Sprachwissenschaft und kolonialzeitlicher Sprachkontakt: Sprachliche Begegnungen und Auseinandersetzungen 9783050062884, 9783050059730

The relationship between language and colonialism is increasingly focussed in linguistic research in the German-speaking

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Sprachwissenschaft und kolonialzeitlicher Sprachkontakt: Sprachliche Begegnungen und Auseinandersetzungen
 9783050062884, 9783050059730

Table of contents :
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Einleitung
Part A
Stolz1
Hackmack
Part B
Mühlhäusler
Weber
Engelberg et al
Stolberg
Part C
Riese
Warnke-Schmidt-Brücken
Kutzner
Part D
Engelberg
Kellermeier-Rehbein
Autorenverzeichnis
Personenindex
Sprachenindex
Sachindex

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Sprachwissenschaft und kolonialzeitlicher Sprachkontakt

Koloniale und Postkoloniale Linguistik Colonial and Postcolonial Linguistics Band 3 Herausgegeben von Stefan Engelberg, Peter Mühlhäusler, Doris Stolberg, Thomas Stolz und Ingo H. Warnke

Stefan Engelberg, Doris Stolberg (Hg.)

Sprachwissenschaft und kolonialzeitlicher Sprachkontakt Sprachliche Begegnungen und Auseinandersetzungen

Akademie Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2012 Akademie Verlag GmbH, Berlin Ein Wissenschaftsverlag der Oldenbourg Gruppe. www.akademie-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Redaktion: Cornelia Stroh Einbandgestaltung: hauser lacour, nach einer Idee von Susanne Hackmack Druck & Bindung: Beltz Bad Langensalza Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706 ISBN 978-3-05-005973-0 eISBN 978-3-05-006288-4

Inhalt

STEFAN ENGELBERG & DORIS STOLBERG Einleitung: Die Koloniallinguistik und ihre Forschungsfelder ……………………...

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PART A: KOLONIALZEITLICHE GRAMMATIKOGRAPHIE THOMAS STOLZ Über die Wortmacherei, oder: Die Verschiebung der Wortgrenzen in der kolonialzeitlichen Sprachforschung (am Beispiel des Chamorro) ………………….

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SUSANNE HACKMACK Die Subjektpräfixe des Swahili in kolonialzeitlichen Sprachbeschreibungen ………. 49 PART B: SPRACHENPOLITIK UND SPRACHKONTAKT IN KOLONIALEM KONTEXT PETER MÜHLHÄUSLER Sprachliche Kontakte in den Missionen auf Deutsch-Neuguinea und die Entstehung eines Pidgin-Deutsch …………………………………………….………………….. 71 BRIGITTE WEBER Exploration of Deutsch-Kamerun: a toponymic approach..................................... 101 STEFAN ENGELBERG, INEKE SCHOLZ & DORIS STOLBERG Interaktionszentren des Sprachkontakts in Deutsch-Neuguinea: ein sprachkartographisches Projekt ………………………………….…………….………...… 123

Inhalt

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DORIS STOLBERG Sprachkontakt in der Schule: Deutschunterricht in Mikronesien (1884–1914) …….. 139 PART C: KOLONIALE DISKURSE ÜBER SPRACHEN UND VÖLKER JULIUS RIESE The Samoanische Zeitung (1901–1914): Images of the Samoan people and culture in a German colonial newspaper ………………………………………….……….… 165 INGO H. WARNKE & DANIEL SCHMIDT-BRÜCKEN Was zählt im Kolonialdiskurs? Numeralia und Numeralität in kolonialen Grammatiken ..191 SANDY KUTZNER “Zivilisierte” und “unzivilisierte” Sprachen. Historische Sprachbewertung und das wirklich Fremde in Sprachen ……………………………………………….……….. 215 PART D: GRUNDLEGUNG DES KOLONIALLINGUISTISCHEN FORSCHUNGSPROGRAMMS IN FORSCHUNG UND LEHRE

STEFAN ENGELBERG Historische Sprachkontaktforschung zur deutschen Sprache im Südpazifik – Ansatz zu einer Quellen- und Dokumentenkunde der deutschen Koloniallinguistik .. 233 BIRTE KELLERMEIER-REHBEIN Koloniallinguistik aus hochschuldidaktischer Perspektive ………………………… 293 Autorenverzeichnis …………………………………………………………………. 311 Personenindex ………………………………………………………………………. 313 Sprachenindex …………………………………………………………………….… 317 Sachindex ……………………………………………………………………………. 319

STEFAN ENGELBERG & DORIS STOLBERG (MANNHEIM)

Einleitung: Die Koloniallinguistik und ihre Forschungsfelder

1. Koloniallinguistik als Forschungsprogramm Die Koloniallinguistik ist ein Forschungsprogramm, das sich “der systematischen Erfassung, Ordnung und Deutung aller sprachwissenschaftlich relevanten Phänomene widmet, die im Zusammenhang mit dem Kolonialismus stehen.” (Dewein et al. erscheint 2012) Sie geht davon aus, dass Sprachkontakterscheinungen in kolonialen Kontexten, die Besonderheiten der kolonialen Diskurse, die Eigenheiten der kolonialzeitlichen Sprachforschung und die sprachenpolitischen Maßnahmen und Wirkungen nur unter Bezugnahme auf die spezifischen historischen Gegebenheiten des Kolonialismus erklärt werden können. Im Zusammenhang mit dem deutschen Kolonialismus verfolgt die Koloniallinguistik diese Forschungsaufgaben in Bezug auf die ehemaligen überseeischen Kolonien des Deutschen Reichs in Afrika, Asien und Ozeanien. Auf diese Weise thematisiert und problematisiert sie den Zusammenhang zwischen Sprache und Kolonialismus, der in einer Betrachtung derselben Phänomene unter anderen disziplinären Fragestellungen nicht in der gleichen Schärfe sichtbar wird. Der vorliegende Band enthält Aufsätze, die ihren Ursprung in den Vorträgen der 2. Tagung zur deutschen Koloniallinguistik haben, die im September 2010 am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim stattgefunden hat. Die sich etablierende Tagungsreihe geht ebenso wie das Entstehen der Publikationsreihe “Koloniale und Postkoloniale Linguistik/Colonial and Postcolonial Linguistics”, in der dieser Band erscheint, zurück auf das Bemühen einer Gruppe von Linguisten und Linguistinnen, koloniallinguistische Forschungsthemen in den Fokus der sprachwissenschaftlichen Öffentlichkeit zu bringen. Mit der Gründung der “Forschungsgruppe Koloniallinguistik” im Jahre 2011 ist auch ein Forschungsprogramm entworfen worden (Dewein et al. erscheint 2012), zu dessen Ausführung dieser Band beiträgt. Grundlegende Aspekte unserer Arbeit sind daneben auch in dem einleitenden Aufsatz zur 1. Tagung Deutsche Koloniallinguistik (Stolz et al. 2011) und in Warnke (2009), hier v.a. mit einem Schwerpunkt auf den diskursiven Aspekten der kolonialen Kommunikation, dargestellt. Die koloniallinguistische Forschung findet in vier Themenfeldern statt: (1) Sprachkontakt und Sprachwan-

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Stefan Engelberg & Doris Stolberg

del, (2) Historiographie der Linguistik, (3) Diskurslinguistik und (4) Sprach- und Sprachenpolitik (vgl. Dewein et al. erscheint 2012). Sprachkontakt und Sprachwandel: Das Forschungsfeld “Sprachkontakt und Sprachwandel” befasst sich mit der Entstehung, dem Wandel und dem Verschwinden von Sprachen in kolonialen Kontexten. Gegenstand der Forschung sind dabei die Entstehung und Entwicklung von Pidgin- und Kreolsprachen, der Wandel von Sprachen in kolonialen Gesellschaften auf lexikalischer und grammatischer Ebene, die Entwicklung von Sprachinseln und Kontaktvarietäten der Sprachen sowohl der kolonialen Machthaber als auch der Kolonisierten, die Entstehung und Funktion von Mehrsprachigkeit in kolonialen Gesellschaften und die Orts- und Personennamengebung. Mehrere Beiträge des vorliegenden Bandes befassen sich mit diesem Forschungsgebiet. Mühlhäusler behandelt u.a. die Entstehung eines deutschen Pidgins auf Neuguinea, Weber die kolonialen Toponyme in Deutsch-Kamerun. Stolbergs Beitrag ist dem Zusammenhang zwischen dem Deutschunterricht in den kolonialzeitlichen Schulen Mikronesiens und Entlehnungen aus dem Deutschen gewidmet, und Engelberg, Scholz & Stolberg befassen sich mit der Korrelation von außersprachlichen, gesellschaftlichen Veränderungen und der Entlehnung deutscher Wörter in die Sprachen Neuguineas, ein Thema, das neben der Lexik von Pidgins und der Entstehung deutscher Siedlervarietäten auch kurz in Engelbergs Beitrag angesprochen wird. In Kellermeier-Rehbeins Artikel wird die Kontaktsituation des Deutschen in Namibia thematisiert. Historiographie der Linguistik: Die koloniallinguistische Historiographie untersucht die kolonialzeitliche sprachwissenschaftliche Praxis. Sie analysiert die sprachwissenschaftlichen Arbeiten der Kolonialzeit, ihre Kategoriensysteme und die ihnen zugrundeliegende Forschungsmethodik. Im Zusammenhang mit dieser Forschung steht auch das Bemühen um die (Re-)Edition kolonialzeitlicher Grammatiken und Wörterbücher, die auf diesem Wege u.a. den heutigen Sprechergemeinschaften verfügbar gemacht werden sollen. Stolz’ Beitrag zum Zusammenhang von kolonialzeitlichen Annahmen über den Wortstatus des Chamorro und daraus folgenden Prinzipien der Getrennt- und Zusammenschreibung repräsentiert diesen Forschungszweig, ebenso wie Hackmacks Arbeit zu der in kolonialer Zeit entstandenen Behandlung der Subjektpräfixe des Swahili als Personalpronomen. Warnke & Schmidt-Brücken beleuchten den Zusammenhang zwischen kolonialen Wissenskonstellationen und kolonialzeitlicher Sprachforschung am Beispiel der Numeralia des Swahili. Historiographische Aspekte werden auch in Engelbergs quellenkundlichem Beitrag angesprochen. Diskurslinguistik: Das dritte Forschungsfeld der Koloniallinguistik ist der Erforschung des Kolonialdiskurses gewidmet. Untersucht werden die sprachliche Thematisierung und Herstellung kolonialer Sachverhalte, die diskursive Konstruktion von Konzepten in kolonialen Zusammenhängen und die sprachlich vermittelten Positionierungen, die Kolonisierende und Kolonisierte eingenommen haben. Diskursbezogene Forschung findet sich in verschiedenen Artikeln dieses Bandes: Riese rekonstruiert die kolonialen Diskurse in der deutschsprachigen Samoanischen Zeitung, Warnke &

Einleitung: Die Koloniallinguistik und ihre Forschungsfelder

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Schmidt-Brücken verknüpfen Diskurslinguistik und Historiographie der Grammatikschreibung, und Kutzner analysiert kolonialzeitliche Einstellungen und Diskurse zu amerikanischen Sprachen. Sprach- und Sprachenpolitik: Die koloniallinguistische sprach- und sprachenpolitische Forschung untersucht, in welcher Weise die verschiedenen kolonialzeitlichen Aktantengruppen versuchten, Einfluss auf die Entwicklung einzelner Sprachen (Sprachpolitik) und auf die Sprachenverhältnisse (Sprachenpolitik) zu nehmen. Dabei werden u a. auf Makroebene die Sprachen- und Bildungspolitik von Regierungen, Missionen und einheimischen Eliten untersucht, ebenso wie auf Mikroebene die Sprachenwahl und das sprachliche Handeln in Kontaktsituationen. Sprachenpolitische Aspekte spielen in den meisten Arbeiten dieses Bandes eine mehr oder weniger große Rolle, insbesondere in Mühlhäuslers Beitrag zur Sprachenpolitik der Missionen in Neuguinea und Stolbergs Arbeit zum kolonialzeitlichen Deutschunterricht in Mikronesien, aber auch etwa in den Beiträgen Webers zur Namengebung, Engelbergs zur Quellenkunde, Kellermeier-Rehbeins zu Deutsch im postkolonialen Namibia und Kutzners zu Spracheinstellungen.

2. Die Beiträge in diesem Band 2.1. Kolonialzeitliche Grammatikographie Die ersten beiden Beiträge in dem vorliegenden Band befassen sich mit den Praktiken kolonialzeitlicher Grammatikschreibung und ihrer Auswirkung auf gegenwärtige Sprachbeschreibungen. Stolz untersucht die orthographischen Prinzipien der Getrenntund Zusammenschreibung im Chamorro und die damit einhergehenden Annahmen zum Wortstatus grammatischer Morpheme, die die verschiedenen Sprachbeschreibungen des Chamorro aus den unterschiedlichen Fremdherrschaftszeiten geprägt haben. Das Sprachgebiet des Chamorro (Guam und die Nördlichen Marianen) stand im Laufe seiner Geschichte unter der Herrschaft verschiedener Kolonialmächte (Spanien, Deutschland, Japan und die USA). Stolz’ Analyse zu Plural-, Absolutiv-, Ergativ-, Irrealis-, Negations- und Intensivierungsmarkern zeigt, dass neben innersprachlich-strukturellen Gründen für den Wortstatus sprachlicher Einheiten viele andere Faktoren die Varianten zur Regelung der Getrennt-Zusammenschreibung des Chamorro prägten: Analogien zur Muttersprache des Beschreibers, kritikloses Beharren auf etablierten Konventionen und kolonialpolitische ebenso wie später dekolonialistische Abgrenzungsbestrebungen. Hackmack zeigt über eine Analyse kolonialzeitlicher und moderner Grammatiken, wie die in kolonialer Zeit entstandene Auffassung der Subjektpräfixe des Swahili als Personalpronomen die Sprachbeschreibungen des Swahili bis heute beeinflusst. Die Ursprünge dieser Analyse lagen dabei in dem Bemühen der europäischen Grammatiker, die im Falle der pro-drop-Sprache Swahili doch deutlich anderen grammatischen Strukturen in eine europäische Sprache zu übersetzen und die Analyse für die übersetzten

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Stefan Engelberg & Doris Stolberg

Strukturen dann auf das Swahili zu übertragen. Unterstützt wurde die Pronominalanalyse der Subjektaffixe zum Teil dadurch, dass man die Subjektpräfixe getrennt schrieb und dadurch Wortstatus suggerierte. Hackmack beschließt ihren Aufsatz, indem sie die Debatte um die Subjektpräfixe des Swahili mit der Debatte um den Status von Pronomen in modernen Grammatiktheorien verknüpft.

2.2. Sprachenpolitik und Sprachkontakt in kolonialem Kontext Die nächsten vier Aufsätze thematisieren in verschiedener Weise Zusammenhänge zwischen Sprachenpolitik und Sprachkontakterscheinungen. Mühlhäusler wirft einen Blick auf die Sprachenpolitik der Missionen in Neuguinea mit einem besonderen Fokus auf der Steyler Mission. Er stellt die komplexe sprachliche Situation dar, mit der die Missionare konfrontiert waren und zeigt im Einzelnen, wie die Konzentration der Mission auf die Verbreitung des Deutschen aus einer Vielzahl möglicher Optionen (Englisch, Pidgin-Englisch, Deutsch, Bazaar-Malaiisch, eine deutsche Kunstsprache, Ausbau indigener Sprachen zu Verkehrssprachen) zustande kam. Mühlhäusler skizziert auch, inwieweit die lokale Situation das Entstehen eines kurzlebigen Pidgin-Deutsch begünstigt hat und welche Eigenschaften diese Varietät kennzeichnen. Eine andere Ebene der Sprachpolitik betrifft die koloniale Namengebung. Die Deutsche Kolonialgesetzgebung (Bd. 7, 1903:191 No. 105) sieht in den “Grundsätze[n] für die Namengebung, Namenübersetzung, Schreib- und Sprechweise der geographischen Namen in den deutschen Schutzgebieten” vom 1. September 1903 vor, dass “… [d]ie einheimischen Namen […] mit der größten Sorgfalt festzustellen und beizubehalten [sind]”. Wie die Namengebung in der Praxis gehandhabt wurde, stellt Weber in ihrer Untersuchung kolonialer Toponyme in Kamerun dar. Dabei lassen sich im Wesentlichen drei Vorgehensweisen unterscheiden: (i) Vorhandene Toponyme werden übernommen; (ii) vorhandene Toponyme werden bewusst oder aufgrund mangelnder Sprachkompetenz verändert; (iii) es finden Neubenennungen statt. Letztere orientieren sich an gesellschaftlichen oder naturbezogenen Gegebenheiten oder, und hier tritt der koloniale Charakter am stärksten zu Tage, sie verwenden Namen bekannter deutscher Personen (v.a. aus Militär und Politik) oder deutscher Orte. Diese erste Bestandsaufnahme ihrer Art zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass bei der Datenerhebung auch oral history-Quellen aus dem Untersuchungsgebiet herangezogen wurden, wodurch der Gefahr entgegengewirkt wird, in der Aufarbeitung kolonialzeitlicher Gegebenheiten auf den kolonialen Blick beschränkt zu bleiben. Engelberg, Scholz & Stolberg stellen ein Projekt vor, in dem extralinguistische Faktoren mit kontaktlinguistischen Auswirkungen korreliert werden. Mit einem Schwerpunkt auf Deutsch-Neuguinea werden die historisch dokumentierten kolonialen Kontaktkontexte (u.a. in den Bereichen Handel, Mission, Bildung, Verwaltung) zwischen dem Deutschen und den lokalen Sprachen kartographisch erfasst. Ziel ist es, Un-

Einleitung: Die Koloniallinguistik und ihre Forschungsfelder

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terschiede in Intensität und Dauer der Sprachkontakts erfassen zu können, um daraus überprüfbare Hypothesen über linguistische Kontaktphänomene, z.B. Lehnwortdichte, und ihre unterschiedlichen Ausprägungen in den beteiligten Sprachen ableiten zu können. Die kartographische Darstellung soll in einem späteren Schritt digitalisiert werden, so dass durch eine interaktive Nutzung der Daten und variierbare Kombinationen der Informationen neue Erkenntnisse hinsichtlich der Langzeiteffekte kolonialen lexikalischen Sprachkontakts ermöglicht werden. Stolberg widmet sich einem der kontaktdeterminierenden Faktoren genauer, indem sie Umfang und Rolle des Deutschunterrichts in den kolonialzeitlichen Schulen in Mikronesien untersucht. Gezeigt wird, wie sich die Zahlenverhältnisse zwischen Sprechern lokaler Sprachen und Sprechern des Deutschen darstellten, in welchem Umfang und, soweit nachvollziehbar, in welcher Qualität Deutschunterricht stattfand, und welcher Anteil der Bevölkerung Gelegenheit hatte, am Deutschunterricht teilzunehmen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden in Bezug zur Menge der belegten deutschen Lehnwörter in den relevanten Sprachen gesetzt, und es wird diskutiert, in welchem Umfang davon auszugehen ist, dass die Schulen und der dort angebotene Sprachunterricht die Entlehnungsrate aus dem Deutschen beeinflusst haben.

2.3. Koloniale Diskurse über Sprachen und Völker Drei Beiträge haben die Diskurse zum Gegenstand, die in kolonialen Kontexten über indigene Völker und ihre Sprachen geführt wurden. Riese zeigt, wie man kommerzielle Zeitungen – hier die Samoanische Zeitung als einzige deutschsprachige Zeitung des Südpazifiks – zur Rekonstruktion der kolonialen Diskurse über die einheimische Bevölkerung nutzen kann. Der Autor skizziert dazu zunächst die Geschichte und Struktur der Samoanischen Zeitung und etabliert dann als Resultat einer detaillierten Analyse sechs zentrale Diskurse, die das Bild der einheimischen Bevölkerung in den Augen der europäischen Kolonisten reflektiert. Gegenstand dieser Diskurse sind (i) die Idealisierung Samoas als “Perle der Südsee”, (ii) die “rassische” Einordnung der Samoaner relativ zu den Europäern, (iii) der unter kulturrevolutionärer Perspektive erwartete Untergang der samoanischen Kultur unter europäischem Einfluss, (iv) staatliche Maßnahmen zum Erhalt der sich wandelnden samoanischen Kultur, (v) die Konstruktion der Differenz zwischen Kolonisierern und Kolonisierten und (iv) die Samoaner als Gegenstand ethnographischer Betrachtungen. Warnke & Schmidt-Brücken arbeiten an der Schnittstelle von Diskurslinguistik und Historiographie der Grammatikschreibung. Sie untersuchen, in welcher Weise in kolonialzeitlichen Grammatiken koloniale Gewissheiten transportiert werden. Am Beispiel der grammatikographischen Behandlung von Numeralia, die von ihrer Verwendung her nicht auf bestimmte Kontexte beschränkt sind, stellen sie dar, dass solche Gewissheiten ein fester, nicht hinterfragter Bestandteil auch der kolonialzeitlichen Lin-

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Stefan Engelberg & Doris Stolberg

guistik waren. So werden in der Exemplifizierung der Numeraliaverwendung in kolonialzeitlichen Grammatiken Konzepte aktiviert, die ein kolonialistisches Weltbild reflektieren, z.B. Der Herr hat dich für (kwa) 60 Rupie freigekauft. (Seidel 1900: 94, zit. in Warnke & Schmidt-Brücken, dieser Band). Die Ergebnisse einer empirischen Analyse von fünf kolonialzeitlichen Swahili-Grammatiken bilden die Datengrundlage der Ausführungen. Kutzners Beitrag befasst sich mit der Bewertung amerikanischer Sprachen, insbesondere zur frühen Kolonialzeit. Sie stellt dabei einen Bezug her zu Vorstellungen von der menschlichen Entwicklungsgeschichte, wie sie im 18. Jahrhundert verbreitet waren. Die Annahme einer graduellen Entwicklung der Zivilisation führte zu der Einstellung, dass Sprachen eine entsprechende, dazu parallele Entwicklung durchlaufen. Den vermeintlich niedrigen Entwicklungsstand der Sprachen Amerikas versuchte man dabei durch das Nichtvorhandensein solcher lexikalischer, phonologischer und grammatischer Einheiten zu illustrieren, die in den europäischen Sprachen zu finden seien. Sprachliche “Unzivilisiertheit” wurde also durch eine Differenzanalyse zu “zivilisierten” Sprachen begründet, wobei die “Zivilisiertheit” der meisten europäischen Sprachen normativ gesetzt war. Dass natürlich viele sprachliche Strukturen, die in den amerikanischen Sprachen auftreten, in denen Europas nicht zu finden waren, konnte demnach auch keine positive Bewertung der amerikanischen Sprachen bewirken.

2.4. Grundlegung des koloniallinguistischen Forschungsprogramms in Forschung und Lehre Die letzten beiden Beiträge dienen in themenübergreifender Form der Konstituierung des koloniallinguistischen Programms in Forschung und Lehre. Ausgehend von der Beobachtung, dass historische Quellen die zentrale Basis für die koloniallinguistische Datengewinnung darstellen, versucht Engelberg, eine systematische quellenkundliche Grundlegung der Koloniallinguistik zu entwickeln. Illustriert am Beispiel der ehemaligen deutschen Kolonien im Südpazifik stehen dabei drei Aspekte im Zentrum: (i) terminologische Klärungen zu Begriffen im Umfeld von “Dokument”, “Quelle” und “Daten”; (ii) eine Typologie und deskriptive Darstellung von Quellen zu objektsprachlichen, metasprachlichen und außersprachlichen Gegebenheiten des kolonialen Sprachkontakts; (iii) praktische Hinweise zum Aufspüren geeigneter historischer Quellen. Kellermeier-Rehbein zeigt exemplarisch, wie das Thema “Deutsch in Namibia” als ein Forschungsgegenstand der Koloniallinguistik in die universitäre Lehre integriert werden kann, insbesondere für die Vermittlung von Techniken des Forschenden Lernens. Auf unterschiedlichen Ebenen können wissenschaftliche Fragestellungen entwickelt und Expertenwissen erarbeitet werden. Für die linguistische Perspektive von besonderem Interesse ist, dass hier linguistische Konsequenzen kolonialen Handelns aufgezeigt werden können, z.B. in Form von kontaktbedingtem Sprachwandel oder der

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Entstehung von Sprachminderheiten und Minderheitenvarietäten. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Folgen von Sprachkontakt im Rahmen von Migration und Globalisierung hat dabei hohe Relevanz u.a. für die Ausbildung zukünftiger Lehrer.

Literatur Dewein, Barbara; Engelberg, Stefan; Hackmack, Susanne; Karg, Wolfgang; Kellermeier-Rehbein, Birte; Mühlhäusler, Peter; Schmidt-Brücken, Daniel; Schneemann, Christina; Stolberg, Doris; Stolz, Thomas & Warnke, Ingo H. (erscheint 2012): Forschungsgruppe Koloniallinguistik: Profil – Programmatik – Projekte, in: Zeitschrift für Germanistische Linguistik. Stolz, Thomas; Vossmann, Christina & Dewein, Barbara (2011): Kolonialzeitliche Sprachforschung und das Forschungsprogramm Koloniallinguistik: eine kurze Einführung, in: Stolz, Thomas; Vossmann, Christina & Dewein, Barbara (Hg.), Kolonialzeitliche Sprachforschung. Die Beschreibung afrikanischer und ozeanischer Sprachen zur Zeit der deutschen Kolonialherrschaft. Berlin: Akademie Verlag, 7–29. Warnke, Ingo H. (2009): Deutsche Sprache und Kolonialismus. Umrisse eines Forschungsfeldes, in: Warnke, Ingo H. (Hg.): Deutsche Sprache und Kolonialismus. Aspekte der nationalen Kommunikation 1884–1919. Berlin, New York: de Gruyter, 3–62.

PART A KOLONIALZEITLICHE GRAMMATIKOGRAPHIE

THOMAS STOLZ (BREMEN)

Über die Wortmacherei, oder: Die Verschiebung der Wortgrenzen in der kolonialzeitlichen Sprachforschung (am Beispiel des Chamorro)

Abstract The Chamorro language of the Mariana Islands provides the paradigm case of the clashes of interest of the competing colonial powers. The article discusses the writing systems which were introduced by the various colonizing nations. The representatives of these nations made it a point of honor to introduce an orthography of their own in order to distance themselves from their predecessors or their competitors on Guam and the Northern Marianas, respectively. The focus of this paper is on the concept of syntactic word. It is shown that the proponents of the at times largely incompatible spelling systems (inadvertently) applied the rules they were familiar with from their native language (Spanish, German, English or Japanese). The paper emphasizes that some of the problems modern speakers of Chamorro are facing when it comes to putting their language to writing is part and parcel of the colonial heritage. Encore un mot que je n’aime pas… (Georges Simenon: Le voleur de Maigret)

1. Ein Wagnis eingehen1 In dieser koloniallinguistischen Studie verknüpfe ich Argumente aus disparat erscheinenden Sachgebieten, um den Mechanismen auf die Spur zu kommen, die dazu beitra1

Dieser Beitrag ist im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unter dem Aktenzeichen STO 186/16-1 geförderten Projektes Chamorrica – die kommentierte Edition und Übersetzung der nicht englischsprachigen Quellen zum Chamorro (1668–1950) entstanden. Ich danke meinen Projektmitarbeiterinnen Barbara Dewein und Christina Schneemann für ihre Unterstützung. Ebenso bin ich den anderen Mitgliedern des Arbeitskreises Sprachkontakt und Sprachvergleich an der Universität Bremen für allfällige Hilfestellung dankbar. Susanne Hackmack hat mir in der Diskussion wertvolle Stichwörter geliefert. Hitomi Otsuka gebührt ein ganz spezielles Dankeschön dafür, mir bei der Übersetzung der japanischen Quelle und der Transkription der in Kanji geschriebenen Beispiele die meiste Arbeit abgenommen zu haben. Den Kollegen Stefan Engelberg und Doris Stolberg am Institut für Deutsche Sprache (IDS) danke ich ebenfalls für die Kommentierung der Vorfassung und für die Bereitschaft, meinen Aufsatz in den von ihnen besorgten Sammelband aufzunehmen. Alle Hinweise und Verbesserungsvorschläge sind bei mir angekommen. Für das, was ich daraus gemacht habe, laste ich allein mir die volle Verantwortung an.

Thomas Stolz

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gen, dass in der kolonialzeitlichen Sprachforschung und in ihrem postkolonialen Gefolge wechselnde Orthographien für ein und dieselbe Objektsprache eingeführt und wieder verworfen wurden. Zu diesem Ende muss ich sowohl im engeren Sinne sprachtheoretische Gesichtspunkte der laufenden Debatte um die Wortkategorie als auch solche Aspekte berücksichtigen, die eher in den Bereich der außerstrukturellen d.h. politischen und/oder soziopsychologischen Motivation gehören. Die Leitfrage ist in jedem Fall die nach den Beweggründen für die orthographische Ausdehnung, die kolonialzeitliche Sprachforscher2 den syntaktischen Wörtern der von ihnen beschriebenen Sprache geben. Die wechselhafte Kolonialgeschichte der Marianen prädestiniert das auf dieser Inselgruppe heimische Chamorro zum exemplarischen Fall für meinen diesmaligen Gegenstand. Ich führe diesen Gegenstand durch Bezugnahme auf die rezente linguistische Wortdiskussion in Abschnitt 2 ein. Allgemeine Information zum Chamorro bietet Abschnitt 3. Im Anschluss daran wird in verschiedenen Unterkapiteln die Verschriftungsgeschichte des Chamorro anhand der wechselnden Orthographien von der spanischen Epoche bis zur Gegenwart durchgemustert (Abschnitt 4). Die koloniallinguistische Auswertung des Befunds erfolgt in Abschnitt 5, der auch die allgemeinen Schlussfolgerungen enthält. Wenn ich im Folgenden ohne Zusatz von Wort und Wörtern rede, so meine ich grundsätzlich syntaktische Wörter und ihre orthographische Repräsentanten.

2. Wörter werden gemacht In jüngster Zeit hat man sich in der allgemein-sprachwissenschaftlichen Diskussion wieder einer Frage zugewandt, die eigentlich als unbeantwortbar galt: Was ist ein/das Wort (Dixon & Aikhenvald 2002: 5)?3 Hinter der Wiederaufnahme dieses alten Themas verbirgt sich die Annahme, dass, wenn alle bekannten menschlichen Sprachen über die Kategorie Wort verfügen, es doch möglich sein müsste, eine universell gültige Definition des Wortbegriffs zu formulieren (Dixon & Aikhenvald 2002: 32). Der einzelsprachliche Zuschnitt der Wortkategorie unterliegt jedoch in erheblichem Maße der Variation, sodass sprachvergleichend keine wirklich befriedigende Lösung dieses (vermeintlichen) 2

3

Kolonialzeitliche Sprachforscher sind für mich alle diejenigen Personen, die durch schriftlich dokumentierte Arbeiten zu oder in einer indigenen Sprache (einschließlich Pidgins und Kreols) während der Kolonialepoche zu deren Beschreibung, Verschriftlichung, Normierung, Korpusschaffung und/oder Statusklärung beigetragen haben. Es muss sich also nicht um “Berufslinguisten” gehandelt haben. Das von Wurzel (1984) als universelle Richtschnur konzipierte “natürliche Wort” beispielsweise ist für die Erfassung der Eigenschaften des polysynthetischen Worts im Klassischen Aztekischen ziemlich ungeeignet (Stolz 1991). Daraus darf geschlossen werden, dass hinter der angenommenen “Natürlichkeit” des Konzepts die Generalisierung von typisch europäischen Ausprägungsformen dessen steckt, was Wort genannt wird.

Über die Wortmacherei

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Grundproblems unserer Disziplin zu erlangen ist (Haspelmath 2011: 65–67).4 Stattdessen lassen sich verhältnismäßig leicht und verlässlich diverse Parameter identifizieren, die für die Ausprägung des einzelsprachlichen Wortbegriffs in wechselnder Gewichtung ausschlaggebend sind. So spricht man vom grammatischen Wort (Dixon & Aikhenvald 2002: 18–25), dem phonologischen Wort (Dixon & Aikhenvald 2002: 13–18), dem orthographischen Wort (Furhop 2007) u.v.a.m., d.h. dass es eine beachtliche Anzahl von Kriterien gibt, die bei der einzelsprachlichen Wortdefinition miteinander konkurrieren und zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können. Haspelmath (2011: 34–60) erstellt eine Synopse der wesentlichen Pro- und Kontraargumente bezüglich einer universellen Wortkategorie, um die durchaus schon längere Zeit sozusagen in der Luft liegende Konsequenz (Dixon & Aikhenvald 2002: 3–4) zu ziehen, dass wir es beim Wort mit einem Konstrukt zu tun haben, das von dem Konstrukt der Phrase ontologisch qualitativ nicht befriedigend zu unterscheiden ist, sodass letztlich beide Konstrukte in sprachvergleichender Hinsicht unnütz sind (Haspelmath 2011: 69–70).5 Eine seiner Schlussfolgerungen lautet: [T]here is no definition of ‘word’ that can be applied to any language and that could yield consistent results that are in accord with our writing habits. This is not a problem for descriptive (i.e. language-specific) linguistics, because ad hoc notions can be easily created for each particular language, and often it will be possible to define ‘word in language X’ in such a way that the spelling is predicted by the definition (Haspelmath 2011: 71) In dieser Passage versteckt sich ein für die Koloniallinguistik interessanter Gesichtspunkt. Damit meine ich die von Haspelmath konzidierte Möglichkeit, für die Zwecke der einzelsprachlichen Beschreibung Ad-Hoc-Kriterien aufzustellen, mit denen man die Wörter einer Sprache gewissermaßen erst schafft. In der deskriptiv-linguistischen Praxis bedeutet dies, dass [a] word would […] simply be any linguistic expression that has a space before and after it and no space in the middle, either in the conventional spelling or (for unwritten languages or languages with no spacing in the spelling) in the linguist’s transcription (Haspelmath 2011: 69). Für eine kritische Auseinandersetzung mit Haspelmath (2011) sei auf Jacobs (2011) verwiesen. Eine Würdigung der Pro- und Contra-Argumente kann allerdings an dieser

4 5

Die Vorwegklärung des Wortbegriffs ist beispielsweise für alle diejenigen Ansätze in der theoretischen Morphologie von erstem Belang, die sich selber als “wortbasiert” verstehen (Booij 2010: 4–11). Ohne explizite Bezugnahme argumentiert Haspelmath hier ganz im Sinne der Radical Construction Grammar (Croft 2001: 3–5), die ja wesentliche Begrifflichkeiten der westlichen sprachwissenschaftlichen Tradition hinsichtlich ihrer Allgemeingültigkeit nicht nur in Frage stellt, sondern grundsätzlich verwirft.

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Thomas Stolz

Stelle nicht geleistet werden. In diesem Beitrag soll vielmehr das Augenmerk auf die Wechselfälle der “Wortmacherei” im kolonialen Kontext liegen. Eines der von der Koloniallinguistik abgedeckten Themengebiete betrifft den Umgang der kolonialzeitlichen Sprachforschung mit den aus europäischer Sicht exotisch anmutenden Objektsprachen. In vielen Fällen ist es in der Kolonialzeit zur Erstverschriftung von indigenen Sprachen der europäisch kontrollierten Überseegebiete gekommen. Die mit der Aufgabe der erstmaligen Beschreibung von Sprachen befassten kolonialzeitlichen Sprachforscher sahen sich u.a. mit dem Problem konfrontiert, über die Gestalt dessen entscheiden zu müssen, was künftig in der schriftlichen Wiedergabe der Sprache als Repräsentant der Kategorie Wort zu gelten hatte. Zum einen ist die zu treffende Entscheidung dafür relevant, was als Eintrag in Wörterbüchern erscheint. Zum anderen ist von der Festlegung des Wortbegriffs auch die Form des syntaktischen Wortes betroffen, also die Unterscheidung von einfachen oder komplexen Wörtern und Wortgruppen bis hin zu Phrasen. Zwar handelt es sich zunächst einmal um ein eher praktisches Problem, bei dessen Lösung festgelegt wird, wie die Orthographie einer Sprache aussehen soll. Hinter den Lösungsvorschlägen können aber zumeist implizite Vorannahmen erkannt werden, die für die Wahl der Getrennt- bzw. Zusammenschreibung von graphischen Einheiten verantwortlich sind. Die kolonialzeitlichen Sprachforscher ließen sich von unterschiedlichen Erwägungen leiten, als sie dem syntaktischen Wort für ihre Objektsprache eine Form zuwiesen. Dies hat Folgen für die typologische Auswertbarkeit ihrer Materialien, worauf ich nur kurz eingehe (siehe zu diesem Themenkomplex auch den Beitrag von Susanne Hackmack in diesem Band). Typologen sind wegen der großen Zahl der von ihnen zu Forschungszwecken zu berücksichtigenden Sprachen von der Verfügbarkeit und Qualität einschlägiger Quellen abhängig. Das dabei am häufigsten benutzte Genre ist die deskriptiv-linguistische Literatur zu einer gegebenen Objektsprache. Die von den Autoren der konsultierten Grammatiken o.Ä. eingeführten oder vorausgesetzten Konventionen bei der Wiedergabe sprachlicher Strukturen werden aus Gründen des Zeitmangels und/oder eingeschränkter Kenntnisse oftmals buchstabengetreu vom auswertenden Typologen übernommen, ohne anhand von eigenen Korpusstudien auf ihre Haltbarkeit überprüft zu werden. Dieses technisch-methodologische Problem hat sich in den 200 Jahren Fachgeschichte der Disziplin eher noch verschärft. Verlässt man sich ausschließlich auf die orthographischen Lösungen, dann war beispielsweise das portugiesisch-basierte Kreol von GuineaBissau um das Jahr 1900 eine polysynthetische Sprache (u.a. mit einem polypersonalen Verb), weil Marcellino Márques de Barros, der Pionier der deskriptiven Grammatik dieser Sprache eine Zeitlang phonologische Wörter vom Umfang ganzer Phrasen/Sätze einwortig schrieb. Seine Nachfolger im 20. Jahrhundert haben diese Ketten wieder in unterschiedlicher Form in kleinere orthographische Worteinheiten zerlegt, sodass die Sprache nach diesen Quellen typologisch in eine andere Klasse fallen würde (Stolz 1990: 336–338). In diesem Zusammenhang passt ein weiteres Zitat von Haspelmath (2011: 72), der davon spricht, dass wir Linguisten ja immer noch

Über die Wortmacherei

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want to compare languages with respect to issues such as analyticity and syntheticity, complexity, and types of morphological marking […]. For such questions, we need comparative concepts that are universally applicable […]. This is an important task for future research. Die Variabilität der orthographischen Regelungen zur Setzung von Wortgrenzen durch Spatien in ein und derselben Sprache lässt Zweifel daran aufkommen, dass man die universell anwendbaren Vergleichskonzepte6 aus der geschriebenen Form ableiten kann. Die unterschiedlichen orthographischen Lösungen für dieselbe Objektsprache sind mit Sicherheit nicht kurzfristig auftretenden strukturellen Veränderungen der zu verschriftenden Sprache geschuldet, sondern sind durch bestimmte Vorannahmen der beteiligten Linguisten motiviert. Einige dieser Vorannahmen werden in den nachstehenden Abschnitten identifiziert. Dabei untersuche ich den Umfang dessen, was in den verschiedenen Epochen bzw. von verschiedenen Autoren bei der Schreibung des Chamorro zwischen Spatien zu einer syntaktischen Worteinheit zusammengefasst wurde. Dabei folge ich Leiss (1995: 244) insofern, als ich keine “natürlich gegebenen Lücken” zwischen Wörtern in sprechsprachlichen Äußerungen annehme, die quasi automatisch den Spatien im schriftlichen Register entsprächen.

3. Hintergrundinformation Das Chamorro ist ein internes Isolat im westlichen Zweig des malayo-polynesischen Phylums innerhalb des austronesischen Makrophylums. Es ist die autochthone Sprache der am Westrand des Pazifiks gelegenen Marianen-Inseln. Die Marianen wurden auf der Erstumseglung der Welt 1521 durch Magellan aus europäischer Sicht “entdeckt”. 1565 nahm Spanien die Inseln offiziell in Besitz, um sie als Zwischenstation für die alljährliche Schiffsverbindung zwischen Manila und Acapulco zu nutzen. Der Steuermann Esteban Rodríguez kompilierte zu dieser Zeit das erste kurze Vokabular der Sprache (Quilis 1988). Ab 1665 wird die Inbesitznahme der Inseln ernsthaft vorangetrieben. Der Jesuit Diego Luis de Sanvitores verfasst 1668 die erste Grammatik des Chamorro auf Latein und übersetzt den Katechismus ins Chamorro. Diese Texte werden erst im 20. Jahrhundert veröffentlicht (Burrus 1954). Ohne Nachweis einer vorherigen Schriftlichkeitstradition unter spanischer Herrschaft erscheinen Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Druckwerke auf Chamorro. Die koloniale Oberhoheit Spaniens endete 1898/99 mit der Abtretung Guams an die USA als Folge des Spanisch-Amerikanischen Krieges 6

Nur als Randbemerkung möchte ich bezweifeln, dass bei einem etwa auf der Basis von Zimmermann (2004) konsequent durchgespielten linguistischen Konstruktivismus Haspelmaths im Zitat anklingende Zuversicht hinsichtlich einer auch zukünftig möglichen Beschäftigung mit Fragen der Synthese/Analyse u.a.m. realistisch sein kann, wenn es sich doch bei allen von uns Linguisten aufgestellten Kategorien letztlich stets um Konstrukte handelt.

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Thomas Stolz

und dem anschließenden Verkauf der verbliebenen mikronesischen Besitzungen an das deutsche Kaiserreich. Während Guam als nicht inkorporiertes Territorium der USA seit dieser Zeit als “verdeckter” US-amerikanischer Kolonialbesitz betrachtet werden kann, haben die Nördlichen Marianen mit Deutschland (1899–1914/19), Japan (1914/19– 1944/47) und den USA (1944/47–1975) wechselnde Fremdherrscher erlebt, deren Kolonialismus unter der Bezeichnung Treuhänderschaft und Mandatsverwaltung wirkte (Hiery 2009). Heute ist der Commonwealth of the Northern Marianas ein mit den USA assoziierter d.h. nur scheinbar unabhängiger Staat. Diese Wechselfälle der Kolonialgeschichte sind für den Gegenstand meiner Arbeit von hoher Relevanz; ein ganz wichtiger Aspekt dabei ist, dass seit dem Rückzug Spaniens aus Mikronesien die Sprach- und Kulturgemeinschaft der Chamorro durch eine je nach Zeitraum unterschiedlich durchlässige administrative Grenze in zwei Gruppen geteilt ist, deren jetzt bereits rund 110 Jahre andauernde Trennung nachhaltige Auswirkungen auf das kulturell-ethnische Selbstverständnis hat, die sich nicht zuletzt auch darin niederschlagen, wie auf Guam und den Nördlichen Marianen bei der Normierung der gemeinsamen Ethnosprache mit dem Wortbegriff verfahren wird.

4. Wechselnde Wortgrenzen Die schriftliche Repräsentanz besitzt anerkanntermaßen hohen kulturellen Symbolwert, den Maas (2008: 390–400) unter der Überschrift “Schriftkultur als kulturelles Kapital” mit abhandelt. Haarmann (1991: 124–127) schreibt der Wahl des Schriftsystems die Funktion eines kulturellen Identitätsmarkers zu. Sie ist aber auch als Herrschaftssymbol verstehbar: Errington (2008: 22–47) zeigt anhand von zwei Fallstudien zur kolonialzeitlichen Verschriftungsgeschichte des klassischen Aztekischen und des Tagalog, dass seitens der spanischen Obrigkeit sozusagen wider besseren Wissens die Orthographien durchgesetzt wurden, die sich am wenigsten für die Wiedergabe der phonologischen Eigenschaften der Objektsprachen eigneten, dafür aber den damaligen Konventionen des Spanischen, also der Sprache der Kolonialherren am ehesten entsprachen. Der Sprachen der Kolonialisierten wurden mithin die Regeln der Sprache der Kolonialherren oktroyiert. In der Missionarslinguistik hat man bisher in Bezug auf die kolonialzeitlichen Orthographien hauptsächlich deren Verhältnis zur Lautebene der Objektsprachen betrachtet (vgl. die Beiträge in Zwartjes & Altman 2005). Die Frage der Wortgrenzen qua Spatien ist hingegen bestenfalls implizit gestellt worden. Anhand der Verschriftungsgeschichte des Chamorro lässt sich jedoch demonstrieren, dass dieses Thema (nicht nur) von koloniallinguistischer Relevanz ist.

Über die Wortmacherei

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4.1. Die spanische Periode Obwohl mit Sanvitores’ Pionierleistung aus dem Jahr 1668 das Chamorro als erste Sprache der pazifischen Inselwelt nach dem lateinischen Modell verschriftet, grammatisch beschrieben und mit einem längeren Text dokumentiert wurde (Winkler 2007), können wir nicht davon ausgehen, dass zwischen dem späten 17. und dem 19. Jahrhundert eine auch nur annähernd gefestigte Schriftlichkeitstradition für das Chamorro bestand. Die zur Jahrhundertmitte gedruckten fünf Chamorrotexte (zwei davon als Bilinguen Spanisch-Chamorro) müssen unabhängig von dem – wahrscheinlich den auf den Marianen tätigen kolonialzeitlichen Sprachforschern gar nicht zugänglichen – Frühwerk des jesuitischen Missionars betrachtet werden. Fray Aniceto Ibáñez del Carmen zeichnet für alle uns materiell überlieferten Chamorrodruckwerke aus der spanischen Periode verantwortlich (Stolz 2011b, Zim7 mermann 2011). Es ist nicht ganz auszuschließen, dass vor seinem Wirken okkasionelle Schriftlichkeit im Chamorro bestand; es sind dafür bisher aber weder direkte noch indirekte Belege gefunden worden. Andere administrative und private Dokumente, die im späten 19. Jahrhundert auf Chamorro verfasst wurden, gelten bis auf ein handschriftliches Testament als verschollen. Im Vorwort des ältesten gedruckten Buches auf Chamorro erklärt Ibáñez del Carmen (1863: 5), dass der aus seiner Sicht beklagenswert geringe Kenntnisstand der indigenen Bevölkerung über die Inhalte und Form der christlichen Religion es dringend erforderlich machte, Aufklärungsarbeit zu leisten. Da seiner Schätzung nach 80% der Chamorro des Spanischen unkundig waren, musste erstmalig ein der Allgemeinheit zugänglicher religiöser Text auf Chamorro verfasst und gedruckt werden. Hieraus ist ersichtlich, dass Y Magajet na Quilisyano keinen Vorläufer in diesem Textgenre hatte. Dennoch hat der Autor nicht ohne Vorbilder gearbeitet; denn er konnte auf die Praxis zurückgreifen, die seitens der spanischen Missionare bei der Verschriftung der philippinischen Sprachen entwickelt worden war (Ridruejo 2004: 182–183)8, wobei Ibáñez del Carmen (1863: 5) explizit konstatiert, dass “y finoñija tiparejo yan y fino Filipinas” (“ihre Sprache stimmt nicht mit den Sprachen der Philippinen überein”). Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass mit der philippinistischen Tradition Ibáñez del Carmen (vielleicht als Nachzügler im Sinne der von Winkler [2007] postulierten Austronesian School of Missionary Linguists) über eine Entscheidungshilfe verfügte, die ihm das Setzen von Spatien gewissermaßen erleichterte. 7

8

Padre José Bernardo Palomo y Torres hat als Chamorromuttersprachler vermutlich großen Einfluss auf die Arbeit seines kirchlichen Vorgesetzten aus Spanien gehabt, mit dem er sich allem Anschein nach wegen der fehlenden Anerkennung als Koautor überwarf. Ein von Padre Palomo im letzten Jahrzehnt der spanischen Kolonialherrschaft besorgter Katechismus auf Chamorro liegt nur in einer späteren Überarbeitung von 1936 vor (Astete & Palomo 1991). Dass die Verschriftlichung des Chamorro auf der Basis des spanisch geprägten Lateinalphabets erfolgte, ist eine gewissermaßen logische Konsequenz aus den gegebenen Herrschaftsverhältnissen.

Thomas Stolz

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Als Beispiel für die Festlegung des Umfangs von orthographischen Wörtern wähle ich eine Textpassage aus der ersten von Ibáñez del Carmen verantworteten Bilingue. Die dort identifizierten aus heutiger Sicht auffälligen Schreibungen bilden dann die Testfälle für den Vergleich mit den Schreibkonventionen anderer kolonialzeitlicher Chamorroforscher, die in den Abschnitten 4.2. besprochen werden. Unter (1) gebe ich die Ausführungen wieder, die der spanische Kleriker zum Dritten Gebot auf Chamorro macht.9 Die deutsche Übersetzung bleibt möglichst nahe am Wortlaut des Chamorrotexts. Zum Vergleich biete ich unter (2) die spanische Parallelversion derselben Textpassage. (1)

(2)

Chamorro (Ibáñez del Carmen 1863: 34) Tercero na tinago. Jaso gumuarda y Santos na jaanen Yuos. Güini na tinago debe utajaso, / cau mangagojit gumuarda y San/tos na jaanen Yuos. Cau gua/jajit nay timanjosme misa gui / damengosija par y jaanen gu/porsija, par cau titaadaje na y / mangaigue gui cargota par pi/nilanta, ujafanjosme misa. Cau manmachochojit güinisija na jaane, / par tatago y palo na ujafanmachocho. “Das dritte Gebot. Denk daran die heiligen Tage Gottes zu achten! Bei diesem Gebot müssen wir daran denken, ob wir es vernachlässigt haben, die heiligen Tage Gottes zu achten. Ob wir an Sonntagen oder den Feiertagen manchmal nicht an der Messe teilgenommen haben oder ob wir nicht darauf geachtet haben, dass die uns Anvertrauten oder unter unserem Schutz Stehenden an der Messe teilnehmen. Ob wir an diesen Tagen gearbeitet oder den anderen zu arbeiten befohlen haben.” Spanisch Tercer mandamiento. Acuérdate de santificar el dia el Señor. En este mandamiento debemos / examiner si hemos sido negli/gentes en santificar los dias San/tos del Señor. Si hemos dejado / de oir misa los Domingos y dias / festivos, ó descuidado el que, los / que estan á nuestro cargo, la / oigan. Si hemos trabajado en / estos dias, ó mandado á otros / que trabajen.

Die Chamorro-Version unter (1) umfasst inklusive Titel und Untertitel 57 orthographische Wörter, während sich diese Wortzahl auf 73 Einheiten erhöht, wenn man die seit 1983 auf Guam gültigen Schreibregeln berücksichtigt (Kumision 1983).10 Wie kommt 9

10

Fett- und Kursivdruck entsprechen dem Original. Der Schrägstrich / bezeichnet die Zeilenumbrüche in der Textvorlage. In anderen Beispielen weiter unten werden diejenigen Elemente fett ausgezeichnet, die für den diskutierten Zusammenhang relevant sind. Ich kann hier nicht im Detail auf die “Defizienzen” eingehen, die aus der Sicht des phonologischen Systems des Chamorro mit der kolonialzeitlichen spanischen Chamorro-Orthographie verbunden sind. Es mag der Hinweis genügen, dass der phonematische Glottalverschluss /ʔ/ ohne eigenes Graphem (heute: ) bleibt sowie die wortmediale Konsonantengeminierung unterschlagen wird, während die Allographieregeln des Spanischen (/g/ → /__ /; /k/ → / __ / usw.) penibel auf die schriftliche Form des Chamorro übertragen werden. Dies entspricht der gängigen missionarslinguistischen Praxis im alten spanischen Kolonialreich.

Über die Wortmacherei

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diese numerische Diskrepanz zustande? Zur Beantwortung dieser Frage stelle ich unter (3) die kolonialzeitliche Version der Textpassage aus (1) einer modernen Fassung gegenüber.11 Die durch graue Schattierung ausgezeichneten Spalten identifizieren diejenigen Elemente, die für die unterschiedlichen Gesamtwortzahlen in den beiden Versionen wichtig sind. In der Analysezeile gebe ich an, welche Morphe nach unabhängigen linguistischen Kriterien zu komplexen morphologischen Wörtern zusammengefügt werden könnten. Diese Analysen weichen wiederholt nicht nur von der kolonialzeitlichen vom Spanischen inspirierten Schreibung ab, sondern auch von den neuesten Vorschlägen. (3)

Chamorro: Alt gegen neu

alt neu Analyse Glosse deutsch

tercero tetseru

na na

dritte ‘Das dritte Gebot’

LINKER

alt neu Analyse Glosse deutsch

Jaso Hasso

gumuarda y Santos na gumuatdia i Santo na guatdia denk beacht DET heilig LINKER ‘Denke daran die heiligen Tage Gottes zu beachten!’

jaanen ha’ånen ha’åne-n Tag-LINKER

alt neu Analyse Glosse deutsch

Güini Guini

tinago debe tinago‘ debi tago‘ hier LINKER befehl OBLIG ‘(Nach) diesem Gebot müssen wir daran denken,’

utajaso u ta hasso u-ta-hasso IRR-ERG.1PL.INK-denk

alt neu Analyse Glosse deutsch

cau kao

mangagojit manggago‘ hit mang-gago‘ ob PL-faul ABS.1PL.INK ‘ob wir es vernachlässigt haben zu beachten’

gumuarda gumuatdia guatdia beacht

alt neu Analyse Glosse deutsch

y i

11

na na

Santos Santo

na na

heilig LINKER ‘die heiligen Tage Gottes’

DET

tinago tinago‘ tago‘ befehl

jaanen ha’ånen ha’åne-n Tag-LINKER

Yuos Yu’os Gott

Yuos Yu’os Gott

Der Text aus (1) wird für die Zwecke des Vergleichs in mehrere Teile zerlegt, die jeweils in Tabellenform dargeboten werden. Die Tabellen bestehen aus fünf Zeilen, deren oberste die kolonialzeitliche Version enthält. In der zweiten Zeile wird die moderne Version dagegen gehalten. Die dritte Zeile bietet die Analyse der morphologisch komplexen Wörter gemäß der heutigen communis opinio in der Chamorro-Forschung. In der vierten Zeile erfolgt die Glossierung (die hier verwendeten Abkürzungen werden im Abkürzungsverzeichnis aufgeschlüsselt). Die deutsche Übersetzung der jeweiligen Passage ist in Zeile 5 zu finden. Die Zeilen 1–4 sind je nach Anzahl der orthographischen Wörter in Spalten unterteilt.

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26 alt neu Analyse Glosse deutsch

Cau Kao

alt neu Analyse Glosse deutsch

gui gi

timanjosme ti manhosme man-hosme ob EXI ABS.1PL.INK wenn NEG PL-teilnehm ‘Ob wir manchmal nicht an der Messe teilgenommen haben’

alt neu Analyse Glosse deutsch

nay nai

hit

damengosija Damenggo

par pat

siha

LOK Sonntag PL oder ‘an Sonntagen oder den Feiertagen’

alt neu Analyse Glosse deutsch alt neu Analyse Glosse deutsch

guajajit guaha

par pat

y i

haanen ha’ånen ha’åne-n Tag-LINKER

DET

misa misa Messe

guporsija gupot siha Feier

cau kao

titaadaje na y ti ta adahi na i ta-adahi oder ob NEG ERG.1PL.INK-kümmer LINKER DET ‘oder ob wir uns nicht darum gekümmert haben, dass diejenigen’

PL

mangaigue manggaige mang-gaige PL-EXI

gui gi

cargota par pinilanta katgo-ta pat pinilan-ta katgo-ta pulan-ta LOK Verantwortung-1PL.INK oder beaufsichtig-1PL.INK ‘die zu unserem Verantwortungsbereich gehören oder unter unserer Aufsicht stehen’ ujafanjosme u ha fanjosme u-ha-fan-hosme IRR-ERG.3SG-IRR.PL-teilnehm ‘sie werden an der Messe teilnehmen’

alt neu Analyse Glosse deutsch

Cau Kao

manmachochojit manmacho’cho‘ hit man-ma-cho’cho‘ ob PL-VERBAL-arbeit ABS.1PL.INK ‘ob wir an diesen Tagen gearbeitet haben’ par pat

tatago ta tågo‘ ta-tågo‘ ERG.1PL.INK-befehl

misa misa

güinisija guini siha

na na

jaane ha’åni

hier

LINKER

Tag

alt neu Analyse Glosse

y i

palo palu

na na

oder

DET

mehr

LINKER

deutsch

‘oder (ob) wir den anderen zu arbeiten befohlen hatten’

PL

ujafanmachocho u ha fanmacho’cho u-ha-fan-ma-cho’cho‘ IRR-ERG.3SG-IRR.PL-VERBALarbeit

Schon das Faktum, dass ein hinsichtlich der Morphemauswahl und -anzahl gleicher Text in zwei Versionen starke Differenzen in der Anzahl der Wörter ergibt, passt zu den in Abschnitt 2 referierten Hypothesen Haspelmaths, denen zu Folge keine unabhängigen universellen Faktoren die Setzung von Wortgrenzen bestimmen, sondern immer verschiedene Möglichkeiten bei der Auswahl von Kriterien bestehen, die überindividuell stark variieren können. Ob man überhaupt einen der Lösungswege als richtig (und

Über die Wortmacherei

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damit eventuelle Alternativen als falsch) charakterisieren kann, ist vor diesem Hintergrund eine müßige Frage. Eher lässt sich darüber befinden, ob die Vorschläge für die ihnen zugedachten praktischen oder akademischen Zwecke viable Lösungen darstellen (also ob sie beispielsweise für die Alphabetisierung einer zuvor nur partiell exoliteraten Gemeinschaft in ihrer Ethnosprache geeignet sind o.Ä.). Aus Platzgründen kann hier auf den Viabilitätsaspekt nicht eingegangen werden. Die unter (3) markierten Stellen spiegeln systematische Unterschiede zwischen den kolonialzeitlichen und modernen Regeln über die Getrennt- und Zusammenschreibung von syntagmatisch benachbarten Elementen wider. Wir haben elf einwortige Schreibungen im Originaltext von 1863, die sich in der modernen Fassung auf 25 orthographische Wörter verteilen. An dieser Diskrepanz beteiligt sind verbale Prädikate ebenso wie Konstituenten von NPn. Wenn ich im Weiteren Vergleiche zum Gegenwarts-Chamorro anstelle, setze ich voraus, dass in den letzten 150 Jahren keine großen Veränderungen eingetreten sind, die zur strukturellen Inkompatibilität zwischen den beiden Belegstufen geführt haben. 4.1.1. Pluralmarkierung in der NP Im letzteren Fall geht es um die Pluralmarkierung an substantivisch übersetzten Mitgliedern der Wortklasse II (Topping & Dungca 1973: 78–80) bzw. deiktischen Einheiten. Im Chamorro gibt es für die von mir hier kurz als Substantive etikettierten Elemente drei Möglichkeiten der Pluralbildung. Weniger als eine Handvoll von Substantiven mit dem Merkmal [+menschlich] bildet suppletive Pluralformen (wie beispielsweise påtgon ‘Kind’ → PL famagu’on ‘Kinder’). Die Pluralmarkierung ist bei diesen Substantiven annähernd obligatorisch. Eine wesentlich größere Anzahl von Substantiven mit demselben semantischen Merkmal präfigiert man- zur Bildung des Plurals (Beispiel: estudiånte ‘Student’ → PL manestudiånte ‘Studenten’). Für diese Untergruppe ist die Pluralmarkierung gängig, aber keinesfalls verbindlich. Die dritte Pluralbildungsweise betrifft alle übrigen Appellativa und ist völlig optional.12 Sie besteht in der Setzung von siha rechts vom zu pluralisierenden Element. Außerhalb dieses Kontextes fungiert siha als absolutivisches bzw. emphatisches Personalpronomen der 3. Person Plural ‘sie’. Ibáñez del Carmen interpretiert das nachgestellte siha (in der kolonialzeitlichen Schreibung sija) konsequent als morphologischen Bestandteil der Wortform des pluralisierten Substantivs, d.h. dass der Pluralmarker von ihm als Suffix klassifiziert wird: Damengosija ‘Sonntage’, guporsija ‘Feste’, güinisija ‘diese hier’. Durch die heute übliche Getrenntschreibung avanciert derselbe Pluralmarker zumindest orthographisch zu einem freien Morphem: Damenggo siha ‘Sonntage’, gupot siha ‘Feste’, guini siha ‘diese hier’. 12

Der Pluralmarker siha ist omnikompatibel, d.h. dass er mit allen Substantiven unabhängig von ihrer Belebtheit auftreten kann, selbst wenn sie bereits durch Suppletivismus oder Präfigierung als Pluralformen gekennzeichnet sind (Cooreman 1987: 28).

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Die von Ibáñez del Carmen gewählte Zusammenschreibung ist keinesfalls weniger plausibel als die heutige Getrenntschreibung. Die Verbindung aus SUBSTANTIV + siha erfüllt beispielsweise die Bedingung des hohen Bindungsgrades: weder kann zwischen den beiden Elementen interkalierendes Material auftreten noch können die Elemente ihre relative Position zueinander wechseln13 (Parameter: Trennbarkeit; Haspelmath 2011: 40–45). Auch die Zweisilbigkeit von siha ist kein schlüssiges Argument gegen seinen Suffixstatus, da mit den pluralischen Possessorsuffixen 1. Person Plural exklusiv -måmi ‘unser’, 2. Person Plural -miyu ‘euer’ und 3. Person -ñiha ‘ihr’ zweisilbige Affixe in der Sprache sehr gut etabliert sind. Zudem vereinheitlicht die Zusammenschreibung das Gesamtbild der substantivischen Pluralbildung insofern, als dadurch alle Markierungsprozesse (Suppletivismus, Präfigierung und Suffigierung) als Wortmorphologie verstanden werden können. Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch Cooreman (1987: 28) davon spricht, dass “siha suffixed to the noun” sei. Die meisten modernen Linguisten des Chamorro folgen jedoch der offiziellen Orthographie und behandeln siha als freies Morphem (siehe Abschnitt 4.3.). Ein Grund dafür dürfte sein, dass siha auch als emphatisches Pronomen im Gebrauch ist (Parameter: selbständige Verwendung; Haspelmath 2011: 39–40) und in diesem Gebrauch u.a. durch seine prosodische Prominenz die charakteristischen Eigenschaften eines eigenständigen Wortes zu bündeln scheint.14 Die Getrenntschreibung folgt dem Prinzip der Einheitlichkeit in dem Sinne, dass alle Vorkommen von siha gleich behandelt werden. Weiter kann man gegen den wortmorphologischen Status von siha einwenden, dass es unter Koordination in der 15 Regel nur beim letzten Glied steht (Parameter: Koordinierbarkeit; Haspelmath 2011: 47–49) und tendenziell seinen separaten Hauptakzent bewahrt16 (Parameter: Phonologisches Wort; Haspelmath 2011: 37). Keines der Pro- und Kontraargumente ist für sich allein hinreichend, um die Getrennt- oder Zusammenschreibung unumgänglich zu machen. Auch die Kombination von Eigenschaften erfordert keine der Lösungen zwingend (Haspelmath 2011: 59–60). Den Ausschlag zur Zusammenschreibung von Pluralmarker und Substantiv/Demonstrativum hat meines Erachtens der Umstand gegeben, dass im Spanischen, der Mutter13 14

15

16

In der modernen Chamorroforschung belegte Fälle wie siha i taotao ‘die Leute’ (Chung 1998: 22) sind möglicherweise als pragmatische Phänomene (hier: appositiv) zu werten, also ‘sie, die Leute nämlich’. Ein Beispiel aus Onedera (1994: 20): …siha lumili’e‘ yan humuhungok i taotaomo’na… ‘…sie hatten die Ahnen gesehen und gehört…’ Siha steht hier als emphatisches Pronomen links vom Prädikat, das durch das Infix -um- an beiden Verben (Prädikate der Klasse I) für den sogenannten Actor-Fokus markiert ist. Z.B. in Onedera (1994: 20): …lao meppa’ yan betde i tinanom yan trongko siha… ‘…aber die Pflanzen und Bäume sind fruchtbar und grün…’, wo siha Skopus über beide vorangehenden koordinierten Substantive hat. Diesen Eindruck vermitteln einige religiöse Schriften, die nach dem 2. Weltkrieg mit durchgängigen Betonungshilfen gedruckt wurden. Im Text Tinaitai wird der Pluralmarker siha (anders als die meisten Funktionswörter) grundsätzlich mit Paenultimaakzent (Tinaitai 2002: 13 Tódo i séngsong síha ‘alle Dörfer’) geschrieben, während siha als Absolutivpronomen stets als atonisches Element behandelt wird.

Über die Wortmacherei

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sprache Ibáñez del Carmens, die Pluralmarkierung zur suffixalen Wortmorphologie gehört.17 Der spanische Kleriker konnte problemlos das wortfinale -s in Domingos ‘Sonntage’, fiestas ‘Feste’ und esos ‘diese hier’ mit dem Pluralmarker siha im Chamorro identifizieren und auf ihn direkt die morphologischen Eigenschaften seiner funktionalen spanischen Entsprechung übertragen. Der Pluralmarker ist im Spanischen ein gebundenes Morphem und daher gemeinsam mit dem lexikalischen Morphem Teil des syntaktischen Wortes. Also musste sein Chamorro-Äquivalent ebenfalls ein gebundenes Morphem sein und mit dem lexikalischen Morphem ein syntaktisches Wort bilden. Das Spanische, die Sprache der Kolonialherren bildete somit (wohl weitgehend) unreflektiert für den kolonialzeitlichen Sprachforscher die (durch andere Kriterien fallweise zu ergänzende) Superstruktur, nach der auch die Gegebenheiten des Chamorro, der Sprache der Kolonialisierten handzuhaben waren. Dies gilt in ähnlichem Maße auch für die übrigen unter (3) hervorgehobenen Fälle. 4.1.2. Die morphologische Komplexität von verbalen Prädikaten In acht Fällen von nach gegenwärtigen Normen nicht mehr zulässiger Zusammenschreibung haben wir es mit verbalen Prädikaten zu tun. Siebenmal werden dabei die Personenmarker mit dem lexikalischen Morphem (und ggf. anderen Morphemen) des Verbs zu einer gemeinsamen Wortform vereint. Dabei sind die Personenmarker in Abhängigkeit von der Transitivität bzw. dem Modus orthographisch entweder Suffixe oder Präfixe: INTRANSITIV/STATISCH (REALIS) → manmachochojit ‘wir (alle) arbeiteten’, mangagojit ‘wir (alle) waren faul’, guajajit ‘es gibt/gab uns (alle)’ neben TRANSITIV/IRREALIS → titaadaje ‘wir (alle) haben nicht beachtet’, tatago ‘wir (alle) haben befohlen’, ujafanjosme ‘sie werden teilnehmen’, ujafanmachocho ‘sie werden arbeiten’. Wieder kann die konsequent beachtete Zusammenschreibung durch Ibáñez del Carmen nicht von vornherein als unbegründet zurückgewiesen werden. Es spricht vieles dafür, dass die von ihm gebildeten orthographischen Komplexe weitgehend phonologischen Wörtern entsprechen, in denen die Personenmarker prosodisch untergeordnet sind. Das gilt gleichermaßen für den Irrealismarker u- (der z.T. auch Funktionen eines Personenmarkers übernimmt) und die Negation ti-, die in allen Fällen von Zusammenschreibung bei negativer Polarität die äußerste linke Position des Komplexes besetzt. Wie im Fall der suffixalen Pluralmarkierung (siehe 4.1.1.) gehe ich davon aus, dass die Zusammenschreibung wenigstens teilweise durch das spanische Vorbild motiviert ist. Denn Spanisch vermeidet als genuine Prodrop-Sprache die Setzung von Subjektpronomina außerhalb von pragmatisch markierten Kontexten.18 Die Personenangabe erfolgt stattdessen für gewöhnlich durch die Suffixmorphologie am lexikalischen Verb oder – 17 18

Die Prinzipien der Getrennt- und Zusammenschreibung im Spanischen des 19. Jahrhunderts stimmen mit den heute gültigen weitgehend überein. Chamorro ist ebenfalls eine Prodrop-Sprache, bei der speziell die absolutivischen Personenmarker bei hinreichender Kontextinformation nicht realisiert werden müssen.

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in der Periphrase – am Auxiliar. Eine Gleichsetzung ist dann nach den folgenden paarigen Mustern möglich:19 Chamorro manmachochojit = Spanisch trabajamos/hemos trabajado ‘wir arbeiteten/haben gearbeitet’, Chamorro mangagojit = Spanisch estuvimos/hemos sido negligentes ‘wir waren nachlässig’, Chamorro tatago = Spanisch mandamos/hemos mandado ‘wir befahlen/haben befohlen’. Diese Strategie lässt sich ohne Weiteres auf den Irrealis des Chamorro anwenden, dessen Ausdrucksformen je nach Kontext mit dem spanischen Konjunktiv (subjuntivo), dem Konditional (potencial) oder dem Futur in ihren jeweiligen synthetischen Formen in Beziehung gesetzt werden kann: Chamorro ujafanjosme = Spanisch participen/participarán/ participarían ‘sie werden/würden teilnehmen’, Chamorro ujafanmachocho = Spanisch trabajen/trabajarán/trabajarían ‘sie werden/würden arbeiten’. Alle lexikalischen und grammatischen Informationen, die in dem einwortigen Ausdruck des Chamorro stecken, sind in einem ebenfalls einwortigen Ausdruck des Spanischen zu finden. Die Möglichkeit zur Übertragung der spanischen Strukturen auf die des Chamorro ist also gegeben. Zwar sind die Chamorro-Entsprechungen der spanischen Personen- und Modusmarker häufig Kandidaten für Präfigierung, während im spanischen Suffixe vorliegen. Aber die Zusammenschreibung erfüllt die Erwartung, dass aus dem Spanischen bekannte Kategorien des Verbs eben am Verb durch gebundene Morphologie ausgedrückt werden. Es bleiben jedoch noch einige Fakten in Rechnung zu stellen, bevor der Fall als abgeschlossen betrachtet werden kann. Eine generelle Gleichsetzung nach dem Schema SPANISCHE REGEL = CHAMORRO-REGEL simplifiziert zu sehr. Dagegen spricht die Integration von Elementen in den Einwortkomplex des Chamorro, die im Spanischen für gewöhnlich nicht zur Verbalmorphologie gerechnet und daher grundsätzlich vom finiten Verb getrennt geschrieben werden. Zu diesen Elementen gehört neben einigen anderen im Chamorro die bereits erwähnte (wohl als Proklitikon aufzufassende) Negation ti ‘nicht’, deren Gleichsetzung mit dem spanischen Derivationspräfix des- ich für zu weit hergeholt halte, sowie der semantisch schwer fassbare (limitative) Intensivierer ha‘ (im Original -já) wie in (4).20 (4)

Ibáñez del Carmen (1863: 11) jatútuñgojá yan jaliliy todo ha-túngo‘=ha‘ yan ERG.3SGwiss=INTENS und ‘er weiß und sieht (wirklich) alles’.

ha-lí

  • ’e‘ ERG.3SGseh

    todo alles

    Der Intensivierer kann leicht als Enklitikon identifiziert werden, das prosodisch prominent ist und sich an beliebige Träger zu seiner linken anlehnt (Parameter: Klitisierung; Dixon & Aikhenvald 2002: 25–27), wobei der Intensivierer seinen Eigenton nicht ein19 20

    Die spanischen Formen gehörten zu den Vergangenheitstempora (periphrastisches) Perfekt und Präteritum (indefinido). In den Beispielen (4)–(6) folgt auf die erste objektsprachliche Zeile, die das Beispiel in Originalorthographie enthält, eine Zeile, in der die gegenwärtig gültige Schreibung verwendet wird.

