vorfindlichen Bestand an ,normalen‘ Informationsflüssen“ (S. 378) verwaltet, eine solche bloße „Ausgestaltung“ des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aber im Falle der Anprangerung von Straftätern verneint. 447 Dazu etwa BVerfGE 54, 48, 153 f.; 99, 185, 193; 114, 339, 346; BVerwGE 82, 76, 78; Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 169 ff.; Stern/ Sachs/Dietlein, Staatsrecht IV/1, 2006, S. 196 m.w.N.

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(1) Das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre Für den Begriff der „Ehre“ gibt es keine allgemein anerkannte Definition.448 Dies rührt – neben seiner allgemeinen Unschärfe – auch daher, dass er gleichermaßen Gegenstand des Straf- und Zivil- wie des Verfassungsrechts ist.449 Die Lehre vom dualistischen („normativ-faktischen“) Ehrbegriff450 unterscheidet zwischen der sog. „inneren“ und der „äußeren“ Ehre.451 Während mit der inneren Ehre das Selbstwertgefühl des Menschen gemeint ist, sein innerer Wert452, beschreibt die äußere Ehre das Ansehen des Betroffenen in den Augen anderer453, seinen guten Ruf (deshalb auch: sozialer Geltungsanspruch454). Alternativ zum dualistischen Ehrbegriff wird allein auf den personalen Geltungswert, also die „innere“ Ehre abgestellt455, oder eben allein auf den sozialen Geltungsanspruch, die „äußere“ Ehre456. Diesem Streit um den Begriff der Ehre mag im Strafrecht und u. U. auch im Zivilrecht durchaus Bedeutung zukommen, geht es hier doch um konkrete Tatbestände, die über die Strafbarkeit von Individuen bzw. Schadensersatzansprüche entscheiden. Im öffentlichen Recht kommt es jedoch nicht entscheidend darauf an, ob gegen das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch dann verstoßen wird, wenn nur das Selbstwertgefühl des Betroffenen oder aber nur dessen guter Ruf statt beidem berührt wird. Denn soweit man die „innere“ Ehre aus dem Anwendungsbereich besagten Rechts herausnimmt, greift jedenfalls der Schutz der Menschenwürde durch Art. 1

448

Für einen knappen Überblick zu verschiedenen Deutungsmöglichkeiten vgl. Kühl, in: Lackner/Kühl (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2011, Vorbemerkung §§ 185 ff. Rn. 1; ausführlicher Nolte, Beleidigungsschutz, 1992, S. 41 ff., und auch Hirsch, FS Wolff, 1998, S. 125 ff. 449 Nolte, Beleidigungsschutz, 1992, S. 40 ff. 450 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 20. Erg.-Lfg., Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 289 ff.; Tettinger, Ehre, 1995, S. 14 ff.; Stern/Sachs/Dietlein, Staatsrecht IV/1, 2006, S. 199; mit weiteren Differenzierungen wohl auch Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 2010, Vorbemerkungen zu den §§ 185 ff. StGB Rn. 1. Aus der Rspr. anschaulich zur Komplexität der „Ehre“ BVerfGE 99, 185, 193 f.: „[Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Bild des Einzelnen in der Öffentlichkeit auszuwirken] gefährden die von Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete freie Entfaltung der Persönlichkeit, weil sie das Ansehen des Einzelnen schmälern, seine sozialen Kontakte schwächen und infolgedessen sein Selbstwertgefühl untergraben können.“ 451 Nolte, Beleidigungsschutz, 1992, S. 43 f. 452 Dazu schon BGHSt 1, 288, 291. 453 Vgl. etwa BVerwGE 131, 171, 174. 454 Vgl. zu diesem Begriff z. B. BVerfGE 54, 208, 217 f.; BVerwGE 82, 76, 78; früher schon BGH, NJW 1975, 1882, 188. Das OVG Schleswig spricht in NJW 1993, 807, vom „sozialen Geltungsbereich“. 455 Vgl. Hirsch, FS Wolff, 1998, S. 125 ff. 456 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 169.

II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage

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Abs. 1 GG ein.457 Wenn auf den Schutz der „äußeren“ Ehre durch das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre verzichtet wird, so dürften andere Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingreifen. Denn dieses schützt den Grundrechtsträger umfassend vor Beeinträchtigungen „der engeren persönlichen Lebenssphäre, der Selbstbestimmung und der Grundbedingungen der Persönlichkeitsentfaltung“.458 Den folgenden Ausführungen wird der dualistische Ehrbegriff zugrunde gelegt. (2) Eingriff in den Schutzbereich Staatliche Eingriffe in das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre erfolgen insbesondere durch zivilgerichtliche Urteile zugunsten anderer Grundrechtsträger, die sich erfolgreich auf das Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen459 (Schutzkomponente). Daneben gibt es Fälle, in denen der Staat unmittelbar selbst in den Schutzbereich des Rechts eingreift (Achtungskomponente). Letzteres ist nach Auffassung von Schoch „jedenfalls bei gezielten personenbezogenen Äußerungen eines Hoheitsträgers mit nachteiligen Effekten für den Betroffenen der Fall“.460 Eingriffe in das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre können zunächst durch die Behauptung unwahrer Tatsachen erfolgen, soweit sie rufschädigenden Charakter haben.461 Auch andere Formen der Herabsetzung können ein Eingriff sein462; selbst die Eingriffsqualität von wahren Aussagen lässt sich nicht 457 Dem entspricht auch die Gleichsetzung der „inneren“ Ehre mit dem Anspruch auf Achtung der Menschenwürde bei Tettinger, Ehre, 1995, S. 16 f. (unter Berufung auf BVerfGE 75, 369, 379 f. – Strauß-Karikatur). Insoweit ähnlich Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 169: „Ehre… ist… bleibende Essentiale moderner Individualität, sachlich der Würde des Menschen nahe stehend.“ 458 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 147; vgl. im Übrigen zur Entwicklungsoffenheit dieser grundrechtlichen Garantien z. B. BVerfGE 54, 148, 153 f.; 79, 256, 268; aus jüngerer Zeit BVerfGE 118, 168, 183; 120, 274, 303. 459 Exemplarisch aus jüngerer Zeit: BVerfGE 114, 339 ff. – Mehrdeutige Meinungsäußerungen. Zum Spannungsverhältnis zwischen Art. 5 Abs. 1 GG und dem Persönlichkeitsschutz ausführlich Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 231 ff. 460 Schoch, NVwZ 2011, 193, 195. Ebenso, wenn auch speziell in Bezug auf Produktwarnungen, Gusy, NJW 2000, 977, 983; Philipp, Staatliche Verbraucherinformationen, 1989, S. 157; vgl. zur sog. Gefährderansprache im Polizeirecht Rachor, in: Lisken/Denninger/Rachor (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, S. 409, 667: die Ansprache in Gegenwart Dritter sei wegen ihres Anprangerungseffekts „ohne weiteres“ als Eingriff einzustufen; zum polizeilichen Gefährderanschreiben vgl. OVG Lüneburg, NJW 2006, 391, 393 f. 461 BVerfGE 54, 208, 217; 99, 185, 193 f.; Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 170. 462 Vgl. näher Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 170 mit Beispielen aus der Rspr. zu herabsetzenden Äußerungen, Darstellungen und Verhaltensweisen.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

generell verneinen463. Es kommt nach modernem Verständnis maßgeblich darauf an, ob die staatliche Informationstätigkeit eine herabsetzende Wirkung hat.464 (a) Der „Eingriff“ in der bisherigen Rechtsprechung Auch im Rahmen des Rechts auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre betreffen einige Gerichtsentscheidungen Konstellationen, die Ähnlichkeiten zum Gegenstand dieser Arbeit aufweisen. Auf das Verfahren um die Bezeichnung der Religionsgemeinschaft „Transzendentale Meditation“ als „Jugendsekte“ ist bereits eingegangen worden465 ; damals hatte es das BVerfG abgelehnt, die Verwendung des Begriffes „Jugendsekte“ als ehrverletzend zu qualifizieren, solange er mit relativierenden Erläuterungen verbunden werde466. Auch auf das Urteil des BGH zur Veröffentlichung einer Liste Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR wurde bereits im Zusammenhang mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegangen.467 Der BGH hatte seinerzeit richtig herausgearbeitet, dass nicht nur die informationelle Selbstbestimmung, sondern auch der soziale Geltungsanspruch der Betroffenen durch die „Abstempelung“ der in der Liste Geführten berührt ist.468 Das VG Berlin hatte im Jahr 1993 den thematisch verwandten „Fall Stolpe“ zu entscheiden469 : Der damalige Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR war von einem Untersuchungsausschuss des Landtages, der sich mit der Vergangenheit des damaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten Stolpe befasste, mit der Erstellung entsprechender Gutachten beauftragt worden. Darin identifizierte der Bundesbeauftragte den Ministerpräsidenten als Inoffiziellen Mitarbeiter der StaSi. Der Bundesbeauftragte äußerte sich zu diesem Gutachten und darin enthaltenen sowie später formulierten wertenden Aussagen auch außerhalb des Untersuchungsverfahrens vor dem Landtag. Gegen weitere Äußerungen erhob Stolpe vorbeugende Unterlassungsklage. Das angerufene VG Berlin sah in dem Verhalten des Bundesbeauftragten einen Eingriff in das Recht auf Ehre des betroffenen Ministerpräsidenten, da dessen persönliche Integrität in Frage gestellt werde und es sich bei den Äußerungen um Werturteile mit ehrverletzendem Charakter handele.470 Diese Einschätzung teilte das BVerfG in einem von

463

Dazu sogleich näher: BVerfGE 97, 391 ff. – Missbrauchsbezichtigung. BVerfGE 99, 185, 193 f.; BVerfG, NJW 2011, 511, 512. 465 BVerwGE 82, 76 ff.; das Urteil setzte sich allerdings nur am Rande mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auseinander, da die stärkere Gewährleistung des Art. 4 Abs. 1 GG eingriff; vgl. oben A.II.2. 466 BVerfG, NJW 1989, 3269 f. 467 Vgl. oben C.II.1.a)bb)(2)(b). 468 BGH, JZ 1995, 253, 254. 469 VG Berlin, NJW 1993, 2548 ff. 470 VG Berlin, NJW 1993, 2548, 2549. 464

II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage

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Stolpe in ähnlicher Sache angestrengten Verfassungsbeschwerdeverfahren471 gegen ein Urteil des BGH472 : „Die Äußerung [Stolpe habe als „IM-Sekretär“ über 20 Jahre im Dienste der Staatssicherheit gestanden] ist geeignet, das soziale und politische Ansehen des Beschwerdeführers zu mindern“473 ; die Behauptung sei sogar eine „schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung“474. Erst bei der Frage der Abwägung geht das BVerfG auf den Wahrheitsgehalt der Behauptung ein.475 In einem anderen Verfahren vor dem OVG Lüneburg ging es um die Veröffentlichung von personenbezogenen Daten einer Personenvereinigung im Verfassungsschutzbericht des Landes Niedersachsen.476 Das Gericht hatte über die Berufung eines Vor-Vereins zu entscheiden, der in dem gegenständlichen Verfassungsschutzbericht in der Rubrik „Rechtsextremismus“ geführt wurde. Das OVG stellte zunächst klar, auch eine Personenvereinigung mit ideeller Zielsetzung könne sich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht berufen477, womit der Vor-Verein auch in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre fiel. Seine Zuordnung zum rechtsextremistischen Spektrum gehe mit einer Reihe an negativen Assoziationen einher, die der Verfassungsschutzbericht in seinem Vorwort teilweise selbst bei seiner Definition von „Rechtsextremismus“ aufführe (u. a. Neigung zu Rassismus sowie zum Antisemitismus, übersteigerter Nationalstolz, Ablehnung der Demokratie). Die Veröffentlichung individualisierbarer Aussagen, die diesem Bild des Rechtsextremismus – zumindest aus Sicht des Verfassungsschutzes – entsprechen, stellte eine Beeinträchtigung des sozialen Geltungsanspruchs des Vor-Vereins dar, die einer gesetzlichen Grundlage bedürfe.478 Wenn man sich dazu noch den Warncharakter von Verfassungsschutzberichten479 vor Augen führt, erscheint die Qualifikation einer Erwähnung als rechtsextremistisch im Verfassungsschutzbericht als Eingriff in das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre umso zwingender. Mit Murswieks Worten möchte die Bezeichnung von bestimmten Personen und Organisationen als „extremistisch“ der Bevölkerung sagen: „Lasst euch nicht mit diesen Feinden des Grundgesetzes ein! Wählt sie 471

BVerfGE 114, 339 ff. – Mehrdeutige Äußerungen. BGHZ 139, 95 ff. 473 BVerfGE 114, 339, 347. 474 BVerfGE 114, 339, 352. 475 BVerfGE 114, 339, 352 ff. 476 OVG Lüneburg, NJW 1992, 192 ff. 477 OVG Lüneburg, NJW 1992, 192, 193, unter Berufung auf BVerfG, NJW 1989, 3269, sowie BVerwGE 82, 76, 78; so schon BGH, NJW 1971, 1655. Jetzt auch BVerfGE 118, 168, 203 – Kontostammdaten. 478 OVG Lüneburg, NJW 1992, 192, 193 f. Das OVG ist in seiner Begriffswahl allerdings sehr vorsichtig: so vermeidet es den Begriff des „Eingriffs“ unter Verweis auf dessen in der Praxis „fließenden“ Charakter und spricht von der Geeignetheit des Verfassungsschutzberichts, das Persönlichkeitsrecht der Kläger zu verletzen, bzw. von der „Grundrechtsrelevanz“ der Veröffentlichung. 479 Vgl. dazu Murswiek, NVwZ 2004, 769, 771/773 m.w.N. 472

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

nicht! Unterstützt sie nicht! Lest ihre Schriften nicht!“480 Werden Informationen über Aussagen oder Taten dieser Personen oder Organisationen veröffentlicht, die das gezeichnete Bild von der „Gefahr“ untermauern sollen, sind diese Veröffentlichungen diskreditierend. Sie sind dann ein Eingriff nicht nur in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, sondern auch ein – rechtfertigungsbedürftiger481 – Eingriff in das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre. Im hiesigen Kontext von besonderem Interesse ist schließlich ein Beschluss des BVerfG, den dieses am 24. März 1998 fällte482. In dem zugrunde liegenden Fall ging es um eine Frau, die nach den Feststellungen der Vorinstanzen im Kindesalter von ihrem Vater über viele Jahre sexuell missbraucht worden war. Im Erwachsenenalter hatte sie begonnen, ihn in der Öffentlichkeit unter Nennung ihres und damit seines Namens – sie selbst führte noch ihren Geburts-, also seinen Familiennamen – öffentlich der Taten zu bezichtigen, u. a. auch in der Sendung „Schreinemakers live“. Dagegen machte der Bezichtigte gerichtlich einen Unterlassungsanspruch geltend. Gegen die ihm Recht gebende Entscheidung des OLG Celle legte seine Tochter erfolgreich Verfassungsbeschwerde ein. Das BVerfG räumte dem Recht der Beschwerdeführerin auf freie Meinungsäußerung sowie ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht einen höheren Wert ein als dem Recht des Vaters, sich gegen Darstellungen zur Wehr zu setzen, die seine Persönlichkeitsentfaltung erheblich beeinträchtigen können.483 Das Gericht gestand jedoch zu, dass auch wahre Berichte das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzen484, also auch in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreifen können. Diese Eingriffsqualität bejahte das BVerfG mit Verweis darauf, dass der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs des eigenen Kindes als besonders verabscheuungswürdiges Verbrechen gelte und Berichte über ein derartiges Verhalten meist zu einer Stigmatisierung des Täters führten.485 Die Stigmatisierung könne wiederum „einen Entzug der sozialen Anerkennung, eine soziale Isolierung und eine grundlegende Verunsicherung und Selbstentwertung des Betroffenen in zahlreichen Lebensbereichen zur Folge haben“.486 Ohne das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre ausdrücklich anzusprechen, machte das BVerfG damit deutlich, dass es die Bezichtigung schwerer Straftaten als Eingriff in die äußere und mittelbar auch innere Ehre hält. Hierfür hielt das BVerfG die bloße Identifizierbarkeit des Betroffenen für ausreichend, sein Name müsse nicht genannt

480

Murswiek, NVwZ 2004, 769, 771. Zu den Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit einer Veröffentlichung personenbezogener Daten in Verfassungsschutzberichten vgl. z. B. Peitsch, NVwZ 1998, 118 ff. Zu den Rechtfertigungsvoraussetzungen einer Beschränkung der Pressefreiheit durch Erwähnung einer Wochenzeitung im Verfassungsschutzbericht vgl. BVerfGE 113, 63, 78 ff. – Junge Freiheit. 482 BVerfGE 97, 391 ff. 483 BVerfGE 97, 391, 403 ff. 484 BVerfGE 97, 391, 403 f. 485 BVerfGE 97, 391, 404. 486 BVerfGE 97, 391, 404. 481

II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage

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werden.487 Die Breitenwirkung der diskriminierenden Folge sei (nur) für das Gewicht der Grundrechtsbeeinträchtigung von Belang.488 (b) Eingriff durch staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern Fraglich ist nun, unter welchen Voraussetzungen die staatliche Warnung vor einem entlassenen Straftäter in das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre eingreift. Beide Komponenten des Rechts sind betroffen: Durch die Warnung könnte der Staat die persönliche Ehre selbst missachten, indem er den Betroffenen mit einer das Ansehen mindernden Straftat in Verbindung bringt489 ; die Übermittlung der personenbezogenen Daten wenigstens an Teile der Öffentlichkeit versetzt diese zudem in die Lage, weitere ehrbeeinträchtigende Verhaltensweisen vorzunehmen, sodass auch die Schutzaufgabe des Staates durch seine Warnung gefragt sein wird. Bei der Bestimmung der Eingriffsqualität von staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern ist zunächst zu bedenken, dass die „äußere“ Ehre der Betroffenen wegen der Öffentlichkeit des Strafverfahrens regelmäßig bereits mit Verkündung des Strafurteils beschädigt wird.490 In den Augen derer, die den Prozess selbst oder ggf. in den Medien verfolgen oder sonst Kenntnis von den Vorwürfen erlangen, hat der Verurteilte bereits spätestens mit der Urteilsverkündung an Ansehen eingebüßt.491 Durch das Strafurteil wird auch die „innere“ Ehre betroffen, wenn der Straftäter das Urteil und dessen Konsequenzen – auch für sein Bild in den Augen anderer – tatsächlich als persönliche Herabwürdigung empfindet, sich dafür schämt und auf Grund dessen Minderwertigkeitsgefühle entwickelt. Dieser erlittene Ansehensverlust wird allerdings durch die Verbüßung der Strafe teilweise wieder rückgängig gemacht.492 Auch gerät die Tat mit zunehmendem Zeitablauf schlicht in Vergessenheit. Übermittelt der Staat dann nach der Entlassung Informationen über den Straftäter wenigstens an Teile der Öffentlichkeit, wird das kollektive Gedächtnis wieder aufgefrischt. Die erfolgte (Teil-)Rehabilitierung wird – teilweise oder sogar vollständig – rückgängig gemacht. Wenn der Straftäter nicht in 487

BVerfGE 97, 391, 405. BVerfGE 97, 391, 405. 489 Zum Eingriffscharakter insoweit vergleichbarer Gefährderansprachen in Gegenwart Dritter vgl. Rachor, in: Lisken/Denninger/Rachor (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, S. 409, 667. 490 Vgl. Eisenberg, JGG, 16. Aufl. 2013, § 48 Rn. 8, sowie zur Warnfunktion der Öffentlichkeit des Verfahrens Alber, Öffentlichkeit im Strafverfahren, 1974, S. 41 m.w.N. 491 Zur stigmatisierenden Wirkung der bloßen Anschuldigung, insbesondere im Falle medialer Verstärkung z. B. BVerfG, NJW 2009, 350, 352: „Die besondere Schwere einer angeklagten Tat und ihre als besonders verwerflich empfundene Begehungsweise kann im Einzelfall nicht nur ein gesteigertes Informationsinteresse der Öffentlichkeit, sondern auch die Gefahr begründen, dass der Angekl. eine Stigmatisierung erfährt, die ein Freispruch möglicherweise nicht mehr zu beseitigen vermag.“ Zu den Folgen medialer Anprangerung vgl. auch Rinsche, ZRP 1987, 384 ff. 492 Vgl. Alber, Öffentlichkeit im Strafverfahren, 1974, S. 99. 488

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

seine alte Umgebung zurückkehrt, sondern in eine andere Gegend zieht, wird sein noch nicht definierter Ruf nach Bekanntwerden der Informationen über seine Straftat von vornherein ein schlechter sein. Diese Tendenz würde noch verstärkt, wenn – was ohne Weiteres denkbar ist – die Bevölkerung die staatliche Warnung selbst weiterverbreitet bzw. für ihre Kenntnisnahme sorgt. Aber schon der Ansehensverlust in den Augen von nur wenigen Menschen scheint, solange er spürbar ist, ausreichend für die Feststellung eines Eingriffs in das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre des Betroffenen. In diesen Fällen der Konfrontation mit der Tat in der Öffentlichkeit kommt dann auch eine erneute Beeinträchtigung der inneren Ehre in Betracht. Im Einzelfall ist sogar denkbar, dass die öffentliche Konfrontation mit der Tat nun einen durch die Haftzeit, den verlernten Umgang mit anderen und die Einsicht in das begangene Unrecht dünnhäutigeren Menschen trifft. Unter diesen Voraussetzungen hat auch die Warnung nach Entlassung Eingriffsqualität. Wie die oben dargestellte Rechtsprechung zeigt493, ist es für die Qualifikation der staatlichen Warnung als Eingriff auch unerheblich, dass sie wahre Tatsachen – etwa zu den Vorstrafen, der aktuellen Anschrift usw. – enthält, so denn nur ihr Inhalt geeignet ist, das Ansehen des Straftäters in seinem Umfeld zu mindern. Es liegt jedoch erst recht ein Eingriff vor, wenn die Warnung inhaltlich falsch ist, ihr also z. B. eine fehlerhafte Gefährlichkeitsprognose zugrunde liegt. (3) Zusammenfassung Ist das Bekanntwerden einer Straftat für das Ansehen des Täters in seinem sozialen Umfeld abträglich – etwa weil er erst dadurch als Täter einer erheblichen Straftat identifiziert wird –, so ist eine staatliche Warnung nach Entlassung als Eingriff in das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG einzustufen, selbst wenn nur eine begrenzte Anzahl an Personen von dieser Warnung Kenntnis erlangt; entscheidend ist nur, dass der Ansehensverlust für den Betroffenen spürbar ist. b) Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit In Betracht käme neben einem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch ein Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG). Denn wie bereits mehrfach angedeutet wurde, ist die physische und psychische Integrität der von einer staatlichen Warnung betroffenen Straftäter nicht vor Angriffen durch Dritte gefeit. Auch sind im Einzelfall unmittelbare Folgen der staatlichen Warnung für die körperliche Unversehrtheit denkbar. 493

Vgl. C.II.1.a)cc)(2)(a).

II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage

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aa) Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit Der Schutz des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG umfasst zunächst das Leben. Dieses Rechtsgut bietet – von den bekannten Schwierigkeiten bei der Definition von Lebensbeginn und Lebensende einmal abgesehen494 – keinen Anlass für eine eingehende Erörterung. Das Schutzgut des Rechts auf körperliche Unversehrtheit kann nicht ganz so scharf umrissen werden: Geschützt ist zunächst die körperliche Integrität495, die nach klassischer Auslegung unter dem Eindruck des nationalsozialistischen Regimes496 noch als Freisein von Unfruchtbarkeit, von Schmerzen, von Verunstaltungen und von Verletzungen der körperlichen Gesundheit verstanden wurde497, heute aber weiter zu fassen ist. In seinen Schutzbereich ist namentlich auch das psychische Wohlbefinden mit einzubeziehen, „soweit die Einwirkung zu körperlichen Schmerzen oder mit anderen körperlichen Beeinträchtigungen vergleichbaren Wirkungen führt“.498 Streitig ist indes, ob auch rein psychisch-seelische Pathologien wie Angstzustände oder hochgradige Nervosität499 mit erfasst sein sollen.500 Es ist richtig, solche Pathologien wegen des systematischen Zusammenhangs des Grundrechts mit der Menschenwürde501 dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zuzurechnen, weil auch Art. 1 Abs. 1 GG sich bei der Wahrung der Identität und Integrität des Grundrechtsträgers nicht auf den körperlichen Bereich beschränkt.502 Pieroth und Schlink führen darüber hinaus auch die Entstehungsgeschichte der 494 Vgl. dazu statt vieler Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 02/2004, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 17 ff., oder Augsberg, JuS 2011, 28, 30 f. 495 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 02/2004, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 55. 496 Vgl. hierzu Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 02/2004, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 1 m.w.N. 497 So auch noch Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2011, Art. 2 Rn. 52. 498 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 02/2004, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 55, unter Bezugnahme auf BVerfGE 56, 54, 75, und m.w.N. aus der Literatur. In diesem Sinne wohl auch die Praxis der Rspr., in der Suizidgefährdung des Betroffenen ein Auslieferungshindernis zu sehen, vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 4.07.2002 – 3 Ausl. 96/2000; OLG Hamm, NStZ 2010, 707 f. 499 Bsp.e von Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2004, Art. 2 Abs. 2 Rn. 35. 500 So etwa Kunig, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2012, Art. 2 Rn. 63; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 2 Rn. 149; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2004, Art. 2 Abs. 2 Rn. 35; Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 420; wohl auch Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 224 f.; aus der Rspr. OVG Koblenz, NJW 1998, 1422, 1423; a.A. Müller-Terpitz, in: Isensee/Kirchhof, HbStR, Band VII § 147 Rn. 44; wohl auch Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 02/2004, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 55, der dem Auftreten von Schmerzen besondere Bedeutung zuschreibt (vgl. auch Rn. 60). 501 Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 418. 502 Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 420.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Vorschrift ins Feld: „Zu den Verbrechen der nationalsozialistischen Zeit gehörten gerade auch psychischer Terror, seelische Folterungen und entsprechende Verhörmethoden.“503 Diese Miteinbeziehung psychischer Leiden überzeugt auch in Anbetracht des an sich engen Wortlauts der Vorschrift, betrachtet man das enorm gestiegene Wissen zu psychosomatischen Erkrankungen in jüngerer Zeit, das den Verfassern des Grundgesetzes nicht zur Verfügung stand. Schließlich ist ein weites Verständnis des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch unter teleologischen Gesichtspunkten überzeugend: Es gibt keinen Regelsatz, wonach Verletzungen der körperlichen Integrität den Betroffenen schwerer belasten als die Verursachung psychischer Leiden; dem Grundrechtsträger nur Schutz vor ersteren zu gewähren, wenn doch die Folgen einer psychischen Erkrankung im Einzelfall sogar weit gravierender sein können, würde der Zielsetzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit nicht gerecht. In diesem Geist steht auch die extensive Auslegung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG durch das BVerfG, die es einst504 u. a. mit dem von ihm entwickelten Grundsatz begründete, „wonach in Zweifelsfällen diejenige Auslegung zu wählen ist, welche die juristische Wirkungskraft der Grundrechtsnorm am stärksten entfaltet“505. Umstritten ist hingegen, ob von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch das bloße allgemeine Wohlempfinden mit erfasst ist.506 Insoweit dürfte aber wohl für die Anstrengung dieses speziellen Grundrechts kein Bedürfnis bestehen; vor allgemeinen Belästigungen durch den Staat wird der Bürger (nur, aber auch hinreichend) durch seine allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Das so umschriebene Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist zunächst ein Abwehrrecht. Seine besondere Bedeutung hat es jedoch durch die Entwicklung der sog. Schutzpflicht507 des Staates für das Leben und die körperliche Unversehrtheit seiner Bürger erlangt508.509 Danach hat der Staat alle Grundrechtsträger gegen An503

Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 420. BVerfGE 39, 1, 38 – Schwangerschaftsabbruch I (Aufnahme auch des werdenden Lebens in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG). 505 BVerfGE 6, 55, 72; 32, 54, 71. Erstere Entscheidung unter Berufung auf einen Beitrag von Richard Thoma aus dem Jahre 1929, aufgenommen in Dreier (Hrsg.), Rechtsstaat – Demokratie – Grundrechte, 2008, S. 173 ff. 506 Ablehnend Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 02/2004, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 56 m.w.N.; befürwortend wohl BVerwG, NJW 1995, 2648, 2649; offen gelassen von BVerfGE 56, 54, 73 ff. 507 Vgl. allgemein zur Schutzfunktion der Grundrechte Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 101 ff.; Stern, DÖV 2010, 241 ff. 508 BVerfGE 39, 1, 42; 45, 187, 254 f.; 46, 160, 164 f.; 49, 89, 132/141 f.; 53, 30, 57 f.; 56, 54, 73; 77, 381, 402 f.; 79, 174, 201 f.; 85, 191, 212 f.; 88, 203, 251; 90, 145, 195; 115, 118, 152; 121, 317, 356; vgl. auch Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 02/2004, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 41 ff./81 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2004, Art. 2 Abs. 2 Rn. 76 ff. 509 Zur Herleitung der Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG vgl. Di Fabio, in: Maunz/ Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 02/2004, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 41 ff.; Stern, DÖV 2010, 241, 244; s. auch Klein, NJW 1989, 1633, 1635 f. 504

II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage

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griffe Dritter auf ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit zu schützen. Was aus dieser Schutzpflicht des Staates im Einzelnen folgt, hat das BVerfG jedoch nicht abschließend festgelegt.510 bb) Eingriff in den Schutzbereich Der Staat kann in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG einerseits selbst unmittelbar eingreifen, indem etwa mit Hoheitsgewalt ausgestattete Amtsträger einem Grundrechtsberechtigten körperliche Verletzungen beibringen. Derart unmittelbare Verletzungen sind regelmäßig unproblematisch als Eingriff zu qualifizieren. Interessant ist im hiesigen Kontext jedoch insbesondere die Frage, inwieweit Verletzungen von Leben oder körperlicher Unversehrtheit durch Private dem Staat als Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zugerechnet werden können. Es ist nicht einfach, hierbei den richtigen Anknüpfungspunkt für den staatlichen Eingriff auszumachen: (1) Anknüpfungspunkt für den Eingriff bei Verletzungen durch Private Werden durch eine staatliche Handlung Akte eines Dritten zulasten des Grundrechtsträgers ermöglicht, so ist zu klären, ob schon diese Gefahrschaffung als Eingriff qualifiziert werden kann; ob (erst) die Realisierung der Gefahr – also eine Verletzung oder Tötung durch Private – als staatlicher Eingriff einzustufen ist; oder ob den Staat lediglich eine Schutzpflicht trifft, die Beeinträchtigung durch den Dritten zu verhindern bzw. ihre Folgen zu begrenzen. In den ersten beiden Fällen wäre die Abwehrdimension des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG betroffen, während im dritten die Schutzfunktion im Vordergrund stünde.511 (a) Eingriff durch bloße Gefährdung Ein Eingriff kann bereits dann vorliegen, wenn noch keine Verletzung der Schutzgüter des Grundrechts eingetreten ist, sondern diese lediglich gefährdet sind512 – etwa durch Handlungen Privater –, soweit die Gefährdung einer Verletzung des betreffenden Schutzguts gleichsteht.513 So hat das BVerfG anerkannt, dass die konkrete Gefahr, ein Beschuldigter werde bei Durchführung einer Hauptverhandlung vor Gericht sein Leben einbüßen oder schwerwiegenden Schaden an seiner 510

BVerfGE 115, 118, 153. Zu diesem Problem Klein, NJW 1989, 1633, 1639; Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 02/2004, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 67; Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 219 ff. 512 BVerfGE 49, 89, 141 f.; 51, 324, 346 f.; 66, 39, 57 f.; 77, 170, 220; aus jüngerer Zeit BVerfG, NVwZ 2009, 1489; NVwZ 2010, 114, 115; NVwZ 2011, 991, 993; vgl. dazu auch Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 02/2004, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 49 f. 513 BVerfGE 51, 324, 346 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2004, Art. 2 Abs. 2 Rn. 43 m.w.N. 511

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Gesundheit nehmen, die Annahme eines Eingriffs durch Abhalten der Hauptverhandlung in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG begründet.514 Weiter erklärte das BVerfG in einem Beschluss vom 20. Dezember 1979, dass der Staat im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren eine eigene Mitverantwortung für die Gefährdung von Dritten übernehme, die es geboten erscheinen lasse, an die Genehmigungsvorschriften „nicht weniger strenge Maßstäbe anzulegen als bei der Prüfung staatlicher Eingriffsgesetze“.515 Das BVerfG beurteilt also die vom Staat geschaffene Möglichkeit, eine Genehmigung zur Errichtung eines Atomkraftwerks zu erlangen, als einem – rechtfertigungsbedürftigen – Grundrechtseingriff gleichstehend, und verlangt vom Staat nicht nur, den Grundrechtsträger vor Gefahren zu schützen, die von dem einmal errichteten Atomkraftwerk ausgehen.516 Verallgemeinernd erklärt Sachs zur Voraussetzung für die Qualifikation einer Grundrechtsgefährdung als Eingriff, dass „ein grundrechtliches Abwehrrecht besteht, dessen Schutzgegenstand die Abwesenheit der fraglichen Gefährdung einschließt.“517 Liege diese Voraussetzung hingegen nicht vor, könne die (konkrete) Gefährdung eines Schutzguts allenfalls einen Unterlassungsanspruch gegen den Staat begründen.518 Unter Bezug auf das „grundrechtlich schwer zu verortende Postulat des Freiseins von Furcht“ gelangt Sachs zu dem Schluss, dass jedenfalls Gefährdungen von existentiellem Gewicht „wegen ihrer Wirkung auf die Persönlichkeit der Betroffenen unabhängig von ihrer Realisierung“ als Eingriff einzustufen seien.519 Dieser Ansatz ist überzeugend. Es wäre zwar mit der Abwehrfunktion der Grundrechte nicht vereinbar, wenn sich der Grundrechtsberechtigte jede vom Staat ausgehende Gefährdung seines Lebens bzw. seiner körperlichen Unversehrtheit gefallen lassen müsste – andererseits aber kann nicht jede Gefahrschaffung unter einen Rechtfertigungsvorbehalt gestellt werden. Andernfalls bedürfte etwa schon die Genehmigung einer Straße einer grundrechtlichen Rechtfertigung. Wo genau die Grenze zwischen der einem Eingriff zumindest gleichzustellenden Gefährdung und der nicht-eingreifenden Gefährdung zu ziehen ist, dürfte freilich nur am konkreten Fall ermittelt werden können.

514

BVerfGE 51, 324, 347. BVerfGE 53, 30, 58 – Mülheim-Kärlich. 516 Zustimmend Klein, NJW 1989, 1633, 1639; einen Eingriff durch Schaffung von Genehmigungsverfahren ablehnend Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 02/ 2004, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 67; ebenso wohl Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2004, Art. 2 Abs. 2 Rn. 42; differenzierend Steinberg, NJW 1996, 1985, 1986. 517 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 212. 518 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 211. 519 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 214. 515

II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage

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(b) Eingriff infolge Zurechnung von Verletzungshandlungen Privater Ein Bedürfnis für die Anknüpfung an die bloße Gefahrschaffung besteht jedoch nur, solange sich die Gefahr nicht durch die Verletzungshandlung eines Privaten realisiert. Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG können unter Zugrundelegung des modernen Eingriffsbegriffs520 auch mittelbar erfolgen521, solange sie nur dem Staat zugerechnet werden können.522 Bei vom Staat ermöglichten schädigenden Handlungen eines Privaten dürfte anerkannt sein, dass dem Staat zumindest solche Schädigungen zuzurechnen sind, die er durch staatliche Imperative oder sonst gezielt angestrebt hat523 oder die unausweichliche Folge eines von ihm durch Befehl oder sonst gezielt herbeigeführten Verhaltens von Privaten sind524 ; letzteres ist etwa im Kontext von staatlichen Produktwarnungen dann zu bejahen, wenn diese auf eine Änderung des Konsumverhaltens Privater abzielen und dadurch unausweichlich zu einer Beeinträchtigung des Herstellers in seiner Berufsfreiheit führen. In diesen Zusammenhang gehört aber wohl auch die Rechtsprechung des BGH zu der Frage, ob dem Staat von einer öffentlichen Straße ausgehende, die Anlieger beeinträchtigende Verkehrsimmissionen zugerechnet werden können.525 Das Gericht führte dazu aus, dass diese Verkehrsimmissionen unmittelbare Folge der Eröffnung der Straße für den durchfließenden Verkehr seien; der entsprechende Widmungsakt begründe zugleich die Pflicht der Anlieger, die Verkehrsimmissionen zu dulden.526 Daher stellten sich die Lärmeinwirkungen als Eingriff in das Anliegereigentum dar.527 Wird das schädigende Verhalten hingegen nicht gezielt vom Staat veranlasst, fällt die Zurechnung des Drittverhaltens schwerer. Auszuschließen sind dann jedenfalls ganz ungewöhnliche und fernliegende Reaktionen auf staatliches Verhalten.528 Soweit ein schädigendes Drittverhalten jedoch vorhersehbar ist, soll Sachs zufolge einer Zurechnung der Folgen grundsätzlich nichts entgegenstehen. Etwas anderes gelte aber bei der Begehung von Straftaten. Es scheine „bedenklich, die staatlichen Handlungsbefugnisse entsprechend den Absichten und Gepflogenheiten Krimineller einzuengen.“529 Andererseits möchte Sachs von diesem Grundsatz in dem Fall eine 520

Vgl. dazu bereits oben A.II.2.b) sowie C.II.1.a)aa)(2). Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 145 m.w.N. 522 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2004, Art. 2 Abs. 2 Rn. 42; Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 02/2004, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 60. 523 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 187 ff. 524 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 192 ff. m.w.N. 525 Vgl. etwa BGHZ 54, 384 ff.; 64, 220 ff.; 97, 361 ff. 526 BGHZ 54, 384, 388. 527 BGHZ 64, 220, 222. 528 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 195. 529 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 196, unter Berufung auf die Schleyer-Entscheidung, in der das BVerfG nur von einer Schutzpflicht zugunsten des Entführten ausging und damit in der Entscheidung der Exekutive, den Forderungen der Entführer nicht nachzugeben, 521

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Ausnahme machen, da der Staat durch sein Verhalten eine erhöhte Gefahrenlage schafft und die von Dritten begangenen Straftaten hierzu in einem inneren Zusammenhang stehen.530 Als Beispiel nennt er die Tötung von Strafgefangenen durch Mitinsassen.531 Dem ist nicht zu folgen. Im Ausgangspunkt ist Sachs allerdings Recht zu geben: Vorsätzliche Straftaten durchbrechen grundsätzlich den Zurechnungszusammenhang, selbst wenn ihre Begehung als Folge einer staatlichen Maßnahme vorhersehbar ist. Der Staat kann sein Handeln nicht an den erwarteten Reaktionen von Straftätern ausrichten und sich hierdurch in der Wahl seiner Mittel selbst einschränken. Eine solche Form der Selbstbeschränkung stünde einem Rechtsstaat nicht gut zu Gesicht. Von diesem Grundsatz darf es jedoch keine Ausnahme für Fälle geben, in denen die begangenen Straftaten in einem inneren Zusammenhang zu einer staatlichen Maßnahme stehen. Denn dieser innere Zusammenhang verringert nicht die Notwendigkeit, den Staat nicht mit Straftätern in eine Art „Haftungsgemeinschaft“ zu werfen und ihn so in die Position zu bringen, sich für die von Privaten vorsätzlich begangenen Verletzungen der Schutzgüter Leben und körperliche Unversehrtheit rechtfertigen zu müssen. In diesen Konstellationen ist vielmehr die Schutzpflichtdimension des Grundrechts gefragt: Ist vorhersehbar, dass es infolge einer seiner Maßnahmen zu Straftaten durch Private kommt, so hat der Staat alles Erforderliche zu ihrer Abwendung zu unternehmen. Seine ungewollte Förderung der Straftat erhöht dabei die an ihn gerichteten Maßstäbe, es besteht eine gegenüber anderen Grundrechtsträgern und anderen Gefahrenkonstellationen gesteigerte Schutzpflicht. Kommt es gleichwohl zu einer Verletzung von Schutzgütern, so liegt hierin gegebenenfalls ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.532 Anknüpfungspunkt für den Verstoß ist dann aber das Unterlassen von erforderlichen Schutzmaßnahmen, nicht die eigentlich kausale staatliche Maßnahme. (c) Nichterfüllung einer Schutzpflicht Kann weder die ursprüngliche staatliche Maßnahme wegen der Gefahrschaffung noch das dem Staat zugerechnete Verhalten Privater zur Realisierung dieser Gefahr als Eingriff qualifiziert werden, bleibt grundsätzlich nur noch der Vorwurf der Nichterfüllung einer Schutzpflicht. Dies ist jedoch kein Problem des Grundrechtseingriffs mehr, sondern wirft die Frage auf, wann und wie der Staat zum Schutz eines Grundrechtsträgers tätig werden muss.533 implizit keinen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erkannte, BVerfGE 46, 160, 164 f. (so hatte jedoch der Antragsteller argumentiert, vgl. S. 162). 530 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 196. 531 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 196 (unter Berufung auf BGHZ 17, 172, 173 ff.; BGH, NJW 1971, 1881, 1883). 532 Vgl. zur dann erforderlichen Rechtfertigung eines solchen „Eingriffs“ Michael, JuS 2001, 148, 151 f. (Untermaßverbot bei Schutzpflichten), sowie Cremer, DÖV 2008, 102 ff. 533 Dazu etwa Klein, NJW 1989, 1633 ff., insbes. 1636 f.

II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage

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(2) Eingriff durch staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern Alle vorstehend problematisierten Aspekte (Grenzen des Schutzbereichs – Zurechnung der Handlungen Privater – Eingriff durch bloße Gefährdung) kommen nun bei der Frage zum Tragen, unter welchen Voraussetzungen staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern als Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit einzustufen wären. Es kommen verschiedene Anknüpfungspunkte für einen staatlichen Eingriff in Betracht. Die Warnung selbst macht den betroffenen Straftäter wenigstens einer beschränkten Anzahl von Personen bekannt. Schon diese Identifizierung als Straftäter könnte für den Betroffenen im Einzelfall für Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG relevante Konsequenzen haben, wenn er nämlich aus Angst vor den vermeintlichen Folgen der Warnung psychische Krankheitsbilder entwickelt (a). Mit Bekanntgabe seiner Identität kann der Betroffene durch Einwirkung vonseiten Dritter an Leib oder sogar Leben geschädigt werden (b). Im Vorfeld zu dieser Schädigung hat der Staat durch seine Warnung bereits eine Gefahr für diese Rechtsgüter begründet (c). Fraglich ist nun, ob und unter welchen Voraussetzungen eine oder mehrere dieser Folgen ein staatlicher Eingriff in das Recht des Straftäters auf Leben und körperliche Unversehrtheit wären. (a) Psychische Erkrankungen als unmittelbare Folge der Warnung Wer der Öffentlichkeit vom Staat als entlassener Straftäter präsentiert wird, kann sich je nach Art der bekanntgemachten Straftat belastenden Reaktionen vonseiten des informierten sozialen Umfelds ausgesetzt sehen. Die denkbaren Reaktionen534 können den betroffenen Straftäter erheblichem psychischen Druck aussetzen – so im Falle von Mahnwachen vor seinem Wohnsitz oder offenen Drohungen gegen seine Person – und im Extremfall auch in körperliche Übergriffe auf ihn münden. Es ist naheliegend, dass die Antizipation einer solchen Entwicklung bestimmte Straftäter bereits ab dem Zeitpunkt der Bekanntmachung der Warnung gehörig unter Druck setzt, ohne dass die antizipierten Folgen bereits eingetreten wären.535 Angst vor Übergriffen gegen seine Person dürfte z. B. bei einem pädophilen Sexualstraftäter nicht fernliegen. Wie oben dargelegt536, werden vom Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch psychosomatische Krankheiten erfasst, nicht aber das bloße Wohlbefinden. Damit die bloße Bekanntmachung der Warnung vor einem entlassenen Straftäter als unmittelbarer Eingriff in das Recht des Betroffenen auf körperliche Unversehrtheit qualifiziert werden könnte, müsste sich also bereits durch die Warnung eine psychische Krankheit wie z. B. eine Angstpsychose feststellen lassen können. Eine solche Kausalkette, die ohne das Dazwischentreten Dritter auskommt, dürfte al534 535 536

Vgl. dazu bereits die Aufzählung oben C.II.1.a)bb). Vgl. dazu Tewksbury/Lees, Sociological Spectrum 26 (2006), 309, 329 f. Vgl. C.II.1.d)aa).

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lerdings äußerst selten vorkommen. Wenn sich tatsächlich psychische Krankheiten einstellen – Rinsche berichtete z. B. einst von Depressionen bei medial angeprangerten Medizinern, denen die fahrlässige Tötung eines Fötus vorgeworfen wurde537 –, so doch in aller Regel als Ergebnis der der Warnung folgenden Reaktionen vonseiten der Medien und der Bevölkerung. Sollte indes der seltene Fall einer psychischen Erkrankung als unmittelbare Folge der staatlichen Warnung eintreten, so müsste die Warnung als staatlicher Eingriff in das Recht des entlassenen Straftäters auf körperliche Unversehrtheit qualifiziert werden. (b) Physische oder psychische Schäden durch Verhalten Privater Wahrscheinlicher dürften psychische Schädigungen infolge der Handlungen Privater sein. Auch physische Angriffe wären wohl keine Ausnahmeerscheinung. Eine US-amerikanische Studie gelangte zu dem Ergebnis, dass etwa 5 % der betroffenen Sexualstraftäter tätlich angegriffen worden seien.538 Von den denkbaren Akten von Selbstjustiz und anderen Formen der Gewaltanwendung zum Nachteil entlassener Straftäter sind selbst Tötungen nicht gänzlich auszuschließen.539 Hat der Dritte Kenntnis von Identität und/oder Adresse seines Opfers durch die staatliche Warnung erlangt, besteht zwischen dieser und seiner Straftat gegen die von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erfassten Schutzgüter des Straftäters ein Kausalzusammenhang. Auf die sich hieran anschließende Frage nach der Zurechenbarkeit dieser Straftat wurde oben bereits abstrakt eingegangen540 : Sachs sieht den Zurechnungszusammenhang durch Straftaten von Privaten grundsätzlich durchbrochen und macht nur eine Ausnahme in Fällen, in denen ein innerer Zusammenhang zwischen der vom Staat geschafften Gefahrenlage und der Straftat besteht. Eine solche Ausnahme liegt in den hier interessierenden Konstellationen jedoch vor: Der Akt der Selbstjustiz wird durch die Warnung nicht nur ermöglicht, indem letztere dem Dritten die notwendigen Informationen zur Verfügung stellt. Die Warnung vor einem vom Staat als gefährlich eingestuften Straftäter ist zugleich der Grund für das Tätigwerden des Dritten und dient ihm als Rechtfertigung für den Akt der Selbstjustiz bzw. die vermeintlich notwendige „Schutzmaßnahme“ gegen den identifizierten Straftäter. Damit stehen staatliche Warnungen und die hierdurch ermöglichten oder erleichterten Straftaten in einem inneren Zusammenhang. Die Folgen solcher Straftaten für die Schutzgüter des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG wären dem Staat zuzurechnen. Diese Auffassung haben etwa Waechter sowie Baur/Burkhardt/Kinzig für den Fall von

537

Rinsche, ZRP 1987, 384, 384. Vgl. Levenson/Cotter, Journal of Contemporary Criminal Justice 21 (2005), 49, 58. 539 So mehrfach geschehen in den USA, vgl. nur den Bericht ABC News v. 18. 04. 2006, online unter http://abcn.ws/NfTDRK (Stand: 13. 04. 2013), oder Los Angeles Times v. 10. 12. 2007, online unter http://lat.ms/zS1 J8 (Stand: 13. 04. 2013). 540 Vgl. oben C.II.1.b)bb)(1)(b). 538

II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage

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Straftaten infolge staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern vertreten541 – allerdings ohne nähere Begründung. Wie oben bereits ausgeführt wurde, ist Sachs insoweit nicht zu folgen542; entsprechend kann Waechter sowie Baur/Burkhardt/Kinzig jedenfalls nicht allgemein beigepflichtet werden: Kommt es zur Verletzung eines entlassenen Straftäters in Schutzgütern des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG durch Straftaten Privater, so liegt hierin kein zurechenbarer Eingriff in den abwehrrechtlichen Schutzgehalt des Grundrechts. Der Staat könnte aber eine – wegen seiner ungewollten, aber vorhersehbaren Förderung einer Straftat gesteigerte – Schutzpflicht gegenüber dem entlassenen Straftäter vernachlässigt haben. Dann ist aber nicht mehr die Warnung selbst Anknüpfungspunkt für den dem Staat gemachten Vorwurf. In besonderen Konstellationen ist es allenfalls denkbar, schon in der Gefährdung des entlassenen Straftäters durch die Warnung einen Eingriff zu sehen (dazu sogleich). Tritt der psychische oder physische Schaden nicht infolge einer Straftat ein, ist allerdings eine Zurechnung zum Staat denkbar. Mit Sachs sollte hierfür genügen, dass die Folge für den Staat vorhersehbar war. Vorhersehbar dürften etwa psychische Schäden durch das von der Warnung motivierte Verhalten Privater sein, wenn der entlassene Straftäter als besonders labil gilt und mit einer hohen Aufmerksamkeit für den Fall zu rechnen ist, dass seine Straftaten seinem zukünftigen sozialen Umfeld bekannt würden. (c) Erhöhte Gefahr physischer oder psychischer Schäden Unter bestimmten Voraussetzungen können auch bloße Gefährdungen von Schutzgütern selbst als Eingriff in das betreffende Grundrecht qualifiziert werden.543 Bei staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern droht diesen einerseits die Gefahr eines unmittelbar durch die Warnung verursachten Schadens (oben a), andererseits der durch eine Straftat Privater verursachte Schaden (oben b). Mit den von Sachs entwickelten Kriterien ist sinnvollerweise die bloße Gefährdung nur dann einem Eingriff gleichzustellen, wenn sie von existentiellem Gewicht ist. In Bezug auf das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist hiervon auszugehen, wenn „ernsthaft zu befürchten ist“, dass der betroffene Straftäter durch die Warnung sein Leben einbüßen oder schwerwiegenden Schaden an seiner Gesundheit nehmen würde.544 541 Vgl. Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 385, unter Berufung auf die Zurechnungskriterien von Sachs, sowie Baur/Burkhardt/Kinzig, JZ 2011, 131, 138. Waechter ergänzt, der Staat könne „sich von seiner Verantwortlichkeit nicht freizeichnen, indem er die Informationsweitergabe mit dem Hinweis versieht, dass die Information nicht zu rechtswidrigen Zwecken genutzt werden darf, wenn er aus Erfahrung weiß, dass solche Hinweise nicht beachtet werden“. 542 Vgl. C.II.1.b)bb)(1)(b). 543 Vgl. dazu oben C.II.1.b)bb)(1)(a). 544 Vgl. BVerfGE 51, 324, 347, für den Fall der Durchführung einer Hauptverhandlung, wenn der Zustand des Beschuldigten die genannten Gefahren begründet.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Liegt ein solcher Fall vor – um ein extremes Beispiel zu nennen: Dritte haben glaubhaft angedroht, jeden entlassenen „Kinderschänder“ umzubringen, sobald sie dessen Namen und Wohnort erführen545 –, so wäre ein Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu bejahen, wenn der Staat seine Warnung gleichwohl ausspricht. Es macht dann in dieser Konstellation keinen Unterschied, ob die Gefahr im Falle ihrer Realisierung unmittelbare Folge der Warnung wäre oder ob Dritte sie realisierten. Denn Anknüpfungspunkt für die Qualifikation als Eingriff wäre eben nicht die Folge, sondern allein die durch die staatliche Maßnahme begründete Gefahr für Leib oder Leben. Es liegt auch kein Wertungswiderspruch darin, zwar die Schaffung der Gefahr eines Schadens durch eine von einem Privaten begangene Straftat als Eingriff zu qualifizieren, die Realisierung dieser Gefahr dem Staat jedoch nicht zuzurechnen. Denn erstens sind an Gefährdungen geringere Rechtfertigungsmaßstäbe als an Schädigungen zu stellen, zweitens ist die Gefährdung anders als die Realisierung der Gefahr eine unmittelbare Folge der staatlichen Maßnahme und drittens ist der Staat in den in (b) dargestellten Fällen zum Schutz verpflichtet und muss sich für ein etwaiges Unterlassen ggf. rechtfertigen. cc) Zusammenfassung Sofern der Staat einen entlassenen Straftäter durch seine Warnung identifiziert, schafft er je nach Art der bekanntgemachten Straftat eine abstrakte Gefährdungslage für Leib und Leben des Betroffenen, was noch nicht als Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu bewerten ist; sie begründet lediglich eine gesteigerte Schutzpflicht zu Gunsten des Straftäters. Nur wenn durch die Warnung das Leben des Straftäters konkret gefährdet ist oder ihm konkret schwerwiegender Schaden an seiner Gesundheit droht, ist die Warnung wegen dieser Gefährdung als Eingriff einzustufen. Tritt tatsächlich eine Schädigung ein, ist zu differenzieren: Ist sie unmittelbare Folge der staatlichen Warnung, so liegt ein Eingriff vor; ist sie Folge des vorhersehbaren Verhaltens eines Privaten, so kann die Schädigung dem Staat ebenfalls als Eingriff zugerechnet werden; etwas anderes gilt aber, wenn die Schädigung als Straftat eines Privaten zu qualifizieren ist546.

545 Andere denkbare Fälle: ein entlassener Sexualstraftäter leidet bereits an Schizophrenie und droht unter dem zu erwartenden Druck von Seiten seiner zukünftigen Nachbarn über die Maßen zu leiden; wegen wiederkehrender Übergriffe in einer bestimmten Gegend besteht auch bei der Bekanntmachung der nächsten Warnung die konkrete Gefahr von schwerwiegenden Verletzungen. 546 A.A. Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 385; Baur/Burkhardt/Kinzig, JZ 2011, 131, 138, die auch insoweit eine Zurechnung bejahen.

