»Sozialistisch arbeiten, lernen und leben«: Die Brigadebewegung in der DDR (1959-1989) 9783412214005, 9783412205416

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»Sozialistisch arbeiten, lernen und leben«: Die Brigadebewegung in der DDR (1959-1989)
 9783412214005, 9783412205416

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Thomas Reichel

»Sozialistisch arbeiten, lernen und leben« Die Brigadebewegung in der DDR (1959–1989)

2011 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Walter Dötsch: Brigade Mamai – Schmelzer Nationalpreisträger Hübner hilft seinen Kollegen, 1961, (Öl auf Hartfaser, 125 x 203 cm), Eigentum des Landes Sachsen-Anhalt.

© 2011 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20541-6

Inhalt

Vorwort ................................................................................................................................... 7 Einleitung................................................................................................................................ 9 1. Thema und Fragestellung............................................................................................ 9 2. Forschungsstand und Quellen.................................................................................. 14 3. Begriffsklärung und Kapitelgliederung................................................................... 24 I.

Zur Einordnung und Vorgeschichte der sozialistischen Brigadebewegung.... 29 1. Sozialistischer Wettbewerb, Brigaden und Kollektivauszeichnungen (Überblick) ............................................................................. 29 2. Die Entwicklung der Arbeitsbrigaden bis 1958............................................ 38

II. Die Inszenierung der Kampagne und die Reaktionen der Arbeiterschaft ...... 53 1. Die Inszenierung der Kampagne ...................................................................... 53 2. Die BdsA-Kampagne im Betriebsalltag – Reaktionen der Arbeiterschaft....................................................................................................... 72 3. Die ersten ausgezeichneten „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ .........102 4. Zusammenfassung .............................................................................................119 III. Die „Syndikalismus“-Affäre (1960/61): „Jugoslawische Verhältnisse“ oder „mangelnder Anschein innerbetrieblicher Demokratie“?.......................123 1. Interne Reformdiskussionen und öffentliche Forderungen nach mehr Rechten für die BdsA.............................................................................123 2. „Wenn das so durchgeführt wird, können wir die sozialistische Leitung liquidieren.“ – Die Betonköpfe schlagen zu .................................130 3. Potsdamer Illusionen: Die BdsA als Motor für ein sozialistisches Reformprogramm..............................................................................................133 4. Ulbrichts „Syndikalismus“-Verdikt...............................................................136 5. „Syndikalistische“ Erscheinungen in den Betrieben?.................................144 6. Kampf gegen „Syndikalismus“ und „Reformismus“ ..................................148 7. Zum Einfluss westdeutscher Medien auf die „Syndikalismus“-Affäre...154 8. Zusammenfassung .............................................................................................156 IV. Die Entwicklung der sozialistischen Brigadebewegung in den 1960er Jahren.............................................................................................................161 1. Stagnation und Rückgang bis Mitte der sechziger Jahre ...........................161

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Inhalt

2. Partielle Neuausrichtung der sozialistischen Brigaden im Kontext des NÖS...............................................................................................................184 3. Neuer Aufschwung mit langem Anlauf – die sozialistischen Brigaden in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre .......................................198 4. Zusammenfassung .............................................................................................219 V. Es geht seinen sozialistischen Gang – Die Brigaden in der Ära Honecker...221 1. Blendende Statistik durch veränderte Wettbewerbs- und Auszeichnungsmodi..........................................................................................221 2. Zwischen Popularisierung der „höchsten Form des sozialistischen Wettbewerbs“ und Kritik an „gewissem Zahlenfetischismus“ ................229 3. Die betriebliche Realität des Brigadewettbewerbs in den 1970/80er Jahren...............................................................................................233 4. „Sozialistisch lernen“ ab den 1970er Jahren: Die „Schulen der sozialistischen Arbeit“ ...............................................................................255 5. „Die sozialistische Menschengemeinschaft wird auch hier Schritt für Schritt Wirklichkeit.“ – Patenbrigaden am Beispiel des Eisenhüttenkombinates Ost ...........................................................................266 6. Noch ein Titel: „Kollektiv der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“...275 7. Wirkung und Akzeptanz der sozialistischen Brigadebewegung im Spiegel der DDR-Sozialforschung ...........................................................278 8. Zusammenfassung .............................................................................................284 VI. Jugendbrigaden: Die Arbeiterjugend als Avantgarde der Brigadebewegung? .............................................................................................287 1. Zur Entwicklung der Jugendbrigaden bis Ende der 1960er Jahre...........287 2. Hochfliegende Pläne: Jugendbrigaden als Instrument zur „klassenmäßigen Erziehung“ und Mobilisierung der Arbeiterjugend....289 3. Zur Realität der Jugendbrigaden auf betrieblicher Ebene und in empirischen Studien im letzten Jahrzehnt der DDR.................................294 VII. Die „Kollektivierung“ der Gesellschaft – Brigaden, Arbeiterschaft und die Gesellschaft in der DDR (Schlussbetrachtung)...................................317 Textanhang.........................................................................................................................333 Tabellenanhang .................................................................................................................339 Quellen- und Literaturverzeichnis.................................................................................371 Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................................389

Vorwort

Die vorliegende Studie geht auf mein von der DFG gefördertes Promotionsprojekt (1998–2001) im Zusammenhang der Arbeitsgruppe „Herrschaft und EigenSinn in der Diktatur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte der DDR“ am Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam zurück. Es handelt sich um meine Dissertation, die ich im November 2008 an der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam eingereicht und im Mai 2009 erfolgreich verteidigt habe. Das Manuskript wurde für diese Veröffentlichung gekürzt und leicht überarbeitet. Mein Dank für Hilfe und Unterstützung gebührt vielen Menschen und Institutionen. An erster Stelle zu nennen ist Prof. em. Dr. Christoph Kleßmann, der diese Arbeit betreut und zur letztlich erfolgreichen Fertigstellung mit seinem beharrlichen, freundlich-kritischen Zuspruch nicht unwesentlich beigetragen hat. Prof. Dr. Thomas Lindenberger danke ich stellvertretend für die anregende Arbeitsatmosphäre in der von ihm geleiteten Projketgruppe am ZZF. Sehr hilfreich war auch ein halbjähriges Forschungsstipendium am Institut für Europäische Geschichte in Mainz (2001), das mir Gelegenheit bot, mehrere Kapitel meines Manuskripts niederzuschreiben. Das umfangreiche Quellenmaterial hätte ich ohne die kompetente Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diverser Archive und Bibliotheken, insbesondere des Bundesarchivs Abt. SAPMO und des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, kaum bewältigen können. Einbeziehen möchte ich hierin ausdrücklich die Kolleginnen und Kollegen des EKO-Archivs (Eisenhüttenstadt) sowie des Industriemuseums Brandenburg an der Havel (SWB-Archiv) unter der Leitung von Dr. Sieglinde von Treskow. Für die Finanzierung des Drucks bedanke ich mich beim ZZF Potsdam und seinem Direktor, Prof. Dr. Martin Sabrow ebenso wie bei Waltraud Peters für die akribische Durchsicht und Einrichtung meines Manuskripts für die Drucklegung. Die tiefste Dankbarkeit empfinde ich gegenüber meiner Familie, deren vielfältige Unterstützung mir die Kraft gegeben hat, diese Arbeit zu vollenden. Euch ist dieses Buch gewidmet! Thomas Reichel

Brandenburg an der Havel, im Februar 2011

Einleitung

1. Thema und Fragestellung Thema Laut offizieller DDR-Statistik nahmen 1988 ca. 5,5 Millionen „Werktätige“ am Wettbewerb um den Titel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ teil. Das entspricht einem Anteil von etwa 75 Prozent der Arbeiter und Angestellten.1 Wenn man bedenkt, dass sich bereits in den 1950er Jahren Hunderttausende und ab 1960 weit mehr als eine Million jährlich am Brigadewettbewerb beteiligten, so kann man ohne Übertreibung davon sprechen, dass ein Großteil der DDRBevölkerung über Jahre, nicht selten Jahrzehnte, einer solchen Brigade angehörte. Die Vermutung liegt nahe, dass dies Spuren hinterlassen hat – sowohl bei den Menschen als auch an der Institution. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch die Geschichtswissenschaft auf sie aufmerksam wurde und die Brigaden in den 1990er Jahren als vielversprechenden Forschungsgegenstand identifizierte.2 Sie wären, so die Vermutung, angesiedelt am untersten Ende der Hierarchie in den Betrieben, an der Nahtstelle zwischen dem Herrschaftsapparat von SED, staatlicher Leitung und FDGB einerseits und der Arbeiterschaft andererseits, ein lohnendes Untersuchungsobjekt. Die Brigaden scheinen also besonders geeignet, das Spannungsverhältnis zwischen totalem Herrschafts- und Gestaltungsanspruch der SED, dessen Reichweite respektive Grenzen im betrieblichen Alltag einerseits und dem eigen-sinnigen Umgang der Beschäftigten mit den machtpolitisch gesetzten Strukturen und Vorgaben andererseits zu erhellen.3 Dies gilt umso mehr, da die Brigaden ab 1959 nicht mehr nur 1

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Für die exakte Zahl der Wettbewerbsteilnehmer siehe Tabelle 1 (wie alle Tabellen) im Anhang. Die Zahl der Arbeiter und Angestellten betrug 1988 7,6 Millionen, davon 6,87 Millionen in VEB. Je nachdem mit welcher der beiden Zahlen man rechnet, kommt man auf 72,4 bzw. 80,1 Prozent. Steiner u. a., Statistische Übersichten, S. 151. So z. B. bei Jörg Roesler, Die Produktionsbrigaden in der Industrie der DDR. Zentrum der Arbeitswelt? In: Kaelble u. a. (Hg.), Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 144–170; Peter Hübner, Konsens, Konflikt und Kompromiss: soziale Arbeiterinteressen und Sozialpolitik in der SBZ/DDR 1945–1970, Berlin, 1995; Christoph Kleßmann, Die „verstaatlichte Arbeiterbewegung“. Überlegungen zur Sozialgeschichte der Arbeiterschaft in der DDR, in: Karsten Rudolph/Christl Wickert (Hg.), Geschichte als Möglichkeit. Über die Chancen von Demokratie, Essen 1995, S. 108–119. Auf Begriff und Konzept des „Eigen-Sinns“ komme ich unten noch zurück.

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Einleitung

auf sozialistische Weise arbeiten, sondern auch noch „sozialistisch lernen und leben“ sollten. Ab Ende der 1960er Jahre wurde dieses weit über die Arbeitswelt hinausgreifende gesellschaftspolitische Vorhaben auf nahezu alle „Werktätigen“, d. h. auch auf die Beschäftigten außerhalb der Industrie, bspw. im Dienstleistungssektor sowie im Gesundheits- und im Bildungswesen, ausgedehnt. So kommt die eingangs genannte enorme Zahl der Teilnehmer am Kollektivwettbewerb in den 1980er Jahren zustande. Das spezielle Interesse für die Brigaden korrespondiert mit dem herausragenden Stellenwert, welcher der Arbeitswelt und den Betrieben im geschichtswissenschaftlichen Diskurs über die Erforschung der DDR zugeschrieben wird: „Betriebszentriertheit“ habe, im Unterschied zur Bundesrepublik, den DDR-Alltag gekennzeichnet.4 Oder anders formuliert: Den „vielleicht (…) wichtigsten Vergesellschaftungskern“ in dieser „Arbeitsgesellschaft“ hätten die Betriebe dargestellt.5 Eben diese Arbeitswelt, die Betriebe und insbesondere die „sozialistischen Brigaden“, einschließlich des Versuchs, ihren Einfluss in weitere Bereiche der Gesellschaft und die Privatsphäre ihrer Mitglieder hinein auszudehnen, sind das Thema dieser Studie. Damit will diese Arbeit einen Beitrag vor allem zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterschaft und darüber hinaus zu einer umfassenderen Gesellschaftsgeschichte der DDR leisten. Die Begrenzung des Untersuchungszeitraumes (1959 bis 1989) ergibt sich aus der Tatsache, dass die Kampagne zur Bildung „sozialistischer Brigaden“ im Januar 1959 beginnt. Ihr Ende findet die „Brigadebewegung“ – und damit auch diese Studie – zusammen mit dem gesamten „sozialistischen Wettbewerb“ in der friedlichen Revolution und dem Zusammenbruch des SED-Regimes im Herbst 1989.

Fragestellung Die Fragen, denen in dieser Arbeit nachgegangen werde soll, stehen primär im Zusammenhang mit den drei Komponenten des programmatischen Mottos der „sozialistischen Brigaden“: dem „sozialistischen Arbeiten“, dem „sozialistischen Lernen“ und dem „sozialistischen Leben“. Ausgangspunkt ist sozusagen das Kerngeschäft, die eigentliche (Produktions-) Arbeit im Betrieb und – eng damit verknüpft – die Stellung sowie die Einfluss4 5

Hartmut Kaelble, Die Gesellschaft der DDR im internationalen Vergleich, in: Kaelble u. a. (Hg.), Sozialgeschichte der DDR, S. 559–580, hier S. 563. Martin Kohli, Die DDR als Arbeitsgesellschaft? Arbeit, Lebenslauf und soziale Differenzierung, in: Kaelble u. a. (Hg.), Sozialgeschichte der DDR, S. 31–61, hier S. 34. Den neuesten Stand dazu bietet Peter Hübner, Betriebe als Träger der Sozialpolitik, betriebliche Sozialpolitik, in: Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 9, S. 721ff.

Einleitung

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möglichkeiten der Brigaden innerhalb der betrieblichen Hierarchie. Für die fünfziger Jahre hat Jörg Roesler Kompetenzstreitigkeiten zwischen Brigadier und Meister konstatiert, mit der Tendenz einer Schwächung der traditionell starken Position der Meister zugunsten der Brigaden und ihrer teilweise gewählten Leiter.6 Hielt diese Rivalität auch in der Phase der „sozialistischen Brigaden“ an, hatten die Brigadiers in den 1970/80er Jahren noch eine ähnlich starke Position und wurden sie dann immer noch gewählt? Findet man das Aushandeln von Brigadeverträgen, in denen auch die Betriebsleitungen gegenüber den Brigaden bestimmte Verpflichtungen eingingen, nur in den Fünfzigern oder auch noch in späteren Jahrzehnten wieder? Lassen sich Aussagen über die Binnenstruktur der Brigaden treffen? Gab es mehr oder weniger typische Rollen innerhalb der Kollektive und welche Positionen nahmen die Basisfunktionäre von SED und FDGB dabei ein? Sind spezifische Verhaltens- und Konfliktmuster erkennbar, anhand derer bestimmte Typen von Brigaden unterschieden werden können? Welche Rolle spielten die Brigaden in Arbeitskonflikten, die es im Laufe der Jahrzehnte immer wieder gegeben hat? Bestätigt sich die verbreitete Annahme, dass die Arbeiter, nicht zuletzt über die Brigaden, im zähen Ringen um Normen und Löhne langfristig zumindest ein Patt erreichen konnten und damit die Produktivitätsentwicklung mehr oder weniger massiv gebremst haben?7 Ist es in diesem Zusammenhang berechtigt, eine grundsätzlich ablehnende Haltung der Arbeiterschaft als einen Hauptgrund für das Scheitern der Wirtschaftsreform in den 1960er Jahren zu unterstellen? Für die fünfziger Jahre und insbesondere im Zusammenhang der „Syndikalismus“-Affäre (1960/61) ist von einer Entwicklung der Brigaden in Richtung einer „quasigewerkschaftlichen Interessenvertretung“ (Peter Hübner) die Rede. Wie stark ausgeprägt und wie verbreitet war dieses Phänomen tatsächlich und welchen Anteil hatten die Arbeiter selber daran? Wie ist es für den gesamten Untersuchungszeitraum um die Frage der Partizipation der Beschäftigten mit Hilfe der Institution Brigade bestellt? Bislang wenig Beachtung gefunden hat der Aspekt des „sozialistischen Lernens“ im Kontext der „Brigadebewegung“. Anzunehmen ist, dass die damit verbundenen Chancen der beruflichen Qualifizierung und des Aufstiegs auf positive Resonanz stießen. In welchem Maße ist es SED und FDGB gelungen, zugleich die beabsich-

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Jörg Roesler, Probleme des Brigadealltags. Arbeitsverhältnisse und Arbeitsklima in volkseigenen Betrieben 1950–1989, in: APuZ B38 (1997), S. 3–17, hier S. 8. Diese These vertritt (sinngemäß) u. a.: Jeffrey Kopstein, Chipping away at the state. Workers resistance and the demise of East Germany, World Politics 48 (1996), S. 391– 423.

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tigte ideologische Massenschulung und Indoktrination mittels der Brigaden zu realisieren? Schließlich das „sozialistische Leben“, als das vielleicht interessanteste der drei Leitthemen für die „Brigadebewegung“: Wie weit reichte der Einfluss der Brigaden wirklich in das Privatleben ihrer Mitglieder hinein und in welchen konkreten Formen fand dies statt? Oder war es doch eher umgekehrt, dass die Beschäftigten mit ihren privaten Interessen das „sozialistische Leben“ ihrer Brigaden selber prägten? Welche Früchte trugen die damit verbundenen Bemühungen, das „kulturelle Niveau“ der „Werktätigen“ zu heben? Wie war es um die Ausstrahlung der „sozialistischen Brigaden“ in andere Bereiche der Gesellschaft bestellt? Leisteten sie als Patenbrigaden den von SED und FDGB erhofften Beitrag zur sozialistischen Erziehung der Schuljugend im Sinne der „Arbeiter- und Bauermacht“? Von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung war zweifellos die sukzessive Ausdehnung des Kollektivwettbewerbs, weit über die Industriearbeiterschaft hinaus. Hier knüpfen generellere Fragen zur Entwicklung und Bewertung der „sozialistischen Brigadebewegung“ an: In welchem Maße ist es letztlich gelungen, die mit der von „oben“ inszenierten und gesteuerten Kampagne verbundenen Intentionen durchzusetzen? Oder überwog am Ende doch das Moment der „eigen-sinnigen“ Aneignung und Umnutzung der Brigaden von „unten“ durch die Beschäftigten? Haben sich Rolle und Funktion(en) der Brigaden in den Betrieben und in der Gesellschaft der DDR über die Jahrzehnte verändert? Lässt sich Jörg Roeslers Frage, warum den Brigaden eine so lange Existenz beschieden war, wirklich schlüssig mit ihrer „Feminisierung“ beantworten?8 Worin bestand der spezifische Beitrag, die besondere Rolle der „sozialistischen Brigaden“ in der Entwicklung der DDR? Schließlich kann aus der Perspektive dieser Studie zu den „sozialistischen Brigaden“, die, wie bereits erwähnt, über die Arbeiterschaft hinaus weite Teile der Gesellschaft tangierten, die Erklärungskraft genereller Thesen und Konzepte zur Geschichte der DDR, wie etwa Sigrid Meuschels „stillgestellte“9 oder Jürgen Kockas „durchherrschte“ Gesellschaft diskutiert werden.10 Ist ein differenziertes Bild 8 9 10

Schüle, „Die Spinne“, S. 249. Sigrid Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft. Zum Paradox von Stabilität und Revolution in der DDR 1945–1989, Frankfurt a. M. 1992, S. 10. Jürgen Kocka, Eine durchherrschte Gesellschaft, in: Kaelble u. a. (Hg.), Sozialgeschichte der DDR. Stuttgart 1994, S. 547–553. Eingeführt hat den Begriff „durchherrscht“ Alf Lüdtke („Helden der Arbeit“ – Mühen beim Arbeiten. Zur missmutigen Loyalität von Industriearbeitern in der DDR, in: Kaelble u. a. (Hg.), Sozialgeschichte der DDR, S. 188– 213, hier S. 188). Diesen erläutert und diskutiert er in einem späteren Aufsatz nochmals ausführlich: Alf Lüdtke, Die DDR als Geschichte. Zur Geschichtsschreibung über die DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 36/1998, S. 3–16. Eine Reihe interessanter Beiträge zur Diskussion um das Verhältnis von Staat und Gesellschaft in der DDR enthält

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der „Arbeitsgesellschaft“ DDR das Ziel, muss die Verbindung zwischen dem permanenten Drang des SED-Regimes nach „Durchherrschung“ und der tatsächlichen Alltagspraxis der Vielen aufgedeckt werden.11 Anhand der „Brigadebewegung“ kann in einigen Punkten auch überprüft werden, wie stark der Einfluss der Sowjetunion auf die innere Entwicklung der DDR über die Gründungsphase hinaus ausgeprägt war und sich in seinen Formen möglicherweise gewandelt hat. Am konkreten Gegenstand der „sozialistischen Brigaden“ kann auch das Funktionieren des Herrschaftsapparates in seiner Politik gegenüber den „Werktätigen“, einschließlich des Verhältnisses zwischen der SEDMachtzentrale und dem FDGB als größter und wichtigster Massenorganisation in der DDR nachvollzogen werden. Welche Muster und Veränderungen sind bezüglich der Herrschaftspraxis im Verlaufe der Jahrzehnte erkennbar? Methodisch erscheint es bei diesem Gegenstand sinnvoll, „Herrschaft als soziale Praxis“ (Alf Lüdtke) zu begreifen und zu analysieren.12 Demnach funktioniert Herrschaft nicht als Einbahnstraße, sondern als ein Verhältnis „wechselseitiger Abhängigkeit“ zwischen Herrschern und Beherrschten, das nicht auf „die Logik des Befehlens und Gehorchens reduziert“ werden kann.13 Dazu passt die Verwendung des Eigen-Sinn-Paradigmas,14 bei dem es im Kern um die „Aneignung und Deutung von Herrschaftsstrukturen durch die handelnden Individuen“ geht, die sich letztlich in einem vielgestaltigen, in sich widersprüchlichen Spektrum der als eigen-sinnig zu charakterisierenden Deutungsweisen und Handlungsmotive niederschlägt.15 Thomas Lindenberger hat zu Recht auf das „ambivalente Potential“ solcher Verhaltensweisen mit Bezug auf die DDR hingewiesen. Möglicherweise sind die „sozialistischen Brigaden“ eine Institution gewesen, in der die „Werktätigen“ durch die eigen-sinnige „Gestaltung der eigenen Lebens- und Arbeitsverhält-

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der Band: Richard Bessel/Ralph Jessen (Hg.), Die Grenzen der Diktatur. Staat und Gesellschaft in der DDR, Göttingen 1996. Für eine Zusammenfassung dieser Diskussion siehe Thomas Lindenberger, Die Diktatur der Grenzen, in: Ders. (Hg.), Herrschaft und EigenSinn in der Diktatur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte der DDR, Köln u. a. 1999, S. 13–44, hier S. 16ff. Vgl. Thomas Lindenberger, Alltagsgeschichte und ihr möglicher Beitrag zur Gesellschaftsgeschichte der DDR, in: Bessel/Jessen (Hg.), Grenzen, S. 298–325., hier S. 134. Alf Lüdtke, Einleitung: Herrschaft als soziale Praxis, in: Ders. (Hg.), Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozial-anthropologische Studien, Göttingen 1991, S. 9–63. Lindenberger, Diktatur der Grenzen, S. 22. Alf Lüdtke, Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitserfahrung und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus, Hamburg 1993. Lindenberger, Diktatur der Grenzen, S. 24.

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nisse Defizite der diktatorischen Gesellschaftssteuerung kompensieren, deren Ziele aber auch durchkreuzen“16 konnten.

2. Forschungsstand und Quellen Forschungsstand Die Arbeitergeschichte war nur zu einem geringen Teil an dem inzwischen abflauenden Boom der DDR-Forschung seit Beginn der 1990er Jahre beteiligt. Eine Zwischenbilanz enthält der 1999 erschienene umfangreiche Band über „Arbeiter in der SBZ/DDR“,17 der einige Lücken für die 1940er bis 1960er Jahre geschlossen, aber damit zugleich die Defizite in der Erforschung der letzten beiden Jahrzehnte der SED-Diktatur noch deutlicher gemacht hat. Um dieses Ungleichgewicht ein wenig auszugleichen, thematisierte eine zwei Jahre später publizierte Aufsatzsammlung explizit den „DDR-Betriebsalltag in der Ära Honecker“.18 Eine Perspektiverweiterung hat schließlich der Tagungsband über „Arbeiter im Staatssozialismus“ (2005) erbracht, in dem Vergleiche mit anderen kommunistischen Diktaturen Ost-Mitteleuropas angestellt werden, freilich ohne dabei, bezogen auf die DDR, wesentlich über den Stand des erstgenannten Sammelbandes hinauszugelangen.19 Eine Vielzahl auch für die Arbeitergeschichte wichtiger Aspekte enthalten die beiden bislang erschienenen DDR-Bände in der Reihe zur „Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945“.20 Christoph Kleßmann hat schließlich die erste umfassende Monographie über die „Arbeiter im ‚Arbeiterstaat‘ DDR“ vorgelegt, beschränkt sich darin allerdings auch auf den Zeitraum von 1945 bis 1971.21

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Ebd., S. 25. Hübner/Tenfelde (Hg.), Arbeiter in der SBZ-DDR, Essen 1999. Einige wichtige Aufsätze zu diesem Themenkomplex enthielt auch der im selben Jahr veröffentlichte Bd. 39 (1999) des Archivs für Sozialgeschichte unter dem Titel „Sozialgeschichte der DDR“. So der Untertitel des Bandes: Renate Hürtgen/Thomas Reichel (Hg.), Der Schein der Stabilität – DDR-Betriebsalltag in der Ära Honecker, Berlin 2001. Hübner/Kleßmann/Tenfelde (Hg.), Arbeiter im Staatssozialismus. Ideologischer Anspruch und soziale Wirklichkeit, Köln 2005. Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bände 8 und 9 (Vollständige Zitation im Literaturverzeichnis. Auch bei dieser Reihe steht bislang der Band Nr. 10 für die 1970/80er Jahre noch aus). Christoph Kleßmann, Arbeiter im „Arbeiterstaat“ DDR. Deutsche Traditionen, sowjetisches Modell, westdeutsches Magnetfeld (1945 bis 1971), Bonn 2007.

Einleitung

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Angesichts des nicht nur in der Forschung immer wieder betonten diktatorischen Charakters des SED-Regimes erstaunt es, dass bisher kaum einschlägige Publikationen zu den Herrschaftsstrukturen und -mechanismen in Bezug auf die Arbeiterschaft erschienen sind. Monographien zum Wirken der SED unmittelbar in den Betrieben fehlen völlig,22 während zur Einheitsgewerkschaft FDGB inzwischen zumindest für die Anfangszeit empirisch reichhaltige Veröffentlichungen vorliegen.23 Dass dieses Defizit dringend ausgeglichen werden muss, zeigen einige Arbeiten, die überwiegend auf der Mikroebene angesiedelt sind und aufgrund der mehr oder weniger starken Vernachlässigung der Rahmenbedingungen letztlich zu teils fragwürdigen Interpretationen und Verallgemeinerungen gelangen.24 Die Trennung in der Untersuchung von Mikro- und Makroebene sowie von Politik-, Sozial- und Alltagsgeschichte sollte überwunden werden, um der offensichtlichen Gefahr tendenziell einseitiger Interpretationen zu entgehen.25 Eine diesbezüglich überzeugende Synthese hat Helke Stadtland mit ihrer materialreichen Studie zur „Sozialgeschichte der Gewerkschaften in der SBZ/DDR 1945–1953“ vorgelegt.26 Einem speziellen Aspekt der FDGB-Geschichte, nämlich den Vertrauensleuten

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In einem Aufsatz habe ich versucht, mich diesem Thema mit Bezug auf die Zeit der SBZ zu nähern: Thomas Reichel, „Feste Burgen der Partei“? Aufbau und Rolle der SEDBetriebsgruppen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) 1946–1949, in: IWK, 36 (2000), S. 62–99. Gemeint sind die Monographien von Stadtland und Werum (siehe Fußnote 26) sowie Detlev Brunner, Sozialdemokraten im FDGB. Von der Gewerkschaft zur Massenorganisation, 1945 bis in die frühen 1950er Jahre, Essen 2000. Das trifft insbesondere zu auf einige Kernaussagen von Peter Alheit/Hanna Haack (Die vergessene „Autonomie“ der Arbeiter, Berlin 2004) und in abgeschwächter Form auch auf die Studie von Francesca Weil (Herrschaftsanspruch und soziale Wirklichkeit. Zwei sächsische Betriebe in der DDR während der Honecker-Ära, Köln u. a. 2000). Im Gegensatz zu den vorgenannten Arbeiten führt die Vernachlässigung der Mikroebene in dezidiert politikwissenschaftlich angelegten Studien zu einer Reduzierung der DDR auf ihre diktatorisch-totalitären Elemente, die der historischen Realität, zumal der gesellschaftlichen, ebenso wenig gerecht wird. Ein typisches Beispiel dafür: Klaus Schroeder/Steffen Alisch, Der SED-Staat. Partei, Staat und Gesellschaft, München 1998. Stadtland, Herrschaft nach Plan und Macht der Gewohnheit, Essen 2001. Ein nicht weniger umfangreiches Buch zur Gewerkschaftsgeschichte bezogen auf denselben Zeitraum stammt von Stefan Paul Werum. (Gewerkschaftlicher Niedergang im sozialistischen Aufbau. Der FDGB 1945 bis 1953, Göttingen 2005). Er gelangt dabei aber leider nicht über eine sehr detaillierte positivistische Beschreibung der Organisationsgeschichte hinaus.

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des FDGB in den Betrieben, ist eine 2005 erschienene Arbeit gewidmet, die sich überwiegend auf die 1970/80er Jahre bezieht.27 Speziell zum Thema der Brigaden haben vor allem Jörg Roesler28 und Peter Hübner29 seit den 1990er Jahren eine Reihe von Aufsätzen publiziert. Sie beschränken sich allerdings auf die 1950/60er Jahre (Hübner) bzw. beruhen, sofern sie über diesen Zeitraum hinausreichen, auf einer recht schmalen empirischen Basis (Roesler), so dass die daraus abgeleiteten Interpretationen teilweise eher hypothetischen Charakter besitzen.30 Jörg Roesler hatte sich mit seinen Veröffentlichungen als erster (nach dem Ende der DDR) der „Brigadebewegung“ zugewandt und seither immer wieder verschiedene Aspekte ihrer Geschichte umrissen.31 Peter Hübner, dem es besonders darum geht, „die Mechanismen alltäglicher Arrangements zu beleuchten“, bezeichnet sein Kapitel über die Produktionsbrigaden als Versuch, Voraussetzungen aufzuzeigen, „unter denen (…) Arbeiter ihre Interessen artikulieren und teilweise auch durchsetzen konnten“, insbesondere in vielen innerbetrieblichen Auseinandersetzungen um Löhne, Normen und Arbeitszeit.32 Dies wird dargestellt anhand einiger konkreter Beispiele aus verschiedenen Betrieben der DDR, wobei er insbesondere auf Verselbständigungstendenzen der Brigaden in den 1950er Jahren und die Auseinandersetzungen um das „Syndikalismus“-Phänomen im Jahre 1960 eingeht.33 Sein Fazit lautet, dass sich

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Renate Hürtgen, Zwischen Disziplinierung und Partizipation. Vertrauensleute des FDGB im DDR-Betrieb, Köln u. a. 2005. Einer seiner ersten und besten Aufsätze dazu: Jörg Roesler, Die Produktionsbrigaden in der Industrie der DDR. Zentrum der Arbeitswelt? In: Kaelble u. a. (Hg.), Sozialgeschichte der DDR (1994), S. 144–170. Vor allem das Brigade-Kapitel in: Peter Hübner, Konsens, Konflikt und Kompromiss: soziale Arbeiterinteressen und Sozialpolitik in der SBZ/DDR 1945–1970, Berlin 1995. So z. B.: Jörg Roesler, Jugendbrigaden im Fabrikalltag der DDR 1948–1989, in: APuZ 28 B (1999), S. 21–31. Jörg Roesler, Gab es sozialistische Formen der Mitbestimmung und Selbstverwirklichung in den Betrieben der DDR? Zur Rolle der Brigaden in der betrieblichen Hierarchie und im Leben der Arbeiter in: Utopie kreativ, 3 (1993), S. 122–139. Dies war sein erster Aufsatz zum Thema. Eine vollständige Übersicht bietet das Literaturverzeichnis. Peter Hübner, Konsens, Konflikt und Kompromiss: soziale Arbeiterinteressen und Sozialpolitik in der SBZ/DDR 1945–1970, Berlin 1995; Zitate von den Seiten 10 bzw. 212. Peter Hübner, Syndikalistische Versündigungen? Versuche unabhängiger Interessenvertretung für die Industriearbeiterschaft der DDR um 1960, in: JHK, Berlin 1995, S. 100– 117. Zu dieser speziellen Problematik war in der Bundesrepublik bereits Anfang der 1980er Jahre ein erster Aufsatz erschienen: Fred Klinger, Die „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ im Kontext der „Syndikalismus“-Kritik, in: Der X. Parteitag der SED, 35 Jahre

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die Brigaden „als Heimstatt eines mitunter renitenten und von anarchischen Anwandlungen nicht freien ‚Eigensinns‘“ erwiesen hätten.34 Die Gültigkeit dieser These, zumal über den von Hübner selbst untersuchten Zeitraum hinaus, zu verifizieren, ist eine der zentralen Aufgaben dieser Studie. Die überwiegend positiven Erinnerungen vieler Ostdeutscher an die Brigaden hat als erste Patty Lee Parmalee thematisiert.35 Der Oral-History-Methode bediente sich auch Annegret Schüle in ihrer Betriebsstudie, ergänzte das Brigadekapitel ihrer Dissertation aber durch Einblicke in einige Brigadetagebücher.36 Interessant an dieser „Erfahrungsgeschichte weiblicher Industriearbeit“ in einem typischen Frauenbetrieb ist nicht zuletzt ihre geschlechterspezifische Komponente.37 Ein typischer Männer(groß)betrieb, nämlich das Gas- und Energiekombinat „Schwarze Pumpe“, lieferte Rüdiger Soldt die empirische Basis für seine interessanten Thesen, zur informellen Interessenvertretung der Arbeiter sowie zur Ausprägung einer Art „Biertischsozialismus“ im Brigade-Kontext.38 Bestimmte Aspekte und spezielle Ausprägungen der „Brigadebewegung“ wie etwa die Jugendbrigaden oder die sogenannten Patenbrigaden sind bislang kaum oder gar nicht wissenschaftlich bearbeitet worden.39 Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass es bislang keine Arbeit gibt, die den Versuch unternimmt, Rolle und Charakter der Brigaden vom Anfang (1949/50) bis zu ihrer Auflösung (1990) auf einer soliden Quellengrundlage zu bestimmen. Insbesondere der gesamte Zeitraum von Mitte der 1960er Jahre bis zum Ende der DDR ist in der empirischen Forschung noch kaum berücksichtigt worden. Das bedeutet, gerade die „sozialistischen Brigaden“ (ab 1959), die unter dem Motto

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SED-Politik, Versuch einer Bilanz. 14. Tagung zum Stand der DDR-Forschung in der BRD, Köln 1981, S. 75–86. Hübner, Konsens, S. 239. Patty Lee Parmalee, Brigadeerfahrungen und ostdeutsche Identitäten, in: BzG 38 (1996) H. 4, S. 70–86. Schüle, „Die Spinne“, S. 225ff. Ihre Arbeit bezieht sich v. a. auf die 1970/80 Jahre und berücksichtigt auch für ihren Untersuchungsbetrieb vorhandene Aktenbestände. Allerdings schießt Annegret Schüle mit ihren Thesen z. T. übers Ziel hinaus. Wenn sie bspw. die lange Existenz der Brigaden auf deren „Feminisierung“ zurückführt, geht sie ihrer (notwendigerweise) begrenzten Quellenbasis und der spezifischen Perspektive ihrer Untersuchung gar zu sehr auf den Leim. Rüdiger Soldt, Zum Beispiel Schwarze Pumpe: Arbeiterbrigaden in der DDR, in: GG 24 (1998), S. 88–109. Auch in seinem Fall ist die Beschränkung des Untersuchungszeitraumes auf die Jahre 1955–1965 anzumerken, nebst der besonderen Situation, dass „Schwarze Pumpe“ (einschließlich der dazugehörigen Wohnstadt, Hoyerswerda) in diesem Zeitraum praktisch auf der „grünen Wiese“ entstanden ist. Jörg Roesler (Jugendbrigaden, S. 21) spricht z. B. mit Bezug auf die Jugendbrigaden von einer „Forschungslücke“.

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„sozialistisch lernen und leben“ über die Grenzen der Betriebe, des Arbeitslebens und der Industrie hinaus in die gesamte Gesellschaft und das Privatleben der „Werktätigen“ zielten, sind bis dato noch ein weitgehend „weißer Fleck“ in der Geschichtsschreibung.

„Graue“ Literatur Als sehr interessant hat sich ein Teil der sogenannten „grauen“ Literatur – Dissertationen, Diplomarbeiten, Meinungsumfragen und andere empirische Studien – aus der DDR erwiesen, die überwiegend nicht veröffentlicht wurden bzw. sogar der Geheimhaltung unterlagen.40 Diese Meinungsumfragen und sozialwissenschaftlichen Studien sind von sehr unterschiedlicher empirisch-wissenschaftlicher Qualität.41 Ganz überwiegend enthalten diese Materialien interessante und wichtige Informationen, die, sorgfältig interpretiert, zumindest Tendenzen, teilweise repräsentative Aussagen nicht nur für einzelne Brigaden oder Betriebe ermöglichen. Die so gewonnenen Erkenntnisse hätten aus den sonstigen Quellen nicht oder nur mit einem Aufwand herausgearbeitet werden können, der den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen würde. Der Wert dieses Materials, das sich fast ausschließlich auf die letzten beiden Jahrzehnte der DDR bezieht, ist für meine Studie vergleichsweise hoch und findet im Text entsprechenden Niederschlag. Damit konnte zugleich der abnehmende Aussagewert eines großen Teils der sonstigen schriftlichen Überlieferung zumindest partiell kompensiert werden.42 Materialien dieser Provenienz habe ich insbesondere verwendet, insofern ein direkter Bezug zum Brigadethema gegeben war. Darüber hinaus habe ich darauf nur zurückgegriffen, wenn dadurch für das Verständnis der „Brigadebewegung“ im Kontext der Arbeiter- und Betriebsgeschichte(n) relevante Zusammenhänge und Hintergründe erhellt werden.

Quellen Das Vorhaben, die Geschichte der „sozialistischen Brigaden“ sowohl aus der Perspektive der Herrschenden als auch der Beherrschten zu erforschen, hat natürlich 40 41

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Exemplarisch: Heinz Niemann, Meinungsforschung in der DDR. Die geheimen Berichte des Instituts für Meinungsforschung an das Politbüro der SED, Köln 1993. Darauf gehe ich an den entsprechenden Stellen im Text bzw. in den jeweiligen Anmerkungen etwas näher ein, je nachdem, welche Aussagen oder Anhaltspunkte dazu die einzelnen Veröffentlichungen bzw. Quellen selbst liefern. Vgl. Matthias Judt, „Nur für den Dienstgebrauch“. Arbeiten mit Texten einer deutschen Diktatur, in: Alf Lüdtke/Peter Becker (Hg.), Akten, Eingaben, Schaufenster – die DDR und ihre Texte. Erkundungen zu Herrschaft und Alltag, Berlin 1997, S. 29–38, hier S. 36.

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Konsequenzen hinsichtlich der Quellenauswahl. Vielfalt und Umfang der infrage kommenden Quellenbestände stellten eine enorme Herausforderung dar.43 Um das Quellenmaterial im Rahmen dieser Arbeit handhaben zu können, musste ich zwangsläufig Prioritäten setzen und einige Abstriche an den ursprünglichen Planungen vornehmen. Die umfangreichsten und ergiebigsten Recherchen für diese Studie habe ich in den Quellenbeständen der zentralen Apparate von SED und FDGB betrieben. Inhaltlich ist dieses Vorgehen damit zu begründen, dass es sich bei den Brigaden um eine von „oben“, also von eben diesen zentralen Apparaten, gesteuerte „Bewegung“ handelte. Entsprechend waren diesen Aktenbeständen u. a. Informationen über die Intentionen der Partei- und Gewerkschaftsführungen bzw. -apparate, zusammenfassende Berichte über Reaktionen der Arbeiterschaft, aber auch Hinweise auf damit zusammenhängende Friktionen innerhalb des Machtapparates zu entnehmen. Zurückgegriffen habe ich dabei, bezogen auf die SED, vor allem auf die Bestände der Abteilung „Gewerkschaften und Sozialpolitik“ des Zentralkomitees (ZK),44 des jeweils für Gewerkschaftsfragen zuständigen ZK-Sekretärs,45 des Büros von Erich Apel, der Wirtschaftskommission beim Politbüro des ZK sowie auf die Protokolle des Politbüros und des Sekretariats des ZK der SED.46 Aus der Überlieferung des FDGB-Bundesvorstandes habe ich insbesondere die Akten der jeweiligen Sekretäre für „Arbeit und Löhne“ sowie der gleichnamigen Abteilung, der Abteilung und des für „Jugend und Sport“ zuständigen Sekretärs sowie der FDGB-Vorsitzenden (Herbert Warnke und Harry Tisch) herangezogen.47 Eine Beschränkung der empirischen Untersuchung auf die zentrale Perspektive (von „oben“) müsste die vielschichtige gesellschaftliche Wirklichkeit der Brigaden zweifellos verfehlen. Deshalb habe ich als Referenz, für das, was hinsichtlich der 43 44

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Vgl. Kleßmann, Arbeiter, S. 32ff. So hieß die zuständige ZK-Abteilung von 1959 bis 1989; in den Vorjahren wechselte die Bezeichnung bzw. die Zuständigkeit der Abteilung(en) häufiger. Siehe dazu das „Verzeichnis der Anleitungseinrichtungen im ZK der SED“ im FDGB-Lexikon (http://library.fes.de/FDGBLexikon/texte/anhang/anhang/Verzeichnis_der_Anleitungseinrichtungen_im_ZK_der_SED.html; Stand: 30.06.2008). Die längste Zeit war dies Günter Mittag (1966–1973 und 1976–1989). Siehe ebd. Diese Aktenbestände befinden sich, wie auch die für den FDBG-Bundesvorstand, alle in der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO-BArch) in Berlin. (Für eine vollständige Übersicht der verwendeten Quellen siehe das Verzeichnis im Anhang). Die genannten Sekretäre und Abteilungen waren unmittelbar mit der Brigadebewegung bzw. den Jugendbrigaden befasst. Details zur Struktur und den personellen Zuständigkeiten im FDGB-Bundesvorstand sind ebenfalls im FDGB-Online-Lexikon zu finden. (http://library.fes.de/FDGB-Lexikon/texte/anhang/anhang/Anhang.html).

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„Brigadebewegung“ an der Basis, bei den Arbeitern tatsächlich ankam bzw. passierte, zwei Großbetriebe der Stahlindustrie in die Untersuchung einbezogen. Dabei handelt es sich um das Eisenhüttenkombinat Ost (EKO)48 und das Stahlund Walzwerk Brandenburg (SWB). Damit habe ich ganz bewusst einen Kernbereich der traditionellen Industriearbeiterschaft ausgewählt, die sowohl im Selbstverständnis der SED als auch praktisch von zentraler, prägender Bedeutung für die „arbeiterliche“ DDR-Gesellschaft war.49 Dies hat zur Folge, dass bei der Interpretation der empirischen Untersuchungsergebnisse die Spezifika dieser Branche und die Traditionen des Berufsstandes der Stahlarbeiter mitgedacht werden müssen. Dieses Buch kann und will aber ausdrücklich keine detaillierten Fallstudien zu den Brigaden im EKO bzw. SWB liefern.50 Recherchiert zu SWB und EKO habe ich zum einen im Brandenburgischen Landeshauptarchiv (BLHA), sowohl in den Beständen der jeweiligen staatlichen Leitung des Betriebes als auch der Betriebsparteiorganisationen (BPO) und Betriebsgewerkschaftsleitungen (BGL). Dort, im BLHA, habe ich außerdem die Bestände der SED-Bezirksleitungen (Frankfurt/Oder für das EKO und Potsdam für das SWB) und der entsprechenden Bezirksvorstände des FDGB nach Informationen zu beiden Betrieben durchgesehen, insofern sie Bezug zum Brigade-Thema hatten. Die Einbeziehung dieser Zwischenebene der Bezirke war wichtig, um feststellen zu können, ob sie eventuell eine Filterfunktion ausgeübt hat. Das konnte sowohl die Anweisungen der zentralen Apparate von SED und FDGB an die Betriebe, als auch umgekehrt die Informationen und Berichte aus den Betrieben nach „oben“ betreffen. Darüber hinaus hatte ich Gelegenheit, im gut erschlossenen Firmenarchiv des EKO zu recherchieren. Wesentlich schwieriger ist die Situation bezüglich des SWB, wo nur ein geringer Teil der nicht ans BLHA abgegebenen betrieblichen Überlieferung im Industriemuseum in Brandenburg an der Havel zugänglich ist.51 48 49 50

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Von 1953 bis 1961 war es – wie auch die Stadt – nach Stalin benannt: Eisenhüttenkombinat Stalinstadt (EKS). Den Begriff der „arbeiterlichen Gesellschaft“ hat Wolfgang Engler (Die Ostdeutschen. Kunde von einem verlorenen Land, Berlin 1999, S. 173ff.) geprägt. Dazu wären noch ausgedehntere und intensivere Recherchen notwendig gewesen, die den Rahmen dieser Arbeit vollends gesprengt bzw. eine andere Schwerpunktsetzung erfordert hätten. Das Material zu diesen beiden Betrieben dient lediglich zur Überprüfung, Ergänzung und Illustration der Informationen und Erkenntnisse, die ich aus den Archivalien der Zentralen von FDGB und SED über die Brigadebewegung gewonnen habe. Der „Rest“ liegt, wie der Nachlass vieler DDR-Betriebe, unerschlossen in Depots der ehemaligen Treuhandanstalt bzw. ihrer Nachfolgeeinrichtung. Insgesamt ist die Aktenüberlieferung für das EKO erheblich besser als für das SWB, sowohl was die Zugänglichkeit als auch was den Stand der Aufbereitung angeht. Das wird für die Phase der 1970/80er Jahre besonders deutlich. Während man im EKO-Unternehmensarchiv bereits

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In beiden Beständen habe ich auch die überlieferten Brigadetagebücher durchgesehen, die eine interessante und zugleich methodisch problematische Quelle darstellen.52 Die Probleme bezüglich der Brigadetagebücher beginnen damit, dass bei weitem nicht alle Brigaden ein solches Tagebuch geführt haben und davon wiederum nur ein kleiner Teil überliefert ist, weil sie mehr oder weniger zufällig in ein Archiv gelangt sind oder von ehemaligen Brigademitgliedern z. B. im oben erwähnten Industriemuseum abgegeben wurden. Die so überlieferten Tagebücher können also keineswegs als repräsentativ für die Masse der Brigaden gelten. Geschmälert wird ihr Quellenwert auch dadurch, so Jörg Roesler, dass sie in den 1970/80er Jahren häufig zu „Bilderbüchern“ verkamen, es sich bei diesen „Tagebüchern“ eher um „kommentierte, oft auch nur annotierte Fotosammlungen“ handelt, in denen zwar nicht unbedingt direkte „Schönfärberei“ betrieben, aber nahezu ausschließlich Unverfängliches festgehalten wurde.53 Zudem ist häufig kaum nachvollziehbar, wer jeweils der bzw. die Schreiber/in war(en). Besonders selten sind Sammlungen mehrerer Tagebücher von ein und derselben Brigade zu finden, die einigermaßen lückenlos einen längeren Zeitraum abdecken und damit Entwicklungen erkennbar werden lassen. Wenn, dann taugen die Brigadetagebücher als Quelle am ehesten zur Illustration bestimmter Aspekte des Brigadelebens, insbesondere was die gelegentliche gemeinsame Freizeitgestaltung bei Festen, Feiern, Ausflügen und ähnlichen Veranstaltungen betrifft. Ihr Quellenwert steigt, wenn man in Form von Akten oder Interviews ergänzendes Material zu ein und derselben Brigade findet, was allerdings eher ein Glücksfall bzw. mit deutlich höherem Rechercheaufwand verbunden ist. Aus den genannten Gründen tauchen in dieser Studie Brigadetagebücher nur vereinzelt und im eben beschrieben Sinne illustrativ auf.

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über die Findhilfsmittel Zugriff auf Zusammenfassungen und andere Dokumente zum Brigadewettbewerb (ab 1975 für alle Jahrgänge) hat, waren im lückenhaften und deutlich schlechter erschlossenen SWB-Bestand des Brandenburgischen Landeshauptarchivs nur mühsam und eher zufällig entsprechende Akten zu finden, die auch ergänzt durch einige Unterlagen aus dem SWB-Archiv im Industriemuseum Brandenburg/Havel nicht annähernd so zahlreich und aussagekräftig sind wie das EKO-Material. Deshalb bilden die Erkenntnisse zum Eisenhüttenkombinat das Grundgerüst dieses Abschnittes, ergänzt durch Informationen zum SWB und sporadisch zu einigen anderen Betrieben. Zum Thema „Brigadetagebücher“, insbesondere zu ihrem Quellenwert siehe Jörg Roesler, Das Brigadetagebuch – betriebliches Rapportbuch, Chronik des Brigadelebens oder Erziehungsfibel?, In: Evemarie Badstübner (Hg.), Befremdlich anders. Leben in der DDR, Berlin 2000, S. 151–166. Vgl. auch die Anmerkungen von Annegret Schüle („Die Spinne“, S. 250ff.) und Christoph Kleßmann (Arbeiter, S. 441ff.). Roesler, Brigadetagebuch, S. 158f.

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Es mag übertrieben erscheinen, wenn Patty Lee Parmalee behauptet, Interviews seien „die beste Quelle für ein Verständnis davon, was und vor allem wie eine Brigade wirklich war“.54 Aber bereits mit der 1991 von Lutz Niethammer, Alexander von Plato und Dorothee Wierling vorgelegten „Volkseigenen Erfahrung“ wurde deutlich, wie wertvoll die Methode der Oral History für die Erforschung der DDR-Geschichte sein kann.55 Annegret Schüle hat mit ihrer Studie gezeigt, dass aus lebensgeschichtlichen Interviews wichtige Erkenntnisse zur Perspektive der „einfachen“ Brigademitglieder gewonnen werden können, nach denen man in den schriftlichen Quellen des Herrschaftsapparates vergeblich sucht.56 Angesichts des Umfangs der o.g. verarbeiteten Quellenbestände habe ich jedoch auf die ursprünglich vorgesehene Einbeziehung von Interviewmaterial für meine Studie verzichtet. Eine Art Gegenüberlieferung, zur schriftlichen Hinterlassenschaft des Herrschaftsapparates der DDR, stellen die Akten des Ostbüros der SPD dar, die im Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) in Bonn liegen. Zumindest für die Zeit bis zum Mauerbau findet man darin eine ganze Reihe interessanter Berichte zur „Brigadebewegung“ in einzelnen Betrieben. Besondere Sorgfalt bei der Interpretation dieser Quellen ist geboten, wenn eine grundsätzliche Ablehnung bzw. Abneigung gegenüber dem SED-Regime die konkrete Schilderung bestimmter Sachverhalte und Ereignisse offensichtlich deutlich überlagert bzw. verzerrt. Dennoch stellen diese zumeist kritischen Berichte aus der Arbeiterperspektive für die Zeit bis Anfang der sechziger Jahre eine wichtige Ergänzung des anderen verwendeten Quellenmaterials dar. Weitere Erkenntnisse, insbesondere zu Konfliktlagen in und um die „sozialistischen Brigaden“, hatte ich mir aus den überlieferten Stasi-Akten erhofft. Die Ausbeute der in der Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) zu meinen beiden Referenzbetrieben in Auftrag gegebenen Recherche war allerdings sehr gering. Bezogen auf die „sozialistische Brigadebewegung“ oder zu einzelnen Kollektiven (z. B. Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten oder Einblicke in In-

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Patty Lee Parmalee, Brigadeerfahrungen und ostdeutsche Identitäten, in: BzG 38 (1996) H. 4, S. 70–86, hier S. 72. Niethammer u. a., Die volkseigene Erfahrung. Eine Archäologie des Lebens in der Industrieprovinz der DDR, 30 biographische Eröffnungen, Berlin 1991. Interessant dazu: Lutz Niethammer, Biografie und Biokratie. Nachdenken zu einem westdeutschen Oral History-Projekt in der DDR fünf Jahre nach der deutschen Vereinigung, in: Mitteilungen aus der kulturwissenschaftlichen Forschung, Jg. 19/Heft 37 (Februar 1996), S. 370–387. Schüle, „Die Spinne“, S. 27f.

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terna einzelner Brigaden) enthielten die mir vorgelegten Aktenkopien keinerlei relevante Informationen.57 Immerhin war diesem Material zu entnehmen, dass für das SWB, das heißt für die Kombinatsleitung und den Stammbetrieb des „Qualitäts- und Edelstahlkombinates“ in Brandenburg/Havel (mit ca. 9.000 Beschäftigten) 1984 auf der Linie der Hauptabteilung XVIII des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) eine Operativgruppe mit 6 hauptamtlichen MfS-Mitarbeitern zuständig war.58 „An operativen Kräften“, heißt es in einem entsprechenden Dokument, standen darüber hinaus 1 Offizier im besonderen Einsatz (OibE) als Sicherheitsbeauftragter, 85 Inoffizielle Mitarbeiter (IM) und 18 Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit (GMS) sowie 2 Führungs-IM (FIM) zur Verfügung.59 Die Summe von etwas mehr als 100 Informanten erscheint für eine so große Belegschaft relativ gering. Angesichts dessen, dass von einer höheren Konzentration von IM auf den verschiedenen Leitungsebenen, insbesondere in exportrelevanten Bereichen, ausgegangen werden kann, gab es offenbar nur in wenigen der zu diesem Zeitpunkt mehr als 340 Kollektive des SWB derartige Informanten.60 Unbestritten können Stasi-Akten interessante Aufschlüsse auch für die Betriebsebene bringen,61 da dies bei dem mir zur Verfügung gestellten Material in Bezug auf die Brigaden nicht der Fall war, finden sie im Rahmen dieser Arbeit jedoch kaum weitere Berücksichtigung.62

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Dies könnte daran liegen, dass die entsprechenden Bestände zum Zeitpunkt der Recherche noch nicht (vollständig) erschlossen waren oder vernichtet wurden. Solange die Erschließungsarbeiten nicht abgeschlossen sind und die Nutzer nicht (wie in jedem anderen Archiv) selbst in adäquate Findhilfsmittel Einsicht nehmen können, kann nicht ausgeschlossen werden, dass doch noch entsprechende Unterlagen erhalten geblieben sind. Einen Überblick über die Strukturen des MfS in den Betrieben gibt: Maria HaendckeHoppe-Arndt, Die Hauptabteilung XVIII: Volkswirtschaft, Berlin 1997. BStU / ASt. Potsdam, BVfS Potsdam / AKG 179, Bl. 106ff. Auch für das EKO geben die (mir vorgelegten) Stasi-Akten überwiegend wirtschaftliche und technische Schwierigkeiten wieder. BStU Ast. FF/O., BVfS FF/O., AKG 559, Bl. 5ff. Vgl. Schüle, „Die Spinne“, S. 29 oder auch Georg Wagner-Kyora, Karbidarbeiter in der Bargaining-Community, in: Hürtgen/Reichel, Schein der Stabilität, S. 191-216, hier S. 205ff. Zum Forschungsstand bezüglich des MfS: Jens Gieseke (Hg.), Staatssicherheit und Gesellschaft. Studien zum Herrschaftsalltag in der DDR, Göttingen 2007; sowie Jens Gieseke, Der Mielke-Konzern. Die Geschichte der Stasi 1945–1990, München 2006.

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3. Begriffsklärung und Kapitelgliederung Begriffsklärung Laut offizieller DDR-Definition bezeichnete der Begriff ,Brigade‘ ein „Kollektiv von ,Werktätigen‘, das nach dem Prinzip der kameradschaftlichen, gegenseitigen Hilfe und Unterstützung arbeitet und unter Leitung eines Brigadiers gemeinsam bestimmte Produktionsaufgaben löst“.63 Typisch ist die Erklärung des Begriffs ,Brigade‘ mit dem Wort ,Kollektiv‘. Im Alltag wurden – und in der Forschungsliteratur werden – beide Bezeichnungen häufig synonym gebraucht. Da eine trennscharfe Unterscheidung zwischen beiden Begriffen nicht möglich ist, werde ich dies in meinem Text ebenso handhaben.64 Die eben zitierte Definition ist insofern zu ergänzen, als die Brigaden einerseits an die bekannte Form der Arbeitskolonnen in der Industrie anknüpften und andererseits nach sowjetischem Vorbild in der SBZ/DDR eingeführt wurden.65 Schwierig ist es, eine allgemeine Aussage zu treffen, wie viele „Werktätige“ eine solche Brigade umfasste. Statistisch waren es durchschnittlich etwa 11 (1953) bis 17 (1970/80er Jahre) Personen,66 wobei es erhebliche Abweichungen, v. a. nach oben geben konnte. Kann man die Brigade für die 1950er Jahre noch relativ klar „als Substruktur der einem Meisterbereich zugeordneten Arbeitsbereiche“ definieren,67 setzt auch diesbezüglich ab den 1960er Jahren eine Diversifizierung ein. Teilweise werden verschiedene Arbeitsgruppen, die im rollenden 3- und 4Schichtsystem an denselben Maschinen bzw. Aggregaten tätig sind, zusammengefasst als eine Brigade bzw. Kollektiv bezeichnet und beteiligen sich auch in dieser Formation am sozialistischen Wettbewerb.68 Die Grenzen waren insofern flie-

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Wörterbuch der Ökonomie des Sozialismus, Berlin (O.) 1968, S. 170. Auf Unterschiede zwischen „Brigade“ und „Kollektiv“ im Zusammenhang mit ihrer teils unterschiedlichen bzw. veränderten Funktion und die in der Zeitabfolge variierenden offiziellen Auszeichnungstitel gehe ich in Kapitel 1.1. näher ein. Siehe dazu: Peter Hübner, „Sozialistischer Fordismus“? Oder: Unerwartete Ergebnisse eines Kopiervorgangs. Zur Geschichte der Produktionsbrigaden in der DDR, in: Alf Lüdtke/Inge Marßolek/Adelheid von Saldern (Hg.), Amerikanisierung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1996, S. 96–115. Brigade-Artikel in: FDGB-Lexikon, hg. von Dieter Dowe/Karlheinz Kuba/Manfred Wilke, bearb. von Michael Kubina, Arbeitsversion, Berlin 2005 (Arbeitspapiere des Forschungsverbundes SED-Staat; Nr. 36/2005) (http://library.fes.de/FDGB-Lexikon/ – Stand: 30.6.08). Kleßmann, Arbeiter, S. 227. Z. B. bei Annegret Schüle, „Die Spinne“. Die Erfahrungsgeschichte weiblicher Industriearbeit im VEB Leipziger Baumwollspinnerei, Leipzig 2001, S. 227.