    Über die Wortmacherei

    31

    büßt. Dies disqualifiziert ha‘/-já für den Status eines integrierten wortmorphologischen Elements. Hier müssen andere (eher strukturelle) Beweggründe als die vermeintliche spanische Äquivalenz den kolonialzeitlichen Sprachforscher zur Zusammenschreibung veranlasst haben (etwa die Nicht-Identität von satzwertiger und Phrasennegation im Chamorro: ahe‘ ‘nein’ ≠ ti ‘nicht’ gegenüber Spanisch no ‘nein; nicht’; das Fehlen von Kontexten, in denen ti oder ha‘ ‘frei’ vorkommen kann usw.). Interessant sind auch die gelegentlichen Schwankungen zwischen Getrennt- und Zusammenschreibung wie in dem Satzpaar (5)–(6). (5)

    Ibáñez del Carmen (1863: 35) Jaatortayisija Ha-atotta-yi-siha ERG.3SG-verbiet-RFOK-ABS.3PL ‘Er hat ihnen verboten(, dass)…’

    (6)

    Ibáñez del Carmen (1863: 35) Jacharfinúnuy sija Ha-chátfinu’-i siha ERG.3SG-beleidig-RFOK ABS.3PL ‘Er hat sie beleidigt.’

    Bei transitiven Verben mit pronominalem Patiens ergibt sich das Problem, dass beide Partizipanten Personenmarker erfordern. Das Agens wird ohne Schwankungen grundsätzlich durch ein ergativisches Präfix ausgedrückt. Beim Patiens erlaubt sich Ibáñez del Carmen hingegen eine gewisse Inkonsistenz, indem er den absolutivischen Personenmarker meistens zwar als Suffix in den einwortigen Komplex integriert (wie -sija in [5]), aber ab und an Getrenntschreibung wählt (wie sija in [6]). In Y Magajet na Quilisyano ist die Getrenntschreibung allerdings nur marginal belegt. Sie tritt nur dann auf, wenn der absolutivische Personenmarker für das Patiens steht; wenn er das intransitive Subjekt kodiert, ist der absolutivische Personenmarker immer in den einwortigen Komplex integriert. Für diese gelegentliche Ungleichbehandlung könnten wiederum spanische Muster mit verantwortlich sein, da im Spanischen das Subjekt an finiten Verben grundsätzlich durch suffixale Personenmarker angegeben wird. Objektklitika sind hingegen als orthographische Wortbestandteile nur bei infiniten Verbformen zu finden. Da mit der Wende zum 20. Jahrhundert auch die spanische Ära auf den Marianen zu Ende ging und daher die Vorbildfunktion des Spanischen in sprachlichen Belangen erlosch, ist es interessant zu sehen, wie mit den Wortgrenzen unter den neuen Kolonialherren verfahren wurde.

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    4.2. Neue Kolonialherren Bei der Beispielgabe aus den Quellen zur weiteren kolonialzeitlichen Sprachforschung (und darüber hinaus) verwende ich, sofern nicht anders angegeben, die Schreibkonventionen des Originals. Im Fall des auf Japanisch verfassten Texts von Matsuoko (1926) dient die übliche Kanji-Transkription zur Wiedergabe der dort gegebenen ChamorroBeispiele. 4.2.1. Eine Tradition bildet sich heraus 1898 nehmen die USA Guam in Besitz und William Edwin Safford übernimmt die Aufgabe, die erste grammatische Beschreibung des Chamorro auszuarbeiten, die in mehreren Lieferungen sukzessive im American Anthropologist 1903–1905 erstveröffentlicht wurde. Ich benutze die unveränderte Buchversion von 1909 zu Referenzwecken. Saffords Arbeit darf in vielerlei Hinsicht als vorbildlich für die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts deskriptiv-linguistisch mit dem Chamorro befassten kolonialzeitlichen Sprachforscher gelten. Die Differenzierung zwischen ergativischen Präfixen und absolutivischen freien Pronomina geht sicher auf ihn bzw. noch genauer auf seinen muttersprachlichen Konsultanten José Palomo zurück, wobei Safford bei den Präfixen auch den Begriff “particle” verwendet (Safford 1909: 20–21), der in heutiger Deutung eher einen geringen Bindungsgrad zum Träger suggeriert. Natürlich ist Vorsicht geboten, wenn es um den früheren Gebrauch von Termini geht; es besteht leicht die Gefahr, anachronistisch zu argumentieren. Auch dem Irrealismarker u- werden Präfixeigenschaften zugesprochen (Safford 1909: 74). Dies schlägt sich darin nieder, dass in den von Safford propagierten Konventionen das Prinzip der Zusammenschreibung gilt. In den Geltungsbereich dieses Prinzips fällt übrigens auch der Intensivierer ha‘ (Safford 1909: 19), den Safford grundsätzlich als tonisches Schlussglied eines orthographischen Wortes schreibt. Die Negation ti ‘nicht’ wird hingegen als freies d.h. getrennt geschriebenes Adverb geführt (Safford 1909: 111). Für die Pluralisierung der Substantive schreibt Safford (1909: 14) siha getrennt, wobei er davon ausgeht, dass der Pluralmarker positional variabel ist. Im Allgemeinen sind die von Safford eingeführten Änderungen gegenüber der kolonialzeitlich-spanischen Praxis der Schreibung moderat. Die Einstufung der ergativischen Personenmarker als Präfixe und ihre Zusammenschreibung mit dem lexikalischen Morphem des Verbs ist sicherlich der sachgerechten Distributionsanalyse geschuldet, also strukturell begründet. Die Getrenntschreibung der absolutivischen Personenmarker als freie Pronomina kann zusätzlich dadurch gestützt sein, dass Saffords Muttersprache Englisch freie Subjekt- und Objektpronomina kennt. Saffords Regelungen finden sich bei seinen Zeitgenossen wieder, ohne dass sich alle auf ihn als Inspirationsquelle berufen:

    Über die Wortmacherei

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    • Fritz (1903: 4) setzt den Pluralmarker síha durch Spatium vom Substantiv ab und kennzeichnet ihn durch den Akut als tonisch. Die absolutivischen Personenmarker sind für ihn (dem Prädikatskern) nachgestellte freie Pronomina (Fritz 1903: 9), während die ergativischen Personenmarker sowie der Irrealismarker fest an das Verb gebundene präfigierte Morpheme sind (Fritz 1903: 16). Die Negation ti ist ein freies Adverb (Fritz 1903: 23), während der Intensivierer -há als den Hauptakzent oder einen zusätzlichen Akzent tragendes nicht ganz fest mit dem Trägerelement verbundenes Enklitikon dargestellt wird (Fritz 1903: 10). • Lopinot (1910: 2, 4 und 12) schreibt den Pluralmarker siha getrennt vom Substantiv, stuft die absolutivischen Personenmarker als freie Pronomina ein und gibt die ergativischen Personenmarker sowie den Irrealismarker durch Zusammenschreibung mit dem Verb als Präfixe zu erkennen. Dagegen gilt dem Autor die Negation ti- als wortbildendes Präfix (Lopinot 1910: 23), der Intensivierer -ha (ohne eigenes Betonungszeichen) wird bei pronominalem Träger mit Bindestrich angeschlossen, aber bei Verben ohne graphische Hilfe zusammengeschrieben (Lopinot 1910: 21). • Für Kats (1917: ix) gibt sein Bearbeiter Jonker im Vorwort an, dass “[v]oor de schrijfwijze van het Tjamoro heb ik mij gehouden aan die der bronnen met de daarin door den schrijver der Verhandeling aangebrachte veranderingen”.21 Das heißt dann, dass die absolutivischen Personenmarker als freie Pronomina und die ergativischen Personenmarker als sog. pronominale Präfixe eingestuft werden, was durch Getrennt- gegenüber Zusammenschreibung reflektiert wird (Kats 1917: 92–93). Auch der Irrealismarker wird als Präfix geführt. Die Negation firmiert in Satzbeispielen als freies Element (Kats 1917: 119). Der Intensivierer ha wird dagegen stets wie ein Suffix behandelt (Kats 1917: 100–101). Der Pluralmarker siha ist für Kats (1917: 86) eigentlich ein Substantiv (mit der Bedeutung ‘die vielen’), also ein eigenständiges Wort. • Von Preissig (1918: 8, 16 und 18) übersetzt ohne Zitatsangabe Lopinots Erläuterung ins Englische und übernimmt dessen Regelungen weitgehend kommentarlos. Er schreibt die Negation ti und den Intensivierer jâ grundsätzlich als separate orthographische Wörter, auch wenn er letzteren explizit als Suffix bezeichnet (Von Preissig 1918: 180). Im Großen und Ganzen herrschte also unter den in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zum Chamorro arbeitenden kolonialzeitlichen Sprachforschern weitgehend Konsens darüber, wo mit orthographischen Mitteln Wortgrenzen zu ziehen waren. Dabei ist zu bezweifeln, dass alle fünf namentlich genannten Personen unabhängig voneinander zu weitgehend identischen Ergebnissen bei der Analyse der ChamorroFakten gekommen sind. Vielmehr spricht einiges dafür, dass hier sehr früh eine “Beschreibungstradition” entstanden ist. Die kolonialzeitlichen Chamorro-Forscher waren 21

    Meine Übersetzung: “bezüglich der Schreibweise des Chamorro habe ich mich an die der Quellen und die daran vom Verfasser der Abhandlung vorgenommenen Veränderungen gehalten.”

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    voneinander abhängig, wobei die Bezugnahme auf Saffords Grammatik bei Lopinot, Kats und Von Preissig (wenn auch nur pauschal) explizit gemacht wird.22 Von Preissig hat zudem ganze Passagen wortwörtlich aus Lopinots Kurzgrammatik ins Englische übersetzt, ohne sich auch nur ansatzweise die Mühe zu machen, dies zu kennzeichnen. Dabei müssen die textuellen Übereinstimmungen in den grammatischen Skizzen keineswegs immer direkt auf die Rezeption der Schriften Saffords zurückzuführen sein. Es ist hingegen sehr gut möglich, dass ein dem bereits mehrfach genannten José Palomo zugeschriebenes, aber leider verschollenes Grammatikmanuskript sowohl Safford als auch Fritz und Lopinot zugänglich war (Stolz 2011a). Safford (1909: 2) räumt dankbar ein, dass the chief source of my information has been manuscript notes in possession of Father Palomo, and phrases and sentences kindly translated into the island vernacular for me by this reverend gentleman and by Don Juan de Torres. Lopinot (1910: unpaginiertes Vorwort) sagt explizit: Die Grammatik stützt sich auf ein Manuscript von Msgr. Joe Palomo; auch ist die Arbeit von Saffort [sic!] im American Anthropologist benützt worden. Costenoble (1940: ix–x) fasst die gegenseitigen Abhängigkeiten wie folgt zusammen: Das Werk von Safford stützt sich, soweit ich weiss, auf ein Manuskript des verstorbenen Padre Jose Palomo, eines Eingeborenen, der natürlich die Sprache voll beherrschte und seinerzeit der gebildetste Chamorro auf den Inseln war. Die in dem Werke gegebenen Tatsachen sind in der Hauptsache richtig, nicht immer jedoch ihre Deutung, und sind bei Weitem nicht alle Tatsachen aufgeführt; auch enthält das Buch eine ziemlich grosse Zahl von Druckfehlern. Das Werk von Callistus [= Lopinot] beruht auf einer Bearbeitung des eben erwähnten Manuskriptes, und hat auch das Werk von Safford benutzt. Die gleichen Einwendungen wie für das Safford’sche werk [sic!] gelten auch für dieses. Ebenso stützt sich das Buch von Von Preissig auf Safford. Fritz hat die Chamorrosprache selbst nur gekauderwelscht, und beschreibt in seiner Grammatik dieses sein Kauderwelsch. Die Gleichförmigkeit der Analysen ist dann die Folge der Verwendung ein und derselben Quelle, während Kats und Von Preissig sich auf die veröffentlichten Arbeiten ihrer Zeitgenossen und damit wieder indirekt auf Jose Palomos Manuskript berufen konnten. Lopinot (1910) ist als gewissermaßen unfreiwilliger Mittler dabei insofern besonders erfolgreich gewesen, als seine Kurzgrammatik auch in der Sprachforschung zur japanischen Mandatszeit in Mikronesien eingehend rezipiert (Matsuoko 1926, siehe unten) und sie ohne Hinweis auf das Original nach dem 2. Weltkrieg für die Zwecke der Bap22

    Der kurze fachgeschichtliche Abriss von Topping & Dungca (1973: 4–6) wird den Zusammenhängen kaum gerecht.

    Über die Wortmacherei

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    tisten-Mission mit geringfügigen Modifikationen ins Englische übersetzt wurde (General Baptist Mission 1954).23 In der japanischen Chamorro-Forschung macht Matsuoko (1926) den Vorschlag, von der lateinschriftlichen Tradition des Chamorro Abschied zu nehmen, da die Schreibung der Sprache mittels japanischer Kanji besser zur Silbenstruktur des Chamorro passte. Allerdings bringt der suggerierte Wechsel des Schriftsystems keine grundlegenden Abweichungen von der vor 1920 etablierten Ziehung von Wortgrenzen. Auch für den japanischen Chamorro-Forscher sind die absolutivischen Personenmarker “selbständige Wortformen”, während die ergativischen Personenmarker und der Irrealismarker zu den verbalen Affixen gezählt werden. Die entsprechenden Passagen im japanischen Text sind übrigens recht wortgetreue Wiedergaben dessen, was Lopinot (1910) zu diesem Thema schreibt (einschließlich der von ihm gegebenen Chamorro-Beispiele). Das gilt auch für die Aussagen zur Pluralbildung beim Substantiv, dem shiha (nach Matsuoko [1926] mit der Bedeutung ‘die dort’) nachgestellt wird. Alles in allem erweisen sich der eigentliche deskriptiv-linguistische und der sprachpraktische Teil in Matsuokos (1926) Studie als um vergleichende Bemerkungen zum Japanischen (manchmal auch Chinesisch) ergänzte und moderat umformulierte Nacherzählung der Anhänge 1–2 von Lopinot (1910).24 Izouî (1940) zieht seine Erkenntnisse über das Chamorro ausschließlich aus Korpustexten, die zwischen 1909 und 1936 entstanden25, d.h. dass er die orthographischen Konventionen dieser Schriften zur Grundlage der von ihm postulierten syntaktischen Wörter macht. Da ein Teil seines Textkorpus aus der Produktion von Lopinots Glaubensbrüdern stammt, überrascht es nicht, dass der Pluralmarker siha bei den Substantiven als freies Morphem auftritt, der absolutivische Personenmarker ein freies Pronomen ist und der ergativische Personenmarker wie der Irrealismarker als verbales Präfix in die Wortform des finiten Verbs integriert wird (Izouî 1940: 23–27). Die Negation ti wird als freies Adverb geführt. Der Intensivierer wird als Suffix identifiziert. In Tabelle (7) führe ich Belege dafür auf, wie die kolonialzeitlichen Sprachforscher im frühen 20. Jahrhundert hinsichtlich der Getrennt- und Zusammenschreibung verfahren sind. Kommentare zu einzelnen Fällen gebe ich in den Fußnoten.

    23

    24

    25

    Immerhin kann die Aussage, dass “[n]ew conversation was added” (General Baptist Mission 1954: 5) als indirekter Hinweis darauf gewertet werden, dass ein bereits bestehender Text überarbeitet wurde. Die Abhängigkeit von Lopinot (1910) wird einleitend von Matsuoko (1926) auch eingestanden, wenn er sagt, dass er keine direkte Kenntnis des Chamorro hat und daher befürchtet, ungewollt Fehler, die auf Lopinot zurückgehen, wegen seiner fehlenden Beurteilungskompetenz weiter zu tradieren. Im Haupttext selber wird zudem ab und an Lopinot als Quelle für bestimmte Analysen und Beispiele erwähnt. Überprüfenswert wäre dabei, in welchem Verhältnis die von Inouî (1940: 14) aufgeführte Kadada na Historian Marianas (‘Kurze Geschichte der Marianen’) von Gregorio Sablan-Diaz aus dem Jahre 1926 zur Kurzen Geschichte der Marianen von Fritz (1907) steht (Stolz 2007), von der eine handschriftliche Version mit dem Chamorro-Titel I Kadada na Estorian Marianas existiert.

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    (7)

    Synopse: Belege für die Testfälle (1900–1940)

    Autor

    Plural

    Absolutiv

    Ergativ

    Irrealis

    Negation

    Intensivierer

    Safford

    i gima siha ‘die Häuser’

    ti hu-isao ta-lo ‘ich sündige nicht wieder’

    -hâ (suffix) ‘wahrlich’

    i gima síha ‘die Häuser’

    hulii i memo ‘Ich sah die Eule’ hukastíga ‘ich strafe’ii

    ulii i gima ‘er wird das Haus sehen!’

    Fritz

    ukastíga ‘er wird strafen’ii

    ti pagoha ‘nicht nur jetzt’iii

    hágo-há ‘nur du’

    Lopinot

    i lebplo siha ‘die Bücher’

    hâgo-ha ‘du allein’

    guma siha ‘Häuser’

    ti hutungo ‘ich weiß nicht’

    Von Preissig

    kein Beispielv

    Matsuokovii

    repuro shiha ‘Schriften’ taotao siha ‘Leute’

    u-fan-gagau ‘er wird bitten’iv uta-lii i gima ‘wir (alle) werden das Haus sehen’iv u-tunog ‘er wird herabsteigen’iv utaitai ‘er wird es lesen’ ulinie ‘er wird gesehen werden’

    ti-mamatai ‘unsterblich’

    Kats

    hunae hao kahel ‘Ich gab dir i eine Orange.’ makastítiga jo ‘ich werde bestraft’ii husetbe hao ‘ich diente dir’ tumunog hit ‘wir (beide) stiegen herab’ tumunog yô ‘ich stieg herab’ maragu yo ‘ich gehe“

    kein Beispiel

    manoha sese ‘welches Messer auch immer’ jago jâ na maisa ‘du alleine’vi kein Beispiel

    ti inlie yo ‘ihr habt mich nicht gesehen’

    unlilie-ha ‘du siehst es selbst’

    Izouî

    manlie gui (tao-tao siha) ‘er sah (Leute)’

    ha-gagau ‘er bat’iv hu-lii i gima ‘ich sah das Haus’iv ja-gágau ‘er bat’iv futaitai ‘ich las’ halie i taotao ‘er sah die Person.’

    ti siña ‘kann nicht’

    Wir haben es also mit einem recht breiten Konsens zu tun, der die Mehrzahl der kolonialzeitlichen Chamorro-Forscher unabhängig von ihrer Nationalität umfasst. Die Übereinstimmungen sind besonders konsistent bei der Pluralmarkierung, den Personenmari

    ii iii iv v vi vii

    Es ist auffällig, dass in allen Arbeiten zum Chamorro, die vor 1940 datieren, die Verbformen im kompletiven Aspekt nur oder zusätzlich auch mit einer Übersetzung im Präsens versehen werden. Ich gebe hier – der heutigen Praxis entsprechend – dafür ausschließlich Vergangenheitstempora in der Übersetzung. Das Makron zur Längenbezeichnung des betonten wurde ausgelassen. Nach Fritz’ eigenen Kriterien müsste geschrieben werden, da die Wortform den Intensivierer enthält. Das Beispiel wurde einem Paradigma entnommen; daher ist der Morphemtrennstrich kein orthographisches Mittel. Von Preissig (1918: 8) sagt zwar, dass sija meistens nachgestellt wird, gibt aber nur ein Beispiel für die umgekehrte Reihenfolge in der Linker-Konstruktion: sija na guma. Laut Von Preissig (1918: 180) ist jâ ein Suffix. Er schreibt es aber von dem links stehenden Wort getrennt. Bei dieser japanischen Quelle ergibt die Retranskription der Chamorro-Beispiele aus der KanjiRepräsentation automatisch lautliche Differenzen bei den Konsonanten /l/ ~ , /s/ ~ , /h/ ~ .

    Über die Wortmacherei

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    kern und dem Irrealiszeichen. Bei der Negation und dem Intensivierer gibt es leichte Schwankungen. Die in diesem Abschnitt vorgestellten kolonialzeitlichen ChamorroForscher weichen gemeinsam von der spanischen Schreibpraxis ab. Sie tun dies in einer Form, die aber dennoch nicht so weit geht, wie es seit den 1970er Jahren die verschiedenen offiziellen Orthographien für Guam tun. Den entscheidenden Schritt in diese Richtung geht eine besonders interessante Figur der Chamorro-Sprachforschung, Hermann Costenoble (Stolz et al. 2011). 4.2.2. Mit einer Tradition wird gebrochen Hermann Costenoble, der sich selber gerne im Stile des obigen Zitats kritisch gegenüber den Arbeiten seiner Vorgänger äußerte, ist viel weniger der oben beschriebenen chamorristischen Tradition verhaftet. Er sagt sich sogar explizit von ihr los, wenn er darauf pocht, “keines dieser Werke benutzt” (Costenoble 1940: x) zu haben. Man kann ihn als sehr eigenständig und kreativ arbeitenden Sprachforscher betrachten, der sich aufgrund seiner spezifischen Lebensumstände als Beinahe-Muttersprachler des Chamorro verstand und dessen praktische Kenntnisse in der autochthonen Sprache der Marianen sicherlich weit über die Kompetenz aller bis dahin in der nachspanischen Periode tätigen kolonialzeitlichen Sprachforscher hinausging, auch wenn seine große Grammatik des Chamorro erst ein Vierteljahrhundert nach der Übersiedlung des Autors auf die Philippinen im Druck erschien (Costenoble 1940: x). Die Chamoro Sprache (Costenoble 1940) ist ungeachtet gelegentlicher Idiosynkrasien und einer gewissen Fehlerquote ein auch für die heutige Linguistik wertvoller Beitrag zur Kenntnis der strukturellen Eigenschaften des Chamorro. Costenobles Selbständigkeit manifestiert sich u.a. darin, dass er ähnlich wie der von ihm geringgeschätzte Fritz (1903) absichtsvoll von der auf den Marianen etablierten “ortsueblichen Schreibweise” (Costenoble 1940: 8–9) abgeht. Im Falle des deutschen Bezirksamtmanns sind politische Motive für diesen Schritt maßgeblich; er will das spanische Erbe möglichst umfassend verschwinden lassen, auch wenn er für den Wechsel der Graphie die vermeintlich höhere Praktikabilität seines (deutschen Schreibkonventionen folgenden) Vorschlags ins Felde führt. Anders als die meisten seiner Vorgänger will Costenoble aber gar keine Orthographie für den Alltagsgebrauch schaffen, sondern ein Transkriptionssystem für rein wissenschaftliche Zwecke einführen. D.h. dass die Ansprüche beispielsweise hinsichtlich der phonologischen Exaktheit viel höher sind als bei einer Gebrauchsschrift. Man darf daher erwarten, dass die angestrebte Genauigkeit auch die Identifikation von Wortgrenzen betrifft. Bezogen auf die obigen Testfälle kann Costenoble tatsächlich mit einer Überraschung aufwarten. Seine Aussagen zur Behandlung der absolutivischen Personenmarker sind dabei noch im Rahmen des Erwartbaren: Diese Form des Fürwortes steht hinter dem Prädikat, beziehungsweise dem hervorzuhebenden Satzteile. In der ortsüblichen Schrift wird dies meistens mit dem

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    Prädikate in einem Worte geschrieben, in diesem Werk jedoch soll sie getrennt gesetzt werden (Costenoble 1940: 246). Diese Lösung steht voll und ganz im Einklang mit dem, was US-amerikanische, deutsche, niederländische und japanische kolonialzeitliche Sprachforscher vor Costenoble praktizierten. Von diesen weicht Costenoble jedoch deutlich ab, indem er die ergativischen Personenmarker ebenfalls als freie Pronomina einstuft: Diese Reihe steht unbetont vor dem Prädikat, sodass es wie ein Präfix desselben erscheint, und in der ortsüblichen Schreibweise auch gerne so geschrieben wird. In dieser Schrift ist das Fürwort stets getrennt geschrieben. (Costenoble 1940: 249) Die Wahl des deutschen schulgrammatischen Terminus Fürwort suggeriert, dass sich die Personenmarker für Costenoble als eigenständige syntaktische Wörter darstellten, die in der Schreibung von anderen Worteinheiten zu separieren waren. Nicht anders geht er mit dem Irrealismarker u um, den wortartlich einzuordnen ihm eingestandenermaßen schwerfällt: Dieses Wörtchen kennzeichnet das Futurum. Ich bin mir nicht klar darüber, wie dieses Wort aufzufassen ist: ob als Präposition zu, um zu, ob als Konjunktion dass, auf dass, oder als Verb sollen, mögen, werden. (Costenoble 1940: 185) In einem separaten Kapitel (Costenoble 1940: 296–297) versucht sich der Autor zudem an einer historischen Deutung (mit Anklängen an heutige Grammatikalisierungsszenarien), für die er eine enge Verschmelzung des dann von ihm als Partikel eingestuften Irrealismarkers mit den ergativischen “Fürwörtern” bis hin zum völligen phonologischen Substanzverlusts des Irrealismarkers in bestimmten Zellen des Paradigmas annimmt. Die Negation ti wird als separates Wort in der Liste der Adverbien der Art und Weise mit aufgeführt, wo sich auch ohne weitere Erklärungen der Intensivierer ha’ als eigenständiges Wort findet (Costenoble 1940: 410–412). Zur Pluralisierung der Substantive schreibt Costenoble (1940: 463) noch, dass man “[i]n der Regel […] den Plural als solchen [kennzeichnet], und zwar durch das Wörtchen siha, welches entweder vor oder hinter das Substantiv gesetzt wird”.26 Immer wieder verwendet Costenoble Begriffe wie Wort oder Wörtchen, um die fraglichen Elemente zu bezeichnen. Es handelt sich für ihn bei ihnen also um syntaktisch selbständige Einheiten. Costenoble ist der erste der kolonialzeitlichen Chamorroforscher, der für alle fraglichen Morpheme Wortstatus annimmt 26

    Die sich aus den vagen Angaben bei Safford, Lopinot, Kats, Von Preissig, Matsuoko und Costenoble ergebende Frage der Voranstellbarkeit von siha müsste auch synchron noch genauer unter die Lupe genommen werden. Die in dieser Beziehung angeführten Linker-Konstruktionen wie (Onedera 1994: 12) Guaha siha na pinadesi taiguihi put ihemplo:… ‘Es gibt zum Beispiel einige Leiden wie diese:…’, in denen siha links außen steht, sind wahrscheinlich keine freien Varianten zur üblichen Nachstellung des Pluralmarkers. Ich betrachte siha in dieser Konstruktion nicht als den einfachen Pluralmarker, sondern als indefiniten pluralischen Determinator/Quantifikator im Sinne von manche/einige (speziell in Existenzialkonstruktionen mit guaha ‘es gibt’).

    Über die Wortmacherei

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    und in der schriftlichen Wiedergabe durch den Einsatz von Spatien deutlich kennzeichnet. Seine Regelungen nehmen damit die Festlegungen vorweg, die sich im Rahmen der offiziellen Standardisierung des Chamorro ab 1971 durchgesetzt haben (Topping & Dungca 1973: 59). Für alle vorherigen Vorschläge gilt, dass die Schreibungen gesetzt und nicht weiter argumentativ erläutert werden. D.h. die Grammatiken sind zumindest in diesem Bereich eher präskriptiv als explanativ. Vor diesem Hintergrund ist umso bemerkenswerter, was uns Costenoble bietet. Costenoble (1940: 516–521) macht als erster kolonialzeitlicher Sprachforscher überhaupt zur Prosodie des Chamorro längere Ausführungen und erörtert unter dem Begriff “Wortkomplex” das Phänomen der phonologischen Wörter. Dabei zeigt sich, dass in seinen metrischen Transkriptionen sämtliche der hier genauer betrachteten Elemente sich proklitisch oder enklitisch an ein den Hauptakzent tragendes Inhaltswort anlehnen. Dabei sind die Personenmarker, das Irrealiszeichen und die Negation stets atonisch, während der enklitische Intensivierer den Nebenakzent trägt. Beispiele bietet die Tabelle unter (8), wobei das Kürzel a eine atonische, das Kürzel T eine tonische Silbe bezeichnet; á steht für die einen Nebenton tragende Silbe. (8)

    Phonologische Wörter bei Costenoble (1940)

    Transkription hu faysin hanaw ha‘ kaw muŋa gwi na ti malago‘

    Phonetisch hu-faysin hanaw-ha‘ kaw-muŋa-gwi na-ti-malago‘

    Prosodie a-T-a T-a-á a-T-a-a a-a-a-T-a

    Übersetzung ich habe gefragt geh nur! ob er will dass er nicht kommt

    Costenoble (1940: 516) präzisiert in diesem Zusammenhang, dass es noch eine grosse Anzahl von tonlosen Formwörtern [gibt], die in der Schrift getrennt geschrieben werden. Wie die Formantien wachsen sie in der gesprochenen Sprache mit dem zugehörigen oder benachbarten Grundworte zu einem einzigen Wortkomplexe zusammen; ein solcher Wortkomplex hat nur einen einzigen Akzent. Gleich im Anschluss an diese Textpassage macht Costenoble (1940: 517) weitere Ausführungen, die in vollem Umfang zu zitieren für das Thema dieser Arbeit aufschlussreich ist: Die Scheidelinie zwischen Formwort und Formans ist willkürlich gezogen und wird von verschiedenen Verfassern verschieden gelegt. Als Beispiel sei erwähnt, dass in vielen Abhandlungen über indonesische Sprachen die tonlosen Formen der Fürwörter als Formantien mit dem Grundworte zusammengeschrieben werden, in wieder anderen nur die einsilbigen darunter, während die zweisilbigen getrennt geschrieben sind. In dieser Schrift sin [sic!] die tonlosen, den Akzent des Grundwortes nicht beeinflussenden Formen, (und zwar die transitiven und intransitiven) getrennt geschrieben, hingegen die Possessiva an das zugehörige

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    Grundwort angehängt, weil sie den Akzent des Grundwortes verlegen und daher mit diesem in höheren [sic!] Masse eine Einheit bilden, als dies bei anderen Formen der Fall ist. Wir haben damit erstmalig eine mit sprachwissenschaftlichen Argumenten untermauerte Begründung für die Getrennt- und Zusammenschreibung vorliegen. Das maßgebliche Kriterium ist für Costenoble die prosodische Relevanz der jeweiligen Einheiten. Völlig problemlos ist seine Entscheidung dennoch nicht, da sie u.a. unterschlägt, dass bei konsequenter Anwendung des prosodischen Kriteriums auch die homophonen Präfixe man-1 (Subjekt Plural) und man-2 (Antipassiv) vom Inhaltswort getrennt zu schreiben wären.27 Von dieser und ähnlichen Fragen abgesehen, darf man Costenoble zugestehen, dass er seine Entscheidungen linguistisch reflektiert hat, was bei der Mehrzahl seiner Vorgänger anzuzweifeln ist. Safford, Fritz und Lopinot waren von Haus aus philologische Laien; als solcher stilisiert sich zwar auch Costenoble (1940: vi), seine sprachwissenschaftlichen Fachkenntnisse sind jedoch eindeutig akademisch fundiert und auf der Höhe seiner Zeit. Was Costenobles Entscheidung für die Getrenntschreibung der hier beleuchteten Elemente zusätzlich unterstützt haben könnte, sind die für sein muttersprachliches Deutsch traditionell gültigen Schreibkonventionen, die für Pronomina, die Adverbien, die Phrasennegation und die von Costenoble aufgelisteten Funktionsäquivalente des Irrealismarkers (etwa als Futurauxiliar werden) den Status von orthographischen Wörtern vorsehen. Keine Erklärung bietet die Berufung auf deutsche Muster für die Getrenntschreibung des substantivischen Pluralmarkers. Hier müssen also unabhängige Erwägungen den Ausschlag gegeben haben. So wie es Ibáñez del Carmen aufgrund des spanischen Vorbilds leicht fiel, Zusammenschreibung zu praktizieren, ist es Costenoble nicht schwergefallen, die Getrenntschreibung einzuführen, weil diese Lösung gut zu dem aus dem Deutschen bekannten Muster passte. In beiden Fällen wurde auf diese Weise die Gleichbehandlung der Personenmarker (außerhalb der Wortklasse III und der Possessiva) erreicht.

    4.3. Spätwirkungen Costenobles oben umrissene Setzung der Wortgrenzen stimmt mit der auch im muttersprachlichen Schulunterricht propagierten offiziellen Orthographie und ihren verschiedenen Spielarten überein (Topping & Dungca 1973: 58–66, Komision 1983: Appendix E). Da die Getrenntschreibung in den englischsprachigen Beschreibungen des Chamorro aus der Zeit vor der Normierung nicht so weit ging, stellt sich die Frage, ob die Ent27

    Allerdings unterliegen sie der morphonologischen Nasalassimilation und sind daher prädestiniert für den Status von wortmorphologischen Einheiten (Topping & Dungca 1973: 48–50). Costenoble (1940: 108–109) geht im Chamorro hingegen von genereller Nasalassimilation aus, die auch den wortexternen Sandhi betrifft, sodass die genannten Morpheme kein morphonologisches Alleinstellungsmerkmal besäßen.

    Über die Wortmacherei

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    scheidung der Kumision I Fino‘ Chamorro (‘Chamorro Sprachkommission’) für die Getrenntschreibung in irgendeinem Bezug zu Costenobles Werk steht. Üblicherweise wird in der internationalen Literatur zum Chamorro jedoch darauf abgehoben, dass die Inhalte von Die Chamoro Sprache “are not accessible to most Chamorros and Americans because they are written in German” (Topping & Dungca 1973: 6). Diese Sprachbarriere schließt die direkte Übernahme der Getrenntschreibung aus Costenoble (1940) eigentlich aus. Die gegenwärtige konsequente Getrenntschreibung ist umso bemerkenswerter, als in der religiösen Literatur, die (überwiegend in Reprintauflagen von Originalen aus der Zeit vor oder kurz nach dem 2. Weltkrieg) das einzige wirklich weit verbreitete schriftliche Genre auf Chamorro darstellt, bis heute Konventionen eingehalten werden, die, wenn sie nicht vollständig dem kolonialzeitlichen spanischen Modell folgen, von rezenten Ausnahmen abgesehen so doch eher die Regelungen beherzigen, die durch Safford (1909) und Lopinot (1910) publik gemacht wurden, also die Zusammenschreibung der ergativischen Personenmarker und des Irrealismarkers mit dem finiten Verb vorsehen. Dies ist auch die gängige Praxis in der deskriptiv-linguistischen Literatur der Gegenwart, in der die Verbalparadigmen im Wesentlichen so aussehen wie in den frühen Schriften Saffords (1909) vor mehr als 100 Jahren. In der offiziellen Orthographie werden die Personenmarker seit langem grundsätzlich getrennt vom Prädikatskern geschrieben. Sie werden in der Normgrammatik wie echte Pronomina im Sinne einer eigenständigen Klasse von freien Morphemen mit Wortstatus eingestuft (Topping & Dungca 1973: 106–111). Dadurch ist man dann auch gezwungen, den Irrealismarker u und seine Allomorphe (hauptsächlich bai), die sämtlich links von den Personenmarkern steht, als separate Worteinheiten unter dem Titel Funktionswörter zu behandeln (Topping & Dungca 1973: 261–262). Dementsprechend finden wir in heutigen literarischen Texten viele kurze orthographische Wörter wie zum Beispiel in (9), in dem vier der Testfälle (ergativischer Personenmarker, Irrealismarker, Negation und Intensivierer) zusammen auftreten. In (10) sind die beiden übrigen Testfälle in Getrenntschreibung dokumentiert (absolutivischer Personenmarker und Pluralzeichen). (9)

    Onedera (1994: 10) ma tungo' ha' na ti u ma fa'tinas ERG.3PL weiß INTENS LINKER NEG IRR.3 ERG.3PL mach i asiga guini na lugåt. DET Salz hier LINKER Ort ‘Sie wissen eben, dass an diesem Ort kein Salz produziert wird.’

    (10)

    Onedera (1994: 46) man-hungok gui' bos APhör ABS.3SG Stimme ‘Er hörte (gerade) menschliche Stimmen.’

    taotao Mensch

    siha PL

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    In modernen linguistischen Arbeiten zum Chamorro, die nicht auf Fragen der Standardisierung eingehen, hat sich hingegen weitgehend durchgesetzt, für die ergativischen Personenmarker und die Irrealiszeichen den Status von gebunden Morphemen d.h. von Präfixen anzunehmen (Chung 1998: 26–27). Chung (1998: 26) räumt u.a. unter Berufung auf Costenoble (1940) ein, dass diese Morpheme auch als “stressless particles” angesehen werden könnten, sie sie aber in Einklang mit Cooreman (1987) als Präfixe analysiert. Daraus darf man schließen, dass die Statusfrage nicht eindeutig zu klären ist. Im Unterschied zu den ergativischen Personenmarkern werden die absolutivischen Personenmarker grundsätzlich als nicht zum syntaktischen Wort gehörige freie Morpheme klassifiziert; für Chung (1998: 28–29) sind sie “weak pronouns”. Da Chung (1998: 27) zudem den Irrealismarker u als festen Bestandteil von komplex anmutenden kumulativen Exponenten ansetzt (z.B. utafan- für die 1. Person Plural inklusiv intransitiv), unterscheiden sich die heute üblichen Paradigmen hinsichtlich der Frage des Bindungsgrades der Personenmarker in nichts von denen, die schon Safford (1909) und seine Zeitgenossen aufgestellt hatten. Die ergativischen Personenmarker verhalten sich tatsächlich wie Kongruenzmorpheme, die auch dann stehen müssen, wenn (kein Actor-Fokus vorliegt und) eine lexikalische Agens-NP phonologisch realisiert wird. Absolutivische Personenmarker können niemals mit einer koreferenten NP zusammen auftreten. Anders als die ergativischen Präfixe können die absolutivischen Personenmarker zudem durch Einschübe vom finiten Verb getrennt werden. Trotz des ungleichen Verhaltens der beiden Klassen von Personenmarkern werden sie im Gegenwarts-Chamorro wie bei Costenoble (1940) orthographisch einheitlich als freie Pronomina behandelt. Hinsichtlich von ti und ha' verfährt beispielsweise Chung (1998: 142) wie von der Normgrammatik verlangt, d.h. dass sie beide Elemente als separate Worteinheiten schreibt. Wir haben also eine Diskrepanz zu konstatieren, bei der praktische Alltagsorthographie und deskriptive Linguistik bei der Analyse ein und desselben Sachverhaltes zu unterschiedlichen Lösungen kommen. Dabei ist festzuhalten, dass auf diesem Gebiet die Fachwissenschaft den Stand der kolonialzeitlichen Sprachforschung aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts perpetuiert hat. Die durch Ibáñez del Carmen (1863) und Costenoble (1940) aufgezeigten Alternativen spielen in der linguistischen Diskussion gegenwärtig keine Rolle. Auf der Seite der Orthographieentwicklung hingegen hat man sich deutlich von der Mehrheitsmeinung der kolonialzeitlichen Sprachforschung entfernt, indem – möglicherweise unabhängig – Prinzipien gewählt wurden, die bei Costenoble (1940) erstmalig ausformuliert wurden. Auf den Punkt gebracht lässt sich die Geschichte der Spatien in der belegten Schriftlichkeitsperiode des Chamorro wie folgt zusammenfassen: Von der konsequenten Zusammenschreibung zur spanischen Zeit über ein nach Kategorien differenziertes Nebeneinander von Getrennt- und Zusammenschreibung im frühen 20. Jahrhundert zur konsequenten Getrenntschreibung in der späten Phase bestenfalls zaghafter Dekolonialisierung.

    Über die Wortmacherei

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    5. Schluss Die Verschriftungsgeschichte des Chamorro bestätigt weitgehend die von Haspelmath (2011) formulierten Vorbehalte hinsichtlich einer “natürlichen” Kategorie Wort. Die kolonialzeitlichen Sprachforscher, die moderne Linguistik und die am heutigen Standardisierungsprozess Beteiligten setzen Wortgrenzen nicht immer an derselben Stelle. Wir können davon ausgehen, dass jeder Wahl Kriterien und Motive zugeordnet sind, die bewusst oder unbewusst die Entscheidung für oder gegen Getrennt- bzw. Zusammenschreibung beeinflussen. Für Fritz (1903), Lopinot (1910), Kats (1917), Von Preissig (1918), Matsuoko (1926) und Inouî (1940) nehme ich an, dass ihre Option durch die ihnen verfügbare Quelle vorgeprägt war, d.h. dass sie die Regelung übernahmen, die in einer autoritativen oder wenigstens konkurrenzlosen Beschreibung der Sprache bereits etabliert war. Man hat das genommen, was andere schon als gesichert dargestellt haben. Dies gilt evtl. auch für Safford (1909), wenn sich seine Abhängigkeit von José Palomos Vorarbeiten als Faktum erweisen sollte. Die breite Übereinstimmung unter den kolonialzeitlichen Sprachforschern (und ihrer modernen Nachfolger in der Chamorro-Linguistik) kann durchaus als die Entwicklung von Gewissheiten im Sinne von Warnke & Schmidt-Brücken (2011) verstanden werden: Im Grunde wurden die einmal gesetzten Wortgrenzen als gegeben akzeptiert und nicht weiter hinterfragt. Bei der Beschreibung des Chamorro waren sie gewissermaßen selbstverständlich geworden. Dass es sie gab bzw. gibt, ist gewiss. Die Entstehung der Beschreibungstradition kann daher auch zu einem Teil dem fehlenden Willen zur Überprüfung oder Innovation zugeschrieben werden. Praktische Erwägungen dürften auch eine prominente Rolle gespielt, wenn die kolonialzeitlichen Sprachforscher “voneinander abschrieben”: Die Werke mussten rasch erscheinen, ohne dass ihre Verfasser wirklich über gefestigte Sprachkenntnisse im Chamorro und nicht immer über eine solide philologische Ausbildung verfügten, mit deren Hilfe sie die eigenen Vorschläge und die anderer kritisch hätten reflektieren können. Zudem war die Zielstellung überwiegend praktischer Natur, d.h. die Kurzgrammatiken sollten der Erlernbarkeit der Objektsprache dienen oder einen (Um-)Weg zur späteren Verbreitung der Sprache der Kolonialherren anbieten. Böser Wille kann den kolonialzeitlichen Sprachforschern nicht grundsätzlich unterstellt werden. Sie haben sich möglicherweise von wie auch immer fundierten Vorstellungen einer “kruden” Fremdsprachdidaktik leiten lassen, nach der das einfache Erlernen des Chamorro durch ihre Landsleute im Vordergrund stand. Dass die moderne deskriptive Linguistik die auf diesem Wege entstandene Beschreibungstradition fortsetzt, indem sie die morphologische Komplexität von syntaktischen Wörtern wie in den Grammatiken von vor 100 Jahren ansetzt, kann eventuell auch mit dem Beharrungsvermögen der einmal etablierten Sichtweise erklärt werden. Es gibt natürlich auch hier fachliche Gründe, die dafür sprechen, genau diese Analyse vorzunehmen. Aber die gefundene Lösung stellt kein Monopol dar; Alternativen wären mög-

    Thomas Stolz

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    lich, da ja eine Vielzahl von Parametern zu berücksichtigen ist, die gegeneinander nur in Abhängigkeit vom gewählten Beschreibungsmodell abwägbar sind. Während man bei Ibáñez del Carmen (1863) und Costenoble (1940) auch die Möglichkeit der partiellen Beeinflussung durch die auf ihre Muttersprachen angewandten Regeln der Getrennt- und Zusammenschreibung nicht ganz von der Hand weisen kann, scheint dieser Faktor insgesamt relativ wenig Gewicht zu besitzen. Andernfalls hätte die oben skizzierte Mehrheitslösung kaum ihre hohe Homogenität erreicht. Vielmehr würde sich aus englischer, deutscher und niederländischer Sicht die konsequente Getrenntschreibung als viel naheliegender erweisen. Dass man unbedingt anders schreiben wollte, als dies zur spanischen Zeit üblich gewesen ist, mag von Bedeutung sein. Das ist möglicherweise auch einer der Faktoren, die dazu beigetragen haben, warum die offizielle Orthographie der Gegenwart ganz auf Getrenntschreibung ausgerichtet ist: Man wollte und will sich von der kolonialen Vergangenheit absetzen, in der Außenstehende bestimmt haben, wie die Sprache der Kolonialisierten aussehen sollte. Unter dieser Maßgabe kommen dann auch die Konventionen von Safford und seinen Zeitgenossen nicht in Frage, weil sie den Ruch des Kolonialismus tragen, auch wenn sie letztlich auf Ideen von Jose Palomo zurückgehen sollten. Nimmt man als Sprachtypologe die orthographischen Lösungen für bare Münze, dann müsste man annehmen, dass der Synthesegrad der Chamorro-Morphologie seit dem 19. Jahrhundert kontinuierlich gesunken ist. Von einer vermeintlich polysynthetischen Sprache hätte sich das Chamorro in zwei Schritten zu einer stärker (wenn auch nicht vollständig) analytischen Sprache verändert. Diese Interpretation ist ahistorisch und faktisch nicht haltbar. Stattdessen können wir davon ausgehen, dass die morphologischen Grundeigenschaften des Chamorro in den letzten 150 Jahren ziemlich konstant geblieben sind. Wie diese Eigenschaften aber auszubuchstabieren sind, ist weiterhin Gegenstand der Diskussion (Stolz im Druck). So wie die Typologie durch die wechselnden Konventionen des Chamorro “lernt”, eben diesen Konventionen zu misstrauen, “lernt” die Koloniallinguistik, dass wir es mit höchst intrikaten Verflechtungen von Beweggründen und Abhängigkeiten zu tun haben, die das Tagesgeschäft der kolonialzeitlichen Sprachforscher bestimmt haben, sodass das Bild, das wir uns vom typischen kolonialzeitlichen Sprachforscher machen können, nicht ganz so einheitlich ausfallen dürfte, wie man es sich bei nur oberflächlicher Betrachtung vorstellt.

    Abkürzungen ABS

    AP

    DET ERG EXI INF

    Absolutiv Antipassiv Determinator Ergativ Existenzial Infinitiv

    LOK NEG NOMINAL OBLIG PL RED

    Lokativ Negation Nominalisierer Obligation Plural Reduplikation

    Über die Wortmacherei INK INTENS IRR LINKER

    Inklusiv Intensivierer Irrealis Linker-Partikel

    45 RFOK SG VERBAL

    Referentialfokus Singular Verbalisierer

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    Thomas Stolz

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    Über die Wortmacherei

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    SUSANNE HACKMACK (BREMEN)

    Die Subjektpräfixe des Swahili in kolonialzeitlichen Sprachbeschreibungen

    Abstract The question whether the subject prefixes in Swahili verb morphology have the status of pronouns (in the widest sense), agreement markers (in the widest sense) or both – depending on the syntactic context, i.e. the absence or occurrence of a co-nominal – is a controversial topic in modern linguistics. After a brief introduction, the article traces this discussion back to some early works on Swahili published during colonial times. It is shown that these works foreshadow certain aspects of present-day analyses but it is also shown that the comparison of different approaches (modern vs. colonial times as well as alternative modern approaches) is hampered by the fact that the constructs and terms used are very much tied to their respective linguistic framework.

    1. Einleitung In ihrem 2009 erschienenen Artikel Zum deutschen Blick auf grammatische Eigenschaften von Kolonialsprachen untersucht Mathilde Hennig eine Reihe von Grammatiken, die zur Zeit der deutschen Kolonien in Afrika für indigene Sprachen in diesen Kolonien erstellt wurden und untersucht dabei die Frage, inwieweit sich diese Grammatiken durch eine “deutsche Perspektive” auf die jeweils zu beschreibende Sprache auszeichnen. Sie kommt aufgrund der gesichteten Materialien zu dem Schluss, dass die fraglichen Grammatiken sich als “stark deutsch-perspektivisch” darstellen und die darin verwendeten Kategorien nicht immer als geeignet betrachtet werden können, um die grammatischen Eigenschaften der Zielsprache zu beschreiben (Hennig 2009: 139). In diesem Beitrag soll diese Ansicht anhand der kolonialzeitlichen Darstellung eines strukturellen Kontrastes zwischen Deutsch und Swahili diskutiert und dabei präzisiert werden, aus welchen Bestandteilen sich eine solche “deutsche Perspektive” konstituiert. Weiterhin soll gezeigt werden, dass die zur Kolonialzeit beobachteten Phänomene bis heute Diskussionsstoff für die Sprachwissenschaft liefern. Dabei wird auch die Frage gestellt, inwieweit die kolonialzeitliche Behandlung dieser Phänomene mit der aktuellen Diskussion in Beziehung gesetzt werden kann.

    Susanne Hackmack

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    2. Ein struktureller Kontrast Strukturell betrachtet kontrastiert das Swahili in einer Vielzahl von Eigenschaften, die für Bantusprachen typisch sind, mit dem Deutschen. Es liegen Unterschiede im Bereich des Genus- bzw. Nominalklassensystems vor; hinsichtlich der agglutinierenden Verbmorphologie und der An- bzw. Abwesenheit von morphologischen Kasus; der Vergleichbarkeit der jeweiligen Tempus- bzw. Aspektformen usw. All diese Phänomene stellen bei der Behandlung der zur Kolonialzeit für das Swahili verfassten Grammatiken interessante Gegenstandsbereiche dar, da die allgemeine Frage danach, wie diese vermeintlich fremdartigen Eigenschaften mit der zur damaligen Zeit gängigen Terminologie erfasst wurden, bei ihnen besonders ertragreich erforscht werden kann. Ein recht augenfälliger Kontrast zwischen Deutsch und Swahili besteht nun darin, dass es sich – um es mit heutiger Terminologie auszudrücken – beim Swahili um eine pro-drop-Sprache1 handelt, beim Deutschen dagegen nicht. Entsprechend könnten die Übersetzungen der Sätze {ich weine, wir weinen}, {du weinst, ihr weint}, {er weint, sie weinen} im Swahili die folgenden Formen aufweisen:2 (1)

    ni-na-lia 1SG-‘PRÄS’-weinen

    tu-na-lia 1PL-‘PRÄS’-weinen

    (2)

    u-na-lia 2SG-‘PRÄS’-weinen

    m-na-lia 2PL-‘PRÄS’-weinen

    (3)

    a-na-lia 3SG-‘PRÄS’-weinen

    wa-na-lia 3PL-‘PRÄS’-weinen

    In diesen Beispielen taucht, anders als im Deutschen, kein eigenständiges Subjektspronomen auf. Stattdessen ist das Verb mit verschiedenen Präfixen (ni-, tu-, u-, m-, a-, wa-) versehen, die – um es neutral auszudrücken – Information über Person und Numerus des Subjektes kodieren. Diese Art Präfix wird im Fortlaufenden als ‘Subjektpräfix’ bezeichnet. Ein vieldiskutiertes Thema in der modernen Sprachwissenschaft behandelt den genauen Status derartiger Subjektpräfixe. Vereinfacht ausgedrückt stellen sich in dieser Diskussion die folgenden Fragen: a. Handelt es sich um Entsprechungen der Personalendungen -e, -st und -t etc. des Deutschen und also im Wesentlichen um Kongruenzmarkierungen? Wird diese Annahme verfolgt, stellt sich die Frage, durch welches Element diese Markierungen kontrolliert werden, ist doch ein overtes Co-Nominal nicht vorhanden. Entsprechend 1 2

    Siehe zu dieser Bezeichnung Abschnitt 5. Die Glosse ‘PRÄS’ ist in Anführungszeichen gesetzt, weil zwischen deutschem Präsens und swahilischem na- kein 1-zu-1 Abbildungsverhältnis besteht (vgl. Welmers 1973: 344ff. oder Mohammed 2004: 122–123).

    Die Subjektpräfixe des Swahili

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    arbeiten einige Modelle mit coverten Nominalen, beispielsweise der leeren Kategorien ‘pro’. b. Handelt es sich um Entsprechungen der Wörter ich, du, er etc. des Deutschen, und also – im weitesten Sinne – um Pronomina? Danach ist zwischen gebundenen und freien Pronomina zu unterscheiden, wobei sich die Frage stellt, wie auf diese Weise Ausdrücke zu analysieren sind, in denen sowohl ein freies als auch ein gebundenes referenzidentisches Pronomen vertreten ist (wie z.B. in [5–7] weiter unten). c. Können Subjektpräfixe überhaupt klar und eindeutig Kategorien wie ‘Kongruenzmarkierung’ bzw. ‘Pronomen’ zugeordnet werden, oder können sie, beispielsweise kontextbedingt, entweder in die eine oder in die andere Klasse fallen bzw. auch beide Kategorien in sich vereinen? Verschiedene Autoren kommen hinsichtlich dieser Fragen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Für eine kurze Diskussion verschiedener Standpunkte (und eine mögliche Richtung, das Phänomen in den Griff zu bekommen), siehe Corbett (2006: 99–113). Erschwert ist die Vergleichbarkeit der jeweiligen Ansichten u.a. dadurch, dass die getroffenen Aussagen nicht immer im Rahmen des gleichen Grammatikmodelles erfolgen. Siehe dazu auch Abschnitt 5. Eine weit verbreitete Annahme (vgl. Siewierska 1999) läuft aber letztendlich auf die in Punkt (c) dargestellte Einschätzung hinaus, nach der Präfixe wie ni-, u-, a- etc. eine Art Mischform aus Kongruenzmarkierung und pronominalem Element darstellen können bzw. in Abhängigkeit vom syntaktischen Kontext einerseits pronominal, andererseits als Kongruenzmarker zu interpretieren wären. Ein vielzitierter Ursprung dieser Ansicht findet sich in den auf der LFG basierenden Arbeit von Bresnan & Mchombo, die über Subjektpräfixe im Chichewa (ebenfalls eine Bantusprache mit einer dem Swahili vergleichbaren Verbmorphologie) folgendes schreiben: The SM (=subject marker, hier Subjektpräfix)S.H. is ambiguously used for grammatical and anaphoric agreement. From the uniqueness and completeness conditions of LFG, it follows that the 3rd person pronominal interpretation of SM will arise when and only when there is no subject NP in the phrase structure. (Bresnan & Mchombo 1987: 745) Knapp zusammengefasst wird hier und in ähnlichen Arbeiten ausgesagt, dass die Präfixe auf zweierlei Weise fungieren: einerseits – wenn ein Co-Nominal im Satz vertreten ist – handelt es sich um Kongruenzmarkierungen, andererseits – wenn kein Co-Nominal im Satz vertreten ist – um Pronomina im weitesten Sinne. Die beiden Restriktionen uniqueness und completeness beziehen sich auf die F-Strukturen der LFG und regeln – verkürzt ausgedrückt – das Verhältnis zwischen Valenzmerkmalen aus dem Lexikon und eben diesen Strukturen, hier konkret die 1-zu-1 Abbildung von Argumenten im Lexikon auf Funktionsslots in der Struktur. Mit Bezug auf die Frage pronominales Ele-

    Susanne Hackmack

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    ment vs. Personalendung kann aus dem o.a. Zitat die Annahme abgeleitet werden, dass nur Elemente mit ‘pronominaler Interpretation’ Argumentstatus haben, und dieser Punkt ist ein zentrales Unterscheidungskriterium, das im Übrigen auch in Abbildung (2) weiter unten einen Reflex findet. Auch im World atlas of language structures (fortan WALS, Dryer & Haspelmath 2011) finden sich Hinweise darauf, dass eine solche Kategorisierung zugrunde gelegt ist. Dort dienen die Subjektpräfixe einerseits – bei Merkmal 102 Verbal Person Marking – als Beleg dafür, dass das Subjekt im Swahili mit dem Verb kongruieren muss (wonach es sich bei den Subjektpräfixen um Kongruenzmarkierungen handelt). Andererseits werden die Subjektpräfixe bei Merkmal 101 Expression of Pronominal Subjects verwendet, um zu belegen, dass Swahili zu denjenigen Sprachen gehört, in denen “Pronominal subjects are expressed by affixes on verbs”, was also eine pronominale Interpretation der Subjektpräfixe nahelegt. Wenn die Angaben im WALS für das Swahili und das Deutsche miteinander verglichen werden, kann daraus das folgende Abbildungsverhältnis in den beiden Sprachen abgeleitet werden: FUNKTION

    [Personmarkierung an V] Deutsch

    Verbalsuffix[PERS NUM]

    [Pronominales Subjekt] Personalpronomen REALISIERUNG

    Swahili

    Subjektpräfix

    Abbildung 1:Bezüge zwischen dt. Verbalsuffix/Personalpronomen und sw. Subjektpräfix

    3. Subjektpräfix vs. Personalpronomen Auf den ersten Blick erscheint diese Darstellung, genauer gesagt die Abbildung von swahilischem Subjektpräfix auf das deutsche Personalpronomen, etwas gewagt: die formalen Unterschiede zwischen diesen beiden Konzepten, von denen hier nur eine kleine Auswahl vorgestellt wird, sind doch recht groß. Einige zentrale Eigenschaften deutscher Personalpronomina lassen sich in den folgenden drei Punkten zusammenfassen (vgl. Eisenberg 1989: 185ff., Zifonun et al. 1997: 23ff.): a. Sie stehen in paradigmatischer Relation zu nicht-pronominalen DP und verhalten sich syntaktisch betrachtet wie diese. b. Sie können nicht adjazent zu ihrem Antezedens auftreten. c. Sie dienen dazu, Referenz zu stiften und können entsprechend für textgrammatische Zwecke bzw. zur satzübergreifenden Etablierung lexikalischer Kohäsion verwendet werden.

    Die Subjektpräfixe des Swahili

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    Was die swahilischen Subjektpräfixe betrifft, so sind die ersten beiden dieser Eigenschaften nicht auszumachen. DP und Subjektpräfix stehen nicht in paradigmatischer Relation, d.h. sie sind nicht füreinander substituierbar, denn auch in den Fällen (von wenigen Ausnahmen abgesehen), in denen das Subjekt als unabhängige DP erscheint, muss das Subjektpräfix verwendet werden: [...] it should be noted here that in almost all constructions, the presence of the subject prefix is always obligatory. (Mohammed 2004: 58) Folglich ist es im Swahili normal, dass das Subjektpräfix und sein Antezedens adjazent erscheinen: (4)

    mtoto analia m-toto a-na-lia KL1-Kind KL1-‘PRÄS’-weinen ‘Das/ein Kind weint’

    Ein weiterer Aspekt, der hier angemerkt werden kann, ist, dass das Swahili neben den Subjektpräfixen auch durchaus über eine eigenständige lexikalische Kategorie ‘Personalpronomen’ verfügt (mimi ‘ich’, wewe ‘du’ etc.), die in der Literatur als “independent pronoun” (Mohammed 2004: 108) oder als “self-standing pronoun” (Ashton 1947: 42) oder als “eigentliches, allein stehendes Personalpronomen” (Wandeler 2008: 186) bezeichnet wird. Diese Formen finden beispielsweise in folgenden Kontexten Anwendung (vgl. Wandeler 2008: 186): • bei Verbformen, die kein Subjektpräfix annehmen. Dieses trifft z.B. zu auf die kopulaartige Form ni im Präsens, vgl. mimi ni mwalimu ‘ich bin Lehrer’, yeye ni mkenya ‘er ist Kenianer’ • in Antwortellipsen, vgl. Nani yuko? Mimi. ‘Who is there? I.’ (Ashton 1947: 44). Allerdings treten diese Formen auch durchaus gemeinsam mit den Subjektpräfixen auf, vgl. die folgenden Beispiele von M. A. Mohammed (Mohammed 2004: 108): (5)

    Mimi nitaendesha gari ‘I will drive the car’

    (6)

    Yeye anacheza mpira sasa ‘He is playing soccer now’

    (7)

    Wao waliimba vizuri jana ‘They sang well yesterday’

    Über diese freien Pronomina sagt Ashton folgendes aus: They may also be used with either the Subject or Object Prefix to give emphasis. [...] Subj.

    Mimi nimekwisha ‘As for me, I have finished’ Yeye asema... ‘He himself says...’ (Ashton 1947: 44)

    Susanne Hackmack

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    Auch andere Autoren, z.B. Wandeler (2008: 186) oder Russell (2003: 323), verweisen auf die emphatische Funktion der selbständigen Personalpronomina im Swahili. Etwas anders sieht es aus bei Mohammed der eine Erläuterung liefert, in der kein Verweis auf eine besondere emphatische Funktion der Konstruktion erfolgt: Pronouns have often been described as closed sets of items which can be used to replace or substitute nouns or noun phrases. Look at the example below: Kariuki ameenda sinema. ‘Kariuki has gone to the cinema’. It is grammatically correct to expand the above sentence by saying Yeye atakuja hapa baadaye (‘He will come here afterwards’). This construction is more acceptable than repeating the noun Kariuki in place of the word yeye (he). Thus, yeye is a pronoun since it is replacing the noun Kariuki in the expanded sentence. (Mohammed 2004: 108) Interessant ist der Umstand, dass Mohammeds Beispiel eine Verwendung des selbständigen Pronomens aufführt, die die weiter oben angesprochene Funktion der Stiftung satzübergreifender Kohäsion illustriert, d.h. es findet pronominale Wiederaufnahme über die Satzgrenze hinweg statt. Wenn die Verwendung des freien Pronomens stets markiert ist (wie aus Wandeler, Ashton, Russel und anderen Autoren abzuleiten wäre), bestünde hinsichtlich des Beispiels aus Mohammed ein Unterschied zum Deutschen, insofern in vergleichbaren Übersetzungen das wiederaufnehmende Pronomen nicht emphatisch hervorgehoben werden kann, weder durch die Betonung noch durch andere Mittel: (8)

    Kariuiki ist ins Kino gegangen. *'Er/*(Was ihn betrifft, er) kommt anschließend hierher.

    Mit Bezug auf diese und weitere Unterschiede (beispielsweise die Stellungsfreiheit deutscher Personalpronomina im Vergleich zur rigiden Position der Subjektpräfixe in der swahilischen Verbmorphologie betreffend) stellt sich die Frage, worauf sich die Zuweisung der Merkmalswerte für die Merkmale 101 und 102 im WALS bezieht. Diese Frage wiederum führt zum eigentlichen Gegenstand dieses Textes, nämlich der kolonialzeitlichen Behandlung ‘fremdartiger’ Spracheigenschaften. Als Quelle, die für die Beschreibung des Swahili mit Bezug auf die Merkmale 101 und 102 verwendet wird, zitiert der WALS nämlich die Swahili Grammar von E. O. Ashton (Ashton 1947).3 Wie der nachstehende Abschnitt zeigt, kann diese Grammatik durchaus unter dem Oberbegriff ‘Kolonialgrammatik’ geführt werden. 3

    Ashtons Grammatik dient nicht nur für Merkmale 101 und 102 als Belegquelle, sondern darüber hinaus für weitere 71 Merkmale. Es ist, nebenbei bemerkt, interessant, dass der WALS den vollständigen Namen als ‘Eric Ormerod Ashton’ angibt, tatsächlich stehen die Initialen aber für ‘Ethel Ostell’ (vgl. Jungraithmayr & Möhlig 1983: 35).

    Die Subjektpräfixe des Swahili

    55

    4. Die Beschreibung der Subjektpräfixe zur Kolonialzeit Bezüglich der Frage ‘Subjektpräfix, Pronomen oder Kongruenzmarker?’ scheinen die Angaben von Ashton ausgesprochen aktuell zu sein. Einerseits wird in Kapitel 4, Noun Classes and Concordial Prefixes, die folgende Aussage getroffen: Each noun has two sets of Concords. (i) Pronominal Concords (P.C.). These are used with pronominal roots [...] and with the -A of Relationship. Except in the Living Class they also function as the subject and object prefixes of the verb. (Ashton 1947: 10) Hier ist zu berücksichtigen, dass das Swahili über ein ausgebautes System von Substantivklassen verfügt, die sich im Wesentlichen über die möglichen Muster von Substantivpräfix(en) plus Kongruenzpräfixe(n) identifizieren lassen. So ist beispielsweise Klasse 3 durch die Präfixe m- (für Substantive und Adjektive) und u- (für Demonstrativpronomina und Verben) charakterisiert: (9)

    mti mkubwa ule ulianguka m-ti m-kubwa u-le u-li-anguka KL3-Baum KL3-groß KL3-jener KL3-PRÄT-umfallen ‘Jener große Baum fiel um’

    In diesem Abschnitt verwendet Ashton den Beispielsatz (10)

    mti ule umekufa ‘That tree is dead’

    und sagt bezüglich des Subjektpräfixes u- am Verb folgendes aus: P.C. u functions as subject prefix to verb, -mekufa (is dead), and brings it into concordial relationship with m-ti. (Asthon 1947: 11) Danach zählt in dieser Darstellung das Subjektpräfix hier als Kongruenzmarker.4 Andererseits stellt Ashton in Kapitel 9 unter der Überschrift Pronouns das folgende Paradigma vor (Ashton 1947: 42), aus dem die Kategorisierung der Subjektpräfixe als Pronomina abzuleiten ist (hier nur ein Auszug für den Singular): Subject Prefix niI uyou (thou) ahe, she

    4

    Object Prefix -ni- me -ku- you (thee) -m- him, her

    Self-standing Pronoun mimi I, me wewe you yeye he, she, him, her

    Es ist auffällig, dass der WALS als Referenz für das Swahili bei Merkmal 102 (Verbal Person Marking) nicht diesen Abschnitt als Quelle erwähnt, sondern sowohl für 102 als auch für 101 ausschließlich Ashtons Ausführungen über die Pronomina bemüht.

    56

    Susanne Hackmack

    Mit dieser Analyse steht Ashton ganz in der Tradition ihrer Zeit und gibt im Grunde genau das wieder, was als eine der zur Kolonialzeit gängigen Ansichten über das Swahili gelten kann. Ashton, 1874 geboren, durchlief eine Missionars- und Lehrerausbildung und ging 1902 nach Kenia, wo sie in Mombasa in der Lehrerausbildung und der Schulaufsicht tätig war. Während dieser Zeit erwarb sie vertiefte Kenntnisse des Swahili, die sie ab 1930 an der School of African and Oriental Studies in London an zahlreiche Schüler vermittelte. 1944 erschien dann die Swahili-Grammatik, die sich zu einem der zentralen Lehrwerke der Afrikanistik entwickelte und bis dato rezipiert wird. Ashtons Leistung kann wie folgt beschrieben werden: Über ihre Schüler – man nimmt an, daß es zwischen 300 und 400 Personen sind – und ihre immer noch aktuellen Werke ist ihr Einfluß in der Afrikanistik, insbesondere in der Bantuistik, nach wie vor sehr groß. (Jungraithmayer & Möhlig 1983: 35). Zeitlich betrachtet fällt Ashtons Wirken also in die zur Kolonialzeit und darüber hinaus geltende sprachwissenschaftliche Lehre. Entsprechend finden sich in ihrer Bibliographie auch die Namen bekannter Koloniallinguisten, die zum Swahili gearbeitet haben – neben angelsächsischen Autoren wie Edward Steere (Steere 1919), Alice Werner (Werner 1919) und Mrs F. Burt (Burt 1917) beispielsweise auch Carl Meinhof. Diese und zahlreiche weitere Autoren vertraten die gleiche Auffassung hinsichtlich des Status der Subjektpräfixe, insofern diese einerseits als ‘Konkordanzmarkierung’, andererseits aber stets als Personalpronomina repräsentiert werden. Edward Steere schreibt im Abschnitt über Personalpronomina beispielsweise , dass “the personal pronouns are generally represented by a prefix attached to the verb” und sowohl Alice Werner als auch Mrs. F. Burt verwenden den Begriff “Inseparable Pronoun” im Zusammenhang mit den Subjektpräfixen. In gleicher Weise finden sich in den Arbeiten deutscher Koloniallinguisten zahlreiche Belege für diese Analyse, beispielsweise bei Hugo Raddatz (Raddatz 1900: 19) oder Carl Velten (Velten 1904: 23–24), und auch der von Ashton zitierte Carl Meinhof – seinerseits eine zentrale Figur der Afrikanistik im 20. Jahrhundert – kann als ein Vertreter dieser Richtung genannt werden. Dieses zeigt sich sowohl in seinen an ein eher fachwissenschaftliches Publikum gerichteten Schriften (hier insbesondere die ausgesprochen einflussreichen Arbeiten Grundriß einer Lautlehre der Bantusprachen (Meinhof 1910) und Grundzüge einer vergleichenden Grammatik der Bantusprachen (Meinhof 1906) wie auch in den primär für Lehrzwecke erstellten kleineren Grammatiken, zu denen Die Sprache der Suaheli in Deutsch-Ostafrika (Meinhof 1941) gezählt werden kann. An diesem Lehrbüchlein sind zwei Punkte mit Bezug auf die hier diskutierte Frage besonders interessant: zum einen die von Meinhof verwendete Schreibung der swahilischen Daten, zum anderen die von ihm für diese gelieferten Übersetzungen.

    Die Subjektpräfixe des Swahili

    57

    Zwar unterscheidet Meinhof zwischen “alleinstehenden” und “mit dem Zeitwort stehenden” Pronomina (vgl. Meinhof 1941: 9), allerdings gibt er die im Abschnitt Persönliche Fürwörter verwendeten Beispiele so wieder, dass die Präfixe als abgeschlossene Einheiten quasi wie eigenständige Wörter aussehen. Statt ninapende ‘ich liebe’ oder auch ni-na-pende trennt Meinhof konsequent ni na pende, u na pende, a na pende usw., was möglicherweise den Eindruck des Lerners unterstützt, die Präfixe hätten ähnlichen Lexemstatus wie die Pronomina in der deutschen Wiedergabe des swahilischen Satzes. Bezüglich dieser deutschen Wiedergabe finden sich u.a. die folgenden Beispiele (Meinhof 1941: 10): (11)

    (kiti) ki me anguka

    (der Stuhl) er ist gefallen.