II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage

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c) Eingriff in die Menschenwürde Weiter kommt auch ein Eingriff unmittelbar in Art. 1 Abs. 1 GG in Betracht. Ein solcher Eingriff wäre wegen der Unantastbarkeit der Menschenwürde (vgl. Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG) von vornherein nicht zu rechtfertigen und damit stets rechtswidrig.547 Entsprechend tragen Ausführungen dazu, unter welchen Voraussetzungen eine staatliche Warnung vor einem entlassenen Straftäter diesen unmittelbar in seiner Menschwürde betreffen könnte, nichts zur Klärung der Frage nach der Erforderlichkeit einer Rechtsgrundlage bei: Würde in die Menschenwürde eingegriffen, könnte auch ein formelles Gesetz keine Rechtfertigung mehr leisten. Auf die Menschenwürdegarantie ist deshalb erst bei der Erläuterung der materiell-rechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes einzugehen, die eine Regelung für staatliche Warnungen erfüllen müsste.548 d) Eingriff in das Recht auf Gleichheit? Staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern könnten auch das Recht auf Gleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG betreffen. Dies z. B. dann, wenn nur bestimmte Tätergruppen von Warnungen erfasst würden, andere aber von den Folgen staatlicher Warnungen verschont würden. Eine solche Ungleichbehandlung wäre dann rechtfertigungsbedürftig, wenn die betreffenden Tätergruppen als im Wesentlichen gleich einzustufen wären.549 Der Gleichheitssatz schützt allerdings vor einer Ungleichbehandlung durch Gesetz. Es ist also nicht geboten, zur Begründung der – hier nur gefragten – Erforderlichkeit einer Rechtsgrundlage für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern auf den Gleichheitssatz einzugehen. Einen diese Erforderlichkeit auslösenden Eingriff gibt es mangels Schutzbereichs bei den Gleichheitsrechten nicht.550 Allerdings wird auf Art. 3 Abs. 1 GG ebenfalls bei der Prüfung der materiellrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes zurückzukommen sein.551 e) Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit Zu denken ist schließlich noch an die allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG. Neben dem spezielleren Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG 547 Aus der Rspr.: BVerfGE 6, 32, 41; 34, 238, 245; 75, 369, 380; 80, 367, 373 f.; 93, 266, 293; 102, 347, 366 f.; 107, 275, 283 f.; 109, 279, 314; 119, 1, 34; 120, 274, 335; aus der Lit. etwa Herdegen, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 05/2009, Art. 1 Abs. 1 Rn. 73, oder Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 381, jeweils m.w.N. 548 Vgl. unten C.IV.1. 549 Vgl. dazu nur Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 463. 550 Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 462. 551 Vgl. unten C.IV.3.

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dürfte diese Garantie allerdings nur eine eingeschränkte eigenständige Bedeutung haben.552 f) Zwischenergebnis Die Bekanntmachung einer staatlichen Warnung ist unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung ein Eingriff in das Recht des entlassenen Straftäters auf informationelle Selbstbestimmung. Unter der Voraussetzung, dass der Inhalt der Warnung im sozialen Umfeld des Straftäters negativ aufgenommen wird, greift der Staat durch die Bekanntmachung der Warnung zudem in das Recht auf Resozialisierung sowie das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre ein. Verursacht die Bekanntmachung der Warnung unmittelbar physische und/oder psychische Schäden beim entlassenen Straftäter oder setzt sie ihn einer konkreten Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsverletzung oder gar seines Lebens aus, so liegt auch ein Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit vor; durch Dritte herbeigeführte Schäden beim Straftäter sind als staatlicher Eingriff zu qualifizieren, wenn sie vorhersehbar waren und keine Straftaten sind. g) Das Konkurrenzverhältnis der tatbestandlich einschlägigen Grundrechte Es wurde soeben gezeigt, dass bei staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern an verschiedene betroffene Grundrechtsgarantien zu denken ist. Unter den Ausformungen des in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrechts können bei staatlichen Warnungen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stets, das Recht auf Resozialisierung sowie das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre unter bestimmten Voraussetzungen betroffen sein. Daneben ist auch ein Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG denkbar. Regelmäßig wird auch ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit vorliegen. Kann sich ein entlassener Straftäter angesichts staatlicher Warnungen auf alle oder zumindest mehrere dieser Garantien berufen, liegt ein Fall der Grundrechtskonkurrenz vor.553 Dann tritt die in der Praxis häufig vernachlässigte Frage auf den Plan, welche von mehreren einschlägigen Grundrechtsgarantien denn maßgeblich ist. Dies ist deshalb relevant, weil sich hiernach bestimmt, welche Schrankenbestimmungen bzw. Gesetzesvorbehalte

552

Vgl. zum Konkurrenzverhältnis unten C.II.1.g)bb)(2). Zu dieser ausführlich Heß, Grundrechtskonkurrenzen, 2000; Spielmann, Grundrechtskonkurrenz, 2008; Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 1365 ff.; Berg, in: Merten/Papier, HbGR Band III, 2009, § 71; vgl. auch schon Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 324 ff., und noch früher Berg, Grundrechtskonkurrenzen, 1967. 553

II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage

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überhaupt anzuwenden sind, an welchem Maßstab die staatliche Warnung vor einem entlassenen Straftäter also zu messen ist.554 Insbesondere bei den Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts stellt sich ein „internes“ Konkurrenzproblem: Auf welche der Garantien wäre vorrangig abzustellen, wenn – wie hier – ein Eingriff in alle drei Ausformungen tatbestandlich vorläge (bb 1)? Ist dieses Konkurrenzverhältnis geklärt, stellt sich weiter die Frage nach dem Verhältnis des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zum Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie der allgemeinen Handlungsfreiheit (bb 2). Vorab ist auf das Thema der Grundrechtskonkurrenzen im Allgemeinen einzugehen (aa). aa) Die Grundrechtskonkurrenz Ob ein Grundrechtsträger durch eine einzelne staatliche Maßnahme überhaupt in mehreren Grundrechten betroffen ist, muss zunächst durch eine Abgrenzung der Grundrechtstatbestände und – soweit möglich – die Zerlegung des Sachverhalts in voneinander unabhängige Eingriffsakte geklärt werden.555 Sind tatsächlich mehrere Garantien einschlägig, sind sodann unechte von echten Konkurrenzen zu unterscheiden.556 Eine unechte oder Gesetzeskonkurrenz liegt vor, wenn eine Grundrechtsnorm durch eine andere verdrängt wird. Echte Konkurrenz liegt vor, wenn sich ein Grundrechtsberechtigter auf mehrere Garantien zugleich berufen kann. Während unechte Konkurrenzen schon auf der Normebene ermittelt werden müssen, lassen sich echte Konkurrenzen nicht allgemein, sondern immer nur anhand des Einzelfalls erkennen.557 Normverdrängende (unechte) Konkurrenzen resultieren aus der Konsumtion durch die verdrängende Norm bzw. aus der Spezialität der verdrängenden Norm558 und sind „die seltene Ausnahme“.559 Von Konsumtion wird gemeinhin dann ausgegangen, wenn eine Norm zwar in ihrem Anwendungsbereich mit einer anderen zusammenfällt, selbst aber aus bestimmten Gründen eine abschließende Regelung sein sollte und deshalb eine kumulative Anwendung auch der anderen Norm dem Regelungsziel entgegenstünde.560 Spezialität liegt allgemein dann vor, wenn der 554 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 1367; Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 26. Erg.-Lfg., Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 37; Berg, in: Merten/Papier, HbGR Band III, 2009, § 71 Rn. 12. 555 Vgl. dazu Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 1378 ff.; ebenso Heß, Grundrechtskonkurrenzen, 2000, S. 167; Spielmann, Grundrechtskonkurrenz, 2008, S. 167. 556 Zur Übernahme der Begrifflichkeiten aus der strafrechtlichen Doktrin vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 26. Erg.-Lfg., Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 30 ff. 557 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 1377; Heß, Grundrechtskonkurrenzen, 2000, S. 167; a.A. Berg, in: Merten/Papier, HbGR Band III, 2009, 47. 558 Zu diesen beiden Gründen für eine Gesetzeskonkurrenz und insbesondere kritisch zum ersteren vgl. näher Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 1398 ff. 559 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 1377. 560 Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 268.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Tatbestand einer der Garantien alle Tatbestandsmerkmale einer der anderen enthält und darüber hinaus noch eines oder weitere spezialisierende Merkmale hinzutreten.561 Stern nennt in diesem Zusammenhang nur die auch vom BVerfG562 selbst herausgearbeitete Subsidiarität der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) im Verhältnis zu den speziellen Freiheitsrechten, weiter die Spezialitätsbeziehung zwischen Art. 4, Art. 5 Abs. 1 sowie Art. 8 GG, die Beziehung zwischen Art. 9 Abs. 1 und Abs. 3 GG sowie ein mögliches Konsumtionsverhältnis zwischen Art. 33 Abs. 3 GG sowie Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 2, 3 WRV.563 Mit dem Vorrang des spezielleren Grundrechts lässt sich wohl auch erklären, warum das BVerfG bei seiner Osho-Entscheidung564 nicht auf das zwingend eine einfachgesetzliche Grundlage erfordernde Recht auf informationelle Selbstbestimmung565 eingeht566, obwohl dieses Recht über Art. 19 Abs. 3 GG grundsätzlich auch auf juristische Personen Anwendung findet567; hier lässt sich argumentieren, dass sich für juristische Personen ein bereits aus dem speziellen Freiheitsrecht ableitbarer grundrechtsspezifischer Schutz von deren informationeller Selbstbestimmung ergibt und sich entsprechend die verfassungsrechtliche Beurteilung nur nach diesem speziellen Grundrecht zu bemessen hat.568 In der Rechtsanwendung kann bisweilen gleichwohl auf das verdrängte Grundrecht zurückgegriffen werden, so wenn der Grundrechtseingriff bereits am Rechtfertigungsmaßstab des schwächeren, allgemeineren Grundrechts scheitert.569 Sehr viel häufiger tritt die echte Grundrechtskonkurrenz in Gestalt der sog. Idealkonkurrenz auf, d. h. es sind für denselben Sachverhalt zwei oder mehr Grundrechtsgarantien desselben Grundrechtsträgers parallel anwendbar. Für Stern ist diese „Schutzkumulation der grundsätzlich anzunehmende Regelfall“.570 Fraglich ist dann, welcher der in Betracht kommenden Schutzmaßstäbe maßgeblich ist. Weil sich die strafrechtliche Konkurrenzendogmatik allein auf die Bildung des Strafrahmens bezieht und damit keine Antworten bieten kann, ist „eine spezifisch ver561

Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 267. Vgl. nur BVerfGE 1, 264, 273 f.; 6, 32, 37; sowie aus jüngerer Zeit BVerfGE 126, 286, 300 m.w.N. 563 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 1377, 1401 ff. 564 BVerfGE 105, 279 ff. 565 BVerfGE 65, 1, 44; 67, 100, 143; 77, 1, 46 f.; 78, 77, 85; 89, 69, 84; 92, 191, 197; 103, 21, 33; 115, 320, 345; 117, 202, 228; 120, 378, 401; 128, 1,46; jüngst BVerfG, NJW 2012, 1419, 1423. 566 Ebenso wenig äußert sich das BVerwG in seiner Osho-Entscheidung dazu, vgl. BVerwGE 90, 112 ff. 567 BVerfGE 118, 168, 203 f. – Kontostammdaten. 568 In diesem Sinne Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 225 m.w.N. 569 Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 26. Erg.-Lfg., Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 34a. 570 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 1398. 562

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fassungsrechtliche Lösung zu suchen“.571 Es überzeugt dann, einen staatlichen Eingriff nur für gerechtfertigt zu halten, wenn er gegen keines der einschlägigen Grundrechte verstößt.572 Faktisch kommt es also auf den Schutzgehalt des in der betreffenden Situation stärksten Grundrechts an.573 Von diesem Grundsatz ist allein dann eine Ausnahme zu machen, wenn eine oder mehrere der konkurrierenden Grundrechtsnormen nur in ihrem Randbereich, andere hingegen in ihrem Zentralbereich erfasst sind.574 Dann ist trotz Idealkonkurrenz nur auf den Rechtfertigungsmaßstab der zentral betroffenen Grundrechtsgarantie abzustellen. Letztere ist dann normativ vorrangig.575 Auf diese pragmatische Weise geht insbesondere das BVerfG mit dem Problem der Schutzkumulation um576, wenn auch ohne dogmatische Vorüberlegungen577. Welches Grundrecht allerdings in seinem Rand-, welches in seinem Zentralbereich betroffen ist, bedarf einer Klärung im Einzelfall.578 bb) Grundrechtskonkurrenzen bei staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist nun zu ermitteln, in welchem Konkurrenzverhältnis die oben579 erörterten Garantien stehen. Die dafür notwendigen ersten Schritte der Tatbestandsabgrenzung und Sachverhaltszerlegung wurden bereits geleistet: Die einschlägigen Grundrechte wurden benannt und voneinander abgegrenzt; der Sachverhalt der staatlichen Warnung vor einem entlassenen Straftäter in den – hier nicht näher interessierenden – Eingriff durch Erhebung und Speicherung der personenbezogenen Daten und den Eingriff durch deren Übermittlung an Dritte zerlegt. Der erste Akt der Erhebung und Speicherung personenbezogener Daten greift dabei nur in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ein. Insoweit liegt 571 Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 26. Erg.-Lfg., Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 37; vgl. zu weiteren Unterschieden Berg, in: Merten/Papier, HbGR Band III, 2009, § 71 Rn. 3 ff. 572 Vgl. nur Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 355.; weitere Nachweise bei Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 1391 Fn. 135. 573 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 1406; Berg, in: Merten/Papier, HbGR Band III, 2009, § 71 Rn. 16. 574 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 1407. 575 Spielmann, Grundrechtskonkurrenz, 2008, S. 166. 576 Stern zitiert Entscheidungen des BVerfG, in denen dieses danach fragt, welches Grundrecht „im Vordergrund“ stehe (BVerfGE 39, 334, 360), „vorrangig“ Maßstab der Prüfung sei (BVerfGE 77, 308, 332) oder in „erster Linie“ herangezogen werden müsse (BVerfGE 36, 321, 330), Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 1385; vgl. etwa auch BVerfGE 104, 337, 345 f. – Schächten. 577 Sehr krit. („… das Problem [wird] einfach ignoriert…“) Berg, in: Merten/Papier, HbGR Band III, 2009, § 71 Rn. 13. 578 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 1408 f. 579 Vgl. C.II.1.

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also keine Konkurrenzsituation vor. Durch den zweiten Eingriffsakt der Bekanntmachung der Warnung sind potentiell vier Garantien betroffen. Dabei sind drei dieser Garantien ebenfalls Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, weshalb zunächst deren Verhältnis untereinander zu klären ist (1). Sodann stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zu dem unter den bereits genannten Voraussetzungen ebenfalls betroffenen Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (2). (1) Das Konkurrenzverhältnis der Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Das in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht enthält eine Vielzahl von Einzelgarantien, darunter die durch staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern betroffenen Rechte auf informationelle Selbstbestimmung, auf Resozialisierung sowie auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre. Ein Konkurrenzproblem bestünde jedoch nur, wenn diese Rechte tatsächlich eigenständige Grundrechte und nicht etwa nur Ausfluss des tatsächlich maßgeblichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts wären. In letzterem Fall würde nur in jenes Grundrecht eingegriffen. (a) Das Verhältnis der Einzelausprägungen zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht Es wurde bereits im Zusammenhang mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung erwähnt, dass die h.M. diese Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht als eigenständiges Grundrecht anerkennt.580 Die Diskussion entzündete sich wohl deshalb am Recht auf informationelle Selbstbestimmung, weil es wegen seiner wachsenden Bedeutung und der zunehmend ausdifferenzierten Dogmatik am meisten Anlass zu entsprechenden Überlegungen gab. Aus diesem Grund muss auch, was für diese spezielle Einzelausprägung gilt, erst recht für alle weiteren Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gelten, die noch keinen vergleichbaren Grad an Selbstständigkeit erreicht haben. Dies gilt namentlich auch für die hier gegenständlichen Rechte auf Resozialisierung bzw. auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre, die beide von einer eher rudimentären Dogmatik geprägt sind. Gegen die Eigenständigkeit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wurde vorgebracht, für die Konstituierung eines Grundrechts sei nicht die Rechtsprechung, sondern der Verfassungsgeber zuständig.581 Dieses Argument könnte 580 Simitis, NJW 1984, 398, 399; Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 173; Kunig, JURA 1993, 595, 596; Heß, Grundrechtskonkurrenzen, 2000, S. 220; Luch, Medienpersönlichkeitsrecht, 2008, S. 127 f. m.w.N. A.A. wohl Bäumler, JR 1984, 361, 362 („Grundrecht auf Datenschutz“), sowie Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2011, Art. 2 Rn. 26 („Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“). 581 So Krause, JuS 1984, 268.

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freilich auch dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, dessen Grundrechtscharakter heute anerkannt ist582, entgegen gehalten werden. Es ist allerdings dogmatisch nicht nachvollziehbar, warum einem Verfassungsgericht die Fortentwicklung des Rechts dann verwehrt sein soll, wenn es um die Formulierung eines neuen Grundrechts geht.583 Zwar wird durch die Formulierung eines „neuen“ Grundrechts die gesetzgebende Gewalt in besonderem Maße gebunden; eben hierin entfaltet sich aber die besondere Bedeutung eines genuinen Verfassungsgerichts. Allerdings führt auch die Ausdifferenzierung anderer Grundrechte nicht ständig zur Schöpfung immer neuer Gewährleistungen. So umfasst das Grundrecht auf Meinungsfreiheit die Meinungsbildungsfreiheit ebenso wie die Meinungsäußerungsfreiheit, ohne dass von verschiedenen Grundrechten die Rede wäre.584 Dies ist auch schon deshalb wünschenswert, weil die Verfassung und insbesondere die Grundrechte dem Leser nach Möglichkeit aus dem Text heraus erschließbar sein sollten. Ausnahmen scheinen nur dort angebracht, wo sich ein neuer Schutzbereich herausbildet, der nicht als bloße Ausprägung eines bestehenden Grundrechts erfasst werden kann. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht prägt gegenüber der allgemeinen Handlungsfreiheit einen stark an der Menschenwürdegarantie orientierten, eng umgrenzten und besonders geschützten Bereich persönlicher Entfaltung, der in dem als Auffanggrundrecht verstandenen Art. 2 Abs. 1 GG nicht hinreichend zur Geltung kommen könnte. So verstanden ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nur Ausfluss des übergeordneten allgemeinen Persönlichkeitsrechts und bezieht sich stets auf dieses. Es ist eine von vielen Ausprägungen des Schutzbereichs des Grundrechts, ohne zugleich selbst einen solchen Status zu besitzen, weil es an keiner Stelle über das allgemeine Persönlichkeitsrecht hinausgeht. Dasselbe gilt entsprechend für das Recht auf Resozialisierung sowie das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre.585 Mit Blick auf das Problem der Grundrechtskonkurrenz – also im „Außenverhältnis“ – liegt folglich nur ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor, ganz gleich, ob dieses in nur einer oder mehreren seiner Ausprägungen betroffen ist. 582 Erstmals in BVerfGE 34, 238, 246 ff., bzw. BVerfGE 34, 269, 280 ff.; in BVerfGE 54, 148, 153, ist dann von einem „unbenannten“ Freiheitsrecht die Rede; aus der Lit. vgl. insbes. Jarass, NJW 1989, 857, 858; vgl. auch Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 127 („Statur eines Grundrechts im Grundrecht“, s. aber Rn. 128); Stern/ Sachs/Dietlein, Staatsrecht IV/1, 2006, S. 191; Heß, Grundrechtskonkurrenzen, 2000, S. 219. 583 Zur (soweit ersichtlich unbestrittenen) Befugnis der Gerichte, das positive Recht weiterzuentwickeln, vgl. etwa BVerfGE 34, 269, 287 f. m.w.N., insbesondere mit dem Hinweis auf § 137 GVG a.F. (heute § 132 Abs. 4 GVG), der dem Großen Senat beim BGH explizit die Fortbildung des Rechts gestattet. 584 Beispiel von Luch, Medienpersönlichkeitsrecht, 2008, S. 127. 585 So Sachs für sämtliche Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, vgl. Stern/ Sachs, Staatsrecht III/1, 1988, S. 646 f. („unselbständige Einzelaspekte“); s.a. Heß, Grundrechtskonkurrenzen, 2000, S. 220.

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(b) Das Verhältnis der Einzelausprägungen untereinander Gleichwohl ist insbesondere für die Rechtfertigung von Eingriffen von entscheidender Bedeutung, in welcher seiner Ausprägungen das allgemeine Persönlichkeitsrecht betroffen ist. Denn für jede der Ausprägungen hat die Rechtsprechung eigene Richtlinien geprägt; insbesondere zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung wurde eine umfangreiche Dogmatik entwickelt, die sich um Voraussetzungen und Grenzen des staatlichen Umgangs mit personenbezogenen Daten rankt. Damit stellt sich die Frage, wie mit einem Eingriff in verschiedene Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umzugehen ist – ein neues Konkurrenzproblem auf anderer Ebene. Es konkurrieren die verschiedenen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts miteinander. Zu diesem besonderen Konkurrenzproblem wurde, soweit ersichtlich, noch keine eigenständige Dogmatik entwickelt. Dies scheint jedoch auch nicht erforderlich, da auf die zu den Grundrechtskonkurrenzen entwickelten Methoden zurückgegriffen werden kann. Denn die Konkurrenz von Grundrechten ist mit der Konkurrenz von Einzelausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts strukturell vergleichbar: Hier wie dort werden dem Berechtigten von Verfassungs wegen Garantien zugesprochen, deren Geltungsbereich sich im konkreten Fall überschneiden kann. Entsprechend dem einleitend zu den Grundrechtskonkurrenzen Gesagten ist damit zunächst zu klären, ob bei staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern ein Fall der Gesetzeskonkurrenz (Konsumtion, Spezialität) oder der Idealkonkurrenz der einschlägigen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegt. Ein Spezialitätsverhältnis zwischen den hier einschlägigen Einzelausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist auszuschließen. Die einzelnen Garantien erfüllen die hierfür wesentliche Voraussetzung nicht. Denn das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Recht auf Resozialisierung und das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre stehen zueinander nicht in einem Verhältnis „logischer Exklusion“. In Betracht könnte eine Verdrängung kraft Konsumtion kommen. Stern arbeitet jedoch überzeugend heraus, dass eine solche Form der Gesetzeskonkurrenz im Grundrechtsbereich, wenn überhaupt, nur in besonderen Konstellationen auftreten kann.586 Denn Freiheitsrechte verstehen sich – anders als die Freiheit beschränkende Straftatbestände oder die Privatrechtsbeziehungen gestaltende Haftungsnormen – nicht abschließend. Als seltenen Fall einer Konsumtion gibt Stern den von Frohmann gebildeten Fall wieder, dass sich ein im Ausland befindlicher ausländischer Künstler in Deutschland niederlassen will587. In einer solchen Konstellation kann sich der Betroffene nicht auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen, um seine Niederlassung durchzusetzen, da das ihm verschlossene Deutschengrundrecht des Art. 11 Abs. 1 GG in586 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 1398 ff. Offener für eine Anwendung des Konsumtionsgedankens hingegen Spielmann, Grundrechtskonkurrenz, 2008, S. 167 f. 587 Fohmann, EuGRZ 1985, 49, 59.

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soweit eine abschließende Regelung darstellen soll.588 Für einen entsprechenden Sonderfall ist im Verhältnis der Einzelausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts untereinander nichts ersichtlich, schon weil zwischen ihnen hinsichtlich ihres Gewährleistungsgehalts kein Stufenverhältnis erkennbar ist. Damit besteht zwischen den Einzelausprägungen Idealkonkurrenz. Bei dieser sind für die Rechtfertigung eines staatlichen Eingriffs nicht in jedem Fall alle der konkurrierenden Garantien zu berücksichtigen; vielmehr sind solche Rechte, die nur in ihrem Randbereich betroffen sind, zu Gunsten jener, die in ihrem Kernbereich betroffen sind, hintanzustellen.589 So gestalten sich die Dinge bei staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern. Werden vermittels solcher Warnungen Informationen über den Straftäter an Dritte verbreitet, so steht die Informationsübermittlung ebenso im Hintergrund wie der ehrverletzende Charakter der Warnung. Beides wird vom Interesse des Straftäters an seiner Resozialisierung weit übertroffen und auch miterfasst. Übertroffen, weil die Resozialisierung eines Straftäters „ein genuin persönlichkeitsrelevantes Anliegen von hohem Rang“590 ist. Miterfasst, weil sowohl der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als auch der Eingriff in das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre notwendige Voraussetzungen für die Feststellung eines Eingriffs in das Recht auf Resozialisierung durch staatliche Warnungen sind. Denn erst die Übermittlung personenbezogener Daten des Straftäters identifiziert diesen gegenüber der Allgemeinheit; und nur in dem Falle, da die bekanntgewordenen Informationen auch dazu geeignet sind, das Ansehen – die Ehre – des Betroffenen in seinem sozialen Umfeld herabzusetzen, droht überhaupt eine Erschwerung seiner Wiedereingliederung.591 Die beiden Rechtsbeeinträchtigungen sind mithin Voraussetzung dafür, dass der Schutz des Straftäters durch das Recht auf Resozialisierung überhaupt ausgelöst wird, und müssen nicht gesondert geprüft werden. (2) Das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Recht auf Resozialisierung, dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie der allgemeinen Handlungsfreiheit Wenn auch die Voraussetzungen für einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vorliegen592, konkurriert das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung des Rechts auf Resozialisierung, da durch dieselbe Handlung in beide Grundrechte eingegriffen würde. Da die Grundrechte in keinem Spezialitätsverhältnis zueinander stehen, käme auf der 588 589 590 591 592

Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 1400. Vgl. dazu oben C.II.2.g)aa). BVerfG, NJW 2000, 1859, 1860. Vgl. dazu bereits oben C.II.1.a)aa)(2). und C.II.1.a)cc)(2)(b). Vgl. dazu oben C.I.1.b)bb).

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Ebene der Gesetzeskonkurrenz allenfalls eine Konsumtion in Betracht. Die Schutzrichtung der beiden Grundrechte ist jedoch völlig unterschiedlich; eine Beschränkung auf den Eingriff in nur einen der Schutzbereiche könnte nicht hinreichend die Betroffenheit des Grundrechtsberechtigten auch im anderen Schutzbereich zum Ausdruck bringen. Entsprechend läge ein Fall der Idealkonkurrenz vor.593 Beide Grundrechte behalten ihre selbstständige Bedeutung. Da dann, wenn sowohl die Resozialisierung erschwert wird als auch der entlassene Straftäter körperliche Schäden erleidet, keines der einschlägigen Grundrechte nur in seinem Randbereich betroffen wäre, wären die Rechtfertigungsvoraussetzungen für beide Grundrechte einzuhalten. Die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG tritt allerdings hinter dem insoweit spezielleren Recht auf Resozialisierung zurück594, sodass für jenes Grundrecht kein eigenständiger Anwendungsbereich verbliebe. h) Zusammenfassung Hat die staatliche Warnung vor einem entlassenen Straftäter die Eigenschaft, den Betroffenen gegenüber seinem sozialen Umfeld herabzuwürdigen, liegt ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur in seiner Ausprägung des Rechts auf Resozialisierung vor. Die Eingriffe auch in die Ausprägungen des informationellen Selbstbestimmungsrechts und des Rechts auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre treten hinter diesem konkurrenzrechtlich zurück. Erfüllt die Warnung zugleich die Voraussetzungen für einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, tritt das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zum Recht auf Resozialisierung in Idealkonkurrenz. Es wären dann die Rechtfertigungsvoraussetzungen beider Garantien zu erfüllen. Die allgemeine Handlungsfreiheit tritt hinter diesen in aller Regel zurück. Solange in das Recht auf Resozialisierung nicht eingegriffen wird, sind staatliche Warnungen ohne Weiteres zulässig. So kann etwa die Aussage „Im Münchener Stadtteil Schwabing lebt ein aus der Haft entlassener pädophiler Sexualstraftäter“ zulässig sein, wenn ausgeschlossen ist, dass der Betroffene dadurch identifiziert werden kann. Über die Sinnhaftigkeit einer solchen Maßnahmen lässt sich freilich streiten. Einen echten Mehrwert für die Bevölkerung hätte eine solche Warnung wahrscheinlich erst, wenn sie so hinreichend präzise wäre, dass der zugezogene Sexualstraftäter identifiziert werden könnte. Es mag aber einen Graubereich geben („In der Adalbertstraße in München lebt ein aus der Haft entlassener pädophiler Sexualstraftäter“), in dem eine Identifizierbarkeit noch ausgeschlossen und also ein 593 So auch das BVerfG für den Fall der Konkurrenz zwischen dem Recht auf Resozialisierung und dem Recht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG), BVerfG, NJW 1998, 1133 f. (Versagung von Vollzugslockerungen). 594 Zur Subsidiarität des Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeine Handlungsfreiheit vgl. etwa Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 21 ff.

II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage

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Eingriff verneint werden kann, die informierte Bevölkerung (im Beispiel: die Eltern minderjähriger Kinder) aber bereits von der Warnung profitieren.

2. Erforderlichkeit einer Rechtsgrundlage bei staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern Staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern sind Eingriffe (allein) in das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete Recht auf Resozialisierung der Straftäter, vorbehaltlich dem Staat zurechenbarer körperlicher Schäden bei den Betroffenen. Diese Eingriffe genügen allerdings nicht den Voraussetzungen für einen „klassischen“ Grundrechtseingriff, weil sie nur mittelbare Folge staatlichen Handelns sind. In Anbetracht der oben dargestellten Rechtsprechung595 kann im Zusammenhang mit staatlichen Warnungen aus der Feststellung eines (nur) mittelbaren Eingriffs in Grundrechte nicht mehr ohne Weiteres auf die Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage geschlossen werden. So hat das BVerfG namentlich in seinem Urteil zur „Jugendsekte“ Osho Abstriche an den Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes gemacht und statt einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage für die Warnung der Bundesregierung die ihr von Verfassungs wegen zugewiesene Aufgabe der Staatsleitung für ausreichend gehalten.596 Unabhängig von der Richtigkeit dieser Auffassung597 stellt sich die Frage, ob Anlass und Argumente des BVerfG, die es zur Eingrenzung des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts führten, überhaupt auf die hier gegenständliche Konstellation übertragbar wäre. Würde dies verneint, wäre auch in Anbetracht der Rechtsprechung des BVerfG von einer uneingeschränkten Geltung des Gesetzesvorbehalts bei staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern auszugehen und mithin eine einfachgesetzliche Ermächtigungsgrundlage erforderlich. a) Anlass und Argumente zur Eingrenzung des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts Die umstrittene bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu staatlichen Warnungen bezog sich insbesondere auf die Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2598, Art. 12 Abs. 1599 sowie Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG600 (in seiner Ausprä-

595

Vgl. A.II.2.c). Vgl. BVerfGE 105, 279, 301 ff. 597 Zur Kritik vgl. den Überblick oben A.II.2.c)bb). 598 BVerfG, NJW 1989, 2272 ff. – Transzendentale Meditation; BVerfGE 105, 279 ff. – Osho; BVerfG, NVwZ-RR 2002, 801 f.; BVerfG, NJW 2002, 3458 ff. 599 BVerfGE 105, 252 ff. – Glykol; BVerfG, NJW 2002, 3458 ff. (Art. 2 Abs. 1 GG, weil Beschwerdeführer Ausländer war). 596

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gung als Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre).601 Das BVerfG sah sich bei seinen Entscheidungen dem Problem gegenüber, dass die Grundrechte beeinträchtigende Warnungen des Staates zwar für zur Gefahrenabwehr notwendig gehalten wurden, sich aber nicht auf einfachgesetzliche Ermächtigungsgrundlagen stützen konnten und damit nach dem hergebrachten Verständnis eines umfassenden Gesetzesvorbehalts rechtswidrig waren. In dieser Lage hielt die Rechtsprechung einen Eingriff durch staatliche Warnung bereits dann für gerechtfertigt, wenn der Staat sich auf eine ihm zugewiesene Aufgabe stützen konnte und überdies verhältnismäßig vorging.602 Diese Einschränkung des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts begründete das BVerfG im Wesentlichen mit zwei aufeinander aufbauenden Argumenten. Erstens sei eine detaillierte Regelung kaum möglich, bedenke man die Vielgestaltigkeit der möglichen Konstellationen, in denen staatliche Warnungen erforderlich werden könnten.603 Zweitens müsse sich deshalb eine Regelung, so sie denn erfolgte, auf allgemein gehaltene Formeln oder Generalklauseln beschränken, was von Verfassungs wegen schlicht nicht erforderlich sei.604 Damit will das Gericht wohl den mannigfaltigen Herausforderungen der Gefahrenabwehr gerecht werden, die sich zwar nicht immer vorhersehen ließen, vom Staat jedoch gleichviel bewältigt werden müssten. Das BVerfG erklärte aber auch, dass eine Einschränkung des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes dann nicht in Betracht komme, wenn sich die staatliche Maßnahme „nach der Zielsetzung und ihren Wirkungen als Ersatz für eine staatliche Maßnahme dar[stellt], die als Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren ist“.605 Ein solches „funktionales Äquivalent“ eines klassischen Eingriffs soll insbesondere bei finalen und schwerwiegenden Beeinträchtigungen vorliegen.606 600 BVerfG, NJW 1989, 2272 ff. – Transzendentale Meditation; BVerfG, NJW 2002, 3458 ff.; vgl. auch BVerfG, NJW 2011, 511 ff. 601 Vgl. dahingegen zur Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage bei Aufnahme eines Presseverlags in einen Verfassungsschutzbericht BVerfGE 113, 63, 78 f. – „Junge Freiheit“. 602 Vgl. BVerfGE 105, 279, 301 ff. – Osho. 603 BVerfGE 105, 279, 304 f.; BVerfG, NJW 1989, 3269, 3270 – Transzendentale Meditation; so auch BVerwG, NJW 1991, 1770, 1771; zustimmend – freilich aus dem Blickwinkel der Europäischen Menschenrechtskonvention – EGMR, NVwZ 2010, 177, 180. 604 BVerfGE 105, 279, 305; BVerwG, NJW 1991, 1770, 1771. Vgl. auch BVerfG, NJW 1989, 3269, 3270: „… einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedarf es hierfür nicht, zumal sich diese in einer einfachgesetzlichen Ausformung des Verhältnismäßigkeitsprinzips erschöpfen müßte, da … eine detailliertere gesetzliche Regelung praktisch kaum möglich sein dürfte“. 605 BVerfGE 105, 279, 303 – Osho; ebenso BVerfGE 105, 252, 273 – Glykol; 113, 63, 76 – Junge Freiheit; vgl. auch BVerfGE 116, 202, 222; BVerwG, NJW 2006, 1303, 1304; BVerwGE 131, 171, 174; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2010, 639, 642. 606 Dazu näher oben A.II.2.c)aa).

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b) Übertragbarkeit der Gründe der Rechtsprechung auf staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern Auf die Überzeugungskraft der Argumente des BVerfG müsste indes gar nicht eingegangen werden, wenn sie schon nicht auf die Konstellation staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern übertragbar wäre. Solche Warnungen wären nämlich von völlig anderer Gestalt, die auch aus Sicht der Rechtsprechung des BVerfG eine Einschränkung des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts nicht rechtfertigen dürfte. Dies hängt insbesondere mit dem systematischen Charakter zusammen, der staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern anhaften würde. Weiter ist eine Einschränkung des Gesetzesvorbehalts deshalb nicht angezeigt, weil eine solche Warnung stärker noch als Produkt- oder Sektenwarnungen „funktionales Äquivalent“ eines klassischen Eingriffs wäre. aa) Systematischer Charakter staatlicher Warnungen Dem ersten Argument der Rechtsprechung liegt die Annahme zugrunde, dass es keine wiederkehrenden und deshalb vorhersehbaren Konstellationen gebe, in denen sich der Staat zur Bekanntmachung einer Warnung genötigt sehe. Entsprechend scheine eine Kodifizierung von Warnbefugnissen schlicht aussichtslos. Diese Annahme ist im Prinzip zwar richtig – tatsächlich lässt sich schwer vorhersehen, in welchen Fällen in der Zukunft Warnungen erforderlich sein werden –, ist jedoch dann keine Argumentationsgrundlage, wenn ein bestimmter Typ von staatlichen Warnungen von der Verwaltung systematisch zur Gefahrenabwehr eingesetzt wird. Denn hat sich ein wiederkehrender Typ von Warnungen als fester Bestandteil der Gefahrenabwehr etabliert, ist sie gerade vorhersehbar und einer formalgesetzlichen Regelung auch zugänglich. Damit ist auch das zweite Argument der Rechtsprechung hinfällig, eine Kodifizierung müsse sich auf Generalklauseln beschränken: Im Gegenteil bestünde bei einem systematisch eingesetzten Mittel der Gefahrenabwehr ein Bedürfnis nach Regelung vieler Einzelfragen. Dieser Gedanke kommt auch in den polizeilichen Einzelbefugnissen zum Tragen607, die eben wegen ihrer systematischen Anwendung „Standardmaßnahmen“ genannt werden608 und gegenüber den polizeilichen Generalklauseln spezifischere Tatbestände und Rechtsfolgen formulieren. Auf die Generalklausel wird nur in eher untypischen, weniger vorhersehbaren Fällen zurückgegriffen.609 Kehrt ein bestimmter Typ von Warnungen wieder und ist deshalb mit einer Bekanntmachung von Warnungen in einem bestimmten Lebensbereich zu rechnen, so wächst wie im Polizeirecht das Bedürfnis nach einer Regelung ihrer 607

In Bayern die Art. 12 ff. PAG. Zu diesen eingängig etwa Lambiris, Standardbefugnisse im Polizeirecht, 2002; zur Rechtsnatur auch Heintzen, DÖV 2005, 1038 ff. 609 Vgl. Krane, NordÖR 2004, 425 ff., insbes. S. 430. 608

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Voraussetzungen wie ihrer Art und Weise.610 Nur dann erfüllt der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts seine Funktion, staatliche Einschränkungen des Schutzbereichs vorhersehbar zu machen. Eine Rechtsvorschrift könnte dann für den speziellen Fall der staatlichen Warnung vor entlassenen Straftätern Einzelheiten, insbesondere Anwendungsbereich und genaue Rechtsfolge bestimmen – und müsste dies wohl mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot sogar.611 bb) Funktionales Äquivalent zu klassischem Eingriff Selbst wenn aber die Argumente des BVerfG auch auf die Fälle staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern übertragen würden, könnten sie als „funktionales Äquivalent“ zu klassischen Grundrechtseingriffen gleichwohl einer einfachgesetzlichen Grundlage bedürfen612. Durch die Wahl solcher Mittel darf sich der Staat nicht von der Verpflichtung lossagen, die Voraussetzungen und Form eines Eingriffs näher zu umschreiben.613 Staatliche Informationstätigkeit kann insbesondere dann einem klassischen Eingriff gleichstehen, „wenn sie in der Zielsetzung und ihren Wirkungen Ersatz für eine staatliche Maßnahme ist, die als Grundrechtseingriff zu qualifizieren wäre.“614 Was das BVerfG hierunter versteht, hat es in seinem Beschluss zur Verfassungsbeschwerde des Presseverlages „Junge Freiheit“615 in auf die hiesige Konstellation übertragbarer Weise deutlich gemacht. In dem Verfahren wandte sich der Presseverlag erfolgreich gegen den im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbericht geäußerten Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen. Die Erwähnung der „Junge[n] Freiheit“ und die kritische Auseinandersetzung mit ihr im Verfassungsschutzbericht stufte das BVerfG als Eingriff ein, weil dieser Bericht kein beliebiges Erzeugnis staatlicher Öffentlichkeitsarbeit sei, er auf die Gefahrenabwehr abziele und von einer darauf spezialisierten amtlichen Stelle stamme. Insofern gehe eine Veröffentlichung im Verfassungsschutzbericht über die bloße Teilhabe staatlicher Funktionsträger an der Schaffung einer hinreichenden Informationsgrundlage für eine eigenständige Entscheidungsbildung der Bürger, etwa als Marktteilnehmer, 610 Entsprechend deutete das BVerfG im Zusammenhang mit der Dauerobservation von aus der Sicherungsverwahrung Entlassenen an, dass jene Maßnahme mittelfristig spezialgesetzlich zu regeln sein könnte, Beschl. v. 8.11.2012 – 1 BvR 22/12: „Vielmehr handelt es sich wohl um eine neue Form einer polizeilichen Maßnahme, die bisher vom Landesgesetzgeber nicht eigens erfasst worden ist und aufgrund ihrer weitreichenden Folgen möglicherweise einer ausdrücklichen, detaillierten Ermächtigungsgrundlage bedarf.“ 611 Vgl. dazu die Ausführungen zum Bestimmtheitsgebot unten C.IV.2.b). 612 Vgl. zu dieser Ausnahme von der Einschränkung des Grundsatzes vom Gesetzesvorbehalt bei staatlicher Informationstätigkeit etwa BVerfGE 105, 252, 273; 105, 279, 303; 110, 177, 191; 113, 63, 76; 116, 202, 222; 118, 1, 20; 121, 69, 89. 613 BVerfGE 105, 252, 273; 105, 279, 303. 614 BVerfGE 105, 252, 273. 615 BVerfGE 113, 63 ff.

II. Erforderlichkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage

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hinaus.616 Dabei stellt das Gericht auch explizit den warnenden Charakter der Äußerung im Verfassungsschutzbericht heraus.617 Ähnlich gestalten sich die Dinge im Falle systematischer staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern. Die Zielsetzung der staatlichen Warnung käme einer Maßnahme, die als Grundrechtseingriff zu qualifizieren wäre, gleich: Auch sie diente der Abwehr von Gefahren, die von einem entlassenen Straftäter ausgehen. Das allein kann allerdings – wie es auch das BVerfG im soeben wiedergegebenen Beschluss herausstellte – nicht genügen; vielmehr muss noch ein Element hinzutreten, das über die bloße Teilhabe an der Schaffung einer hinreichenden Informationsgrundlage für eine eigenständige Entscheidungsbildung hinausgeht. Dieses Element liegt in der hiesigen Konstellation in den Bezugspersonen der Warnungen: entlassene Straftäter. Die Warnungen richten sich spezifisch gegen solche Personen, die bereits in der Vergangenheit straffällig geworden sind und aus Sicht des Staates dem Bürger bekannt gemacht werden sollten. Damit sind die mitgeteilten Informationen gerade nicht mehr beliebig. Sie ähneln vielmehr strukturell den Maßregeln der Besserung und Sicherung, die sich ihrerseits ausschließlich auf Straftäter beziehen und von diesen ausgehende abstrakte Gefahren eindämmen sollen. Die Maßregeln der Besserung und Sicherung sind unstreitig regelungsbedürftige staatliche Eingriffe. Indem staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern nicht nur nach ihrer Zielsetzung, sondern auch nach ihren potentiell erheblichen Wirkungen Ersatz für weitere oder weitergehende Maßregeln der Besserung und Sicherung sind, sind sie als funktionales Äquivalent zu diesen einzustufen. Wird die Information über einen entlassenen Straftäter einem größeren Personenkreis bekannt und wird sie dort mit Missfallen aufgenommen, so steht die Wirkung der Warnung der Wirkung einer Maßregel gleich. Anschaulich wird dies besonders im Vergleich zur Maßregel der Führungsaufsicht. Diese unterwirft den von ihr Betroffenen Einschränkungen wie der Pflicht, sich zu bestimmten Zeiten bei einer Aufsichtsstelle zu melden (§ 68b Abs. 1 Nr. 7 StGB), oder jeden Wohnwechsel anzuzeigen (§ 68b Abs. 1 Nr. 8 StGB) – Einschränkungen also, die meist hinter den Wirkungen einer nach außen tretenden Anprangerung weit zurückstehen dürften. Dementsprechend sind staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern im Rahmen der bundesverfassungsgerichtlichen Eingriffsdogmatik als „funktionales Äquivalent“ zu einem klassischen Eingriff einzustufen. Wenigstens aus diesem Grund wäre somit eine Einschränkung des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts nicht angezeigt. c) Zusammenfassung Die Rechtsprechung des BVerfG zur Einschränkung des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts bei staatlichen Warnungen ist auf staatliche Warnungen vor ent616 617

BVerfGE 113, 63, 77. BVerfGE 113, 63, 77 f.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

lassenen Straftätern nicht übertragbar. Schon der Ausgangspunkt der Rechtsprechung, die Notwendigkeit staatlicher Warnungen lasse sich nicht vorhersehen, ist dann offensichtlich nicht gegeben, wenn Warnungen systematisch als Mittel der Gefahrenabwehr eingesetzt werden. Überdies wären staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern als „funktionales Äquivalent“ von klassischen Grundrechtseingriffen, namentlich den Maßregeln der Besserung und Sicherung zu qualifizieren, sodass auch nach der Rechtsprechung eine Einschränkung des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts wenigstens aus diesem Grunde nicht in Betracht kommt.

3. Ergebnis Weil die bisherige Rechtsprechung zu staatlichen Warnungen und die dort entwickelte Einschränkung des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts nicht auf staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern übertragbar ist, bleibt es bei dem Grundsatz, wonach der mit einer Warnung notwendig verbundene Eingriff in das Recht auf Resozialisierung und ggf. das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu seiner Rechtfertigung einer einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf. Greift die Warnung wegen der Unmöglichkeit einer Identifizierung des Straftäters ausnahmsweise nicht in dessen Recht auf Resozialisierung ein, kann der Staat auch ohne einfachgesetzliche Rechtsgrundlage und ohne die Beachtung weiterer Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen tätig werden.

III. Kompetenzrechtliche Vorgaben des Grundgesetzes Für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern verlangt das Grundgesetz folglich eine einfachgesetzliche Grundlage. Damit eine solche Rechtsgrundlage rechtmäßig ist, muss bei ihrem Erlass die grundgesetzliche Kompetenzordnung beachtet werden. Der vorliegende Abschnitt befasst sich entsprechend mit den einzuhaltenden kompetenzrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes. Die Einhaltung der Zuständigkeitsordnung ist nicht nur vom objektiven Recht gefordert, sondern hat einen subjektivrechtlichen Einschlag: Der durch eine Maßnahme belastete Bürger hat einen Anspruch auf Einhaltung dieser Zuständigkeitsordnung.618 Es sprechen mehrere Gründe dafür, dass dem so sein muss. Genannt sei die Erwägung, dass die zuständige Stelle eine höhere Gewähr für die Richtigkeit ihrer Maßnahmen bietet619 oder dass der Bürger nicht von mehreren staatlichen Stellen 618 So schon BGHZ 1, 146, 151, unter Berufung auf Jellinek, VerwR, 3. Aufl. 1950, S. 290 f.; BayObLGSt 1952, 30, 31; Heintzen, NJW 1990, 1448. 619 Für die Behördenzuständigkeit BGHZ 1, 146, 151.

III. Kompetenzrechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

127

gleichzeitig wegen derselben Sache belastet wird620. Im Falle von staatlicher Informationstätigkeit kommt hinzu, dass der Bürger nicht Gefahr laufen soll, sich im Falle von Doppelzuständigkeiten widersprüchlichen Aussagen ausgesetzt zu sehen.621 Die Gesetzgebungszuständigkeit im legislativen System Deutschlands richtet sich nach den Art. 70 ff. GG. Nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund die Gesetzgebungsbefugnis verleiht. Damit ist zu klären, ob dem Bund die ausschließliche (Art. 71, 73 GG) oder die konkurrierende (Art. 72, 74 GG) Gesetzgebungszuständigkeit in Sachen staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern zukommt. In der Einführung zu dieser Arbeit wurde bereits darauf hingewiesen, dass hier Warnungen vor konkret gefährlichen Straftätern nicht näher interessieren; soweit ein Straftäter als Quelle einer konkreten Gefahr gilt und in der Folge wie jede andere Person behandelt wird, handelt es sich bei einer vor ihm ergehenden staatlichen Warnung um Polizeirecht i. e.S., für das der Bund nicht zuständig ist622. Anders ist dies, wenn gerade und nur deshalb vor dem Betroffenen gewarnt wird, weil es sich bei ihm um einen aus der Haft entlassenen oder zu entlassenden Straftäter handelt, der deshalb für abstrakt gefährlich gehalten und einem „Sonderrecht“ für Straftäter unterworfen wird. In dieser Konstellation käme eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG in Betracht, welcher dem Bund die Kompetenz zur Regelung des Strafrechts zuweist. Dafür müssten staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern als „Strafrecht“ i.S.d. Vorschrift einzustufen sein. Dies wäre dann unproblematisch zu bejahen, wenn staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern den Charakter von Kriminalstrafen, Nebenstrafen oder Nebenfolgen i.S.d. §§ 44 f. StGB hätten (1.). Da jedoch auch das Maßregelrecht in den Kompetenzbereich des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG fällt, wäre die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes selbst dann gegeben, wenn staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern als eine Maßregel der Besserung und Sicherung zu qualifizieren wären (2.). Zu klären ist dann nur noch, ob in Anbetracht noch nicht ergangener bundesgesetzlicher Regelungen zu staatlichen Warnungen die Länder noch eine Auffangkompetenz hätten, also eigene Rechtsgrundlagen für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern schaffen könnten (3.).

620

Heintzen, NJW 1990, 1448 m.w.N. Leidinger, DÖV 1993, 925, 933. 622 Uhle, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 10/2008, Art. 70 Rn. 111 m.w.N. aus der Rspr. 621

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

1. Die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für Kriminalstrafen, Nebenstrafen und Nebenfolgen Die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG umfasst zunächst sämtliche Kriminalstrafen623 sowie die Nebenstrafen624 und auch die an Ehrenstrafen erinnernden Nebenfolgen625. Bereits die systematische Verortung der bestehenden Nebenfolgen (vgl. § 45 StGB) im ersten Titel des dritten Abschnitts des StGB („Strafen“) spricht dafür, dass auch letztere in der Gesetzgebungspraxis unproblematisch dem Katalog des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zuzurechnen sind. Würde eine Ermächtigungsgrundlage für Warnungen vor entlassenen Straftaten derart ausgestaltet, dass die Warnung als Kriminalstrafe, Nebenstrafe oder Nebenfolge einzustufen wäre, so hätte der Bund hierfür die Gesetzgebungszuständigkeit. Dies wäre jedenfalls dann zu bejahen, wenn die staatliche Warnung als eine Art moderner Pranger als neben die Freiheits- und Geldstrafe tretende Kriminalstrafe oder als Nebenstrafe (wieder) eingeführt oder als eine weitere Nebenfolge der Straftat den §§ 45 ff. StGB angefügt und entsprechend als Folge einer Straftat auch verhängt würde. Dem stünden Regelungen gleich, die zwar nicht explizit den obigen Strafformen zuzuordnen wären – etwa weil sie nicht die Bezeichnung „Strafe“ führten oder der Gesetzgeber sie systematisch an anderer Stelle verortete –, ihnen aber materiell gleichkämen.

2. Die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das Maßregelrecht Auch wenn aber staatliche Warnungen nicht den Charakter einer Strafe hätten, käme eine Subsumtion unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG in Betracht. Denn Strafrecht i.S.d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ist nach einer im Schrifttum geläufigen Definition die Gesamtheit der Rechtsnormen, die für eine rechtswidrige und schuldhafte Tat als Rechtsfolge eine Strafe, Buße oder eine Maßnahme der Sicherung oder Besserung festsetzen.626 Unter diese Definition fallen zunächst das bereits erörterte Kriminalstrafrecht627 sowie das Ordnungswidrigkeitenrecht628. Nach dem – soweit ersichtlich unbestrittenen – Verständnis des BVerfG sind aber auch Maßregeln der Besserung 623

BVerfGE 13, 367, 372 – Zulässigkeit von Blankettstrafgesetzen. BVerfGE 13, 367, 372. 625 Vgl. Albrecht, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 45 Rn. 1. 626 Maunz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 23. Erg.-Lfg., Art. 74 Rn. 63; vgl. auch BVerfGE 109, 190, 212 f. m.w.N. 627 BVerfGE 13, 367, 372. 628 BVerfGE 27, 18, 32 f.; 29, 11, 16; 31, 141, 144. 624

III. Kompetenzrechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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und Sicherung dem Strafrecht zuzurechnen.629 Wäre dem zuzustimmen (a)), müsste weiter geklärt werden, unter welchen Voraussetzungen staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern als Maßregel der Besserung und Sicherung zu qualifizieren und damit unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zu subsumieren wären (b)). a) Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG und die Maßregeln der Besserung und Sicherung Zur Frage der Gesetzgebungszuständigkeit für Maßregeln der Besserung und Sicherung hat das BVerfG in seinem Urteil vom 10. Februar 2004 zur sog. nachträglichen Sicherungsverwahrung630 ausführlich Stellung bezogen. In dem Fall hatte das BVerfG darüber zu entscheiden, ob die Länder Bayern und Sachsen-Anhalt die Zuständigkeit zum Erlass von Gesetzen besaßen, die eine nachträgliche, d. h. nicht schon im Urteil festgelegte Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ermöglichten. Das BVerfG prüfte hierzu im Wesentlichen die Gesetzgebungskompetenz der beiden Länder. Dazu hatte es sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob es sich bei Maßregeln wie der Sicherungsverwahrung um Strafrecht i.S.d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG handelt. Dies bejahte das BVerfG auf Grundlage einer an Wortlaut, Gesetzesgeschichte, Systematik und Normzweck orientierten Auslegung. Dieser Auslegung zufolge gehört „zum Strafrecht die Regelung aller, auch nachträglicher, repressiver oder präventiver staatlicher Reaktionen auf Straftaten [], die an die Straftat anknüpfen, ausschließlich für Straftäter gelten und ihre sachliche Rechtfertigung aus der Anlasstat beziehen“.631 Dabei ging das Gericht in sprachlicher Hinsicht von einem weiten Verständnis von Strafrecht i.S.d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG aus, sodass reine Präventionsmaßnahmen nicht von vornherein auszuschließen waren.632 Was die Gesetzesgeschichte anbelangt, so verwies das BVerfG darauf, dass der Parlamentarische Rat bei den Beratungen über das Grundgesetz die 1933 geschaffene Zweispurigkeit des deutschen Sanktionengefüges vorfand und nichts dafür ersichtlich sei, dass er dem Begriff des Strafrechts einen anderen Sinn als zur Weimarer Zeit beimaß.633 In systematischer Hinsicht brachte das BVerfG zunächst vor, das Sicherheitsrecht sei nicht in einem selbstständigen Sachbereich zusammenzufassen; vielmehr seien entsprechende Normen für die Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenz dem 629 BVerfGE 85, 134, 142; BVerfGE 109, 190, 211 ff. – Nachträgliche Sicherungsverwahrung. Zustimmend Grosse-Brömer/Klein, ZRP 2010, 172 ff.; Kinzig, NJW 2004, 911, 913; so auch schon vor dem BVerfG-Urteil Kinzig, NJW 2001, 1455, 1455; Ullenbruch, NStZ 2001, 292, 294. 630 BVerfGE 109, 190 ff. 631 BVerfGE 109, 190, 212. 632 BVerfGE 109, 190, 212 f. 633 BVerfGE 109, 190, 214. So auch schon Dreher, NJW 1952, 1282.