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ßend, als in solchen Fällen die Brigade einen ganzen oder gar mehrere Meisterbereiche umfassen konnte und in der Betriebsstruktur teilweise einer gesamten Abteilung entsprach.69 Der alltägliche Bezugsrahmen für die Beschäftigten war dann freilich eine kleinere Gruppe, beispielsweise die Schicht, in der sie gemeinsam arbeiteten. Auf der anderen Seite gab es z. B. im Verwaltungsbereich kleinere Abteilungen mit weniger als 10 Beschäftigten, die ebenfalls als Kollektiv am Brigadewettbewerb teilnahmen. In Verbindung mit dem 1959 eingeführten Wettbewerb um den Titel „Brigade der sozialistischen Arbeit“ ist ab diesem Zeitpunkt auch von „sozialistischen Brigaden“ die Rede, was inhaltlich mit der Ausdehnung des Kollektivwettbewerbs über den Produktionsbereich hinaus verknüpft war.70 Wegen der besseren Lesbarkeit verwende ich im Weiteren die Bezeichnung sozialistische Brigaden bzw. sozialistische Kollektive ohne Anführungszeichen. Um die Frage, was an diesen Brigaden „sozialistisch“ war (und was nicht), dreht sich praktisch der gesamte nachfolgende Text, weshalb sich eine permanente Problematisierung dieses Adjektivs, durch die Verwendung der Anführungszeichen, erübrigt. Etwas schwerer fällt mir dieser Verzicht in Bezug auf die „sozialistische Brigadebewegung“. Der Begriff der (sozialen) „Bewegung“ ist untrennbar mit einer gewissen Autonomie, mit einer Entstehung von „unten“ verbunden. Christoph Kleßmann hat, einen Gedanken von Horst Groschopp aufgreifend, erläutert, dass die ursprüngliche „Arbeiterbewegung als autonome Organisation“ in der DDR nach einem Prozess ihrer „Verstaatlichung“ praktisch nicht mehr existent war.71 Da der Wettbewerb um den Brigadetitel durch den FDGB von „oben“ inszeniert und als Kampagne geführt wurde, wäre es unzutreffend, hier ohne weiteres einen Bewegungs-Charakter zu unterstellen. Genau dieses Bild versuchten nämlich Propaganda und Geschichtsschreibung in der DDR zu suggerieren: Eine durch die Arbeiter selbst initiierte und getragene Brigade-Bewegung von „unten“.72 Diese, das sei vorweggenommen, hat es so nie gegeben. Genauso klar ist aber, dass die 69

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Für das Stahl- und Walzwerk Brandenburg (SWB) lässt sich die teilweise Identität von Abteilung und Brigade (24 Mitglieder) an mindestens einem Bsp. aus dem Jahr 1984 belegen. BLHA Rep. 502/1632 (unpag.), Begründung des Vorschlages „Beste Abteilung des RE-Bereiches“ in Auswertung des IV. Quartals 1984. Dazu ausführlich Kapitel II und folgende. Kleßmann, „Verstaatlichte Arbeiterbewegung“, S. 110: „… stand (…) am Anfang des ‚Arbeiter- und Bauern-Staates‘ ein Akt der Destruktion, der mit der beanspruchten Anknüpfung an die Tradition der sozialistischen Arbeiterbewegung zugleich deren Zerschlagung durch Zentralisierung, Uniformierung und Funktionalisierung beinhaltete. Geschichte der Arbeiterbewegung löste sich in der Geschichte eines Staates auf.“ Exemplarisch: Waltraud Falk, Kleine Geschichte einer großen Bewegung. Zur Geschichte der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung in der DDR, Berlin (O.) 1966.

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sozialistische Brigade-Kampagne als reine Zwangsveranstaltung nicht über drei Jahrzehnte unter Einbeziehung von zuletzt drei Viertel aller „Werktätigen“ hätte fortgeführt werden können. Herauszufinden, wie dies im Einzelnen funktioniert hat, ist eines der zentralen Anliegen dieser Studie. Diese explizite Einschränkung ist also immer mitzudenken, wenn im folgenden Text der Begriff (sozialistische) Brigadebewegung ohne Anführungszeichen verwendet wird. Sofern es allerdings um die Auszeichnung bzw. den Titel „Brigade der sozialistischen Arbeit“ (BdsA) bzw. „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ (KdsA) geht, werden diese korrekterweise immer mit „Gänsefüßchen“ geschrieben oder es wird die hiermit eingeführte Kurzform BdsA bzw. KdsA verwendet. Erklärungsbedürftig ist schließlich noch der Begriff der „Werktätigen“. Darin spiegelt sich, in einem Wort zusammengedrängt, das kommunistische Gesellschaftskonzept der SED wider: Das Ziel einer „klassenlosen“ Gesellschaft, in der das Postulat der Gleichheit weitestgehend verwirklicht ist. „Werktätige“ waren in der DDR alle: Arbeiter, Angestellte, Bauern, „Angehörige der sozialistischen Intelligenz“ und Künstler.73 Die Brigadebewegung war ein zentraler Baustein in diesem Gesellschaftskonzept. Daher passt der Begriff der Werktätigen ausgezeichnet zu ihr und wird im Folgenden ebenfalls ohne Anführungszeichen verwendet.74

Zur Kapitelgliederung Soweit die Gliederung der Chronologie folgt, bedarf dies keiner weiteren Begründung. Schon eher erklärungsbedürftig sind jene Kapitel und Unterpunkte, die aus systematischen oder inhaltlichen Gründen die Chronologie durchbrechen. Auch die unterschiedliche Gewichtung, die leicht am Umfang der einzelnen Kapitel abzulesen ist, soll kurz erläutert werden. Bevor der eigentliche Untersuchungsgegenstand dieser Studie, die sozialistischen Brigaden ab Beginn der Kampagne im Jahre 1959, entfaltet wird, führt ein kürzeres Kapitel in die Zusammenhänge der Brigadebewegung im Kontext des „sozialistischen Wettbewerbes“ mit seinen diversen individuellen und kollektiven Wettbewerbsformen und -kampagnen ein. Anhand der Sekundärliteratur wird ein Abriss der Geschichte der (Arbeits-)Brigaden in den 1950er Jahren gegeben, der als Vorgeschichte für die sozialistische Brigadebewegung unerlässlich ist. Recht ausführlich werden im zweiten Kapitel die Inszenierung der Kampagne „sozialistisch arbeiten, lernen und leben“ sowie die Reaktion der Arbeiterschaft 73 74

Vgl. die Diskussion des Begriffs bei: Ina Merkel, Arbeiter und Konsum im real existierenden Sozialismus, in: Hübner/Tenfelde (Hg.), Arbeiter, S. 527–553, hier S. 543ff. Das Gleiche gilt für die Schreibung von „oben“ und „unten“ im hierarchischen Sinne, die nachfolgend ebenfalls ohne Anführungszeichen erscheinen.

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darauf geschildert. Veranschaulicht wird diese Anfangsphase zusätzlich durch ein Unterkapitel mit Fallbeispielen über drei der allerersten ausgezeichneten „Brigaden der sozialistischen Arbeit“. In diese erste Phase fällt auch noch die sogenannte „Syndikalismus“-Affäre, wo sich zunächst, in der Anfangseuphorie der sozialistischen Brigadebewegung, zaghafte Ansätze für tatsächliche Partizipation der Arbeiter mittels ihrer Brigaden entwickeln, die dann relativ schnell und heftig von „oben“ unterbunden werden. Ein eigenes Kapitel für diese äußerst aufschlussreiche Episode ist deshalb gerechtfertigt, weil hier ganz klar und nachhaltig enge Grenzen für die Brigadebewegung gezogen wurden, die in den verbleibenden fast drei Jahrzehnten nie wieder in einem solchen Maße ausgetestet oder gar überschritten werden sollten. Die sechziger Jahre, relativ klar abgegrenzt durch den Mauerbau (1961) und den Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker (1971), werden in einem Kapitel zusammengefasst, das bezogen auf die Brigaden dreifach untergliedert ist in die Zeit bis zum „Produktionsaufgebot“ unmittelbar nach dem Mauerbau (1961/62), gefolgt von den Veränderungen im Zuge der einsetzenden Wirtschaftsreform des „Neuen ökonomischen Systems“ (NÖS) und schließlich einem erneuten Aufschwung der Brigadebewegung zum Ende des Jahrzehnts.75 Die restlichen beiden Jahrzehnte, die Ära Honecker, sind in einem größeren Kapitel zusammengefasst, das noch einmal systematisch untergliedert ist. Dabei geht es u. a. um die gezielte Ausdehnung des Brigade-Wettbewerbs auf viele nichtindustrielle Bereiche, um interessante Ergebnisse der DDR-Meinungsforschung zu Akzeptanz und Wirkung der sozialistischen Brigadebewegung sowie um verschiedene Ausprägungen des „sozialistischen Lebens und Lernens“ v. a. in dieser Periode. Angefügt ist noch ein eigenständiges Kapitel über die Jugendbrigaden, die nicht um der formalen Einordnung willen in die chronologischen Kapitel gezwängt, sondern aufgrund ihrer inhaltlichen Spezifik separat behandelt werden. Das Schlusskapitel stellt schließlich den Versuch dar, die drei Jahrzehnte währende sozialistische Brigadebewegung systematisch zusammenzufassen und zugleich als einen Prozess der „Kollektivierung der DDR-Gesellschaft“ weit über die Arbeiterschaft hinaus zu interpretieren. 75

Die Wirtschaftsreform (und ihr Scheitern) ist zweifellos ein Schlüsselereignis in der Geschichte der DDR. Dies gilt auch mit Bezug auf die Arbeiterschaft, was allerdings mit einer eng auf die Brigaden begrenzten Perspektive nicht hinreichend deutlich wird. Deshalb enthält meine Dissertationsschrift, auf der dieses Buch beruht, ein Exkurs-Kapitel, in dem die Haltung der Arbeiter zum NÖS anhand ausgewählter Probleme ausdifferenziert und die verbreitete These in Zweifel gezogen wird, der zufolge die Wirtschaftsreform nicht zuletzt am (passiven) Widerstand der Arbeiterschaft gescheitert sei. Dieses Kapitel erscheint demnächst als eigenständiger Aufsatz.

I. Zur Einordnung und Vorgeschichte der sozialistischen Brigadebewegung

1. Sozialistischer Wettbewerb, Brigaden und Kollektivauszeichnungen Sozialistischer Wettbewerb – Funktion und Formen (Überblick) Der „sozialistische Wettbewerb“1 galt in der politischen Ökonomie des Marxismus-Leninismus als das positive Gegenstück zur Konkurrenz unter marktwirtschaftlichen Bedingungen: „Der Sozialismus erstickt keineswegs den Wettbewerb, im Gegenteil, er schafft erstmalig die Möglichkeit, ihn auf breiter Grundlage wirklich im Massenumfang anzuwenden.“, postulierte einst Lenin.2 Im Unterschied zum Konkurrenzverhalten in der kapitalistischen Marktwirtschaft sollte der sozialistische Wettbewerb durch kameradschaftliche gegenseitige Hilfe und solidarische Verbundenheit aller Werktätigen gekennzeichnet sein.3 Er galt zugleich als Hauptform der Mitwirkung der Werktätigen an der Planung und Leitung der Betriebe wie der Volkswirtschaft insgesamt und somit als Ausdruck der „sozialistischen Demokratie“. Schließlich habe die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln – so die Lesart des Marxismus-Leninismus – zu einer Übereinstimmung von gesamtgesellschaftlichen Erfordernissen mit den individuellen und kollektiven Interessen geführt. Nach dieser Theorie vollzieht sich mit dem Systemwechsel zum Sozialismus ein prinzipieller Wandel des Charakters der Arbeit, begleitet von einem ebenso grundlegend positiv veränderten gesellschaftlichen Bewusstsein der arbeitenden Menschen. Dieser Logik folgend galt die Entfaltung der „schöpferischen Masseninitiative“ aller Werktätigen im sozialistischen

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Zur Verwendung des Terminus „sozialistischer Wettbewerb“ gilt im Weiteren sinngemäß das, was ich in der Einleitung (Begriffsklärung) zu den Anführungszeichen bei „sozialistische Brigade“ etc. formuliert habe: Der besseren Lesbarkeit wegen lasse ich die „Gänsefüße“ weg. Lenin, Werke, Bd. 26, Berlin (Ost) 1961, S. 401. Vgl. die ausführliche Darstellung von Kurt Erdmann in dem Artikel „Sozialistischer Wettbewerb“, in: DDR-Handbuch, hrsg. vom Bundesministerium des Innern, Berlin 1985/2000 (3. Aufl.), in: Enzyklopädie der DDR (CD-Rom), Digitale Bibliothek Band 32, Berlin 2000, S. 1192ff. Er beschreibt auch wie der Begriff des „sozialistischen Wettbewerbs“ ursprünglich von Karl Marx mit dem Terminus „Wetteifer“ geprägt und durch die Übersetzung ins Russische und zurückmodifiziert wurde.

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Wettbewerb als „objektive Gesetzmäßigkeit“ der sozialistischen Produktionsweise und des sozialistisch/kommunistischen Aufbaus.4 Darin klingen beide Komponenten an, auf die der sozialistische Wettbewerb in der Praxis abzielte: Die breitestmögliche Mobilisierung der Bevölkerung zur Lösung ökonomischer und sozialer Aufgaben und zugleich die Erziehung jedes Einzelnen zur „sozialistischen Persönlichkeit“.5 Soweit die Theorie. Den historischen Ausgangspunkt des sozialistischen Wettbewerbs markierten die ersten sogenannten „Subbotniki“ 1919 in Russland,6 die als Vorbild und Auslöser der organisierten Wettbewerbsbewegung in der Sowjetunion gelten. Der Aufbau eines zentral geplanten und gelenkten Wirtschaftssystems nach sowjetischem Vorbild in der SBZ/DDR implizierte auch die Initiierung einer entsprechenden Wettbewerbsbewegung. Adolf Hennecke, jener Hauer, der im sächsischen Steinkohlerevier am 13.10.1948 seine Schichtnorm mit 387 Prozent mehrfach übererfüllte, symbolisiert den Versuch, mit der „Aktivistenbewegung“ den sozialistischen Wettbewerb anzukurbeln.7 Die außergewöhnliche organisatorische und arbeitstechnische Vorbereitung dieser Hochleistungsschicht orientierte sich ebenso am Vorbild des sowjetischen Hauers Stachanov (1935), wie der anschließende Propagandarummel.8 Dieser eng am Muster eines konkreten Beispiels aus der UdSSR angelehnte Kopiervorgang ist symptomatisch für etliche Versuche, gerade im Bereich des sozialistischen Wettbewerbs, das sowjetische Modell bis ins Detail in der DDR nachzuvollziehen. Anhand der sozialistischen Brigadekampagne wird das auch in dieser Studie deutlich.9 Ihren ersten umfassenden und rechtlich normierten Ausdruck fand die Konzeption des sozialistischen Wettbewerbs 1950 im Gesetz der Arbeit. Darin wurden dem FDGB im Bereich der sozialistischen Wirtschaft wesentliche Aufgaben zur Förderung und Lenkung der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung übertragen.10 Später wurde es üblich, dass der FDGB-Bundesvorstand mit einem Beschluss, den zentralen Planvorgaben des Ministerrates der DDR (bzw. der Staatlichen Plankommission) folgend, das Wettbewerbskonzept für das jeweils bevor4 5 6

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Ebd. Vgl. ebd., S. 1200. So wurden freiwillige Arbeitseinsätze einzelner Arbeitsgruppen an einem Sonnabend (Russisch: Subbota) bezeichnet. Unter dem Namen „Subbotnik“ wurden sie auch in der DDR bekannt und praktiziert. Vgl. ebd., S. 1193. Vgl. das entsprechende Unterkapitel bei Kleßmann, Arbeiter, S. 215ff. Zu Stachanov und der nach ihm benannten Bewegung siehe Robert Maier, Die Stachanov-Bewegung 1935–1938. Der Stachanovismus als tragendes und verschärfendes Moment der Stalinisierung der sowjetischen Gesellschaft, Stuttgart 1990. Siehe unten, Kapitel II.1. Erdmann, Sozialistischer Wettbewerb, S. 1193.

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stehende Wirtschaftsjahr festlegte. Auf dieser Grundlage verabschiedeten anschließend ausgewählte Branchen und Betriebe ihre Wettbewerbsprogramme, die entsprechend propagiert wurden und allen anderen als Vorbild dienen sollten.11 Der Einfluss der betrieblichen Gremien des FDGB auf die konkrete Ausgestaltung der Wettbewerbskonzeptionen war eher gering. Denn zumindest die wesentlichen Eckdaten wurden zentral vorgegeben und von der Betriebsleitung im jeweiligen Jahresplan fixiert, so dass für die BGO nicht viel Spielraum blieb, sondern ihre Aufgabe überwiegend darin bestand, die Werktätigen zu motivieren, die festgelegten Wettbewerbs- und Planziele zu realisieren.12 Neben dem eng an die Jahreswirtschaftspläne gekoppelten Wettbewerb gab es häufig gesonderte Wettbewerbskampagnen, etwa zu Jubiläen der DDR-Gründung oder der „Großen sozialistischen Oktoberrevolution“, in der Regel mit dem Ziel, die Jahrespläne vorfristig zu erfüllen bzw. zu überbieten. Eine erste Hauptform und tragende Säule des sozialistischen Wettbewerbs war von 1948 bis zum Ende der DDR die bereits erwähnte „Aktivistenbewegung“. Sie war darauf ausgerichtet, überdurchschnittliche Arbeitsleistungen einzelner Werktätiger propagandistisch herauszustellen, damit sich möglichst viele an ihrem Vorbild orientierten. Innerbetriebliche Aktivistenschulen und überbetriebliche Aktivistenkonferenzen sollten den Erfahrungsaustausch befördern und zu einer

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Diese Funktionszuweisung an den FDGB als hauptverantwortliche Institution für die Organisierung des Wettbewerbs wurde noch weiter ausdifferenziert und verstärkt, z.B. durch die Festlegung des Arbeitsgesetzbuches von 1977, wonach die Betriebsgewerkschaftsorganisation (BGO) in jedem Betrieb die Aufgabe hatte, den sozialistischen Wettbewerb zu organisieren. Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) und Vertrauensleutevollversammlung, also die höchsten FDGB-Gremien in den Betrieben, beschlossen jährlich die Wettbewerbskonzeption, in der sowohl konkrete Ziele, Maßnahmen und Verpflichtungen als auch Formen und Umfang der ideellen und materiellen Anerkennung festgelegt wurden. In der Regel war diese Wettbewerbskonzeption integraler Bestandteil des Betriebskollektivvertrages (BKV). Als Kernaufgaben im Rahmen des sozialistischen Wettbewerbs galten die Steigerung der Arbeitsproduktivität, die Senkung der Selbstkosten, die Verbesserung der Qualität sowie der Arbeits- und Lebensbedingungen ebenso wie die Rationalisierung und Intensivierung der Produktion durch wissenschaftlich-technische Neuerungen. Vgl. den Artikel zum „sozialistischen Wettbewerb“ (verfasst von Friederike Sattler), in: FDGB-Lexikon, hg. von Dieter Dowe u.a., bearb. von Michael Kubina, Arbeitsversion, Berlin 2005 (Arbeitspapiere des Forschungsverbundes SED-Staat; Nr. 36/2005; http://library.fes.de/FDGB-Lexikon/ Stand: 20.6.2008). Hingewiesen sei an dieser Stelle auch auf die wichtige Rolle des FDGB in der betrieblichen Sozialpolitik. Nachzulesen in den Beiträgen von Peter Hübner unter dem Titel „Betriebe als Träger der Sozialpolitik, betriebliche Sozialpolitik“ in den Bänden 8 (S. 729ff.) und 9 (S. 723ff.) der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland nach 1945.

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Verallgemeinerung erfolgreicher Arbeitsmethoden führen.13 Als Anreiz dienten verschiedene Ehrentitel und Prämien. So wurden bis Ende 1950 fast 150.000 Beschäftigte als „Aktivisten des Zweijahrplans“ ausgezeichnet.14 Der entsprechende Titel wurde mehrfach umbenannt und hieß ab 1969 „Aktivist der sozialistischen Arbeit“. Damit wurden allein 1982 mehr als 281.000 Werktätige bedacht.15 Als Weiterentwicklung der Aktivistenbewegung und Ausdruck einer höheren Qualität der „schöpferischen Masseninitiative“ galt die 1958/59 eingeführte „sozialistische Gemeinschaftsarbeit“, mit der die kollektive Form der Beteiligung der Werktätigen in den Mittelpunkt des sozialistischen Wettbewerbs rückte. Hierbei nahmen wiederum die „Brigaden bzw. Kollektive der sozialistischen Arbeit“ eine zentrale Stellung ein. Das belegen allein die Zahlen der verliehenen Auszeichnungen für 1982 (zum Vergleich mit den o.g. Aktivisten), als fast 206.000 Kollektive mit insgesamt knapp 3,7 Millionen Werktätigen den KdsA-Titel erhielten.16 Die dritte Säule des sozialistischen Wettbewerbs bildete die „Neuererbewegung“, die ab 1963 durch eine gleichnamige Verordnung rechtlich kodifiziert wurde.17 Die Tätigkeit einzelner „Neuerer“ oder von „Neuerer-Kollektiven“18 13 14 15

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Erdmann, Sozialistischer Wettbewerb, S. 1197. Artikel „Aktivistenbewegung“, in: FDGB-Lexikon (http://library.fes.de/FDGB-Lexikon/ Stand: 20.6.2008). Selbst der bei seiner Stiftung (1950) als besondere Auszeichnung gedachte und auf maximal 600 Auszuzeichnende pro Jahr limitierte Titel „Verdienter Aktivist“ wurde 1982 fast 5000 mal verliehen und lag damit voll im Trend der inflationären Vergabe diverser Auszeichnungen und Ehrentitel, der spätestens in den 1970er Jahren einsetzte. Erdmann, Sozialistischer Wettbewerb, S. 1197. Genau waren es 1982 4097 „Verdiente Aktivisten“. Vgl. dazu den Artikel „Auszeichnungen“ in: FDGB-Lexikon (http://library.fes.de/ FDGB-Lexikon/ Stand: 20.6.2008) oder die Übersicht unter dem Stichwort „Auszeichnungen“ im DDR-Handbuch, S. 131ff. Die genauen Zahlen für die KdsA-Auszeichnung sind in der Übersichtsstabelle Nr. 1 im Anhang zu finden. Als zweite Form der „sozialistischen Gemeinschaftsarbeit“ wurden in den 1960/70er Jahren so genannte „sozialistische Arbeits- und Forschungsgemeinschaften“ propagiert. Durch Kooperation von Produktionsarbeitern und Angehörigen der wissenschaftlich-technischen Intelligenz („Bündnis zwischen Arbeiterklasse und Intelligenz“) in den Betrieben sollten konkrete Rationalisierungsvorhaben von diesen Kollektiven realisiert werden. Laut offizieller Statistik gab es 1975 knapp 44.000 „sozialistische Arbeitsund Forschungsgemeinschaften“ mit fast 360.000 Mitgliedern. (Siehe Tabelle 36). In den 1980er Jahren finden sie schließlich keine Erwähnung mehr. Vgl. Erdmann, Sozialistischer Wettbewerb, S. 1197. Zu den „sozialistischen Arbeits- und Forschungsgemeinschaften“ siehe unten, das Kapitel IV.2. 1972 wurde die „Neuererverordnung“ (NVO) überarbeitet. Zusätzlich wurde die „Neuererbewegung“ im selben Jahr im AGB verankert. Siehe ebd. Bei dem Begriff „Neuerer“ und seinen diversen Zusammensetzungen verzichte ich im Weiteren ebenfalls auf die „Gänsefüßchen“.

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zielte darauf ab, im Rahmen des betrieblichen Erfindungs- und Vorschlagswesens die Rationalisierung voranzutreiben. Zur Förderung der Neuererbewegung wurden bei den Gewerkschaftsvorständen sowohl in den Betrieben als auch auf Kreisund Bezirksebene Neuereraktive gebildet, die außerdem von den jeweiligen Sektionen der Kammer der Technik (KdT) Unterstützung erhielten.19 Schließlich ist als vierte Säule noch die unter der Losung „Schöner unsere Städte und Gemeinden – Mach mit!“ stehende Bewegung zu nennen, die den Versuch darstellte, die Prinzipien des sozialistischen Wettbewerbs aus dem Wirtschaftsbereich in die Wohngebiete zu übertragen. Dieser Wettbewerb, der an das Nationale Aufbauwerk (NAW) aus den 1950er Jahren anknüpfte, wurde vom Nationalrat der Nationalen Front der DDR organisiert, der seit 1972 dazu entsprechende Jahresprogramme verabschiedete.20 Neben diesen vier genannten Säulen gab es eine Vielzahl weiterer Formen, Methoden, Kampagnen und Losungen im Rahmen des sozialistischen Wettbewerbs, wobei der Schwerpunkt auf der Steigerung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft lag. Trotz wiederholter Bemühungen, den Wettbewerb „verstärkt in das betriebswirtschaftliche Instrumentarium einzubinden“,21 bleibt zu konstatieren, dass „wirtschaftlicher Ertrag und organisatorischer wie finanzieller Aufwand für die immer stärker ausdifferenzierten Formen des ‚sozialistischen Wettbewerbs‘ (…) spätestens in den 80er Jahren in einem krassen Missverhältnis“ zueinander standen.22 Oder anders ausgedrückt: „Der vom FDGB zu organisierende ‚sozialistische Wettbewerb‘ verflachte mehr und mehr zur routinierten Prämienverteilung.“23

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Diesem Bereich des sozialistischen Wettbewerbs ist auch die speziell auf Jugendliche zugeschnittene Bewegung der „Messe der Meister von Morgen“ (MMM) zuzuordnen, an deren Organisation und Durchführung neben dem FDGB vor allem die FDJ beteiligt war. Dabei ging es „in erster Linie um (nicht immer ganz) freiwillige Leistungen beim Um-, Ausbau und der Renovierung von Wohnungen, Gaststätten und Gebäuden des öffentlichen Lebens sowie die Einrichtung und Pflege von Grünanlagen“. In den 1980er Jahren gab es verstärkte Bemühungen, die Wettbewerbe in den Betrieben und in den Wohngebieten zu koordinieren und miteinander zu verschränken. Erdmann, Sozialistischer Wettbewerb, S. 1200. Siehe dazu im Kapitel IV.3. das Bsp. einer BdsA aus dem EKO, die Patenschaftsbeziehungen zu einem Wohnbezirksausschuss unterhielt. Erdmann, Sozialistischer Wettbewerb, S. 1196. Siehe dazu auch das Kapitel IV.2. Artikel „sozialistischer Wettbewerb“ in: FDGB-Lexikon (http://library.fes.de/ FDGBLexikon/ Stand: 20.6.2008). Peter Hübner, Betrieb als Sozialisationsinstanz, in: FDGB-Lexikon. http://library.fes.de/FDGB-Lexikon/ Stand: 20.6.2008).

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Verschiedene Brigade- und Kollektivformen bzw. -auszeichnungen Der Begriff Brigade gehört zu jenen Wörtern, die in West- und Ostdeutschland unterschiedliche Bedeutungen hatten.24 In seiner ursprünglichen Bedeutung, als militärische Formation, war der Begriff in der DDR v.a. durch die „Internationalen Brigaden“ bekannt, jene von der Komintern (Kommunistische Internationale) rekrutierten Freiwilligenverbände, die im spanischen Bürgerkrieg (1936–39) auf Seiten der Spanischen Republik gegen die Putschisten unter General Franco kämpften.25 Es dominierte eindeutig die aus der Sowjetunion übernommene Wortbedeutung „einer nach produktionstechnischen Gesichtspunkten zusammengefassten Gruppe von Arbeitern (Kollektiv), gebildet zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur sozialistischen Erziehung der Werktätigen“, die im Westen praktisch unbekannt war.26 Auf den häufigen synonymischen Gebrauch von Brigade und Kollektiv habe ich bereits in der Einleitung verwiesen. Obgleich eine trennscharfe Abgrenzung, zumal im alltäglichen Sprachgebrauch, nicht stattgefunden hat, lassen sich beide Wörter doch insofern unterscheiden, als Kollektiv den umfassenderen Begriff darstellt. Vereinfacht ausgedrückt: Jede Brigade konnte auch als Kollektiv bezeichnet werden, aber umgekehrt passte nicht auf jedes Kollektiv die Bezeichnung Brigade. Dieser umfassendere Charakter wird noch anschaulicher, wenn man den Kontext etwas erweitert und die damit untrennbar verbundene KollektivIdeologie in den Blick nimmt, die ein zentrales Element des MarxismusLeninismus darstellt.27 24

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Zur sprachlichen Differenzierung zwischen BRD und DDR siehe den Überblicksartikel „Sprache“ im DDR-Handbuch, S. 1261ff. Im Sprachgebrauch der Bundesrepublik stand das aus dem Französischen stammende Wort Brigade für den „in vielen Armeen kleinsten Großverband des Heeres, der aus Verbänden verschiedener Truppengattungen besteht und selbstständig in Gefechten operieren kann“. http://lexikon.meyers.de/wissen/Brigade+(Sachartikel)+Militärwesen (20.10.2008). Zum Stand der Forschung siehe Angela Berg, Die Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg 1936–1939, Essen 2005. Das offizielle DDR-Geschichtsbild über die „Spanienkämpfer“ gehört in den Kontext des teilweise unkritisch-verklärenden „legitimatorischen Antifaschismus“, da eine ganze Reihe teils hochrangiger SED-Funktionäre zu ihnen zählte, bspw. F. Dickel (1963–1989 Minister des Innern und Chef der Volkspolizei) und P. Verner (Mitglied des Politbüros des ZK der SED), aber auch die Schriftsteller H. Marchwitza und E. Claudius. http://lexikon.meyers.de/wissen/Brigade+(Sachartikel)+Neuere+Geschichte+(1789– 1945). In der Praxis schlug sich diese Ideologie – auch mit der begrifflichen Verknüpfung – bekanntlich u.a. in der „Kollektivierung“ der Landwirtschaft nieder, sowohl in der Sowjetunion, als auch in der DDR und den anderen „Volksdemokratien“.

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Sozialistische Kollektive wurden in der DDR definiert als „stabile Vereinigungen von Menschen“, die in „verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen (Produktion, Schulen, Organisationen, Kultur usw.)“ insbesondere als Arbeitskollektive existierten. Die Angehörigen eines sozialistischen Kollektivs wirkten vor allem „im Arbeitsprozess zur zielstrebigen Erfüllung gemeinsamer Aufgaben und zur Verwirklichung materieller und ideeller Interessen und Ziele“ zusammen. Den sozialistischen Kollektiven wurde ausdrücklich eine „höhere soziale Qualität“ als anderen sozialen Gruppen attestiert. Die Beziehungen der Kollektivmitglieder seien von den „sozialistischen Produktionsverhältnissen“, einem dementsprechenden gesellschaftlichen Bewusstsein und den Grundsätzen sozialistischer Moral geprägt gewesen.28 Zumindest in der Theorie wurden die Kollektivmitglieder mit hohen Erwartungen bezüglich ihres Zusammenlebens in einer sozialistischen Gemeinschaft konfrontiert: Das Kollektivklima sollte geprägt sein durch eine „optimistische, freudbetonte Grundstimmung, Würde, Höflichkeit, Offenheit, Wachsamkeit, Kritik und Selbstkritik, Disziplin und Selbstbeherrschung, Kameradschaft und Hilfsbereitschaft, hohes Anspruchsniveau und hohe Leistungsbereitschaft, Bescheidenheit und schöpferische Unzufriedenheit mit dem Erreichten, Neuerertum, Wissensdrang, Solidarität u.a. edle Eigenschaften sozialistischer Persönlichkeiten“.29 Das Streben, diesem umfassenden Anspruch gerecht zu werden, sollte v.a. im sozialistischen Wettbewerb um den Titel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ zum Ausdruck kommen. Doch schon die Soziologie in der DDR war realistisch genug, davon auszugehen, dass die Bereitschaft, sich in ein sozialistisches Kollektiv zu integrieren und sich für das Kollektiv einzusetzen, „ungleich verteilt“ war. Die Gruppe der besonders aktiven Kollektivmitglieder, die die „gesellschaftlichen Forderungen als erste erkennen und gegenüber den anderen Mitgliedern vertreten“, wurde als Kollektivkern bezeichnet. Dieser Kerngruppe wurde eine besondere Autorität zugesprochen, mit der sie maßgeblich Ziele, Normen und Verhalten im sozialistischen Kollektiv im o.g. Sinne prägen sollte, was einen permanenten Erziehungsauftrag gegenüber allen Kollektivmitgliedern einschloss. Diese theoretischen Anforderungen dürften der Realität kaum standgehalten haben. So belegen soziologische Untersuchungen und Erfahrungsberichte zwar einerseits sehr enge und dauerhafte Beziehungen in den Arbeitskollektiven, vor allem der Industriebetriebe. Andererseits zeigten sie aber auch, dass es kaum gelang, die Kollektivmitglieder dazu zu bewegen, ihre individuellen und Gruppeninteressen den geforderten „gesellschaftlichen Aufgaben“ bedingungslos unterzu28 29

Lexikon der Wirtschaft. Arbeit – Bildung – Soziales, Berlin (Ost) 1982, S. 521ff. Zitiert nach: DDR-Handbuch, S. 731f. Ebd., S. 522.

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ordnen.30 Die Frage, in welchem Maße es gelang, die Intention der Sozialkontrolle und Steuerung der Individuen über die verschiedenen Kollektivformen, in die sie eingebunden waren, zu realisieren, lässt sich nicht pauschal beantworten. An der Absicht, dies zu tun, kann jedoch kein Zweifel bestehen. In der DDR existierte ein „feingesponnenes Netz von formellen Gruppen, Organisationen, Verbänden und Vereinen, die mehr oder weniger Schnittstellen“ aufwiesen und in das praktisch jede/r von der Einschulung bis ins Rentenalter eingebunden war.31 Einige dieser Organisationsformen, insbesondere jene, die explizit als Brigaden bezeichnet wurden, sollen im Folgenden aufgezählt werden, allerdings ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Die mit Abstand verbreitetste Form waren die (Arbeits-)Brigaden in der Industrie und anderen Bereichen der Wirtschaft, die es bereits seit Ende der 1940er Jahre gab, als sie teilweise auch den Namen „Qualitätsbrigade“ bzw. „Brigade der ausgezeichneten Qualität“ trugen.32 In die Gründungsphase der DDR fällt die Entstehung der ersten „Jugendbrigaden“, denen in dieser Arbeit ein eigenes Kapitel gewidmet ist. In den Zusammenhang der (Arbeits-)Brigaden gehören auch die sogenannten „Komplexbrigaden“, also Zusammenschlüsse mehrerer Brigaden in einem bestimmten Produktionsbereich, die an einem Großaggregat (Hochofen o.ä.) gemeinsam bestimmte Wettbewerbs- bzw. Produktionsziele erreichen wollten.33 Um bis dahin nicht berufstätige Frauen als Arbeitskräfte zu gewinnen, wurden in den 1960er Jahren sogenannte „Hausfrauenbrigaden“ gebildet.34 Ab 1964 gab es sogenannte „Brigaden der Freundschaft“, die bis zum Ende der DDR unter der Ägide der FDJ Entwicklungshilfeprojekte in verschiedenen Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas realisierten.35 Mit dem Beginn der sozialistischen Brigadekampagne (1959) wurden auch die „Patenbrigaden“ zu einem feststehenden Begriff, also Brigaden aus Betrieben und

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DDR-Handbuch, S. 732. Simone Tippach-Schneider, „Blumen für die Hausgemeinschaft“. Kollektivformen in der DDR – ein Überblick, in: Fortschritt, Norm und Eigensinn: Erkundungen im Alltag der DDR. Hrsg. vom Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR, Berlin 1999, S. 243– 255, hier S. 247. Siehe dazu das Kapitel I.2. 1950 schlossen sich 6 Jugend-Qualitätsbrigaden in der „Maschinenfabrik Buckau-Wolf“ in Magdeburg (dem späteren VEB Schwermaschinenbau „Georgi Dimitroff“) zur ersten Komplexbrigade der DDR zusammen. Lexikon der Organisationen und Institutionen: Brigade. Enzyklopädie der DDR, S. 7902. Siehe Kapitel IV.2. Enzyklopädie der DDR, S. 7907. Z.B. waren 1984 insgesamt 16 solcher Brigaden mit ca. 300 Mitgliedern in 9 Staaten der genannten (Sub-)Kontinente tätig. (Ebd.).

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Verwaltungen, die Patenschaften zumeist für Schulklassen übernahmen.36 In den Schulen wurden (nach dem Vorbild aus der Arbeitswelt) v.a. im Grundschulbereich teilweise Klassen zu Wettbewerbszwecken in (Lern-)Brigaden unterteilt, die miteinander um die besten Lernergebnisse wetteifern und sich dabei gegenseitig unterstützen sollten. Vom ersten Schuljahr an bildeten die Klassen zugleich ein Pionierkollektiv, in dem die Kinder auch diverse Funktionen (Gruppenratsvorsitzende/r etc.) auszuüben hatten.37 Nicht mit der Bezeichnung Brigade im Namen, aber doch mit ähnlicher Funktion wurden in den Wohngebieten „Hausgemeinschaften“ gebildet, die häufig auch einen „Hausvertrauensmann“ (in Anlehnung an den Vertrauensmann der Gewerkschaftsgruppe im Betrieb) wählten und ebenfalls am sozialistischen Wettbewerb teilnehmen konnten. Sie rangen dann im Rahmen der o.g. „Mach-MitBewegung“ um den Titel „Vorbildliche Hausgemeinschaft“ bzw. um die „Goldene Hausnummer“.38 Hier wie in allen anderen Fällen ist zu unterscheiden zwischen der Brigade bzw. dem Kollektiv als Gruppe und den diversen Auszeichnungen bzw. Ehrentiteln, die sie in den unterschiedlichen Bereichen des sozialistischen Wettbewerbs erringen konnten. Häufig waren diese Titel mit einer Prämie für die beteiligten Kollektivmitglieder verbunden. Seit 1963 gab es die Auszeichnung „Hervorragendes Jugendkollektiv der DDR“, 1969 wurde der Titel „Betrieb der sozialistischen Arbeit“ eingeführt und ab 1970 wurde die Medaille „Vorbildliches Lehrlingskollektiv im sozialistischen Berufswettbewerb“ verliehen.39 Relativ weit verbreitet waren in den 1970/80er Jahren auch die Titel „Kollektiv (der) Deutsch-Sowjetische(n) Freundschaft“ und „Kollektiv bzw. Bereich der vorbildlichen Ordnung, Disziplin und Sicherheit“.40 Die „Brigaden/Kollektive der sozialistischen Arbeit“ bzw. der gleichnamige Titel stellten sowohl die bedeutsamste Form des sozialistischen Wettbewerbs als 36 37

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Auch den Patenbrigaden ist in dieser Arbeit ein eigenes Kapitel (V.5.) gewidmet. Vgl. Tippach-Schneider, „Blumen für die Hausgemeinschaft“, S. 253. Die Wahl dieser Funktionen erfolgte ab Klasse 4. DDR-Handbuch: Pionierorganisation „Ernst Thälmann“, Enzyklopädie der DDR, S. 4926. Tippach-Schneider, „Blumen für die Hausgemeinschaft“, S. 245. Die Betriebsauszeichnung war auf 15 pro Jahr begrenzt und mit 50.000 bis 100.000 Mark dotiert. Hervorragende Jugendkollektive konnten maximal 50 im Jahr ausgezeichnet werden (bis zu 200 Mark je Mitglied) und für die vorbildlichen Lehrlingskollektive war keine Gesamtzahl, sondern lediglich eine Prämie von 50 Mark für jedes Mitglied festgelegt. DDR-Handbuch, S. 137f. Diese beiden Titel stehen für die Versuche, zusätzliche Komponenten in den sozialistischen Wettbewerb um die KdsA-Auszeichnung zu integrieren bzw. bestimmte Aspekte besonders zu betonen. Siehe dazu Kapitel V.6.

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auch die verbreitetste Kollektivform und -auszeichnung in der DDR dar, die zudem eine gewichtige ideologisch-erzieherische Funktion erfüllen sollte. Genügend Gründe also, sich mit den sozialistischen Brigaden eingehender zu befassen.

2. Die Entwicklung der Arbeitsbrigaden bis 1958 Die Kampagne des FDGB-Bundesvorstandes Um den (Wieder-)Aufbau der durch Kriegszerstörungen sowie umfangreiche Demontagen durch die Besatzungsmacht stark geschwächten Industrie in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)41 zu beschleunigen, bemühten sich SED und FDGB seit 1947/48 im Rahmen der Aktivistenbewegung, das „Bewusstsein“ der „fortschrittlichsten“ Arbeiter anzusprechen, um sie zu freiwilligen überdurchschnittlichen Produktionsleistungen zu bewegen.42 Doch die zu Vorbildern stilisierten „Henneckes“ hatten nicht selten einen schweren Stand bei ihren Kollegen.43 Daher lag es nahe, in Anknüpfung an entsprechende sowjetische Erfahrungen, die Bewegung zur freiwilligen Verbesserung der Arbeitsleistungen auf eine breitere – kollektive – Basis stellen zu wollen.44 Dies fand Anfang März 1950 seinen Niederschlag in den sogenannten „Berliner Beschlüssen“ des FDGB-Bundesvor-

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Zum Themenkomplex sowjetischer Reparationsansprüche und Demontagen vgl. das entsprechende Kapitel, in: Naimark, Die Russen in Deutschland, S. 169ff. Das in dieser Arbeit schwerpunktmäßig untersuchte Stahlwerk in Brandenburg an der Havel war davon auch betroffen gewesen. Siehe dazu von Treskow/Sponholz, Stahlstandort am Silokanal, S. 424f. Vgl. den Artikel zur Aktivistenbewegung in: Herbst u.a., So funktionierte die DDR. Band 1, S. 47f. So beklagten beispielsweise mehrere Teilnehmer einer Sitzung des Zentralvorstandes der IG Metall im Februar 1950, dass „die vorgeschlagenen Aktivisten aus der BGL herausgewählt wurden“, was „keine Einzelerscheinung“ sei, und „selbst SED-Leute hätten sich gegen Aktivisten als Kandidaten gewandt“. Der mutmaßliche Hauptgrund für diese ablehnende Haltung war, dass „sie als ,Normenbrecher‘ bezeichnet wurden“. SAPMO-GA, DY 34/A 3665 (unpag.), Bericht von der Zentralvorstandssitzung der IG Metall (7.2.1950), S. 2f. Zum Komplex Arbeiterschaft, FDGB, SED in der SBZ siehe Stadtland, Herrschaft nach Plan sowie Reichel, „Feste Burgen der Partei“? und Ders., Auf dem Weg zur „herrschenden Klasse“? Vgl. Hübner, Konsens, S. 215.

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standes, in denen festgelegt wurde, dass bis Ende des Jahres „in den VEB mindestens 15.000 Qualitätsbrigaden ihre Arbeit aufgenommen haben“ sollen.45 Die Art und Weise diese Bewegung auszulösen, lässt ein „Strickmuster“ erkennen, das sich bei so vielen Kampagnen wiederholen sollte: Nicht etwa die (häufig von sowjetischen Vorbildern oder Vorgaben inspirierten) Interessen und Überlegungen hochrangiger Partei- oder Gewerkschaftsfunktionäre sind der Auslöser, sondern angeblich spontane, unverfälschte Forderungen von der Basis, aus der Arbeiterschaft selbst,46 so die stereotype offizielle Präsentation. Aber da man lieber doch nichts dem Zufall überlassen wollte, erstellte die FDGB-Spitze einen „vorläufigen Arbeitsplan für die Agitation zur Durchführung der Berliner Beschlüsse“, in dem die Propagierung der Brigade-Initiative detailliert aufgeschlüsselt wurde.47 Ein halbes Jahr später formulierte Rudi Kirchner, der stellvertretende FDGBVorsitzende, deutlich die mit der Kampagne verbundenen ökonomischen und politischen Absichten: „Bis zum Ende des 5-Jahrplanes die überwiegende Masse der Produktionsarbeiter in Arbeitsbrigaden zu organisieren, den Geist der Aktivisten auf die Masse der Brigademitglieder zu übertragen, durch die kollektive Arbeit in den Brigaden und die mit ihr verbundene Erziehung zur kollektiven Verantwortung die individualistischen und Einzelgängertendenzen zu zerschlagen und die Brigade zu der Zelle der vollen Entfaltung der schöpferischen Kräfte der Arbeiter zu machen.“48 Die der Gewerkschaftsführung gemeldeten Zahlen neu gebildeter Produktionsbrigaden stiegen im Laufe des Jahres 1950 sprunghaft an und übertrafen dabei noch deren Erwartungen. So wurden im Mai d.J. ca. 6.000 und einen Monat später bereits über 16.000 Brigaden registriert. Bis Jahresende wuchs ihre Zahl auf über 98.000 mit etwa 663.000 Arbeitern an.49 Dass diese statistischen Angaben mit Vorsicht zu genießen sind, lässt sich schon daran ablesen, dass selbst auf dem 3. FDGB-Kongress im Spätsommer 1950 ganz öffentlich vor gar zu plumper

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Die „Berliner Beschlüsse“ der Tagung des Bundesvorstandes des FDGB vom 3./4. März 1950 sind z.T. abgedruckt, in: Keller, Lebendige Demokratie, S. 316 ff. Sogenannte „Qualitätsbrigaden“ wurden ab Juli 1949 gebildet; Anfang 1950 soll es ca. 1.000 davon gegeben haben. Vgl. Mühlfriedel/Wießner, Geschichte der Industrie der DDR bis 1965, S. 89f. Vgl. Roesler, Inszenierung, S. 8–11. Ebd., S. 9. Nur am Rande sei auf zwei Vorläufer der Brigadebewegung in der SBZ/DDR verwiesen: Bereits im Herbst 1947 waren vereinzelt Jugendbrigaden in den Industriebetrieben der SBZ gebildet worden. (Vgl. Henneberg, Zur Entwicklung und Organisation der Arbeitsbrigaden, S. 35). Aus dem Referat Rudi Kirchners auf der 2. Tagung des FDGB-Bundesvorstandes (9./10.11.1950) – zitiert nach Hübner, Konsens, S. 215). Deutschland u.a., Geschichte des FDGB, S. 355; Roesler, Inszenierung, S. 10.

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„Zahlenhascherei“ gewarnt wurde.50 Was sich tatsächlich hinter diesen Zahlen verbarg, wird erst durch einen Blick in die Praxis, in die Betriebe vor Ort sichtbar.

Die Etablierung der Arbeitsbrigaden in den Betrieben In der dritten Ausgabe der Betriebszeitung des Stahl- und Walzwerkes Brandenburg (SWB) vom 28. Mai 1950 war ein erster Artikel über „die Bedeutung der Arbeitsbrigaden“ abgedruckt, in dem dazu aufgefordert wurde, selbige zu bilden und in den Wettbewerb untereinander zu treten.51 Es vergingen gut zwei Monate, bis an gleicher Stelle über die Bildung der ersten Brigade berichtet wurde.52 Mitte Oktober konnte schließlich der erste Erfolg einer Brigade vermeldet werden, nicht ohne darauf zu verweisen, dass dieser trotz skeptischer Stimmen – „Was brauchen wir bei uns im Betrieb überhaupt Arbeitsbrigaden?“ – erzielt und die Mitglieder der Brigade dafür mit einer beachtlichen Geldprämie bedacht wurden. Sie hatten die Arbeitsnorm für eine bestimmte von ihnen auszuführende Tätigkeit freiwillig um 1/3 erhöht. Ausdrückliches Lob wurde ihnen zuteil, weil sie damit „die Linie der beharrlich wartenden Kollegen durchbrochen“ und „den Weg zu weiteren Normerhöhungen geebnet“ hatten.53 Insgesamt verzeichnet die Wettbewerbsstatistik des SWB für Ende 1950 20 Brigaden mit zusammen etwa 300 Kollegen. Wenn man das, im Vergleich zum Republikdurchschnitt, schleppende Anlaufen der Brigadebewegung im Brandenburger Stahlwerk bewerten will, muss man die Ausnahmesituation, in der sich dieser Betrieb zu jenem Zeitpunkt befand, 50

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Protokoll des 3. FDGB-Kongresses. Berlin (Ost), 1950, S. 75. Es gibt eine Reihe von Indizien dafür, dass die vom FDGB-Bundesvorstand zusammengefassten Zahlen der Brigadestatistik für 1950 viel zu hoch waren. So haben bspw. in den Leunawerken von 200 im Mai d.J. gemeldeten Arbeitsbrigaden tatsächlich nur 45 existiert. (Roesler, Inszenierung, S. 11). Weit verbreitet war vermutlich auch die Praxis, bestehende Arbeitskolonnen einfach in Brigaden umzubenennen. Vgl. Roesler, Gab es …, S. 124. In der Betriebsleitung des SWB wird „versehentlich“ ein gerade noch als Brigadeführer bezeichneter im folgenden Satz als „Kolonnenführer“ angesprochen, der zu „seiner Kolonne“ tritt. Siehe: „Stahlwerk im Aufbau“, Nr. 17/1950. „Stahlwerk im Aufbau“, Nr. 3/1950. … verbunden mit dem nochmaligen eindringlichen Hinweis auf die Notwendigkeit weitere Arbeitsbrigaden zu gründen, denn „dieses Bewusstsein, Bahnbrecher einer neuen Zeit zu sein, gilt es auf alle Kollegen in unserem Betrieb zu übertragen. Die Einzelleistung des Aktivisten wird in der Brigade zur kollektiven Leistung, sie wird zur Massenbasis.“ Ebd., Nr. 8/1950. Ebd., Nr. 13/1950. Dennoch scheint die Zurückhaltung der Stahlwerker zunächst angehalten zu haben, denn es verging ein weiterer Monat, bis sich eine zweite Arbeitsbrigade bereitfand, ihre Norm freiwillig um 10 % heraufzusetzen. Ebd., Nr. 22/1950.

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berücksichtigen. Erst im Februar 1950 war die Grundsteinlegung für den Neuaufbau des zerstörten bzw. demontierten Werkes erfolgt. Das Bauvorhaben wurde zum „Schwerpunkt Nr. 1 in der DDR“ erklärt, so dass mit Hochdruck gearbeitet wurde und bereits am 20. Juli d.J. der erste „Friedensstahl“ floss.54 Das heißt, die Kampagne zur Brigadebildung fiel für das SWB in die Zeit, da es eher eine hektische Großbaustelle als ein geordneter Betrieb gewesen sein dürfte. Noch im August 1951 wurde auf einer Parteiaktivtagung unter der Rubrik „Mängel der Gewerkschaftsarbeit“ beklagt, dass „die Brigaden als Grundeinheiten der Produktion im SWB keinen festen Bestand“ hätten bzw. nur formal existierten.55 Als Grund wurde „die ständige Fluktuation der Arbeitskräfte im Betrieb, das Einsetzen vorhandener Arbeitskräfte an ständig neuen Arbeitsplätzen“ genannt, wodurch das „Zustandekommen fester Arbeitsbrigaden und die Entwicklung des Kollektivgeistes innerhalb der Brigade“ verhindert würden. Ein halbes Jahr später konnte eine gewisse Verstetigung der Betriebsstruktur und die weitgehende Organisierung der Belegschaft in Brigaden konstatiert werden.56 Zu fragen ist, wie die Arbeiter im SWB und anderen Betrieben mit „ihrer“ neuen Institution, den Brigaden, umgingen, welche Motive sie bewegten mitzumachen bzw. sich abwartend oder gar ablehnend zu verhalten.

Das Tauziehen um Normen und Löhne Dass mit der Brigadebildung in vielen Fällen kaum Veränderungen in den „bisherigen Strukturen kollektiver Arbeitszusammenhänge“ verbunden waren und somit zumindest nichts gegen sie sprach, ist sicher richtig.57 Im Falle der Brandenburger Stahlwerker liegt sogar die Vermutung nahe, dass viele Arbeiter das Hin-und-Hergeschubstwerden im oben angedeuteten Durcheinander der ersten Aufbauphase gern gegen das ruhigere Fahrwasser im Zusammenhang einer Brigade eingetauscht haben. „Ein verbreitetes Interesse an Prämierungen zusätzlicher Arbeitsleistungen“, das im Brigadeverband besser zu verwirklichen war,58 dürfte sehr wahrscheinlich das stärkste Motiv zur Teilnahme an der Brigadebewegung gewesen sein. Auf jeden Fall scheint es dafür mehr Belege zu geben, als für andere mögliche Beweggründe der Arbeiter, sich in Brigaden zusammenzuschließen. So galt in einigen 54 55 56 57 58

30 Jahre DDR – 30 Jahre VEB Stahl- und Walzwerk Brandenburg. Zeittafel, Brandenburg an der Havel, 1979., S. 14f. BLHA, Rep. 532, Nr. IV/7/055/108, Bl. 20. Ebd., Bl. 46ff. Hübner, Konsens, S. 215. Ebd.

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Bereichen des SWB 1951, dass im Leistungslohn „nur (…) Brigadebesatzungen bezahlt“ wurden.59 Andere, nicht in Brigaden organisierte Arbeiter, hatten demnach keine oder schlechtere Chancen, leistungsabhängige Zuschläge zu erhalten. Da Leistungslöhne v.a. in Abhängigkeit von der Normerfüllung gezahlt wurden, boten sich hier Möglichkeiten für teils erhebliche Lohnaufbesserungen. Noch im September 1952 rechneten im Brandenburger Stahlwerk die Brigaden Übererfüllungen von bis zu 180 % ab und forderten entsprechende Lohnzuschläge ein.60 Der neuralgische Punkt war offensichtlich die Normfestsetzung. Deshalb ist es mehr als verständlich, dass die Arbeiter das ihnen mit den Brigaden zunächst zugebilligte Mitbestimmungsrecht der „Selbstnormung“ und „Selbstkontrolle“ gern in Anspruch nahmen und später zäh verteidigten.61 Roesler führt als Beispiel, „wie sich die Engagierten in den Brigaden die Selbstnormung vorstellten“, den Vertrag zwischen einer Brigade und der Betriebsleitung des Reichsbahnausbesserungswerkes (RAW) Potsdam vom Februar 1951 an. Darin wurde eine Reihe von Festlegungen getroffen, die v.a. eine einseitige Erhöhung der Norm durch die Werkleitung ausschlossen, zu einer sofortigen Erhöhung des Leistungslohnes für die Arbeiter führten und ihnen zudem Prämien für das Einsparen von Material zusicherten. Der Vertrag endet schließlich mit dem Satz: „Zum ersten Male seit Bestehen des RAW Potsdam verwirklichen die Werktätigen das Mitbestimmungsrecht jedes Einzelnen im Betrieb.“62 Die Interpretation, dass es sich bei dieser Brigade um „,engagierte‘ Arbeiter, die zur aktiven Mitarbeit am Aufbau der neuen Gesellschaft bereit waren“ handelt, ist zwar eine mögliche, aber keineswegs die einzige. Nicht weniger plausibel scheint die Erklärung, dass sich die Arbeiter auf diese Weise zuallererst für eine vollere Lohntüte engagierten, ohne zur Erfüllung der von ihnen maßgeblich mitbestimmten Norm das eigene Leistungsvermögen unbedingt voll ausschöpfen zu müssen.63 Auch im Brandenburger Stahlwerk hat es in puncto Normen und Prämien Streit gegeben. So beschwerte sich Ende 1952 ein Genosse im Namen seiner Brigade über „nicht rechtzeitig bearbeitete und ohne Rücksprache gekürzte vertraglich zugesicherte Prämienzahlungen“. Ein anderer Kollege unterstützte diese Kritik an der Werkleitung, indem er hinzufügte, dass „unter der Belegschaft schon

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BLHA, Rep. 502, Nr. 5253 (unpag.). BLHA, Rep. 532, Nr. IV/7/055/108, Bl. 83ff. Vgl. Roesler, Inszenierung, S. 15f. und Hübner, Konsens, S. 217. Roesler, Inszenierung, S. 15f. Dass dies bei einigen von ihnen mit dem ehrlichen Willen „am Aufbau der neuen Gesellschaft“ teilzunehmen verbunden gewesen sein mag, kann man durchaus vermuten; nur geht das nicht zwingend aus diesem und ähnlichen Dokumenten hervor. Ebd., S. 12.