    (12)

    (mti) u me anguka

    (der Baum) er ist gefallen.

    Hierzu ist zu sagen, dass angemessene Übersetzungen von kiti kimeanguka bzw. mti umeanguka schlicht ‘Der Stuhl ist umgefallen’ bzw. ‘Der Baum ist umgefallen’ lauten. Dass es sich bei Meinhofs deutschen Formen um eine Art interlineare bzw. wortwörtliche Fassung handelt, wird nicht explizit ausgesagt. Auch im Hülfsbüchlein für den ersten Unterricht in der Suaheli=Sprache (Büttner 1891) wird durchgehend die Getrenntschreibung der einzelnen Morpheme vorgenommen (ni ta penda: ‘ich werde lieben’, u ta penda: ‘du wirst lieben’ usw.) Tatsächlich schien die Übersetzung in das Deutsche (bzw. das Englische) bei der Beschreibung und Klassifizierung der Daten aus dem Swahili in vielen Arbeiten eine gewichtige Rolle zu spielen und ein zentraler Aspekt dessen zu sein, was Hennig (2009) als “deutsche Perspektive” bezeichnet. Sehr kritisch äußert sich Assibi A. Amidu in dieser Hinsicht, der über den Satz umeanguka bzw. dessen Behandlung durch die, wie er es nennt, pioneers (der grammatischen Beschreibung) folgendes schreibt: The result of the grammatical descriptions of the pioneers is that there is, to this day, an overlap between the so-called impersonal pronoun concords and the noun class agreement pronoun concords or noun class incorporated pronoun concords in Bantu grammatical analysis. [...] It is argued that somehow the PC umeanguka translates roughly as ‘it has fallen’ into English [...] and, consequently, the affix {u} is equivalent to the English pronoun it. Because the English it is a pronoun, it is concluded that {u} is a pronoun [...] in Bantu, too. [..] Observe that the claim to the effect that {u} is an impersonal marker and a pronoun does not follow from the Bantu data in any natural way. We may, therefore, assert that, in Kiswahili, there is nothing pronominal about the SM {u} [...]. The affix {u} is simply a reflex of the agreement relationship between the subject NP and its PC in a genetic class system of Bantu. (Amidu 2006)

    58

    Susanne Hackmack

    Amidu setzt sich in diversen Werken mit dieser Art der Sprachbeschreibung durch Kolonialgrammatiker auseinander und führt dafür den Begriff der “translational grammar” (Amidu 2004) ein, worunter eine Sprachbeschreibung fällt, die in etwa in den folgenden drei Schritten verläuft: 1. Übersetzung des sprachlichen Datums der Zielsprache in die Ausgangssprache, 2. Beschreibung der Übersetzung mithilfe der für diese nach der jeweils gängigen Lehre verwendeten Terminologie, 3. Transfer dieser Terminologie auf die Einheiten des sprachlichen Datums der Zielsprache. Diese Herangehensweise an die Beschreibung des Swahili scheint in den Kolonialgrammatiken gang und gäbe zu sein, was sich nicht nur im Bereich der Wortartenklassifikation zeigt, sondern auch bei einer Vielzahl weiterer Phänomene, beispielsweise der kontinuierlichen Anwendung des Attributes ‘Kasus’ bzw. dessen Werte Nominativ, Akkusativ etc. auf das Swahili, das keinerlei Kasusdistinktionen aufweist. Dabei ist es nicht der Fall, dass den Kolonialgrammatikern die Problematik dieser Herangehensweise nicht bewusst wäre, tatsächlich wird dieser Punkt problematisiert und insbesondere in Arbeiten, die zu Lehrzwecken dienen, damit begründet, dass eine Sprachbeschreibung ohne Rekurs auf Begrifflichkeit und Organisation der Schulgrammatik die Lerner möglicherweise überfordern würde. So gibt der weiter oben zitierte Büttner in seiner Einleitung Folgendes zu bedenken: Damit sich der Lernende leichter in die Formen hineinfinden kann, sind in den Beispielen zu den Regeln die einzelnen Bildungssilben voneinander getrennt gedruckt, und ebenso ist in den Verbalformen der Uebungen zwischen dem Stamm des Zeitwortes und den Vorsilben derselben ein kleiner Zwischenraum gelassen. Es ist aber zu beachten, daß beim Lesen und Sprechen an diesen Stellen nicht abzusetzen ist, sondern es müssen hier und womöglich überall, wo keine Interpunction zu setzen ist, die Wörter in einem Atem gesprochen werden. (Büttner 1891: IV) Edward Steere (Steere 1887: 2) begründet seine Entscheidung, die Nominalklassen des Swahili paarweise für Singular- und Pluralformen zu gruppieren, wie folgt: [...] I think that for practical purposes such a classification should be used as will enable the learner who sees or hears the noun in the singular at once to put into the plural. Auch bei Sprachwissenschaftlern, die zur Kolonialzeit zu anderen afrikanischen Sprachen gearbeitet haben, finden sich ähnliche Erläuterungen. Diedrich Westermann – ebenfalls ein zentraler Name der Afrikanistik – gibt in seiner Ewe-Grammatik beispielsweise folgendes zu bedenken:

    Die Subjektpräfixe des Swahili

    59

    Hieraus geht hervor, daß vieles von dem, was im folgenden unter “Formenlehre” behandelt wird, genau genommen in die Wortbildungslehre oder Syntax gehörte; wir führen es aber hier vor, um dem Anfänger einen Überblick über die Wortarten und ihre Anwendungen in der Anordnung zu geben, die dem Europäer gewohnt ist. (Westermann 1907: 47) Über die Schwierigkeiten, im Ewe zwischen Wörtern und nicht-Wörtern zu differenzieren, schreibt Meinhof im Zusammenhang mit der Konjugation Folgendes: Auch die sogenannte Konjugation besteht ja nur aus der Zusammenfügung solcher selbständigen Wurzeln. [...] Diese Zusammenstellungen, die uns als 'Worte' erscheinen und in den bisherigen Wörterbüchern auch als solche aufgeführt sind, werden aber von dem Ewemann tatsächlich nicht als Worte, sondern als Wurzelgruppen empfunden. [...] Man darf hier grundsätzlich nicht Worte, sondern nur Wurzeln vergleichen. Nur so kann man zum Ziel kommen. Daß das schwer ist, liegt auf der Hand. (Meinhof 1905: 79–80) Die zugrundeliegende Problematik wurde auch im Kontext der Sprachbeschreibungen des Swahili diskutiert, so zum Beispiel in Die syntaktischen Verhältnisse des Suaheli von Wilhelm Planert, in der dieser eine ganz klare Aussage trifft, die man ohne Probleme in Diskussionen der modernen Sprachwissenschaft wiederfinden könnte: Der echte Praktiker philosophiert bekanntlich so: ni = ich, penda = lieben, nikipenda = wenn ich liebe, mithin ki = wenn; alifika: er kam an, alipofika: als er ankam, folglich po = als; mlango = Tür, mlangoni = an der Tür, demnach ni = an […] Die Grammatik einer primitiven Sprache solange mit unseren Kategorien zu bearbeiten, bis sie in die Zwangskleidung indogermanischer Denkweise hineinpaßt, heißt: alle ihre interessanten Züge verdecken und sie überflüssig machen. (Planert 1907: III) 5 Hier ist zu sehen, dass die von Amidu (2006) kritisierte, auf den ersten Blick etwas naiv erscheinende Herangehensweise an die fremdsprachlichen Daten bereits zur Kolonialzeit also solche erkannt und diskutiert wurde und dass also durchaus ein Bewusstsein bestand darüber, welche Probleme die Übertragung der tradierten Terminologie und Kategorien auf die ‘exotischen’ Sprachen bei deren Beschreibung in sich bergen kann. Dass andersherum betrachtet die Analyse dieser Sprachen für die gängige Lehre und Terminologie der (germanistisch- indoeuropäischen) Tradition ebenfalls ein Problem darstellt und Konsequenzen nach sich zieht, hat Meinhof auch erkannt, was aus dem nachstehenden Zitat abzuleiten ist: 5

    In diesem Zitat lässt sich ein weiterer, interessanter Aspekt ausmachen, der das Verhältnis betrifft zwischen den von Planert als ‘Praktikern’ bezeichneten Sprachwissenschaftlern einerseits und anderen, d.h. theoretisch vorgebildeten bzw. arbeitenden Sprachwissenschaftlern andererseits. Auf dieses Verhältnis, das zur Kolonialzeit nicht durchgängig harmonisch war, wird in diesem Text aber nicht eingegangen.

    Susanne Hackmack

    60

    [...] the study of these languages upsets our whole grammatical theory, built up, as it is in the main, on Latin grammar, and forces us to disregard, once and for all, the recognised forms and look at the facts alone for the psychological laws of human speech. (Meinhof 1915: 9–10) Um nun auf die Frage nach dem Status der Subjektpräfixe zur Kolonialzeit zurückzukommen, so überrascht es nach diesen Ausführungen und angesichts der in Abschnitt 3 dargestellten Kontraste nicht, dass deren Analyse als Pronomina schon zur damaligen Zeit nicht immer durchgängig anzutreffen ist. So scheint beispielsweise Ludwig Krapf eine andere Position einzunehmen: In seinem Dictionary of the Suahili language (Krapf 1882) erwähnt er im 1. Teil (An outline of Suahili grammar) im Abschnitt über Pronomina ausschließlich die freien Pronomina des Swahili; im Wörterbuch selber findet sich z.B. für ni- keinerlei Verweis darauf, dass dieses mit dem englischen I zu übersetzen wäre. Andere Autoren wiederum zeigen gewisse Inkonsistenzen bei der Behandlung der Subjektpräfixe. Carl Velten führt die Präfixe ni-, tu-, u- usw. zwar im Abschnitt über Pronomina auf (Velten 1904: 24); im kleinen Wörterverzeichnis Deutsch-Swahili am Ende der Grammatik finden sich für ich, du, er/sie/es wiederum nur die freien Formen mimi, wewe, yeye. Auch A. C. Madan, den Ashton ebenfalls zitiert, ist nicht ganz einheitlich: im Englisch-Swahili-Teil seines Wörterbuches findet sich für das Pronomen der ersten Person Singular der folgende Eintrag (Madan 1903 s.v. ‘I’): I, pron. mimi, mwenyewe, nafsi, yangu; (in comp.) ni-, naIn Abschnitt Swahili-Englisch dagegen bezeichnet er das ni- als “formative prefix” (Madan 1903 s.v. ‘ni-’) und stellt nur indirekt (per Übersetzung mit I bzw. me) den Bezug zu den Pronomina her. C.M. Doke hingegen ist in seiner Auffassung ganz klar. Im Zusammenhang mit den hier diskutierten Präfixen spricht er durchgehend von “subjectival” bzw. “objectival concord” und vertritt an zwei Stellen explizit, dass diese Formen nicht mit Pronomina gleichgesetzt werden sollten: The subjectival concord, which must not be regarded as a pronoun, is also susceptible to change [...] (Doke 1937: 324) Pronouns must not be confused with verbal concords, whether subjectival or objectival. (Doke 1937: 321) An diesen Aussagen wird deutlich, dass das Phänomen ‘Subjektpräfix im Swahili’, das die in Abschnitt 3 erwähnte, aktuelle Diskussion auslöst, bereits zur Kolonialzeit Gegenstand linguistischer Uneinheitlichkeit gewesen ist.

    Die Subjektpräfixe des Swahili

    61

    5. Kolonialzeitliche vs. moderne linguistische Debatten um die Subjektpräfixe Es wäre allerdings wenig seriös, den Eindruck, den die Lektüre der Kolonialgrammatiken bezüglich der Subjektpräfixe im Swahili hinterlässt, in einen allzu direkten Bezug zu der heutigen Debatte um den Status dieser Präfixe zu setzen. Was die moderne Diskussion betrifft, ist zu berücksichtigen, dass es sich bei Begriffen wie ‘Pronomen’ um stark theoriegebundene Konzepte handelt, die einerseits nur schwerlich auf die eher vorwissenschaftliche Verwendung derselben Begriffe zur Kolonialzeit abbildbar sind; bei denen sich aber andererseits auch die Frage stellt, wie kommensurabel sie untereinander eigentlich sind. Diese Theoriegebundenheit wird beispielsweise deutlich im Rahmen desjenigen Ansatzes, dem der Sprachtyp pro-drop seinen Namen verdankt, sprich der Rektions- und Bindungstheorie, einer der Modellvarianten der generativen Grammatik chomskyscher Prägung, in dem dieser Begriff fest in das gesamte Modell bzw. seiner einzelnen Module integriert ist. Über den pro-drop-Parameter wurde versucht, sprachspezifische Unterschiede hinsichtlich der Fakultativität eines overt ausgedrückten Subjektpronomens auf ein gemeinsames Prinzip zurückzuführen. Ohne nähere Kenntnis der diversen Komponenten des Modells (seien es funktionale Kategorie wie INFL, sei es die Unterscheidung zwischen pro und PRO, sei es der zentrale Unterschied zwischen D- und S-Struktur, seien es insbesondere die im Rahmen der Bindungstheorie formulierten Aussagen und viele weitere, vgl. Haegemann 1994: 454) ist das Konstrukt ‘Pronomen’ nicht wirklich einzuordnen. Der pro-drop Parameter selber ist möglicherweise nur dann nachzuvollziehen, wenn die diesem Parameter zuvorgehende(?) Darstellung von Sätzen mit Pronomina per Pronominalisierungstransformation, sprich wenn die Entwicklung von einem regelbasierten zu einem constraint-basierten Modell bekannt ist.6 Was die Vergleichbarkeit einstiger und heutiger Ansätze betrifft, soll die nachstehende Gegenüberstellung zum Konstrukt ‘Pronomen’ diesen Punkt plastisch illustrieren. Beispiel 1 entstammt dem Leitfaden für den ersten Unterricht in der deutschen Sprachlehre von Karl Ferdinand Becker, einem im 19. Jahrhundert ausgesprochen populären Werk, das in zahlreichen Auflagen erschien. Beispiel 2 ist dem Aufsatz The emergence of the unmarked pronoun der weiter oben bereits erwähnten Joan Bresnan entnommen. Beispiel 3 stellt die Repräsentation eines Satzes mit zwei Personalpronomina dar, wie sie im Rahmen der klassischen Kategorialgrammatik vorgenommen würde; das Exzerpt ist aus Categorial grammars von Mary McGee Wood zitiert. Becker

    6

    Allerdings hat sich die Bezeichnung ‘pro-drop’ auch über die Grenzen dieses Modells hinaus und in Arbeiten, die beispielsweise einen Oberflächenansatz verfolgen, als Begriff für Konstruktionen etabliert, in denen ein pronominales Subjekt unausgedrückt bleiben kann. Für einen kritischen Kommentar zu dieser Nomenklatur siehe Dryer (2011).

    Susanne Hackmack

    62

    repräsentiert das, was weiter oben als ‘vorwissenschaftliche Verwendung’ bezeichnet wurde; Bresnan und McGee Wood jeweils eine moderne, theoriegebundene Form: Beispiel 1: §30. Personenwörter Diejenigen Fürwörter, welche ein Ding selbst dadurch bezeichnen, daß sie ausdrücken, ob das Ding die sprechende Person, oder die angesprochene Person, oder eine besprochene Person oder Sache ist, werden Personenwörter genannt. Wir unterscheiden a. das Personenwort erster Person: ich, b. das Personenwort zweiter Person: du, c. das Personenwort dritter Person, durch welches zugleich das Geschlecht unterschieden wird: er, sie, es. (Becker 1833: 33) Beispiel 2: TOP

    # PRO " ! AGR

    PRO TOP $! $ AGR PRO



    Figure 5.1: Representation of pronominal content by feature structures Personal pronouns can be represented independently of their forms of expression by using feature structures based on these properties, as illustrated in part by Figure 5.1. The leftmost feature structure in figure 5.1 specifies a pronominal that is specialized for topic anaphoricity and is also classified for person, number, or gender. The rightmost feature structure specifies a specialized topic-anaphoric pronominal that lacks any agreement classifications. (Bresnan 2001: 116) Beispiel 3:7

    he

    likes

    him

    s/(n\s)

    n\s/n >C

    (s/n)\s

    s/n

    s

    ‘human being’, so that Nso became Banso (Emonts 1922). The name refers to an area, a town, a tribe and a language.

    Bibundi

    This is an important German post office (Postanstalt).

    Bimbia

    The first Christian mission to arrive in Cameroon was the English Baptist mission at the coast of Bimbia, after having been forced to leave Fernando Po, one of the West African centres of missionary activity. Hereupon the missionary Alfred Saker founded Victoria and developed an educational and religious training centre there (Booth 1995). The town of Bimbia is situated in the coastal area of the same name, around Bimbia estuary (Ethnologue 2005). Bimbia is also listed as a language with the alternative names Isu, Subu, Isubu, related to Duala.

    Boa

    It is a place where the Ambasbai company was based. In Duala boá means ‘being ill, suffer’.

    Bonabedi

    In Duala bona means ‘family, clan’, thus Bonabedi means ‘the members of the family of Bedi’. It is also an urban district of Duala. (Helmlinger 1972).

    Bonabela

    This is an alternative/Duala name for Didostadt ‘Dido town’.

    Bonaberi

    This is an alternative/Duala name for Hickory (for more information see Akwastadt).

    Bonaku

    This is an alternative/Duala name for Akwastadt.

    Bonamusada

    This means ‘farmers’ village’, from Duala musada ‘countryman’.

    Bondjongo

    The name is derived from Duala longó ‘lance’; it is a military naval port (Steiner 1912: 28).

    Exploration of Deutsch-Kamerun

    113

    Buëa

    This town on the slopes of Kamerunberg had become the German Colonial Capital, after Kamerunstadt/Duala had to be given up due to the humid climate and the resulting high death rate of Germans in the Duala area. There is also a famous school for handicraft.

    Campo

    Campo is a town and a reservation area close to the border of Equatorial Guinea.

    Cap Nachtigall mit Bismarckturm

    ‘Cape Nachtigall with Bismarck tower’. This location was named in honour of the German chancellor Bismarck and the consul Nachtigall who had conducted trade agreements with the Duala chiefs, kings Akwa and Bell, and had set the country under German ‘protection’ (see also Akwastadt).

    Debundscha

    This is a landing place of the Atlantic Ocean.

    Dschang

    This is a place in the Province ‘Ouest’ where an agricultural college was founded (Hoffmann 2007: 50) by the Germans. (see also Fontemdorf).

    Ebolowa

    This was a Regierungsstation, a colonial Government Station and is today the capital of Cameroon’s South Province. Weiler (1958: 34) concludes that ebolowa means ‘rotten chimpanzee’ in Ewondo. He calls the language ‘Jaunde’, as it is spoken in the city of Jaunde/Yaoundé.

    Edea (Idia)

    It is a place of German administration, comprising the area of the river Sanaga with Lobetal Lobe valley’, Marienberg ‘Mt. Mary’ (see mission stations) and Malimba/Malemba.

    Einsiedeln

    ‘Hermitage’. This is a Mission Station of the Priests of the Sacred Heart.

    Elefantensee

    ‘Elephant lake’. The German explorer Eugen Zintgraff founded a base there as a starting point for expeditions to the hinterland. It was called Barombistation. The indigenous name is Barombi ba Ubu ‘lake of the Barombi’13.

    Elefantenberg

    ‘Elephant mountain’. Perceiving elephants at the slopes of a mountain, it was given this name by the Germans. This mountain is situated near the coast close by Kribi.

    Engelberg

    ‘Angel mountain’. This is a Pallottine Mission.

    13

    Barombi is listed as a language of southwestern Cameroon in Ethnologue (2005: 684).

    114

    Brigitte Weber

    Fontemdorf

    ‘Fontem village’. This government station (Regierungsstation) was relocated under Emil Rausch14 to Dschang.

    Hickory

    The name is derived from the North American walnut tree hickory. This area (original Bonaberi) had been sold to the German administration (see also 3.2)

    Jaunde

    This is a town, a district, a people and a language, as being called and written by the Germans. It was a military base. The language is listed as Ewondo by Ethnologue (2005: 61), alternatively also Jaunde. Classified as Narrow Bantu

    Johann Albrechtshöhe

    ‘Johann Albrecht heights’. It is a former German government station (Regierungsstation)

    KaiserWilhelmsburg

    ‘Emperor Wilhelm castle’. It is a station founded by the botanist Zenker in honour of the German Emperor William II, in the Wute area.

    Kalabar15

    A town, a river and an area towards the Nigerian border inhabited by the Efik tribe.

    Kenyang

    This is the name for a language spoken in and around Mamfe in the South West Region of Cameroon. Before German colonization the area was called Nfortek, which means ‘village owner’. The inhabitants were the Egbe-Kaw, Nchang, BesongAbang and Bachuo. All of them were children of a hunter who first arrived in the area. It is suspected that the name of the hunter was Nfortek and he was considered to be the owner of the village since he was the first person to settle in the land. The name Mamfe was given by the Germans. One popular explanation for the origin of the name is that it was given after the German Dr. Mansfield who lived and worked in the area. An oral account rather says that when a white man asked a hunter what he was doing with some sticks, the hunter responded me fje, meaning ‘I am putting back‘. When the white man tried to repeat what the hunter had just said he instead said mamfe. The inhabitants have continued to use Mamfe to refer to their locality. It should be mentioned that the appellation Bayangi16 is very derogatory and the people hate to be

    14 15 16

    Emil Rausch was a member of the colonial army, an officer and district manager. Usually spelt ‘Calabar’ by Nigerians. Bayangi means ‘people of Yangi’ (word formation as being generalised by the Germans). The term Yangi has been downgraded today meaning ‘prostitute’.

    Exploration of Deutsch-Kamerun

    115

    called by it.They prefer to be called Bayang ‘the searchers’ or Manyang ‚‘I am replacing’. Kom

    This appellation is used to refer to the people of Fundong in the North West Region of Cameroon. The exact meaning of Kom remains unclear to the people themselves; although oral history holds that they moved from Bornu State in Nigeria with this appellation. Some suggest that Kom means ‘strong’, as reflected in how they fought and won battles while migrating from Nigeria to their present site. When the Germans arrived they attempted to impose Bikom and/or Bamekom (meaning ‘people of Kom’) but the people have resisted the new appellation, preferring to be called Kom. It is still offensive to use Bikom or Bamekom to refer to any Kom person today.

    Kribi

    In this town the Germans had established a District Council comprising the whole south of the protectorate.

    Kriegsschiffbucht

    ‘Bay of war vessels’. It is a station in a bay, situated north of the river Bimbia.

    Krokodilinsel

    Noticing allegators within the stream Rio del Rey (river of the King), the Germans called the place Krokodilinsel ‘crocodile island’.

    Kumbo

    This is a town in present-day North West province. Booth (1995: 52) indicates that a mission in Kumbo had been opened by the German Sacred Heart Fathers in 1910, then closed at the outbreak of WWI and reopened in 1923 only. In Malinga, a Bantoid language with high comprehension of Duala (Ethnologue 2005: 66), kumba = Duala umba, means ‘to hit, strike’ (Helmlinger 1972). Kumbo is the capital of an area called Banso in German documents, alternately also Nso/Nsaw.

    Lerchenberg

    In the Mabea area near the coast the singing of birds reminded of larks, so the mountain was called Lerchenberg ‘lark mountain’.

    Lobedorf

    ‘Lobe village’. It is also called Wasserfall ‘waterfall’, a village in the district of Kribi. Lobe is a river at the coast.

    Lobethal/Lobetal

    ‘Lobe valley’. There is a station of the Basel Mission with a boarding school for boys (Knabenanstalt in Lobethal) and a middle school (Mittelschule Lobethal). For the name there are three possible explanations:

    Brigitte Weber

    116

    a) In Duala Lóba means ‘God’ > ‘God’s valley‘ (DKL). b) The name was given at the request of a German couple having donated considerable financial support for the construction of a station in Cameroon (Steiner 1912: 78). c) The name goes back to the Lutheran Bible where Lobetal is the name of the place where Joschafat and his army thank God for their victory (2nd Chronicle 2026). Lolodorf

    ‘Lolo village’. This was a government- and mission station during German times and is today a region in the south province.

    Mamfe

    It is a town called after the German doctor and explorer Mansfeld (Todd, p.c.) (see also under Kenyang).

    Manns-Quelle

    ‘Mann’s fountain’. This name was given to a well in the area of Mt. Cameroon (Kamerunberg, 2400m).

    Marienberg

    ‘Mt. Mary’. This is a Pallottine Mission.

    Mbopi

    Mbopi is the name of a river between Bonaku and Bonabela, it is derived from Duala mbópi, meaning ‘river’ but also ‘pus’ (Helmlinger 1972).

    Mokpwe

    This name, alternating with Bakweri, is listed as a language in Ethnologue (2005: 68). The Bakweri live in scattered settlements in an area dominated by mount Cameroon in the South West Region. According to Kale (1939: 6), the Bakweri moved in from Congo and had temporary settlements in several places before arriving Bomboko (near Victoria, presentday Limbe). From there they finally settled in their present home and decided to call themselves Va Kpeli contracted into wakpeli or Vakweli. Vakpeli means ‘those who have fallen’. The name has its origin in an exclamation made by Mbedi (their leader) while at Baanko when he discovered that Mokule (one of the elders) had moved away at night with a fraction of his people. The exclamation Mukwei a kwedi o eyidi ‘Mokule has escaped into the bush’ gave the people their name. The Germans simply replaced Va with Ba to obtain Bakweli. In addition, the [l] has changed to [r] giving rise to the present form Bakweri. This people have continued to use Bakweri to refer to themselves and sometimes their language (normally referred to as Mokpe).

    Exploration of Deutsch-Kamerun

    117

    Molundu

    This is a district and a government station (Deutscher Kolonialkalender 1908: 67ff.).

    Möwe-See

    ‘Seagull lake’. It belongs to the area of the river Mungo.

    Mukala

    This is the name of a village in the estuary of the river Wuri meaning ‘white village’. It originates from Duala mukálá ‘white person’, ‘European’. It is also related to Efik mákára. (Helmlinger 1972).

    Mulende

    This place where oil palms grow, is derived from Duala léndé ‘palm tree’ (Helmlinger 1972).

    Nachtigall-Fluss

    ‘Nachtigall river’. In the east of Cameroon the confluence of the rivers Lom and Sanaga is called Nachtigall-Fluss in honour of the consul Nachtigall.

    Nguni

    This name is listed as a dialect in Ethnologue (2005: 70) for a language called Ngwo in the North West Province of Cameroon. Eric Anchimbe was told by his grandfather that the whites – presumably the Germans or possibly the Christian missionaries – had given their village a wrong name and the story goes as follows: When the whites arrived, they met a group of women making palm oil. They wanted to know the name of the area, but their question was either wrongly translated or was not understood at all. So the women thought the whites wanted to know what they were doing and making. So they said ‘oil’ in Ngwo, Eric’s native language, which is ngut. But the whites wrote down Nguni. And that’s how the area was called for long, until in the 1980s the right name Ngwo was instituted.

    Niawanga

    Derived from Duala ni>def.art.,a>of, wanga>salt), a town on the river Njong/Nyong .

    Njinikom

    After severe difficulties with the local fon it became a teacher training centre after WWI. In Duala njin means ‘pleasant/nice taste’, kom means ‘to spread’ (Helmlinger 1972).

    Nkongsamba

    It was called Samba during German administration. Nkon is a Bakossi word, meaning mundi in Duala. It stands for ‘town, village’. In Duala17 samba means ‘seven’. So the name of the town is literally ‘seven villages’.

    17

    Also in Lamnso and more widely. Samba is also sometimes used for a seventh child.

    Brigitte Weber

    118

    Nso/Nsaw

    This name dates from before the German occupation, being the name of a town, a tribe and a language. Booth points out that “the Banso language was taught efficiently at the lower end of the school” (Booth 1995: 56). Situated in the Grasslands, Nsaw/Nso became the apostolic residence of the Sacred Heart Society (Booth 1995: 52).

    Ossa-Fluss, OssaSee

    ‘Ossa river, Ossa lake’. They are situated north of the river Lom. Stretches of water are called Ossa in the language of Yoruba, on the Slave Coast. It might be a borrowing.

    Ossidinge

    This is an important government station at the Cross River.

    Ossing

    There is a Pallottine mission there.

    Rio del Rey

    It is a river, an area and a town in the area of the river.

    Shisong

    This is the name of the first Catholic mission in the grasslands (meaning ‘teeth of a dragon’), later also a convent, close to the town of Kumbo (see footnote 5).

    Sodeninsel

    ‘Soden island’. This is an island in the estuary of the river Andonkat to the stream of Rio del Rey, named in honour of Freiherr (Baron) von Soden.

    Viktoria/Victoria

    Viktoria/Victoria (today Limbe) with Kamerunberg ‘Cameroon mountain’ (Mount Fako). It was a German District Council and an agricultural metropole with expansive plantations and botanical gardens (DeLancey & Mokeba 1990: 122). It was the second mission founded in the grasslands and had developed a good agricultural school. The name may go back to the late German Empress Viktoria, wife of ‘Kaiser Friedrich’, or may have been called after the English Queen Victoria, originally being a mission station founded by the English missionary Saker.

    4. Conclusion German presence in Cameroon plays a decisive role with regard to the country’s evolution in several domains of life. As far as the German language is concerned, the impact on indigenous languages as well as on Pidgin English is manifold and complex. In general, two tendencies can be observed: The German government promoting the German language on the one hand, and the missionaries encouraging the study and even educa-

    Exploration of Deutsch-Kamerun

    119

    tion in vernaculars on the other. This approach may be noticed with naming as well: Places founded by the Colonial Government tend to be German, with exceptions, though, versus Missions, tending to adapt to the area’s languages. Yet some Swiss institutions were revived in Cameroon, as the Benedictine Abbey and monastery Engelberg, situated south of Luzern in Switzerland and a Pallotine mission in Cameroon near Limbe, former German Viktoria, even today. Einsiedeln, Marienberg, Lolodorf and Lobetal represent a small part of German ‘revival names’, the larger part of missions adjusting to local traditions. The section of reshaped names seems the most interesting with regard to German influences. Misunderstandings of oral conversation are likely to have had a great impact, but the general tendency of Germans to prefix (sometimes simplified) indigenous names with the Bantu plural class marker Ba- in the Forest and coastal areas and the Grasslands, that is to say in the Bantu and Bantoid areas, has modified toponymy to a large extent. In this paper particular attention has been paid to names derived from the Duala language due to the literature available to me and to the fact that German/European contact was most marked in this region during the early days of colonialism.

    Abbreviations CamE def.art. Dict. DKL LWC StE WWI

    Cameroon English definite article dictionary Deutsches Koloniallexikon Languages of Wider Communication Standard English World War I

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    Appendix The following map is taken from the CD-ROM Deutsche Kolonien in Farbfotografien, edited by Peter Walther. Kleine digitale Bibliothek, based on: Kurt Schwab (1910): Die deutschen Kolonien. Berlin: Weller-Verlag

    STEFAN ENGELBERG, INEKE SCHOLZ & DORIS STOLBERG (MANNHEIM)

    Interaktionszentren des Sprachkontakts in DeutschNeuguinea: ein sprachkartographisches Projekt

    Abstract Colonial language contact is shaped by many extralinguistic factors that, in turn, lead to different linguistic outcomes. The project outlined here aims at documenting contact contexts that existed during the German colonial rule in the Pacific, with special emphasis on German New Guinea. Trading places, institutions (e.g. schools), plantations and other settings that involved (language) interaction between the colonizers and the colonized are charted on a historical map of the area to determine where contact intensity is likely to have been high, and what languages were involved and can be expected to show traces of such interaction (e.g. loanwords). It is intended to digitize this information in form of an interactive map, allowing to show and hide different types of information and thus being able to draw conclusions on historical language contact settings and their long-term linguistic results.

    1. Ziele des sprachkartographischen Projekts Die Präsenz deutscher Händler, Pflanzer, Forscher und Missionare im Südpazifik hat zu ersten sprachlichen Berührungen zwischen Sprechern des Deutschen und denen der lokalen Sprachen geführt. Mit dem Auftreten Deutschlands als Kolonialmacht im Südpazifik 1884 wurde das Deutsche dann für die folgenden 30 Jahre als Unterrichtsfach, als Unterrichtssprache, als Sprache der Verwaltung, als Kommandosprache der Polizeitruppen, als Gerichtssprache und in anderen Bereichen institutionalisiert. Diese verstärkte Präsenz des Deutschen in Mikronesien, dem Nordosten Neuguineas (“KaiserWilhelmsland”), dem Bismarck-Archipel, den nördlichen Salomonen und in WestSamoa hat verschiedene sprachkontaktbedingte sprachliche Entwicklungen gezeitigt. Dazu gehören etwa die Aufnahme deutscher Lehnwörter in die jeweils einheimischen Sprachen (vgl. Engelberg 2006, 2008; Mühlhäusler 1979; Otto 1989; Stolberg 2011), die Entwicklung deutschbasierter Pidgin- und Kreolvarietäten (vgl. etwa Mühlhäusler, dieser Band; Volker 1991) und die Entstehung von siedlerdeutschen Varietäten und Sprachgebrauchsphänomenen. Im vorliegenden Beitrag geht es um die Bedingungen für die Entlehnung deutscher Wörter in den Sprachen des Südpazifiks. Die sprachhistorische Situation ist dabei durch

    Stefan Engelberg, Ineke Scholz & Doris Stolberg

    124

    zwei Besonderheiten geprägt. Erstens wurden (und werden) in dem Gebiet der ehemaligen deutschen Kolonien des Südpazifiks über 700 Sprachen gesprochen, von denen eine nicht unbedeutende (wenn auch letztlich noch unbekannte) Anzahl Lexeme aus dem Deutschen entlehnt hat, und zweitens haben diese Sprachen in nur geringem, aber doch deutlich unterschiedlichem Umfang aus dem Deutschen entlehnt. Daraus entsteht die Frage, welche Ursachen die quantitativen Unterschiede bei der Entlehnungshäufigkeit haben. Wie wir im Folgenden sehen werden, lässt sich begründet annehmen, dass die verschiedenen Typen von Sozialkontakten zwischen Sprechern des Deutschen und denen einheimischer Sprachen in Lebensbereichen wie Schule, Ausbildung, Verwaltung, Kirche und Handel die Entlehnungsbereitschaft der einheimischen Sprachen in sehr unterschiedlichem Maße beeinflusst hat. Da diese Sozialkontakte zu einem großen Teil an lokalisierbare Institutionen gebunden sind (Schulen, Verwaltungsstationen, Plantagen, Missionsstationen etc.), lassen sie sich kartographisch gut erfassen. Die räumliche Verteilung dieser verschiedenen sozialen Faktoren kann dann mit der räumlichen Verteilung von entlehnenden und nicht entlehnenden Sprachen korreliert werden. Der vorliegende Aufsatz stellt ein im Entstehen begriffenes sprachkartographisches Projekt vor, das zum Ziel hat, den Zusammenhang zwischen Entlehnungsprozessen und sozialen und politischen Gegebenheiten zu erklären, und das zu diesem Zweck eine möglichst exhaustive Erfassung bestimmter sprachlicher und sozialer Parameter auf sprachkartographischer Basis anstrebt.

    2. Fallstudie: Außersprachliche Faktoren der Entlehnungshäufigkeit auf den Kosrae- und den Palau-Inseln Mikronesien gehörte bis auf Guam im Westen und die Gilbert-Inseln (heute ein Teil von Kiribati) im Osten zum Gouvernement Deutsch-Neuguinea. Das unter deutscher Verwaltung stehende Mikronesien bestand aus den Nördlichen Marianen, den Palau-Inseln, den Karolinen, den Marshall-Inseln und der Insel Nauru. In diesem Gebiet sind 25 (nichtkoloniale) Sprachen beheimatet. Vor allem dank der Initiative von Forschern der University of Hawaii ist ein größerer Teil dieser Sprachen lexikographisch verhältnismäßig gut erfasst. Auf der Basis dieser meist in der PALI-Reihe der University of Hawaii publizierten Wörterbücher und einer größeren Anzahl unpublizierter Wörterbücher und anderer Quellen wurden 17 dieser Sprachen auf deutsche Sprachkontaktphänomene hin untersucht. In allen Sprachen bis auf zwei (Chamorro, Kosraeisch) wurden dabei deutsche Lehnwörter gefunden (Engelberg 2008). Beispiele finden sich in Tabelle 1. Sprache

    dt. Lehnwort

    englische Glossierung

    dt. Etymon

    Chuukesisch Japesisch Kapingamarangi

    kkumi sitiraf situnte

    ‘rubber’ ‘to punish’ ‘hour’

    Gummi Strafe Stunde

    Interaktionszentren des Sprachkontakts in Deutsch-Neuguinea

    125

    Sprache

    dt. Lehnwort

    englische Glossierung

    dt. Etymon

    Karolinisch Marshallesisch Mokilesisch Nauruisch Nukuoro Palauisch Ponapesisch

    fayérabwaw kapel Dois esel situnte suestér sirangk

    Feuerbaum Gabel deutsch Esel Stunde Schwester Schrank

    Puluwatesisch Sonsorol Tobi Ulithisch Woleaisch

    siike dioka dioka rat kaantiin

    ‘flame tree, poinciana’ ‘fork’ ‘Germany’ ‘donkey’ ‘hour’ ‘nun, sister’ ‘cabinet, particularly one in which food is stored’ ‘goat’ ‘tapioca’ ‘tapioca’ ‘bicycle’ ‘store, shop, booth’

    Ziege Tapioka Tapioka Rad Kantine

    Tabelle 1: Einige deutsche Lehnwörter in den Sprachen Mikronesiens, ihre englische Glossierung entsprechend der zugrundeliegenden Quellen (vgl. dazu Engelberg 2008) und ihr deutsches Etymon Der Anteil deutscher Lehnwörter am Lehnwortbestand der Sprachen Mikronesiens ist allerdings gering. Während englische und japanische Lehnwörter mehr als 90% dieses Bestandes ausmachen, dürfte der Anteil deutscher Lehnwörter bei höchstens 2% liegen (Engelberg 2006). Trotzdem lassen sich sprachübergreifend deutliche Unterschiede bezüglich der Quantität der Entlehnungen aus dem Deutschen feststellen. Vier in Umfang und Struktur vergleichbare Wörterbücher aus den 1970er Jahren weisen 25 deutsche Lehnwörter im Palauischen nach (McManus 1977), 13 im Trukesischen (Goodenough & Sugita 1980), 7 im Marshallesischen (Abo et al. 1976) und keines im Kosraeischen (Lee 1976). Unter Heranziehung weiterer Quellen, insbesondere unpublizierter Wörterbücher aus der Hamilton Library der University of Hawaii, erhöht sich die Anzahl deutscher Lehnwörter im Palauischen auf über 50, die selbst 40 Jahre nach der deutschen Kolonialherrschaft noch in Gebrauch waren. Einige Beispiele aus dem Palauischen sind die folgenden: Deutsches Lehnwort

    Englische Glossierung

    Deutsches Etymon

    babíer bénster beríb bilt bost bukl chamt chausbéngdik (v.) dolmérs hall (interj.) kabitéi

    ‘paper, letter, book’ ‘window’ ‘letter’ ‘holy picture’ ‘post office’ ‘mound, small hill’ ‘government, aministration’ ‘know thorougly, memorize’ ‘interpreter’ ‘Halt!, Stop!, Wait!’ ‘captain’

    Papier Fenster Brief Bild Post Buckel Amt auswendig Dolmetsch(er) halt Kapitän

    Stefan Engelberg, Ineke Scholz & Doris Stolberg

    126 Deutsches Lehnwort

    Englische Glossierung

    Deutsches Etymon

    karmoból kramatik kúmi lámbei mesilkebiér rrat sengk

    ‘phonograph’ ‘grammar’ ‘gum, hose, rubber’ ‘lantern with handle for carrying’ ‘machine gun’ ‘bicycle’ ‘gift of money to first-born child by father’s family; money given as reward for good work or performance’ ‘bookcase, cupboard, shelf’ ‘screw’ ‘necktie’ ‘blackboard’ ‘church tower’

    Grammophon Grammatik Gummi Lampe Maschinengewehr Rad schenken

    serángk seráub slibs tabér turm

    Schrank Schraube Schlips Tafel Turm

    Tabelle 2: Einige deutsche Lehnwörter im Palauischen, ihre englische Glossierung entsprechend der zugrundeliegenden Quellen (vgl. dazu Engelberg 2006) und ihr deutsches Etymon Diese Verteilung ist zunächst überraschend, da die Kosrae- und die Palau-Inseln gleich lang, nämlich 15 Jahre, unter deutscher Verwaltung waren, beide missionarisch erschlossen waren, beide zu den größeren Inselgruppen Mikronesiens zählen, ohne dabei aber Zentren der deutschen Verwaltung – etwa in Form eines Bezirksamts – zu beherbergen (s. auch Abb. 1). Gegenstand der in Engelberg (2006) publizierten Fallstudie waren daher die potenziellen nicht-sprachlichen Einflussfaktoren auf die Häufigkeit deutscher Entlehnungen im Palauischen und Kosraeischen, von denen folgende in Augenschein genommen wurden: • • • • • • • • • •

    Kontaktgeschichte mit dem Deutschen und anderen Sprachen Deutschsprachige auf den Inseln Anteil der Schulgänger an der Bevölkerung Deutschunterricht in den lokalen Schulen Deutsch als Unterrichtssprache Deutsch als Zweitsprache Muttersprache der Missionare Spracheinstellung der einheimischen Bevölkerung deutsche Unternehmen auf den Inseln Verwaltungsstationen auf den Inseln

    Interaktionszentren des Sprachkontakts in Deutsch-Neuguinea

    127

    Abbildung 1: Palau und Kosrae im Gouvernement Deutsch-Neuguinea (auf Basis einer Karte der Deutschen Kolonialgesellschaft 1905) Kosrae hatte als wichtiger Hafen der amerikanischen Walfänger schon im frühen 19. Jahrhundert häufig Kontakt mit dem Englischen. Diese Kontaktgeschichte setzte sich dadurch fort, dass im Gegensatz zu den anderen Inselgruppen der Karolinen die amerikanische Boston Mission (“American Board of Commissioners of Foreign Missions”) auf Kosrae tätig war, die auch den Schulunterricht in den Missionsschulen durchführte. Der Anteil der Bevölkerung, der die Schulen besuchte, war ungewöhnlich hoch und lag zeitweise über 30%.1 Mit Beginn der deutschen Kolonialherrschaft musste 13 Jahre lang in den Schulen Deutsch als erste Fremdsprache unterrichtet werden, was nach Berichten der Missionare von den Schülern nicht sehr geschätzt wurde. Über die ganze Kolonialzeit hinweg befanden sich nur wenige Deutsche auf Kosrae; lediglich ein oder zwei deutsche Händler waren eine Zeitlang dort ansässig. Berichte aus der Kolonialzeit lassen erkennen, dass die Schüler zur Begrüßung auswärtiger Gäste zwar deutsche Lieder singen konnten, ansonsten aber über keine weitergehende deutsche Sprachkompetenz verfügten. (Zu den einzelnen Quellen vgl. Engelberg 2006.) Palau im Westen der Karolinen lag außerhalb der üblichen Routen der Walfänger. Insgesamt liefen in vorkolonialer Zeit verglichen mit Kosrae nur etwa halb so viele Schiffe die Palau-Inseln an, so dass der Kontakt mit englischen Muttersprachlern deutlich geringer war. Der Einfluss des Spanischen, in dessen kolonialem Einzugsgebiet die Palau1

    Die Schülerrate lag für die Gesamtbevölkerung des deutschen Kolonialgebietes im Pazifik durchschnittlich bei ca. 3%, auf den Karolinen bei 6–8% (vgl. Amtliches Jahrbuch des Reichskolonialamtes 1910/11; Deutscher Kolonialatlas mit Jahrbuch 1905; Schlunk 1914; Stolberg, dieser Band).

    128

    Stefan Engelberg, Ineke Scholz & Doris Stolberg

    Inseln seit dem 16. Jahrhundert lagen, war sichtbar, aber insgesamt gering. Missioniert wurde auf den Palau-Inseln von den deutschen Kapuzinern, die die spanischen Brüder 1907 ablösten und auch die lokalen Schulen betrieben. Die Rate der Schulgänger war deutlich niedriger als auf Kosrae und lag bei etwa 7%. Deutsch war allerdings sieben Jahre lang nicht nur Unterrichtsfach, sondern teilweise auch Unterrichtssprache. Die Missionare berichten, dass Deutsch von den Schülern gerne gelernt wurde. Außer den Missionaren waren nur wenige Deutsche auf Palau, zu keiner Zeit wohl mehr als 10. Lediglich auf der kleinen vorgelagerten Insel Angaur, wo die Deutsche Südsee-Phosphat Aktiengesellschaft eine Phosphatmine betrieb, wurden gegen Ende der deutschen Kolonialzeit noch einige deutschsprachige Angestellte ansässig. Eine deutsche Regierungsstation bestand zwar seit 1905, war allerdings mit einem Jamaikaner besetzt. Aus verschiedenen Berichten lässt sich ablesen, dass Deutsch im Umfeld der Missionen und in geringerem Maße in der Phosphatmine als Zweitsprache verwendet wurde. Der Vergleich der verschiedenen Parameter zeigt, dass neben einer geringen Konkurrenz mit anderen potenziellen lehnwortgebenden Sprachen wie dem Englischen vor allem eine zumindest ansatzweise vorhandene Funktionalität des Deutschen als Zweitsprache die Entlehnungsbereitschaft beeinflusst. Diese wiederum wird offenbar durch muttersprachlich deutsche Lehrer und die Verwendung des Deutschen als Unterrichtssprache stark beeinflusst, während die Rolle des Deutschen als Schulfach per se kein entscheidendes Kriterium zu sein scheint, ebenso wenig wie ein hoher Prozentsatz von Schülern an der Gesamtbevölkerung. Über die Relevanz anderer Faktoren für die Entlehnungshäufigkeit wie die Präsenz von Verwaltungseinrichtungen, Handelsstationen und Plantagen konnte auf der Basis der kleinen Studie nicht hinreichend zuverlässig geurteilt werden. Insgesamt zeigte die Studie aber, dass die historische Datenlage ausreicht, um eine Korrelation von Entlehnungsaktivität mit bestimmten außersprachlichen Faktoren festzustellen. Das lässt es lohnend erscheinen, eine umfangreichere Untersuchung auf einer breiteren Datenbasis und in Bezug auf eine weit größere Anzahl von Sprachen durchzuführen, um so – bei allen historischen und sprachspezifischen Besonderheiten – zu statistischen Generalisierungen über außersprachliche Faktoren als Einflüsse auf Entlehnungsaktivität zu kommen.

    3. Geographische Erfassung der Interaktionsparameter Die grundlegende Vorgehensweise dieses Ansatzes besteht in einer möglichst vollständigen Erfassung der Orte, an denen Kontakte zwischen Sprechern einheimischer und europäischer Sprachen im ehemaligen deutschen Kolonialgebiet stattgefunden haben. Die geographische Verteilung dieser Orte kann, so unsere Hypothese, Aufschlüsse darüber geben, welche der einheimischen Sprachen besonders viel Kontakt mit dem Deutschen hatten und über welche Wege deutsche Lexeme in die einheimischen Sprachen gelangten. Mithilfe einer geographisch-kartographischen Erfassung soll festgestellt

    Interaktionszentren des Sprachkontakts in Deutsch-Neuguinea

    129

    werden, ob eine Korrelation zwischen der Häufigkeit der Interaktion mit Sprechern des Deutschen und der Anzahl der deutschen Lehnwörter in der jeweiligen einheimischen Sprache nachweisbar ist. Verschiedene Faktoren sollen daraufhin überprüft werden, ob sie die Aufnahme von Lehnwörtern in die einheimischen Sprachen begünstigt haben. Zu diesen Faktoren zählen Institutionen, die von Vertretern der Kolonialmacht zu unterschiedlichen Zwecken eingerichtet wurden. An solchen Orten wurde Sprecherkontakt ermöglicht und z.T. institutionalisiert (z.B. in Schulen). Für unser Projekt wichtige Interaktionsparameter sind v.a. die folgenden: • • • • •

    Handelsstationen Verwaltungsstationen Missionsstationen Schulen (Missions-, Regierungsschulen) Plantagen

    Ist ein Standort einer solchen Institution im ehemaligen deutschen Kolonialgebiet in einer Quelle belegt, so wird er in einer Tabelle erfasst und anschließend in einer Landkarte markiert. Wir beschränken uns zunächst auf das Gebiet von Kaiser-Wilhelmsland und dem Bismarckarchipel (Deutsch-Neuguinea). Es wurden alle Institutionen erfasst, die mit den genannten Kategorien übereinstimmen, sofern sie im ehemaligen deutschen Kolonialgebiet liegen. Ein Teil der Institutionen wurde nicht mit Deutschen bzw. Deutsch Sprechenden besetzt, da sich beispielsweise Missionare und Händler auch aus anderen europäischen Ländern in den deutschen Kolonialgebieten aufhielten. Besteht die begründete Vermutung, dass an einem Ort Deutsche anwesend waren, wurde dies in der Tabelle vermerkt. Weitere Interaktionsparameter, die gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt erfasst werden können, sind: • • •

    Polizeistationen Post- und Kabelstationen Minen (z.B. zum Phosphatabbau)

    Diese Institutionstypen werden zurzeit nicht berücksichtigt, da Polizei-, Post- und Kabelstationen häufig mit den Verwaltungsstationen zusammenfielen. Minen sind für Mikronesien, weniger für Kaiser-Wilhelmsland und den Bismarck-Archipel relevant. Längerfristig sollen auch Sprecherbewegungen (z.B. durch die Anwerbung von Plantagenarbeitern oder Bewegungen entlang traditioneller Handelsrouten) in die Parametererfassung integriert werden, um Verbreitungswege von Lehnwörtern nachvollziehen zu können. In der Tabelle wurden verschiedene Arten von Information dokumentiert: • • • •

    der Ortsname (in allen auftretenden Formen) die Institutionsart Quellenverweise, Kommentare und weiterführende Informationen aus den Quellen zum jeweiligen Ort bzw. der Institution Zeitangaben, soweit vorhanden

    130

    Stefan Engelberg, Ineke Scholz & Doris Stolberg

    Neben den verschiedenen Schreibweisen der einheimischen Ortsnamen gibt es in einigen Fällen auch deutsche Ortsbezeichnungen. Alle bekannten Bezeichnungen eines Ortes wurden in die Tabelle aufgenommen. Um die Orte mit den oben beschriebenen Funktionen kartographisch zu erfassen, wurde eine geographische Karte benötigt, die einerseits eine hohe Detailtreue über das relevante Gebiet aufweist und andererseits historisch-kolonialzeitliche Gegebenheiten möglichst noch akkurat reflektiert. Als Ausgangspunkt wählten wir eine amerikanische Militärkarte von 1942, die einen zentralen Teil des ehemaligen deutschen Kolonialgebietes (Kaiser-Wilhelmsland, Bismarck-Archipel) abbildet und auf Grund ihrer hohen Detailgenauigkeit, gerade auch in Bezug auf Toponyme aus der deutschen Kolonialzeit, die seither durch andere Namen ersetzt wurden, eine günstige Grundlage für die kartographische Markierung bietet. Die beschriebene Tabelle dient als Referenz für alle in der Karte markierten Orte und Institutionen. Sie enthält eine eigene Spalte für solche Ortsbezeichnungen auf der Karte, die denen aus den Quellen zugeordnet werden können, jedoch im Wortlaut nicht genau übereinstimmen. In derselben Spalte kann auch vermerkt werden, ob der gesuchte Ort gegebenenfalls nicht eingezeichnet ist (wenn bekannt ist, wo er sich befinden müsste), sich nicht im Kartenausschnitt befindet oder schlicht nicht gefunden werden konnte. In einer letzten Spalte wird angegeben, ob eine begründete Vermutung dahingehend besteht, dass Deutsche vor Ort waren und somit ein Sprecherkontakt zwischen Deutschen und Einheimischen möglich war. Hinweise auf die Anwesenheit von Deutschen sind z.B. deutsche Namen von Personen, Handelsfirmen oder Missionsgesellschaften, die in Verbindung mit dem jeweiligen Ort in den Quellen erwähnt werden. In derselben Spalte wird des Weiteren festgehalten, ob dieser Ort in der Karte markiert wurde. Alle Orte in dieser Tabelle sind mit den entsprechenden Markierungen auf der Karte numerisch koreferenziert. Auf der Karte wurden die erfassten Orte mit farbigen Klebepunkten markiert. Jeder institutionellen Funktion ist eine eigene Farbe zugeordnet. Dementsprechend wurden Orte mit mehreren Funktionen mit mehreren Punkten markiert. Eine Häufung dieser Punkte an einer Stelle der Karte deutet also auf vielfältige Kontaktmöglichkeiten zwischen Europäern und Einheimischen hin. Mithilfe einer Sprachenkarte über das relevante Gebiet (z.B. von Ethnologue) kann festgestellt werden, welche Sprache an diesen Orten gesprochen wird; daraus wird unter Verwendung von zeitgenössischen Dokumenten2 die historische Sprachverwendung extrapoliert und Hypothesen darüber formuliert, in Bezug auf welche Sprachen eine Entlehnung deutscher Wörter begünstigt wurde. Im Norden der Gazelle-Halbinsel um den Ort Rabaul herum befindet sich eine hohe Dichte von Markierungen auf der Landkarte. Dieser Bereich deckt sich ziemlich genau mit 2

    Darunter fallen z.B. Missionarsberichte, Reiseberichte und Dokumentationen von Forschungsreisen. Einschlägige zeitgenössische Informationen in aufgearbeiteter Form finden sich in historischen Sprachatlanten (Keck 1995; Wurm et al. 1996; u.a.). Obgleich die sprachliche Situation zur Kolonialzeit nicht vollständig rekonstruierbar ist, scheinen einschlägige Materialien unsere vorläufige Arbeitshypothese zu bestätigen, dass nur wenige Verschiebungen stattgefunden haben.

    Interaktionszentren des Sprachkontakts in Deutsch-Neuguinea

    131

    dem (heutigen) Sprachraum der Tolai, und tatsächlich lassen sich deutsche Lehnwörter in Kuanua, der Sprache der Tolai, nachweisen, z.B. Katholik, Messe, Schwester (vgl. etwa Bley 1902, Kleintitschen 1906). Die Übereinstimmung des Sprachgebiets mit dem markierten Bereich wird in Abbildung 3 deutlich. Eine ähnliche Korrelation lässt sich für das Gebiet um Aitape/Eitape an der Nordwestküste von Kaiser-Wilhelmsland beobachten, wo sich ebenfalls eine größere Zahl deutscher Institutionen befand; auch das dort gesprochene Yakamul enthält deutsche Lehnwörter, z.B. Gnade, Gott, Kirche (vgl. Klaffl & Vormann 1905).

    Abbildung 2: Karte des U.S. Army Map Service (1942): New Guinea

    132

    Stefan Engelberg, Ineke Scholz & Doris Stolberg

    575 Kairak 576 Qaqet 577 Minigir 570 Nakanai (2) 578 Kuanua 571 Pele-Ata 579 Ramoaaina 572 Meramera (2) 580 Bilur 573 Tomoip (3) 581 Sulka (2) 574 Ura 582 Taulil 583 Mali ©2009 SIL International 584 Simbali (Quelle: http://www.ethnologue.com/show_map.asp?name=PG&seq=140)

    (eigenes Foto)

    Abbildung 3: Vergleich der Sprachenkarte von Ethnologue mit einem Ausschnitt der ortsmarkierten Militärkarte Bei der Erfassung der relevanten Orte und der Interaktionsparameter traten verschiedene Schwierigkeiten auf. Ein vorrangiges Problem war, dass nicht jeder in den Quellen erwähnte Ort auf der verwendeten Karte gefunden werden konnte. Das hat unterschiedliche Gründe. Die Benennung eines Ortes in einer Quelle deckt sich nicht immer mit der Benennung desselben Ortes auf der Karte, z.B. durch die Verwendung von Ortsnamenvarianten oder die Neubenennung eines Ortes (u.a. aus politischen Gründen, um die deutschen Namen nach dem Ende der deutschen Kolonialzeit zu ersetzen). Es entwickelten sich teilweise aber auch verschiedene Schreibweisen einer Ortsbezeichnung. So entstand z.B. aus der ursprünglich deutschen Ortsbezeichnung “Deinzerhöhe” die Abwandlung “Deingerhohe”.3 Eine Verwendung älterer Karten (z.B. aus der deutschen Kolonialzeit) schafft nur bedingt Abhilfe, da diese Karten oft einen kleineren Maßstab haben und aus diesem Grunde nicht alle relevanten Orte verzeichnen. Des Weiteren ist es möglich, 3

    Die Änderung des ‘z’ in ‘g’ ist vermutlich typographisch, nicht phonologisch, bedingt; das ‘z’ der Frakturschrift wurde offenbar später als ‘g’ reinterpretiert.

    Interaktionszentren des Sprachkontakts in Deutsch-Neuguinea

    133

    dass ein zur Kolonialzeit bestehender Ort nicht mehr existiert oder aus anderen Gründen nicht in der Karte verzeichnet ist. Ein anderes Problem betrifft die Ausgewogenheit der Quellen. Einige der verwendeten Quellen enthalten nur Informationen über eine bestimmte Art von Institution, z.B. über Plantagen. Andere Quellen bevorzugen ein bestimmtes geographisches Gebiet, so dass in der jeweiligen Region viele Interaktionsparameter verzeichnet werden können, andere Regionen aber vernachlässigt werden. So kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob die von uns erfassten Interaktionsparameter im ehemaligen Kolonialgebiet die tatsächlichen historischen Verhältnisse widerspiegeln. Durch die weitere Analyse möglichst zahlreicher Quellen wird eine Annäherung an eine ausgeglichene Verteilung der Informationen angestrebt.

    4. Ziele und weiteres Vorgehen 4.1. Ziele Die Erfassung der Interaktionsparameter hat mehrere Ziele. Aus heuristischer Sicht liefert sie Informationen darüber, in welchen Gebieten eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Kontaktphänomenen (z.B. lexikalische Entlehnungen) besteht bzw. bestand. Auf dieser Basis können Sprachen identifiziert werden, deren weitere Untersuchung kontaktlinguistische Ergebnisse verspricht. Dabei ist die hohe Sprachendichte v. a. in Neuguinea zu berücksichtigen, so dass in bestimmten Arealen von einer multiplen Mehrsprachigkeit der Sprecher auszugehen ist, wodurch mehrere Sprachen gleichzeitig miteinander in Kontakt waren. Für den Forschungsschwerpunkt Deutsch in Interaktion mit den jeweils einheimischen Sprachen sind vor allem solche Bereiche interessant, in denen eine vergleichsweise hohe Dichte von deutschen, deutschgeführten oder deutschsprachigen Einrichtungen eine größere Intensität und gegebenenfalls auch längere Dauer des Sprachkontakts mit Deutsch nahelegen. Diese Faktoren haben sich in der Vergangenheit als relevant für das Auftreten von Kontaktphänomenen erwiesen (vgl. Thomason & Kaufman 1988). Die theoretische Zielsetzung betrifft zum einen die Methodologie kontakthistorischer Untersuchungen, zum anderen die Korrelation sozialgeographischer Faktoren mit lexikalischer Entlehnung. Aus methodologischer Sicht entwickeln wir mit der Erfassung der Interaktionszentren eine neue Methodik, um eine solide Basis für weiterführende korrelationsbezogene Aussagen zu schaffen. Gerade im historischen Sprachkontakt ist es oft schwierig, Erfahrungen aus anderen Kontaktkontexten zu übertragen, da die Vergleichbarkeit der Situation auf Grund von Datenlücken nicht ausreichend überprüft werden kann. Wird auf der Basis evidenter Kontaktphänomene (wie z.B. deutscher Lehnwörter im Bereich der Religion) auf bestimmte Kontaktverhältnisse rückgeschlossen, sind diese Schlussfolge-

    134

    Stefan Engelberg, Ineke Scholz & Doris Stolberg

    rungen nur dann aussagekräftig, wenn sie anhand von unabhängigen Daten aus anderen, nicht-linguistischen Quellen abgesichert werden können. Im Pazifik fungierte z.B. das Tok Pisin (bzw. seine Vorläufer Pidgin English/Melanesian Pidgin) als Vermittler von Lehnwörtern unterschiedlicher Herkunft. Als Folge treten deutsche Lehnwörter auch in solchen Sprachen auf, die nie direkt mit dem Deutschen in Berührung gekommen sind4. Die Hintergründe dieser Entlehnungen sind nur über nicht-linguistische Informationen zu entschlüsseln. Mit unserer Datenerhebung und -dokumentation stellen wir für die deutsche Koloniallinguistik im Pazifik eine Datengrundlage bereit, die eine solche Überprüfbarkeit und Absicherung möglich macht. Indem wir eine möglichst große Zahl an verfügbaren sozialgeographischen Faktoren erfassen und sie kartographisch miteinander verknüpfen, wird es möglich, auf der Basis von nicht-linguistischen Daten die Ergebnisse linguistischer Analysen zu interpretieren. So lassen sich Hypothesen über die Korrelation sozialgeographischer Faktoren mit linguistischen Phänomenen, wie z.B. Entlehnungshäufigkeit, konkret überprüfen. Die dafür relevanten, nicht-sprachbezogenen Belege sind zurzeit nicht gesammelt verfügbar. Es handelt sich um historische Informationen, die teils als Publikationen, teils in Archiven oder in Manuskriptform, vorhanden sind, deren Zugänglichkeit jedoch durch ihre unsystematische Streuung erschwert ist und deren immer wieder neue Erschließung im Zusammenhang einzelner linguistischer Forschungsarbeiten einen großen Zeitaufwand mit sich brächte. Stehen diese Informationen gebündelt zur Verfügung, wird damit zugleich eine Dokumentationsgrundlage geschaffen, die auch für die einschlägige Forschung anderer einen hohen Nutzwert hat. Als konkretes Beispiel ließe sich u.a. nachvollziehen, welche Auswirkungen der Deutschunterricht in Schulen auf die Entlehnungszahl deutscher Lexeme hatte; hier kann weiter unterschieden werden, ob es sich um Internatsschulen oder Tagesschulen handelte, in denen Deutsch entweder als Unterrichtssprache oder nur als Unterrichtsgegenstand verwendet wurde. Diese Informationen können mit weiteren Faktoren verknüpft werden, z.B. der örtlichen Missionssprache oder der geographischen Nähe zu Plantagen, Häfen, Handelsstationen oder Verwaltungsstationen. Wichtig ist hierbei, dass gerade das Zusammentreffen mehrerer Faktoren zu einer linguistischen Dynamik geführt hat, die aus der Betrachtung der einzelnen Merkmale nicht hinreichend erschließbar bzw. nachvollziehbar sind. Dieses komplexe Zusammenwirken lässt sich mit Hilfe von Karten besonders gut darstellen, da auf diese Weise mehrere Entwicklungen simultan zugänglich gemacht werden können, was in Textform nicht in dieser transparenten Weise möglich ist (vgl. Mühlhäusler 2010; Wurm et al. 1996).

    4

    Vereinzelt finden sich deutsche Lehnwörter sogar in Sprachen, die weder Kontakt mit dem Deutschen hatten noch im Verbreitungsgebiet des Tok Pisin gesprochen wurden, z.B. in Dehu. Auf welche Weise die Lehnwörter in diese Sprachen gelangt sind, bleibt noch zu erschließen.

    Interaktionszentren des Sprachkontakts in Deutsch-Neuguinea

    135

    4.2. Bereits bestehende Sprachkartenwerke Mehrere digitale und nicht-digitale kartographische Werke können als Referenzwerke für das vorgestellte Projekt dienen. Digitale Karten mit linguistischem Schwerpunkt wurden bereits in den Projekten DiWA5 und REDE6 am Deutschen Sprachatlas Marburg erstellt. Inhaltlich bilden die Sprachkarten des Deutschen Sprachatlasses den deutschen Sprachraum in Mitteleuropa unter unterschiedlicher Schwerpunktsetzung ab, so dass sich in geographischer Hinsicht keine Berührungspunkte oder Überschneidungen mit dem hier dargestellten Schwerpunkt ergeben. Das digitale LL-MAP: Language and Location – Map Accessibility Project verbindet Sprachdaten mit Informationen aus den Geo- und Sozialwissenschaften. Eigene Karten können erstellt werden. Dieses Projekt vermittelt einen Eindruck davon, wie Daten unterschiedlicher Konvenienz integriert werden können. Im Gegensatz zum von uns vorgestellten Projekt werden hier jedoch keine historischen Daten kartographiert. Der World Atlas of Language Structures (WALS) ebenso wie die World Loanword Database (WOLD) umfassen eine umfangreiche Datensammlung, die auf strukturelle (WALS) bzw. lexikalische (WOLD) Merkmale einer großen Zahl von Sprachen fokussiert ist. Die Daten werden auf digitalen geographischen Karten visuell präsentiert und sind interaktiv erschließbar. Extralinguistische Informationen wurden nicht erfasst. Obgleich die Lehnwortdaten in WOLD mittelbar historische Bezüge herstellen (Zeitpunkt des Sprachkontakts), ist eine historische oder diachrone Dimension nicht Bestandteil der Kartendarstellungen. Der Atlas of Languages of Intercultural Communication in the Pacific, Asia, and the Americas (Wurm et al. 1996) bietet Darstellungen der Sprachenverhältnisse u.a. in für uns relevanten Gebieten. Der Schwerpunkt liegt auf interkulturellen Kontaktsprachen, so dass es zwar zu Berührungspunkten mit der hier vorgestellten Thematik kommt, der Fokus jedoch deutlich unterschiedlich ist. Extralinguistische Parameter werden im Atlas nicht auf gleiche Weise im Detail erfasst und mit Sprachkontakten und Sprachdaten korreliert, wie es unser Ziel ist. Desweiteren liegt der Atlas in gedruckter Form vor und ist nicht digital verfügbar. Letzteres gilt auch für den Historical Atlas of Ethnic and Linguistic Groups in Papua New Guinea (Keck 1995), der die historischen Sprachenverhältnisse in PapuaNeuguinea zeitlich strukturiert wiedergibt. Der Atlas stellt eine wertvolle Informations5

    6

    DiWA = Digitaler Wenkeratlas. In diesem Projekt wurden die materiellen Karten des Wenkeratlasses digitalisiert, u.a. um die darin enthaltenen Informationen vor dem Verlust zu bewahren, der durch den z.T. schlechten Erhaltungszustand der Karten drohte. Weitere Informationen unter: http://www.diwa.info/ REDE = regionalsprache.de. Ziel dieses Projektes ist es, die Regionalsprachen des Deutschen und ihren Variationsraum zu dokumentieren und Ergebnisse digital-kartographisch zugänglich zu machen. In Hinblick auf die technische Umsetzung baut dieses Projekt auf DiWA auf. Weitere Informationen unter: http://www.regionalsprache.de/

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    Stefan Engelberg, Ineke Scholz & Doris Stolberg

    quelle zur Rekonstruktion der historischen Sprachenverhältnisse dar; allerdings bildet er nur einen Ausschnitt des für uns relevanten Raumes ab und integriert keine extralinguistischen Daten.

    4.3. Weiteres Vorgehen und Ausblick Wie bereits dargestellt, ist das Ziel des Projekts die Dokumentation aller Kontaktpunkte, an denen Sprachinteraktion unter Beteiligung des Deutschen stattgefunden hat. Auf diese Weise soll das Netzwerk deutschsprachiger Aktivitäten im Pazifik zur deutschen Kolonialzeit möglichst umfassend rekonstruiert werden. Um diese Daten einerseits optimal zu erschließen und andererseits für eine möglichst große Nutzergruppe verfügbar zu machen, werden die Informationen aus der oben beschriebenen Referenztabelle vollständig in eine digitale Datenbank überführt. Aus dieser Datenbank, in Verknüpfung mit einer topologischen Karte, wird eine digitale Karte zur Erfassung von Sprachkontaktfaktoren erstellt, die zu einem späteren Zeitpunkt online nutzbar sein wird. Auf der Karte werden drei Typen von Objekten mit Informationen aus der Datenbank assoziiert: (i) (ii) (iii)

    Orte mit Informationen über dort vorhandene Institutionen (Typ), über Besonderheiten dieser Institutionen (Relevanz des Deutschen) und über die Zeit des Bestehens dieser Institutionen; Sprachgebiete mit Informationen zu Sprachnamen, Anzahl deutscher Lehnwörter, Status als lokale Lingua Franca und, soweit möglich, Sprecherzahl; Wege (als Verbindungen zwischen zwei Orten) unter bestimmten funktionalen Aspekten (v. a. Handel).

    Neben diesen lokal-statischen Informationen soll prinzipiell eine Erweiterbarkeit um lokal-dynamische Aspekte möglich sein. Das heißt, alle auf Bewegung von Sprechern einer Sprachgemeinschaft in den Sprachraum einer anderen Sprachgemeinschaft beruhenden Kontaktmöglichkeiten sollten erfassbar sein, z.B. Bewegungen von Plantagenarbeitern, Forschungsreisenden, einheimischen und europäischen Händlern sowie kulturell, rituell und ausbildungsbezogen motivierte Reisen.7 Die Sprachkontakterscheinungen (Entlehnungen, Pidginisierung, Siedlerdeutsch, u.a.) entwickelten sich in einem komplexen Kontext von einheimischer und kolonialer Mehrsprachigkeit unter regional variierenden Einflüssen missionarischer, politischer 7

    Solche Personenverschiebungen fanden nicht nur innerhalb des Pazifiks, sondern auch Kontinent übergreifend zwischen den deutschen Kolonien statt: Einheimische der deutsch-afrikanischen Kolonien wurden mehrfach in Polizeitruppen im Pazifik eingesetzt (Schnee 1920: 71ff.). Es gab andererseits auch Pläne, als besonders begabt eingeschätzte Schüler aus den pazifischen Kolonien zur weiteren handwerklichen Ausbildung in das deutsch-chinesische Kolonialgebiet in Tsingtau (Qingdao) zu schicken (Hiery 2001: 217).