130

C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Sachbereich zuzurechnen, zu dem sie in einem notwendigen Zusammenhang stünden.634 Entsprechend seien rein präventive Sanktionen dann dem Strafrecht i.S.d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zuzuordnen, wenn sie in unmittelbarem Zusammenhang zu einer Straftat stünden. Da die Maßregeln notwendig an die Anlasstat anknüpften, spreche auch die Gesetzessystematik für eine Zuordnung ihrer Regelung zur konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG.635 Mit Blick auf das mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG verfolgte Ziel erklärte das BVerfG schließlich, die Art. 70 ff. GG verfolgten den Zweck, „eine vollständige Verteilung der staatlichen Aufgaben und Befugnisse zwischen Bund und Ländern zu erreichen“.636 Ausgehend davon, dass der Verfassungsgeber mit dem Begriff „Strafrecht“ eine normativ ausgeformte Materie vorfand637, zog das BVerfG den Schluss, ein Auseinanderfallen der Materie etwa in ein Schuldstrafrecht einerseits und ein an die Straftat anknüpfendes Präventivsystem andererseits widerspräche dem Sinn und Zweck des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Deshalb müssten nicht nur die Tatbestände strafwürdigen Unrechts und die Schuldstrafen, sondern auch die sonstigen Unrechtsfolgen unter diese Vorschrift subsumiert werden. Die Argumentation des BVerfG überzeugt. Zu Sinn und Zweck des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG könnte wohl noch hinzugefügt werden, dass es angesichts der gravierenden Einschnitte, die etwa die Maßregel der Sicherungsverwahrung für einen Straftäter bedeuten, schwer zu rechtfertigen wäre, wenn dem Bund keine Möglichkeit zustünde, auch diesen Bereich einheitlich zu regeln. Denn faktisch hätte dies ein Auseinanderbrechen des (Straf-)Rechtsraums in Deutschland zur Folge. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG will dem Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnen, ein Regelwerk zu schaffen, in dem die gleiche Straftat zu den gleichen Rechtsfolgen führt – unabhängig davon, in welchem Bundesland die Straftat begangen oder die Strafe vollzogen wird. Maßregeln der Besserung und Sicherung sind folglich dem Kompetenztitel aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zuzuordnen. b) Qualifikation staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern als Maßregel Aus dem Gesagten folgt: Eine gesetzliche Regelung zu staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern fiele unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, wenn sie eine Maßregel der Besserung und Sicherung zum Gegenstand hätte. Zu prüfen ist also, unter

634

BVerfGE 109, 190, 215. BVerfGE 109, 190, 216. 636 BVerfGE 109, 190, 218. 637 Zur „normativ-rezipitiven“ Bestimmung der Kompetenzmaterie Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 70 Rn. 51 f. 635

III. Kompetenzrechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

131

welchen Voraussetzungen sich staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern als Maßregel i.S.d. §§ 60 ff. StGB einstufen lassen. aa) Qualifikationsmerkmale von Maßregeln Wie bereits erwähnt638 ist das deutsche Strafrecht zweistufig aufgebaut und stellt neben die Strafen die Maßregeln der Besserung und Sicherung. Maßregeln dienen anders als Strafen allein präventiven Zwecken und knüpfen nicht an die Schuld, sondern an die Sozialgefährlichkeit des Täters an.639 Sie beziehen sich jedoch wie die Strafe stets auf eine zumindest rechtswidrige Anlasstat, gelten ausschließlich für Straftäter und beziehen auch ihre sachliche Rechtfertigung aus der Anlasstat.640 Gemeinsam ist den meisten Maßregeln weiter, dass sie an die im Zeitpunkt der Hauptverhandlung bestehende Gefahr weiterer Straftaten anknüpfen641, also letztlich eine Prognose über die zukünftige Gefährlichkeit verlangen.642 Dabei genügt für die Anordnung grundsätzlich nicht die bloße Möglichkeit der Begehung weiterer Straftaten, sondern es muss diese – in unterschiedlichem Maße – wahrscheinlich sein.643 Fast alle Maßregeln werden außerdem von einem Gericht verhängt.644 bb) Einordnung einer Vorschrift zu staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern Wann eine Ermächtigungsgrundlage für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern als Maßregel der Besserung und Sicherung einzustufen wäre, ergibt sich insbesondere aus einer Anknüpfung an die soeben dargestellten Kriterien. Die staatliche Warnung vor einem entlassenen Straftäter setzt zunächst begrifflich den formellen Konnex zu einer Anlass bietenden Straftat voraus, wie er allen Maßregeln gemein ist. In Abgrenzung zu anderen Präventionsmaßnahmen käme eine derartige Warnung per Definition ausschließlich für verurteilte Straftäter in Betracht. Entsprechend dürfte dieses Kriterium für die Qualifikation als Maßregel stets erfüllt sein.

638

Vgl. oben B.II.1. Wessels/Beulke, StR AT, 42. Aufl. 2012, Rn. 396. 640 Vgl. BVerfGE 109, 190, 212. 641 MüKoStGB/van Gemmeren, § 61 Rn. 3. 642 Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 2010, Vorbemerkungen zu den §§ 61 ff. Rn. 8; Kühl, in: Lackner/Kühl (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2011, § 61 Rn. 4; Böllinger/Pollähne, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 61 Rn. 58. 643 Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 2010, Vorbemerkungen zu den §§ 61 ff. Rn. 8. 644 Eine Ausnahme sind etwa die in § 66 Abs. 2 StGB aufgeführten Fälle, in denen die Führungsaufsicht kraft Gesetzes eintritt. 639

132

C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Weiter wäre für den materiellen Konnex der Warnung zur Anlasstat erforderlich, dass sie auch ihre sachliche Rechtfertigung in der Anlasstat hätte. Die Anlasstat müsste also für die Übermittlung der staatlichen Warnung eine Rolle spielen. Wird die Warnung völlig unabhängig von der Anlasstat ausgesprochen, also etwa nur aus Gründen, die aus der Haftzeit rühren, wäre sie nicht als Maßregel der Besserung und Sicherung zu qualifizieren.645 Um als Maßregel eingestuft zu werden, müsste die Warnung schließlich in irgendeiner Form von einer individuellen Gefährlichkeitsprognose abhängig sein – denn maßgeblicher Grund für eine Maßregel ist eben anders als bei einer Strafe nicht die Schuld des Betroffenen, sondern seine Sozialgefährlichkeit im Zeitpunkt seiner Entlassung. Die Rechtsgrundlage für staatliche Warnungen müsste folglich eine entsprechende Prognose vorsehen. Eine im Raume stehende Qualifizierung von staatlichen Warnungen als Maßregeln der Besserung und Sicherung ließe sich schließlich verfestigen, wenn die Warnungen eine Vervollständigung des Maßregelinstrumentariums des StGB wären. Dies aber kann sogar im Regelfall bejaht werden: Den möglicherweise vom entlassenen Straftäter bedrohten Bürgern würde durch die staatliche Warnung – so jedenfalls die Hoffnung – die Möglichkeit gegeben, sich auf einen denkbaren Rückfall des Straftäters vorzubereiten bzw. zu seiner Vorbeugung beizutragen. Damit füllte eine entsprechende Regelung zu staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern nur eine – vermeintliche – Lücke zwischen den im Maßregelrecht des StGB bestehenden Schutzmechanismen und fügte sich in diese ein. Sie wäre damit wegen dieses funktionalen Aspekts dem Maßregelrecht zuzuordnen.

c) Zwischenergebnis Folglich besteht eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG für eine Regelung zu Warnungen vor entlassenen Straftätern, solange diese als Kriminalstrafe, Nebenstrafe oder Nebenfolge einzustufen ist oder die Voraussetzungen einer Maßregel der Besserung und Sicherung 645 Es ist natürlich fraglich, ob die Formulierung einer gesetzlichen Grundlage für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern, die völlig auf eine Einbeziehung von deren letzten Straftaten verzichtet, überhaupt denkbar ist. Einen solchen Versuch hatten die Länder Bayern und Sachsen-Anhalt in ihren Gesetzen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung versucht (vgl. Art. 1 Abs. 1 BayStrUBG v. 24. 12. 2001, GVBl. S. 978, bzw. § 1 Abs. 1 UBG LSA v. 6. 03. 2002, GVBl. LSA S. 80). Diesen Versuch hatte das BVerfG als „misslungene[n] Kunstgriff“ (BVerfGE 109, 190, 220 f.) bezeichnet und erklärt, eine derartige, offenbar zur Herauslösung der Materie aus ihrem strafrechtlichen Zusammenhang gedachte Beschränkung der Prognosebasis sei den betroffenen Landesgesetzen wenigstens im Wege einer verfassungskonformen Auslegung nicht zu entnehmen (BVerfGE 109, 190, 220 ff.). Denn die möglicherweise lang dauernde Verwahrung erfordere unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit eine umfassende Würdigung der vom Täter begangenen Straftat und der Täterpersönlichkeit (BVerfGE 109, 190, 224). Auf entsprechende materiell-rechtliche Erwägungen zu staatlichen Warnungen wird im späteren Verlauf dieser Arbeit näher eingegangen, vgl. unten C.IV.

III. Kompetenzrechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

133

erfüllt.646 Gemäß Art. 72 Abs. 1 GG haben in diesem Fall die Länder nur insoweit die Befugnis zur Gesetzgebung, als der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat.647

3. Auffangkompetenz der Länder? Die Möglichkeit zur Bekanntgabe von Warnungen vor entlassenen Straftätern ist bundesgesetzlich bislang nicht geregelt. Zu prüfen ist damit, ob der Bund das Kriminalstrafrecht bzw. das Maßregelrecht insoweit abschließend geregelt und hierdurch von seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG i.S.d. Art. 72 Abs. 1 GG Gebrauch gemacht hat.648 Falls nicht, könnten die Länder gemäß Art. 72 Abs. 1 GG eigene Regelungen für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern treffen. Dies kann nur im Wege einer Gesamtwürdigung des betreffenden Normenkomplexes beantwortet werden.649 Maßgeblich ist nach der Rechtsprechung des BVerfG, ob ein bestimmter Sachbereich umfassend und lückenlos geregelt ist oder ob die nicht umfassende bzw. lückenlose Regelung gleichwohl abschließend sein sollte.650 Man könnte hier von einer entweder objektiv oder subjektiv abschließenden Regelung sprechen. Um dies festzustellen, blickt das BVerfG in erster Linie auf das Bundesgesetz selbst, sodann auf den hinter dem Gesetz stehenden Regelungszweck, ferner auf die Gesetzgebungsgeschichte und die Gesetzesmaterialien.651 Die Sperrwirkung für die Länder setze zudem voraus, dass der Gebrauch der Kompetenz durch den Bund hinreichend erkennbar ist.652

646 Vgl. auch Goldmann, KJ 2009, 282, 287 f., der nur eine bestimmte Form der staatlichen Warnung im Auge hat, diese aber als Maßregel einstuft. 647 Damit kann man auch den Beschluss des OVG Saarlouis vom 16.12.2010 – 3 B 284/10 – kritisch sehen. Das OVG hatte damit die Stützung der Dauerobservation eines aus der Sicherungsverwahrung Entlassenen auf eine polizeirechtliche Ermächtigungsgrundlage (§ 28 SPolG) im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebilligt, da die nach dieser Vorschrift geforderte ,ernstliche Gefahr‘ der Begehung von Verbrechen vorgelegen habe. Zwar erkennt das OVG die „strukturelle Ähnlichkeit von Sicherungsverwahrung und längerfristiger Observation als Präventionsinstrument“ (so der Wortlaut eines vom OVG zitierten Beschlusses des VG Aachen vom 18.03.2010 – 6 L 28/10), ohne aber die Gesetzgebungszuständigkeit des Saarlandes für die Regelung von derlei Dauerobservationen in Frage zu stellen. Vgl. auch das Urteil des VG Aachen in der Hauptsache vom 24.01.2011 – 6 K 140/10. 648 Degenhart spricht insoweit von einer „,Kodifikation‘ als ,Kompetenzsperre‘“ (28. Aufl. 2012, Rn. 185). 649 Vgl. u. a. BVerfGE 1, 283, 296; 67, 299, 324; 98, 265, 300 f.; 102, 99, 114; 109, 190, 229. 650 BVerfGE 109, 190, 230. 651 BVerfGE 98, 265, 300; 109, 190, 230. 652 BVerfGE 98, 265, 301.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Von der Gesetzgebungskompetenz für das Kriminalstrafrecht hat der Bund abschließend Gebrauch gemacht.653 Dies gilt erst recht und umfassend für die im Falle der Verwirklichung von Straftatbeständen vorgesehenen Strafen, Nebenstrafen und Nebenfolgen. Es ist schwer vorstellbar, dass die Länder hier für bestimmte vom Bundesgesetzgeber abschließend geregelte Straftatbestände weitergehende Rechtsfolgen bestimmen können sollen. Dies würde zu erheblichen Ungleichbehandlungen beim Verstoß gegen ein Bundesgesetz führen, die vom Bundesgesetzgeber sicher nicht gewollt sind. Ob der Bundesgesetzgeber auch hinsichtlich der Maßregeln der Besserung und Sicherung eine abschließende Regelung getroffen hat, bedarf allerdings einer näheren Betrachtung. a) Objektiv abschließende Regelung im Maßregelrecht? Dass der Sachbereich des präventiv wirkenden Maßregelrechts im StGB nicht schon objektiv abschließend geregelt ist, folgt bereits aus den einschränkenden formellen und materiellen Tatbestandsmerkmalen der einzelnen Maßnahmen. Das Maßregelrecht zielt nicht auf einen lückenlosen Schutz vor gefährlichen Wiederholungstätern.654 So unterliegt die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB engen Voraussetzungen wie z. B. der, dass hinreichend hohe Freiheitsstrafen verhängt worden sein müssen. Dasselbe gilt für die Führungsaufsicht, die gem. § 68 Abs. 1 StGB nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen durch das Gericht angeordnet werden kann. b) Subjektiv abschließende Regelung Diese offenkundig nicht schon objektiv abschließende Regelung könnte allerdings zumindest subjektiv abschließend und deshalb der Gesetzgebungszuständigkeit der Länder entzogen sein. aa) Äußerungen des Gesetzgebers in vergangenen Gesetzgebungsverfahren? Um dies überhaupt beurteilen zu können, ist ein Blick auf die Änderungshistorie des Maßregelrechts und insbesondere die Gesetzesmaterialien erforderlich. Die Änderungen des Maßregelrechts betreffen allerdings vornehmlich das Recht der Sicherungsverwahrung. Dabei sticht deren größte Revision in jüngerer Zeit durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 1. April 1998655 heraus, in dem 653 654 655

Maunz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 23. Erg.-Lfg., Art. 74 Rn. 68. So für die Anordnung der Sicherungsverwahrung BVerfGE 109, 190, 230. 6. StRG – BGBl. I 1998, 164.

III. Kompetenzrechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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insbesondere aus Anlass „[f]urchtbare[r] Verbrechen der jüngsten Vergangenheit, die von einschlägig vorbestraften Personen begangen worden sind“656, der Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung erheblich erweitert wurde. Folgeänderungen betrafen die Einführung der sog. vorbehaltenen Sicherungsverwahrung durch Gesetz vom 21. August 2002657 sowie der sog. nachträglichen Sicherungsverwahrung durch Gesetz vom 23. Juli 2004658. Alle drei Gesetze verfolgten das erklärte Ziel, Lücken im System der Sicherungsverwahrung schließen zu wollen.659 In keinem der jeweiligen Gesetzgebungsverfahren ist explizit auf die Möglichkeit der Bewältigung von Problemen mit Rückfalltätern durch staatliche Warnungen eingegangen worden. Neben dem Recht der Sicherungsverwahrung hat der Gesetzgeber allerdings auch die Regelungen zur Führungsaufsicht mehrfach geändert. Zunächst mit Gesetz vom 13. April 2007660, durch welches eine „effizientere praktische Handhabung“661 der Führungsaufsicht erreicht werden sollte. Des Weiteren mit Gesetz vom 22. Dezember 2010662, mit welchem der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des EGMR zur Konventionswidrigkeit der deutschen Ausgestaltung der nachträglichen Sicherungsverwahrung reagierte. Namentlich führte er als zusätzliche Weisung die elektronische Überwachung von entlassenen Straftätern in den Katalog des § 68b Abs. 1 StGB ein. Auch in den Beratungen zu diesen Gesetzen kam – soweit ersichtlich – ein Instrument zur Ermächtigung zu staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern nicht zur Sprache. bb) Interpretation des gesetzgeberischen Schweigens Das Schweigen des Gesetzgebers zu einer Maßregel, kraft derer der Staat vor entlassenen Straftätern warnen dürfte, kann auf drei Arten interpretiert werden: Erstens könnte dem Gesetzgeber ein entsprechendes Instrument der Gefahrenabwehr schlicht unbekannt gewesen sein. In diesem Fall könnte von einer abschließenden Regelung des Maßregelrechts nicht die Rede sein. Dafür, dass dem Gesetzgeber dieses Instrument zumindest bei seiner letzten Reform des Maßregelrechts vom 22. Dezember 2010 jedoch bekannt war, spricht entscheidend, dass entsprechende Forderungen öffentlich von Mitgliedern des Bundestags und anderen Personen des öffentlichen Lebens vorgetragen wurden.663 Dabei wiesen die Beteiligten auch auf 656

Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/7559, S. 1. SichVEG – BGBl. I 2002, 3344. 658 SichVNachtrEG – BGBl. I 2004, 1838. 659 Zum 6. StRG Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/7559, S. 1; zum SichVEG Gesetzentwurf des Bundesrates, BT-Drs. 14/9456, S. 1 f.; zum SichVNachtrEG Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 15/2887, S. 1. 660 FührungsaufsRefG – BGBl. I 2007, 513. 661 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 16/1993, S. 1. 662 SichVNOG – BGBl. I 2010, 2300. 663 Vgl. dazu bereits ausführlich die Einführung zu dieser Arbeit. 657

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

die schon viele Jahre alte Praxis in den USA hin. Diese Diskussion wurde durch entsprechend abwehrende Verlautbarungen seitens der Bundesministerien des Innern sowie der Justiz beendet.664 Hierüber berichteten auch eine ganze Reihe von Zeitungen. Schließlich waren derlei Forderungen nicht zum ersten Mal aufgekommen; vielmehr hatte im Jahr 2006 der damalige Innenminister des Freistaats Bayern, Günther Beckstein, öffentlich verkündet, er lasse die Möglichkeit einer Veröffentlichung von Täterdaten durch seine Beamten prüfen.665 Aus alledem folgt, dass dem Gesetzgeber das Instrument der staatlichen Warnung vor entlassenen Straftätern bekannt war. Eine zweite Interpretation des Schweigens des Gesetzgebers zu einer solchen Maßregel lautet, dass er die Möglichkeit, eine entsprechende Maßregel zu schaffen, zwar erkannte, dies jedoch von vornherein nicht in Erwägung zog, ohne sich mit der Frage in der Sache auseinandergesetzt zu haben. In diesem Fall bliebe wohl tatsächlich Raum für eine Landesgesetzgebung, da von einer abschließenden Regelung des Maßregelrechts durch den Bundesgesetzgeber kaum gesprochen werden könnte. Überzeugender scheint jedoch die dritte Interpretationsmöglichkeit, wonach der Bundesgesetzgeber die Ermächtigung zu staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern zwar in Erwägung zog, sie jedoch für untauglich und/oder unzulässig hielt und sich deshalb bewusst gegen sie entschied. In diesem Fall hätte der Gesetzgeber das Maßregelrecht subjektiv abschließend geregelt, sodass eine Auffangkompetenz der Länder ausgeschlossen wäre. Für eine solche Interpretation spricht die Vehemenz der Debatte um die Möglichkeiten, das deutsche Maßregelrecht mit Blick auf die Täterrechte auszureizen. Es ist schwer vorstellbar, dass der grundsätzlich zuständige Bundesgesetzgeber eine aus seiner Sicht taugliche und verfassungsrechtlich zulässige Maßnahme zur Vervollständigung des Schutzes vor entlassenen Straftätern nicht trifft – insbesondere in einem Klima, das zur maßgeblichen Zeit der letzten Reform des Maßregelrechts unter dem Eindruck immer weiterer aus der Sicherungsverwahrung zu entlassender, teils als hochgefährlich eingestufter Straftäter geprägt war. Hinzu kommt, dass – wie bereits erwähnt – eine Veröffentlichung von Täterdaten in zeitlicher Nähe zur letzten Reform öffentlich diskutiert worden war und damit davon ausgegangen werden kann, dass entsprechende Schritte zumindest oberflächlich geprüft wurden. Darauf deuten insbesondere die bereits erwähnten Stellungnahmen seitens der zuständigen amtierenden Minister bzw. seitens deren Sprecher hin. Damit bleibt nur die Interpretation, dass die Nichtschaffung einer Regelung zu staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern eine bewusste Entscheidung gegen eine entsprechende Maßregel war.666 Ob diese Entscheidung sachlich richtig war, ist für die Begründung einer Auffangkompetenz der Länder unbeachtlich: Die 664

Vgl. beck-aktuell v. 11. 08. 2010, Nr. 1003706, Sicherungsunterbringung und „InternetPranger“ als Alternativen zur Sicherungsverwahrung weiter umstritten. 665 Beck-aktuell v. 20. 02. 2006, Nr. 170477, Beckstein lässt Daten-Veröffentlichung von Sexualstraftätern prüfen. 666 So auch Goldmann, KJ 2009, 282, 288.

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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Länder sind nach der Rechtsprechung des BVerfG „nicht berechtigt, eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz dort in Anspruch zu nehmen, wo sie eine – abschließende – Bundesregelung für unzulänglich und deshalb reformbedürftig halten“.667 Dem ist zuzustimmen, weil sonst die Auffangkompetenz um eine den Ländern nicht gebührende Einschätzungsprärogative erweitert würde, die zudem stetige Quelle von Bund-Länder-Streitigkeiten zu werden drohte. c) Zwischenergebnis Aus der Analyse zurückliegender Reformen des Maßregelrechts ergibt sich damit, dass dieses zwar objektiv keinen abschließenden Charakter hat, jedoch nach der Vorstellung des grundsätzlich zuständigen Bundesgesetzgebers einen abschließenden Charakter haben soll.668 Damit steht den Ländern die Gesetzgebungsbefugnis nach Art. 72 Abs. 1 GG hinsichtlich staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern deshalb nicht zu, weil der Bund von seiner aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG fließenden Gesetzgebungskompetenz mit der Regelung des Kriminalstrafrechts wie des Maßregelrechts Gebrauch gemacht hat. Es wäre mithin nur der Bund zum Erlass solcher Rechtsvorschriften ermächtigt.

4. Ergebnis Die für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern erforderlichen Rechtsgrundlagen könnten vom Bund erlassen werden, wenn sie unter den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG fielen, also entweder als Strafe oder aber als Maßregel einzustufen wären. Sie müssten es in diesem Fall sogar, weil der Bund das Strafrecht insoweit abschließend geregelt hat. Nur wenn die staatlichen Warnungen weder als Strafe noch als Maßregel einzustufen wären, verbliebe es beim Grundsatz des Art. 70 Abs. 1 GG, wonach die Länder das Recht der Gesetzgebung haben.

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes Bislang wurde geklärt, dass für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern eine Rechtsgrundlage erforderlich ist, die je nach Ausgestaltung vom Bundesgesetzgeber oder den jeweiligen Landesgesetzgebern erlassen werden müsste. Im vorliegenden Abschnitt wird der Blick nun auf die materiell-rechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes gerichtet, die eine entsprechende Regelung zu ihrer Rechtmä667

BVerfGE 109, 190, 230. Ebenso Goldmann, KJ 2009, 282, 287 f.; a.A. wohl Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 375 f., allerdings ohne nähere Begründung. 668

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

ßigkeit einhalten müsste. Eine äußerste Grenze ist die Verletzung der Menschenwürde der Betroffenen: Wären die staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern derart ausgestaltet, dass sie letztere in ihrem Würdegehalt verletzten, wären sie stets verfassungswidrig (1.). Unterhalb dieser Schwelle liegende Regelungen müssten sich innerhalb der sogenannten Schranken-Schranken des Grundgesetzes bewegen (2.). Weiter wäre der allgemeine Gleichheitssatz einzuhalten (3.). Einer Erörterung bedarf auch die Möglichkeit einer Einwilligung in staatliche Warnungen durch den betroffenen Straftäter (4.).

1. Die Menschenwürdegarantie Wegen der möglichen anprangernden Wirkung von staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern liegt die Annahme nicht fern, sie könnten unter bestimmten Voraussetzungen in die Menschenwürde der Betroffenen eingreifen. Weil Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG669 die Menschenwürde für unantastbar erklärt, wäre ein solcher Eingriff von vornherein nicht zu rechtfertigen und damit stets rechtswidrig.670 a) Die Menschenwürde Pieroth/Schlink zitieren in ihrer Einleitung zur Erörterung des Art. 1 Abs. 1 GG aus einer frühen Entscheidung des BVerfG: „In der freiheitlichen Demokratie ist die Würde des Menschen der oberste Wert.“671 Von diesem Verständnis ausgehend fällt es indes schwer, die Menschenwürde positiv zu umschreiben.672 Denn als oberster Wert muss sie für Nuancen und Interpretation offen bleiben. Nur wenig anschaulicher ist eine negative Abgrenzung des Würdegehalts eines Menschen, die letztere von ihren potentiellen Verletzungen her betrachtet.673 Danach ist die Menschenwürdegarantie „ein verfassungsrechtliches Tabu“674, dessen Umrisse erst durch die Konfrontation mit staatlichen Eingriffen erkennbar werden. Aus dieser Formulierung ergibt sich – sei sie auch aus der Not geboren – zumindest eine adäquate 669 Zu dessen subjektiv-rechtlicher Komponente vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 05/2009, Art. 1 Abs. 1 Rn. 29. 670 Aus der Rspr.: BVerfGE 6, 32, 41; 34, 238, 245; 75, 369, 380; 80, 367, 373 f.; 93, 266, 293; 102, 347, 366 f.; 107, 275, 283 f.; 109, 279, 314; 119, 1, 34; 120, 274, 335; aus der Lit. etwa Herdegen, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 05/2009, Art. 1 Abs. 1 Rn. 73, oder Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 381, jeweils m.w.N. 671 BVerfGE 5, 85, 204. 672 Vgl. dazu Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 368 ff.; Herdegen, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 05/2009, Art. 1 Abs. 1 Rn. 33 ff. 673 Herdegen, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 05/2009, Art. 1 Abs. 1 Rn. 36.; vgl. auch BVerfGE 1, 97, 104: „Wenn Art. 1 Abs. 1 GG sagt: ,Die Würde des Menschen ist unantastbar‘, so will er sie nur negativ gegen Angriffe abschirmen.“ 674 Poscher, JZ 2004, 756, vgl. insbes. auch S. 758 ff.

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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Vorgehensweise zur Bestimmung einer Verletzung der Menschenwürdegarantie: die Prüfung des Einzelfalls auf seine Bedeutung für die Würde des Betroffenen. b) Verletzung der Menschenwürde durch staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern In einer seiner frühen Entscheidungen hat das BVerfG Angriffe wie die „Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung“675 als typische Eingriffe in die Menschenwürde aufgezählt. Später wählte es einen allgemeineren Ansatz und berief sich auf die sog. Objektformel, der zufolge es der Würde des Menschen widerspricht, ihn zum „bloßen Objekt des Staates“ zu machen676 oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt677. Trotz der Unbestimmtheit dieser Formel678 und der damit einhergehenden Schwächen679, ist dieser „Versuch einer Deutung der Würdeverletzung in ihrem Vollständigkeitsanspruch von keinem überlegenen Interpretationsansatz verdrängt worden“680. Gleichviel schafft erst die Aufteilung der Menschenwürdegarantie in verschiedene Sphären oder Ausprägungen einen Zugang zu ihrem Schutzgehalt.681 Eine dieser Ausprägungen ist der soziale Achtungsanspruch682 bzw. die geistig-seelische Identität und Integrität683 des Grundrechtsträgers. Eben diese Ausprägung könnte durch die von staatlichen Warnungen bewirkte Anprangerung betroffen sein (bb)). Einer adäquaten Beurteilung zuträglich ist eine kurze Auseinandersetzung mit dem würdewidrigen Anprangern an sich (aa)). aa) Würdewidriges Anprangern Bei der Beschäftigung mit würdewidrigem Anprangern ist die echte Prangerstrafe, wie sie im Mittelalter eingesetzt wurde, von der bloß anprangernden Wirkung anderer Maßnahmen zu unterscheiden. Während der Pranger als Strafe stets eine Verletzung der Menschenwürde ist (1), bleibt die bloß anprangernde Wirkung einer 675

BVerfGE 1, 97, 104. BVerfGE 9, 89, 95; 27, 1, 6; 28, 386, 391; 45, 187, 228 ; 50, 166, 175; 122, 248, 271. 677 BVerfGE 30, 1, 25; 50, 166, 175; 87, 209, 228; 96, 375, 399; 109, 133, 149 f.; 115, 118, 153; 117, 71, 89. 678 Vgl. Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 375. 679 Vgl. z. B. BVerfGE 30, 1, 25 f. 680 Herdegen, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 05/2009, Art. 1 Abs. 1 Rn. 36. 681 Vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 05/2009, Art. 1 Abs. 1 Rn. 83 ff.; Stern/Sachs/Dietlein, Staatsrecht IV/1, 2006, S. 23 ff.; Hofmann, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2011, Art. 1 Rn. 14 ff.; Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 378. 682 Herdegen, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 05/2009, Art. 1 Abs. 1 Rn. 117 ff. 683 Stern/Sachs/Dietlein, Staatsrecht IV/1, 2006, S. 47 ff. 676

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

staatlichen Maßnahme einer Abwägung im Einzelfall grundsätzlich zugänglich (2). Die anprangernde Wirkung kann jedoch ein Maß erreichen, das nur noch eine Qualifikation als Würdeverletzung zulässt. (1) Die Prangerstrafe Die Prangerstrafe – seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum nachgewiesen684 und insbesondere durch die Constitutio Criminalis Carolina von 1532 befördert685 – wäre in Deutschland mit der Verkündigung der Paulskirchenverfassung schon zum 28. März 1849 abgeschafft worden686, hätte diese je Geltung erlangt. Seither galt die Prangerstrafe jedoch als geächtet687, wurde in den deutschen Ländern nach und nach abgeschafft688 und hielt entsprechend nie Einzug in das Reichsstrafgesetzbuch vom 15. Mai 1871 bzw. in das StGB689 – zuletzt wurde sie wohl in Flensburg im Jahre 1864 vollstreckt690. Diese Tilgung des Prangers aus dem Strafenkatalog des deutschen Rechts beruhte wohl auf der Auffassung, die Prangerstrafe verstoße stets gegen die Menschenwürde des Betroffenen. So lautete auch die Begründung zu § 139 Hs. 2 Paulskirchenverfassung, „daß ein freies Volk selbst bei dem Verbrecher die Menschenwürde zu achten hat und keine Strafe zur Anwendung bringen darf, durch welche diese verletzt wird.“691 Dass die Prangerstrafe schon 1848/49 von den Verfassern der Paulskirchenverfassung als würdewidrig empfunden wurde, erschließt sich nur aus einer Betrachtung von Zweck und Funktionsweise des Prangers als Strafinstrument. Die Prangerstrafe wurde die überwiegende Zeit als Mittel zur Abschreckung eingesetzt, erfüllte daneben jedoch vor allem im mittelalterlichen Recht eine Vergeltungsfunktion.692 Denn nach mittelalterlicher Anschauung riss der Pranger „die Mannesehre entzwei“, wie

684

Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 25. Vgl. im Einzelnen Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 27 ff. 686 § 139 der Verfassung des Deutschen Reiches (RGBl. Nr. 16, S. 101 ff.) lautete: „Die Todesstrafe… sowie die Strafen des Prangers, der Brandmarkung und der körperlichen Züchtigung, sind abgeschafft.“ 687 Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 27. 688 Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 37. 689 Demgegenüber hieß es z. B. noch in einem der Vorgänger des RStGB, dem zwanzigsten Titel des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten, in § 224: „Wer sich zu einem solchen [in § 223 definierten] Sektenstifter betrüglicher Weise, und zur Befriedigung seiner Leidenschaften aufwirft, der soll als ein Betrüger an den Pranger gestellt, mit Ein- bis dreijähriger Festungs- oder Zuchthausstrafe belegt, und nach seiner Entlassung, aus der Gegend oder Provinz, wo er seine Sekte vorhin ausgebreitet hat, verbannt werden.“ 690 Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 27 m.w.N. 691 So der Abgeordnete Spatz in der 54. Sitzung der Nationalversammlung vom 3. 08. 1848, vgl. Wigard (Hrsg.), Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der Deutschen Constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main, 1848, S. 1353 f. 692 Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 146 f. 685

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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man wohl in Bern zu sagen pflegte.693 Entsprechend lag dem „älteren Recht [] der Besserungsgedanke auch völlig fern“.694 Später trat neben die genannten Strafzwecke und teilweise an deren Stelle der Sicherungsgedanke695, also die Abwehr von Gefahren, die von öffentlich kenntlich gemachten Delinquenten ausgehen.696 Verhängt wurde die Prangerstrafe mit Blick auf ihre ursprünglichen Funktionen der Abschreckung und Vergeltung typischerweise dann, wenn der Straftäter eine ehrlose Gesinnung erkennen ließ. „[D]as Delikt der Prangerstrafe ist in aller Regel ein unehrliches Delikt.“697 Hierunter zählten Bader-Weiß und Bader allen voran den Diebstahl, aber auch den Betrug und Fälschungsdelikte sowie die Beleidigungstatbestände.698 Mit dem Aufkommen des Sicherungsgedankens kamen weitere Delikte hinzu und die Prangerstrafe wurde fortan z. B. auch für die Verletzung sicherheitsrechtlicher Vorschriften im Hygienebereich verhängt.699 Der abschreckende und vergeltende Ehrentzug wurde erzielt durch größtmögliche Aufmerksamkeit für den Missetäter, weshalb Pranger vorzugsweise an hoch frequentierten Orten wie dem Dorfplatz oder, in Märkten und Städten, dem Marktplatz aufgestellt700 und die Delinquenten z. B. zur Marktzeit vorgeführt wurden701.702 An diesen Plätzen wurde der Betroffene dem Gespött seiner Landsleute ausgesetzt703, meist nur einmalig für ein bis zwei Stunden, gelegentlich länger oder wiederholt704 und oft mit einer ihn und die Straftat wie das Strafmaß identifizierenden Tafel705. Tätliche Übergriffe kamen zwar vor, waren jedoch nicht beabsichtigt, weshalb die Prangerstrafe auch nicht den peinlichen, sondern den Ehrenstrafen zuzuordnen ist.706 Wo die Prangerstrafe mit Leibesstrafen wie dem „Aushauen“ verknüpft wurde, war sie Nebenstrafe, die Leibesstrafe aber Hauptstrafe.707 693

Fehr, Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins 1930, 193, 198. Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 148. 695 So in Art. 6 § 8 der Constitutio Criminalis Theresiana, der den Pranger besonders in solchen Fällen angewendet sehen möchte, „wo die öffentliche Vorstellung auf der Bühne zu dem Ende beschiehet, damit der Uebelthäter von der Volkmenge in genaue Erkänntniß gebracht, und bey seiner verbotenen Ruckkehr desto geschwinder entdecket werde“. 696 Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 147. 697 Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 102. 698 Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 102; vgl. zum Diebstahl speziell auch S. 103 ff. 699 Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 124 ff. 700 Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 71 f., mit Beispielen. 701 Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 136. 702 Zur äußeren Gestalt des Prangers (Schandpfahl, Prangersäule, Schandbühne) vgl. Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 55 ff. 703 Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 72. 704 Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 137 ff. 705 Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 141. 706 Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 82 f. 707 Bader-Weiß/Bader, Der Pranger, 1935, S. 85. 694

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Aus alledem wird ersichtlich, dass die Prangerstrafe die Missachtung des Betroffenen gerade zum Gegenstand hatte. Die Würdeverletzung war in ihr angelegt, ja beabsichtigt. Der seiner Ehre gänzlich beraubte Mensch ist im Kern seiner Persönlichkeit betroffen und damit nach heutigem Verständnis auch ein Stück weit seiner Menschenwürde beraubt. Eine Strafe, die ihre Wirkung durch den (beabsichtigten) Ehrverlust erlangt, ist damit stets ein Eingriff in Art. 1 Abs. 1 GG und folglich eine Verletzung der Menschenwürde. (2) Anprangernde Wirkung Dieses absolute Verständnis von der Würdewidrigkeit der Prangerstrafe wurde später hinsichtlich der anprangernden Wirkung staatlicher Maßnahmen relativiert: So schreibt Schüler-Spingorum, der Pranger lasse sich „nicht a limine als rechts- und verfassungswidrig abtun“, und hat dabei die anprangernden Effekte z. B. der forensisch-öffentlichen Geständnisse von Angeklagten im Blick.708 Bei staatlichen Maßnahmen mit bloß anprangernder Wirkung ist der Ehrverlust nicht final beabsichtigt, sondern allenfalls ungewollte Nebenfolge und damit nicht per se als Verletzung der Menschenwürde zu qualifizieren. Eine anprangernde Wirkung kann von ganz verschiedenen staatlichen Maßnahmen ausgehen, und nur in den seltensten Fällen ist dabei von einem Eingriff in die Menschenwürde auszugehen.709 Der Regelfall ist vielmehr ein Eingriff unterhalb der Schwelle der Würdeverletzung, der bei entsprechender Abwägung gerechtfertigt sein kann.710 Über staatliche Anprangerung, durch die die Menschenwürde des Betroffenen verletzt worden wäre, wurde entsprechend kaum je von bundesdeutschen Gerichten befunden.711 Aus der spärlichen Rechtsprechung ragt allein ein Fall heraus, der vom BVerwG entschieden wurde und der die entwürdigende Behandlung eines Arrestanten durch einen Wachoffizier zum Gegenstand hatte.712 Der Wachoffizier hatte den Arrestanten vor dem Wachlokal der Kaserne mit Handfesseln anschließen lassen, um ihm so den ihm zustehenden „Aufenthalt im Freien“ zu ermöglichen. Bestrafen wollte er ihn dadurch nicht, vielmehr hatte er während des Aufenthalts andere Dinge zu erledigen. Das BVerwG hatte diese Behandlung insbesondere deshalb für ent708 Schüler-Springorum, FS Henkel, 1974, S. 141, 148. Zustimmend hinsichtlich des Präventivprangers Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 371, Fn. 12. In der Sache wohl ebenso zu verstehen bereits Göbel, NJW 1954, 15 f. 709 Allgemein für einen vorsichtigen „Gebrauch“ der Menschenwürde Tiedemann, DÖV 2009, 606 ff. 710 In diesem Sinne auch die Rspr. des BVerfG in zivilrechtlichen Konstellationen, in denen das Gericht bei anprangernden Effekten eine Abwägung vornimmt, vgl. BVerfGE 97, 391, 406 (Missbrauchsbezichtigung). 711 Häufiger haben die Gerichte über Fälle privater Anprangerung zu befinden, vgl. z. B. BVerfG, NJOZ 2008, 151 ff. (Anprangerung eines Frauenarztes wegen Schwangerschaftsabbrüchen), oder BVerfG, NJW 2009, 3357 ff. (aktuelle Berichterstattung über Sexualstraftäter). Zum „Pranger der Medien“ vgl. auch Rinsche, ZRP 1987, 384 ff. 712 BVerwGE 113, 187 ff.

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würdigend gehalten, weil der Betroffene an einem Ort angekettet war, an dem mit Publikumsverkehr und folglich dem Gespött von Besuchern und Kameraden zu rechnen war. Das Gericht stufte die Maßnahme daher als einen Verstoß gegen die Unantastbarkeit der Menschenwürde ein.713 In Konstellationen, die hinter der zuletzt geschilderten zurückbleiben, lehnen die Gerichte eine Verletzung der Menschenwürde ab und lassen sich auf einen Abwägungsvorgang zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den damit konkurrierenden Interesseren ein. So in einer vom OLG Celle entschiedenen Amtshaftungsklage714 : Nach einem Totschlag hatte die Polizei einen psychisch auffälligen und mit dem Opfer bekannten Jugendlichen der Tat für verdächtig gehalten und Ermittlungen gegen ihn aufgenommen. In Ermangelung nennenswerter Ermittlungsfortschritte richtete die Polizei ein öffentliches Internetforum ein, auf dem sich jedermann durch Diskussionsbeiträge an der „Aufklärung“ der Tat beteiligen konnte. In diesem Forum wurde der Verdacht gegen besagten Jugendlichen seitens verschiedener privater Autoren aufrechterhalten und noch verstärkt. Nach Schließung des Forums erwies sich der Betroffene als unschuldig. Das OLG Celle stellte fest, der nun klagende Jugendliche sei durch das Internetforum an den „virtuellen Pranger“ gestellt worden.715 Gleichwohl hielt das Gericht diese Anprangerung lediglich für einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen, der sich grundsätzlich rechtfertigen lasse.716 In diesem Fall scheiterte die Rechtfertigung freilich schon an der fehlenden Erforderlichkeit der Einrichtung eines Internetforums: Sachdienliche Hinweise hätte die Polizei auch durch eine Aufforderung zur unilateralen Einsendung von Informationen erlangen können.717 Trotz seiner Wortwahl kam es also dem OLG Celle nicht in den Sinn, die anprangernde Wirkung als würdewidrig abzutun. Dies ist auch nicht zu beanstanden, weil die „Anprangerung“ vom Staat zwar ermöglicht, nicht aber aktiv betrieben wurde. Eine andere Bewertung wäre allenfalls dann denkbar gewesen, wenn die Polizei selbst den Verdacht gegen den Kläger durch Aussagen befeuert hätte. In anderen Verfahren mit strafrechtlichem Bezug gingen die befassten Gerichte auf die anprangernde Wirkung staatlicher Maßnahmen nicht einmal näher ein, obschon dies auf der Hand gelegen hätte. In einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor dem OVG Saarlouis hatte ein aus der Sicherungsverwahrung entlassener Straftäter verlangt, seine über einen Zeitraum von mehreren Monaten andauernde polizeiliche Observation zu beenden.718 Das OVG gelangte in seiner summarischen Prüfung zu dem Ergebnis, dass das Bestehen des geltend gemachten Anordnungsanspruchs auf Beendigung der Observation nicht überwiegend wahrscheinlich sei. 713 714 715 716 717 718

BVerwGE 113, 187, 193. OLG Celle, MMR 2008, 180 ff. OLG Celle, MMR 2008, 180, 181. OLG Celle, MMR 2008, 180. OLG Celle, MMR 2008, 180, 181. OVG Saarlouis, Beschl. v. 16.12.2010 – 3 B 284/10.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Zwar stelle die „Rund-um-die-Uhr-Überwachung des Antragstellers durch mehrere Polizeibeamte einen erheblich belastenden Grundrechtseingriff dar“, insbesondere auch mit Blick auf die Erschwerung sozialer Kontakte.719 In Anbetracht der von dem Entlassenen ausgehenden erheblichen Gefahren seien diese Eingriffe jedoch noch verhältnismäßig. Das Gericht ging allerdings nicht explizit auf den ggf. auch anprangernden Charakter einer für Dritte als solche erkennbaren Dauerobservation durch mehrere Polizeibeamte ein. Der Beschluss ist daher angreifbar, denn infolgedessen unterblieb nicht nur eine Auseinandersetzung mit einer möglicherweise würdewidrigen „Anprangerung“, sondern es blieb auch unberücksichtigt, inwieweit das Recht des Klägers auf Resozialisierung durch die Dauerobservation betroffen sein könnte.720 Ähnlich gestalten sich die in Zukunft sicher häufiger auftretenden Fälle im Zusammenhang mit dem Einsatz elektronischer Aufenthaltsüberwachungen („elektronische Fußfessel“) nach § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 12, S. 3 StGB, eingeführt durch das zum 1. Januar 2011 in Kraft getretene Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen721. Will der Träger einer elektronischen Fußfessel vermeiden, dass er als ein für gefährlich gehaltener entlassener Straftäter erkannt wird, muss er alles unterlassen, was ihn zu einer Offenbarung der Fußfessel zwänge (Schwimmbad, bestimmte Sportarten, intime Kontakte etc.). Das OLG Rostock ging in einem frühen Beschluss zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung auf diese die Menschenwürde möglicherweise berührenden Folgen der Fußfessel jedoch nicht näher ein und nahm eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor; unzumutbare Anforderungen an die Lebensführung (§ 68b Abs. 3 StGB) konnte das Gericht nicht erkennen.722 In Fällen elektronischer Aufenthaltsüberwachung wird also bislang kein Problem darin gesehen, dass dieser eine möglicherweise anprangernde Wirkung zukommen könnte. Die völlige Ausblendung dieses Aspekts ist freilich auch im Falle des OLG Rostock untunlich. Diese Rechtsprechung macht deutlich, dass die anprangernde Wirkung zum Nachteil eines Grundrechtsträgers in aller Regel nicht als Fall des Art. 1 Abs. 1 GG gesehen, sondern unter Rückgriff auf andere Grundrechte und dort im Wege einer Abwägung gelöst wird.

719

OVG Saarlouis, Beschl. v. 16.12.2010 – 3 B 284/10 – Rn. 69 (juris). In einem ähnlichen Verfahren vor dem VGH Mannheim (Beschl. v. 8.11. 2011 – 1 S 2538/11) hatte auch dieser die Dauerobservation einstweilen gebilligt; mittlerweile hat das BVerfG entschieden, dass eine Dauerobservation zumindest auf aktuelle Gutachten zu stützen sei, die die aktuelle konkrete Gefahr, die vom Betroffenen ausgehen soll, belegen (Beschl. v. 8. 11. 2012, 1 BvR 22/12). 721 Gesetz v. 22. 12. 2010, BGBl. 2010 I, S. 2300 ff. 722 OLG Rostock, Beschl. v. 28. 03. 2011 – I Ws 62/11 (abgedruckt in NStZ 2011, 521 ff., allerdings ohne die hier interessierende Passage). 720

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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bb) Eingriff durch staatliche Warnung vor entlassenen Straftätern Aus dem Gesagten ergeben sich die Voraussetzungen, unter denen staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern als Eingriff in die Menschenwürde der Betroffenen qualifiziert werden müssten und damit stets verfassungswidrig wären: Dies wäre immer dann zu bejahen, wenn die staatliche Warnung als Strafe eingesetzt würde, also eine moderne Form der Prangerstrafe wäre. Bei einer bloß anprangernden Wirkung wäre hingegen ein differenzierterer Blick erforderlich. (1) Staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern als Prangerstrafe Wie oben dargestellt zeichnet sich die Prangerstrafe dadurch aus, dass der Ehrverlust des Betroffenen gerade beabsichtigt ist. Die staatliche Warnung vor einem entlassenen Straftäter müsste also bewusst als ein Mittel zur Bestrafung des Betroffenen durch Ehrabschneidung eingesetzt werden, um als Prangerstrafe und damit per se als würdewidrig qualifiziert werden zu können. Zudem müsste der Straftäter wohl auch physisch zur Konfrontation mit der Öffentlichkeit gezwungen werden; denn gerade die Zurschaustellung macht den Pranger aus. Eine solche Ausgestaltung der staatlichen Warnung ist schwer vorstellbar. Sollte eine Regelung gleichwohl mit diesem Inhalt geschaffen werden, verstieße sie gegen Art. 1 Abs. 1 GG und wäre damit verfassungswidrig. (2) Würdewidrige anprangernde Wirkung von Warnungen vor entlassenen Straftätern Fraglos hat jedoch die staatliche Warnung vor entlassenen Straftätern eine anprangernde Wirkung, denn diese werden hierdurch als Straftäter identifiziert. Eine solche anprangernde Wirkung kann unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls eine Verletzung der Menschenwürde der Betroffenen sein. So scheint das oben wiedergegebene Urteil des BVerwG723 nahezulegen, dass sie jedenfalls dann als würdewidrig einzustufen wäre, wenn der Betroffene befürchten muss, durch die Warnung wegen der von ihm begangenen Straftaten dem Gespött anderer ausgesetzt zu werden. Diese Schlussfolgerung griffe indes zu kurz. Denn handelte es sich in solchen Fällen stets um einen – nicht rechtfertigungsfähigen! – Eingriff in die Menschenwürde des Betroffenen, so dürfte der Staat auch keine zu Gespött anregenden Strafprozesse mehr führen und müsste sämtliche im Zusammenhang mit Straftaten stehende Maßnahmen im Geheimen vollziehen. Entsprechend dürfte das BVerwG zu seiner Schlussfolgerung der Würdewidrigkeit nur in Anbetracht der Umstände des Einzelfalles gekommen sein. Das die Würdeverletzung begründende Element lag 723

BVerfGE 113, 187 ff.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

wohl im Anketten des Arrestanten, wodurch dieser eine dem klassischen Pranger verwechselnd ähnlich kommende Behandlung erdulden musste und sich physisch außerstande sah, sich dem etwaigen Gespött von Passanten zu entziehen. Entsprechend dürften staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern erst dann die Würde der Betroffenen verletzen, wenn diesen jede Möglichkeit genommen wäre, sich der ihnen entgegen gebrachten Verachtung zu entziehen, bspw. indem sie zum Ausharren an einem öffentlich dafür bestimmten „Bußeort“ gezwungen würden – u. U. könnte aber etwa auch das Tragen von sie als Straftäter identifizierender Symbole genügen.724 Solange aber die Warnung nur durch die Übermittlung von Informationen erfolgt, ist ein nicht rechtfertigungsfähiger Eingriff in die Menschenwürde ausgeschlossen.725 c) Zusammenfassung Sollten staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern als eine moderne Prangerstrafe eingesetzt werden, verstießen sie gegen Art. 1 Abs. 1 GG und wären somit verfassungswidrig. Haben die Warnungen lediglich anprangernde Wirkung ohne Strafcharakter, sind sie nur dann als würdewidrig einzustufen, wenn der Straftäter keinerlei Möglichkeiten hat, sich etwaigem Gespött oder offen zur Schau getragener Missachtung physisch zu entziehen. Erfüllen sie auch diese Voraussetzung nicht, steht Art. 1 Abs. 1 GG staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern nicht entgegen.

2. Einhaltung der sogenannten Schranken-Schranken des Grundgesetzes Die Ermächtigungsgrundlage für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern müsste weiter auch die sogenannten Schranken-Schranken des Grundgesetzes einhalten. Derlei Schranken-Schranken ergeben sich zunächst aus Art. 103 Abs. 2 und 3 GG (a)), darunter insbesondere das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot und das Rückwirkungsverbot. Sofern Art. 103 GG keine Anwendung fände, wären jedenfalls das allgemeine Bestimmtheitsgebot einzuhalten und Vertrauensschutzgesichtspunkte zu berücksichtigen (b)). In beiden Fällen müsste die Regelung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügen (c)).

724

Auch deshalb könnte man die nach außen erkennbare polizeiliche Dauerüberwachung von aus der Sicherungsverwahrung entlassenen Straftätern kritisch sehen, jedenfalls wenn es tatsächlich zu Gespött oder offen zur Schau getragener Missachtung kommt und die Polizisten nicht zugleich solches Verhalten vonseiten Dritter unterbinden. 725 A.A. wohl Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 386, für den Fall von Warnungen vor Sexualstraftätern.