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von einem ,Eiertanz um die Prämien‘ die Rede sei“.64 Offenbar war der Prämienfonds des Betriebes ausgeschöpft, u.a. wegen erheblicher Zahlungen an Brigaden, die ständig ihre Normen überfüllten.65 Diese Kritik wurde seitens der Direktion zurückgewiesen: „Die Normen seien nicht richtig festgelegt worden, aber Brigadeverträge müssten auf TAN aufgebaut sein, da sich sonst Missverhältnisse ergeben würden.“ Nachdem weitere Arbeiter ihre diesbezüglichen Klagen vorgetragen hatten, redete der Betriebsleiter Klartext: Zwar seien Brigadeverträge „etwas sehr Gutes (…), doch dürfe der Vertragsabschluss nicht zu einer Krankheit werden, (…) dürfe nicht hinterher vom Werkdirektor eine Prämie verlangt werden, wenn im Vertrag davon nicht die Rede ist. Der größte Teil der Verträge sei nicht registriert. (…) Darum habe er bestimmt, dass mit dem Ende dieses Jahres alle Verträge ihre Gültigkeit verlieren und angeordnet, dass neue Verträge, die konkret gefasst sind, vorbereitet werden“ und vor Inkrafttreten vom „Arbeitsdirektor und kaufmännischen Direktor (…) auf Richtigkeit und Durchführbarkeit hin geprüft“ würden.66 Dass diese Auseinandersetzung im SWB kein Einzelfall, sondern der Konflikt um Normen, Löhne und Prämien ein Kernproblem der Wirtschafts- und Sozialpolitik in der SBZ und frühen DDR war, ist bekannt.67 Der Ende Mai 1953 erfolgte administrative Versuch, die Normen in der gesamten volkseigenen Industrie per Ministerratsbeschluss heraufzusetzen, war schließlich eines der auslösenden Momente für den Arbeiteraufstand um den 17. Juni.68 Dabei hatten SED und FDGB zuvor noch versucht die Brigadiere, zumindest in Berliner Baubetrieben, mittels manipulierter Abstimmung über die Normenerhöhung gegen ihre Kollegen auszuspielen und so den erhofften Durchbruch zu erzielen.69 Dieser plumpe Überrumplungsversuch ging aber nach hinten los: Bei 64 65

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BLHA, Rep. 532, Nr. IV/7/055/108, Bl. 93ff. (Protokoll der Parteiaktivtagung im SWB vom 23.12.1952). Aus einer Aufschlüsselung der Prämienzahlungen aus dem Direktorenfonds für das IV. Quartal 1951 geht hervor, dass die Brigaden pro Kopf monatliche Prämien erhalten konnten, die 10% bis über 50% des Nominallohnes der Arbeiter betrugen. BLHA, Rep. 502, Nr. 3058 (unpag.); Eine ähnliche, die monatliche „Prämierung für die innerbetrieblichen Wettbewerbe“ im Jahr 1952 betreffende, Liste findet sich in der Akte: BLHA, Rep. 502, Nr. 195 (unpag.). BLHA, Rep. 532, Nr. IV/7/055/108, Bl. 99 und 105. Ausführlich dazu das Kapitel „Löhne und Normen: Im Spannungsfeld industriepolitischer Schwerpunktprogramme“ bei Hübner, Konsens, S. 16ff. Vgl. Diedrich, Der 17. Juni 1953, S. 46ff. Beier, Wir wollen freie Menschen sein, S. 55. Der damalige Brigadier Alfred Berlin erinnert sich in einem Gespräch, an die besagte Abstimmung auf einer Brigadiersversammlung seines Betriebes: „Als wir in den Saal kamen, war jeder zweite Sitzplatz mit einem betriebs-

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den Demonstrationen am 16. Juni in (Ost-)Berlin marschierten die Brigadiere an der Spitze. Die erste Forderung der streikenden (Bau-)Arbeiter lautete: Auszahlung der Löhne nach der alten Norm und Ausgleich der seit Einführung der neuen Normen erlittenen Einbußen.70 Die Brandenburger Stahlwerker gehörten zwar nicht zu den Vorreitern des Aufstandes,71 erreichten aber eine vorübergehende Herabsetzung der Normen auf den Stand von 1951.72 Das Tauziehen um Normen und Löhne blieb freilich über das Jahr 1953 hinaus ein Thema, wenngleich es nach dem Schock des 17. Juni von oben zunächst etwas moderater gehandhabt wurde. So gibt es Beispiele von Brigaden, die das Prinzip der Entlohnung des Einzelnen, entsprechend seiner konkret geleisteten Arbeit, mittels eines „kollektiven Leistungslohnes“ erfolgreich unterliefen. Ein FDGBInstrukteur kritisierte: „Die Art der Verrechnung ist mangelhaft, das Leistungsprinzip wird verletzt“. Er kam zu dem Schluss: „Der kollektive Leistungslohn ist durch Schaffung von TAN für die einzelnen Arbeitsgänge zu beseitigen (…).“73 In einem internen Papier aus dem Apparat des SED-Zentralkomitees zerbrach man sich Mitte 1958 den Kopf über eine „Lösung des Widerspruchs zwischen den ständig wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnissen der Bevölkerung und dem jeweils erreichten Entwicklungsniveau der Produktion“.74 Dabei wird

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fremden, uns unbekannten Menschen, besetzt.“ Die Gegenstimmen und Stimmenthaltungen der Brigadiere standen dann gegen das einhellige Ja der „unbekannten Fremden“ auf verlorenem Posten. Ebd., S. 16 und 55ff. Die Ereignisse um den 17. Juni 1953 in Brandenburg/Havel und insbesondere im SWB sind meines Wissens noch nicht genauer untersucht worden. Der Betriebsleiter schätzte auf der zentralen Mitgliederversammlung der Betriebsparteiorganisation (BPO) am 22.6.1953 ein, dass „sich die Stahlwerker von allen Betrieben Brandenburgs in den kritischen Tagen am besten verhalten haben“, wofür ihnen „Dank und Anerkennung von Vertretern der Bezirksleitung der Partei“ übermittelt wurden. BLHA, Rep. 532, Nr. IV/055/108, Bl. 153 ff. In einer neueren Publikation heißt es, dass in der Stadt Brandenburg „die wohl heftigsten Proteste und Demonstrationen“ der Region (des heutigen Landes Brandenburg) stattgefunden hätten. Darin wird ein Polizeibericht zitiert, demzufolge „etwa 15.000 Provokateure, (…) sich 4–5 Gruppen geteilt randalierend (…) in die Innenstadt bewegten.“ Die Initiative ging offenbar auch in Brandenburg/Havel „von Bauarbeitern (…)“ aus, denen sich „ein Teil der Arbeiter des SWB, (…) und anderen volkseigener Betriebe anschlossen“. Ciesla, Freiheit, S. 34 und S. 137ff. Ebd., Bl. 197. Demselben Dokument zufolge arbeiteten ab Oktober 1953 sämtliche Brigaden des Betriebes wieder nach der Norm vom 1.5. d.J. SAPMO-GA, DY 34 18/244/3006 (unpag.) In diesem Falle handelt es sich um einen Instrukteursbericht an den FDGB-Bundesvorstand über eine Untersuchung im „Fritz Heckert“-Werk (Karl-Marx-Stadt), Anfang 1955. SAPMO-PA, DY 30 IV 2/611/52, Bl. 88ff.

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festgestellt, dass Soll und Ist bei der Entwicklung der Arbeitsproduktivität auf der einen und den Durchschnittslöhnen auf der anderen Seite im Laufe der 1950er Jahre immer weiter auseinanderklafften;75 vermutlich nicht zuletzt infolge des eben beschriebenen zähen Ringens um Normen, Löhne und Prämien. Hier ist ein enger Zusammenhang zu der von Hübner konstatierten (teilweisen) Übernahme „quasigewerkschaftlicher Aufgaben“ durch die Brigaden nicht zu übersehen:76 Auf dem oben geschilderten (Um-)Weg der Normfestlegung – unter maßgeblicher Mitwirkung der Brigaden selbst – und daran geknüpfter Prämien bzw. Leistungszuschläge gelang es den Beschäftigten, sozusagen durch die Hintertür, teils beträchtliche Lohnaufschläge auszuhandeln.

Weitergehende Mitbestimmungsrechte? Gelang es der Arbeiterschaft in den 1950er Jahren im Kontext der Brigadebewegung, über die eben geschilderten Punkte hinaus, weitergehende Mitbestimmungsrechte durchzusetzen? In den Akten des FDGB-Bundesvorstandes findet man zu dieser Frage ein bemerkenswertes Papier vom März 1951, in dem vorgeschlagen wird, wie „über den Weg der Arbeitsbrigaden“ eine „demokratische Wirtschaftsordnung“ geschaffen werden könnte.77 Dessen Verfasser fordert, dass „der demokratische Aufbau innerhalb des Betriebs über Brigadebildung hinaus weiter gefördert werden (muss)“ und skizziert eine dementsprechende Struktur gewählter Vertretungskörperschaften. Angefangen von den Brigaden/Brigadieren über die Ebene der Abteilungen etc. bis hin zum Werksaktiv für den Gesamtbetrieb sollten von unten nach oben die jeweiligen Leiter bzw. Leitungsgremien gewählt werden. Darüber hinaus solle die Eigenverantwortlichkeit und Entscheidungskompetenz in den einzelnen Bereichen bedeutend erhöht sowie jeder Arbeiter durch erhebliche Gewinnbeteili75

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Ebd. Auf der Basis von 1950 sollte 1956 eine Arbeitsproduktivität von 190%, 1957 197% erzielt werden. Tatsächlich wurden – lt. dieser Studie – lediglich 170% bzw. 172% erreicht. Bei den Löhnen hingegen werden die anvisierten 142% bzw. 145% mit 151% und 155% deutlich übertroffen. Ebd., S. 219. SAPMO-GA, DY 34/42/970/4538 (unpag.); Vgl. Roesler, Inszenierung, S. 16ff., der dieses Dokument bereits ausführlich zitiert hat. Allerdings handelt es sich hierbei m.E. nicht um ein „Exposé von Gewerkschaftern“ bzw. „Mitbestimmungsvorstellungen von Brigademitgliedern“ (Roesler, Inszenierung, S. 17), sondern um eine „Ausarbeitung des Kollegen H. [Singular!], beschäftigt in der Staatswerft Rothensee, wo die Brigadenbildung (…) vorgenommen werden soll“, wie es im Anschreiben des Landesvorstandes der IG Metall Sachsen-Anhalt heißt. Dieser Kollege H. hat den Brief – der keine Hinweise auf etwaige Koautoren enthält – auch allein unterschrieben.

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gung an Normenerhöhungen und Rationalisierungsvorschlägen interessiert werden. Das Ganze mutet wie ein Programm zur Wiedereinsetzung der 1948 abgeschafften Betriebsräte, mit weit ausgedehnten Rechten und Aufgaben, an.78 Dieses Papier fand jedoch im FDGB-Apparat keinerlei Resonanz, sondern verschwand in irgendeiner Schublade.79 Da ähnlich radikale Vorhaben im Kontext der Brigadebewegung für diese Zeit nicht bekannt sind, wirkt Roeslers Interpretation, dass die Arbeiter die Brigadebildung genutzt hätten, „um die untere Ebene der betrieblichen Hierarchie aufzubrechen“,80 in ihrer Absolutheit deutlich überzogen. Hübners wesentlich zurückhaltendere Aussage, „unter den aktiveren Arbeitern schien die Ansicht verbreitet zu sein, durch die Brigaden ein größeres Maß an betrieblicher Mitbestimmung zu erreichen“,81 bietet hingegen einen flexiblen Interpretationsrahmen. Dies scheint mir angesichts der (bislang bekannten) nicht all zu dichten empirischen Belege auch angemessen. Mit etwas größerer Gewissheit und präziser können lediglich Einzelfälle aus einer Reihe von Betrieben bewertet werden. Beispielsweise wurde im Stahl- und Walzwerk Brandenburg den Brigaden bei der Wahl ihrer Brigadiers offenbar ein Mitspracherecht eingeräumt. Auf diese Praxis deutet zumindest ein Dokument hin, demzufolge sich die Betriebsleitung Anfang 1955 zähneknirschend damit abfand, dass zwei von ihr nominierte Brigadiere glatt durchfielen und an deren Stelle andere gewählt wurden.82 Ebenso gibt es für das SWB Hinweise auf Kompetenzgerangel zwischen Brigade/Brigadier einerseits sowie Meister und Abteilungsleiter andererseits. Diese erscheinen zumeist als Versuche der Brigaden, ihren Spielraum gegenüber diesen unmittelbaren Vorgesetzten zu erweitern. So beschwerte sich ein Genosse Arbeiter Ende 1952: „Abteilungsleitung und Meister hemmten die Entwicklung der Brigadenbildung, sie hingen am alten Kram“.83 Allerdings lässt sich anhand der Akten kaum etwas über die Ergebnisse solchen Aufbegehrens aussagen. Das Material ist zu dünn, um auch nur für diesen einen Betrieb die Behauptung vom ‚Aufbrechen der unteren Ebene der betrieblichen Hierarchie‘ zweifelsfrei belegen zu können. In den zwischen den Brigaden und der Werkleitung, meist unter Beteiligung der BGL, ausgehandelten Verträgen sind zuweilen auch Zusagen der Betriebslei78 79 80 81 82 83

Vgl. Suckut, Betriebsrätebewegung sowie Reichel, Auf dem Weg. Roesler, Inszenierung, S. 17f. Roesler, Gab es …, S. 125. Hübner, Konsens, S. 215. BLHA, Rep. 502, Nr. 195 (unpag.). BLHA, Rep. 532, Nr. IV/7/055/108, Bl. 103 (Protokoll der Parteiaktivtagung des SWB am 23.12.1952).

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tung hinsichtlich Arbeitsschutzes, Hygiene und Gesundheitsbetreuung enthalten. Ein Brigadevertrag aus dem SWB für das Jahr 1954 beinhaltet z.B. die pauschale Verpflichtung der Werkleitung, „alle Maßnahmen im Interesse des Arbeitsschutzes und der Gesundheit der Kollegen zu ergreifen (…)“.84 Im RFT-Glühlampenwerk, Berlin (Ost), erhielt eine Brigade Anfang 1953 konkrete Zusagen, dass u.a. mit ihr gemeinsam ein Urlaubsplan aufgestellt werden sollte, alle Kollegen demnächst an einer medizinischen Reihenuntersuchung teilnehmen könnten, jedem Brigademitglied täglich ½ Liter Milch kostenlos ausgegeben wird sowie die Dusch- und Umkleideräume der Brigade bei Schichtwechsel beheizt und mit Warmwasser versorgt werden sollten. Eine Vertragsklausel berechtigte die Brigade außerdem bei groben Verstößen gegen die abgegebenen Verpflichtungen auch zu Disziplinarmaßnahmen gegenüber ihren Mitgliedern. Mindestens 2/3 der Kollegen mussten mit dem Beschluss über eine „Verwarnung“ oder „öffentliche Missbilligung“ oder schlimmstenfalls den „Ausschluss aus der Brigade“ einverstanden sein.85 Ein Brigadevertrag aus der „Neptun“-Werft, Rostock, ebenfalls von 1953, räumte der Brigade das Recht ein, die Betriebsleitung in die Pflicht zu nehmen: „Bei Nichteinhaltung der Verpflichtungen von Seiten der Werkleitung erfolgt eine Beschwerde der Brigade an das zuständige Ministerium, oder es wird Klage bei dem zuständigen Arbeitsgericht erhoben.“86 Ob und mit welchem Ergebnis solche Beschwerden tatsächlich geführt worden sind, muss offen bleiben. In manchen Brigaden gab es, die gegenseitige Erziehung innerhalb des Arbeitskollektivs betreffend, zwar keine formellen Festlegungen, dafür aber nicht weniger wirksame ungeschriebene Gesetze: Im Interview mit Lutz Niethammer erzählte einer der ,roten Hochöfner‘ aus dem Eisenhüttenkombinat Ost (EKO) über „seine Erfahrung mit der Sozialkontrolle im Kollektiv der Gründerjahre“: „Du hast mal een gefeiert und kommst morgen nicht uff Arbeit. Da wurde bei uns, schon damals am Ofen, gesagt: ,Also horche zu, du bist gestern nicht uff Arbeit gekommen, du bezahlst fuffzehn Mark.‘ Und der hat bloß eenmal fuffzehn Mark bezahlt oder zweimal. Dann nicht mehr. Dann ist er pünktlich zur Arbeit gekommen. Oder bei der Ablösung. Wir ham det so gehabt am Ofen, in meinem Kollektiv,

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„… und zu diesem Zweck regelmäßig Betriebsbegehungen durch den Sicherheitsingenieur in Verbindung mit der Unfallschutzkommission durchzuführen.“ BLHA, Rep. 502, Nr. 195 (unpag.), Brigadevertrag zwischen der Werkleitung (…) und den drei Brigaden der Generatorenabteilung. SAPMO-GA, DY 34/S 215, S. 2–4. Ebd.

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was ich hatte: eine Minute (betont) zu spät kommen: 12 Mark fuffzig. Dat war immer ‘ne Flasche. Der ist bloß een Tag oder zwee Tage zu spät gekommen.“87 Freilich wäre es unpassend, dies als eine, der staatlichen Leitung des Betriebes abgerungene, formale Übertragung disziplinarischer Rechte auf die Brigade zu charakterisieren. Aber immerhin hat es das Kollektiv übernommen, auf diesem informellen Weg die eigenen Brigademitglieder zur Einhaltung der Arbeitsdisziplin zu bringen, ohne Androhung bzw. Vollstreckung arbeitsrechtlicher Konsequenzen. Nach derzeitigem Forschungsstand kann m.E. nicht von einer generellen Erweiterung der Mitbestimmungs- und sonstigen Rechte der Arbeiterschaft in der Industrie der DDR im Zusammenhang der Bewegung der Arbeitsbrigaden die Rede sein. Empirisch belegt ist das (oben beschriebene) relativ weit verbreitete erfolgreiche Bemühen um Lohnaufbesserungen. Ein zweites ernsthaftes und nicht auf wenige Einzelfälle beschränktes Phänomen scheint die Wahl von Brigadieren, gegebenenfalls auch gegen den Willen der Betriebsleitung, gewesen zu sein. Aus dieser Legitimation konnte eine vergleichsweise starke Stellung des Brigadeleiters erwachsen, was wiederum indirekt die Position des Meisters als unmittelbarer Vorgesetzter der Brigade schwächen konnte. Hinzu kamen einige Einzelbeispiele, wo Brigaden verschiedene Verbesserungen der Arbeits- und Lebensbedingungen sowie geringfügige Mitspracherechte, wie z.B. bei der Urlaubsplanung, ausgehandelt hatten.

Abflauen der Brigadebewegung? Die Institution der Arbeitsbrigaden war ab Mitte der 1950er Jahre in den Industriebetrieben der DDR fest etabliert und von den Arbeitern weitgehend akzeptiert.88 1957 existierten laut offizieller Statistik ca. 179.000 Brigaden, in denen rund 1,9 Millionen Mitglieder zusammengefasst waren.89 Der von den Brigaden verteidigte Status quo auf dem Gebiet der Normen und Löhne war jedoch Anlass für SED und FDGB im Bunde mit den verantwortlichen Wirtschaftsfunktionären zu versuchen, die Brigadebewegung einzudämmen bzw. an die kurze Leine zu nehmen. Dies geschah zunächst über den Aufhänger der Brigadierentlohnung. Der für Wettbewerbe zuständige Mitarbeiter der Leitung des SWB schrieb im August 1954 in seinem Bericht über einen Erfahrungsaustausch mit dem Stahlwerk Riesa, dass auch hier „bedauerlicherweise eine Disharmonie zwischen dem Einkommen der Meister und dem der Brigadiere“ bestehe. Das heißt, der Briga87 88 89

Niethammer u.a., Volkseigene Erfahrung, S. 404. Vgl. Hübner, Konsens, S. 217. Statistisches Jahrbuch der DDR 1957, S. 197.

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dier ging nicht selten mit gleichviel oder gar mehr Geld nach Hause als der Meister, obwohl jener in der Betriebshierarchie vor ihm rangierte und in der Regel auch höher qualifiziert war. Dies brachte den genannten Mitarbeiter dazu, gleich an die „Abschaffung der Brigadiere“ zu denken, was aber „praktisch die Auflösung der Brigaden“ bedeutet hätte. Das wiederum sei unmöglich, da „es nicht den Gesetzen unserer Regierung entspricht“.90 Ein anderer Bericht von Anfang 1955 moniert, dass die Entlohnung der Brigadiere auch in Bezug auf die Kollegen ihrer Kollektive dem Leistungsprinzip widerspräche, da ihre Leistung „nicht höher als die Durchschnittsleistung aller Kollegen der Brigade“ sei, ihr tatsächlicher Verdienst aber mindestens 25% über dem der übrigen Brigademitglieder liege.91 Allerdings geht aus dem Papier nicht hervor, dass die Brigademitglieder selbst sich über diesen Zustand beschwert hätten. Vielleicht u.a. deshalb, weil ein cleverer Brigadier nicht selten für seine Kollegen ein Mehr an Lohn herausholte, indem er z.B. die entsprechende Normübererfüllung einfach abrechnete, auch wenn dies gar nicht unbedingt den Tatsachen entsprach.92 Doch auch dieser Berichterstatter kommt zu dem Schluss, dass die Entlohnung der Brigadiere aufgrund der geltenden gesetzlichen Bestimmungen momentan nicht geändert werden könne.93 Die offenbar hinderlich gewordene Verordnung zur Brigadierentlohnung datiert aus dem Jahre 1951,94 also aus der Anfangszeit der Brigadebewegung, da man diese noch von oben förderte, um die Wunschvorstellung von den „kollektiven Aktivisten“ schneller verwirklicht zu sehen. Unter Anwendung der darin vorgeschriebenen Berechnung des Leistungslohnes wurde einem Brigadier z.B. für eine Normerfüllung seiner Brigade von 130 Prozent, was wohl keine Seltenheit war und z.T. noch erheblich übertroffen wurde, etwa das 1,5-fache seines Leistungsgrundlohnes ausgezahlt.95 Da dies eher die Regel denn eine Ausnahme gewesen zu 90 91 92

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BLHA, Rep. 502, Nr. 2006 (unpag.), Bericht über den Erfahrungsaustausch im Stahl- und Walzwerk Riesa am 2.8.54 über den innerbetrieblichen Wettbewerb. SAPMO-GA, DY 34/18/244/3006 (unpag.) Das unterstellt zumindest ein Artikel „Zur Brigadierentlohnung“ von L. Borkmann, Held der Arbeit, in der Zeitschrift „Arbeit und Sozialfürsorge“ Nr. 19/1955, S. 583–585. („… dass Brigadiere nicht die notwendige Sorgfalt bei der Leistungslohnabrechnung übten und nicht selten Normerfüllungen ,schrieben‘, die in der Tat nicht erreicht wurden.“). SAPMO-GA, DY 34/18/244/3006 (unpag.). Abschrift in einer Akte der Abteilung Arbeit und Löhne des FDGB-Bundesvorstandes von 1955, wo es fast ausschließlich um das Zurückdrehen der Leistungslohnzuschläge für Brigadiere geht. Laut dieser Abschrift erging die Verordnung am 15.2.1951 und wurde im Gesetzblatt 35/51 vom 22.3.1951 veröffentlicht. SAPMO-GA, DY 34/17/138/5170 (unpag.). Ebd.

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sein scheint und ja nicht nur die Brigadiere, sondern auch ihre Kollegen von der Normerfüllung abhängige Lohnzuschläge erhielten, liegt klar auf der Hand, dass dadurch beträchtliche zusätzliche finanzielle Aufwendungen aus dem ohnehin schmalen Staatshaushalt erforderlich wurden. Auf den Punkt gebracht war das Kernproblem ein inzwischen altbekanntes: „Die Zahlung von Zuschlägen nach der Höhe der Normerfüllung wirkt sich keinesfalls fördernd auf die Ausarbeitung technisch begründeter Arbeitsnormen aus. Das Arbeiten nach erfahrungsstatistischen Normen bringt dem Brigadier besondere Vorteile, weil dadurch eine höhere Normerfüllung erreicht werden kann, die nicht im richtigen Verhältnis zur Arbeitsleistung steht.“96 Nun musste man also versuchen, die Brigadiere dazu zu bringen, an der seit langem angestrebten Durchsetzung von TAN mitzuwirken, obwohl sie dadurch praktisch spürbare Lohneinbußen würden hinnehmen müssen. Ein, vorsichtig ausgedrückt, schwieriges Unterfangen. Doch die vermeintlich zu hohe Bezahlung der Brigadiere war nur ein Aspekt des immer dringlicher einer Lösung bedürfenden Dauerspagates zwischen lohnpolitischen Zugeständnissen einerseits und wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten, v.a. eine tatsächliche Steigerung der Arbeitsproduktivität, andererseits.97 Das wird verdeutlicht durch die Bemerkung Ulbrichts vom Herbst 1955, man könne nicht mehr „an dem Umstand vorbeigehen, dass nach der Beseitigung des kapitalistischen Zwangs durch Hunger, Arbeitslosigkeit und Not ein Teil der Arbeiter ein falsches Verhältnis zur Arbeit und damit zu unserem Staat an den Tag legt. Diese Menschen wollen für sich persönlich das Ziel verwirklichen, trotz niedriger Arbeitsproduktivität und schlechter Leistungen viel Geld zu verdienen und gut zu leben.“98 Eine vergleichsweise ungeschminkte Einschätzung, die aber etwas hilflos wirkt, da auch Ulbricht keinen brauchbaren Lösungsansatz aufzeigt, der gleichzeitig die für die SED und ihren Staat DDR lebensnotwendige Loyalität der Industriearbeiter hätte sichern können. Halbwegs realisitsche Funktionäre, wie bspw. Otto Lehmann (Abteilungsleiter im FDGB-Bundesvorstand), warnten denn auch vor den politischen und sozialen Gefahren, die mit einem erneuten Versuch, sich auf administrativem Wege in dieser Frage durchzusetzen, verbunden gewesen wären.99 Durch die kritisierte Brigadierentlohnung einmal ins Blickfeld gerückt, wurden gleich noch weitere unliebsame Begleiterscheinungen der Brigadebewegung ent96 97 98 99

Borkmann, Brigadierentlohnung, S. 584. Vgl. Hübner, Konsens, S. 57ff. Walter Ulbricht, Die Rolle der DDR im Kampf um ein friedliches und glückliches Leben des deutschen Volkes. Berlin (Ost), 1955, S. 47. Vgl. Hübner, Konsens, S. 61f.

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deckt. Das anfängliche Bestreben, um jeden Preis Arbeitsbrigaden zu bilden, wann immer eine Handvoll Kollegen dazu bereit war, galt nun als überholt: „Allein aus politisch-ideologischen Gründen Brigaden zu bilden, ist (…) falsch.“ Vielmehr müsse zuerst die Frage beantwortet werden, „ob zur Durchführung einer bestimmten Aufgabe unbedingt eine Brigadebildung mit einem Brigadier an der Spitze erforderlich ist.“ Maßstab hierfür seien „bestimmte technologische Bedingungen“, nämlich, dass die Arbeitsaufgaben nicht durch einzelne, sondern überwiegend nur durch mehrere Kollegen gemeinsam zu bewältigen sind.100 Konsequent zu Ende gedacht, bedeutete dies, dass die Brigaden als schwer zu kontrollierenden Organisationszusammenhänge an der Basis der Arbeiterschaft, im Betrieb, über die technologische Notwendigkeit hinaus nicht erwünscht waren. Allerdings wäre eine plötzliche massenhafte Auflösung von Brigaden kaum zu erklären und noch schwerer durchzusetzen gewesen. So beschränkte man sich darauf, mit neuen „Richtlinien zur Brigadebildung und Brigadierentlohnung“101 das weitere Anwachsen der Bewegung zu begrenzen und hielt sich die Möglichkeit offen, auf dieser Grundlage, wenn sich die Gelegenheit bieten würde, möglichst geräuschlos die eine oder andere Brigade aufzulösen. Letzteres ist der Brigadestatistik zufolge nicht in relevanten Größenordnungen geschehen, wohl auch kaum ernsthaft versucht worden. Das heißt, rein quantitativ kann man nicht von einem Abflauen der Brigadebewegung sprechen. Aufgrund ihrer inhaltlichen Einengung, zum Teil bis zur Reduzierung auf die technologisch zu begründende „kleinste Struktureinheit des Betriebes“, ist jedoch eine qualitative Stagnation zu verzeichnen. Außerdem sank sehr wahrscheinlich das Interesse der Beschäftigten selbst an den Brigaden, insofern ihnen mit dieser Institution verbundene Vorteile wieder genommen wurden.

100 Borkmann, Brigadierentlohnung, S. 583. 101 So die Überschrift eines Entwurfs aus dem Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung vom September 1955, der ab 1956 wirksam werden sollte. SAPMO-GA, DY 34/17/138/5170 (unpag.).

II. Die Inszenierung der Kampagne und die Reaktionen der Arbeiterschaft

1. Die Inszenierung der Kampagne FDGB-Führung kopiert sowjetisches Vorbild Am 15. Dezember 1958 wandte sich der FDGB-Vorsitzende Warnke an alle Sekretariatsmitglieder des Bundesvorstandes, um ihnen den „Entwurf einer Diskussionsgrundlage über die Organisierung einer Bewegung für die Entwicklung von Brigaden der sozialistischen Arbeit“ zu übermitteln, der eine Woche später in diesem Gremium beraten werden sollte.1 Er nahm dabei ausdrücklich Bezug auf die „in der Sowjetunion seit einigen Wochen“ existierende Bewegung der „Brigaden der kommunistischen Arbeit“.2 Da man über diese inzwischen auch mit einer gerade in Berlin weilenden sowjetischen Gewerkschaftsdelegation habe diskutieren können, sei nun die „ganze Breite und Tiefe“ dieser Bewegung klar geworden. Deren Nachahmung drängte sich der FDGB-Führung offenbar geradezu auf. Vermutlich verband die Gewerkschaftsspitze damit die Hoffnung auf einen Durchbruch hinsichtlich der Produktions- und Produktivitätssteigerung, womit sie gleichzeitig ihr ramponiertes Ansehen bei der SED-Führung aufzubessern gedachte. Denn dem FDGB war es, zerrissen in dem strukturellen Konflikt zwischen der ihm zugewiesenen Aufgabe als „Transmissionsriemen“ der Politik der Staatspartei und seiner ursprünglichen Bestimmung als Interessenvertretung der Arbeiter, bislang nur unzureichend gelungen, diese Aufgabenstellung zu erfüllen. Zwar hatte die Einheitsgewerkschaft seit Mitte der fünfziger Jahre offiziell eine 1

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SAPMO-BArch, DY 34/24514 (unpag.) Dieser Entwurf ging mit gleichem Datum ebenfalls an Paul Verner (seinerzeit als ZK-Sekretär im engsten SED-Führungszirkel für Gewerkschaftsfragen zuständig) sowie an Erich Apel (seit 1958 Leiter der Wirtschaftskommission beim Politbüro des ZK der SED). Am 13.10.58 verabschiedete – nach mehrtägiger intensiver Vorbereitung – die „aus Jugendlichen bestehende Rollengetriebeabteilung im Betriebswerk des Verschiebebahnhofs Moskau“ einen Aufruf, der mit den Worten beginnt: „Wir wollen kommunistisch arbeiten und leben …“ Dies war die Geburtsstunde der „Bewegung“ der „Brigaden der kommunistischen Arbeit“ in der UdSSR. Der „Zufall“ wollte es, dass sie in genau jenem Betriebswerk stattfand, in dem am 19.4.1919 der erste kommunistische Subbotnik durchgeführt worden war. S. R. Gerschberg, Die Bewegung der Brigaden und Aktivisten der kommunistischen Arbeit in der UdSSR und ihre Entstehung. In: Sowjetwissenschaft (Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge), Heft 9, 1960, S. 953–973, hier S. 957f.

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gewisse Aufwertung erfahren,3 war aber intern immer wieder hart von der SED kritisiert worden. So wird beispielsweise in einem Papier der zuständigen ZKAbteilung über „einige Erscheinungsformen revisionistischer Tendenzen4 in den Gewerkschaften“ vom Frühjahr 1958 ein nahezu vernichtendes Urteil über den Zustand des FDGB und seines Apparates gefällt.5 Eine erfolgreiche sozialistische Brigadekampagne nach sowjetischem Vorbild verhieß der Gewerkschaftsspitze eine Lösung all dieser Probleme. „Der Wettbewerb zum 10. Jahrestag der DDR in Verbindung mit der Entwicklung des technischen Fortschritts, der eine hohe Qualifikation der Arbeiter erfordert, sowie der Stärkung des sozialistischen Bewusstseins auf der Grundlage der 10 Gebote der Ethik und Moral“, schien dem FDGB-Vorsitzenden Warnke dafür ein besonders geeigneter Anlass.6 Dabei galt der erste runde Republikgeburtstag von Beginn an nur als nächstliegender Höhepunkt, über den die „Bewegung (…) dann natürlich hinausgehen“ sollte.7 Legt man Warnkes Entwurf neben den fünf Tage zuvor erschienen „Prawda“Artikel über die kommunistischen Brigaden,8 wird man ihm nicht unbedingt Originalität bescheinigen können: Von der anfänglichen Konzentration auf die 3 4

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Vgl. Kleßmann, Zwei Staaten, S. 357; Roesler, Inszenierung, S. 30. Der Vorwurf des „Revisionismus“ war bekanntlich in kommunistischen Parteien seit Lenin ein beliebtes Mittel zur Bekämpfung v. a. innerparteilicher Kritiker und Abweichler. Im Gefolge der Stalin(ismus)-Kritik des XX. KPdSU-Parteitages machten in den Jahren 1956 bis 1958 auch die Dogmatiker um Ulbricht massiv Gebrauch davon, um ihre Widersacher in der SED-Führung und deren (potentielle) Anhänger im Partei- und Staatsapparat ebenso wie in den Massenorganisationen auszuschalten bzw. in Schach zu halten. Vgl. Kleßmann, Zwei Staaten, S. 304f.; ausführlicher: Klein, Parteisäuberungen, S. 46–65. Insgesamt gesehen sei „bei den leitenden Organen des FDGB nicht nur ein großer Mangel an Initiative, sondern auch teilweise Desorientierung in der Organisierung der politischen Massenarbeit“ zu beklagen. Der Bundesvorstand zeige sich „nicht als wirklich führendes Organ“, und seine Tätigkeit sei gekennzeichnet durch „Verzettelung in der Arbeit, […] Handwerkelei und Bürokratismus“. ZK der SED, Abt. Gewerkschaften, Sozial- und Gesundheitswesen (nachfolgend: Abt. GS), 14.4.1958, Einige Erscheinungsformen revisionistischer Tendenzen in den Gewerkschaften, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/46, Bl. 17–31. So die Begründung Warnkes im Anschreiben an Verner und Apel vom 15.12.58. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/2029/174 (unpag.). „Entwurf einer Diskussionsgrundlage …“ (Warnke, 15.12.58), SAPMO-BArch, DY 34/ 24514 (unpag.). SAPMO-BArch, DY 34/23787 (unpag.), hier ist gemeint der Artikel vom 10.12.1958 „Von den ersten Subbotniks bis zu den Brigaden der Kommunistischen Arbeit“. Diese Akte enthält eine ganze Reihe ins Deutsche übersetzter „Prawda“-Artikel über die „kommunistischen Brigaden“.

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Jugendbrigaden,9 über die Losung, künftig nicht mehr nur die Arbeit, sondern auch das Lernen und Leben sozialistisch gestalten zu sollen sowie die zentrale Zielstellung einer ständigen Erhöhung der Arbeitsproduktivität bis hin zur „breiten Unterstützung für die Initiative der Jugend“ – u. a. durch Wissenschaftler, Kultur- und Kunstschaffende – sind die wesentlichen Punkte, bis zu wörtlichen Formulierungen, identisch. Unterschiede waren lediglich in der Ersetzung von kommunistisch durch sozialistisch und in der expliziten Einbeziehung von Ulbrichts „10 Geboten“ erkennbar.10 Die sozialistischen Brigaden schienen wie geschaffen für die Umsetzung dieses vom SED-Chef auf dem V. Parteitag wenige Monate zuvor verkündeten Programms zur „Erziehung der Arbeiterklasse“. Das Sekretariat des Bundesvorstandes setzte dann am 22. Dezember eine Adhoc-Arbeitsgruppe ein, die binnen Wochenfrist aus der Vorlage Warnkes einen endgültigen Plan entwickeln und dazu eine Aussprache mit Vertretern des FDJZentralrates führen sollte.11 Das Ergebnis, ein „gemeinsamer Plan des Sekretariats des Bundesvorstandes des FDGB und des Sekretariats des Zentralrats der FDJ zur Organisierung einer Bewegung zur Erringung des Titels ,Brigade der sozialistischen Arbeit‘ (Nur für den inneren Gebrauch!)“ wurde dann am 29. Dezember im Wesentlichen bestätigt und lag einen Tag später in der endgültigen Fassung vor. Die Zeit sei reif, heißt es darin, „die in den Betrieben entstandenen neuen Elemente des sozialistischen Wettbewerbs – auf sozialistische Art zu arbeiten, (…) zu lernen und (…) zu leben – zu vereinen und damit eine völlig neue Qualität des sozialistischen Wettbewerbs, eine neue Etappe der Masseninitiative der Werktätigen, die der erreichten Stufe unserer gesellschaftlichen Entwicklung entspricht, einzuleiten“.12 Wert legten die FDGB-Organisatoren darauf, dass es, im Unterschied zur ersten Brigadekampagne 1950, um einen zu erkämpfenden Titel ging und nicht um 9 10

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Daher auch die Einbeziehung des FDJ-Zentralrates bei der Organisierung der „Bewegung“ – in der SU war sie vom Komsomol ausgegangen. Zu den „10 Geboten der sozialistischen Ethik und Moral“, die Ulbricht auf dem V. SEDParteitag verkündet hatte, siehe: Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der SED. 10. bis 16. Juli 1958 in der Werner-Seelenbinder-Halle zu Berlin, Bd. 1, Berlin (Ost) 1959, S. 160 f. Beschluss des Sekretariates des Bundesvorstandes Nr. S 936/58. SAPMO-BArch, DY 34/24514 (unpag.). Die Führung des Jugendverbandes firmierte hierbei zwar formal als gleichberechtigter Initiator, war aber eindeutig der Juniorpartner, den die Gewerkschaftsspitze in ihre Planungsarbeiten weniger direkt einbezog als vielmehr nachträglich informierte. Das wird bspw. deutlich in einem Brief von Roland Günther an H. Warnke vom 27.12.1958. SAPMO-BArch, DY 34/23787 (unpag.). SAPMO-BArch, DY 34/23787 (unpag.) Die Akte enthält beide Fassungen, mit jeweils 12 Seiten. Ich beziehe mich im Folgenden auf die Version vom 30.12.58.

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einen Namen bzw. Status, den sich die Arbeitskollektive einfach selbst geben konnten. Dafür waren eine ganze Reihe mehr oder weniger konkreter Vorgaben zu erfüllen, wobei der qualitative Unterschied zu den Arbeitsbrigaden vorrangig in der Ausdehnung auf die Bereiche Lernen und Leben bestand. Damit wurde explizit der Anspruch auf die Reglementierung der Privatsphäre der Brigademitglieder formuliert. Aber auch die einzugehenden Verpflichtungen auf dem Gebiet der Arbeitsleistung wurden modifiziert. So ging der FDGB zumindest vorerst davon ab, die Erfüllung der Normen als entscheidenden Maßstab zu nennen. Jetzt sollten die „tägliche Erfüllung und Übererfüllung des Produktionsplanes“, die Senkung der Selbstkosten, die Erhöhung der Qualität und die Steigerung der Arbeitsproduktivität mittels „Durchsetzung und Anwendung der fortschrittlichsten Erkenntnisse der Wissenschaft und Technik sowie Ausnutzung aller technischen Kapazitäten“ Gradmesser für das sozialistische Arbeiten der Brigaden sein. Damit wurde offensichtlich versucht, das oft zähe Ringen um die Einführung bzw. Erhöhung von (technisch begründeten) Arbeitsnormen13 zu einem – dann leichter zu lösenden (?) – Randproblem zu machen. Stattdessen rückte mit der Erfüllung des Produktionsplanes ein Kriterium in den Mittelpunkt, das von oben vorgegeben wurde und von den Arbeitern selbst viel weniger zu beeinflussen war. Bereits vorab spekulierte die Gewerkschaftsführung über Entstellungen, mit denen am Anfang der Bewegung zu rechnen sei. Zu Recht fürchtete man die bei derartigen Kampagnen übliche „Zahlenjägerei“, weil sie die „hohen Anforderungen, die diese Bewegung stellt“ entwerten würde. Nicht geduldet werden dürften andererseits elitäre Tendenzen, dass z. B. „zurückgebliebene Brigademitglieder“ quasi als unliebsame Bremser ausgeschlossen würden. Solche Fälle wären durch die jeweilige Brigade als „Erziehungsproblem“ zu begreifen und zu lösen. Auch sollten keine überzogenen Maßstäbe bezüglich der „gesellschaftlichen Aktivität“ eingeführt werden: „So z. B., dass alle Brigademitglieder der SED angehören müssten“. Vielmehr komme es darauf an, die „Mehrheit der Arbeiterklasse in dieser Bewegung zu erfassen und in einem geduldigen Erziehungsprozess (…) ein höheres sozialistisches Bewusstsein zu erreichen.“14

Detailliertes Drehbuch für die „Initiative von unten“ Das frappierendste an dem Plan, der es deshalb zweifellos verdient, als Drehbuch bezeichnet zu werden, waren die detaillierten Festlegungen, wer, wann, wie, wo, welche Rolle zu spielen hatte. Entsprechend füllt der Punkt zur „Organisierung 13 14

Vgl. Hübner, Konsens, S. 16ff. „Gemeinsamer Plan …“ vom 30.12.58, SAPMO-BArch, DY 34/23787 (unpag.).

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und Verbreitung der Bewegung“ auch mehr Seiten als die inhaltlichen Ausführungen. Im Original liest sich das so: „Die Bewegung beginnt mit einem Aufruf einer Jugendbrigade des EKB Bitterfeld (…), der spätestens am 6. Januar zu veröffentlichen ist. In den darauffolgenden Tagen, bis 10. Januar, sind als Anschluss auf diesen Aufruf dann die Erklärungen der fünf nächsten Brigaden zu veröffentlichen, ebenso die zustimmenden Erklärungen der Techniker und Meister derselben Betriebsabteilungen. Es folgen dann bis 14. Januar (am 15.1.1959 beginnt die ZK-Tagung) die weiteren der nachstehenden Brigaden (…)“ usw. usf. Eine Liste mit 17 Betrieben, aufgeschlüsselt auf die einzelnen Wirtschaftszweige und Bezirke der DDR – plus jeweils ein bis zwei namentlich genannte Verantwortliche aus dem FDGB-Präsidium bzw. vom FDJ-Zentralrat, legte fest, wo genau die sozialistische Brigadebewegung ihren Ausgang nehmen sollte. „Soweit Präsidiumsmitglieder bzw. FDGB-Bezirksvorsitzende in dieser Aufstellung nicht genannt sind, organisieren sie zur selben Zeit in ihrem eigenen Betrieb, Industriezweig oder Bezirk ein ähnliches Beispiel.“ Die generalstabsmäßige Planung widmete sich insbesondere der die Kampagne begleitenden Propaganda: „Schon vor der ersten Veröffentlichung ist eine Beratung mit Presse, Rundfunk, Fernsehen und Film durchzuführen. Es muss erreicht werden, dass die Presse unmittelbar und richtig [!] reagiert.“ Als „richtige“ Reaktion galten bspw. „Veröffentlichungen von Gesprächen mit den Brigaden und Brigademitgliedern, z. B. über die Gründe ihrer Verpflichtungen (im Zusammenhang mit den großen vom V. Parteitag gestellten Aufgaben)“. Auch im weiteren Verlauf erfordere „die Entwicklung der Bewegung (…) eine straffe Führung der Presseund Agitationsarbeit“. Außerdem sei „eine Beratung mit Schriftstellern und Künstlern durchzuführen, damit schon in den ersten Tagen der Bewegung Gedichte und Lieder auf die Brigaden der sozialistischen Arbeit entstehen“. Großen Wert legten die verantwortlichen FDGB-Funktionäre darauf, den Schein der Initiative von unten zu wahren: „Der Aufruf der betreffenden Brigade ist sofort der gesamten Belegschaft durch geeignete Maßnahmen (Betriebsfunk, Flugblatt der Betriebszeitung oder BGL, Wandzeitung) bekannt zu geben, damit die gesamte Belegschaft informiert ist und von der Erklärung nicht erst aus der Presse erfährt. Erst dann (…) kann der Aufruf der Presse übermittelt werden.“ In diesem Sinne wurde auch die SED-Führung um Zurückhaltung ersucht: „Das Zentralkomitee der SED soll gebeten werden, erst dann zur Bewegung Stellung zu nehmen, wenn diese einen bestimmten Höhepunkt erreicht hat.“ Warnke sah sich zum Jahreswechsel sogar zu einer eiligen Intervention bei Ulbricht veranlasst, der im Entwurf seines Neujahrsartikels bereits einen Satz über die „Bildung von Brigaden der sozialistischen Arbeit“ zu stehen hatte und damit beinahe die bevorste-

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hende Kampagne angekündigt hätte, bevor die Initiative von unten überhaupt gestartet war.15 Dass das Szenario (zumindest anfangs) tatsächlich akribisch umgesetzt wurde, geht aus einem Bericht über den „Ablauf der Beratungen in Bitterfeld“ hervor.16 Roland Günther, Sekretär des FDGB-Bundesvorstandes (für Jugend und Sport verantwortlich), einer der maßgeblichen Autoren des Drehbuches, schildert darin, wie er zwischen dem 30. Dezember 1958 und dem 5. Januar des darauffolgenden Jahres die Jugendbrigade „Nikolai Mamai“17 bei der Diskussion der von ihr auszulösenden Initiative und des entsprechenden Aufrufes „unterstützte“. Die wesentlichen Schritte dabei waren, in eben dieser Reihenfolge: Aussprache mit der zentralen Betriebsparteileitung, Beratung mit dem APO- und AGL-Sekretär, dem „Genossen Obermeister“ und mit „einigen Genossen aus der Jugendbrigade (…) zur Vorbereitung der Brigadeberatung“ und schließlich mehrere Aussprachen und Diskussionsrunden mit der gesamten Brigade. Die letzte Versammlungsrunde wurde „in der Nacht vom 4. zum 5.1. beendet. Am 5.1., früh, wurden zunächst (…) die Parteigruppenorganisatoren und die Vertrauensmänner [der Gewerkschaftsgruppen] des gesamten Aluminiumwerkes über die Initiative der Jugendbrigade informiert. Gleichzeitig wurde (…) der Aufruf über den Betriebsfunk gesendet und kommentiert.“18 Selbst der Zentralvorstand der für das EKB zuständigen IG Chemie wurde erst an diesem Tag von der FDGB-Führung über diese Initiative in Kenntnis gesetzt und zugleich verpflichtet, „die BGL bei der Förderung dieser Bewegung im Betrieb kräftig“ zu unterstützen.19

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Hübner, Konsens, S. 223. SAPMO-BArch, DY 34/23787 (unpag.), Das Dokument mit eben dieser Überschrift datiert vom 5.1.1959. Der Namenspatron war etwa ein Jahr zuvor als Wettbewerbsinitiator in der UdSSR hervorgetreten. In einem Schreiben Warnkes an die Sekretariatsmitglieder des FDGBBundesvorstandes vom 25.1.58 heißt es: „Als Antwort auf den Beschluss des ZK der KPdSU über die Aufgaben der Gewerkschaften hat der sowjetische Bergarbeiter Nicolai Mamai eine große Bewegung ausgelöst, die sich für die tägliche Planerfüllung durch den einzelnen Arbeiter einsetzt. (…)“ Erwähnt wird darin weiterhin, dass im Federnwerk Zittau eine ähnliche Initiative „zu Ehren des V. Parteitages“ in Vorbereitung sei, die später unter dem Namen des „Initiators“ aus diesem Betrieb, Günter Christoph, als „ChristophWehner-Methode“ bekannt wurde. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/41 (unpag.) Zur „Christoph-Wehner-Methode“ vgl. Falk/Barthel, S. 149f. „Ablauf der Beratungen in Bitterfeld“, SAPMO-BArch, DY 34/23787 (unpag.). Beschluss des Sekretariats des FDGB-Bundesvorstandes, Nr. S 2/59 vom 5.1.59. SAPMOBArch, DY 34/24516 (unpag.).

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Auserwählt: Die Bitterfelder Jugendbrigade „Nikolai Mamai“ als Initiatoren der sozialistischen Brigadebewegung Der Aufruf der Jugendkomplexbrigade „Nikolai Mamai“ aus dem Aluminiumwerk I des Elektrochemischen Kombinates Bitterfeld – „Wir werden auf sozialistische Weise arbeiten, lernen und leben“ – wurde dann am 7. Januar 1959 auf Seite 1 der Gewerkschaftszeitung „Tribüne“ der gesamten Arbeiterklasse der Republik zur Kenntnis gegeben.20 Die Verpflichtungen der „Mamais“ entsprachen im Wesentlichen den im „gemeinsamen Plan“ ausgearbeiteten Vorgaben von oben, einschließlich der Aufforderung an ihre Nachbarbrigade „Einheit“ mit ihnen in den „Kampf um die ehrenvolle Bezeichnung ‚Brigade der sozialistischen Arbeit‘“ zu treten. Eine Formulierung, die der FDGB-Führung offenbar besonders am Herzen lag, hatte die Brigade vergessen. Doch dieses Missgeschick glich, wie J. Roesler herausgefunden hat, die Presseabteilung des Bundesvorstandes aus, indem sie deren Bereitschaft, nach der „Seifertmethode, die Verlustzeiten auf der Grundlage überprüfter Arbeitsnormen aufspüren sollte“, zu arbeiten, kurzerhand in den „Tribüne“-Aufruf einfügte.21 „Ein echtes Zeugnis dessen, was sich junge ‚engagierte‘ Arbeiter Anfang 1959 unter ‚sozialistisch leben‘ vorstellen konnten“, ja sogar einen authentischen, „originalen Beitrag der ‚Mamais‘“ selbst in der entsprechenden Textpassage zu erkennen, scheint ein kaum haltbarer Befund.22 Denn die meisten Formulierungen ihrer Selbstverpflichtung waren bereits in den Vorbereitungspapieren der FDGB-Spitze bzw. in den Berichten über die sowjetischen Vorbilder enthalten und wirken zudem recht aufgesetzt. Beispielhaft dafür stehen die Vorhaben, „gegen alle Überreste der Arbeitsbummelei und Trinkerei entschieden kämpfen“ und „ständig aus den politischen und fachlichen Erfahrungen klassenbewusster Arbeiter lernen“ zu wollen.23 Selbst die Verpflichtung, regelmäßig „das Buch des Monats (zu) lesen, um auf diese Weise zu erreichen, dass jedes Mitglied sich eine Hausbibliothek schöngeistiger Literatur zulegt“ und das eher vage formulierte Bestreben, „dass unsere Frauen am Leben der Brigade teilhaben“ sollten, wirken eher krampfhaft bemüht als authentisch. Dem Bericht Roland Günthers vom FDGB-Bundesvorstand über seine Diskussionen mit den „Mamais“ ist denn auch zu entnehmen, dass die Idee, die Partnerinnen am Brigadeleben zu beteiligen, auf den „Widerstand einiger Brigademitglieder [stieß], weil es noch nicht so weit wäre, dass das 20 21 22 23

Der Text des Aufrufes, so wie er vom Sekretariat des FDGB-Bundesvorstandes am 5.1. bestätigt wurde, ist nachzulesen in der Akte: SAPMO-BArch, DY 34/24516 (unpag.). Roesler, Inszenierung, S. 38. Ebenda, S. 39. „Wir werden auf sozialistische Weise …“. SAPMO-BArch, DY 34/24516 (unpag.); daher auch im Folgenden.

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Private herangezogen würde“. Den Vorschlag mit dem „Buch des Monats“ brachten „vor allem ehemalige Angehörige der Volksarmee (ein), die darauf hinwiesen, dass sich das bei der Armee als gut erwiesen hätte“.24 Von Originalität kann also auch in dieser Hinsicht kaum gesprochen werden. Dass die Sätze zum sozialistischen Leben aus dem Aufruf der „Mamais“ oft wörtlich in vielen nachfolgenden Verpflichtungen anderer Brigaden wiederzufinden sind,25 ist weniger ein Beleg für die große Übereinstimmung ihres Denkens als dafür, dass die überwiegende Mehrzahl der (jungen) Arbeiter in der DDR Ende der fünfziger Jahre selbst in ihrer Phantasie kaum Vorstellungen von einem spezifisch sozialistischen Leben entwickelten.

Geplante Spontaneität: Die Ausbreitung der sozialistischen Brigadebewegung in der gesamten DDR Die Apparate von FDGB und SED sorgten dafür, dass sich binnen weniger Wochen überall in der Republik zunächst fast ausschließlich Jugendbrigaden dem Aufruf der Bitterfelder anschlossen, die Kampagne planmäßig anlief. So konnte beispielsweise die Betriebszeitung des Stahl- und Walzwerkes Brandenburg bereits am 16. Januar vermelden, dass auf einem „Arbeiterforum (…) mit dem 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung (…) und dem 1. Sekretär der Betriebsparteiorganisation“ die Jugendbrigade vom SM-Ofen V die Verpflichtung zum Kampf um den Titel „Brigade der sozialistischen Arbeit“ abgegeben habe. Natürlich suggerierte auch dieser Bericht, dass sich die Kumpel aus der Havelstadt ganz spontan und aus innerem Antrieb dieser Bewegung anschlossen, nachdem „wir mit großer Begeisterung (…) Kenntnis von der vorbildlichen Initiative unserer Kollegen in der Komplexbrigade ‚Nikolai Mamai‘ genommen“ hatten.26 Dass man im SWB und allen anderen Betrieben der Stadt Brandenburg sowie im gesamten Bezirk Potsdam schnell und umfassend über die BdsA-Bewegung informiert wurde, um daraus umgehend die „richtigen“ Schlussfolgerungen zu ziehen, dafür war der FDGB-Bezirksvorstand zuständig. In einem entsprechenden Beschluss war am 9. Januar festgelegt worden, dass vier Tage später in nicht weniger als sechs Aussprachen u. a. mit den FDJ-Leitungen des Kreises und des SWB, mit BPO- und Betriebsleitung sowie einzelnen Arbeitskollektiven des Stahl- und Walzwerkes, mit Jugendbrigadieren, BGL-Vorsitzenden sowie Funktionären des 24 25 26

„Ablauf der Beratungen …“ (5.1.59), SAPMO-BArch, DY 34/23787 (unpag.). Vgl. Roesler, Inszenierung, S. 39. „Roter Stahl“, 16.1.1959, S. 1. Die Betriebszeitung des Eisenhüttenkombinates J.W. Stalin, „Unser Friedenswerk“, meldete in ihrer Ausgabe vom 23.1.59 die erste „BdsA“Verpflichtung.

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FDGB und der IG/Gew. der Havelstadt die Verbreitung der Kampagne organisiert werden sollte. Die beiden Besuche direkt im Betrieb galten genau jenen Brigaden, die kurze Zeit später als erste im SWB und in der Stadt Brandenburg die Verpflichtung zum sozialistischen Arbeiten, Lernen und Leben übernahmen. Für den darauffolgenden Tag stand ein ebensolches Programm in den benachbarten Kreisstädten Premnitz und Rathenow einschließlich der dortigen Schwerpunktbetriebe an.27 Wenngleich nicht unmittelbar (aber letztlich doch für alles) zuständig, bemühte sich auch die SED-Bezirksleitung (Potsdam) nach Kräften, der sozialistischen Brigadebewegung auf die Beine zu helfen. Anfang des Jahres verbreitete dieses Gremium zunächst über seine Agitationskommission „Informationen über die Bewegung ‚Brigade der sozialistischen Arbeit‘“, wahrscheinlich auf eine zentrale Weisung hin, an alle Parteigliederungen.28 Der erste Sekretär und andere Mitglieder der Bezirksleitung nahmen an öffentlichen Veranstaltungen teil, auf denen Arbeitskollektive sich feierlich verpflichteten, sozialistische Brigade werden zu wollen, und entsprechend den Verlautbarungen der Parteispitze wurde die neue Bewegung auf internen oder öffentlichen Sitzungen und Tagungen positiv hervorgehoben.29 Ab Mitte August 1959 forcierte die SED-Bezirksleitung ihre entsprechenden Anstrengungen. In einem förmlichen Beschluss wurde festgelegt: „Alle Organe der Partei, des Staates, der Wirtschaft und der Massenorganisationen haben die Aufgabe, direkten Einfluss auf den Inhalt der Tätigkeit der Brigaden der sozialistischen Arbeit“ zu nehmen. Alle Parteileitungen und Grundorganisationen der SED wurden verpflichtet, zu beraten und zu kontrollieren, wie „jedes Parteimitglied noch aktiver in der großen Bewegung“ mitarbeiten könne. Die Funktionäre nicht nur der SED, sondern auch des Staatsapparates und der Massenorganisationen wurden durch diesen Beschluss angewiesen, sich persönlich um bestimmte Arbeitskollektive zu kümmern, ja in ihnen zeitweilig direkt mitzuarbeiten, um „die ideologisch-politische Einheit der Brigade schneller zu verwirklichen“. Darüber hinaus wurden ein Leistungsvergleich und Austausch von Brigaden zwischen den beiden Stahlwerken des Bezirkes Potsdam, in Brandenburg und Hennigsdorf,

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Bezirksvorstand des FDGB, Sekretariat, Potsdam, 9.1.1959, Plan für Dienstag und Mittwoch, den 13. und 14.1.1959 zur weiteren Unterstützung der Bewegung „BdsA“. BLHA Rep. 547/BK 1038 (unpag.). Anlage zu den Argumentationshinweisen Nr. 2/59 der Agitationskommission der SEDBL Potsdam. Ebd. „Roter Stahl“, 16.1.1959, S. 1. Referat und diverse Diskussionsbeiträge der SEDBezirksleitungssitzung am 21.2.1959 in Potsdam. BLHA Rep. 530/42, Bl. 4ff.