    Interaktionszentren des Sprachkontakts in Deutsch-Neuguinea

    137

    und wirtschaftlicher Faktoren. Die wissenschaftliche Erforschung der deutschen Kolonialzeit im Pazifik ist bis heute sowohl aus linguistischer als auch aus soziohistorischer Perspektive ein Desiderat. Um die Auswirkungen der vielfältigen extralinguistischen Faktoren auf die sprachlichen Prozesse analysieren und interpretieren zu können, ist die Rekonstruktion und Aufbereitung umfangreicher soziohistorischer Daten notwendig. Das hier vorgestellte Projekt soll dazu beitragen, diese Forschungslücke zu schließen, indem die relevanten Daten so vollständig wie möglich erhoben und mit linguistischen Befunden korreliert werden. Dadurch wird eine fundierte Analyse und Hypothesenüberprüfung hinsichtlich der Sprachdaten ermöglicht. Durch Überführung in eine digitale kartographische Darstellung mit Online-Stellung werden die Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

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    Stefan Engelberg, Ineke Scholz & Doris Stolberg

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    DORIS STOLBERG (MANNHEIM)

    Sprachkontakt in der Schule: Deutschunterricht in Mikronesien (1884–1914)

    Abstract During German colonialism in the Pacific, language contact between German and the local languages took place in different areas and in varying intensity. The numbers of native speakers of German were low, and in many cases German was not the means of communication, so that comparatively little language contact occurred naturally. Despite this situation, several native languages in the German colonial area integrated loanwords from German and preserved them up until today. Quantitative differences in borrowing between the affected languages are arguably due to extralinguistic factors influencing contact duration and intensity as well as local language attitudes. There is one area where the use of German was explicitly supported by the government, viz. schools. The present paper investigates the numbers of students who came into contact with instruction of or in German. Many schools were mission-run, and in particular non-German missions had problems finding qualified teachers for their German instruction. After an overview of population proportions regarding speakers of German and school attendance, this paper compares quantitative loanword data to contact opportunities with German in schools, drawing a tentative conclusion on whether instruction in German, as one extralinguistic factor influencing language contact, had a measurable effect on lexical borrowing from German.

    1. Einleitung Während seiner kurzen Kolonialepoche besaß das deutsche Kaiserreich Kolonien im Pazifik, deren Kontrolle in erster Linie von wirtschaftlichen und politischen Interessen geprägt war. Eine kulturelle sowie sprachliche Einflussnahme wurden aus ökonomischen Gründen für notwendig erachtet und argumentativ moralisch unterfüttert. Der vorliegende Aufsatz beschäftigt sich mit der Frage von kolonialzeitlichem Sprachkontakt und seinen längerfristigen Auswirkungen als einer Folge der deutschen Kolonialzeit im Pazifik; dabei liegt der Schwerpunkt des Forschungsinteresses auf den Schulen in ihrer Funktion als sprachvermittelnde Institutionen. Die Untersuchung beschränkt sich auf den pazifischen Raum und hier, bedingt durch die Datenlage, speziell auf das mikronesische Inselgebiet (Marianen mit Ausnahme von Guam, Palau-Inseln, West- und Ostkarolinen, Nauru, Marshall-Inseln) und Samoa.

    140

    Doris Stolberg

    Bereits seit dem 16. und 17. Jahrhundert kamen christliche Missionare unterschiedlicher konfessioneller, nationaler und sprachlicher Hintergründe (v.a. mit den Muttersprachen Spanisch, Englisch, Niederländisch, Französisch und Deutsch) in die Gebiete, die später unter deutsche Kolonialherrschaft gerieten. Sie lernten die lokalen Sprachen, erbauten Kirchen und richteten Schulen ein, in denen vor allem christlich-religiöse Inhalte, aber auch Lesen und Schreiben unterrichtet wurden. Etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts waren im Pazifik deutsche Handelsunternehmen und Händler aktiv. Mit Beginn der deutschen Kolonialzeit (1884) kamen deutsch(sprachig)e Verwaltungsbeamte und Siedler hinzu. Während letztere in der Regel für einen längeren Zeitraum blieben, wechselten Verwaltungsangehörige häufig nach wenigen Jahren. Ein starker sprachlicher Einfluss fand vermutlich durch keine der beiden Gruppen statt. Aufgrund der historischen Entwicklung und früher Handelsbeziehungen (z.B. durch Kontakt mit Walfängerschiffen) hatte sich Englisch (z.T. auch englisch-basierte Jargons) bereits vielerorts als lingua franca sowohl zwischen der einheimischen und der auslandseuropäischen Bevölkerung als auch unter den Europäern selbst etabliert. Neue Siedler passten sich innerhalb kurzer Zeit den sprachlichen Gebräuchen vor Ort an und verwendeten Englisch oder das im Entstehen begriffene Pidgin-Englisch für Handelsinteraktionen und andere kommunikative Zwecke. Offenbar kam es vor, dass selbst deutsche Siedler untereinander Englisch sprachen (was wiederholt beklagt wurde, vgl. Samoanische Zeitung, 8. Juli 1911: 1f.; Hiery 2001b: 215). Auch das deutsche Verwaltungspersonal bediente sich teilweise des Englischen (z.B. Delaporte 1911, zit. in Engelberg 2006: 7). Hinzu kam, dass die Zahl der deutschen Muttersprachler in den pazifischen Kolonien während der gesamten Epoche gering war, so dass man kaum davon ausgehen kann, dass ein flächendeckender, intensiver Sprachkontakt der lokalen Sprachen mit dem Deutschen überhaupt möglich war. Tabelle 1 gibt die Bevölkerungszahlen exemplarisch für das Jahr 1911 an und veranschaulicht den geringen Anteil (anzunehmender) deutscher Muttersprachler1 gegenüber der einheimischen Bevölkerung. In Deutschland selbst war die Einstellung zur sogenannten Sprachenfrage alles andere als einheitlich; zum Thema, ob Deutsch in den Kolonien durchgängig verwendet und, z.B. durch Unterricht, verbreitet werden solle, gab es sowohl starke Befürworter als auch massive Gegenstimmen (vgl. Hiery 2001a, Engelberg 2006). Eine klare Entscheidung bezüglich der Sprachenfrage wurde bis zum Ende der Kolonialzeit nicht getroffen. Diese Tatsache liegt u.a. darin begründet, dass man im Pazifik, wie auch in den anderen Kolonien, mit Sprachenverhältnissen und einer Vielzahl von Sprachen konfrontiert wurde, auf die man schlichtweg nicht vorbereitet war, so dass Handlungsmuster und -maximen sich erst entwickeln mussten. 1

    Hier wird vereinfachend davon ausgegangen, dass deutsche Nationalität mit Deutsch als Muttersprache gleichzusetzen ist. Obgleich diese Gleichsetzung in vielen Fällen problematisch sein kann, gehe ich davon aus, dass in diesem Zusammenhang selbst bei nicht vollständiger Übereinstimmung von Nationalität und Sprache eine angemessene Genauigkeit erreicht wird.

    Deutschunterricht in Mikronesien (1884–1914)

    141

    Verwaltungsgebiet

    einheimische Bevölkerung

    deutsche Bevölkerung

    Neuguinea (einschl. Bismarck-Archipel) Karolinen2 mit Palau; Marianen, Marshall-Inseln Samoa gesamt

    ca. 530.000 ca. 54.000

    578 (0,1%) 194 (0,4%)

    ca. 33.500 ca. 617.500

    284 (0,85%) 1.056 (0,17%)

    Tab.1: Einheimische und deutsche Bevölkerung in den deutschen Kolonien im Pazifik (1905/1911) Trotz dieser Uneinheitlichkeit in Sprachenpolitik und Sprachverwendung hat das Deutsche lexikalische Spuren in den Sprachen des ehemaligen pazifischen Kolonialgebiets hinterlassen, was angesichts der vorhandenen Sprachenverhältnisse und der kolonialen Sprachpraxis nicht zwingend zu erwarten wäre. Ein weiteres Explanandum ist die Beobachtung, dass Entlehnungen aus dem Deutschen nicht in allen Kontaktsprachen gleichermaßen auftreten, sondern es deutliche quantitative Unterschiede gibt, wenn auch bei insgesamt geringen Entlehnungszahlen: Während für manche Sprachen relativ hohe Lehnwortzahlen aus dem Deutschen dokumentiert sind (ca. 50–100 deutsche Lehnwörter) oder von starken individuellen Effekten des schulischen Deutschunterrichts berichtet wird (z.B. Christmann 1986), scheinen andere Sprachen bei gleichem kolonialen Status und vergleichbaren Schul- und Verwaltungsstrukturen keine Lehnwörter aus dem Deutschen integriert zu haben. Für diese Divergenz ist, so die Hypothese, der Einfluss verschiedener, v.a. außerlinguistischer, Faktoren verantwortlich zu machen (vgl. Engelberg 2006, 2008). Schule, als ein Ort sprachlicher Begegnung, ist als einer der relevantesten dieser Faktoren anzusehen. Die Schulen im deutschen Kolonialgebiet waren schon ab 1897 gehalten, Deutsch als erste Fremdsprache zu unterrichten (Runderlass vom 27. Februar 1897, Deutsche Kolonialgesetzgebung, Bd. 6: 141). Dadurch wurden sie zu einem Fokus für potentiell intensiven Sprachkontakt. Ihre Rolle im Zusammenhang mit der Frequenz deutscher Lehnwörter in unterschiedlichen Sprachen des deutschen Kolonialgebiets wird hier untersucht. Im Folgenden werde ich auf der Grundlage statistischer Angaben zu Schülerzahlen sowie Anzahl, Verteilung und Dichte von Schulen darstellen, von welchen Voraussetzungen auszugehen ist. Diese Rahmenbedingungen werden mit lexikalischen Langzeiteffekten des lokalen Sprachkontakts, d.h. der Dokumentation von deutschen Lehnwörtern in Schulmaterialien und Wörterbüchern der Kolonialzeit sowie in Wörterbüchern der jeweiligen Sprachen bis in die heutige Zeit, verglichen und hinsichtlich einer möglichen Korrelation von Deutschunterricht und Entlehnungshäufigkeit kritisch evaluiert.

    2

    Zahlen für die östlichen Karolinen von 1905 (Kusaie/Kosrae, Ponape/Pohnpei, Truk/Chuuk, Lukunor etc.: 25.000), für die übrigen Gebiete für 1911 (westliche Karolinen, Palau-Inseln, Marianen, Marshall-Inseln: 28.976). Zusammengestellt aus StJbDR (1911: 24–33, 44ff.); DKAJb (1905: 18ff.).

    142

    Doris Stolberg

    2. Schulen im pazifischen Kolonialgebiet des Deutschen Kaiserreiches: quantitative und rechtliche Aspekte Die der Untersuchung zugrunde liegenden Ausgangshypothesen sind, dass staatliche Regulierungen des Sprachunterrichts einen Einfluss auf die Form und Intensität von Sprachkontakt und in Folge dessen auf den Sprachgebrauch der lokalen Bevölkerung haben. Nach Engelberg (2006) zeigt sich in wenigstens einigen der ehemals kolonialen Gebiete nur ein schwacher Zusammenhang zwischen (deutschem) Sprachunterricht und dokumentiertem Lehnwortgebrauch (vgl. auch Engelberg et al., dieser Band). Im Folgenden werden verschiedene Teilfaktoren im Zusammenhang mit dem Schul- und Sprachunterricht untersucht, um ein detaillierteres Bild zu erhalten und zu klären, welche Faktoren mit dem deutsch-kolonialen Sprachunterricht interagierten und sein Sprachkontaktpotential modifiziert haben. Dabei gehe ich davon aus, dass die Zahl der Schulen in einem bestimmten Gebiet (die Schuldichte) ein Maß dafür sein kann, wie präsent der Schulunterricht und damit u.U. auch die deutsche Sprache in der Wahrnehmung der Bewohner dieses Gebietes war. Die Schulbesuchsquote (Anteil der Schulbesucher an der Gesamtbevölkerung) gibt diesen Zusammenhang weniger eindeutig wieder, denn Schulbesuch konnte auch in geographisch isolierten Internatsschulen stattfinden (wo andererseits von einer höheren Regelmäßigkeit des Schulbesuchs auszugehen ist als in den Tagesschulen, vgl. Schlunk 1914: 264). Eine hohe Schulbesuchsquote bedeutet damit nicht zwingend, dass Schulunterricht (und damit ggf. auch Deutschunterricht) eine erhöhte Wahrnehmbarkeit im Lebensalltag der lokalen Bevölkerung hatte.

    Quantitative Aspekte Aufgrund der genannten Hypothesen wurden die folgenden Faktoren untersucht; die Ergebnisse sind quantitativ dargestellt. Als wesentliche Quelle aller statistischen Informationen zum kolonialen Schulwesen dient Schlunk (1914), der die Ergebnisse einer umfangreichen quantitativen und qualitativen Erhebung zum kolonialen Schulwesen präsentiert3 (zur Verwendung und Interpretation kolonialer statistischer Angaben vgl. Adick 19954).

    3

    4

    Den Zahlen liegt eine von Schlunk 1911 per Fragebogen durchgeführte schriftliche Befragung aller Schulen im deutschen Kolonialgebiet zugrunde. Von den angeschriebenen Schulen antworteten nicht alle, viele weitere machten die erfragten Angaben nicht vollständig. Adick (1995) weist u.a. darauf hin, dass es sich bei aller nachweisbaren und vorstellbaren Unzuverlässigkeit der bei Schlunk dokumentierten Daten um die einzige umfassende Erhebung zu diesem Thema handelt.

    Deutschunterricht in Mikronesien (1884–1914)

    143

    a) Schulbesuch, bezogen auf die Gesamtbevölkerung einheimische Bevölkerung Schüler/innen Schulbesuchsquote gesamtes deutsches Kolonialgebiet (Pazifik) Deutsch-Neuguinea, Bismarckarchipel, Salomonen Marshall-Inseln, Nauru W-Karolinen, Palau, Marianen Öst. Karolinen (Verwaltungsbezirke Pohnpei, Chuuk) Samoa

    ca. 617.500

    19.315

    3,1%

    ca. 530.000

    14.377

    2,7%

    10.550 18.494 ca. 25.000 (1905)

    1.755 1.159 2.024

    16,6% 6,3% 8,1%

    ca. 33.500

    9.878

    29,5%

    Tab. 2: Schülerzahlen im Verhältnis zur (einheimischen) Gesamtbevölkerung b) Schul- und Schülerzahlen (Terminologie u. Zusammenstellung aus Schlunk 1914: 302ff.; vgl. Adick 1992: 39)

    Gesamtes dt. Kolonialgebiet (Pazifik) Deutsch-Neuguinea, Bismarckarchipel, Salomonen Marshall-Inseln, Nauru Karolinen, Palau, Marianen (o. Guam) Samoa5

    Schüler(innen) / Elementarschulen

    Schüler(innen) / Gehobene Schulen

    Schüler(innen) / Lehranstalten f. prakt. Arbeit

    Summe: Schüler(innen) /Schulen

    26.932 / 702 (38,4) 13.743 / 317 (43,4)

    1872 / 45 (41,6) 306 / 12 (25,5)

    419 / 14 (29,9) 328 / 9 (36,4)

    29.193 / 761 (38,4) 14.377 / 338 (42,5)

    1.661 / 40 (41,5) 3.072 / 45 (68,3) 8.456 / 300 (28,2)

    81 / 3 (27) 111 / 4 (27,8) 1.374 / 26 (52,9)

    13 / 2 (6,5) –/–

    1.755 / 45 (39) 3.183 / 49 (65) 9.878 / 329 (30)

    78 / 3 (26)

    Tab. 3: Schulen und Schüler/innen im pazifischen Kolonialgebiet des Deutschen Kaiserreiches (durchschnittliche Schülerzahl pro Schule in Klammern) Die im Vergleich zu den anderen Kolonialgebieten überraschend hohe Schulzahl auf Samoa wird bei Schlunk (1914) nicht kommentiert. Vorstellbar ist, dass die Diskrepanz zu den anderen Kolonialgebieten nicht allein auf tatsächliche Schulzahlen, sondern auch auf einen höheren Fragebogenrücklauf zurückzuführen ist, d.h. für Samoa liegen möglicherweise vollständigere Informationen vor als für die anderen Gebiete. c) Schulalter einheimischer Schülerinnen und Schüler (berechnet nach Schlunk 1914): Das Schulalter innerhalb der Lerngruppen war sehr heterogen, und es bestand keine zuverlässige Korrelation von Lebensalter und Schultyp. So konnten z.B. auch Erwachsene 5

    Die Summe der bei Schlunk (1914: 360ff.) genannten Schülerangaben für die einzelnen Schultypen weicht um 30 von der ebenfalls dort angegebenen Gesamtschülerzahl (Schlunk 1914: 365) ab.

    Doris Stolberg

    144

    am Unterricht der Elementarschulen teilnehmen. Eintritts- und Abgangsalter war von Schule zu Schule unterschiedlich und regions- bzw. bezirksunabhängig. Als schwache Tendenz ist allein erkennbar, dass das durchschnittliche Eintrittsalter bei gehobenen Schulen und Lehranstalten für praktische Arbeit höher lag als bei den Elementarschulen. • Elementarschulen (bezogen auf 197 von 402 Schulen) Das Schulalter in Elementarschulen lag zwischen vier und 30 Jahren. Das Schuleintrittsalter betrug häufig zwischen fünf und sieben Jahren, manche Schulen nahmen aber schon Kinder ab vier oder bis zu zehn Jahren in die Eingangsklasse auf. Der Schulaustritt erfolgte nach Angaben der befragten Schulen im Alter von 13 bis 30 Jahren, so dass ein Grundschulbeginn bzw. -besuch offenbar auch in späterem Alter stattfinden konnte. Das durchschnittliche Mindestalter betrug in Elementarschulen 6,2 Jahre, das durchschnittliche Höchstalter 19,3 Jahre (mit jeweils großen Schwankungen). • Gehobene Schulen (bezogen auf 18 von 19 Schulen) Das Durchschnittsalter in gehobenen Schulen war, wie zu erwarten – da es sich um eine Fortsetzung der Grundbildung handelte –, höher als in Elementarschulen, unterlag jedoch ebenfalls größeren Schwankungen. Bei Schuleintritt konnten die Schülerinnen und Schüler je nach Schule fünf bis 18 Jahre alt sein;6 die Schulzeit endete zwischen dem 14. und dem 30. Lebensjahr. Hier lag das durchschnittliche Mindestalter bei 11,4 Jahren, das durchschnittliche Höchstalter bei 18,3 Jahren. • Lehranstalten für praktische Arbeit (bezogen auf 7 von 11 Schulen) Auch Lehranstalten für praktische Arbeit boten Aufbauunterricht an, der an eine Elementarschulbildung anschloss. Entsprechend wurden hier Schülerinnen und Schüler im Alter von 14 bis 18 Jahren aufgenommen und waren bei Schulaustritt zwischen 20 und 30 Jahren alt. Das durchschnittliche Mindestalter betrug 15,6 Jahre, das durchschnittliche Höchstalter 22,7 Jahre. d) Zahl und Verteilung der Schulen aller Träger im mikronesischen Kolonialgebiet und Samoa (nach Schlunk 19147) Palau-Inseln Marianen (ohne Guam) Westliche Karolinen (Verwaltungsbezirk Yap) 6

    7

    3 Schulen 3 Schulen 8 Schulen

    Insbesondere gehobene Schulen in Mikronesien gaben ein junges Eintrittsalter an, während entsprechende Schulen in Kaiser-Wilhelmsland und dem Bismarckarchipel nach eigenen Angaben überwiegend Schüler/innen ab ca. 14 Jahren aufnahmen. Die Zahlen stimmen nicht vollständig mit den in Tab. 3 angegebenen überein, da die Angaben in Schlunk an einigen Stellen uneinheitlich sind (vgl. Adick 1995); sie sind jedoch hinreichend genau, um klare Grundtendenzen erkennen zu lassen.

    Deutschunterricht in Mikronesien (1884–1914)

    Östliche Karolinen (Verwaltungsbezirke Truk, Ponape) Marshall-Inseln davon Nauru: Samoa

    145

    34 Schulen 46 Schulen 3 Schulen 329 Schulen

    Delaporte, protestantischer Missionar auf Nauru, erwähnt in verschiedenen Missionsberichten der Jahre 1905–1911 vier bis fünf Schulen, die auf Grund von schwankenden Schülerzahlen nicht alle durchgängig betrieben wurden. Hinzu kam noch mindestens eine Schule der katholischen Mission, so dass die Zahl der Schulen für Nauru bei Schlunk nachweislich zu niedrig angegeben ist. Diese Abweichung kann darin begründet sein, dass Schlunk, wie bereits erwähnt, durch unvollständigen Rücklauf der Fragebögen nicht alle einschlägigen Informationen vorlagen. Möglicherweise wurden Filialschulen größerer Missionsstationen von den zuständigen Missionaren aber auch nicht in jedem Fall als eigenständige Schulen gezählt und daher im Fragebogen nicht explizit erwähnt.

    Rechtliche Aspekte Durch rechtliche Vorgaben sollte sichergestellt werden, dass die deutsche Sprache zumindest im Schulunterricht einen festen Platz erhielt, der dem der Sprachen anderer europäischer Kolonialmächte vorangestellt war. Durch eine variable Umsetzung wurden diese Vorgaben jedoch in der Praxis modifiziert, so dass eine hohe Zahl von Schulen in bestimmten Gebieten nicht notwendigerweise mit einer größeren Verbreitung der deutschen Sprache korreliert war. An kolonialgesetzlichen Vorgaben zum Gebrauch des Deutschen in den Schulen des deutschen Kolonialgebietes ist an erster Stelle der Runderlass von 1897 zu nennen (vgl. oben). Der Wortlaut ist wie folgt (zit. nach Deutsche Kolonialgesetzgebung, Bd. 6/1901f.: 141): Der Kolonialrat hat in seiner Sitzung vom 23. Oktober v. Js. auf Antrag Seiner Hoheit des Herzogs Johann Albrecht zu Mecklenburg-Schwerin den Beschluss gefasst: ‘Der Kolonialrat empfiehlt der Regierung, unter Berücksichtigung der in Betracht kommenden Verhältnisse, darauf hinzuwirken, dass, wenn in den Schulen (sc. innerhalb der deutschen Kolonien) neben der Sprache der Eingeborenen noch eine andere gelehrt wird, die deutsche in den Lehrplan aufgenommen werde.’ Berlin, den 27. Februar 1897.

    Auswärtiges Amt. Kolonial-Abteilung. Frhr. v. Richthofen

    Neben dem Runderlass, der für alle kolonialen Schulen galt, wurden weitere lokale Regelungen fixiert. So durfte z.B. auf Anordnung des deutschen Gouverneurs von Samoa, Solf, in samoanischen Elementarschulen nur Samoanisch unterrichtet werden

    146

    Doris Stolberg

    (Deutsche Kolonialgesetzgebung, Bd. 8/1904: 46f.). Auch sprachbezogene Regulierungen, die nicht explizit zur Anwendung auf den Schulunterricht ausgelegt waren, konnten sich mittelbar – z.B. hinsichtlich der Entwicklung von Unterrichtsmaterialien – darauf auswirken (vgl. unten zur nauruischen Lesefibel Buch N Lesen N Kakairûn Nauru, Delaporte 1900). Daneben gab es finanzielle Unterstützung für Missionsschulen, die Deutsch unterrichteten (vgl. Hiery 2001b: 217, Adick 1992: 142f.), d.h. Geld wurde als impliziter Regulierungsmechanismus eingesetzt. Dass dieser Mechanismus in der Praxis nur unvollständig griff, lag an Gegebenheiten, die sich selbst beim besten Willen der Beteiligten vor Ort nur schwer oder gar nicht beeinflussen ließen. Die recht desolate Situation z.B. der USamerikanischen Missionsgesellschaft American Board of Commissioners for Foreign Missions (ABCFM) nach Einführung des o.g. Runderlasses schildert der Missionar Thomas Gray in einem Brief an die Hauptstelle in Boston (USA): All use of English has been stopped in our schools. […] In dropping English you can appreciate our difficulties. We have our training school, the five outside schools, and the work on the four smaller islands, all practically without a text book. The Bible in a school of children or persons that are unable to study for themselves, is not very suitable as a text book. There are only a few old Ponapeian booxs [sic] left. (Thomas Gray, April 1903. Papers of the ABCFM, Boston)

    3. Verwendung von Deutsch in der Schule In Elementarschulen war es die Regel, dass in den lokalen Sprachen unterrichtet wurde. Das widerspricht nicht dem Runderlass bezüglich des Sprachunterrichts, in dem nur gefordert wird, dass Deutsch unterrichtet werde, sofern Unterricht in einer Fremdsprache erteilt wird. In 95 von 402 Elementarschulen, also etwa einem Viertel, wurde 1911 Deutschunterricht abgehalten (21 Schulen in Deutsch-Neuguinea, 74 Schulen in Mikronesien und Samoa; berechnet nach Schlunk 1914: 256). Schlunk (1914) merkt an, dass auf den Marshall-Inseln der (fremdsprachliche) Deutschunterricht allgemein eingeführt worden sei; er weist jedoch auch darauf hin, dass eine der Missionsgesellschaften, nämlich die ABCFM-Mission, gerade erst begonnen habe, Deutsch zu unterrichten. Zu beachten ist bei diesem Hinweis, dass im relevanten Zeitraum die ABCFM-Mission die am stärksten repräsentierte (protestantische) Missionsgesellschaft auf den MarshallInseln war und dort auch flächendeckend beschulte, so dass nach Schlunks Bemerkung anzunehmen ist, dass selbst 1911 in einem großen Teil der dortigen Missionsschulen der Deutschunterricht noch gar nicht etabliert war. Weiterführende Schulen boten im Allgemeinen Deutsch als Unterrichtsgegenstand an. In einigen Fällen wurde auf Deutsch unterrichtet (Deutsch als Unterrichtssprache), so z.B. in den höheren Klassen der Regierungsschule in Saipan (Hiery 2001a; vgl.

    Deutschunterricht in Mikronesien (1884–1914)

    147

    Schlunk 1914). Im deutschen Kolonialgebiet gab es 19 weiterführende Schulen mit insgesamt 498 Schülerinnen und Schülern, die der Schulart entsprechend intensiveren Deutschunterricht erhielten. Punktuell wurde auch in Elementarschulen Deutsch unterrichtet, z.B. auf Nauru und Palau. Der auf Nauru tätige Missionar Delaporte (ABCFM) berichtet sogar, er habe im oberen Jahrgang einer der Elementarschulen sechs Monate lang Deutsch als Unterrichtssprache verwendet: For six months the writer [i.e. Delaporte, DS] has, in the upper grade of the Orro School, taught in the German language only. As this experiment has been fairly successful, it will be continued if we return. (Missionsberichte Nauru, 1907: 6)8 Die Schule wurde von ca. 100 Schülern besucht; welchen Anteil die betreffende Klasse daran hatte, geht aus dem Bericht nicht hervor. Offenbar wurde der Unterricht jedoch nicht über den genannten Zeitraum hinaus fortgesetzt. Solche “Sonderregelungen” in Bezug auf den Deutschunterricht kamen vermutlich an verschiedenen Stellen vor, sind jedoch nur anekdotisch dokumentiert und daher statistisch kaum zu erfassen. Sie wurden deshalb nicht in die Gesamtzahlen einbezogen. Der dargestellte Fall illustriert, wie variabel und uneinheitlich die schulische Vermittlung des Deutschen verlaufen konnte. Berufs- und Handelsschulen boten bis auf vereinzelte Ausnahmen keinen Deutschunterricht an (Schlunk 1914); hier stand die praktische Ausbildung im Vordergrund. Schüler dieser Einrichtungen brachten in der Regel eine gewisse elementarschulische Bildung mit (Lesen, Schreiben, Rechnen sowie wahrscheinlich eine christlich-religiöse Vorbildung, da sich die meisten Elementarschulen in missionarischer Trägerschaft befanden), Deutschunterricht gehörte jedoch nicht standardmäßig dazu. Deutschkenntnisse waren allerdings auch keine Voraussetzung für die Aufnahme in eine Berufs- oder Handelsschule. Wenn man auf dieser Basis die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die tatsächlich Deutschunterricht erhielten, genauer betrachtet, wird deutlich, dass sie wesentlich niedriger liegen muss als die Gesamtzahlen zum Schulbesuch. Als grobe Schätzung lässt sich annehmen, dass etwa einem Viertel der Elementarschülern und -schülerinnen, also ca. 4.500 Lernenden, Deutschunterricht in irgendeiner Form angeboten wurde; zu dieser Zahl sind die knapp 500 Schülerinnen und Schüler der weiterführenden Schulen hinzuzurechnen. Zusammen genommen gab es demnach 1911 rund 5.000 Schülerinnen und Schüler in den pazifischen Kolonialgebieten, die Deutsch lernten. Das entspricht einem Anteil von nur 0,8% der gesamten einheimischen Bevölkerung (von ca. 617.500, vgl. Tab. 1) und ca. 17% der Schülerschaft (von 29.193, vgl. Tab. 3). Damit hatte nur ein äußerst geringer Teil der Bevölkerung vor Ort Zugang zu Deutschunterricht (Deutsch 8

    Delaporte war zum Zeitpunkt dieses Berichts zu einer Erholungsreise in die USA und nach Deutschland aufgebrochen und kehrte im Januar 1908 nach Nauru zurück, wodurch der Deutschunterricht längerfristig unterbrochen wurde. Spätere Berichte erwähnen keine Wiederaufnahme des Deutschen als Unterrichtssprache (Missionsberichte Nauru 1907: 8; 1909: 2).

    148

    Doris Stolberg

    als Unterrichtsinhalt und/oder Unterrichtssprache) und damit zu einer Form intensiveren Kontakts mit dem Deutschen in Wort und Schrift. Allerdings lag in den geringen Schülerzahlen durchaus nicht das einzige Problem für die (geplante) Verbreitung der deutschen Sprache, wie ich im Folgenden darstellen werde.

    4. Qualitative Aspekte des Deutschunterrichts Unterrichtsmaterial Die deutschen Missionsgesellschaften waren in der Lage Deutschunterricht anzubieten, da ihnen Lehrkräfte zu Verfügung standen, die fachlich zumindest in der Hinsicht qualifiziert waren, dass sie Muttersprachler des Deutschen waren, wenn auch häufig ohne didaktische oder pädagogische Ausbildung zur Vermittlung der Sprache. Ein großes Problem stellte hier jedoch der Mangel an Unterrichtsmaterialien dar. In vielen Fällen fanden Lesefibeln Verwendung, die in den Elementarschulen in Deutschland eingesetzt wurden und für in Deutschland lebende Kinder mit Deutsch als Muttersprache entwickelt worden waren (vgl. Hiery 2001b: 221, 226f., Adick et al. 2001: 143ff.). Solche Materialien waren ihrer neuen Verwendung in vielerlei Hinsicht nicht angemessen.9 In anderen Fällen wurden deutsche Fibeln in die lokalen Sprachen übersetzt.10 Ein Beispiel, das illustriert, wie deutsche Lehnwörter möglicherweise im Kontext des Schulunterrichts (auch unabhängig vom eigentlichen Deutschunterricht) in die jeweilige Sprache transportiert wurden, bietet die nauruische Lesefibel, Buch N Lesen N Kakairûn Nauru, die von dem (deutschsprachigen) ABCFM-Missionar Delaporte auf Nauru erstellt wurde. Delaporte vermerkt auf der Innenseite des Einbandes: Presented to Rev. O.H.Gulick by Ph. A. de la Porte Nauru, Oct. 10, 1900 Sect. 3 German Regulations concerning [Missions]. Whenever a foreign word will have to be introduced, such a word must be taken if possible from the German language. Because of above rule we had to use German Names and words. (Delaporte 1900) 9

    10

    Ein wesentliches Problem im vorliegenden Fall war, dass Materialien, die für den muttersprachlichen Schriftspracherwerb entwickelt worden waren, quasi zweckentfremdet für den Zweit- bzw. Fremdspracherwerb (schriftlich/mündlich) eingesetzt wurden, eine Situation, in der man gewisse Parallelen zur heutigen Praxis u.a. an deutschen Grundschulen sehen könnte, an denen sprachlich heterogene Klassen mit stark monolingual ausgerichteten Materialien unterrichtet werden. Diese Situation erinnert bezüglich der mangelnden Kontextualisierung der Lehrinhalte an die Lage von expatriates oder heritage speakers, die mit Unterrichtsmaterialien aus ihrem “Heimatland” unterrichtet werden, in denen physische und soziale Realitäten reflektiert werden, die der aktuellen Lebensumgebung der Lerner keinerlei Rechnung tragen und z.T. nicht einmal nachvollziehbar sind.

    Deutschunterricht in Mikronesien (1884–1914)

    149

    Ein Beispiel für den Import deutscher Lehnwörter findet sich auf S. 8 (unten) dieser Fibel11:

    Abb. 1: Deutsche Lehnwörter in Buch N Lesen N Kakairûn Nauru (Delaporte 1900) Ein weiterer Hinweis darauf, dass Schulmaterial als Vehikel für die Imposition deutscher Lehnwörter fungierte, findet sich bei Christaller, der in Kamerun Deutsch unterrichtete und sich in einem Brief von 1888 explizit dagegen ausspricht, das Lesebuch, 11

    Was damit ausdrücklich nicht gesagt wird, ist, dass diese Lehnwörter tatsächlich von einheimischen Muttersprachlern übernommen und verwendet wurden. Darüber kann das hier diskutierte Lehrmaterial keinerlei Auskunft geben.

    Doris Stolberg

    150

    das er selbst für Schulzwecke in der lokalen Sprache erstellt hat, zu publizieren und einer weiteren Verbreitung zuzuführen (Adick et al. 2001: 246). Die Gründe, die er für seine Warnung anführt, sind keineswegs auf Kamerun beschränkt und können auf den kolonialen Schulkontext im Pazifik übertragen werden: a) Übersetzung aus dem Deutschen: Die Texte sind direkt aus dem Deutschen übersetzt und geben daher die lokale Sprache möglicherweise nicht korrekt wieder. b) Fremdes Weltbild: Die Inhalte der Texte reflektieren weder die reale noch die Vorstellungswelt der tatsächlichen Umgebung und ihrer Bevölkerung (hier: der Duala); sie stellen daher keine angemessene Repräsentation der lokalen Sprache dar. c) Neue Lehnwörter: Christaller weist darauf hin, dass er diverse Lehnwörter aus dem Lateinischen und dem Deutschen einführen musste, da er mit den lokalsprachlichen Entsprechungen nicht vertraut war (das Unterrichtsmaterial wurde unter Zeitdruck zu einem Zeitpunkt erstellt, als er die Sprache nach eigener Einschätzung noch nicht zureichend beherrschte). d) Auswahl einer passenden Varietät: Christaller musste sich für eine(n) der lokalen Sprachen und Dialekte entscheiden (und damit gegen alle anderen); diese Entscheidung traf er nach dem Kriterium der Sprach“reinheit”: Ich habe mich an den Stamm Bona-Njo gehalten […], der anerkanntermaßen am wenigsten vermischt ist[.] (Christaller in: Adick et al. 2001: 246) Er merkt jedoch an, dass innerhalb dieser Varietät Aussprachevarianten existieren, die er in der gewählten orthographischen Repräsentation nicht angemessen wiedergeben konnte.

    Die Lehrerperspektive Für die nicht-deutschen Missionsgesellschaften (z.B. ABCFM) bestand das vorrangige Problem darin, überhaupt Lehrkräfte zu finden, die über Kenntnisse des Deutschen verfügten. Da das ABCFM schon vor der deutschen Kolonialzeit in den entsprechenden Gebieten aktiv war und dort Englisch unterrichtet hatte, sollte dieser Unterricht auch unter deutscher Herrschaft fortgesetzt werden. Auf der Grundlage des Runderlasses von 1897 geriet die Missionsgesellschaft allerdings nun in die Verpflichtung, Deutsch zu unterrichten, um weiterhin Englischunterricht durchführen zu können. In ihren Briefen an die Hauptstelle in Boston äußerten die Missionarinnen und Missionare des ABCFM über mehrere Jahre hinweg wiederholt die Bitte, deutschsprachige Mitarbeiter zu schicken oder eine Kooperation mit deutschen Missionen in die Wege zu leiten, um der Aufforderung der Kolonialverwaltung zum Deutschunterricht nachkommen zu können. Dieser Bitte wurde offenbar nicht entsprochen (a). Andere Briefe beschreiben pointiert

    Deutschunterricht in Mikronesien (1884–1914)

    151

    die Schwierigkeiten vor Ort und berichten von den z.T. sehr provisorischen lokalen Lösungen (b). Sie vermitteln einen Eindruck davon, von welcher Qualität des Deutschunterrichts u.U. auszugehen ist. Die folgenden Zitate illustrieren diese Situation. a) Wiederholte Bitte um einen deutschsprachigen Lehrer: We are working on the German. I have obtained a young German who, without charge, is planning to come every day to take charge of a german [sic] class and to help Miss Palmer and myself. He has come once and the outlook for good work is very encouraging. (Thomas Gray, April 1903. Papers of the ABCFM, Boston) It was voted in our meeting to ask for the appointment of a German missionary to the Ponape work. The Govenor [sic] has asked me at different times as to the action and plans of the Board. He seems anxious for us to get a German. (Thomas Gray, Juni 1903. Papers of the ABCFM, Boston) A good German missionary sent here at once will lessen the danger of evil affects. (Thomas Gray, Oktober 1903. Papers of the ABCFM, Boston) I was anxious to learn some thing of the German Missionary for Ponape. The Governor sent me a copy of a letter sent to him, stating that the Berlin people had not found thier [sic] man but expected to have one b[y] July. (Thomas Gray, Juni 1904. Papers of the ABCFM, Boston) b) Sprachkompetenz Deutsch und lokale Unterrichtslösungen: [After reading the English] the scholars have been required to translate what they have read into their own language. An effort has been made to use the German Readers in the same way, but as you realize to become a teacher of German, means that one must be familiar with the German language. (Louise E.Wilson, Kusaie, 2. August 1902. Papers of the ABCFM, Boston) I have begun to teach German this term and Mr. Gray began sooner than I. I can not teach it at all well however as I pronounce very badly and cannot read even the easiest little story without my German English dictionary. I am giving the girls easy stories to translate. Mr. Gray and I are trying to do a little studying together at least twice a week but it is hard to find time for it. (Annette Palmer(?) an Rev. Judson Smith; Oua, Ponape, 12. Juni 1903. Papers of the ABCFM, Boston)

    Die schülerbezogene Perspektive Von der Regierungsschule in Saipan wird berichtet, dass dort ein besonders intensiver und erfolgreicher Deutschunterricht durchgeführt worden sei (vgl. Hiery 2001b). Laut Hiery (2001b: 218) wurde “ab den mittleren Klassen […] der Lehrstoff ausschließlich in Deutsch vermittelt.” Dwucet, der Direktor der Schule, fügt seinem Schuljahresbericht von

    152

    Doris Stolberg

    1908 (Spennemann 2004: Eintrag 545) zwei kurze handschriftliche Texte bei (“Der Elefant”; “Lebenslauf”), die nach seiner Aussage von Schülern der Regierungsschule geschrieben wurden. Mindestens einer der Schüler stand kurz vor dem Ende seiner Schulzeit, so dass davon auszugehen ist, dass der Text ein fortgeschrittenes Kompetenzniveau im Deutschen, gemessen an den Möglichkeiten dieser Schule, darstellt. Die Abbildungen 2 und 3 geben die Texte wieder; beide Handschriften wirken flüssig und geübt, und der sprachliche Ausdruck reflektiert eine sprachliche Sicherheit, die nach zwei bis maximal vier Jahren in einer kaum deutsch sprechenden Umgebung12 überrascht a) “Der Elefant”

    Abb. 2: “Der Elefant”. Schülertext aus der Regierungsschule Saipan (Dwucet 1908) Der Elefant. Der Elefant ist ein Tier. Der Elefant ist sehr groß. Der Elefant ist das größte Landtier. Der Kopf des Elefanten ist sehr groß. Der Elefanten hat einen Rüssel. Der Rüssel ist sehr lang. Die Ohren des Elefanten sind sehr groß und lappig. Die Augen des Elefandten sind sehr klein. Die Stoßzähne liefern das Elfenbein. Das Elfenbein ist schön weiß und sehr teuer. Der Rumpf des Elefanten ist sehr dick 12

    und plump. Die Füße des Elefanten sind sehr dick und etwas kurz. Der Schwanz des Elefanten ist sehr kurz Die Haut des Elefanten hat keine Haare und ist schiefergrau. Der Elefant gehört zu den dickhäutern. Der Elefant wird auch als Haustier gehalten. Der Elefant ist ein sehr nützliches und gelehriges Tier. Er frißt Gras, Baumblätter und Früchte. Der Elefant lebt in Afrika und Ostindien.

    Es handelt sich bei der Regierungsschule in Saipan um eine Internatsschule, so dass im Umfeld sicher mehr Deutsch gesprochen wurde als außerhalb der Schulumgebung. Dennoch kann wohl nicht von einem vollständig oder überwiegend deutschsprachigen Kontext ausgegangen werden.

    Deutschunterricht in Mikronesien (1884–1914)

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    In grammatischer Hinsicht (Syntax, Morphologie, Semantik) ist der Text fast fehlerfrei. Es fällt jedoch auf, dass die Wortwahl stark repetitiv ist. Das verwendete morphologische Forminventar ist begrenzt, auch in Abhängigkeit von einer einfachen, schablonenartig-stereotyp wirkenden und rein parataktischen Syntax. Es wird keine Inversion verwendet, so dass über die produktive Beherrschung der V2-Stellung keine sichere Aussage möglich ist. An einer Stelle wird die Referenz durch ein Personalpronomen hergestellt, während ansonsten die DP “der Elefant” auch dort wiederholt wird, wo man ein Pronomen erwarten könnte. b) “Lebenslauf” Garapan, den 28. März 1908. Lebenslauf. Ich heiße Joachim de Torres. Ich bin der Sohn des Silvestre de Torres und Teresa de Salas. Meine Mutter ist schon gestorben. Ich bin das 4te Kind meiner Eltern. Ich habe noch einen Bruder und zwei Schwestern. Sie heißen: Josef de Torres, Hironima de Torres, und Elisabet de Torres. Ich bin am 14. März 1895 in Garapan geboren. Meine Eltern wohnen in Garapan. Ich bin jetzt zwei Jahre in die Mittelklasse. Ich gehe schon 4 Jahre in die Schule. Am 31. März d.J. werde ich aus der Schule entlassen werden. Joachim de Torres.

    Abb. 3: “Lebenslauf”. Schülertext aus der Regierungsschule Saipan (Dwucet 1908) Auch dieser Text ist grammatisch weitestgehend unauffällig. Er ist gekennzeichnet durch die Verwendung vieler Personennamen und eine einfache Syntax, die jedoch durch den Texttyp zu rechtfertigen ist. Die Wortstellung ist fehlerfrei; in einem Fall wird eine Inversion mit V2-Stellung verwendet. Die Kasusabweichung (Akkusativ statt Dativ) in “Ich bin jetzt zwei Jahre in die Mittelklasse” scheint nicht systematisch zu sein, da im letzten Satz des Textes der Dativ korrekt verwendet wird. Der Satz “Meine Eltern wohnen in Garapan” scheint eine Tempusabweichung zu beinhalten, da der Schüler zuvor erwähnt, dass seine Mutter nicht mehr lebt. Durch diese Abweichung

    154

    Doris Stolberg

    entsteht der Eindruck eines formelhaften Ausdrucks, da der Schüler zwar eine textrelevante Information gibt, seine eigene konkrete Situation jedoch (möglicherweise) nicht zutreffend beschreibt. Diese zwei isoliert überlieferten Texte reichen als Datengrundlage selbstverständlich nicht aus, um aussagekräftige Schlussfolgerungen hinsichtlich der Deutschkompetenz der Saipanschüler zu ziehen.13 Insgesamt vermitteln beide Texte zumindest potentiell den Eindruck, dass Sprachmaterial schablonenartig gelernt und reproduziert wurde. Das entspricht der Darstellung und dem Übungsmaterial zeitgleicher Sprachlehrbücher14, impliziert jedoch nicht zwingend eine flüssige und flexibel einsetzbare (Fremd-)Sprachkompetenz. Andererseits war der Deutschunterricht hier offenbar so erfolgreich, dass im Jahre 1906 Deutsch als Verwaltungssprache mit der lokalen Bevölkerung auf Saipan eingeführt wurde, und es wird berichtet, dass (spätestens) 1914 Deutsch auch unter der lokalen Bevölkerung für private Angelegenheiten verwendet wurde (Hiery 2001b: 218). Die erfolgreiche Vermittlung und Verbreitung der deutschen Sprache wird durch die Äußerungen eines früheren Schülers der Regierungsschule auf Saipan, Joachim Munja, anekdotisch bestätigt. Mit Munja, geboren 1897 auf Saipan und Schüler der Regierungsschule ab ca. 1905, wurden 1984 auf Deutsch oral history-Gespräche geführt (Christmann 1986: 116; vgl. auch 115f., 125), in denen er berichtete, dass er immer noch – 70 Jahre nach Ende der deutschen Kolonialzeit und dem intensiven Umgang mit der deutschen Sprache – gelegentlich auf Deutsch träumte (“Weisst du, manchmal träume ich deutsch.” Christmann 1986: 116). Christmann, der die Gespräche führte, merkt an, dass Munja, wahrscheinlich ebenso wie die meisten anderen Absolventen der Regierungsschule, durch diese Ausbildung privilegiert war, da sie es ihm später ermöglichte, eine prestigeträchtige Stellung bei den deutschen Kolonialherren einzunehmen. In seiner Arbeitsumgebung hatte er vermutlich die Gelegenheit oder sogar die Verpflichtung, Deutsch zu sprechen, so dass seine nachhaltig hohe Deutschkompetenz wohl nicht ausschließlich auf den Schulunterricht zurückzuführen ist. Die sprachlichen Fertigkeiten eines anderen Gesprächspartners von Christmann illustrieren die große Spannbreite in der Beherrschung der Sprache der Kolonialherren. Papilung15 wurde 1896 auf Palau geboren und kam später nach Yap, um dort im deutsch-kolonialen Straßenbau zu arbeiten. Christmann macht keine Aussagen über die Schulbildung des Sprechers (wo, wie lange oder ob überhaupt ein Schulbesuch statt13

    14 15

    Texte dieser Art, d.h. von Deutschlernern produzierte Texte aus dem kolonialen Kontext, sind schwer zu finden, vgl. auch Mühlhäusler (dieser Band) zu Briefen von Papua-Kindern. Sie sind gelegentlich Missionsberichten beigefügt, um die Spendenwilligkeit im Heimatland positiv zu beeinflussen. Ihre Authentizität ist häufig unklar, vereinzelt wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Schüler die Briefe mit “Hilfe” geschrieben hätten. Vgl. z.B. das zugleich als Ewe-Lehrbuch konzipierte Übungsbuch der deutschen Sprache für deutsche Schulen in Togo von D. Westermann. Christmann gibt hier, im Gegensatz zu Munja, nur diesen Namen an, so dass unklar bleibt, ob es sich um einen Vor- oder Nachnamen oder den einzigen Namen des Sprechers handelt.

    Deutschunterricht in Mikronesien (1884–1914)

    155

    fand)16; er berichtet jedoch, dass die Gespräche mithilfe eines Dolmetschers stattfanden, da Papilung laut Christmann nur Yapesisch sprach (Christmann 1986: 115).

    5. Entlehnungen aus dem Deutschen in den mikronesischen Sprachen Die Mehrzahl der verfügbaren primären Quellen17 wurden von deutschen Muttersprachlern produziert. Lexikalische Entlehnungen, die in diesen Quellen auftreten, wurden vermutlich weitgehend von “oben” instigiert, d.h. durch die Entlehnungsaktivität von Superstrat-Sprechern in die entlehnenden Sprachen transportiert. Die wichtigsten semantischen Gebiete, in die entlehnt wurde, waren (a) (christliche) Religion (durch Missionsaktivitäten), (b) Schul- und Bürobegriffe, (c) Werkzeuge, und (d) Verwaltungsterminologie. Die zugrunde liegenden Konzepte wurden häufig zusammen mit ihren deutschen Bezeichnungen neu eingeführt. Schriftlich dokumentierte Lehnwörter aus dem Deutschen finden sich in den hier relevanten Sprachen seit etwa 1900 in Schulmaterialien (wie oben dargestellt) und Wortlisten bzw. Wörterbüchern, also schon kurz nach dem Beginn der deutschen Kolonialzeit. Wie aus den oben dargestellten Ausführungen Christallers von 1888 (Adick et al. 2001: 246) ersichtlich wird, sollten gerade in der kolonialen Anfangszeit so bald wie möglich Unterrichtsmaterialien erstellt werden. Dabei wurde die Hilfe von Dolmetschern in Anspruch genommen (Christaller in Adick et al. 2001: 246), doch die in der Regel noch begrenzte Sprachkompetenz der Lehrkräfte in den lokalen Sprachen mit den entsprechenden lexikalischen Lücken war einer der Gründe, warum gerade dort, wo Schüler in ihrer eigenen Sprache unterrichtet werden sollten, deutsche Lehnwörter einflossen. Die folgende Übersicht gibt die Verteilung von Lehnwörtern auf der Basis eines vorläufigen Korpus aus Wörterbüchern und verfügbaren kolonialzeitlichen Primärquellen (Missionspublikationen, Manuskripten, Briefen, Schulmaterialien u.ä.) wieder (vgl. Engelberg 2008). Dabei ist zu berücksichtigen, dass durch eine Erweiterung des Korpus noch Änderungen der einzelnen Zahlen möglich sind. Die vorhandene Datenbasis gibt jedoch bereits einen grundlegenden Eindruck von den z.T. stark unterschiedlichen Ergebnissen. Von den 26 Sprachen im ehemaligen mikronesischen Kolonialgebiet (Sprachenzählung nach Ethnologue, Lewis 2009) und Samoa wurden 14 Sprachen untersucht; in einer der Sprachen, Kosraeisch, sind keine deutschen Lehnwörter belegt. Zum Vergleich sind die bei Schlunk (1914) angegebenen Schulzahlen den jeweiligen Sprachgebieten zugeordnet. Ein deutlicher Zusammenhang zur Lehnwortzahl zeigt sich 16 17

    Das lag auch nicht im Zentrum seines Interesses, da er als Historiker auf die Erschließung von oral history fokussiert war. Auf Grund des historischen Kontextes und der Datenlage bezeichnet “Quellen” hier immer “schriftliche Quellen”. Zu Einzelheiten der Quellenlage vgl. Engelberg (dieser Band).

    Doris Stolberg

    156

    allerdings weder bei den Schulzahlen (gesamt bzw. in deutscher Trägerschaft) noch bei der Schulbesuchsquote. Diese Maße sind also nicht geeignet, um eine Erklärung für unterschiedliches Entlehnungsverhalten zu bieten. Verwaltungsbezirk

    Sprache

    Marianen

    Chamorro (Marianen) Karolinisch (Marianen) Ulithisch (Karolinen) Palauisch (Palau) Woleaianisch (Yap-Inseln) Yapesisch (Yap) Chuukesisch (Truk/Chuuk) Puluwat (Truk/Chuuk) Kosraeisch (Kosrae) Mokilesisch (Ponape/Pohnpei) Ponapesisch (Ponape/Pohnpei) Marshallesisch (Marshall-Inseln) Nauruisch (Nauru) Samoanisch(Samoa)

    Palau Westliche Karolinen Östliche Karolinen

    Marshall-Inseln, Nauru Samoa

    Schulen in deutscher Trägerschafti 2

    Schulen gesamt

    Schulbesuchsquote

    3

    6,3%

    55 10

    3 8

    3 8

    21 14

    19

    34

    8,1%

    belegte deutsche Lehnwörter 1 3 3

    6 0

    0

    1

    13

    17 14

    7

    43

    16,6%

    108 43

    2 88

    3 329

    29,5%

    Tab. 4: Mikronesische Sprachen und Samoanisch: deutsche Lehnwörter und Schulenzahl Eine Zählung der Lehnwörter deutschen Ursprungs in verfügbaren und zugänglichen Quellen der 13 betroffenen Sprachen ergibt eine Summe von annähernd 300 Lexemen. Ein großer Teil dieser Entlehnungen ist heute obsolet (z.B. samoanisch kaisa ‘Kaiser’, ametimani ‘Amtmann’; palauisch karmoból ‘Grammophon’) oder wurde evtl. nie als Lehnwort in den muttersprachlichen Sprachgebrauch integriert; für eine kleinere Zahl der Lexeme lässt sich jedoch bis heute ein produktiver Gebrauch nachweisen. Ungeachtet der potentiellen Auffindung und Auswertung weiterer Quellen ist zu berücksichtigen, dass diese Zusammenstellung, die aus Schriftdaten den gesprochenen Sprachgebrauch extrapoliert, in gewisser Weise ein Mindestmaß darstellt, da nur das, was i

    Regierungsschulen (eine auf Saipan/Marianen; zwei auf Samoa) und Schulen deutschsprachiger Missionen.

    Deutschunterricht in Mikronesien (1884–1914)

    157

    schriftlich erhalten ist, erfasst werden kann. Limitationen dieser Art sind ein generelles Problem der historischen und sozio-historischen Sprachwissenschaft (das bad dataProblem, vgl. Labov 1994). Im vorliegenden Fall, in dem es sich überwiegend um Entlehnungen durch Muttersprachler der Gebersprache handelt, kann man andererseits auch von einem Maximalmaß sprechen, da die vorhandenen Quellen häufig normativer Natur sind (Schulmaterialien, Wörterbücher und Grammatiken zu Unterrichtszwecken für Zweit- und Fremdsprachlerner) und so den tatsächlich gesprochenen Sprachgebrauch nicht notwendigerweise akkurat reflektieren. Insbesondere für die hier zentralen Lehnwörter trifft zu, dass ihre schriftliche Verwendung in den vorhandenen Quellen keineswegs die Integration durch Muttersprachler der potentiell aufnehmenden Sprache impliziert. Das ist nur dann gegeben, wenn sich im heutigen Sprachgebrauch der einschlägigen Sprachen deutsche Lehnwörter kolonialzeitlichen Ursprungs finden; die Kontinuität lässt sich in diesem Fall über ältere, auch kolonialzeitliche, Quellen und Wörterbücher überprüfen. Einige Beispiele finden sich (anekdotisch), wenn man im Internet nach früh belegten kolonialzeitlichen Entlehnungen sucht, z.B. für das Samoanische. Deutsch

    Samoanisch

    In älteren Quellen belegt, jetzt obsolet: Kaiser kaisa Amtmann ametimani Amboss amepusa Etablierte Entlehnungen, in produktiver Verwendung: Benzin [vs. engl. petrol/gas(oline)] penisini [ / kesi] Diesel tiso Liter [vs. engl. ounce] lita [ / aunese] Fünfer fumfa ‚wertlos, nutzlos‘

    (vgl. Otto 1989, Mosel & So’o 1997)

    Internetbeleg Ua faamaonia e le Kapeneta le faalauiloaina o Fesuiaiga o le tau o Suau’u ma Penisini mo le masina o Fepuari 2010. SUAUU IANUARI FEPUARI FESUIAIGA PENISINI 227.01 sene/lita 232.94 sene/lita 5.93 sene/lita (2.5%) TISO 229.20 sene/lita 231.45 sene/lita 2.25 sene/lita (1.0%) KARASINI 208.71 sene/lita 212.46 sene/lita 3.75 sene/lita (1.8%) O loo atagia i tau o loo taua i luga le si’itia o le tau o suauu. O le penisini e 2.5% e sii tia ai mai le $2.27 i le $2.33, o le tiso e 1.0% o le a siitia ai mai le $2.29 i le $2.31 ae o le karasini e 1.8% e siitia ai mai le $2.09 i le $2.12 sene mo le masina o Fepuari 2010. E faamamaluina nei tau fou i le aso 1 Fepuari 2010. O loo faailoa i le fua o loo i lalo le tau o suauu i isi atunuu o le Pasefika. SAMOA AUSETALIA NIU SILA FITI SAT AUD SAT NZD SAT FJD SAT PENISINI $2.33 $1.21 $3.10 $1.77 $3.21 $2.06 $2.77 TISO $2.31 $1.28 $3.28 $1.13 $2.05 $1.75 $2.35

    Quelle: http://www.samoaobserver.ws/index.php?view=article&id=18555%3Afesuiaiga-ole&option=com_content&Itemid=54 (aufgerufen am 25.05.2012; meine Hervorhebung, DS)

    158

    Doris Stolberg

    6. Zur Korrelation von intensivem Deutschunterricht und dem Umfang lexikalischer Interferenz Auf der Basis der Datenlage ist es nicht möglich, die Ausgangshypothese einer Korrelation zwischen intensivem Deutschunterricht einerseits und dem Ausmaß lexikalischer Entlehnungen andererseits abschließend zu evaluieren. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Inhomogenität des Deutschunterrichts und daraus folgende Probleme für die Generalisierung von Beobachtungen bezüglich des Sprachkontakts in der Schule. Als vorläufiges Ergebnis lässt sich zusammenfassen, dass deutliche individuelle Effekte belegt sind (vgl. Christmann 1986); weiterreichende Effekte auf der Ebene von Sprachgemeinschaften werden in den analysierten Daten jedoch nicht reflektiert. Generell scheint es der Fall zu sein, dass Art und Ausmaß von konkretem Sprachkontakt stark durch lokale Faktoren wie die jeweilige Schule und einzelne Lehrkräfte und ihre Qualifikationen bedingt wurden. Beispielhaft illustriert wird diese Variabilität durch die Verhältnisse im Verwaltungsgebiet der Marshall-Inseln. Obgleich der gesamte Bereich nur einer protestantischen Missionsgesellschaft (ABCFM) missionarisch zugeordnet war, bestanden auf Grund der personellen Ausstattung (deutschsprachiger Missionar nur auf Nauru) gravierende Unterschiede in der Art und Qualität des Deutschunterrichts, die andeutungsweise auch auf die Lehnwortbefunde ausstrahlen (für eine Interpretation des Befunds ist jedoch die unausgewogene Datenlage zu berücksichtigen).

    7. Zusammenfassung und Schlussbemerkung Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Schulen und der dort durchgeführte Deutschunterricht gewisse Auswirkungen auf lexikalische Entlehnungen hatten, dass dieser Einfluss jedoch, gemessen an der Zahl der belegten Lexeme, nicht sehr ausgeprägt war. Die Verknüpfung zwischen Schuldichte bzw. Schulbesuchsquote als einem (möglichen) Indikator für Intensität von Sprachkontakt einerseits und linguistischer Interferenz in Form von lexikalischer Entlehnung andererseits hat sich als deutlich weniger stark erwiesen als in der Ausgangshypothese angenommen. Engelberg (2006: 17f.) entwirft eine Hierarchie von Faktoren, die die Bereitschaft von Sprechern bzw. Sprachen hinsichtlich der Aufnahme von Lehnwörtern beeinflussen können. Er schlägt vor, dass Verbreitung einer weiteren europäischen Sprache im (geographisch bzw. sozial) relevanten Kontaktgebiet an erster Stelle steht im Hinblick darauf, Entlehnungen aus dem Deutschen zu blockieren. Dagegen hält er die Wirksamkeit von Schulen in diesem Kontext für eher gering. Ich stimme dieser Einschätzung teilweise zu. Wo z.B. Englisch als Kommunikationsmittel bereits etabliert war, war es für das Deutsche schwieriger, Fuß zu fassen. Z.T. war die Motivation der Bevölkerung gering, eine weitere europäische Sprache (noch dazu mit geringerem kommunikativ-funk-

    Deutschunterricht in Mikronesien (1884–1914)

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    tionalem Nutzen als Englisch) zu lernen, z.T. lag das Schulwesen vor Ort bereits fest in der Hand englischsprachiger Missionen, so dass Umstrukturierungen schwierig und aufwendig waren (vgl. hierzu die oben zitierten Briefe, u.a. von Thomas Gray). Es gibt aber auch Gegenbeispiele. So besaß auf Samoa das Deutsche zumindest unter der einheimischen Bevölkerung ein gewisses Prestige, was sich u.a. darin ausdrückte, dass eine deutliche Nachfrage nach Deutschunterricht bestand. Auch ist für das Samoanische eine relativ hohe Zahl von deutschen Lehnwörtern belegt, obgleich Englisch hier bereits vor Beginn der deutschen Kolonialzeit (und trotz frühzeitiger Handelskontakte mit deutschen Unternehmen) sowohl im wirtschaftlichen als auch im missionarischen Bereich fest verankert war. Andererseits gibt es m.E. Hinweise darauf, dass der Einfluss von Schulen auf die Sprachkontaktsituation größer war als von Engelberg (2006) angenommen. Allerdings besteht hier keine direkte Relation, in der höhere Schulzahlen bzw. eine höhere Schulbesuchsquote zu einer größeren Menge an deutschen Lehnwörtern geführt haben. Wie ich versucht habe zu zeigen, war die Schullandschaft trotz einer einheitlich deutschen Verwaltung mit (einigen) übergreifenden Vorgaben zum Sprachunterricht im deutschen Kolonialgebiet alles andere als homogen. So steht der Situation auf Samoa, mit einer vergleichsweise hohen Zahl von Deutschsprechern und verbreitetem Deutschunterricht (u.a. mit Deutsch als Unterrichtssprache), z.B. das Kosraeanische gegenüber, für das keine deutschen Lehnwörter schriftlich belegt sind. Kosrae wurde von der englischsprachigen Missionsgesellschaft ABCFM missioniert und beschult, die beträchtliche Probleme hatte, qualifiziertes Lehrpersonal für den Deutschunterricht zu finden (vgl. oben). Ähnlich verhält es sich mit den Marshall-Inseln, auf denen die Schuldichte vergleichsweise hoch war, in deren Sprache, Marshallesisch, jedoch nur vereinzelte deutsche Lehnwörter zu finden waren bzw. sind. Auch die Marshall-Inseln wurden vorrangig von dem ABCFM missioniert und beschult, mit der gleichen Problemlage wie auf Kosrae. Die Beispiele Samoa und Kosrae/Marshall-Inseln zeigen, dass die Schulsituation18 durchaus Auswirkungen auf die Verbreitung der deutschen Sprache und deutscher Lehnwörter haben konnte, allerdings je nach den sprachlichen Bedingungen vor Ort entweder verstärkend oder aber blockierend (z.B. bei einer bereits etablierten Präsenz des Englischen). Dabei ist hervorzuheben, dass eine hohe Zahl an Schulen, ebenso wie eine hohe Schulbesuchsquote, nicht gleichbedeutend mit tatsächlichem Sprachkontakt mit dem Deutschen war. Andererseits handelt es sich bei Superstratentlehnungen in einem kolonialen Kontext niemals nur um Folgen der Intensität des (politisch forcierten) Sprach- und Kultur18

    Mit Schulsituation ist an dieser Stelle die gesamte schulische Konstellation gemeint, die Zahl der Schulen und Schulbesuchsquote in einem bestimmten Gebiet einschließt, aber auch das Lehrpersonal und seine Sprachkompetenz hinsichtlich des Deutschen, ebenso wie die Motivation der Lernenden, die z.B. durch die Anwendbarkeit des Deutschen oder Englischen im unmittelbaren wirtschaftlichen Umfeld mitbestimmt wird. Auch die Frage, ob bereits eine andere europäische/koloniale Sprache als das Deutsche im Schulkontext etabliert ist, spielt für die Schulsituation eine Rolle.

    160

    Doris Stolberg

    kontakts, sondern auch um einen Reflex dessen, wie wirksam die Maßnahmen der Kolonialmacht in Hinblick auf die Verbreitung ihrer eigenen Kultur und Sprache waren. Unterschiedliche Kolonialmächte haben bezüglich der Verbreitung ihrer nationalen Werte verschiedene Positionen bezogen und Strategien verfolgt (vgl. den Vergleich der kolonialen Schulsysteme in französischen, britischen und deutschen Kolonien in Adick 1992), und Schulen sind ein wichtiger Bestandteil der Apparatur zur Regulierung dieser Verbreitung. Ein Grund, der zu einem vergleichsweise geringen “Erfolg” im deutschen Fall geführt haben mag, war eine anhaltende und beträchtliche Unentschiedenheit in Bezug auf die sogenannte “Sprachenfrage”, d.h. die Frage, ob eher die Verwendung und Verbreitung der deutschen Sprache in den deutschen Kolonialgebieten vorangetrieben werden sollte, oder ob eine Beschränkung des Deutschen auf die Verwendung in der kolonialen Herrschaftsschicht erstrebenswerter war. Es hat sich gezeigt, dass eine pauschale Behandlung des Faktors Schule/Deutschunterricht auf Grund der dargestellten Inhomogenität nur bedingt aufschlussreich ist. Um die tatsächlichen Auswirkungen des Deutschunterrichts besser beurteilen zu können, ist daher eine detaillierte Analyse der Schulorte und des Schulpersonals erforderlich. Ein deutlicheres Bild der tatsächlichen Sprach- und insbesondere Deutschverwendung und -beherrschung vor Ort ergäbe sich, wenn weitere kolonialzeitliche Daten pazifischer Muttersprachler erschlossen werden können. Da solche Texte, sofern sie vorhanden sind, vermutlich nicht ohne “Hilfe” verfasst wurden (vgl. Mühlhäusler, dieser Band), ist zwar auch dort keine unmittelbare Abbildung der vorhandenen (Schrift-)Sprachbeherrschung zu erwarten. Dennoch können sie Hinweise darauf enthalten, welche Lehnwörter tatsächlich integriert waren und nicht nur von deutschen Muttersprachlern verwendet wurden. Die Verwendung solcher Daten, sofern sie denn zugänglich sind, entspräche zugleich einem soziolinguistischen Perspektivenwechsel von der Seite der Schulträger (und ihrer Mittelsleute vor Ort) zur Seite der Schulnutzer. In einem allgemeineren Sinne trägt die Untersuchung des Faktors Schule im kolonialen Sprachkontakt dazu bei, das Ausmaß und die Folgen von Substrat-SuperstratInteraktionen in einem zeitlich begrenzten kolonialen Umfeld besser beurteilen zu können. Was in diesem speziellen Fall besonderes Interesse verdient, ist die geringe Zahl von deutschen Muttersprachlern und die inkonsistente Umsetzung der Verwendung und Unterweisung in der deutschen Sprache einerseits und demgegenüber die Tatsache, dass sich noch rund 100 Jahre später lexikalische Reflexe dieser Kontaktsituation in den betroffenen Sprachen finden lassen. Besonders hervorzuheben ist, dass der Effekt des Deutschunterrichts nur zu einem kleinen Teil von übergeordneten politischen Entscheidungen abhing, dafür umso mehr von spezifischen lokalen Gegebenheiten, der individuellen Situation einzelner, die z.B. den Besuch der Regierungsschule in Saipan ermöglichte, oder auch von Zufällen, wie einem deutschsprachigen ABCFM-Missionar auf Nauru und demgegenüber eben keinem deutschsprachigen Missionar auf Ponape/Pohnpei (und anderen Inseln). D.h., um sich den Faktor Schule in seiner Auswirkung auf den Erwerb und die Verwendung von

    Deutschunterricht in Mikronesien (1884–1914)

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    Deutsch zu erschließen, ist es unumgänglich, in punktueller Detailarbeit einzelne Kontaktkontexte zu analysieren; erst aus der Summe dieser Analysen ist es möglich, zu einer fundierten allgemeineren Aussage darüber zu kommen, welchen Anteil die Schulen, als einer der Faktoren des Kontaktsettings, an der Etablierung von kolonialem Sprachkontakt und deutschen Lehnwörtern hatten.

    Literatur Archivmaterialien Missionsberichte Nauru (1905–1911): American Board of Commissioners for Foreign Mission. Boston, USA. Papers of the ABCFM Mission. American Board of Commissioners for Foreign Mission. Boston, USA. [Solf, Dr.] (1905): In Call number: R996.14 SAM (Vol. 22) (ed. D. S. A. Public Notices Issued to Samoan Natives by the German Governor of Samoa, 1900–1911) Nelson Library, Apia (Samoa).

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    162

    Doris Stolberg

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    PART C KOLONIALE DISKURSE ÜBER SPRACHEN UND VÖLKER

    JULIUS RIESE (LUZERN)

    The Samoanische Zeitung (1901–1914). Images of the Samoan people and culture in a German colonial newspaper

    Abstract The Samoanische Zeitung was the only commercial German-language newspaper ever to be published in the Pacific during colonial times. It forms an important historical source for the German language influence in Samoa, the western islands of which were the last colony to be acquired by Imperial Germany in the Pacific and, indeed, worldwide. This article summarizes the findings of a study investigating which images were constructed of the indigenous Samoan people and culture in the Germanand English-language articles of the Samoanische Zeitung. It turns out that these images may be structured in six interconnected discourses each of which revolve around one core theme or motif. These discourses, however, do not represent different perspectives given by different authors, but rather different facets of a complex – sometimes seemingly contradictory, yet coherent – imagery of the Samoan people and culture that reflects the special place Samoa occupied in the overall picture of German colonialism.

    1. Introduction Commercial newspapers constitute important historical sources for reconstructing the interactions of indigenous and foreign languages in historical colonial settings. In the Pacific, the Samoanische Zeitung (literally: “Samoan Newspaper”) was the only commercial German-language newspaper ever to be published during colonial times (Spennemann 2006: 2–3, 2007: 2). It was edited and published in Samoa’s capital and only town Apia by the German resident Emil Lübke from 1901 to 1914 almost coinciding with the period of German colonial rule on the islands. The Samoanische Zeitung (SZ) must therefore be regarded as an important source for the German language influence in Samoa at the beginning of the 20th century. This holds true particularly for the question of how the autochthonous Samoan people and culture were covered and represented in the newspaper, especially (but not exclusively) in its German-language articles and by its German-writing contributors. This article summarizes the results of a study that was conducted in Samoa and Germany from 2007 to 2008 to tackle this question.

    166

    Julius Riese

    So far, only little research has been done on the Samoanische Zeitung. Spennemann (2007) conducted a bibliographical analysis of the Samoanische Zeitung and collected information on its publishing background. The same author also recorded fiction items in the paper (Spennemann 2006). However, “to date no critical assessment of the content of the Samoanische Zeitung has been carried out” (Spennemann 2007: 34). My paper aims at filling this research gap by analyzing one particular part of the newspaper’s content, namely its coverage of the Samoan people and culture. How were the indigenous inhabitants of Samoa and their culture represented in the newspaper? Which images did SZ authors construct of them? Were these perceptions similar to the typical European stereotypes and clichés of Polynesian people of the time or did Germans residing in Samoa modify this imagery as a result of their long-term stays on the islands? It is hoped that analyzing the newspaper according to these questions will provide insights into how colonial agents perceived and interacted with the Samoan people in the daily routine of life in German Samoa (I use the term “colonial agents” to refer to all persons on the ruling side of the colonial power field including not only officials of the colonial administration but also members of the colonial civil society such as planters, business men, missionaries, representatives of trading companies etc.). So far, the main focus of scholarly research on German Samoa has been on analyzing records of the colonial administration (Spennemann 2007: 34). It can be expected that using a commercial newspaper like the SZ as an empirical historical source will offer perspectives on the mindsets and perceptions of a wider range of colonial agents than might be gained from analyzing mainly official archival material. This is because newspapers such as the Samoanische Zeitung were media intended for the general public and were open at least nominally to all members of the community. Thus, this article aims to deepen our understanding of the daily practices of the cross-cultural and cross-lingual encounters occurring in German Samoa. In the following second section of this paper, I will outline some general characteristics of the SZ along with information on the history of its publication, editorial background and the role the paper and its contents fulfilled for its readers. On this basis, I shall turn to my analysis of the coverage and representation of the Samoan people and culture in the Samoanische Zeitung.