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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a) Einhaltung der Schranken-Schranken des Art. 103 Abs. 2 und 3 GG Art. 103 GG enthält in seinen Absätzen 2 und 3 eine Reihe von Garantien, die die Strafgewalt des Staates über seine Bürger beschränkt. Da die Verhängung von Strafen ihrerseits eine Beschränkung der persönlichen Freiheit des betroffenen Bürgers ist, sind die in Art. 103 GG enthaltenen Garantien systematisch den sog. SchrankenSchranken zuzuordnen.726 Damit die im hiesigen Kontext relevanten SchrankenSchranken eingreifen, müsste jedoch die staatliche Warnung vor einem entlassenen Straftäter als Strafe i.S.d. Art. 103 GG eingestuft werden. Daher kommt nun – anders noch als bei der Diskussion der Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG727 – der Einstufung der staatlichen Warnung als Kriminalstrafe entscheidende Bedeutung zu. aa) Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Art. 103 Abs. 2 und 3 GG (1) Der Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 und 3 GG „Strafe“ i.S.d. Art. 103 Abs. 2 und 3 GG ist eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten728 und dient dem Schuldausgleich729. Sie ist „im Gegensatz zur reinen Präventionsmaßnahme dadurch gekennzeichnet, dass sie – wenn nicht ausschließlich, so doch auch – auf Repression und Vergeltung für ein rechtlich verbotenes Verhalten abzielt“.730 Das BVerfG präzisierte in seinem Urteil vom 5. Februar 2004 zur Verfassungsmäßigkeit des Wegfalls der begrenzten Höchstdauer der Sicherungsverwahrung, dass sich „die Gewährleistung des Art. 103 Abs. 2 GG nur auf vergeltende Sanktionen bezieht, bei denen die Übelszufügung mit einer öffentlichen Missbilligung im Sinne einer Feststellung der defizitären Einstellung zur Norm im Rahmen eines Unwerturteils verbunden ist“.731 Erfasst sind nach diesem Definitionsversuch in erster Linie die klassischen Kriminalstrafen732, aber auch die Bußgeldtatbestände der Ordnungswidrigkeiten733 726 Vgl. dazu ausführlich Appel, JURA 2000, 571, 576 ff.; zustimmend Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 1187/1207; Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2011, Art. 103 Rn. 1. 727 Vgl. dazu oben C.III.1. 728 BVerfGE 24, 186, 204; 105, 135, 153; BVerfG NJW 2007, 1933, 1941; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 12/1992, Art. 103 Abs. 2 Rn. 195; Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2011, Art. 103 Rn. 24. 729 BVerfGE 20, 323, 331; BVerfGE 109, 133, 167 m.w.N. 730 BVerfGE 20, 323, 331; zit. auch von Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 12/1992, Art. 103 Abs. 2 Rn. 195. 731 BVerfGE 109, 133, 168. 732 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 12/1992, Art. 103 Abs. 2 Rn. 195.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

sowie ehrengerichtliche Sanktionen und beamtenrechtliche Disziplinarstrafen734. Ausgeschlossen sind aber wegen ihres nicht-strafenden, sondern präventiven Charakters die Maßregeln der Besserung und Sicherung, selbst wenn sie – wie die Sicherungsverwahrung – in ihrer Wirkung einer Strafe gleichkommen.735 Für die Sicherungsverwahrung hatte der EGMR hinsichtlich Art. 7 Abs. 1 EMRK insoweit zwar eine andere Auffassung vertreten.736 Das veranlasste jedoch das BVerfG, das sich in Folge dieser EGMR-Entscheidung erneut mit der Sicherungsverwahrung zu befassen hatte, nicht zu einer Revision seiner Einschätzung, dass die Sicherungsverwahrung keine Strafe i.S.d. Art. 103 Abs. 2 GG sei.737 Auch Ähnlichkeiten mit als Strafen anerkannten staatlichen Maßnahmen rechtfertigen keine Einbeziehung in den Begriff der Strafe i.S.d. Art. 103 GG.738 (2) Staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern als „Strafe“ i.S.d. Art. 103 GG Zu klären ist nun, unter welchen Voraussetzungen im Falle von staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern der Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 2 und 3 GG eröffnet wäre. Der dargestellten – und für Art. 103 Abs. 2 und 3 GG überzeugenden – Argumentation des BVerfG zufolge wäre dies dann ausgeschlossen, wenn die staatliche Warnung den Charakter einer Maßregel der Besserung und Sicherung hätte, die vorbeugen und nicht bestrafen soll. Erst wenn die Warnung den Charakter einer Kriminalstrafe annähme – dass sie weder als eine Ordnungswidrigkeit, noch als eine ehrengerichtliche Sanktion oder Disziplinarstrafe qualifiziert werden könnte, liegt auf der Hand –, wäre der Anwendungsbereich der Vorschrift eröffnet. Damit kommt es entscheidend darauf an, unter welchen Voraussetzungen staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern als Kriminalstrafe einzustufen wären. Es wurde bereits deutlich, dass Art. 103 Abs. 2 und 3 GG ein formales Verständnis von Strafe zugrundeliegt, während z. B. in den USA mit Blick auf das Doppelbestrafungs- sowie Rückwirkungsverbot ein materieller Begriff der „Strafe“

733 BVerfGE 9, 167, 169 f.; 38, 348, 371; 41, 314, 319; 42, 261, 263; 55, 144, 152; 71, 108, 114; 81, 132, 135; 87, 363, 391; 87, 399, 411. 734 BVerfGE 26, 186, 203 f.; 28, 36, 46; 28, 51, 54; 45, 346, 351; 57, 29, 35; 60, 215, 233 f.; 66, 337, 355 f.; 116, 69, 82 f. 735 BVerfGE 109, 133, 167 ff. 736 EGMR, NJW 2011, 2495, 2498 f. 737 BVerfGE 128, 326, 392 f.; zustimmend Hörnle, NStZ 2011, 488, 489 f.; a.A. z. B. Eschelbach, NJW 2010, 2499, 2500, oder Möllers, ZRP 2010, 153, 155; um zu einer EGMRkonformen Rechtsprechung zu gelangen, löste das BVerfG das Rückwirkungsproblem mit der Figur des Vertrauensschutzes. 738 So für die Sicherungsverwahrung im Vergleich zur Freiheitsstrafe BVerfGE 109, 133, 176; 128, 326, 392.

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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bevorzugt wird.739 Obschon die Auslegung des Begriffes im US-amerikanischen Recht aus diesem Grund nicht auf das deutsche Recht übertragbar ist, bietet die dortige Diskussion doch einigen Aufschluss über die relevanten Aspekte bei der adäquaten juristischen Qualifikation von „community notifications“ (a). Auf dieser Grundlage ist zu entscheiden, wann staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern nach deutschem Verfassungsrecht als Strafe unterhalb der Stufe der – wegen Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 1 GG ohnehin verfassungswidrigen740 – Prangerstrafe qualifiziert werden könnten (b). (a) US-amerikanische Diskussion zum Strafcharakter von staatlichen Warnungen vor entlassenen (Sexual-)Straftätern In den Vereinigten Staaten wurde die Frage nach dem Strafcharakter von staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern nicht im Zusammenhang mit dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot, sondern allein mit Blick auf das in Art. 1 § 10 S. 1 US-Verfassung741 verankerte strafrechtliche Rückwirkungsverbot aufgeworfen. Denn die meisten Warnsysteme in den Bundesstaaten hatten rückwirkenden Charakter, sodass Daten auch zu Straftätern veröffentlicht wurden, die ihre Taten vor Inkrafttreten der jeweiligen Bestimmungen begangen hatten. So konnten bspw. auch Daten von Personen im Internet veröffentlicht werden, die zuletzt in den 1970er-Jahren zu einer kurzen Freiheitsstrafe verurteilt wurden. Gegen diese Praxis wandten sich zahlreiche Betroffene; einer dieser Fälle wurde schließlich im Jahr 2003 vor dem U.S. Supreme Court verhandelt. Im Fall Smith et al. v. Doe et al.742 richteten sich die zwei Beschwerdeführer sowie die Ehefrau des einen unter Berufung auf das Rückwirkungsverbot gegen das Alaska Sex Offender Registration Act (ASORA). In dessen Anwendungsbereich fielen sie wegen Straftaten, die noch vor Inkrafttreten des Gesetzes abgeurteilt worden waren. Das ASORA sah wie andere US-amerikanische Bestimmungen eine Registrierungspflicht für Sexualstraftäter vor und gestattete die Veröffentlichung einer Reihe von personenbezogenen Daten im Internet. Der U.S. Court of Appeals for the Ninth Circuit hatte den Beschwerdeführern noch unter Verweis auf den Strafcharakter der Veröffentlichung von Täterdaten Recht gegeben und festgestellt, das ASORA verstoße gegen das Rückwirkungsverbot aus Art. 1 § 10 S. 1 US-Verfassung. (aa) Die Mehrheitsmeinung des U.S. Supreme Court Dem widerspricht die Mehrheit des U.S. Supreme Court in seinem Urteil vom 5. März 2003. Das Gericht hält das Rückwirkungsverbot für nicht anwendbar, da das Gesetz keinen Strafcharakter aufweise. Zu dieser Feststellung gelangt es über eine in 739 Waechter hält das amerikanische Recht entsprechend für „aufmerksamer“, wenn es um verdeckte Strafen geht, vgl. Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 382, Fn. 44. 740 Vgl. dazu oben C.IV.1.b). 741 Darin heißt es: „No state shall … pass any … ex post facto Law …“. 742 538 U.S. 84 ff. (2003).

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

der früheren Rechtsprechung entwickelte, mehrstufige Prüfung. Auf der ersten Stufe sei zu beurteilen, ob der Gesetzgeber dem Gesetz „zivilen“ Charakter beimessen wollte.743 Wäre die gesetzgeberische Absicht gewesen, eine Strafe zu verhängen, so wäre die Prüfung im Sinne einer Anwendbarkeit des Rückwirkungsverbots beendet. Wäre die Absicht hingegen die Verabschiedung einer zivilen, nicht-punitiven Regelung gewesen, so müsste weiter geprüft werden, ob die Regelung unter Berücksichtigung ihres Zwecks oder ihrer Wirkung dieser erklärten Absicht entgegensteht.744 Ein solches Entgegenstehen müsste klar erwiesen („clearest proof“) sein.745 Die Absicht des Gesetzgebers von Alaska, mit dem Gesetz eine nicht-punitive Regelung zu schaffen, begründet der U.S. Supreme Court mit dem vom Gesetzgeber erklärten Zweck, es diene (allein) dem Schutz der Bevölkerung.746 Für dieses Ergebnis spreche auch die systematische Verankerung des ASORA, durch welche das Fehlen einer Absicht zur Verhängung von Strafe deutlich werde.747 Zur Beurteilung von tatsächlichem Zweck und Wirkung der Veröffentlichung von Täterdaten wendet das Gericht den sog. Mendoza-Martinez-Test748 an, der sieben Merkmale zur Einstufung einer Maßnahme als „Strafe“ überprüft. Dazu der U.S. Supreme Court: „The factors most relevant to our analysis are whether, in its necessary operation, the regulatory scheme: has been regarded in our history and traditions as a punishment; imposes an affirmative disability or restraint; promotes the traditional aims of punishment; has a rational connection to a nonpunitive purpose; or is excessive with respect to this purpose.“ 749

Da das gegenständliche Gesetz jüngeren Ursprungs sei, könne ein historisch begründetes Verständnis von seinem Strafcharakter nicht existieren.750 Dem Einwand der Kläger, die im Gesetz geregelten Maßnahmen ähnelten Schamstrafen (shaming punishments) aus Kolonialzeiten, begegnet das Gericht mit dem Argument, klassische Schamstrafen hätten ihre Wirkung durch öffentliche Zurschaustellung der Straftäter erfahren, während das Gesetz Alaskas seine stigmatisierende Wirkung allein durch die Verteilung zutreffender Informationen über begangene Straftaten erreiche. Die Verbreitung von wahren Informationen zur Erreichung eines legitimen 743 538 U.S. 84, 92 (2003) unter Berufung auf Kansas v. Hendricks, 521 U.S. 346, 361 (1997). 744 538 U.S. 84, 92 (2003) unter Berufung auf Kansas v. Hendricks, 521 U.S. 346, 361 (1997) und United States v. Ward, 448 U.S. 242, 248 f. (1980). 745 538 U.S. 84, 92 (2003) unter Berufung auf Hudson v. United States, 522 U.S. 93, 100 (1997) und United States v. Ward, 448 U.S. 242, 249 (1980). 746 538 U.S. 84, 92 (2003) unter Verweis auf das Urteil zu Kansas v. Hendricks, 521 U.S. 346, 363 (1997), in dem es um die vorübergehende Ingewahrsamnahme von als gefährlich eingeschätzten entlassenen Sexualstraftätern ging. 747 538 U.S. 84, 94 f. (2003). 748 Vgl. Kennedy v. Mendoza-Martinez, 372 U.S. 144, 168 f. (1963). 749 538 U.S. 84, 97 (2003). Für nicht relevant hielt der U.S. Supreme Court die letzten beiden Faktoren: „whether the regulation comes into play only on a finding of scienter and whether the behavior to which it applies is already a crime“, vgl. 538 U.S. 84, 105 (2003). 750 538 U.S. 84, 97 (2003).

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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Ziels werde im US-System nicht als Strafe angesehen. Transparenz sei vielmehr konstitutiv für das Strafrechtssystem.751 Der Zweck auch der Veröffentlichung im Internet bestehe vorrangig in der Aufklärung der Bevölkerung für ihre eigene Sicherheit, nicht hingegen in der Erniedrigung des Straftäters.752 Als zweiten Faktor untersucht der U.S. Supreme Court die dem betroffenen Straftäter durch das ASORA auferlegten Beeinträchtigungen. Das Gesetz belaste den Betroffenen nicht mit physischen Beschränkungen, weshalb es nicht mit der Freiheitsstrafe als exemplarischer Beeinträchtigung vergleichbar sei.753 Die vom ASORA auferlegten Pflichten seien zudem weniger einschneidend als Berufsverbote – welche das Gericht in der Vergangenheit für nicht-punitiv erachtet hatte754 –, weil der betroffene Straftäter sowohl Arbeit als auch Wohnort frei wählen könne.755 Auch wenn die öffentliche Verfügbarkeit von Täterdaten eine anhaltende und schmerzliche Wirkung für den Betroffenen haben könne, folge dies nicht aus dem die Veröffentlichung gestattenden Gesetz, sondern aus der Tatsache der Verurteilung, die bereits öffentlich bekannt sei.756 Hinsichtlich der Förderung traditioneller Strafzwecke durch das ASORA hatte der Bundesstaat Alaska zugestanden, dass dem Gesetz auch eine abschreckende Wirkung zukommen könnte. Auf Grundlage dieses Zugeständnisses hatten die ursprünglich klagenden Straftäter vorgebracht, das Gesetz habe Strafcharakter, da Abschreckung ein Ziel von Strafe sei. Der U.S. Supreme Court hält dem entgegen, dass eine abschreckende Wirkung Nebenprodukt einer Vielzahl von staatlichen Maßnahmen sei, ohne dass diese zugleich Strafen seien.757 Obwohl das Gesetz bei der Dauer der Registrierungspflichten allein an die Schwere der begangenen Tat und nicht an die individuelle Gefährlichkeit des Täters nach Entlassung anknüpfe, komme ihr auch kein Vergeltungscharakter zu, da der Schluss von der begangenen Tat auf die vom Täter ausgehende Gefahr zulässig sei.758 Entsprechend fördere das ASORA keine traditionellen Strafzwecke. Das Gesetz weist aus Sicht des U.S. Supreme Court mit dem Ziel der Förderung der öffentlichen Sicherheit auch einen hinreichend starken Bezug zu einem nicht-

751

538 U.S. 84, 98 f. (2003). 538 U.S. 84, 99 (2003). 753 538 U.S. 84, 100 (2003). 754 Vgl. zum Verbot der Weiterbeschäftigung im Bankensektor Hudson v. United States, 522 U.S. 93, 100 (1997); zum Verbot der Mitarbeit in einer Gewerkschaft De Veau v. Braisted, 363 U.S. 144 (1960); sowie zum Entzug einer Arztzulassung Hawker v. New York, 170 U.S. 189 (1898). 755 538 U.S. 84, 100 (2003). 756 538 U.S. 84, 101 (2003). 757 538 U.S. 84, 102 (2003). 758 538 U.S. 84, 102 (2003). 752

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

punitiven Zweck auf. Dass das ASORA für die Erfüllung dieses Ziels möglicherweise nicht die perfekten Mittel wählte, ändere hieran nichts.759 Bei der Beurteilung des letzten relevanten Mendoza-Martinez-Kriteriums, nämlich ob dieses Ziel womöglich mit exzessiven, d. h. unangemessenen Mitteln verfolgt werde, berücksichtigt das Gericht zwei Aspekte: erstens, dass das Gesetz Anwendung auf alle Sexualstraftäter ohne Ansehung ihrer zukünftigen Gefährlichkeit findet; zweitens, dass das ASORA einer unbegrenzten Anzahl von Menschen Zugang zu Täterdaten gestattet. Zum ersten Aspekt führt der U.S. Supreme Court aus, eine individuelle Risikoprognose sei angesichts des relativ geringen Eingriffs in die Rechte der Betroffenen durch das gegenständliche Gesetz entbehrlich, eine Einschätzung der Straftäter nur nach ihren Vorstrafen begründe nicht den Strafcharakter des Gesetzes.760 Auch die freie Zugänglichkeit der Daten im Internet hält das Gericht nicht für unangemessen, da der Bürger zu ihrer Kenntnisnahme selbst aktiv werden müsse und die Mobilität in den Vereinigten Staaten eine grenzüberschreitende Informationsmöglichkeit erfordere.761 Dieser Subsumtion unter die Mendoza-Martinez-Kriterien folgend kommt die Mehrheit des U.S. Supreme Court zu dem Ergebnis, dass das ASORA mangels Strafcharakters nicht dem Rückwirkungsverbot genügen musste. (bb) Die abweichenden Meinungen der Richter Stevens, Ginsburg und Breyer Die Entscheidung des U.S. Supreme Court erging mit sechs zu drei Stimmen. Richter Stevens nennt in seiner dissenting opinion zur Gerichtsmehrheit drei Merkmale, die – weil kumuliert – keine Zweifel am punitiven Charakter des ASORA zuließen („It is clear beyond peradventure…“): Die auferlegten Sanktionen seien gravierende Freiheitsbeschränkungen – hier zählt Stevens Fälle von Bedrohungen, Angriffen und Arbeitsplatzverlust auf –, sie träfen jeden, der wegen eines bestimmten Delikts verurteilt wurde, und belasteten ausschließlich diese Straftäter. Die Verurteilung sei mithin sowohl eine notwendige als auch eine hinreichende Bedingung für die Registrierung und Veröffentlichung der Täterdaten.762 Richterin Ginsburg, der Richter Breyer beipflichtet, zweifelt bereits daran, ob der Gesetzgeber Alaskas mit dem ASORA nicht ein Gesetz mit Strafcharakter schaffen wollte.763 Hinsichtlich der Mendoza-Martinez-Prüfung knüpft sie an die Ausführungen des Richters Stevens an, insbesondere an dessen Feststellung, die Veröffentlichung von Täterdaten setze die Betroffenen großer Erniedrigung und Ausgrenzung aus. Sie hält entsprechend die Beeinträchtigung der betroffenen Straftäter

759 760 761 762 763

538 U.S. 84, 103 (2003). 538 U.S. 84, 104 (2003). 538 U.S. 84, 105 (2003). 538 U.S. 84, 112 (2003). 538 U.S. 84, 114 f. (2003).

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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i.S.d. Kriteriums „affirmative disability or restraint“ für erheblich.764 Ginsburg sieht die Veröffentlichung von Täterdaten auch nah an den historischen Schamstrafen, weil sie im Falle des ASORA allein an die Tat, nicht aber an die aktuelle Gefährlichkeit des Täters anknüpften. Dadurch entstehe der Eindruck, dass die Veröffentlichung eher vergangene Schuld sühnen als zukünftige Verbrechen verhindern solle.765 Entscheidend für Ginsburg ist aber, dass sie die vom Gesetz gestatteten Maßnahmen für unangemessen zur Erreichung des gesetzten Zieles hält.766 Denn das ASORA gelte eben für alle Sexualstraftäter gleichermaßen und differenziere nicht nach deren zukünftiger Gefährlichkeit.767 Insbesondere die Dauer der Registrierungspflichten und die Frequenz der Rückmeldungen unabhängig von einer solchen individuellen Gefährlichkeitsprognose zu begründen, wiege schwer. Auch für eine Rehabilitierung lasse das Gesetz keinen Raum.768 (cc) Ergebnis Die Richter des U.S. Supreme Court vertreten an mehreren Punkten ihrer materiell-rechtlichen Prüfung des Strafcharakters der „community notifications“ unterschiedliche Auffassungen. Hervorzuheben ist die umstrittene Frage, ob die Anknüpfung solcher staatlicher Maßnahmen allein an die Anlasstat diesen Strafcharakter begründen kann. Das entsprechende Argument Ginsburgs hat einige Überzeugungskraft, die auch im Kontext des Grundgesetzes angestrengt werden kann. (b) „Strafe“ i.S.d. Art. 103 Abs. 2 und 3 GG Unter welchen Voraussetzungen ist also eine staatliche Warnung vor einem entlassenen Straftäter für diesen eine „Strafe“ i.S.d. Art. 103 Abs. 2 und 3 GG? Die Voraussetzungen für eine – würdewidrige und damit nach Art. 1 Abs. 1 GG stets unzulässige – Prangerstrafe (vom U.S. Supreme Court als „shaming punishment“ bezeichnet) wurden bereits erläutert.769 Unterhalb dieses Extrems wäre die staatliche Warnung mit der Prangerstrafe freilich noch am ehesten strukturell vergleichbar, wie auch die Richterin Ginsburg in ihrer oben wiedergegebenen abweichenden Meinung betont; eine solche Vergleichbarkeit ist aber – wie bereits erwähnt – im Rahmen des Art. 103 GG kein entscheidendes Kriterium770. Eine Ähnlichkeit zu heute noch vollstreckten Strafformen liegt nicht vor: Wie auch der Supreme Court erklärt, besteht wegen fehlender physischer Wirkungen der Warnung keine Vergleichbarkeit zur Freiheitsstrafe. Denn zwar mag sich der Betroffene dann, wenn er als Straftäter ohne Weiteres identifizierbar ist, Schwierigkeiten z. B. beim Abschluss eines 764 765 766 767 768 769 770

538 U.S. 84, 115 (2003). 538 U.S. 84, 116 (2003). 538 U.S. 84, 116 (2003). 538 U.S. 84, 116 f. (2003). 538 U.S. 84, 117 (2003). Vgl. dazu oben C.IV.1.b)bb)(1). BVerfGE 109, 133, 176; 128, 326, 392.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Mietvertrags gegenüber sehen; diese Beschränkungen stehen jedoch mit dem Entzug der körperlichen Bewegungsfreiheit durch eine Gefängnisstrafe nicht auf einer Stufe. Ebenso wenig rechtfertigen etwaige Schwierigkeiten bei der Arbeitsplatzsuche eine Gleichstellung der Warnung mit der Geldstrafe. Gleichviel dürfte unbestritten sein, dass die Auswirkungen einer staatlichen Warnung für den betroffenen Straftäter bisweilen gravierend sein und jedenfalls in ihrer belastenden Wirkung den bekannten Strafarten gleichstehen können. (aa) Eigenständige Hauptstrafe, Nebenstrafe oder Nebenfolge Damit ist zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen die staatliche Warnung vor einem entlassenen Straftäter als eine – neben der Freiheits- und Geldstrafe bzw. dem Fahrverbot (§ 44 StGB) und dem Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts (§ 45 StGB) stehende – eigenständige Hauptstrafe, Nebenstrafe oder Nebenfolge einzustufen wäre, die den Schranken-Schranken des Art. 103 Abs. 2 und 3 GG unterläge. Wie bereits dargelegt ist eine Strafe im Sinne der genannten Vorschrift „im Gegensatz zur reinen Präventionsmaßnahme dadurch gekennzeichnet, daß sie – wenn nicht ausschließlich, so doch auch – auf Repression und Vergeltung für ein rechtlich verbotenes Verhalten abzielt“.771 Eine ausdrückliche Aufnahme der staatlichen Warnung in den Strafenkatalog der §§ 38 ff. StGB wäre ein kaum widerlegbares Indiz für eine solche Zielsetzung. Würde ein solcher Weg jedoch nicht gewählt, so wäre hierdurch die Prüfung der Strafqualität nicht beendet.772 Entscheidend ist für das BVerfG vielmehr gerade, ob die untersuchte staatliche Maßnahme auch eine repressive Funktion erfüllt.773 Für die Sicherungsverwahrung hatte das BVerfG erklärt, dass sie deshalb nicht als Strafe einzustufen ist, weil die „rechtswidrige und schuldhafte Straftat zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung“774 für ihre Anordnung ist. Aus dieser Formulierung wird deutlich, dass umgekehrt eine Strafe dann vorliegt, wenn eine rechtswidrige und schuldhafte Straftat alleinige Voraussetzung für eine staatliche Maßnahme ist. Für diesen Umkehrschluss spricht auch das weiter vom BVerfG vorgetragene, maßgebliche Abgrenzungsmerkmal der Sicherungsverwahrung gegenüber der Freiheitsstrafe: die „in die Zukunft gerichtete[] prognostische[] Bewertung zukünftiger Gefährlichkeit“.775 Erst diese qualifiziert die Sicherungsverwahrung überhaupt als präventive Maßnahme und öffnet eine systematische Tür für eine Qualifikation dieser der Freiheitsstrafe – nach außen und hinsichtlich ihrer Wirkungen auf den Straftäter – sehr ähnlichen Maßnahme als eine „Nicht-Strafe“ i.S.d. Art. 103 Abs. 2 und 3 GG. 771

BVerfGE 20, 323, 331. Nur deshalb überprüft das BVerfG die langfristige Sicherungsverwahrung umfänglich auf ihren Strafcharakter hin, vgl. BVerfGE 109, 133, 167 ff. 773 BVerfGE 109, 133, 174. 774 BVerfGE 109, 133, 174 f. 775 BVerfGE 109, 133, 175. 772

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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Auch die Senatsmehrheit des U.S. Supreme Court in Smith et al. v. Doe et al. hatte bei ihrer Einstufung der „community notifications“ als „zivile“ Maßnahme darauf hingewiesen, dass eine Voraussetzung für die Warnung erkennbar die von den betroffenen Straftätern ausgehende erhöhte Gefahr sei. Anders als die Richter Stevens, Ginsburg und Breyer ließ es die Senatsmehrheit auch ausreichen, dass für die Bestimmung der Gefährlichkeit allein auf die begangene Straftat, nicht jedoch auf die individuelle Gefährlichkeit abgestellt wird. Die drei abweichenden Richter vertraten hingegen die Auffassung, dass das Absehen von einer individuellen Gefährlichkeitsprognose nur eine Qualifikation der „community notifications“ als Strafe zuließe. (bb) Individuelle Gefährlichkeitsprognose als ausschlaggebendes Kriterium für den (fehlenden) Strafcharakter Man könnte aus den Aussagen des BVerfG den Schluss ziehen, dass den drei namentlich genannten Richtern insoweit auch für das deutsche Recht zu folgen ist und die individuelle Gefährlichkeitsprognose für das ausschlaggebende Kriterium zur Verneinung des Strafcharakters einer Maßnahme halten. Denn ohne diese Prognose wäre die Straftat zugleich notwendige und hinreichende Bedingung für die staatliche Warnung. Entsprechend könnte man den Schluss ziehen, dass staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern dann als „Strafe“ i.S.d. Art. 103 Abs. 2 und 3 GG zu qualifizieren wären, wenn sie nicht von einer individuellen Gefährlichkeitsprognose abhängen, sondern zu Lasten jeder Person ausgesprochen würden, die eine bestimmte Art von Straftat begangen hat.776 Allerdings kennt das deutsche Recht eine Maßregel, die nicht wie die Sicherungsverwahrung stets an die individuelle Gefährlichkeit des Straftäters, sondern in einem Fall allein an die von ihm begangene Straftat anknüpft, und deren Qualifikation als „Strafe“ i.S.d. Art. 103 Abs. 2 und 3 GG zumindest zweifelhaft ist: Die nach § 68 f Abs. 1 StGB eintretende Führungsaufsicht trifft jeden sog. Vollverbüßer, der die dort genannten Voraussetzungen erfüllt. Zwar wurde beim Vollverbüßer bereits im Rahmen der Prüfung der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung (§ 57 StGB) einmal eine ungünstige Gefährlichkeitsprognose gestellt, sodass dem § 68 f Abs. 1 StGB durchaus ein individuelles Moment innewohnt. Diese Prognose wird jedoch nicht zum Zeitpunkt der Entlassung erstellt, sodass die Führungsaufsicht nach § 68 f Abs. 1 StGB nicht an die individuelle Gefährlichkeit des Betroffenen bei Entlassung anknüpft. Auch die negative Legalprognose des § 68 f Abs. 2 StGB – d. h. das Entfallen der Führungsaufsicht, (nur) wenn vom Verurteilten auch ohne die Führungsaufsicht keine Straftaten mehr zu erwarten sind – ist mit der positiven Gefährlichkeitsprognose der §§ 66 ff. StGB nicht vergleichbar. Denn einzige posi-

776 Dass eine derartige Konzeption möglicherweise gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip sowie das Willkürverbot verstieße, ist für die Qualifikation als „Strafe“ i.S.d. Art. 103 Abs. 2 und 3 GG nicht relevant; vgl. dazu aber unten C.IV.2.c) sowie C.IV.3.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

tive Voraussetzung bleibt weiter allein die Straftat – trifft das Gericht keine anderslautende Entscheidung, tritt die Führungsaufsicht „automatisch“ ein. Soweit ersichtlich hat sich das BVerfG nur einmal mit dem Strafcharakter der nach § 68 f Abs. 1 StGB eintretenden Führungsaufsicht beschäftigt: Das Gericht hatte seinerzeit darüber zu befinden, ob der Eintritt der Führungsaufsicht nach § 68 f Abs. 1 StGB ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot nach Art. 103 Abs. 3 GG ist.777 Dazu führte es aus, eine derartige Maßnahme sei eine „an konkrete gesetzlich bestimmte Voraussetzungen geknüpfte Nebenfolge[] der Verurteilung (vgl. auch § 45 Abs. 1 StGB)“.778 Bei den strafrechtlichen Nebenfolgen des ersten Titels des dritten Abschnitts des StGB ist jedoch im Schrifttum einhellige Meinung, dass sie in den Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 2 und 3 GG fallen.779 Diese Auffassung deckt sich mit der auch vom BVerfG vertretenen Ansicht, dass Art. 103 Abs. 2 und 3 GG nicht nur auf den Straftatbestand, sondern auch auf die Rechtsfolgen der Tat Anwendung finden müsse.780 Auch in besagtem Urteil zu § 68 f Abs. 1 StGB geht das BVerfG offensichtlich von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des Art. 103 Abs. 3 GG aus, wenn es den behaupteten Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot allein deshalb ablehnt, weil der Eintritt der Führungsaufsicht nach jener Vorschrift „für den Betroffenen ohne weiteres erkennbar“ sei781.782 § 68 f Abs. 1 StGB ist also tatsächlich „Strafe“ i.S.d. Art. 103 Abs. 2 und 3 GG. Aus dem Gesagten ergibt sich Folgendes: Knüpft eine den entlassenen Straftäter belastende staatliche Maßnahme allein an die begangene Straftat an, nicht aber an die individuelle Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt seiner Entlassung, ist sie – wenn nicht selbst Haupt- oder Nebenstrafe – zumindest Nebenfolge der Straftat und fällt deshalb in den Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 2 und 3 GG. Dass mit der Maßnahme präventive Zwecke erfüllt werden, ist für diese Einstufung unschädlich, 777 Vgl. allgemein zu dem Problem der Doppelbestrafung durch die Häufung von Strafen mit einer oder gar mehreren Maßregeln der Besserung und Sicherung Ostendorf, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, Vorbemerkungen zu den §§ 68 bis 68 g Rn. 15. 778 BVerfGE 55, 28, 30. 779 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 12/1992, Art. 103 Abs. 2 Rn. 197; Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2011, Art. 103 Rn. 24; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2008, Art. 103 II Rn. 20; Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 103 Rn. 58. 780 Für Art. 103 Abs. 2 GG vgl. BVerfGE 25, 269, 285 f. 781 BVerfGE 55, 28, 30. 782 Entsprechend muss ein Urteil des OLG Hamm sehr kritisch gesehen werden (Beschl. v. 13.11.2007 – 4 Ws 496 u. 498/07): Seit dem 18. 04. 2007 erfasst § 68 f Abs. 1 StGB auch Straftäter, gegen die eine Gesamtfreiheitsstrafe (zuvor: nur Einzelstrafe) von mindestens zwei Jahren vollständig vollstreckt wurde. Ein vor Inkrafttreten der Änderung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren Verurteilter brachte vor, die Anwendung der Vorschrift zu seinen Lasten verstoße gegen das Rückwirkungsverbot. Das OLG Hamm hielt jedoch Art. 103 Abs. 2 GG mangels Strafcharakters des § 68 f Abs. 1 StGB fälschlich für nicht anwendbar. Auf dieses Urteil näher einzugehen ist hier leider kein Raum.

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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da der Maßnahme durch die monokausale Verknüpfung mit der Straftat zumindest auch ein repressives Element innewohnt. Es kommt damit auch nicht darauf an, ob man – wie die Senatsmehrheit des U.S. Supreme Court in Smith et al. v. Doe et al. – die Anknüpfung nur an die Straftat für ausreichend hält, um auf die individuelle Gefährlichkeit des Betroffenen zu schließen. Denn selbst wenn dieser Schluss zulässig wäre, könnte man eine Maßnahme auf Grund einer solchen Vorschrift nicht hinreichend von einer Strafe oder Nebenfolge unterscheiden, sodass ein Bedürfnis für eine Anwendung des Art. 103 Abs. 2 und 3 GG weiterhin bestünde. (3) Ergebnis Würden staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern allein von einer rechtswidrigen und schuldhaften Straftat, nicht aber von einer individuellen Gefährlichkeitsprognose abhängig gemacht, so müsste die Warnung als „Strafe“ i.S.d. Art. 103 Abs. 2 und 3 GG qualifiziert werden – genauer wäre sie Nebenfolge der Tat i.S.d. §§ 45 ff. StGB – und fiele in den Anwendungsbereich dieser Normen.783 Unter dieser Voraussetzung wären die in der Vorschrift niedergelegten SchrankenSchranken einzuhalten. bb) Einzuhaltende Schranken-Schranken Wäre der Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 2 und 3 GG eröffnet, so müssten bei der Ausgestaltung der Regelung deren Garantien beachtet werden, namentlich das Gesetzlichkeitsprinzip, das Rückwirkungsverbot, das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot sowie das Doppelbestrafungsverbot. (1) Das Gesetzlichkeitsprinzip Art. 103 Abs. 2 GG formuliert einen strafrechtlichen Gesetzesvorbehalt. Die Strafbarkeit einer Handlung muss sich aus dem Parlamentsgesetz selbst ergeben.784 Zwar können Administrativakte wie Rechtsverordnungen785 oder Satzungen786 in Bezug genommen werden – diesen dürfen „aber nur ,Spezifizierungen‘ des Straftatbestandes verbleiben“.787 783

So i.E. wohl auch Walther, MSchKrim 1997, 199, 218, wobei nicht ganz deutlich wird, ob sie den aus ihrer Sicht deutlichen Strafcharakter der US-amerikanischen Warnsysteme auch unter Zugrundelegung des Begriffs von „Strafe“ in Art. 103 GG bejahen würde. 784 BVerfGE 14, 174, 185 f.; 75, 329, 342; 87, 399, 411; 95, 96, 131; Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 1193; Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2011, Art. 103 Rn. 26. 785 BVerfGE 14, 174, 185 f.; 78, 374, 382. 786 BVerfGE 32, 346, 362. 787 Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 1193; vgl. auch Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2011, Art. 103 Rn. 28.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Hätten staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern Strafcharakter, so müssten die wesentlichen Voraussetzungen und Folgen entsprechend in einem Parlamentsgesetz bestimmt werden. (2) Das Rückwirkungsverbot Weiter wäre das Rückwirkungsverbot einzuhalten. Ein Verstoß gegen dieses Verbot könnte nicht gerechtfertigt werden: Es ist im Gegensatz zum allgemeinen Vertrauensschutzgebot aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art 20 Abs. 3 GG der Abwägung nicht zugänglich.788 In dieser Ausprägung bewahrt Art. 103 Abs. 2 GG „den Bürger nicht nur davor, daß ein bisher erlaubtes Verhalten rückwirkend für strafbar erklärt wird; er schützt ihn auch davor, daß der Unrechtsgehalt einer von ihm begangenen Zuwiderhandlung gegen das Strafgesetz bei seiner Verurteilung höher bewertet wird als zur Zeit der Tat.“789 Entsprechend wird von Art. 103 Abs. 2 GG auch die rückwirkende Strafverschärfung umfasst.790 Infolgedessen sind auch rückwirkende Nebenfolgen der Straftat einzubeziehen, soweit sie zusätzliche Belastungen für den Betroffenen aufstellen.791 Diese Vorstellung hatte offensichtlich auch der Bundesgesetzgeber bei der Formulierung von § 2 Abs. 1 StGB: „Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.“ Eine unter Art. 103 Abs. 2 GG fallende Regelung für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern dürfte folglich nicht rückwirkend angewendet werden, sondern bliebe auf solche Straftäter beschränkt, die nach Inkrafttreten der Norm straffällig werden.792 (3) Das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot Auch ein Verstoß gegen das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot kann nicht gerechtfertigt werden793, es wäre also unbedingt einzuhalten. Von Schmidt-Aßmann als „Kern des Art. 103 Abs. 2 GG“ bezeichnet794, geht das strafrechtliche über das

788 BVerfGE 109, 133, 171 f.; vgl. auch schon BVerfGE 30, 367, 385; zustimmend statt vieler Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 1201. 789 BVerfGE 25, 269, 286. 790 BVerfGE 81, 132, 135. 791 Noch mal ausdrücklich für das Rückwirkungsverbot: Schmidt-Aßmann, in: Maunz/ Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 12/1992, Art. 103 Abs. 2 Rn. 244; Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 2010, § 2 StGB Rn. 4. 792 Vgl. näher zu den zeitlichen Fragen Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 12/1992, Art. 103 Abs. 2 Rn. 242 f. 793 Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 1201, allerdings unter Anstrengung von BVerfGE 109, 133, 171 f., das sich ausdrücklich nur auf das Rückwirkungsverbot bezieht. 794 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 12/1992, Art. 103 Abs. 2 Rn. 178.

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allgemeine Bestimmtheitsgebot795 noch hinaus796. Die Vorschrift verlangt, dass der Normadressat aus dem Strafgesetz erkennen können muss, ob sein Verhalten strafbar ist oder nicht797 (sog. freiheitsgewährleistende Funktion798). Daneben erfüllt Art. 103 Abs. 2 GG eine kompetenzwahrende Funktion, indem die Bestimmungsmacht dem Parlament in die Hände gelegt wird.799 Das Bestimmtheitserfordernis erstreckt sich dabei auf Tatbestand wie Strafandrohung.800 Wie auch beim allgemeinen gilt beim strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot, dass der Gesetzgeber „die Strafbarkeitsvoraussetzungen [] um so genauer festlegen und präziser bestimmen [muss], je schwerer die von ihm angedrohte Strafe ist“.801 Handelt es sich um eine für den entlassenen Straftäter ggf. sehr einschneidende Maßnahme wie die staatliche Warnung vor seiner Person802, besteht mithin ein gesteigertes Bedürfnis zu detaillierter Regelung. Dies umso mehr dann, wenn eine neue Form der Nebenfolge geschaffen wird, die zwar mit den bereits in § 45 StGB geregelten Nebenfolgen ihre Ähnlichkeit zu historischen „Ehrenstrafen“803 gemeinsam haben mag, mit der aber gleichwohl Neuland betreten würde. Entsprechend müsste genau bestimmt sein, welche Straftäter diese neue Nebenfolge trifft und wie sie im Einzelnen ausgestaltet ist. Eine Rechtsvorschrift müsste insbesondere bestimmen, vor welchen Straftätern (nach Art und/oder Schwere der Straftat) auf welche Art und Weise (über welches Medium, welche Dauer) wer (Einzelpersonen mit begründetem Interesse, das unmittelbare Umfeld, das weitere soziale Umfeld, jedermann) wie lange (begrenzt, lebenslang) durch wen (die Polizei, die Gemeinden) gewarnt werden soll.804 Nur wenn alle diese Aspekte geregelt würden, wäre dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot Genüge getan.

795

Vgl. dazu unten C.IV.2.b)aa). Dazu ausführlich Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 12/ 1992, Art. 103 Abs. 2 Rn. 185. 797 BVerfGE 105, 135, 152 f.; 92, 1, 12; 78, 374, 382; 47, 109, 120. 798 BVerfGE 117, 71, 111 m.w.N. 799 BVerfGE 105, 135, 153 m.w.N. 800 BVerfGE 105, 135, 152 f. 801 BVerfGE 75, 329, 342 m.w.N.; vgl. auch BVerfGE 105, 135, 155 f.; 126, 170, 196. Zu den Anforderungen des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots im Einzelnen vgl. BVerfGE 126, 170, 194 ff. 802 Zu den möglichen Wirkungen der staatlichen Warnung vgl. oben C.II.1. 803 Zur Ähnlichkeit der Nebenfolgen zu den „Ehrenstrafen“ Nelles, JZ 1991, 17, 19; Albrecht, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 45 Rn. 1. 804 Zur Relevanz auch der Zuständigkeit beim allgemeinen Bestimmtheitsgebot vgl. BVerfGE 118, 168, 188; das muss dann aber entsprechend für das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot als dem strengeren Verfassungsgrundsatz erst recht gelten. 796

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

(4) Das Doppelbestrafungsverbot Schließlich ist in Art. 103 Abs. 3 GG das Verbot festgeschrieben, einen Straftäter wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals zu bestrafen, sog. Doppelbestrafungsverbot. Durch Nebenfolgen wie den in § 45 StGB oder § 68 f Abs. 1 GG geregelten wird jedoch der Straftäter nicht „mehrmals“ bestraft. Denn sie treten unter konkreten gesetzlich bestimmten Voraussetzungen im Anschluss an die Verurteilung ein, und sind, „ohne daß es insoweit eines richterlichen Ausspruchs bedarf, für den Betroffenen ohne weiteres erkennbar“.805 Sofern also die staatliche Warnung vor einem entlassenen Straftäter automatisch aus der Verurteilung resultierte – und diese Prämisse war Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Art. 103 Abs. 2 und 3 GG806 –, wäre sie keine erneute Bestrafung i.S.d. Art. 103 Abs. 3 GG, sodass ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot nicht in Betracht käme.807 Die „erneute soziale Sanktion“808, die der Veröffentlichung der personenbezogenen Daten des Straftäters innewohnt, wird allein im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung relevant809. b) Einhaltung des allgemeinen Bestimmtheitsgebots und Beachtung des Vertrauensschutzes Wenn die staatliche Warnung vor einem entlassenen Straftäter von dessen individueller Gefährlichkeit zum Zeitpunkt der Entlassung abhängig gemacht würde, fiele die entsprechende Rechtsgrundlage nicht in den Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 2 und 3 GG. Das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG fände damit ebenso wenig Anwendung wie das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 3 GG. Statt dieser müssten jedoch das allgemeine Bestimmtheitsgebot sowie der Grundsatz des Vertrauensschutzes berücksichtigt werden. aa) Das allgemeine Bestimmtheitsgebot Das allgemeine Bestimmtheitsgebot810 folgt in erster Linie aus dem Gebot der Rechtssicherheit811, welches wiederum Ausfluss des in Art. 20 Abs. 3 GG veran805

BVerfGE 55, 28, 30. Vgl. oben C.IV.2.aa)b). 807 Haben die staatlichen Warnungen keinen Strafcharakter, sondern sind sie tatsächlich als Maßregel der Besserung und Sicherung und nicht als Nebenfolge einzuordnen, kommt eine Anwendung des Art. 103 Abs. 3 GG ohnehin nicht in Betracht, vgl. BVerfGE 109, 133, 167 ff.; wohl in diesem Sinne verneinen für solche Fälle auch Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 381 f., und Baur/Burkhardt/Kinzig, JZ 2011, 131, 138, einen Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot. 808 BVerfGE 35, 202, 234. 809 Vgl. zu dieser unten C.IV.2.c). 810 Zu dessen Charakter als Schranken-Schranke Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 325. 806

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kerten Rechtsstaatsprinzips ist.812 Ihm zufolge müssen grundrechtsrelevante Normen „in ihren Voraussetzungen und in ihrem Inhalt so klar formuliert sein [], daß die Rechtslage für den Betroffenen erkennbar ist und er sein Verhalten danach einrichten kann“813, dass weiter der Verwaltung hinreichend klare Maßstäbe für ihre Abwägungsentscheidungen bereitgestellt und schließlich die Gerichte in die Lage versetzt werden, die Verwaltung anhand dieser Maßstäbe zu kontrollieren.814 Insoweit stellt das allgemeine – wie das strafrechtliche – Bestimmtheitsgebot auch sicher, dass der demokratisch legitimierte Parlamentsgesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über Grundrechtseingriffe und deren Reichweite selbst trifft.815 Dass unbestimmte Vorschriften auch regelmäßig gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen dürften, weil sie mehr Eingriffe zulassen, als zur Erreichung des gesetzten Ziels erforderlich wären, nimmt dem Bestimmtheitsgebot nicht seinen eigenständigen Wert als Garantie der Vorhersehbarkeit staatlicher Eingriffe.816 Das gebotene Maß an Bestimmtheit hängt von der Bedeutung bzw. der Eingriffsintensität der Norm einerseits, den sachlichen Eigenarten des Regelungsgegenstandes andererseits ab.817 Daraus folgt insbesondere für den Fall, dass eine Norm starke Freiheitseinschränkungen vorsieht, diese ein hohes Maß an Bestimmtheit aufweisen muss.818 Erforderlich ist damit, dass der Gesetzgeber im grundrechtsrelevanten Bereich Anlass, Zweck und Grenzen des Grundrechtseingriffs hinreichend bereichsspezifisch, präzise und normenklar festlegt.819 Die Erfüllung dieser Anforderungen schließt jedoch weder unbestimmte Rechtsbegriffe820 noch Generalklau811

Papier/Möller, AöR 122 (1997), 177, 179; Degenhart, 28. Aufl. 2012, Rn. 355. Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 11/2006, Art. 20 Abschn. VII Rn. 49 f. Daneben ergeben sich spezifische Bestimmtheitsgebote auch aus den Grundrechten selbst, vgl. Papier/Möller, AöR 122 (1997), 177, 181. Beispielhaft aus der jüngeren Rspr. BVerfGE 118, 168, 186 ff. (für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung). 813 BVerfGE 52, 1, 41; ebenso schon – im Zusammenhang mit Art. 14 GG – BVerfGE 21, 73, 79; vgl. auch BVerfGE 49, 168, 181; 62, 169, 183; 80, 103, 108 sowie Grzeszick, in: Maunz/ Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 11/2006, Art. 20 Abschn. VII Rn. 58 m.w.N.; Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 829 f., zitiert außerdem eine sehr frühe Entscheidung des BVerfG mit den einprägsamen Worten: „Wenn die Fassung eines Gesetzes seinen wirklichen Gehalt nicht zum Ausdruck bringt, wenn sie mißverständlich oder irreführend ist, oder wenn das Gesetz in sich widerspruchsvoll ist, kann es wegen Widerspruchs mit den Grundsätzen des Rechtsstaates nichtig sein.“ (BVerfGE 1, 14, 16 – LS Nr. 14). 814 BVerfGE 110, 33, 54; 113, 348, 376 f. 815 BVerfGE 120, 378, 407. 816 Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 325. 817 Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 11/2006, Art. 20 Abschn. VII Rn. 60 m.w.N. 818 Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 11/2006, Art. 20 Abschn. VII Rn. 60; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2011, Art. 20 Rn. 85. 819 BVerfGE 100, 313, 359 f.; 110, 33, 53; 113, 348, 375; 118, 168, 186 f.; 120, 378, 407 f. 820 BVerfGE 87, 234, 263 f.; 102, 254, 337 m.w.N. 812

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

seln821 oder Ermessensvorschriften822 grundsätzlich aus.823 Dass die Folge eines Verstoßes gegen das allgemeine Bestimmtheitsgebot in aller Regel – und im Unterschied zu Verstößen gegen das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot – nicht die Nichtigkeit des zu unbestimmten Gesetzes ist824, ändert nichts an der rechtsstaatlichen Pflicht zu seiner Einhaltung. Eine Regelung, die den Staat zur Übermittlung von Warnungen vor entlassenen Straftätern ermächtigt, kann für den Betroffenen mit gravierenden Freiheitsbeschränkungen einhergehen.825 Diese potentiell erheblichen Einschnitte machen es erforderlich, dass die Regelung einen besonders hohen Grad an Bestimmtheit aufweist: Der ihr möglicherweise Unterworfene muss bereits bei Begehung der Tat vorhersehen können, ob ihn über die Strafe hinaus weitere schwerwiegende Folgen durch eine staatliche Warnung bei seiner Entlassung drohen. Folglich müsste auch eine solche Rechtsvorschrift, ohne „Strafe“ i.S.d. Art. 103 Abs. 2 GG zu sein, wegen ihrer gleichen Wirkung im selben Maße wie eine Strafvorschrift Details regeln.826 Nur dann ist dem allgemeinen Bestimmtheitsgebot Genüge getan. Deshalb ist auch ein jüngeres Urteil des VG Münster827 kaum nachvollziehbar: Ein Jugendamt hatte in Erfahrung gebracht, dass sich ein zwölf Jahre zuvor wegen Kindesmissbrauchs Verurteilter bei einer Schule als Betreuer bestimmter Kinder ausgegeben hatte. Daraufhin teilte es den Eltern der betroffenen Kinder schriftlich mit, dass wegen der kriminellen Vergangenheit des späteren Klägers eine Gefährdung von Kindern durch den persönlichen Umgang mit ihm nicht auszuschließen sei.828 Das VG Münster gab der daraufhin von dem Sexualstraftäter erhobenen Klage auf Widerruf und Unterlassung von derlei Äußerungen nicht statt, sondern hielt diese für gerechtfertigt. Es stützte die Äußerungen auf § 69 Abs. 1 Nr. 1 SGB X – der eine Übermittlung von Sozialdaten i.S.d. § 35 SGB X für zulässig erklärt, soweit sie zur Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe erforderlich ist – i.V.m. § 1 Abs. 2 S. 2 SGB VIII und § 8a Abs. 1 SGB VIII, die den Schutz von Kindern zur Aufgabe des

821

BVerfGE 8, 274, 326; 13, 153, 161; 56, 1, 12. BVerfGE 8, 274, 326; 48, 210, 222; 110, 33, 54. 823 Zum Ganzen näher und m.w.N. Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 11/2006, Art. 20 Abschn. VII Rn. 62 f. 824 BVerfGE 1, 14, 45: „In extremen Fällen dieser Art könnte ein Gesetz nichtig sein …“. Vgl. auch BVerfGE 17, 67, 82 (in „Ausnahmefällen“) bzw. Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 830. 825 Vgl. dazu oben C.II.1. 826 Vgl. dazu die Ausführungen zum strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot, C.IV.2.a.bb(3). 827 Urt. v. 8.11.2007 – 9 K 1619/05. 828 Ähnlich auch ein Fall in Berlin: Polizeibeamte hatten Familien angesprochen, die in derselben Hochhaussiedlung wie ein entlassener Sexualstraftäter lebten und deren minderjährige Mädchen offenbar in Kontakt zu dem Mann standen, vgl. WELT ONLINE v. 22. 01. 2010, online unter: http://bit.ly/4GShrN (Stand: 13. 04. 2013). 822

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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Staates bzw. der Jugendhilfe erklären.829 Wenn man hierin überhaupt eine Rechtsgrundlage erblicken möchte, so ist sie jedenfalls mit Blick auf die kaum abzusehenden und potentiell äußerst schwerwiegenden Folgen solcher Äußerungen zu unbestimmt.830 bb) Der Grundsatz des Vertrauensschutzes Dem Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG entspricht im Bereich der Nicht-Strafen das Gebot des Vertrauensschutzes.831 Es schützt „das Vertrauen des Bürgers in die Kontinuität von Recht im Sinne individueller Erwartungssicherheit“832 und ist anders als das strafrechtliche Rückwirkungsverbot einer Abwägung zugänglich833. In Fällen der sog. Rückbewirkung von Rechtsfolgen (auch: „echte“ Rückwirkung) knüpft der Gesetzgeber neue Rechtsfolgen an bereits vor Inkrafttreten der Norm abgeschlossene Zeiträume.834 Derlei Gesetze sind grundsätzlich unzulässig.835 Dahingegen knüpft der Gesetzgeber in Fällen sog. tatbestandlicher Rückanknüpfung (auch: „unechte“ Rückwirkung) für die Zukunft wirkende Rechtsfolgen an Gegebenheiten, die vor Inkrafttreten des Gesetzes liegen.836 In solchen Fällen „wird den allgemeinen Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit kein genereller Vorrang vor dem jeweils verfolgten gesetzgeberischen Anliegen eingeräumt“.837 Abzuwägen ist dann das Vertrauen des Einzelnen auf die andauernde Geltung einer Norm gegen die Bedeutung des mit der Norm verfolgten Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit.838 Würden staatliche Warnungen auch hinsichtlich solcher entlassener Straftäter ausgesprochen, die bereits vor Inkrafttreten einer entsprechenden Norm verurteilt wurden, läge ein Fall tatbestandlicher Rückanknüpfung vor. Denn es würden mit der vor Inkrafttreten des Gesetzes begangenen Straftat Rechtsfolgen für die Zukunft 829 Vgl. auch OVG Lüneburg, Beschl. v. 1.06.2011 – 11 PA 156/11 –, das vorschlägt, der Staat könne auf Grundlage des § 44 Nds. SOG gefährdete Personen oder Institutionen gezielt vor einem Straftäter warnen, wenn dieser eine ehrenamtliche Tätigkeit aufnimmt, die ihm unbeaufsichtigten Kontakt mit Kindern erlaubt; das OVG scheint dabei davon auszugehen, dass die „latent“ von dem Straftäter ausgehende Gefahr für eine solche Ansprache genügt und keine konkrete Gefahrensituation erforderlich ist. 830 Auf diesen Fall wird im Rahmen der Angemessenheitsprüfung noch einmal einzugehen sein. 831 Vgl. zum Vertrauensschutz in sachlich engem Zusammenhang ausführlich BVerfGE 109, 133, 180 ff. – Langfristige Sicherungsverwahrung; auch BVerfGE 128, 326, 388 ff. 832 Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 11/2006, Art. 20 Abschn. VII Rn. 69. 833 BVerfGE 109, 133, 171 f. 834 BVerfGE 72, 200, 242. 835 BVerfGE 109, 133, 181. 836 BVerfGE 72, 200, 242. 837 BVerfGE 109, 133, 181. 838 BVerfGE 39, 128, 145 f.; 43, 242, 286; 67, 1, 15; 109, 133, 186.

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verknüpft. Das Vertrauen der Straftäter, mit Absitzen der Haft von nicht bekannten Lasten frei zu sein, wäre zerstört. Dies beträfe insbesondere solche Straftäter stark, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Rechtsgrundlage bereits entlassen worden sind. Ob eine solche unechte Rückwirkung unter Vertrauensgesichtspunkten zulässig wäre oder nicht, hinge von der soeben angesprochenen Abwägung mit dem mit der Warnung verfolgten Anliegen für das Allgemeinwohl ab. Auf diese Abwägung wird im Rahmen der Angemessenheitsprüfung des sogleich dargestellten Verhältnismäßigkeitsprinzips ausführlich eingegangen. Falls von der Rechtsgrundlage für staatliche Warnungen auch Straftäter betroffen sein sollen, die die Anlasstat bereits vor Inkrafttreten der Norm begangen haben, müsste in diesem Abwägungsprozess auch das Gebot des Vertrauensschutzes auf die Waagschale der betroffenen Straftäter geworfen werden.839 cc) Ergebnis Wegen der potentiell schwerwiegenden Folgen für den Betroffenen müsste eine Rechtsgrundlage für Warnungen vor entlassenen Straftätern in besonderem Maße inhaltlich bestimmt sein. Hinsichtlich des Gebots des Vertrauensschutzes gilt, dass Warnungen vor solchen Straftätern, die bereits vor Inkrafttreten einer Rechtsgrundlage straffällig oder sogar entlassen wurden, zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen sind, aber die Rückwirkung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zugunsten des Straftäters zu berücksichtigen wäre. c) Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips Als weitere und „vielleicht sogar zentrale Schranken-Schranke“840 kennt das deutsche Recht schließlich das Verhältnismäßigkeitsprinzip841. Danach sind Akte staatlicher Gewalt nur dann rechtmäßig, wenn sie ein legitimes Ziel verfolgen und zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und angemessen sind.842 Hieraus ergibt sich die Struktur der nachfolgenden Untersuchung. Näherer Erörterung bedarf allerdings der Prüfungsumfang: Im Rahmen des offenen Ansatzes dieser Arbeit wird untersucht, unter welchen Voraussetzungen eine Regelung für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern mit dem Grundgesetz vereinbart werden kann. Diesem Erkenntnisinteresse wäre im Grunde bereits genügt, 839 Vgl. zur Verortung des Vertrauensschutzgebots im Rahmen der grundrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung Möller/Rührmair, NJW 1999, 908, 910 f. 840 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 788. 841 Zu seiner Entstehung und Ableitung vgl. Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 762 ff., sowie v. Arnauld, JZ 2000, 276 ff. 842 BVerfGE 30, 292, 316 f.; 67, 157, 173; 80, 137, 159 ff.; 109, 133, 157 ff.; 125, 260, 316 m.w.N.; eingehend zur Struktur Merten, in: Merten/Papier, HbGR Band III, 2009, § 68 Rn. 50 ff.