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angeregt, um die BdsA-Bewegung durch diese Art der überbetrieblichen Vernetzung zusätzlich zu stärken.30

Eine kaum zu steuernde Massenbewegung Dass die SED sich ab Sommer 1959 verstärkt direkt in die Kampagne einschaltete, könnte seine Ursache u. a. darin gehabt haben, dass der FDGB langsam den Überblick verlor und diese Bewegung kaum mehr zu steuern vermochte. Darauf deutet auch ein Beschluss der Gewerkschaftsführung über die „Bildung einer Arbeitsgruppe des Sekretariats des FDGB-Bundesvorstandes zur Koordinierung der Arbeit auf dem Gebiet der sozialistischen Brigaden“ vom Juli d. J. hin.31 Auch die rasante Entwicklung der Teilnehmerzahl stützt diese Vermutung. Ende Februar schätzte die FDGB-Führung die Zahl der am BdsA-Wettbewerb Beteiligten auf rund 700 Brigaden, die zwischen 6 und 82 Mitglieder zählten, also sehr unterschiedlich groß waren.32 Wie die Tabelle 1 zeigt, nahm die Zahl der gemeldeten Teilnehmer in den folgenden Monaten sprunghaft zu, belief sich Ende 1959 auf knapp 60.000 Brigaden mit mehr als 700.000 Mitgliedern und verdoppelte sich innerhalb des nächsten halben Jahres nochmals. Dabei gab es zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bezirken und Branchen. Einer internen Übersicht von Mitte November 1959 zufolge war zu diesem Zeitpunkt im DDR-Durchschnitt jeder fünfte Produktionsarbeiter (21,1 %) Mitglied einer am Titelkampf beteiligten Brigade. Im Bezirk Halle waren es jedoch bereits 37,6 Prozent, während sich in Berlin (Ost) bis zu diesem Zeit-

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Beschluss der BL Potsdam der SED, 12.8.1959, BLHA Rep. 530/43, Bl. 74ff. Dieser Austausch kam tatsächlich zustande, wovon u. a. ein Protokoll über den am 1.3.1960 durchgeführten Brigadeaussprache-Abend der Brigaden „Max Reimann“, Hennigsdorf und „Willy Becker“, Kirchmöser (Betriebsteil des SWB) zeugt, an dem neben den BGLVorsitzenden beider Werke auch ein Vertreter des Bezirksvorstandes der IG Metall sowie die Ehefrauen der Brigademitglieder teilgenommen haben. BLHA Rep. 547/1039 (unpag.). Derartige Kontakte wurden auch über Bezirksgrenzen hinweg organisiert. So druckte die Betriebszeitung des EKS im September 1959 einen Aufruf der Jugendbrigade „Frieden“ aus der Maxhütte Unterwellenborn (Thüringen) an die Jugendbrigade „Philipp Müller“ des Eisenhüttenkombinates mit ihr „zu Ehren der Stahlschlacht“ einen Leistungsvergleich durchzuführen. Jugendbrigade „Frieden“ ruft Stalinstadt. UF 37/1959, 18.9.1959, S. 2. Die „Stahlschlacht“ war ein zeitlich begrenzter Sonderwettbewerb aller DDRStahlwerke, um eine schwierige Situation in der Branche zu überwinden. FDGB-BuV, Beschluss des Sekretariats vom 21.7.1959, Nr. S 461/59. SAPMO-BArch, DY 34/24545 (unpag.). Problem-Bericht von der Konferenz der Chefredakteure der sozialistischen Presse (…) vom 24.2.1959. SAPMO-BArch, DY 34/21322 (unpag.).

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punkt lediglich 12,5 Prozent beteiligten.33 Intern beklagte man in den Apparaten von SED und FDGB, dass einerseits „zu viel Zahlenhascherei“ vorherrsche und die „Entwicklung der Brigaden nach ihrer Gründung (…) dem Selbstlauf überlassen“ würde. Andererseits „orientierten sich die Gewerkschafts- und Wirtschaftsfunktionäre einseitig auf die Spitzenbrigaden und nicht auf die Masse aller Werktätigen“.34 Solche Einschätzungen sind ein weiterer Beleg dafür, dass die sozialistische Brigadebewegung weniger von den Arbeitern ausging als vielmehr durch die Funktionäre von SED und FDGB sowie den Betriebsleitungen organisiert werden musste. Sowohl das SWB als auch das EKS lagen sehr deutlich über den genannten Durchschnittswerten, was die Konzentration, auch dieser Kampagne, auf die Großbetriebe, wo FDGB und SED inzwischen zumeist über zahlenmäßig starke und funktionsfähige Apparate verfügten, unterstreicht. So nahmen im Brandenburger Stahl- und Walzwerk Anfang Februar 1960 mehr als 2.600 Beschäftigte (39,6 %) in 104 Brigaden am BdsA-Wettbewerb teil.35 Im Eisenhüttenkombinat waren Ende 1959 bereits 41,2 Prozent der Belegschaft in solchen Kollektiven organisiert. Hier sticht die enorme Differenz zu den übrigen Stalinstädter Betrieben ins Auge, die bis auf die Bau-Union höchstens einige Hundert Beschäftigte zählten, von denen sich durchschnittlich ein Fünftel (20,5 %) am BdsAWettbewerb beteiligte.36 Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Mobili33

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Übersicht über sozialistische Brigaden (…) nach Bezirken, Stand 14.11.1959. SAPMOBArch, DY 30 IV 2/611/52, Bl. 148. Als Beispiel für die Differenzen zwischen den einzelnen Branchen sei darauf verwiesen, dass bspw. im Bezirk Potsdam Anfang September 1959 das Spektrum von 6,1 Prozent im Bereich der IG Druck und Papier und 21,2 Prozent bei der IG Textil-Bekleidung-Leder reichte, wobei die IG Metall/Metallurgie (14,2 %) mit 5.354 am Wettbewerb Beteiligten den mit Abstand größten absoluten Anteil an den knapp 15.500 Teilnehmern im Bezirk stellte. Bezirksvorstand des FDGB, Abt. Arbeit und Löhne, Potsdam, den 9.10.1959, Einschätzung der Ergebnisse und Entwicklung der soz. Brigaden. BLHA Rep. 547/BK 1038 (unpag.). ZK Abt. GS, 9.6.59, Information für Gen. A. Neumann. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/ 611/52, Bl. 166 f. FDGB-Bundesvorstand, Berlin 15.2.60, Bericht über einige Probleme der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit. SAPMO-BArch, DY 34/21321, Bl. 73ff. FDGBBuV, Abt. Wirtschaft, 28.7.59. Wie wurde der Volkswirtschaftsplan im 1. Halbjahr 1959 erfüllt, und welche Lehren und Schlussfolgerungen müssen für die Entwicklung des sozialistischen Wettbewerbs und der Aktivistenbewegung gezogen werden? SAPMO-BArch DY 34/26086, Bl. 73ff. SWB, Büro für Neuererwesen an BPO, 6.5.1960, betr. sozialistischen Brigaden (…). BLHA Rep. 502/930 (unpag.). Diese Betriebe hatten zusammen 6.074 Mitarbeiter (zum Vgl. EKS: 5.645), wovon 2.363 auf die Bau-Union entfielen. Aufschlussreich ist auch folgender Vergleich: Während es immerhin in 23 von 133 der im Wettbewerb stehenden Brigaden des EKS SED-

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sierung der Arbeiterschaft für diverse Wettbewerbskampagnen in mittleren und kleineren Betrieben wesentlich schwieriger war, weil die Apparate von SED und FDGB mit ihren hauptamtlichen Funktionären kaum oder gar nicht direkt bis auf diese Ebene hinunter reichten. Zugleich kann man daran ablesen, dass der zahlenmäßige Erfolg solcher Kampagnen in starkem Maße von den Aktivitäten dieser Apparate abhing, während die überwiegende Mehrzahl der Beschäftigten ohne die permanente Anleitung und Kontrolle durch selbige in der Regel keinen Anlass sah, sich daran zu beteiligen.37 Im EKS wurde schon Anfang August 1959 vermeldet, dass nun die Besatzungen aller 6 Hochöfen um den Titel kämpften, und die BGL beschloss Ende des Jahres in den darauffolgenden Monaten bis zum 10. Jahrestag der Werksgründung die Einbeziehung von 90 Prozent aller Brigaden des Betriebes in die Bewegung zu erreichen.38 Dass sich hinter diesem quantitativen Erfolg viele „leere Anschlüsse“ verbargen, lässt sich bspw. daran ersehen, dass von den über 3.000 Beschäftigten, die einer der im Wettbewerb stehenden Brigaden angehörten, lediglich 800 bereit waren, nach der Seifert-Methode zu arbeiten.39 Der herausragenden Stellung der „ersten sozialistischen Stadt Deutschlands“ entsprechend eilte im Juli 1959 der ZK-Sekretär Kurt Hager persönlich nach Stalinstadt, um im dortigen FriedrichWolf-Theater vor Funktionären und Mitgliedern sozialistischer Brigaden zu erörtern: „Was heißt sozialistisch arbeiten, lernen und leben?“40

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Parteigruppen gab, traf dies lediglich auf 3 der 103 Brigaden in den übrigen Stalinstädter Betrieben zu. BLHA Rep. 731/246 (unpag.). SED-KL, Stalinstadt, 6.1.1960, Bürovorlage, Analyse zur Jahresstatistik (…) 1959. Vgl. Reichel, durchherrschte Arbeitsgesellschaft, S. 93f. UF 31/59, S. 1 und 51/59, S. 4. Ähnlich hochgesteckte Ziele gab es in den Leuna-Werken, wo bis zum Ende des I. Quartals 1960 80 Prozent der Belegschaft in den sozialistischen Brigadewettbewerb einbezogen sein sollten. Formal gelang das freilich auch hier. Die BGL gestand jedoch ein, dass nicht einmal die Hälfte, nämlich 680 von 1.418 offiziell beteiligten Kollektiven konkrete Wettbewerbsverpflichtungen übernommen hatte. Wiesener, „Neue Menschen“, S. 30. UF 45/59, S. 1. Benannt nach Erich Seifert (1908–1980), ab 1952 Brigadier im RAW Chemnitz, wo er die „Seifert- Methode“ zur Steigerung der Arbeitsproduktivität, zur Aufdeckung von Verlustzeiten und zur technisch begründeten Arbeitsnormung entwickelte. 1958 war er Instrukteur der Abteilung Arbeit und Löhne im FDGB-Bundesvorstand, ab 1959 Instrukteur für Neuererwesen im Ministerium für Verkehrswesen der DDR und von 1959 bis 1980 Mitglied des Bundesvorstandes, ab 1963 auch des Präsidiums des Bundesvorstandes des FDGB. Biographisches Handbuch der SBZ/DDR: Seifert, Erich. In: Enzyklopädie der DDR, S. 16584. UF 28/59, S. 1.

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Euphorie bei Ulbricht und Genossen Der wesentlichste Grund für die sprunghafte zahlenmäßige Entwicklung der sozialistischen Brigadebewegung war die im Laufe des Jahres 1959 immer mehr um sich greifende Euphorie in den Führungen von SED und FDGB, mit dem Parteichef Ulbricht an der Spitze. Angesichts der weitgespannten Erwartungen, die sie mit der BdsA-Kampagne verbanden, kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, Ulbricht und Genossen glaubten ernsthaft, darin die Zauberformel gefunden zu haben. (Umso mehr erschienen sie wenige Monate später, in der „Syndikalismus“-Affäre, wie Zauberlehrlinge.) Diese euphorische Stimmung übertrug sich zumindest teilweise auf die Funktionäre der nachgeordneten Ebenen der Apparate von Einheitspartei und -Gewerkschaft, wurde dort auf jeden Fall als Handlungsanweisung von ganz oben aufgefasst und entsprechend umgesetzt.41 Ein entscheidendes Motiv dabei war, dass man glaubte, mit den sozialistischen Brigaden nunmehr über die geeignete Institution zur Erziehung (gelegentlich wurde auch noch von Umerziehung gesprochen) der Arbeiterschaft zu verfügen.42 Dieser zentrale Topos prägte bereits den ersten Bericht der FDGB-Führung über die gerade angelaufene Kampagne „sozialistisch Arbeiten, Lernen und Leben“ auf der 4. ZK-Tagung Mitte Januar 1959. Diese Bewegung, verkündete der FDGBVorsitzende Warnke der versammelten Parteiführung, habe eine „großartige Zukunft als ausgezeichnetes Mittel der Erziehung der Werktätigen im Geiste des Sozialismus, zur Liebe für die Partei des Sozialismus, zum Patriotismus für die Arbeiter- und Bauernmacht und für den weiteren kulturell-technischen Aufschwung (…) sowie für die schnellere Entwicklung der Arbeitsproduktivität“.43 Um die Lücke – oder besser den Graben – zwischen diesen Wunschvorstellungen und der Realität zu überbrücken, versuchte die FDGB-Spitze sich selbst und anderen sogar in internen Papieren einzureden, mit der sozialistischen Brigadebewegung habe die „Arbeiterklasse (…) selbst den praktischen Weg gefunden, wie die Aufgaben des V. Parteitages zur unmittelbaren Aufgabe der Arbeiterklasse werden“, wobei deren „stürmische Entwicklung“ von einem „heißen Verlangen [zeuge], einen persönlichen Beitrag für den Sieg des Sozialismus zu leisten“.44 Ganz so, 41 42

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Exemplarisch hierfür: Referat und diverse Diskussionsbeiträge der SED-Bezirksleitungssitzung am 21.2.1959 in Potsdam. BLHA Rep. 530/42, Bl. 4ff. Vom „Umerziehungsprozess unserer Werktätigen“ ist bspw. die Rede in: ZV der IG Wismut, 5.3.1959, Material über die Entwicklung der (…) Brigaden der sozialistischen Arbeit im Industriezweig Wismut. SAPMO-BArch, DY 34/21319 (unpag.). Über die Bewegung „BdsA“ (Material für die Rede im ZK). SAPMO-BArch, DY 34/23787 (unpag.). Die politische Bedeutung der Bewegung „BdsA“, (Frühjahr 1959). SAPMO-BArch, DY 34/21319 (unpag.). Weiter ist in diesem Dokument mit Bezug auf die „BdsA“ die

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als hätte es die detailliert geplante und mit enormem Aufwand inszenierte Kampagne gar nicht gegeben. Den Höhepunkt erreichten diese Phantastereien, als Ulbricht persönlich die BdsA im Herbst 1959 in den Rang einer „objektiv notwendigen und (…) gesetzmäßigen Erscheinung“ erhob, die „alle Elemente der sozialistischen Umwälzung“ enthielten und „im wahrsten Sinne des Wortes den Sieg des Sozialismus organisieren“ würden.45 Gleichwohl waren sich die Führungen von SED und FDGB bewusst, dass sie ohne die gezielte Fortführung und Steuerung der Kampagne ihre hochfliegenden Ziele nicht erreichen würden. Einen ersten Höhepunkt stellten dabei diverse Veranstaltungen im Rahmen der Woche der deutsch-sowjetischen Freundschaft Mitte Mai 1959 dar, in deren Mittelpunkt ein „zentraler Erfahrungsaustausch über Probleme der Entwicklung und der Arbeitsweise der ‚Brigaden der kommunistischen Arbeit‘ und der ‚Brigaden der sozialistischen Arbeit‘ im „Ernst Thälmann“Werk Magdeburg stand.46 Bei dieser Veranstaltung und Besuchen in mehreren Großbetrieben, u.a. dem SWB, vermittelten die Mitglieder der Delegation unter Leitung des Vorsitzenden des Zentralrates der sowjetischen Gewerkschaften, Grischin, den ostdeutschen Kollegen ihre entsprechenden Erfahrungen, die von der FDGB-Führung intensiv ausgewertet und in konkrete Schlussfolgerungen umgemünzt wurden.

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Rede von „Schule der Selbsterziehung und Erziehung zu bewussten Sozialisten“, von der Überwindung der „Überreste bürgerlichen Denkens“ – dem „Schritt vom Ich zum Wir“ etc. Ausgehend von der „2-Phasen-Theorie“ beim Aufbau des Kommunismus (nach Marx und Engels), wird darin weiterhin ausgeführt, dass nach der Machtergreifung und Umgestaltung der Produktions-(Eigentums-)Verhältnisse „der neue Mensch, der sozialistische Mensch erzogen werden (muss), dem a) die Arbeit zum 1. Lebensbedürfnis wird, b) der die neue Technik meistert und sie weiter vorantreibt, c) der die Schätze der Kultur und Bildung sich aneignet“. All dies war dem SED-Regime seit seiner Machtergreifung in den zurückliegenden anderthalb Jahrzehnten zwar kaum gelungen, aber nun hielt man das Patentrezept in Händen?! W. Ulbricht, Referat auf der 6. Tagung des ZK der SED (18./19.9.1959), über die Bedeutung der sozialistischen Arbeitsgemeinschaften und der „BdsA“. SAPMO-BArch, DY 34/21920 (unpag.). Auszug aus der Rede des Gen. W. Ulbricht auf dem 5. Kongress des FDGB (26.-31.10.1959). SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/2029/204 (unpag.). Darin betonte Ulbricht noch einmal, dass „jeder Fortschritt auf dem Wege zum Siege des Sozialismus von der Erziehung der Menschen abhängt“. Diverse Dokumente dazu in: SAPMO-BArch, DY 32/5375 (unpag.). An der Konferenz nahmen über 430 Vertreter von Brigaden, die durch die jeweiligen Kreisvorstände des FDGB ausgewählt worden waren, aus der gesamten DDR sowie mehr als 150 Funktionäre und Pressevertreter teil. Org.-Büro des FDGB und der DSF, Magdeburg, 25.5.1959, Einschätzung über die Verwirklichung (…). SAPMO-BArch, DY 34/21320 (unpag.).

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Im Zusammenhang dieser Freundschaftswoche wurde sozusagen die Multifunktionalität der BdsA-Bewegung erprobt, denn die in ihrer Wirkung, zumal unter den Arbeitern, bislang eher marginale Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft erfuhr als Co-Organisator eine deutliche Aufwertung. Damit wurde bereits die später durch die Verleihung des Ehrennamens „Kollektiv der DSF“ institutionalisierte Verknüpfung mit der Brigadebewegung angebahnt, mit deren Hilfe der DSF ein riesiges, wenn auch weitgehend rein formales und passives Mitgliederreservoir erschlossen wurde.47 Selbstverständlich gehörte die Erziehung der Arbeiterklasse zur Freundschaft mit der Sowjetunion, dem „Mutterland des Kommunismus“ und das bereitwillige Lernen von ihr, auch inhaltlich zu den Kernpunkten des „sozialistischen Arbeitens, Lernens und Lebens“, was sich spätestens seit Henneckes „Stachanov-Tat“ 1948 vor allem in der Übernahme etlicher Methoden und Initiativen des sozialistischen Wettbewerbs niederschlug. Eine weitere Variante der Vermittlung dieser nachzuahmenden sowjetischen Erfahrungen wurde beispielsweise im EKS praktiziert. Die von der BPO herausgegebene Betriebszeitung veröffentlichte ab Mitte Juni 1959 einen Fortsetzungsroman mit sieben Folgen unter dem Titel: „Der Weg der Rohrschweißer zur ‚Brigade der kommunistischen Arbeit‘. Vom Leben der Jugendbrigade Grigorij Sitalo, Dnepropetrowsk.“48 Ob dieses ziemlich krude Beispiel literarischer Produktion im Stile des sozialistischen Realismus, in dem zwar die Wunschvorstellung der kommunistischen Partei- und Gewerkschaftsführer, aber kaum das reale Leben der Masse der (jungen) Arbeiter in der Sowjetunion vorkam, große Aufmerksamkeit unter der Belegschaft des ostdeutschen Stalinwerkes fand, ist allerdings zu bezweifeln. Doch auch wenn diese Geschichte nur von ein paar jungen Arbeitern verfolgt und vielleicht (indirekt) als Handlungsorientierung begriffen wurde, war dies wieder ein Mosaiksteinchen mehr zur Schaffung einer den Vorstellungen von SED und FDGB entsprechenden Atmosphäre in den Betrieben.

Anreize für die „neue sozialistische Arbeiterklasse“ Dass materielle und ideelle Anreize ein geeignetes Mittel der Identitätsstiftung und Loyalitätssicherung sind, war auch dem SED-Regime nicht entgangen. Sie spielten daher in der BdsA-Kampagne, insbesondere in ihrer Anfangszeit, eine wichtige Rolle. Dazu zählten im weiteren Sinne auch Treffen, Festveranstaltungen und Erfahrungsaustausche, auf denen Vertreter der in ihren jeweiligen Betrieben nicht selten zunächst allein dastehenden Vorzeige-Brigaden mit Gleichgesinnten aus anderen Fabriken sowie mit mehr oder weniger hochrangigen SED- und 47 48

Siehe Kapitel V.6. UF 23/59 bis UF 31/59.

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FDGB-Funktionären zusammenkamen. Vor allem für die Teilnehmer selbst, aber auch für viele Rezipienten der Darstellung solcher Ereignisse in den Massenmedien konnte und sollte dabei durchaus der Eindruck entstehen, sie repräsentierten eine breite, zukunftsgewisse Bewegung, sie seien, gemeinsam mit den führenden Genossen, die „herrschende Klasse“ in ihrem „Arbeiterstaat“. Eine der ersten Großveranstaltungen dieser Art ,Ende September 1959 in Thale im Zusammenhang mit der sozialistischen Brigadebewegung, war das vom FDGB-Bundesvorstand organisierte Treffen der besten Jugendbrigaden des Bezirkes Halle, der eine Vorreiterrolle im Rahmen der Kampagne spielte. Davon zeugt eine für diese Zeit üppig ausgestattete Hochglanzbroschüre mit dem Festprogramm.49 Außer der direkten Arbeit, die mittelbar in dem Erfahrungsaustausch und den Wettbewerbsverpflichtungen vorkam, enthielt dieses Programm alle wesentlichen Komponenten des „sozialistischen Arbeitens, Lernens und Lebens“ – freilich mit dem Schwerpunkt auf der Kultur, allerdings nicht der traditionellen Arbeiterkultur, sondern der den Werktätigen nahezubringenden „Hochkultur“ oder dem, was die verantwortlichen Funktionäre darunter verstanden. Ein noch spektakuläreres Ereignis stellte die für Anfang Juli 1960 geplante „zentrale Veranstaltung zur Auszeichnung der ersten sozialistischen Lehrlingskollektive und Jugendbrigaden der sozialistischen Arbeit“ dar. Diese wurde als Kreuzfahrt auf der Ostsee mit dem FDGB-Urlauberschiff „Völkerfreundschaft“ vom 6. bis 9. Juli unter der Losung „Wir arbeiten, lernen und leben für den Sieg des Sozialismus“ durchgeführt, an der hauptsächlich ca. 160 Mitglieder ausgezeichneter Jugendbrigaden teilnahmen. Dem Beschluss der FDGB-Führung zufolge war diese „Auszeichnungsveranstaltung breit zu popularisieren“, wobei „im Mittelpunkt (…) die Rolle der Jugend als Initiator der Bewegung des sozialistischen Ar-

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SAPMO-BArch, DY 34/21209 (unpag.) Zur Illustration ein Auszug aus dem Programm: Ab 8 Uhr morgens wurden die ankommenden Teilnehmer durch Fanfarenzüge begrüßt. Anschließend stand ein vierstündiger Erfahrungsaustausch der besten Jugendbrigaden mit „Angehörigen der Intelligenz, Künstlern, namhaften Vertretern von SED, FDGB, FDJ sowie staatlichen Organen“ auf dem Plan, wo vorbereitete Reden und Diskussionsbeiträge gehalten wurden. Nachmittags konnte man wahlweise ein Konzert mit klassischer Musik besuchen oder an Wanderungen hinauf zum Hexentanzplatz teilnehmen, bevor sich am frühen Abend alle vor der malerischen Kulisse des Bergtheaters versammelten, um auf einer Abschlusskundgebung die „Kompassverpflichtungen zu Ehren des 10. Jahrestages der DDR“ zu übergeben und anschließend gemeinsam einer Festaufführung der Operette „Das Spitzentuch der Königin“ von Johann Strauß beizuwohnen. Den krönenden Abschluss bildete ein Feuerwerk, ehe beim „geselligen Beisammensein“ (laut Programm bis 23 Uhr) in mehreren Lokalen des Harzstädtchens dieser Festtag ausklang.

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beitens, Lernens und Lebens und ihre Förderung in der DDR“ stehen sollte.50 Dass dies für die allermeisten Teilnehmer ein beeindruckendes Erlebnis und ihrer Verbundenheit mit dem SED-Staat durchaus zuträglich war, darf als wohl begründete Vermutung gelten. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Arbeiter in ihrer überwiegenden Mehrzahl solchen und ähnlichen Formen der Anerkennung und der Aufmerksamkeit völlig gleichgültig oder ablehnend gegenüberstanden. So beschwerte sich beispielsweise ein Brigadier aus dem VEB Waggonfabrik Ammendorf (bei Halle): „Bei uns gibt es immer nur eine Brigade, immer wieder heißt es die Brigade Mangold, die Brigade Mangold. Wir stehen aber doch auch im Wettbewerb. Zu uns kommt niemand, alles geht zu Mangold.“ Dass sich sowohl Funktionäre als auch Journalisten immer wieder auf einige wenige Vorzeige-Brigaden stürzten, wurde diesen aber gelegentlich auch zu viel. So beklagte sich eine solche Brigade aus der Großschmiede des „Ernst Thälmann“-Werkes Magdeburg, dass „der Brigadier oder ein anderes Mitglied der Brigade ständig zu Beratungen und Konferenzen eingeladen werden und sie deshalb mit Schwierigkeiten bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen“, insbesondere in der materiellen Produktion – also bei ihrer eigentlichen Arbeit – zu kämpfen hätten.51 Diese Beispiele unterstreichen anschaulich den ausgeprägten KampagnenCharakter der BdsA-Bewegung in ihrer Anfangsphase. Vorrangig mit Blick auf untergeordnete Ebenen wurde deshalb selbst im FDGB-Bundesvorstand kritisch angemerkt: „Unsere Leitungen orientieren noch zu sehr auf Paradekonferenzen“.52 Dabei reflektierten die Funktionäre in der Zentrale aber offenbar nicht, dass der Apparat damit nur das nachvollzog, was sie, wie in den Beispielen oben gezeigt, vorexerzierten bzw. auf die von ihnen selbst konzipierte Kampagne entsprechend den Mechanismen des demokratischen Zentralismus reagierte.

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51 52

Die Sekretariatsvorlage (vom 8.2.1960) und der entsprechende Beschluss des FDGBBundesvorstandes S 132/60 (15.2.1960) in der Akte: SAPMO-BArch, DY 34/24626 (unpag.). FDGB-BuV, Abt. Wirtschaft, 17.6.59, Beispiele Brigaden der sozialistischen Arbeit. SAPMO-BArch, DY 34/21319 (unpag.). FDGB-BuV, Abt. Wirtschaft, 28.7.59. Wie wurde der Volkswirtschaftsplan im 1. Halbjahr 1959 erfüllt, und welche Lehren und Schlussfolgerungen müssen für die Entwicklung des sozialistischen Wettbewerbs und der Aktivistenbewegung gezogen werden? SAPMOBArch DY 34/26086, Bl. 73ff.

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Vorprogrammierte Probleme: Der sozialistische Brigadetitel – gut dotiert, in streng limitierter Auflage In diesem Kontext kam der eigentlichen Auszeichnung mit dem Ehrentitel „Brigade der sozialistischen Arbeit“ natürlich eine erhebliche Bedeutung zu. Hierfür hatte der Ministerrat Anfang August 1959 eine vorläufige Ordnung beschlossen, die vorsah, anlässlich des 10. Jahrestages der DDR 100 Brigaden mit diesem Titel auszuzeichnen. Mit der Festlegung, dass es eine staatliche Auszeichnung sein sollte, die Vorschläge dafür durch den Ministerrat bestätigt und die Urkunden vom Ministerpräsidenten (sowie vom FDGB-Vorsitzenden und bei Jugendbrigaden zusätzlich vom Vorsitzenden des FDJ-Zentralrates) unterschrieben werden sollten, hatte sich die SED über Bedenken aus der FDGB-Führung hinweggesetzt.53 In einer Stellungnahme der Abteilung Wirtschaft des Bundesvorstandes verwiesen die Gewerkschaftsvertreter auf entsprechende sowjetische Erfahrungen und plädierten dafür, „auch bei uns (…) keine besondere staatliche Auszeichnung“ mit diesem Titel zu verbinden. Zu Recht wiesen sie darauf hin, dass eine Begrenzung auf 100 auszuzeichnende Brigaden jährlich angesichts der rasanten zahlenmäßigen Entwicklung der Bewegung eine höchst problematische Einengung darstellen würde. Man solle die ganze Sache tiefer hängen, die Kreisvorstände der IG/Gew. über die Vorschläge entscheiden lassen und die Ehrung auf Betriebsebene vornehmen.54 Angesichts der oben geschilderten euphorischen Stimmung um die BdsA entschied sich die SED-Führung offenbar aber bewusst dafür, daraus einen prestigeträchtigen Staatstitel zu machen.55 Da man diesen aber nicht nur mit 53

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Gesetzblatt der DDR, Teil I, 1959, S. 664. Im Juli 1959 wurde festgelegt, dass es sich bei dem Titel „Brigade der sozialistischen Arbeit“ um eine staatliche Auszeichnung handeln soll. Die Gewerkschaften hatten das „Vorschlags- und Beschlussrecht, während der Staatsapparat die Globalbestätigung“ dieser Vorschläge vornehmen sollte. Es wurde zunächst eine Prämiierung festgelegt, die „DM 500,- pro Person überschreitet“. Angesichts eines durchschnittlichen Monatseinkommens von knapp DM 550,- (für Produktionsarbeiter in der „sozialistischen Industrie“, nach: Statistisches Jahrbuch der DDR, Berlin [O.] 1963, S. 40) kam eine solche Prämie also einem zusätzlichen Monatsgehalt gleich. Die Zahl der auszuzeichnenden „BdsA“ sollte jährlich vom FDGB-Bundesvorstand vorgeschlagen und durch den Ministerrat beschlossen werden. ZK der SED, Abt. Gew., Aktennotiz betr. Aussprache über Verleihung des Titels „Brigade der sozialistischen Arbeit“, 24.7.1959, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/52, Bl. 174. FDGB-BuV, Abt. Wirtschaft, Berlin, 27.5.1959, Stellungnahme der Abteilung Wirtschaft zur Verleihung der Titel (…). SAPMO-BArch, DY 34/21320 (unpag.). Laut einer Aktennotiz des Leiters der ZK-Abteilung, Rettmann, über eine letzte Besprechung der Verordnung sei nunmehr „übereinstimmend festgelegt (worden), dass entsprechend dem Hinweis des Politbüros bezüglich des Charakters der Auszeichnung es sich hierbei um eine staatliche Auszeichnung handelt“. SED, ZK-Abt. Gew. u. Sozialpolitik,

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einem Blumenstrauß dotieren konnte, erfolgte die strikte Beschränkung in der Zahl der Auszuzeichnenden. Wie man dies gegenüber jenen Brigaden begründen wollte, die ihre Wettbewerbsverpflichtungen ebenfalls erfüllten, aber wegen dieser Restriktion leer ausgingen, ist den Quellen nicht zu entnehmen. Sehr wohl nachvollziehen lässt sich, dass dies in den folgenden Jahren tatsächlich zu einem Problem wurde, weshalb man bereits 1960 die Auszeichnungsordnung dahingehend korrigierte, dass die Entscheidung über die Vorschläge und die Auszeichnungen selbst auf die Bezirksebene verlagert wurden, wenngleich die Festlegung der jährlich mit dem BdsA-Titel auszuschüttenden Prämiensumme weiterhin zentral erfolgen sollte.56 Die zu erwartenden Schwierigkeiten deuteten sich bereits im Vorfeld der ersten Titelverleihung am 7. Oktober 1959 an, als der Zentralvorstand der IG Wismut 12 statt der festgelegten 8 Vorschläge an den Bundesvorstand einreichte und zunächst wenig Neigung zeigte, die geforderte Streichung von 4 Brigaden vorzunehmen.57 Von den letztlich Vorgeschlagenen waren 59 Jugend- und 17 Frauenbrigaden, gleichmäßig verteilt auf alle Branchen und Bezirke. Mehr als 1.800 Mitglieder zählten diese ersten ausgezeichneten BdsA, von denen die kleinste drei, die stärkste 103 Beschäftigte umfasste, die mit dem Titel alle zwischen vier- und fünfhundert Mark Prämie erhielten. Im Herbst 1959, nachdem die ersten „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ gekürt worden waren, zeichnete sich ein weiteres Problem mit dieser Auszeichnung ab. Bei Aufrechterhaltung der restriktiven Begrenzung der jährlich zu vergebenden Titel war klar, dass die jetzt geehrten etliche Jahre würden warten müssen, bis sie wieder an die Reihe kämen. Somit stand man vor der Frage, wie diese Brigaden in der Zwischenzeit bei der Stange gehalten werden konnten. „Es müsste eine Linie herausgegeben werden, wie der weitere Wettbewerb der Brigaden der sozialistischen Arbeit nach Erringung des Titels sich gestalten soll.“58 In diese Zwickmühle, dass man entweder enorme Prämiensummen bereitstellen musste oder die Motivation zur Wettbewerbsteilnahme für die Masse der Brigaden sehr schnell

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24.7.59, Aktennotiz betr. Aussprache über die Verleihung des Titels (…). SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/52, Bl. 174. Gesetzblatt der DDR, Teil I, 1960, S. 395f. Angesichts einer darin festgeschriebenen Prämie von bis zu 600 DM pro Brigademitglied konnte man aber noch immer nur eine relativ kleine Anzahl von Kollektiven auszeichnen. Vgl. dazu Tabelle 1 auf Seite 43. Beschluss des Präsidiums des FDGB-BuV vom 7.9.1959, Nr. P 163/59, Auszeichnung mit dem Ehrentitel „BdsA“. SAPMO-BArch, DY 34/26086, Bl. 55ff. Offensichtlich hatte auch die IG Metall ihr Kontingent überzogen und musste noch einer vorgeschlagenen Brigade absagen. Daher auch im Folgenden. ZK der SED, Abt. GS, Probleme, die sich aus der Diskussion auf dem 5. FDGB-Kongress ergeben, 5.11.1959, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/33, Bl. 461ff.

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schwinden würde, hatte sich die SED-Führung mit ihrem Votum für einen relativ hoch dotierten Staatstitel freilich selbst manövriert – ein prägnantes Beispiel ihrer kurzatmigen Kampagnenpolitik.

2. Die BdsA-Kampagne im Betriebsalltag – Reaktionen der Arbeiterschaft „Überspitzungen“ oder: „Sozialistisch zu leben ist das Schwierigste“ Angesichts der ausführlichen organisatorisch-propagandistischen Vorbereitung und Begleitung der Kampagne „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ fällt es nicht leicht, aus den Quellen authentische Reaktionen der Beschäftigten herauszufiltern. Außerdem kann man davon ausgehen, dass jene Mehrheit, die sich vermutlich skeptisch-abwartend oder gar ablehnend verhielt, in der überwiegend Erfolge vermeldenden Berichterstattung der Presse bzw. der Gewerkschafts- und Parteiinstanzen nur sehr sporadisch vorkam. Dennoch soll versucht werden, wo sich Anhaltspunkte bieten, auch über diese große Gruppe etwas auszusagen. Bereits am 13. Januar 1959, nur eine Woche nach dem Start der Kampagne, wurden im FDGB-Bundesvorstand „erste Erfahrungen und Lehren der Bewegung ,Brigaden der sozialistischen Arbeit‘“ analysiert. Dabei stellte man fest, dass selbst unter jenen Vorzeigebrigaden, „die bereits bisher für gute Produktionsleistungen oder als ,Beste Jugendbrigade der DDR‘ ausgezeichnet“ und deshalb als Initiatoren der Bewegung ausgewählt worden waren, eine „zu starke Orientierung auf den ersten Teil (sozialistisch arbeiten)“ zu verzeichnen sei. Das kann insofern nicht verwundern, als es dazu keiner großen zusätzlichen Anstrengungen bedurfte, denn dies war ja seit Jahren praktisch Gegenstand des Wettbewerbs in den Betrieben. Doch auch für diesen Bereich wurde konstatiert, dass über die bislang prämiierten guten Arbeitsleistungen hinausgehende Initiativen, wie z. B. die „Seifertmethode zur Beseitigung der Verlustzeiten und zur Steigerung der Arbeitsproduktivität“, zu selten in den neuen Verpflichtungen auftauchten. Was die gänzlich neuartigen Felder der Bewegung anging, hielten sich offenbar Begeisterung und Phantasie auch der bereitwilligeren Brigaden in Grenzen. So war ihre „Bereitschaft, auch auf gesellschaftlich-politischem Gebiet das Wissen zu vervollkommnen, (…) zu schwach“. Am schwächsten jedoch waren die Aussagen zum sozialistischen Leben: „Zwar werden im allgemeinen die zehn Gebote (…) zitiert, aber es fehlen die kon-

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kreten Verpflichtungen.“59 Nur eine Woche nach dem Kampagnen-Auftakt in Bitterfeld etwas anderes zu erwarten, setzte freilich voraus, dass die Initiatoren in der FDGB-Spitze ihrer eigenen Suggestion erlagen, es handle sich um eine Bewegung von unten. In einigen Betrieben brachte die mit dem sozialistischen Leben in die Brigadebewegung eingeführte starke ideologische Komponente von FDGB- und SEDFunktionären als „Überspitzungen“ bezeichnete Erscheinungen mit sich. Anhand verschiedener Beispiele warnten sie bereits nach wenigen Monaten davor, die Bewegung dadurch einzuengen, dass „keine Frauen in diese Brigaden aufgenommen werden, dass man den Brigademitgliedern verbietet, in die Kirche zu gehen (…), dass man Arbeiter nicht aufnimmt, weil sie trinken, dass man diese Brigaden nur mit Jugendlichen bildet und die Alten beiseite schiebt.“ Ebenso dürften die Arbeiter nicht durch „unerfüllbare Forderungen“ abgestoßen werden, wie z. B. „die Freizeit der Brigademitglieder zu planen, Vorschriften, nur im Kollektiv ins Theater oder zu anderen kulturellen Veranstaltungen zu gehen oder das Verbot, als Junggeselle auch mal mit einer anderen Frau auszugehen.“60 Solche und andere „Überspitzungen“ dürften im Wesentlichen auf den Übereifer einiger Basisfunktionäre von FDGB und SED zurückgehen. Sie zeigen dabei u. a. die Aussichtslosigkeit des Unterfangens, die großen schwerfälligen Apparate der Staatspartei und Gewerkschaft nach dem Prinzip des demokratischen Zentralismus von der Spitze aus bis ins letzte Glied punktgenau steuern zu wollen. Nach dem Prinzip „stille Post“ wurden diverse Anweisungen auf ihrem Weg von oben nach unten, zumeist unwillkürlich, verkürzt, ergänzt, verändert. Im Stahl- und Walzwerk Brandenburg an der Havel (SWB) hatte sich bereits in der Woche nach dem Aufruf der „Mamais“ die erste Brigade zum Titelkampf verpflichtet und eine weitere Woche danach konnte die Betriebszeitung schon die zweite Verpflichtung – der Brigade „Glück auf“ von der Drahtstraße – abdrucken.61 Diesem Kollektiv war nur einen Monat später der Artikel „Sozialistisch zu leben ist das Schwierigste“ gewidmet. Drei Kollegen, die wichtigsten Walzer der Brigade, erschienen Sonntagmorgen angetrunken zur Arbeit. Das Ergebnis war eine um fast 2/3 niedrigere Produktionsleistung während dieser Schicht. Der verantwortliche Meister und Brigadier „wollte die ganze Schuld auf sich nehmen“, 59

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FDGB-Bundesvorstand, Sekretariat Jugend und Sport, Erste Erfahrungen und Lehren der Bewegung „Brigaden der sozialistischen Arbeit“, 13.1.1959, SAPMO-BArch, DY 34/23787 (unpag.). ZK der SED, Abt. Parteiorgane, Fragen der Arbeit mit den Gemeinschaften und den Brigaden der sozialistischen Arbeit (Entwurf), o. D. (ca. Mitte 1959) SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/5/422, Bl. 70. Roter Stahl, Nr. 3/1959, S. 1.

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wahrscheinlich um die Sache intern, ohne viel Geschrei, zu regeln. Das verhinderte allerdings die Parteigruppe der Brigade, denn es galt „den so wichtigen erzieherischen Wert der Diskussion (…) zu nutzen“. Die entsprechende „Auseinandersetzung erfolgte [dann] auch mit aller Gründlichkeit in einer Belegschaftsversammlung der Brigade.“ Die vom Kollektiv beschlossenen Strafen waren durchaus hart: Prämienentzug für die nächsten 2 bis 4 Monate und einer der drei wurde sogar für einen Monat auf Strafarbeit, mit Bezahlung in einer Lohngruppe tiefer, gesetzt.62 Für diese Art der Maßregelung ist sicherlich nicht allein der Erziehungswille besonders beflissener SED-Genossen ausschlaggebend gewesen. Mindestens ebenso wichtig war wohl, dass durch die von den drei alkoholisierten Kollegen verursachte Minderleistung auch alle übrigen Brigademitglieder Lohn- bzw. Prämieneinbußen befürchten mussten; womit offenbar ein Punkt erreicht war, an dem bei den meisten Arbeitern die Freundschaft aufhörte.63

Bodenständige „Helden der Arbeit“ und ihre beiläufige Politisierung Noch interessanter wird diese Geschichte dadurch, dass sie ein zweites Mal, allerdings in einer etwas anderen Lesart, überliefert ist. Der im Artikel der Betriebszeitung angesprochene Brigadier und Meister trat wenige Wochen später auf der SED-Bezirksdelegiertenkonferenz in Potsdam als Diskussionsredner auf, war also offensichtlich selbst Parteimitglied. Hier konnte man den Eindruck gewinnen, er selbst habe von Beginn an die offene, kritische Auseinandersetzung mit den fehlgetretenen Kollegen seiner Brigade geführt und sei schon immer ein Verfechter der „10 Grundsätze der sozialistischen Moral und Ethik“ gewesen, mit deren Hilfe die Parteigruppe des Kollektivs es verstanden habe, die für solche „Erziehungsmaßnahmen [notwendige] Atmosphäre zu schaffen“. Er zog mächtig vom Leder, als er die Phrase aufgriff, der zufolge die Planerfüllung „ein bedeutender Schlag gegen die Kriegsbrandstifter in Bonn“ sei und unvermittelt stolz verkündete, in seinem Bereich habe man gerade ein solches „Element“, den Kollegen X, der versucht hatte „die jungen Menschen negativ zu beeinflussen, (…) als Lügner entlarvt und unseren Staatssicherheitsorganen übergeben“.64 Betrachtet man diese beiden Versionen der Geschichte, erscheint es gut möglich, dass der Brigade-Chef, dem Zeitungsfoto nach zwischen 50 und 60 Jahre alt, seine bis dato unangefochtene Stellung bedroht gesehen hatte, vielleicht durch die 62 63 64

Roter Stahl, Nr. 7/1959, S. 4. Vgl. die Aussagen eines Hochöfners aus dem EKO über solche Formen von „Sozialkontrolle im Kollektiv“, in: Niethammer u. a., Die volkseigene Erfahrung, S. 404. Protokoll der SED-Bezirksdelegiertenkonferenz des Bezirkes Potsdam, März 1959. BLHA Rep. 530/10, Bl. 250f.

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hauptamtlichen SED-Funktionäre im Betrieb unter Druck gesetzt worden war, als sozialistischer Leiter und Genosse einen „eindeutigen Klassenstandpunkt“ zu beziehen. Um seine Position zu wahren hatte er sich möglicherweise nicht nur die entsprechende Rhetorik zu eigen gemacht, sondern eventuell sogar an der oben erwähnten „Entlarvung“ eines Kollegen mitgewirkt, der dadurch vielleicht für Jahre als „Staatsfeind“ zum politischen Häftling wurde. Dies kann in dem konkreten Fall nicht belegt werden, scheint aber nicht gänzlich abwegig und zeigt, dass die in der Rückschau oftmals lächerlich anmutenden Phrasen Ausdruck eines Klimas waren, das für Unangepasste oder Gegner des SED-Regimes Ende der fünfziger Jahre durchaus existentiell bedrohlich werden konnte. Dieselbe Brigade „Glück auf“ war ein halbes Jahr später noch einmal „Mode“. „Fritze Stöbert“65 nahm sie in der SWB-Betriebszeitung aufs Korn. Für eine Brigadefeier hatten sie sich ein derbes Sauflied gereimt, das sich nicht so recht mit den Vorgaben für das sozialistische Leben der „neuen Menschen“ vertrug.66 Damit war diese Brigade zumindest für die erste Runde des Titelkampfes aus dem Rennen. Anfang Juni 1959 wurde zum ersten Mal die Jugendbrigade „Willy Becker“ erwähnt, die ein Jahr später als erste und zunächst einzige im SWB den Titel „Brigade der sozialistischen Arbeit“ erhielt. Nicht von großartigen Verpflichtungen handelt der Bericht, sondern von ihrer geleisteten gesellschaftlichen Arbeit. Da schlugen für sie 192 freiwillig erbrachte Stunden im Rahmen des „Nationalen Aufbauwerkes“ (NAW) und etliche Stunden tatkräftiger Unterstützung beim Rübenverziehen und bei der Heuernte in ihrer Paten-LPG der kleinen Vorortgemeinde, in der die meisten Brigademitglieder wohnten, zu Buche.67 Um diese Hilfe, die die jungen Stahlwerker an ihren arbeitsfreien Tagen leisteten, fortzuset65

66 67

Unter diesem Pseudonym nahm ein (oder mehrere) besonders eifrig-kämpferischer Agitator in der Betriebszeitung oder SWB-internen Flugblättern und Wandzeitungsartikeln tatsächliche oder vermeintliche Missstände unter die Lupe und griff die betroffenen Kollegen dabei meist scharf an. Siehe dazu den Text „An die Brigade ‚Glück auf‘ von der Drahtstraße“ im Anhang und die Interpretation des Gedichtes in Reichel, „Jugoslawische Verhältnisse“, S. 71f. Die NAW-Stunden wurden zwar freiwillig, aber dennoch nicht ganz uneigennützig geleistet. Wer nämlich eine größere Anzahl (zumindest mehrere Hundert) solcher Arbeitsstunden nachweisen konnte, verbesserte seine Aussichten, beispielsweise bei der Vergabe begehrter neuer Wohnungen eher berücksichtigt zu werden. (Für diesen Hinweis habe ich Dietrich Mühlberg zu danken.) Wenngleich die Lebensmittelrationierung mittlerweile der Vergangenheit angehörte, könnte auch die Hilfe in der Landwirtschaft den Arbeitern willkommene zusätzliche Nahrungsmittel eingebracht haben. Außerdem liegt die Vermutung nahe, dass die in diesem Dorf wohnhaften Brigademitglieder, aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen, den dortigen Bauern ohnehin geholfen hätten, da dies traditionell so üblich war.

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zen, bauten sie nun gerade ein Zeltlager an einem See in der Gemeinde auf, wohin sie auch die Pioniere ihrer Patenklasse einzuladen beabsichtigten.68 Dies wirkt glaubhaft – ohne große Phrasen und Parolen. Damit könnten die jungen Arbeiter der Brigade „Willy Becker“ als ein Beispiel für jene stehen, die am Beginn der Kampagne zumindest teilweise bereit waren, sozialistisch zu arbeiten und zu leben. Das geschah sicher weniger aus politischer Überzeugung, als vielmehr aus dem einfachen Grund, dass es hier zu einer partiellen Übereinstimmung zwischen den persönlichen Interessen sowie tradierten Verhaltensweisen der Arbeiter einerseits und der als sozialistisch postulierten Arbeits- und Lebensweise andererseits kam. Auch in diesem Fall kann das Bild durch eine weitere Quelle ergänzt werden. Die Begründung des Vorschlags zur Auszeichnung der Brigade mit dem BdsATitel anlässlich des 1. Mai 1960 liefert einige Anhaltspunkte zur weiteren Entwicklung des Kollektivs.69 Die Parteigruppe der Brigade sei seit Anfang Juni 1959 von 3 auf 14 Mitglieder angewachsen, in diesem Zeitraum waren also 11 Kandidaten für die SED geworben worden und somit gehörten fast 40 Prozent des Kollektivs der Partei an, was weit über dem Durchschnitt, auch des SWB, lag. Dies hat ganz sicher eine Rolle bei ihrer Nominierung für die Auszeichnung gespielt, wenngleich die Begründung im Weiteren ganz überwiegend ein Ausweis ausgezeichneter Arbeitsleistungen ist. Zudem haben sich viele der Kollegen qualifiziert, wurden eine ganze Reihe von Verbesserungsvorschlägen eingereicht und umgesetzt. Zwei ihrer besten Mitglieder delegierte die Brigade für drei Monate zur „sozialistischen Hilfe“ in das Nachbarkollektiv, damit dort ähnlich gute Produktionsergebnisse erzielt werden konnten.70 An diesem Beispiel lässt sich ablesen, welch enorme gesellschaftspolitische Aktivierung in vielen Kollektiven stattfand, die ernsthaft um den Ehrentitel kämpften. Dabei bleibt festzuhalten: Auch wenn die ursprünglichen Intentionen der allermeisten Brigademitglieder unpolitisch waren, in diesem Kontext, medial 68 69

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Roter Stahl, Nr. 22/1959, S. 2. Bezirksvorstand IG Metall Potsdam, 25.4.1960, Betr.: Auszeichnung der Brigade „Willy Becker“ aus dem Stahl- und Walzwerk Brandenburg zum 1. Mai 1960. BLHA Rep. 547/207 (unpag.). Daher auch im Folgenden. Schließlich wurden sogar die „drei wichtigsten Facharbeiter (…) zur neugebildeten 4. Brigade delegiert“, deren Gründung mit der Einführung des 4-Schicht-Systems notwendig geworden war. Erwähnt wird außerdem noch, dass 2 Kollegen zur NVA delegiert worden seien, „10 Kollegen politische Funktionen in der Partei, Gewerkschaft und FDJ“ ausübten und das Kollektiv sich im Leistungsvergleich bzw. Erfahrungsaustausch mit der Brigade „Max Reimann“ aus dem Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf befinde.Dieser Leistungsvergleich und Erfahrungsaustausch war ein von der SED-Bezirksleitung angestoßenes Prestigeprojekt. Auf diese Brigade werde ich in Kapitel II.3. im 3. Fallbeispiel noch einmal zurückkommen.

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aufbereitet und verstärkt, wurden sie doch zu einem eminent politischen Exempel für den Erfolg der BdsA-Kampagne im Sinne der Führungen von SED und FDGB und gaben dieser zugleich weiteren Auftrieb.

Prämien und Privilegien – teuer erkaufte Loyalität Dass sich einige, v. a. Jugendbrigaden, tatsächlich engagierten und z. B. höhere Produktionsleistungen erzielten, führte auch zu Spannungen innerhalb der Belegschaften, zumal wenn andere Kollektive im gleichen Arbeitsbereich an deren Ergebnissen gemessen wurden. Ein Genosse, der stolz über einen neuen Schichtrekord berichtete, fügte dann hinzu: „Die erste Reaktion bei der Ablösung der Kollegen (…) war, dass sie sie nicht anguckten.“71 „Normenbrecher“ waren offensichtlich auch 1959 nicht sehr beliebt. Allerdings war dieser Ruf im Kollektiv sicher leichter zu ertragen als für die Einzelkämpfer der Aktivistenbewegung Ende der vierziger Jahre.72 Generell erfreuten sich jene Brigaden, die erklärten, sozialistisch werden zu wollen, aufgrund des politischen Rückenwindes der BdsA-Kampagne, allgemeiner Förderung, bzw. gelang es ihnen besser, bestimmte Forderungen durchzusetzen, als jenen, die diese Verpflichtung nicht eingingen. Bspw. erreichten die Kolleginnen einer sozialistischen Brigade in einer Spinnerei, dass die Werkleitung den Materialversorger nach einigem Hin und Her anwies, die von den Frauen geforderten besseren Spindelschnurren zu beschaffen, bei deren Einsatz die Fäden wesentlich seltener rissen. Dadurch erzielten sie bessere Produktionsergebnisse, was sich für die Brigademitglieder in steigenden Leistungslöhnen niederschlug – während Kolleginnen in anderen Abteilungen, die sich nicht zum Titelkampf bereit erklärt hatten, mit den schlechteren Spindelschnurren weiterarbeiten mussten und im Endeffekt weniger Geld verdienten.73 Am Beispiel eines Baubetriebes wird die Bevorzugung der sozialistischen Brigaden noch deutlicher. Diese Kollektive wurden nach Einzelabrechnung bezahlt (bezogen auf die Brigade z. B. 190 % Normerfüllung), wogegen die anderen Brigaden weiterhin der Komplexabrechnung unterlagen, was die Bezahlung nach der 71 72

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SED-GO des VEB SWB, Protokoll der Parteiaktivtagung im SWB vom 24.10.1959, BLHA, Rep. 532, Nr. IV/7/055/110 (unpag.). Adolf Hennecke beschrieb die Reaktion seiner Kollegen nach seiner Rekord-Schicht im Oktober 1948 mit fast denselben Worten: „Als ich am nächsten Tag auf den Schacht kam, haben mich die Kumpel nicht mehr angesehen […] Früher war das eben der Adolf, ein Kumpel wie jeder andere. Jetzt aber stand eine Wand zwischen uns.“ Zitiert nach Hübner, Konsens, S. 35. FDGB-BuV, Protokoll der 4. Tagung des BuV, 24./25.5.1960, SAPMO-BArch, DY 34/26868, Bl. 146f.

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durchschnittlichen Normerfüllung des gesamten Betriebes (ca. 125 %) bedeutete. Dadurch erzielten die Mitglieder der besten Brigade, die sich zum Titelkampf verpflichtet hatte, etwa 150 bis 200 DM mehr im Monat. Die Betriebsleitung gebrauchte diese Unterscheidung ausdrücklich, um die übrigen Brigaden auf der Baustelle damit ebenfalls zur BdsA-Verpflichtung zu bewegen. Diese Strategie hatte Erfolg: Stellten die am sozialistischen Brigadewettbewerb Beteiligten mit drei Brigaden und insgesamt 30 Kollegen im Dezember 1959 noch eine Minderheit unter den 90 Beschäftigten auf der Baustelle dar, gab es einen Monat später nur noch eine einzige Brigade, die dieser Verlockung trotzte. Alle anderen, einschließlich der Baustellenleitung, hatten sich inzwischen zu sozialistischen Kollektiven zusammengeschlossen.74 Auch wenn die eben geschilderte Methode, mittels besserer Entlohnung, ganze Betriebsbelegschaften in den sozialistischen Brigadewettbewerb zu locken, sicher nicht den Normalfall darstellte, lässt sich daran dennoch ein Grundproblem der BdsA-Kampagne ablesen: Mit ihr wurden massiv nicht-ökonomische Kriterien in den sozialistischen Wettbewerb eingeführt und teilweise bereits die unverbindliche Übernahme entsprechender Verpflichtungen durch Lohnzuschläge oder Prämien honoriert.75 Unterstellt man, dass dem keine adäquate Steigerung der Arbeitsproduktivität gegenüberstand, war dies wirtschaftlich gesehen ein außerordentlich problematischer Deal, mit dem den Beschäftigten (häufig nur oberflächliche) Loyalitätsbezeugungen zum SED-Staat abgekauft wurden. Ob dies mittelund langfristig so blieb oder eventuell wieder ausgeglichen wurde, wird ebenso weiter unten geklärt, wie die Frage, nach den längerfristigen Folgen der Bereit-

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Dass auch die Kollegen der einen widerspenstigen Brigade, wie alle anderen, nunmehr in Einzelabrechnung bezahlt wurden, lässt vermuten, dass sie hart verhandelt und der Bauleitung die gleichen Entlohnungsbedingungen abgerungen hatten. Nunmehr befürchteten viele Arbeiter auf der Baustelle, dass bald die Normen erhöht würden, um die stark gestiegenen Lohnkosten zu dämpfen. Ob und in welchem Umfang dies geschah, ist dem Bericht nicht zu entnehmen. Berichte eines Informanten des SPD-Ostbüros von einer Baustelle des VEB Schachtbau Nordhausen beim Staudammbau Bräsinchen (Lausitz) vom 30.12.1959 und vom 12.2.1960. AdsD, SPD-PV-Ostbüro, 2345/62/BII (unpag.). Derartige Privilegierungen sozialistischer Brigaden riefen verständliche Unzufriedenheit unter den faktisch benachteiligten Arbeiterinnen und Arbeitern hervor, sodass sehr bald Forderungen laut und von der zuständigen ZK-Abteilung aufgegriffen wurden, die Brigadeverträge abzuschaffen, damit die Werkleitungen darin nicht länger „gegenüber diesen Brigaden besondere Verpflichtungen in der Arbeitsorganisation u. a. übernehmen (…), sondern allen Brigaden gute Voraussetzungen für die Arbeit schaffen“. ZK der SED, Abt. Gew., Probleme, die sich aus der Diskussion auf dem 5. FDGB-Kongress ergeben, 5.11.1959, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/33, Bl. 462.