    2. Editorial background, contents and function of the paper Before the publication of the Samoanische Zeitung, there had been a limited number of English-language newspapers in Samoa including the Samoan Reporter (1845–1860), the Samoa Times and South Sea Gazette (1879–1881), the Samoa Times and South Sea Advertiser (1888–1896) and the Samoa Weekly Herald (1892–1900). In addition, there had been some newspapers written in the Samoan language which were published by

    The Samoanische Zeitung (1901–1914)

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    the different Christian denominations present on the islands (Meleisea 1987: 27, 29; National Library of Australia 2007; Spennemann 2003, 2004, 2006). When Emil Lübke, the founder and editor of the Samoanische Zeitung (see below for biographical details), arrived in Samoa in 1901, the only newspaper published in German Samoa was the Samoa Weekly Herald which was then bought up by a group of Germans, most likely including employees of the Deutsche Handels- und Plantagengesellschaft der Südseeinseln zu Hamburg (DHPG) as well as Governor Wilhelm Eugen Solf (Spennemann 2007: 13, 15). Although Lübke was referred to not only as printer and editor but also as “proprietor” of the SZ (Cyclopedia of Samoa 1907: 67, 98), it remains unclear whether he was actually a shareholder in the business or simply employed as editor by the actual owners who preferred to stay in the background (Spennemann 2007: 15). In any case, he was “the only public face to the Samoanische Zeitung” (Spennemann 2007: 15) and it was under his direction that the former Samoa Weekly Herald was turned into the “German organ” (Cyclopedia of Samoa 1907: 99) of Samoa under the new name of Samoanische Zeitung (Cyclopedia of Samoa 1907: 99; Spennemann 2006: 3–4, 2007: 13). The first issue of the Samoanische Zeitung was published on 6 April 1901. At first, the SZ was published only fortnightly, but later in 1901 the frequency was increased to a weekly publication with a new issue coming out every Saturday. Throughout the time of German colonial rule, the paper was edited by Emil Lübke (Cyclopedia of Samoa 1907: 99). As a result of the New Zealand takeover of German Samoa in August 1914, the newspaper underwent major structural and editorial changes and German ceased to be the primary language of the paper. Soon after, Lübke stepped down as editor. In January 1915, the name Samoanische Zeitung was replaced by the title The Samoa Times (Spennemann 2006: 8–9). This finally brought the existence of the only German-language paper in the history of Samoan newspapers to an end. However, there continued to be a German supplement to the Samoa Times until mid-1916 (Spennemann 2006: 9). The SZ is to more than 50% written in German. The first (main) part of the newspaper is always in German. Following is a smaller English part with separate articles as well as English translations of German articles from the German part. Sometimes, these translations are shortened versions of the original German articles. The SZ normally had a length of ten pages. Subscribers to the SZ included not only (though to the biggest part, of course) German and other foreign residents of Samoa, but also Germans living in Germany who were for some reason or the other interested in Samoa (see Schlosser 2003 for an example of a Germany-based subscriber to the SZ). During the time of the publication of the Samoanische Zeitung, there were two other newspapers in German Samoa which were both printed in the office of the SZ: the O le Savali (“The Messenger/Ambassador”) which was published in the Samoan language “(…) for the dissemination of news among the natives” (Cyclopedia of Samoa 1907: 99) and the Samoanisches Gouvernements-Blatt which was the official gazette of the German administration (Cyclopedia of Samoa 1907: 99, Spennemann 2006: 8, 11–12).

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    The SZ was the only commercial German-language newspaper in the entire Pacific, including the other German colonial possessions in this region (Spennemann 2006: 2–3, 2007: 2).

    2.1. Editorial staff and contributors The editorial board and staff of the SZ were small in number. Mainly, there were Emil Lübke, F. Müller and James Ah Sue. Emil Lübke, the founder and editor of the paper, was born in Dresden, Germany, around 1860. A printer by profession, he migrated to Australia at the age of 30 where he worked for around a decade in this craft before leaving for Samoa to become editor of the Samoanische Zeitung (Spennemann 2007: 13–15; cf. Cyclopedia of Samoa 1907: 98–99). Lübke was assisted in editing the newspaper by the Australian F. Müller with whom he had already worked together in Brisbane, Queensland. Müller seems to have been responsible for editing the English part of the paper. When Müller returned to Australia in 1910, he was soon to be replaced by James Ah Sue, a man of mixed Samoan-Chinese origin who had already worked for the Samoa Times and the Fiji Times. Although initially employed only as head compositor and printer, Ah Sue soon also acted as editor of the English section and manager. It appears that the British Vice-Consul to Samoa, Thomas Trood, helped Mr. Ah Sue in editing the English section after Müller had departed Samoa (Cyclopedia of Samoa 1907: 95, Spennemann 2006: 14). Writing under the pseudonym of “Custos” (1901, 1907), Trood was one of the most important contributors to the SZ. In the last stages of the SZ in the wake of New Zealand take-over, Ah Sue seems to have practically replaced Lübke as editor who is said to have suffered under problems of alcoholism then (Spennemann 2006: 11, 2007: 20–25). The SZ also employed some “short-term staff” (Spennemann 2006: 11) as well as compositors, the latter including the German Adolf Mohr (Cyclopedia of Samoa 1907: 64) and at least three Samoans whose names are unknown (Spennemann 2007: 20–21). The Cyclopedia of Samoa noted in 1907 about the Samoan compositors that they “(…) have proved themselves both industrious and intelligent” (Cyclopedia of Samoa 1907: 99). Apart from these compositors and the part-Samoan Ah Sue, no other Samoans seem to have participated in publishing and editing the SZ or, indeed, in contributing any items to the newspaper. Thus, the SZ has to be regarded as a palagi-only forum (palagi is the Samoan term for any “white” or European person). I did not find any evidence backing Schlosser’s (2003: 30) claim that the SZ author writing under the pseudonym of “Spectator” was a Samoan. On the contrary, I conclude from the analysis of three of “Spectator’s” articles (“Spectator” 1912, 1914a, 1914b) that the person in question is not a Samoan and probably not an ’afakasi/totolua (person of part-Samoan descent) either, but a European.

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    Apart from contributions by the editorial staff of the SZ and items adopted from other newspapers (especially Australian and German ones, see Spennemann 2007: 39–41 for a detailed listing), quite a number of items were contributed by foreign residents of Samoa, both of German and other nationality. Interestingly, many of those contributors did not only write articles for the SZ, but were generally quite active in publishing on Samoan topics, also in matters of ethnological interest. A good example is the German planter Werner Albert von Bülow who published extensively on Samoa in both the SZ and Germany-based journals. His writings include many ethnographic contributions (Cyclopedia of Samoa 1907: 106–107, Liedtke 1999, Spennemann 2006: 32, 15). In fact, von Bülow was regarded at the time as “(…) one of the greatest authorities on Samoan customs and history” (Cyclopedia of Samoa 1907: 106). Other examples include German trader, planter and business man Richard Deeken and his wife Else or German veterinarian Heinrich Neefgen, the author of important works on the Samoan language (Cyclopedia of Samoa 1907: 90–91, Liedtke 1999, Spennemann 2006: 25). This seems to reflect a wider phenomenon in German Samoa, many residents of which showed quite some interest in the Samoan people and devoted themselves to the study of their language, culture and history. Remarkably, this also extended to the colonial administrators. Erich Schultz, for instance, who acted as Chief Justice of Samoa before succeeding Wilhelm Eugen Solf as Governor in 1910, had his two most important contributions to Samoan ethnography (Schultz 1905, 1906) printed and published by Emil Lübke in the office of the Samoanische Zeitung.

    2.2. Contents News items form the most important type of content of the Samoanische Zeitung. Quite naturally, Samoan colonial affairs are frequently featured. Many articles report on the economic development of the colony, especially in respect to the plantation business. A separate “Planter’s Column” indicates that many planters were readers of the SZ. Also, there was a column called Gerichts-Verhandlungen (“Judicial Hearings/Trials”). Generally, a positive picture of German colonial rule in Samoa is painted in the newspaper and relatively little criticism is exercised on the policies of the German administration (Spennemann 2006, 2007 and Liedtke 1999 arrive at similar assessments). This is most likely a result of the close ties between the SZ and the German administration: an important source of income for Lübke’s business was that the German administration did all its printing in the office of the SZ (Cyclopedia of Samoa 1907: 67, Spennemann 2006: 7–8). Moreover, Governor Solf seems to have been a shareholder of the SZ during the first years of German rule and he might even have written some of the editorial items himself. The SZ was also criticised for being close to the DHPG, some employees of which also owned shares of the newspaper (Spennemann 2006: 7–8, 2007: 13–17).

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    Quite a number of articles and columns serve primarily for the diversion and entertainment of readers including “light readings” such as poems, puzzles and fiction stories, but also items of a more educational nature such as academic treatises, popular science articles, essays and reviews. Many of these articles cover topics relevant to Samoa and the Pacific region, for instance geophysical and meteorological observations or ethnographic contributions. Letters to the editor seem to form a core component of the paper. Often, they are quite long compared to those in today’s newspapers and sometimes they are even longer than regular articles. Apparently, the “Correspondence” section of the SZ functioned as an important forum for discussion and debate among the palagi residents of Samoa. Letters to the editor were also used to lodge complaints about various aspects of life in the colony. Thus, the SZ must be regarded as a communication medium between individual residents, the foreign community as a whole and the German administration. The Cyclopedia of Samoa noted in 1907 that the SZ’s “(…) columns are open to all for the ventilation of grievances (…)” (Cyclopedia of Samoa 1907: 99). However, this statement is difficult to verify as we do not know whether any letters to the editor were declined for publication. Bearing in mind the strong ties that existed between the newspaper and the German administration this possibility cannot be ruled out.

    2.3. Function and role The fact that the main language of the Samoanische Zeitung was German, alone, indicates that the paper fulfilled the primary function of serving the German community in Samoa. For the Germans residents, the SZ was the only source of latest news, information and diversion being written in their native tongue. As the Germans lived within a bigger community of foreigners with whom they communicated mostly in English, the SZ met the demand of German residents to have at least one medium allowing reading and discourse in their own language. Moreover, the SZ was one of the few sources informing the German residents about latest events and developments in their home country. In addition to this primary function, the SZ also catered for the other palagi living in Samoa which is reflected by the English section of the paper. Being the only written medium in German Samoa to serve as a discussion forum and communication medium for both German- and English-speaking foreign residents, the SZ gave a voice to the shared identity of the palagi community. Spennemann, however, states that the SZ had “no standing in the community” (Spennemann 2006: 7) and that it “made few waves” (Spennemann 2007: 13). His assessment is based on the observation that the paper does not appear in official files and that it received only little attention in Germany itself (Spennemann 2006: 7, 2007: 13). However, both indicators do not actually say a lot about the importance the newspaper might have had for local readers. My analysis of the paper’s content indicates that while the SZ may not have provided a stage for eager

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    political debate and for criticising the colonial administration, it did fulfil an important role as a medium for information, exchange and divertissement for the local foreign community. It is for this reason that the Samoanische Zeitung forms a valuable historical source for studying how local colonial agents perceived and represented the autochthonous people and culture of Samoa.

    3. Images of the Samoan people and culture In order to study the images constructed of the Samoan people and culture in the Samoanische Zeitung, a sample of 90 issues was taken representing almost 13% of all SZ issues ever published. While there is nothing like a column on “native affairs” in the SZ, the Samoan people are covered regularly in almost all types of items ranging from being the main subject of articles to being mentioned in passing only. Thus, all items in the SZ issues sampled were checked for any sort of treatment or mentioning of the Samoan people. The material collected was then analysed piece by piece and subsequently interpreted synoptically. In the course of this analysis, I found out that the ways in which the Samoan people and culture are dealt with in the SZ may be structured in six interconnected discourses each of which revolve around one core theme or motif: 1. 2. 3. 4. 5. 6.

    Reinforcing positive images of Polynesia; Locating the Samoans “racially”; Evolutionary discourse; Cultural change and preservation; Colonial difference and distance; The SZ as an ethnographic forum.

    These six discourses do not represent different perspectives on the Samoan people given by different authors, but rather different facets of a complex – sometimes seemingly contradictory, yet coherent – imagery of the Samoan people and culture constructed by local agents. In the first discourse, the colonial setting along with the indigenous Samoan people and culture therein is painted in positive colours drawing on an already existing repertoire of European images of Polynesia. Secondly and thirdly, the Samoan people are located within the systems of racial and evolutionary classification of the time. On the basis of predictions derived from locating the Samoan people “racially” and culturally, agents articulating themselves in the SZ discuss processes of cultural change and possible measures of preserving a “codified version” (Steinmetz 2004: 268) of fa’a Samoa (Samoan culture). In a fifth discourse, the cultural alterity of the Samoans is dynamically constructed in order to legitimize the colonial enterprise as a whole. Finally, SZ

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    contributors engage in exchanging, negotiating and contesting their ethnographic knowledge of Samoan culture. Put together, these discourses make up what can be assumed to be a canonical repertoire of images of the Samoan people constructed by German and other foreigners residing on the islands in around the first decade of the 20th century. I shall now describe each of the six discourses in detail.

    3.1. Reinforcing positive images of Polynesia Generally, it can be said that in the SZ typical European images about Polynesian islands, peoples and their cultures as they already existed before the beginning of German colonial rule in Samoa are confirmed and reinforced. A particularly telling example of SZ authors drawing on an already existing canon of positive imagery of Samoa is a poem published in the issue of 7 December 1901 (Appendix A). It features almost all components of the standard repertoire of European imagination of Polynesian island(er)s by describing the “paradise-like” situation a German man found himself in at a location near the Vaisigano river: lush tropical vegetation providing him with an abundance of food which he gets for free (he does not even need money in Samoa as the poem states), a pleasant warm tropical climate (he does not need to wear anything besides his lavalava, the Samoan wraparound) and being served and entertained by a beautiful Samoan girl who is described as having a “pure goodness of heart” (von reiner Herzensguete). However, this poem was probably interpreted by its readers as having a strong ironic connotation, too and, indeed, as playing with German imagery of Samoa, because even for early 20th century German standards it was most likely perceived as being too kitschy to be taken seriously to 100%. This is also backed by the negative statement about the colour of the girl’s skin as well as the turn in the mood of the poem in its last two lines in which the author states that the German will probably regret having married his Samoan girlfriend (this has been interpreted by Spennemann 2006: 15 as a criticism of mixed Samoan-German marriages). An even stronger ironic breaking of positive German images of Samoa is observed in a poem published in the SZ issue of 2 October 1909 (Appendix B), which combines the standard imagery discussed above with a satirical criticism of the political and economic motives of Imperial Germany in acquiring its Samoan colony. This poem was adopted from a German satirical magazine while the one discussed earlier appears to have been written by a German author living in Samoa. The differences between the two poems reflect the opposition of Samoan-based (local/insider) versus Germanybased (external/outsider) German perspectives on Samoa, the former depicting the colonial setting slightly more favourable than the latter. Numerous other items in the SZ evoke positive images of Samoa and its people, for example when the Samoans are described as “proud and beautiful natives” (stolze[n],

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    schoene[n] Eingeboren[e], Deeken 1914, my translation) as “well formed people” (“Custos” 1907: 8) or Samoa is referred to as a “paradise” (SZ 16 Feb 1907, p. 2). The German imagery of Samoa as a “South Sea paradise” expressed in the SZ typically includes ideas of an idyllic, quiet and peaceful place, far away from the hustle of urban industrialized life (see, for instance, Deeken 1914). While some Germans, however, complain that the pace of life in Samoa is too slow, this is described by other settlers as a specific and indeed favourable characteristic of the South Sea (see, e.g., anonymous letter to the editor in SZ 12 Oct 1901, p. 1). There is, however, more to the colony’s imagery constructed in the SZ than just the aesthetic appearance of Samoa and its people along with a “laid-back” life style: many traits believed to be characteristic of Samoan culture by colonial agents articulating themselves in the SZ are described as positive alike and even as exemplary. Reinecke (1901), for example, describes Samoan culture (Volksleben) as “almost ideal in many regards” (Reinecke 1901, my translation). For instance, he praises the Samoans’ “aristocratic ideas and customs which are combined with enviable communism” (Reinecke 1901, my translation). Most contributors to the SZ seem to have agreed that “communism” was one of the most fundamental and obvious characteristics of fa’a Samoa, an opinion which was also shared by German ethnologist and Samoa specialist Augustin Krämer (Steinmetz 2004: 264). Reinecke’s interpretation of Samoan society as combining both communism and aristocracy must have sounded very remarkable and interesting to the ears of early 20th century Europeans. Overall, Samoan culture is shown great interest in by quite a number of SZ contributors, appreciated as rich and even described as “exemplary” in many ways (Deeken 1914, Henniger 1912, Reinecke 1901, “Spectator” 1912). Taking the German images of Samoa as they are expressed in the SZ into a synoptic view, we can agree with Steinmetz (2003, 2004) arguing that in the European imagination “(…) Samoa had replaced Tahiti during the second half of the nineteenth century as the essential Ur-Polynesia” (Steinmetz 2003: 61). Indeed, the notion of Samoa as the “heart” or “cradle” of Polynesia or as “Polynesia proper” is also reflected in the SZ, for example when Samoa is referred to as the “Jewel of the South Sea” (‘Perle der Suedsee’, SZ 28 Feb 1914, p. 3, quotation marks in original). In the case of German thought, this replacement was caused to a great part by the fact that Samoa was Germany’s only colony in Polynesia and thus the most obvious place for projecting German images of Polynesia on.

    3.2. Locating the Samoans “racially” Apart from constructing Samoa as a South Sea paradise, the SZ was also a medium for German and other foreign residents of Samoa to negotiate the “racial” status of the Samoans. It is made clear in several SZ articles that the Samoan people were believed to

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    occupy an exceptional position among the peoples colonized by European powers on the grounds of a close “racial kinship” between Central Europeans and Samoans. The German term Sonderstellung is used in such SZ articles to denote the exceptional position of the Samoans in terms of their “racial” classification (see e.g. SZ 15 Apr 1914, p. 1). In the SZ issue of 15 April 1911 (pp. 1–2), for example, an anonymous author states that Polynesians belonged to the extent of “three quarters” to the race of the Germans which set the Samoans apart from “Papuans, Hereros and central African negros” (ibid., my translation). Similarly, physician Thieme (1914) claimed in the SZ issue of 13 June 1914 that it was state-of-the-art that Germans and Polynesians shared “the bigger part of their blood” (Thieme 1914). Attributing to the Samoans an exceptional position in the system of racial classification formed an important argument in the debate about offspring from mixed SamoanEuropean relationships. Such “half-castes” (or ’afakasi/totolua as they are referred to in Samoan with less negative connotations than the English term, Meleisea 1987: 155) were mostly descendants of European men and Samoan women. Their ethnic and legal status was highly controversial during the time of German colonial rule. Many Germans residing in Samoa such as the SZ contributor Thieme (1914) argued in the Samoanische Zeitung that ’afakasi/totolua were physically and mentally much better adapted to the environmental conditions of Samoa than “full-blooded” whites. This meant they were extremely important for the socio-economic and demographic development of German Samoa and thus, they had to be treated differently than the indigenous peoples in other German colonies it was argued. The Samoans’ Sonderstellung put forward in the SZ by local German settlers was not necessarily agreed upon by commentators outside Samoa who ventilated their views, for example, in the Koloniale Zeitschrift (“Colonial Journal”, Liedtke 2005: 296–299). In this debate (see Liedtke 2005 for a full account), the perspectives of on-the-spot colonial agents who were personally involved in the daily life of the colony and interacted directly with its people (sometimes even in the role of husbands of Samoan wives) seem to have clashed with the views of Germany-based racial ideologists arguing purely on a theoretical basis. Apparently, the SZ constituted a forum for airing the specific views of local Germans who tended to depict the colonial setting (at least in respect to “native affairs”) more favourably than outsiders who were not personally affected by or directly involved in the actual life of German Samoa. While not all Germans acknowledged the Sonderstellung attributed to the Samoans in the SZ, ascribing them an exceptional racial position was nevertheless part of a larger discourse among German and other European racial theorists in which the Samoans were placed close to contemporary or past European peoples. Popular images in this context included the view of Samoans as the “Germanics of the South Sea” (“Germanen der Südsee”, Hiery 2002: 15) or as “cousins of the Caucasian race” as was proposed by the German anthropologist Adolf Bastian (Steinmetz 2004: 262). Just as the indigenous population of the Society Islands had in earlier times been parallelized to ancient

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    Greeks and Romans by European intellectuals, so were the Samoans now frequently being compared to the ancients from the second half of the 19th century onwards (Steinmetz 2003: 61, 2004: 261). Projecting ideals of past European peoples upon present-day Samoans typically involved not only the idea of a close racial kinship between Europeans and Polynesians but combined this notion with praises of the physical beauty and strength of the Samoans and their attitude of pride and self-confidence (cf. Deeken 1914 and Liedtke 2005: 207). Overall it can be argued that just like the aesthetical appearance of the colonial setting along with the people and culture therein are positively depicted in the SZ, the “racial” classification of the Samoans in the SZ also constructs positive images of the colonized subjects by placing them ethnically close to the colonizing power. Furthermore, Samoa and its people were perceived more favourable by local agents than by outside observers, for the former of which the Samoanische Zeitung constituted a forum for opposing external views of Samoa which were perceived by local Germans as too harsh and unreasonably negative in respect to the Samoan people. Finally, it is important to keep in mind that locating the Samoans “racially” was deeply intertwined with an evolutionary discourse to which I turn now.

    3.3. Evolutionary discourse A recurrent theme of German images of the Samoan people and culture expressed in the SZ is the idea that the Samoans represent an earlier stage in the evolution of civilization than Europeans (cf. Kutzner, this volume, for a discussion of similar discourses on nonEuropean languages). The intellectual background to this idea, of course, was the concept of evolutionism according to which all peoples went through the same evolutionary process, but that they did so with different pace resulting in the paradoxical phenomenon that peoples or cultures existing at the same time might still be classified as “nonsimultaneous” or “allochronic” (Steinmetz 2003: 61) in regard to their evolutionary developmental stage. This concept had already been a part of European thought about the Pacific in the late 18th century (see, e.g., Forster’s, 1983, description of the Society Islanders). With Samoa replacing Tahiti as the “essential Ur-Polynesia” (Steinmetz 2003: 61) in late 19th century German thought, this concept was transferred to the Samoan people (cf. also Steinmetz 2004: 264–265). In the context of this system of thought, the Samoans and their culture are frequently described in the SZ as being doomed. This was perceived as a more or less inevitable result of contact with European civilization and was pitied by most SZ authors. The Samoans’ fate was explained on the grounds that they represented a primitive/nature-based people (Naturvolk), which was believed not to be capable of surviving the impact of civilized/culture-based peoples (Kulturvölker) such as the Europeans. If not explicitly mentioned, the dichotomy of Naturvölker versus Kulturvölker is often implicit in the evolu-

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    tionary ethnographic discourses of the time such as those in the Samoanische Zeitung (I refer to the definition of “ethnographic discourse” as given by Steinmetz 2003: 51). However, putting the Samoans into the category of “primitive people” representing an earlier stage of civilization than Europeans did not necessarily imply a negative assessment of their way of life. On the contrary, it was typical for European ethnographic discourses about Polynesians to describe them as being savages of the positive (noble) variety and thus contrasting them to the technologically more advanced, but morally depraved and corrupted European civilization (Steinmetz 2003: 60; all these tropes are already present in the very first German ethnographic record of Polynesia: Forster 1983). The idea that the Samoans and their culture were to die out as a result of mere contact with European civilization is frequently expressed in the SZ. In the issue of 7 February 1914, for example, “Spectator” (1914a) compares traditional customs of travelling (malaga) and hospitality to recent changes of these cultural traits triggered by the presence of Europeans: “Certainly good old Samoan customs are disappearing through the mere fact of European civilisation stepping in, without the fault of individuals” (“Spectator” 1914a: 10). The same was believed to be true for the “physical fate” of the Samoans although countertendencies were observed too: “like all olive-coloured races they [the Samoans] appear to suffer by intercourse with civilisation [sic], but since annexation in 1900 have begun to increase in a small degree” (“Custos” 1907: 9, additions by J.R.). As the German administration was keen on not loosing its colonized subjects, increases in the native population were assessed as positive results in the SZ, while a demographic decline of the Samoan population was described as an “unfavourable result” (unguenstiges Resultat, SZ 9 Feb 1907, p. 2; c.f. also SZ 23 Jan 1909, pp. 1-2). Evolutionary discourse on the Samoans was far from homogenous or unanimous, however. How exactly the evolution from primitive people to European-type civilization looked like and where exactly on the cultural developmental ladder the Samoans were to be located, was a matter of dispute or simply remained unclear. What seems to have been agreed upon by the majority of SZ authors writing on this topic was that the Samoans were somehow inferior to Europeans in respect to their mental or cognitive abilities (hence they were often metaphorically being described as “children”) and that they and their culture as a whole represented an earlier stage of evolutionary development. By common consensus of SZ contributors, both characteristics posed an immediate, if not unavoidable danger of ethnic and cultural extinction to the Samoans which had to be counteracted – partly for practical reasons of sustaining the demographic and economic basis of the colony, partly out of mere sympathy for the Samoans and their culture and finally out of ethnographic curiosity.

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    3.4. Cultural change and preservation While the fate of the Samoans and their culture was generally believed to be doomed because of the laws of cultural evolution assumed to be at work, many colonial agents regretted the loss of a culture they thought to be rich and interesting and which they believed was ideal in many ways although representing an earlier stage of civilization. Franz Reinecke, for example, speaks about “(…) the interesting culture [Volksleben] of a breed of people unfortunately doomed and its good customs [The German word Sitten may also imply the connotation of “morals”] which – although being deeply rooted in tradition – can even in the context of civilization be regarded as exemplary” (Reinecke 1901, my translation and additions). German trader, planter and business man Richard Deeken similarly expressed his regret for the loss of traditional Samoan culture in the SZ. Following his return to Samoa after a four-year absence, he gave a comprehensive account in the newspaper about the changes he observed to have occurred on the islands (Deeken 1914). Having dwelled extensively on the economical and infrastructural development of the colony, he turns to the Samoans only at the very end of his account. Deeken’s following account of cultural change focuses on material culture and does not touch on the social and political system or other less obvious and less visible aspects of culture. This bias probably reflects the ethnographic limitations of an observer being concerned for reasons of his profession mainly with the Samoan colonial economy, trade and plantation business. Deeken’s publications also lie mostly in this area (Liedtke 1999). Because of this bias, only the directly visible “outside” of Samoan culture is noticed by Deeken. For this reason, his image of the Samoan people and culture is oriented towards a nostalgic past, embodied in the image of handsome, proud men and women dressed in traditional attire and living in thatched Samoan fale (houses). It is these cultural traits Deeken wishes to be preserved by law in order to prevent the Samoan culture from destruction. The idea that only measures taken by the German administration can prevent the Samoan people from giving up their culture reflects the perception of Samoans as not being able to decide their affairs for themselves. From this stance, the paternalistic-type of native policy of German Samoa was derived which was practiced within the framework of what Steinmetz (2004) termed “salvage colonialism”. The colonial administrators following this concept intended to “(…) stabilize Samoan culture around a codified version of local tradition” (Steinmetz 2004: 268). Deeken’s idea that the loss of Samoan culture inevitably leads to the eventual ethnic extinction of its bearers alike reflects the evolutionary discourse on the Samoans linking closely biological (“racial”) and cultural evolution. The rapid transformation and loss of elements of the fa’a Samoa is treated by a number of other contributors to the SZ too who discuss the value of cultural traits losing their traditional context and meaning and debate possibilities of their preservation. For many of these authors, however, the most important and ultimate objective in trying to

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    preserve Samoan culture was the acquisition of ethnographic records for the purpose of research. The value of cultural traits for the Samoans themselves is often not even considered. In conclusion it can be said that Germans articulating themselves in the SZ valued Samoan culture which they observed to be rapidly changing because of the impact of Europeans. These changes were mostly perceived as a “loss” and regretted by the authors. However, because of limitations and biases in their roles as ethnographic observers, the Germans’ images of Samoan culture constructed in the SZ tended to focus on tangible and material elements of culture. This resulted in a romanticizing and folkloristic picture of how Samoans ought to be. Most of the SZ authors believed that these “essentials” of fa’a Samoa could and in fact could only be preserved by measures taken by the German administration, i.e. the Samoans had to be made to keep up their culture. The ethnographic curiosity and research interests of these authors were a major motivation in calling for external protection of Samoan culture while relatively little thought was given to the importance of pre-European elements of fa’a Samoa for the Samoans themselves.

    3.5. Colonial difference and distance It has been argued that the construction of a cultural difference and distance between colonizers and colonized was central to the concept of modern colonialism (Steinmetz 2003: 42–43). This can be observed in the Samoanische Zeitung too, where constructing a cultural “alterity” of the Samoans and establishing a firm difference and distance between colonial masters and colonial Others (which was bridged and transcended by only a few contributors) formed another important discourse. Apart from the controversial in-between status of the ’afakasi/totolua, the day-to-day reporting of the SZ shows that the palagi community perceived itself as a community clearly separated from the indigenous population. There is a strong in-group feeling and a strong sense of community and shared identity among the foreign residents of German Samoa. While the two communities lived side by side and interacted in various ways, they still formed separate societal and cultural systems. This was partly caused as well as reinforced by the administration’s policy of segregating Samoans and non-Samoans which is positively reflected by a number of SZ contributors. In the issue of 12 October 1901, for example, an anonymous author commented on a forthcoming ordinance by the governor intended to prevent Samoan women married to foreigners from acting in both the legal role of wives of foreigners while at the same time retaining their position in their Samoan ’aiga (family). Tersely, the author stated: “Either native or foreigner” (SZ 12 Oct 1901, p. 1, my translation). In order to establish the colonial difference and distance necessary to legitimize the colonial enterprise as a whole, the Samoans were constructed in the Samoanische Zei-

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    tung as inherently different to the Germans. However, as has already been shown in analyzing the previous four discourses, the Samoans’ “alterity” was – despite locating them firmly on a lower (earlier) stage of cultural evolution than Europeans – in many ways described in positive terms by SZ authors. This was done, for instance, through constructing dichotomies such as “South Sea paradise vs. hustle of urban civilization” or “noble savage vs. depraved and corrupted Westerner”. Moreover, many colonial agents writing in the SZ expressed great interest in and, indeed, admiration for Samoan culture, even describing some of its elements as “ideal” or “exemplary”. The racial discourse on the Samoans established them as very close, yet not fully coequal to the colonizers. It might be concluded that SZ contributors constructed the Samoans almost as alter egos of themselves, embodying those qualities and providing for those desires the colonial agents themselves thought they were lacking or could not fulfil at home (it would be worthwhile to check the correlation of this attitude with the socio-cultural background of settlers many of whom have been described as outcasts, “escapees”, “losers” or otherwise eccentrics of their home societies, cf. Hiery 2002: 30). The construction of the Samoans as “alter egos” of SZ contributors seems to constitute a second variety of the phenomenon Steinmetz (2003) has termed “the colonizers’ imaginary cross-cultural identifications with the colonized” (Steinmetz 2003: 42, italics in original). How the potential conflict between drawing the Samoans close to Europeans and constructing them as alter egos on the one side and the need to emphasize the Samoans’ alterity in order to establish the colonial difference and distance necessary for legitimizing the colonial enterprise on the other side was resolved by colonial agents, becomes clear by looking at examples of how the character and mindset of the Samoans was described in the SZ. A particular telling example is the supposed laziness of the Samoans, a trait assumed by many SZ authors to be typical of the Samoans’ character. In the SZ issue of 23 November 1901, for instance, there is a fiction story by the Australian author Louis Becke (1901, cf. Spennemann 2006: 26) entitled “A Story of Samoa. The Astute Maley and the Lazy Natives”. It is about a Malay coming to Samoa to make his living by cleverly cheating both palagi and Samoans. Throughout the story, the Malay is described as being clever and astute, thinking strategically and trying to take advantage of everyone. While the Malay represents the bad character of the story, the Samoans are described as rather foolish, stupid and acting spontaneously without proper planning, but not being immoral like the Malayan. The story illustrates how in European thought supposed laziness of Pacific islanders was associated with an easygoing life-style and an attitude of “not-caring too much about tomorrow”. The Samoans’ alleged laziness was perceived by colonial agents as part of a carefree life and thus as a good thing. However, this perception turned quickly into the negative as soon as the laziness of the natives seemed to threaten the prosperity of the colonial economy (see, for instance, the leading article in SZ 7 Dec 1901). This is a typical pattern of constructing the Samoans’ character in the SZ: As long as the Germans were not personally affected in any negative way by the Samoans’ behav-

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    iour, their mindset and character were readily painted in positive colours. However, when the traits assumed to be characteristic of the Samoans turned out to pose problems to the foreign community, their negative assessment was quick at hand. Thus, it depended highly on whether the context produced favourable or unfavourable results for the Germans to determine how the Samoans were actually represented. This is especially true for the field of Samoan-German political relations being vital to the existence of the colony as two other examples show. Following the incidents around the Samoan opposition movement Mau a Pule in January 1909, SZ staff member F. Müller commented in the paper that unrest and friction within the Samoans was an unavoidable side effect of the “changeable and conceited” character of the Samoans (SZ 6 Feb 1909, p. 1, translation adopted from English version of article in the same issue). Having “(…) many very clever orators amongst them” (ibid.) the Samoans were easily incited against others and thus it was difficult to assert “European law and order” on them as Müller put it (ibid.). Returning to Samoa from a four-year absence Richard Deeken noted in the SZ in 1914 that: “Politically, there is thorough peace and quiet among the Samoans [now] (…) even though from time to time some minor inconveniences with a puffed up village chief or some stubborn districts may occur (…)” (Deeken 1914, my translation and addition). Describing the Samoans in general as “conceited” and matai opposing rules set up by the German administration as “puffed up” (aufgeblasen) shows how certain traits of the Samoans’ character and behaviour were constructed as negative and even ridiculous as soon as they potentially threatened the colonial order set up by the German administration. Thus, the alterity of the Samoans was constructed by Germans very heterogeneously, depending on whether the context in which a certain behaviour of the Samoans took place affected the Germans in a negative or positive way. As long as the Samoan people did not threaten the existence or comfort of the colonizers, they and their way of life were looked very kindly on, even to the extent of idealization. However, as soon as the colonizing force faced problems from the local population, their alterity was constructed as being responsible for these problems and used to establish a strict colonial difference and distance in order to legitimize and reinforce the fundamental structure of the bipolar colonial power field.

    3.6. The SZ as an ethnographic forum Surprisingly, the Samoanische Zeitung also served as an ethnographic forum. While this was only a side function of the newspaper compared to its main types of content, still quite a number of articles in the SZ might be classified as “ethnographic”. Broadly speaking, they come in two main forms: either as ethnographic treatises dealing with specific aspects of fa’a Samoa or with Samoan society as a whole or as reviews of new ethnographic literature being published on Samoa. Interestingly, many authors of such

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    articles claim to have more and deeper knowledge of Samoan culture than other foreigners living in Samoa. This reflects a typical behaviour of colonial agents who “(…) competed with one another for the cultural capital of ethnographic acuity or ethnographic discernment (…)” (Steinmetz 2003: 42) being engaged in a competition amongst each other over who could claim to have the most cultural knowledge of the colonized. A good example for this is a review published in the SZ issue of 16 February 1907 (no author, p. 2) which discusses academic literature on Samoa published in Germany over the last decade. In a rather sneering manner, the author claims that most of it was written by authors who cannot be regarded as true experts on Samoa as they stayed on the islands for only a short time. Implicitly, the author contrasts these short-term visitors and “would-be experts” on Samoa to foreigners living on the islands on a long-term or even permanent basis and thus having deeper insights into Samoan affairs. He also discusses whether three or five years of living in Samoa may be regarded as sufficient before one could get involved into any “discussion of manners and customs of the natives” (ibid., my translation). The only publication positively reviewed in this article is Erich Schultz’s (1906) collection of Samoan proverbial expressions. The reviewer states that Schultz’s continuous direct cooperation with the Samoan ali’i (high chiefs) and tulafale (orators/talking chiefs) in his function as Chief Justice as well as his “great personal interest in the language and cultural characteristics [voelkischen Eigentuemlichkeiten] of the natives” (SZ 16 Feb 1907, p. 2, my translation and addition) have worked together to produce a unique publication. The reviewer mentions the use of the book for the colonial administration and the missionaries before adding that “without doubt, ethnology and linguistics will not hold back their gratitude [for this work] either” (ibid., my translation and addition). It should be noted that this positive review might have been influenced by the fact that Schultz’s book was actually printed and published by Emil Lübke in the printing office of the SZ. Moreover, it cannot be ruled out that Lübke even wrote the review himself. Although rather hidden and implicitly, colonial agents expressing themselves in the SZ engaged in “claiming cultural capital” also in a number of shorter and rather inconspicuous items. A telling example is the account of a Samoan siva (dancing event) held by the village of Suva in March 1907 to raise money for a new church (no author, SZ 30 Mar 1907, p. 8): “(…) the ‘old women’s’ dance was a particularly spirited performance and gave the younger coryphées an idea of what the real faa-Samoa is (…) the whole display was interesting and one that foreign residents seldom have such an opportunity of witnessing” (no author, SZ 30 Mar 1907, p. 8). Implicitly, the author claims to know “what the real faa-Samoa is” despite admitting that foreign residents only seldom take part in such events. He even sees himself in the position of being able to judge how the younger ladies could be taught by the older ones about the disappearing “real faaSamoa”.

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    Items in the SZ that might be classified as “ethnographic” range from essayistic-type contributions to academic treatises and cover various aspects of Samoan culture and society. The SZ contributor writing under the pseudonym of “Spectator”, for instance, wrote in February 1914 about several aspects of Samoan culture such as hospitality, malaga (travelling) and ’ie toga (fine mats) in a series called “Past Samoa” (“Spectator” 1914a, 1914b). Similarly, in the issue of 16 February 1907 Thomas Trood published a “mini-ethnography” of Samoa in a series called “Island Reminiscences” (“Custos” 1907). Another good example is a contribution by the German meteorologist Franz Linke (1909), Director of the Apia Observatory at the top of Mulinu’u peninsula. In January 1909, he published his scholarly paper on traditional Samoan meteorological knowledge, concepts and terms in the SZ which had originally been published in the German ethnological journal Globus (vol. XCIV, no. 15). In April 1912, Henniger (1912) published a paper on Samoan fine mats (’ie toga) in the SZ. It is a very detailed piece of academic work treating its subject comprehensively and also involving a critical review of literature published on the field so far. Discussing the etymology of the term ’ie toga, Henniger also proves his command and detailed knowledge of the Samoan language. Up until today, Henniger’s article is regarded as one of the best and most detailed treatments of Samoan fine mats ever written (Schlosser 2003: 45, Liedtke 1999: 231). The importance attributed to such treatises in the SZ may also be illustrated by the fact that Henniger’s article was published in each of the three SZ issues over which it was divided on the front page. Following Henniger’s article and a previous one on the same topic by Werner Albert von Bülow, a debate evolved in the SZ between Henniger, von Bülow and “Spectator” on whether the production of fine mats should further be encouraged or banned in German Samoa. Two years later, “Spectator” elaborated further on this topic in the Samoanische Zeitung (“Spectator” 1914b). It can thus be argued that the SZ was also a forum for ethnographic exchange and debate among foreign residents of German Samoa, quite a number of whom showed serious academic interests in Samoan culture. Their ethnographic interests went far beyond the factual knowledge required by colonial officials to efficiently run the colony.

    4. Conclusion This article has shown that commercial newspapers such as the Samoanische Zeitung may form very valuable historical sources for analyzing how colonial agents perceived the indigenous communities and cultures they lived in or alongside with. It proves particularly revealing to investigate how these perceptions and images manifest themselves in newspaper contributions written by colonial agents in their native tongues and/or in regional linguae francae. Using the Samoanische Zeitung as an empirical source, it has become clear that studying this newspaper provides ethnographically as well as linguis-

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    tically and historically rich insights into the images constructed of the Samoan people and culture by German- and English-speaking settlers of the time. Summing up my analysis of the Samoanische Zeitung, we can say that the paper was a forum only for the foreign residents of Samoa. Primarily, it served the German community for which it fulfilled the functions of a discussion forum, a source of information and latest news and a communication medium. It also provided local Germans with entertainment and diversion in their native tongue. Through its English part, the SZ fulfilled a secondary function of catering for the non-German speaking palagi living in Samoa. Through its bilingual format, the SZ was able to represent the whole foreign community and give a voice to its shared identity. The paper apparently entertained close ties to the German colonial administration as well as to the principal German trading and plantation company on the islands, the DHPG. This seems to have contributed to a favourable picture being painted of German colonial rule in the SZ. Apart from James Ah Sue, a man of mixed Samoan-Chinese origin, who was given increasing editorial responsibility over the last four years of the paper’s existence, no Samoans participated in editing the paper or in contributing any items to it. Nevertheless, the Samoan people were a frequent topic in the newspaper ranging from being mentioned in passing only to being the main subject of articles, for instance in the form of ethnographic treatises written by German and other foreign residents on the islands. Remarkably, many of the persons contributing ethnographic items to the paper did not only write for the SZ, but were generally quite active in publishing on Samoan topics including in matters of ethnological interest. In the SZ, they exchanged, negotiated and contested their knowledge of Samoan culture which went far beyond the factual knowledge required by colonial officials to efficiently run the colony. However, the ultimate concern of these ethnographic contributors to the SZ was to “claim cultural capital” in the arena of inner-colonial state competition (Steinmetz 2003). The natural setting of German Samoa along with the autochthonous Samoan people and culture therein is painted in positive colours in the SZ drawing on an already existing canonical imagery of Polynesia which in early 20th century German thought centred on the Samoan islands rather than on Tahiti as in the late 18th and early 19th century (cf. Steinmetz 2003, 2004). However, these romanticizing images were also played with in SZ items and sometimes even broken in a dualism of Samoan-based (local/insider) versus Germany-based (external/outsider) German perspectives on Samoa, the former depicting the colonial setting more favourable than the latter which added to it critical and ironic connotations. The Samoan people are firmly located by SZ contributors within the systems of “racial” and cultural evolutionary classification of the time. “Racially” they were believed to occupy an exceptional position (Sonderstellung) among the peoples subjected to European colonial rule worldwide since a close ethnic kinship between Aryans and Polynesians was assumed by German racial ideologists and also acknowledged by SZ

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    contributors. In this context, the Samoans were described as the “Germanics of the South Sea” (Hiery 2002). SZ contributors perceived Samoan culture as interesting, rich and even exemplary in some ways. However, they believed it was ultimately doomed in the face of contact with European civilization. Nevertheless, possible measures of preserving a stabilized and codified version of Samoan culture (Steinmetz 2004) were discussed in the paper within the wider political context of a paternalistic native policy (Wareham 2002) closely linked to the concept of “salvage colonialism” (Steinmetz 2004). Still, the ultimate goal of colonial agents in wanting to – as it were – “conserve” fa’a Samoa (Samoan culture) was not at all of a mere altruistic nature since ethnographic curiosity and research interests are cited in the SZ as the major motivations in preserving Samoan culture. In order to make the legitimization of the colonial enterprise compatible with the colonial agents’ desire for “imaginary cross-cultural identifications” (Steinmetz 2003), the cultural difference and distance between colonizers and colonized was dynamically constructed in the SZ: as long as colonial agents were not affected by the practices of the “natives” in any negative way, the Samoans were readily constructed even as alter egos of colonial agents to provide for their unfulfilled desires and unachieved personal qualities. However, as soon as the Samoans’ character and behaviour was perceived to challenge or threaten the basic colonial order, the Samoans’ representation quickly turned into an unfavourable one. In conclusion it can be said that the treatment and representation of the Samoan people and culture in the Samoanische Zeitung clearly reflects the special place Samoa occupied in the overall picture of German colonialism. A complex – sometimes seemingly contradictory, yet coherent – imagery of the Samoan people manifested itself in the minds and practices of local colonial agents as a result of this exceptional position of the Samoan colonial setup. Finally, I would like to highlight one particular finding from this study which promises to be especially worthwhile to be pursued in future research, namely the remarkable ethnographic interests quite a number of settlers showed in the Samoan people and culture and the ways these interests developed into actual ethnographic writings (some of which were published in the Samoanische Zeitung). What exactly were the causes and motives behind these activities? On which research methods and sources were these ethnographic writings based? How were they interconnected to the authors’ personal backgrounds, especially to their roles as palagi living in Samoa in a variety of different occupational and personal circumstances? Taking into account that Samoa at the time was not only a “multi-cultural community” (Gilson 1970), but a multi-lingual one too, linguistic analyses of the exact language uses and writing styles of these authors promises to be another important field of further research.

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    Appendices: excerpts from German SZ articles Appendix A: Poem in SZ 7 December 1901, p. 4, no author, no title Es sass auf dem schoenen Samoa Ein Suedseegermanischer Mann Zu Apia bei Malietoa Und hatt’ nur ein “Lava” an. Er brauchte nicht Geld und auch nicht Kleider, Nicht Struempfe und Schuh und so weiter. Sein Essen – o koestlicher Jokus Gab gratis die Palme des Kokus. Das Brot zur Tafel – o Traum! Das liefert’ der Brotfruchtbaum. Und fetteste Ferkelchen wimmeln Dort unter den glueklichen Himmeln. Er hockte, ein seliger Zecher, Im Palmenhain voller Freud’, Es fuellt ihm den Kavabecher Sefilina, die holdeste Maid, Die wunderlieblich zu schau’n ist, Wenn auch ihre Haut etwas braun ist. Die tropische Menschenbluethe Ist zierlich mit Blumen bekraenzt, Von reiner Herzensguete Ihr Gazellenauge erglaenzt. Und “Mamya [sic, Manuia ?]!” sagt sie mit Beben, Und er: “auch du sollst leben!” Sie bringt ihm den suessen Faei-ei. Dann tanzt geschmeidig die Diva Den wielden [sic]: Fa muli pei-pei, Den Schluss des zahmeren Siva. So gehte von Genuss zu Genuss Am Vaisiganofluss. Der Mann aus dem graulichen Norden, Er bringt sie zum Standesamt hin, Die jetzt Landsmaennin geworden; Es ist ihm so selig zu Sinn. Ich fuerchte nur sehr: Er bereut’s, Er hat nun sein “suedliches Kreuz.”

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    Appendix B: Suedseelicher Jubel-Hymnus eines Samoa-Schwaermers (“South Sea-like cheering hymn of a Samoa enthusiast”, anonymous poem adopted from the German satirical magazine Kladderadatsch, SZ 2 October 1909, pp. 2–3). Germania, auf! Nach langer Nacht Vom tiefen Leid sollst Du gesunden; Das grosse Werk ist nun vollbracht: Des Reiches Schwerpunkt ist gefunden. Nun fasst ein heisser Drang zumal Den Schwaermer fuer das Ideal Den ernsten Juenger auch der Stoa Es giebt ein Ziel Fuer jed’ Gefuehl, Nur eines jetzt, das heisst: “Samoa”. Auf, schuettelt ab die traege Ruh, Den Anker frisch zur Fahrt gelichtet, Wo man am Golf von Upolu Die zweite Heimath uns gerichtet. Im Fluge von der Panke Strand Das Boot eilt zum gelobten Land Schoen, wie es schuf kein ird’scher Pinsel. An Bord, an Bord! Es reisst uns fort Zum Paradies der Suedseeinsel. Dort sei dem Kanzler dann entdeckt, Was unser Herz fuer ihn empfindet. Er hat gezeichnet das Prospect, Er hat die Suedsee-Bank gegruendet. Auf! bringt ihm dar der Seele Wunsch In Cocosect und Palmenpunsch, Was besser ihm gebraut kein Noah. Wir gruessen ihn Aus Neu-Varzin: Heil, Otto, Herzog von “Samoa”. Und bricht hervor einst aus dem Holz Die Hord’ der Indianer maechtig, Wir fuehlen uns als Deutsche stolz, Sagt uns der Haeuptling: “Du schmeckst praechtig!” Leicht stirbt’s sich als gespickt Filet, Der erste Bissen nur tut weh;

    The Samoanische Zeitung (1901–1914) Drum kein unmaennliches Gewinsel; Welch’ schoener Tod Zum Abendbrot Fuer uns’re Godeffroyheits-Insel. Doch der du scheust der Meerfahrt Graus, Dein Kapital gieb uns zu Händen; Fuer wen’ge Nickel ziehst heraus Du furchtbar hohe Dividenden Prozente zahlt man jaehrlich dir: “Zwei Kaenguruh, ein Schnabeltier Und eine ausgewachsene Boa.” Bald wirst du sehn Al pari stehen Die wilden Aktien von Samoa. Und zeigt sich wo ein friedlich Tal Voll Sonnenbrand und Fiebernaesse, Da siedelt an im stillen Kraal Der Kanzler die “verdammte Presse”. Wenn das Berufsverfehler-Corps Dort Pisang baut und Zuckerrohr Und trocknet aus des Sumpfes Gerinsel Dann erst wird klar Und offenbar Der tiefere Zweck der holden Insel. Drum weite dich, du Mannesbrust; Und kuend’ es feierlichen Schalles Der Welt in nie geahnter Lust: “Hoch, Suedsee-Deutschland, ueber Alles.” Plantage ist das Schiboleth Des maerkischen Plantagenet Berauschend wie Arac de Goa Vom Fels das Lied Zum Meere zieht: Mein Vaterland liegt in Samoa.

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    The Samoanische Zeitung (1901–1914)

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    INGO H. WARNKE & DANIEL SCHMIDT-BRÜCKEN (BREMEN)

    Was zählt im Kolonialdiskurs? Numeralia und Numeralität in kolonialen Grammatiken

    Abstract The article examines the use of examples in Swahili grammars from the German colonial period. Constructions with numerals are the focus of attention. Systematically, numerals are an open class of words and enable manifold uses in examples. In the first part, the grammatical potential of numerals will be discussed in general, followed by a discussion of their grammaticographical explanation. In this context, linguistics in the colonial period are of particular interest. In the second part, we present the results of an empirical analysis of five colonial Swahili grammars, showing that colonial certainties are a constitutive feature also of linguistics at the time.

    1. Numeralia und kolonialzeitliche Sprachforschung Kolonialismus ist mehr als eine hegemoniale Struktur wirtschaftlicher und staatspolitischer Herrschaftsinteressen. Kolonialismus ist eine umfassende Machtkonstellation, die als historische Wissensformation mit zeitgebundenen Denkweisen korreliert. Sprache hat in vielfacher Weise Anteil an dieser kolonialen Konstellation, denn schon “im Aufbau der Sprache liegt eine zwingende Philosophie der Gemeinschaft” (Fleck 1935/1980: 58); Sprache konstituiert geteiltes Wissen. Unter ‘Wissenskonstituierung durch Sprache’ verstehen wir dabei die “Anordnung von Wissen durch Äußerungen” (Spitzmüller & Warnke 2011: 47). Auch Kolonialismus bedient sich kommunikativer, insbesondere sprachgebundener Wirklichkeitsdarstellungen, die Wissen spezifisch anordnen, vermeintliche koloniale Notwendigkeiten in Texten hypostasieren sowie koloniale Wirklichkeiten perspektivieren und in Frage stellen. Sprache ist keine neutrale Größe, sondern hat als wirklichkeits- und wissenskonstituierendes Werkzeug der Kommunikation Teil an kolonialen Projekten. Für das Forschungsprogramm einer Koloniallinguistik – verstanden als eine neue Forschungsrichtung der Sprachwissenschaft, deren Ziel die “Beschäftigung mit den sprachlichen Äußerungen im Kontext des Kolonialismus” (Stolz et al. 2011: 15) ist – folgt aus diesen kolonialen Funktionen von Sprache ein wissenschaftliches Interesse in zwei Richtungen. Einerseits geht es der Koloniallinguistik um eine systematische lingu-

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    Ingo H. Warnke & Daniel Schmidt-Brücken

    istische Erhebung, Dokumentation und Untersuchung der sprachlich-diskursiven Funktionen von kolonialen Äußerungen im Allgemeinen. Andererseits interessiert sich die Koloniallinguistik für die Rolle der Linguistik selbst, für die Einbettung der Sprachwissenschaft in koloniale Konstellationen. Die linguistischen Fremdheitserfahrungen und Sprachkontaktphänomene in den “zones of colonial contact” (Pratt 1992: 6) bringen vielfältige kolonialzeitliche Sprachforschungen mit breiter räumlicher Streuung hervor, so dass “the work of linguistics as a special kind of colonial encounter” (Errington 2008: 3) zum Gegenstand heutiger Koloniallinguistik gehören muss. Wir gehen davon aus, dass beide Perspektiven der Koloniallinguistik überdies zusammengedacht werden können und sollten, denn kolonialzeitliche Sprachforschung steht, neben ihrer dokumentarischen Leistung gegenüber so genannten außereuropäischen Sprachen – mit der sich auch die Missionarslinguistik (vgl. Hovdhaugen 1996 und Zimmermann 2004) beschäftigt –, nicht jenseits sprachgebundener ideologischer Machtkonstellationen, sondern ist in diese vielmehr feldartig eingebunden. Ein Beispiel dafür ist die Projektion eines aus der lateinischen Grammatik kommenden Beschreibungsformats auf Sprachen in unterworfenen Gebieten (vgl. Hennig 2009), also der Export eines eurozentrischen Grammatikinventars, mit dem mancher kolonialzeitliche Sprachforscher befasst ist. Kolonialzeitliche Sprachforschung ist in diesen Fällen Ausdruck hegemonialer Gewissheiten europäischer Wissenschaftler. Hinzu kommt, dass in die unterschiedlichen Genres der kolonialzeitlichen Sprachforschung – z.B. Grammatiken, Sprachlehrbücher, Berichte über Sprachen in den Kolonien, Glossare usw. – auch solche zeitgebundenen Denkweisen, also koloniale Wissenskonstellationen eingeschrieben sind, die über das engere fachwissenschaftliche Beschreibungsinstrumentarium hinausgehen. Die überlieferten Arbeiten der kolonialzeitlichen Sprachforschung haben insofern neben anderen Texten einen Anteil an der Hervorbringung kolonialer Machtkonstellationen und können keine wissenschaftliche Unabhängigkeit für sich in Anspruch nehmen. Wir interessieren uns also für die Verwobenheit linguistischer Arbeiten in kolonialen Konstellationen. Da unser Selbstverständnis als Diskurslinguisten empirisch ausgerichtet ist, wollen wir in diesem Beitrag an einem exemplarischen Gegenstand den Konnex von kolonialen Wissenskonstellationen und kolonialzeitlicher Sprachforschung datenbezogen in den Blick nehmen. Wie bereits in Warnke & Schmidt-Brücken (2011) am Korpus kolonialgrammatischer Beispielsätze (KoKoBei) gezeigt, befassen wir uns zu diesem Zweck mit grammatikographischen Arbeiten der deutschen Kolonialzeit. Unser Thema ist der Beispielgebrauch in kolonialzeitlichen deutschen Grammatiken im Kontext der Explanation von Zahlwörtern im Swahili.1 Dieser enge Fokus ermöglicht uns 1

    In diesem Kontext stellt sich die Frage, inwieweit in kolonialgrammatischem Beispielgebrauch ein “europäisches Numeralsystem” kolonisatorisch auf ein dazu inkompatibles indigenes Zahlwortsystem aufgesetzt wurde. In der Tat zeigt sich, dass in den untersuchten kolonialen Grammatiken, die im zweiten Abschnitt des vorliegenden Beitrages näher behandelt werden, vorrangig das Dezimalsystem angewendet wird, das allerdings nicht durch die europäische Kolonisation im Swahili-

    Numeralia und Numeralität in kolonialen Grammatiken

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    eine genaue und zugleich exemplarische Kennzeichnung der Mechanismen kolonialer Wissenskonstellationen in der kolonialzeitlichen Sprachforschung. Unser Forschungsinteresse begründen wir zunächst durch eine systematische Darstellung des semantischen Potenzials, das Numeralia als besonders polyvalente Wortklasse erscheinen lässt. Wir thematisieren im Weiteren das Problem der grammatikographischen Realisierung des semantischen Selektionspotenzials in Beispielsätzen und dies insbesondere durch Erläuterung des Konzeptes der ‘epistemischen Lesart’ von kolonialzeitlichem Beispielgebrauch. Im zweiten Teil unseres Aufsatzes untersuchen wir dann empirisch den Beispielgebrauch in Abhandlungen zu Numeralia in fünf kolonialzeitlichen Grammatiken des Swahili der Jahre 1896 bis 1913.

    1.1. Grammatisches Potenzial der Numeralia Obgleich Numeralia als Wortklasse hinsichtlich ihres Bezugs auf Zahlen und zahlenabhängige Quantitäten semantisch relativ eindeutig abgrenzbar zu anderen Wortklassenangehörigen sind, ist die Zuordnung zu einer syntaktischen Kategorie in der Grammatik alles andere als zweifelsfrei. Nahezu jede neuere Abhandlung zu Numeralia weist auf diese Sonderrolle der Zahlwörter hin und diskutiert das Problem ihrer syntaktischen Kategorisierbarkeit (vgl. bereits Schmidt 1994: 241). Numeralia bilden weder morphologisch noch syntaktisch eine einheitliche Klasse, sondern können bei gleicher oder ähnlicher semantischer Funktion unterschiedlichen Kategorien zugeordnet werden. Im Deutschen werden Numeralia gebraucht als (vgl. Duden 2009: 379–388; Weinrich 2007: 448–466; Zifonun et al. 1997: 1979–1985): (a) (b) (c) (d)

    Adjektive, wenn sie flektierbar sind und in attributiver Funktion stehen: Wir untersuchen fünf kolonialzeitliche Grammatiken des Swahili. Adverbien, wenn sie nicht flektierbar sind und in adverbialer Funktion stehen: Zweitens legen wir eine empirische Untersuchung vor. Artikel, wenn sie flektierbar ein Nomen begleiten: Eine Grammatik ist ein lohnender Forschungsgegenstand. Indefinitpronomen, wenn sie flektierbar sind und substantiviert stehen: Mehrere der Grammatiken dokumentieren kolonisatorischen Sprachgebrauch.

    sprachraum eingeführt wurde, sondern durch den bereits lange davor stark wirkenden Einfluss des Arabischen zu erklären ist. Ein Großteil der Numeralia des Swahili sind arabischen Ursprungs (vgl. Brauner & Bantu 1967: 95), entstammen also einer semitischen Sprache (vgl. Ifrah 1987: 53–55). Insofern kann das häufige Vorkommen von dezimalen Kategorisierungen in den Zahlenwerten nicht mit europäisch-kolonisatorischen Zähl- und Denksystemen erklärt werden, die ein unmittelbar vorhandenes Zahlensystem des Swahili überlagert hätten. Im vorliegenden Text wird entgegen älterer Varianten die heute übliche Schreibweise gebraucht.

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    (e) (f)

    Substantive, insofern sie flektierbar und artikelfähig sind: Mindestens ein Dutzend von Grammatiken steht für kolonialzeitliche Sprachforschung. Verben, insofern sie als konjugierte Form auftreten: Wir dritteln die Analysen an den kolonialen Beispielsätzen

    Numeralia decken mithin als semantisch identifizierbare Wortklasse der Quantifizierung verschiedene Wortkategorien und syntaktische Funktionen ab. Aufgrund dieser formalen und damit auch funktionalen Polyvalenz sind Numeralia von allgemeinem linguistischen, insbesondere auch typologischen Interesse (vgl. Greenberg 1972 und 1974). Von den zahlreichen Versuchen ihrer Kategorisierung wollen wir hier nur zwei aufgreifen, weil sie für unser koloniallinguistisches Erkenntnisinteresse relevant erscheinen. Lipczuk (1976: 290) schlägt in seiner Abhandlung Was sind Zahlwörter? vor, die Wortartenvariation von Numeralia im Deutschen auf Referenzeigenschaften zu beziehen: Numeralia als Substantiv Numeralia als Adjektiv Numeralia als Verb Numeralia als Adverb

    > > > >

    Referenz auf Substanz Referenz auf Eigenschaft Referenz auf Tätigkeiten Referenz auf Umstände

    Die Artikel- und Pronominalverwendungen bleiben hierbei unbeachtet, was sich jedoch damit erklären ließe, dass Numeralia in Artikelverwendung der Nominalspezifizierung dienen und folglich an nominale Referenzen gebunden sind. Sofern sie als Pronomen gebraucht werden, substituieren sie die Substanzreferenz. Wenngleich es sich bei dieser Kategorisierung um eine recht schulgrammatische Darstellung handelt, die die typologischen Arbeiten von Greenberg im Übrigen nicht zur Kenntnis nimmt und eher für Deutsch als Fremdsprache in den 1970er Jahren gedacht war, gibt Lipczuk damit doch einen noch heute nutzbaren Hinweis auf das Denotationsspektrum von Numeralia: Sprachliche Quantifikation stellt einen semantischen Bezug zu Substanzen, Eigenschaften, Tätigkeiten und Umständen her. Ergänzend ausgerichtet ist das Interesse an der Korrelation von konzeptueller und sprachlicher Struktur von Numeralia. Wiese (1996: 17) schlägt mit Theorien der kognitiven Semantik vor, die Komplexität der Numeralia in einem Modell der Zwei-StufenSemantik zu fassen. Den sprachlichen Strukturen der Kardinal-, Ordinal- und NummerKonstruktionen entsprechen dabei die konzeptuellen Strukturen von Anzahl, Maß, Rang und Nummer: Konzeptuelle Struktur

    Sprachliche Struktur

    Quantitative Zahlzuweisungen nach Anzahl oder Maß Ordinale Zahlzuweisungen nach Rang Nominale Zahlzuweisungen nach Nummer

    Kardinal-Konstruktionen Ordinal-Konstruktionen Nummer-Konstruktionen

    Tabelle 1: Numeralkonstruktionen in einer Zwei-Ebenen-Semantik nach Wiese (1996: 17)

    Numeralia und Numeralität in kolonialen Grammatiken

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    Die kognitiven Konzepte Anzahl, Maß, Rang und Nummer zeigen eine Komplexität der Numeralia, die über deren referentielle Eigenschaften hinausgeht. Wir können also festhalten, dass der kategoriellen Vagheit von Numeralia ihre Denotationsvielfalt und ihr differenzierter Bezug auf kognitive Konzepte der Quantifikation entspricht. Nun werden Numeralia aber keineswegs wohlverteilt auf diese Kategorien, Referenzeigenschaften und kognitiven Quantifikationen gebraucht, sondern im weitaus überwiegenden Falle als Modifikatoren von Nomina: “like adjectives, numerals usually modify nouns” (Greenberg 2000: 770). Demgegenüber ist der Gebrauch in anderen syntaktischen Funktionen und damit auch Kategorien (Adverb, Artikel, Indefinitpronomen, Substantiv und Verb) niedrigfrequent: “the main external use of numerals is to qualify substantives” (Greenberg 2000: 770). Für unser Interesse an kolonialzeitlicher Grammatikographie ist diese Eigenschaft der Numeralia von Bedeutung. Denn hinsichtlich ihrer Selektionsrestriktionen sind die Numeralia weitgehend neutral. Numeralia binden jegliche Art von Quantifikandi (vgl. Hanke 2005: 20); auszuschließen sind lediglich Massennomina. Die semantisch weitreichende Selektionsneutralität zeigen die folgenden Konstruktionen, denn XNP und XVP können – einzig mit der Einschränkung der obligatorischen Quantifizierbarkeit des Denotats – frei besetzt werden: (1) (2) (3) (4) (5) (6)

    Wir untersuchen fünf XNP Zweitens XVP wir Ein(e) XNP ist ein(e) Mehrere XNP sind Mindestens ein Dutzend XNP ist Wir dritteln XNP

    Numeralia sind also in ihrer hauptsächlichen Verwendung als Substantivmodifikator – aber nicht nur als solcher – neben ihrer kategoriellen, referentiellen und kognitiven Varianz durch ein großes syntaktisches Selektionspotenzial gekennzeichnet; anders ausgedrückt: für den Gebrauch von Numeralia gibt es bis auf die Quantifizierbarkeit keine Selektionsrestriktionen. Diese systematische Eigenschaft ist Ausgangspunkt für unser grammatikographisches Interesse.

    1.2. Grammtikographische Explanation von Numeralia Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, dass Numeralia, wie alle Quantifikatoren (Hanke 2005: 19), in binären semantischen Strukturen stehen: Quantifiers are free-standing expressions whose meanings involve the notion of quantity, such as English three, several, numerous, most, every, one hundred and twenty three, all but seventeen, and so forth. The basic semantic structure of quantification is bipartite, consisting of the quantifier itself plus the expression that it quantifies. (Gill 2001: 1275)

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    Auf diese syntaktische Struktur wird in allen neueren Grammatiken hingewiesen. Zifonun (1986: 281) ordnet sie beispielsweise dem “Pränominalbereich von nominalen Gruppen” zu. Numeralia fordern als Quantifikatoren jeweils ein Quantifikandum, dessen Kennzeichen eine semantisch geringe Spezifikation ist, denn sie werden “vor wechselnden Referenten gebraucht” (Weinrich 2007: 457). Es stellt sich damit die Frage, ob der grammatikographische Beispielgebrauch bei der Explikation von Numeralkonstruktionen “sortalen Beschränkungen” (Löbner 2003: 178) für das numeral quantifizierte Kollokat – also das Quantifikandum – unterliegt. Schlichter ausgedrückt: Welche Bespiele geben Grammatiken für Numeralia? Sprechende Beispiele zu finden, fällt leicht. Eine pränominale, adjektivische Konstruktion von Numeralia lässt sich sowohl durch Introspektion als auch korpusbezogen schnell finden; hier einige Gebrauchformen aus der FAZ.net-Ausgabe vom 22. Juli 2011: (7)

    Über dieses Buch kann man drei Geschichten erzählen.

    (8)

    Als Vorbereitung auf den Ironman sind die Triathleten der Eintracht für drei Wochen in ein Trainingslager nach Italien gefahren.

    (9)

    [...] vier von fünf Geschwistern verliert er im Holocaust [...]

    (10)

    [...] ein klassisches Schneeballsystem, das erst im Oktober 2009 nach sechs Jahren aufflog.

    Ob vor diesem Hintergrund der Beispielsatz der aktuellen Duden-Grammatik (2009: 379) (11)

    Der Pirat hat nur noch ein Auge.

    gut gewählt ist, sei dahingestellt. Für die Explanation der syntaktischen Struktur ist (11) allemal ebenso gut geeignet wie (7) bis (10), aufgrund der einfachen Aussagestruktur vielleicht sogar besser. In jedem Fall zeigt sich aber bereits durch diese Numeralverwendungen, dass grammatikographische Beispiele unterschiedliche Funktionen haben können. Würde man sich beim Schreiben einer Grammatik für (9) entscheiden, so tradierte man fraglos andere kulturelle Semantiken als bei der Nutzung von (11). Satz (11) – der Bericht vom einäugigen Piraten, der auch in der Forschungsliteratur sowie älteren Auflagen der Duden-Grammatik erscheint (vgl. Duden 2005: 340, Seiffert 2008: 132, Györfi 2010: 31) – mag auf den ersten Blick unpolitischer erscheinen als Satz (9), der die Leserin/den Leser mit deutscher Schuld konfrontiert. Doch auch dies kann nur mit Einschränkung gelten. Auch der vermeintlich harmlose ‘Pirat’ ist als kulturgeschichtliche Figur des Ausgestoßenen bzw. des nicht-greifbaren Staatsfeindes (vgl. Heller-Roazen 2009) alles andere als eine neutrale Figur. Satz (11) ist als Beispielsatz der Duden-Grammatik also keineswegs wertfrei, zumal er nicht nur vom ‘Piraten’ spricht, sondern diesen auch noch mit der stereotypen Fiktion der Einäugigkeit tradiert. Es geht uns bei dieser Beobachtung nicht um eine interventionistische, sprachpflegerische Perspektive auf grammatische Darstellungen im gegenwärtigen Beispielgebrauch, sondern um die Feststellung, dass Grammatiken durch ihren Beispielgebrauch immer Teil von historischen Wissensordnungen sind. Das macht sie nicht nur für die Koloniallinguistik interessant.