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wenn die einzuhaltenden Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsprinzips abstrakt dargestellt würden. Die Arbeit wäre jedoch unvollständig, würde nicht zugleich dargelegt, ob die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips überhaupt in Betracht kommt, ob also ein legitimes Ziel gefunden werden könnte, zu dessen Erreichung staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel wären. Deshalb schließen sich an die folgenden Präzisierungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips einige Gedanken zu der Frage an, ob staatliche Warnungen die jeweils gesetzten Maßstäbe überhaupt erfüllen könnten. aa) Legitimes Ziel Staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern müssten zunächst ein legitimes Ziel verfolgen. „Legitim“ ist ein Ziel, wenn es vom Staat als solches verfolgt werden darf.843 Die Bandbreite der legitimen Ziele ergibt sich für den Gesetzgeber allein aus dem Grundgesetz und dort besonders aus den Grundrechten.844 Verfolgt also der Staat mit einer gesetzlichen Regelung das Ziel, den Grundrechten des Grundgesetzes Geltung zu verschaffen, so ist diese Zielsetzung regelmäßig legitim. Mit staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern verfolgt der Staat das Ziel, die Bevölkerung zu schützen. Konkret möchte er weitere Straftaten jener Art verhindern, derentwegen die von der Warnung betroffenen Straftäter verurteilt wurden. Warnt der Staat die Bevölkerung z. B. vor einem vor der Entlassung stehenden oder soeben entlassenen Mörder, möchte er damit in erster Linie weitere Angriffe gegen das Leben Dritter verhindern. Das vom Staat verfolgte Ziel staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern ergibt sich also allgemein aus dem Schutzzweck jener Straftatbestände, deren Täter von den Warnungen betroffen sind. Soweit – wovon auszugehen ist – die im StGB geregelten Straftatbestände ihrerseits legitime Ziele verfolgen, verfolgen auch Warnungen zur Vermeidung weiterer solcher Straftaten ein legitimes Ziel. Auf den Wert der jeweils geschützten Rechtsgüter kommt es dann erst in der Angemessenheitsprüfung an. Fraglich ist, ob darüber hinaus auch die Herstellung bloß subjektiver Sicherheit845 – also eines (gesteigerten) Sicherheitsgefühls – legitimes Ziel eines Eingriffs in Grundrechte sein kann. Denn staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern könnten auch mit dem Ziel eingeführt werden, die von der Notwendigkeit solcher Warnungen überzeugte Bevölkerung in Sicherheit zu wiegen. Dazu müsste jedoch die Erhöhung des Sicherheitsgefühls846 der Bevölkerung – negativ formuliert eine 843 Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 289; auch dazu ausführlich Merten, in: Merten/ Papier, HbGR Band III, 2009, § 68 Rn. 54 ff. 844 Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 290; vgl. auch Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 11/2006, Art. 20 Abschn. VII. Rn. 111. 845 Zu deren konstitutiven Faktoren vgl. Schewe, Sicherheitsgefühl, 2009, S. 112 ff. 846 In der Literatur ist der Pleonasmus „subjektives Sicherheitsgefühl“ verbreitet, vgl. Meyer, in: Arndt/Betz/Farahat u. a. (Hrsg.), Freiheit – Sicherheit – Öffentlichkeit, 2009, S. 111 m.w.N.

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Absenkung der personalen Kriminalitätsfurcht847 – ein als „legitimes Ziel“ anerkanntes Rechtsgut sein. Dies ist in der Literatur umstritten. Die h.M. verneint die Frage mehr oder weniger pauschal.848 Götz bemüht sich immerhin mit der kurzen Begründung, „die Erhebung kollektiver Empfindungen zum Schutzgut würde zugleich die kollektiven Ängste zum Grund staatlichen Eingreifens erheben und den Begriff der Sicherheit damit seiner aufgeklärten Rationalität berauben“.849 Meyer weist dahingegen darauf hin, dass das Sicherheitsgefühl im Strafrecht bereits als Schutzgut anerkannt wird.850 Er nennt u. a. die Strafvorschriften betreffend die Störung des öffentlichen Friedens (§§ 126 Abs. 1, 2; 130 Abs. 1, 3, 4; 140; 166 Abs. 1, 2 StGB), den Landfriedensbruch (§ 121 StGB) sowie insbesondere die Bedrohung (§ 241 StGB).851 Besonders für § 241 StGB ist tatsächlich anerkannt, dass die Vorschrift das „Gefühl der Rechtssicherheit“852, das „Gefühl der Sicherheit des einzelnen“853 bzw. das „Vertrauen des Einzelnen auf seine durch das Recht gewährleistete Sicherheit vor besonders gravierenden Bedrohungen“854 schützt. Auch zum „Stalking-Paragrafen“ § 238 StGB wird teilweise auf das „Freisein vor Furcht“ als Schutzgut verwiesen.855 Meyer entwickelt aus dem Befund des Schutzgutcharakters des Sicherheitsgefühls die Befugnis zur polizeilichen Gefahrenabwehr in eng umgrenzten Fällen.856

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Dazu genauer Meyer, in: Arndt/Betz/Farahat u. a. (Hrsg.), Freiheit – Sicherheit – Öffentlichkeit, 2009, S. 111; Schwind, Kriminologie, 21. Aufl. 2011, § 20 Rn 12 ff. 848 Vgl. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 226 f.; Möstl, Staatliche Garantie für öffentliche Sicherheit, 2002, S. 98 f.; Gusy, VVDStRL 63 (2004), 151, 181 f.; v. Arnauld, Rechtssicherheit, 2006, S. 76 in Fn. 95; Götz, in: Isensee/Kirchhof, HbStR, Band IV, 3. Aufl. 2006, § 85 Rn. 26; im polizeirechtlichen Kontext Rachor, in: Lisken/Denninger/Rachor (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, S. 409, 448/451; unklar Kötter, KJ 2003, 64, 69 f.; Schewe, Sicherheitsgefühl, 2009, S. 261 ff. 849 Götz, in: Isensee/Kirchhof, HbStR, Band IV, 3. Aufl. 2006, § 85 Rn. 26. 850 Meyer, in: Arndt/Betz/Farahat u. a. (Hrsg.), Freiheit – Sicherheit – Öffentlichkeit, 2009, S. 111, 113 ff. 851 Für Bezüge zum Sicherheitsgefühl in der Rspr. zu diesen Straftatbeständen vgl. die umfangreichen Nachweise bei Meyer, in: Arndt/Betz/Farahat u. a. (Hrsg.), Freiheit – Sicherheit – Öffentlichkeit, 2009, S. 111, 113 ff. 852 BVerfG, NJW 1995, 2776, 2777; vgl. auch schon RGSt 32, 102: „Rechtsfrieden des Bedrohten“. 853 Kühl, in: Lackner/Kühl (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2011, § 241 Rn. 1; so auch Toepel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 241 Rn. 4. 854 Eser/Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 2010, § 241 StGB Rn. 1 m.w.N. 855 Kinzig, ZRP 2006, 255, 257; ähnlich auch Schluckebier, in: Satzger/Schmitt/Widmaier (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 2009, § 238 StGB Rn. 2 (u. a. nennt er den individuellen Frieden); a.A. aber die wohl h.M., vgl. nur Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 2010, § 238 StGB Rn. 4 m.w.N. 856 Er fokussiert auf Maßnahmen der Identitätsfeststellung, vgl. Meyer, in: Arndt/Betz/ Farahat u. a. (Hrsg.), Freiheit – Sicherheit – Öffentlichkeit, 2009, S. 111, 127 ff.

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Sinnvollerweise ist zu differenzieren: Legitimes Ziel staatlicher Eingriffe ist wohl die Beseitigung bzw. Vorbeugung konkreter Beeinträchtigungen des Sicherheitsgefühls des Einzelnen.857 „Konkrete Beeinträchtigung“ bedeutet, dass das Sicherheitsgefühl eines Grundrechtsträgers spürbar und auf Grund eines konkreten Umstandes aus der Lebenswirklichkeit unter sein übliches Niveau herabgesunken ist oder herabzusinken droht. In solchen Fällen darf der Staat Maßnahmen ergreifen, die eine Wiederherstellung des Normalniveaus bzw. die Vorbeugung eines spürbaren Abfalls unter das Normalniveau anstreben und dadurch dem Betroffenen eine freie Lebensführung erlauben bzw. deren Verlust vermeiden. In diese Kategorie fallen Maßnahmen wie die Schaffung des § 241 StGB – der verhindern möchte, dass sich jemand durch die Drohung eines Dritten in Angst und Schrecken versetzt sieht und dadurch nicht mehr ungezwungen seiner Wege gehen kann –, aber auch staatlich durchgesetzte Unterlassungsansprüche z. B. von Stalking-Opfern. Im Einzelfall vorliegende Überempfindlichkeiten oder Neurosen, die bestimmte Personen regelmäßig in den beschriebenen Zustand des Verlusts subjektiver Sicherheit versetzen, können hingegen „nicht zum Maßstab rechtlicher Normierung gemacht werden“.858 Das (drohende) Abfallen des Sicherheitsgefühls unter seinen Normalzustand muss aus Sicht eines rationalen Bürgers nachvollziehbar erscheinen. Insoweit ist der Einzelne schutzwürdig und sein Schutz ein legitimes Ziel staatlicher Gewalt. Nicht legitim ist allerdings das Ziel, das allgemeine Sicherheitsgefühl der Bevölkerung anheben zu wollen. Mit diesem Argument könnte der Staat allzu leicht geneigt sein, jeder Stimmung in der Bevölkerung nachzugehen und das Wohlempfinden der Mehrheit mit die Freiheit Einzelner möglicherweise erheblich beschränkenden Maßnahmen zu steigern, wie z. B. der Erhöhung von Strafen bis hin zur bloßen Symbolgesetzgebung859. Auf derartige Gemütszustände hat der Staat mit an der objektiven Sicherheitslage ausgerichteten Maßnahmen zu reagieren, hat also im Sinne des Beispiels Strafen nur dann zu erhöhen und andere Freiheitsbeschränkungen nur dann einzuführen, wenn er sich hiervon eine Steigerung der objektiven Sicherheit erhofft. Die Frage, ob neben der Erhöhung der objektiven Sicherheit auch eine Steigerung der subjektiven Sicherheit ein legitimes Ziel staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern ist, kann folglich bejaht werden. Allerdings gilt die Einschränkung, dass vom Staat nur angestrebt werden darf, konkrete und erhebliche Beeinträchtigungen des Sicherheitsgefühls Einzelner zu beseitigen bzw. zu verhindern.

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So wohl auch Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 2 Rn. 27. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 227. 859 Zum Problem der symbolischen Gesetzgebung vgl. Hassemer, NStZ 1989, 553 ff., sowie aus jüngerer Zeit Lauterwein, Symbolische Gesetzgebung, 2006. 858

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

bb) Geeignetheit Als nächstes stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern ein geeignetes Mittel zur Verhinderung von Straftaten bzw. zur Steigerung der subjektiven Sicherheit sind. Ein Gesetz ist nicht nur dann zur Zielerreichung geeignet, wenn es den gesetzten Zweck vollständig erreicht; es genügt, dass es ihn zumindest fördert.860 In der Rechtsprechung des BVerfG ist die Geeignetheitsprüfung gar auf die Feststellung einer „eindeutige[n] Undienlichkeit der Maßnahme“861 begrenzt, es ist also allein auszuschließen, dass das gewählte Mittel „von vornherein objektiv untauglich“862, „objektiv ungeeignet[]“863 oder „schlechthin ungeeignet“864 ist.865 Zweifel gehen also zugunsten des Gesetzgebers.866 Diese weite Einschätzungsprärogative867 kommt zuvörderst dem Gesetzgeber, nicht der Judikative oder Exekutive zugute.868 Dass ein Gesetz vom BVerfG nur selten wegen fehlender Geeignetheit verworfen wird869, entbindet freilich den Gesetzgeber nicht von der Pflicht, nur solche Gesetze zu erlassen, die auf der Grundlage einer eingehenden Prognose für geeignet gehalten werden können. Der Gesetzgeber müsste sich also zur „Überwindung“ dieser Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung eingehende Gedanken dazu machen, ob er tatsächlich erwarten kann, durch staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern das von ihm gesetzte Ziel der Verhinderung von Straftaten bzw. der Steigerung der subjektiven Sicherheit zu erreichen. Wie eingangs870 dargelegt ist im Rahmen dieser Arbeit zu überprüfen, ob eine Regelung staatlicher Warnungen überhaupt der Verhinderung von Verbrechen sowie der Erhöhung des Sicherheitsgefühls Einzelner förderlich sein kann. Um dies zu beurteilen, folgen zunächst einige abstrakte Überlegungen über die Wirkungsweise von staatlichen Warnungen, bevor unter Zuhilfenahme US-amerikanischer empiri860

Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 293; Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 11/2006, Art. 20 Abschn. VII Rn. 112 m.w.N. 861 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 778. 862 BVerfGE 16, 147, 181. 863 BVerfGE 17, 306, 317. 864 BVerfGE 19, 119, 127. 865 Vgl. auch Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 778 f., oder Sachs, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 20 Rn. 151, jeweils m.w.N. 866 So auch – allerdings erst im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung – Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 297. 867 Vgl. zu den Entscheidungsspielräumen staatlicher Gewalten generell Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 11/2006, Art. 20 Abschn. VII Rn. 121 ff. m.w.N. 868 Degenhart, 28. Aufl. 2012, Rn. 404. 869 Vgl. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 20 Rn. 150 m.w.N. aus der Rspr.; auf diese Folge der Einräumung eines Prognosespielraums hat das BVerfG auch selbst hingewiesen, vgl. BVerfGE 30, 250, 263 f.; 39, 210, 230 f. 870 Vgl. oben C.IV.2.c).

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scher Studien versucht wird, die tatsächliche Wirkung staatlicher Warnungen einzuschätzen. Es sei an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben, dass nur von entlassenen Straftätern ausgehende abstrakte Gefahren Betrachtungsgegenstand sind. Denn dass Warnungen vor konkret gefährlichen entlassenen Straftätern geeignete Maßnahmen zur Erhöhung der objektiven und ggf. subjektiven Sicherheit sein können, dürfte kaum bestritten werden können. (1) Abstrakte Erörterung der Wirkungsweise von staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern Mit staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern könnte Einfluss genommen werden auf die betroffenen Straftäter selbst (a), auf andere potentielle Straftäter (b) sowie auf das Sicherheitsgefühl Einzelner (c). (a) Wirkungen staatlicher Warnungen auf die entlassenen Straftäter selbst Die primäre Intention staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern dürfte in der Verhinderung von Straftaten durch den mit der Warnung belegten Straftäter liegen, also die Spezialprävention sein. Von Warnungen erhofft man sich verschiedene Effekte, die die ggf. von einem entlassenen Straftäter ausgehende abstrakte Gefahr eindämmen sollen. Es sind jedoch auch Aspekte zu berücksichtigen, die der Zielerreichung entgegenstehen. (aa) Die Rückfallquote reduzierende Wirkungen staatlicher Warnungen Abstrakt sind drei Wirkungsmechanismen denkbar, die zu einer Reduzierung der individuellen Rückfallquote führen können. Diese Mechanismen greifen aber nicht bei allen Arten von Straftätern. (a) Drei Wirkungsmechanismen Das auch in der deutschen Debatte bevorzugte Argument für staatliche Warnungen liegt in der Befähigung des Bürgers zum Selbstschutz. Der Bürger soll das Wissen um die abstrakte Gefährlichkeit einer Person dazu nutzen, Vorsichtsmaßnahmen gegen sie zu treffen.871 Solche Vorsichtsmaßnahmen können z. B. in der Herstellung eines Kontakts zu der Person bestehen, um sie wissen zu lassen, dass sie der Gemeinschaft bekannt ist und von ihr beobachtet wird. Während dies noch für verhältnismäßig harmlos gehalten werden mag, sind aber auch offene Konfrontationen denkbar, also Akte der Einschüchterung, Mahnwachen vor dem Wohnort des Betroffenen oder gar privat organisierte Beschattungen, wenn der entlassene Straftäter sich außerhalb seiner Wohnung aufhält.872 Ungeachtet der Zulässigkeit solcher Maßnahmen des (kollektiven) Selbstschutzes sind sie nach Vorstellung der 871

Vgl. Walther, MSchKrim 1997, 199, 211; Anders, JR 2011, 190, 192. So teilweise zu beobachten in der Ortschaft Insel, in der sich zwei aus der Sicherungsverwahrung Entlassene niederließen (vgl. dazu bereits die Einführung zu dieser Arbeit). 872

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Befürworter von staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern jedenfalls zur Verhinderung zukünftiger von diesen ausgehender Straftaten geeignet. Aber noch andere Wirkungsmechanismen sind denkbar: Straftaten könnten auch dadurch verhindert werden, dass der angeprangerte Straftäter durch die Veröffentlichung seiner personenbezogenen Daten von der Begehung weiterer Straftaten abgeschreckt wird. Denn steht er unter erhöhter Beobachtung der Bevölkerung und ist er ihr bekannt, muss er von einem erhöhten Entdeckungsrisiko ausgehen, sollte er wieder straffällig werden. Er könnte sich auch – wenigstens subjektiv – einer erhöhten Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden ausgesetzt sehen, die seine „Verbrechervernunft“ anregt und ihn von der weiteren Begehung von Straftaten abhält.873 Schließlich ist auch denkbar, dass der angeprangerte Straftäter sich aus Scham zurückzieht und möglichst unauffällig und eben auch straflos sein Dasein fristet oder dass er – positiv formuliert – zu dem Schluss kommt, durch ein sozialkonformes Verhalten zu seiner eigenen Rehabilitierung beizutragen. (b) „Angst“ der Adressaten als Voraussetzung für die Wirksamkeit Eine notwendige Bedingung für den Eintritt der genannten Wirkungen ist jedoch, dass der Straftäter von der Bevölkerung – oder präziser: von seinem sozialen Umfeld – als „gefährlich“ bzw. als „Bedrohung“ eingestuft wird. Nur in diesem Fall werden die informierten Bürger zu Selbstschutzmaßnahmen greifen, müssen die Straftäter von ihrer Bekanntheit in der – zur Anzeige etwaiger Straftaten bereiten – Bevölkerung ausgehen und dürfte überhaupt ein den Straftäter zum Rückzug aus dem öffentlichen Leben motivierendes Schamgefühl bestehen. Für wie gefährlich ein Straftäter gehalten wird, hängt ab von Art und Schwere der antizipierten Straftat – und davon, ob der Betroffene die antizipierte Straftat überhaupt noch ausführen kann. (aa) Art der Straftaten Aus Sicht der Bevölkerung sind nur Personen gefährlich, die ihr unmittelbaren Schaden zufügen können. Personen, die in Zukunft Güter der Allgemeinheit verletzen könnten, rechtfertigen keine individuellen Selbstschutzmaßnahmen und wohl nur in den seltensten Fällen erhöhte Aufmerksamkeit vonseiten der Bevölkerung für die betroffene Person.874 Entsprechend sind staatliche Warnungen dann ungeeignet, wenn sie sich gegen Straftäter richten, von denen keine Angriffe gegen Individualrechtsgüter zu erwarten sind. So wird die Kenntnis über die Person eines aus der Haft entlassenen Steuerhinterziehers (vgl. § 370 AO) keine Selbstschutzmaßnahmen in der Bevölkerung auslösen, der Betroffene würde durch die Warnung nicht vor der 873 Zur Abschreckungswirkung hoher Entdeckungswahrscheinlichkeit vgl. Dölling/Entorf/ Hermann u. a., Eur J Crim Policy Res 15 (2009), 201, 211 f. 874 Hinsichtlich der erwarteten zukünftigen Straftaten dürfte sich die informierte Bevölkerung auf vom Straftäter in der Vergangenheit begangene Straftaten stützen, sodass eine Kategorisierung nach der Art der begangenen Straftaten genügt.

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Begehung weiterer Steuerdelikte abgeschreckt und auch etwaige Schamgefühle wären für weitere Steuerhinterziehungen aus dem „Hinterstübchen“ kaum ein Hindernis. Auf Grundlage dieses Gedankens können Warnungen zur Verhinderung von Straftaten hinsichtlich der Straftatbestände des ersten bis sechsten875 sowie wesentlicher Teile des achten bis elften876, des fünfundzwanzigsten877 und des neunundzwanzigsten878 Abschnitts des besonderen Teils des StGB für ungeeignet gehalten werden. In diese Ausschlusskategorie fallen z. B. auch die Begünstigung (§ 257 StGB) sowie die Strafvereitelung (§§ 258 f. StGB). Aus dem Bereich der Straftatbestände, die (zumindest auch) Individualrechtsgüter schützen, sind weiter jene herauszunehmen, gegen die keine sinnvolle Selbstschutzstrategie möglich ist und die den Straftäter nicht der Gefahr von durch die staatliche Warnung verringerten Verdeckungschancen hinsichtlich seiner zukünftigen Straftaten aussetzen. Zu denken ist hier zunächst an Straftaten, die auch auf Distanz und unter Verschleierung der eigenen Identität begangen werden können und dadurch solche Selbstschutzmaßnahmen unmöglich machen, die sich auf der Bevölkerung bekannte Straftäter konzentrieren. Dies dürfte im Wesentlichen für die Delikte des fünfzehnten Abschnitts879 des besonderen Teils des StGB und könnte auch für bestimmte Begehungsformen der Beleidigungsdelikte gelten (man denke an einen notorischen Beleidiger in anonymen Internetforen). Weiter muss man bei Straftaten Vorsicht walten lassen, gegen die sich ein Individuum schon generell und erst Recht hinsichtlich eines konkreten „Gefährders“ nur sehr schwer schützen kann, wie es bei den gemeingefährlichen Straftaten des achtundzwanzigsten Abschnitts des besonderen Teils des StGB der Fall sein dürfte. Zwar besteht hier die Abschreckungskomponente durch verringerte Verdeckungschancen gegebenenfalls ungemindert fort (der Täter könnte im Vorfeld der Tat möglicherweise erkannt werden); dieser Aspekt hat an der Wirksamkeit der staatlichen Warnungen aber ohnehin einen nur geringen Anteil, sodass es hierauf nur selten ankommen wird. Damit bleiben im Wesentlichen die Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung sowie ein beträchtlicher Teil der Vermögensdelikte.880 Nur entlassene Straftäter, von denen derartige Straftaten dro875 Friedensverrat, Hochverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates; Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit; Straftaten gegen ausländische Staaten; Straftaten gegen Verfassungsorgane sowie bei Wahlen und Abstimmungen; Straftaten gegen die Landesverteidigung; Widerstand gegen die Staatsgewalt. 876 Geld- und Wertzeichenfälschung; Falsche uneidliche Aussage und Meineid; Falsche Verdächtigung; Straftaten, welche sich auf Religionen und Weltanschauung beziehen. 877 Strafbarer Eigennutz. 878 Straftaten gegen die Umwelt. 879 Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs. 880 Daneben stehen insbesondere noch die Delikte gegen die Freiheit (§§ 239 ff. StGB), die Willensfreiheit (insbes. § 240 StGB) sowie eine gewisse Zahl anderer Tatbestände; sie werden aus Gründen der Lesbarkeit im Folgenden nicht stets gesondert aufgeführt.

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hen, können den eingangs aufgeführten Wirkungen einer staatlichen Warnung unterliegen. Nur hinsichtlich solcher Straftaten erscheinen damit staatliche Warnungen abstrakt dazu geeignet, die Begehung zukünftiger Straftaten durch entlassene Straftäter zu verhindern. Die Eignung der Warnung zur Verhinderung eines Rückfalls dürfte noch hinsichtlich solcher Delikte erhöht sein, die der Straftäter typischerweise in seinem sozialen Umfeld begeht; dies trifft insbesondere auf Sexualstraftaten zu, die in der Mehrzahl zwischen Personen auftreten, die sich bereits vor der Tat kannten881; im Falle des sexuellen Missbrauchs mit Körperkontakt etwa sind 41,4 % der Täter männliche Familienangehörige, 44,8 % männliche Bekannte und nur 23,3 % männliche Unbekannte882. (bb) Schwere der Straftaten als Voraussetzung für Wirksamkeit? Für wirklich „gefährlich“ wird ein Straftäter jedoch wohl nur dann gehalten, wenn die von ihm drohenden Straftaten auch eine gewisse Schwere erreichen. Die Entlassung eines Kleinkriminellen, mag er auch wegen wiederholter Verurteilungen eine längere Haftstrafe abgesessen haben, wird das soziale Umfeld des zu(rück)ziehenden Straftäters nur selten in Angst und Schrecken versetzen – von bestimmten Sonderkonstellation wie dem Zuzug in ein kleines Dorf einmal abgesehen. Gleichwohl dürfte die Schwere der erwarteten Straftaten seitens des Betroffenen die eingangs formulierten intendierten Wirkungen einer Warnung nicht beeinflussen: Auch vor dem Taschendieb, dem Kleinbetrüger oder dem relativ harmlosen Schläger wird sich der informierte Bürger in Acht nehmen. Die Warnung mag zwar nicht eine ebenso weite Verbreitung finden wie die Warnung vor einem mehrfach vorbestraften „Kinderschänder“, aber wo sie doch wahrgenommen wird, könnte sie die Sensibilität potentieller Opfer erhöhen. Wäre dem tatsächlich so, müssten staatliche Warnungen nicht auf Straftäter beschränkt werden, von denen schwere Straftaten drohen, um als „geeignet“ gelten zu können. (cc) Unfähigkeit zur Begehung weiterer Straftaten Schließlich sind all jene Straftäter vom Anwendungsbereich eines Warnsystems auszunehmen, bei denen eine Rückfallgefahr objektiv nicht besteht, die also nach Entlassung keine Gefahr mehr für die Öffentlichkeit sind. Dies mag sich einmal aus der Art der Taten, andererseits aus der Art der Täter ergeben. In die erste Kategorie fallen etwa Straftaten, die in ganz außergewöhnlichen Affektkonstellationen begangen werden (eine Frau bringt den sie seit Jahrzehnten quälenden Gatten spontan um, ohne dass dies gerechtfertigt oder entschuldigt werden könnte); kann in solchen Fällen ein Rückfall ausgeschlossen werden, ist die staatliche Warnung zur Verhin881

Schneider, JZ 1998, 436, 437. Erster Forschungsbericht des BMBF zur Repräsentativbefragung Sexueller Missbrauch 2011, S. 30, online unter: http://bit.ly/LQGPEr (Stand: 13. 04. 2013); Mehrfachnennungen waren möglich; in weiteren 4,4 % der Fälle sind die Täter weiblich, ohne dass hier noch weiter nach bekannt oder unbekannt differenziert wurde. 882

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derung weiterer Straftaten ungeeignet. In die zweite Kategorie fallen Straftäter, die z. B. wegen ihrer körperlichen Verfassung niemanden mehr verletzen können. (c) Zusammenfassung Die Befähigung zum Selbstschutz, das erhöhte Entdeckungsrisiko und die Scham des Straftäters sind abstrakt denkbare Wirkungsmechanismen, durch die staatliche Warnungen die Rückfallquote von Straftätern reduzieren könnten. Voraussetzung für alle drei Mechanismen ist jedoch, dass die Adressaten der Warnung überhaupt auf die staatliche Warnung reagieren. Deshalb haben nur Warnungen vor Straftaten wie solchen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung sowie das Vermögen Aussicht auf Erfolg. (bb) Der Reduzierung der Rückfallquote entgegenstehende Wirkungen staatlicher Warnungen Nicht alle der erwarteten Wirkungen staatlicher Warnungen dürften jedoch eine Reduzierung der Rückfallquoten der betroffenen Straftäter nach sich ziehen. Vielmehr könnten staatliche Warnungen auch in gewisser Hinsicht die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls erhöhen bzw. könnte der positive Effekt der Warnung durch andere Folgen zunichte gemacht werden. Eine besonders intuitive Argumentationsschiene lautet, ein stigmatisierter Straftäter habe infolge seiner Ausgrenzung wenig Anreiz dafür, sich gesetzes- und sozialkonform zu verhalten bzw. sich darum zu bemühen, wieder in die Gesellschaft integriert zu werden.883 Dieser Umstand könnte als Motivation für eine neue Straftat dienen. So zitiert Waechter die alte, wohl von Wilhelm Busch stammende Weisheit „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s gänzlich ungeniert.“884 In diesem Sinne hebt auch das BVerfG in seiner Lebach-Entscheidung hervor: „Nach den Erfahrungen der Praxis scheitert die Resozialisierung selbst bei insoweit günstigen Vorbedingungen und gelungener kriminaltherapeutischer Behandlung in vielen Fällen an der Mißachtung und Ablehnung, mit denen die Umwelt den Entlassenen begegnet. Eine solche Isolierung kann gerade labilen Naturen den Mut zu neuem Anfang nehmen und sie auf den gleichen Weg zurückwerfen, der sie schon einmal in die Kriminalität führte.“885 Diese mögliche Folge der Entsozialisierung entlassener Straftäter heben auch US-amerikanische Juristen hervor.886 Daneben erscheint auch denkbar, dass bestimmte Gruppen entlassener Straftäter – wie z. B. die der Sexualstraftäter – zwar im Rahmen der Reichweite dieser Warnung,

883

Vgl. Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 385. Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 385. 885 BVerfGE 35, 202, 236 f. Erneut „kriminogene Wirkungen“ durch die öffentliche Sozialkontrolle befürchten auch Baur/Burkhardt/Kinzig, JZ 2011, 131, 138. 886 Etwa Tewksbury, Journal of Contemporary Criminal Justice 21 (2005), 67, 78; anschaulich und m.w.N. Edwards/Hensley, International Journal of Offender Therapy and Comparative Criminology 45 (2001), 83, 88 ff. 884

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sprich: innerhalb ihres sozialen Umfelds, nicht mehr rückfällig werden, stattdessen jedoch auf andere Regionen ausweichen, in denen sie nicht näher bekannt sind.887 Waechter hält es außerdem für möglich, dass die kriminellen Karrieren von Straftätern, die in einer kriminellen Szene sozialisiert sind, durch die Stigmatisierung sogar noch gefördert werden könnten.888 (b) Wirkungen staatlicher Warnungen auf potentielle Straftäter Die Erwägungen zur Reduzierung der Rückfallquote von Straftätern durch staatliche Warnungen liefern also ein ambivalentes Ergebnis.889 Staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern könnten jedoch nicht nur spezialpräventiv, sondern auch generalpräventiv wirken.890 D.h. sie könnten zur Verhinderung von Straftaten geeignet sein, die durch andere als die von der Warnung betroffenen Straftäter begangen würden. Staatliche Warnungen greifen – wie dargestellt891 – in Rechte des entlassenen Straftäters ein, und zwar nachdem er seine Strafe bereits verbüßt hat. Mit dieser zusätzlichen Belastung müssten potentielle Straftäter im Anwendungsbereich der Rechtsgrundlage für staatliche Warnungen rechnen; sie könnten einmal selbst Gegenstand solcher Warnungen werden. Diese Erwartung sozialer Stigmatisierung und Ausgrenzung mag zumindest einen bestimmten Schlag potentieller Straftäter – also insbesondere solche mit hohem sozialen Status bzw. sozial „sensible“ Menschen – von der Begehung von Straftaten abhalten. Denn „Abschreckung geht nicht nur von der staatlichen Strafe aus, sondern wesentlich auch von der gesellschaftlichen Ächtung, die durch Verfahren und Strafe bewirkt wird.“892 Anders als bei der Verhinderung von Straftaten durch die entlassenen Straftäter selbst käme es bei der abschreckenden Wirkung auf andere potentielle Straftäter nicht auf die Art der Straftat an: Die abschreckende Wirkung rührt aus Sicht des Betroffenen aus der Anprangerung her. D.h. die Aussicht der Anprangerung ist für sich bereits Grund zur Unterlassung der Tatbegehung, unabhängig davon, ob die befürchtete Anprangerung eine große Reichweite (wie z. B. bei einer Sexualstraftat) oder eine geringe hätte (wie z. B. bei einem unbekannten „Insolvenzverschlepper“). Freilich ist die abschreckende Wirkung umso größer, je größer die erwartete Stigmatisierung nach Entlassung ausfiele.

887 So auch Edwards/Hensley, International Journal of Offender Therapy and Comparative Criminology 45 (2001), 83, 93 f. 888 Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 386. 889 So auch Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 386. 890 Im Bereich des Wirtschaftsverwaltungsrechts ist die Wirksamkeit der Drohung mit sog. adverser Publizität wohl unumstritten, vgl. Reimer, in: Häberle (Hrsg.), Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart, 2010, S. 275, 286. 891 Vgl. oben C.II.1. 892 Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 372.

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(c) Wirkungen staatlicher Warnungen auf das Sicherheitsgefühl Einzelner Schließlich könnten staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern auch dazu geeignet sein, die subjektive Sicherheit der Bevölkerung zu erhöhen, also zu einer Steigerung des Sicherheitsempfindens beizutragen. Indem die Bevölkerung sich nämlich über entlassene Straftäter in ihrer Umgebung informieren könnte bzw. die Gewissheit hätte, durch die Behörden vor zuziehenden gefährlichen Straftätern gewarnt zu werden, mag sich die Bevölkerung in größerer Sicherheit wiegen als im entgegengesetzten Fall von Unsicherheit über den Hintergrund zuziehender Personen. Wie jedoch oben ausgeführt wurde, wäre die Verfolgung dieses Ziels – also die Anhebung des allgemeinen Wohlempfindens – nicht legitim.893 Vielmehr müssten staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern dazu geeignet sein, eine konkrete und erhebliche Minderung des Sicherheitsgefühls Einzelner auszugleichen bzw. dieser vorzubeugen. Eine derartige Kausalkette ist jedoch kaum zu konstruieren: Entweder der Einzelne ist im Ungewissen darüber, dass in seiner Nachbarschaft ein Straftäter lebt oder leben wird; dann könnte die staatliche Warnungen sein Sicherheitsgefühl jedoch kaum anheben, sondern es wäre eher noch eine Verunsicherung des Adressaten der Warnung zu befürchten.894 Oder der Einzelne weiß, dass in seiner Umgebung ein Straftäter lebt oder leben wird; dann trägt die Warnung zu seinem Sicherheitsgefühl nichts mehr bei. Der Fall, dass eine Person in konstanter Angst davor lebt, es könnte sich möglicherweise ein gefährlicher, aus der Haft entlassener Straftäter in ihrer Umgebung niederlassen, muss wohl als Ausnahmefall eingestuft werden, der nicht zum Handlungsmaßstab erkoren werden dürfte. Denkbar wäre allenfalls, dass sich das Klima in der Gesamtbevölkerung eines Tages derart verändert, dass blanke Panik vor Schwerverbrechern zum Normalzustand wird (man könnte dazu die Situation konstruieren, in einem von Terror geplagten Land würde eine beträchtliche Anzahl inhaftierter Terroristen freigepresst). In einem solchen Klima der Angst mögen staatliche Warnungen tatsächlich zur Steigerung eines konkret und beträchtlich abgesenkten Sicherheitsgefühls Einzelner dienen. Derartige Fälle scheinen allerdings nahezu ausgeschlossen, sodass im Rahmen dieser Arbeit davon ausgegangen wird, dass staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern zur Herstellung subjektiver Sicherheit im hier verstandenen Sinne allgemein ungeeignet sind.

893

Vgl. C.IV.2.c)aa). Baur/Burkhardt/Kinzig, JZ 2011, 131, 138, halten die Veröffentlichung von Straftäterdaten für „ein geradezu vorsätzliches Schüren personaler und sozialer Kriminalitätsfurcht“. Amerikanische Studien beschäftigen sich entsprechend eher mit der Frage, ob durch die staatlichen Warnungen Furcht erst geschaffen wird, statt damit, ob die Warnungen Furcht reduzieren können (vgl. dazu etwa Beck/Clingermayer/Ramsey u. a., The Journal of Psychiatry & Law 32 (2004), 141 ff.). 894

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

(d) Zusammenfassung Staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern scheinen im Wege einer abstrakten Betrachtung dazu geeignet, die objektive Sicherheit der Bevölkerung zu steigern. Diesem Ziel könnten sie einerseits dadurch förderlich sein, dass sie bestimmte Tätergruppen durch deren Einhegung vor Rückfällen abhalten, andererseits dadurch, dass sich potentielle Ersttäter von der Verkündung staatlicher Warnungen betreffend ihre Person abgeschreckt fühlen. Es lässt sich indes keine plausible Kausalkette dafür konstruieren, dass staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern das Sicherheitsgefühl Einzelner in rechtlich erheblicher Weise steigern könnten. (2) Tatsächliche Wirkungen staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern Fraglich ist nun, ob staatliche Warnungen auch tatsächlich geeignet wären, die oben895 genannten Ziele zu erreichen. Zweifel gingen – wie bereits dargelegt – zu Gunsten des Gesetzgebers, der sich auf die soeben ausgeführten abstrakten, grundsätzlich plausiblen Überlegungen stützt896 und von der Geeignetheit staatlicher Warnungen überzeugt ist. Ob staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern tatsächlich die Begehung von Straftaten verhindern, wurde in Deutschland mangels entsprechender Praxis nie untersucht. Allerdings findet sich eine Vielzahl von empirischen Studien zu dieser Frage in der US-amerikanischen Fachliteratur. Auch wenn deren Ergebnisse wegen der soziologischen Unterschiede zwischen den USA und Deutschland nicht eins zu eins übertragen werden können, bieten die Untersuchungen doch wertvolle Erkenntnisse für die Beurteilung der Geeignetheit staatlicher Warnungen. (a) Verhinderung von Straftaten durch entlassene Straftäter Fraglich ist zunächst, ob staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern Rückfälle dieser Straftäter tatsächlich verhindern könnten. Da in den USA nur vor Sexualstraftätern gewarnt wird, liegen auch nur insoweit empirische Daten vor. Selbst diese begrenzten Erkenntnisse sind aber aufschlussreich, denn wohl kaum eine andere Tätergruppe sieht sich in stärkerem Maße sozialer Kontrolle ausgesetzt, sobald ihre Taten öffentlich werden. Der Darstellung der amerikanischen Forschungsergebnisse (aa) folgen Schlussfolgerungen für die hiesige Untersuchung (bb).

895 896

Vgl. C.IV.2.c)aa). Vgl. C.IV.2.c)bb)(1).

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(aa) Erkenntnisse aus der US-amerikanischen Forschung zum Einfluss staatlicher Warnungen auf die Rückfallwahrscheinlichkeit von Sexualstraftätern Die empirischen Untersuchungen US-amerikanischer Forscher über die Wirkung von staatlichen Warnungen auf entlassene Straftäter unterliegen einigen Schwierigkeiten.897 Das grundlegende Problem ist intuitiv nachvollziehbar: Der Effekt einer staatlichen Warnung auf einen individuellen Straftäter in einem einmaligen Kontext kann nicht gemessen werden, weil nicht nachweisbar ist, ob sie für die Verhinderung einer Straftat ursächlich war. Deshalb müssen Vergleichsgruppen gebildet und betrachtet werden. Taugliche Vergleichsgruppen sind jedoch schwer zu finden: Andere Gruppen von Tätern (andere Arten von Straftaten, geringere Schwere), die keinen staatlichen Warnungen ausgesetzt sind, unterscheiden sich eben in für den Anwendungsbereich der Warnungen gerade entscheidenden Belangen. Andererseits muss ein Vergleich derselben Tätergruppe heute mit der Zeit vor der Einführung der „notification laws“ alternative langfristige Erklärungsmuster (wie z. B. einen generellen Rückgang von Sexualstraftaten) heraus rechnen. Ein Problem liegt auch in der unterschiedlichen Ausgestaltung der Regelungen der Bundesstaaten, was einen unmittelbaren Vergleich der Ergebnisse erschwert. Trotz dieser Einschränkungen zeichnen die Autoren verschiedener Studien ein auf den ersten Blick deutliches Bild: Ein statistisch signifikanter Einfluss auf die Rückfallquoten der mit Warnungen belegten Sexualstraftäter lässt sich nicht feststellen. Dies gilt für Studien zu den Staaten Washington898, Iowa899, Wisconsin900, Massachusetts901, Arkansas902, New Jersey903, New York904 und noch einmal Iowa905 sowie für eine zehn Bundesstaaten umfassende Untersuchung mit einem gemischten und deshalb ebenfalls nicht aussagekräftigen Bild906. Nur in wenigen Studien wurde

897

Dazu Logan, Knowledge as power, 2009, S. 116 f. Schram/Milloy, Community Notication: A Study of Offender Characteristics and Recidivism, 1995, S. 18 f. 899 Adkins/Huff/Stageberg, The Iowa Sex Offender Registry And Recidivism, 2000, S. 10. 900 Zevitz, Criminal Justice Studies 19 (2006), 193, 200. 901 Petrosino/Petrosino, Crime & Delinquency 45 (1999), 140, 154. 902 Maddan, Sex offenders as outsiders, 2005, S. 133. 903 Zgoba/Veysey/Dalessandro, Justice Quarterly 27 (2008), 667, 685. 904 Sandler/Freeman/Socia, Psychology, Public Policy, and Law 14 (2008), 284, 297. 905 Tewksbury/Jennings, Criminal Justice and Behaviour 37 (2010), 570, 579. 906 Vásquez/Maddan/Walker, Crime & Delinquency 54 (2008), 175, 185 ff. Die Autoren fanden nur in drei von zehn Bundesstaaten eine signifikante Reduzierung der angezeigten Vergewaltigungen vor, in einem vierten Bundesstaat war die Anzahl sogar signifikant gestiegen; in allen übrigen blieb sie mehr oder weniger unverändert. Wie die Autoren selbst klarstellen, misst diese Studie nicht explizit die Rückfallquoten entlassener Sexualstraftäter, sondern untersucht die Entwicklung der Gesamtzahlen von Vergewaltigungen. 898

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

ein Zusammenhang zwischen staatlichen Warnungen und einer reduzierten Rückfallquote hergestellt.907 Die Autoren der Studie zu New Jersey untersuchten die Rückfallquoten zweier Gruppen von Sexualstraftätern über jeweils sechseinhalb Jahre nach ihrer Entlassung: Gruppe 1 bestand aus 250 Straftätern, die noch vor Einführung des New Jersey „Megan’s Law“, also zwischen 1990 und 1994 entlassen wurden. Gruppe 2 bestand aus 300 Straftätern, die in den Jahren 1995 bis 2000 entlassen wurden.908 Aus Gruppe 1 wurden im genannten Zeitraum von sechseinhalb Jahren 49,7 % erneut wegen einer Straftat festgenommen, aus Gruppe 2 waren es nur 41,2 %. Wegen einer Sexualstraftat wurden in Gruppe 1 indes 10,0 % wieder festgenommen, aus Gruppe 2 war dies bei 7,6 % der Fall.909 Diesen geringfügigen Rückgang hielten die Autoren für statistisch nicht relevant.910 Der Einwand liegt nahe, man müsse bei derartigen Studien das Augenmerk auf solche Tätergruppen konzentrieren, die besonders rückfallgefährdet sind. Würden sie signifikant von Rückfällen abgehalten, so mag zwar der Effekt auf die durchschnittliche Rückfallquote aller Sexualstraftäter gering sein und sie entsprechend nur geringfügig verbessern; staatliche Warnungen könnten sich aber jedenfalls hinsichtlich dieser Täter für zur Rückfallvermeidung geeignet erweisen. Diesem Gedanken ging die Studie zu Wisconsin nach, indem ihre Autoren danach differenzierten, wer von den Behörden als besonders gefährlich eingestuft und vor dem deshalb massiv gewarnt wurde („extensive notification group“) bzw. wer für ungefährlich gehalten und vor wem nicht gewarnt wurde („limited notification group“).911 Zwischen beiden Gruppen zeigten sich über einen Betrachtungszeitraum von viereinhalb Jahren keine signifikanten Unterschiede: In der extensive notification group wurden 48,9 % generell wieder straffällig, 19 % begingen erneut Sexualstraftaten; in der limited notification group betrugen die Anteile 49,3 % bzw. 12 %.912 Damit ist freilich die Sache noch immer nicht auf den Punkt gebracht: Es fehlt weiterhin der Vergleich von besonders gefährlichen Sexualstraftätern, die staatlichen Warnungen ausgesetzt waren, mit jenen besonders gefährlichen Sexualstraftätern, vor denen der Staat nicht warnte. Interessanterweise handelt es sich bei der einzigen oben aufgeführten Studie, die einen solchen Vergleich vornimmt, um jene, die einen signifikanten Rückgang der Rückfallquoten feststellte913. Die Autoren untersuchten den Bundesstaat Minnesota, der ein differenziertes Warnsystem besitzt914, und 907

Darunter viel zitiert Duwe/Donnay, Criminology 46 (2008), 411, 432. Zgoba/Veysey/Dalessandro, Justice Quarterly 27 (2008), 667, 675. 909 Zgoba/Veysey/Dalessandro, Justice Quarterly 27 (2008), 667, 683. 910 Zgoba/Veysey/Dalessandro, Justice Quarterly 27 (2008), 667, 688: „[T]his study’s findings suggest that community notification laws have no effect on sex re-offending rates.” 911 Zevitz, Criminal Justice Studies 19 (2006), 193, 196 f. 912 Zevitz, Criminal Justice Studies 19 (2006), 193, 200. 913 Duwe/Donnay, Criminology 46 (2008), 411 ff. 914 Vgl. dazu im Einzelnen oben C.I.1.a)cc)(1). 908

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verglichen Straftäter vor Inkrafttreten des Minnesota Community Notification Act, die nach Aktenlage der höchsten Warnstufe Level 3 unterworfen worden wären (Gruppe 1), mit solchen Straftätern, die nach Inkrafttreten des Gesetzes tatsächlich in diese Warnstufe fielen (Gruppe 2).915 Das Ergebnis der einen 3-Jahres-Zeitraum umfassenden Untersuchung ist erstaunlich eindeutig: Wurden in Gruppe 1 noch 54,4 % mit irgendeiner Straftat rückfällig und 32,8 % mit einer Sexualstraftat, waren es in Gruppe 2 nur 14,8 %, die mit irgendeiner Straftat rückfällig wurden, und lediglich 3,2 % mit einer Sexualstraftat.916 Daraus schließen die Autoren, dass der differenzierte 3-Level-Ansatz Minnesotas die Rückfallquote bei besonders gefährlichen Sexualstraftätern signifikant reduziert.917 Diese Ergebnisse wurden freilich mit Blick auf die auch dieser Studie anhaftenden Schwächen kritisiert.918 Auffällig ist insbesondere, dass die angebotenen Zahlen auch auf einen signifikanten Rückgang der Rückfallquoten von Sexualstraftätern hindeuten, die in Level 1 und 2 eingestuft waren und damit nur sehr eingeschränkten Aufklärungsmaßnahmen unterlagen. Es könnten also möglicherweise andere Gründe vorliegen, die zu einer Reduzierung der Rückfallquoten von Sexualstraftätern aller Risikostufen führten. Nichtsdestotrotz sprechen die reinen Zahlen eindeutig für die Interpretation, dass wenigstens ein differenzierter Ansatz wie der Minnesotas zur Verhinderung von Rückfällen durch besonders gefährliche Sexualstraftäter geeignet sein kann. (bb) Allgemeine Schlussfolgerungen für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern Die Darstellung der US-amerikanischen Studien lässt den Schluss zu, dass bei Warnungen vor entlassenen Sexualstraftätern eine Reduzierung der Rückfallquote der Betroffenen nicht ausgeschlossen werden kann, sie also im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht bereits mangels Geeignetheit verworfen werden können. Inwieweit diese Erkenntnis übertragen werden kann auf andere Gruppen von Straftätern wie z. B. Betrüger, Diebe oder Mörder, ist eine schwer zu beantwortende Frage. Sofern der etwaige Rückgang der Rückfallquoten auf von der Bevölkerung eingeleitete Selbstschutzmaßnahmen zurückgeführt werden könnte, dürften ähnliche „Forting-up“-Phänomene auch bei Warnungen vor anderen Straftätergruppen auftreten919, wenn sie auch nicht denselben Grad erreichen mögen. Ihre Wirksamkeit könnte jedoch kaum per se ausgeschlossen werden. Falls jedoch die erwarteten reduzierten Rückfallquoten auf eine Abschreckung der Straftäter oder deren „beschämten“ Rückzug aus dem sozialen Leben zurückzuführen wären, ist die Wirkung von staatlichen Warnungen bei anderen Täter915 Daneben bestand eine weitere Kontrollgruppe in den in Level 1 und 2 eingestuften Sexualstraftätern. 916 Duwe/Donnay, Criminology 46 (2008), 411, 429. 917 Duwe/Donnay, Criminology 46 (2008), 411, 440. 918 Vgl. Zgoba/Veysey/Dalessandro, Justice Quarterly 27 (2008), 667, 673 f. 919 Zum „Forting up“ vgl. Schwind, Kriminologie, 21. Aufl. 2011, §§ 16 Rn 13a.

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gruppen sehr schwer zu antizipieren. Es dürfte dann fast schon eine Frage des Einzelfalls sein, welche Straftäter sich von staatlichen Warnungen beeindrucken lassen und welche nicht. Auf welche der drei Wirkungsketten, die oben angeboten wurden – Selbstschutzmaßnahmen der Bevölkerung, Abschreckung wegen verringerter Verdeckungschancen, Rückzug aus Scham –, ein tatsächlicher Rückgang der Rückfallquote beruhen würde, muss nicht näher geklärt werden. Entsprechend ist auch unerheblich, wenn einzelne dieser Wirkungsketten nachweislich nicht zustande kämen920, solange nur ein irgend gearteter kausaler Zusammenhang zwischen staatlichen Warnungen und dem Rückgang der Rückfallquote plausibel gemacht werden kann. Damit greifen im Rahmen der Geeignetheitsprüfung auch nicht die oben genannten Einwände durch, die gegen eine rückfallhemmende Wirkung sprechen.921 Insgesamt bleibt festzuhalten, dass sich die Frage der tatsächlichen Reduzierung von Rückfallquoten durch staatliche Warnungen allgemein nicht eindeutig beantworten lässt. Soweit also keine eindeutigen Daten vorliegen, welche der Geeignetheit staatlicher Warnungen zur Reduzierung von Rückfallquoten offensichtlich entgegenstehen, kann der Staat sie unter Berufung auf seinen Einschätzungsspielraum für ein „geeignetes“ Mittel i.S.d. Verhältnismäßigkeitsprüfung halten.922 (b) Verhinderung von Straftaten durch andere Personen Mit der soeben erfolgten Feststellung erübrigt sich im Grunde die empirische Untersuchung weiterer, die objektive Sicherheit fördernder Wirkungen. Ergänzend sei aber noch kurz auf die Frage eingegangen, ob staatliche Warnungen tatsächlich die vermutete abschreckende Wirkung auf Dritte haben. Die Messung der abschreckenden Wirkung von staatlichen Warnungen auf Dritte gestaltet sich indes mindestens ebenso schwierig wie die Messung von deren rückfallreduzierender Wirkung. Auch zu dieser Frage gibt es in der US-Literatur – sich widersprechende – empirische Untersuchungen. So haben Prescott/Rockoff in ihrer Studie dargelegt, dass ein statistisch relevanter Abschreckungseffekt bestehe, der zu einer Reduzierung von Sexualstraftaten maßgeblich beitrage.923 Dahingegen kommen Sandler/Freeman/Socia zu dem Ergebnis, dass sich ein solcher Abschre-

920 Sample/Evans/Anderson, Criminal Justice Policy Review 22 (2011), 27 ff., haben z. B. gezeigt, dass das online zugängliche Nebraska Sex Offender Registry nur von einer Minderheit der Bevölkerung (etwa ein Drittel der Befragten) eingesehen wird. 921 Vgl. C.IV.2.c)bb)(1)(a)(bb). 922 Vgl. auch zur Geeignetheit der öffentlichen Bekanntmachung einer Entmündigung zum Schutz des Rechtsverkehrs vor beschränkt Geschäftsfähigen BVerfGE 78, 77 ff. 923 Prescott/Rockoff, Do Sex Offender Registration and Notification Laws Affect Criminal Behaviour?, S. 24.

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ckungseffekt nicht feststellen lässt.924 Auch dieses interpretationsfähige Resultat wirkt zu Gunsten des staatliche Warnungen einführenden Gesetzgebers. (c) Steigerung der subjektiven Sicherheit Wie oben festgestellt, sind bereits abstrakt keine Konstellationen denkbar, in denen staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern die subjektive Sicherheit in rechtlich relevanter Weise erhöhen, d. h. das erheblich unter das Normalniveau gesunkene Sicherheitsgefühl eines Einzelnen bessern könnten. Damit erübrigen sich auch empirische Untersuchungen. (3) Zwischenergebnis Staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern sind abstrakt dazu geeignet, die objektive Sicherheit zu erhöhen, sofern es um die Verhinderung insbesondere von Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung sowie das Vermögen geht. Dieser abstrakte Befund wird durch empirische Studien in der US-Literatur zu staatlichen Warnungen vor Sexualstraftätern nicht eindeutig widerlegt. Sowohl eine Reduzierung der Rückfallquote bei von der Warnung betroffenen Straftätern als auch eine abschreckende Wirkung auf potentielle Straftäter erscheinen denkbar. Damit könnte der Gesetzgeber unter Berufung auf seinen Beurteilungsspielraum Warnungen als Mittel zur Erhöhung der objektiven Sicherheit einsetzen, ohne dass sie bereits mangels Geeignetheit als unverhältnismäßig abgelehnt werden müssten. Ungeeignet wäre allerdings der Einsatz von staatlichen Warnungen zur Erhöhung der subjektiven Sicherheit. cc) Erforderlichkeit Damit eine geeignete Maßnahme verhältnismäßig ist, müsste sie zur Erreichung des gesetzten Ziels auch erforderlich sein. Erforderlich ist die Maßnahme dann, wenn keine gleich wirksamen milderen Mittel zur Verfügung stehen, das Ziel also nicht ebenso gut mit einem den Grundrechtsberechtigten weniger belastenden Eingriff erreicht werden kann.925 Der dem Gesetzgeber bei der Frage der Geeignetheit eines Gesetzes zugestandene Beurteilungs- und Prognosespielraum wirkt sich bei der Prüfung seiner Erforderlichkeit wieder aus926: Im ersten Schritt kann der Gesetzgeber im Wesentlichen selbst bestimmen, was er für ein geeignetes Mittel zur Erreichung des gesetzten Ziels hält; damit ist ihm auch für die Einschätzung der Geeignetheit alternativer Mittel ein gewisser Spielraum einzuräumen.927 Nur also, wenn ein 924 925 926

321. 927

Sandler/Freeman/Socia, Psychology, Public Policy, and Law 14 (2008), 284, 297. Vgl. etwa BVerfGE 100, 313, 375. So i.E. BVerfGE 102, 197, 218; 115, 276, 309; 116, 202, 225; 117, 163, 189; 120, 274, Degenhart, 28. Aufl. 2012, Rn. 405.