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schaft vieler Beschäftigter, sich zumindest formal auf einen solchen Kuhhandel einzulassen. „Im gleichen Maße wie die Bewegung wächst, schleicht sich Bürokratismus ein“, bemängelte im Sommer 1959 die FDGB-Führung, wobei das „Vertragswesen“ als dessen verbreitetste Form kritisiert wurde.76 Der Abschluss von Verträgen mit den Brigaden, so die Befürchtung, könnte durch diese so interpretiert werden, dass sie bei Erfüllung der darin festgehaltenen Vereinbarungen automatisch Anspruch auf den BdsA-Titel und die damit verbundene Prämie haben würden. Das hätte den vorgesehenen Rahmen für die Staatstitelverleihung und der dafür eingeplanten Mittel mit Sicherheit gesprengt. Zudem war dieser Wettbewerb ausdrücklich als Verpflichtungs- und nicht als Vertrags-Bewegung konzipiert worden. Darauf, ohne die Gewähr einer Gegenleistung, einseitig diverse Verpflichtungen abzugeben, wollten sich aber offenbar viele Brigaden nicht einlassen – und setzten deshalb die in den fünfziger Jahre üblich gewordene Praxis des Aushandelns fort.77 Die Wirtschafts-, SED- und FDGB-Funktionäre in den Betrieben sahen wohl häufig keine andere Möglichkeit, eine nennenswerte Zahl von Arbeitskollektiven zur Beteiligung an der sozialistischen Brigadebewegung zu motivieren, als ihrerseits ebenfalls an dieser Praxis festzuhalten. Da ihnen andererseits kaum wirksame Sanktionsmittel zur Verfügung standen, jene Brigaden, die sich dennoch hartnäckig verweigerten, sich der Bewegung anzuschließen, und sie diese bei vergleichbarer Arbeitsleistung unmöglich längere Zeit benachteiligen konnten, ohne den Betriebsfrieden zu gefährden, hatten letztlich auch diese nicht-sozialistischen Brigaden gute Chancen, von der BdsA-Kampagne zu profitieren. Wenn man außerdem die beträchtlichen Prämien berücksichtigt, die den BdsA zu dieser Zeit winkten, kann durchaus von finanziellen Anreizen gesprochen werden, die eine Verpflichtung zur sozialistischen Brigade überlegenswert machten. Einkommensaufbesserungen in Form von Lohnzuschlägen und Prämien sind somit als wesentlichster Grund für das schnelle Anwachsen der sozialistischen Brigadebewegung zu nennen.78 Wurde aber an den in Aussicht gestellten bzw. erhofften Prämien herumgekürzt, sank sehr schnell die Bereitschaft zur Teilnah76

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FDGB-BuV, Abt. Wirtschaft, 28.7.59. Wie wurde der Volkswirtschaftsplan im 1. Halbjahr 1959 erfüllt, und welche Lehren und Schlussfolgerungen müssen für die Entwicklung des sozialistischen Wettbewerbs und der Aktivistenbewegung gezogen werden? SAPMOBArch DY 34/26084, Bl. 73ff., hier Bl. 77. Allerdings sind auch – der Überschrift nach – „Verträge“ überliefert, bei denen es sich ganz klar um einseitige Verpflichtungen der jeweiligen Brigaden handelte und keinerlei Gegenleistungen festgeschrieben worden waren. Als Beispiel: „Brigadevertrag der Schicht I der Wareneingangskontrolle TKO“, Brandenburg, 1.4.1960. BLHA Rep. 502/930 (unpag.). Vgl. Hübner, Konsens, S. 228.

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me am Wettbewerb. Als „typische Stimmen von Arbeitern“ charakterisierte im Frühjahr 1960 der FDGB-Bezirksvorsitzende von Magdeburg folgende Aussage: „Wenn mal was rauskommt, dann fängt der Kampf um die Prämienzahlungen an. Es wird dann immer etwas gefunden, was nicht erfüllt wurde, damit man die Prämien herabsetzen kann. (…) Das ist typisch die Prämiendiskussion (…) und in dieser Verbindung gibt es ähnliche Stellungnahmen von anderen Brigaden.“79

Öffentliche Anerkennung und Aufstiegschancen durch Qualifizierung Ein weiterer Spannungsherd war bereits in der Konzipierung der Kampagne angelegt: Die zunächst starke Konzentration auf Jugendbrigaden, verbunden mit entsprechender Bevorzugung, sorgte in vielen Betrieben für Verstimmung unter älteren Kollegen. Hier überrascht, mit welcher Naivität, angesichts der eigenen genau dies bewirkenden Kampagnen-Politik, die FDGB-Führung Anfang März 1959 darüber staunte, dass die „Bewegung noch nicht auf die älteren Kollegen übergegriffen hat“. In den Buna-Werken bspw. sei die Reaktion „der Alten so gewesen, dass sie sagten: ‚Uns wollen die nicht mehr haben.‘“, weil die Werkleitung u. a. festgelegt hatte, dass an dem neu erbauten Ofen eine Jugendbrigade eingesetzt wird. Ein Jugendbrigadier aus dem VEB Elektrokohle Berlin-Lichtenberg berichtete, dass ihnen die älteren Arbeiter lange Zeit mit einer Mischung aus Spott, Neid und Verbitterung begegnet seien: „Macht Platz, Kollegen, jetzt kommen die Fernsehstare!“ – bekamen sie bei jeder Gelegenheit zu hören. Dass sich dahinter nicht unbedingt grundsätzliche Ablehnung gegenüber der sozialistischen Brigadebewegung verbarg, zeigt die Auflösung dieser Spannung: Als wieder einmal ein Fotoreporter vom „Neuen Deutschland“ kam, um die Jugendbrigade „1. Mai“ abzulichten, schickten sie ihn zu jener Nachbarbrigade älterer Kollegen, die ebenfalls ausgezeichnete Arbeit leistete. Diese ließen sich bereitwillig fotografieren und wurden ob ihrer hervorragenden Leistungen herausgestellt. „Heute verbindet uns ein kameradschaftliches Verhältnis mit diesen älteren Kollegen.“ – beendete der Jugendbrigadier erleichtert seine Erzählung.80 Selbst wenn dies nicht so spontan abgelaufen, sondern vielleicht gezielt organisiert worden war, um exemplarisch den schwelenden Generationskonflikt einzudämmen, hat es scheinbar doch funktioniert, zumindest in diesem Fall. Obschon die ältere Arbeitergeneration aufgrund ihrer Erfahrungen und Prägungen mehr79 80

FDGB-BuV, Protokoll der 4. Tagung des BuV, 24./25.5.1960, SAPMO-BArch, DY 34/26868, Bl. 164ff. Berlin, 3.3.1959, (FDGB-BuV), Problem-Bericht von der Konferenz der Chefredakteure der sozialistischen Presse mit „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ (…) vom 24.2.1959. SAPMO-BArch, DY 34/21322 (unpag.).

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heitlich schwerer zu manipulieren und deutlich reservierter gegenüber der SED gewesen sein mag, die Distanz zu den Herrschenden war doch nicht so groß, dass sie die öffentliche Anerkennung ihrer Leistungen, auch und gerade im „Arbeiterstaat“, zurückgewiesen oder als diskreditierend empfunden hätten. Ein weiterer Punkt, der den Interessen nicht weniger Arbeiter entgegenkam, war die unter der Rubrik sozialistisches Lernen geführte Qualifizierungskampagne. In deren Rahmen erhielten viele die Möglichkeit, neben der Arbeit, v. a. in sogenannten Betriebsakademien, ihren Facharbeiterabschluss nachzuholen, einen zweiten Beruf zu erlernen, sich zum Meister zu qualifizieren oder gar einen Hochbzw. Fachschulabschluss zu erwerben,81 womit sie die Perspektive verbanden, in höhere Lohngruppen aufsteigen sowie interessantere und körperlich weniger schwere Tätigkeiten ausüben zu können. Allerdings dürfte auch hier eine Lücke zwischen der Anzahl der verbalen Verpflichtungen und der tatsächlichen Teilnahme an der euphorisch begonnenen Weiterbildungsoffensive geklafft haben.82 Umgekehrt klagten manche Brigaden darüber, dass angekündigte Schulungen einfach abgesetzt wurden oder Betriebsleitungen es teilweise ablehnten, bestimmte Qualifizierungslehrgänge anzubieten. Dies wurde damit begründet, dass es im Betrieb genug Beschäftigte mit der entsprechenden Befähigung gäbe. Hinter vorgehaltener Hand fügten sie die nicht ganz unberechtigte Befürchtung hinzu, Zusatzqualifikationen würden die Neigung und Erfolgsaussichten der Arbeiter erhöhen, sich anderswo nach attraktiveren Jobs umzusehen.83

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Vgl. Roesler, Inszenierung, S. 43f. Informationen aus allen Bezirken zusammenfassend monierte die ZK Abt. GS im Mai 1960, „dass noch keine genügende Atmosphäre des Lernens vorhanden“ sei. Zum Teil reduziere sich die Zahl derer, die sich für Qualifizierungslehrgänge einschrieben bis zum Abschluss „um die Hälfte“. ZK der SED Abt. GS, 25.5.1960, Kurze Einschätzung der Beratung mit den Instrukteuren für Gewerkschaftsfragen bei den BL der SED und den Parteisekretären des BuV des FDGB, der ZV der IG/Gew. und der Presseorgane der Gewerkschaften. SAPMO-BArch, DY 30 IV/2/611/23, Bl. 95ff. Ebenso die Klage eines Mitarbeiters der Betriebsakademie des SWB, der im September 1959 in der Betriebszeitung feststellen muss, dass trotz zahlreicher Verpflichtungen in den Brigadeverträgen ein Großteil der Kollegen „keine Lust mehr zum Studieren“ hat. Entweder erschienen sie gar nicht zu den Lehrgängen, für die sie sich gemeldet hatten oder sie blieben nach wenigen Sitzungen einfach weg. Roter Stahl, Nr. 37/1959. FDGB-BuV, o. D. (ca. Frühjahr 1960), Probleme, die von den „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ gestellt werden. SAPMO-BArch, DY 34/21319 (unpag.) Über solche Befürchtungen wurde in dem Papier aus einem Ost-Berliner Betrieb berichtet, wo der Arbeitsplatzwechsel in den Westteil der Stadt zu diesem Zeitpunkt noch eine besonders lukrative Alternative darstellte.

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Verschiebung der innerbetrieblichen Machtverhältnisse? Generell waren die Auswirkungen der BdsA-Kampagne auf das Verhältnis zwischen Betriebsleitungen und Wirtschaftsfunktionären einerseits sowie den Beschäftigten in den Brigaden andererseits ambivalent. Zunächst wurden die einen von der neuen Wettbewerbsbewegung nicht weniger überrascht als die anderen. Durch den starken politischen Rückenwind der Kampagne hatten die Betriebsleitungen gar keine andere Wahl als die sozialistischen Brigaden zu unterstützen. Entsprechend der spezifischen Konstellation des jeweiligen Betriebes, ihren Fähigkeiten und Ambitionen gingen die Wirtschaftsfunktionäre eher offensiv mit den Brigaden um oder wurden von diesen, nicht selten unter Beteiligung von BPO und BGL, in die Defensive gedrängt. Aus den Quellen entsteht der Eindruck, dass Letzteres öfter der Fall war, was allerdings nicht zwingend mit den entsprechenden Relationen in der Gesamtheit der Betriebe übereinstimmen muss. Sehr häufig waren Klagen der sozialistischen Brigaden über die mangelnde Planaufschlüsselung und Arbeitsorganisation zu hören.84 Ihre Position wurde in dieser Frage von höchster Stelle gestärkt. Bereits Mitte Januar 1959 hatte nämlich Ulbricht gefordert, dass der Plan für den einzelnen Arbeiter bzw. die Brigade „täglich aufgeschlüsselt“ werden müsse und die „Bedingungen für einen rhythmischen Produktionsablauf“ (Vermeidung von Warte- und Stillstandszeiten aufgrund fehlender Materiallieferungen etc.) geschaffen werden sollten und dies im Herbst desselben Jahres nochmals bekräftigt.85 Im ZK-Apparat wurde ebenfalls im Herbst 1959 mit Bezug auf die Brigadebewegung außerdem konstatiert, dass „in zahlreichen Betrieben die Meister eher ein Hemmschuh als Förderer des Neuen“ seien.86 Ganz offenbar wurde von der SED-Führung versucht, mittels der sozialistischen Brigaden Druck auf die Wirtschaftsfunktionäre in den Betrieben auszuüben, um diese zu zwingen, ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Fehler und Schwächen zu überwinden und somit bessere Voraussetzungen für die Planerfül84

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Dafür gibt es etliche Belege, bspw. aus Dokumenten der FDGB-Spitze: Die politische Bedeutung der Bewegung „BdsA“, Frühjahr 1959 in SAPMO-BArch, DY 34/21319 (unpag.); Probleme die von den „BdsA“ gestellt werden, Frühjahr 1960 in: ebd. Entsprechende Forderungen wurden auch erhoben auf einer Bezirksparteiaktivtagung (Potsdam) der Bauarbeiter am 3.3.1960 in Brandenburg; BLHA Rep. 530/78 (unpag.); oder von Brigadevertretern im SWB auf einer Beratung des Büros für Neuererwesen am 27.8.59 in diesem Betrieb, BLHA Rep. 502/930 (unpag.). Aus dem Referat Ulbrichts auf der 4. ZK-Tagung vom 15. bis 17. Januar 1959. SAPMOBArch, DY 34/21920 (unpag.) sowie auf der 6. ZK-Tagung am 18./19.9.1959, ebd. ZK der SED, Abt. Gew., Probleme, die sich aus der Diskussion auf dem 5. FDGBKongress ergeben, 5.11.1959, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/33, Bl. 462.

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lung zu schaffen. Damit rannten sie bei vielen Arbeitern offene Türen ein, denn diese lasteten alle möglichen Probleme in der Produktion zumeist der jeweiligen Betriebsleitung an, weil sie die grundlegenden im Planungssystem angelegten Ursachen nicht überblicken konnten.87 Dabei war bspw. die als Patentrezept präsentierte pauschale Forderung nach Planaufschlüsselung in einigen Bereichen (z. B. Reparaturbrigaden) gar nicht sinnvoll umsetzbar.88 Jedenfalls gewann diese Entwicklung in manchen Betrieben eine Dynamik, die wesentlich dazu beitrug, dass im Frühjahr 1960 die SED-Spitze letztlich selbst die Notbremse zog („Syndikalismus“-Affäre). Als nämlich Brigaden nicht nur zu fordern begannen, dass „auch die Prämien des leitenden Personals, der Wirtschaftsfunktionäre und der Intelligenz (…) im Kollektiv beraten werden, und zwar unter Hinzuziehung von Arbeitern“, sondern darüber hinaus auch noch die Teilnahme von Brigadieren an den Werkleitersitzungen als „vollberechtigte Beratungsmitglieder“ verlangten,89 drohte die betriebliche Hierarchie ins Wanken zu geraten. Dies erschien Ulbricht und Genossen dann offenbar doch zu riskant. Dass mit der „BdsA-Kampagne eine gewisse Bewegung in die innerbetrieblichen Machtbeziehungen kam, war unverkennbar. Zunächst blieb noch alles im Lot: Betriebsleitungen, BGL und BPL beauftragten diverse Abteilungsleiter, Ingenieure etc. sich als Paten um jeweils eine Brigade zu kümmern und taten dies auch selbst. Abgesehen davon, dass dieses Engagement sich mit der Verpflichtung des Kollektivs, am sozialistischen Brigadewettbewerb teilzunehmen, meist erledigt hatte, monierte bspw. ein Vertreter der Bitterfelder „Mamai“-Brigade, dass „Patestehen bei kleinen Kindern gut ist, aber weniger bei Brigaden“. Deshalb forderten sie, die Paten sollten selbst Mitglied des Kollektivs werden und „wie jedes

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Vgl. Roesler, Gewerkschaften, S.18 f. sowie Ders., Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft, S. 93ff. und 278f. Diese Einsicht findet man auch in dem Problem-Bericht des FDGB-BuV von der Konferenz der Chefredakteure der sozialistischen Presse mit „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ (…) vom 24.2.1959 wieder. SAPMO-BArch, DY 34/21322 (unpag.). Inwieweit die Parteispitze hier ganz gezielt populistisch argumentierte oder diese schlichte Sicht der Dinge tatsächlich teilte, dabei aber geflissentlich die eigene Hauptverantwortung für die Dysfunktionen des Wirtschaftssystems übersah, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. In der wirtschaftspolitischen Kontroverse 1956/57 hatten Wissenschaftler um Behrens und Benary jedenfalls deutlich auf solche Systemmängel hingewiesen, und auch das ab 1962 diskutierte NÖS war ja ein von Ulbricht angeführter halbherziger Versuch, diese zu korrigieren. Vgl. Hübner, Manager, S. 75f. sowie Steiner, DDR-Wirtschaftsreform. Fragen der sozialistischen Bewusstseinsbildung und der Entwicklung sozialistischer Gemeinschaftsarbeit. In: Einheit, Jg. 1959, S. 880ff.

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andere Mitglied Rechenschaft über ihre Arbeit ablegen“.90 Andere Arbeiter berichteten, dass früher überheblich und distanziert aufgetretene Technologen und Ingenieure inzwischen mit ihnen gemeinsam in zeitweiligen „sozialistischen Arbeitsgemeinschaften“ praktikable Verbesserungsvorschläge erarbeiten und umsetzen würden.91 Diese „Gemeinschaften der sozialistischen Arbeit“ (später „Arbeits- und Forschungsgemeinschaften“) gehörten neben den Brigaden als fester (wenn auch weniger gewichtiger) Bestandteil zur Kampagne für die „sozialistische Gemeinschaftsarbeit“. In ihnen sollten Ingenieure, Meister etc., neben ihrer eigentlichen Tätigkeit, zusammen mit Arbeitern aus dem jeweiligen Produktionsbereich die Technologie verbessern bzw. weiterentwickeln, ohne dass große Summen in neue Maschinen und Anlagen investiert werden mussten. Das konnte durchaus nützlich sein und brauchbare Ergebnisse hervorbringen, aber eben nicht notwendige Investitionen vollkommen ersetzen, worauf es praktisch all zu häufig hinauslief. Die enge Verbindung zur Neuererbewegung ist evident, nur ging es hier, wohl auch gesellschaftspolitisch, dezidiert um das Zusammenwirken von Arbeiterklasse und Intelligenz.92 Wenn Betriebsleitungen diese Form der Rationalisierung gezielt einsetzten, konnte dies sowohl Produktivitätsgewinne als auch eine partielle Verbesserung des Betriebsklimas zur Folge haben und musste sie also keineswegs unter Druck setzen. Wurden den Beschäftigten allerdings neue Maschinen hingestellt, durch deren Einsatz die Arbeit noch schwerer wurde und die Produktivität (abgeleitet davon oft auch der Lohn) sank, versuchten sich die Brigaden verständlicherweise dagegen zu wehren und griffen die Betriebsleitungen ob solcher Schildbürgerstreiche z. T. heftig an.93 Ebenso berechtigt kritisierte eine Brigade aus der Ostberliner 90

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FDGB-BuV, o. D. (ca. Frühjahr 1960), Probleme, die von den „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ gestellt werden. SAPMO-BArch, DY 34/21319 (unpag.) In der Betriebszeitung des EKS hieß es im Sommer 1959 ganz ähnlich: „Wie wäre es denn damit: Jeder Wirtschaftsfunktionär, jeder hauptamtliche Funktionär der gesellschaftlichen Organisationen und deren Mitarbeiter in eine Brigade der sozialistischen Arbeit.“ UF 28/59, S. 2. FDGB-BuV, o. D. (ca. Frühjahr 1960), Probleme, die von den „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ gestellt werden. SAPMO-BArch, DY 34/21319 (unpag.) Ende 1959 waren 25.684 solcher Gemeinschaften mit insgesamt 213.800 Mitgliedern statistisch erfasst. StJb 1959, S. 209. Auch solche Gemeinschaften konnten mit einem entsprechenden Titel ausgezeichnet und prämiiert werden. In einem konkreten Fall hatte sich die Jugendbrigade „Max Reimann“ aus dem KWO, Berlin (O.), beschwert. Ihrer Aussage zufolge würden jetzt 3 Leute benötigt, um die selbe Arbeit zu verrichten, die zuvor 1 Mann bewältigt hatte; zudem müsse dabei nunmehr ein Kollege einen Hebeldruck von mehr als 50 kg gegenüber vorher 20 kg ausüben. Berlin, 3.3.1959, (FDGB-BuV), Problem-Bericht von der Konferenz der Chefredakteure der so-

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Schuhfabrik Goldpunkt, dass sie „täglich bei 2.050 Stück Absatzbezügen Material vergeuden müssen“. Auf ihre Ankündigung, „diese Schluderei nicht mehr mitzumachen“, wurde ihnen gedroht, dies sei Arbeitsverweigerung, weshalb sie inzwischen „keine Lust mehr“ hätten, etwas zu sagen.94 In einem weniger krassen Fall nahm eine Jugendbrigade ihren Werkleiter einfach beim Wort, der sich zu einem offiziellen Anlass vollmundig verpflichtet hatte, ihnen jegliche Unterstützung zukommen zu lassen. Als sie ihn später wegen diverser Schwierigkeiten baten, zu ihnen an den Arbeitsplatz zu kommen, erschien er mehrfach nicht zu den vereinbarten Terminen. „Wir sind zum Betriebsfunk gegangen, haben ihm ein Tonband zum Abspielen gegeben, das lautete: Auf vielseitigen [sic] Wunsch für unseren Werkleiter: ‚Wo bist du geblieben …?‘“ (Ein damals aktueller Schlager.) Keine halbe Stunde später sei der Werkleiter gekommen, und wann immer sie ihn danach gebraucht hätten, war er sofort zur Stelle.95 Es entstünde allerdings ein Zerrbild, würde man pauschal unterstellen, im Zusammenhang der BdsA-Kampagne seien die Leiter und Wirtschaftsfunktionäre in den Betrieben von den Brigaden in die Defensive gedrängt worden, habe gar eine Verschiebung der innerbetrieblichen Machtverhältnisse stattgefunden. Umgekehrt kam es nämlich auch vor, dass Betriebsleiter Hand in Hand mit BPO und BGL „ihre“ Arbeiter unter Druck setzten, sich der politisch induzierten sozialistischen Brigadebewegung anzuschließen, um entsprechende Forderungen bzw. Erwartungen der übergeordneten Instanzen zu erfüllen oder weil sie diesbezüglich besonders gut dastehen und daraus Vorteile für sich bzw. ihren Betrieb ziehen wollten.96

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zialistischen Presse mit „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ (…) vom 24.2.1959. SAPMO-BArch, DY 34/21322 (unpag.). Die Arbeiter erhielten 10 Prozent Erschwerniszulage, weil ihnen seit Monaten die Lederstücke zum Beziehen von Damenabsätzen zu groß geliefert wurden und sie diese nachträglich von Hand verschneiden mussten. Der verantwortliche Meister und der Produktionsleiter hätten sich die Sache zwar vor längerer Zeit einmal angesehen, aber verändert worden sei nichts. FDGB-BuV, o. D. (ca. Frühjahr 1960), Probleme, die von den „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ gestellt werden. SAPMO-BArch, DY 34/21319 (unpag.). Ebd. Eine ähnliche Geschichte druckte die Betriebszeitung des EKS, wo ein (Vorgesetzter) Arbeitsvorbereiter einen Schlosser, der ein berechtigtes Anliegen, das zur Materialeinsparung beitragen sollte, vorgebracht hatte, rüde abkanzelte („Du hast überhaupt nichts zu sagen…“). „Dr. Eisenbart“, der nicht zimperliche Kolumnist der Betriebs(partei)zeitung schildert diese Episode und schließt bedeutungsvoll-drohend mit der Frage: „Wie lange kann sich ein Wirtschaftsfunktionär solchen Ton gegenüber Arbeitern noch erlauben?“ UF, 28/59, S. 2. Berichte eines Informanten des SPD-Ostbüros von einer Baustelle des VEB Schachtbau Nordhausen beim Staudammbau Bräsinchen (Lausitz) vom 30.12.1959 und vom 12.2.1960. AdsD, SPD-PV-Ostbüro, 2345/62/BII (unpag.). Die Baustellenleitung habe

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Wenn es gelang, Arbeitskollektive durch konkrete Wettbewerbsverpflichtungen zu höheren und besseren Produktionsleistungen, zur besseren Auslastung der Arbeitszeit, allgemein zu einer höheren Arbeitsdisziplin oder auch nur zur Verringerung sogenannter Planpolster zu motivieren,97 dürfte sich dies auch im Sinne der jeweiligen Leitung positiv auf das Betriebsergebnis ausgewirkt haben. Blieben Stellungnahmen von Brigaden, dass die „Normenfrage für uns kein ‚heißes Eisen‘ mehr“ ist,98 nicht bloße Rhetorik, konnten die Betriebsleitungen hoffen, in dieser hochsensiblen Frage etwas Boden gutzumachen. Obwohl Vieles dafür spricht, dass dies bei der Mehrzahl der am sozialistischen Brigadewettbewerb teilnehmenden Arbeitskollektive nicht oder nur in geringem Maße der Fall war, bot diese Kampagne den Betriebsleitungen und Wirtschaftsfunktionären die Chance, die Brigaden in dem eben beschriebenen Sinne zu aktivieren. Das musste keineswegs zwangsläufig mit einer Lockerung oder gar Verschiebung der innerbetrieblichen Hierarchien und Machtverhältnisse erkauft werden, sondern konnte ebenso gut umgekehrt eine stärkere Einbindung und Kontrolle der Brigaden zur Folge haben; zumal im Zusammenwirken von Betriebsleitung, BPO und BGL.

Einflussnahme der SED auf die Brigadebewegung in den Betrieben Dass sich die SED spätestens ab Sommer 1959 stärker in die BdsA-Kampagne einschaltete, ist oben bereits angeklungen. Bezirks- und Kreisleitungen beschlossen sowohl Maßnahmen zur Unterstützung und Lenkung der Brigaden als auch

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„scharfen Druck“ auf die Arbeiter ausgeübt und gedroht, „wer sich weigere einzutreten, der müsse damit rechnen, dass er entlassen werde“, heißt es darin. Dafür gibt es auch diverse Belege in den Quellen, bspw. in: Die politische Bedeutung der Bewegung „BdsA“, Frühjahr 1959 in SAPMO-BArch, DY 34/21319 (unpag.) oder in: ZV IG Wismut, Karl-Marx-Stadt, 5.3.1959, Material über die Entwicklung der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit bzw. Brigaden der sozialistischen Arbeit im Industriezweig Wismut. Ebd. UF 28/59, S. 2. In dem Artikel rechnete die Schlosserbrigade Boggasch aus der Zentralwerkstatt des EKS vor, wie sie im 1. Halbjahr 1959 ca. 2.000 Arbeitsstunden eingespart und dabei die Normzeiten für eine ganze Reihe von Tätigkeiten deutlich verringert habe. Für bzw. durch die Betriebszeitung aufbereitet, verbinden sie das mit dem Bekenntnis: „Im Bewusstsein, unserem Staat das beste zu geben, verändern wir unsere Normen selbst und legen sie so fest, dass wir alle den Nutzen davon haben. Damit das so ist, kämpfen wir jetzt darum, unsere Arbeitsproduktivität um weitere 6 Prozent zu erhöhen.“ Genau gelesen kann man freilich auch bei dieser Formulierung – insbesondere im ersten Satz – vermuten, dass hier etwas vom „Planpolster“ abgegeben wurde, weil die Brigade dies im aktuellen „BdsA-Wettbewerb zu einem günstigen „Kurs“ in Lohnsteigerungen und Prämien ummünzen konnte.

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Zielvorgaben, wie viele Kollektive, z. B. bis zum 10. Jahrestag der DDR-Gründung am 7. Oktober d. J., für die neue Bewegung gewonnen werden sollten. Obschon die SED-Bezirksleitung Potsdam im Oktober einräumen musste, dass ihr Beschluss von Mitte August, demzufolge leitende Genossen in den sozialistischen Brigaden mitarbeiten sollten, „in vielen Betrieben noch nicht verwirklicht“ worden war,99 unternahmen die Parteiorganisationen in den Betrieben doch einige Anstrengungen, die Kampagne voranzutreiben. Die BPO des SWB bspw. sah im Herbst 1959 „vollkommen klar, dass dort, wo die Parteigruppen schwach und die soz. Brigaden wenig mit Mitgliedern unserer Soz. Einheitspartei durchdrungen sind, die Festigung einer soz. Brigade länger dauert und der Erziehungsprozess innerhalb der Brigade zum soz. Denken und Handeln erschwert ist“.100 Um entsprechende Defizite auszugleichen, war jeder Brigade ein Parteibeauftragter (aus dem Leitungs- und Verwaltungsbereich) zugewiesen worden, der sich gemeinsam mit der jeweiligen Parteigruppe um die „noch vorhandenen Mängel“ kümmern sollte. Dies war aber scheinbar kein sehr beliebter Job, denn „der größte Teil der Genossen Parteibeauftragten (…) haben ihre Aufgaben nicht ernst genommen.“ Um den Erfolg der Kampagne besser befördern zu können, beschloss die BPO nunmehr, „dass die Kader auf die Schichten richtig verteilt [werden müssten], weil sonst die Parteigruppe in ihrem Bereich nicht führend sein“ könne.101 Ähnliche Aktivitäten wie im SWB entfalteten die SED-Funktionäre im Stalinstädter Eisenhüttenkombinat.102 Freilich mussten auch die hauptamtlichen Genossen des EKS damit leben, dass einfache Parteimitglieder in den Brigaden ihre 99 Protokoll der Sitzung des Büros der Bezirksleitung am 9.10.1959 (Vertrauliche Verschlusssache). BLHA Rep. 530/188, Bl. 1ff. 100 SED-Grundorganisation des VEB SWB, Protokoll der Parteiaktivtagung im SWB vom 24.10.1959, BLHA, Rep. 532, Nr. IV/7/055/110 (unpag.). 101 Ebd. Damit entsprachen die Brandenburger Genossen offensichtlich der Generallinie der SED hinsichtlich der sozialistischen Brigaden. In einem Berlin betreffenden Informationsbericht der u. a. mit den sozialistischen Brigaden befassten ZK-Abteilung vom August 1959 wird nämlich kritisiert, dass „einige Kreisleitungen (…) über die Verteilung der Parteikräfte in den Brigaden (…) keine Übersicht“ hätten und außerdem durchschnittlich „auf jede Brigade nur ein Genosse“ komme. Angesichts der noch offenen Grenze zum Westteil der Stadt hatte die SED in den Ostberliner Betrieben nach wie vor erheblich größere Probleme und weniger Mitglieder als im „Rest“ der Republik. ZK der SED, Org.Abt., Informationsbericht über den Stand des Wettbewerbes um den Titel „Brigade der sozialistischen Arbeit“ in Berlin (Vertrauliche Verschlusssache), 19.8.1959, SAPMOBArch, DY 30 IV 2/5/422, Bl. 74-82, hier Bl. 80. Vgl. den außerordentlich schweren Stand, den die SED bei der Etablierung ihrer Betriebsgruppen Ende der 1940er Jahre in Ostberlin gehabt hatte; in: Reichel, „Feste Burgen …“, S. 66ff. und 97. 102 UF 30/59 (31.7.1959), S. 3. „Alle Kraft der Parteiorganisation zur Förderung des Neuen. Beschluss der Leitung der APO Hochofen.“

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Forderungen und Anweisungen häufig nur teilweise und zögerlich umsetzten. So wurden nachlassende Anstrengungen der Arbeitskollektive im sozialistischen Wettbewerb darauf zurückgeführt, dass „die Parteigruppen nicht regelmäßig zusammentreten“ und generell zu inaktiv wären.103 Solche Beurteilungen waren allerdings primär ein Indikator für die in Funktionärskreisen verbreitete, vollkommen realitätsferne Vorstellung, in jedem Arbeiter mit SED-Parteibuch in der Tasche stecke ein glühender Berufsrevolutionär, der nichts besseres zu tun hätte, als neben seiner oft schweren täglichen Arbeit in der Produktion unermüdlich immer neuen Anforderungen und Anweisungen übergeordneter Parteiinstanzen zu folgen. Die schnelle Ausbreitung und vor allem die Anleitung, Kontrolle und Steuerung der sozialistischen Brigadebewegung, zumal in Großbetrieben wie dem SWB und dem EKS, war zweifellos zu einem Gutteil den Bemühungen der betrieblichen SED-Organisationen geschuldet. Auch wenn sich auf diesem Weg natürlich nicht alles nach der Rädchen-Theorie eins zu eins von oben bis ganz unten durchsetzen ließ. Dieser Zusammenhang wird durchaus sichtbar, wenn man den Umfang und die Dichte der Parteistrukturen in den Betrieben ins Verhältnis zur Zahl der am „BdsA-Wettbewerb teilnehmenden Brigaden setzt.104 Sowohl im SWB als auch im EKS sind die Parteistrukturen deutlich weiter entwickelt als in den übrigen, kleineren Betrieben beider Städte, wobei die organisatorische Durchdringung der Betriebe mit der Bildung von Parteigruppen als unterster Struktureinheit zu diesem Zeitpunkt in Brandenburg durchweg weiter vorangeschritten scheint als in Stalinstadt. Die Aufgliederung und Ausbreitung der SED-Organisationen bis in die kleinsten Arbeitseinheiten stand, wie die Tabelle 3 ausweist, 1959/60 in den Betrieben der Oderstadt noch am Anfang und war bis dahin ausschließlich in sozialistischen Brigaden erfolgt. Der Anteil von Parteimitgliedern in den BdsA ist in den Großbetrieben SWB und EKS signifikant höher als in den übrigen Betrieben der jeweiligen Territorien. Als falsch erweist sich jedoch der Umkehrschluss, dass nur da, wo es entwickelte Parteistrukturen gab, auch viele Arbeitskollektive am sozialistischen Brigadewettbewerb teilnahmen. Es liegt allerdings auf der Hand, dass die Möglichkeiten der Einflussnahme von oben auf die Brigaden umso geringer waren, je weniger Genos-

103 UF 42/59 (23.10.1959), S. 2. Offene Worte an das ganze Kollektiv unseres Jugendofens. 104 Für Brandenburg an der Havel und Stalinstadt wird dies mit dem Stand von Ende 1959 bzw. Anfang 1960 in Tabelle 2 und 3 abgebildet. Zur Position und Politik der SED in den Betrieben in den 1970/80er Jahren siehe Reichel, „durchherrschte Arbeitsgesellschaft“, insbes. S. 91ff.

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sen in ihnen mitarbeiteten.105 Zu vermuten ist, dass die geringere Einflussnahme durch SED- und FDGB-Funktionäre den Arbeitskollektiven in kleineren Betrieben größere Spielräume eröffnete, wobei allerdings offen bleibt, inwieweit diese tatsächlich genutzt wurden.

Die BdSA als „natürliches Reservoir“ zur Gewinnung neuer SED-Mitglieder Die SED hatte nicht nur entscheidenden Anteil an der Ausbreitung der BdsAKampagne, sondern betrachtete die sozialistischen Brigaden gleichzeitig als quasi natürliches Reservoir zur Gewinnung neuer Parteimitglieder aus den Reihen der Arbeiterklasse. Wer wäre auch prädestinierter gewesen, die Einheitspartei als Avantgarde zu stärken, als jene Werktätigen, die sich als erste dazu bekannten, sozialistisch arbeiten, lernen und leben zu wollen? Dieser Devise folgend beschloss die SED-Bezirksleitung Potsdam im Oktober 1959, mit dem „Wilhelm-PieckAufgebot zum 3. Januar 1960“ aus den Brigaden des Bezirkes, die sich zum Titelkampf verpflichtet hatten, „1.500 Arbeiter, Meister und Ingenieure (…) als Kandidat für unsere Partei zu gewinnen“. Ziel dieser Werbungskampagne war es gleichzeitig, den permanent als zu niedrig bewerteten Arbeiteranteil innerhalb der „Arbeiterpartei“ SED zu erhöhen.106 Prompt rief zwei Wochen später die BPOLeitung im Stahl- und Walzwerk Brandenburg anlässlich einer Parteiaktivtagung dazu auf, bis Jahresende in jeder BdsA einen Kandidaten für die SED zu gewinnen.107 Dafür, dass diese Werbungskampagne speziell in den sozialistischen Kollektiven nicht ohne Erfolg blieb, gibt es etliche Belege. So vermeldete die Betriebszeitung des EKS im August 1959, dass allein am Hochofen IV seit Jahresbeginn fünf Arbeiter den Antrag auf Parteimitgliedschaft gestellt hatten und somit nunmehr 105 Vermutlich würden entsprechende Unterschiede auch bei einem Vergleich der Verpflichtungen und Aktivitäten der BdsA in verschiedenen Betrieben zutage treten. Hier stößt man schlicht auf die begrenzte Aussagekraft quantitativer Daten, zumal wenn sie unvollständig bzw. nur in bedingt vergleichbarer Qualität vorliegen. Ein Indiz, das diese Hypothese dennoch stärkt, ist der überproportional große Anteil von BdsA aus Großbetrieben unter denjenigen Kollektiven, die in den ersten Jahren mit dem Titel ausgezeichnet werden. 106 Protokoll der Sitzung des Büros der Bezirksleitung am 9.10.1959 (Vertrauliche Verschlusssache). BLHA Rep. 530/188, Bl. 1ff. SED-BL Potsdam, Abt. Org./Kader, 6.10.1959, Bürovorlage: Gewinnung von 1.500 Arbeitern, Meistern, Ingenieuren (…). Ebd., Bl. 32ff. 107 SED-GO des VEB SWB, Protokoll der Parteiaktivtagung im SWB vom 24.10.1959, BLHA, Rep. 532, Nr. IV/7/055/110 (unpag.).

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50 Prozent der Ofenbesatzung der SED angehörten. Immer wieder wurden auf der Titelseite die Porträts meist junger Hüttenwerker, die (nicht selten von ihrer Brigade „delegiert“) Kandidat der Partei geworden waren, veröffentlicht.108 Stolz berichtete der 1. Sekretär der SED-KL Oranienburg im November vor der Bezirksleitung, dass im Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf „eine ganze Jugendbrigade den Antrag gestellt [habe], Mitglied der Partei zu werden. Das sind 8 Kollegen.“109 Ein ähnlich extremes Beispiel, diesmal aus einem anderen Bezirk, ist jene Jugendbrigade aus dem Kaliwerk Bernburg, deren Vertreter auf der FDGB-Bundesvorstandstagung im Mai 1960 bekannt gab, dass es den 16 Genossen des Kollektivs gelungen war, die „restlichen“ 14 Kollegen quasi im Block zum Eintritt in die Partei zu bewegen, „so dass wir jetzt eine Gruppe für uns sind, also mit 30 Genossen“.110 Auch wenn dies kein repräsentativer Gesamtüberblick ist und es sicher übertrieben wäre, anzunehmen, die SED sei mit ihren Werbungsversuchen im Zuge der BdsA-Kampagne überall so erfolgreich gewesen, scheint sie doch in vielen, vor allem größeren, Betrieben die Zahl ihrer Mitglieder deutlich erhöht zu haben. Gleichzeitig konnte sie ihre Organisationsstrukturen festigen und teilweise ausdehnen, v. a. indem es ihr gelang, Parteigruppen in den Brigaden also auf der untersten betrieblichen Ebene zu etablieren, wie die Beispiele der beiden Großbetriebe in Brandenburg und Stalinstadt belegen. Damit wird die Vermutung, in der Anfangsphase der sozialistischen Brigadebewegung sei es zu einer „Reduzierung der Einflussmöglichkeiten“ auch der Parteileitungen in den Betrieben gekommen,111 nicht bestätigt. Im Gegenteil haben 108 UF 33/59 (14.8.59), S. 3. Als Beispiel für eine solche „Delegierung“: UF 50/59 (18.12.1959), S. 1, „Der neue Weg. Max Meier [Name geändert; T. R.] von der sozialistischen Brigade in die Partei delegiert. (…) Und so fasste schließlich die Gewerkschaftsgruppe im Namen der sozialistischen Brigade den Beschluss, den Kollegen Max Meier (…) in die Reihen der Partei zu delegieren. So wurde sein Schritt auch zum Schritt des Kollektivs. (…)“ 109 Protokoll der Sitzung des Büros der SED-BL Potsdam, 13.11.59, BLHA Rep. 530/191, Bl. 1 ff., hier Bl. 27. Aus demselben Großbetrieb wurde im März 1960 gemeldet, auf der Berichtswahlversammlung der APO Stahlwerk seien 10 Kandidaten neu aufgenommen worden. 110 FDGB-BuV), Protokoll der 4. Tagung des BuV, 24./25.5.1960, SAPMO-BArch, DY 34/26868, Bl. 141f. Aus dem Harz wurde bspw. im Juni 1959 vermeldet, dass 3 Mitglieder einer „Mädchenbrigade des Elektromotorenwerkes Wernigerode“ um Aufnahme in die SED gebeten hätten. FDGB-BuV, Abt. Wirtschaft, Berlin, 17.6.1959, Beispiele BdsA und soz. Arbeitsgemeinschaften. SAPMO-BArch, DY 34/21319 (unpag.). 111 Hübner, Konsens, S. 226. Ebd., auf S. 225 ist von „Positionsschwächungen“ die Rede, die „ein Teil der SED-Betriebsorganisationen“ zeitgleich bei den Gewerkschaftswahlen in den Betrieben im Frühjahr 1959 hätte hinnehmen müssen, weil sie dort – wie schon seit Jahren – geringfügige Verluste erlitten hatte. Hübner räumt im Nachsatz allerdings selbst ein,

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zumindest die BPO im SWB, EKS und sehr wahrscheinlich auch in vielen anderen (Groß-)Betrieben es verstanden, von der Brigadekampagne zu profitieren.

Fortgesetzter Spagat: Die BGL in der ersten Phase der sozialistischen Brigade-Kampagne Weniger eindeutig als für die SED-Gliederungen in den Betrieben ist der Befund im Hinblick auf die Betriebsgewerkschaftsorganisationen. In deren Fall bestätigt sich tendenziell die These der verminderten Einflussmöglichkeiten,112 wobei in diesem Zusammenhang auf die alles andere als starke Stellung des FDGB in den Betrieben im Vorfeld der BdsA-Kampagne zu verweisen ist. Zwar hatte der Bundesvorstand die Federführung bei der Inszenierung des Kampagnenstarts gehabt, musste aber sehr bald erkennen, dass die nachgeordneten Instanzen des Gewerkschaftsapparates außerstande waren, diese Bewegung auch nur annähernd zu steuern. Schon im Frühjahr 1959 schätzte die FDGB-Führung ein: Die gewerkschaftlichen „Leitungen führen nicht und sind nicht Organisatoren der Bewegung“, die „Bewegung wird dem Selbstlauf überlassen“ und die „Leitungen kämpfen ungenügend für die Schaffung der Voraussetzungen der Erfüllung der Brigaden [sic]“.113 Nach Stichproben in einigen Betrieben konnten Mitarbeiter des Bundesvorstandes im Februar 1960 kaum Erfreulicheres berichten. Bspw. wurde von den Brigaden im „Fritz-Heckert“-Werk Karl-Marx-Stadt, einer großen Werkzeugmaschinenfabrik, allgemein die „ungenügende Unterstützung von Seiten der AGL und BGL kritisiert“. Es habe „vier Monate lang keine Auswertung der Erfüllung der Verpflichtungen“ und bislang auch „keine Orientierung gegeben, mit welchen Methoden die Verpflichtungen erfüllt werden sollen“. Im Übrigen würde der Abschluss von Brigadeverträgen „ausschließlich durch die Abteilung Arbeit“ erfolgen.114 Die in dem selben Bericht festgehaltenen Überlegungen, wie die Gewerkschaftsleitungen „auf die innere Entwicklung der Brigaden einen stärkeren Einfluss ausüben“ könnten, erwecken nicht den Eindruck, der FDGB-Apparat hätte in dieser Sache noch den Überblick, geschweige denn die Kontrolle. Wenn es daran sei „nichts Dramatisches“ gewesen, „zumal es gar nicht unerwünscht war, auch parteilose Gewerkschaftsfunktionäre zu wählen“. 112 Ebd. 113 FDGB-BuV, o. D., ca. Frühjahr 1959, Die politische Bedeutung der Bewegung „BdsA“. SAPMO-BArch, DY 34/21319 (unpag.). 114 FDGB-BuV, Büro Lehmann, 15.2.1960, Bericht über einige Probleme der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit. SAPMO-BArch, DY 34/21321 (unpag.).

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gleich darauf, bezogen auf das Kabelwerk Oberspree (KWO), einen großen Ostberliner Betrieb, eher zögerlich heißt: „Wir würden der BGL empfehlen, zu prüfen, inwieweit die Möglichkeit besteht, in jeder Brigade eine Gewerkschaftsgruppe zu bilden. Über den Vertrauensmann dieser Brigade kann u. a. die gewählte Leitung Einfluss nehmen auf die Entwicklung der gesamten Brigade.“115 – dann werden Zweifel genährt, der FDGB stünde, ein reichliches Jahr nachdem er die BdsABewegung losgetreten hatte, auch nur mit einem Bein auf der Kommandobrücke. Insofern wurde die permanente Überforderung der betrieblichen Gewerkschaftsfunktionäre in ihrem Zwitterdasein zwischen diversen Anforderungen als „Transmissionsriemen“ einerseits und der Erwartungshaltung einer Vertretung ihrer Interessen seitens der Mitglieder andererseits durch die Brigade-Kampagne weiter verschärft. Häufig dürften allerdings für die vielen ehrenamtlichen FDGBFunktionäre an der Basis im Zweifelsfall ohnehin die Interessen ihrer jeweiligen Arbeitskollektive Vorrang besessen haben. Das war freilich auch schon vor 1959 der Fall gewesen. Von einer Abwertung der Position der FDGB-Strukturen in den Betrieben 1959/60 im Kontext der sozialistischen Brigadebewegung zu sprechen, ist nur dann gerechtfertigt, wenn nachgewiesen werden kann, dass sie tatsächlich von den Brigaden in den Schatten gestellt wurden.116

Überwiegend skeptisch: Die Arbeiter und das „sozialistische Leben“ Zur Analyse der Reaktionen auf die BdsA-Kampagne gehört mit Sicherheit die Frage, wie die Arbeiter in den Brigaden mit dem neuen, nur vage abgesteckten Feld des sozialistischen Lebens umgingen. In einer Zusammenstellung von „Problemen des sozialistischen Lebens“, die der FDGB-Bundesvorstand Anfang März 1959 vornahm, wird zunächst darauf aufmerksam gemacht, dass diese neue Komponente der Brigadebewegung nicht zu einem Schreckgespenst werden dürfe, durch das die Arbeiter davon abgehalten würden, sich zu beteiligen. Gleich danach wird vermerkt, dass bislang Brigadeabende einen breiten Raum einnähmen, ja bei den allermeisten Kollektiven die einzige diesbezügliche Aktivität darstellten. Aufgelistet werden dann „eine ganze Reihe von Konflikten“, als Beispiele für die „Erziehung und Selbsterziehung“ in den sozialistischen Brigaden.117 115 Ebd. 116 Diese Frage wird im Kapitel III im Zusammenhang der „Syndikalismus“-Affäre, erörtert. 117 Berlin, 3.3.1959, (FDGB-BuV), Problem-Bericht von der Konferenz der Chefredakteure der sozialistischen Presse mit „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ (…) vom 24.2.1959. SAPMO-BArch, DY 34/21322 (unpag.). Daher auch im Folgenden. Aus diesem Bericht zitiere ich etwas ausführlicher, weil er aufgrund des Teilnehmerkreises dieser Veranstaltung, die qua Amt ausgesprochene Multiplikatoren waren, vermutlich einiges enthält, was

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Häufig spielten in diesen „Erziehungsbeispielen“ die Ehefrauen von Brigademitgliedern eine wichtige Rolle, deren Einbeziehung scheinbar des Öfteren als wirksames Disziplinierungsmittel bei nicht ganz zuverlässigen Kollegen angewandt wurde. So wird von einer Brigade aus dem KWO Berlin berichtet, in der ein Arbeiter „nicht so richtig gespurt“, d. h. gelegentlich „gebummelt“ habe. Bei der letzten Prämierung des Kollektivs war er deshalb, auf Beschluss seiner Kollegen, als einziger leer ausgegangen. Zum Brigadeabend, auf dem diese Auszeichnung gefeiert wurde, kam er allein, weil seine Frau sich geweigert habe mitzukommen, da sie sich für ihn schämte. „Die Frauen aus der Brigade gingen dann zu seiner Frau und klärten sie auf.“ Seitdem war der Betreffende immer pünktlich zur Arbeit erschienen.118 Skrupel offenbarte der Verfasser, als er in seinem Bericht fragte, „ob es richtig ist, wenn man z. B. Konflikte, die sich auf solche Menschen beziehen, die bereits – zumal in diesem frühen Stadium – die inhaltliche Ausprägung der „Bewegung“ durchaus beeinflusst haben dürfte. Eine grotesk anmutende Kostprobe: „Im EKB Bitterfeld gibt es einen Kollegen mit Namen Max [Name geändert], der sehr jähzornig ist.“ Er neige zu Affekthandlungen, bei denen „er das Werkzeug durch die Werkstatt schleudert oder zu Hause Porzellan zerschmeißt.“ Die Kollegen hätten dann einmal mit seiner Frau gesprochen, was offenbar Wunder wirkte, denn nun sei es so, „dass der Max, wenn er wieder in Rage kommt, sich am Schlips zieht und sagt: ‚Sozialistisch leben‘. Zu Hause ist es so, dass er dann runtergeht auf den Hof oder auf die Straße, um sich abzureagieren. Hier setzt bereits der erste Prozess der Selbsterziehung ein.“ – war sich der Verfasser des Berichts sicher. Dies zeugt freilich auch davon, dass selbst führende FDGB-Funktionäre keine sonderlich ausgereiften Vorstellungen vom sozialistischen Leben hatten und daher solche Stilblüten kolportierten. 118 In einem weiteren Fall waren die Ehefrauen eingeladen worden, die Arbeitsplätze ihrer Männer zu besichtigten. Eine von ihnen habe sich beim Meister beschwert, dass ihr Gatte für diese schwere Arbeit einen so niedrigen Lohn erhalte. Dabei habe sich herausgestellt, dass der Mann von seinen 500 DM immer nur 300 nach Hause brachte: „Die Kollegen der Brigade mussten sehr ernsthaft mit dem Kollegen sprechen.“ Ähnliche Berichte über die Einbeziehung der Ehefrauen tauchen in den Quellen häufig auf. Zwei weitere Bspe.: Im VEB Autoreparaturwerk Pankow (Ostberlin) sah die „Einbeziehung“ der Ehefrauen in das Leben der sozialistischen Brigaden u. a. so aus, dass „sie die Wettbewerbstafeln ihrer Männer ausgestalten und verschönern“. ZK der SED, Org.-Abt., Informationsbericht über den Stand des Wettbewerbes um den Titel „Brigade der sozialistischen Arbeit“ in Berlin (Vertrauliche Verschlusssache), 19.8.1959, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/5/422, Bl. 74ff., hier Bl.77. Eine Hauerbrigade der Wismut im Kreis Auerbach (Vogtland), mit 12 Mitgliedern, von denen 11 der SED angehörten, „legte (…) fest, dass die Frauen der Kumpels in diesem Dorf eine DFD-Gruppe gründen, um dadurch die Frauenarbeit auf dem Lande zu verbessern“. ZV IG Wismut, Karl-Marx-Stadt, 5.3.1959, Material über die Entwicklung der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit bzw. Brigaden der sozialistischen Arbeit im Industriezweig Wismut. SAPMO-BArch, DY 34/21319 (unpag.).

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verurteilt waren oder z. B. bei jungen Mädchen, die ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann hatten, nun in der Zeitung mit Namen und mit der konkreten Angabe der Brigade und des Betriebes popularisiert werden.“ Solche öffentlichen Anprangerungen hatten offenbar stattgefunden und machen drastisch klar, dass im Zuge der „Erziehung zum sozialistischen Leben“ gelegentlich Persönlichkeitsrechte und die Würde einzelner Menschen gravierend verletzt wurden.119 Als weitere Ausprägungen des sozialistischen Lebens werden u. a. genannt: Patenschaftsverträge mit Schulklassen, wöchentliche Zeitungsschauen sowie das Schreiben von Briefen nach Westdeutschland, um die Kollegen einzuladen, sich das sozialistische Arbeiten, Lernen und Leben der Brigaden anzuschauen. Mit dem Letztgenannten sei „der Beweis erbracht, dass mit der Brigadebewegung die gesamtdeutsche Arbeit gefördert“ werden könne. Außerdem werden noch Verpflichtungen erwähnt, Solidarität zu üben, meist durch den Kauf sogenannter Solidaritätsmarken des FDGB, aber auch durch Protestbriefe bzw. Beistandsbekundungen bspw. anlässlich der „Verurteilung eines griechischen Patrioten“ oder eines Bergarbeiterstreiks in Belgien. Schließlich ist noch von der Patenschaftsbeziehung einer Brigade „mit der Armee“ die Rede.120 Anhand des Eisenhüttenkombinats Stalinstadt soll nachfolgend exemplarisch gezeigt werden, wie sich das sozialistische Leben der Brigaden in einem Großbetrieb im ersten Jahr der neuen Bewegung entwickelte. Mitte Februar 1959 ergeht 119 In einem Bericht an das SPD-Ostbüro von Anfang Juni 1960 wird ein solcher Fall geschildert: Instrukteure des FDGB-Bezirksvorstandes seien in den VEB Transformatorenwerk Oberspree (Ostberlin) gegangen, um dort ein öffentliches Forum zu organisieren, „auf dem 2 Kollegen wegen ihres Bummelantentums angeprangert werden sollten“. Aber „nicht nur die Arbeiter dieses Betriebes, sondern auch die Mitglieder der BGL und der AGL“ hätten gegen dieses Vorhaben Stellung bezogen. Tatsächlich gelang es den betrieblichen FDGB-Funktionären, das vom Bezirksvorstand angesetzte öffentliche Forum zu hintertreiben. In internen Besprechungen begründeten sie ihre Haltung mit dem Hinweis, ein Arbeiter könne nicht zweimal bestraft werden. Die Bummelanten seien bereits durch den Entzug des Krankengeldes bestraft worden. Eine öffentliche Anprangerung käme deshalb nicht in Frage. Sämtliche Funktionäre wären in dieser Beziehung „einer Meinung mit den Arbeitern des Betriebes“ gewesen. Die Quelle gibt noch eine Anweisung des Vorsitzenden des FDGB-Bezirksvorstandes wieder „konkrete Bspe. für Arbeitsbummelei für die Veröffentlichung in der Berliner Tagespresse zu schaffen.“ Berlin, 10.6.60: Politisches Versagen des FDGB. AdsD, SPD-PV-Ostbüro, 2345/62/BII (unpag.). 120 „Offiziere kommen in die Brigade als Zirkelleiter und die Jugendfreunde selbst gehen zur Armee, lernen bereits jetzt schon Panzer fahren und nehmen an der Geschützausbildung teil. Dieses Beispiel kann natürlich nicht in der Presse veröffentlicht werden.“ Berlin, 3.3.1959, (FDGB-BuV), Problem-Bericht von der Konferenz der Chefredakteure der sozialistischen Presse mit „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ (…) vom 24.2.1959. SAPMO-BArch, DY 34/21322 (unpag.).