    Numeralia und Numeralität in kolonialen Grammatiken

    197

    Üblicherweise nimmt man bei Grammatiken zwei Funktionen an: die der Präskription/Normierung vs. Deskription des Sprachgebrauchs. Grammatiken dienen also in der herkömmlichen Wahrnehmung entweder der Normierung des Sprachgebrauchs durch Vorschriften bzw. Nennung musterhafter Gebrauchsformen oder der Beschreibung von Verwendungsformen im üblichen Sprechen und Schreiben. Neuere Grammatiken verschreiben sich dabei fast ausnahmslos dem Prinzip der Deskription, sie wollen keine Vorschriften machen, sondern zeigen, was üblich ist; man “versteht sich als deskriptiv (beschreibend) und will damit zugleich eine präskriptive (vorschreibende, ‘gesetzgebende’) Ausrichtung vermeiden” (Klein 2004: 378). In Warnke & Schmidt-Brücken (2011) haben wir die entsprechende grammatikographische Diskussion zu Präskription und Deskription nachgezeichnet und dafür plädiert, diese beiden Funktionen um die ‘epistemische Lesart’ des grammatischen Beispiels zu erweitern. An Satz (9) sei gezeigt, was wir damit meinen. Die heutige Lesart der Numeralverwendung in (9)

    [...] vier von fünf Geschwistern verliert er im Holocaust [...]

    evoziert einen Wissensrahmen zum Holocaust bzw. der Shoa, der neben, wenn nicht vor der syntaktischen Dimension des Beispiels der pränominalen Quantifikation steht. Man kann über das Wissen in dieser Konstruktion nicht hinweg lesen, ebenso wie die Rede vom einäugigen Piraten als grammatisches Beispiel in einer postkolonial informierten Lektüre markiert wäre. Selbstverständlich besitzen grammatische Beispiele ihre Funktionen nicht kontextfrei, vielmehr ergeben sich verschiedene Lesarten zu verschiedenen Zeiten je neu. Eben deshalb sind sie für die Rekonstruktion historischer Wissensformationen auch von Interesse, denn es ist davon auszugehen, dass grammatische Beispiele dann besonders gut funktionieren, wenn sie neben der Verdeutlichung von Konstruktionen bzw. Strukturen keine Provokation darstellen, sondern konsensual in ihrer Bedeutung sind. Genau aus diesem Grund ist Satz (11) der Duden-Grammatik interessant. Er fügt der Explanation einer Numeralkonstruktion eine indexikalische Bedeutung hinzu und lässt fragen, warum im Jahr 2009 von einem einäugigen Piraten die Rede ist. Für uns sind Beispielsätze in Grammatiken also deshalb wissenschaftlich relevant, “weil wir sie als Teil zeitgebundener kommunikativer Repertoires verstehen” (Warnke & Schmidt-Brücken 2011: 38). An selbstreflexiven Überlegungen zu Beispielen und zum Problem des Beispielgebrauchs mangelt es in der Linguistik nicht. Nikula (1988) bezieht sich in einem Aufsatz zur Frage der Textualität von Beispielsätzen aus der Perspektive der Langue/ParoleDichotomie explizit auf Kompetenzbeispiele, spezieller noch auf Belegbeispiele in Grammatikschreibung und Lexikographie. Die Frage nach der Funktion solcher Beispiele beantwortet er damit, dass “sprachliche Beispiele in Grammatiken und Wörterbüchern Instanzen allgemeiner Regeln vorführen [sollen].” (Nikula 1988: 484) Über diese normative Setzung hinaus wird dabei nicht weiter auf die Funktionalität des Beispiels eingegangen. Willems (2002) stellt, so der Untertitel seines Aufsatzes, Überlegungen zum epistemologischen Stellenwert von Beispielsätzen und syntaktischen Tests vor dem Hintergrund

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    der syntaktisch-semantischen Bestimmung der Verbvalenz an, beleuchtet damit also den erkenntnistheoretischen Wert grammatikographischer Beispiele. Schließlich betrachtet Weber (2006) das linguistische Beispiel unter dem praktischen Aspekt, Beispiele erklärungsadäquat zu verwenden und auszuzeichnen. Neben diesen sachorientierten Betrachtungen linguistischer Beispiele gibt es im Rahmen der Linguistic Society of America eine Debatte um die LSA guidelines for nonsexist usage in linguistischer Metasprache (vgl. Macauly & Brice 1997, Postal 2003). Die Richtlinien wie auch die darum geführte fachgesellschaftsinterne Diskussion treffen den Kern dessen, was uns an grammatikographischen Beispielsätzen interessiert. Postal (2003) bezieht in seinem Beitrag Policing the content of linguistic examples deutlich Position gegen die Aufstellung, geschweige denn die Anwendung so gearteter Richtlinien: “Multiple social and political issues have some link to language, but that in no way justifies politicization of the society to take official stances on them.” (Postal 2003: 183; Hervorhebung von uns) Ganz unabhängig vom Impetus der Debatte, die sich um Meinungsfreiheit, die Freiheit der Forschung und die Kontextgebundenheit sozialpolitischer Agenden dreht, bestätigen das Vorhandensein der Richtlinien wie auch die Stellungnahmen verschiedener Sprachwissenschaftler unsere Annahme, dass linguistische Beispielsätze Ausdruck soziokultureller oder ideologischer Haltungen sein können. Bei den Numeralia erscheint uns die Zeitgebundenheit linguistischer Beispiele besonders deshalb erwähnenswert zu sein, weil das semantische Potential der Quantifikatoren und die geringen Selektionsrestriktionen für Quantifikandi keinen sprachstrukturellen Einschränkungen unterliegen. Beispiele können aus dem Feld der Substanz, Eigenschaften, Tätigkeiten und Umstände ebenso gewonnen werden, wie Anzahl, Maß, Rang oder auch Nummerierung bezeichnen. Was im Beispiel quantifiziert wird, bleibt den Präferenzen der Grammatikographen überlassen. Das heißt jedoch nicht, dass sich nicht zeittypische Beispielkonstellationen finden – im Gegenteil. Und auch diese Beobachtung muss hervorgehoben werden. Grammatische Beispiele indizieren historische Wissensformationen, kulturelle Ordnungen, geteilte Werte usw., sei es auch nur, dass Sprecherinnen und Sprecher der deutschen Gegenwartssprache im Blick der Grammatiker dem Konsum von Getränken respektive von Bier und Wein offenbar nicht abgeneigt sind: (12)

    Zwei solche Gläser kosten zwanzig Mark. (Heidolph et al. 1984: 262)

    (13)

    Wenn ich ein Essen für einige Gäste gebe, und meine Freundin fragt mich, ob ich drei Flaschen Wein habe, darf ich nicht nur dann mit Ja antworten, wenn ich genau drei Flaschen Wein habe, sondern auch dann, wenn ich mehr anbieten kann. (Löbner 1985: 313)

    (14)

    Ich habe fünf Glas Bier gekauft. (Helbig & Buscha 1986: 323)

    (15)

    Hans hat das Bier in einem Zug ausgetrunken. (Griesbach 1986: 312)

    (16)

    Bitte noch drei Glas Bier. (Zifonun et al. 1997: 1979)

    (17)

    drei Flaschen Wein und zwei Flaschen Bier (Weinrich 2007: 450)

    Numeralia und Numeralität in kolonialen Grammatiken

    199

    1.3. Koloniale Beispiele für Numeralia Die koloniallinguistische Analyse grammatikographischen Beispielgebrauchs setzt bei der heutigen Distanzierung von Aussagen an, beim Zweifel an der Angemessenheit von Beispielen, bei Verstörungen: (18)

    Passt etwas (ein wenig) auf, ich will nicht jedes Wort hundertmal sagen. (Seidel 1900: 94)

    (19)

    Der Herr hat dich für (kwa) 60 Rupie freigekauft. (Seidel 1900: 94)

    Diese Sätze wären heute nicht mehr geeignet, um Numeralgebrauch im Swahili zu demonstrieren, denn der auffordernde Ton einer gruppenadressierten Ermahnung passt ebenso wenig in unsere Vorstellungen vom Umgang mit ‘anderen’ Kulturen wie unsere heutige Diskursposition Sklaverei in Afrika und das selbstverständlich eingestreute und nicht hinterfragte Institut der Manumissio, also des Sklavenfreikaufs, akzeptieren könnte. Man distanziert sich als heutige Leserin/heutiger Leser von solchen Beispielen. So irritierend oder sprechend diese Beispiele aber aus heutigem Blick sind, so selbstverständlich haben sie um 1900 offenbar funktioniert, denn Seidel (1900) bezweckt wohl keine Aussagensammlung zu kolonisatorischen Haltungen, sondern legt eine Suahili Konversations-Grammatik nebst einer Einführung in die Schrift und den Briefstil der Suaheli vor. Die Effekte der Distanzierung stellen sich heute im historischen Abstand ein und rufen eine epistemische Lesart hervor, die koloniale Wissenskonstellationen greifbar macht; eine Welt, in der Europäer ganz selbstverständlich und in enerviertem Ton über das vermeintliche Phlegma der Afrikaner sprechen und Sklaverei ebenso zum Alltag gehört, wie die Autorisierung der Herren, Sklaven freizukaufen. Kein Geringerer als der berühmte Afrikanist Carl Meinhof zeigt in seinem Kasseler Vortrag Die geistige Befähigung des Afrikaners vom 17. Juni 1912, dass solche Annahmen nicht nur isolierte Befunde der grammatikographischen Explanation sind, sondern grundsätzlich auf kolonisatorische Haltungen verweisen. So bemüht sich Meinhof in der Exposition seiner Rede zwar, eine europäische Arroganz der afrikanischen Bevölkerung gegenüber in die Schranken zu weisen, betont aber die “Wichtigkeit, immer wieder auf die großen Rassenunterschiede in Afrika aufmerksam zu machen” (Meinhof 1912: 11) und stellt fest, dass “[d]er Afrikaner […] im allgemeinen Sinn für das Praktisch-Nützliche [hat] und […] theoretischen Erwägungen abhold [ist]” (ebd.: 14). Kolonialzeitliche Sprachforschung und hegemoniale Kolonialhaltungen gehen Hand in Hand. August Seidels Beispielsätze (18) und (19) lesen sich dabei wie Spielarten von Meinhofs (1912: 17) generischer Charakterisierung ‘des Afrikaners’: “Ist er [der Afrikaner] ein mäßiger Regent, so ist er dafür ein vortre fflicher Untertan.” Unsere heutige Distanzierung von solchen generischen Charakterisierungen aus dem Blick eines hegemonialen Eurozentrismus “funktioniert unter der Voraussetzung der Annahme, dass die Sätze Zeugnis geben oder besser ein Beispiel dafür sind, was koloniale Gewissheiten waren” (Warnke & Schmidt-Brücken 2011: 36). Bei den Numeralia

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    ist nun die epistemische Lesart besonders aufschlussreich, weil die Selektionsrestriktionen für Quantifikatoren so gering sind und den Grammatikographen in den Grenzen der Quantifizierbarkeit alles zum Beispiel hätte dienen können. Wir interessieren uns für koloniale Beispielsätze zu Numeralia, weil wir die grammatikographische Realisierung des grammatischen Potenzials der Numeralia als epistemisch relevant erachten. Es geht uns um ‘grammatikographische Einstellungen’, die wir als (in der Regel) nicht explizierte Vorannahmen und Weltbilder verstehen, die in Grammatiken eingehen und epistemische Lesarten eröffnen. Wenn Fleck (1935/1980: 32) davon ausgeht, dass ein Großteil wissenschaftlicher Beschreibungen und Erkenntnisse “denkhistorisch, psychologisch und denksoziologisch bedingt und erklärbar” ist, so gilt das auch für Grammatiken. Grammatiken sind keine wertfreien, ahistorischen Beschreibungsformen von sprachlichen Strukturen – wie auch die kolonialzeitliche Sprachforschung nicht neben den kolonialen Herrschaftskonstellationen steht –, sie sind vielmehr eingebettet in historische, und das heißt hier: koloniale Wissensformationen. ‘Grammatikographische Einstellungen’ sind durch diskursive Historizität (Spitzmüller & Warnke 2011: 193–195) gekennzeichnet und damit koloniallinguistische Forschungsgegenstände (vgl. Stolz et al. 2011). Die Popularisierung fachwissenschaftlicher Konzepte qua Nennung von Beispielen ist dabei aufschlussreich für die Analyse breit geteilter, historischer Wissensformationen: “Gewißheit, Einfachheit, Anschaulichkeit entstehen erst im populären Wissen; den Glauben an sie als Ideal des Wissens holt sich der Fachmann von dort.” (Fleck 1935/1980: 152)

    2. Kolonialzeitlicher Beispielgebrauch in deutschen Swahili-Grammatiken 2.1. Datengrundlage Textgrundlage unserer empirischen Untersuchung zum kolonialen Beispielgebrauch sind fünf kolonialzeitliche Grammatiken des Swahili: i. ii. iii. iv. v.

    St. Paul-Illaire, Walter von (1896): Swahili-Sprachführer. Dar-es-Salaam: Richter. Seidel, August (1900): Suahili Konversations-Grammatik nebst einer Einführung in die Schrift und den Briefstil der Suaheli. Heidelberg: Groos. Seidel, August (1903): Praktische Grammatik der Suaheli-Sprache. Auch für den Selbstunterricht. 2., vermehrte und verbesserte Auflage. Wien/Leipzig: Hartleben. Meinhof, Carl (1910): Die Sprache der Suaheli in Deutsch-Ostafrika. Berlin: Reimer. Velten, Carl (1913): Praktische Suaheli-Grammatik. Vierte verbesserte und vermehrte Auflage. Berlin: Selbstverlag des Verfassers.

    Numeralia und Numeralität in kolonialen Grammatiken

    201

    Die Textauswahl begründen wir in thematischer Hinsicht damit, dass die deutschsprachigen Beispiele zum Zahlwortgebrauch in der ehemals ‘kolonialen Sprache’ nur dann als kategorial homogenes Datensample zusammenführbar sind, wenn sie Übersetzungen ein und derselben Quellsprache sind und somit Übertragungen des gleichen quellsprachlichen, grammatisch bestimmten Numeralsystems. Mit der Zusammenstellung der Texte wird also eine typologische Vergleichbarkeit angestrebt, ungeachtet der Offenheit von Numeralia hinsichtlich ihrer semantischen Selektionsrestriktionen. Daher wurden in der Untersuchung ausschließlich koloniale Grammatiken zum Swahili berücksichtigt. Im Hinblick auf den fokussierten Zeitabschnitt 1896 bis 1913 begründen wir die Textauswahl durch das Erscheinen der jeweiligen Grammatiken während der Hochphase des kolonisatorischen Zugriffs Deutschlands auf den afrikanischen Kontinent. In diesem Zeitraum treten die kolonialen (die zeitlich-räumlichen), die kolonisatorischen (die sozial-praktischen) und die kolonialistischen (die ideologischen) Aspekte des deutschen Kolonialismus gebündelt auf und konstituieren die diskursiven Bedingungen für Texte wie die untersuchten Grammatiken. Der Grund dafür, koloniale Grammatiken des Swahili (und nicht etwa einer anderen Sprache) zum Untersuchungsgegenstand zu wählen, ist erstens, dass dem Swahili von der kolonialzeitlichen Sprachforschung selbst ein großer Stellenwert im Verbund der Kolonialsprachen beigemessen wurde, wie das Vorwort von Seidels Suahili Konversations-Grammatik (1900) belegt: Es erscheint mir aber unerläßlich, eine für uns so wichtige Sprache wie das Suahili, deren Geltungsgebiet den Umfang des Deutschen Reiches um ein mehrfaches übersteigt, sehr viel eingehender zu behandeln [...]. (Seidel 1900: VII) Die Relevanz des Swahili wird mithin im Diskurs selbst kenntlich gemacht, so dass eine diskurslinguistische Untersuchung Orientierungspunkte in den Texten vorfindet. Zweitens, und dies kann als Folge der kolonialzeitlichen Priorisierung des Swahili gelten, wurde zu dieser Sprache in einem Umfang publiziert, der eine zeitliche Streckung des Datensamples über Konvergenzpunkte kolonialherrschaftlicher Phasen2 hinweg ermöglicht. Drittens können die vier Autoren der untersuchten Publikationen als diskurswirksame Akteure mit einer ‘Voice’ (Blommaert 2007: 68) im akademisch-politischen Feld angesehen werden: Walter von St. Paul-Illaire war Kolonialbeamter in DeutschOstafrika, August Seidel war Sprachforscher und Sekretär der Deutschen Kolonialgesellschaft, Carl Meinhof gilt als Begründer der deutschen Afrikanistik, Carl Velten arbeitete für die deutsche Kolonialverwaltung in Ostafrika und lehrte am Berliner Institut für orientalische Sprachen. In textfunktionaler Hinsicht können die untersuchten Publikationen als Sprachlehrwerke mit überwiegend didaktisch-praktischer Funktion zum Erlernen und zur Anwen2

    Bis ca. 1904: Konsolidierung der deutschen Kolonialherrschaft. Von ca. 1904 bis ca. 1908: Kolonialkriege in Deutsch-Südwestafrika und Deutsch-Ostafrika. Ab ca. 1908: Kolonialpolitische Reformphase unter Dernburg (vgl. Gründer 2004; Speitkamp 2005).

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    dung des Swahili klassifiziert werden (vgl. die konzeptionellen Vorwörter in den untersuchten Publikationen). Der Status des grammatikographischen Beispiels als sprachlicher Ausdruck kolonisatorischer Gewissheiten kommt dabei in dem Maße auch explizit zum Ausdruck, in dem das zu vermittelnde sprachliche Wissen als übersprachliche Handlungs- und Denkanweisung verstanden wird: Der Sprachführer bietet [...] dem Lehrer reichlichen Stoff zur Einübung der grammatikalischen Regeln und zwar in Beispielen, die dem Schüler nicht nur in trockener Weise die eine oder andere Regel illustrieren, sondern ihn gleichzeitig in die eigentümliche Sprach- und Denkweise des Volkes einführen. (St. PaulIllaire 1896: VIII) Das Bemerkenswerte an diesem Zitat ist hinsichtlich der im ersten Abschnitt erörterten eurozentrischen Gewissheiten, dass die Einführung in das ‘fremde’ Denken gleichzeitig eine Markierung des eigenen, europäischen Denkens bedeutet (vgl. hierzu die Ausführungen zum Zusammenhang von Sprache und kolonisatorischer Identitätsbildung in Warnke 2009). Die Datengenerierung für die empirische Studie erfolgt durch systematische Exzerption der deutschsprachigen Zahlwortbeispiele in den fünf Grammatiken des Swahili.3 Dabei werden nur diejenigen Beispiele berücksichtigt, die ein definites Numeral und eine durch das Numeral quantifizierte Bezugsgröße enthalten. Unter definiten Numeralia werden mit der Duden-Grammatik (2009: 379) solche Zahlwörter verstanden, die “einen in Ziffern schreibbaren Zahlbegriff aus[drücken]” (bspw. drei Bäume, die vierte Tür; Meinhof 1910: 4 u. 61). Das schließt indefinite Zahlwörter wie Indefinitpronomen (etwas, nichts, einige) und zahlwortähnliche Adjektive (viel, wenig, unzählige) bzw. Adverbien (zunächst, zuletzt) aus (vgl. Duden 2009: 381–382). Die Eingrenzung der Untersuchung auf definite Numeralia wird damit begründet, dass diese erstens in größerem Umfang in den kolonialen Grammatiken behandelt werden und zweitens eindeutig als Numeralia identifizierbar sind im Gegensatz zur Klasse der unbestimmten Zahlwörter, die für semantische Interpretationen hinsichtlich der Kategorisierung als Numeralia offener ist.4 Das Datensample besteht aus 196 Numeralbeispielen in Phrasenform (Belege (20), (21) und (23)) oder als Konstituenten satzförmiger Ausdrücke (22), die jeweils Kardinal- (20), Ordinal- (21), Iterativ- (22) oder Bruchzahlen (23) enthalten können (zur Unterscheidung dieser Zahlwortklassen vgl. Duden 2009: 382–388). (20)

    fünf Leute (Meinhof 1910: 4)

    (21)

    der zweite Baum (Velten 1913: 62)

    3 4

    Unser Dank für ihre Unterstützung bei der Datenexzerption richtet sich an Saiyora Akbarova, Christian Gerlach, Anna Michel und Franziska Römer. Vgl. bereits Lipczuk (1979: 391) zum Problem der Extension der Kategorie ‘Zahlwort’: “Was soll unter der besonderen Semantik der Zahlwörter verstanden werden? Die Quantität in weitem Sinne oder nur das Zahlenmäßige [...]?”

    Numeralia und Numeralität in kolonialen Grammatiken

    (22)

    Der Esel wird jeden Tag dreimal Wasser bekommen. (Seidel 1900: 22)

    (23)

    7/16 Dollar (Seidel 1903: 102)

    203

    Wie wir gezeigt haben, besteht hinsichtlich der grammatischen Kategorisierung der Zahlwörter des Deutschen Uneinigkeit in der Literatur, ob Numeralia auf Grund “zum Teil große[r] morpho-syntaktische[r] Diskrepanzen” (Wiese 1996: 2) als eigenständige Wortart anzusehen oder unter bestehende Wortartenkonzepte zu subsumieren sind (vgl. etwa Lipczuk 1979, Wiese 1996). Wir folgen hier der Wortartenkategorisierung der Duden-Grammatik (2009: 382–388), ohne auf die Frage der Wortklassenzugehörigkeit deutscher Numeralia weiter einzugehen. Für das untersuchte Datensample ergibt sich folgende Häufigkeitsverteilung der grammatischen Kategorisierung von Zahlwörtern in Numeralbeispielen kolonialer Grammatiken, die ein eindeutiges Übergewicht adjektivischer Ausdrucksformen aufweist; dies entspricht Greenbergs typologischer Aussage zur Standardverwendung von Numeralia (vgl. 1.1). Wortart

    relative Häufigkeit (N = 196)

    Adjektiv

    92,9%

    Artikelwort/Pronomen

    3,6%

    Adverb

    2,0%

    Substantiv

    1,5%

    Beispielbeleg der achte Pfeil (Meinhof 1910: 61) Der Landmann ist einer, die Esser sind viele. (Seidel 1900: 25) Passt etwas (ein wenig) auf, ich will nicht jedes Wort hundertmal sagen. (Seidel 1900: 94) ein Fünffranken-Stück (Seidel 1903: 102)

    Tabelle 2: Grammatische Klassifikation von Zahlwörtern in kolonialen Grammatiken (nach Duden 2009)

    2.2. Klassifizierung nach nominalen Sorten Zur semantischen Strukturierung des Datensamples wurden die quantifizierten Bezugsgrößen in den Numeralbeispielen nach nominalen Sorten im Sinne Konerdings (1993 und 2007) geordnet. Dabei handelt es sich um Hyperonymtypen, die diskursrelevante Frames auf der Ebene nominaler Ausdrücke abbilden und unter die sich prinzipiell jedes Nomen der deutschen Sprache subsumieren lassen müsste (zur Ermittlung und lexikographischen Anwendung vgl. Konerding 1993). Konerding (2007: 116) setzt die folgenden nominalen Sorten an: 1) 2) 3) 4) 5) 6)

    GEGENSTAND (UNBELEBT) ALS NAT. ART-INDIVIDUATIVUM GEGENSTAND (UNBELEBT) ALS ARTEFAKT-INDIVIDUATIVUM GEGENSTAND (UNBELEBT) ALS NAT. ART-KONTINUATIVUM GEGENSTAND (UNBELEBT) ALS ARTEFAKT-KONTINUATIVUM ORGANISMUS/LEBEWESEN PERSON

    Ingo H. Warnke & Daniel Schmidt-Brücken

    204

    7) 8) 9) 10) 11) 12) 13)

    SOZIALE GRUPPE INSTITUTION EREIGNIS HANDLUNG ZUSTAND/EIGENSCHAFT TEIL GESAMTHEIT/GANZES

    Bei der Analyse hat sich gezeigt, dass dieses Kategoriensystem hinsichtlich zentraler Aspekte der sprachlichen Referenz bzw. Ereignisdarstellung nicht unmittelbar auf die zu untersuchenden Daten anwendbar ist: Nomen, die zur spatio-temporalen und quantifikationellen Sachverhaltsspezifizierung dienen, können in der ersten semantischen Vorstrukturierung nur schwer oder gar nicht unter den von Konerding postulierten nominalen Sorten subsumiert werden.5 Für die hier vorgenommene Analyse wird eine Ergänzung des Hyperonymrasters um die Sorten ORT, ZEIT und MASSEINHEIT vorgeschlagen, um eine semantisch adäquate Analyse der kolonialgrammatischen Numeralbeispiele zu ermöglichen, deren Bezugselemente häufig Zeit- und Maßangaben sind und damit eher regelhaften Charakter haben, als Sonderfälle darstellen. Für die Zahlwortbeispiele in den fünf behandelten kolonialen Grammatiken ergeben sich somit, in chronologischer Reihenfolge, folgende nominale Profile: 6 5 4 3 2 1 0

    unbel. Artefakt- Maßeinheit Indiv.

    Ort

    Ereignis

    Organismus/ Lebewesen

    Person

    Abbildung 1: Absolute Häufigkeit nominaler Sorten in St. Paul-Illaire (1896) 5

    Konerding (1993: 184–185) weist darauf hin, dass solche Substantive dem Sonderfall “(Teil der) Umgebung (des Menschen)” zugeordnet werden können und mithin ‘Umgebung’ als Gesamtheit gelten kann, “die gerade durch die Menge ihrer Teile und den zwischen diesen Teilen bestehenden Beziehungen bestimmt ist”.

    Numeralia und Numeralität in kolonialen Grammatiken

    205

    30 25 20 15 10 5 0

    Abbildung 2: Absolute Häufigkeit nominaler Sorten in Seidel (1900) 16 14 12 10 8 6 4 2 0

    Zeit

    Maßeinheit

    Person

    unbel. Ereignis Handlung Org./ Lebew. ArtefaktIndiv.

    Abbildung 3: Absolute Häufigkeit nominaler Sorten in Seidel (1903)

    Ort

    Teil

    Ingo H. Warnke & Daniel Schmidt-Brücken

    206 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0

    unbel. ArtefaktIndiv.

    Person

    Organismus/ Lebewesen

    Ort

    unbel. nat. Art-Indiv.

    Abbildung 4: Absolute Häufigkeit nominaler Sorten in Meinhof (1910) 8 7 6 5 4 3 2 1 0

    Zeit

    Organismus/ Lebewesen

    Person

    unbel. nat. ArtIndiv.

    Teil

    Abbildung 5: Absolute Häufigkeit nominaler Sorten in Velten (1913) Die Analyse zeigt, dass sich die Einzelprofile der Numeralbeispiele der untersuchten kolonialen Swahiligrammatiken hinsichtlich ihrer Zusammensetzung von nominalen

    Numeralia und Numeralität in kolonialen Grammatiken

    207

    Sorten als heterogen erweisen.6 In der Zusammenfassung der Befunde ergeben sich aus den relativen Häufigkeiten der nominalen Sorten im gesamten Datensample folgende Dominantsetzungen von Hyperonymtypen kolonialgrammatischer Numeralbeispiele: nominale Sorte

    relative Häufigkeit im Datensample (N = 196)

    PERSON

    22,4%

    ZEIT

    21,0%

    UNBELEBTES ARTE-

    FAKT-INDIVIDUATIVUM

    18,9%

    MASSEINHEIT

    15,8%

    andere nominale Sorten

    21,8%

    Beispielbelege Diese 3 vornehmen Männer (Seidel 1900: 89) das sechste Kind (Meinhof 1910: 61) Sonnabend in 14 Tagen (Velten 1913: 63) Bis 6 Uhr früh dauert die Nacht. (Seidel 1903: 101) vier Kanonen (Meinhof 1910: 4) 1 Rasiermesser (St. Paul-Illaire 1896: 310) zwei Unterarmlängen (St. Paul-Illaire 1896: 312) Der Herr hat dich für (kwa ) 60 Rupie freigekauft. (Seidel 1900: 94) der dritte Baum (Seidel 1903: 100) der sechste Gesang (St. Paul-Illaire 1896: 311)

    Tabelle 3: Relative Häufigkeiten nominaler Sorten in kolonialgrammatischen Numeralbeispielen Zur Präzisierung der semantischen Analyse nach den Konerdingschen nominalen Sorten wurde für die Sorten mit der höchsten relativen Häufigkeit in einem zweiten Schritt eine induktive Kategorisierung hinsichtlich der kolonialdiskursiven Verortung der Numeralbeispiele vorgenommen: Nominale Sorte PERSON > Nominale Sorte ZEIT > Nominale Sorte UNBELEBTES ARTEFAKTINDIVIDUATIVUM >

    Nominale Sorte MASSEINHEIT

    >

    MENSCHEN ALLG. – BERUF, SOZIALE FUNKTION ZEITANGABE – HANDLUNG, EREIGNIS, VORGANG BEHAUSUNG, GEBÄUDE, FUNKTIONALER RAUM – EUROPÄISCHES KULTURGUT – GEGENSTAND ALLGEMEIN – HAUSHALTSGEGENSTAND – KLEIDUNG – TRANSPORT – WAFFEN MASSEINHEIT ALLGEMEIN – GELD

    Diese Kategorisierung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder gar Gleichsetzung mit einer objektiven Ontologie der kolonialen Welt, sondern soll als empirisch gestützte Orientierung für eine koloniallinguistische Semantik dienen, wie sie in vergleichbarer Weise bereits in Warnke & Schmidt-Brücken (2011) an kolonialgrammatischen Beispielsätzen erprobt wurde. Quantitative Befunde zur induktiven Kategorisie-

    6

    Auf der Grundlage eines größeren Samples könnten zusätzlich zu den dargestellten Befunden Korrelationen zwischen den fünf Datenreihen aufgezeigt werden. Dem exemplarischen Charakter dieser Untersuchung entsprechend wird hier darauf verzichtet, da die statistische Aussagekraft bei der Anzahl an vorhandenen Belegen nur eingeschränkt ist.

    Ingo H. Warnke & Daniel Schmidt-Brücken

    208

    rung werden nachfolgend im Rahmen der detaillierten Behandlung der einzelnen nominalen Sorten vorgestellt. 2.2.1. Nominale Sorte PERSON Die meisten durch definite Numeralia quantifizierten Nomen im Datensample können der nominalen Sorte PERSON zugeordnet werden (22,4%). Die häufige Quantifikation von Ausdrücken für Menschen im kolonialgrammatischen Beispielgebrauch könnte (Hypothese 1) als Ausdruck einer anthropozentrischen Tendenz in der Funktionalität grammatikographischer Beispiele überhaupt gedeutet werden, die nicht spezifisch für den Kolonialdiskurs sein muss. Andererseits kann hinsichtlich der epistemischen, auf Zeitgebundenheit rekurrierenden Lesart grammatischer Beispiele (vgl. Warnke & Schmidt-Brücken 2011) vermutet werden (Hypothese 2), dass im kolonialen Kontext der (kolonisierte) Mensch einer Objektivation, einer “Zählbar-Machung” unterworfen wird. Zum Vergleich: In vier rezenten Grammatiken des Deutschen (Zifonun et al. 1997, Eisenberg 2006, Weinrich 2007, Duden 2009) stehen 135 Beispielen für definite Zahlwörter mit nicht-menschlicher Bezugsgröße nur zwölf Beispiele mit Nomen gegenüber, die eine Person oder Personenklasse denotieren, stellen also nur 8,2% aller definiten Numeralbeispiele dar. Im diachronen Vergleich des grammatikographischen Beispielgebrauchs verliert damit die Anthropozentrismusannahme [Hypothese 1] an Wahrscheinlichkeit und wird die kolonialdiskursive Objektivationsvermutung [Hypothese 2] plausibler. Von den 44 kolonialgrammatischen Numeralbeispielen, die der nominalen Sorte PERSON zugeordnet sind, fallen 29 Beispiele (66%) unter die induktiv ermittelte Kategorie MENSCHEN ALLGEMEIN (vgl. Belege 24 und 25) und 15 Beispiele (34 %) unter die Kategorie BERUF, SOZIALE FUNKTION (vgl. Belege 26 und 27). (24)

    52 kleine Kinder (Meinhof 1910: 5)

    (25)

    je drei Leute (Velten 1913: 70)

    (26)

    der hundertste Hirte (Meinhof 1910: 61)

    (27)

    Ibrahim, gehe morgen [nach] Bagamoyo und suche zehn Handwerker, sechs Maurer und vier Zimmerleute. (Seidel 1900: 25)

    Die hauptsächliche Verwendung von Substantiven, die der Kategorie MENSCHEN ALLGEMEIN zugeordnet sind, lässt sich als weiteres Indiz für die Richtigkeit der Annahme einer Objektivation und Ent-Individualisierung kolonisierter Menschen im Diskurs deuten. Die hochfrequente Benutzung allgemeiner und damit Unterschiede nivellierender Ausdrücke zur Bezeichnung von Personen kann im kolonialen Kontext als Gleichmachung und Quantifizierung des Menschlichen interpretiert werden. Sofern andererseits eine genauere Identifizierung des gezählten Menschen vorgenommen wird, geschieht diese durch sprachliche Bestimmung der sozioökonomischen Funktionalität der Person im kolonialen System, wie die Belege der Kategorie BERUF, SOZIALE FUNKTION zeigen.

    Numeralia und Numeralität in kolonialen Grammatiken

    209

    2.2.2. Nominale Sorte ZEIT Mit den nominalen Sorten ZEIT, UNBELEBTES ARTEFAKT-INDIVIDUATIVUM und MASSEINHEIT, die in der relativen Häufigkeit hinter der Sorte PERSON rangieren, werden nominale Bezugsgrößen kategorisiert, die als typische quantifizierbare Einheiten erwartbar sind. Die Zeitangabe als basale sozio-kommunikative Koordinate und Bedingung für die Spezifizierung einer sprachlichen Sachverhaltsdarstellung wird entsprechend häufig in den kolonialgrammatischen Numeralbeispielen aufgeführt (21%), meist in gesonderten Unterabschnitten der Numeralia-Kapitel der jeweiligen Texte. Die damit selbstverständlich scheinende große Häufigkeit von Numeralbeispielen, die präzise Zeitangaben denotieren, kann jedoch bei genauerer Betrachtung als sprachlich manifestierter Ausdruck einer kolonisatorischen und mithin eurozentrischen Gewissheit gedeutet werden, die auf strenge numerische Strukturierung des Tages- und Jahresablaufes verweist. Denn in einer jüngeren Lernergrammatik des Swahili (Maw 1999) wird im Kapitel zu Zeitangaben relativierend bemerkt: The Swahili are not so obsessed with strict time as many Europeans are, and have a much more relaxed attitude. Of course there are proper social conventions about times for performing certain functions – e.g. nobody calls on anyone in the early afternoon, when anyone with any sense will be having a siesta. The time for social calls is about 5.30. When you get used to it, it is much more comfortable to live by the seasons, the weather, and inclination than it is by a clock. (Maw 1999: 63) Zwar gibt das Zitat ebenfalls eine Bewertung – wenn auch eine positive – aus europäischer Perspektive7 wieder. Die kulturelle Spezifik im Umgang mit Zeit ist damit aber zumindest angesprochen und wird zum Gegenstand von linguistischer Reflexion gemacht. In der semantischen Präzisierung der induktiven Kategorien ergibt sich, dass 36 (87,8%) von insgesamt 41 der nominalen Sorte ZEIT zugehörige Numeralbeispiele ZEITANGABEN im herkömmlichen Sinne (Beleg 28) sind und fünf Beispiele (12,2%) abstrakte Frequenzangaben als Elemente der Kategorie HANDLUNG, EREIGNIS, VORGANG (Beleg 29). (28)

    Um 3 Uhr komm zu mir nach Hause! (Velten 1913: 61)

    (29)

    zum ersten Mal (Seidel 1900: 89)

    Die deutliche Dominantsetzung von genauen numerischen Zeitangaben unterstützt die Annahme von der eurozentrisch verwurzelten Fokussierung auf zeitliche Strukturen, die Teil eines kolonisatorischen kulturellen Superstrats sind oder – vermittelt durch sprachliche Fixierung – dazu werden können (zu sprachlich stabilisierten Wahrnehmungs- und Objektivierungsmustern vgl. Felder 2009: 27). 7

    Die Autorin ist auf dem Titelblatt der Grammatik als “Emeritus Reader in Swahili in the University of London, School of Oriental and African Studies” ausgewiesen.

    Ingo H. Warnke & Daniel Schmidt-Brücken

    210

    2.2.3. Nominale Sorte UNBELEBTES ARTEFAKT-INDIVIDUATIVUM Mit der nominalen Sorte UNBELEBTES ARTEFAKT-INDIVIDUATIVUM, d.h. zählbares, menschlich effiziertes Einzelobjekt, sind quantifizierbare sprachliche Ausdrücke par excellence kategorisiert. Umso auffälliger ist es, dass deren Vorkommen im Datensample mit 18,9% vergleichsweise gering ist.8 Hinsichtlich der kolonialdiskursiven Funktion der Zahlwortbeispiele mit UNBELEBTEN ARTEFAKT-INDIVIDUATIVA, die als sehr allgemeiner Hyperonymtyp noch wenig Ansatzmöglichkeiten zur Interpretation bereitstellen, erweist sich die Differenzierung nach den in 2.2 dargestellten induktiven semantischen Kategorien als aufschlussreich. So ergibt sich folgende heterogene Binnenklassifikation dieser nominalen Sorte: induktive semantische Kategorie HAUSHALTSGEGENSTAND BEHAUSUNG, GEBÄUDE, FUNKTIONALER RAUM TRANSPORT WAFFE GEGENSTAND ALLG. EUROPÄISCHES KULTURGUT KLEIDUNG

    relative Häufigkeit (N = 37) 40,5% 21,6% 10,8% 10,8% 8,1% 5,4% 2,7%

    Beispielbeleg9 Ich hatte 5 Tassen, es ist eine weniger geworden, du zerbrichst alles Geschirr. (Seidel 1900: 62) das dritte Haus (St. Paul-Illaire 1896: 311) 17 große Boote (Meinhof 1910: 5) vier Kanonen (Meinhof 1910: 4) neun Dinge (Meinhof 1910: 4) 345 Bücher (Meinhof 1910: 5) ein Barbarenkleid (Meinhof 1910: 61)

    Tabelle 4: Semantische Binnenklassifikation der nominalen Sorte UNBELEBTES ARTEFAKT-INDIVIDUATIVUM Die häufige Verwendung von Substantiven, die der Kategorie HAUSHALTSGEGENSTÄNDE zugeordnet werden können (40,5%), weist auf eine Fokussierung lebensweltlicher Zusammenhänge im kolonialen Alltag hin. Dabei tritt mitunter (und besonders in Seidels Suahili Konversations-Grammatik (1900)) ein explizit kolonisatorischer Gestus zu Tage, wie der Beispielbeleg in Tab. 4 sowie die folgenden Belege zeigen: (30)

    8 9

    Ich werde jedes Ding nacheinander aufschreiben; der Wächter ist nicht verläßlich (treu), er hat das letzte Mal (marra ya mwisho) zwei Taschentücher (malesomawili) verbummelt. (Seidel 1900: 22)

    In den rezenten Vergleichsgrammatiken (Zifonun et al. 1997, Eisenberg 2006, Weinrich 2007, Duden 2009) treten nominale Bezugsgrößen dieser Art in 25,9% aller definiten Numeralbeispiele auf. Die häufige Anführung von Beispielbelegen aus Meinhofs Sprache der Suaheli in DeutschOstafrika (1910) liegt darin begründet, dass dieses Werk im Bereich der UNBELEBTEN ARTEFAKTINDIVIDUATIVA oftmals das einzige ist, in dem eine bestimmte induktive semantische Kategorie vorkommt.

    Numeralia und Numeralität in kolonialen Grammatiken

    (31)

    211

    Zwei Lampen im Hofe (Lokat.) sollen (bloßer Konj.) brennen, alle anderen Lampen sollen (bloßer Konj.) ausgelöscht werden. (Seidel 1900: 94)

    2.2.4. Nominale Sorte MASSEINHEIT In den Numeralbeispielen der nominalen Sorte MASSEINHEIT (15,8% im Datensample) wird der Anspruch einer Vermessung des Kolonialen besonders deutlich, da hier abstrakte Quantifikationseinheiten Eingang in den beispielhaften Sprachgebrauch der Zeit finden, die kulturelle, ökonomische und rechnerische Übertragungen zulassen. Bezeichnend dafür ist die Tatsache, dass 22 (71%) der Bezugsgrößen dieser nominalen Sorte der semantischen Kategorie GELD zugeordnet werden können. Dabei stehen neben neutralen Wertangaben, die für den kolonialen Handelsverkehr unentbehrlich waren (13), solche Numeralbeispiele, die in der exemplarischen Quantifikation den Wert eines Menschen in kolonisatorischer Leibeigenschaft denotieren (14). (32)

    5/16 Dollar (Seidel 1903: 120)

    (33)

    Der Herr hat dich für (kwa) 60 Rupie freigekauft. (Seidel 1900: 94)

    In den restlichen 9 Belegen (29%), die der semantischen Kategorie MASSEINHEIT allgemein zugeordnet werden können, werden neben dem Wort pima, dem in der Verwendung als Maßeinheit zwei Yards entsprechen, Körperteile als Maßstab für Messungen verwendet (34 und 35). (34)

    ein Fingerbreit (Seidel 1903: 102)

    (35)

    vier Unterarmlängen (St. Paul-Illaire 1896: 312)

    Dass der Körper als Mittel des Zählens mit den indigenen Sprachen des kolonialen Afrikas in Verbindung gebracht wird, lässt sich nicht nur an dezidiert auf das Swahili bezogenen Grammatiken ablesen, sondern auch in Meinhofs Grundzügen einer vergleichenden Grammatik der Bantusprachen ([1906] 1948: 117–120), in der im Kapitel zu den Kardinalzahlen mehrfach Beispiele über die Zählweise mit Fingern für verschiedene Zahlenkonstruktionen und in verschiedenen afrikanischen Sprachen aufgeführt werden.10

    4. Schlussbemerkung Kolonialismus ist neben sonstigen Herrschaftsmechanismen eine textbasierte Praxis der Kommunikation, der Aushandlung von Wissensbeständen und der schriftlichen Fixierung von allgemein und selbstverständlich geteiltem Wissen, von kolonialen Gewisshei10

    In einer an Bewunderung für die “Natürlichkeit der Eingeborenen” grenzenden Diktion schreibt Meinhof ([1906] 1948: 118): “Im Sotho leitet man die Zahl fünf in sehr ursprünglicher Weise von ‘Hand’ ab.”

    212

    Ingo H. Warnke & Daniel Schmidt-Brücken

    ten. Die Linguistik ist in der Ausprägung als kolonialzeitliche Sprachforschung in diese Strukturen gestellt und hat Teil an der Hervorbringung sprachbasierter Machtkonstellationen. Wir haben vor dem Hintergrund dieser Annahme gezeigt, dass koloniale Grammatiken nicht nur durch ihre Systematisierung außereuropäischer Sprachen, sondern auch durch die Explanation anderer Sprachen in Beispielen spezifisch koloniale Perspektiven bestätigen. Die Realisierung von Numeralkonstruktionen ist für uns deshalb interessant, weil das grammatische Potenzial von Numeralia groß ist und die Wahl von Beispielen indexikalisch für den grammatikographischen Anspruch ist. Die von uns untersuchten Swahili-Grammatiken aus der deutschen Kolonialzeit zeigen, wie stark die kolonialzeitliche Sprachforschung von kolonialen Gewissheiten durchzogen ist. Koloniallinguistik als rezentes wissenschaftliches Projekt hat nicht zuletzt mit wissenschaftshistorischem Anspruch solche Ausprägungen von Linguistik zu reflektieren.

    Literatur Quellen Meinhof, Carl ([1906] 1948): Grundzüge einer vergleichenden Grammatik der Bantusprachen. Zweite völlig umgearbeitete Auflage. Berlin: Reimer. Meinhof, Carl (1910): Die Sprache der Suaheli in Deutsch-Ostafrika. Berlin: Reimer. Meinhof, Carl (1912): Die geistige Befähigung des Afrikaners in: Bremer Missions-Schriften 36, 10–17. Seidel, August (1900): Suahili Konversations-Grammatik nebst einer Einführung in die Schrift und den Briefstil der Suaheli. Heidelberg: Groos. Seidel, August (1903): Praktische Grammatik der Suaheli-Sprache. Auch für den Selbstunterricht. 2., vermehrte und verbesserte Auflage. Wien/Leipzig: Hartleben. St. Paul-Illaire, Walter von (1896): Swahili-Sprachführer. Dar-es-Salaam: Richter. Velten, Carl (1913): Praktische Suaheli-Grammatik. 4., verbesserte und vermehrte Auflage. Berlin: Selbstverlag des Verfassers.

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    Numeralia und Numeralität in kolonialen Grammatiken

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    Ingo H. Warnke & Daniel Schmidt-Brücken

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    SANDY C. KUTZNER (FRANKFURT AM MAIN)

    “Zivilisierte” und “unzivilisierte” Sprachen. Historische Sprachbewertung und das wirklich Fremde in Sprachen

    Abstract Concerning the historical evaluation of languages, research has been done primarily for Romance and Germanic languages. Until now, a systematic approach to the evaluation of non-European languages is wanting. The following paper examines some of the main characteristics of attitudes towards ‘exotic’ and ‘wild’ languages. The focus is not exclusively on the criteria of language evaluation. For a broader perspective, the historical context is taken into consideration by asking: Since when and why have language evaluations been made and by whom? I argue that the perception of languages was strongly influenced by the rise of new theories on the gradual cultural development of mankind during the 18th century. While cultural and linguistic progression have been equalized, ‘exotic’ languages and their speech communities became examples of the lowest and most raw stages of development. This applies particularly to Amerindian and Pacific languages. European evaluators (e.g., missionaries and travelers) concentrated first of all on the conclusion that, compared to their mother tongues, ‘exotic’ languages suffered from a lack of letters and words. The evaluative comparison of ‘civilized’ IndoEuropean languages and ‘uncivilized’ non-European languages is characterized by the assumed superiority of European languages and culture.

    1. Bewertung europäischer Sprachen Obwohl Sprachbewertung im Sinne expliziter und pauschaler Werturteile über Sprachen eine gewisse Tradition in der intellektuellen Geschichte Europas hat (vgl. Hüllen 1995: 315), wurde dieses Thema aus historiografischer Perspektive bisher eher fragmentarisch untersucht. Mattheier (1995) und Wochele (2009) verstehen die Bewertung von Sprachen als Teil der Sprachbewusstseinsgeschichte. Hierzu sollen alle Formen geistiger Auseinandersetzung mit der eigenen und anderer Sprachlichkeit gezählt werden, also das relativ unreflektierte Alltagswissen über Richtigkeit und Angemessenheit von Sprachhandlungsmustern ebenso wie die differenzierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Sprache. Alle diese Bereiche des Sprachbewußtseins bzw. des Sprachwissens sind Gegenstand von Veränderungsprozessen […] (Mattheier 1995: 16).

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    Diese “Veränderungsprozesse” spiegeln sich am deutlichsten in drei Phasen wider, welche die Entstehung von Bewertungsmotiven maßgeblich beeinflusst haben: 1. die Abgrenzung der Volkssprachen vom Lateinischen (dies gilt besonders für die romanischen Sprachen); 2. Etablierung einer Standardvarietät innerhalb der jeweiligen Volkssprachen und 3. der eigentliche “Wettstreit der Sprachen” (vgl. Albrecht 2001: 536f.). Nun stehen zwar verschiedene Sprachen zu unterschiedlichen Zeiten im Mittelpunkt der Bewertung, aber die wichtigsten Impulse gingen von den romanischen Sprachen aus: neben dem Lateinischen vor allem vom Italienischen und Französischen (vgl. Bossong 1990: 10). Aus diesem Grund stammen wohl auch die meisten der bis dato vorliegenden Untersuchungen zum Thema Sprachbewertung von Romanisten. Exemplarisch seien hier genannt: für die Auseinandersetzung mit einzelnen Bewertungskriterien SchliebenLange (1992), Haßler & Neis (2009: 882ff.) und Weinrich (1961) sowie mit der Fokussierung auf Bewertungen in (französischen) Grammatiken Greive (2001). Daneben ist ausdrücklich der methodologische Artikel von Albrecht (2001) hervorzuheben. Mit allgemeinen Bewertungsaspekten und den germanischen Sprachen, insbesondere dem deutsch-englischen Sprachvergleich, hat sich Hüllen in zahlreichen Artikeln befasst (besonders 1993, 1995). In keiner der bisherigen Publikationen wurden jedoch in irgendeiner Form auch außereuropäische Sprachen in die Untersuchung einbezogen. Dass wertende Urteile über Sprachen keine Seltenheit waren, sondern sogar sehr verbreitet, beweist die Verwendung des Begriffs “(evaluativer) Diskurs” (vgl. SchliebenLange 1992, Greive 2001). Bewertungen europäischer Sprachen treten bevorzugt im Kontext der Sprachapologie (dem Lob bzw. der Verteidigung einzelner Sprachen) und dem Sprachvergleich auf (vgl. Hassler & Neis 2009: 895). Von den Textsorten ist es abhängig, wie ausgewogen das Verhältnis positiver und negativer Bewertungskriterien ist. Apologetische Texte bzw. Sprachlob-Texte wurden hauptsächlich von Muttersprachlern der betreffenden Sprache geschrieben, welche die Vorzüge ihrer Sprache betonten. Dementsprechend kann das Ergebnis einer Untersuchung der Sprachbewertung bei einer Konzentrierung auf solche Texte durchaus etwas einseitig dazu führen, zu überwiegend positiven Bewertungskriterien einer Sprache zu gelangen bzw. nur das Sprachlob mit “Bewertung” gleichzusetzen (vgl. Wochele 2009: 351 für das Rumänische). Differenzierter fallen die Urteile sprachvergleichender Arbeiten aus, wobei die Bewertungsphasen durchaus Einfluss auf die miteinander verglichenen Sprachen haben. Gerade die Emanzipation der Volkssprachen vom Lateinischen führte nicht nur in Frankreich zu einer Vergleichstradition des Französischen und Lateinischen sowie auch Griechischen (vgl. Schlieben-Lange 1992: 574, Anm. 5). Auch in Deutschland wurden die “Vorzüge der griechischen, lateinischen und deutschen Sprache” in Form einer Preisfrage (1787) der kurfürstlichen deutschen Gesellschaft zu Mannheim zur Diskussion gebracht (vgl. Kistemaker 1793: Vorrede, unpag.). Versatzstücke des apologetischen Diskurses können ebenso in Grammatiken, Wörterbüchern und Sprachgeschichtsschreibungen gefunden werden. In Grammatiken dienten sie Autoren vor allem zur Legitimation ihres Vorhabens: (Positive) Bewertungen

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    belegten die “Grammatikabilität” der Sprache und sicherten zugleich das Interesse des Lesers (vgl. Greive 2001: 26). Vergleichbares lässt sich in Bezug auf die Vorworte in Wörterbüchern sagen, welche den “lexikalischen Reichtum” einer Sprache hervorhoben. Das Frageschema von Albrecht (2001: 528) zur Aufarbeitung der Sprachbewertung zielt demgemäß nicht ausschließlich auf das Sammeln einzelner Bewertungskriterien ab, sondern ebenso auf deren Entstehungskontext: Was wird bewertet? Wie wird bewertet? Mit welchen Hilfsmitteln, d.h. aufgrund welcher Kriterien wird bewertet? Wann und warum (wozu) wird bewertet, d.h. welche historischen Situationen begünstigen die Entstehung welcher Bewertungsmotive? Wer bewertet, und wo treten die Werturteile in Erscheinung? Anhand der Fragen sollen im Folgenden einige wesentliche Charakteristika der Bewertung außereuropäischer Sprachen aufgezeigt und dem europäischen Bewertungsdiskurs gegenübergestellt werden.

    2. Sprache und Kultur 2.1. Von der “Natur” zur “Kunst” Bewertungen außereuropäischer Sprachen gibt es seit dem Einsetzen der kolonialen Expansion ab dem 16. Jahrhundert. Grundsätzlich tritt die binäre Logik des Imperialismus, die in den kolonialen Texten ihre Dominanz über Oppositionspaare bildet (vgl. Ashcroft et al. 2007: 19), auch in sprachwissenschaftlichen Texten bzw. Sprachbeschreibungen auf. Der grundlegende Dualismus Kolonisierer – Kolonisierter, zivilisiert – primitiv, schön – hässlich wird in Bezug auf Sprachen zu zivilisierte Sprache – unzivilisierte Sprache, kultivierte Sprache – unkultivierte/wilde/rohe Sprache. In keinem anderen Kontext wird der Zusammenhang zwischen Sprachtheorie und Anthropologie bzw. Ethnologie deutlicher als bei der Beschreibung außereuropäischer Sprachen. Sprache wird als Repräsentant der “Kultur” bzw. des kulturellen Stadiums eines Volkes aufgefasst. Die (Weiter-)Entwicklung einer Kultur muss sich demnach auch in ihrer Sprache zeigen: “Cultural poverty is mirrored by linguistic poverty; cultural richness by linguistic richness. A primitive people must have a primitive language, and a polished people must have a polished language” (Schreyer 2003: 316). Der Übergang von der primitiven zur fortgeschrittenen Kultur wird aber nicht als “Sprung” gedacht, sondern vielmehr als ein graduelles System. Die Erweiterung des binären ‘Zuordnungsrasters’ wird ab der Mitte des 18. Jahrhunderts durch unterschiedliche Kulturperioden ausgedrückt. Es läßt sich […] aus der allgemein bekannten menschlichen Natur vermuthen, daß die Sprachen der Menschen eben so sehr von einander verschieden seyn müssen, als es ihre ursprünglichen Organisationen, und die Stuffen ihrer Cultur sind; und daß es also in der Erstern eben so unendliche Abweichungen, als in den

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    Letztern steigende und fallende Grade gebe. Aus eben dem Grunde aber, aus welchem man in allem, was unbestimmlich viele Stuffen zuläßt, gleichsam drey grosse Absätze unterscheidet, und aus welchem man also auch alle Nationen in Rücksicht ihrer Ausbildung in ganz rohe, in halb aufgeklärte, und ganz cultivierte abtheilt, aus eben diesem Grunde kann man die Sprachen aller Völker nach den Hauptstuffen ihrer Cultur in rohe, gebildete und halbgebildete zerlegen ([Meiners] 1794: 416). Wie sehr die Bewertung von Sprachkulturen immer auch von der Bewertung ihrer Sprecher abgeleitet wird, zeigen Ausnahmefälle, in denen als besonders barbarisch geltende Völker über ganz ‘unbarbarische’ Sprachen verfügen. Monboddo (1774: 539) führt als ein Beispiel Grönländisch an. Sehr häufig wird mittels Klimatheorien der theoretische Charakter der Völker abgeleitet, denn in den meisten Fällen beziehen die Autoren ihre Informationen nur aus zweiter Hand oder vom bloßen Hörensagen. So heißt es hier über die Grönländer: “if we may judge from the country and climate that they inhabit, the most miserable people on earth” (Monboddo 1774: 555). Da nun die Sprecher überhaupt nicht zu ihrer Sprache passen, können sie demnach auch nicht die “Erfinder” des Grönländischen sein: I think it therefore evident, that this language is not the invention of so barbarous a people, but that it is a dialect of the Hebrew, or Teutonic, or some other oriental language, that has come from the Eastern parts of Europe, or the Western parts of Asia, having spread with the people into this remote northern country […] (Monboddo 1774: 557). Die Gründe für die Stigmatisierung außereuropäischer Sprachen als “roh” und “barbarisch” liegen in den kolonialistischen Bestrebungen Europas, ihre jeweiligen Sprachen als “zivilisatorische Leistungen” im Erobererland durchsetzen zu wollen. “Die Bemühungen von Weltreisenden und Missionaren […] erscheinen als ein Verdienst ihres als höherstehend empfundenen Kulturkreises” (Neis 2002: 129f.).

    2.2. Berichterstatter Folgt man den intertextuellen Verweisen und wirft einen Blick in zeitgenössische Kompendien und Literaturverzeichnisse, dann gibt es eigentlich nur zwei große Textproduzenten-Gruppen, die Europa mit Informationen über “exotische” Völker und Sprachen versorgt haben: Missionare und Reisende. Aber weniger die (Missionars-)Grammatiken als vielmehr die Missionarsrelationen und “histoires” haben eine bestimmte Form des Wissens über fremde Völker geprägt und verbreitet (vgl. Hofmann 2001: 17). Ebenso ist der Einfluss von Reisenden und Entdeckern allein aufgrund der enormen Verbreitung ihrer Texte nicht zu unterschätzen (Neis 2002: 122 spricht hier von einer “epidemieartigen Ausbreitung”). Sogar in sprachtheoretischen Arbeiten bzw. Grammatiken zitierten die

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    Autoren bewertende Stellen aus Reiseberichten; Natur- und Entwicklungsgeschichten des Menschen wären ohne diese Textsorte als Informationsgrundlage nicht denkbar. Sprachbeschreibungen treten sowohl in Missionarstexten als auch in Reiseberichten bevorzugt im Kapitel über Sitten und Gebräuche auf (vgl. Kutzner 2010: 46f.). Auch daran wird wieder die Nähe zur Anthropologie deutlich: neben der Schilderung der physischen und psychischen Merkmale der jeweiligen Völker oder Stämme sowie ihrer Lebensgewohnheiten, Kleidung und Werkzeuge wird auch die Sprache beschrieben. Besonders in kompilatorischen Zusammenstellungen und ebenso in Texten zur Sprachursprungsproblematik wird der hohe Stellenwert sogenannter “Prototexte” für den Bewertungsdiskurs deutlich. Prototexte bringen ein Thema und manchmal die Leitvokabeln auf und prägen die Leitgedanken eines sich entwickelnden Diskurses vor oder stellen sie neu zur Diskussion (vgl. Hermanns 1995: 88). Prototexte im Bewertungsdiskurs sind deshalb so wichtig, weil sie nicht nur mit ihren Bewertungen eine Bewertungsrichtung vorgeben, sondern oftmals die Leitvokabeln – also die Bewertungskriterien, das “Bewertungslexikon” – einer Sprache stellen. Diese Vokabeln werden in beliebigen Kontexten reproduziert, was häufig zu einer Art ‘serieller Bewertung’ führt. Gerade weil es über sehr unzugängliche Sprachkulturen nur vereinzelte Informationen gab, wurden die vorhandenen Beschreibungen immer wieder herangezogen. Um beim Beispiel des Grönländischen zu bleiben, kann David Cranz’ Historie von Grönland (1770) als Prototext genannt werden. Die positive Bewertung des Grönländischen beruht auch in nachfolgenden Texten allein auf seiner im Wesentlichen positiven Beurteilung der Sprache: Bey dem allen aber ist diese Sprache nicht so roh und unausgearbeitet, als man sie sich bey einem solchen unpolirten Volk vorstellen solte. Man könnte eher auf die Gedanken kommen, daß sie einmal geschikte Leute gehabt haben müssen, die die Sprache in eine so künstliche und zierliche Ordnung gebracht hätten (Cranz 1770: 277f.). Negative Bewertungen wurden oft auf die gleiche Weise fortgeschrieben. Wie Schreyer (2003: 322) am Beispiel Monboddos und des Huronischen ausführt, wurde eine kritische Diskussion der verwendeten Quellen vermutlich auch nicht angestrebt. Vielmehr wurden gezielt einzelne Informationen bzw. Bewertungskriterien so ausgewählt, dass sie möglichst stimmig zur eigenen Hypothese passen. In Analogie zur Funktion von Bewertungen in europäischen Grammatiken ging es bei Monboddo also darum, die “Ungrammatikabilität” des Huronischen zu belegen. Die Einseitigkeit ist nicht nur in Bezug auf die Literaturauswahl bemerkbar. Anders als bei der Bewertung europäischer Sprachen fehlt eine Eigenbewertung durch die jeweiligen Muttersprachler völlig, es gibt keine Verteidigungsschriften zum Huronischen aus der Feder eines Huronen. Beim Übersetzen religiöser Texte, Schreiben von Grammatiken und Wörterlisten waren Einheimische zwar nachweislich beteiligt, treten in ihrer Autorenschaft jedoch nicht hervor. So ist der Bewertungsdiskurs außereuropäischer Sprachen im Grunde genommen doch wieder ein europäischer.

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    3. Sprachvielfalt und Sprachverwirrung 3.1. Vom Umgang mit der Vielfalt Die Wahrnehmung der sprachlichen Vielfalt besonders in Amerika und Afrika ist sowohl in Missionarstexten als auch in Reisebeschreibungen ein wiederkehrendes Thema. Auf beiden Kontinenten finden die Europäer eine enorme Vielzahl an Sprachen und Dialekten vor, deren Zahl sie oft nur ungenau und sehr schwankend angeben können. Fiske (1892: 38) belegt dies sehr gut am Beispiel der amerikanischen Sprachen, wo die Angaben je nach Autor von 400 bis zu 1.264 Sprachen reichen. Er benennt nicht nur die Gründe für diese sehr unterschiedliche Wahrnehmung, sondern zieht sogleich Konsequenzen aus der Diversität: The discrepancy arises from the fact that where one scholar sees two or three distinct languages another sees two or three dialects of one language and counts them as one; it is like the difficulty which naturalists find in agreeing as to what are species and what are only varieties. The great number of languages and dialects spoken by a sparse population is one mark of the universal prevalence of a rude and primitive form of tribal society (Fiske 1892: 39). Eine weitere Schwierigkeit bei der Beschreibung der Sprachen bzw. Dialekte und zugleich eines der Hauptargumente für die mangelhafte Entwicklung der ‘Wilden’ ist das Fehlen einer (alphabetischen) Schriftkultur. Das erschwert nicht nur eine reliable Überlieferung der Geschichte der Stämme (vgl. Lahontan 1709: 340), sondern lässt auch den Ursprung der Sprachen im Unklaren. Die Veränderungen durch mangelnde schriftliche Fixierung treten in den Dialekten so schnell ein, dass sie sogar Einheimischen Verständigungsprobleme bereiten. Even the various tribes of Bosjesmans differ much in their language, each tribe having a dialect of their own, and even changing their dialect in the course of a few years. This is accounted for by the fact that the hordes or families of Bosjesmans have but little intercourse with each other, and remain as widely separated as possible, so that they shall not interfere with the hunting-grounds of their fellow-tribesmen. In their conversation among each other also, they are continually inventing new words. […] So imperfect, indeed, is the language of the Bosjesmans, that even those of the same horde often find a difficulty in understanding each other without the use of gesture […] (Wood 1868: 265f.). Das Konzept der Gebärdensprache gehört auch zu den bevorzugten Konzepten der Ursprungshypothesen und gilt als “Ausdruck eines retrograden, nicht zur Generierung von Allgemeinbegriffen und Abstrakta befähigten Denkens” (Hassler & Neis 2009: 608). Interessant ist in diesem Kontext, dass Gestensprache andererseits als eine Art universales Kommunikationsmittel mit internationaler Verständlichkeit galt (vgl. Hassler &

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    Neis 2009: 596; zur teilweise synonymen Verwendung der Begriffe “Geste” und “Gebärde” vgl. S. 597). Die in den eigenen Texten besonders von Reisenden und Entdeckern viel gerühmte Fähigkeit, sich sofort und ohne Schwierigkeiten den Einheimischen verständlich zu machen, beruht nicht zuletzt auf der betonten Verwendung von Zeichensprache. Im Unterschied zur unbeständigen artikulierten Sprache der Eingeborenen ist deren Gebärdensprache “stabil” und keinerlei Veränderungen unterworfen. Ein weiteres Problem bei der Feststellung, “was” eigentlich bewertet wurde, ist eine fehlende einheitliche Orthografieregelung bei der Verschriftung der Sprachen. Das betrifft nicht nur die Sprachbeispiele, sondern ganz konkret auch die Benennung der einzelnen Stämme durch Europäer. Auch Zeitgenossen waren sich nicht immer im Klaren darüber, über wen der Kollege in seiner Abhandlung sprach. Bei all der sprachlichen Diversität wurden Sprachen mit einer größeren Verbreitung als die anderen mit mehr Aufmerksamkeit bedacht. Neben der Verwendung von Gebärdensprache galten sie als ‘sicheres Kommunikationsmittel’ nicht nur für europäische Zwecke, sondern dienten auch unterschiedlichen Stämmen als lingua franca bei Zusammenkünften. Am Beispiel der nordamerikanischen Sprache Algonkin lassen sich die Folgen der gesteigerten Aufmerksamkeit ablesen: Aufgrund ihrer Verbreitung galt sie als eine der “Muttersprachen” des Landes, die zugehörigen Dialekte galten im Wesentlichen als gut dokumentiert und für die wichtigsten unter ihnen gab es sowohl zahlreiche gedruckte Grammatiktraktate als insbesondere auch Übersetzungen (vgl. Pilling 1891: III). Das Gleiche konstatiert Schlieben-Lange (1999: 46) für die lateinamerikanischen “lenguas generales”, zu denen Aymara, Quechua, Nahuatl und auch Maya zählen. Sprachen wie Tupi und Chibcha dokumentieren den sprachpolitischen Einfluss, den europäische Kolonisatoren auf die Sprachentwicklung nahmen. Beide wurden erst zu “lenguas general” gemacht, ihre eigentliche Bedeutung als Kultursprache und ihre Verbreitung sind ursprünglich nicht vergleichbar mit Nahuatl, Quechua und Maya. Die Ursache liegt in der Missionierung und der damit verbundenen Katechese. Es erschien praktischer, “bestimmten Sprachen einen besonderen Status zu geben, nämlich den Status einer lengua general, einer hierarchisch übergeordneten, weiter verbreiteten Sprache” (Schlieben-Lange 1999: 48). Sicherlich kann es ebenso als ein Versuch angesehen werden, Ordnung ins Chaos der Vielsprachigkeit zu bringen und eindeutig identifizierbare (Sprach-)Grenzen zu ziehen.

    3.2. Beispielsprachen An dieser Stelle soll ein kurzer Blick auf einige der “wilden” Sprachen geworfen werden, welche tatsächlich Eingang in die Ursprungstheorien gefunden haben. Schreyer (2003: 319f.) weist darauf hin, dass nicht alle Autoren ihre Ausführungen mit konkreten Beispielen dieser Sprachen belegt haben. Die Beispielsprachen verdeutlichen nicht nur, dass jeder Autor mehr oder weniger seine “Lieblingswilden” hatte, sondern dass (nord-)

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    amerikanische Sprachen am häufigsten angeführt wurden. Sprachbeispiele aus Afrika und Asien erregten nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie vergleichbares Material aus Amerika und später aus dem Pazifik (vgl. Hovdhaugen 2000: 925). Den Rang der “rohesten” und “primitivsten” Sprache teilen sich vor allem Huronisch (Monboddo 1774) und Californisch ([Meiners] 1794). Herder (1997 [1772]) bezieht sich ebenfalls häufig auf das Huronische, Süßmilch (1766) hingegen konzentriert sich auf Grönländisch. Am anderen Ende der Bewertungsskala ordnet Monboddo das Algonkische an, “being the most artificial, if not the most perfect language, of any I have hitherto mentioned” (Monboddo 1774: 558). Im Mittelfeld zwischen Algonkin und Huronisch ordnet er verschiedene (hauptsächlich wieder amerikanische) Sprachen an, deren Entwicklung bereits etwas weiter fortgeschritten ist: Guaraní und Patagonisch (beide Südamerika), Gothisch, Grönländisch, Albinaquois. Am unteren Ende stehen die Sprachen der Galibis und Kariben als “barbarische Sprachen”, welche jedoch noch vor dem Huronischen rangieren. Bezugnahmen auf die Hottentotten fand Neis (2002: 123ff.) in 2 (von insgesamt 24) Manuskripten über den Sprachursprung im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Interessant sind neben Beispielen außereuropäischer Sprachen die “erfrornen Mundarten”, die nicht zum Kreis der europäischen Sprachen gezählt werden (vgl. Tiedemann 1772: Vorrede, unpag.). In ihren sprachlichen Eigenschaften gleichen sie den anderen “wilden” Sprachen: “Unser kleiner Rest von Wilden in Europa, Estländer und Lappen usw., haben oft ebenso halbartikulierte Schälle als Huronen und Peruaner” (Herder 1997 [1772]: 12). Daran zeigt sich, wie eng der Begriff der “Zivilisation” im 18. Jahrhundert ausgelegt wurde.

    4. Vergleiche und Hierarchien Die Bewertung außereuropäischer Sprachen findet immer im Sprachvergleich statt. Hierbei ist in Abhängigkeit der Bewertungskriterien zu unterscheiden, ob die “wilden” Sprachen mit den jeweiligen Muttersprachen der Europäer oder mit anderen “wilden” Sprachen verglichen werden. Konstitutiv für den Vergleich zwischen “zivilisierten” europäischen und “unzivilisierten” außereuropäischen Sprachen ist das Feststellen von “Lücken”. Die eigene Sprache wirkt als Folie, auf der die Eigenheiten der fremden Sprache als Mängel erscheinen. In zwei Bereichen wird vor allem ein Defizit ausgemacht: Der fremden Sprache fehlen gewisse Wörter, und es fehlen ihr einige Buchstaben (Hofmann 2001: 165). Diese “Mängellisten” treten so häufig in den Texten von Missionaren und Reisenden auf, dass sie schon als ein prototypisches Beschreibungsmuster außereuropäischer Spra-

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    chen gelten können. Die “Lücken” werden häufig von den Autoren als Beweis der Minderwertigkeit bzw. Unterlegenheit der außereuropäischen Sprachen dargestellt. Die ‘Größe’ der Lücke in Bezug auf den Lautbestand ist jedoch prinzipiell abhängig von der Wahrnehmung der einzelnen Autoren. Mangelhafte Sprachkenntnisse und uneinheitliche Schreibweisen haben für einzelne Sprachen bzw. Dialekte zu sehr unterschiedlichen “Alphabeten” geführt. Das lässt sich sehr gut an zwei Beispielen mit nordamerikanischen Sprachen belegen: Irokesisch > 12 Buchstaben (Cuoq 1866), 14 Buchstaben (Duponceau 1838) und Dakota > 26 Buchstaben (Gabelentz 1852), 29 Buchstaben (Riggs 1852). Höhere Zahlen des Lautinventars kommen häufig durch Zuhilfenahme diakritischer Zeichen zustande. Beide Bewertungsbereiche werden auch für den Vergleich der “wilden” Sprachen untereinander herangezogen. Während das Betonen der Lücken im Vergleich mit europäischen Sprachen zu einer negativen Bewertung führt, kann es im Sprachvergleich von Dialekten eines Stammes zur Ausbildung von Hierarchien dienen. Der Dialekt, welcher über die kleinsten “Lücken” verfügt, steht demnach in der Rangordnung höher als die anderen. Ein Kontext, in dem verschiedene außereuropäische Sprachen zueinander in Beziehung gesetzt werden, ist das Aufzählen von Artikulationsproblemen. Das Erfassen fehlender Laute in bestimmten Sprachen geht meistens einher mit der Feststellung, dass die “Wilden” diese Laute beim Erlernen der europäischen Sprachen nicht korrekt artikulieren könnten. Ein Paradebeispiel hierfür ist das Huronische, wo das Fehlen von Labialen zu einem beständig offenen Mund und reduzierten Lippenbewegungen geführt habe (vgl. z.B. Brébeuf 2002 [1636]: 84, Lahontan 1709: 452). Teilweise werden diese artikulatorischen Unterschiede mithilfe der Klimatheorie zu deuten versucht (vgl. Neis 2002: 126).

    5. Kriterien der Sprachbewertung Albrechts Zusammenfassung der extrinsischen und intrinsischen Bewertungskriterien europäischer Sprachen (Albrecht 2001: 532ff.) soll gleichsam als Anhaltspunkt für die Bewertung außereuropäischer Sprachen dienen: • extrinsische Kriterien: Verbreitungsgrad einer Sprache über ihr angestammtes Ge-

    biet hinaus; Vorhandensein einer bedeutenden Literatur; Nähe zum Lateinischen; Status einer “Ur”- oder “Hauptsprache” • intrinsische Kriterien: (lexikalischer) Reichtum; Wohlklang; (“natürliche”) Wortfolge

    In den Ursprungstheorien liegt der Fokus deutlich auf intrinsischen Kriterien, extrinsische Kriterien wie die Verbreitung einer Sprache bzw. ihr vermeintlicher Status als “Muttersprache” werden eher nicht berücksichtigt. Welche sprachlichen Ebenen bei der Bewertung außereuropäischer Sprachen relevant sind, zeigt der Artikel von Meiners über “rohe und uncultivirte Sprachen” (Meiners 1794), der zudem einen guten Querschnitt durch die Literatur der Zeit bietet.