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gleiches Maß an Wirksamkeit evident ist, muss die alternative gesetzliche Regelung daraufhin untersucht werden, ob sie für den Betroffenen einen geringeren Eingriff in seine Rechte bedeutete. Die Rechtsprechung beschränkt sich entsprechend darauf, nur Fälle eindeutig fehlender Erforderlichkeit zu beanstanden.928 Weniger wirksame Mittel bleiben nach überzeugender Auffassung von vornherein außer Betracht.929 In der Rechtsprechung wurde die gleiche Wirksamkeit bei Maßnahmen verneint, die zwar den Regelungsadressaten weniger, dafür aber Dritte oder die Allgemeinheit stärker belasten. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Alternative eine unvertretbar höhere finanzielle Belastung des Staates mit sich bringe.930 Diese Auffassung hat Kritik dahingehend erfahren, dass hier nicht die Gleichwertigkeit der Alternative fraglich sei, „sondern die Alternative zwar gleich wirksam, aber wegen der Folgen für andere Rechtsgüter gegebenenfalls nicht milder ist im Sinne einer geringeren Beeinträchtigung geschützter Rechtsgüter“.931 Diese Kritik geht jedoch fehl. Es ist schon konstruktiv wenig überzeugend, eine andere Rechtsgüter stärker beeinträchtigende Maßnahme für „nicht milder im Sinne einer geringeren Beeinträchtigung geschützter Rechtsgüter“ zu halten. Denn die Prüfung der Erforderlichkeit erfolgt aus Sicht des Betroffenen: „Milder“ ist eine Maßnahme nur dann, wenn sie dessen Rechtsgüter geringer beeinträchtigt, nicht die Gesamtheit der Rechtsgüter überhaupt. Demgegenüber ist nichts gegen die Auffassung der Rechtsprechung einzuwenden, dass alternative Maßnahmen, die einen höheren Aufwand erfordern oder Dritte stärker beeinträchtigen, schon nicht ebenso „wirksam“ sind; denn sie erfordern eben auf Seiten des Staates oder Dritter eine erhöhte Preisgabe von Ressourcen oder Rechtsgütern und können deshalb nicht mit demselben „Einsatz“ dasselbe Ergebnis herbeiführen. Die Erforderlichkeit eines Gesetzes wird also wie folgt geprüft: Zunächst sind alternative staatliche Maßnahmen daraufhin zu untersuchen, ob sie wenigstens ebenso erfolgversprechend sind. Dafür ist Voraussetzung, dass sie das verfolgte Ziel zumindest ebenso gut erreichen können. Wird dies bejaht, ist weiter danach zu differenzieren, ob die alternative Maßnahme mit einem höheren Aufwand auf Seiten des Staates oder Dritter verbunden ist oder nicht. In ersterem Fall ist die alternative Maßnahme nur dann gleich wirksam, wenn sie das verfolgte Ziel sogar besser erreichen kann als das geprüfte Gesetz, und zwar besser in dem Maße wie sie einen höheren Aufwand erfordert. Erst wenn diese Prüfungsschritte durchlaufen sind und 928 Sachs, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 20 Rn. 153, der sich u. a. beruft auf BVerfGE 25, 1, 19 f.; 110, 177, 195; 117, 163, 189; vgl. auch Stern in: Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 782 m.w.N. 929 Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 11/2006, Art. 20 Abschn. VII Rn. 116; Gentz, NJW 1968, 1600, 1604; Michael, JuS 2001, 148, 149; a.A. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 20 Rn. 153, sowie Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2006, Art. 20 GG (Rechtsstaat) Rn. 183. 930 BVerfGE 77, 84, 110 f.; 81, 70, 91 f. 931 Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 11/2006, Art. 20 Abschn. VII Rn. 114.

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eine alternative Maßnahme zur Erreichung des verfolgten Ziels gleich wirksam ist, wird sie schließlich daraufhin untersucht, ob sie für den von dem Grundrechtseingriff Betroffenen eine mildere Maßnahme ist. Mit diesen abstrakten Ausführungen im Hinterkopf kann das Augenmerk auf Ansätze zur Verhinderung von Straftaten gerichtet werden, die mit staatlichen Warnungen konkurrieren. Auf einer ersten Stufe sind aus den denkbaren Maßnahmen jene auszuwählen, die das gesetzte Ziel der Erhöhung der objektiven Sicherheit mindestens ebenso wirksam herbeiführen können. Die gleich wirksamen Maßnahmen sind anschließend darauf hin zu untersuchen, ob sie die betroffenen Straftäter weniger stark belasten als staatliche Warnungen. (1) Gleich wirksame Maßnahmen Die Rechtsordnung kennt bereits eine Vielzahl von Mitteln zur Beherrschung des Rückfallrisikos entlassener Straftäter sowie generell zur Erhöhung der objektiven Sicherheit (a). Neben der Untersuchung dieser alternativen Mittel sind verschiedene Ausgestaltungsmöglichkeiten für staatliche Warnsysteme vor entlassenen Straftätern voneinander zu unterscheiden (b). (a) Alternative präventive Maßnahmen Innerhalb der vom Staat bereits heute eingesetzten, alternativen Mittel zur Verhinderung von Rückfällen bei entlassenen Straftätern können die Maßregeln der Besserung und Sicherung von allen sonstigen Maßnahmen unterschieden werden. (aa) Maßregeln der Besserung und Sicherung Das Maßregelrecht wurde für den Umgang mit Straftätern geschaffen, die auch noch nach ihrer Entlassung eine abstrakte Gefahr für die Allgemeinheit sind.932 Ihre im hiesigen Zusammenhang wichtigsten Instrumente sind bereits oben vorgestellt worden: die Sicherungsverwahrung (§§ 66 ff. StGB) und die Führungsaufsicht (§§ 68 ff. StGB). Die Sicherungsverwahrung von eigentlich aus der Haft zu entlassenden Straftätern ist – im Rahmen ihres Anwendungsbereichs – wohl unstreitig ein ebenso geeignetes Mittel zur Verhinderung von Straftaten wie der Einsatz von staatlichen Warnungen vor tatsächlich entlassenen Straftätern. Denn im Maßregelvollzug wird der Betroffene in der Regel keine Straftaten begehen, jedenfalls keine zu Lasten der allgemeinen Bevölkerung. Von dieser ist er vollkommen abgeschirmt. Dieses Ergebnis kann die Sicherungsverwahrung jedoch nur unter Inkaufnahme eines erheblich höheren personellen und materiellen Aufwandes erreichen. Die Unterhaltung eines Maßregelvollzugs wird wesentlich kostenintensiver sein als ein staatliches Warnsystem. Allerdings wäre ebenfalls zu erwarten, dass die objektive Sicherheit gegenüber einem Warnsystem erheblich höher wäre. In der Summe könnte 932

Vgl. näher zum Maßregelrecht oben B.II.1.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

die Wirksamkeit der Sicherungsverwahrung also der eines Systems staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern in etwa gleichstehen – vorausgesetzt, dass sich deren Anwendungsbereiche decken. Verbleibende Zweifel gehen jedoch zugunsten des Gesetzgebers, der deshalb nicht von gleicher Wirksamkeit ausgehen muss. Entsprechend wäre eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Sicherungsverwahrung auf alle Fälle, für die staatliche Warnungen geplant sind, kein gleich wirksames Mittel – ganz unabhängig davon, ob eine solche Ausweitung der Sicherungsverwahrung ihrerseits verfassungsgemäß wäre. Auf ihre gleiche Wirksamkeit zu prüfen ist weiter die Führungsaufsicht. In ihrem Rahmen kann das zuständige Gericht nach § 68b Abs. 1 S. 1 StGB Weisungen erteilen, die präzise auf den betroffenen Straftäter zugeschnitten werden können und so ein „engmaschiges Netz ambulant-strafrechtlicher Sozialkontrolle“933 schaffen.934 Auf die Weisung, sich nicht an bestimmten Orten aufzuhalten (§ 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB)935, wurde bereits ebenso hingewiesen wie auf die Möglichkeit einer Meldepflicht (§ 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 7 StGB) und einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung durch sog. „elektronische Fußfesseln“ (§ 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 12, S. 3 StGB).936 Die Wirksamkeit der Führungsaufsicht ist allerdings umstritten.937 Insbesondere fehlen die Mittel, die Befolgung der einzelnen Weisungen tatsächlich zu garantieren. Schon deshalb lässt sich äußerst schwer einschätzen, ob bestimmte Weisungen gem. § 68b Abs. 1 S. 1 StGB bzw. deren Kombination ebenso zur Verhinderung von Straftaten geeignet sind wie der Einsatz von staatlichen Warnungen. Zwar legt eine Studie von Prescott/Rockoff den Verdacht nahe, dass bei den USamerikanischen Gesetzen zur registration and notification von Sexualstraftätern schon die Registrierungskomponente einen erheblichen, wenn nicht entscheidenden Einfluss auf die Reduzierung der Rückfallquoten von Sexualstraftätern hat938; als erwiesen gelten kann dies jedoch nicht. Hinsichtlich der elektronischen Fußfessel lässt sich außerdem noch argumentieren, die Entdeckungswahrscheinlichkeit einer mit dieser begangenen Straftat sei deutlich höher als die bei einer staatlichen Warnung – mit der Folge, dass sie insoweit eine größere spezialpräventive Wirkung erzielt. Allerdings muss der Gesetzgeber nicht davon überzeugt sein, dass diese 933

Baur/Burkhardt/Kinzig, JZ 2011, 131, 135; vgl. auch S. 139 Fn. 114. Vgl. zu den durch die Führungsaufsicht und die begleitenden Maßnahmen eröffneten Möglichkeiten auch die abweichende Meinung der Richter Broß, Osterloh und Gerhardt zu BVerfGE 109, 190 ff., auf S. 248. 935 Zum ausbleibenden Erfolg von Einschränkungen der Freizügigkeit von Sexualstraftätern in den USA vgl. Zandbergen/Levenson/Hart, Criminal Justice and Behaviour 37 (2010), 482 ff. 936 Vgl. oben B.II.1.b). 937 Vgl. Grosser/Maelicke, in: Cornel/Kawamura-Reindl/Maelicke u. a. (Hrsg.), Resozialisierung, 3. Aufl. 2009, S. 192, 195 ff. m.w.N.; einen guten Überblick bietet insoweit auch Ostendorf, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, Vorbemerkungen zu den §§ 68 bis 68 g Rn. 12 ff. 938 Prescott/Rockoff, Do Sex Offender Registration and Notification Laws Affect Criminal Behaviour?, S. 34. 934

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höhere intrinsische Motivation zu legalem Verhalten bei elektronischen Fußfesseln den präventiven Effekten gleichkommt, die bei staatlicher Warnung durch Selbstschutzmaßnahmen gegen einen identifizierten Straftäter entstehen. Auch insoweit kommt dem Gesetzgeber seine Einschätzungsprärogative zugute. Trotz der Bedenken gegen die Wirksamkeit der Führungsaufsicht kann es Fälle geben, in denen die Führungsaufsicht gleichwohl dasselbe Maß an Wirksamkeit gewährleistet wie eine staatliche Warnung. Gedacht werden könnte etwa an den Fall, in dem ein pädophiler Sexualstraftäter eine Tätigkeit in einer Kindertagesstätte aufnimmt. Hier kommt zwar prinzipiell eine Warnung an die Betreiber oder gar die Eltern der Kindertagesstätte in Betracht; die (nachträgliche, vgl. § 68d StGB) Weisung nach § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB, diese Tätigkeit nicht auszuüben, könnte den Zweck einer Entfernung des Betroffenen aus der „Gefahrenzone“ allerdings ebenso gut erfüllen. In derlei eng umgrenzten Fällen sind die Mittel der Führungsaufsicht mithin ebenso wirksam wie die staatliche Warnung. Diesen Einzelfällen kann durch eine entsprechende gesetzliche Regelung Rechnung getragen werden, die etwa darauf hinweist, dass eine staatliche Warnung nur dann auszusprechen ist, wenn eine gleich wirksame Maßnahme im Rahmen der Führungsaufsicht nicht in Betracht kommt. (bb) Sonstige Maßnahmen Der Staat bedient sich auch anderer Mittel als Maßregeln, um von entlassenen Straftätern ausgehende Gefahren einzudämmen. Seitdem infolge der Rechtsprechung des EGMR939 immer mehr Straftäter aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden mussten, organisierten die Sicherheitsbehörden vereinzelt eine Rund-umdie-Uhr-Überwachung für besonders gefährliche Personen. Dazu wurden bis zu 24 Polizisten abgestellt, derer 4 den Betroffenen auf Schritt und Tritt verfolgten.940 Eine derartige Maßnahme dürfte mindestens ebenso sehr zur Verhinderung von Straftaten beitragen wie staatliche Warnungen.941 Von einem Straftäter, der von einsatzbereiten Polizisten rund um die Uhr unter unmittelbarer physischer Präsenz überwacht wird, dürften erhebliche Straftaten kaum je zu erwarten sein. Allerdings wäre wie auch bei der Sicherungsverwahrung der finanzielle Aufwand für eine solche Dauerobservation weit höher anzusiedeln als die Kosten eines staatlichen Warnsystems. Wie bei der Sicherungsverwahrung ist abstrakt kaum zu beantworten, ob die enorm hohen Kosten durch das gegenüber einer staatlichen Warnung erhöhte Maß an objektiver Sicherheit ausgeglichen werden. Mit Blick auf die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers dürfte dieser hinsichtlich der Dauerobservation deshalb ebenfalls 939

Vgl. insbes. das Urt. v. 17. 12. 2009 – NJW 2010, 2495 ff. So im in der Einführung geschilderten Fall des ehemals Sicherungsverwahrten HansPeter M., vgl. ZEIT vom 15. 11. 2011, S. 17. 941 Zu ihrer Zulässigkeit vgl. etwa VG Aachen, Urt. v. 24.01.2011 – 6 K 140/10; VG Freiburg, Beschl. v. 29.12.2010 – 4 K 2629/10; krit. zur Dauerobservation – wenn auch ohne nähere Ausführungen – Kreuzer, ZRP 2011, 7, 9 f. 940

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davon ausgehen, es handele sich um kein ebenso wirksames Mittel zur Verhinderung von Straftaten, wie es der Einsatz von staatlichen Warnungen wäre. Auch ein weiteres Mittel der Vorbeugung wurde bereits kurz vorgestellt942 : der behördeninterne Informationsaustausch, gekoppelt an eine strengere Überwachung der erfassten Straftäter; in Bayern führt dieses System den Namen HEADS (HaftEntlassenen-Auskunfts-Datei-Sexualstraftäter).943 Seine Funktionsweise ist grob wie folgt944: Die Justizvollzugsanstalt teilt der zuständigen Staatsanwaltschaft mit, dass ein möglicherweise als Risikofall einzustufender Sexualstraftäter kurz vor der Entlassung steht. Die Staatsanwaltschaft entscheidet dann, ob der Straftäter als sog. HEADS-Risikoproband eingestuft wird und meldet diesen der HEADS-Zentralstelle der Polizei. Diese nimmt je nach Art und Schwere der begangenen Tat, der Persönlichkeit des Täters und seinem Verhalten nach der Tat eine Einteilung der Straftäter in drei Kategorien vor. Sodann werden die personenbezogenen Daten der Betroffenen zentral gespeichert. Diese Daten werden insbesondere für gezielte sog. Gefährderansprachen945 genutzt. Dabei wird der Betroffene auf freiwilliger Basis zu einem Gespräch eingeladen und ihm wird dadurch fortgesetzte Aufmerksamkeit für seine Person signalisiert. Zumindest die bayerische Polizei wertet HEADS insgesamt als Erfolg, wenngleich eingeräumt wird, auch dieses System könne Rückfälle nicht gänzlich verhindern.946 Die Polizei gesteht auch ein, dass die Wirksamkeit von HEADS nicht belegt werden kann.947 Der Gesetzgeber dürfte also wiederum unter Berufung auf seine Einschätzungsprärogative davon ausgehen, dass HEADS und vergleichbare Systeme keine ebenso geeigneten Mittel zur Verhinderung von Straftaten sind wie Warnungen vor entlassenen Straftätern. (b) Alternative Ausgestaltungsmöglichkeiten von Warnsystemen Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der Staat bei der Einführung einer gesetzlichen Regelung für Warnungen vor entlassenen Straftätern aus dem ihm bereits zur Verfügung stehenden Maßnahmenkatalog im Rahmen der Geeignetheitsprüfung 942

Vgl. Einführung III. Das sächsische Pendant ISIS wurde bereits vom BVerfG als im Einzelfall möglicherweise milderes Mittel zur (nachträglichen) Sicherungsverwahrung ins Spiel gebracht, vgl. BVerfG, NJW 2009, 980, 983. 944 Vgl. näher Raab, Der Kriminalist 2009, 1 ff. 945 Zu diesen allgemein Rachor, in: Lisken/Denninger/Rachor (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, S. 409, 820 ff., sowie Hebeler, NVwZ 2011, 1364 ff. 946 Raab, Der Kriminalist 2009, 1, 6. Exemplarisch sei ein Fall aus der jüngeren Vergangenheit genannt, in dem ein entlassener Sexualstraftäter in Mecklenburg-Vorpommern unter Führungsaufsicht stand und zudem in das neue HEADS-Pendant „FoKuS“ (Für optimierte Kontrolle und Sicherheit) eingebunden war und gleichwohl rückfällig wurde, vgl. Utler, SPIEGEL Online v. 20. 08. 2010, online unter: http://bit.ly/10VN7pg (Stand: 13. 04. 2013). 947 Raab, Der Kriminalist 2009, 1, 5. HEADS wurde vom Landesdatenschutzbeauftragten in seinem 23. Tätigkeitsbericht (Berichtszeitraum 2007/2008) gleichwohl für im Ganzen datenschutzrechtlich unbedenklich gehalten, vgl. Bayer. Landtag Drs. 16/2100, S. 33. 943

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keine alternativen Präventionsmaßnahmen als gleich wirksame Mittel anerkennen müsste. Allerdings hätte er zu prüfen, ob nicht das Warnsystem selbst verschiedene, gleichermaßen wirksame Ausgestaltungsmöglichkeiten zuließe. Der Staat müsste aus verschiedenen denkbaren, gleich wirksamen Varianten die mildeste wählen. Oben wurden bereits verschiedene Warnsysteme aus anderen Ländern vorgestellt.948 Sie unterscheiden sich danach, vor welchen Straftätern (aa) der Staat wen (bb) nach welchem Verfahren (cc) in welcher Form (dd) wie lange (ee) warnt. (aa) Gleiche Wirksamkeit bei unterschiedlichem Anwendungsbereich? Fraglich ist, ob sich die Wirksamkeit eines Warnsystems dadurch ändert, dass nicht vor allen Straftätern gewarnt wird, die in der Vergangenheit Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung und das Vermögen949 begangen haben, sondern nur vor bestimmten. Unterschieden werden kann nach der Art der Straftat und nach der individuellen Gefährlichkeit des Straftäters. Würde nur vor einer bestimmten Art von Straftätern gewarnt – etwa nur vor Sexualstraftätern –, so wäre ein solches Warnsystem nicht gleichermaßen wirksam. Denn den jeweils außer Acht gelassenen Rechtsgütern wäre der zusätzlich durch das Warnsystem vermittelte Schutz gänzlich vorenthalten. Es erscheint zudem unwahrscheinlich, dass die dadurch ungeteilte Aufmerksamkeit der Bevölkerung für Sexualstraftäter die objektive Sicherheit für das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung so weit zu steigern vermag, dass das eingeschränkte Warnsystem insgesamt wieder dasselbe Wirksamkeitsniveau erreicht wie eines zugunsten aller oben genannten Rechtsgüter. Denn staatliche Warnungen sprechen je nach gefährdetem Rechtsgut unterschiedliche Menschen an – ein kinderloser Mann um die 40 wird sich eher für den Räuber als für den pädophilen Vergewaltiger interessieren –, sodass etwa für Sexualstraftäter eine höhere Aufmerksamkeit nicht dadurch automatisch gewährleistet wird, dass nicht auch vor Dieben gewarnt wird. Die individuelle Gefährlichkeit von Straftätern könnte der Staat wie der USBundestaat Florida, der schlicht alle entlassenen Sexualstraftäter in seinem Warnsystem erfasst950, ignorieren wollen. So würden tatsächlich rückfallgefährdete Straftäter ebenso erfasst wie tatsächlich nicht rückfallgefährdete, ohne dass der Staat den Aufwand einer Gefährlichkeitsprognose erbringen müsste. Die gleiche Eignung eines solchen Vorgehens gegenüber einem Ansatz, bei dem nach der prognostizierten Gefährlichkeit von Straftätern differenziert würde, könnte mit dem Argument bestritten werden, durch massenweise Warnungen vor schlicht jedem entlassenen Straftäter müsste die adressierte Bevölkerung abstumpfen und wäre von ihnen überfordert. Die Adressaten der Warnung könnten dann gehindert sein, gezielte 948

Vgl. C.I. Eine Begrenzung auf diese Rechtsgüter hatte im Rahmen der Geeignetheitsprüfung zu erfolgen, vgl. oben C.IV.2.c)bb)(1)(a)(aa). 950 Vgl. dazu oben C.I.1.c)cc). 949

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Selbstschutzmaßnahmen gegen einzelne, tatsächlich gefährliche Straftäter einzuleiten. Je nach Art der in der Warnung übermittelten Informationen könnte es dem Einzelnen gegebenenfalls sogar unmöglich sein, überhaupt rückfallgefährdete bzw. besonders gefährliche Straftäter zu identifizieren; er wäre dann seiner eigenen Prognose überlassen. Besser erreichen könnte das gesetzte Ziel möglicherweise ein stark ausdifferenziertes System, das diese Gefährlichkeitsprognose vermittels staatlicher Gutachten vorwegnähme und die Bevölkerung von vornherein nur vor Straftätern warnte, die für besonders gefährlich befundenen wurden. Für einen solchen Schluss zugunsten eines differenzierten Ansatzes sprechen die bereits oben dargestellten Ergebnisse der US-amerikanischen empirischen Studien951, unter denen nur jene einen statistisch relevanten Zusammenhang zwischen staatlichen Warnungen und einer Reduzierung der Rückfallquoten herstellen konnte, die sich mit einem 3-LevelAnsatz beschäftigte952. Könnten also gefährliche Straftäter eindeutig identifiziert werden, so wären staatliche Warnungen nur vor besonders gefährlichen Straftätern zur Erhöhung der objektiven Sicherheit wohl noch stärker in der Lage als staatliche Warnungen vor schlicht allen entlassenen Straftätern. Die mit der Identifikation einhergehenden höheren Kosten dürften der zumindest gleichen Eignung eines differenzierten Ansatzes gegenüber einem unterschiedslosen Ansatz nicht entgegenstehen. Das Problem liegt darin, dass ein rückfallgefährdeter Straftäter nicht eindeutig von einem nicht rückfallgefährdeten Straftäter unterschieden werden kann.953 Vielmehr unterliegen Gefährlichkeitsprognosen nicht unerheblichen Fehlerquoten.954 Diese Fehlerquoten würden in einem differenzierenden Warnsystem einerseits dazu führen, dass ein nicht unerheblicher Anteil der mit Warnungen belegten Straftäter tatsächlich keine Rückfallgefahr aufweisen und umgekehrt ein nicht unerheblicher Anteil der verschonten Straftäter tatsächlich rückfällig würde. Unter diesen Umständen darf der Gesetzgeber unter Berufung auf seine Einschätzungsprärogative davon ausgehen, dass differenzierende Ansätze nicht ebenso zur Erhöhung der objektiven Sicherheit geeignet sind wie ein Warnsystem, das sämtliche Straftäter erfasst – und umgekehrt. (bb) Gleiche Wirksamkeit bei unterschiedlichen Adressatenkreisen? Ebenso ist zu diskutieren, ob Warnsysteme dieselbe Wirksamkeit haben können, wenn sich die ausgesprochenen Warnungen an unterschiedlich große Adressatenkreise richten. Im extremsten Fall erhält jeder Bundesbürger nach Entlassung eines Straftäters eine Nachricht vom Staat, im moderatesten nur eine einzige Person. Gleich wirksam wie eine vollumfängliche Warnung an alle Bürger kann eine hin951

Vgl. C.IV.2.c)bb)(2)(a)(aa). Vgl. Duwe/Donnay, Criminology 46 (2008), 411 ff. (zur Regelung im Bundesstaat Minnesota). 953 Dazu bereits oben B.II.2. 954 Vgl. BVerfGE 109, 133, 158 m.w.N. 952

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sichtlich der Adressaten eingeschränkte Warnung jedoch nur sein, wenn sich der (eingeschränkte) Adressatenkreis mit dem Kreis potentieller Opfer deckt. Kann jedes potentielle Opfer gewarnt werden, so tragen Warnungen an weitere Personen nichts mehr zu einer Erhöhung der Wirksamkeit der Warnung bei. Ein bestimmbarer Kreis potentieller Opfer ist nur bei Delikten und Tätern denkbar, bei denen Muster in der Auswahl der Opfer bestehen. Eine Kategorisierung nach Delikten ist hier untauglich, selbst im Falle von Sexualstraftaten: Wie oben im Rahmen der Geeignetheitsprüfung bereits dargestellt, sind im Falle des sexuellen Missbrauchs mit Körperkontakt zwar etwa 41,4 % der Täter männliche Familienangehörige, 44,8 % männliche Bekannte und nur 23,3 % männliche Unbekannte.955 Schon diese Zahlen zeigen, dass auch im Fall von Sexualstraftätern eine Einschränkung des Adressatenkreises die Wirksamkeit der Warnung beeinträchtigt: Ein Angriff auf mit einem Sexualstraftäter noch nicht bekannte Personen kann auch bei diesem Delikt nicht generell ausgeschlossen werden. Bei anderen Delikten mit einer noch schwerer zu erfassenden Opferstruktur wird dies umso weniger ausgeschlossen werden können. Denkbar bleibt freilich, dass ein einzelner Straftäter ein sehr spezifisches Opferprofil hat. In Betracht kommen z. B. ein Pädophiler mit einer stark ausgeprägten Präferenz für Grundschüler, ein alkoholabhängiger Ladendieb, ein Antisemit oder ein Hooligan, der ausschließlich in Fußballstadien Straftaten begeht. In solchen Fällen, in denen Straftaten außerhalb des Opferprofils nahezu ausgeschlossen sind, kann sich ein eingeschränkter Adressatenkreis – (die Eltern von) Grundschüler(n), Einzelhändler im Wohnort des Straftäters, jüdische Gemeinden, die Betreiber von Fußballstadien –, mit dem potentiellen Opferkreis tatsächlich decken. Dann kann eine Warnung, die der Staat nur an die potentiellen Opfer richtet, ebenso wirksam sein wie eine, die er an die gesamte Öffentlichkeit richtet. (cc) Gleiche Wirksamkeit bei unterschiedlichen Verfahren? Der staatlichen Warnung können verschiedene Verfahren vorgeschaltet werden. Je kürzer und unkomplizierter der Entscheidungsprozess, desto wirksamer ist das Warnsystem. Müssen hingegen vor Erlass der Warnung verschiedene Personen oder gar Kontrollinstanzen eingeschaltet werden, macht dies den (zeitigen) Erlass der Warnung unwahrscheinlicher und verhindert damit (zeitige) Selbstschutzmaßnahmen der Bevölkerung. Ein Richtervorbehalt etwa mag unter Angemessenheitsgesichtspunkten für notwendig gehalten werden956; die Frage nach der gleichen Wirksamkeit eines von richterlicher Zustimmung abhängigen Warnsystems ist aber zu verneinen.

955 Erster Forschungsbericht des BMBF zur Repräsentativbefragung Sexueller Missbrauch, oben Fn. 882; Mehrfachnennungen waren möglich. 956 Vgl. dazu unten C.IV.2.c)dd)(3)(c).

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(dd) Gleiche Wirksamkeit bei unterschiedlicher Form? Der Staat kann seine Warnungen ganz unterschiedlich ausgestalten. Zu unterscheiden sind zunächst passive von aktiven Formen der Warnung: Im ersten Fall warnt der Staat in einer Weise, dass der Einzelne an den Staat herantreten muss, um an Täterdaten zu gelangen (so das Modell im Vereinigten Königreich); im zweiten Fall richtet sich der Staat selbstständig an einzelne oder alle Bürger (so die USamerikanischen Modelle). Zu unterscheiden ist weiter nach dem Inhalt der Warnung. Die Identifizierbarkeit von Straftätern vorausgesetzt957, sind Warnungen ganz unterschiedlichen Umfangs denkbar: Manche mögen sehr knapp gehalten sein, etwa nur Foto, Name und Geburtsdatum enthalten, andere können daneben über Wohnort, begangene Straftaten, prognostizierte Gefährlichkeit etc. Aufschluss geben. Dass eine bloß passive staatliche Warnung ebenso wirksam ist wie aktive Aufklärung, ist allenfalls in den extrem unwahrscheinlichen Fällen denkbar, in denen die aktive Warnung vollkommen ignoriert wird. Denn eine aktive Warnung bietet immer größere Gewähr für ihre Wahrnehmung – und damit ihre Wirksamkeit – als eine Warnung, die zunächst vom Bürger angefordert werden muss. Ein Modell, das auf aktive Warnungen verzichtet, ist also regelmäßig weniger wirksam als ein Modell, das sie einsetzt. Sinnvolle Einschränkungen lassen sich aber beim Umfang der in der Warnung enthaltenen Informationen machen, ohne dass hierunter die Wirksamkeit der Warnung litte. Dies gilt für alle Daten, die nicht dazu benötigt werden, um der Bevölkerung die Ergreifung wirksamer Selbstschutzmaßnahmen zu ermöglichen. Hierzu dürften etwa – unabhängig von der Art der prognostizierten Straftat – Informationen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen, zu seinem Gesundheitszustand oder seiner Religionszugehörigkeit gehören. Die Allgemeinheit gewönne nichts durch die Kenntnis solcher Informationen. Etwas anderes gilt aber für jene Daten, die eine Identifizierbarkeit des Straftäters ermöglichen: Je mehr von diesen vorhanden sind, desto leichter fallen der Bevölkerung die Identifizierung und die Einleitung von effektiven Schutzmaßnahmen. Fehlen hingegen Daten wie z. B. die Adresse oder ein Lichtbild, so bleibt eine Identifizierung ggf. zwar möglich, sie ist aber erschwert. Dann ist jedoch auch die Warnung nicht mehr gleich wirksam wie jene Warnung, mit der eine Identifizierung des Straftäters leichter fällt. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, ob die Einfügung des Ergebnisses einer Gefährlichkeitsprognose für einen Straftäter die Wirksamkeit der Warnung beeinträchtigt. Weil es ihre Inklusion aber dem Adressaten gestattet, verhältnismäßig auf die ihm zur Kenntnis gelangten Information zu reagieren, dürfte ein Verzicht auf die individuelle Gefährlichkeitsprognose die Warnung zu einem weniger wirksamen Mittel machen.

957 Uninteressant sind im hiesigen Kontext solche Warnungen, die eine Identifizierung des Straftäters überhaupt nicht erlauben, weil solche Warnungen schon kein Eingriff und damit ohne Weiteres zulässig sind, vgl. dazu bereits oben C.II.1.h).

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(ee) Gleiche Wirksamkeit bei unterschiedlicher Dauer? Zuletzt kann man die Frage stellen, ob es gleich wirksame Warnsysteme gibt, die Warnungen über eine unterschiedliche Dauer aussprechen. So könnte in System A der Staat über 25 Jahre (oder lebenslang) Zugezogene über einen Straftäter in der neuen Nachbarschaft informieren bzw. entsprechende Informationen im Internet zur Verfügung stellen, in System B etwa aktive Warnungen nach 5 Jahren unterlassen und im Internet zur Verfügung gestellte Informationen nach 10 Jahren löschen. Selbst wenn aber kriminologische Daten verfügbar wären, die für diese oder jene Art von Delikten belegen könnten, dass die Rückfallwahrscheinlichkeit mit zunehmender Dauer der Straflosigkeit sinkt, könnte ein Rückfall wohl nie gänzlich ausgeschlossen werden – solange nur der Straftäter dazu physisch in der Lage bleibt. Entsprechend sind Warnsysteme, die eine kürzere Warndauer vorsehen als andere, nicht ebenso wirksam wie jene. (c) Zusammenfassung Der sich auf seine Einschätzungsprärogative berufende Gesetzgeber muss alternative präventive Maßnahmen grundsätzlich nicht für ebenso wirksam halten wie staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern. Allein die Führungsaufsicht mag im Einzelfall ein ebenso wirksames Mittel zur Erhöhung der objektiven Sicherheit sein wie eine staatliche Warnung. Zudem lassen sich Warnsysteme unterschiedlich konstruieren, ohne dass sie in ihrer Wirksamkeit variieren. Herausgearbeitet wurde erstens, dass eine Warnung nicht an Wirksamkeit einbüßt, wenn sie statt an die gesamte Öffentlichkeit nur an einen eingeschränkten Personenkreis übermittelt wird, sofern dieser mit dem Kreis potentieller Opfer identisch ist. Zweitens wurde gezeigt, dass hinsichtlich des Umfangs der staatlichen Warnungen die Aussparung von Informationen, die nicht der Identifizierbarkeit der Straftäter dienen, ihrer Wirksamkeit keinen Abbruch tut. (2) Mildere Maßnahmen Die diskutierten gleich wirksamen Maßnahmen sind nunmehr daraufhin zu untersuchen, ob sie für den betroffenen Straftäter auch milder als staatliche Warnungen wären. (a) Alternative präventive Maßnahmen Der weite Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers bei der Beurteilung der gleichen Wirksamkeit alternativer präventiver Maßnahmen führt im vorliegenden Fall dazu, dass er im Prinzip nur Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht in eng umgrenzten Fällen für gleich wirksam halten muss. Liegt einer dieser Fälle vor, ist die Weisung – etwa an einen pädophilen Sexualstraftäter, seine Tätigkeit in einer Kindertagesstätte nicht weiter auszuüben – aus Sicht des Straftäters in aller Regel milder als die Verbreitung einer Warnung; denn so ist ihm die Möglichkeit gegeben,

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

ohne Offenbarung seiner Vergangenheit Schritte zu unternehmen, die von ihm ausgehende abstrakte Gefahr zu beseitigen, ohne dass er sich in seinen Resozialisierungschancen beeinträchtigt sieht. Derartigen Einzelfällen hat der Gesetzgeber durch eine entsprechende gesetzliche Regelung gerecht zu werden, etwa durch einen speziell ausgeformten Vorbehalt oder eine Art Subsidiaritätsklausel zugunsten von Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht. Im Falle der Sicherungsverwahrung wie auch der Dauerobservation nach Entlassung erübrigt sich eigentlich eine Beurteilung der Eingriffsintensität im Verhältnis zu staatlichen Warnungen, weil der Gesetzgeber sie schon nicht für ein gleich wirksames Mittel halten muss. In beiden Fällen kann man jedoch mit guten Argumenten die Ansicht vertreten, dass sie wegen des durch sie vermittelten höheren Schutzniveaus trotz der deutlich höheren Kosten durchaus gleich wirksam sind. Sie verdienen deshalb eine Untersuchung dahingehend, ob sie bei Anerkennung ihrer gleichen Wirksamkeit als mildere Maßnahmen staatlichen Warnungen vorzuziehen wären. Die Sicherungsverwahrung ist ein gravierender Eingriff in die Rechte des Betroffenen, indem sie diesen seiner Bewegungsfreiheit nahezu vollständig beraubt und ihn über einen erheblichen Zeitraum wegsperrt. Sie ist – wie bereits oben ausgeführt958 – letzte „Notmaßnahme der Kriminalpolitik“959 und im System der Maßregeln jene mit dem „schärfsten Maß an Übelszufügung“960 überhaupt. Die Bedeutung der Bewegungsfreiheit für den Einzelnen wird durch Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG besonders betont.961 Auch im Strafensystem des StGB ist die der Sicherungsverwahrung in ihrer Wirkung verwandte Freiheitsstrafe nach §§ 38 f. StGB die schwerste der möglichen Folgen einer Straftat. Es wurde jedoch ebenso deutlich, dass die Folgen staatlicher Warnungen für den Betroffenen äußerst gravierend sein können. In Extremfällen können sie in der vollständigen Ausgrenzung des Betroffenen und hierdurch verursachtem, enormem psychischen Stress münden, möglicherweise sogar in offenen Drohungen oder gar tätlichen Angriffen.962 Insbesondere in Fällen der letztgenannten Art dürften die Folgen der Warnung insgesamt für den Betroffenen schwerer wiegen als die einer Sicherungsverwahrung. Diese Folgen durch Handlungen Dritter sind dem Staat jedoch nicht zuzurechnen.963 Der Staat ist vielmehr verpflichtet – und wird in der Regel auch darum bemüht sein –, solche Auswüchse bzw. schwerwiegende Folgen für den Betroffenen abzuwenden. Dem Staat kann in 958

Vgl. B.II.1.c). Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drs. V/4094, S. 19; BGHSt 30, 220, 222. 960 Böllinger/Pollähne, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 66 Rn. 31; vgl. auch Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 2010, § 66 StGB Rn. 2: „… einschneidendste und zugleich fragwürdigste Maßregel des Strafrechts“. 961 Zu Nachweisen aus der Rechtsgeschichte des habeas corpus vgl. Starck, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 6. Aufl. 2010, Art. 2 Rn. 189. 962 Vgl. dazu oben C.II.1.a)aa)(2)(a). 963 Vgl. dazu oben C.II.1.b)bb)(2)(b). 959

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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aller Regel allein der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, namentlich in die Ausprägung des Rechts auf Resozialisierung, zugerechnet werden. Hinsichtlich dieses Eingriffs ist jedoch die Sicherungsverwahrung mit ihren Folgen gegenüber der staatlichen Warnung kein milderes Mittel – denn auch das Wegsperren verhindert Resozialisierung, jedenfalls solange es währt. Die Dauerobservation dürfte schon ihrer Natur nach kaum je ein milderes Mittel zur staatlichen Warnung sein. Denn durch sie wird in aller Regel nach außen für jedermann und jederzeit erkennbar sein, dass die observierte Person vom Staat als besonders gefährlicher Straftäter eingestuft wird. Bis zu vier Polizisten, seien sie auch in Zivil gekleidet, fallen als Dauerbegleiter auf. Infolgedessen dürften die Schwierigkeiten, denen der Betroffene bei seinen Reintegrationsversuchen begegnete, bei der Dauerobservation kaum geringer, im Regelfall sogar höher sein als bei staatlichen Warnungen. Mit der Dauerobservation wird dem Straftäter auch die letzte Chance auf einen veritablen Neustart genommen. Sie wäre deshalb – ihre gleiche Wirksamkeit zur Verhinderung von Straftaten vorausgesetzt – kein milderes Mittel. (b) Verschiedene Ausgestaltungsmöglichkeiten Bei der Betrachtung verschiedener Ausgestaltungsmöglichkeiten für staatliche Warnsysteme wurde gezeigt, dass staatliche Warnungen an Wirksamkeit nicht einbüßen, wenn statt aller nur der potentielle Opferkreis informiert wird. Eine solche Warnung ist aus Sicht des Straftäters auch ein milderes Mittel. Denn der Eingriff in sein Recht auf Resozialisierung hängt hochgradig von der Anzahl der Personen ab, die ihn als Straftäter erkennen und behandeln. Dasselbe gilt für den Fall, dass vom Straftäter weniger Informationen offenbart werden, als die Allgemeinheit zu seiner problemlosen Identifizierung und zur Ergreifung adäquater Selbstschutzmaßnahmen benötigt. Der Verzicht auf deren Veröffentlichung ist aus Sicht des Straftäters ein milderes Mittel, ist doch der Eingriff in sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG964 in diesem Fall geringer als in jenem. Beides wäre bei der gesetzlichen Ausformulierung eines staatlichen Warnsystems zu beachten. (3) Zwischenergebnis Aus dem Gebot der Erforderlichkeit ergeben sich allgemein formulierbare Einschränkungen für ein staatliches Warnsystem nur hinsichtlich des Umfangs der preisgegebenen Täterdaten. Der Gesetzgeber wäre wegen des Grundsatzes der Erforderlichkeit dazu gezwungen, in einer möglichen Rechtsgrundlage die Weitergabe von Daten zu untersagen, die nicht zur Identifizierung eines Täters und der von ihm ausgehenden Gefahr beitragen.

964 Betroffen ist insoweit übrigens das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, weil das Recht auf Resozialisierung durch die Veröffentlichung von Krankheitsdaten o. ä. nicht berührt wird.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Darüber hinaus wurde festgestellt, dass in Einzelfällen Alternativen zu staatlichen Warnungen bestehen, denen der Gesetzgeber Raum zu geben hat. Namentlich muss er gewährleisten, dass staatliche Warnungen wirklich nur dann ergehen, wenn nicht im Einzelfall eine Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht die objektive Sicherheit ebenso gut erhöhen kann. Außerdem hat der Gesetzgeber gesetzlich zu bestimmen, dass in dem Fall, da ein Straftäter nur für einen abschließend bestimmbaren Personenkreis überhaupt eine Gefahr ist, der Staat nur diesen Personenkreis warnt. dd) Angemessenheit Infolge des weiten Einschätzungsspielraums des Gesetzgebers (auch) beim Einsatz von staatlichen Warnungen kann der Gesetzgeber diese für geeignet und erforderlich zur Erhöhung der objektiven Sicherheit halten. Zu prüfen ist nunmehr, welche Hürden eine Rechtsgrundlage für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern überwinden muss, um auch ein angemessenes Mittel zur Erreichung des gesetzten Ziels zu sein. Die Frage nach der Angemessenheit ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der letzte Prüfungsschritt einer Maßnahme965 (auch Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn966, Proportionalität967, Übermaßverbot968 oder Zumutbarkeit969). Ob ein staatlicher Grundrechtseingriff angemessen ist, ergibt sich aus einer Güterabwägung, bei der die Interessen des vom Eingriff Betroffenen zu dem mit ihm verfolgten Zweck ins Verhältnis zu setzen sind.970 Je stärker die Interessen des Grundrechtsträgers betroffen sind, umso zwingender müssen die Belange sein, die zur Rechtfertigung des Eingriffs vorgebracht werden. Übertragen auf den Kontext des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bedeutet dies, dass das Rechtfertigungsbedürfnis umso größer ist, „je tiefer ein belastender Eingriff in den engeren persönlichen Bereich des Betroffenen eindringt“.971 Einen Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip nimmt das BVerfG in der Regel nur bei „deutlicher Unangemessenheit“ an.972 Dass der 965

BVerfGE 13, 230, 236; 93, 213, 237 f.; 100, 313, 375 f.; 111, 10, 36; 125, 260, 316. BVerfGE 77, 84, 111; 90, 145, 173; 105, 17, 36; 115, 118, 163; vgl. auch Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 11/2006, Art. 20 Abschn. VII Rn. 117; SchulzeFielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2006, Art. 20 GG (Rechtsstaat) Rn. 184; Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 299. 967 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 872; Sachs, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 20 Rn. 154; Degenhart, 28. Aufl. 2012, Rn. 406. 968 BVerfGE 67, 157, 178; 90, 145, 173; 105, 17, 36. 969 BVerfGE 13, 97, 113; 30, 292, 316; 67, 157, 178; 68, 193, 218; 77, 84, 111; 81, 70, 92; 101, 331, 350; 102, 1, 20; 110, 141, 157; 115, 118, 164. 970 Degenhart, 28. Aufl. 2012, Rn. 407; Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 02/2004, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 117; Michael, JuS 2001, 148, 149. 971 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 130. 972 Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 11/2006, Art. 20 Abschn. VII Rn. 120, unter Berufung auf BVerfGE 44, 353, 373 („ersichtlich wesentlich schwerer wiegen“); 966

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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Gesetzgeber womöglich nicht die beste verschiedener Alternativen gewählt hat, ist unschädlich.973 Die Prüfung der Angemessenheit eines Aktes der öffentlichen Gewalt erfolgt zweckmäßigerweise in drei Schritten974 : Zunächst sind die abzuwägenden Interessen abstrakt zu bewerten; es folgt eine Bewertung der konkreten Beeinträchtigung des Grundrechtsträgers und des konkreten Gewinns für die Allgemeinheit; zuletzt werden diese Belange gegeneinander abgewogen. Die Schritte zwei und drei sind jedoch wegen des abstrakten Charakters dieser Arbeit nicht gangbar – denn es werden gerade keine konkrete Rechtsgrundlage und keine konkrete Warnung auf ihre Angemessenheit hin untersucht. Deshalb wird im folgenden Abschnitt versucht, aus dem Gedanken der Angemessenheit Grenzen für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern zu formulieren, die unbedingt einzuhalten sind. Nach einer kurzen Darstellung der Auffassungen zu vergleichbaren Abwägungsvorgängen in Rechtsprechung und Literatur (1) werden die widerstreitenden Interessen abstrakt bewertet (2). Anschließend werden in Anknüpfung an die Erforderlichkeitsprüfung fünf Kriterien daraufhin untersucht, wie sie im Rahmen einer angemessenen Regelung auszugestalten wären: Untersucht werden Anwendungsbereich, Adressatenkreis, Verfahren, Form und Dauer der Warnungen (3). Zuletzt wird auf verbleibende Bedenken und einen Lösungsansatz eingegangen (4). (1) Ansichten zur Abwägung in Rechtsprechung und Literatur Die folgenden Ausführungen bieten eine Übersicht zu gerichtlichen Abwägungsentscheiden in Fällen, die mit staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern zumindest vergleichbar sind, sowie zu in der Literatur zu solchen Warnungen vertretenen Auffassungen. (a) Gerichtliche Abwägungsentscheidungen in vergleichbaren Fällen Die bereits erörterte Entmündigungsentscheidung des BVerfG975 ist zwar systematisch mit der hiesigen Konstellation vergleichbar, bietet aber in materieller Hinsicht kaum Hilfestellung. Zwar stand auf Seiten der Betroffenen auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht inmitten und ging es um die Gefahr der sozialen Ausgrenzung in Folge der Veröffentlichung personenbezogener Daten – nämlich der Bekanntmachung der Entmündigung beschränkt Geschäftsfähiger –, allerdings handelte es sich bei den Betroffenen nicht um Straftäter. Entsprechend stritt auf Seiten der Allgemeinheit nicht das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit, sondern vgl. auch Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 304, die in der Angemessenheitsprüfung eine bloße „Stimmigkeitskontrolle“ sehen. 973 So zutreffend Michael, JuS 2001, 148, 149 f. 974 Nach Michael, JuS 2001, 148, 150; ähnlich Degenhart, 28. Aufl. 2012, Rn. 407. 975 BVerfGE 78, 77 ff.; vgl. oben C.II.1.a)bb)(2)(b).

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

nur der Schutz des Rechtsverkehrs für die Veröffentlichung. Das Urteil des BVerfG, die Veröffentlichung der Entmündigung stehe zur Erreichung dieses Zwecks außer Verhältnis, ist deshalb nicht auf staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern übertragbar. Aus demselben Grunde sind auch die Wertungen des ausführlich wiedergegebenen Lebach-Urteils976 nur bedingt übertragbar. Die dortige Konstellation ähnelt zwar noch stärker dem hiesigen Fall, da der von dem Dokumentarspiel betroffene Straftäter in seinem Resozialisierungsinteresse betroffen war. Das diesem Interesse entgegengehaltene Schutzgut war jedoch auch hier nicht die öffentliche Sicherheit, sondern die Pressefreiheit. Diese trat gegenüber dem Recht auf Resozialisierung des Betroffenen zurück – im konkreten Fall auch deshalb, weil in den 1970er-Jahren im ZDF ausgestrahlte Dokumentarspiele von durchschnittlich etwa 23 Millionen Personen gesehen wurden und auch für die im Streit stehende Sendung ähnliche Aufmerksamkeit zu erwarten war.977 In gleichwohl bemerkenswerter und erinnerungswürdiger Weise formulierte das BVerfG unter den genannten Umständen: „Die für die soziale Existenz des Täters lebenswichtige Chance, sich in die freie Gesellschaft wieder einzugliedern, und das Interesse der Gemeinschaft an seiner Resozialisierung gehen grundsätzlich dem Interesse an einer weiteren Erörterung der Tat vor.“978 Näher an die hiesige Konstellation heran rückte ein Urteil des österreichischen Obersten Gerichtshofs in Wien. Dieser hatte sich im Jahre 1996 im Rahmen einer hilfsweisen Begründung zu der knappen Äußerung hinreißen lassen, eine identifizierende Berichterstattung über einen vielfach vorbestraften Betrüger sei zulässig, „weil die Warnung… ein berechtigtes Anliegen der Öffentlichkeit ist“.979 Diese Auffassung wurde aber nicht näher begründet. Der OGH Wien berief sich dabei auf eine frühere Entscheidung980, in der es allerdings um einen soeben erst in Untersuchungshaft genommenen Straftäter ging, dessen Foto in Verbindung mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen veröffentlicht wurde, um weitere Hinweise vonseiten der Öffentlichkeit zu erlangen. Auf dieser Grundlage kann die hilfsweise Begründung zur erstgenannten Entscheidung kaum überzeugen. Mehr gibt das Urteil des LG Hamburg981 zu einem mit der Konstellation vor dem OGH Wien vergleichbaren Fall her: Der Kläger hatte Wirtschaftsstraftaten begangen, derentwegen er zu einer – zur Bewährung ausgesetzten – Freiheitsstrafe und einer hohen Geldstrafe verurteilt worden war. Ein gutes Jahr nach seiner Verurteilung veröffentlichte der Beklagte einen Beitrag, in welchem er unter namentlicher Nennung des Klägers auf die Vorgänge einging, die zu dessen Verurteilung führten. Der Unterlassungsklage hielt der Beklagte u. a. das Argument entgegen, die Ge976 977 978 979 980 981

BVerfGE 35, 202 ff.; vgl. oben C.II.1.a)aa)(1)(a). BVerfGE 35, 202, 227 f. BVerfGE 35, 202, 237. OGH Wien, Entsch. v. 27.02.1996 – 4 Ob 1013/96 = MuR 1996, 149. OGH Wien, Entsch. v. 11.07.1995 – 4 Ob 63/95 = Ecolex 1995, 817. Urt. v. 26.05.2006 – 324 O 536/05.