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in der Betriebszeitung „Unser Friedenswerk“ ein Aufruf der Redaktion an „alle Werktätigen im Kombinat zu einer umfassenden großen Aussprache (…) über die Frage: ‚Was heißt sozialistisch leben?‘“121 Der Zweck der Übung wird klar benannt: „Unsere Diskussion muss dazu dienen, dass sich die Erziehungsarbeit zum sozialistischen Bewusstsein in den einzelnen Brigaden und Kollektiven verbessert und wir schneller zu unserem Ziel, dem Sieg des Sozialismus, kommen.“122 Zum Auftakt dieser „großen Aussprache“ werden auf einer ganzen Seite verschiedene Artikel und kürzere Äußerungen von Werktätigen darüber wiedergegeben, was sie unter sozialistischem Leben verstehen. Eine Bandwärterin von der Sinteranlage wird, ganz im Sinne der redaktionellen Zielvorgabe, mit der Aussage zitiert: „Das sozialistische Leben soll uns helfen, vom ‚Ich‘ zum ‚Wir‘ zu kommen, weil wir wissen, dass der Aufbau des Sozialismus nicht Sache eines Einzelnen sein kann (…).“ Weiterhin hält sie für erstrebenswert, dass sich alle eine sozialistische Arbeitsmoral aneignen und ein „sauberes Verhältnis zwischen den Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz“ herrscht. Gleich neben diesen Ausführungen, ganz oben auf der Seite, ist der Text eines Schäumers aus der Hüttenbimsanlage unter der Überschrift „Sozialistisch leben, heißt für Frieden kämpfen“ abgedruckt. Dies verlange, „dass jeder das Wohl der Gesellschaft vor das eigene Wohl stellt. Dies bedeutet für ihn außerdem, dass er „für die Erhaltung des Friedens kämpft und aktiv hilft, die Militaristen und Kriegstreiber zu überwinden“. Unmittelbar darunter platziert ist die Rubrik „Post von unseren Soldaten“. Zu lesen ist der Brief eines gerade in der NVA freiwillig Wehrdienst leistenden Brigademitgliedes an seine Kollegen, unter der Überschrift: „Der Dienst in der Volksarmee ist wichtig“.123 Das zentrale Thema lautet: „Die Erziehungsarbeit im Kollektiv verbessern.“ So die programmatische Überschrift eines Diskussionsbeitrags, den ein Lehrling der Betriebsberufsschule gerade auf der FDJ-Delegiertenkonferenz des EKS gehalten hatte. Was er über die kaum vorhandenen Bemühungen in den FDJ-Gruppen zu 121 UF 7/59, 20.2.1959, S. 4. Daher auch im Folgenden. 122 Diese Intention der Redakteure des „Organs der Betriebsparteiorganisation“ darf als quellenkritischer Hintergrund nicht in Vergessenheit geraten, wenn man sich den Veröffentlichungen zu diesem Thema in den Betriebszeitungen zuwendet. 123 Auch in dieser Richtung: Die Brigade Boggasch verpflichtete sich u. a. dazu, „mit allen unverheirateten Jugendlichen in der Brigade so zu diskutieren, dass sie bereit sind, den Dienst in der Nationalen Volksarmee aufzunehmen.“ UF 13/59, 3.4.1959, S. 2. In einem Bericht der IG Wismut heißt es, dass sich in den Wettbewerbsverträgen einige Brigademitglieder bereit erklärt hätten, „nach einer bestimmten Zeit freiwillig ihren Dienst in der NVA zu leisten.“ ZV IG Wismut, Karl-Marx-Stadt, 5.3.1959, Material über die Entwicklung der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit bzw. Brigaden der sozialistischen Arbeit im Industriezweig Wismut. SAPMO-BArch, DY 34/21319 (unpag.).

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berichten weiß, lässt ahnen, wie weit der Weg zum sozialistischen Leben da noch gewesen sein mochte. Zunächst einmal sollte ein „offener Kampf aus dem Gruppenkollektiv heraus gegen das Lesen der Schundliteratur“ geführt werden. Zitiert wird aus der Brigadeverpflichtung der Sinteranlage, dass „unsere Menschen die Nationalen Gedenkstätten kennenlernen“ sollen; auch die Gewinnung weiterer Kollektivmitglieder zur Mitarbeit in der Kampfgruppe bzw. GST,124 der Vorsatz den monatlichen Kauf von Solidaritätsmarken um 25 Prozent zu steigern sowie die Zielstellung „durch Briefverkehr mit westdeutschen Freunden“ diesen ein „klares Bild über unseren Weg zum Sieg des Sozialismus“ zu vermitteln.125 Außerdem kommen Einzelne mit kurzen Stellungnahmen, insbesondere zum „Verhältnis zwischen Mann und Frau“, zu Wort.126 So wurde mit dieser Ausgabe 124 Ähnlich im Bericht über eine Brigade des Brandenburger Traktorenwerkes (BTW), aus der 5 Kollegen in der GST und 2 in der Kampfgruppe mitarbeiten würden. Diskussionsbeitrag des Gen. Kähne, BTW, auf der Sitzung der SED-BL Potsdam am 21.2.1959. BLHA Rep. 530/42, Bl. 303. Eine Brigade Gado aus dem Kesselbau des VEB BergmannBorsig (Ostberlin) „schloss sich vollständig der Kampfgruppe an“. ZK der SED, Org.-Abt., Informationsbericht über den Stand des Wettbewerbs um den Titel „Brigade der sozialistischen Arbeit“ in Berlin (Vertrauliche Verschlusssache), 19.8.1959, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/5/422, Bl. 74ff., hier Bl. 77. 125 Ebenfalls zur „Westarbeit“: „Aus dem Tagebuch der Jugendschicht Sinteranlage: (…) 11. Februar 1959: Im Laufe der vergangenen Woche wurden von den Mitgliedern des Jugendkollektivs insgesamt 20 Briefe an westdeutsche Freunde abgesandt. Diesen Briefen lag der Vorschlag der Sowjetunion zum Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland bei.“ UF 12/59, 26.3.1959, S. 3. (Dabei handelt es sich vermutlich um dieselbe Brigade, für die diese Aktion in UF 7/59 als Verpflichtung angekündigt war. Die in der Anmerkung zuvor erwähnte Brigade aus dem BTW hatte die Verpflichtung übernommen, „für 2 westdeutsche Kinder die Teilnahme an der Ferienaktion zu ermöglichen“, wofür sie insgesamt 250 DM sammeln müssten. 126 Zum sozialistischen Leben gehöre auch, „dass man sich gegenseitig in der häuslichen Arbeit unterstützt“, meint ein Möllermeister; und ein Arbeiter aus der Erzaufbereitung fügt hinzu, dass „wir in der Familie stets ehrlich und offen sein müssen, keinen ‚Krieg‘ mit der Frau führen, sich stets und ständig anständig benehmen und sich nicht sinnlos besaufen“. Passend zu Letzterem findet sich schließlich unten auf der Seite noch eine kleine Karikatur, die einen Mann, merkwürdigerweise mit Schlips und Kragen, vor einem überdimensionalen Schnapsglas zeigt, der sich selber gerade noch rechtzeitig Einhalt gebietet: „Halt … ich will sozialistisch leben!“ Dazu weitere Bspe. in diversen Dokumenten: Aus dem SWB berichtete ein Genosse auf der Parteiaktivtagung des Betriebes im Oktober 1959, dass ein Kollege „Sorgen in seinem persönlichen Leben“ gehabt hätte, kurz vor der Scheidung stand. Mitglieder der Brigade hätten in mehreren Aussprachen mit ihm und seiner Frau erreicht, dass „beide noch zusammen sind und den Gerichtstermin absagten“. SED-GO des VEB SWB, Protokoll der Parteiaktivtagung vom 24.10.1959, BLHA, Rep. 532 IV/7/055/110 (unpag.).

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der EKS-Betriebszeitung fast das gesamte Spektrum dessen entfaltet, was in mehr oder weniger ausführlichen Berichten, Stellungnahmen und Auszügen aus Brigadetagebüchern während der Folgemonate nicht nur in Stalinstadt, sondern durch die SED-Betriebspresse, regionale und zentrale Massenmedien der DDR zu diesem Thema geboten werden sollte.127 Die Kultur, als wichtiger Bestandteil des sozialistischen Lebens der Brigaden, kam in den nächsten Ausgaben von „Unser Friedenswerk“ wiederholt zur Geltung. Im Mai konnten die Stalinwerker bspw. von einem Hochofenkollektiv lesen, das seinen Brigadeabend am Tonbandgerät verbracht und einem „Funkhörspiel ‚Wer verschenkt schon seinen Sieg‘“, über zwei miteinander um den Staatstitel wetteifernde Brigaden gelauscht hatte. Das habe diese Hochöfner zu einer intensiven Diskussion über die „sozialistische Erziehung“ in ihrer eigenen Brigade und über ihr Verhältnis zu den Nachbarkollektiven angeregt.128 Ein Redakteur der Zeitung hatte „an einem gelungenen Brigadeabend“ den Vortrag eines selbstverfassten Gedichtes einer Jugendfreundin129 vom Hochofen-Labor über die Arbeit der Brigade erlebt, ebenso den Auftritt einer kleinen „Agit.-Prop.-Gruppe unter der Leitung des Schriftstellers Helmut Preißler“ sowie den Vorschlag eines freischaffenden Genossen Bildhauers, im „Haus der Gewerkschaft“ des EKS einen Zirkel „Modellieren“ zu gründen.130 Ein für viele Teilnehmer wahrscheinlich wirklich unvergessliches Erlebnis stellte eine dreitägige Wochenendfahrt der „um den Titel ‚Brigade der sozialistischen Arbeit‘ kämpfenden Kollektive der Jugendschicht der Sinteranlage und der Bandstraße der Erzaufbereitung gemeinsam mit ihren Angehörigen“ im August 1959 dar.131 Schon allein die Tatsache, dass sich zwei „in harter Arbeit rivalisierende und helfende Brigaden zu gemeinsamer Fahrt zusammenfanden“, machte dem Zeitungsbericht zufolge den „Wachstumsprozess“ deutlich, der sich täglich in diesen Kollektiven vollziehe. Wichtiger war aber der Bestimmungsort der Reise: „Es ging nicht irgendwohin, sondern zur Stätte unmenschlicher Barbarei und finstersten Grauens – zum ehemaligen KZ und der heutigen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald. Dort, auf geweihtem Boden, auf blutgetränkter Erde, dort, an

127 Jedenfalls sah es in der Betriebszeitung des SWB, „Roter Stahl“, ganz ähnlich aus und bei der straffen zentralen Steuerung der Medien durch die Parteispitze, wäre es erstaunlich, wenn diese beiden Beispiele diesbezüglich ausgesprochene Ausnahmen dargestellt hätten. 128 UF 20/59, 23.5.1959, S. 3. 129 Hier verwendet in der damals üblichen offiziellen Bezeichnung für weibliche FDJMitglieder. 130 UF 47/59, 27.11.1959, S. 4. Das angesprochene Gedicht mit dem Titel „Unsere Brigade“ ist im Anhang abgedruckt. 131 UF 34/59, 21.8.1959, S. 3. Daher auch im Folgenden.

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der letzten Ruhestätte unseres unvergessenen Ernst Thälmann, begriffen viele von ihnen, vor allem die jüngeren Menschen, was das verhasste Wort Faschismus bedeutet. Sie begriffen aber noch weit mehr. (…) Es gab (…) keinen, der nicht die richtigen Schlüsse gezogen hätte. Werner Meier, ein 29jähriger Familienvater, legte tränenfeuchten Auges vor der Gedenktafel unseres unvergessenen ‚Teddy‘ einen Schwur ab (…), jederzeit für den Frieden in der Welt einsatzbereit zu sein. Am Arbeitsplatz, oder auch mit der Waffe in der Hand. (…) Auch Johanna Friedrich, die Frau des Brigadiers der Bandstraße, selbst Helferin im Kinderwochenheim I, tat einen Schwur (…), alles für eine glückliche Zukunft der ihr anvertrauten Jüngsten zu tun.“132 Eingefügt in diesen Bericht ist eine Fotografie mit der Unterschrift: „Die Reisegruppe lässt sich gerade die Schönheiten des Dresdner Zwingers erklären, dem sie auf der Rückfahrt einen Besuch abstattete.“ Dieser Brigadeausflug hatte es in sich und war in hohem Maße geeignet, identitätsstiftend zu wirken: Eingeschworen auf die Tradition des Antifaschismus, genauer gesagt auf den Kommunisten Ernst „Teddy“ Thälmann, den Kampfgefährten der aktuellen Führer von SED und DDR, seinem Erbe (und ihrer Herrschaft) verpflichtet, daneben die Schönheit des nationalen Kulturerbes bewundernd, verbringen diese beiden Jugendbrigaden zusammen mit ihren Partnerinnen in der sozialistischen Gemeinschaft ein paar erlebnisreiche Sommertage. Die Botschaft des Zeitungsberichtes, dieses Erbe annehmen, schützen, durch ihre Arbeit mehren und an die nachfolgende Generation weitergeben zu sollen, ist so offensichtlich wie eindringlich. Ohne dies quantifizieren zu können, ist davon auszugehen, dass diese Botschaft zumindest bei einigen Teilnehmern dieser oder ähnlicher Veranstaltungen und auch bei manchen Rezipienten solcher Reportagen verfing. Dieses aus FDGB-Berichten und v. a. aus der Betriebszeitung des EKS zusammengestellte Bild vom sozialistischen Leben der Brigaden im Jahre 1959, kann zum einen unmöglich vollständig sein und sollte andererseits nicht darüber hinwegtäuschen, dass die weit überwiegende Mehrheit der Brigaden, solche Aktivitäten nur in geringem Maße oder gar nicht entfaltete. So schätzte der FDGBBundesvorstand noch im Februar 1960 ein, in den Brigaden gebe es „große Unklarheiten über die Organisierung des sozialistischen Lebens außerhalb der Produktion“. Es sei deshalb Aufgabe der Gewerkschaftsleitungen, ihnen „zu helfen, ein abwechslungsreiches Brigadeleben nach getaner Arbeit zu entwickeln“, z. B. in Form von „Buchbesprechungen, Einführungen in Theaterstücke, qualifizierte gesellige Abende usw.“ Die meisten Kollektive würden nämlich bestenfalls „zwanglos zusammenkommen und sich unterhalten“.133 132 Namen geändert. 133 FDGB-BuV, Büro Lehmann, 15.2.1960, Bericht über einige Probleme der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit. SAPMO-BArch, DY 34/21321 (unpag.).

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Für viele Beschäftigte war es gerade die Sparte sozialistisches Leben, der sie mit erheblichen Vorbehalten begegneten. Bei den zuständigen Genossen im SEDApparat rubrizierten derartige Einstellungen unter „unklare Argumente aus den sozialistischen Brigaden“. So sei von „Jugendlichen (…) wiederholt die Frage gestellt [worden]: Müssen wir denn sozialistische Brigade werden? Wir können doch auch so unsere ökonomischen Aufgaben erfüllen und können uns unser Privatleben einrichten, wie wir gerne möchten! In Diskussionen – besonders mit Kolleginnen – taucht(e) wiederholt die Frage der Einkäufe in Westberlin auf. Sie meinten, wenn man ihnen das verbietet, könnten sie nicht in einer sozialistischen Brigade arbeiten.“134 Im Brandenburger Stahlwerk stellten Arbeiter die Frage, ob sie als Mitglieder einer BdsA „sich sozialistisch trauen (…) und ihre Kinder die sozialistische Jugendweihe haben“ müssten.135 Insgesamt findet man in den Akten von SED und FDGB kaum direkte Hinweise auf offen ablehnende Haltungen oder gar Widerstand gegen die BdsAKampagne. Fündig wird man in dieser Richtung in den Berichten an das Ostbüro der SPD. Allerdings räumt selbst einer der wenigen Informationsberichte in diesem Quellenbestand dazu ein, dass „so viele ‚sozialistische Brigaden‘ gebildet“ würden, weil die allermeisten Arbeiter glaubten, „dass dieses neue System doch eingeführt werde, und dass sich niemand dagegen wehren könne. Ein Widerstand sei daher von vornherein völlig sinnlos. Also macht man mit, ohne sich in Wirklichkeit (…) anders zu verhalten als vorher.“ Ein „besonderes sozialistisches Bewusstsein“ jedoch hatte der seit zwei Monaten in diesem Betrieb tätige Berichterstatter „bisher in keinem Fall feststellen“ können, „obwohl es sich bei den Görlitzer Waggonbau-Brigaden um alte Brigaden handelt, die in der SED-Presse bereits mehrfach als Vorbild hingestellt worden sind“.136 134 ZK der SED, Org.-Abt., Informationsbericht über den Stand des Wettbewerbs um den Titel „Brigade der sozialistischen Arbeit“ in Berlin, 19.8.1959, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/5/422, S. 82. 135 SED-GO des VEB SWB, Protokoll der Parteiaktivtagung vom 24.10.1959, BLHA, Rep. 532 IV/7/055/110 (unpag.). 136 Auch diese Diskrepanz ist ausgesprochen typisch: In den DDR-Massenmedien war es üblich, einzelne Arbeiter oder Kollektive dem Idealbild entsprechend übertrieben stilisiert darzustellen. Wenngleich seine Beobachtung also tendenziell plausibel erscheint, muss man dennoch in Rechnung stellen, dass der Informant erst seit kurzem in diesem Betrieb tätig war und daher keinen vollständigen Überblick haben konnte, ob sich die Situation in anderen Bereichen bzw. Abteilungen dieses relativ großen Betriebes nicht doch etwas anders darstellte. (Im Falle des SWB und des EKS/EKO sind jedenfalls teils erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Betriebsabteilungen festzustellen.) Berlin, 18.1.1960, Sozialistische Arbeitsbrigaden ohne politischen Erfolg (Bericht aus dem Waggonbau Görlitz). AdsD, SPD-PV-Ostbüro, 2345/62/BII (unpag.). Diese Beschreibung deckt sich mit ande-

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Weiter oben ist bereits der Bericht von einer Baustelle zitiert worden, wo die Werkleitung „den Widerstand der Arbeiter gegen die Bildung ‚sozialistischer Brigaden‘“ mit Entlassungsdrohungen gebrochen habe. Dies scheint nicht völlig ausgeschlossen, aber dennoch ungewöhnlich drastisch. Viel typischer dürfte die in eben diesem Fall beschriebene Methode gewesen sein, den Brigaden durch diverse Privilegien und Versprechungen die Hinzunahme des Adjektivs sozialistisch schmackhaft zu machen. Gegen die Zusage, dass sie nicht zur Teilnahme an der Kampfgruppenausbildung verpflichtet würden, hatten die allermeisten Kollektive schließlich eingewilligt, der sozialistischen Brigadebewegung beizutreten.137 Ärger gab es allerdings, wenn Versprechungen nicht eingehalten wurden. So hatten sich im Mai 1960 17 Elektrokarrenfahrer im VEB Optima Erfurt auf Drängen von APO- und AGL-Funktionären zu einer sozialistischen Brigade zusammengeschlossen. Als ihnen Ende September gesagt wurde, die in Aussicht gestellten Prämien würden nicht gezahlt, weil der Plan nicht erfüllt sei, war ihr Unmut auch durch eine schleunigst beschaffte – allerdings mit 400 DM für 17 Leute sehr bescheidene – Prämie aus einem Sonderfonds, kaum zu besänftigen: 5 Kollegen kündigten und verließen den Betrieb.138 Ein Informant des SPD-Ostbüros aus dem VEB Graphische Werkstätten Leipzig berichtete im Herbst 1959, es sei „insbesondere das ‚gemeinsame kulturelle Leben‘, das von den Arbeitern und deren Familienangehörigen abgelehnt wird. Man sieht darin einen Einbruch in die rein private Sphäre.“ Diese Haltung könnte ein Beleg für noch vorhandene Restbestände des sozialdemokratischen Milieus in einer traditionsreichen Branche der früheren SPD-Hochburg Leipzig sein.139 Allerdings war das Einfallstor für die nicht mehr ganz neuen Machthaber auch hier bereits geöffnet: Fünf sozialistische Brigaden gebe es inzwischen im Betrieb, die alle von je einem BPO- oder BGL-Funktionär betreut würden. Diese Betreuung umfasse neben politischen Gesprächen die Organisierung außerbetrieblicher ren Diagnosen des (Konflikt-)Verhaltens der Arbeiter in der DDR und auch schon unter der NS-Diktatur. Vgl. Stadtland, Herrschaft, S. 516ff. sowie die Beiträge in Hübner/Tenfelde (Hg.), Arbeiter, S. 751ff. 137 Bericht eines Informanten des SPD-Ostbüros von einer Baustelle des VEB Schachtbau Nordhausen beim Staudammbau Bräsinchen (Lausitz) vom 12.2.1960. AdsD, SPD-PVOstbüro, 2345/62/BII (unpag.). 138 Noch größere Missstimmung herrschte dem Berichterstatter zufolge bei den anderen Arbeitern, außerhalb der sozialistischen Brigaden, da sie nun gar keine Aussichten mehr auf Prämien hätten. 26.10.1960, betr.: VEB Optima in Erfurt. Ebd. 139 18.10.59, betr.: VEB Graphische Werkstätten Leipzig. AdsD, SPD-PV-Ostbüro, 2345/62/BII (unpag.). Vgl. Franz Walter u. a., Die SPD in Sachsen und Thüringen zwischen Hochburg und Diaspora. Untersuchungen auf lokaler Ebene vom Kaiserreich bis zur Gegenwart, Bonn 1993.

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Veranstaltungen, um „auch deren Familienmitglieder zu erfassen“. So fänden jeden 2. Samstag im Klubhaus z. B. Modenschauen, Filmvorführungen und Gespräche mit Schauspielern, „Belehrungen über moderne (sozial.) Komponisten“ u.ä.m. statt. „Vor den offiziellen Veranstaltungen werden mit den Angehörigen der sozialistischen Brigaden sog. Bankette abgehalten, bei denen Wein und belegte Brötchen gereicht werden.“ Trotz dieser Anstrengungen sei der Besuch meist „äußerst schwach, so dass man zur Verschleierung (…) linientreue SED-Mitglieder und auch Rentner über die Nationale Front für die Auffüllung des Saales einzuspannen“ versuche.140 Von massiven Schwierigkeiten in zwei Ostberliner Betrieben, der Schuhfabrik Goldpunkt und dem VEB Kunst und Mode, berichtet ein anderer Informant. Dort hätten „die Arbeiter im offenen Widerstand die Bildung derartiger Brigaden abgelehnt. Die Arbeiter erklärten dabei, in den sozialistischen Brigaden solle das Arbeitstempo und die Ausbeutung gesteigert werden. Die Ausbeutung sei heute bereits viel stärker als früher in kapitalistischen Zeiten.“141 Aus dem Werk für Fernsehelektronik (Berlin-Oberschöneweide) wurde gemeldet, der FDGB-Bezirksvorstand habe mit Sonderinstrukteuren „jeden Widerstand gegen die Bildung sozialistischer Brigaden rücksichtslos beseitigt“. Dabei „schreckte man nicht einmal davor zurück, ganze Abteilungen in diesem Werk aufzulösen, wenn eine Mehrzahl von Arbeitern sich erfolgreich gegen ihre Erfassung in sozialistischen Brigaden wandte. Die Angehörigen der einzelnen Abteilungen wurden auf andere Abteilungen verteilt, wo bereits die Entwicklung in Richtung sozialistische Brigaden weiter gediehen war.“142 Diese beiden Berichte aus Ostberlin bestätigen den Eindruck, dass SED und FDGB in „ihrer“ Hauptstadt einerseits noch immer einen schwereren Stand hatten als in den meisten anderen ostdeutschen Städten und auf der anderen Seite diese Schwierigkeiten teilweise mit besonders rabiaten Methoden zu überwinden suchten. Diese letztgenannten Beispiele können als eine Art Zwangskollektivierung im Zusammenhang der Bildung sozialistischer Brigaden charakterisiert werden. Derartige Vorgehensweisen stellten allerdings eher die Ausnahme denn die

140 Auch in diesem Fall lässt sich nur mutmaßen, wie stark die Schilderung von Haltung und Hoffnungen des Berichtenden geprägt und eventuell von seinem verzweifelten Bestreben überformt war, den dennoch durchschimmernden schleichenden Erfolg der SED- und FDGB-Funktionäre aufzuhalten. 141 Zur Erläuterung wurde hinzugefügt, in beiden Betrieben stünden zahlreiche neu angeschaffte Maschinen still, weil sie aufgrund verschiedener Mängel unbrauchbar seien, weshalb die alten Maschinen wieder instand gesetzt werden mussten. Berlin, 10.6.60: Politisches Versagen des FDGB. Ebd. 142 Berlin, 8.2.60, FDGB-Instrukteure organisieren sozialistische Brigaden. Ebd.

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Regel dar, wenn man die im Rahmen dieser Studie analysierten Quellenbestände in ihrer Gesamtheit betrachtet.

3. Die ersten ausgezeichneten Brigaden der sozialistischen Arbeit Die Untersuchung einzelner Fallbeispiele sozialistischer Brigaden kann kein repräsentatives Bild zum Verhalten der gesamten DDR-Industriearbeiterschaft bezüglich der BdsA-Kampagne des FDGB ergeben. Aber bereits der Befund, dass sich eine nicht zu vernachlässigende Minderheit wenigstens eine Zeitlang tatsächlich in dieser Bewegung engagierte, wäre ein nennenswertes Ergebnis, das durch die Beantwortung der Fragen nach ihren Motiven, dem Grad der Übereinstimmung mit den Vorgaben von oben und deren eventueller eigen-sinniger Modifizierung sowie nach der Dauer und Nachhaltigkeit dieses Arrangements zusätzlich an Aussagekraft gewinnen würde. Dabei ist selbstverständlich davon auszugehen, dass mit dem BdsA-Titel geehrte Brigaden dieser Bewegung deutlich positiver gegenüberstanden als der imaginäre Durchschnitt der Arbeiterschaft. Diese Annahme wird bspw. bestätigt durch die Begründungen der Vorschläge zur Auszeichnung für jene 21 Brigaden, die zum 1. Mai 1960 im Bezirk Potsdam den Titel verliehen bekamen.143 Die ausgezeichneten Kollektive hatten durchschnittlich 15 Mitglieder, das kleinste umfasste vier, das größte 36 Beschäftigte, die mit dem Titel zwischen 350 und 600 DM Prämie (pro Person) erhielten. Aus den Begründungen ist ersichtlich, dass sich alle Vorgeschlagenen bemüht hatten, den Anforderungen des sozialistischen Arbeitens, Lernens und Lebens möglichst umfassend gerecht zu werden. So ist in den allermeisten Berichten von der Übererfüllung der Produktionspläne, der Steigerung der Arbeitsproduktivität, Senkung der Ausschussquote, besonderen Anstrengungen zur Unfallvermeidung und zur

143 Diese waren entsprechend der Wirtschaftsstruktur des Bezirkes aufgeschlüsselt, wobei die IG Metall allein sieben Kollektive nominieren konnte, die IG Chemie, Bau-Holz, die Gewerkschaften Handel, Nahrung und Genuss sowie Land und Forst je drei und zwei weitere Einzelgewerkschaften jeweils eine Brigade aus ihrem Bereich zur Auszeichnung einreichten. Bezirksvorstand des FDGB und Rat des Bezirkes, Potsdam, 19.4.60, Bürovorlage: Bestätigung zur Auszeichnung von Brigaden und Arbeitsgemeinschaften zum 1. Mai 1960 mit dem Staatstitel. BLHA Rep. 547/BK 207 (unpag.); in dieser Akte befinden sich ebenfalls die ausführlichen (zwischen 2 und 7 A-4-Seiten) Begründungen der Auszeichnungsvorschläge durch die jeweiligen Bezirksvorstände der IG/Gewerkschaften. Auf die Bürovorlage und die Einzelbegründungen stützen sich die folgenden Aussagen.

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Verringerung des Krankenstandes, von Neuerervorschlägen, beruflicher Weiterbildung und Qualifizierung die Rede. Mehrfach erwähnt wird, dass „sozialistische Hilfe“ geleistet wurde, d. h. ein oder mehrere Kollegen für eine begrenzte Zeit (einige Wochen oder Monate, selten länger) in andere Arbeitskollektive delegiert wurden, um dort eine deutliche Steigerung der Produktionsleistungen zu bewirken. Dabei handelte es sich in der Regel um besonders gute und engagierte Brigadiere bzw. Facharbeiter. Gelegentlich wurden solche Delegierungen auch aus vordergründig politischen Motiven vorgenommen, um die schwachen oder noch nicht vorhandenen SED-Parteigruppen „zurückgebliebener“ Kollektive zu stärken und damit die ideologische Grundlage für die „Erziehungsarbeit“ in diesen Brigaden zu schaffen.144 Wenngleich Ulbricht persönlich auf dem FDGB-Kongress im Herbst 1959 die „sozialistische Hilfe“ für die „Zurückgebliebenen als das Neue in der Bewegung“ gelobt hatte,145 standen ihrer Ausbreitung zwei wesentliche Hindernisse im Weg: Zum einen konnte dies nur funktionieren, wenn die „Hilfebedürftigen“ auch bereit waren, diese Unterstützung anzunehmen. Hier gab es allerdings erhebliche Vorbehalte: „Aha, die denken, wir können nicht arbeiten, wir sind zu dumm dazu, uns muss geholfen werden!“ Solche oder ähnliche Reaktionen werden viele der abgeordneten Helfer erfahren haben.146 Andererseits mussten die Hilfeleistenden ein hohes Maß an Idealismus mitbringen, wie das offiziell propagierte Beispiel zweier Arbeiterinnen zeigt: „Sie (…) sind zur Hilfe in zurückgebliebene Brigaden und Abschnitte gegangen bei vorübergehendem Verzicht auf einen Teil ihres Verdienstes, das heißt, sie stellten das Kollektiv und die gesellschaftlichen Interessen über das persönliche Ich.“147 Dies mag in der Praxis betriebsintern oftmals pragmatischer gehandhabt worden sein, hat als Leitbild die Ausbreitung der Bereitschaft „sozialistische Hilfe“ zu leisten, aber sicher eher gedämpft. 144 Im EKS rief die Betriebszeitung im September 1959: „Parteiaktivisten voran“! An Ingenieur und Meister von Ofen IV wurde appelliert, vorübergehend ihre „starken Kollektive“ zu verlassen und an Ofen III „den Kampf“ – vorrangig um eine bessere Planerfüllung – zu organisieren. „Alle Kräfte mobilisiert – das erwartet die Partei“ – schließt der kleine Aufrufsartikel. UF 36/59, 11.9.1959, S. 1. 145 ZK der SED, Abt. Gew., Probleme, die sich aus der Diskussion auf dem 5. FDGBKongress ergeben, 5.11.1959, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/33, Bl. 461ff. 146 Hier ist exemplarisch die Schilderung eines Vertreters der Jugendbrigade „1. Mai“ aus dem VEB Elektrokohle Lichtenberg wiedergegeben worden. FDGB-BuV, o. D. (ca. Frühjahr 1960), Probleme, die von den „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ gestellt werden. SAPMO-BArch, DY 34/21319 (unpag.). 147 Entschließung der SED-Bezirksdelegiertenkonferenz Potsdam, März 1960. BLHA Rep. 530/12, Bl. 148. Siehe dazu auch die Auseinandersetzung um die “Ideologie der Lohnsicherheit” in Kapitel III.6.

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Fast alle Anträge weisen darauf hin, dass in den auszuzeichnenden Brigaden seit Aufnahme des Titelkampfes mehrere Kandidaten für die SED geworben wurden. Häufig wird erwähnt, alle Mitglieder gehörten dem FDGB an, viele oder alle der DSF, die Jugendlichen der FDJ, einige der Kampfgruppe, andere der GST oder waren als VP-Helfer aktiv. In einem Fall wird ausdrücklich betont, dass alle Brigademitglieder irgendwelche gesellschaftlichen Funktionen ausüben. Explizit politisch motiviert waren auch die Patenschaften mit diversen LPG, in deren Rahmen die sozialistischen Brigaden, insbesondere die Genossen in ihren Reihen, aktiv an der 1959/60 massiv forcierten Kollektivierung der Landwirtschaft beteiligt waren.148 Ihnen wurde dann auch gutgeschrieben, wenn – u. a. durch ihren Einsatz – das jeweilige Dorf den von der SED angestrebten „vollgenossenschaftlichen“ Status erreicht hatte. In einem besonderen Fall „sozialistischer Hilfe“ wurde ein politisch stark engagiertes Brigademitglied gänzlich aufs Land delegiert, um dort als Vertreter der „führenden Arbeiterklasse“ in der Funktion des Gemeindebürgermeisters die „werktätigen Bauern“ schnellstmöglich zum Sozialismus zu führen.149 Ähnlich starke politische Motive spielten bei der mehrfach erwähnten „Delegierung“ jüngerer Brigademitglieder zur NVA eine Rolle.150 Die verstärkte Militarisierung – im Kontext des Kalten Krieges – schlug sich sowohl praktisch als auch rhetorisch nieder, wenn z. B. ein Kollektiv besonders dafür gelobt wurde, den „Kampf gegen pazifistische Einstellungen und ideologische Schwächen“ u. a. durch die geschlossene Teilnahme an der Schießausbildung entschieden geführt zu haben. Fast alle dieser zum 1. Mai 1960 ausgezeichneten „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ wurden als Initiatoren der Bewegung in ihrem Betrieb, Kreis oder der jeweiligen Branche im Bezirk gewürdigt, wobei einige mit ihrem Beispiel erst den Durchbruch für den Erfolg der Kampagne vollbracht hätten. Interessant ist, was man aus den Begründungen der Auszeichnungsvorschläge über die personelle Zusammensetzung dieser Vorreiter-Brigaden erfährt. In jeder von ihnen waren mindesten ein, in der Regel mehrere Mitglieder als ehrenamtliche Funktionäre der SED, des FDGB oder der FDJ auf Betriebs- bzw. Abteilungsebene tätig. Meistens gehörte der Brigadier selbst zu diesen auch politisch stark Engagierten. Drei Kollektive hatten sogar jeweils ein Mitglied des Bezirks- bzw. 148 Vgl. Kleßmann, Zwei Staaten, S. 315ff. Umfassender zur Kollektivierung der Landwirtschaft: Arnd Bauerkämper, Ländliche Gesellschaft in der kommunistischen Diktatur. Zwangsmodernisierung und Tradition in Brandenburg 1945–1963, Köln u. a. 2002. 149 UA EKO 586 (unpag.). 150 UA EKO 2854 (unpag.) Die Wehrpflicht wurde in der DDR 1962 eingeführt, weshalb bis dahin – also auch noch in der Anfangsphase der sozialistischen Brigadebewegung – Freiwillige gewonnen werden mussten.

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Zentralvorstandes der jeweiligen Branchengewerkschaft in ihren Reihen. In einigen Fällen wurde erwähnt, dass (frühere) Brigademitglieder mittlerweile zu hauptamtlichen Funktionären der Partei, Gewerkschaft oder des Jugendverbandes aufgestiegen waren, „ihren“ Brigaden aber z. T. formal weiterhin angehörten, zumindest noch mit ausgezeichnet wurden, was häufig auch für die zur NVA Delegierten zutraf. Als Kreistagsabgeordnete bzw. Stadtverordnete sowie als „Volkskorrespondenten“, die regelmäßig für die Betriebs-, Bezirks- und Gewerkschaftspresse schrieben, waren Mitglieder dieser sozialistischen Brigaden in weiteren vergleichsweise exponierten politischen Funktionen aktiv. Insgesamt wird deutlich, dass die in den ersten Jahren ausgezeichneten BdsA durchweg im Sinne der SED stark engagierte Mitglieder in ihren Reihen hatten, was in der Regel mit der Parteimitgliedschaft verbunden war. Diese stellten zwar nicht die Mehrheit, aber zumindest den Kern des jeweiligen Kollektivs. Die allermeisten von ihnen haben aber neben ihrem politischen Engagement v. a. eine sehr gute Arbeit in der Produktion geleistet, was ihnen den Respekt und die Loyalität der übrigen Kollegen eintrug. Andernfalls wäre es ihnen kaum möglich gewesen, die Mehrheit der (parteilosen) Brigademitglieder zu weit überdurchschnittlichen Leistungen auf allen Gebieten des sozialistischen Arbeitens, Lernens und Lebens zu motivieren. Ihre teils exponierten politischen Funktionen waren dabei von dreifacher Bedeutung. Erstens erhielten sie durch ihre Mitarbeit in (meist betrieblichen) Leitungsgremien von FDGB und SED früher und umfassender als andere relevante Informationen, bspw. zu diversen Wettbewerben. Damit verfügten sie über das Wissen, wie sie und ihre jeweiligen Kollektive am besten davon profitieren konnten. Zum zweiten waren sie in den entsprechenden Gremien für die hauptamtlichen Funktionäre die ersten Ansprechpartner, die gebeten, gedrängt oder verpflichtet wurden, mit ihren Brigaden die Initiatorenrolle bei dieser oder jener Wettbewerbskampagne zu übernehmen. Dadurch wiederum befanden sie sich – drittens – in einer starken Position, wenn es schließlich um die Verteilung der Prämien, Auszeichnungen sowie andere Sonderkonditionen und Vorteile im betrieblichen Alltag ging.151 Nutzten sie diese im Interesse ihrer Kollegen, trug das wiederum zur Festigung ihrer Stellung und Autorität in der Brigade bei. Dieses Wechselspiel funktionierte zunächst ganz gut: Die SED- und FDGBFunktionäre der verschiedenen Ebenen konnten mit Hilfe solcher Vorreiter151 In einem Beispiel aus den Leuna-Werken wird dies auch deutlich. Dort beschwerte sich eine Jugendbrigade, dass ihre Mitglieder die übernommenen Verpflichtungen zur Berufsqualifizierung aufgrund des mangelhaften Angebots der Betriebsakademie nicht erfüllen konnten, während die Kollegen der Nachbarbrigade diesbezüglich im Vorteil waren, weil ihr Brigadier als BGL-Mitglied dieses Problem für seine Leute lösen konnte. Wiesener, „Neue Menschen“, S. 45.

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Brigaden die BdsA-Bewegung in den Betrieben etablieren und diese zogen daraus ihren Gewinn in Form von Prämien, Lohnsteigerungen sowie anderweitigen materiellen und ideellen Vergünstigungen. Über den eher kurzfristigen Erfolg gezielter Kampagnen hinaus konnte dieser Mechanismus aber nur begrenzt wirken, barg – aus der Herrschaftsperspektive betrachtet – sogar enorme Probleme und Risiken, worauf weiter unten noch ausführlicher eingegangen wird. Die Zahl der Brigaden, die am Beginn der Bewegung ähnlich den hier analysierten Ausgezeichneten, den Intentionen der FDGB- und SED-Führung in vielen Punkten entsprachen, lässt sich nicht genau bestimmen. Angesichts der recht strengen Limitierung der vergebenen BdsA-Titel in den ersten Jahren, kann davon ausgegangen werden, dass die meisten der bis Mitte der 1960er Jahre ausgezeichneten Kollektive, zumindest zeitweise, diesem Kreis zuzurechnen waren; denn es spricht nichts dafür, dass der hier exemplarisch analysierte Bezirk Potsdam eine Sonderrolle in dieser Beziehung gespielt hat. Vor allem anhand der für diese Studie näher untersuchten Betriebe (EKO und SWB) lässt sich weiterhin feststellen, dass zumindest in den Großbetrieben während dieses Zeitraums deutlich mehr Brigaden als die mit dem Staatstitel geehrten viele der mit dem sozialistischen Arbeiten, Lernen und Leben verbundenen Kriterien größtenteils erfüllten oder sich wenigstens darum bemühten. Grob geschätzt ergäbe das in den ersten sechs Jahren (bis 1964) eine Zahl von 12.500 bis 35.000 Brigaden mit insgesamt 178.000 bis 500.000 Mitgliedern.152 Jedenfalls steht unter dem Strich eine Zahl, die zwar eindeutig nur eine Minderheit der Arbeiterschaft ausmacht. Dies war aber zweifellos auch quantitativ eine relevante Minorität, die – zumal in der Darstellung der DDR-Medien – als Erfolg der FDGB-Kampagne und Beleg für das gewachsene „sozialistische Bewusstsein“ präsentiert werden konnte.

152 Vgl. Tabelle 4 (S. 114). Die angegebenen Untergrenzen von 12.500 Brigaden bzw. 178.000 Mitgliedern beruhen auf der Summe der 1959 bis 1964 Ausgezeichneten, während der geschätzte Maximalwert nicht ganz dem Dreifachen entspricht. Diese Schätzung ist auf die Jahre bis 1964 eingegrenzt, weil ab 1965 ein deutlicher Anstieg der BdsAAuszeichnungen einsetzt und tendenziell eine nicht mehr so strenge Beachtung der Einhaltung aller vorgegebenen Kriterien unterstellt werden kann. Andererseits entsprach wenigstens bis Ende der 1960er Jahre vermutlich immer noch eine Mehrheit der ausgezeichneten Kollektive weitgehend den Parametern. Da wiederholte Auszeichnungen von Brigaden mit dem Titel bis Anfang der 1970er Jahre nicht üblich waren, würde die in der Schätzung bis 1964 angegebene Obergrenze bei einer Betrachtung der gesamten 1960er Jahre deutlich überschritten. Es sei jedoch betont, dass sich diese quantitativen Schätzungen auf unsicherem Grund bewegen und der Wert solcher „Zahlenspielereien“ ohnehin begrenzt ist.

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Fallbeispiele Drei der wenigen hundert in den ersten beiden Jahren der sozialistischen Brigadebewegung ausgezeichneten Kollektive auszuwählen, bedeutet wiederum, dass auch in Bezug auf diese relativ kleine Gruppe kein repräsentativier Anspruch erhoben werden kann. Die Auswahl erfolgte nicht willkürlich, sondern ist bedingt durch die Quellenlage. Hierbei ist in Rechnung zu stellen, dass Material gerade zu diesen BdsA vorhanden ist, weil sie – kurz nach ihren propagandistisch überhöhten Leistungen als Vorreiter-Brigaden – in irgendeiner Form negativ aufgefallen waren und damit die besondere Aufmerksamkeit verschiedener SED- und FDGBInstanzen auf sich zogen. Die Berichte und Protokolle, auf denen die Analyse der Fallbeispiele beruht, sind also eindeutig aus der Herrschaftsperspektive verfasst, von Partei- und Gewerkschaftsfunktionären verschiedener Ebenen, was eine bestimmte Tendenz ihrer Untersuchungen impliziert.153 Die im dritten Fallbeispiel zutage tretende Einstellung, dass die Arbeiter nunmehr „nur“ noch gut arbeiten und in den stark ideologisch geprägten Feldern sozialistisch lernen und leben deutlich kürzer treten wollten, dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit sehr weit verbreitet gewesen sein.154 Dass in dieser kleinen Auswahl die „Mamais“ (Fallbeispiel 1) nicht fehlen dürfen, versteht sich fast von selbst. Schließlich wurden sie als Initiatoren der gesamten Bewegung in der DDR zu einem Mythos hochstilisiert, der sie in den Rang von Personen bzw. eines „Kollektivs der Zeitgeschichte“ erhebt, deren Entmythologisierung in dieser Arbeit nicht fehlen sollte. Insgesamt kann wohl mit einiger Berechtigung unterstellt werden, dass die im Folgenden präsentierten Fallbeispiele durchaus einige tendenziell verallgemeinerbare Einsichten im Hinblick auf die Einstellungen der Mitglieder ausgezeichneter sozialistischer Brigaden zu dem gesamten BdsA-Programm von FDGB und SED ermöglichen.

153 Der Umkehrschluss, dass sozialistische Brigaden, über die keine derartigen Untersuchungen angestellt wurden und zu denen demzufolge auch keine entsprechenden Akten vorhanden sind, der von SED und FDGB geprägten Norm in allen Punkten entsprachen, wäre allerdings fragwürdig. Angenommen werden kann lediglich, dass nicht in dieser Art aktenkundig gewordene Brigaden keine derart gravierenden Vorkommnisse, wie die versuchte „Republikflucht“ zweier ihrer Mitglieder, die auch noch der SED angehörten (Fallbeispiel 2), zu verzeichnen hatten. 154 Die Chance, dies bei entsprechend detaillierten Studien zu anderen Betrieben nachweisen zu können, hängt allerdings auch davon ab, ob die jeweiligen APO- bzw. BPO-Funktionäre ähnlich ideologisch scharf und eifrig waren wie in dem vorgestellten Fall die Genossen aus dem SWB. Es gab mit Sicherheit SED-Funktionäre auf betrieblicher Ebene, die keinen Anstoß an der Haltung der Kollegen von der Brigade „Willy Becker“ genommen oder deswegen zumindest nicht so ein Fass aufgemacht hätten.

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Fallbeispiel 1: Brigade „Nikolai Mamai“, Bitterfeld (EKB) Aufgrund ihrer exponierten Stellung ist es besonders interessant, den weiteren Weg der als Initiatoren der sozialistischen Brigadebewegung berühmt gewordenen „Mamais“ aus Bitterfeld zu verfolgen. Wie verhielten sich die Arbeiter im Alltag, nachdem die letzte Szene des Drehbuchs im Kasten war? Bereits Ende August 1959 gab es „einige Unstimmigkeiten innerhalb der Brigade ‚Nikolai Mamai‘ aus dem EKB“ zu klären.155 Unter den Kollegen herrschte „große Unzufriedenheit in Bezug auf die Auszeichnung zum 10. Jahrestag“ der DDR. Zunächst war ihnen nämlich in Aussicht gestellt worden, die gesamte Brigade würde mit dem hochdotierten Nationalpreis geehrt, sozusagen als Lohn für ihre Bereitschaft, die Initiatorenrolle in der BdsA-Kampagne zu übernehmen. Doch dies erwies sich als unmöglich, weil sich herausstellte, dass dem Kollektiv ein früherer „Republikflüchtiger“ und mehrere „in der Vergangenheit von den Staatsorganen bestrafte Kollegen“ angehörten. Anschließend schwankte die „Orientierung der zahlenmäßigen Vorschläge (…) zwischen 2 und 12 Kollegen“, bis letztlich acht für die Ehrung eingereicht wurden. Übrig blieben allerdings nur zwei von übergeordneten Instanzen ausgewählte Brigademitglieder, die den Nationalpreis tatsächlich erhalten sollten. Zur Beschwichtigung wurden den „Mamais“ von SED- und FDGB-Funktionären des Betriebes Versprechungen gemacht, sie könnten mit einer namhaften Zahl weiterer Auszeichnungen etwa mit dem Titel „Verdienter Aktivist“ rechnen. Doch die dafür eingereichten sieben Vorschläge lehnte die betriebliche Wettbewerbskommission mit der Begründung, die Leistungen reichten nicht aus, komplett ab. Zwei davon wurden schließlich bei der VVB für die „Medaille für ausgezeichnete Leistungen im sozialistischen Wettbewerb“ nominiert und bestätigt. Über dieses Ergebnis war die Brigade enttäuscht und verärgert, weshalb sie die letztlich zugestandenen Auszeichnungen für vier Kollegen aus ihren Reihen ablehnte. Es gehe ihnen nicht ums Geld, beteuerten sie in den Aussprachen immer wieder, sondern in erster Linie um eine gleichmäßige Verteilung der Prämiensumme. So schlugen sie beispielsweise vor, doch der gesamten Brigade den Nationalpreis zu verleihen, das damit verbundene Geld aber „den Rentnern zur Verfügung zu stellen“. Die beiden Medaillen lehnten sie vor allem deshalb ab, weil dabei eine der drei zu ihrer Komplexbrigade gehörenden Schichten leer ausgehen würde. Deshalb reichten sie diese lieber an ihr Nachbarkollektiv „Einheit“ weiter, das 155 Information vom 24.8.1959 eines Mitarbeiters des FDGB-Bundesvorstandes nachdem er gemeinsam mit einem Genossen aus dem ZK-Apparat drei Tage lang vor Ort eine Reihe von Aussprachen geführt hatte. SAPMO-BArch, DY 34/21319 (unpag.). Daher auch die folgenden Zitate.

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trotz ähnlich guter Produktionsergebnisse noch nicht einmal den Staatstitel „Brigade der sozialistischen Arbeit“ erhalten sollte. Hier machte sich der bereits seit den Anfängen des ostdeutschen „Arbeiterstaates“ in der SBZ weit verbreitete Egalitarismus deutlich bemerkbar.156 Man wollte sich nicht auseinanderdividieren lassen. Mit den Worten: „Wir lassen nicht mit uns spielen. So etwas konnte man 1948 noch mit den Arbeitern machen, aber heute nicht mehr.“, brachte einer von ihnen die Haltung der Kollegen auf den Punkt; wahrscheinlich in Anspielung auf die Hennecke-Aktivistenkampagne. Das legt zumindest die ebenfalls wiedergegebenen Bemerkungen nahe, die „Brigade [habe] nicht die Aufgabe, wie beim Radrennen der Weltmeisterschaft einem zum Sieg zu verhelfen“.157 Die beiden Nationalpreise wurden darüber hinaus von den Kollegen mit der Begründung abgelehnt, dass die letztlich von oben ausgewählten Kandidaten „nicht würdig“ seien. Bei einem der beiden handelte es sich um einen Genossen, der als Parteisekretär tätig gewesen war, der Brigade aber bereits seit Anfang Januar 1959, d. h. unmittelbar nachdem das Kollektiv „seinen“ Wettbewerbsaufruf verabschiedet hatte, nicht mehr angehörte. Die Privilegierung eines ehemaligen Kollegen, der offenbar eine SED-Karriere einschlug, wollten die Kumpel auf jeden Fall verhindern. Zu diesem Zweck denunzierten sie ihn sogar: Er habe „am 17.6.53 nicht die Treue zum Arbeiter- und Bauern-Staat bewiesen“.158 Auch der zweite Vorgeschlagene war SED-Mitglied, sei aber nach Ansicht der Kollegen kein Vorbild, sondern habe durch „sein Verhalten der Bewegung einen großen Schaden zugefügt“. Wodurch? Er hatte „im betrunkenen Zustand auf einer sozialistischen Namensgebung die Meinung vertreten (…), sozialistisch leben ist, wenn ich mit der Frau des Genossen Jung-Ing. Müller und der Gen. Jung-Ing. Müller mit meiner Frau zusammen schläft“.159 Diese Zote fanden vermutlich nicht wenige Kollegen lustig, aber die Doppelmoral eines Opportunisten, der am nächsten Tag wieder Ulbrichts „10 Gebote“ im Munde führt und mit dem Parteibuch primär sein persönliches Fortkommen verfolgte, mochten sie ihm nicht nachsehen. Denn weiterhin habe er „geäußert, der Nationalpreis ist eine gute Sache. Dafür kaufe ich mir ein Auto und dann können sie mir alle mal …“. 156 Vgl. Stadtland, Herrschaft, S. 286ff. und 442ff. 157 Damit wurde direkt auf den Bergmann Adolf Hennecke angespielt, der seine Rekordschicht bekanntlich nur dadurch hatte erreichen können, dass ihm mehre „namenlose“ Kollegen zur Hand gingen. 158 An jenem Tag sei er zwar zum Betrieb gekommen, aber mit der Begründung, „wenn die Arbeiter streiken, will er kein Arbeiterverräter sein“, wieder nach Hause gefahren. Das war in den Augen der Kollegen scheinbar ‚weder Fisch noch Fleisch‘; möglicherweise hätten sie diese Denunziation unterlassen, wenn er sich seinerzeit solidarisch gezeigt und bei den Streikenden eingereiht hätte. 159 Name geändert.

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Die Ursachen für diese Unstimmigkeiten in der Brigade, die auch die beiden Abgesandten aus den Zentralen von SED und FDGB nicht restlos hatten ausräumen können, lagen nach deren Auffassung darin begründet, dass „die politischideologische Arbeit (…) durch die Partei- und Gewerkschaftsleitungen gröblichst vernachlässigt“ und dem Selbstlauf überlassen worden war. Um Abhilfe zu schaffen legten sie gemeinsam mit der BPO-Leitung des EKB fest, dass „4–6 Genossen (…) in der Brigade ‚Nikolai Mamai‘ ihre körperliche Arbeit sofort beginnen und die politische Arbeit mit unterstützen“. „Aussprachen und Vorträge über das Leistungsprinzip (…) sowie politische Grundprobleme“ wurden angeordnet, und in einer Mitgliederversammlung der APO sollte „zum Zustand der Parteiarbeit und zum Verhalten einzelner Genossen Stellung genommen“ werden. Damit scheint aber bestenfalls eine vorübergehende Stabilisierung des Kollektivs in dem von oben gewünschten Sinne bewirkt worden zu sein. Ein Bericht des FDGB-Bezirksvorstandes Halle vom Sommer 1963 zeichnet ein ernüchterndes Bild der weiteren Entwicklung der „Mamais“.160 Die große Unterstützung, die sie von allen Seiten bekamen, klagte ein Mitglied der Brigade, habe stark nachgelassen, als sie den Staatstitel BdsA anlässlich des 10. Jahrestags der DDR-Gründung im Oktober 1959 erhalten hatten. „Von diesem Tag an war die Brigade sich selbst überlassen.“ Die Kampagnen-Karawane war weitergezogen. „Heute“, fuhr der enttäuschte Kollege fort, stehe „ein großer Teil unserer Brigademitglieder dem Brigadeleben desinteressiert gegenüber“. Der Einbruch bei den Produktionsergebnissen, die 1960 sogar unter den Betriebsdurchschnitt gefallen waren, sei zwar aufgefangen worden und inzwischen hätten sie im sozialistischen Arbeiten wieder „gute Erfolge“ zu verzeichnen. Aber „im sozialistischen Leben haben wir schon in der Vergangenheit große Schwierigkeiten gehabt“. „Früher wurde jede Woche in der Brigade Zeitungsschau durchgeführt, wo über die politischen Tagesfragen diskutiert wurde. Heute ist dies vollständig in Wegfall gekommen.“ Ebenfalls nachgelassen habe die „Kritik und Selbstkritik“. Der „Schichtegoismus“ habe sich wieder breitgemacht, ein Austausch der Erfahrungen von Schicht zu Schicht finde nicht mehr statt. Die Genossen der Brigade würden „nicht immer an der Spitze stehen“ und der Vertrauensmann sei ebenfalls „seinen Aufgaben nicht nachgekommen“. Ohne ständige massive Agitation, Anleitung und „Hilfe“ übergeordneter SED- und FDGB-Instanzen schien zumindest das 160 FDGB-Bezirksvorstand Halle, Abt. Arbeit und Löhne, 17.8.1963, Geführte Gespräche in den Brigaden „Mamai“ und „Einheit“ des EKB. SAPMO-BArch, DY 34/21922 (unpag.). Ein Jahr danach wurde ein weiterer „Bericht über die Untersuchungen der Entwicklung und Arbeitsweise der Kollektive der sozialistischen Arbeit ‚Nikolai Mamai‘ und ‚Einheit‘ des VEB Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld“ verfasst. SAPMO-BArch, DY 34/21873 (unpag.). Auf diesen beiden Dokumenten beruhen die folgenden Aussagen.

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sozialistische Lernen und Leben auch in der Vorzeigebrigade „Nikolai Mamai“ keine rechte Eigendynamik entfalten zu wollen. Ein wesentlicher Grund dafür war, dass „die BPO und BGL des Werkes im Interesse einer schnellen und qualifizierteren Verbreiterung der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit die progressivsten und bewusstesten Kollegen aus der Brigade in andere Kollektive und Betriebe einsetzten“. Dafür werden vier Beispiele angeführt: Der einstige engagierte Paten-Ingenieur der „Mamais“ war inzwischen zum Abteilungsleiter bei der VVB Elektro-Chemie und Plaste aufgestiegen. Ein früherer Kollege sorgte nach einem „einjährigen Qualifizierungslehrgang an der FDGBBezirksschule“ als hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär in einem anderen Betriebsteil für die Weiterentwicklung der sozialistischen Brigadebewegung. Zum Direktstudium delegiert war ein Dritter mittlerweile zurückgekehrt und als Betriebsingenieur tätig. Ein weiteres ehemaliges Brigademitglied war inzwischen als „Schichtmeister im neuen Aluminium-Werk Lauta eingesetzt“ worden. Für sich genommen waren das alles Aufstiegsgeschichten, die für den Erfolg der Brigadebewegung sprechen, denn eines ihrer erklärten Ziele war ja die Gewinnung von „Arbeiterkadern“ gewesen. Das Problem war nur, dass diese Aufsteiger nicht durch ebenso „bewusste“ Vertreter ihrer „Klasse“ ersetzt werden und die Apparate von SED und FDGB nicht ständig mit immensem Aufwand neue Musterbrigaden hochzüchten konnten. Ganz davon abgesehen, dass die Mehrzahl der Arbeitskollektive personell dafür gar nicht die Voraussetzungen bot, weil viele ihrer Mitglieder kaum bereit waren, sich derart „entwickeln“ zu lassen. Der FDGB-Berichterstatter umschrieb dies mit den Worten: „Die betrieblichen Leitungen hatten die innere Festigkeit der Gesamtbrigade überschätzt und [es] an einer systematischen Unterstützung der Brigade fehlen lassen.“ Für die oben genannten Aufsteiger wurden vorrangig „neu eingestellte Kollegen aus Westdeutschland und Kollegen, die aus Haftlagern kamen (…) in die Brigade ‚Mamai‘ eingesetzt, um sie schneller an das Neue in unserem gesellschaftlichen Leben heranzuführen. Diese Aufgabe konnte von der Brigade M. aufgrund angeführter Probleme nur teilweise gelöst werden.“ Dies bedeutet allerdings nicht das endgültige Scheitern der Vorkämpfer der sozialistischen Brigade-Bewegung. Denn im August 1964 wird in einem neuerlichen Untersuchungsbericht konstatiert, dass sich das „Mamai“-Kollektiv insbesondere „im Rahmen der teilweisen Mechanisierung und ihrer straffer organisierten Tätigkeit in der Erfüllung des Produktionsplanes“ gefestigt habe. Diese konkreten betrieblichen Aufgaben, mit denen sie überdies selbst an der Verbesserung und Erleichterung ihrer unmittelbaren Arbeitsabläufe und -Bedingungen mitwirken konnten, entsprachen offenbar am ehesten den Interessen und Erwartungen eines Großteils der Mitglieder nicht nur dieser Brigade. Dem 1964er Report zufolge, führte die „Verbesserung der technisch-ökonomischen Arbeit (…) gleichfalls zur

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Aktivierung der ehrenamtlichen gesellschaftspolitischen Tätigkeit“. Bspw. seien „18 Mitglieder für die Partei der Arbeiterklasse geworben“ worden.161 Enge Verbindung bestünde sowohl zu einer Patenklasse an einer Bitterfelder Oberschule als auch zu einer „Pateneinheit der NVA“ sowie zu einer Brigade des „Aluminiumwerkes in Ziav (ČSSR)“, mit der die „Mamais“ ein Freundschaftsvertrag verband. Außerdem pflegten sie einen „sehr engen Kontakt“ zu dem Kunstmaler Walter Dötzsch und dem Schriftsteller Horst Holzhäuser. Allerdings wird die offiziös-tendenziöse Diktion dieses Berichtes unübersehbar, wenn – wenig glaubhaft – davon die Rede ist, dass „der größte Teil der Brigademitglieder (…) sich durch die ständige Beschäftigung mit der Gewerkschaftsliteratur eine Haus-Bibliothek angeschafft“ habe und „daneben (…) regelmäßig die in der Gewerkschaftsbibliothek angebotene Literatur benutzt“. Das riecht stark nach Arbeiten am Mythos der „Stammväter“ der sozialistischen Brigaden, nach „Erfinden der Tradition“ der Bewegung sozialistisch Arbeiten, Lernen und Leben.162 Diese Rolle konnte und wollte das Gros der Arbeiter nicht auf Dauer spielen, auch wenn sich die Funktionäre von SED und FDGB noch so sehr mühten.