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    Bereits seine Definition “roher Sprachen” fasst alle damals wesentlichen Bewertungsbereiche zusammen: Im Allgemeinen kann man die Sprachen alsdann rohe nennen, wenn ihre Wörter grossentheils entweder aus Selbstlautern, oder aus harten Mitlautern bestehen: wenn sie wenige oder gar keine allgemeine Ausdrücke, besonders für unsichtbare Gegenstände: wenig oder gar keine Declinationen, Conjugationen, Präpositionen, Pränomina, und Verbindungswörter haben (Meiners 1794: 417). Auf phonologischer Ebene zeichnen sich die “rohen” Sprachen durch ihren Mangel an einer ausgewogenen Mischung zwischen Vokalen und Konsonanten aus, d.h. sie sind entweder zu “weich” oder zu “hart” bzw. “rauh”. Tendenziell neigen die Sprachen jedoch zur Härte: Am gewöhnlichsten ist ein unverhältnißmässiger Ueberfluß von heftigen Aspirationen, von Gutturalen, und Nasalen; und eben deßwegen sind rohe Sprachen viel häufiger hart und unangenehm, als sie weich und lieblich sind (Meiners 1794: 417). Dem folgt eine Bestandsaufnahme des Lautinventars in verschiedenen Sprachen (z.B. Huronisch, Californisch, Brasilianisch, Chinesisch) sowie die Schlussfolgerung der Inartikuliertheit außereuropäischer Sprachen. Aus allen diesen Datis kann man mit Recht schliessen, daß die Sprachwerkzeuge verschiedener Völker von Natur nicht weniger verschieden sind, als ihre Farben, oder die Bildungen der übrigen Theile des Cörpers (Meiners 1794: 422f.). Auf morphologischer Ebene zeichnen sich die Wörter entweder durch Kürze bzw. Einsilbigkeit oder “ungeheure” Länge aus. Einsylbig sind die Wörter der Sinesen, und aller der Nationen, die entweder von den Sinesen abstammen, oder mit ihnen aus einem gemeinschaftlichen Stamm entsprossen sind. Vielsylbig hingegen sind die Wörter fast aller Völker so wohl im nördlichen, als im südlichen America (Meiners 1794: 423). In lexikalischer Hinsicht werden die Sprachen durch eine gewisse Ambivalenz gekennzeichnet. Einerseits wird konstant das Fehlen von Abstrakta beklagt, was insbesondere die Übersetzungsarbeit der Missionare erschwert. So bestehen die lexikalischen “Mängellisten” für außereuropäische Sprachen überwiegend aus religiösen Begriffen wie beispielsweise Gott, Seele, Geist, Schöpfer usw. (Meiners 1794: 424f.). Auf der anderen Seite verfügen die “rohen” Sprachen über einen “einseitigen Wortreichtum”. Die Substantiva in den Sprachen der dunkelfarbigen Völker drücken fast niemahls ein ganzes Geschlecht, oder eine ganze Gattung von Dingen, oder die wesentlichen Eigenschaften ganzer Arten und Gattungen allein aus; sondern sie bezeichnen immer nur einen Theil einer jeden Art oder Gattung, dem gewisse zu-

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    fällige Beschaffenheiten zukommen, die nicht allen gleichartigen Substanzen gemein sind (Meiners 1794: 426). Aber den Sprachen fehlen nicht nur Wörter, sondern ganze Wortarten bzw. Redeteile. Aus der Häufigkeit des Vorhandenseins bestimmter Wortarten in den “wilden” Sprachen werden Rückschlüsse auf eine mögliche Universalität der Redeteile geschlossen. Gleichzeitig deutet sich aber wiederum eine Hierarchisierung an, indem das Vorhandensein bestimmter Wortarten als Beleg für “kultivierte” Sprachen gilt. Zusammengefasst ist dem Artikel Meiners’ die Abfolge: Verben/Nomen, Adjektive/Adverbien > Präpositionen > Konjunktionen > Pronomen > Artikel zu entnehmen. Verben und Nomen repräsentieren die in jeder “unkultivierten” und “kultivierten” Sprache vertretenen Wortarten, Artikel gehören aufgrund der Häufigkeit ihres Fehlens zu den “entbehrlichen Theilen der articulirten Sprachen” (Meiners 1794: 436). Ähnlich unentbehrlich wie Nomen und Verben sind hingegen Adjektive und Adverbien. Präpositionen und Konjunktionen werden als Bestandteil “kultivierter” Sprachen angesehen, weil sie “einzelne Worte” bzw. “ganze Gedanken, Perioden und Glieder” miteinander verbinden. Einigen Sprachen fehlen die Präpositionen ganz, oder fast ganz, wie der Californischen, Siamesischen, und Creolensprache auf St. Thomas; und dies kann man mit Recht als ein Zeichen einer ungewöhnlichen Rohheit ansehen (Meiners 1794: 440). Konjunktionen seien vor allem in der Schriftsprache als Strukturmittel der Rede wichtig. In “rohen” (und schriftlosen) Sprachen könne die gleiche Funktion durch Gebärdensprache ausgedrückt werden. “Conjunctionen mangeln daher in rohen Sprachen entweder ganz, oder sie sind doch nur in kleiner Zahl vorhanden” (Meiners 1794: 441). Pronomen gebe es mit Ausnahme der Galibis und Mongolen in den “Sprachen der rohesten Völker”, die Anzahl der Fürwörter sei im Vergleich zu den “kultivierten” Sprachen jedoch deutlich geringer. “In uncultivirten Sprachen müssen die wenigern Fürwörter die fehlenden ersetzen, und daher entsteht Verwirrung und Dunkelheit” (Meiners 1794: 436). Zum Schluss geht Meiners noch kurz auf syntaktischer Ebene auf die Fähigkeit zur Inversion ein. Hier verhielte es sich mit den “rohen” Sprachen genau entgegengesetzt zur Entwicklung “europäischer Barbaren”: War im Griechischen und Deutschen die Wortstellung zu Beginn viel freier, so wurde sie erst im Laufe kultureller Ausbildung gebunden. “In den rohen Sprachen der aussereuropäischen Nationen hingegen finden gar keine Inversionen statt, weil eine jede Wortversetzung den Sinn der Rede gänzlich verändern würde” (Meiners 1794: 442). Alle intrinsischen Kriterien des europäischen Bewertungsdiskurses werden auch auf die Bewertung außereuropäischer Sprachen angewandt, teilweise mit kleinen Abwandlungen. So spielt Wohlklang nur eine untergeordnete Rolle bei der Bewertung der Sprachen bzw. Dialekte, stattdessen rückt die Bestandsaufnahme des Lautinventars und der artikulatorischen Besonderheiten in den Vordergrund.

    226

    Sandy C. Kutzner

    6. Fremdheit außereuropäischer Sprachen Die Kategorisierung zwischen “Muttersprache” und “ausländischen” bzw. “fremden” Sprachen ist bereits in der Lexikografie des 17. Jahrhunderts gut etabliert. Aber außereuropäische Sprachen gelten nicht als “Fremdsprachen” im engeren Sinne, die Bezeichnungen “rohe”, “barbarische” und “unkultivierte” Sprachen sind bereits negativ konnotiert. Eine Muttersprache ist für ihre Sprecher vor allem durch Verständlichkeit gekennzeichnet. Fremdsprachen hingegen sind zunächst nicht verständlich, aber erlernbar – d.h. sie sind nicht unverständlich im absoluten Sinne. This central phenomenon of language awareness means that we think of other languages as foreign, i.e. different from our own, but as capable of fulfilling the same functions. In the widest sense of the word, languages are translatable […], which presupposes that the differences between them are counterbalanced by a certain ‘sameness’ […] (Hüllen 1993: 394). Dass diese “Gleichheit” zwischen europäischen und außereuropäischen Sprachen zu keiner Zeit besteht, beweist ein Blick auf den Bewertungskontext dieser Sprachen. Durch die enge Verbindung zwischen Anthropologie und Sprachtheorie werden die außereuropäischen Völker und Stämme zunächst auf einer kulturellen Entwicklungsskala eingestuft, auf deren oberster Stufe allein die ‘europäischen Nationen’ (d.h. die Erobererländer) stehen. Selbst bei fortgeschrittener Entwicklung einzelner Stämme hat keiner bisher auch nur das Niveau europäischer Barbaren erreicht: The upper status of barbarism […] was never reached in aboriginal America. In the Old World it is the stage which had been reached by the Greeks of the Homeric poems and the Germans in the time of Cæsar (Fiske 1892: 31). Infolge der Gleichsetzung zwischen kultureller und sprachlicher Entwicklung bildet sich so von Beginn an ein Ungleichgewicht zwischen den europäischen und außereuropäischen Sprachen heraus. Die tatsächliche Vielfalt der Sprachen und Dialekte ist für die Europäer nur schwer begreifbar, die bei der Standardisierung ihrer jeweiligen Muttersprache immer nur mit einer vergleichsweise überschaubaren Anzahl von Varietäten konfrontiert waren. Außereuropäische Sprachen sind zudem nicht in der Lage, wirklich alle Funktionen der Eroberersprache zu erfüllen. Neben einer Vielzahl an Herausforderungen, die sich aus der Verschriftung dieser Sprachen ergeben, fehlt es ihnen hauptsächlich an geeignetem (christlich-religiösen) Vokabular für Übersetzungen. Charakteristisch für die Beschreibung und damit auch für die Bewertung der “rohen” Sprachen wird ihr Schwanken zwischen den Extremen: Sie haben entweder zu viel oder zu wenig des geforderten Kriteriums, europäische Sprachen verkörpern so zugleich die ausgewogene und gebildete Mischung. Die oftmals einseitige Darstellung der Sprach-Kuriosita entsteht häufig durch das Zitieren besonders prägnanter Textstellen aus “zweiter Hand”. Die Autoren streben weniger eine differenzierte Sprachbeschreibung als vielmehr das

    Historische Sprachbewertung und das wirklich Fremde in Sprachen

    227

    Anpassen der Belege an die eigene Theorie bzw. in das vorgefertigte kulturelle Wahrnehmungsraster an. Daran wird deutlich, wie wichtig es bei der Aufarbeitung von historischer Sprachbewertung ist, über das Sammeln von Bewertungskriterien hinaus die zeitliche Kontextualisierung zu beachten. Nicht zuletzt wird der eigentliche “Wert” außereuropäischer Sprachen stets ‘von außen’ durch die kommunikativen Anforderungen der Europäer bestimmt. Die “Primitivität” von Sprachen gilt deshalb heute als ein “Sprachmythos”: Linguists as recent and eminent as Otto Jespersen have maintained that some languages spoken today are ‘primitive’ or ‘savage’ languages, characterized by strange grammatical systems supposedly reflecting a primordial human view of the world. Non-linguists have at times gone further and supposed that some languages have little or nothing in the way of grammar, and that they have tiny vocabularies lacking abstractions or generalizations and supplemented by grunts and gestures. All this is nonsense: every human language ever discovered has a rich and complex grammar and a vocabulary of many thousands of words, and is perfectly adequate for expressing anything its speakers want to express (Trask 1999: 158f.).

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    Sandy C. Kutzner

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    Historische Sprachbewertung und das wirklich Fremde in Sprachen

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    PART D GRUNDLEGUNG DES KOLONIALLINGUISTISCHEN FORSCHUNGSPROGRAMMS IN FORSCHUNG UND LEHRE

    STEFAN ENGELBERG (MANNHEIM)

    Historische Sprachkontaktforschung zur deutschen Sprache im Südpazifik – Ansatz zu einer Quellen- und Dokumentenkunde der deutschen Koloniallinguistik

    Abstract Investigations of the relationship between language and German colonialism are mainly based on historical sources. The article aims to develop a systematic foundation of source studies as a methodological background for these investigations. This is exemplified by sources reflecting the particular situation of the former German colonies in the South Pacific. Firstly, the article addresses terminological problems, in particular the relation between “documents”, “sources”, and “data”. Secondly, a detailed typology of historical sources is presented and related to object-, meta-, and extralinguistic aspects of language contact. Finally, the article informs about how and where to look for historical sources.

    1. Einleitung: Das ‘Bad-data’-Problem Die sich gegenwärtig konstituierende “Forschungsgruppe Koloniallinguistik” befasst sich mit den vielfältigen Bezügen zwischen Sprache und Kolonialismus. Das Programm der Koloniallinguistik umfasst dabei die folgenden vier Forschungsfelder: (i) (ii) (iii) (vi)

    Sprachkontakt- und Sprachwandelforschung zu den indigenen Sprachen der Kolonialgebiete, den Sprachen der Kolonialmächte und den entstandenen Kontaktvarietäten, Historiographie der Linguistik hinsichtlich der durch Sprachwissenschaftler, Ethnologen und Missionare betriebenen kolonialzeitlichen Sprachforschung, diskurslinguistische Analysen zur kommunikativen Konstituierung kolonialer Haltungen in Diskursen über Völker, Sprachen, Gesellschaften und Identitäten und Forschung zur kolonialen Sprach- und Sprachenpolitik und ihrer Umsetzung in Schule, Verwaltung, Mission und Wirtschaft.

    Alle diese Forschungsfelder sind auf historische Quellen angewiesen, wobei insbesondere die Arbeitsfelder (i) und (iv) eine Vielzahl verschiedener, oft schwer zu ermittelnder und zu beschaffender Dokumente als Quellen benötigen. Koloniallinguistische Forschungen sind insofern in weiten Teilen der diachronen Linguistik und der historischen Soziolinguistik zuzurechnen. Sie sind daher auch mit dem konfrontiert, was Labov

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    Stefan Engelberg

    (1994: 10f.) als “bad data problem” der historischen Linguistik bezeichnet und das Knooihuizen (2006) so zusammenfasst: […] we do not have access to the same amount and quality of data as we would have if we would do a case study today, for the simple reason that the people whose linguistic and societal behaviour we are studying are dead. Getting linguistic data is not merely a matter of getting a tape recorder and recording how people speak; we will have to make do with what is left of the written record, with all the implications this has for the representativeness of the data. Similarly, it is impossible to ask subjects about their societal behaviour, and we have to rely on information that is already written down, in correspondence and diaries, or more generally, in records and history books. (Knooihuizen 2006: 3) Koloniallinguistische Forschungen sind mit diesem Problem in verstärktem Maße konfrontiert, da die beteiligten indigenen Sprachen oft schriftlos waren und insofern keine schriftlichen Überlieferungen hinterlassen haben. Erst mit dem Beginn missionarischer Aktivitäten hinsichtlich der Entwicklung von Orthographien entstanden in einigen Sprachen schon zur Kolonialzeit schriftliche Dokumente. Auch der soziale Hintergrund des Sprachkontakts ist bezüglich der indigenen Völker meist nur schwer zu erschließen, während die sozialen und politischen Strukturen der Angehörigen der Kolonialmächte in den Kolonien oft gut dokumentiert sind. Eine Sichtung und Einordnung der verfügbaren Quellen ist also eine unerlässliche Aufgabe der Koloniallinguistik. Für die historische Soziolinguistik und in verstärktem Maße auch für die Koloniallinguistik in vielen ihrer Arbeitsbereiche gilt insofern das, was für die historische Linguistik insgesamt gilt: Historical linguistics can then be thought of as the art of making the best use of bad data. (Labov 1994: 11) Gegenstand des vorliegenden Artikels ist der Ansatz zu einer koloniallinguistischen Quellen- und Dokumentenkunde. Er entwirft eine Terminologie und Typologie für die koloniallinguistische Quellen- und Dokumentenkunde und illustriert ihren Einsatz am Beispiel eines Forschungsprojekts, das den historischen Sprachkontakt mit dem Deutschen in den früheren deutschen Kolonien im Südpazifik zum Gegenstand hat. Dieses Projekt wird in Abschnitt 2 vorgestellt. Abschnitt 3 ist der Klärung grundlegender Termini wie Dokument, Quelle und Daten sowie quellentypologischen Überlegungen gewidmet. In den Abschnitten 4, 5 und 6 werden die wichtigsten Arten von Dokumenten vorgestellt, die als Quellen für objekt-, meta- und außersprachliche Aspekte des Forschungsthemas genutzt werden können. In Abschnitt 7 wird abschließend eine Übersicht zu den Bibliotheken und Archiven gegeben, in denen einschlägige Dokumente verfügbar sind.1 1

    Der Artikel ist Brigitte Handwerker zu ihrem 60. Geburtstag gewidmet, verbunden mit der Annahme, dass die in ihm präsentierten Fragestellungen, Quellen und Dokumente neben anderem auch eine interessante historische Perspektive auf das Thema Deutsch als Fremdsprache eröffnen.

    Quellen- und Dokumentenkunde der Koloniallinguistik

    235

    2. Deutsche im Südpazifik 2.1. Die historische Situation Zwischen dem 18. und frühen 20. Jahrhundert sind deutsche Muttersprachler mit verschiedenen Zielen und Aufgaben in den Südpazifik gereist. Bis ins 19. Jahrhundert hinein treten Deutschsprachige vor allem als Teilnehmer von Forschungsreisen in Erscheinung. Zu diesen Reisen gehören zum Beispiel die Cook-Expedition mit Georg und Reinhold Forster, die Romanzoff-Expedition mit Adelbert von Chamisso (vgl. Chamisso 1909), die Forschungsreise der österreichischen Fregatte Novara (vgl. Stoffel 1993) und im 19. Jahrhundert dann vor allem die von dem Handelshaus Godeffroy finanzierten Forschungsreisen von Eduard Graeffe, Theodor Kleinschmidt, Alfred Tetens, Johann Kubary und anderen (vgl. Schindlbeck 2001, Kranz 2005). Im späten 19. Jahrhundert, insbesondere im Zuge der kolonialen Expansion und Konsolidation, bereisen Naturwissenschaftler, Ethnologen und Sprachwissenschaftler wie Otto Finsch, Richard Thurneisen, Otto Dempwolff und andere im Rahmen ihrer Expeditionen den Südpazifik. Dazu kommen die meist namenlos gebliebenen deutschen Seeleute, die auf Forschungsschiffen, Walfängern und Handelsschiffen Dienst taten. Den Forschungsreisenden des 18. und frühen 19. Jahrhunderts folgten die Händler und Pflanzer. Eine Vielzahl von Unternehmen entstanden, die ihre Geschäfte vor allem im Südpazifik machten, zum Beispiel Godeffroy & Sohn, die Deutsche Handels- und Plantagengesellschaft, die Jaluit-Gesellschaft, die Neuguinea-Compagnie und die Deutsche Südsee-Phosphat Aktiengesellschaft (vgl. etwa Firth 1973, 1977). Mit dem Beginn der kolonialen Expansion Deutschlands im Südpazifik ab 1884 begannen Deutsche in den beiden Gouvernements Deutsch-Neuguinea und Deutsch-Samoa auch in administrativen und exekutiven Funktionen im Südpazifik zu wirken, als Gouverneure, Bezirksamtleute, Verwaltungsangestellte, Amtsärzte und Polizisten2 (s. Abb. 1). Der Beginn der kolonialen Herrschaft Deutschlands ermutigte auch die deutschen Missionen, ihre Aktivitäten im Südpazifik zu verstärken. Neben die immer noch aktiven nicht-deutschen Missionsgesellschaften des American Board of Commissioners of Foreign Missions (= Boston Mission) (Karolinen, Palau, Marshall-Inseln, Nauru), der London Missionary Society (Samoa), der Französischen Maristen (Samoa), der Wesleyan Australasian Methodisten (Samoa, Bismarck-Archipel), der Latter Day Saints (= Mormonen) (Samoa) und der spanischen Kapuziner (Palau, Karolinen, Marianen) traten die Rheinisch-Westfälischen Kapuziner (Karolinen, Palau, Marianen), die Hiltruper Mission vom Heiligsten Herzen Jesu (Marshall-Inseln, Nauru, Bismarck-Archipel), die Liebenzeller Mission (Karolinen), die Neuendettelsauer Mission (Kaiser-WilhelmsLand), die Rheinische Missionsgesellschaft aus Barmen (Kaiser-Wilhelms-Land), die 2

    Vgl. zur deutschen Kolonialgeschichte insgesamt Speitkamp (2005) und zum deutschen Kolonialismus in der Südsee den Sammelband von Hiery (2001a).

    236

    Stefan Engelberg

    Steyler Mission (Kaiser-Wilhelms-Land) und die Gesellschaft Mariens aus Meppen (Salomonen).

    Abb. 1: Deutsch-Neuguinea und Deutsch-Samoa; Jahr der Inbesitznahme der Inseln durch das Deutsche Reich Zum Teil brachten die Deutschen ihre Ehepartner und Kinder mit in die Kolonien, zum Teil gründeten sie Familien, nicht selten und insbesondere auf Samoa auch mit Einheimischen. Was sie auch mitbrachten, war natürlich ihre Sprache. Dadurch trat das Deutsche in eine einzigartige Sprachkontaktsituation ein, wie sie nur im kolonialen Kontext entstehen konnte. Diese Situation ist besonders durch drei Eigenheiten gekennzeichnet: (i)

    (ii) (iii)

    Deutsch im Kontakt mit vielen Sprachen: Allein in den Gebieten unter deutscher Verwaltung wurden fast 700 Sprachen verschiedener Sprachfamilien gesprochen (Austronesisch, Papua, Indoeuropäisch, Pidgins) (s. auch Abb. 2). Deutsch unter deutscher Verwaltung: Im Gegensatz zu Kontaktsituationen in Osteuropa und Amerika entwickelte sich der Sprachkontakt im Südpazifik unter dem Einfluss deutscher Administration, Sprachen- und Bildungspolitik. Deutscher Sprachkontakt fast ohne Deutsche: Insgesamt haben zwischen 1884 und 1914 nicht mehr als 5000 Deutsche in den Gebieten unter deutscher Verwaltung zumindest zeitweise gelebt (Hiery 2001b); die deutsche Bevölkerung überstieg nie 2000 zu einem gegebenen Zeitpunkt.

    Quellen- und Dokumentenkunde der Koloniallinguistik

    237

    Abb. 2: Lokalisation der in diesem Aufsatz im Zusammenhang mit deutschem Sprachkontakt im Südpazifik erwähnten Sprachen3

    2.2. Sprachkontakt im Südpazifik Die Sprachkontaktphänomene, die aus der oben geschilderten historischen Situation hervorgingen, waren vielschichtig. Sie seien hier nur knapp geschildert, um die folgenden quellenkundlichen Überlegungen kontextualisieren zu können. Genaueres lässt sich der angeführten Literatur entnehmen. Deutsche Lehnwörter in den Sprachen Ozeaniens: In vielen Sprachen Ozeaniens finden oder fanden sich deutsche Lehnwörter, vor allem in den Sprachen, die in den ehemals unter deutscher Verwaltung stehenden Gebieten gesprochen werden, aber auch außerhalb davon (Engelberg 2006b, 2010; Stolberg 2011). Hier einige Beispiele: 3

    Zugrunde liegt der Abbildung eine Karte (Central Intelligence Agency 2002) der Perry-Castañeda Library Map Collection, The University of Texas at Austin.

    Stefan Engelberg

    238 Sprache

    Lehnwort

    deutsches Etymon

    Quelle

    Buin Dehu Hawaiisch Maori Marshallesisch Nauruisch Palauisch Samoanisch Trukesisch Yapesisch

    amaring beisin haneseatika aihanapana malen brot sérangk ‘ametimani púruuk grifel

    Armring Besen hanseatisch Eisenbahn malen Brot Schrank Amtmann Bruch Griffel

    Laycock (1971) Tryon (1970) HML-02 Stoffel (1993) Abo et al. (1976) HML-03 McManus (1977) NAN-01 Goodenough & Sugita (1980) BMH-01

    Tab. 1: Deutsche Lehnwörter in den Sprachen Ozeaniens Lehnwörter aus den Sprachen Ozeaniens in lokalen Varietäten des Deutschen: Im Standarddeutschen gibt es nur wenige Lehnwörter, die ihren Ursprung in den Sprachen Ozeaniens haben wie etwa Tabu (aus polynesischen Sprachen), tätowieren (Tahitisch) und Bikini (Marshallesisch). Keine dieser Entlehnungen stammt aus der deutschen Kolonialzeit. Die zeitgenössischen Deutschsprecher vor Ort haben aber durchaus aus den indigenen Sprachen entlehnt. Im Deutsch der Deutsch-Samoaner finden sich Fitafita für die Polizeitruppe, Famasino für den Dorfrichter, Matai für das Familienoberhaupt und viele mehr (s. auch Abschnitt 4.7). Deutsch als Zweitsprache bei der indigenen Bevölkerung: Die sprachenpolitischen Vorgaben der deutschen Regierung führten dazu, dass in den fast 800 Schulen der beiden südpazifischen Kolonien Deutschlands auch Deutsch unterrichtet wurde. In einem wenn auch geringen Maße wurde in bestimmten Gebieten das Deutsche dann auch als Zweitsprache genutzt (vgl. Engelberg 2008). Samoanisches Siedlerdeutsch: Aus einer Vielzahl überlieferter metasprachlicher Kommentare und einigen wenigen sprachlichen Zeugnissen ist bekannt, dass das Deutsche in Samoa unter einem starken Einfluss des Englischen stand und sich auch Elemente des Samoanischen und des Pidgin-Englisch darin fanden. Inwiefern hier von einer Siedlervarietät des Deutschen gesprochen kann (vgl. Mühlhäusler 2001: 255f.) oder lediglich Kontakt- und eventuell Attritionserscheinungen unter dem Einfluss des Englischen festzustellen sind, ist noch nicht geklärt (s. auch Abschnitt 4.7). Deutsch-basierte Pidgin- und Kreolsprachen: Zwei Varietäten aus dem Bereich Pidgin- und Kreolsprachen sind aus dem Untersuchungsgebiet bekannt und dokumentiert, das Ali-Pidgin-Deutsch (Mühlhäusler 1979a) und die Kreolsprache Unserdeutsch (Volker 1989, 1991). Einfluss des Deutschen auf englisch-basierte Pidgins: In zweierlei Hinsicht hat die deutsche Kolonialzeit einen starken Einfluss auf das Tok Pisin, das Pidgin im südlichen Teil des ehemaligen Gouvernements Deutsch-Neuguinea ausgeübt. Zum einen hat die im Rahmen der Plantagenwirtschaft erfolgte großflächige Arbeitsmigration die Entstehung des Tok Pisin ermöglicht (Mühlhäusler 1978). Zum anderen hat das Deutsche zur

    Quellen- und Dokumentenkunde der Koloniallinguistik

    239

    Zeit der deutschen Kolonialherrschaft einen deutlichen lexikalischen Einfluss auf das Tok Pisin gehabt, der sich in Wörtern wie balaistip, beten, bigelaisen, donabeta, esik, gever, gumi, hobel, lupsip, saitung, sanga, soken, sutman, svesta, turm und vielen anderen manifestiert (vgl. Mühlhäusler 1979b). Entstehung lokaler Verkehrssprachen: Die Bemühungen der Missionen, Bekehrung und Unterricht in den indigenen Sprachen durchzuführen, stießen dort an ihre Grenzen, wo sehr viele Sprachen innerhalb des Einzugsbereichs einer Missionsstation gesprochen wurden. Hier bemühten sich die Missionen oft, eine der Sprachen vor Ort zu einer regional verbreiteten Lingua Franca zu machen, so etwa Gedaged, Kâte oder Yabem. Dies führte auch langfristig zu einer Veränderung der Sprachenverhältnisse (vgl. Ross 1996, Mühlhäusler 1996 und beispielsweise Renck 1977). Entwicklung deutsch-basierter Plansprachen: Die Verbreitung des Englischen und von Pidginsprachen sowie die Schwierigkeit, Deutsch schnell als Verkehrssprache der Kolonien zu etablieren, führte zur Entwicklung vereinfachter Varietäten des Deutschen, die die verbreiteten englischen Pidgin-Varietäten ersetzen sollten (vgl. Mühleisen 2009). Namen: Die deutsche Präsenz im Südpazifik hat sich auch in den Ortsnamen widergespiegelt: Kaiser-Wilhelmsland, Bismarck-Archipel und Friedrich-Wilhelmshafen sind nur die bekanntesten davon (s. Abschnitt 4.8). Auch deutsche Nachnamen und zum Teil Vornamen sind im Südpazifik noch präsent. Einfluss des Deutschen auf die Orthographien der Sprachen Ozeaniens: Da viele der indigenen Sprachen von deutschen Missionaren verschriftlicht wurden, weisen auch die dabei entwickelten Orthographien deutsche Einflüsse auf. Das Dehnungs-h in dem Sprachnamen Pohnpeian etwa ist ein Zeugnis orthographischen Wirkens deutscher Muttersprachler (Rehg 1981: 43). Erklärungen für die Art und das Ausmaß der geschilderten Sprachkontakterscheinungen verlangen eine genaue Rekonstruktion der Tätigkeit der Missionen (vgl. z.B. Stolberg 2011), des Schulwesens (z.B. Stolberg dieser Band), der deutschen Sprachenpolitik (Engelberg 2008) und der ökonomischen Aktivitäten der deutschen Firmen im Südpazifik (vgl. etwa Mühlhäusler 1978, 1979b). Entsprechend sind die heranzuziehenden Quellen nicht nur solche, die Sprachkontaktphänomene an sich dokumentieren, sondern auch Quellen zum gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Hintergrund (vgl. etwa Engelberg 2006a und Engelberg et al. dieser Band).

    3. Dokumente – Quellen – Daten 3.1. Dokumente und Quellen Die Quellen- und Dokumentenkunde befasst sich mit den zugrundliegenden Objekten, aus deren wissenschaftlicher Analyse man einzelne – in unserem Fall meist historische

    240

    Stefan Engelberg

    – Fakten zu gewinnen versucht. Drei Bestandteile der Quellen- und Dokumentenkunde seien hier unterschieden: • Terminologie: Klärung der zentralen Termini wie Quelle, Dokument, Daten. • Typologie: Klassifizierung oder Typisierung verschiedener Arten von Quellen und Dokumenten. • Kritik: Verfahren der kritischen Sichtung von Quellen und Dokumenten hinsichtlich der Situation ihres Entstehens, der Motivation ihres Urhebers etc. In diesem Text wird es vor allem um grundlegende terminologische Klärungen und um typologische Fragen gehen. Zum interpretativen Vorgehen der Quellenkritik werden nur vereinzelte Anmerkungen bei der Besprechung der einzelnen Dokumentarten in den Abschnitten 4, 5 und 6 gemacht. Grundlage der Arbeit in unserem Forschungsgebiet ist die Arbeit mit Einzeldokumenten als konkreten Objekten. Solche Dokumente enthalten bestimmte für die Forschungsfrage relevante Informationen. Nun können sehr verschiedene Objekte partiell einen informationsvermittelnden Charakter haben, der etwa über eine semiotische Analyse zu erschließen ist. So vermittelt beispielsweise der Klassenraum einer Missionsschule durch seine Gestaltung gewöhnlich, wo der Lehrer und wo die Schüler sitzen sollen, zeigt uns also, wie soziale Rollen räumlich konfiguriert werden. Der primäre Zweck eines Klassenraums ist aber eher ergonomischer als semiotischer Natur. Von solchen Objekten unterscheiden wir Dokumente dadurch, dass ihr primärer und oft einziger Zweck in der Speicherung oder Vermittlung von Information liegt. In ihrer Doppelheit von materieller Substanz und Informationsspeicherung sind Dokumente medialer Natur. Dokumente Dokumente sind Objekte, deren primärer Zweck in der Speicherung oder Vermittlung von Information liegt. In diesem Sinne befasst sich der vorliegende Aufsatz ausschließlich mit Dokumenten. Dokumente sind in diesem Sinne alle Arten von Schriftstücken, aber auch Tonaufnahmen sprachlicher Äußerungen, Photographien, Filme und Landkarten. Vom Dokumentenbegriff zu unterscheiden ist der Quellenbegriff. Die Beschäftigung mit Quellen – und entsprechend auch die Quellenkunde – ist eigentlich typischer für die Geschichts- als für die Sprachwissenschaft. Aus dem einleitenden Abschnitt ist aber wohl hinreichend deutlich geworden, dass die Koloniallinguistik historische ebenso wie linguistische Methoden benötigt. In einem weiten Sinn versteht die Geschichtswissenschaft unter Quellen nach der verbreiteten Definition von Kirn Folgendes: Quellen nennen wir alle Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus denen Kenntnis der Vergangenheit gewonnen werden kann. (Kirn 1968: 29)

    Quellen- und Dokumentenkunde der Koloniallinguistik

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    Unter Texten werden die verschiedenen Arten schriftlicher Dokumente gefasst, unter Gegenständen etwa Münzen, Wappen, Rüstungen, Gegenstände aus archäologischen Ausgrabungen und nicht-schriftliche Dokumente wie Bilder, Photographien und Filme. Als Beispiele für Tatsachen führt Arnold (2007: 49, 56) den Föderalismus der Bundesrepublik Deutschland, die mittelalterliche deutsche Ostsiedlung oder die heutigen Sprachgrenzen in Europa an. Es scheint allerdings forschungsmethodisch und erkenntnistheoretisch wenig konsequent, Tatsachen als Quellen aufzufassen. Eine Tatsache ist nach allgemeinem Verständnis ein Sachverhalt, dessen Vorliegen wahrheitsgemäß behauptet werden kann, sie ist also Gegenstand einer Tatsachenbehauptung. Während Quellen als Objekte empirisch unmittelbar zugänglich sind, kann das Vorliegen von Tatsachen aber nur aus Anderem geschlossen werden, interpretatorisch oder inferenziell aus Quellen oder aber durch eigene Beobachtung. Das gilt auch für die von Arnold (2007) angeführten Beispiele. In dem Sinne können Tatsachen in der historischen Forschung mithilfe von Quellen ermittelt werden und in Form von Tatsachenbehauptungen dann in der wissenschaftlichen Argumentation oder in historischen Darstellungen verwendet werden. Tatsachen selbst können aber keine Quellen sein. In dem Sinne ist die ältere Quellendefinition von Bernheim vorzuziehen: Quellen sind Resultate menschlicher Betätigungen, welche zur Erkenntnis und zum Nachweis geschichtlicher Tatsachen entweder ursprünglich bestimmt oder doch vermöge ihrer Existenz, Entstehung und sonstiger Verhältnisse vorzugsweise geeignet sind. (Bernheim 1894: 182) Die geschichtswissenschaftlichen Quellenbegriffe unterscheiden sich auch darin, ob sie nur mündliche und schriftliche Überlieferungen als Quellen auffassen, alle Resultate menschlicher Betätigungen (Bernheim 1894), – wodurch etwa menschliche Überreste als Quellen ausgeschlossen wären (Brandt 2007: 48) –, oder jegliche Texte und Gegenstände (Kirn 1968). Diese Frage soll hier für die Koloniallinguistik eher forschungspraktisch als prinzipiell beantwortet werden. Da es die Koloniallinguistik im Wesentlichen mit Dokumenten zu tun hat, soll der Quellenbegriff an Dokumente bestimmter Art gebunden werden. Die Geschichtswissenschaft unterscheidet üblicherweise weiterhin zwischen Primärquellen und Sekundärquellen, eine Unterscheidung, die im Wesentlichen auf der zeitlich-räumlichen Nähe der Quelle zum historischen Faktum basiert (Brandt 2007: 51). Primärquellen sind etwa ein unmittelbar nach dem historischen Geschehen verfasster Augenzeugenbericht oder eine Filmaufnahme des Geschehens. Sekundärquellen sind solche, die aus zweiter Hand berichten, also etwa wiedergeben, was sie über einen Dritten von historischen Gegebenheiten erfahren haben. Von Primär- und Sekundärquellen wird die Sekundärliteratur unterschieden, in der Geschichtswissenschaft auch “Darstellungen” genannt, “also diejenige Literatur, die auf der Grundlage von Quellen (direkt oder indirekt auf ihnen beruhend) geschichtliche Vorgänge oder Zustände beschreibt”

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    (Brandt 2007: 48).4 Insofern als es in der Sprachwissenschaft um die Entwicklung von Theorien geht und “Darstellungen” von Sachverhalten nur ein Schritt auf dem Weg zur Theoriebildung sind, soll hier in Abgrenzung zu den Quellen von deskriptiven und theoretischen “Abhandlungen” statt von “Darstellungen” gesprochen werden.

    3.2. Quellen und Daten Bevor genauer auf den Quellenbegriff in der historisch-soziolinguistischen Forschung eingegangen wird, sei hier zunächst daran erinnert, dass sich die Sprachwissenschaft in einer wesentlichen Eigenschaft von allen anderen Wissenschaften unterscheidet: Sprache ist nicht nur ein Mittel der Forschung, indem Sprache dazu verwendet wird, wissenschaftliche Theorien zu formulieren, oder indem sprachliche Dokumente uns Informationen über den Gegenstand unserer Forschung liefern, wie das in der Geschichtswissenschaft primär der Fall ist, sondern Sprache ist gleichzeitig der Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung. Jedes schriftliche Dokument kann also gleichzeitig in Bezug auf das betrachtet werden, worüber es berichtet (die “Aboutness” sprachlicher Äußerungen), als auch in Bezug auf seine sprachlichen Eigenschaften. In seiner Aboutness-Funktion selbst wiederum können Dokumente Sprachliches oder NichtSprachliches zum Gegenstand haben. Entsprechend ergeben sich drei Möglichkeiten, Dokumente zu nutzen und auszuwerten: • Objektsprachlich: Das Dokument wird hinsichtlich seiner sprachlichen Eigenschaften ausgewertet. • Metasprachlich: Das Dokument wird ausgewertet hinsichtlich dessen, was darin über Sprache gesagt wird. • Außersprachlich: Das Dokument wird ausgewertet hinsichtlich dessen, was darin über Außersprachliches gesagt wird. Die Linguistik selbst befasst sich zum einen und vor allem mit dem objektsprachlichen Aspekt von Dokumenten, indem sie Grammatiken, Wörterbücher und andere sprachwissenschaftliche Abhandlungen produziert. Sie befasst sich aber auch mit metasprachlichen Aspekten, etwa in der Spracheinstellungsforschung, der Forschung zur Sprachenpolitik oder der Wissenschaftsgeschichtsschreibung der Sprachwissenschaft. Der außersprachliche Aspekt von Dokumenten dagegen ist eher für andere Wissenschaften relevant, die Dokumente zur Datengewinnung benutzen, etwa die Geschichtswissenschaft. Diese Besonderheit der Sprachwissenschaft erweitert die Quellen- und Dokumentenkunde der Koloniallinguistik und anderer historisch-soziolinguistischer Forschungszweige um eine Dimension, die in anderen historischen Wissenschaften weniger eine Rolle spielt. 4

    Zu Abgrenzungsproblemen zwischen Primärquellen, Sekundärquellen und Darstellungen vgl. Brandt (2007: 48ff.).

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    Obwohl der Quellenbegriff auch in der Sprachwissenschaft verwendet wird, insbesondere in der historischen Sprachenwissenschaft, ist in der Sprachwissenschaft häufiger von Daten als von Quellen die Rede. Das Verhältnis von Quellen zu Daten soll daher an dieser Stelle thematisiert werden. Dabei sei hier ein sehr allgemeiner wissenschaftlicher Datenbegriff zugrunde gelegt: Daten Daten sind beobachtbare, mit wissenschaftlichen Methoden gewonnene quantitative und qualitative Ausprägungen von Merkmalen. Ein Datum ist also etwa eine reelle Zahl als Ausprägung des quantitativen Merkmals ‘Relative Häufigkeit des Wortes x in einem Korpus y’, eine Wortartkategorie als Ausprägung des qualitativen Merkmals ‘Wortart des Wortes x’, eine Sekundenangabe in Form einer positiven reellen Zahl als Ausprägung des quantitativen Merkmals ‘Reaktionszeit des Probanden x in dem Experiment y’ oder eine Quellsprachenangabe als Ausprägung des qualitativen Merkmals ‘Quellsprache des Lehnworts x’. Den Daten liegt im Allgemeinen eine sprachliche Datenbasis zugrunde, das heißt eine Sammlung sprachlichen Materials (ein Textkorpus, eine Wortliste, eine Sammlung konstruierter Sätze), aus dem – korpusbasiert oder experimentell – die Daten gewonnen werden. Sprachliche Datenbasis Die sprachliche Datenbasis einer linguistischen Untersuchung ist das sprachliche Material, aus dem die Primärdaten gewonnen werden.5 Damit wir Daten in wissenschaftliche Argumentationen einbetten können, müssen wir sie in eine Satzform bringen. Redeweisen wie “aus den Daten folgt” oder “die Daten beweisen” zeigen, dass Daten in propositionale Form überführt werden müssen, also Satzcharakter bekommen müssen, denn nur Sätze können in argumentativen Folgerungsbeziehungen zueinander stehen. Solche Sätze nennen wir Beobachtungssätze: Beobachtungssatz Ein Beobachtungssatz ist ein Satz, der Daten beschreibt, wobei die Merkmale dem Topik und die Ausprägungen dem Kommentar des Beobachtungssatzes entsprechen. Den Daten entsprechen als Teil von wissenschaftlichen Argumentationen also Tatsachenbehauptungen in Form von Beobachtungssätzen, d.h. Behauptungen über Merkmalsausprägungen, die wir mit guten Gründen für wahr halten. Im Rahmen der hier betriebenen historischen Soziolinguistik entsprechen Beobachtungssätze oft Behaup5

    Unter Primärdaten – oder Rohdaten – seien solche Daten verstanden, die unmittelbar im ersten Erhebungsschritt gewonnen werden (zum Beispielen Antworten in einer Befragung), unter Sekundärdaten solche, die aus den Primärdaten gewonnen werden, wobei andere Methoden als zur Gewinnung der Primärdaten eingesetzt werden (z.B. Daten, in denen über die Antworten einer Befragung quantifiziert wird).

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    tungen historischer Fakten.6 Bilden wir nun die in der Linguistik üblichen datenbasierten Begriffe auf die quellenbasierten der historischen Wissenschaften ab, so entsprechen die Datenbasis den Quellen, die Daten den historischen Tatsachen und die Beobachtungssätze den Behauptungen (sprach-)historischer Tatsachen. In Bezug auf die objekt-, meta- und außersprachlichen Aspekte der historischen Soziolinguistik können wir nun zunächst festhalten, dass Quellen Dokumente sind, aus denen wir Daten gewinnen, die wir in den theoretischen Abhandlungen in Form von Tatsachenbehauptungen in unsere Argumentationen einbetten. Ein wichtiger Aspekt ist dabei bisher unberücksichtigt geblieben. Ein Objekt ist ein Dokument eines bestimmten Typs ungeachtet der Frage, wozu wir es forschungsmethodologisch einsetzen. Ein Brief ist immer ein Brief. Ein Dokumenttyp ist also eine kategoriale Eigenschaft, die dem Gegenstand intrinsisch zukommt. Das gilt auch für Mischformen von Dokumenttypen wie etwa für einen Missionsbericht in Briefform. Quellen dagegen existieren immer nur relativ zu einer forschungsmethodologischen Aufgabe. Die Grammatik eines kolonialzeitlichen Sprachforschers kann etwa dienen als • eine objektsprachliche Primärquelle hinsichtlich der Datengewinnung in einer diskurslinguistischen Untersuchung zum Sprachgebrauch kolonialzeitlicher Grammatiker, • eine objektsprachliche Sekundärquelle hinsichtlich der Gewinnung der dort angeführten Sprachdaten für eine Untersuchung zum Sprachkontakt, • eine Abhandlung über die Objektsprache hinsichtlich der dort entwickelten theoretischen Überlegungen etwa zur Entwicklung von Wortschatz und Grammatik unter Sprachkontaktbedingungen, • eine metasprachliche Primärquelle hinsichtlich der Einstellungen, die der Verfasser bezüglich der untersuchten Sprache ausdrückt, • eine metasprachliche Sekundärquelle hinsichtlich der Beschreibung der Einstellung der Sprecher zu etwaigen Kontaktsprachen, • eine außersprachliche Sekundärquelle hinsichtlich der in der Einleitung dargestellten Fakten über die Sozialstrukturen der Sprechergemeinschaft oder den Erstkontakt der Sprecher mit Europäern. Daraus ergeben sich nun folgende Definitionen von Quelle, Primärquelle und Sekundärquelle: Quelle Eine Quelle ist ein Dokument relativ zu einer Forschungsfrage, aus dem Daten zur Beantwortung dieser Forschungsfrage gewonnen werden. Primärquelle Eine Primärquelle ist eine Quelle, deren Elemente nach quellenkritischer Prüfung unmittelbar als Daten genutzt werden können. 6

    Die Benutzung des etablierten Terminus “Beobachtungssätze” scheint etwas unpassend, da wir die Fakten ja weniger “beobachten” als “erschließen”. Seine Definition ist aber sowohl für die Arbeit mit etwa experimentellen Daten als auch mit historischen Quellen angemessen.

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    Sekundärquelle Eine Sekundärquelle ist eine Quelle, in der Elemente angeführt werden, die der Urheber der Quelle als Fakten betrachtet. Theoretische Abhandlungen sind ebenfalls Dokumente, aber eben normalerweise keine Quellen. Das schließt nicht aus, dass – wie am Beispiel der kolonialzeitlichen Grammatik gezeigt – Teile eines solchen Textes auch als Quellen genutzt werden können. Zwei wichtige Unterscheidungen in Bezug auf Quellen, die sowohl in geschichts- wie in sprachwissenschaftlichen Untersuchungen relevant sind, seien hier noch angeführt. Droysen (1868) unterscheidet zwischen solchem historischen Material, das absichtlich und mit dem Zweck der Überlieferung Zeugnis von einer historischen Begebenheit ablegt, und solchem, das unbewusst bzw. unabsichtlich Zeugnis gibt7, eine Unterscheidung, die später unter den Begriffen Tradition versus Überrest firmiert: [A]lles, was unmittelbar von den Begebenheiten übriggeblieben und vorhanden ist, nennen wir Ü b e r r e s t e […]; alles, was uns mittelbar von den Begebenheiten überliefert ist, hindurchgegangen und wiedergegeben durch menschliche Auffassung, nennen wir T r a d i t i o n . (Bernheim 1894: 184) Bezogen auf unsere Untersuchung lässt sich etwa feststellen, dass ein offizieller, publizierter Missionsbericht festhält und dokumentiert, was in den einzelnen Missionsgebieten im abgelaufenen Jahr geschehen ist. Der Brief eines Missionars an den Missionssekretär, in dem er sich über die schlechten Arbeitsbedingungen beklagt, mag die gleichen historisch-räumlichen Gegebenheiten betreffen, ist aber nicht in der Absicht geschrieben, diese Gegebenheiten für die Nachwelt zu überliefern. Insofern ist der Missionsbericht der Tradition, der Missionarsbrief den Überresten zuzuordnen. Das hat natürlich weitreichende Konsequenzen für die Interpretation der Quelle. Ähnliche Unterscheidungen betreffen auch objektsprachliche Untersuchungen. Objektsprachliche Daten können als Spontandaten unmittelbar dem Sprachgebrauch entnommen werden oder als elizitierte Daten etwa in Form von Befragungen bei Sprechern der Sprache erhoben werden. Hier sei demnach insgesamt hinsichtlich objekt-, meta- und außersprachlicher Aspekte der Forschung zwischen spontanen Quellen einerseits und intentionalen Quellen andererseits unterschieden. Die zweite Unterscheidung betrifft die zwischen normativen und deskriptiven Quellen. Normative Quellen in der Linguistik, wie zum Beispiel Sprachlehrbücher, zeigen uns, wie Sprache gebraucht werden sollte, normative Quellen in der Geschichtswissenschaft, wie zum Beispiel Gesetzestexte, zeigen uns, wie menschliches Verhalten sein sollte. Normative Quellen dokumentieren also, wie Sachverhalte sein sollten, deskriptive, wie Sachverhalte sind.

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    Erstere bezeichnet Droysen (1868: 14) als Überreste (das, was “noch unmittelbar übrig ist”) und nur letztere als Quellen (das, was “zum Zweck der Erinnerung überliefert” ist).

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    3.3. Dokumente als Quellen Wir haben im letzten Abschnitt gesehen, dass manche Dokumente in ihren verschiedenen Teilen abhängig von der Forschungsfrage als Primärquelle, Sekundärquelle oder Abhandlung zu objekt-, meta- und außersprachlichen Aspekten des Forschungsthemas herangezogen werden können. In den Abschnitten 4, 5 und 6 wird exemplarisch gezeigt, welche Arten von Dokumenten sich als objekt-, meta- bzw. außersprachliche Quellen nutzen lassen. Als Übersicht soll zunächst die folgende Tabelle dienen, die den größten Teil der für die in Abschnitt 2 beschriebene Forschung genutzten Arten von Dokumenten auflistet und ihre Nutzbarkeit hinsichtlich Quellenstatus (Primärquelle, Sekundärquelle, Abhandlung) und Sprachbezug (objektsprachlich, metasprachlich, außersprachlich) anführt. Die Einordnungen basieren auf Erfahrungen mit der Nutzung dieser Quellen und sind nicht in einem ausschließlichen Sinn zu verstehen. Dokumentarten Administrative/rechtliche Texte in indigenen Spr. Akten kolonialer Gesellschaften Briefe und Tagebücher deutscher Siedler Briefe in indigenen Sprachen DaF-Texte (schriftliche/transkribierte mündliche) Ethnologische Fachtexte Firmenakten und -berichte Gerichtsakten Geschichtswissenschaftliche Fachtexte Glossierte Texte (Textkorpora) in indigenen Spr. Grammatiken Historische Tonaufnahmen in indigenen Sprachen Kolonialpolitische Zeitschriften und Monogr. Landkarten L1-Lehrbücher f. d. Sprachunterricht in indig. Spr. Linguistische Fachtexte Lokale deutschsprachige Zeitungen Missionsberichte (publiziert) Missionskorrespondenz Photographien Reiseberichte/autobiographische Berichte Staatliche Akten Telefon- und Adressbücher Texte deutscher Missionare in indigenen Sprachen Wörterbücher und Wortlisten

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    Tab. 2: Dokumentarten und ihre Verwendbarkeit als Quellen für objektsprachliche (O), metasprachliche (M) und außersprachliche (A) Aspekte der Untersuchung, und zwar als Primärquellen (1), Sekundärquellen (2) und Abhandlungen (3)

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    Bevor einzelne Arten von Dokumenten im Folgenden detaillierter besprochen werden, sei an dieser Stelle kurz angeführt, welche Arten von Dokumenten als Quellen zu den wichtigsten Feldern unseres Forschungsbereichs herangezogen werden können. Deutsche Lehnwörter in den Sprachen Ozeaniens: Da die Erstellung geschriebener Dokumente in den indigenen Sprachen erst mit der Verschriftlichung dieser Sprachen durch die Missionare begann, sind die ältesten Primärquellen von Missionaren verfasst, also von Nicht-Muttersprachlern. Hier stehen vor allem religiöse Texte (meist als Übersetzungen) und Schulbücher, die für den Unterricht in den Missionsgebieten verwendet wurden, in großer Zahl zur Verfügung. Texte aus der deutschen Kolonialzeit von Muttersprachlern indigener Sprachen sind dagegen außerordentlich selten und beschränken sich auf wenige in Archiven erhaltene Briefe an Missionare oder staatliche Stellen. Der ältere Bestand an Primärquellen ist also sehr einseitig. An Sekundärquellen stehen zu manchen Sprachen Wörterbücher in hinreichender Anzahl und Qualität zur Verfügung, während andere Sprachen gar nicht lexikographisch beschrieben sind. Grammatiken und andere sprachwissenschaftliche Abhandlungen führen vereinzelt ebenfalls deutsche Lehnwörter an. Als wichtigste Quellen stehen hier also Texte der Missionare als Primärquellen und Wörterbücher als Sekundärquellen zur Verfügung. Sprachwissenschaftliche Abhandlungen zum deutschen Lehnworteinfluss auf die Sprachen des Südpazifiks existieren so gut wie gar nicht.8 Natürlich können bei den Sprachen, die als Schriftsprachen verwendet werden, auch neuere Texte auf verbliebene Reste deutschen Lehnworteinflusses untersucht werden; bei anderen Sprachen könnte auch aktuelle Feldforschung entsprechenden Aufschluss geben. Da die Forschung auf den Einfluss des Deutschen in seiner Breite ausgerichtet ist und nicht auf einzelne indigene Sprachen, wäre das letztlich aufgrund der großen Anzahl an Kontaktsprachen aber ein schwer durchführbares Vorhaben. Siedlerdeutsch: Dass von den Siedlern ein stark vom Englischen und PidginEnglischen, zum Teil auch von indigenen Sprachen beeinflusstes Deutsch gesprochen wurde, ist vor allem bezüglich des Deutschen auf Samoa aus einer Reihe metasprachlicher Quellen bekannt, und zwar aus Reiseberichten, aus Zeitungsartikeln (vor allem in lokalen Zeitungen), aus der Missionarskorrespondenz und aus den Akten kolonialer Gesellschaften. Auch die in großer Anzahl vorliegenden Protokolle aus Gerichtsakten können hier Aufschluss geben, sind aber bisher nicht ausgewertet worden. Primärquellen sind äußerst knapp bemessen. Bisher sind nur einige einschlägige Briefe deutscher Siedler an staatliche Stellen in Archiven aufgetaucht und einige wenige Leserbriefe an die Samoanische Zeitung. Unveröffentlichte Tagebücher von Siedlern aus dem ehemaligen deutschen Kolonialgebiet im Pazifik mögen existieren, sind bisher aber nicht ausfindig gemacht worden. Über theoretische Abhandlungen ist das Thema bisher überhaupt nicht erschlossen.

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    Die umfangreichste Arbeit ist eine unveröffentlichte Magisterarbeit von Heide Otto (HML-01) zum deutschen Lehnworteinfluss im Samoanischen.

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    Deutschbasierte Pidgin- und Kreolsprachen: Sowohl das Ali-Pidgin-Deutsch als auch das Unserdeutsch sind durch Feldforschung erschlossen, bei der Tonaufnahmen als Primärquellen entstanden sind. Es gibt zu beiden Sprachen kürzere Abhandlungen (Mühlhäusler 1979a, Volker 1989, 1991). Einfluss des Deutschen auf englisch-basierte Pidgins: Es liegt eine Sammlung von editierten Primärquellen auch zu älteren Texten des Tok Pisin vor (Mühlhäusler et al. 2003). Dazu kommen schätzungsweise 50 einschlägige, zum Teil unpublizierte Wörterbücher, die als Sekundärquellen genutzt werden können. Mit Mühlhäusler (1979b) liegt eine Abhandlung vor, die sich schon umfangreich sowohl mit dem deutschen Lehnworteinfluss auf das Tok Pisin befasst als auch mit dem Einfluss des durch die Deutschen praktizierten Wirtschaftssystems auf die Ausbreitung des Tok Pisin. Deutsch als Zweitsprache bei der indigenen Bevölkerung: Objektsprachliche Quellen, die die Verwendung des Deutschen durch die indigene Bevölkerung dokumentieren, sind rar. Vereinzelt geben Missionsberichte Sprachproben einheimischer Schüler wieder. Ansonsten ist man auf metasprachliche Quellen angewiesen, die über die Verwendung des Deutschen berichten. Das geschieht etwa in Missionsberichten, in der Missionskorrespondenz, in Reiseberichten, zum Teil in Firmenberichten und – insbesondere was den Deutschunterricht angeht – in staatlichen Akten. Spracheinstellungen: Quellen, die Auskunft über die Einstellungen der Europäer zu den indigenen Sprachen und zu den Pidgin-Sprachen geben, existieren verstreut, aber in großer Anzahl. Als Primärquellen können Reiseberichte, Briefe von Missionaren und Siedlern, die lokalen Zeitungen und die Akten der Kolonialgesellschaften genutzt werden, aber auch sprachwissenschaftliche und anthropologische Abhandlungen ebenso wie kolonialzeitliche Grammatiken. Kolonialpolitische Zeitschriften und Monographien sind sowohl als Primär- als auch in berichtender Form als Sekundärquellen für die Ermittlung von Spracheinstellungen nutzbar. Sprachenpolitik: Die koloniale Sprachenpolitik der Regierung und der Missionen ist zum Teil in wissenschaftlichen Abhandlungen dargestellt. Die Details lassen sich über Quellen recht gut erschließen, insbesondere mithilfe der Akten der deutschen Verwaltung in den Kolonien, aber auch über andere staatliche Akten, Missionsberichte und die Akten der Kolonialgesellschaften und der in der Südsee operierenden Firmen. Außersprachliche Bedingungen des Sprachkontakts: Bei der Erschließung der außersprachlichen Aspekte des Sprachkontakts, die etwa die Bevölkerungsstruktur, das Bildungswesen, die ökonomisch bedingte Arbeitsmigration und die Veränderung in den Sozialstrukturen und in der materiellen Kultur betreffen, kann man sich in weiten Teilen auf geschichtswissenschaftliche Abhandlungen stützen. Trotzdem treten immer wieder Fragen auf, die nur durch das Studium von Quellen zu beantworten sind: Insbesondere Details zum Bildungswesen und eine kleinteilige Aufschlüsselung der Bevölkerungsstruktur können oft verschiedensten Arten von Quellentexten aus staatlichen oder Missionsarchiven entnommen werden.

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    4. Quellen zu objektsprachlichen Aspekten des Sprachkontakts 4.1. Texte deutscher Missionare in indigenen Sprachen Ein Prinzip der Sprachenpolitik der Missionen im Südpazifik war es, die religiöse Bekehrung in den Sprachen der zu missionierenden indigenen Gemeinschaften zu unternehmen. Auch wenn das aufgrund der Sprachenvielfalt nicht immer durchzuhalten war, haben die Missionare sehr viele religiöse Texte in die indigenen Sprachen übersetzt oder Bekehrungsliteratur und Schulbücher in den indigenen Sprachen verfasst. Spuren deutscher Lexik sind in vielen solcher Dokumente zu finden. Zwei Dokumente, die von einem muttersprachlich deutschen Missionar der amerikanischen Boston Mission stammen, veranschaulichen das. Die Bibelübersetzung (Abb. 3) zeigt schon auf dem Titelblatt die orthographisch unadaptierten deutschen Entlehnungen Bibel, Gott und Testament, ein Ausschnitt aus dem “Themabüchlein für den Jugendbund auf Nauru” (Abb. 4) die Entlehnungen Vorstand, Prásident, Geld und andere. Diese Dokumente decken ein einigermaßen breites Spektrum an Texten ab: religiöse Texte, Schulbücher für Sprachunterricht, Musik, Geographie, etc. und außerhalb des missionarischen Bereichs auch administrative Texte oder Rechtsurkunden. Die Texte sind eine wichtige Quelle für Lehnwörter und zählen meist zu den ältesten schriftlichen Zeugnissen dieser Sprachen. Es ist aber zu berücksichtigen, dass es sich um Texte von Zweitsprachlern handelt, die nicht durchweg dem grammatischen und lexikalischen Sprachgebrauch von Muttersprachlern entsprechen.9 Letztlich bieten die Texte keine Evidenz dafür, ob die Lehnwörter auch von Muttersprachlern der jeweiligen Sprachen übernommen wurden.

    Abb. 3: Nauruische Bibel (HML-04) 9

    Crowley (2001) untersucht am Beispiel des in Vanuatu gesprochenen Erromangan die sprachlichen Fehlleistungen der Missionare in den indigenen Sprachen und zeigt auf, welchen Einfluss dies auf die Entwicklung der Sprache hatte.

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    Abb. 4: Ausschnitt aus dem “Themabüchlein für den Jugendbund auf Nauru” (HML-05) Verglichen mit anderen Primärquellen stehen diese Quellen in relativ großer Zahl zur Verfügung. Die von Missionaren verfassten Texte sind aber oft in Missionspressen vor Ort in kleinen Auflagen gedruckt worden oder liegen überhaupt nur in Manuskriptform vor. Entsprechend schwer sind diese Texte oft zu bibliographieren und zu beschaffen. Natürlich halten die Missionsarchive auch noch viele unpublizierte Dokumente dieser Art vor. In Abb. 5 ist ein handschriftlicher liturgischer Text auf Anjam mit Entlehnungen der deutschen Wörter Gott und Satan zu sehen.

    Abb. 5: Liturgie auf Anjam (VEM-01)

    4.2. Briefe in indigenen Sprachen Im Gegensatz zu Texten in indigenen Sprachen, die von Missionaren verfasst wurden, sind Texte von Muttersprachlern äußerst selten. In Missionsarchiven finden sich gele-

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    gentlich Briefe, die von ehemaligen Schülern an die Missionare gerichtet wurden. Seltener sind Briefe an Behörden erhalten. Interessant für Untersuchungen zum Sprachkontakt sind von Muttersprachlern verfasste Texte vor allem daher, dass sie zeigen können, ob etwa deutsche Lehnwörter, die in missionarischen Texten belegt sind, auch in den Sprachgebrauch von Muttersprachlern eingedrungen sind. Der auf Nauruisch verfasste Brief eines ehemaligen Missionsschülers und späteren Lehrers in Abb. 6 enthält etwa Lehnwörter wie Montag, April, Brief, Sonntag, Kreide, Mark, Gott und Woche.

    Abb. 6: Brief von Jakob Aroi an Ph. A. Delaporte, Nauru, 7. Mai 1915 (AFM-01)

    4.3. Glossierte Texte (Textkorpora) in indigenen Sprachen In kolonialzeitlichen sprachwissenschaftlichen Publikationen finden sich manchmal Sätze oder kurze Texte in indigenen Sprachen, die mit lexikalisch-grammatischen Glossen versehen sind. In Einzelfällen bekommen solche Sammlungen den Umfang kleiner, mehrseitiger Textkorpora. Diese Texte sind meist Niederschriften von mündlich vorgebrachten Erzählungen und Gesprächen. Die Glossierung erleichtert natürlich den Zugang zu den Sprachen und die Ermittlung von Lehnwörtern wie zum Beispiel sonta ‘Sonntag’, babia ‘Brief’ und kabitai ‘Kapitän’ in dem glossierten Yabem-Text in Abb. 7. Solche zeitgenössischen glossierten Texte sind nicht besonders zahlreich, dafür aber meist in gut zugänglichen Organen publiziert. Natürlich können je nach Forschungslage zu einzelnen Sprachen auch glossierte Texte aus späteren Zeiten vorliegen, die ebenfalls Sprachkontaktphänomene reflektieren.

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    Abb. 7: Glossierter Text des Yabem (Dempwolff 1905)

    4.4. Administrative und rechtliche Texte in indigenen Sprachen Texte von rechtlicher Relevanz, die die indigene Bevölkerung betrafen, wurden oft nicht nur in den Sprachen der Kolonialmächte, sondern auch in den indigenen Sprachen verfasst. Dazu gehören etwa Erlasse, offizielle Bekanntmachungen, Ernennungen oder Verträge, insbesondere im Zusammenhang mit Grundstücksangelegenheiten. Ob diese Texte von oder zumindest mit Hilfe von Muttersprachlern verfasst wurden, lässt sich ohne eine genauere Analyse der Texte nicht sagen. Texte dieser Art finden sich fast nur in staatlichen Archiven und im Falle von Verträgen über Landverkäufe auch in Firmen- und Missionsarchiven. In Abb. 8 ist eine samoanische Urkunde abgebildet, unterschrieben vom Kovana Kaisalika, dem Kaiserlichen Gouverneur.

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    Abb. 8: Samoanische Urkunde (NAN-01)

    4.5. Historische Tonaufnahmen in indigenen Sprachen Die unmittelbarste Quelle für sprachliche Phänomene bieten Tonaufnahmen. Solche Tonaufnahmen liegen auch tatsächlich bereits aus der Kolonialzeit vor. Schon die große Hamburger Südsee-Expedition hat mit Hilfe von Phonographen sprachliches Material, insbesondere Gesänge, auf Wachswalzen festgehalten (Kelm 2003: 127f.). Mir ist nicht bekannt, ob diese ältesten Zeugnisse gesprochener Sprache bereits aus linguistischer Sicht ausgewertet wurden. Die Aufnahmen der Hamburger-Südsee-Expedition gehören heute zu den Beständen des Hamburger Völkerkundemuseums (Kokott 2003: 20). Tonaufnahmen, die im Rahmen linguistischer Feldforschung entstanden sind, liegen natürlich aus späterer Zeit in weit größerem Maße vor, sind aber nicht immer leicht zugänglich. Die Tonaufnahmen zum Ali-Pidgin-Deutsch, die Peter Mühlhäusler in den 1970er Jahren gemacht hat (vgl. etwa Mühlhäusler 1979a) werden zurzeit für die Aufnahme ins Archiv für gesprochene Sprache am Institut für deutsche Sprache in Mannheim bearbeitet.

    4.6. DaF-Texte (schriftliche und transkribierte mündliche Texte) Der Deutschunterricht in den Missions- und Regierungsschulen hat einige wenige Zeugnisse hinterlassen, die uns Einblick in sprachkontaktbedingte Phänomene des Fremdspracherwerbs geben. Fast ein Einzelstück ist die Aussprachetranskription in Abb. 9, die die Aussprache eines nauruischen Deutschlerners beim Lesen eines deutschen Textes wiedergibt.

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    Abb. 9: Transkription der Aussprache eines jungen Nauruers nach 5-jährigem Deutschunterricht (Hambruch 1914) Etwas häufiger, aber immer noch in geringer Anzahl, finden sich Ergebnisse des missionarischen Deutschunterrichts in Missionsberichten, wo sie den Erfolg des Deutschunterrichts dokumentieren sollten (Abb. 10).

    Abb. 10: “Schriftprobe eines Schulkindes von Ponape” ([anonym] 1907) Diese vermeintlichen Zeugnisse von Deutschkenntnissen einheimischer Schüler machen allerdings oft keinen sehr authentischen Eindruck (s. Abb. 11) und erlauben kaum Einblick in die Qualität des Deutschunterrichts. Ob authentisches Material aus dem Deutschunterricht im Südpazifik noch irgendwo in den Archiven zu finden ist, ist mir nicht bekannt.

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    Abb. 11: “Ein Briefchen aus dem Mädcheninternat der Schwestern von Ponape” (Müller 1911)

    4.7. Briefe und Tagebücher deutscher Siedler Einen Einblick in das Deutsch der deutschsprachigen Siedler im Südpazifik können zeitgenössische Briefe und Tagebücher bieten. Solche Briefe finden sich durchaus in Archiven, wie etwa der Brief eines Pflanzers an den Gouverneur von Samoa in Abb. 12.

    Abb. 12: Brief eines Pflanzers an den Gouverneur von Samoa, 1905 (NAN-02) Der Brief deutet an, dass sich doch eine Reihe mit den Kulturspezifika Samoas verbundene samoanischen Lehnwörter im Deutsch der Siedler verbreitet haben, hier matai ‘Familienoberhaupt’, tofiga ‘Amt, Beschäftigung’, pulenuu ‘Bürgermeister’, faamasino ‘Dorfrichter’, pule ‘Autorität, Macht’. Viele solcher samoanischen Lehnwörter finden sich im Übrigen auch in dem einzigen größeren Periodikum der Südseekolonien, der Samoanischen Zeitung. Den starken Einfluss des Englischen auf das Deutsch der Siedler dokumentieren einige wenige Leserbriefe aus der Samoanischen Zeitung. Da heißt es etwa – mit deutlichen Interferenzen aus dem Englischen – in einem Leserbrief am 25. Mai 1901 (NLA-001):

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    Werthester Herr Redakteur! […] In meiner Meinung eine Minimum Quantitaet von Rohmaterialien fuer Handwerker sowie Kartoffeln, Mehl, Zwiebeln, Zucker, etc. von sage ¼ Tonne oder eben mehr sollte frei eingefuehrt werden duerfen […]. Einen Eindruck von dem oft beklagten Einfluss des Englischen auf das Deutsch der Samoa-Deutschen geben auch eine Reihe von Leserbriefen, die das Deutsch der Siedler persiflieren (Abb. 13).

    Abb. 13: Leserbrief von “Dobbeljuh Schuhflicker” an die Samoanische Zeitung (NLA-02) Tagebücher bieten ebenfalls eine gute Quelle für Veränderungen des Deutschen unter dem Einfluss anderer Sprachen. Da sie gewöhnlich nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren, ist das Bedürfnis der Anpassung an vermeintliche sprachliche Normen oft geringer. Tagebücher deutscher Siedler in den deutschen Kolonien waren bisher allerdings schwer zu finden, hier einige Sprachbeispiele aus dem Tagebuch einer deutschen Siedlerin in Neuseeland (ATL-01): Ich hätte eigentlich gleich im Anfang schreiben sollen […]. / Zuweilen thue ich auch das Kochen. / Nach der Kirche ritt ich noch nach Tante Wilkens, um zu sehen, was ihr kleiner Junge machte, der ist noch wieder besser, ja heute soll er schlimmer sein. / Ich mußte sogar die Fence heil machen wo die Schweine durch gebrochen waren. / Ernst Jürgens wurde Sonnabend vor 8 Tagen von einem Pferd geschlagen am Kopf, es war sehr gefährlich, er ist aber jetzt ziemlich besser.

    4.8. Landkarten Für die Erhebung onomastischer Befunde sind Landkarten eine wichtige Quelle. Ob Landkarten Quellen sind oder als Quellen interpretierende Darstellungen eher der Sekundärliteratur zuzurechnen sind, sei hier dahingestellt. Als Belege – oft Erstbelege – für Ortsnamen stellen sie zweifellos Quellen dar. Stammt die Karte vom Namensgeber, handelt es sich dabei um eine normative Quelle. Insbesondere die detaillierten Karten, die im Zusammenhang mit Forschungsreisen entstanden sind, dokumentieren dabei die

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    Benennungspraxis der Forscher. Der Ausschnitt einer Karte der Sepik-Expedition von Walter Behrmann zeigt eine Fülle deutscher Ortsnamen: Blutegel-Berg, Wachtkuppe, Thurnwald-Kette, Schlangenberg, Drei Zinnen, etc. (Abb. 14).