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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sellschaft müsse vor dem betroffenen Straftäter gewarnt werden. Das LG Hamburg hielt dem das Resozialisierungsinteresse des klagenden Straftäters entgegen. Dieser sei bereits mit Verhängung einer hohen Geldstrafe empfindlich bestraft worden. Zudem würde der Zweck der Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung – nämlich ihm die Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen – durch die ihn als Straftäter anprangernden Veröffentlichungen vereitelt. Die vom LG Hamburg zugunsten des Straftäters getroffene Abwägungsentscheidung kommt mithin der vorliegenden Konstellation schon sehr nahe. Noch aufschlussreicher ist das bereits dargestellte Urteil des VG Münster.982 Es ging dort um ein Jugendamt, das den Eltern betroffener Kinder unter Berufung auf Vorschriften des SGB mitteilte, dass ein Schulbetreuer zwölf Jahre zuvor wegen Kindesmissbrauchs verurteilt worden war. Das VG Münster gab der daraufhin von dem Sexualstraftäter erhobenen Klage nicht statt, übersah bei seiner Güterabwägung aber das Recht des Entlassenen auf Resozialisierung und setzte allein sein Recht auf Schutz seiner persönlichen Daten zum Recht des Wohles der Kinder ins Verhältnis. Das Gericht befand, dass das Recht des Klägers hier hinter den für die Kinder bestehenden Risiken zurückstehen müsse, zumal das Jugendamt nur Daten übermittelt habe, die im Rahmen eines öffentlichen Strafprozesses gewonnen worden und damit der Allgemeinheit zugänglich gewesen seien. Entscheidend mag für das Gericht aber auch gewesen sein, dass der Kläger selbst vorgebracht hatte, den Eltern die – seiner Meinung nach zu Unrecht erfolgten – Verurteilungen mitgeteilt zu haben. (b) Literatur zu staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern In der Literatur gibt es mittlerweile einige kurze Abhandlungen zum Einsatz von staatlichen Warnungen als Mittel der Gefahrenabwehr. Waechter äußert sich noch relativ ausführlich zur Verhältnismäßigkeit des Einsatzes von staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern. Wohl die Geeignetheit und Erforderlichkeit dieses Mittels voraussetzend erklärt er im Fazit seines Aufsatzes ,Prävention durch Pranger‘: „In seltenen Fallgruppen kann eine Nutzung der Stigmatisierung zur Prävention verfassungsgemäß sein. Verfassungskonformität setzt voraus, dass Risiken (unterhalb der Gefahrenschwelle) wahrscheinlich, hochwertige Rechtsgüter durch diese Risiken bedroht sind und dass die Befugnis zur Datenübermittlung nach Dauer und Adressatenkreis angemessen begrenzt ist.“983 Dahingegen hält Waechter die USamerikanischen Regelungen für würdewidrig und unverhältnismäßig.984 982

Urt. v. 8.11.2007 – 9 K 1619/05; vgl. oben C.IV.2.b)aa). Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 388. Trotz seiner grundsätzlichen Aufgeschlossenheit gegenüber differenzierten Ansätzen konzediert Waechter an früherer Stelle allerdings auch: „Man kann wohl sagen, dass bewusste Anprangerung derartig mit Irrationalität – Sündenbockphänomene, Abladen von aus der eigenen Lebensgeschichte erzeugtem Hass, Neid – in der Gesellschaft durchsetzt ist, dass man auf sie verzichten sollte – auch wenn es um Prävention geht.“ (S. 385). 984 Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 388. 983

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Unklar bleibt dagegen Goldmannn in seinen Ausführungen, der nach einer facettenreichen Darstellung der widerstreitenden Interessen zu dem Fazit kommt, dass von staatlichen Warnungen insbesondere wegen ihrer unkontrollierbaren Wirkungen und ihrer Nichtrückholbarkeit nicht nur im Falle von entlassenen Sexualstraftätern „weitestgehend“ Abstand genommen werden sollte.985 Anders wiederum meint, dass die schwere Kontrollierbarkeit der Verbreitung einer Warnung „zum Verdikt der Disproportionalität des Eingriffs zum erstrebten Zweck führen dürfte“.986 Prinzipiell ablehnend äußern sich auch Baur/Burkhardt/Kinzig. Im Falle nur abstrakter Gefahren, die von entlassenen Straftätern ausgehen, überwögen „im Normalfall“ die Rechte des Straftäters auf informationelle Selbstbestimmung und Resozialisierung die Interessen der Öffentlichkeit.987 Die für Sonderfälle offene Hintertür schließen die Autoren in ihrem Fazit zumindest für den Fall eines Internetprangers mit der Formulierung, ein „Internetpranger, der auf eine nur prognostizierte abstrakte Gefahr reagieren will, muss im Strafrecht aber an dem straf- wie auch verfassungsrechtlich gebotenen Ziel der Resozialisierung scheitern“.988 Auch Beukelmann lehnt den Internetpranger pauschal ab.989 (c) Fazit Rechtsprechung und Literatur stehen staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern tendenziell ablehnend gegenüber – meinen aber, dass Konstellationen vorstellbar sind, in denen Warnungen in verhältnismäßiger Weise die objektive Sicherheit erhöhen. (2) Abstrakte Bewertung der widerstreitenden Interessen Um Kriterien für eine angemessene Regelung zu staatlichen Warnungen formulieren zu können, müssen zunächst die widerstreitenden Interessen abstrakt bewertet werden. Welche Rechtspositionen auf Seiten der von staatlichen Warnungen betroffenen Straftäter zu berücksichtigen sind, wurde bereits eingehend bei der Frage nach dem Eingriffscharakter solcher Warnungen erörtert.990 Dabei wurde gezeigt, dass sich der Straftäter in erster Linie auf sein Allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen kann und zwar in der Ausprägung des Rechts auf Resozialisierung.991 In dieses Recht greifen 985

Goldmann, KJ 2009, 282, 292. Anders, JR 2011, 190, 197. Vgl. auch im verwaltungsrechtlichen Kontext Reimer, in: Häberle (Hrsg.), Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart, 2010, S. 275, 288: „[Die Warnung] oszilliert … zwischen Übermaß und Fehlschlag.“ 987 Baur/Burkhardt/Kinzig, JZ 2011, 131, 138 f. 988 Baur/Burkhardt/Kinzig, JZ 2011, 131, 139. 989 Beukelmann, NJW-Spezial 2011, 504 ff. 990 Vgl. oben C.II.1. 991 Vgl. oben C.II.1.g). 986

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staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Warnsystems ein. Der herausragenden Bedeutung des Rechts auf Resozialisierung haben bereits viele bundesverfassungsgerichtliche Entscheidungen Rechnung getragen.992 In der besonders prominenten Lebach-Entscheidung993 bewertete das BVerfG die Interessen des durch die drohende Ausstrahlung eines Dokumentarschauspiels in seinen Resozialisierungschancen beeinträchtigten Straftäters höher als die Pressefreiheit der beklagten Medienanstalt. Auch zahlreiche vollzugsrechtliche Maßnahmen wurden unter Berufung auf das Recht auf Resozialisierung erfolgreich angegriffen.994 Diese Rechtsprechung unterstreicht, welche Bedeutung der Resozialisierung in einer Gemeinschaft zukommt, „die die Menschenwürde in den Mittelpunkt ihrer Wertordnung stellt und dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet ist“.995 Der Straftäter als würdefähiges Subjekt muss „die Chance erhalten, sich nach Verbüßung seiner Strafe wieder in die Gemeinschaft einzuordnen“.996 Ohne diese „für die soziale Existenz des Täters lebenswichtige Chance“997 hat die ihm auferlegte, tatschuldangemessene Strafe über ihre Verbüßung hinausreichende, schlimmstenfalls lebenslange Folgen. Aus dieser Bedeutung für den einzelnen Straftäter folgt eine herausgehobene Wertigkeit des Rechts auf Resozialisierung998, die das BVerfG knapp mit den Worten zusammenfasst, die Resozialisierung eines Straftäters sei „ein genuin persönlichkeitsrelevantes Anliegen von hohem Rang“.999 Inmitten steht auch das Interesse des entlassenen Straftäters an seiner körperlichen Unversehrtheit. Es versteht sich von selbst, dass die körperliche Integrität als Voraussetzung für die Freiheitsentfaltung eine herausgehobene Stellung unter den grundrechtlichen Garantien einnimmt und ihr ein entsprechender Rang im Gefüge rechtlicher Interessen zukommt.1000 Anders als das Interesse an einer Resozialisierung wird das Integritätsinteresse der Straftäter freilich durch die staatliche Warnung wegen der bereits erörterten Zurechnungsprobleme nur in sehr seltenen Ausnahmefällen betroffen sein.1001 992

Vgl. oben C.II.1.a)aa)(1). BVerfGE 35, 202 ff. – zu dieser näher oben C.II.1.a)aa)(1)(a). 994 Vgl. oben C.II.1.a)aa)(1)(b). 995 BVerfGE 35, 202, 235. 996 BVerfGE 35, 202, 235 f. 997 BVerfGE 35, 202, 237. 998 Vgl. zur Bedeutung sozialer Wiedereingliederung auch BVerfGE 78, 77 ff. 999 BVerfG, NJW 2000, 1859, 1860. 1000 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2004, Art. 2 Abs. 2 Rn. 20: „[Sicherung der] physischen Existenz des Menschen als Voraussetzung für seine geistige Existenz und sonstige Verhaltensweisen“; Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 02/2004, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 1 m.w.N.: „unverzichtbare[] Grundlage[] für die freie Entfaltung menschlicher Personalität“. 1001 Vgl. zu den Voraussetzungen im Einzelnen oben C.II.1.b). 993

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Auf Seiten der Allgemeinheit wurde die Erhöhung der objektiven Sicherheit als Ziel staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern identifiziert. Es wurde außerdem darauf hingewiesen, dass sich dieses Ziel noch weiter konkretisieren lässt, je nachdem vor welchen Straftätern gewarnt und welche Straftaten hierdurch verhindert werden sollen. Die Überlegungen führten schließlich dahin, dass unter dem Gesichtspunkt der Geeignetheit Warnungen im Wesentlichen nur zur Verhinderung von Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung sowie das Vermögen eingesetzt werden können.1002 Alle genannten Rechtsgüter nehmen eine hohe Stellung im Gefüge der Grundrechte ein. Zur körperlichen Unversehrtheit wurde dies soeben bereits festgestellt; dass das Leben einen hohen Rang besitzt, bedarf keiner Erläuterung; aber auch das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts1003 hat mit Blick auf die potentiell gravierenden Auswirkungen seiner Verletzung eine herausgehobene Bedeutung. Hohe Güter sind schließlich auch die vermögenswerten Rechte, die mit Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG Schutz durch „ein elementares Grundrecht“1004 genießen.1005 (3) Fünf Kriterien mit Relevanz für die Angemessenheitsprüfung Bei Entlassung eines Straftäters geraten die soeben aufgeführten Interessen zueinander in Widerstreit. Zu prüfen ist, unter welchen Voraussetzungen eine staatliche Warnung vor einem entlassenen Straftäter ein angemessenes Mittel zur Erhöhung der objektiven Sicherheit ist – oder, mit anderen Worten, unter welchen Voraussetzungen der Nutzen einer Warnung für die Bevölkerung die Kosten derselben für den entlassenen Straftäter überwiegt. In der folgenden abstrakten Untersuchung muss es bei der Formulierung von Grundsätzen sein Bewenden haben. (a) Angemessener Anwendungsbereich Es wurde bereits herausgearbeitet, dass mit Blick auf die Geeignetheit der Warnung im Wesentlichen nur Straftäter in Betracht kommen, die eine Gefahr für die Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit, sexuelle Selbstbestimmung oder Vermögen sind. Fraglich ist, ob dieser Anwendungsbereich mit Blick auf die Angemessenheit der Warnung nicht noch weiter einzugrenzen ist. Eine Eingrenzung kommt zunächst hinsichtlich ganzer Deliktsgruppen, schließlich hinsichtlich bestimmter Täter in Betracht.

1002

Vgl. oben C.IV.2.c)bb)(1)(a)(aa). Vgl. näher Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 200. 1004 BVerfGE 24, 367, 389. 1005 Zum „Vermögen“ als Gegenstand der Eigentumsgarantie näher Papier, in: Maunz/ Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2010, Art. 14 Rn. 160 ff. 1003

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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(aa) Eingrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs In den USA und im Vereinigten Königreich wurden staatliche Warnungen ausschließlich zum Nachteil von Sexualstraftätern eingeführt. Diese Sonderbehandlung kann wohl zum Großteil auf die in der Bevölkerung verbreitete besondere Sorge vor Sexualstraftaten und auf das Bedürfnis der Politik zurückgeführt werden, auf diese Sorge einzugehen. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob nicht bei bestimmten Deliktsgruppen staatliche Warnungen stets unangemessen sind. Zu denken ist etwa an die Vermögensdelikte im Verhältnis zu den Tötungsdelikten. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass mit dem Interesse der Bevölkerung am Schutz eines Rechtsguts auch die Beeinträchtigung des Resozialisierungsinteresses des Straftäters sinkt: Ein Dieb erfährt nicht dieselbe Aufmerksamkeit wie ein Sexualstraftäter, ein Schläger nicht dieselbe wie ein Mörder. Dem relativ geringeren Nutzen einer Warnung vor dem Dieb steht also auch eine relativ geringere Beeinträchtigung von dessen Recht auf Resozialisierung gegenüber. Solange folglich irgendein Interesse seitens irgendeiner Person an einer Warnung vor einem Straftäter besteht, ist eine Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs der Warnung unter Angemessenheitsgesichtspunkten nicht zwingend. Es wird allerdings eine Frage des angemessenen Adressatenkreises sein, ob nicht stets nur Warnungen an bestimmte Personen statt an die Gesamtbevölkerung angemessen sind – und ob nicht in Ermangelung der Möglichkeit einer sinnvollen Eingrenzung des Adressatenkreises eine breitgestreute Warnung etwa vor einem Dieb unangemessen wäre.1006 Zu denken ist weiter an eine Herausnahme all jener Delikte, die generell niedrige Rückfallquoten aufweisen. Es mag sich hier der Gedanke aufdrängen, dass Warnungen insoweit unangemessen sind, weil sie in den meisten Fällen Ungefährliche erfassen. Sinnvollerweise ist diese Frage aber nicht je Deliktsart, sondern auf individueller Prognosebasis zu lösen. Denn auch bei Delikten mit niedrigen mittleren Rückfallquoten mag es Straftäter geben, die eine individuell hohe Rückfallwahrscheinlichkeit aufweisen. (bb) Eingrenzung des persönlichen Anwendungsbereichs Der persönliche Anwendungsbereich eines Warnsystems ist aber mit Blick auf seine Angemessenheit sehr wohl einzugrenzen: Staatliche Warnungen dürfen nur gegenüber Personen ergehen, die infolge einer individuellen Gefährlichkeitsprognose für gefährlich befunden wurden.1007 Das Fehlen einer Differenzierung nach der individuellen Gefährlichkeit der entlassenen Straftäter führte auf der einen Seite dazu, dass der Nutzen für die Allgemeinheit beschränkt ist. Denn werden auch ungefährliche Straftäter systematisch miterfasst, leidet darunter die Effektivität der 1006

Dazu sogleich unter (b). I.E. ebenso Anders, JR 2011, 190, 196, und wohl auch Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 384, wobei bei diesem unklar bleibt, ob er die Notwendigkeit einer „gesicherte[n] individuelle[n] Tatsachenbasis“ als Problem der Angemessenheit der staatlichen Warnung betrachtet. 1007

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Warnungen, weil sich etwaige Selbstschutzmaßnahmen auf eine erhöhte Anzahl (in der Mehrheit nur vermeintlich) potentieller Aggressoren verteilten und zudem die Bevölkerung durch die Welle von Warnungen abstumpfte. Tatsächlich rückfallgefährdete Straftäter würden nicht gezielt anvisiert, da der Bürger sie nicht identifizieren könnte. Zu diesem (begrenzten) Nutzen stünden die potentiell massiven Belastungen für die betroffenen Straftäter außer Verhältnis. Unter den richtigen Umständen könnten diese dauerhaft enormem psychischem Druck und bisweilen gar physischer Gewalt ausgesetzt sein, die die Verhinderung der von den tatsächlich gefährlichen Straftätern ausgehenden Gefahren nicht ausgleichen kann. Ins Gewicht fiele insbesondere, dass auch Straftäter Beeinträchtigungen ihres Resozialisierungsinteresses und ggf. ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt würden, die nur eine sehr geringe Rückfallwahrscheinlichkeit aufwiesen. Eine Warnung ist jedoch unangemessen, wenn für das konkret bedrohte Rechtsgut die Rückfallwahrscheinlichkeit zu niedrig ist.1008 Das BVerfG hat – wie oben bereits wiedergegeben – zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Maßregeln der Besserung und Sicherung unter Wiedergabe des § 62 StGB erklärt: „Eine solche Maßregel darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zum Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht. Damit hat [der Gesetzgeber] ohnehin von Verfassungs wegen geltendes Recht nochmals im sachlichen Kodifikationszusammenhang hervorgehoben…“.1009 Das Gericht hält also die Anknüpfung an die individuelle Gefährlichkeit für ein zwingendes Erfordernis des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Dieser Betonung der Notwendigkeit individueller Gefährlichkeitsprognosen ist im Ergebnis zuzustimmen, obschon das BVerfG das Problem der Unsicherheit bei der Beurteilung der individuellen Gefährlichkeit von Straftätern außer Acht lässt. Sie verhindert, dass besonders gefährliche Straftäter von minder gefährlichen bzw. ungefährlichen Straftätern verlässlich unterschieden werden können. Diese Unsicherheit darf jedoch nicht einseitig zulasten der betroffenen Straftäter gehen. Soweit Mittel zur Verfügung stehen, die individuelle Gefährlichkeit zumindest mit vertretbarer Sicherheit beurteilen zu können, sind diese Methoden auch einzusetzen. Die Wissenschaft, der Gesetzgeber und die Gerichte scheinen mit Blick auf das Maßregelrecht und die dazu entwickelte Theorie und bestehende Praxis bereits seit Jahrzehnten davon auszugehen, dass die Prognosemethodik entsprechend weit gediehen ist. Dies soll hier nicht angezweifelt werden. Sofern ein staatliches Warnsystem allein an die begangene Straftat und nicht auch an die individuelle Gefährlichkeit der betroffenen Straftäter anknüpft, ist es folglich schon deshalb ein unangemessenes Mittel zur Verhinderung von Straftaten, weil es 1008

So für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung Rissing-van Saan/Peglau, in: Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 12. Aufl. 2008, § 66 StGB Rn. 34. Vgl. dazu bereits oben B.II.2.a). 1009 BVerfGE 70, 297, 312 (Herv. d. Verf.).

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eine gehörige Anzahl von minder gefährlichen oder ungefährlichen Personen den potentiell gravierenden Beeinträchtigungen ihres Resozialisierungsinteresses und ggf. ihrer körperlichen Unversehrtheit aussetzt. (b) Angemessener Adressatenkreis Bereits im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung wurden Warnsysteme ausgeschlossen, die breitgestreute Warnungen vorsehen, falls sich der Kreis potentieller Opfer eines entlassenen Straftäters näher bestimmen lässt; dann sind nur Warnungen an diesen Personenkreis erforderlich.1010 Jenseits dieses Sonderfalls ist es eine Frage der Abwägung, ob eine Warnung an weite Bevölkerungsteile zulässig ist oder nicht. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebietet es, dass das Ideal der gezielt an den potentiellen Opferkreis gerichteten Warnung zumindest angestrebt wird. Breit gestreute Warnungen stehen zum erhofften Zweck außer Verhältnis. Anschaulich wird dies bei der Betrachtung einer Warnung an jedermann. Zwar ist die verschwindend geringe Chance, dass ein Münchener durch eine Kette von Zufällen auf diese Art Informationen erhält, die ihn einmal vor einer Straftat des in Berlin ansässigen notorischen Taschendiebs bewahren, noch kein Argument gegen eine solche Warnung. Denn die Kenntnis des Müncheners beeinträchtigt den Straftäter ebenso verschwindend gering in seinem Resozialisierungsinteresse. Das Verdikt der Unangemessenheit verdient die Warnung an jedermann aber deshalb, weil ihr Missbrauchspotential zu hoch ist. Die an jedermann verbreiteten Daten können jederzeit zu sachfremden Zwecken verwendet werden, wie z. B. zur Überprüfung durch den zukünftigen Arbeitgeber, durch den zukünftigen Vermieter oder den zukünftigen Dienstleister, ohne dass die Gefahr für den Adressaten der Warnung relevant ist (der Bauunternehmer stellt einen pädophilen Sexualstraftäter nicht ein; der Eigentümer vermietet das Haus nicht an einen Schläger; der Zahnarzt weigert sich, einen Taschendieb zu behandeln). Zu den sachfremden Zwecken gehören aber auch die Verwendung der erlangten Informationen zur Einrichtung von Mahnwachen vor dem Wohnhaus des betroffenen Straftäters oder sonstige Kollektivmaßnahmen, die nur in den allerseltensten Fällen – wahrscheinlich aber nie – ein verhältnismäßiges Mittel zur Bewältigung der von dem Straftäter ausgehenden Gefahr sind. Dies umso mehr dann, wenn die Maßnahmen nur zur Vertreibung und Einschüchterung des Straftäters dienen – und nicht der Minderung einer für bestimmte Einzelpersonen tatsächlich bestehenden Gefahr. Die Warnung welchen Personenkreises noch angemessen ist, hängt naturgemäß vom Einzelfall ab. Aus dem Gebot der Angemessenheit folgt aber der allgemeine Grundsatz: Um die potentiell schwerwiegenden Folgen für den betroffenen Straftäter so gering wie möglich zu halten, müssen ihre Adressaten umso gewissenhafter ausgewählt werden, je sensibler die Warnung ist. Misslingt die Eingrenzung des potentiellen Opferkreises, ist zugunsten des Straftäters von einer Warnung abzuse1010

Vgl. oben C.IV.2.c)cc)(1)(b)(bb).

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hen; denn es darf nicht zu seinen Lasten gehen, dass der Staat außerstande ist, die von ihm gefährdeten Personen näher zu bestimmen. Wegen dieses Grundsatzes muss eine große Anzahl von Straftätern aus einem etwaigen staatlichen Warnsystem herausfallen. Immer wenn in Ermangelung einer sinnvollen Eingrenzung ihres potentiellen Opferkreises die Warnung so breit gestreut werden müsste, dass der Nutzen der Warnung für die objektive Sicherheit die Kosten für das Resozialisierungsinteresse des Straftäters unterschreitet, wäre die Warnung zu unterlassen. Ein Schläger etwa, der ohne klares Muster Menschen verletzt, dürfte nicht zum Gegenstand einer Warnung gemacht werden. Dasselbe gilt für einen Betrüger, der sich immer wieder neue Maschen ausdenkt, um an Geld zu kommen, für einen Räuber, der sich stets in neuen Vierteln oder gar Städten herumtreibt, oder für einen Einbrecher, der sich ohnehin im Verborgenen hält. In allen Fällen wäre eine Warnung an praktisch das gesamte soziale Umfeld der Betroffenen, ganze Städte oder gar Regionen erforderlich – und damit unverhältnismäßig. Überhaupt wird es sich eher um Ausnahmefälle handeln, in denen ein Straftäter, von dem Gefahren für das Leben, die körperliche Unversehrtheit und das Vermögen ausgehen, zum Gegenstand einer angemessenen Warnung gemacht werden könnte. Angemessen könnte etwa die Warnung an eine Frau sein, deren neuer Partner wegen Totschlags oder schwerer körperlicher Misshandlungen seiner letzten Partnerinnen zu hohen Haftstrafen verurteilt wurde, oder die Warnung an Einzelhändler vor einem alkoholkranken, in der Umgebung ansässigen Ladendieb. Staatliche Warnungen sind also nur angemessen, wenn für einen Straftäter antizipierbare Verletzungsmuster bestehen. Solche antizipierbaren Verletzungsmuster dürften insbesondere unter Sexualstraftätern zu finden sein, die – wie bereits mehrfach erwähnt – nur in etwa einem Viertel der Fälle Unbekannte verletzen.1011 Auch hier muss aber einzelfallbezogen die Opferstruktur bzw. Vorgehensweise des Täters analysiert werden. Nur wenn erkennbar wird, dass ein Sexualstraftäter ganz bestimmte Opfer auswählt, mag eine gezielte Warnung sinnvoll und angemessen sein. (c) Angemessenes Verfahren Nahezu alle Maßregeln der Besserung und Sicherung und alle Strafen sind abhängig von einer richterlichen Entscheidung. Es liegt nahe, die Notwendigkeit einer richterlichen Entscheidung auch bei Warnungen vor Straftätern zu prüfen. Das BVerfG hat in der Vergangenheit den Richtervorbehalt als ein Kriterium der Angemessenheitsprüfung aufgefasst.1012 Ein solcher Vorbehalt ermögliche insbesondere bei geplanten heimlichen Ermittlungsmaßnahmen eine vorbeugende Kontrolle durch eine unabhängige und neutrale Instanz.1013 Das Grundgesetz gehe davon 1011 1012 1013

Vgl. oben Fn. 882. Prominent zuletzt BVerfGE 120, 274, 331 ff. – Online-Durchsuchung. BVerfGE 120, 274, 331.

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aus, „daß Richter aufgrund ihrer persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und ihrer nur dem Gesetz unterworfenen Stellung (Art. 97 GG) die Wahrung der Rechte Betroffener im Einzelfall am besten und sichersten gewährleisten“.1014 Zwar erfolgt eine staatliche Warnung nicht heimlich, sondern ganz im Gegenteil unter Einbezug der Öffentlichkeit. Und auch ist die Rechtsprechung des BVerfG zum kriminalstrafrechtlichen Richtervorbehalt1015 nicht einschlägig, soweit staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern nicht als Strafe ausgestaltet sind. Schließlich kommt es auch nicht darauf an, ob eine staatliche Warnung als Maßregel ausgestaltet würde, die dann wie alle bestehenden durch ein Gericht angeordnet werden könnte.1016 Denn es lassen sich drei Argumente formulieren, die jedenfalls zusammengenommen zur Aufnahme eines Richtervorbehalts für staatliche Warnungen zwingen: Erstens weisen staatliche Warnungen – wie bereits mehrfach deutlich gemacht – ein erhebliches destruktives Potential auf. Die Folgen einer staatlichen Warnung können im Einzelfall die Folgen etwa einer klassischen, stets von Gerichten zu verhängenden Strafe noch übersteigen. Um eine hinreichende Gewähr dafür zu bieten, dass die Notwendigkeit und das Potential einer Warnung vor ihrer Veröffentlichung untersucht werden, ist die Einschaltung einer zweiten Stelle neben den Sicherheitsbehörden angezeigt. Dies ist zweitens auch deshalb notwendig, weil die Sicherheitsbehörden bedingt durch ihren gesetzlichen Auftrag dazu neigen könnten, einseitig zu Lasten des Straftäters zu entscheiden, um den Vorwurf mangelhafter Aufgabenerfüllung zu vermeiden. Hier ist eine neutrale Kontrollinstanz wie ein Richter ein angemessenes Korrektiv zur Vermeidung von Fehlbeurteilungen. Entscheidend ist aber drittens, dass eine umfassende vorbeugende richterliche Kontrolle wegen der fehlenden „Rückholbarkeit“ von Informationen im Allgemeinen dringend angezeigt ist. Nachträglicher Rechtsschutz ist nahezu unnütz, da die Information, dass etwa ein Sexualstraftäter in die Nachbarschaft gezogen ist, nicht „zurückgeholt“ werden kann. Nicht zu Unrecht formuliert Krause aus diesem Grund, Information sei „ebenso irreversibel wie die Todesstrafe“.1017 Aus diesen Gründen ist die Veröffentlichung einer Warnung durch die Sicherheitsbehörden nur angemessen, wenn diese zuvor eine richterliche Zustimmung einholen. Im Vorfeld hierzu sollte auch eine Anhörung des Betroffenen erfolgen.

1014

BVerfGE 77, 1, 51. Zu diesem BVerfGE 22, 49, 73 ff. – Verwaltungsstrafverfahren. 1016 Ob die Maßregeln zwingend unter Richtervorbehalt zu stellen sind, geht im Übrigen aus der Verfassung nicht explizit hervor. Rechtsprechung und Literatur sahen sich wohl noch nie dazu veranlasst, hierzu Stellung zu beziehen. 1017 Krause, Rechtsformen des Verwaltungshandelns, 1974, S. 331 (zitiert von Heintzen, NuR 1991, 301, 303). 1015

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(d) Angemessene Form Die Angemessenheit der Warnung vor einem Straftäter hängt auch von ihrer Form ab. Wie bereits in der Erforderlichkeitsprüfung sind zunächst aktive von passiven Warnungen, sodann Warnungen verschiedenen Umfangs voneinander zu unterscheiden. Dabei ist von den Einschränkungen auszugehen, die aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip für den Adressatenkreis herausgearbeitet wurden1018 : Informiert werden dürfen überhaupt nur jene Personen, die dem potentiellen Opferkreis des Betroffenen zugerechnet werden können. (aa) Aktive oder passive Warnung Aktive Warnungen bedeuten für den entlassenen Straftäter einen stärkeren Eingriff in sein Recht auf Resozialisierung, weil sie eine höhere Gewähr für Reaktionen seitens der Bevölkerung bieten, die sein Resozialisierungsinteresse beeinträchtigen. Dahingegen werden passive Warnungen naturgemäß nur von Interessierten und damit von weniger Personen eingesehen. Wenn der Staat aktiv warnen möchte, sieht er sich dem Problem gegenüber, dass er – fortwährend! – potentielle Opfer eines für gefährlich befundenen entlassenen Straftäters identifizieren müsste. Der hierfür erforderliche Aufwand wäre häufig beträchtlich. So müssten im Falle eines Sexualstraftäters sämtliche seiner sozialen Kontakte dokumentiert und daraufhin untersucht werden, ob für seine Kontaktpersonen ein Risiko besteht. Dafür ist im Prinzip eine Dauerobservation erforderlich, die aber im Falle ihrer Anordnung die staatliche Warnung überflüssig macht.1019 Nur in Fällen, in denen der Umstände wegen die Opferstruktur nicht dynamisch ist – der finanziell und/oder physisch bedingt immobile Sexualstraftäter könnte sich etwa in einem abgelegenen 100-Seelen-Dorf niederlassen –, mag eine aktive Warnung mit überschaubarem Aufwand verbunden sein. In allen anderen Fällen steht dem großen Kostenaufwand und der erhöhten Eingriffsintensität für den betroffenen Straftäter zwar eine gegenüber „passiven Warnungen“ erhöhte Wirksamkeit der Maßnahme gegenüber, weil eben mehr Personen in Kenntnis des Straftäters gesetzt werden. Insgesamt wird dies aber wohl als unangemessen zu bewerten sein, weil die Belastung durch ein derartiges Vorgehen schlicht zu hoch wäre. Dies insbesondere auch deshalb, weil durch aktive Warnungen auch viele Personen erreicht würden, die zwar potentiell in den Opferkreis des Straftäters fallen, aber Unwillens sind, Gegenmaßnahmen einzuleiten. In diesen Fällen verpufft die Wirksamkeit der Warnung, ohne dass zugleich die potentiell negativen Folgen aus der aktiven Warnung für den Straftäter ausgeschlossen werden könnten. Damit ist „passiven Warnungen“, bei denen der Staat Informationen nur auf eine hinreichend konkrete und personenbezogene Anfrage des Bürgers herausgibt, im Regelfall der Vorzug zu geben. Vorteil dieses Ansatzes ist, dass der Staat sich des 1018 1019

Vgl. oben C.IV.2.c)cc)(1)(b)(bb) und C.IV.2.c)dd)(3)(b). Vgl. dazu oben C.IV.2.cc)(1)(a)(bb).

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Bürgers zur Identifizierung von Gefahrsituationen bedienen kann: Die potentiellen Opfer selbst (bzw. im Falle von Minderjährigen deren Erziehungsberechtigte) weisen die Behörden auf Auffälligkeiten im Verhalten anderer hin, die möglicherweise aus der Haft entlassene Straftäter und gefährlich sind. Auf diese Weise ist auch gewährleistet, dass die Informationen nur an Personen gehen, von denen erwartet werden kann, dass sie Schutzmaßnahmen einleiten. Der US-amerikanische Internetpranger als Paradebeispiel passiver Warnung ist unter der Geltung des Grundgesetzes aber bereits wegen der Anforderungen des Gebots der Angemessenheit an den Adressatenkreis ausgeschlossen, weil jedermann auf die dort zur Verfügung gestellten Daten Zugriff nehmen könnte.1020 Im Gegensatz dazu könnte das im Vereinigten Königreich1021 gewählte Modell eine Lösung sein. Dort überprüft die Polizei auf Anfrage, ob eine Person in der Vergangenheit bereits wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde, ob sie derzeit als gefährlich einzustufen ist und ob eine Warnung an die Erziehungsberechtigten betroffener Kinder zur Abwendung der Gefahr geeignet ist. Eine solche Prozedur könnte unter engen Voraussetzungen auch mit deutschem Verfassungsrecht vereinbar sein.1022 (bb) Warnungen unterschiedlichen Umfangs Warnungen könnten auch deshalb unangemessen sein, weil sie zu viele Informationen über den betroffenen Straftäter enthalten, insbesondere weil sie seine Identifizierung allzu leicht ermöglichen. Im Falle „passiver Warnungen“, also der Informationsübermittlung erst auf Anfrage hin, stellt sich naturgemäß die Frage nicht, ob eine Identifizierung des Straftäters unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit zu unterbleiben hat. Denn sie ist Voraussetzung für die Anfrage. Vielmehr ist dann die Entscheidung über die Bestätigung des Verdachts des Antragstellers selbst zu beurteilen, sind also die Voraussetzungen für eine entsprechende Mitteilung angemessen auszugestalten. Bei aktiven Warnungen stellt sich allerdings die Frage, ob der Staat dazu gezwungen ist, die Identifizierung des betroffenen Straftäters zu erschweren – ohne sie freilich unmöglich zu machen; denn in diesem Fall wäre durch die Maßnahme schon das Resozialisierungsinteresse des Straftäters nicht beeinträchtigt. Gäbe er etwa nur den Vornamen und das Initial des Nachnamens sowie nur den Straßennamen statt auch der Hausnummer an und verzichtete er auf ein Lichtbild des Straftäters, so würde nicht jeder den Straftäter unmittelbar als solchen erkennen. Ein Vorteil dieses Ansatzes für den Straftäter wäre, dass vergleichbar mit der Situation bei passiven Warnungen erwartet werden kann, dass nur diejenigen, die tatsächlich Selbstschutzmaßnahmen gegen ihn einleiten möchten, seine Identität erforschen würden. Die Belastung für den Straftäter wäre somit insgesamt geringer, ohne dass die 1020 1021 1022

Vgl. dazu oben C.IV.2.c)dd)(3)(b). Vgl. dazu oben C.I.3. Vgl. dazu unten C.IV.2.c)dd)(4) sowie insbes. C.V.

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Wirksamkeit der Maßnahme entscheidend reduziert wäre. Das spricht für eine Erschwerung der Identifizierbarkeit eines Straftäters bei aktiven Warnungen – soweit man diese überhaupt für zulässig halten möchte. (e) Angemessene Dauer Schließlich ist die Frage zu klären, ob staatliche Warnungen auf unbegrenzte Zeit ausgesprochen werden können oder ob dies unangemessen wäre. Hier ist sinnvollerweise je nach Einzelfall zu differenzieren. Eine unterschiedslose, zeitlich unbegrenzte Möglichkeit zur Warnung wäre dahingegen überaus problematisch, weil die betroffenen Straftäter auch ohne Anlass dafür zu geben, Zeit ihres Lebens den negativen Effekten staatlicher Warnungen ausgesetzt wären. Eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft mag dann in Extremfällen bis an das Lebensende der Betroffenen ausgeschlossen oder jedenfalls stets gefährdet sein, während zur selben Zeit die von den sich bewährenden Straftätern ausgehenden Gefahren beständig abnähmen. Zur Bestimmung eines angemessenen Zeitraums, in dem staatliche Warnungen möglich sein sollen, liegt eine Anlehnung an die Regelungen bei der Führungsaufsicht nahe. Dort bestimmt § 68c Abs. 1 StGB eine Höchstdauer für die Führungsaufsicht von fünf Jahren. Das Gericht kann aber unter den engen Voraussetzungen des § 68c Abs. 2 und 3 StGB die Führungsaufsicht unbefristet verlängern. In diesen Fällen hat es aber gemäß § 68e Abs. 3 S. 1 StGB regelmäßig zu überprüfen, ob der betroffene Straftäter noch gefährlich ist. (4) Verbleibende Bedenken und Lösungsansatz Die Einhaltung der unter (3) vorgestellten Kriterien scheinen hinreichende Gewähr dafür zu bieten, dass ein unter ihrer Beachtung eingerichtetes Warnsystem die betroffenen Straftäter nicht unangemessen in ihrem Recht auf Resozialisierung beeinträchtigt. Und doch verbleiben Bedenken, denen zu begegnen ist. Die Angemessenheit der Folgen von staatlichen Warnungen ist insbesondere im Falle von Sexualstraftätern mit Blick auf ihre Unwägbarkeit und die schiere Schwere möglicher Beeinträchtigungen problematisch (aa). Für diese Bedenken bietet sich jedoch eine Lösung an, die das Ausmaß der Beeinträchtigungen zu kontrollieren und dadurch die Angemessenheit des Warnsystems herzustellen vermag (bb). (a) Unbeherrschbarkeit und Schwere der Folgen staatlicher Warnungen Auch wenn staatliche Warnungen nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen an einen eng begrenzten Personenkreis weitergegeben werden, sind die Folgen der Identifizierung insbesondere eines Sexualstraftäters kaum absehbar und ebenso wenig beherrschbar. Es ist völlig unklar, wann welcher Sexualstraftäter warum wie, wie hart und wie lange direkt vonseiten der Öffentlichkeit in seinem Resozialisierungsinteresse beeinträchtigt würde. Rationale Entscheidungen – wie der Abzug eines Kindes aus einer Kindertagesstätte, in der ein pädophiler Sexualstraftäter

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Betreuungsarbeit leistet – sind ebenso denkbar wie völlig irrationale Konsequenzen. Gerade wenn es zu kollektiven „Gegenmaßnahmen“ kommt – wie in den in der Einführung dieser Arbeit genannten Fällen in Insel, Hamburg oder Heinsberg –, so wird es diesen häufig an einem rational begründbaren Konnex zu der im Einzelfall von einem bestimmten Straftäter ausgehenden, objektiven Gefahr fehlen. Denn die Bevölkerung ist nicht dazu in der Lage, für jeden einzelnen entlassenen Straftäter gefahrangemessene Maßnahmen zu ergreifen, schon weil sie das genaue Ausmaß der Gefahr nicht zuverlässig abschätzen kann. Vielmehr neigt sie dazu, bei Vorliegen der erforderlichen Katalysatoren zu übersteuern. So kann eine gezielte Medienkampagne oder auch die wohlorganisierte Initiative Einzelner gruppendynamische Prozesse in Gang setzen, die rational nicht begründbare Folgen haben. In anderen Fällen dagegen mag der Zuzug eines Sexualstraftäters überhaupt keine oder nur geringe Anteilnahme seitens der Bevölkerung erfahren. Entsprechend wäre es eher dem Zufall überlassen, ob diejenigen Sexualstraftäter, die objektiv am gefährlichsten sind, auch die größten Einschränkungen ihres Resozialisierungsinteresses hinnehmen müssten und umgekehrt. Die Unbeherrschbarkeit der Folgen einer staatlichen Warnung unterscheidet dieses Instrument von allen anderen staatlichen Reaktionen auf abstrakte Gefahren, die typischerweise bestimmten Mustern folgen und damit berechenbar und im Regelfall eben auch beherrschbar sind. Solange die Freiheitsbeschränkungen des entlassenen Sexualstraftäters unmittelbar vom Staat ausgehen, kann dieser insbesondere gewährleisten, dass sie stets in einem bestimmten Verhältnis zur tatsächlich von dem Betroffenen ausgehenden Gefahr stehen. Wird etwa ein Sexualstraftäter für nicht mehr gefährlich gehalten, können gegen ihn verhängte Maßnahmen ggf. sofort beendet werden. Der Staat kann zwar auch eine Warnung wieder zurücknehmen; es ist aber nicht gewährleistet, dass bis dahin angelaufene Maßnahmen der Bevölkerung sofort oder auch nur in nächster Zeit beendet, geschweige denn ihre Folgen für den betroffenen Sexualstraftäter aus der Welt geschaffen werden. Ist also bei rein staatlichen Reaktionen auf Straftaten die zielgenaue Sanktion bzw. Präventionsmaßnahme die Regel und das Über- oder Untermaß die Ausnahme, wäre dieses Verhältnis bei Reaktionen der Zivilbevölkerung auf staatliche Warnungen wohl eher umgekehrt – und deshalb sehr bedenklich. Die Bedenken gegen ein Warnsystem vor Sexualstraftätern folgen auch aus der Schwere der möglichen Folgen staatlicher Warnungen. Aus den in der Einführung zu dieser Arbeit aufgeführten Fällen, aber auch aus den vielen Berichten zu Folgen staatlicher Warnungen in den USA wird schnell das Ausmaß der Belastungen ersichtlich, denen sich identifizierte entlassene Sexualstraftäter ausgesetzt sehen. Die Einwirkungen auf den Straftäter sind mit denen durch den mittelalterlichen Pranger ohne Weiteres vergleichbar. Anders als jener kennen aber zivilgesellschaftliche Maßnahmen wie regelmäßige Demonstrationen durch die (neuen) Nachbarn der Entlassenen keine geregelten Formen; sie sind potentiell von unbegrenzter Dauer und auch Schärfe, solange nur Rechtsgüter des Sexualstraftäters dadurch nicht in konkrete Gefahr geraten und der Staat dazwischen gehen kann. In einer modernen

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Gesellschaft, in der kraft moderner Kommunikationsmittel schnell große Aufmerksamkeit für ein Thema hergestellt werden kann, laufen die zunächst nur regional bekannten Straftäter auch schnell Gefahr, bundesweit bekannt und gefürchtet zu werden. Je nach Rhetorik der Wortführer der regionalen zivilgesellschaftlichen Maßnahmen – die Proteste vor den zwei ehemals Sicherungsverwahrten in Insel wurden etwa von Neonazis unterwandert –, ist auch eine weitere Eskalation nie auszuschließen, insbesondere wenn nach dem Eindruck der Bevölkerung der Staat „untätig“ bleibt. (b) Lösungsansatz: Strafandrohung für die Weitergabe von Informationen Überschießende Reaktionen seitens der Bevölkerung – und damit unangemessene Beeinträchtigungen des Resozialisierungsinteresses des entlassenen (Sexual-) Straftäters – hängen im Falle eines begrenzten Adressatenkreises maßgeblich von der Weitergabe der erlangten Informationen durch die Adressaten der Warnung ab. Könnte verhindert werden, dass die Identität des Straftäters allgemein bekannt würde, wäre die staatliche Warnung ein ähnlich präzises und beherrschbares Mittel wie alternative staatliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr. Es darf also die Herrschaft über die Information auch nach ihrer Bekanntgabe nicht verloren gehen. Um die Kontrolle über die personenbezogenen Daten des entlassenen Sexualstraftäters zu bewahren, wäre die Einführung einer Sanktion für den Fall der Informationsweitergabe ein gangbarer Weg. Wegen der Bedeutung der Geheimhaltung seiner Identität für den Sexualstraftäter ist die Einfügung eines Straftatbestandes statt nur eines Ordnungswidrigkeitentatbestandes angezeigt. Es muss hier nicht entschieden werden, ob zu diesem Zweck die Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 203 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen) genügen würde1023 oder ob eine eigene Vorschrift zu schaffen wäre. Denn jedenfalls schiene eine solche Maßnahme zumindest in einer Mehrzahl der Fälle dazu geeignet, den Empfänger der staatlichen Warnung von der Weitergabe der darin enthaltenen Informationen abzuhalten. Freilich sind Situationen denkbar, in denen sich der Empfänger der Information hinsichtlich ihrer Weitergabe auf Notstand berufen kann oder berufen zu können meint (die Mutter eines Kindes könnte etwa meinen, andere Mütter der von einem Sexualstraftäter betreuten Kinder zu informieren). Wenn aber die Polizei ihrer Aufgabe gerecht wird, aus eigener Kraft eine für kritisch befundene Situation – und nur in diesem Falle darf die Warnung an die Antragstellerin überhaupt ergehen – zu entschärfen, dürfte eine solche Konstellation die Ausnahme bleiben.

1023 Dies wäre wohl in Anbetracht der verbreiteten Auslegung des § 203 StGB problematisch, wonach eine Tatsache nicht „geheim“ i.S.d. Vorschrift ist, wenn sie Gegenstand einer öffentlichen Gerichtsverhandlung war, vgl. Kargl, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 203 Rn. 6 m.w.N.

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(5) Zwischenergebnis Die Angemessenheit einer staatlichen Warnung vor einem entlassenen Straftäter ist differenziert zu betrachten. Sie beurteilt sich nach ihrem Anwendungsbereich, Adressatenkreis und Verfahren sowie nach ihrer Form und Dauer. Warnungen dürfen nur vor Straftätern ergehen, die infolge einer individuellen Begutachtung für gefährlich befunden wurden. Eine zentrale Funktion zur Wahrung der Angemessenheit der Warnung nimmt zudem die Auswahl des „richtigen“ Adressatenkreises ein: Die Warnung ist nur an Personen zu richten, die durch den Straftäter tatsächlich abstrakt gefährdet sind. Eine Verbreitung der Warnung an jedermann ist unzulässig. Damit ist auch eine starke Präferenz für sog. passive Warnungen zum Ausdruck gebracht, die nur auf Antrag einer sich für betroffen haltenden Privatperson ergehen. Die Warnung muss von einem Richter angeordnet werden und ist nur über eine begrenzte Dauer möglich. Außerdem ist es unter Strafe zu stellen, wenn von den Sicherheitsbehörden über einen Straftäter erlangte Informationen weitergegeben werden. ee) Zusammenfassung Eine gesetzliche Regelung für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern verfolgt mit dem Schutz der Bevölkerung ein legitimes Ziel und darf vom Gesetzgeber im Rahmen seines Einschätzungsspielraums für ein geeignetes und erforderliches Mittel zur Erreichung dieses Ziels gehalten werden. In engen Grenzen kann eine solche Regelung auch dem Gebot der Angemessenheit genügen.

3. Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes Ein staatliches Warnsystem müsste schließlich den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG beachten.1024 Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet, dass wesentlich Gleiches ohne vernünftigen Grund ungleich behandelt wird.1025. Um zu bestimmen, welche Personen, Personengruppen oder Situationen vergleichbar sind, bedarf es eines Bezugspunktes, d. h. eines gemeinsamen Oberbegriffes, unter dem die unterschiedlichen Regelungsgegenstände zusammengefasst werden können.1026 Zur Bestimmung der Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für Ungleichbehandlungen kommt es dann darauf an, „in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder

1024

Hierauf weist auch Waechter, VerwArch 92 (2001), 368, 384, hin. BVerfGE 1, 14, 52; vgl. weiter BVerfGE 2, 336, 340; 4, 144, 155; 20, 31, 33; 49, 148, 165; 76, 256, 329; 90, 226, 239; 115, 381, 389; 126, 268, 277. 1026 Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 463 ff. 1025

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Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann“.1027 Der maßgebliche Bezugspunkt für die Bestimmung der Ungleichbehandlung im Zusammenhang mit staatlichen Warnungen ergibt sich aus dem Zweck derselben: Die Warnungen dienen der Abwehr von Gefahren, die von bestimmten entlassenen Straftätern ausgehen. Damit werden die betroffenen Straftäter vor allem durch die von ihnen ausgehenden Gefahren, also ihre individuelle Gefährlichkeit definiert.1028 So bilden etwa „besonders gefährliche Straftäter“ eine einheitliche Obergruppe. Erfasst eine Regelung für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern solche, von denen ein bestimmtes Maß an Gefährlichkeit ausgeht, während andere Straftäter derselben Gefährlichkeitsstufe nicht erfasst sind, liegt eine Ungleichbehandlung vor. Damit bedarf es eines Rechtfertigungsgrundes, wenn z. B. vor einem besonders gefährlichen Sexualstraftäter, nicht aber vor einem besonders gefährlichen Mörder gewarnt wird – einmal vorausgesetzt, von den Genannten ginge ein ähnlicher Gefährdungsgrad aus, was sich erst aus einer Kombination aus der Schwere des drohenden Delikts und der individuellen Rückfallwahrscheinlichkeit ergäbe. Da sich die Ungleichbehandlung hinsichtlich der Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten erheblich auswirken würde, weil staatliche Warnungen die erfassten Straftäter stark in ihren Rechten beeinträchtigen können1029, wäre der Rechtfertigungsaufwand beträchtlich. Der Staat könnte dazu z. B. vorbringen, dass staatliche Warnungen vor bestimmten Tätergruppen erheblich mehr Erfolg versprechen als vor anderen, weshalb eine Erfassung auch von letzteren nicht angezeigt wäre. Kein Rechtfertigungsgrund wären bloße Stimmungen in der Bevölkerung, wonach etwa Sexualstraftäter einer besonderen öffentlichen Kontrolle unterworfen werden müssten.

4. Einwilligung in staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern Zuletzt ist noch eine weitere Regelungsmöglichkeit zu erörtern: die Zustimmung des betroffenen Straftäters als Voraussetzung für eine staatliche Warnung. Auf diese Art könnte möglicherweise der Anwendungsbereich für staatliche Warnungen noch erweitert werden.

1027 BVerfGE 126, 268, 277 m.w.N. Vgl. zu den Rechtfertigungsvoraussetzungen im Einzelnen Michael, JuS 2001, 148, 152 ff. 1028 Vgl. dazu auch die Entscheidung des BVerfG zur Bekanntmachung der Entmündigung nach § 687 ZPO a.F., in der das Gericht es offen ließ, ob besagte Vorschrift „gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, weil [sie] zwischen der Entmündigung wegen Verschwendung und Trunksucht einerseits und derjenigen wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche andererseits differenziert“. 1029 Vgl. dazu oben C.II.1.

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Das Bedürfnis für eine solche Regelung ist freilich gering. Der Straftäter wird einer staatlichen Warnung nur zustimmen, wenn sie für ihn mit einem Vorteil verknüpft ist. Möglich wäre es z. B., bestimmte Straftäter nur unter der Bedingung auf Bewährung zu entlassen, einer Veröffentlichung ihrer personenbezogenen Daten zur Verbreitung einer Warnung zuzustimmen. Auch wäre eine Regelung denkbar, nach der ein Straftäter die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung oder deren Fortsetzung dadurch abwenden könnte, dass er einer Warnung vor seiner Person zustimmt. Auch die Abwendung von Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht könnte der Straftäter durch eine Einwilligung in staatliche Warnungen zu erreichen versuchen. Zu prüfen ist damit, welche Wirkung eine Zustimmung mit Blick auf den mit der Warnung verbundenen Grundrechtseingriff hätte und ob hierdurch die oben festgestellten Grenzen einer angemessenen staatlichen Maßnahme überwunden werden könnten. Dazu sind zunächst einige grundsätzliche Ausführungen zur Einwilligung in hoheitliche Maßnahmen erforderlich. a) Die Einwilligung in hoheitliche Maßnahmen Es kann als gesichert gelten, dass „Einwilligungen verfügungsberechtigter Personen die staatlichen Handlungsmöglichkeiten in jedem Fall erweitern“1030 und die Grundrechte nicht „unveräußerlich“ (vgl. Art. 1 Abs. 2 GG) i.S.v. „unverzichtbar“ sind1031. Von dieser grundsätzlichen Möglichkeit eines Grundrechtsverzichts1032 ausgehend1033 bleiben Fragen zu Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Einwilligung in hoheitliche Maßnahmen. Erstere interessieren allerdings im hiesigen Zusammenhang mehr als Details zu Rechtsfolgen der Einwilligung.1034 Diesbezüglich erlangen insbesondere zwei positive Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Einwilligung entscheidende Bedeutung: Ein Grundrechtsträger kann nur dann wirksam in die Einschränkung eines Grundrechts einwilligen, wenn er über dieses Grundrecht disponieren kann und die Einwilligung freiwillig erklärt. Darüber hinaus muss er – als „negatives“ Kriterium – die allgemeinen Schranken des Grundrechtsverzichts wahren.

1030

Amelung, NStZ 2006, 317, 319. Bleckmann, JZ 1988, 57, 58; Herdegen, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 02/2004, Art. 1 Abs. 2 Rn. 23; Fischinger, JuS 2007, 808, 809. 1032 Oder „Grundrechtsausübungsverzichts“ (Merten, in: Merten/Papier, HbGR Band III, 2009, § 73 Rn. 24). 1033 Heute h.M., vgl. nur Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 907, oder Merten, in: Merten/Papier, HbGR Band III, 2009, § 73 Rn. 27, jeweils m.w.N.; knapp zur grundsätzlichen Zulässigkeit eines Grundrechtsverzichts auch Bleckmann, JZ 1988, 57, 58 f.; a.A. noch Bussfeld, DÖV 1976, 765, 770 f. 1034 Vgl. dazu näher Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 926 ff. 1031

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

aa) Dispositionsbefugnis Der Träger eines Grundrechts kann nicht unbegrenzt über seine Rechte verfügen. Für eine Begrenzung spricht insbesondere das dem Grundgesetz zugrundeliegende „Menschenbild vom gemeinschaftsgebundenen Individuum“.1035 Die Grundrechte dienen nicht sämtlich nur dem einzelnen Grundrechtsträger, sondern weisen bisweilen beachtliche Gemeinschaftsbezüge auf.1036 Es wäre von Verfassungs wegen nicht zu rechtfertigen, auch derartige Grundrechtspositionen in die Verfügungsbefugnis einzelner zu stellen.1037 Ob der Betroffene in eine Grundrechtsbeschränkung wirksam einwilligen kann, hängt also von der Funktion des jeweiligen Grundrechts ab.1038 Über Grundrechte mit starken personalen Bezügen – Stern zählt u. a. Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 4 Abs. 1 und Art. 104 GG auf1039 – kann der Einzelne in der Regel disponieren; ausgenommen ist aber die in Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG für „unantastbar“ erklärte Menschenwürde, über die auch ihr Träger nicht verfügen kann1040. Grundrechte mit starkem Gemeinschaftsbezug – wie die Rechte aus Art. 8, Art. 9 Abs. 3 S. 1 oder Art. 38 GG1041 – sind seiner Verfügungsbefugnis hingegen grundsätzlich entzogen.1042 Für die Koalitionsfreiheit bestimmt dies Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG sogar ausdrücklich. Dazwischen befindet sich ein Graubereich, in dem nur im konkreten Einzelfall entschieden werden kann. Je stärker aber das betroffene Grundrecht den Schutz nicht nur des Grundrechtsberechtigten, sondern auch der Allgemeinheit verfolgt, umso eher ist dem Betroffenen die Dispositionsbefugnis über dieses Grundrecht entzogen.1043 bb) Freiwilligkeit Die Einwilligung in eine hoheitliche Maßnahme ist nur wirksam, wenn sie freiwillig erfolgt, der Betroffene sich also nicht in einer Zwangslage befindet.1044 1035

Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 907 f. Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 912. 1037 So wohl auch Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 911. 1038 Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 151. 1039 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 911. 1040 BVerwGE 64, 274, 279; Voßkuhle/Kaiser, JuS 2009 , 313, 314; Sturm, FS Geiger, 1974, S. 173, 188 f.; a.A. etwa Merten, in: Merten/Papier, HbGR Band III, 2009, § 73 Rn. 36, m.w.N. für beide Auffassungen. 1041 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 912. 1042 Für die Einwilligung im Strafrecht entsprechend Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 13 Rn. 33 ff. 1043 Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 912; Fischinger, JuS 2007, 808, 811; Schlömer, Elektronisch überwachter Hausarrest, 1998, S. 202; etwas enger Pieroth/Schlink, 28. Aufl. 2012, Rn. 152 (Bedeutung des Grundrechts für den Prozess der staatlichen Willensbildung), und Voßkuhle/Kaiser, JuS 2009 , 313, 314 („staatsbürgerliche[] Rechte“); weiter differenzierend Amelung, Einwilligung in Grundrechtsbeeinträchtigung, 1981, S. 36 ff. 1044 Jarass, NJW 1989, 857, 860. 1036

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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Nicht einfach zu beantworten ist aber, wann eine solche Zwangslage vorliegt. Dazu erklärte das BVerfG unter Berufung auf Sturm1045, eines Schutzes gegen staatliche Eingriffe bedürfe nur derjenige nicht, der wählen könne.1046 Verneint wurde diese Wahlmöglichkeit z. B. im Falle eines von empfindlicher Freiheitsstrafe bedrohten Angeklagten, dem sich die Untersuchung durch einen „Lügendetektor“ als eine günstige Gelegenheit darstellen müsse, die er nicht ausschlagen dürfe.1047 Dieses Verständnis von der Freiwilligkeit einer Einwilligung wurde zu Recht kritisiert.1048 Denn besteht für den Betroffenen die Chance, durch eine alternative hoheitliche Maßnahme andere, für ihn einschneidendere Schritte abzuwenden, kann der Ausschluss der Möglichkeit einer Einwilligung in die alternative Maßnahme sogar zu Lasten des betroffenen Grundrechtsträgers gehen. Es scheint deshalb angebracht, die Frage nach der Freiwilligkeit etwas differenzierter zu beantworten. Amelung hat für Fälle, in denen der Betroffene zwischen zwei Übeln zu wählen hat, den Begriff der „eingriffsmildernden Einwilligung“ geprägt.1049 In derartigen Konstellationen überlasse der Staat dem Grundrechtsträger die Wahl zwischen zwei geeigneten Maßnahmen, bei denen unklar ist, welche den Betroffenen stärker belastet.1050 Amelung nennt für die Wirksamkeit derart erteilter Einwilligungen mehrere Voraussetzungen. Jedenfalls der Eingriff, der gemildert werden soll, bedürfe einer gesetzlichen Grundlage.1051 Aus dem Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes leitet er zudem ab, dass die Einwilligung in der Regel nur dann wirksam ist, wenn die Ersatzmaßnahme das gleiche Ziel erreicht wie der gesetzlich legitimierte Ausgangseingriff1052, also insbesondere auch zur Erreichung dieses Ziels geeignet ist. Jedenfalls müsse aber ein „legitimationsfähiger Zweckzusammenhang“ zwischen dem gesetzlich vorgesehenen Eingriff und der durch die Einwilligung zugelassenen Ersatzmaßnahme bestehen.1053 Damit kann der Betroffene nicht in Maßnahmen einwilligen, deren Durchführung gänzlich anderen Zielen dient – wie z. B. die Einwilligung in die Teilnahme an medizinischen Versuchen, um die eigene Freilassung zu erreichen.1054 Als letzte Voraussetzung nennt Amelung, dass nicht in rechtswidriger Weise zusätzlicher Druck auf den Einwilligenden ausgeübt wird.1055 Es soll also nicht bereits die strukturelle Zwangssituation die Freiwilligkeit der Einwilligung 1045

Sturm, FS Geiger, 1974, S. 173, 183. BVerfG, NJW 1982, 375. 1047 BVerfG, NJW 1982, 375; vgl. auch Peters, ZStW 87 (1975), 663, 676. 1048 Vgl. Schwabe, NJW 1982, 367, 367; Amelung, NStZ 1982, 38. 1049 Amelung, Einwilligung in Grundrechtsbeeinträchtigung, 1981, S. 105 ff. 1050 Stünde hingegen fest, dass die alternative, gleich geeignete Maßnahme den Betroffenen geringer belastet, so müsste sie als milderes Mittel auch ohne Einwilligung des Grundrechtsträgers gegenüber der Ausgangsmaßnahme bevorzugt werden. 1051 Amelung, Einwilligung in Grundrechtsbeeinträchtigung, 1981, S. 109. 1052 Amelung, Einwilligung in Grundrechtsbeeinträchtigung, 1981, S. 111. 1053 Amelung, NStZ 2006, 317, 320. 1054 Amelung, NStZ 2006, 317, 320. 1055 Amelung, Einwilligung in Grundrechtsbeeinträchtigung, 1981, S. 112. 1046

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

beseitigen, die aus der Wahl zwischen zwei Übeln herrührt, sondern erst darüber hinausgehender, sozusagen akuter Zwang. Amelungs Ausführungen zur „eingriffsmildernden Einwilligung“ in vermeintlichen Zwangslagen überzeugen.1056 Das Institut lässt dem Grundrechtsträger Raum, eigenverantwortlich zu einer ihn – subjektiv – geringer belastenden Situation zu finden. Das Kriterium der Freiwilligkeit in derartigen Konstellationen kategorisch unter Berufung auf die Grundrechte des Betroffenen auszuschließen, würde vernachlässigen, dass sich unter den von Amelung genannten Voraussetzungen dessen Freiheit durch die Möglichkeit der Einwilligung in eine alternative Maßnahme gerade erweitert und nicht etwa verengt; diese Entscheidungsfreiheit ist ihrerseits schutzwürdig. Einen Anwendungsbereich für das Institut der eingriffsmildernden Einwilligung sieht Amelung im Bereich von Gefangenschaftsverhältnissen, bei denen Einwilligungen vielfach den Sinn haben, die Voraussetzungen für eine Entlassung in die Freiheit zu schaffen.1057 Schwabe weist außerdem beispielhaft auf die Möglichkeit des § 81a StPO hin, in möglicherweise entlastende körperliche Untersuchungen einzuwilligen, durch die ein gesundheitlicher Nachteil zu befürchten ist.1058 Ein anderes Beispiel außerhalb von Gefangenschaftsverhältnissen ist § 148 Abs. 2 StPO, wonach ein des Terrorismus verdächtiger Untersuchungshäftling Schriftverkehr nur führen darf, wenn er dessen gerichtlicher Überprüfung zustimmt.1059 Zu denken ist aber auch an das Absehen von öffentlicher Klage gegen Auflagen und/oder Weisungen nach § 153a StPO, welcher der Beschuldigte zustimmen muss. Für Amelungs Lesart des Grundgesetzes spricht schließlich auch § 3 Abs. 2 Kastrationsgesetz, der klarstellt: „Die Einwilligung des Betroffenen ist nicht deshalb unwirksam, weil er zur Zeit der Einwilligung auf richterliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt wird.“ Jenes Gesetz erkennt also die Zwangslage eines Strafgefangenen, der sich zwischen seiner Kastration und der Fortsetzung des Strafvollzugs entscheiden muss, und erklärt sie für unbedenklich.1060 cc) Beachtung der Schranken der Einwilligung Der so dispositionsbefugte und freiwillig handelnde Grundrechtsträger kann indes nicht schrankenlos in die Begrenzung grundrechtlicher Schutzbereiche einwilligen. Interessant ist hinsichtlich möglicher Schranken der Einwilligung insbesondere1061 die Frage, ob die jeweilige hoheitliche Maßnahme trotz der Einwilligung

1056 1057 1058 1059 1060 1061

Zustimmend auch Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 914. Amelung, Einwilligung in Grundrechtsbeeinträchtigung, 1981, S. 109. Schwabe, NJW 1982, 367, 367. Beispiel wiederum bei Amelung, NStZ 1982, 38 f. Amelung, NStZ 1982, 38, 39. Vgl. im Übrigen Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 916 ff.