Fallbeispiel 2: Brigade „Patrice Lumumba“, Eisenhüttenstadt (EKO)163 Dass ein Blick hinter die Kulissen dieser Brigade, die aus Anlass des 10. Jahrestages der DDR-Gründung 1959 als erste im Bezirk Frankfurt/Oder den Titel „Brigade der sozialistischen Arbeit“ verliehen bekommen hatte, möglich ist, verdanken wir zweien ihrer Mitglieder, die im Sommer 1962 die Absicht zu einem „gewaltsamen Grenzdurchbruch“ in Berlin hatten. Ein anderes Mitglied des Kollektivs, das sie zuvor in ihre Pläne eingeweiht hatten, verständigte „rechtzeitig die Kreisdienststelle des MfS“, sodass die Fluchtwilligen festgenommen werden konnten. Da beide SED-Mitglieder waren, hatten sich die Parteikontrollkommissionen (PKK) auf Kreis- und Bezirksebene mit dem Fall zu beschäftigen. Das taten sie recht 161 Es ist nicht klar, auf welchen Zeitraum sich diese Angabe bezieht; eventuell ab 1959 oder aber seit 1961. Für diesen Bericht von 1964 ist nicht unwichtig, dass er „im Zusammenhang der Befragung eines Journalisten der Zeitschrift ‚Freie Welt‘“ entstanden ist, an dem mehrere SED- und FDGB-Funktionäre übergeordneter Leitungen und offenbar nur wenige ausgewählte Brigademitglieder teilgenommen haben. Da es um eine Veröffentlichung ging, ist von einer gewissen schönfärberischen Tendenz auszugehen, die im Text stellenweise auch deutlich hervortritt. 162 Vgl. Hobsbawm, Erfinden. 163 SED-BL Frankfurt/Oder, BPKK, Bericht über das parteifeindliche Verhalten der [zwei Namen] und über das Verhalten des [Name], von der ersten sozialistischen Brigade des EKO ,Patrice Lumumba‘ (Erzaufbereitung), 1.11.1962, BLHA, Rep. 730, Nr. IV/2/4/662 (unpag.). Sämtliche Zitate in der folgenden Darstellung sind dieser Akte entnommen.

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ausführlich, indem sie eine Reihe von Parteimitgliedern aus der Brigade befragten und einige Berichte schrieben. Diese „Interviews“ und Berichte bieten Einblicke in das Innenleben einer vormaligen Vorzeige-Brigade, die vermutlich nicht allzu häufig zu finden sind. Dabei ist jedoch nicht davon auszugehen, dass der Inhalt dieser Untersuchungsprotokolle ungebrochen die tatsächlichen Verhältnisse in der Brigade widerspiegelt. Als Quintessenz der gesamten Untersuchung erstellte die BPKK eine „Übersicht über die sozialistische Brigade ,Patrice Lumumba‘“, denn der von zwei Genossen Brigademitgliedern geplante „staatsfeindliche Akt“ galt natürlich auch als Versagen des gesamten Kollektivs, insbesondere der Parteigruppe. Darin wird festgestellt, dass die Brigade seit ihrer Auszeichnung durch mehrere Artikel im „ND“ sowie in der Bezirkspresse ob „ihrer sozialistischen Taten in der Produktion und im gesamten gesellschaftlichen Leben“ hervorgehoben worden war. Umso unerklärlicher und peinlicher war der nun zu konstatierende Absturz. Als ein wesentlicher Grund dafür wird die große „Fluktuation innerhalb der Parteigruppe und unter den Brigademitgliedern“ genannt. Von den dreißig ausgezeichneten Mitgliedern gehörten inzwischen nur noch dreizehn dem Kollektiv an. Nach der Auszeichnung waren „8 Jugendliche freiwillig zur NVA gegangen“, ein Genosse ging „als Instrukteur nach Cottbus, Abteilung Landwirtschaft [der SEDBL oder des Rates des Bezirkes]“, ein anderer wurde hauptamtlicher FDJ-Sekretär an einem Lehrerbildungsinstitut. Das heißt, die Mitglieder auch dieser vorbildlichen sozialistischen Brigade dienten als Kaderreserve für den Partei- und Staatsapparat164 oder meldeten sich beispielhaft „freiwillig“ zum Militärdienst. Auf der anderen Seite galt das Kollektiv offenbar als so gefestigt und zuverlässig, dass es zur Integration und „Erziehung“ schwieriger Charaktere prädestiniert schien. So kamen 1961 drei Genossen (!) zur Brigade, die als „politisch und moralisch mangelhaft gefestigt“ eingeschätzt wurden. Davon hatten zwei nur einen 5Klassenabschluß, waren als Waise bzw. in einem zerrütteten Elternhaus aufgewachsen und betranken sich regelmäßig. Zu Beginn ihrer Brigademitgliedschaft wurden sie bevorzugt mit Wohnungen versorgt und gegen ihr (nicht eingelöstes) Versprechen, sich zu qualifizieren, erhielten sie eine ungerechtfertigt hohe Lohngruppe. Nach einem Jahr häuften sich Fehlschichten, meist nach Saufereien mit dem dritten neuen Genossen. Schließlich planten sie die „Republikflucht“, wovon einige ihrer Kollegen wussten, da sie diese zum Mitmachen hatten bewegen wol164 Dies war eine offenbar weitverbreitete Praxis. Vgl. Roesler, Produktionsbrigaden, S. 151f. Belegt wird das auch durch das Beispiel der ersten mit dem „BdsA-Titel ausgezeichneten Jugendbrigade „Fritz Weineck“ aus dem Leuna-Werk, für die Wiesener („Neue Menschen“, S. 43ff.) dasselbe Phänomen beschreibt.

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len. Dazu gehörte u. a. dieser dritte Neuling, eine etwas schillernde Persönlichkeit, der die beiden dann bei der Staatssicherheit anzeigte. Das nicht ganz Alltägliche an diesem Genossen bestand darin, dass er 1958 aus der BRD in die DDR übergesiedelt war. Dort, in der Bundesrepublik, hatte er der SPD angehört und sich angeblich „im Kampf um die Einheit der Arbeiterklasse Verdienste erworben“, wofür er nach seiner Übersiedlung gleich in die SED übernommen und als stellvertretender Kulturhausleiter im EKO eingesetzt worden war. Im Oktober 1961 erhielt er eine Parteistrafe (Rüge) „wegen Verletzung der Arbeitsdisziplin, übermäßigen Alkoholgenusses, außerehelichen Beziehungen und Duldung von feindlichen Witzen über den Genossen Walter Ulbricht“.165 In dem Bericht der BPKK wird die APL kritisiert, weil sie die „viele(n) Erscheinungen der politischen und moralischen Aufweichung“ in der sozialistischen Brigade nicht rechtzeitig bemerkt und „bekämpft“ hatte. Insgesamt sei der „erzieherische Einfluss der sozialistischen Brigade, auch auf die Festigung der Ehen einiger Brigademitglieder, (…) noch ungenügend“. Auch hätten sich in der Brigade „einige ideologische Unklarheiten in der Frage [gezeigt], dass sich heute beide deutsche Staaten feindlich gegenüber stehen“. Aufschlüsse über das Klima innerhalb des Kollektivs geben die Protokolle der Aussprachen mit einigen Genossen der Brigade. Auf die Frage, was ihm nicht gefalle, sagte einer von ihnen, dass „keine offene Atmosphäre“ herrsche, sich der Brigadier weigere, „in der Kampfgruppe mitzumachen“ und „sich zu qualifizieren“. Eine Genossin wurde durch die KPKK direkt befragt, welche der Genossen der Brigade denn „ein Verhältnis“ hätten: „Was denkst du Genosse, wenn ich das alles aussage, was ich dann zu leiden habe. Es war schon einmal der Fall (…)“, dass der Brigadier, der gleichzeitig Meister und Parteigruppenorganisator war, der Kollegin „unsittliche Anträge“ gemacht hatte.166 Weiter sagte sie aus: „Es ist vieles nicht in Ordnung (…). Der Meister sagt ja selber, sozialistisch arbeiten, sozialistisch leben, wenn man auch nicht selbst mit drin steckt. [Soll heißen: wenn er’s auch nicht selber wirklich tut.] Da traut sich niemand etwas zu sagen. Man muss eben den Mund halten, sonst wird man von einer Ecke nach der anderen gescho-

165 Ein „Vorstrafenregister“, das in der Regel ohne weiteres zum Parteiausschluss hätte führen müssen. Dies ist nur ein Anhaltspunkt dafür, dass dieser Genosse entweder wegen seiner bloßen Übersiedlung aus der Bundesrepublik Narrenfreiheit genoss oder – da er auch gleich wusste, dass er die MfS-Kreisdienststelle zu informieren hat – aufgrund einer „besonderen Mission“, die er in der BRD erfüllt hatte, protegiert wurde. 166 Wegen eines „außerehelichen Verhältnisses“ hatte dieser Genosse Brigadier ein paar Jahre zuvor eine Parteistrafe erhalten. Wahrscheinlich hatte die Genossin bei der dazu von der KPKK durchgeführten Untersuchung gegen ihn ausgesagt und war deshalb anschließend „Spießruten gelaufen“.

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ben. (…) Der Meister hat gedroht: ,Und wehe einer beschmutzt unsere sozialistische Brigade!‘ (…) Wenn mal eine Versammlung ist, traut sich niemand etwas zu sagen, sie sind alle ruhig.“ Der Chef dieses Kollektivs, Brigadier, Meister und Parteigruppenorganisator in Personalunion, zeichnete sich offensichtlich durch einen autoritären Führungsstil aus. Seine Autorität beruhte wohl vor allem auf seiner fachlichen Qualifikation als Meister, die es ihm ermöglichte, die Arbeit so zu organisieren, dass die Brigade ihre Aufgaben in der Produktion erfüllte. Darüber hinaus verfügte er anscheinend über die Fähigkeit, seine Kollegen zur wenigstens formalen Erfüllung der übrigen Kriterien im sozialistischen Wettbewerb zu bewegen und dies den übergeordneten Leitungen in Betrieb, Partei und Gewerkschaft entsprechend zu „verkaufen“, wenngleich er sich persönlich auch nicht unbedingt an Ulbrichts „zehn Geboten“ und ähnlichen ideologischen Vorgaben orientierte. Von diesem Chef profitierten letztlich alle Brigademitglieder in Form von Prämien und auch die übergeordneten Funktionäre, da sie nach oben eine vorbildliche BdsA abrechnen konnten. Allem Anschein nach war diese jedoch, spätestens nach dem Abzug einiger besonders engagierter Kader, dem postulierten Anspruch vom sozialistischen Arbeiten, Lernen und Leben nicht mehr gewachsen oder wollte es gar nicht sein. Die Zahl im Sinne der SED engagierter Arbeiter war offensichtlich eng begrenzt. Im Gegensatz zu diesen gab es, begünstigt durch die Auflagen gerade unter der Arbeiterschaft ständig neue SED-Mitglieder werben zu müssen, nicht wenige Genossen, die weder in der Arbeit noch im Bereich sozialistischen Lernens und Lebens positiv auffielen. Das war, allen SED-Fiktionen zum Trotz, die alltägliche Realität.

Fallbeispiel 3: Brigade „Willy Becker“, Brandenburg/Havel (SWB)167 Diese Brigade war die erste des Stahl- und Walzwerkes Brandenburg, die zum 1. Mai 1960 mit dem BdsA-Titel ausgezeichnet wurde.168 Zum Zeitpunkt der Auszeichnung umfasste das Kollektiv 36 Beschäftigte. Seit Juni 1959 waren zu den drei Mitgliedern der Parteigruppe 11 neugeworbene SED-Kandidaten hinzugekommen; 10 Brigademitglieder übten politische Funktionen in SED, FDGB oder FDJ aus, und zwei jüngere Kollegen waren zur NVA „delegiert“ worden. Seither hatte man den Produktionsplan ständig in hoher Qualität übererfüllt und die 167 SED-GO SWB, Dokumente der APO I Feineisenstraße vom 27., 28. und 30.3.1962. BLHA, Rep. 532, Nr. IV/7/055/193 (unpag.). Der nachfolgende Text beruht auf diesen Berichten und Protokollen sowie auf der Begründung des Auszeichnungsvorschlags für den „BdsA-Titel: Bezirksvorstand IG Metall Potsdam, 25.4.1960. BLHA, Rep. 547/BK 207 (unpag.). 168 Roter Stahl, Nr. 19/1960, S. 1.

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Arbeitsproduktivität um mehr als 10 Prozent gesteigert. Außerdem wurden mehrere verwertbare Neuerervorschläge eingereicht. Insgesamt 15 von ihnen hatten Qualifizierungslehrgänge an der Betriebsakademie aufgenommen, einer zum Meister, einer zum Brigadier und die übrigen zur Erreichung des Facharbeiterabschlusses. Als vorbildlich vermerkt wurde weiterhin, dass einer ihrer besten Kollegen für drei Monate in einer „rückständigen“ Nachbarbrigade „sozialistische Hilfe“ leistete und schließlich die „drei wichtigsten Facharbeiter“ in die neu gebildete 4. Schicht gewechselt waren. Für den Staatstitel empfohlen hatte sich das Kollektiv überdies mit einer Bilanz von 320 Stunden geleisteter Hilfe bei der „Sozialisierung der Landwirtschaft“ in der LPG Buckau. Knapp zwei Jahre später, im Frühjahr 1962, stand die Brigade auf einer Wahlversammlung der Parteiorganisation ihrer Abteilung im Mittelpunkt der Kritik. Das Protokoll dieser Versammlung sowie das der vorausgegangenen APO-Leitungssitzung und der Rechenschaftsbericht des APO-Sekretärs geben zumindest ein paar Aufschlüsse über das, was im SWB Anfang der 1960er Jahre in den Brigaden und um sie herum geschah. Ein als Gast teilnehmender Funktionär der BPL erinnerte zunächst die Genossen der Brigade „Willy Becker“ an die mit dem Staatstitel verbundene Verpflichtung und forderte sie auf, „den Namen, den die Brigade in der Republik besaß, wiederherzustellen“. Ihrer Vorbildrolle wurden die Kollegen nämlich nicht mehr gerecht: „Sie ließen keinesfalls in ihren ökonomischen Ergebnissen nach, aber die gesellschaftspolitische Arbeit sank auf den Nullpunkt.169 Selbst Aussprachen mit der Parteileitung, Werkleitung, BGL sowie die Parteiversammlung in Anwesenheit des Genossen Kurt Seibt [1. Sekretär der SED-BL Potsdam und Mitglied des ZK] brachte nur ein Aufflackern mit sich.“ Der Grund dafür sei gewesen, dass „die Genossen eurer Parteigruppe nicht mit dem richtigen Klassenbewusstsein auftreten und politischen Diskussionen ausweichen“. Nein, es reichte nicht aus, dass die Brigade nach wie vor ihre Arbeitsaufgaben voll und ganz erfüllte. Eine sozialistische Brigade musste auch ideologisch führend sein. Wenn die Kollegen dazu keine Lust hatten, mussten Aussprachen geführt werden, um ihr „Bewusstsein“ auf das gewünschte Niveau zu bringen. Nach wiederholter Aufforderung, doch zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, erklärt ein Vertreter von „Willy Becker“, „man müsste die ganze Brigade einladen und die gleichen Fragen (…) stellen. Wenn bei Parteiversammlungen Namen genannt wurden, sprachen die Kollegen nicht mehr mit ihnen und dann die ganze Brigade nicht mehr.“ Das heißt, die parteilosen Mitglieder der Brigade verweigerten innerhalb ihres Kollektivs die Anerkennung des für die SED als selbstverständ169 Wiesener („Neue Menschen“, S. 46f.) beschreibt exakt dieselbe Entwicklung im Fall der ausgezeichneten Jugendbrigade „Fritz Weineck“ aus den Leuna-Werken.

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lich geltenden generellen Führungsanspruchs der Partei. Dafür brachten die Funktionäre v. a. der BPO wenig Verständnis auf, boten der Parteigruppe der Brigade, „wenn die Genossen sich nicht stark genug fühlen“, Hilfe an und hatten auch gleich die passende Schublade für das Verhalten der parteilosen Kollegen bei der Hand: „Dieser Methoden bedient sich der Klassengegner, er versucht die Genossen zu isolieren.“ Bei ihnen gebe es so etwas nicht, wusste ein APO-Leitungsmitglied, das einer anderen Brigade angehörte, zu berichten.170 Obwohl sie auch nur ein Genosse mehr seien, hätten sie das Kollektiv unter Kontrolle: „mit Quertreibern setzen sie sich sofort auseinander“. Allerdings hat es den Anschein, dass die SED-Mitglieder der „Willy Becker“Brigade nicht ganz so scharf waren, wie einige ihrer Genossen in der APO. Selbst der Parteigruppenorganisator sei verfallen, „in solche Ideologie wie, der Plan wird ja erfüllt und das reicht“. Das Resultat dieser Ideologie war, „dass eure festgelegte Gruppenwahl am 6. 3. verschoben werden musste, nur weil in den Waschanlagen an diesem Tag kaltes Wasser war“ und zwei Genossen – u. a. der Parteigruppenorganisator – „einfach nach Hause gingen“. Dass bei der körperlich schweren Tätigkeit der Walzwerker entsprechende Arbeits- und Lebensbedingungen nur recht und billig waren, konnten einige SED-Funktionäre offenbar nur schwer einsehen. Weiterhin wurde den Genossen der ehemaligen Vorreiterbrigade vorgeworfen: „Ihr lasst euch in Diskussionen verwickeln, wie die Milch- und Butterfrage und vernachlässigt die eigentliche gesellschaftliche Arbeit. (…) Gewiss soll man solche Fragen nicht außer Acht lassen und sie beantworten. Man soll den Kollegen klar machen, dass es zwar Schwierigkeiten in der Versorgung gibt, aber noch keiner in unserer Republik verhungert ist.“ Angesichts des von Ulbricht verkündeten Ziels, die Bundesrepublik im Pro-Kopf-Verbrauch wichtiger Nahrungsmittel zu übertreffen, ein recht bescheidener Maßstab und vermutlich keine sonderlich überzeugende Argumentation. Die SED-Mitglieder sollten also bestimmen, worüber in der Brigade diskutiert wurde. Und wenn es sich gar nicht vermeiden ließ, über die alltäglichen Sorgen der Kollegen zu sprechen, galt es, die Diskussion mit Parolen zu führen. Ein wenig verblüfft es schon, dass nicht nur die Parteiführung, sondern auch Genossen, die selbst Arbeiter waren oder zumindest täglich im Betrieb mit ihnen zu tun hatten, Realitäten in einem solchen Maße ausblendeten. Äußerungen von Kollegen wie „Macht mal die Grenzen auf, dann werdet ihr schon sehen, wer noch hier bleibt!“ oder „dass in Wirklichkeit nur 50 Prozent der Mitglieder unserer Partei hinter der 170 Die Abteilung „Feineisenstraße“ umfasste insgesamt vier Brigaden mit jeweils 25 bis 30 Mitgliedern. Davon gehörten wiederum je sechs bis sieben der SED und damit der Parteigruppe (der Brigade) an. Die SED-Mitglieder aller vier Brigaden bildeten gemeinsam eine APO.

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Fahne der Arbeiterklasse stehen und alle anderen nur Mitläufer sind“, konnten diese Funktionäre scheinbar nur als „negative Fragen“ einstufen und bekämpfen. In diesem Sinne verabschiedete die APO-Leitung eine Entschließung, dass es notwendig sei, „Klarheit in den Köpfen aller Genossen und Kollegen zu schaffen. Deshalb muss erreicht werden, dass alle Genossen 100%ig und mindestens 70% aller Brigademitglieder an den Parteischulungen teilnehmen.“ – Eine augenscheinlich „angemessene“ Reaktion. Die ideologische Borniertheit selbst mancher Basisfunktionäre der SED war offenbar so groß, dass sie nicht einmal auf die Idee kamen, mit diesen Holzhammer-Methoden das angestrebte Überzeugen der parteilosen Arbeiter zu konterkarieren. Mit der Methode „beharrlichen Überzeugens“ war es der APO-Leitung – unter ausdrücklichem Verweis auf den 13. August 1961 – wenige Monate zuvor bereits gelungen, die Jugendlichen aller Brigaden der Abteilung dazu zu bringen, „dass sie ihre Bereitschaft abgaben, in die Reihen unserer Nationalen Volksarmee einzutreten. Es waren zwar harte Auseinandersetzungen notwendig, aber es zeigte sich doch, dass, wenn die Genossen mit vereinter Kraft an eine Sache herangehen, es zu schaffen ist.“ Es dürfte kaum überinterpretiert sein, zu unterstellen, dass hier erheblicher Druck auf die jungen Arbeiter ausgeübt worden ist, um sie zu einer einschneidenden persönlichen Entscheidung zu drängen. Die Brille, durch die der Blick des Betrachters eben auf die Brigade „Willy Becker“ und ihre Abteilung fiel, ist wesentlich eingefärbt durch die APO-Leitung, da von ihr die ausgewerteten Dokumente erstellt wurden. Insofern scheint es angebracht, von einer Vermischung des Wunschdenkens dieser Genossen mit dem Betriebsalltag der Brigade(n) auszugehen. Dennoch entsteht der Eindruck, dass zumindest ein Teil dieser einfachen SED-Mitglieder mit größter Selbstverständlichkeit versuchte, ihre jeweiligen Arbeitskollektive zu dominieren und darüber hinaus – wie bei den Jugendlichen – ohne Scheu in die Privatsphäre ihrer Kollegen einzugreifen. Die Stimmen aus der „Willy Becker“-Brigade deuten darauf hin, dass die Parteigruppe in diesem Kollektiv nicht so tonangebend war, weil die Genossen nicht diesen Anspruch erhoben und/oder ihn aufgrund der Verweigerung bzw. Gegenwehr ihrer Kollegen nicht durchsetzen konnten. Darüber, ob die SEDGenossen in den anderen Brigaden tatsächlich in dem von ihnen selbst beschriebenen Maße vorherrschten oder doch eher isoliert waren, kann man nur spekulieren. Auf jeden Fall mutet das Klima in den Kollektiven, soweit es durchscheint, nicht ausgesprochen sozialistisch an, differiert ganz erheblich von dem in der Kampagne 1959 vermittelten Ideal einer BdsA. Es sei noch einmal betont, dass diese Einzelbeispiele ausgezeichneter und anschließend gestrauchelter Brigaden natürlich nicht zu verallgemeinern sind. Andererseits handelt es sich auch nicht um extra ausgewählte besonders negative Fälle, wobei nicht bestritten werden soll, dass es sozialistische Brigaden gegeben haben

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mag, die dem ursprünglich entworfenen Bild näher kamen als diese, zumindest nicht so spektakuläre Normverletzungen zu verzeichnen hatten wie die Brigaden „Mamai“ und „Lumumba“. Zulässig sein dürfte hingegen der Schluss, dass der Absturz dieser Musterbrigaden belegt, wie dünn die Decke der im Sinne der Vorgaben engagierten Arbeiter war und wie kontraproduktiv das Vorgehen so mancher SED-Betriebsfunktionäre gewesen ist.

4. Zusammenfassung Zunächst verblüfft, wie unverfroren und schlicht die FDGB-Führung das sowjetische Vorbild der kommunistischen Brigadebewegung kopierte. Ebenso erstaunlich ist die kurzfristige generalstabsmäßige Vorbereitung und Umsetzung der Auftaktkampagne, vom Drehbuch über die Auswahl und Instruktion der Initiatoren bis hin zu den flächendeckenden „spontanen“ positiven Reaktionen von Arbeitskollektiven aus allen Bezirken und Industriezweigen der DDR. Vom eigenen Erfolg überrascht und euphorisiert, prophezeiten die Spitzen von SED und FDGB den sozialistischen Brigaden eine „großartige Zukunft als ausgezeichnetes Mittel der Erziehung der Werktätigen im Geiste des Sozialismus“ – womit das zentrale Motiv benannt ist, warum diese Bewegung von oben initiiert und bis zum Ende der DDR am Leben erhalten wurde. Die unmittelbaren Reaktionen der Arbeiterschaft auf die Kampagne fielen recht unterschiedlich aus. Der Schwerpunkt in der Beteiligung lag eindeutig auf dem schon zuvor im Wettbewerb entscheidenden (sozialistischen) Arbeiten, wobei es viele formale Anschlüsse von Brigaden gab, die praktisch kaum neue Verpflichtungen im Sinne des Aufrufs der „Mamai“-Brigade enthielten. Die neue Komponente des sozialistischen Lernens fand anfänglich nur geringen Zuspruch, der aber bald anwachsen sollte, weil vielfach die Chance erkannt wurde, durch eine höhere Qualifikation die eigenen Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten verbessern zu können. Generell war die Aussicht der Einkommenssteigerung, vor allem durch Prämien und (höheren) Leistungslohn, das Hauptmotiv der Arbeiter zur Teilnahme am sozialistischen Brigadewettbewerb. Zu beobachten war aber auch ein Streben nach öffentlicher Anerkennung oder zumindest eine gewisse Empfänglichkeit dafür. Dies galt vorrangig, aber nicht nur, für Jugendbrigaden, die aus diesem Grund in der Konzipierung und Umsetzung der Kampagne eine herausragende Rolle spielten. Ihre, zumindest anfänglich, offenkundige Bevorzugung schürte mancherorts den Generationenkonflikt zwischen älteren und jüngeren Arbeitern. Dies war allerdings nicht die einzige Konflikt- und Spannungslinie, die im Kontext des BdsA-Wettbewerbs hervortrat. Die markanteste davon verlief zwi-

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schen den Kollektiven, die sich bereit erklärten, an diesem Wettbewerb teilzunehmen, insbesondere jenen, die als Vorzeige-Brigaden zusätzlich protegiert wurden und den vielen anderen, die sich nicht zum Titelkampf bereitfanden, sondern im Betrieb weiterhin „nur“ arbeiten wollten. Spätestens wenn diese Privilegierung so weit ging, dass andere Arbeitskollektive sich z. B. bezüglich der Materialbereitstellung oder ähnlicher produktionstechnisch-arbeitsorganisatorischer Dinge benachteiligt fühlten, geriet der Betriebsfrieden und damit letztlich auch der angestrebte Erfolg dieser Wettbewerbskampagne in Gefahr. Zu Spannungen kam es teilweise auch im hierarchischen Gefüge der Betriebe. Die von SED und FDGB im Zuge der Kampagne betriebene starke politischideologische Aufwertung der Brigaden erhöhte deren relatives Gewicht innerhalb der betrieblichen Strukturen, zumal wenn sie von BPO und BGL entsprechend unterstützt wurden. Insofern die staatlichen Leiter, vom Betriebsdirektor bis zum Meister, nicht offensiv darauf reagierten, d. h. sich darum bemühten, die sozialistische Brigadebewegung in ihrem Betrieb selbst zu lenken und unter Kontrolle zu halten, liefen sie Gefahr, eine Schwächung ihrer Machtposition hinnehmen zu müssen. Die durchaus vorhandene Intention der Parteiführung, die Betriebsleitungen damit von unten unter Druck zu setzen, damit sie ihren „Laden“ besser führen und höhere Produktionsergebnisse erwirtschaften sollten, drohte dann zu keineswegs gewollten Verschiebungen in der betrieblichen Hierarchie, zur tendenziellen Aufhebung des Prinzips der Einzelleitung auszuarten. Dies entsprach wiederum keineswegs den Absichten der Spitzen von SED und FDGB, weshalb einer eventuellen Entwicklung in dieser Richtung im Zuge der „Syndikalismus“-Affäre ganz entschieden ein Riegel vorgeschoben wurde, (was in Kapitel 3 ausführlich dargestellt wird). Zu den nichtintendierten Nebenwirkungen der BdsA-Kampagne zählte auch, dass die ohnehin geringe Autorität der betrieblichen Strukturen des FDGB, insbesondere seiner Basisfunktionäre, der Vertrauensleute, durch die Stärkung der Position der Brigadiere (weiter) geschwächt wurde. Darin kann man auch ein weiteres Indiz dafür sehen, dass die in der betrieblichen Praxis nicht selten unklare Kompetenzverteilung zwischen den Parallelstrukturen von (Staats-)Betrieb, SED und FDGB nicht effektiv funktionierte, d. h. einen Konstruktionsfehler im System darstellte, der eher Blockaden als Synergieeffekte beförderte. Theoretisch hätte auch das relative Gewicht der Parteiorganisationen in den Betrieben durch die Aufwertung der Brigaden schwinden können. Dies trat aber überwiegend nicht ein. Im Gegenteil gelang es den BPO vor allem in Großbetrieben gerade aus den sozialistischen Brigaden eine ganze Reihe neuer Mitglieder für die SED zu rekrutieren und ihre Strukturen teilweise bis an die Basis der Betriebe, in Form von Parteigruppen in den einzelnen Brigaden, auszubauen. Diese Entwicklung war 1959/60 keineswegs abgeschlossen und auch nicht einheitlich weit

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vorangeschritten, aber ein deutlicher Schub in dieser Richtung im Zusammenhang der BdsA-Kampagne ist unverkennbar. Die wesentlichste und folgenreichste Neuerung war die Einführung der Komponente des sozialistischen Lebens in die Brigadebewegung. Damit wurden starke nicht-ökonomische Kriterien in den sozialistischen Wettbewerb einbezogen und deren Erfüllung mit Prämien und anderen Leistungen honoriert. Da dies nicht zwingend an bessere Produktionsleistungen geknüpft war, konnte sich hier eine betriebs- und letztlich volkswirtschaftlich bedenkliche Differenz auftun, zwischen den finanziellen Aufwendungen für derartige Stimuli und eventuell nicht im gleichen Maße steigenden Betriebsergebnissen. Zugespitzt gesagt konnte sich dies als ein Kuhhandel erweisen, mit dem das SED-Regime die Loyalität der Beschäftigten erkaufte, ohne die Garantie, dass dieser „Scheck“ auch durch entsprechende ökonomische Ergebnisse gedeckt war. Die langfristigen Folgen dieses Deals dürfen jedoch nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet gesucht werden. Die andere Seite der Medaille ist nämlich, dass auch die Werktätigen einen Preis dafür zahlten: Diverse Anpassungsleistungen, nicht nur im betrieblichen, sondern auch im gesellschaftlichen und privaten Leben. Selbst wenn die Annahme richtig ist, dass die Mehrzahl der Arbeiter und Angestellten viele der in diesem Kontext abgeforderten Loyalitätsbekundungen nur formal und oberflächlich leistete, war damit die individuelle und gesellschaftliche Langzeitwirkung dieses Verhaltens nicht absehbar. Der „neue Mensch“ sollte in erster Linie ein kollektives Wesen sein, das die Interessen der Gesellschaft über seine individuellen stellt. Die sozialistischen Brigaden waren der Ort, an dem dieser „neue Mensch“ geformt werden sollte. Da es hierbei um die Veränderung von Einstellungen, Werten, Mentalitäten ging, sind die Resultate dieses Experimentes nur mit einer langfristigen Perspektive zu erfassen, worauf im Schlusskapitel noch einmal zurückzukommen sein wird. In der Anfangsphase der sozialistischen Brigadebewegung war es jedenfalls (noch) vielfach genau dieser ganz offen mit dem sozialistischen Leben verfolgte Einbruch in die Privatsphäre der Beschäftigten, der die stärksten Vorbehalte und Abwehrreaktionen hervorrief. Doch auch wenn die überwiegende Mehrzahl der Brigademitglieder weder 1959/60 noch später massenweise in die SED drängte, konnten auch kleinere erste Zugeständnisse, im Sinne der politischen Mobilisierung aller Mitglieder der Gesellschaft, der Anfang der (Selbst-)Einbindung in die „sozialistische Menschengemeinschaft“ und der Beginn der Herausbildung einer Jahrzehnte währenden wenigstens „missmutigen Loyalität“ gegenüber „ihrem Arbeiter- und Bauernstaat“ sein.

III. Die „Syndikalismus“-Affäre (1960/61): „Jugoslawische Verhältnisse“ oder „mangelnder Anschein innerbetrieblicher Demokratie“?1

1. Interne Reformdiskussionen und öffentliche Forderungen nach mehr Rechten für die BdsA Nach dem XX. KPdSU-Parteitag 1956 war es im gesamten Ostblock zu mehr oder weniger stark ausgeprägten Reformdiskussionen gekommen, die gegen Ende des Jahrzehnts auch in der DDR zu ersten konkreten Schritten vor allem im Bereich der Wirtschaft führten.2 So wurde 1958 eine Reform der Wirtschaftsverwaltung eingeleitet,3 die – der offiziellen DDR-Geschichtsschreibung zufolge – unter anderem mit dem Bestreben einer „stärkeren Teilnahme der Werktätigen“ am Prozess der Planung und Leitung der Volkswirtschaft verbunden war.4 In diesem Kontext erschienen im Frühjahr 1960 im „Neuen Deutschland“, in der „Tribüne“ und einigen theoretischen Zeitschriften eine Reihe von Artikeln und Aufsätzen, die im Nachhinein als „syndikalistisch“ gebrandmarkt wurden, weil deren Autoren darin Vorschläge zur Ausweitung der Rechte und Kompetenzen der sozialistischen Brigaden unterbreitet hatten. Dem war in Teilen der SED-Führung und des Apparates ein Diskussionsprozess vorausgegangen, als dessen Schlüsselfigur Erich Apel, seit 1958 Leiter der Wirtschaftskommission beim Politbüro der SED, gelten kann. Nachdem auf der 1

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In Anlehnung an den Titel eines Büchleins von Volker Braun: Verheerende Folgen mangelnden Anscheins innerbetrieblicher Demokratie, Leipzig 1988. Die gleichnamige Titelgeschichte ist im Anhang dieser Arbeit zu finden – als ein Beispiel für die literarische Auseinandersetzung mit der Arbeitswelt und den Brigaden in der DDR, jenseits des „Bitterfelder Weges“. Dieses Kapitel beruht zum Teil auf meinem Aufsatz „Jugoslawische Verhältnisse“? (…), den ich für diese Arbeit mit Erkenntnissen aus weiteren Quellen ergänzt und vollständig überarbeitet habe. Dabei handelte es sich um systemimmanente Versuche, die Effizienz der zentralistischen Planwirtschaften zu erhöhen. Für einige Beispiele aus verschiedenen osteuropäischen Staaten siehe: Jörg Roesler, Die Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR, Berlin (O.) 1978, S. 148 f. Vgl. Sigrid Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft. Zum Paradox von Stabilität und Revolution in der DDR 1945–1989, Frankfurt a. M. 1992, S. 123–139. Roesler, Herausbildung, S. 145–150. Rolf Badstübner u. a., Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik, 4. Aufl., Berlin (O.) 1989, S. 189.

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6. ZK-Tagung Mitte September 1959, nicht zuletzt von Ulbricht, erneut euphorische Erwartungen bezüglich der sozialistischen Brigaden geschürt worden waren, leitete die Arbeitsgruppe „Ökonomie der Industrie und Leitungsmethoden“ der von Apel geführten Wirtschaftskommission daraus die Aufgabe ab, einige damit im Zusammenhang stehende Fragen genauer zu untersuchen. Es sollte eine „Einschätzung der Tätigkeit der sozialistischen Brigaden und Gemeinschaften“, insbesondere ihrer Auswirkungen „auf das Leitungssystem des Industriebetriebes“ erarbeitet werden.5 Mitte Januar 1960 lag der entsprechende Bericht vor und wurde von der Wirtschaftskommission auf ihrer Sitzung einen Monat später beraten. Die Arbeitsgruppe selbst hatte sich einen größeren Ostberliner Betrieb, das KWO, näher angesehen und mit ähnlichen Untersuchungen anderer Instanzen, z.B. des FDGB und der Plankommission, abgeglichen. Im Ergebnis schlussfolgerten sie zunächst für die „Theorie der sozialistischen Leitung“, dass die „sozialistischen Arbeitsgemeinschaften und Brigaden (…) nicht nur neue Formen der kameradschaftlichen Zusammenarbeit und gegenseitigen Hilfe bei der Durchführung der Produktion, sondern zugleich politische Machtorgane der Arbeiterklasse“ seien.6 Unter den „Konsequenzen für die praktische Arbeit der Werkleitung“ rangierte an erster Stelle, dass die „Hauptaufgabe jeder Leitung“ darin bestehe, durch Planaufschlüsselung, verbesserte Arbeitsorganisation u.a.m. für die Tätigkeit der Brigaden alle nötigen Vorraussetzungen zu garantieren. Gleich danach folgte die Forderung an die Werkleitungen, „ständig Einfluss darauf [zu] nehmen, dass sozialistische Brigaden (…) in Zusammenarbeit mit den Massenorganisationen planmäßig gebildet werden“ und diesen ebenso „planmäßig Aufgaben“ zu stellen sowie den „Wettbewerb unter ihnen“ zu fördern. Erst im fünften Unterpunkt hieß es: „Um die Beteiligung der Arbeiter an der sozialistischen Leitung des Betriebes auf eine höhere Stufe zu heben, müssen den sozialistischen Brigaden größere Rechte gegeben werden.“ Die „Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Brigaden“ sollte diesem Vorschlag zufolge „zunächst in folgender Richtung geschehen: 1. Festlegung neuer Normen nach Einführung neuer Technik durch die Brigaden selbst – Abt. TAN übt nur noch die Kontrolle aus; 2. Festlegung von Kaderentwicklungs- und -qualifizierungsplänen durch die Brigaden; Kaderabt. führt nur Anleitung und Kontrolle aus; 3. Festlegung erforderli5 6

Arbeitsgruppe Ökonomie der Industrie und Leitungsmethoden, Berlin, 21.10.1959, Auswertung der 6. Tagung des ZK. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/2029/16 (unpag.). Arbeitsgruppe Ökonomie (…), Berlin, 15.1.1960, Bericht über die Untersuchung neuer Probleme, die sich für die Verbesserung der Leitung eines volkseigenen Betriebes aus der Arbeit der sozialistischen Brigaden und Arbeitsgemeinschaften ergeben. SAPMO-BArch, DY 30 J IV 2/2.101/35, Bl. 228ff., hier Bl. 237. Hervorhebung durch den Verfasser, T.R.

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cher Maßnahmen bei Disziplinarverstößen nicht mehr in erster Linie durch den Werkleiter, sondern durch die Brigade (wird im BKW Großzössen erfolgreich praktiziert).“ Dadurch entwickle sich „die Brigade selbst mehr und mehr zur untersten Leitungsstufe“, konstatierte der Bericht. Hauptzweck war offenbar, dass „durch die nach vorn drängenden Forderungen der sozialistischen Brigaden und Arbeitsgemeinschaften (…) für die Werkleitungen ein direkter Zwang zur exakten und kollektiven Arbeit“ entstehen sollte.7 Entscheidungen des Werkleiters und der Betriebsleiter müssten künftig „fundiert sein, durch kollektive Beratung mit Arbeitern, vor allem aus sozialistischen Brigaden und Wirtschaftsfunktionären (…). Jeder Wirtschaftsfunktionär soll Mitglied einer sozialistischen Brigade oder Arbeitsgemeinschaft sein.“ Genaue Festlegungen „über den zeitweiligen körperlichen Einsatz der leitenden Kader in der Produktion (z.B. 14 Tage pro Jahr)“ wurden gefordert. Die außerordentliche Nützlichkeit einer solchen Regelung wurde mit dem Beispiel begründet, dass in einem Leipziger Anlagenbaubetrieb „der Planungsleiter die notwendige Rationalisierung des innerbetrieblichen Transports viel besser [erkannte], nachdem er selbst schwer schleppen musste“. Die Hierarchie weiter hinabgehend, diagnostizierte der Bericht „als schwächstes Glied im Leitungskader der Betriebe (…) die unteren Führungskräfte, vor allem die Meister und Abteilungsleiter“. Die Meister verfügten vielfach über eine „völlig ungenügende Qualifikation“, würden „oft als ‚Mädchen für alles‘ behandelt“ und durch die ebenfalls unzureichend qualifizierten Abteilungsleiter mangelhaft angeleitet. Es sei notwendig, wurde aus dieser Zustandsbeschreibung geschlussfolgert, dass „sich die Partei der Ausbildung und Qualifikation der Meister neuen Typs mit derselben Sorgfalt annimmt, wie z.B. der Ausbildung von Lehrern für die zehnklassige Oberschule“. In Richtung des FDGB wurde verlangt, man solle im sozialistischen Wettbewerb „von allgemeinen Bedingungen abkommen und Wettbewerbsaufrufe anderer Betriebe nicht schematisch übernehmen“8 – wie das in der BdsA-Kampagne gerade wieder prototypisch praktiziert worden war. Abschließend wurden auch noch SPK und VVB kritisiert, weil sie „in viel zu geringem Maße (…) mit den [betrieblichen] Wirtschaftsfunktionären Auseinandersetzungen über Wesen, Prinzipien und Methoden der sozialistischen Leitung“ führen würden.9 Die zitierten Auszüge dieses Arbeitspapiers verdeutlichen, dass die vorgeschlagenen größeren Rechte für die sozialistischen Brigaden keineswegs auf eine Aufhebung oder Umkehrung der betrieblichen Hierarchie hinausliefen. Die Arbeits7 8 9

Hervorhebung im Original. Dito. Ebd., Bl. 247.

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kollektive sollten lediglich stärker eingebunden werden, dadurch dass sie nicht länger reine Befehlsempfänger blieben, sondern einen Teil der Verantwortung selber tragen und sich stärker einbringen konnten. Gleichzeitig wurden, bezogen auf die Wirtschaftsfunktionäre in den Betrieben, diverse Maßnahmen zu deren Qualifizierung und einer insgesamt effizienteren Leitungstätigkeit angemahnt, da dies als unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg aller Anstrengungen auch der Produktionsarbeiter in den Brigaden angesehen wurde. Sehr interessant und aufschlussreich verlief die Diskussion dieser Vorschläge in der Wirtschaftskommissionssitzung am 19.2.1960 – nicht zuletzt, weil die unterschwelligen Rivalitäten zwischen verschiedenen Personen und Institutionen des Machtapparates, die in diesem Gremium vertreten waren, dabei zum Vorschein kamen und die eigentliche Sachdiskussion teilweise überlagerten. Ganz in diesem Sinne warf Otto Lehmann, Vertreter des FDGB-Bundesvorstandes in dieser Runde, als erster seinen Hut in den Ring. Er sei „eigentlich etwas gerührt, dass man mit der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit jetzt glaubt, alles zu machen, auch einen Betrieb zu leiten“. Mit dieser Bemerkung ignorierte er, vermutlich bewusst, die Komplexität des Diskussionspapiers, denn im Grunde ging es ihm um etwas anderes: Er war nämlich „überrascht, dass die (…) Ständigen Produktionsberatungen als die Kernfrage der Ausübung der Macht in den Betrieben durch die Arbeiter in der materiellen Produktion (…) überhaupt keine Rolle mehr spielen. Das ist doch eine vollkommene Verschiebung der Aufgaben, eine Desorientierung.“10 Der Gewerkschaftsspitze schwante wohl inzwischen, dass sie mit ihrer Inszenierung der sozialistischen Brigadebewegung eine Institution, die nicht unmittelbar in die Organisationsstruktur des FDGB eingebunden war, gepuscht und damit gleichzeitig die ohnehin marginale Position des Homunkulus „Ständige Produktionsberatung“, formal ausdrücklich eine gewerkschaftliche Institution, untergraben hatte. Das eigentliche Problem lag freilich tiefer und wurde von einem anderen Diskussionsteilnehmer auf den Punkt gebracht: Es herrsche eine gewisse „Unübersichtlichkeit (…), wer denn diese Gemeinschaften und Brigaden sowohl politisch führen als auch in der ökonomischen Aufgabenstellung anleiten“ solle. Viele wären der Ansicht, „das muss die Gewerkschaft sein oder die Partei“, tatsächlich aber könnten „das nur die Werkleitungskollektive“ leisten, obwohl diese das häufig gar nicht als ihre Aufgabe ansehen würden, „weil es zunächst als massenpolitische Arbeit erscheint“.11

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Protokoll der Sitzung der Wirtschaftskommission des Politbüros am 19.2.1960. SAPMOBArch, DY 30 J IV 2/2.101/15, Bl. 1ff. Diese Diskussion auf Bl. 124ff., hier Bl. 127. Ebd., Bl. 130. Ein „Genosse Weidemann“ hatte lt. Protokoll diesen Gedanken vorgetragen; vermutlich Bodo Weidemann, 1954 bis 1958 Abteilungsleiter im Ministerium für

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Eine ähnliche Äußerung kam von Wolfgang Berger, der als Ulbrichts Büroleiter ständiger Gast bei den Kommissionssitzungen war. Die „Verantwortung der Partei- und Wirtschaftsfunktionäre“ würde „völlig durcheinander“ geschmissen. (Den FDGB vergaß er dabei bezeichnenderweise ganz und gar.) Diese als „unmittelbar verflochten“ darzustellen, widerspräche „jeder Logik und auch der Anschauung der Partei von der Verantwortung der Staats- und Wirtschaftsfunktionäre“.12 So richtig sie im Kern sein mochte, stand diese Auffassung allerdings in einem eklatanten Widerspruch zur Praxis der SED. Dennoch wiesen die Einlassungen dieser beiden Diskussionsteilnehmer – zu Ende gedacht – auf das Kernproblem des DDR-Sozialismus: Die dysfunktionale Konstruktion des gesamten Systems, mit einer teils widersprüchlichen, teils unklaren Kompetenzzuweisung an Partei, staatliche Instanzen und FDGB, durchgehend von ganz oben bis hinunter in die einzelnen Betriebe, wobei die SED(-Führung) per definitionem stets das letzte Wort hatte. Diese Konstruktion mochten die kommunistischen Machthaber zwar als unerlässlich für die „Durchherrschung“ aller Bereiche von Staat und Gesellschaft ansehen. Dem effektiven Funktionieren und der dynamischen Entwicklung der verschiedenen Subsysteme, nicht zuletzt der Wirtschaft, war sie alles andere als zuträglich. Berger führte weiter aus, das „eigentliche Problem“ bestehe darin, „die Wissenschaft davon zu entwickeln, wie ein Wirtschafts- oder Staatsfunktionär auf neue soz. Weise zu leiten hat“. In der Tat fehlte der SED auch mehr als 10 Jahre nach Gründung ihres Staates ein tragfähiges wirtschaftspolitisches Konzept, sowohl auf volkswirtschaftlicher als auch auf betrieblicher Ebene. Dieses indirekte Eingeständnis mag Apel wiederum zu dem Vorstoß verleitet haben, dass „wir als Wirtschaftskommission den Mut (…) haben müssen, einige unserer Wirtschaftswissenschaftler wieder herauszuholen (…). Die augenblickliche Situation, die es bei ihnen seit dieser Sache mit Behrens gibt, müssen wir verändern.“13 Sie wurden nicht wieder herausgeholt,14 aber Apel hatte mit seiner Bemerkung vermutlich auch den letzten „schlafenden Hund“ unter den Dogmatikern in der Runde geweckt. Die Letztgenannten hielten sich diesmal allerdings mehrheitlich noch bedeckt. Zum Vorboten der „Syndikalismus“-Kritik avancierte in dieser Sitzung der Wirtschaftskommission Günter Wyschofsky, Leiter der ZK-Abteilung Grundstoffin-

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Maschinenbau, zu diesem Zeitpunkt stellv. Generaldirektor der VVB Elektrogeräte und noch nicht einmal 30 Jahre alt. Ebd., Bl. 138. Ebd., Bl. 154. Neben Fritz (eigentlich Friedrich) Behrens war auch noch Arne Benary gemeint, die beide Ende der 1950er Jahre aufgrund von Revisionismus-Vorwürfen gemaßregelt worden waren. DDR-Handbuch: Revisionismus. Enzyklopädie der DDR, S. 5505.

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dustrie: „Wenn wir (…) die Übertragung der Rechte auf die Brigaden als unterste Leitungsstufe andeuten, ohne dabei die Seite des Zentralismus zu sehen“, würde man bald „an der Grenze stehen, wo es zur Selbstverwaltung geht. Die Brigaden und Gemeinschaften werden gelenkt und lenken sich nicht selbst.“ – lautete seine kategorische Forderung. Er „empfehle nur, dass wir den demokratischen Zentralismus stärker beachten, wenn wir den Demokratismus in dieser Form behandeln“.15 Der junge Mann, gerade 30 Jahre alt, hatte in der Parteischule gut aufgepasst. Da konnte ihm Hermann Grosse, Abteilungsleiter bei der SPK nur beipflichten, denn die Plankommission hätte kürzlich bei einer Überprüfung in 700 Betrieben festgestellt, dass die „Grundsätze des demokratischen Zentralismus häufig sträflichst vernachlässigt“ würden. Er „konkretisierte“ dies mit dem Hinweis darauf, dass „zur Leitung der Betriebe (…) auch solche einfachen Grundsätze wie Ordnung, Disziplin“ gehörten.16 – „Und die Qualität des Leiters! Sonst kannst du den ganzen demokratischen Zentralismus wegwerfen.“ – ergänzte der Kommissionsvorsitzende Apel etwas lax. Mit dem Hinweis, man würde ein neues Dokument zu diesem Thema ausarbeiten lassen und dann wieder zusammenkommen, schloss er die Diskussion.17 Dass er die (noch) wenigen, eher ‚leichtgewichtigen‘ Kritiker nicht sonderlich ernst nahm, demonstrierte Apel, indem er zwei Wochen später im „ND“, Kernpunkte des o.g. Diskussionspapiers nahezu wörtlich aufgreifend, forderte: „Um die Beteiligung der Werktätigen an der sozialistischen Leitung des Betriebes auf eine höhere Stufe zu heben, sollten den fortgeschrittenen sozialistischen Brigaden größere Rechte gegeben werden.“ Dazu zählte er unter anderem die Normfestlegung sowie bestimmte disziplinarische Befugnisse, die in die Regie der Brigaden übergehen könnten. Abschließend betonte er, dass aus derartigen Entwicklungen in der Praxis „notwendigerweise Konsequenzen auch für die Theorie von der sozialistischen Leitung“ gezogen werden müssten.18 In diesem Sinne veröffentlichte Ende April auch Rudi Rubbel, Sekretär des Neuereraktivs des FDGB-Bundesvorstandes, in der „Tribüne“ einen Artikel mit dem programmatischen Titel: „Den Brigaden größere Rechte“. Dieser verwies auf das Beispiel von Brigaden aus dem Potsdam-Babelsberger Karl-Marx-Werk, die künftig eigene Disziplinarbefugnisse anwenden und ihre Urlaubspläne selber aufstellen würden. Das Mehr an Rechten sollte nach Rubbel außerdem die selbständige Realisierung und Prämierung von Verbesserungsvorschlägen, den Zugriff 15 16 17 18

Protokoll der Sitzung der Wirtschaftskommission des Politbüros am 19.2.1960. SAPMOBArch, DY 30 J IV 2/2.101/15, Bl. 144. Ebd., Bl. 148. Ebd., Bl. 158. „Was heißt sozialistisch arbeiten und leben?“, in: Neues Deutschland vom 2.3.1960, S. 3.

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auf Rationalisierungskredite und die eigenständige Erarbeitung von Materialverbrauchsnormen durch die Brigaden umfassen.19 Beauftragt von der Abteilung Wissenschaft des ZK der SED waren mittlerweile auch Philosophen, Juristen und Ökonomen der Leipziger Karl-Marx-Universität im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojektes mit der „Weiterentwicklung sozialistischer Brigaden zu untersten Leitungseinheiten des sozialistischen Betriebes“ befasst.20 Der Arbeitsrechtler Roland Schmutzler stellte in einem Aufsatz, gestützt auf Beispiele aus drei verschiedenen Betrieben, erste Teilergebnisse daraus vor, wobei Überlegungen zur rechtlichen Aufwertung der Brigaden einen wichtigen Platz einnahmen. Zusätzlich zu den bereits von Rubbel genannten Punkten wurde darin Folgendes vorgeschlagen: Die Brigaden sollten in Personalfragen (Einstellung, Kündigung) mitentscheiden, „Kaderentwicklungspläne“ für ihre Mitglieder selber festlegen, die Normenbemessung weitgehend selbständig vornehmen, in ihrem unmittelbaren Bereich die autonome Disziplinargewalt ausüben, über die Verteilung leistungsabhängiger Prämien und Auszeichnungen im Wesentlichen selbst bestimmen, die von Seiten der Werkleitung oftmals unbefriedigend erfolgende Planaufschlüsselung eigenverantwortlich vornehmen sowie von ihnen aufgedeckte Verlustzeiten entweder selber beseitigen oder die Beseitigung von den verantwortlichen Leitern fordern können.21 Deutlich wird, dass in 19

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Tribüne vom 27.4.1960, S. 3. Diese Veröffentlichung stand in unmittelbarem Zusammenhang zu der am nächsten Tag in Leipzig stattfindenden Diskussion des Entwurfs der novellierten Neuererverordnung, die gemeinsam von der Redaktion der „Tribüne“, des Neuereraktivs des FDGB-Bundesvorstandes und des Amtes für Erfindungs- und Patentwesen der DDR organisiert wurde. Rubbel hatte übrigens Anfang der 1950er Jahre als Abteilungsleiter im Transformatoren- und Röntgenwerk Dresden gemeinsam mit einem Kollegen einen „Plan der Rationalisatoren und Erfinder“ erarbeitet und damit den Anstoß zur Neuererbewegung in der DDR-Industrie gegeben, wofür beide mit dem Nationalpreis ausgezeichnet wurden. Ab 1953 war Rubbel im FDGB-BuV in verschiedenen Funktionen tätig. ZK der SED, Abt. Gew., Bericht über die Arbeitsberatung mit Genossen Arbeitsrechtlern am 20.6.1960, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/25 (unpag.). Dass sowohl die Initiative hierfür von einer ZK-Abteilung ausgegangen war als auch der Anstoß für die Zurücknahme, ja Bekämpfung dieser Entwicklung im Rahmen der „Syndikalismus“-Kampagne kurze Zeit später ebenfalls aus dem ZK-Apparat kam, ist ein Indikator dafür, dass es zu diesem Zeitpunkt bis in die SED-Machtzentrale hinein zum Teil erheblich auseinandergehende Auffassungen über die weitere wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung der DDR gegeben haben muss; freilich ohne dass dabei das System grundsätzlich in Frage gestellt worden wäre. Roland Schmutzler, Einige Probleme der Erhöhung der Eigenverantwortlichkeit der Brigaden der sozialistischen Arbeit und ihre weitere rechtliche Ausgestaltung, in: Arbeitsrecht 5 (1960), S. 133–140.

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diesem Katalog gar nicht so sehr tarifliche Interessen der Arbeiter im Vordergrund stehen, sondern mit seiner Umsetzung vor allem die Eigenverantwortlichkeit und Entscheidungskompetenz der Brigaden innerhalb der betrieblichen Hierarchie ausgebaut worden wäre, was wohl zu einer erhöhten Leistungsbereitschaft und -fähigkeit führen sollte; eine Zielvorstellung, deren Verwirklichung dem so sehr erstrebten Aufschwung der DDR-Volkswirtschaft gedient hätte.

2. „Wenn das so durchgeführt wird, können wir die sozialistische Leitung liquidieren.“ – Die Betonköpfe schlagen zu Dieses grundsätzliche Motiv war auch der Antrieb Erich Apels und seiner Mitarbeiter in der Wirtschaftskommission gewesen, sich mit den sozialistischen Brigaden im Kontext der betrieblichen Leitungsstrukturen eingehender zu befassen, daraus Vorschläge abzuleiten und auch andere zum Nachdenken über diesen Problemkomplex anzuregen. Ein entsprechender Auftrag war offenbar u. a. an die VVB Stahl- und Walzwerke ergangen,22 deren Vertreter in der Wirtschaftskommissionssitzung Ende April 1960 über die Ergebnisse einer Konferenz ihres Industriezweiges23 zu diesem Thema vortrugen.24 Eingangs hob der VVB-Hauptdirektor Menzel hervor, dass es 22

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In den Akten von Apels Büro befindet sich ein Arbeitsplan von Mitte Januar, aus dem dies eindeutig hervorgeht. Darin ist im Übrigen auch von einer entsprechenden „Aufgabenstellung an wirtschaftswissenschaftliche Institute“ die Rede. Während der Termin für die VVB auf Mitte April festgesetzt war, hatten die Institute bis Mitte Juni Zeit. Deren Ergebnisse dürften also weitgehend in der Schublade stecken geblieben sein. Es ist gut möglich, dass zu den beauftragten Instituten auch die o. g. Projektgruppe an der Leipziger KMU gehörte, denn der im Arbeitsplan als verantwortlich benannte Genosse (Siegfried) Böhm hatte von 1954 bis 1959 eben dort studiert bzw. gearbeitet, bevor er als Mitarbeiter und Arbeitsgruppenleiter zu Apel nach Berlin kam. Arbeitsgruppe (der Wirtschaftskommission beim PB der SED) Ökonomie der Industriezweige und Leitungsmethoden, Berlin, 14.1.1960, Arbeitsplan für das 1. Halbjahr 1960. DY 30 IV 2/2029/16 (unpag.). Einem Papier der ZK-Abteilung GS zu Folge hatte diese Konferenz am 30.3.60 im VEB Stahl- und Walzwerk „Wilhelm Florin“ Hennigsdorf stattgefunden. Dort seien auch „Forderungen auf Erweiterung der Rechte der Brigaden der soz. Arbeit in einem 12Punkte-Programm vorgetragen“ worden. Abt. GS, Berlin, 18.5.1960, Zu einigen Fragen der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/52, Bl. 223ff. Protokoll der Sitzung der Wirtschaftskommission des Politbüros am 28./29.4.1960. SAPMO-BArch, DY 30 J IV 2/2.101/16, Bl. 1ff. (Die Diskussion dazu auf Bl. 19 ff.) Daher auch im Folgenden. Auf den Inhalt der – dem Sitzungsprotokoll in den Akten nicht beiliegenden – Berichtsvorlage kann nur indirekt, aus den Diskussionsbeiträgen, geschlossen werden.