    Abb. 14: Karte einer Sepik-Expedition im Anhang von Behrmann (1917)

    4.9. L1-Lehrbücher für den Sprachunterricht in indigenen Sprachen Da Missionare im Rahmen des Schulunterrichts im Missionsgebiet auch das Lesen und Schreiben der indigenen Sprachen unterrichteten, wurden für viele Sprachen entsprechende Lehrbücher verfasst und oft auf den örtlichen Missionspressen vervielfältigt. Diese Fibeln enthalten häufig deutsche Lehnwörter, insbesondere aus dem religiösen und schulischen Bereich. Die Nauruisch-Fibel in Abb. 15 zeigt etwa, dass die deutschen Wochentags- und Monatsbezeichnungen ins Nauruische übernommen wurden. Insofern als diese Lehrbücher von Nicht-Muttersprachlern geschrieben wurden, können solche Texte als Primärquellen des Sprachgebrauchs von Zweitsprachlern betrachtet werden. In dem Maße, in dem die deutschen Lehnwörter hier bewusst von den Missionaren eingeführt werden, handelt es sich zugleich um normative Quellen. Geht man dagegen davon aus, dass hier übliche Ausdrücke aus dem Sprachgebrauch der indigenen Sprachen zitiert werden, hat man es mit Sekundärquellen zu tun. Texte dieser Art sind in durchaus nicht geringem Umfang vorhanden. Sie sind aber nicht leicht zu bibliographieren und zu beschaffen. Zum Teil sind sie über das deutsche Fernleihsystem zugänglich, zum Teil in Missionsarchiven oder ausländischen Bibliotheken vorhanden.

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    Abb. 15: Nauruische Fibel (HML-06)

    4.10. Wörterbücher und Wortlisten Die insgesamt ergiebigste Quelle zu deutschen Lehnwörtern in den Sprachen des Südpazifiks sind Wörterbücher. Wertet man diese Quellen aus, um lexikalischen Sprachkontakt zu ermitteln, ist dreierlei zu berücksichtigen. Erstens geben nur manche Wörterbücher sowohl an, ob ein Wort ein Lehnwort ist als auch die Sprache, aus der es entlehnt wurde. So geschieht es etwa in dem Wörterbuch in Abb. 16 bezüglich der beiden deutschen Lehnwörter im Palauischen mesíl und mesilkebiér.

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    Abb. 16: Gedrucktes Wörterbuch Palauisch-Englisch mit expliziten Lehnwortangaben (McManus 1977) Zweitens beherbergen Bibliotheken und insbesondere Missionsarchive eine bedeutende Anzahl unpublizierter Wörterbücher. Diese sind zum Teil in unfertigem Status, wie das Palauisch-Wörterbuch in Abb. 17, das als Übersetzung für letter maschinenschriftlich das deutsche Lehnwort ababier anführt und als handschriftliche Marginalie das deutsche Lehnwort briib.

    Abb. 17: Maschinenschriftliches Wörterbuch Englisch-Palauisch mit handschriftlichen Marginalien (HML-07) Manche dieser Wörterbücher sind auch nur als handschriftliche Manuskripte verfügbar, was ihre Rezeption, je nach Handschrift und Erhaltungszustand sehr erschweren kann (s. Abb. 18).

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    Abb. 18: Handschriftliches Wörterbuch Deutsch-Murik, mikroverfilmt (Schmidt 1953) Drittens schließlich ist zu berücksichtigen, dass nicht alle Wörterbücher Lehnwörter erfassen. In späteren Wörterbüchern wird das oft explizit im Vorwort angemerkt, in früheren dagegen – insbesondere solchen, die noch während der deutschen Kolonialzeit entstanden, – wird auf die Nichtberücksichtigung von Lehnwörtern meist nicht hingewiesen. Insgesamt ist die lexikographische Erfassung der Sprachen Mikronesiens und Polynesiens als gut zu bezeichnen. Zu den Sprachen Neuguineas und des Bismarck-Archipels, die 95% der in den ehemaligen deutschen Kolonien des Südpazifiks gesprochen Sprachen ausmachen, ist zu einem deutlich geringeren Anteil lexikographisch publiziert worden. Hier allerdings dürften in Missionsarchiven noch Dutzende unpublizierter Wörterbücher zu finden sein. Neben gedruckten, maschinenschriftlichen und handschriftlichen Wörterbüchern bietet mittlerweile auch das Internet eine zunehmende Anzahl an lexikologischen Quellen wie etwa die World loanword database. Abb. 19 zeigt einen Ausschnitt zum Takia mit einigen Lehnwörtern aus dem Deutschen.

    Abb. 19: World loanword database (Haspelmath & Tadmor 2010)

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    4.11. Grammatiken Grammatiken sind eine eingeschränkt nutzbare objektsprachliche Sekundärquelle. Der Sprachkontakt mit dem Deutschen wird in älteren, kolonialzeitlichen wie auch in neueren Grammatiken zwar eher selten thematisiert; oft finden sich aber in den angeführten Beispielen deutsche Lehnwörter. Dempwolff führt zum Beispiel in seiner GedagedGrammatik (AAI-01) viele Beispielsätze an, die Lehnwörter enthalten, wobei zu berücksichtigen ist, dass viele dieser Beispielsätze wiederum religiösen Publikationen der deutschen Missionare entstammen. In den folgenden Beispielen finden sich Lehnwörter, die vermutlich auf den deutschen Etyma Tempel, Prophet und Lampe beruhen: i nalnal tempellon kagin peteyana ‘daily he showed them the teaching in the temple’ (Luke 19:47) (AAI-01: S.86) tamol o i porofet nenaziime ‘this man is greater than a prophet’ (Luke 7:26) (AAI-01: S.87) i lamp bisap latnen inauime, aenta, i ablak didusap, abay lelaman denasiwoi ‘he lifts up the lamp and places it high in order that others, when they ascend into the house, may see the things light’ (Luke 8: 16) (AAI-01: S.102) Viele kolonialzeitliche Grammatiken sind meist gut zugänglich publiziert worden, so dass sie über das deutsche Bibliothekssystem zu beschaffen sind. Für neuere Grammatiken der in dem ehemaligen deutschen Kolonialgebiet gesprochenen Sprachen gilt das ohnehin. In den Archiven der Missionen sind aber auch noch viele unpublizierte Grammatiken zu finden.

    5. Quellen zu metasprachlichen Aspekten des Sprachkontakts 5.1. Reiseberichte und autobiographische Berichte Eine interessante Quelle für Sprachkontaktuntersuchungen bieten Reiseberichte und autobiographische Berichte von deutschen Siedlern. Sie geben oft einen guten Einblick in alltägliche soziale und kommunikative Interaktionen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Sie enthalten nicht nur allgemeine Betrachtungen über Kommunikationsgepflogenheiten, sondern erlauben es auch, auf der Mikroebene historische Sprachenverhältnisse zu rekonstruieren, d.h. sie bieten Evidenz für die Frage, wer mit wem worüber in welcher Sprache kommuniziert hat. Hier einige Beispiele: [Über Samoa: ]Daß aber die englische Sprache vorherrschend blieb und auch unser Deutsch hier stark mit englischen Brocken vermengt wird, ist fast die ausschließliche Schuld der alten Ansiedler selbst, die sich über den Mangel an deutscher Art beklagen. (Zieschank 1918)

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    Der Einfluß der Bostoner Mission auf die äußere Lebensgestaltung war groß und wird sich nicht so bald beseitigen lassen. Der Reisende, der heute Kusaie besucht, darf sich nicht wundern, wenn er am Lande mit unverfälschtem YankeeEnglisch begrüßt wird. Der “König”, wenn man dem braunen Inselhäuptling diese Bezeichnung zukommen lassen will, spricht es fließend, und seine Untertanen, die zum nicht geringen Teil die Missionsschulen besuchten, sprechen es wenigstens auf Pidgin-Manier so weit, daß sie eine einfache Unterhaltung führen können. (Deeken 1912: 15). [Über Salanoa, einen Angehörigen der samoanischen Führungsschicht:] Er begrüßte mich mit einigen deutschen Sätzen und bat um Entschuldigung, daß er sich in meiner Sprache nicht gewandter ausdrücken könne und darum Englisch sprechen müsse, es sei denn, daß ich mich französisch mit ihm unterhalten wolle. (Riedel 1938: 111) [Zum Treffen mit einem deutschen Stationsarzt aus Bougainville:] I was surprised to find him talking “pidgin” to me. I found that it was the only English he knew, and that he had found it necessary to learn it in order to talk with the natives, who understood something of “pidgin” English, but nothing of any other European language. Usually, the European uses “pidgin” English to the natives, but never dreams of using it to another white man. However, my German friend, as I have said, talked “pidgin” English, and I rather welcomed it as a proof of the fact that the English language was more general than any other among the natives of that quarter. (Meek 1913: 183) Bei der Einschätzung der Zuverlässigkeit der Quellen ist allerdings zu bedenken, dass einige der Reiseberichte Nebenprodukte wissenschaftlicher Expeditionen sind, während andere die Berichte von Abenteurern sind, bei denen das Genre es erlaubt, die Grenze zwischen Bericht und Fiktion nicht ganz so scharf zu ziehen. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Einstufung von Reiseberichten als spontan (Überrest) versus intentional (Tradition) nicht eindeutig ist. Manche Reiseberichte werden direkt mit dem Ziel der Publikation geschrieben, andere sind als Materialgrundlage für später zu publizierende Berichte oder Autobiographien konzipiert und wiederum andere dienen als private Aufzeichnungen. Das ist bei der Interpretation der Quelle zu berücksichtigen (vgl. dazu auch Maurer 2002: 325f.). Die zeitgenössischen Reiseberichte neigen zudem oft dazu, die englischen Pidgins und Jargons als ein spezifisches Kuriosum der Region darzustellen und entsprechende Konversationen wiederzugeben: Meine Leute waren also Schwarze, zusammengewürfelt aus allen Stämmen Neuguineas und des Bismarckarchipels. Es gibt viele hundert solcher Stämme im Gebiet der melanesischen Rasse und ebensoviel Sprachen als Stämme. So kommt es, daß der Eingeborene von Eitape den von Adolfhafen, der Neumecklenburger

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    den Neupommern, der Nachbar den Nachbar nicht versteht, wenn er nicht das Volapük der Südsee, Pidgin-Englisch, spricht. Mit dem fabelhaften Auffassungsvermögen, das diesen Naturkindern eigen ist, erfassen sie schnell die paar Brocken von europäischen Sprachen, aus denen sich dieses Kauderwelsch zusammensetzt und drehen und modeln die Worte in blumenreicher Zusammenstellung zu den wenigen Begriffen, die ihr beschränkter Geist gebraucht. (Spiegel von und zu Peckelsheim 1912: 46f.) Plötzlich, ich werde den Augenblick nie im Leben vergessen, raschelt es in dem dichten Gebüsch, in dem ich liege, ich sehe vor mir in zwei blitzende Augen und sehe einen braunen Arm, der ein riesiges Haumesser über meinem Kopfe schwingt. Noch höre ich, wie eine höhnische Stimme mich anzischt: ‘Kaschelja [ein Grußwort], master police!’ und denke, jetzt ist es vorbei, da kracht neben mir ein Schuß, und drüben ein Schrei, und Messer und Arm sind verschwunden. Wie ich mich hastig umdrehe, kniet Haumu neben mir und sein Gesicht ist ganz von Wut verzerrt. Nur das Weiße in seinem Auge funkelte in der Dämmernis, und stolz klang es, als er rief: ‘Master, me kill him finish, das Schwein!’ (Spiegel von und zu Peckelsheim 1912: 96) Dann befahl ich: “You loose him mary and pikanini, you fast him men belong tree.” Das heißt: “Laßt die Weiber und Kinder los und bindet die Männer an die Bäume.” (Spiegel von und zu Peckelsheim 1912: 148) Der Neu-Pommern-Boy neben mir macht sich bemerkbar. Wir passieren ein langgestrecktes Holzgebäude. “Haus Bullmakau” sagt er. Es ist gut, daß ich schon ein wenig in das Pidgin-Englisch-Deutsch unserer schwarzer Landsleute eingeweiht bin. “Dies ist ein Kuhstall” will er sagen. B u l l und C o w sind von den Eingeborenen einfach zusammengezogen worden und “Bullmakau” bedeutet jetzt Ochse, Bulle, Kuh, Rindfleisch, Ochsenbraten usw. Ein Automobil heißt “Steamer belong bush”, der “Dampfer, der durch den Wald fährt” – wenn‘s kein weißer Witz ist. (Berges 1920: 110) [Unterwegs im Bismarck-Archipel zu Arbeiterrekrutierungen für Plantagen in Neuguinea:] Die Eingeborenen sind überall bereits mit Europäern in Berührung gekommen, was sich in der allgemeinen Kenntnis des Pidgin ausdrückt. Auch zeigen sie sich sehr zutraulich, kommen neugierig mit ihren Kanus längsseits und tun die stereotype Frage “what name belong ship?”, soll heißen “wo ist das Schiff her?” Wir erzählen dann renommistisch von einem Lande, in dem ein “big fellow luluei”, d.h. “ein großer König” herrsche, der unermeßliches Land besitze; “he wont plenty boy, plenty taro! plenty yam! plenty coconut he stop!” uff. (Schellong 1934: 170f.) Wenn sprachliche Äußerungen in englischen Pidgins wiedergegeben werden, ist natürlich Vorsicht geboten, nicht nur wegen der zeitlichen Distanz zwischen Äußerung und

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    Aufzeichnung der Äußerung, sondern auch wegen der – entgegen eigenen Angaben – oft mangelhaften Pidginkenntnisse der Autoren. Reiseberichte aus der Südsee sind in erstaunlich großer Anzahl publiziert worden und problemlos zugänglich. Viele der Berichte über Reisen aus der Zeit der deutschen Kolonialherrschaft erschienen dabei erst in den 1920er und 1930er Jahren.

    5.2. Lokale deutsche Zeitungen Während die afrikanischen Kolonien eine Reihe deutschsprachiger Zeitungen hervorgebracht haben, gab es in den Südsee-Kolonien neben zwei deutschsprachigen Amtsblättern nur eine, die Samoanische Zeitung. Sie ist – wie oben schon angesprochen – nicht nur als Primärquelle für Sprachkontaktphänomene interessant, sondern reflektiert neben dem gesellschaftlichen Leben und den sozialen Strukturen Samoas auch die sprachenpolitischen Diskussionen in der Kolonie (s. Abb. 20) (vgl. Riese dieser Band).

    Abb. 20: Reflexe sprachenpolitischer Diskussionen in der Samoanischen Zeitung (NLA-03) Die Amtsblätter wiederum geben die offiziellen Verlautbarungen etwa zu Schul-, Bildung- und Sprachenpolitik wieder (Abb. 21).

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    Abb. 21: Verordnung des Gouverneurs, die Schulen Samoas betreffend (NAN-03) Die Samoanische Zeitung liegt, wie auch die beiden Amtsblätter aus Samoa und aus Neuguinea, in einer Mikrofilm-Ausgabe vor.

    5.3. Kolonialpolitische Zeitschriften und Monographien In Deutschland erschienen zu Beginn des letzten Jahrhunderts eine ganze Reihe von Zeitschriften, die sich mit kolonialpolitischen Themen befassten (s. Abschnitt 7.1). Auch Monographien aus diesem Bereich liegen in großer Anzahl vor. Die kolonialpolitischen Zeitschriften reflektieren dabei eine durchaus vielfältige Diskussion um die “Sprachenfrage” in den deutschen Kolonien. Zu berücksichtigen ist, dass hier vor allem die sprachenpolitischen Positionen kolonialer Kreise in Deutschland wiedergegeben werden, weniger die Positionen der Missionen und der Siedler vor Ort und schon gar nicht die der indigenen Bevölkerung. Hier sollen nur zwei Beispiele für gegensätzliche Positionen gegeben werden (Abb. 22, 23). Mehr dazu findet sich in Engelberg (2008).

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    Abb. 22: Zur Diskussion um die Rolle des Deutschen in den Kolonien (Sembritzki 1913)

    Abb. 23: Zur Diskussion um die Rolle des Deutschen in den Kolonien (Kindt 1906)

    5.4. Missionsberichte Die Missionen haben in regelmäßigen Abständen Missionsberichte publiziert, in denen die Arbeit in den Missionen geschildert wird. Wir haben oben schon auf die gelegentlich dort abgedruckten Sprachproben einheimischer Deutschschüler hingewiesen. Darüber hinaus finden sich in den Berichten relativ viele Informationen zum Schulalltag und zur Rolle und Qualität des Deutschunterrichts (s. Abb. 24). In geringerem Maße bieten sie auch Einblick in die Sprachenverhältnisse auf der Mikroebene alltäglicher Kommunikation.

    Abb. 24: Zum Schulunterricht auf Palau (Placidus 1911) Da die publizierten Missionsberichte unter anderem zur “Sponsorenwerbung” dienten, sind die Darstellung etwa der Erfolge im Sprachunterricht auch unter diesem Gesichtspunkt einzuschätzen. Die Missionsberichte bilden insgesamt eine umfangreiche Quelle und zumindest die Berichte der deutschen Missionen sind alle über das deutsche Bibliothekssystem zugänglich (s. Abschnitt 7.1).

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    5.5. Missionskorrespondenz Neben den publizierten Missionsberichten ist vor allem die Korrespondenz der Missionare untereinander und mit der Missionsleitung von Interesse. Da die Briefe der internen Kommunikation dienen, erhält man oft eine realistischere Darstellung der Gegebenheiten als in Missionsberichten. Bedingt durch den engen Kontakt der Missionare mit der einheimischen Bevölkerung enthalten die Briefe viele interessante metasprachliche Kommentare. Man erfährt hier auch viel über das Unterrichtswesen. In dem Brief in Abb. 25 berichtet eine Missionarin der amerikanischen Boston Mission über das Angebot eines deutschen Ansiedlers auf Kosrae, den Einheimischen Deutschunterricht zu geben, das hier aufgrund der schlechten Reputation des Mannes sehr skeptisch beurteilt wird.

    Abb. 25: Brief einer US-amerikanischen Missionarin an den Missionssekretär (AFM-02) Die Verzweiflung der amerikanischen Missionarinnen, die ohne ausreichende eigene Kenntnisse dennoch durch Verwaltungsverordnungen verpflichtet waren, Deutschunterricht zu geben, findet in den Briefen gebührenden Ausdruck (Abb. 26).

    Abb. 26: Aus dem Brief einer US-amerikanischen Missionarin, die Deutschunterricht auf Kosrae erteilen musste (AFM-03) Die Missionare standen zudem vor der Aufgabe, die indigenen Sprachen zu lernen und zu erforschen. Um die Kenntnisse der Sprachkenntnisse der neuen Missionare zu überprüfen, hat etwa die Rheinische Mission in der Astrolabe-Bucht Neuguineas ein Sprachexamen entwickelt. Der Brief in Abb. 27 berichtet über ein solches Sprachexa-

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    men für die Sprache Gedaged (“Ragetta”). Die Abbildung zeigt auch, wie das von den Missionen oft verwendete extrem dünne Papier und das dadurch bedingte Durchschlagen der rückseitigen Beschriftung die Lesbarkeit der Archivalie erschwert.

    Abb. 27: Bericht über ein Sprachexamen auf der Insel Ragetta (VEM-02) Die Korrespondenz der Missionare ist in großem Umfang in den Missionsarchiven erhalten. Ab dem frühen 20. Jahrhundert ist ein Teil dieser Korrespondenz maschinenschriftlich. Der größte Teil der Briefe ist allerdings handgeschrieben, wobei die deutschen Missionare durchweg die damals gebräuchlichen Kurrentschriften verwenden.

    5.6. Staatliche Akten Unter staatlichen Akten seien hier eine Anzahl verschiedener Typen von Dokumenten im Zusammenhang mit staatlichen Stellen in Deutschland und in den Kolonien zusammengefasst, so die Korrespondenz mit und zwischen staatlichen Stellen, Gesetze, Erlasse, Reichstagsprotokolle, Berichte von Kommissionen sowie die in diesem Zusammenhang entstandenen Notizen, Briefe, Berichte und Manuskripte. Staatliche Akten geben einen Einblick in sprachenpolitische und sprachplanerische Diskussionen und Maß-

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    nahmen. In einem militärpolitischen Bericht empfiehlt beispielsweise der Kapitän eines Schiffs der deutschen Marine dem Vordringen des Pidgin-Englisch durch Entwicklung eines entsprechenden Pidgin-Deutsch entgegenzutreten (Abb. 28).

    Abb. 28: Militärpolitischer Bericht (ATL-02) In einem Brief an den römischen Gesandten am Heiligen Stuhl bittet das Auswärtige Amt auf Anregung des Bezirksamtmanns auf den Marianen die dortigen spanischen Missionare durch deutsche zu ersetzen, um die Verbreitung der deutschen Sprache zu fördern (Abb. 29).

    Abb. 29: Brief an den römischen Gesandten mit der Bitte, deutsche Missionare nach Mikronesien zu schicken (ATL 03)

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    Das Vorlesungsverzeichnis 1913/14 des Deutschen Kolonialinstituts, einem Vorläufer der Universität Hamburg, das ursprünglich vor allem auf die Tätigkeit in den deutschen Kolonien vorbereiten sollte, weist über 60 Veranstaltungen im Bereich “Sprachen” auf, darunter nur zwei zu “Südsee-Sprachen”: Dr. Hambruch: 1) Grammatik und Texte der Naurusprache. 1stündig, Di, 8-9 vorm. 2) Mikronesische Texte. Mo. Mi. Do. Fr. 9-10 vorm. (HSA-01) Auch zu lexikalischem Sprachkontakt finden sich einzelne Dokumente, insbesondere dort, wo es um sprachplanerische Maßnahmen geht. Der Bericht des unter australischer Verwaltung ins Leben gerufenen “Nauruan Language Committee” gibt Evidenz über einige der damals offenbar noch gebräuchlichen deutschen Lehnwörter (Abb. 30).

    Abb. 30: Report of the Nauruan Language Committee, 1938 (PMB-01) Die vier Beispiele können allerdings nur einen sehr exemplarischen Eindruck von der Fülle an einschlägigen Archivalien bieten, die in staatlichen Archiven zu finden sind.

    5.7. Akten kolonialer Vereinigungen Koloniale Interessen wurden durch eine Vielzahl von kolonialen Vereinigungen vertreten und artikuliert, unter anderem durch den Alldeutschen Verband, die Gesellschaft für deutsche Kolonisation, den deutsch-kolonialen Frauenbund, den Zentralverein für Handelsgeographie und als wichtigste Vereinigung die deutsche Kolonialgesellschaft. Letztere machte etwa ihren Einfluss geltend hinsichtlich der Erforschung der indigenen Sprachen: [Auf einen Antrag der Abteilung Danzig hin wird Folgendes beschlossen:] Der Vorstand der Deutschen Kolonialgesellschaft erkennt die Notwendigkeit einer stärkeren Unterstützung der Sprachforschung und zur Erforschung der Sitten, Gebräuche und Rechtsgewohnheiten in unseren Kolonien auf Grund der Verhandlungen der Sektion I des Deutschen Kolonialkongresses vom 10. Oktober 1902 an. Er beauftragt den Ausschuß der Deutschen Kolonialgesellschaft, geeignete Schritte zur Förderung der Sprachforschung und zur Erforschung der Sitten, Gebräuche und Rechtsgewohnheiten zu unternehmen; falls es die finanziellen Verhältnisse der Gesellschaft erlauben, sollen erforderlichenfalls zugunsten der Sprachforschung und zur Erforschung der Sitten, Gebräuche und Rechtsgewohnheiten Mittel bereit gestellt werden. (S. 24)

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    [Die Förderung kann in dreierlei Weise erfolgen:] a) Errichtung von Professuren, zunächst für afrikanische, später für ozeanische Sprachen an deutschen Universitäten; b) Bewilligungen an Reisende zur Vornahme linguistischer Forschungen; c) Bewilligung von Unterstützungen zur Herausgabe von Sprachwerken. (S. 23) (BAB-01) Die Akten der kolonialen Vereinigungen reflektieren besonders gut die sprachenpolitischen Diskussionen der Zeit. So heißt es 1909 in einem Antrag der Abteilung “Westliche Vororte Berlins”: Die Hauptversammlung der Deutschen Kolonialgesellschaft wolle beschließen: Die Deutsche Kolonialgesellschaft hält es für erforderlich, daß in den Deutschen Schutzgebieten die deutsche Sprache zur Staats- und Verkehrssprache wird. Wir wollen selbstverständlich die Eingeborenen-Sprachen nicht ausrotten, wir wollen auch keineswegs das Studium Eingeborener-Sprachen durch Europäer für unnötig erklären, wir erkennen vielmehr durchaus an, daß neben den Missionaren auch die Beamten, wie schon der Kolonialkongreß 1905 es forderte, und außerdem recht zahlreiche Pflanzer und Kaufleute die Sprache des Volkes, mit dem sie am meisten zu tun haben, erlernen sollten. Wir wollen aber, daß die deutsche Sprache als Staatssprache gilt, sodaß auch äußerlich keine andere Sprache als mit ihr gleichwertig behandelt wird. Und wir wollen ferner, daß die deutsche Sprache immer mehr zur Verkehrssprache wird in dem Sinne, daß Europäer im Verkehr mit Eingeborenen, deren Sprache sie nicht beherrschen, und Eingeborene verschiedener Muttersprachen sich mit einander nicht einer dritten Eingeborenensprache, sondern des Deutschen bedienen. (BAB-02) Die oft umfangreichen Akten der verschiedenen kolonialen Vereinigungen finden sich meist unter den Beständen staatlicher Archive.

    5.8. Firmenakten und -berichte Von einem gewissen koloniallinguistischen Interesse sind auch die Akten und jährlichen Berichte der in der Südsee agierenden deutschen Firmen. Hier wird gelegentlich die sprachliche Situation auf den Inseln thematisiert und dazu Stellung bezogen. So heißt es in den Jahresberichten der Jaluit-Gesellschaft: Die Erziehung der Eingeborenen liegt noch ganz danieder und wird auch keine Fortschritte machen, so lange nicht an Stelle der eingeborenen Zöglinge der Boston Mission Society europäische Missionäre treten. Wir sind bemüht, eine deutsche Missionsgesellschaft für unser Gebiet zu gewinnen und versprechen uns sowohl in sittlicher wie in nationaler Beziehung einen guten Erfolg ihres Wirkens gegenüber den Bestrebungen der Amerikaner.

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    Auch für einen deutschen Lehrer, sowie für einen Arzt liegt ein lebhaftes Bedürfnis vor, dem nachgekommen werden soll, sobald wir einen Teil der Kosten zu übernehmen in der Lage sein werden. (HSA-02) Erfreulich ist, dass endlich auch die deutsche Sprache in einer auf Jaluit errichteten Missionsschule gelehrt wird. Nach den schon jetzt erzielten Erfolgen dürfte sie bald das »pidgin english« verdrängen. (HSA-03) Wie die Akten der kolonialen Vereinigungen finden sich auch die Firmenarchive der in den Südseekolonien tätigen Unternehmen heute größtenteils in staatlichen Archiven, viele davon im Hamburger Staatsarchiv.

    5.9. Gerichtsakten Die Akten der Gerichte in den Kolonien sind für koloniallinguistische Untersuchungen vor allem hinsichtlich der Protokolle von Zeugenaussagen interessant. Insofern in eine Vielzahl der dokumentierten Prozesse Personen mit unterschiedlichem sprachlichen Hintergrund involviert waren, reflektieren die Zeugenaussagen oft die sprachliche Situation im Hintergrund der behandelten Fälle. Darüber hinaus lässt auch die Prozessführung in der Notwendigkeit sprachlicher Vermittlung, etwa durch Dolmetscher, Rückschlüsse auf örtliche Sprachenverhältnisse und Sprachgebrauch zu. Koloniale Gerichtsakten sind meines Wissens bisher nicht aus linguistischer Perspektive ausgewertet worden. Ein kurzer Blick in eine Gerichtsakte aus Apia, Samoa, vermittelt einen Eindruck von der möglichen Funktion solcher Akten als objekt- und metasprachliche Quellen. Wiedergegeben ist die Zeugenaussage des vermutlich englischen Muttersprachlers C. im Falle einer Beleidigungsklage des vermutlich ebenfalls englischsprachigen F. gegen den deutschen Fuhrmann H., der ihn einen “Bastard” genannt haben soll. C. gibt am 12. Juni 1912 zu Protokoll [NAN-05]: Ich heiße C[…], bin 37 Jahre alt, protestantischer Religion, Bäcker in Utualii, weder verwandt noch verschwägert mit den Parteien. Ich habe nichts gehört, weil ich an der Bar war. Als ich fortging kam B[…] auf mich zu und fragte mich, ob ich gehört hätte, wie H[…] den F[…] “Bastard” genannt hätte. Ich sagte “ja”. In Wirklichkeit hatte ich nichts gehört, aber weil ich betrunken war sagte ich “Ja”. Niebuhr nahm sein Notizbuch vor und schrieb mich als Zeugen auf. Ich hatte mit F[…] und H[…] zusammen an der Bar getrunken. H[…] sagte zu F[…] bastard oder pastor oder parson. Ich kann das nicht genau angeben, weil H[…] nicht ordentlich Englisch spricht. F[…] nannte H[…] einen “shitdriver” worauf H[…] ihm entgegnete “you are a parson”.

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    6. Quellen zu außersprachlichen Aspekten des Sprachkontakts 6.1. Staatliche Akten Über die Dokumentation sprachenpolitischer Vorgänge hinaus bieten staatliche Akten wie etwa die Akten des Reichskolonialamts in Berlin oder die Akten der deutschen Verwaltung auf Samoa im neuseeländischen Nationalarchiv Einblick in soziale Zusammenhänge wie er zur Erklärung von Sprachkontaktphänomenen erforderlich ist. Insbesondere Dokumente, die genauen Aufschluss über die Bevölkerungszusammensetzung geben und über die Veränderung der sozialen Strukturen sind hier von Interesse. Der Brief der Reichsstelle für das Auswanderungswesen in Abb. 31 zeigt etwa, in welchem Umfang Deutsche auch nach der Kolonialzeit und außerhalb des ehemaligen deutschen Kolonialreichs auf den Inseln der Südsee präsent waren. In dem Brief wird ein Schreiben des deutschen Kaufmanns Meyer aus Tarawa vom 1.3.1935 zitiert, in dem dieser über die auf den Gilbert-Inseln (heute zu Kiribati) lebenden Deutschen berichtet.

    Abb. 31: Bericht der Reichsstelle für das Auswanderungswesen über Deutsche auf den Gilbert-Inseln (ATL-04)

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    6.2. Firmenakten und -berichte Die Akten der in der Südsee tätigen Firmen sind von Interesse für die Rekonstruktion des sozialen Umfelds des Sprachkontakts. Man erfährt hier Einiges zu den durch die neuen Wirtschaftsstrukturen bedingten Wanderungsbewegungen der indigenen Bevölkerung, zur Zusammensetzung der europäischen und der indigenen Bevölkerung und zu den gegenseitigen Abhängigkeiten und sozialen Strukturen. Der folgende Ausschnitt beschreibt das Verhältnis zwischen Samoanern und Deutschen vor der deutschen Machtergreifung aus Sicht der Deutschen Handels- und Plantagengesellschaft: Die eigenthümlichen anarchischen Zustände in Samoa (man kann sie mit einem bewaffneten Frieden vergleichen) haben wenigstens im verflossenen Jahre zu keinem Ausbruch offener Feindschaften geführt, und wir müssen froh sein, dass wir vor weiteren Schädigungen wie Betriebsstörung und Verwüstung unserer Culturen und Bauten verschont geblieben sind. Nur die Entwaffnung der Samoaner kann dieser traurigen Lage auf den Samoa-Inseln ein Ziel setzen, aber so sehr auch diese Massregel als einzige Rettung der Situation allgemein anerkannt wird, so scheint doch vor der Hand keinerlei Aussicht auf ihre Durchführung vorhanden. Die im Berliner Vertrage angeordneten Steuern werden von den Samoanern nicht eingezogen, die Kosten des Regierungs-Apparates fallen deshalb ausschließlich den in Apia ansässigen Fremden zur Last und davon ein grosser Theil unserer Gesellschaft. Die Concurrenz der Import- und Export-Geschäfte auf den verschiedenen Inselgruppen seitens der englischen Colonien ist eine sehr empfindliche gewesen, welche auf Samoa bei dem unter den obwaltenden Verhältnissen naturgemäss stockenden Geschäftsverkehr um so mehr in’s Gewicht fiel, als die RebellenParthei der Samoaner unter sich bedeutende Beträge baaren Geldes ansammelt und anderseits die Samoaner auf die Manie verfallen sind, sich in dem Bau von Luxus-Ruderböten von colossalen Dimensionen zu überbieten, für welche sie im verflossenen Jahre, nach sorgfältiger Berechnung, über M. 400,000.- verwandt haben, welche ebenso, wie die Geldansammlung der Rebellen, dem WaarenGeschäfte entzogen wurden. (HSA-04) Wie schon oben in Abschnitt 5.6 angeführt, befinden sich die Akten der wichtigsten in der Südsee tätigen deutschen Firmen im Hamburger Staatsarchiv, die der NeuguineaCompagnie im Bundesarchiv in Berlin.

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    6.3. Adress- und Telefonbücher Von Interesse für die historisch-soziolinguistische Sprachkontaktforschung sind auch zeitgenössische Adress- und Telefonbücher wie etwa das Adressbuch von Paetel für die Südseekolonien (Abb. 32).

    Abb. 32: “Adressbuch für Deutsch-Neu-Guinea, Marshall-Inseln, Deutsch-Samoa, Kiautschou” (Paetel 1904) Für eine Untersuchung von Sprachenverhältnissen auf der Mikroebene bieten solche Verzeichnisse einen detaillierten Einblick in die Zusammensetzung der (nichtindigenen) Bevölkerung (s. Abb. 33).

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    Abb. 33: “Verzeichnis der im Schutzgebiet Samoa angesessenen hauptsaechlichsten Kaufleute, Pflanzer und Handwerker” (NAN-04)

    6.4. Bilder In einem gewissen Ausmaß bieten Bilder, insbesondere zeitgenössische Photographien, einen guten Einblick in das soziale Umfeld, in dem die Sprachkontaktphänomene entstanden sind.10 Insbesondere aus dem Schul- und Missionsbereich sind viele Photos verfügbar. Abb. 34 vermittelt – trotz der offensichtlich gestellten Situation eines Schülerstreichs – über die aufgehängten Unterrichtsmaterialien einen Eindruck von den verwendeten Lehrmethoden. Photographien dokumentieren auch den Wandel in der materiellen Kultur der Inseln – Bücher (Abb. 34), Lokomotiven (Abb. 35), Akkordeons (Abb. 36) –, der auf einen entsprechenden Wandel im Lexikon schließen lässt.

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    Den kritischen Umgang mit Photographien als historischen Quellen thematisiert Hartewig (2002).

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    Abb. 34: “Palau – vor Beginn des Unterrichts” (Raymund 1908)

    Abb. 35: Photographie aus den Phosphatminen Naurus (Elschner 1913)

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    Abb. 36: “Junge Leute von der Insel Ebon (Marshallinseln)” (Linckens ca. 1911)

    7. Bibliotheken und Archive 7.1. Allgemeine Universitätsbibliotheken Für Forschungen im Bereich der historischen Soziolinguistik und zum Sprachkontakt ist, wie dargestellt, umfangreiche Literatur zu sprachlichen wie nicht-sprachlichen Gegebenheiten relevant. Wenn diese Literatur in Buchform oder als Zeitschriftenbeitrag in Deutschland publiziert wurde, kann sie im Allgemeinen über die nationale Fernleihe beschafft werden. Auf Ausnahmen wird weiter unten noch hingewiesen. Neben den einschlägigen aktuellen linguistischen, soziolinguistischen, geschichtswissenschaftlichen und missionswissenschaftlichen Zeitschriften sind natürlich die Zeitschriften von Interesse, die während der Kolonialzeit erschienen sind oder einen speziellen Bezug zu der entsprechenden geographischen Region herstellen. Dazu gehören: A) Deutschsprachige Zeitschriften aus der Kolonialzeit zu politischen oder wirtschaftlichen Themen mit Kolonialbezug: Es handelt sich um eine recht große Anzahl von Zeitschriften, die zum Teil als Organe kolonialpolitischer Gesellschaften fungierten. Die Zeitschriften sind leicht zugängig. Beispiele: • • •

    Beiträge zur Kolonialpolitik und Kolonialwirtschaft Der Auslandsdeutsche. Halbmonatsschrift für Auslandsdeutschtum und Auslandskunde Deutsche Kolonialpost

    Quellen- und Dokumentenkunde der Koloniallinguistik

    • • • • • • • • • • • •

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    Deutsche Kolonialzeitung: Organ der Deutschen Kolonialgesellschaft Deutsches Kolonialblatt Jahresberichte über die Entwicklung der Deutschen Schutzgebiete Der Kolonialdeutsche Koloniale Monatsblätter Koloniale Rundschau: Zeitschrift für koloniale Länder-, Völker- und Staatenkunde Kolonial-Kursbericht Kolonialzeitung Mitteilungen aus den deutschen Schutzgebieten Mitteilungen von Forschungsreisenden und Gelehrten aus den deutschen Schutzgebieten Nachrichten über Kaiser-Wilhelmsland und den Bismarckarchipel [auch: Nachrichten aus Kaiser-Wilhelms-Land] Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft

    B) Deutschsprachige Zeitschriften aus der Kolonialzeit mit geographischer oder naturwissenschaftlicher Themensetzung: In solchen, v. a. geographischen Zeitschriften wurde in der Kolonialzeit viel zu den Kolonialgebieten publiziert. Auch diese Zeitschriften sind leicht zu beschaffen. Beispiele: • • • •

    Aus allen Welttheilen Das Ausland Globus Petermanns geographische Mitteilungen

    C) Deutschsprachige Zeitschriften aus der Kolonialzeit mit linguistischer oder anthropologischer Thematik: Die Zeitschriften gehören zu den bevorzugten Organen für deutsche Anthropologen und Sprachwissenschaftler, die in den Kolonien geforscht haben; sie sind leicht zugänglich. Beispiele: • • • • •

    Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins Zeitschrift für Afrikanische und Oceanische Sprachen Zeitschrift für Eingeborenensprachen Zeitschrift für Ethnologie Zeitschrift für Kolonialsprachen

    D) Deutschsprachige Zeitschriften, die in den Kolonien erschienen: Insbesondere im südpazifischen Raum sind nur wenige Periodika erschienen, die heute gewöhnlich nur in Form von Mikrofilmkopien beschafft werden können: • • •

    Amtsblatt für das Schutzgebiet Deutsch-Neuguinea Samoanisches Gouvernementsblatt Samoanische Zeitung

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    Stefan Engelberg

    E) Zeitschriften und Jahrbücher der Missionsgesellschaften: Die Missionsgesellschaften haben regelmäßig über ihre Tätigkeit in den Missionsgebieten berichtet. Die Berichte der deutschen Missionen sind in Deutschland im Allgemeinen über das Bibliothekssystem zu beschaffen; die Berichte der ausländischen Missionsgesellschaften sind über die nationale Fernleihe oft nicht zu erhalten. Beispiele: • • • •

    Hiltruper Monatshefte (Herz-Jesu-Mission) Jahresberichte über die Tätigkeit der Kapuziner der Rheinisch-Westfälischen Ordensprovinz in der Mission der Karolinen Kirchliche Mittheilungen aus, über und für Nord-Amerika [später: Kirchliche Mitteilungen aus und über Nord-Amerika, Australien und Neu-Guinea] (Neuendettelsauer Mission) The Missionary Herald (American Board of Commissioners for Foreign Missions)

    F) Zeitschriften, die thematisch mit dem südpazifischen Raum befasst sind: Beiträge in diesen meist englischsprachigen Zeitschriften enthalten oft interessante Artikel, die sich mit historischen Fragen, mit Aspekten des Kulturkontakts oder vereinzelt auch mit sprachlichen Fragen befassen. Die bekannteren wissenschaftlichen Zeitschriften darunter sind gut zugänglich, die auf den südpazifischen Inseln selbst publizierten sind zum Teil nur über die Auslandsfernleihe zu beschaffen. Beispiele: • • • • • • • • • • • • • • • • •

    The Contemporary Pacific: a journal of island affairs Guam Recorder Hawaiian Journal of History Isla: Journal of Micronesian Studies Journal of Pacific History The Journal of Pacific Studies Journal of the Polynesian Society Micronesian Reporter: the journal of Micronesia The Mid-Pacific Magazine Oceania Nova Guinea; contributions to botany, zoology, anthropology, ethnography, geology and paleontology of the Papuan region Pacific Islands Monthly: news magazine of the South Pacific Pacific Magazine Pacific Perspective Pacific Viewpoint: change, conflict, continuity South Pacific Journal of Mission Studies Western Samoa Gazette

    Relevante Publikationen in Buchform sind gewöhnlich über die deutsche Fernleihe zu bestellen. Schwierig ist die Beschaffung zum Teil bei Publikationen, die im südpazifischen Raum selbst erschienen sind und in deutschen Bibliotheken nicht vorhanden sind.

    Quellen- und Dokumentenkunde der Koloniallinguistik

    281

    Schwer zu erhalten sind oft auch die in großem Umfang, aber kleinen Auflagen erschienen Publikationen der kleinen Missionsdruckereien in den Missionsgebieten. Dazu gehören insbesondere religiöse Texte in den Sprachen des Missionsgebiets und Schulbücher für den Unterricht vor Ort, zum Teil auch Wörterbücher und Grammatiken. Diese Publikationen finden sich zwar in Missionsarchiven und in Bibliotheken mit Spezialsammelgebieten, sind aber nicht immer über Fernleihe zu beschaffen.

    7.2. Sondersammlungen in Bibliotheken Eine Reihe von Bibliotheken hat sich auf die Sammlung von Literatur zum ozeanischen Raum oder zum deutschen Kolonialismus spezialisiert. Da im Rahmen solcher Sammlungen oft auch unpublizierte Texte gesammelt werden, findet man hier Quellen, die möglicherweise in keiner anderen Institution verfügbar sind. Da wissenschaftliche Bibliotheken heutzutage meist über Online-Kataloge verfügen, sind die Bestände dieser Sammelgebiete meist gut zu erschließen. Nicht alles, was in diesen Katalogen verzeichnet ist, wird aber auch über Fernleihe verliehen, und selbst wenn es verliehen wird, kommen bei ausländischen Bibliotheken hohe Fernleihgebühren dazu. Zum Teil können Texte über den Vervielfältigungsservice der Bibliothek als Kopien bestellt werden. Auch das ist aber insbesondere bei ausländischen Bibliotheken äußerst kostspielig. Letztlich müssen die Sondersammelbestände solcher Bibliotheken also vor Ort gesichtet werden. Zu den Bibliotheken, die für Forschungen zum Sprachkontakt in den deutschen Kolonien im Pazifik interessant sind, gehören unter anderem die folgenden: CANBERRA, University Library – The Australian National University: In der Menzies Library der UB finden sich umfangreiche Bestände zu pazifischen Studien, insbesondere zu Papua-Neuguinea und Melanesien. Bibliothekshomepage: >http://anulib.anu.edu.au/lib_home.html< FRANKFURT, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg: Die Bibliothek verfügt im Rahmen ihres Sondersammelgebietes “Ozeanien” über umfangreiche Bestände an Literatur und unpublizierten Dokumenten unter anderem zu Sprachen, Geschichte und Ethnologie des südpazifischen Raums. In der UB Frankfurt befinden sich auch die Bibliothek der Deutschen Kolonialgesellschaft und das Koloniale Bildarchiv. Bibliothekshomepage: >http://www.ub.uni-frankfurt.de< Sondersammelgebiet Ozeanien: >http://www.ub.uni-frankfurt.de/ssg/ozeanien.html< Bibliothek Deutsche Kolonialgesellschaft: >http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/ frontdoor.php?source_opus=507< Koloniales Bildarchiv: >http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/Bildprojekt/ frames/hauptframe.html< HAMBURG, Bibliothek des Asien-Afrika-Instituts der Universität Hamburg: Das Institut ist der Nachfolger des Hamburger Kolonialinstituts. Es beinhaltet einen umfangrei-

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    Stefan Engelberg

    chen Bestand an linguistischer und anthropologischer Literatur zum südpazifischen Raum, die zum Teil in Deutschland ansonsten schwer zu beschaffen ist. Homepage des Instituts: >http://www.aai.uni-hamburg.de< HONOLULU, University of Hawai'i at Manoa Library: Die Hamilton Library der UB beherbergt die “Hawaiian and Pacific Collections”, eine der weltweit umfangreichsten Sammlungen zu den Inseln des Südpazifiks, die auch viele unpublizierte Manuskripte enthält und die über den Pacific Reading Room zugänglich ist. Bibliothekshomepage: >http://library.manoa.hawaii.edu< Hawaiian and Pacific Collections: >http://guides.library.manoa.hawaii.edu/content.php?pid=144607&sid=1229772< WELLINGTON, National Library of New Zealand/Te Puna Mātauranga o Aotearoa (Alexander Turnbull Library): Die neuseeländische Nationalbibliothek hat mit der “New Zealand and Pacific Book Collection” eine große Sammlung zum pazifischen Raum, unter anderem zu Sprachen und zur Geschichte. Zudem finden sich in der “Turnbull Library Manuscripts Collection” interessante Archivalien zur Geschichte des südpazifischen Raums. Bibliothekshomepage: >http://www.natlib.govt.nz< Es sei hier auch noch auf das Pacific Manuscripts Bureau in Canberra hingewiesen, eine Gemeinschaftseinrichtung verschiedener australischer, neuseeländischer und USamerikanischer Bibliotheken. CANBERRA, Pacific Manuscripts Bureau: Das “Pambu” erstellt Mikrofilme von Archivalien und seltenen Drucken mit Bezug zu den pazifischen Inseln, unter anderem auch von Grammatiken und Wörterbüchern. Kopien der Mikrofilme können bei Pambu bestellt werden. Pambu-Homepage: > http://asiapacific.anu.edu.au/pambu/index.html
    http://www.mkb.ch/de.html< BERLIN, Ethnologisches Museum / Museen Dahlem: Die Bibliothek hat einen Sammlungsschwerpunkt Südsee. Museumshomepage: >http://www.smb.museum/smb/sammlungen/details.php?objID =56&typeId=1< BREMEN, Übersee-Museum: Die Bibliothek verfügt auch über Bestände zur allgemeinen Kolonialgeschichte. Museumshomepage: >http://www.uebersee-museum.de/< DRESDEN, Museum für Völkerkunde: Die Bibliothek hat einen interessanten Bestand auch mit frühen Veröffentlichungen zu Ozeanien. Museumshomepage: >http://www.voelkerkunde-dresden.de/< HAMBURG, Museum für Völkerkunde: Die Museumsbibliothek verfügt über umfangreiche Bestände zu Ozeanien und zur Kolonialgeschichte. Sie beherbergt zudem einige interessante Archivalien. Museumshomepage: >www.voelkerkundemuseum.com< KÖLN, Rautenstrauch-Joest-Museum: Die Bibliothek hat einen umfangreichen Bestand zu Ozenanien. Museumshomepage: >http://www.museenkoeln.de/rautenstrauch-joest-museum/< LEIPZIG, Grassi-Museum für Völkerkunde: Die Museumsbibliothek hat ein Hauptsammelgebiet Ozeanistik. Museumshomepage: >http://www.mvl-grassimuseum.de/< WIEN, Museum für Völkerkunde: Die Wiener Museumsbibliothek hat einen Sammelschwerpunkt Ozeanien. Museumshomepage: >http://www.ethno-museum.ac.at/
    http://www.bundesarchiv.de/index.html.de< CANBERRA, National Archives of Australia: Von Interesse sind hier vor allem die Bestände zu Papua-Neuguinea (1883–1942). Archivhomepage: >http://www.naa.gov.au/index.aspx< HAMBURG, Hamburger Staatsarchiv: Hier finden sich unter anderem die Akten der wichtigsten im Südpazifik tätigen deutschen Firmen und die Akten des Deutschen Kolonialinstituts. Archivhomepage: >http://www.hamburg.de/staatsarchiv/
    http://archives.govt.nz/< Es sei angemerkt, dass Archive oft auch eine Bibliothek haben, die über einen eigenen Katalog zugänglich ist. Archivbibliotheken enthalten, ähnlich wie Bibliotheken mit Sondersammelgebieten, oft auch publizierte und unpublizierte Literatur, die auf anderem Wege nur schwer zu beschaffen ist. Anders als die Archivalien sind die Bibliotheksbestände der Archive gewöhnlich über einen eigenen (Online-)Katalog erschlossen. EXKURS: EINFÜHRENDES ZUR ARBEIT IN ARCHIVEN Die Archivalien einer Archivinstitution sind üblicherweise in Beständen organisiert. Ein Bestand ist eine Sammlung von zusammengehörigen Dokumenten, die dem Archiv zur Aufbewahrung und Nutzbarmachung übergeben wurde. Er kann etwa auf eine Organisation, ein Unternehmen oder eine Person bezogen sein, wie beispielsweise die Bestände “Professorenrat des Kolonialinstituts”, “Handels- u. Plantagen-Gesellschaft der Südseeinseln zu Hamburg” und “Carl v. Godeffroy” im Hamburger Staatsarchiv. Gemäß dem sogenannten Provenienzprinzip belassen Archive solche Bestände, die ja im gleichen Entstehungszusammenhang stehen, meist als geschlossene archivarische Einheiten. Eine erste Orientierung in einem Archiv erfolgt demnach anhand der Bestandsübersicht. Diese ist oft auch online über die Homepage des Archivs zugänglich. Um sich einen Bestand zu erschließen, benötigt man ein Findbuch, das eine Art Inhaltsverzeichnis darstellt, in dem auch die Bestellsignaturen verzeichnet sind. Zum Teil sind Findbücher online verfügbar, zum Teil sind sie in den Archiven in gedruckter Form oder, bei älteren Beständen, manchmal auch nur in handschriftlicher Form zugänglich. Dabei verzeichnen Findbücher einen Bestand gewöhnlich nicht hinab bis zum einzelnen Dokument. Die Archivguteinheiten, die man über die Findbuchsignatur bestellt, können aus einigen wenigen Dokumenten bestehen oder mehreren hundert. Sie können in geordneter Form vorliegen, vielleicht sogar mit einem Inhaltsverzeichnis versehen, oder als weitgehend ungeordnete Menge in einer Mappe oder einem Karton. Viele Archive haben Teile ihrer Bestände mikroverfilmt. In diesem Fall erhält man gewöhnlich die Mikrofilme und nicht die Originaldokumente zur Einsicht. Es gibt je nach Archiv unterschiedliche Möglichkeiten, Kopien von den Archivalien zu erhalten. Mikrofilmgeräte erlauben es im Idealfall, Kopien oder auch PDF-Dateien von einzelnen Mikrofilmseiten zu erstellen. In kleineren Archiven können Benutzer manchmal Photokopien von Originaldokumenten selber erstellen. Meist ist das aber nicht möglich. In diesem Fall muss man das Archiv oder eine mit dem Archiv zusammenarbeitende Firma beauftragen, Kopien herzustellen. Das ist gewöhnlich recht kostspielig.

    Quellen- und Dokumentenkunde der Koloniallinguistik

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    Zur Vorbereitung eines Archivbesuchs sollte man zumindest zweierlei tun, zum einen die online verfügbaren Bestandsübersichten und Findbücher sichten, zum anderen den Archivar bzw. die Archivarin per Email kontaktieren und die Forschungs- und Recherchefrage schildern. Man erhält so oft wichtige Informationen über relevante Bestände, insbesondere solche, die sich über die OnlineRecherche nicht so gut erschließen lassen. Zu bedenken ist auch, dass die Bereitstellung von Archivguteinheiten eine gewisse Vorlaufphase hat. Oft muss man die Archivalien bereits mehrere Stunden oder am Tag vorher bestellen. Bei einigen Archiven kann man das auch online bzw. per Email tun. Die Menge der pro Tag bestellbaren Archivalien ist manchmal beschränkt.11

    7.5. Missionsarchive Die Archive der Missionen, die in den früheren deutschen Kolonien tätig waren, enthalten oft eine Fülle an Archivalien, die für die Sprachkontaktforschung interessant sind, unter anderem unpublizierte Wörterbücher, Grammatiken, sprachwissenschaftliche Abhandlungen und Sprachlehrmaterialien, aber auch Texte in den indigenen Sprachen und die Korrespondenz der Missionare. Einige der Archive seien hier genannt: BOSTON, Library of the Board of Foreign Missions & Houghton Library (Harvard University): Das Archiv des American Board of Commissioners for Foreign Missions (= Boston Mission) befindet sich in der Library of the Board of Foreign Missions. Mikroverfilmte Kopien sind gut über die Houghton Library zugänglich. Bestandsübersicht an der Houghton Library: >http://oasis.lib.harvard.edu/oasis/deliver/ deepLink?_collection=oasis&uniqueId=hou01467< MÜNSTER, Provinzarchiv der Rheinisch-Westfälischen Kapuziner: Hier finden sich die Archivalien der Rheinisch-Westfälischen Kapuziner, die unter anderem auf den Karolinen tätig waren. Das Archiv ist unlängst von der Universitäts- und Landesbibliothek Münster übernommen worden. Kurzinformation der ULB Münster: >http://www.ulb.uni-muenster.de/sammlungen/ hist-bibl/kapuziner.html< NEUENDETTELSAU, Diakonie Neuendettelsau / Neuendettelsauer Mission: Das Archiv enthält die Archivalien der auf Neuguinea tätigen Mission. Archivhomepage: >http://www.diakonieneuendettelsau.de/de/diakonie-neuendettelsau/unser-profil/zentralarchiv-und-bibliothek/< WUPPERTAL, Archiv der Vereinigten Evangelischen Mission: Hier befinden sich die Bestände der Rheinischen Mission, die auf Neuguinea wirkte. Archivhomepage: >http://www.vemission.org/museumarchive/archive.html< 11

    In die Benutzung von Archiven führt Henning (2004: 4ff.) in kurzer Form ein. Ausführlicher leiten Brenner-Wilczek et al. (2006) und Burkhardt (2006) zur Arbeit in Archiven an.

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    Stefan Engelberg

    Literatur Archivalien, unpublizierte und schwer zugängliche Dokumente AAI-01 = Dempwolff, Otto [ca. 1936]: Grammar of the Graged Language. Narer, Karkar Island: Lutheran Mission. Duplicated. | Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg | Signatur: 10: B/11 4 007. AFM-01 = “Rev. Ph. A. Delaporte:, Eat Montag April 26 orre deimanu […]” [Brief von Jakob Aroi an Rev. Ph. A. Delaporte; Pleasant Island (Nauru), 7. Mai 1915]. | Houghton Library, Harvard University, Cambridge MA | Papers of the The American Board of Commissioners for Foreign Missions. ABC 19.4. Vol. 18, Part 2 Micronesia Mission 1910-1919 Documents Reports Letters | Unit 6, Reel 856. AFM-02 = “Dear Dr. Barton, Your letters of […]” [Brief von Jenny Olin an Dr. James L. Barton, Kusaie, Caroline Islands, 22. Juli 1909] | Houghton Library, Harvard University, Cambridge MA | Papers of the The American Board of Commissioners for Foreign Missions. ABC 19.4. Vol. 16 Micronesia Mission 1900-1909 Letters J - P | Unit 6, Reel 853. AFM-03 = “Dear Miss Lamson: The Germania sails shortly […]” [Brief von Jessie R. Hoppin an Miss Lamson; Jaluit, Marshall-Inseln,14. Juli 1914]. | Houghton Library, Harvard University, Cambridge MA | Papers of the The American Board of Commissioners for Foreign Missions. ABC 19.4. Vol. 18, Part 2 Micronesia Mission 1910-1919 Documents Reports Letters | Unit 6, Reel 856. ATL-01 = Dierks, Anna, 1856-1932 Tagebuch | National Library of New Zealand / Te Puna M&tauranga o Aotearoa (Alexander Turnbull Library), Manuscripts and Archive Section | MS-Papers6180. ATL-02 = “Militärpolitischer Bericht. Neu-Guinea Küste – Hermit- und Admiralitätsinseln” [verfasst von “Kommando S.M.S. Planet” (Labahn), Matupi, 26. Oktober 1906]. | National Library of New Zealand / Te Puna M&tauranga o Aotearoa (Alexander Turnbull Library), Manuscripts and Archive Section | South Seas – New Hebrides, Fiji, Solomon, Tonga, Society Islands, Fanning, Washington, New Guinea 1898-1920 | Micro-MS-Coll-09-257. ATL-03 = “Der Kaiserliche Bezirksamtmann in Seipan [sic!] (Marianen) hat im Interesse […]” [Brief des Könglichen Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten an den Königlichen Gesandten in Rom Herrn Freiherr von Rotenham, Berlin, 8. Dez. 1905]. | National Library of New Zealand / Te Puna M&tauranga o Aotearoa (Alexander Turnbull Library), Manuscripts and Archive Section | German embassies at Rome, Vatican - re Bismark Archipelago, Solomon, Samoa and Marshall Islands 1886-1914 | Micro-MS-Coll-09-259. ATL-04 = “Betrifft: Deutschtum auf den Gilbert-Inseln (Südsee) […]” [Bericht des RegierungsOberinspektors Schako der Reichsstelle für das Auswanderungswesen, “Im Entwurf gez. Schmidt, I.V. O. Müller”, Berlin, 11. Mai 1935]. | National Library of New Zealand / Te Puna M&tauranga o Aotearoa (Alexander Turnbull Library), Manuscripts and Archive Section | Files on German propaganda and culture in Australia 1887-1936 | Micro-MS-Coll-09-273. BAB-01 = “Bericht der Sitzung des Vorstandes der Deutschen Kolonialgesellschaft am 4. Juni 1903 im kleinen Festhalle-Saal zu Karlsruhe i. B.” [Berlin: Deutsche Kolonialgesellschaft 1903]. | Bundesarchiv, Berlin | R 8023 Deutsche Kolonialgesellschaft. 11 Forschung und Wissenschaft. R 8023 / 943. Sprachforschung in den deutschen Schutzgebieten. Juni 1903 - Dez. 1906. Aktenzeichen: Sp. 134. BAB-02 = “Hauptversammlung der Deutschen Kolonialgesellschaft in Dresden am 9. Juni 1909. Vorlage für Punkt 3 der Tagesordnung. Antrag der Abteilung Westliche Vororte Berlins.” | Bundesarchiv, Berlin | R 8023 Deutsche Kolonialgesellschaft. 11 Forschung und Wissenschaft. R 8023

    Quellen- und Dokumentenkunde der Koloniallinguistik

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    / 943. Sprachforschung in den deutschen Schutzgebieten. Juni 1903 – Dez. 1906. Aktenzeichen: Sp. 134. BMH-01 = [Patres der Mission]: Der erste Unterricht auf Jap. Freiburg im Breisgau: Herder 1909. | Bishop Museum, Library, Honolulu | Signatur: DU Pac. 350. HML-01 = Otto, Heide: Deutsches Lehngut im Samoanischen und Sprachunterricht auf Samoa zur deutschen Kolonialzeit. Magisterarbeit. Universität Hamburg 1989. | Hamilton Library, University of Hawaii, Honolulu | Signatur: PL6501.O88 1989a. HML-02 = “Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen der freien Hansestadt Bremen und dem Königreiche der Hawaii-Inseln” [unterzeichnet am 7. August 1851]. | Hamilton Library, University of Hawaii, Honolulu | Documents relating to Hawaii and the Pacific islands, ca. 17911868, in the Stadtbibliothek Bremen | Signatur: MICROFILM S01363. HML-03 = Buch in driañ ñea wañara buch Kristian n tsitan Gott / Nauru Evangl. Gesangbuch / Uebers. und hrsg. von Ph. A. Delaporte. Kusaie: Missionsdruckerei 1902. | Hamilton Library, University of Hawaii, Honolulu | Signatur: MICROFILM S01565 item 152. HML-04 = Bibel ñaran aen Gott ñarana Testament Õbwe me Testament. Etsimeduw õanãn. Bain õkor etaramawir. Translation by Philip A. Delaporte. New York: American Bible Society, 1918. | Hamilton Library, University of Hawaii, Honolulu | MICROFILM S01565 item 160. HML-05 = [Delaporte, Philip A.]: Themabüchlein 1913 für den Jugendbund auf Nauru. Nauru: Missions-Druckerei, [1912 ?]. | Hamilton Library, University of Hawaii, Honolulu | MICROFILM S01565 item 159. HML-06 = [Delaporte, Philip A.]: Buch n lesen n kakairûn Nauru. Nauru, Typescript, 1900. | Hamilton Library, University of Hawaii, Honolulu | MICROFILM S01565 item 151. HML-07 = Roszel, Richard J.: Palauan-English Dictionary. Typescript. [Koror 1958]. | Hamilton Library, University of Hawaii, Honolulu | Signatur: PL5434.Z5 R6. HSA-01 = “Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen vom 15. Oktober 1913 bis 15. März 1914”. | Hamburger Staatsarchiv | Bestandsnummer: 364-7 Professorenrat des Kolonialinstituts. Archivguteinheit E IX 11 1: Vorlesungen im Wintersemester 1913/14. HSA-02 = “Jaluit-Gesellschaft. Jahres-Bericht für 1889, vorgelegt in der ordentlichen Generalversammlung am 12. August 1890.” | Hamburger Staatsarchiv | Bestandsnummer 621-1/18: JaluitGesellschaft. Archivguteinheit 3: Gedruckte Jahresberichte, 1889-1913. HSA-03 = “Jaluit-Gesellschaft. Jahres-Bericht für 1901, vorgelegt in der dreizehnten ordentlichen Generalversammlung am 15. Juli 1902.” | Hamburger Staatsarchiv | Bestandsnummer 621-1/18: Jaluit-Gesellschaft. Archivguteinheit 3: Gedruckte Jahresberichte, 1889-1913. HSA-04 = “Bericht der Deutschen Handels- und Plantagen-Gesellschaft der Südsee-Inseln zu Hamburg über das Geschäftsjahr 1895”. | Staatsarchiv Hamburg | Bestand 621-1/14 Handels- u. Plantagen-Gesellschaft der Südseeinseln zu Hamburg. Archivguteinheit 4 I: Hektographierte Geschäftsberichte des Vorstandes an den Aufsichtsrat für die Jahre 1889 – 1898. NAN-01 = “Tusi Tofiga” [14. 8. 1903; mit Anmerkung der Registratur]. | Archives New Zealand / Te Rua Mahara o te K&wanatanga | Archives of the German Colonial Administration 1900-1914. Series 2. Secretariat: New Series. XVII-A. Administration of Native Affairs. General. 3. Land and Titles Commission. 1. 1903-10. Microfilm 5776. NAN-02 = [Brief eines Pflanzers an den Gouverneur von Samoa; beim Gouverneur eingegangen am 22.4.1905; Anfang des Briefs fehlt]. | Archives New Zealand / Te Rua Mahara o te K&wanatanga | Archives of the German Colonial Administration 1900-1914. Series 2. Secretariat: New Series. XVII-A. Administration of Native Affairs. General. 5. Molestations of foreigners by Samoans. 1. 1903-05 | Microfilm 5776-7. NAN-03 = Rundschreiben an die Missionen des Schutzgebiets. Samoanisches Gouvernements-Blatt, Bd. III, No. 9, 15. Juni 1901. | Archives New Zealand / Te Rua Mahara o te K&wanatanga | Ar-

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    Stefan Engelberg

    chives of the German Colonial Administration 1900-1914. Series 3. Secretariat: Miscellaneous. 5. Government Gazette (Gouvernement-Blatt), 1900-1914. Two sets and oddments | Microfilm 5948. NAN-04 = “Verzeichnis der im Schutzgebiet Samoa angesessenen hauptsaechlichsten Kaufleute, Pflanzer und Handwerker.” [Gouvernements-Stempel vom 7.9.1903]. | Archives New Zealand / Te Rua Mahara o te K&wanatanga | Archives of the German Colonial Administration 1900-1914. Series 2. Secretariat: New Series. IV. Administration, Office and Chancery Matters. 5c. Annual report, 1902/03. 1. 1903 | Microfilm 5726-7. NAN-05 = Gerichtsverfahren John F[…] gegen V. H[…], Bezirksgericht Apia 1912. | Archives New Zealand / Te Rua Mahara o te K&wanatanga | Archives of the British Military Occupation, 19141920. Series 4. High Court Case Files and Administration Records (1889-1920). K. Private Cases: inheritance, guardianship, forgery, insult, slander, drunkenness, assault, maintenance, also political agitation by Chinese, 1912, 1900-1920. | Box 63. Folder K 01/12 – 06/12. NLA-01 = “Werthester Herr Redakteur! Auf Erwiderung Ihres Artikels […]” [Leserbrief an die Samoanische Zeitung], Samoanische Zeitung vom 25. Mai 1901. | Nelson Library, Apia, Samoa. [Mikrofilmausgabe: Institut für Zeitungsforschung, Dortmund | ZDB-ID: 972658-5]. NLA-02 = “Herr Editor! Ich bin schon ae long teim […]” [Leserbrief von “Dobbeljuh Schuhflicker” an die Samoanische Zeitung], Samoanische Zeitung vom 16. Dezember 1901. | Nelson Library, Apia, Samoa. [Mikrofilmausgabe: Institut für Zeitungsforschung, Dortmund | ZDB-ID: 972658-5]. NLA-03 = [anonym]: Pidgin-Englisch [Artikel in der Samoanischen Zeitung] Samoanische Zeitung vom 26. Juli 1913. | Nelson Library, Apia, Samoa. [Mikrofilmausgabe: Institut für Zeitungsforschung, Dortmund | ZDB-ID: 972658-5]. PMB-01 = “Administration of Nauru. Report of the Director of Education for the Year 1938. Appendix B. Administration of Nauru. Circular of Information. Nauruan Language Committee. Official Adoption of Report and Recommendations. (vide Government Gazette No 47, 5/11/38.)”. | Pacific Manuscripts Bureau, Menzies Library, Australian National University, Canberra | William Charles GROVES (1898-1967): Papers relating to education in Papua New Guinea and Nauru, 1922-1962. Box 4: Nauru. File 5, Pts.A-Z, A1-J1: Annual Education Reports, 1937-1939, 1950. | Microfilm PMB 1164, Reel 5. VEM-01= “Liturgie” [auf Anjam]. | Archiv- und Museumsstiftung der Vereinigten Evangelischen Mission, Wuppertal | Bestand Rheinische Mission | RMG 2.154. VEM-02 = “Bericht über das erste Sprachexamen dea [sic!] Bruder George in Ragetta […]” [Brief von A. Hanke an den Missionsinspektor E. Kriele, Bongu, 21. Juni 1912]. | Archiv- und Museumsstiftung der Vereinigten Evangelischen Mission, Wuppertal | Bestand Rheinische Mission | RMG 2.149. Hanke, August.

    Publizierte Literatur Abo, Takaji; Bender, Byron W.; Capelle, Alfred & DeBrum, Tony (1976): Marshallese-English dictionary. Honolulu: University Press of Hawaii. [anonym] (1907): Missionstätigkeit im Jahre 1906. – Jahresbericht über die Tätigkeit der Kapuziner der Rheinisch-Westfälischen Ordensprovinz in der Mission der Karolinen. 1906. Saarlouis: Hausen & Co., 14–23. [anonym] (1908): Palau – vor Beginn des Unterrichts. Photographie, in: Raymund, [P.] (1908): Kaisersgeburtstagsfeier auf Palau. Müller, [P.] Kilian (Hg.): Bericht über die Missionen der rhein.-westf. Kapuziner-Ordensprovinz auf den Karolinen-, Marianen- und Palau-Inseln. Limburg: Limburger Vereinsdruckerei, 32–35. (S. 35).

    Quellen- und Dokumentenkunde der Koloniallinguistik

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    [anonym] (ca. 1911): Junge Leute von der Insel Ebon (Marshallinseln). Photographie, in: Linckens, [P.] H. (1911 [ca.]): Auf den Marshall-Inseln (Deutsche Südsee). Land und Leute. Katholische Missionstätigkeit. Hiltrup: Herz-Jesu-Missionshaus. [anonym] (1913): Hochgradiges Phosphat. Photographie, in: Elschner, Carl [?]: Corallogene Phosphat-Inseln Austral-Oceaniens und ihre Produkte. Beitrag zur Kenntnis der Korallen-Inseln Austral-Oceaniens, unter besonderer Berücksichtigung Naurus, eines Repräsentanten dolomitisierter und phosphatisierter gehobener Atolle. Für Phosphat- und Superphosphat-Interessenten, Geologen, Chemiker und Forschungsreisende. Lübeck: Verlag Max Schmidt. (S. 42). Arnold, Klaus (2007): Der wissenschaftliche Umgang mit den Quellen, in: Goertz, Hans-Jürgen (Hg.): Geschichte. Ein Grundkurs. 3., revidierte und erweiterte Ausgabe. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 48–65. Behrmann, Walter (1917): Der Sepik (Kaiserin-Augusta-Fluss) und sein Stromgebiet. Geographischer Bericht der Kaiserin-Augusta-Fluss-Expedition 1912–13 auf der Insel Neuguinea, in: Mitteilungen aus den Deutschen Schutzgebieten, Ergänzungsheft 12, 1–100. Berges, Phillip (1920): Rund um den Erdball. Die letzte deutsche Weltreise vor dem Weltkriege. Hamburg: Glogau. Bernheim, Ernst (1894): Lehrbuch der Historischen Methode. Mit Nachweis der wichtigsten Quellen und Hilfsmittel zum Studium der Geschichte. Zweite, völlig durchgearbeitete und vermehrte Auflage. Leipzig: Verlag von Duncker & Humblot. Brandt, Ahasver von (2007): Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften. 15. Auflage. Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer. Brenner-Wilczek, Sabine; Cepl-Kaufmann, Gertrude & Plassmann, Max (2006): Einführung in die moderne Archivarbeit. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Burkhardt, Martin (2006): Arbeiten im Archiv. Praktischer Leitfaden für Historiker und andere Nutzer. Paderborn, München, Wien, Zürich: Ferdinand Schöningh. Chamisso, Adelbert von (1909): Reise um die Welt mit der Romanzoffischen Entdeckungs-Expedition in den Jahren 1815–1818 auf der Brigg Rurik, Kapitän Otto v. Kotzebue. Zweiter Teil: Anhang. Bemerkungen und Ansichten, in: Tardel, Hermann (Hg.), Chamissos Werke. Bd. Dritter Band. Leipzig, Wien: Bibliographisches Institut, 329–508. Central Intelligence Agency (2002): Oceania (Reference Map). – Perry-Castañeda Library Map Collection. The University of Texas at Austin. Online am 7.10.2011: >http://www.lib.utexas.edu/ maps/australia/oceania_ref02.jpghttp://www.als.asn.au/proceedings/als2005.htmlhttp://wold.livingsources.org/http://www.lel.ed.ac.uk /~pgc/archive/2006/2006knooihuizen.pdf