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügen muss.1062 Dies ist mit einer gewichtigen Modifizierung zu bejahen. Der Grundrechtsträger kann – wie Amelung richtig feststellt – den Staat nicht „zur Vornahme von Handlungen ermächtigen [], die ,ungeeignet‘ oder ,nicht erforderlich‘ sind oder ,mehr schaden als nützen‘.“1063 Denn das aus dem Rechtsstaatsgebot fließende Verhältnismäßigkeitsprinzip steht nicht zur Disposition des Einzelnen1064 und dieser kann folglich nicht unbegrenzt darüber verfügen. Doch das Institut des Grundrechtsverzichts würde unbotmäßig eingeschränkt, wenn nicht mit Blick auf das gegenüber der Geeignetheit und Erforderlichkeit stärker wertungsgeladene Kriterium der Angemessenheit einer Maßnahme dem Grundrechtsträger ein gewisser Beurteilungsspielraum verbliebe. Er soll selbst einschätzen dürfen, ob ihn eine objektiv als unangemessen eingestufte hoheitliche Maßnahme subjektiv geringer belastet und er sie deshalb wählen will.1065 Scheitert also eine hoheitliche Maßnahme „nur“ an ihrer Unangemessenheit, so kann dieser Makel mit der Einwilligung des Grundrechtsträgers überwunden werden. b) Zulässigkeit staatlicher Warnungen mit Einwilligung des entlassenen Straftäters Aus dem obigen Abschnitt wurde nun mehreres deutlich: Erstens ist die Einwilligung in hoheitliche Maßnahmen prinzipiell möglich, wenn der Grundrechtsträger über das betroffene Grundrecht disponieren kann und dies freiwillig tut. Zweitens ist die Freiwilligkeit der Einwilligung nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Betroffene in die ihm vorgeschlagene hoheitliche Maßnahme nur zur Abwendung einer anderen, ihn bereits oder zukünftig belastenden Maßnahme einwilligt. Drittens können hoheitliche Maßnahmen trotz Einwilligung unzulässig sein – insbesondere wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip, das allerdings bei Einwilligungen hinsichtlich des Angemessenheitsmaßstabs zu modifizieren ist.

1062

Stern meint dazu, dies dürfe nur Fälle betreffen, in denen einer unangemessenen hoheitlichen Maßnahme durch die Einwilligung des Betroffenen zu ihrer Rechtmäßigkeit verholfen werden soll (Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 921). Es sind aber ebenso gut Fälle denkbar, in denen der Grundrechtsträger in ungeeignete oder nicht erforderliche hoheitliche Maßnahmen einwilligen möchte. Denkbar ist z. B. die Einwilligung in eine Wohnungsdurchsuchung, die mangels Erforderlichkeit (die Schuld des Betroffenen ist bereits anderweitig hinreichend erweisbar) unverhältnismäßig ist, oder die Einwilligung in die Entnahme einer Haarprobe, die wegen der Kürze des Haares nicht mehr dazu geeignet ist, den Nachweis weiter zurückliegenden Drogenkonsums zu führen – beides in der Hoffnung, die Staatsanwaltschaft nicht gegen sich aufzubringen. 1063 Amelung, Einwilligung in Grundrechtsbeeinträchtigung, 1981, S. 62. 1064 Amelung, Einwilligung in Grundrechtsbeeinträchtigung, 1981, S. 62; Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, 1994, S. 921. 1065 Amelung, Einwilligung in Grundrechtsbeeinträchtigung, 1981, S. 62.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Hinsichtlich der Zulässigkeit staatlicher Warnungen mit Einwilligung des entlassenen Straftäters ist nun zunächst zu erörtern, ob die grundlegenden Voraussetzungen für eine Einwilligung in staatliche Warnungen gegeben sind, namentlich ob Straftäter die Dispositionsbefugnis über die inmitten stehenden Grundrechte besitzen. Sollte dies bejaht werden, wären Konstellationen aufzuzeigen, in denen die staatliche Warnung überhaupt als einwilligungsfähige alternative hoheitliche Maßnahme in Betracht käme. Diese Konstellationen sind dann daraufhin zu untersuchen, ob in ihrem Rahmen die Freiwilligkeit der Einwilligung gewährleistet und ob die hoheitliche Maßnahme ggf. trotz Einwilligung unzulässig wäre. aa) Dispositionsbefugnis des Straftäters über seine Grundrechte Es wäre theoretisch denkbar, dass ein Straftäter darin einwilligt, in würdewidriger Weise angeprangert1066, also z. B. öffentlich zur Schau gestellt und beschimpft zu werden – und dafür im Gegenzug z. B. Strafnachlass zu erhalten. Über seine Menschenwürde kann ein Grundrechtsträger jedoch nicht verfügen, sodass eine solche Einwilligung von vornherein unwirksam wäre.1067 Schwieriger zu beantworten ist aber die Frage, ob Straftäter über ihr Recht auf Resozialisierung disponieren können. Die Dispositionsbefugnis wird zwar für das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Ganzen1068 und für bestimmte Einzelausprägungen wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung1069 bejaht; zum Recht auf Resozialisierung finden sich jedoch weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung besondere Ausführungen. Zweifel an der Dispositionsbefugnis des Trägers dieses Grundrechts rühren aus dem starken Gemeinschaftsbezug der Resozialisierung von Straftätern. Anders als bei Ausprägungen wie dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder dem Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre kann beim Recht auf Resozialisierung nicht davon gesprochen werden, dass „die persönlichen Interessen des Betroffenen im Vordergrund stehen“1070. Denn die Allgemeinheit „hat ein unmittelbares eigenes Interesse daran, daß der Täter nicht wieder rückfällig wird und erneut seine Mitbürger oder die Gemeinschaft schädigt“.1071 Nur wenn sie glückt, drohen ihr von dessen Seite auf Dauer keine Gefahren mehr – und dem entlassenen Straftäter keine weiteren Sanktionen. 1066

Vgl. dazu oben C.IV.1. Vgl. dazu bereits oben C.IV.4.a). 1068 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 228 f.; Schlömer, Elektronisch überwachter Hausarrest, 1998, S. 202; vgl. auch BVerfGE 27, 344, 352 – Ehescheidungsakten. 1069 Jarass, NJW 1989, 857, 860; Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Stand: 07/2001, Art. 2 Rn. 177; LG Frankfurt, NJW 2001, 697 (im Zusammenhang mit der elektronischen Fußfessel). 1070 LG Frankfurt, NJW 2001, 697, unter Berufung auf Schlömer, Elektronisch überwachter Hausarrest, 1998, S. 202. 1071 BVerfGE 35, 202, 236 – Lebach. 1067

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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Das Recht auf Resozialisierung steht also gerade zwischen jenen Grundrechten, die einen vorwiegend personalen Gehalt aufweisen, und den überwiegend gemeinschaftsbezogenen Grundrechten. Diese Doppelverpflichtung kann jedenfalls nicht einseitig zugunsten des Grundrechtsträgers aufgelöst werden, indem dieser eine umfassende Dispositionsbefugnis über das Grundrecht erhält. Ein Verzicht auf das Recht auf Resozialisierung könnte damit nur dergestalt erfolgen, dass der Betroffene auf die ihn schützende Teilkomponente des Grundrechts verzichtet, während der Schutz der Allgemeinheit unvermindert aufrechterhalten bleibt. Dazu muss der in die Einschränkung des Rechts auf Resozialisierung Einwilligende zugleich alternativen hoheitlichen Maßnahmen zustimmen, die das Schutzniveau für die Allgemeinheit ungemindert aufrechterhalten können. Unter dieser engen Voraussetzung kann also der Grundrechtsträger über sein Recht auf Resozialisierung disponieren. Damit ist bereits vorgezeichnet, dass es sich bei Einwilligungen in Einschränkungen des Rechts auf Resozialisierung – in Amelungs bereits zitierter Terminologie – immer nur um „eingriffsmildernde“ handeln wird. bb) Prüfung der Zulässigkeit verschiedener Konstellationen Bereits zu Beginn dieses Abschnitts1072 wurde darauf hingewiesen, dass Einwilligungen in staatliche Warnungen überhaupt nur in wenigen Fällen in Betracht kommen, weil sie nur in besonderen Konstellationen dem Straftäter subjektiv eine Erleichterung bieten können. (1) Staatliche Warnungen als Alternative zur Haftstrafe Denkbar ist zunächst der Fall, dass z. B. einem Sexualstraftäter, der wegen einer minder schweren Straftat zwei Drittel seiner Haftstrafe bereits verbüßt hat (§ 57 Abs. 1 StGB), die Aussetzung seiner Reststrafe zur Bewährung angeboten wird, falls er der Veröffentlichung einer staatlichen Warnung vor seiner Person zustimmt. Wie bereits hinlänglich beschrieben wurde, würde durch die staatliche Warnung seine Chance auf Resozialisierung in schwer vorhersehbarem Umfang geschmälert. Da das Recht auf Resozialisierung nicht zur alleinigen Disposition des Grundrechtsberechtigten steht, müsste die staatliche Warnung dasselbe Niveau an Sicherheit gewährleisten wie die alternativ vollzogene hoheitliche Maßnahme.1073 Die Alternative zur staatlichen Warnung ist die Vollverbüßung der Haftstrafe. Jedenfalls während der fortgesetzten Vollstreckung dieser Haftstrafe könnte eine staatliche Warnung unmöglich ein ähnliches Maß an Sicherheit gewährleisten. Zwar mag sich der Betroffene damit einverstanden erklären, dass die staatliche Warnung über einen 1072 1073

Vgl. oben C.IV.4. Vgl. dazu oben C.IV.4.b)aa).

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

längeren Zeitraum erfolgt als die Haftstrafe gedauert hätte, um so einen Ausgleich mit Blick auf die geringere Wirksamkeit herzustellen. Wie bereits hinreichend dargelegt wurde, ist aber die Wirkung staatlicher Warnungen überaus ungewiss.1074 Anders als dem Staat steht dem Grundrechtsträger, der über ein auch gemeinschaftsbezogenes Grundrecht verfügen will, kein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Wirksamkeit der von ihm als Ausgleich für die Gefährdung der Allgemeinheit gewählten Alternative zu. Da also der Betroffene das Interesse der Allgemeinheit an seiner Resozialisierung nicht kompensieren kann, kann er in staatliche Warnungen als Alternative zur Vollverbüßung der Haftstrafe nicht einwilligen. (2) Staatliche Warnungen als Alternative zu Weisungen im Rahmen der Bewährung oder Führungsaufsicht Möglich wäre weiterhin, dass dem bereits auf Bewährung entlassenen oder unter Führungsaufsicht gestellten Straftäter angeboten wird, statt bestimmter Weisungen (§ 56c bzw. § 68b StGB) in eine Warnung vor seiner Person einzuwilligen. So könnte z. B. ein mit einer elektronischen Fußfessel (§ 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 12 StGB) versehener Straftäter die hierdurch verursachten Beschränkungen als schwerwiegender empfinden als die (ungewissen) Folgen einer staatlichen Warnung. Auch in dieser Konstellation müsste wegen der begrenzten Verfügungsbefugnis des Straftäters über sein Recht auf Resozialisierung aus der Warnung ein ähnliches Schutzniveau erwachsen wie aus der elektronischen Fußfessel oder anderen Weisungen. Je nach Art der Weisung könnte dies zu bejahen sein. So ist die Wirksamkeit der Führungsaufsicht umstritten.1075 In Anbetracht dieser Unsicherheit kann dem einwilligenden Straftäter nicht entgegengehalten werden, die von ihm gewählte Alternative gewährleiste nicht dasselbe Maß an öffentlicher Sicherheit. Damit könnte er in bestimmten Konstellationen – nämlich im Falle von Weisungen, deren Wirksamkeit zweifelhaft ist – seine beschränkte Verfügungsbefugnis kompensieren. Er würde auch freiwillig, weil zur „Eingriffsmilderung“ einwilligen. Fraglich wäre damit nur noch, ob die so gewählte alternative hoheitliche Maßnahme auch sonst zulässig, insbesondere verhältnismäßig wäre. Zur Geeignetheit und Erforderlichkeit von staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern wurde bereits ausgeführt, dass sie mit Blick auf den Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers nicht verneint werden können. Wohl aber sind derlei Maßnahmen regelmäßig unangemessen.1076 Wie bereits gezeigt wurde1077, ist dem einwilligenden Grundrechtsträger aber hinsichtlich der Beurteilung der Angemessenheit die Vornahme einer eigenen 1074

Vgl. dazu oben C.IV.2.c)bb). Vgl. Grosser/Maelicke, in: Cornel/Kawamura-Reindl/Maelicke u. a. (Hrsg.), Resozialisierung, 3. Aufl. 2009, S. 192, 195 ff. m.w.N. 1076 Vgl. dazu oben C.IV.2.c). 1077 Vgl. oben C.IV.4.a)cc). 1075

IV. Materiell-rechtliche Vorgaben des Grundgesetzes

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Wertung zuzugestehen. Gerade in der subjektiven Beurteilung der ihn in dem einen und in dem anderen Fall erwartenden Belastungen liegt die Bedeutung der Möglichkeit eines Grundrechtsverzichts. Man müsste allerdings verlangen, dass der betroffene Straftäter umfassend über die möglichen Folgen einer staatlichen Warnung informiert wird. Eine Klarstellung hat noch in Anbetracht der oben wiedergegebenen Dogmatik von Amelung zu „eingriffsmildernden“ Einwilligungen zu erfolgen: Die Möglichkeit, zur Abwendung einer Weisung bei Entlassung auf Bewährung in eine staatliche Warnung einzuwilligen, bedürfte ihrerseits notwendigerweise einer gesetzlichen Grundlage. Denn die staatliche Warnung läuft dem Sinn anderer eine Bewährungsphase begleitenden hoheitlichen Maßnahmen entgegen. Die (vorzeitige) Aussetzung einer Haftstrafe zur Bewährung dient gerade dem Zweck, „schädliche Wirkungen des Freiheitsentzuges zu vermeiden [… und] dem Verurteilten eine Resozialisierung in Freiheit zu ermöglichen“.1078 Staatliche Warnungen gefährden eben diese Resozialisierung in potentiell hohem Maße. Damit wäre es dem Staat wegen des Vorrangs des Gesetzes verwehrt, ohne gesetzliche Grundlage eine dem Zweck der Regelungen zur Haftentlassung auf Bewährung zuwider laufende staatliche Warnung auszusprechen – unabhängig von der Einwilligung des Straftäters. Dies gälte so nicht im Verhältnis zur Führungsaufsicht, deren Ziel die zukunftsorientierte Gefahrenabwehr ist – ein Zweck, dem auch staatliche Warnungen dienten. c) Zusammenfassung Staatliche Warnungen können auch dann zulässig sein, wenn der von ihnen betroffene Straftäter seine Einwilligung erklärt. Dazu ist insbesondere erforderlich, dass die staatliche Warnung die Minderung an öffentlicher Sicherheit durch die reduzierten Resozialisierungschancen wenigstens ausgleichen kann. Dies ist z. B. dann zu verneinen, wenn die staatliche Warnung als Alternative zu einer Haftstrafe angeboten wird. Die Voraussetzung könnte aber zu bejahen sein, wenn die staatliche Warnung als Alternative für eine hoheitliche Maßnahme dient, deren Wirksamkeit ihrerseits zweifelhaft ist.

5. Ergebnis Eine Rechtsgrundlage für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern könnte die materiell-rechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes in engen Grenzen einhalten. Derartige Warnungen verletzen nicht zwingend die Menschenwürde der betroffenen Straftäter und sind unter den oben formulierten Voraussetzungen ein verhältnismäßiger Eingriff in deren Recht auf Resozialisierung. 1078 Ostendorf, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, Vorbemerkungen zu den §§ 56 bis 58 Rn. 3.

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

V. Vorschlag für ein verfassungsrechtlich zulässiges staatliches Warnsystem Es bietet sich an, die gefundenen Ergebnisse in ein praktisches Modell zu übertragen. Damit soll jedoch keine Aussage darüber getroffen werden, ob ein solches Modell auch wünschenswert ist. Gezeigt wird lediglich, was – den politischen Willen vorausgesetzt – unter Geltung des Grundgesetzes zulässig wäre. Im Laufe der Arbeit wurde deutlich, dass eine bestimmte Tätergruppe für staatliche Warnungen besonders in Betracht kommt: die Gruppe der Sexualstraftäter. Diese Gruppe bedroht ein Individualrechtsgut von erheblichem Wert. Wer von einem Sexualstraftäter in seinem Umfeld Kenntnis erlangt und in dessen Opferprofil zu fallen meint, wird außerdem in der Regel Maßnahmen zum Selbstschutz oder zum Schutz seiner Angehörigen einleiten, sodass die Warnung durchaus eine die objektive Sicherheit steigernde Wirkung haben kann.1079 Sexualstraftäter suchen sich ihre Opfer zudem mehrheitlich im sozialen Nahbereich1080, sodass ein Adressatenkreis für die staatliche Warnung hier noch am ehesten wird identifiziert werden können. Allerdings ist bei diesen Straftätern die von einer Warnung ausgehende Gefahr für deren Resozialisierung besonders hoch; im Extremfall drohen sogar Angriffe gegen ihre körperliche und psychische Integrität.1081 Entsprechend differenziert ist das Warnsystem auszugestalten und im Einzelfall zu handhaben.

1. Ausgestaltung der Regelung Bei der Ausgestaltung eines Warnsystems für entlassene Sexualstraftäter kann das vom Vereinigten Königreich geschaffene Modell1082 als Vorbild dienen. Das britische Modell beachtet im Vergleich zu seinen US-amerikanischen Pendants die Rechte der betroffenen Sexualstraftäter sehr viel stärker und hält die hier aufgestellten Grenzen eines staatlichen Warnsystems zumindest in großen Teilen ein. So entspricht der im britischen System gewählte passive Ansatz, wonach Informationen nur auf Anfrage und nach interner Prüfung durch die Sicherheitsbehörden an die Betroffenen übermittelt werden, den hier dargelegten, aus dem Gebot der Angemessenheit fließenden Grundsätzen.1083 Er wäre auch in ein deutsches Warnsystem zu übernehmen. Es liegt jedoch nahe, in bestimmten Konstellationen – wenn nämlich eine Gefahr nicht nur für den Antragsteller bzw. dessen Kind, sondern gleichermaßen auch für andere Personen besteht – den Sicherheitsbehörden auch 1079

Vgl. dazu oben C.IV.2.c)bb)(1)(a)(aa). Vgl. Erster Forschungsbericht des BMBF zur Repräsentativbefragung Sexueller Missbrauch 2011, S. 30, online unter: http://bit.ly/LQGPEr (Stand: 13. 04. 2013). 1081 Vgl. dazu oben C.II.1 sowie C.IV.2.c)dd)(2). 1082 Vgl. dazu oben C.I.3. 1083 Vgl. dazu oben C.IV.2.c)dd)(3)(d)(aa). 1080

V. Vorschlag für ein verfassungsrechtlich zulässiges staatliches Warnsystem

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eine aktive Warnkompetenz zuzugestehen. Denn wenn die Behörden eine Warnung an eine der betroffenen Personen für erforderlich halten, lässt sich das Unterlassen der Weitergabe einer Information an eine gleichermaßen gefährdete Person kaum rechtfertigen. Wichtigstes Kriterium für die Angemessenheit des Warnsystem ist aber, dass nur Sexualstraftäter davon erfasst werden, die für tatsächlich gefährlich befunden wurden.1084 Was die Anforderungen an die Beurteilung der Gefährlichkeit angeht, so bietet sich ein Rückgriff auf die zur Sicherungsverwahrung und ggf. zur Führungsaufsicht entwickelten Grundsätze an.1085 Die Beurteilung der Gefährlichkeit sollte sinnvollerweise einmal unmittelbar vor Entlassung und – sofern möglich – ein zweites Mal nach der Bürgeranfrage vorgenommen werden, die möglicherweise eine staatliche Warnung auslösen wird. Erst wenn die Anfrage dazu führt, dass die Zielperson des Auskunftsbegehrens tatsächlich ein verurteilter Sexualstraftäter ist und dieser eine (abstrakte) Gefahr für eine andere Person ist, darf eine Warnung in Betracht kommen. Unter Geltung des Grundgesetzes muss der Anwendungsbereich eines Warnsystems allerdings nicht wie im Vereinigten Königreich zwingend auf solche Sexualstraftäter begrenzt werden, die bereits wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurden. Denn auch andere Sexualstraftaten treten vorwiegend im sozialen Nahbereich auf. Auch bei diesen ist also der von einem Antragsteller formulierte Verdacht gegenüber einer bestimmten Person aus ihrem Umfeld aus Sicht der Sicherheitsbehörden ein legitimes Vorauswahlkriterium und sind effektive Schutzmaßnahmen denkbar. Wegen des Gebots der Angemessenheit wäre es zwingend, dass anders als im britischen Modell passive und aktive Warnungen vor ihrer Übermittlung eine richterliche Zustimmung erhalten.1086 Im Vorfeld hierzu hätte eine Anhörung des Betroffenen zu erfolgen. Außerdem wäre es unter Strafe zu stellen, wenn der Adressat der Warnung die Identität des entlassenen Straftäters gegenüber Dritten offenbart. Die Daten der nach Entlassung erfassten Straftäter wären je nach ihrer individuellen Gefährlichkeit mit der Zeit zu löschen; ohne hinreichenden Grund dürften die Straftäter nicht lebenslang der Gefahr einer Weitergabe ihrer Daten – und damit potentiell der Zerstörung ihrer Bemühungen um Resozialisierung – ausgesetzt sein.1087

1084 1085 1086 1087

Vgl. dazu oben C.IV.2.c)dd)(3)(a)(bb). Vgl. dazu oben B.II. Vgl. dazu oben C.IV.2.c)dd)(3)(c). Vgl. dazu oben C.IV.2.c)dd)(3)(e).

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C. Verfassungsrechtliche Vorgaben

2. Verfassungskonforme Handhabung im Einzelfall Ein so ausgestaltetes staatliches Warnsystem muss freilich auch im Einzelfall verfassungsgemäß gehandhabt werden. Wenn eine Anfrage bei den Sicherheitsbehörden eingeht, sind zur Gewährleistung der Verhältnismäßigkeit zunächst sämtliche relevante Daten einzuholen bzw. die Angaben des Antragstellers bestmöglich zu verifizieren. Insoweit bietet sich eine Kooperation mit HEADS und seinen Schwestermodellen an, die Daten von Straftätern sammeln, die bei Entlassung für gefährlich befunden wurden.1088 Steht fest, dass der Überprüfte ein Sexualstraftäter ist, hat eine sorgfältige Beurteilung der potentiellen Gefahrensituation zu erfolgen. Der wichtigste Schritt aber ist die Entscheidung für oder gegen eine Warnung, nachdem die Behörden eine (nur abstrakte) Gefahrensituation festgestellt haben. Die Sicherheitsbehörden haben nun bezogen auf den Einzelfall zu prüfen, ob die Warnung ein geeignetes Mittel zur Eindämmung der Gefahr ist und ob sie hierfür erforderlich und angemessen ist. Hier sind zahlreiche Konstellationen denkbar, die der Gesetzgeber bei der Schaffung des Warnsystems wegen der hohen Abstraktion des Rechtssetzungsaktes noch nicht berücksichtigen muss. Insbesondere bei der Frage der Erforderlichkeit einer Warnung müssen die Sicherheitsbehörden prüfen, ob nicht doch ein gleich wirksames, aber milderes Mittel als die Warnung ersichtlich ist, insbesondere in Form einer Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht. Sexualstraftäter werden wegen § 181b StGB regelmäßig zugleich unter Führungsaufsicht stehen. Die Polizei hat dann zu prüfen, ob nicht nachträglich (§ 68d StGB) angeordnete Weisungen nach § 68b Abs. 1 S. 1 StGB das potentiell betroffene Opfer ebenso gut schützen können wie eine an dieses übermittelte Warnung. In bestimmten Fällen mag auch ein Hinweis an den Straftäter durch die Polizei genügen. So könnte dieser es ggf. bevorzugen, die Arbeitsstelle in einer Kindertagesstätte freiwillig aufzugeben und dies nach außen als einen anlassunabhängigen, eigenen Entschluss darzustellen, anstatt die Übermittlung einer Warnung an die Eltern oder eine förmliche Weisung nach § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB zuzulassen. Das Informationsbegehren der Eltern könnte und müsste dann wegen Erledigung abschlägig beschieden werden, ohne dass der Straftäter je als solcher identifiziert werden müsste. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung ist darüber hinaus zu bedenken, dass manche Maßnahmen der Führungsaufsicht vielleicht keine ebenso hohe Wirksamkeit wie eine staatliche Warnung aufweisen, sie aber wegen ihrer deutlich geringeren Beeinträchtigung der Rechte des entlassenen Sexualstraftäters im Ganzen doch als das angemessenere Mittel erscheinen könnten. Im Rahmen der Führungsaufsicht kann eine Vielzahl von insbesondere auch für Sexualstraftäter geschaffenen Weisungen erteilt werden1089 ; neben der oben bereits erwähnten Möglichkeit, bestimmte 1088

Vgl. zu HEADS oben C.IV.2.c)cc)(1)(a)(bb) und schon die Einführung III. Vgl. dazu Ostendorf, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 68b Rn. 9 ff., sowie die Aufzählung oben unter B.II.1.b). 1089

V. Vorschlag für ein verfassungsrechtlich zulässiges staatliches Warnsystem

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Tätigkeiten zu untersagen, sei an dieser Stelle nur noch einmal die jüngst zur Aufenthaltsüberwachung eingeführte sog. „elektronische Fußfessel“ erwähnt, § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 12 StGB. Der Einsatz von Weisungen, die im Rahmen der Führungsaufsicht erteilt werden können, bietet die Möglichkeit, gefährliche Sexualstraftäter einer engmaschigen Kontrolle zu unterwerfen. Diese Kontrolle dürfte im Einzelfall dazu in der Lage sein, die objektive Sicherheit zumindest ähnlich gut zu fördern wie die durch staatliche Warnungen bewirkte Kontrolle – ohne aber den betroffenen Sexualstraftäter gegenüber seinem Umfeld als solchen zu identifizieren. Im Rahmen der in der Regel nach außen nicht erkennbaren Führungsaufsicht erhält sich der Betroffene dann eine realistische Chance, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Nie vergessen werden dürften Aspekte, die eine über das Übliche weit hinausgehende Beeinträchtigung der Rechte des Sexualstraftäters durch die Warnung erwarten lassen. So etwa bei einer Person, die aus irgendeinem Grund in der Vergangenheit mit großer medialer Aufmerksamkeit bedacht wurde – und bei der durch die Warnung eine Wiederherstellung dieser Aufmerksamkeit droht. In derartigen Fällen ist ggf. von einer Warnung gänzlich abzusehen oder sind zumindest besondere Vorkehrungen zu treffen, dass die Identität nicht über den Kreis der Adressaten der Warnung hinaus bekannt wird – etwa durch intensive Einzelgespräche.

D. Zusammenfassung 1. Die Dogmatik zu staatlichen Warnungen ist noch immer nicht geklärt. Umstritten ist insbesondere die Frage, ob staatliche Informationstätigkeit, die natürliche oder juristische Personen in ihren grundrechtlichen Freiheiten beeinträchtigt, stets einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage bedarf. Während die Literatur dies nahezu einhellig bejaht, möchte es die Rechtsprechung davon abhängig machen, ob die Warnung ein funktionales Äquivalent zu einem klassischen Grundrechteingriff ist oder dahinter zurückbleibt. In letzterem Fall soll der Staat bereits dann tätig werden dürfen, wenn er sich auf eine grundgesetzliche Aufgabe stützen kann und er die übrigen formellen und materiellen Voraussetzungen für rechtmäßiges Staatshandeln einhält. 2. Ein Straftäter ist nach Begehung der Tat nicht bloßes Objekt staatlicher Strafgewalt – erst recht dann nicht mehr, wenn er die vom Gericht verhängte Strafe verbüßt hat. Ein aus der Haft entlassener Straftäter ist deshalb grundsätzlich wieder im Vollbesitz seiner Freiheitsrechte. Darüber hinaus gewährt ihm die Rechtsordnung sogar zusätzlichen Schutz, um seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu fördern. 3. Von entlassenen Straftätern gehen teilweise Gefahren aus. Sie einzuhegen ist Aufgabe staatlicher Gewalt. Der Gesetzgeber hat dazu das Maßregelrecht geschaffen. Zusätzlichen, an seine Straftat anknüpfenden Belastungen zum Schutz der Bevölkerung darf der entlassene Straftäter nur unterworfen werden, wenn eine fachgerecht erstellte individuelle Gefährlichkeitsprognose zu der Vermutung Anlass gibt, dass er weiterhin eine Gefahr für die Allgemeinheit ist. Mit diesem Anspruch versucht das deutsche Maßregelrecht dem Willkürverbot wie dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu genügen. 4. Jede denkbare Form von staatlichen Warnungen vor einem entlassenen Straftäter identifiziert den Straftäter potentiell gegenüber seinem sozialen Umfeld. Wenn die Straftat im sozialen Umfeld des Betroffenen missbilligt wird, gefährdet die Warnung die Wiedereingliederung des stigmatisierten Straftäters in die Gesellschaft und ist unter der Bedingung ein mittelbarer Eingriff in dessen Recht auf Resozialisierung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, dass ihre Folgen für den Straftäter schwer wiegen oder sie in vorhersehbarer Weise durch vom Staat gewollte Handlungen Dritter verursacht wurden. 5. Durch die Übermittlung von personenbezogenen Daten eines entlassenen Straftäters an Dritte greift der Staat regelmäßig und unmittelbar in dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein.

D. Zusammenfassung

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Dies ist unabhängig davon zu bejahen, wie detailliert die Informationen sind, ob sie mit einer Wertung verknüpft oder an wieviele Personen sie übermittelt werden sowie ob die Verbreitung der Warnung aktiv betrieben oder die Warnung auf einer Plattform wie einer Internetseite veröffentlicht wird. 6. Ist das Bekanntwerden einer Straftat für das Ansehen des Täters in seinem sozialen Umfeld abträglich – etwa weil er erst dadurch als Täter einer erheblichen Straftat identifiziert wird –, so ist eine staatliche Warnung nach Entlassung als Eingriff in das Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG einzustufen, selbst wenn nur eine begrenzte Anzahl an Personen von dieser Warnung Kenntnis erlangt; entscheidend ist nur, dass der Ansehensverlust für den Betroffenen spürbar ist. 7. Sofern der Staat einen entlassenen Straftäter durch seine Warnung identifiziert, schafft er je nach Art der bekanntgemachten Straftat eine abstrakte Gefährdungslage für Leib und Leben des Betroffenen, was noch nicht als Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu bewerten ist; die Gefährdungslage begründet lediglich eine gesteigerte Schutzpflicht zu Gunsten des Straftäters. Nur wenn durch die Warnung das Leben des Straftäters konkret gefährdet ist oder ihm konkret schwerwiegender Schaden an seiner Gesundheit droht, ist die Warnung bereits wegen dieser Gefährdung als Eingriff einzustufen. Tritt tatsächlich eine Schädigung ein, ist zu differenzieren: ist sie unmittelbare Folge der staatlichen Warnung, so liegt ein Eingriff vor; ist sie Folge des vorhersehbaren Verhaltens eines Privaten, so kann die Schädigung dem Staat ebenfalls als Eingriff zugerechnet werden; etwas anderes gilt aber, wenn die Schädigung als Straftat eines Privaten zu qualifizieren ist. 8. Hat die staatliche Warnung vor einem entlassenen Straftäter die Eigenschaft, den Betroffenen gegenüber seinem sozialen Umfeld herabzuwürdigen, liegt ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur in seiner Ausprägung des Rechts auf Resozialisierung vor. Die Eingriffe auch in die Ausprägungen des informationellen Selbstbestimmungsrechts und des Rechts auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre treten hinter diesem konkurrenzrechtlich zurück. Erfüllt die Warnung zugleich die Voraussetzungen für einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, tritt das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zum Recht auf Resozialisierung in Idealkonkurrenz. Es wären also die Rechtfertigungsvoraussetzungen beider Garantien zu erfüllen. Die allgemeine Handlungsfreiheit tritt hinter diesen Grundrechten zurück. 9. Der mit einer Warnung notwendig verbundene Eingriff in das Recht auf Resozialisierung und ggf. das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit bedarf zu seiner Rechtfertigung einer einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Die Rechtsprechung des BVerfG zur Einschränkung des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts bei staatlichen Warnungen ist auf staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern nicht übertragbar. Schon der Ausgangspunkt der Rechtsprechung, die Notwendigkeit staatlicher Warnungen lasse sich nicht vorhersehen, ist dann offensichtlich nicht gegeben, wenn Warnungen systematisch als Mittel der Gefahrenab-

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wehr eingesetzt werden. Überdies wären staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern als „funktionales Äquivalent“ von klassischen Grundrechtseingriffen, namentlich den Maßregeln der Besserung und Sicherung zu qualifizieren, sodass auch nach der Rechtsprechung eine Einschränkung des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts wenigstens aus diesem Grunde nicht in Betracht kommt. 10. Die für staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern erforderlichen Rechtsgrundlagen könnten vom Bund erlassen werden, wenn sie unter den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG fielen, also entweder als Strafe oder aber als Maßregel einzustufen wären. Sie müssten es in diesem Fall sogar, weil der Bund das Strafrecht insoweit abschließend geregelt hat. Nur wenn die staatlichen Warnungen weder als Strafe noch als Maßregel einzustufen wären, verbliebe es beim Grundsatz des Art. 70 Abs. 1 GG. 11. Sollten staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern als eine moderne Prangerstrafe eingesetzt werden, verstießen sie gegen Art. 1 Abs. 1 GG und wären somit verfassungswidrig. Haben die Warnungen lediglich anprangernde Wirkung ohne Strafcharakter, sind sie nur dann als würdewidrig einzustufen, wenn der Straftäter keinerlei Möglichkeiten hat, sich etwaigem Gespött oder offen zur Schau getragener Missachtung physisch zu entziehen. Erfüllen sie auch diese Voraussetzung nicht, steht Art. 1 Abs. 1 GG staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern nicht entgegen. 12. Würden staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern allein von einer rechtswidrigen und schuldhaften Straftat, nicht aber von einer individuellen Gefährlichkeitsprognose abhängig gemacht, so müsste die Warnung als „Strafe“ i.S.d. Art. 103 Abs. 2 und 3 GG qualifiziert werden – genauer wäre sie Nebenfolge der Tat i.S.d. §§ 45 ff. StGB – und fiele in dessen Anwendungsbereich. Unter dieser Voraussetzung wären die in der Vorschrift niedergelegten Schranken-Schranken einzuhalten. 13. Auch außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 103 Abs. 2 und 3 GG müsste wegen der potentiell schwerwiegenden Folgen für den Betroffenen eine Rechtsgrundlage für Warnungen vor entlassenen Straftätern in besonderem Maße inhaltlich bestimmt sein. Hinsichtlich des Gebots des Vertrauensschutzes gilt, dass Warnungen vor solchen Straftätern, die bereits vor Inkrafttreten einer Rechtsgrundlage straffällig oder sogar entlassen wurden, zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen sind, aber die Rückwirkung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zugunsten des Straftäters zu berücksichtigen ist. 14. Das vom Staat verfolgte Ziel staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern ergibt sich aus dem Schutzzweck jener Straftatbestände, deren Täter von den Warnungen betroffen sind. Soweit die im StGB geregelten Straftatbestände ihrerseits legitime Ziele verfolgen, verfolgen auch Warnungen zur Vermeidung weiterer solcher Straftaten ein legitimes Ziel. Daneben kann auch eine Steigerung der subjektiven Sicherheit ein legitimes Ziel staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern sein. Allerdings gilt insoweit die Einschränkung, dass vom Staat nur angestrebt

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werden darf, konkrete und erhebliche Beeinträchtigungen des Sicherheitsgefühls Einzelner zu beseitigen bzw. zu verhindern. 15. Staatliche Warnungen vor entlassenen Straftätern sind abstrakt dazu geeignet, die objektive Sicherheit zu erhöhen, sofern es um die Verhinderung von Straftaten wie solchen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung oder das Vermögen geht. Dieser abstrakte Befund wird durch empirische Studien in der US-Literatur zu staatlichen Warnungen vor Sexualstraftätern nicht eindeutig widerlegt. Sowohl eine Reduzierung der Rückfallquote bei von der Warnung betroffenen Straftätern als auch eine abschreckende Wirkung auf potentielle Straftäter erscheinen denkbar. Damit könnte der Gesetzgeber unter Berufung auf seinen Beurteilungsspielraum Warnungen als Mittel zur Erhöhung der objektiven Sicherheit einsetzen, ohne dass sie bereits mangels Geeignetheit als unverhältnismäßig abgelehnt werden müssten. Ungeeignet wäre allerdings der Einsatz von staatlichen Warnungen zur Erhöhung der subjektiven Sicherheit. 16. Aus dem Gebot der Erforderlichkeit ergeben sich allgemein formulierbare Einschränkungen für ein staatliches Warnsystem nur hinsichtlich des Umfangs der preisgegebenen Täterdaten. Der Gesetzgeber wäre wegen des Grundsatzes der Erforderlichkeit dazu gezwungen, in einer möglichen Rechtsgrundlage die Weitergabe von Daten zu untersagen, die nicht zur Identifizierung eines Täters und der von ihm ausgehenden Gefahr beitragen. Darüber hinaus bestehen in Einzelfällen Alternativen zu staatlichen Warnungen, denen der Gesetzgeber Raum zu geben hat. Namentlich muss er gewährleisten, dass staatliche Warnungen wirklich nur dann ergehen, wenn nicht im Einzelfall eine Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht die objektive Sicherheit ebenso gut erhöhen kann. Außerdem hat der Gesetzgeber gesetzlich zu bestimmen, dass in dem Fall, da ein Straftäter nur für einen abschließend bestimmbaren Personenkreis überhaupt eine Gefahr ist, der Staat nur diesen Personenkreis warnt. 17. Die Angemessenheit einer staatlichen Warnung vor einem entlassenen Straftäter ist differenziert zu betrachten. Sie beurteilt sich nach ihrem Anwendungsbereich, Adressatenkreis und Verfahren sowie nach ihrer Form und Dauer. Warnungen dürfen nur vor Straftätern ergehen, die infolge einer individuellen Begutachtung für gefährlich befunden wurden. Eine zentrale Funktion zur Wahrung der Angemessenheit der Warnung nimmt zudem die Auswahl des „richtigen“ Adressatenkreises ein: Die Warnung ist nur an Personen zu richten, die durch den Straftäter tatsächlich abstrakt gefährdet sind. Eine Verbreitung der Warnung an jedermann ist unzulässig. Damit ist auch eine starke Präferenz für sog. passive Warnungen zum Ausdruck gebracht, die nur bei Interesse abgerufen werden oder gar nur auf Antrag einer sich für betroffen haltenden Privatperson ergehen. Die Warnung muss von einem Richter angeordnet werden und ist nur über eine begrenzte Dauer möglich. Außerdem ist es unter Strafe zu stellen, wenn der Adressat der Warnung die Identität des Straftäters gegenüber Dritten offenbart.

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D. Zusammenfassung

18. Staatliche Warnungen können auch dann zulässig sein, wenn der von ihnen betroffene Straftäter seine Einwilligung erklärt. Dazu ist insbesondere erforderlich, dass die staatliche Warnung die Minderung an öffentlicher Sicherheit durch die reduzierten Resozialisierungschancen wenigstens ausgleichen kann. Dies ist z. B. dann zu verneinen, wenn die staatliche Warnung als Alternative zu einer Haftstrafe angeboten wird. Die Voraussetzung könnte aber zu bejahen sein, wenn die staatliche Warnung als Alternative für eine hoheitliche Maßnahme dient, deren Wirksamkeit ihrerseits zweifelhaft ist. 19. Ein unter der Geltung des Grundgesetzes zulässiges staatliches Warnsystem könnte sich am britischen Modell orientieren, in dem Informationen nur auf Anfrage und nach interner Prüfung durch die Sicherheitsbehörden an die Betroffenen übermittelt werden. Nur wenn die Anfrage dazu führt, dass die Zielperson des Auskunftsbegehrens tatsächlich ein verurteilter Sexualstraftäter ist und dieser eine (abstrakte) Gefahr für eine andere Person ist, darf eine Warnung in Betracht kommen. Die Rechtsgrundlage müsste aber alle oben aufgestellten Anforderungen erfüllen, insbesondere müsste sie einen Richtervorbehalt vorsehen und die Offenbarung der Identität des Straftäters gegenüber Dritten unter Strafe stellen. Besondere Anforderungen wären schließlich an die Handhabung des Warnsystems im Einzelfall zu stellen. So wäre zu gewährleisten, dass die Sicherheitsbehörden eine gewissenhafte und erschöpfende Erforderlichkeitsprüfung vornehmen und im Rahmen der Angemessenheitsprüfung Maßnahmen berücksichtigen, die zumindest ein ähnlich hohes Schutzniveau herstellen könnten wie die staatliche Warnung selbst.

Schluss Jeder moderne Rechtsstaat kennt ein staatliches Gewaltmonopol. Dieses Zugeständnis des Souveräns erfordert ein gehöriges Vertrauen in die Fähigkeit des Staates, alle Menschen in seinem Gebiet effektiv vor privater und außerstaatlicher Gewalt zu schützen. Misstrauen in diese Fähigkeit ist freilich angebracht. Denn es ist dem Staat schlicht unmöglich, jedweden Schaden von seinen Schutzbefohlenen abzuwenden. Das Verlangen nach Warnungen vor vermeintlichen Gefahren zur Ermöglichung von Selbstschutzmaßnahmen ist Ausdruck eben dieses Misstrauens. In der vorliegenden Arbeit sollte die verfassungsrechtliche Zulässigkeit staatlicher Warnungen vor entlassenen Straftätern überprüft werden. In ihrem Bemühen um eine differenzierte und unvoreingenommene Analyse kommt die Untersuchung zu dem Ergebnis, dass das Grundgesetz solcherlei Warnungen nur in sehr engen Grenzen zulässt – dass sie aber von Verfassungs wegen nicht schlechterdings ausgeschlossen sind. Voraussetzung ist – grob vereinfachend – ein dreifach präzises Vorgehen: Präzision bei der Auswahl der wirklich gefährlichen Straftäter; Präzision bei der Auswahl der wirklich von ihnen gefährdeten Personen; und Präzision bei der Entscheidung darüber, ob eine Warnung im Einzelfall wirklich das schonendste und ein angemessenes Mittel ist. Weil der wiederholt geforderte „Internetpranger“ jedenfalls nicht alle diese Voraussetzungen erfüllen kann, wäre er mit dem Grundgesetz sicher nicht vereinbar. Denn der Beitrag des Internetprangers zur öffentlichen Sicherheit stünde deutlich außer Verhältnis zu den potentiell katastrophalen Folgen einer Identifizierung der betroffenen Straftäter. Mit der angebotenen Lösung eines unter engen Voraussetzungen zulässigen Warnsystems ist kein politischer Vorschlag verbunden. Nicht alles, was die Verfassung nicht verbietet, ist wünschenswerte Politik. Die Entscheidungsträger sollten es sich gut überlegen, Forderungen nach staatlichen Warnungen vor entlassenen Straftätern nachzugeben. Denn die bestehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung bieten hinreichende Instrumente zur Einhegung der von entlassenen Straftätern ausgehenden abstrakten Gefahren: In Extremfällen kann auch in Zukunft ihre Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet werden. In minder gravierenden Fällen wird gerade bei Sexualstraftätern stets eine Führungsaufsicht verhängt werden, die eine Vielzahl von Instrumenten zur Bewältigung der Risikolage kennt. Konkretisiert sich eine Gefahr, stehen schließlich die Sicherheitsbehörden mit dem vollen Spektrum des Gefahrenabwehrrechts bereit. Der Schlüssel zur Effektivität der genannten Instrumente liegt wohl in der Qualität und der Quantität der dem Staat zur Verfügung stehenden Informationen. Die Behörden können nur auf sich abzeichnende Gefahren reagieren, wenn sie von einer

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Schluss

Risikolage Kenntnis erlangen und zu ihrer richtigen Beurteilung imstande sind. Deshalb mögen die jüngeren Versuche, Sexualstraftäter durch gesteigerten zwischenbehördlichen Informationsfluss im Auge zu behalten und im Einzelfall auf sie zuzugehen (wie es das HEADS-Programm in Bayern versucht), der vernünftigere Ansatz zur Gefahrenabwehr sein.

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Sachwortverzeichnis Allgemeines Persönlichkeitsrecht 74, 116, 143, 195 – Dispositionsbefugnis 218 – Konkurrenzverhältnis der Einzelausprägungen 116 Auffangkompetenz für Maßregeln 133

Gleichheitssatz siehe Recht auf Gleichheit Grundrechtskonkurrenz 113

Bestimmtheitsgebot – allgemeines ~ 160 – strafrechtliches ~ 158

Individuelle Gefährlichkeitsprognose siehe Gefährlichkeitsprognosen Internetpranger siehe Pranger

Daten siehe Personenbezogene Daten Dauerobservation 144, 185, 193, 206

Maßregeln der Besserung und Sicherung 54, 131, 183 – Abschließende Bundesregelung 134 – Gesetzgebungskompetenz 129 Menschenwürdegarantie 138

Einwilligung in Grundrechtseingriffe 213 – Dispositionsbefugnis 214 – Dispositionsbefugnis über Recht auf Resozialisierung 218 Elektronische Fußfessel 55, 144, 184 Entmündigung 90, 195 Führungsaufsicht 55, 125, 184, 191, 208 – als Strafe 155 – Alternative zu staatlichen Warnungen 224 – Fußfessel siehe Elektronische Fußfessel – Staatliche Warnungen als Alternative zur ~ 220 Gefahr 31 Gefährlichkeitsprognosen 58, 67, 132 – Anforderungen an ~ 59 – Angemessenheit unterschiedsloser Eingriffe 201 – Erforderlichkeit unterschiedsloser Eingriffe 187 – Unterscheidung Maßregel/Strafe 155 Gesetzesvorbehalt siehe Vorbehalt des Gesetzes Gesetzgebungskompetenz 126 – USA 64

HEADS 30, 186 – Alternative zu staatlichen Warnungen 224

Ne bis in idem siehe Strafe Personenbezogene Daten – Angemessenheit staatlicher Warnungen 207 – Begriff 88 – Erhebung und Verwendung 89 – Preisgabe durch staatliche Warnungen 92 – Strafe bei Weitergabe 210 Pranger 23, 92, 128, 209, siehe auch Prangerstrafe – Internet ~ 25, 198, 207 Prangerstrafe 23, 139 f. – als Menschenwürdeverletzung 140 – Staatliche Warnungen als ~ 145 Recht auf Achtung und Schutz der persönlichen Ehre 93 Recht auf Gleichheit 111, 211 Recht auf informationelle Selbstbestimmung 87 Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit 100 – Abwägung 199

Sachwortverzeichnis Recht auf Resozialisierung 53, 76, 193, 196, 206 – Abwägung 198 – Dispositionsbefugnis 218 – Konkurrenzverhältnis 118 Rückfallrisiko 53, siehe auch Gefährlichkeitsprognosen – Reduzierung durch staatliche Warnungen 169, 176 – Sexualstraftäter 176 Rund-um-die-Uhr-Überwachung siehe Dauerobservation Schuldnerverzeichnis 91 Sexualstraftäter 24, 172 – Folgen einer Identifizierung 82, 208 – Grundrechtseingriff durch Warnung 84, 107 – Registrierung 30, 66 f., 69 f., 184, siehe auch HEADS – Umgang im Vereinigten Königreich 73 – Umgang in den USA 64 – Umgang in Kanada 71 – Warnungen und Rückfallrisiko 176 – Zulässigkeit von Warnungen vor ~ 222 Sicherheitsgefühl siehe Subjektive Sicherheit Sicherungsverwahrung 56, 183 – als milderes Mittel 192 – als Strafe 147, 154 – Gesetzgebungskompetenz 129 – Observation nach Entlassung aus der ~ 143 – Reaktionen auf Entlassene 24 Staatliche Warnungen 33 – aktive und passive ~ 68 f., 190

253

– als Strafe 131, 153 – als Strafe im US-amerikanischen Recht 149 – Einfluss auf Rückfallrisiko 169, 176 – Eingriff 41, 74 – Folgen 84, 208 – Formen 34 – Gesetzesvorbehalt 42, 121 – Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen 48 Strafe – Bestimmtheitsgebot 158 – Doppelbestrafungsverbot 160 – im Sinne des Art. 74 I Nr. 1 GG 128 – im Sinne des Art. 103 II, III GG 147 – Rückwirkungsverbot 158 – Staatliche Warnungen als ~ 131, 153 – Staatliche Warnungen als ~ (USA) 149 – Zwecke von ~ siehe Strafzwecke Strafvollzug 53, 79 Strafzwecke 50 Subjektive Sicherheit – Legitimes Ziel 165 – Warnungen zur Steigerung der ~ 175 Verhältnismäßigkeitsprinzip 164 Vertrauensschutz 163 Vorbehalt des Gesetzes 39 – Begrenzung 43, 121 Warnungen siehe Staatliche Warnungen Weisungen siehe Führungsaufsicht Wesentlichkeitstheorie 161 Willkürverbot 58, siehe auch Recht auf Gleichheit