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sich bei den im Bericht formulierten Rechten, die man den sozialistischen Brigaden übertragen sollte, „natürlich zunächst einmal“ um Vorschläge handele, die „es zu prüfen“ gälte. In den damit befassten Arbeitsgruppen der VVB gehe man davon aus, dass es bei der Übertragung solcher Rechte „sicherlich (…) zu einer graduellen Abstufung“ kommen werde, weil bei weitem nicht alle im Wettbewerb um den BdsA-Titel stehenden Brigaden die Voraussetzungen für einen solchen Schritt erfüllten. Man sei dabei, behutsam und gezielt an diesen Fragen weiterzuarbeiten. Beispielsweise beabsichtige man im kommenden Monat zu beraten, „wie wir innerhalb der VVB systematisch, konsequent und planmäßig die sozialistischen Brigaden und Arbeitsgemeinschaften in die Leitung des Industriezweiges mit einbeziehen“ können.25 Vor Eintritt in die eigentliche Diskussion drängte es noch den Leiter der ZKAbteilung Maschinenbau/Metallurgie mitzuteilen, dass er und seine Mitarbeiter „nach einer Konzeption unserer Abteilung die Genossen in der VVB angeleitet und ihnen die Aufgaben und den Inhalt der Konferenz insbesondere erläutert“ hätten.26 Die Genossen aus der Parteizentrale hätten nämlich erst durch eine Auseinandersetzung in der Parteileitung der VVB, „Klarheit (…) über die Bedeutung und die Gesetzmäßigkeit der Entwicklung der sozialistischen Brigaden“ schaffen müssen.27 Weitschweifig legte er dar, wie vor allem er und seine Abteilung den großen Erfolg der Konferenz organisiert und dabei immer wieder die unzureichenden, ungenügenden Analysen, Konzeptionen, Vorschläge etc. der leitenden VVB-Mitarbeiter korrigiert hatten.28 Wie verwirrt muss der arme Mann durch 25

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Das deutete ziemlich genau in jene Richtung, die im o. g. Diskussionspapier von Apels Mitarbeitern und in mehreren Äußerungen von ihm selbst eingeschlagen worden war, weshalb eine relativ enge Abstimmung zwischen ihnen und der VVB Stahl- und Walzwerke unterstellt werden kann. Ebd., Bl. 22f. Im oben zitierten Arbeitsplan der Wirtschaftskommissions-Arbeitsgruppe ist bezüglich der VVB-Studie auch von einer „Zusammenarbeit mit der Abteilung Maschinenbau und Metallurgie des ZK“ die Rede. Berlin, 14.1.1960, Arbeitsplan für das 1. Halbjahr 1960. DY 30 IV 2/2029/16 (unpag.). Mit anderen Worten: Der ZK-Abteilungsleiter, Genosse Lindner, musste einen weiteren Beleg dafür liefern, dass sich ohne die in der Machtzentrale versammelte „unendliche Weisheit“, nicht zuletzt der von ihm geleiteten Abteilung, in der DDR wohl kaum ein Rad gedreht und niemand so recht gewusst hätte, wie er seine Arbeit meistern sollte. Auszugsweise liest sich das so: „Daher möchte ich betonen, dass es die wichtigste und erste Schlussfolgerung ist, dass wir erst in den VVB bei jedem einzelnen Mitarbeiter Klarheit schaffen müssen – das muss an erster Stelle stehen – über die politisch-ideologische Bedeutung der Brigaden der sozialistischen Arbeit (…). Damit muss garantiert und gesichert werden, dass der Hauptinhalt der Leitungstätigkeit der VVB, nicht nur ihrer leitenden Organe, sondern bei jedem Mitarbeiter der gesamten VVB darin bestehen muss, die Arbeit mit den sozialistischen Brigaden und Kollektiven in der Kontrolle und Anleitung

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den wohl nicht nur für ihn überraschenden Verlauf der nachfolgenden Diskussion gewesen sein? Im Gegensatz zur oben zitierten vorausgegangenen Sitzung ging es diesmal direkt zur Sache, denn gleich der nächste Redner fiel mit der Tür ins Haus: Die vorliegende Einschätzung der Industriezweigkonferenz der VVB Stahl- und Walzwerke durch die ZK-Abteilung sei „prinzipiell und politisch falsch“, griff Hermann Grosse von der SPK den Vorredner frontal an.29 Interessanterweise ging er dabei nicht auf die differenzierteren, eher vorsichtig-abwägenden Vorschläge des VVB-Hauptdirektors, sondern auf die durch wenig Sachkenntnis und viel ideologische Plattheit geprägten Ausführungen des ZK-Abteilungsleiters ein. Er pickte sich die Vorschläge zur Abschaffung der Stempelkarten und zur „Selbstnormung“ durch die sozialistischen Brigaden heraus, um anhand dieser Beispiele seine grundsätzliche Ablehnung der Idee, den Brigaden größere Rechte einzuräumen, zu begründen. Etwas moderater äußerte sich Gerhard Schürer, bevor Günter Mittag, seinerzeit Sekretär der Wirtschaftskommission, sozusagen zum Kahlschlag ausholte: Was die sozialistischen Brigaden beträfe, werde „reglementiert wie es schlechter nicht geht, sowohl im Bericht der Abteilung als auch im Bericht der Genossen der VVB. Wenn das so durchgeführt wird, können wir die sozialistische Leitung liquidieren.“30 Einzelne Punkte gezielt aus dem Zusammenhang reißend und polemisch zuspitzend, verdrehte er die Gesamtaussage der Vorschläge solange, bis er den gewünschten Popanz aufgerichtet hatte: „Das alles soll also ohne die Leitung geschehen. Wir brauchen also keine Leitung mehr, und wir schaffen in der Industrie die reine Anarchie.“ Dies sei, ließ Mittag keinen Zweifel, ein „Weg, (…) gegen den man in aller Offenheit und Öffentlichkeit Stellung nehmen“ müsse, „um in der ganzen Partei Klarheit zu schaffen. Sonst verrennen wir uns in eine Richtung, die niemand verantworten kann“, schloss er dunkel raunend. Mit diesem Statement waren die Fronten in dieser Runde geklärt und die Würfel in dieser Frage gefallen: Mittag hatte erfolgreich die Strippen gegen seinen Kommissionsvorsitzenden gezogen. Im engeren Sinn war damit auf dieser Sitzung die „Syndikalismus“-Affäre losgetreten worden, wenngleich es Ulbricht persönlich war, der ihr wenige Wochen später zu diesem einprägsamen Namen verhalf.31

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auch unten in den Betrieben ständig zu leisten.“ In mehr oder weniger gelungenen Variationen wiederholte er diesen Unfug einige Male. Protokoll der Sitzung der Wirtschaftskommission des Politbüros am 28./29.4.1960. SAPMO-BArch, DY 30 J IV 2/2.101/16, Bl. 27f. Ebd., Bl. 29f. Hervorhebung – auch im Folgenden – vom Verfasser, T. R. Allem Anschein nach wurden in dieser Debatte sachliche Argumente und persönliche Rivalitäten miteinander vermischt. Ob Mittag und Co. tatsächlich meinten, was sie in der

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Erich Apel sah aber offenbar keine andere Möglichkeit, als in weitem Bogen zurückzurudern. Er muss sich stark bedrängt gefühlt haben, denn er versuchte kaum, die maßgeblich von ihm selbst angeregten Ideen und Vorschläge zu verteidigen. Scheinbar kannte Apel keine Skrupel, sich von den „Genossen der VVB“ zu distanzieren, welche „die Forderungen des 6. Plenums noch nicht begriffen“ hätten.32 Apel erwies sich sogar als ausgesprochen flexibel, denn mit erstaunlicher Leichtigkeit wechselte er sofort die Fronten, heulte mit den Wölfen, wohl aus Angst, andernfalls selber von ihnen „gefressen“ zu werden. Da hatte soeben keine Phantomdiskussion stattgefunden, nein, er pflichtete Mittag bei, der habe „vollkommen recht“ mit seiner Warnung vor der angeblich drohenden „Anarchie in den Betrieben“. Auch den Gewerkschaften und der beteiligten ZK-Abteilung warf er diverse Unzulänglichkeiten und Versagen vor, sie wollten den Brigaden „grünes Licht auf allen Ecken und Kanten“ geben. „Ihr demoliert dann das Hauptprinzip, den demokratischen Zentralismus, Ihr macht es, wie Ihr wollt. Das ist unmöglich.“ Er konnte sich noch an seine eigene Aussage erinnern: „Wir haben selbst gesagt, dass man den sozialistischen Brigaden mehr Rechte“ einräumen sollte – allerdings nicht ohne Kontrolle der jeweils verantwortlichen Vorgesetzten.33 „Und wenn zu diesem komplizierten Problem jemand einmal eine falsche Meinung hat, kann man dem nicht gleich den Kopf herunterschlagen. Der Genosse gibt sich auch Mühe, will auch vorwärts. Das muss man alles klug führen, politisch, ideologisch vernünftig klarstellen und den Genossen helfen (…) – helfen, sie ins richtige Gleis zu bringen“, schloss Apel versöhnlich-milde die Diskussion, in der er seine eigene Position binnen kurzem um 180 Grad gedreht hatte.

3. Potsdamer Illusionen: Die BdsA als Motor für ein sozialistisches Reformprogramm Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass just am selben Tag (28.4.1960), als in Ostberlin jener Führungszirkel die kaum begonnene Debatte um eine Ausweitung der Rechte sozialistischer Brigaden abrupt abbrach und faktisch als systemgefährdend einstufte, nur ein paar Dutzend Kilometer entfernt, auf einer Neuererkonfe-

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Sache zu Protokoll gaben oder lediglich einen Aufhänger brauchten, um vor allem Apel am Zeug zu flicken, bleibt Spekulation. Ebd., Bl. 33ff. Ebd.

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renz des Bezirkes Potsdam, SED- und FDGB-Funktionäre gemeinsam mit Arbeitern und Wirtschaftsfunktionären die Euphorie noch weitertrieben.34 Sehr wahrscheinlich war auch diese Tagung eine Folge der Versuche Apels, eine breite und fundierte Diskussion dieses Themenkomplexes anzustoßen.35 Die Abteilung Wirtschaftspolitik der SED-Bezirksleitung sollte bis Anfang April „in einigen Betrieben die Probleme der Rolle des Meisters“ überprüfen und dabei besonders seinen „Einfluss auf die Entwicklung der sozialistischen Brigaden“ herausarbeiten. Dieselbe Abteilung wurde außerdem beauftragt, bis Mitte April „gemeinsam mit den Genossen des Wirtschaftsrates“ umfassend die Stellung der sozialistischen Brigaden in den Betrieben zu untersuchen und daraus Vorschläge „über die Erweiterung der Rechte und Pflichten“ dieser Arbeitskollektive zu unterbreiten.36 Auf der Potsdamer Bezirks-Neuererkonferenz wurde nun im Ergebnis v. a. der letztgenannten Untersuchung eine „Entschließung über die neuen Aufgaben der sozialistischen Brigaden und Arbeitsgemeinschaften und Neuerer der Produktion“ verabschiedet. In dieser Entschließung wurden sämtliche in verschiedenen Betrie34

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Die vom FDGB-BV als verantwortlichem Organisator dieser Veranstaltung ausgearbeitete Vorlage für die Bürositzung der SED-BL Potsdam datiert vom 19.4.1960. Teilnehmen sollten 500 Leute, davon ca. 350 Arbeiter, Ingenieure und Wirtschaftsfunktionäre aus den Betrieben. Eröffnung und Referat waren Part des FDGB-BV während der 1. Sekretär der SED-BL das Schlusswort hielt. BLHA, Rep. 530/205, Bl. 254ff. So wird im Protokoll der Sitzung des Büros der SED-Bezirksleitung Potsdam vom 12. Februar 1960 unter Tagesordnungspunkt zwo die Auswertung der Beratung mit den 1. Sekretären der SED-Bezirksleitungen im Zentralkomitee aufgeführt. Hierzu ist vermerkt, es sei informiert worden, über „Erfahrungen des Gen. Apel“, die jener offenbar auf der genannten Beratung den versammelten Bezirksparteichefs kundgetan hatte. Schließlich enthält das Protokoll Festlegungen, die nur aus eben diesen „Erfahrungen des Gen. Apel“ abgeleitet worden sein können, denn sie entsprechen den inhaltlichen Schwerpunkten des oben ausführlich erörterten Schlüsseldokumentes einer Arbeitsgruppe der Wirtschaftskommission. BLHA, Rep. 530/200, Bl. 22f. Am 3.3.1960 erstellte die wirtschaftspolitische Abteilung der SED-BL einen „Plan zur Erarbeitung der Bürovorlage über die Erhöhung der Rechte und Pflichten der soz. Brigaden und Gemeinschaften“, in dem u. a. die Bildung einer sechsköpfigen Arbeitsgruppe zur Bewältigung dieser Aufgabe vermerkt ist. Dazu gehörten – neben 2 Vertretern der Abteilung – ein Genosse vom FDGB-BV, einer vom Rat des Bezirkes und zwei von der Akademie für Staat und Recht. Darin ist weiterhin vermerkt, dass die Mitglieder der AG „in einigen der wichtigsten Betriebe“ des Bezirkes entsprechende Studien anstellen sollten – u. a. im GRW Teltow und Kunstseidenwerk Premnitz. BLHA, Rep. 530/1212 (unpag.). Auftragsgemäß erstellte die Wirtschaftsabteilung der SED-BL Potsdam mit Datum 20.4.1960 eine „Bürovorlage: Vorschlag über die Aufgaben der sozialistischen Brigaden, Gemeinschaften und Neuerer der Produktion“, in der u. a. alle Punkte der nachfolgend zitierten „Entschließung“ enthalten sind. BLHA, Rep. 530/205, Bl. 233ff.

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ben bereits vereinzelt praktizierten Kompetenzerweiterungen der Brigaden zusammengefasst, präzisiert und erweitert zum Programm erhoben. „Auf der Grundlage der Hinweise des Genossen Erich Apel37 (…) sowie der Erfahrungen verschiedener Betriebe“ wurde darin empfohlen, den besten Brigaden unter anderem folgende Rechte zu übertragen:38 „Das Recht, sich selbst ihren Plan zu erarbeiten […]; das Recht der Selbstnormung bei technologischen Veränderungen; das Recht der Erziehung und Selbsterziehung, Übertragung der Rechte der Arbeitsordnung vom Werkleiter auf die Brigade bis zum Aussprechen einer Verwarnung; das Recht, die Mittel für die kurzfristigen Barleistungen der Sozialversicherungen selbst zu verwalten […]; das Recht der Mitsprache bei der Verwendung der Mittel des Siebenjahrplanfonds; das Recht, den Jahresurlaubsplan selbst zu erarbeiten; das Recht, bei Einstellungen, Versetzungen, Entlassungen innerhalb der Brigade mitzuentscheiden; […] das Recht die Prämienbedingungen selbst festzulegen und Prämien nach dem Leistungsprinzip zu verteilen; […] das Recht, die Lohnzahlung des Vertrauens einzuführen.“ Damit nicht genug, wurde außerdem auf die „schnelle Durchsetzung folgender Prinzipien“ gedrungen: „die Teilnahme von Vertretern der Brigaden […] an den Werkleitersitzungen bei der Behandlung von Grundsatzfragen […]; die Beratung der Direktoren, Bereichs- und Abteilungsleiter und Meister sowie Leitungen der Partei- und Massenorganisationen mit den sozialistischen Brigaden … vor allen wichtigen Entscheidungen; […] der Werkdirektor und die Bereichs- und Abteilungsleiter haben […] zu garantieren, dass sich die Initiative der sozialistischen Kollektive ungehindert entfalten und auf die Schwerpunkte der Planerfüllung konzentrieren kann; der Meister muss zum Hauptinhalt seiner Arbeit die Förde37

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Der ausdrückliche Bezug auf Apel kommt nicht von ungefähr, denn dieser hatte nicht nur den o. g. ND-Artikel veröffentlicht, sondern war in dieser Sache auch persönlich in Potsdam gewesen. Das geht zumindest aus der Bemerkung eines Diskussionsteilnehmers auf der SED-Bezirksdelegiertenkonferenz im März d. J. hervor. Der Parteigruppenorganisator der Brigade „Wilhelm Pieck“ aus dem Karl-Marx-Werk Babelsberg, einem jener wenigen Betriebe, die in den Quellen immer wieder als Beispiel für die Ausweitung der Brigadekompetenzen auftauchen, berichtete nämlich, dass „Gen. Apel an unserer Arbeiteraussprache teilnahm und half die Schwierigkeiten zu überbrücken“. Sehr wahrscheinlich haben an dieser „Arbeiteraussprache“ auch Genossen der SED-BL teilgenommen und nicht weniger wahrscheinlich ist es, dass Apel bei dieser Gelegenheit auch die Ideen des o. g. Diskussionspapiers seiner Mitarbeiter zur Sprache brachte. BLHA, Rep. 530/12, Bl. 178f. SED-BL und FDGB-BV Potsdam, Entschließung über die neuen Aufgaben der sozialistischen Brigaden und Arbeitsgemeinschaften und Neuerer der Produktion. Entwurf (beschlossen auf der Bezirks-Neuererkonferenz am 28.4.1960), SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/52, Bl. 254–259. Daher auch im Folgenden.

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rung der Arbeit der sozialistischen Brigaden […] machen […].“ Zuzüglich weiterer Vorschläge, die allesamt eine Effizienzsteigerung der Betriebe der volkseigenen Industrie bewirken sollten, zielte das gesamte Papier darauf ab, die ehrgeizigen Vorhaben des laufenden Siebenjahrplans doch noch zu erfüllen. Die dazu vorgeschlagenen Mittel und Wege weisen allerdings eine durchaus reformsozialistisch zu nennende Tendenz mit zaghaften Ansätzen zu einer Selbst-, wenigstens aber Mitverwaltung der Betriebe durch die Arbeiter auf. Nicht zufällig wird in dem Dokument ausdrücklich betont, dass die derart aufgewerteten sozialistischen Brigaden „höhere Formen der Verwirklichung der sozialistischen Demokratie in unserem Arbeiter-und-Bauern-Staat“ verkörpern würden. Es war also keineswegs allein die oben erwähnte von höchster Stelle betriebene recht pauschale ideologische Aufwertung und Hervorhebung der sozialistischen Brigaden, die dazu führte, dass diese praktisch auf allen Ebenen im Partei-, Gewerkschafts- und Staatsapparat ungewöhnlich große Unterstützung fanden. Vielmehr führten die aufgezeigten diversen, inhaltlich konkreten Bemühungen Apels zu einer recht weiten Verbreitung entsprechender Untersuchungen und Vorschläge. Somit ist auch erklärlich, dass Fred Klinger bei seinen Recherchen auf ganze Bezirke (Potsdam, Dresden, Berlin) sowie Industriezweige (VVB Elektrochemie und Plaste, VVB Stahl- und Walzwerke) gestoßen ist, in denen solche – wenig später als „syndikalistisch“ verfemte – „Erscheinungen“ auftraten.39 Obschon der Nachweis nicht gänzlich lückenlos erbracht ist, dass diese aufgefundenen Beispiele ausnahmslos alle in ihrem Ursprung bis in die Umgebung Apels zurückzuverfolgen sind, scheint dies doch sehr wahrscheinlich.

4. Ulbrichts „Syndikalismus“-Verdikt Ganz und gar eindeutig geklärt ist nunmehr, wieso es im Mai zum plötzlichen Abbruch all dieser inzwischen recht breit gestreuten Bemühungen kam. Da Otto Lehmann laut Protokoll an jener entscheidenden Sitzung der Wirtschaftskommission Ende April nicht teilgenommen hatte, war die FDGB-Führung über die unerwartete Wende in der Diskussion über die Rolle der sozialistischen Brigaden zunächst nicht im Bilde.40 In einer Vorlage des Bundesvorstandes vom 11. Mai 1960 für die tags darauf beginnende Präsidiumssitzung war deshalb noch – ahnungslos – lobend davon die Rede, dass „vereinzelt (…) einige Brigaden der sozia-

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Klinger, Brigaden, S. 82. Protokoll der Sitzung der Wirtschaftskommission des Politbüros am 28./29.4.1960. SAPMO-BArch, DY 30 J IV 2/2.101/16, Bl. 1.

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listischen Arbeit“ damit begonnen hätten, „in eigener Verantwortung, bei Wahrung des sozialistischen Leitungsprinzips“ verschiedene Aufgaben im Betrieb zu übernehmen. Ebenso wurde darin noch der wachsende Einfluss der „sozialistischen Gemeinschaftsarbeit“ auf alle Gebiete des gesellschaftlichen Lebens als „Weiterentwicklung der sozialistischen Demokratie“ gefeiert.41 Dass diese Deutungen, seit zwei Wochen, nicht mehr gültig waren, erfuhr die Gewerkschaftsspitze dann auf besagter Präsidiumssitzung durch die Genossen der ZK-Abteilung, die, verantwortlich für die Anleitung des FDGB, ständige Gäste auf deren Beratungen waren.42 Überhaupt wurde die ZK-Abteilung für Gewerkschaften und Sozialpolitik erst jetzt, Mitte Mai 1960, sehr aktiv. Dem Tenor von Mittag und Co. folgend wurde ein dreiseitiges tendenziöses Papier „zu einigen Fragen der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit“ mit einem ebenso langen Anhang über „Vorrechte für Brigaden“ verfertigt, das keinen Zweifel daran ließ, dass die Entwicklung einen Verlauf nehme, mit dem der „Desorganisation Tür und Tor geöffnet“ würde. Mit dem Schlagwort „jugoslawische Tendenzen“ wurde eindringlich auf die von den diagnostizierten „Abweichungen“ ausgehende akute „Gefahr“ hingewiesen. Derartige Vorrechte würden dazu führen, „das Prinzip der Einzelleitung der sozialistischen Betriebe abzuschaffen und neben den gesellschaftlichen Organisationen (insbesondere Gewerkschaften) eigene Körperschaften zu bilden (…) zum Beispiel sogenannte Brigaderäte.“ Die Diskussion gehe sogar soweit, dass es in der „Entschließung der Industriezweigkonferenz der VVB Stahl- und Walzwerke mit den Brigaden der sozialistischen Arbeit heißt, dass eine Erweiterung der Rechte der Brigaden (…) ein Ausdruck der ,Weiterentwicklung der sozialistischen Demokratie‘ ist.“43 Vermutlich war es nicht zuletzt dieses von der ZK-Abteilung zusammengestellte Material, das Ulbricht schließlich zu seinem deutlichen Veto veranlasst hat. Nachdem der Parteichef höchstpersönlich die Euphorie um die sozialistischen Brigaden seit Beginn der Kampagne mehrfach angeheizt hatte, mag er zunächst etwas überrascht von dieser unerwarteten Wendung gewesen sein. Offenbar war es aber den Betonköpfen im Apparat der SED-Führung gelungen, ihn von der „Ge41

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Präsidiumsvorlage FDGB-BuV, 11.5.1960, Analyse des gegenwärtigen Standes der soz. Wettbewerbsbewegung, besonders der Brigaden und Gemeinschaften der soz. Arbeit. SAPMO-BArch, DY 34/21320 (unpag.). Abt. GS, 18.5.60, Information an Gen. Alfred Neumann über die Präsidiumssitzung des FDGB-BuV am 12./13.5.60. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/38 (unpag.) Der Abteilungsleiter, Fritz Rettmann, hatte nämlich als Gast die Diskussion in der Wirtschaftskommission verfolgt. Protokoll der Sitzung der Wirtschaftskommission des Politbüros am 28./29.4.1960. SAPMO-BArch, DY 30 J IV 2/2.101/16, Bl. 1. ZK der SED, Abt. GS, Zu einigen Fragen der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit, 18.5.1960, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/52, Bl. 223ff.

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fährlichkeit“ dieser Entwicklung zu überzeugen; was angesichts des auch bei Ulbricht spätestens seit dem Juni 1953 tiefsitzenden Misstrauens gegenüber der Arbeiterschaft nicht allzu schwer gewesen sein dürfte. Da dem SED-Chef diese „Fehlentwicklung“ nicht als erstem aufgefallen war, galt es nun für ihn, Führungsstärke zu beweisen und sich um so entschiedener an die Spitze der wachsamen Hüter der sozialistischen Ordnung zu stellen, was umso besser gelang, als Ulbricht offenbar selbst den „glänzenden“ Einfall hatte, das Ganze mit dem einprägsamen Label „Syndikalismus“ zu versehen. „Als mir die Genossen das Material gaben, habe ich an den Rand geschrieben: ,Syndikalismus – unvereinbar mit der Linie der Partei‘.“44 Zunächst gab der Parteichef der FDGB-Führung die neue Linie vor und machte bei dieser Gelegenheit den „Syndikalismus einiger Gewerkschaftsfunktionäre“ für die „fehlerhafte Brigadenentwicklung“ verantwortlich.45 Die Gewerkschaften waren als zuständiger „Transmissionsriemen“ ohnehin ein bewährter Prügelknabe, wenn es galt, Schuldige für vermeintliche oder tatsächliche Schwierigkeiten mit den Arbeitern zu benennen. Auf einer SED-Bezirksdelegiertenkonferenz in Leipzig Ende Mai 1960 äußerte Ulbricht dann erstmals öffentlich seine „Syndikalismus“-Kritik: Einige seien „auf die Idee gekommen, diese Brigaden müssten jetzt besondere Rechte erhalten, und sie wollten einen Teil der Rechte des Werkleiters auf die Brigaden übertragen. Das soll wohl eine Art jugoslawischer ,Selbstverwaltung‘ werden? (…) Es ist also nicht richtig (…), dass man als Ausweg sogenannte Räte der Brigaden der sozialistischen Arbeit

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Rede W. Ulbrichts auf der 5. Bezirksdelegiertenkonferenz der SED in Leipzig am 28.5.1959. Veröffentlicht in: Neues Deutschland vom 10.6.1959. Zur Geschichte des „Syndikalismus“ siehe: Peter Schöttler, Syndikalismus in der europäischen Arbeiterbewegung. Neuere Forschungen in Frankreich, England und Deutschland, in: Klaus Tenfelde (Hg.), Arbeiter und Arbeiterbewegung im Vergleich. Berichte zur internationalen historischen Forschung, Historische Zeitschrift, Sonderheft Nr. 15, München 1986, S. 419–475, insbes. S. 459–469. Zum Fortleben der Stereotype der von der KPD v. a. in der frühen Weimarer Republik als „linke Abweichler“ bekämpften „Anarchosyndikalisten“ in der SED siehe: Dieter Senst, Anarchosyndikalismus in der heutigen Zeit – Wesen, Gestalt, Quellen, Funktionen und Rolle im Klassenkampf, Gesellschaftstheorien und politischprogrammatische Positionen, Diss. HUB, Berlin (O.) 1980. Dieser Autor bezieht sich allerdings mit keinem Wort auf die hier behandelte „Syndikalismus“-Affäre in der DDR. Gut möglich, dass er wirklich nicht wusste, wie weit er damit daneben lag, denn Apel und seine Mitstreiter werden ihre Initiatorenrolle in dieser Sache kaum mehr reklamiert haben.ZK-Abt. GS, Berlin, 25.5.1960, Information an den Genossen Neumann über die Aussprache des Genossen Ulbricht mit dem Sekretariat des FDGB-BuV am 21.5.1960. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/12 (unpag.). Peter Hübner (Konsens, S. 230f.) zitiert dieses Dokument ausführlich.

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schafft. (…) Wir machen keine neuen ,Strukturveränderungen‘.“46 Angesichts der oben konstatierten reformsozialistischen Tendenzen der Diskussion um eine Erweiterung der Rechte der sozialistischen Brigaden erscheint Ulbrichts Assoziation von „Syndikalismus“ und „jugoslawischer Selbstverwaltung“ durchaus naheliegend.47 Dass er und die Anhänger der von ihm verfolgten dogmatischen Richtung diese Entwicklung als gefährlich und unbedingt zu bekämpfend betrachteten, offenbarte einmal mehr, welchen Sozialismus die tonangebende Fraktion innerhalb der SED in ihrem Staat zu gestalten gedachte. Nachdem der Parteichef den Richtungswechsel sanktioniert hatte, begannen die Mühlen des Apparates zu mahlen. Bereits wenige Tage vor Ulbrichts Auftritt in Leipzig bekam auf der 4. Tagung des FDGB-Bundesvorstandes die desorientierte Gewerkschaftsführung die Richtung gewiesen. Der ZK-Abteilungsleiter Rettmann ließ es sich dabei nicht nehmen, persönlich „zur Entstellung der Brigadebewegung und der vorhandenen syndikalistischen Erscheinungen (…) ausführlich und prinzipiell Stellung“ zu nehmen.48 Er hielt dies wohl für notwendig, weil die Genossen der Abteilung aus dem ihnen, wie üblich, vorab zugegangenen Entschließungsentwurf der FDGB-Führung herausgelesen hatten, dass Ulbrichts „Syndikalismus“-Kritik „offensichtlich nicht ganz verdaut worden“ war. Aus dem Dokument entstünde „der Eindruck, als ob die Brigaden an dieser Entwicklung Schuld seien“. Verantwortlich wären jedoch viele Gewerkschaftsfunktionäre, die 46 47

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Rede W. Ulbrichts auf der 5. Bezirksdelegiertenkonferenz der SED in Leipzig am 28.5.1959, ND vom 10.6.1959. Hierbei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass dies stark negativ konnotierte Kampfbegriffe, quasi Stigmata zur Bekämpfung v. a. „linker Abweichler“ innerhalb der kommunistischen Parteien waren. Die Feindschaft gegenüber dem „Syndikalismus“ geht v. a. auf die frühen zwanziger Jahre zurück, als die „Freie Arbeiter-Union Deutschlands (Syndikalisten/[ab 1921:] Anarcho-Syndikalisten)“, FAUD (S/AS) scharfe Kritik an der KPD, insbesondere an deren politischem Monopolanspruch, ihrem Zentralismus und deren Konzept der „Diktatur des Proletariats“ übte. Vgl. den Artikel über „Syndikalismus“, in: Thomas Meyer u. a (Hg.), Lexikon des Sozialismus, Köln 1986, S. 671f. Gegenüber Jugoslawien und dem dort unter Tito nach 1945 propagierten und praktizierten SozialismusModell, zu dessen Kernpunkten eine Art Wirtschaftsdemokratie mit ausgeprägter Beteiligung der Arbeiter an der Verwaltung der Betriebe gehörte, pflegte die SED-Führung trotz der seit 1955 (Chruschtschow-Besuch in Belgrad) vollzogenen Wiederannäherung ein gespanntes, von Misstrauen und Überheblichkeit geprägtes Verhältnis. Vgl. Kleßmann, Zwei Staaten, S. 443. Tribüne vom 28.5.1960. Die gesamte Tagung, insbesondere die Grundsatzrede Otto Lehmanns, ist dokumentiert in: SAPMO-BArch, DY 34/26868 (unpag.). Rettmanns Einlassung in: Abt. GS, Berlin, 30.5.1960, Information an Gen. Neumann, Über einige Fragen der 4. BuV-Sitzung des FDGB am 25./26.5. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/38 (unpag.).

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nach deren Verpflichtung die sozialistischen Brigaden allzu oft „dem Selbstlauf überlassen“ hätten; ebenso die Wirtschaftsfunktionäre, weil sie nur „ungenügende Voraussetzungen zur Erfüllung der Verpflichtungen“ schufen.49 Rudi Rubbel, Autor des o.g. „Tribüne“-Artikels, wurde als Sündenbock verdammt und strafversetzt.50 Bei den „Genossen Arbeitsrechtlern“ von der Leipziger Universität schufen Ende Juni die Genossen der ZK-Abteilung Gewerkschaften „völlige Klarheit“ über die „Bedeutung und Gefährlichkeit des Syndikalismus für den weiteren sozialistischen Aufbau“. Roland Schmutzler, der Verfasser des „syndikalistischen“ Artikels in der Zeitschrift Arbeitsrecht, erhielt die „Möglichkeit“, die darin zum Ausdruck gekommenen „Grundfehler“ zu benennen und sich reumütig von ihnen zu distanzieren.51 Auch die nachgeordneten Ebenen des Partei- und Gewerkschaftsapparates wurden auf den neuesten Stand gebracht, insbesondere „die Genossen der Bezirksleitung Potsdam“ bekamen die Anweisung, „ihren Beschlussentwurf (…) noch einmal gründlich (zu) überarbeiten.“52 Danach war von dem oben zitierten, bereits auf der Neuererkonfernez des Bezirkes verabschiedeten Programm freilich nichts mehr übrig.53 Die SED-Bezirksleitung wies in einer Sitzung mit den 1. Kreissekretären Ende Mai nochmals auf „eine Entstellung der Parteilinie in der Frage der 49

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Abt. GS, Berlin, 24.5.1960, Stellungnahme zum Entschließungsentwurf der 4. BuVSitzung des FDGB über die Entwicklung der sozialistischen Wettbewerbsbewegung. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/38 (unpag.). Ebd., im Referat von O. Lehmann; vgl. Roesler, Inszenierung, S. 49f. ZK der SED, Abt. GS, Bericht über die Arbeitsberatung mit Genossen Arbeitsrechtlern am 20.6.60, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/25 (unpag.). Ob es Ironie bzw. Sarkasmus war, dass Schmutzler ein „völliges Unverständnis für den Mechanismus des demokratischen Zentralismus“ eingestand, ist im Protokoll nicht vermerkt. Freilich war genau dies – das Ernstnehmen des in der leninschen Definition des „demokratischen Zentralismus“ euphemistisch gebrauchten Adjektivs „demokratisch“ – der Knackpunkt in der gesamten „Syndikalismus“-Debatte. ZK der SED, Abt. GS, Kurze Einschätzung der Beratung der Abteilung mit den Instrukteuren für Gewerkschaftsfragen bei den Bezirksleitungen der Partei und den Parteisekretären des Bundesvorstandes des FDGB, der Zentralvorstände der IG/Gew. und der Presseorgane der Gewerkschaften, 25.5.1960, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/23, Bl. 95–97. Auf einer außerordentlichen Sitzung des Sekretariates des FDGB-BV Potsdam am 10. Juni beschäftigte sich dieses Gremium „nochmals mit dem Inhalt der Entschließung und den dabei aufgetretenen Mängeln in der Festlegung der Rechte und Pflichten der sozialistischen Brigaden“ und beschloss, dieses Dokument „ohne den Abschnitt der Rechte und Pflichten der sozialistischen Brigaden (…) in Druck zu geben und über die IG/Gew. den BGL als Arbeitsgrundlage zu übermitteln.“ Protokoll der außerordentlichen Sitzung des Sekretariats des FDGB-BV Potsdam, 10.6.1960, BLHA, Rep. 547, BK 115 (unpag.).

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Rechte der sozialistischen Brigaden“ hin und merkte dabei selbstkritisch an, dass die von der eigenen Abteilung Wirtschaftspolitik auf der Bezirksneuererkonferenz vorgelegte Entschließung „eine Reihe opportunistischer Formulierungen“ enthalten habe.54 Schließlich erschien im Juniheft der Parteizeitschrift „Neuer Weg“ auch noch ein Widerruf Erich Apels, des eigentlichen Initiators der ganzen Diskussion um die Aufwertung des Status’ der sozialistischen Brigaden in den Betrieben.55 Ob er nach altbewährtem Muster dazu genötigt wurde oder – ähnlich wie oben im Zusammenhang der Sitzung der Wirtschaftskommission geschildert – aus eigenem Antrieb damit versuchte, wieder in die Offensive zu gelangen und seine Position zu festigen, kann nur gemutmaßt werden.56 Im Juli wurde dann von der 9. ZK-Tagung die offizielle Kurskorrektur noch einmal formal bestätigt und bekräftigt.57 Um die Gefährlichkeit der nunmehr 54

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Protokoll der Bürositzung und der Sitzung mit den 1. Sekretären der KL am 27.5.1960. BLHA, Rep. 530/209, Bl. 178ff. Das Protokoll verrät nicht, wer genau diese Einschätzung vortrug. Nicht auszuschließen ist, dass der 1. Bezirkssekretär und andere Leitungsmitglieder, die zuvor bei den Vorschlägen ihrer Genossen von der wirtschaftspolitischen Abteilung heftig genickt hatten, nun mit den Fingern auf diese zeigten und ihre eigenen Hände in Unschuld wuschen. Dafür hatten jene nun den „schwarzen Peter“ in der Hand und eventuell einen ebensolchen Fleck in der Kaderakte. Die Charakterisierung als „opportunistisch“ ist sicher unpassend, da sie viel treffender das Verhalten derjenigen beschreibt, die nun eilfertig die völlig überzogene Kritik der Hardliner um Mittag und Co. nachplapperten. Aber der Wortschatz der SED-Funktionärssprache war offenbar recht begrenzt und als Code signalisierte diese Bezeichnung allemal, dass eine Tabuzone berührt worden war und dies künftig unterbleiben sollte. Erich Apel, Die straffe Leitung der Betriebe und die sozialistische Gemeinschaftsarbeit durch richtige Maßnahmen fördern, in: Neuer Weg 15 (1960), S. 759–764. In den Akten von Apels Büro finden sich mehrere Entwurfs-Versionen dieses Artikels und u. a. eine Stellungnahme der ZK-Abteilung Planung und Finanzen vom 3.6.1960 dazu. Dies deutet auf eine Art Bestätigung im Umlaufverfahren innerhalb des ZK-Apparates; unwahrscheinlich, dass Apel selbst auf eine solche Verfahrensweise gedrängt hat. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/2029/98 (unpag.). Eine abschließende Bewertung von Apels Verhalten im Zusammenhang der „Syndikalismus“-Affäre scheint kaum möglich. Dazu müsste dies in den weiteren Kontext des Ringens um die NÖSPL-Reform eingeordnet werden, als deren Vater Erich Apel gilt. Sein Freitod 1965 der im weiteren Sinn auch damit zusammenhing, deutet zumindest darauf hin, dass er ein – für DDR-Verhältnisse – leidenschaftlicher Reformer war, aber letztlich gegen die Übermacht der Betonköpfe in der SED-Machtzentrale nichts auszurichten vermochte. Durch sozialistische Gemeinschaftsarbeit zum wissenschaftlich-technischen Höchststand im Maschinenbau und in der Metallurgie. 9. Tagung des ZK der SED, 20. bis 23.7.1960, hg. v. ZK der SED, Berlin (O.) 1960.

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entschieden bekämpften „syndikalistischen Erscheinungen“ zu unterstreichen, erklärte der stellvertretende FDGB-Vorsitzende Buchheim, dass als deren Konsequenz „letzten Endes die Gewerkschaften überflüssig geworden wären“.58 Dahinter stand wohl die Befürchtung, dass starke, eindeutig an den Interessen der Arbeiter orientierte Brigaden dem FDGB in den Betrieben zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten hätten erwachsen können. Ob er damit bewusst nur den abschreckenden Teufel an die Wand malte oder mit einer tatsächlichen Verselbständigung der Brigadebewegung ein später nicht mehr aufzuhaltender Stein ins Rollen gebracht worden wäre, bleibt Spekulation. Deutlich wird durch diese Bemerkung aber, wie hochempfindlich die Dogmatiker in Führung und Apparat des SED-Regimes auf jede halbwegs unkontrollierte Entwicklung reagierten, die ihre Diktatur (des Proletariats) hätte irgendwie in Frage stellen können. Als historischer Bezugspunkt drängt sich hier die 1948 erfolgte Auflösung der Betriebsräte auf: Sie hatten seinerzeit den Betriebsgewerkschaftsleitungen (BGL) des FDGB weichen müssen, weil sie nicht nach dem Prinzip des „demokratischen Zentralismus“ steuerbar waren und als die traditionelle Institution der Interessenvertretung der Arbeiter in den Betrieben ein schwer zu überwindendes Hindernis auf dem Weg der Einheitsgewerkschaft zu einem vorrangig auf Produktionspropaganda festgelegten „Transmissionsriemen“ dargestellt hatten.59 Interessanterweise wurden im Rahmen der „Syndikalismus“-Kritik die Brigaden selbst nicht direkt angegriffen.60 Die Befriedungsstrategie von SED und FDGB lief vielmehr auf das Integrieren der Brigaden und ihrer aktivsten Vertreter in die bestehenden Strukturen (ständige Produktionsberatungen),61 das Abbrem58 59

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Ebd., S. 338. Vgl. Siegfried Suckut, Die Betriebsrätebewegung in der Sowjetisch Besetzten Zone Deutschlands (1945–1948), Zur Entwicklung und Bedeutung von Arbeiterinitiative, betrieblicher Mitbestimmung und Selbstbestimmung bis zur Revision des programmatischen Konzeptes der KPD/SED vom „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“, Frankfurt a. M. 1982, insbes. S. 513-528; sowie Reichel, Auf dem Weg. Hatte Ulbricht ursprünglich – intern – explizit den „Syndikalismus einiger Gewerkschaftsfunktionäre“ als Ursache für die „fehlerhafte Brigadeentwicklung“ ausgemacht. Um nicht selbst am Pranger zu stehen, war der FDGB bemüht, diese Kritik im Rahmen der nachfolgenden Kampagne stärker auf die Brigaden umzulenken. Vgl. Hübner, Konsens, S. 230f. So sprach O. Lehmann bereits auf der 4. FDGB-Bundesvorstandstagung davon, „dass die besten Vertreter aus den sozialistischen Brigaden (…) in die Ständigen Produktionsberatungen gewählt werden (sollten), wo sie auf der Grundlage unserer Gesetze und Verordnungen ihre Rechte auf die Lenkung und Leitung der Produktion und der Arbeit wahrnehmen“ könnten. SAPMO-BArch, DY 34/26868, Bl. 102. Die – trotz aller Bemühungen von „oben“ – nach wie vor blutleere, nominell „gewerkschaftliche“ Institution der „ständigen Produktionsberatungen“ war von FDGB und SED schon 1957 bei der Ab-

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sen der Bildung weiterer Brigaden bzw. gar die Auflösung bereits bestehender sowie die enge Festlegung der Brigaden auf die beim Start der BdsA-Kampagne 1959 postulierten Inhalte hinaus.62 Das folgende Zitat charakterisiert recht prägnant die „Syndikalismus“-Affäre aus der Herrschaftsperspektive des SED-Regimes: „Das Problem besteht darin, durch die Initiative der sozialistischen Brigaden die Leitungstätigkeit zu verbessern, ohne dass die Brigaden in die Leitungstätigkeit selbst eingreifen, denn das wäre unvereinbar mit dem Prinzip des demokratischen Zentralismus.“63 Treffender läßt sich der euphemistische Charakter des auf Lenin zurückgehenden Konstrukts des „demokratischen Zentralismus“ kaum verdeutlichen. Wider (deren eigenes) Erwarten waren auch SED und FDGB nicht in der Lage, sich den Pelz zu waschen, ohne dabei nass zu werden: Die Brigaden lediglich als Instrument zur Effektivierung und Steigerung der Produktion einsetzen zu wollen, ohne ihnen gleichzeitig eine entsprechende (Macht-)Position in der betrieblichen Hierarchie zuzubilligen – dies war eine Rechnung, die nur schwerlich aufgehen konnte. Freilich hielt die Parteiführung bis zum Ende der DDR an dem Dogma fest, die Werktätigen weder in den Betrieben noch anderswo in „ihrem“ Staat an der Ausübung der Macht tatsächlich zu beteiligen. Dem gleichen Grundmuster, taktisch motivierter, vorsichtiger Schein-Demokratisierung an der betrieblichen Basis, die dann sehr schnell zurückgenommen wurde, war bereits die 1956/57 von der SED-Führung gestartete Initiative zur Bildung sogenannter „Arbeiterkomitees“ gefolgt.64 Angesichts dieser (fehlenden) Voraussetzung war und blieb es folglich paradox, dass die Herrschenden in der DDR von „ihrem“ Volk gleichzeitig ein enthusiastisches Engagement am Arbeitsplatz und darüber hinaus eine weitgehende Identifikation mit „ihrem“ Staat verlangten oder auch nur erhofften.

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wicklung der „Arbeiterkomitees“ als das Mitwirkungsorgan im Betrieb angepriesen worden. Vgl. Staritz, Die „Arbeiterkomitees“, S. 73. Vgl. Hübner, Konsens, S. 237. Er führt als Beispiel für die Auflösung von Brigaden das Treibstoffwerk Schwarzheide an, wo „zur Verbesserung der Leitungstätigkeit“ fast alle Brigaden aufgelöst und wieder in Meisterbereichen zusammengefasst wurden. Heinz Paul, Durch operative Tätigkeit den sozialistischen Brigaden helfen, in: Arbeitsrecht 5 (1960), S. 201–204, hier S. 203. Vgl. Reichel, Konfliktprävention.

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5. „Syndikalistische“ Erscheinungen in den Betrieben? Es bleibt die Frage, in welchem Maße es im Kontext der „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ wirklich zu „syndikalistischen Erscheinungen“ in den Betrieben gekommen war. Zeichneten sich im Frühjahr 1960 tatsächlich „jugoslawische Verhältnisse“ in den DDR-Betrieben ab? Das hatte auch schon Ulbrichts Büroleiter Berger auf der Sitzung der Wirtschaftskommission Ende April brennend interessiert: „Kommen diese Anregungen oder Forderungen wirklich von den Arbeitern, oder sind sie ihnen gewissermaßen durch Anleitung usw. eingeflößt worden?“65 Summiert man die Fälle, auf die Fred Klinger bei seinen Recherchen in der DDR-Presse jener Monate gestoßen ist und zählt die von Peter Hübner genannten Betriebe hinzu, in denen Brigaden im Zusammenhang der sogenannten „Syndikalismus“-Affäre Aktivitäten in Richtung mehr Rechte und Eigenständigkeit entwickelten, kommt man auf ca. ein Dutzend.66 Bei meinen eigenen Archivstudien bin ich im Wesentlichen auf dieselben Beispiele in exakt denselben Betrieben gestoßen. Die Ähnlichkeit bzw. Kongruenz zu den oben angeführten theoretischen Überlegungen und Veröffentlichungen von Apel, Rubbel und Schmutzler ist dabei alles andere als zufällig. Entweder waren die „syndikalistischen“ Aktivitäten nur wenig ausgeprägt und dabei meist explizit auf Apels ND-Artikel bezogen oder es lässt sich ein konkreter Bezug zu den o.g. Aktivitäten Apels, der VVB Stahl- und Walzwerke, der SED-Bezirksleitung Potsdam bzw. der Leipziger Forschergruppe herstellen. Insbesondere bei jenen Betrieben, in denen detaillierte Statuten bzw. Rechtekataloge der sozialistischen Brigaden ausgearbeitet wurden, ist dies evident. Die Stahl- und Walzwerke in Gröditz, Hennigsdorf und Riesa

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Seine Äußerung im Kontext: „Das ist wirklich eine außerordentlich ernste Sache. Was mich persönlich aber am meisten interessiert, ist folgendes: Kommen diese Anregungen oder Forderungen wirklich von den Arbeitern, oder sind sie ihnen gewissermaßen durch Anleitung usw. eingeflößt worden. (…) Vielleicht können die Genossen der Abteilung sagen, ob das irgendwie vorbereitet worden ist (…) oder ob die Initiative wirklich von der Brigade ausging.“ Daraufhin nahm sofort Apel das Wort: „Gibt es weitere Bemerkungen?“ fragte er, vermutlich mit einer Rhetorik, die ein allseitiges „Nein“ – insbesondere von den eben direkt angesprochenen „Genossen der Abteilung“ – voraussetzte, um selbst unverzüglich zu einem Schlusswort anzusetzen. Dass Apel vermeiden wollte, als „Drahtzieher“ der nunmehr inkriminierten Entwicklung benannt zu werden, ist leicht nachvollziehbar. Protokoll der Sitzung der Wirtschaftskommission des Politbüros am 28./29.4.1960. SAPMO-BArch, DY 30 J IV 2/2.101/16, Bl. 32f. Klinger, Brigaden, S. 80–82; Hübner, Konsens, S. 229 und 235.

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sind hier ebenso zu nennen wie das Karl-Marx-Werk Babelsberg (Potsdam) oder das Geräte- und Reglerwerk (GRW) Teltow.67 Insofern kann kaum mehr ein Zweifel bestehen, dass die Anregungen und Forderungen der Arbeiter aus den sozialistischen Brigaden ganz überwiegend nicht von diesen selbst erdacht, sondern „durch Anleitung“, wie Ulbrichts Büroleiter in seiner Frage formulierte, seitens verschiedener SED-, FDGB- und Wirtschaftsfunktionäre sowie Wissenschaftler entstanden sind. Diese wiederum waren auf Anregung Apels hin aktiv geworden. Die Vermutung, dass „auf Brigadeebene selbst [weitergehende] Überlegungen zur Kompetenzumschichtung“ unabhängig von solcher „Anleitung“ angestellt worden seien,68 ist somit unzutreffend. Ebenso wenig haltbar ist in diesem Zusammenhang die Aussage, dass „Brigaderäte“ in „einigen großen Werken gewissermaßen als partei- und gewerkschaftsunabhängige Dachorganisationen entstanden“ sein sollen.69 Solche „Räte“ hat es mit Sicherheit in keinem einzigen DDR-Betrieb gegeben, auch nicht im Kontext der „Syndikalismus“-Affäre. Noch die weitestgehenden nachzuweisenden Beispiele von „Brigaderäten“ waren absolut harmlos und jederzeit unter Kontrolle. Im KarlMarx-Werk Babelsberg bspw. nahmen lediglich die Brigadiere der beiden besten Brigaden „als vollberechtigte Beratungsmitglieder“ eine Zeitlang an der wöchentlichen Werkleitersitzung teil.70 67

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Exemplarisch: Der Forderungskatalog im GRW („Sozialistische Gemeinschaftsarbeit – Schlüssel zur Lösung unserer Aufgaben“, unterschrieben vom Werkleiter, Parteisekretär, BGL-Vorsitzenden. in: SAPMO-BArch DY 30 IV 2/2029/204 [unpag.]) ist nahezu identisch mit dem unter Federführung der wirtschaftspolitischen Abteilung der SED-BL Potsdam ausgearbeiteten Katalog. Die gleiche Verbindung – eventuell auch zu Apel persönlich – bestand im Falle des Babelsberger Karl-Marx-Werkes. Auch die von O. Lehmann und anderen auf der FDGB-BuV-Tagung Ende Mai genannten Betriebe und dort entfalteten Aktivitäten – Betonwerk Zernsdorf (Bez. Potsdam), die Stahl- und Walzwerke Gröditz und Hennigsdorf (VVB) – lassen sich ganz klar zuordnen. Klinger, S. 79. Hübner, Konsens, S. 229. Belegt wird diese recht weitgehende Aussage letztlich mit einer Quelle, in der von Aktivitäten zweier „führender Köpfe“ im Fahrbetrieb des Großkraftwerkes Berzdorf die Rede ist, die angeblich einen „,Rat der Brigade‘ nach jugoslawischem Beispiel“ hatten initiieren wollen, aber schließlich „in ihren Brigaden entlarvt“ worden waren. Zitiert nach Klinger, S. 81, aus der Märkischen Volksstimme, dem „Organ“ der SED-BL Potsdam, wo dies gefeiert wurde, als sich die Euphorie um die erweiterten Rechte der sozialistischen Brigaden – zumal im Bezirk Potsdam – auf dem Höhepunkt und kurz vor ihrem jähen Ende befand. Bei diesen beiden Brigaden handelte es sich zudem um zwei der zu diesem Zeitpunkt noch sehr wenigen ausgezeichneten „BdsA“. Sie gehörten damit auch zu den „Paradebeispielen“ auf der oben erwähnten Bezirksneuererkonferenz, Ende April. Dort berichtete ein Kollege aus dem Karl-Marx-Werk genau dazu: So „haben wir festge-

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Die ZK-Abteilung Gewerkschaften und Sozialpolitik listete Mitte Mai den „VEB Rohrleitungsbau Bitterfeld und andere Bitterfelder Betriebe“ sowie das Reifenwerk Fürstenwalde auf, wo „Brigaderäte“ gebildet worden seien, allerdings „vorwiegend bei Komplexbrigaden“.71 Dieser kleine Zusatz ist wichtig, denn er verweist darauf, dass es sich häufig bei den in den Quellen auftauchenden „Brigaderäten“ keineswegs um Zusammenschlüsse bzw. regelmäßige Treffen der Brigadiere oder anderer Vertreter der Arbeitskollektive auf Abteilungs- oder gar Betriebsebene gehandelt hat. Nein, das betraf meistens „Komplexbrigaden“, d. h. größere Arbeitskollektive, z.B. alle 3 oder 4 Schichten, die sich rund um die Uhr an einem großen Aggregat (Hochofen o. ä.) ablösten. Diese Art „Brigaderäte“ ergaben auch vom Arbeitszusammenhang her einen gewissen Sinn und waren bspw. im Hochofenbereich des EKS schon im Sommer 1959 auf Anregung und unter Kontrolle der Betriebsleitung, BPO und BGL gebildet worden.72 Eine Emanzipation gegenüber den staatlichen, SED- und FDGB-Strukturen in den Betrieben dürfte dabei kaum stattgefunden haben, denn die Mitglieder dieser „Räte“ waren ja Wirtschafts-, SED- bzw. FDGB-Funktionäre der untersten Ebene und keine unabhängigen, jenseits dieser Organisationsstrukturen von den Briga-

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legt, dass die besten Brigaden innerhalb einer jeden Woche an einer Werkleitersitzung (…) teilnehmen, um die Probleme im Werkleitungskollektiv kennen zu lernen und zu den gefassten Beschlüssen Stellung zu nehmen. Dies ist sehr fruchtbar, weil sich unsere Brigadiere bemühen, dort in den Werkleitungssitzungen aufzutreten und mitzuarbeiten.“ BLHA, Rep. 530/1160 (unpag.). 18.5.60, Zu einigen Fragen der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/52, Bl. 223ff. Erich Berger, Die Stellung des Vertrauensmannes innerhalb der Betriebsgewerkschaftsorganisation und seine Rolle bei der Entfaltung eines mächtigen Arbeitsaufschwungs. Untersucht im Eisenhüttenkombinat Stalinstadt, AGL – Bereich Hochofen – Gewerkschaftsgruppe „Görs“ – Hochofen I, Bernau (Hochschule des FDGB; Diplomarbeit) 1960, S. 19 ff. Hinweise darauf u. a. in UF 30/59, 31.7.1959, S. 3 und 42/59, 23.10.1959, S. 2. Die Zusammenfassung mehrerer relativ kleiner Arbeitsgruppen in solchen Komplexbrigaden hatte auch den Vorteil, dass auf dieser Ebene dann genug SED-Mitglieder zusammenkamen, um eine Parteigruppe bilden zu können, womit also die SED-Strukturen eine Stufe weiter nach „unten“ ausgebaut werden konnten. Diesen „Räten“ dürfte in der Regel folgendes Muster zugrunde gelegen haben: „Der Brigaderat besteht aus Brigadier, Meister, Gewerkschaftsfunktionären usw. und alle Fragen werden zuerst im Brigaderat beraten, eine einheitliche Meinung erarbeitet und dann die bestimmten Fragen entschieden. Bei besonderen Fragen, die in einer Gewerkschaftsversammlung zu behandeln sind, bereitet praktisch der Brigaderat die Versammlung vor.“So beschrieb der stellvertretende IGMVorsitzende Horst Heintze auf der 4. FDGB-BuV-Tagung Ende Mai 1960, was er über den „Rat“ der Brigade „Max Reimann“ aus dem SWH wusste. SAPMO-BArch, DY 34/ 26868, Bl. 191ff.

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demitgliedern gewählten Vertreter. Wenn es überhaupt nennenswerte Veränderungen gab, dann war dies eine tendenziell stärkere Einbindung der Brigaden in die genannten Strukturen. Das gilt ebenso für die gelegentlich erwähnte und in die „Syndikalismus“-Kritik einbezogene formale Übertragung von Disziplinarbefugnissen auf die Brigaden. Auch dies geschah tatsächlich nur in sehr wenigen Fällen und dann meist mit der Begründung, dass diese so besser durchzusetzen seien: „Wir halten es für richtig, dass das Problem der Erziehung der einzelnen Brigademitglieder in die Brigaden verlegt wird“, bekannte ein Vertreter aus dem Babelsberger Karl-Marx-Werk. Disziplinarstrafen, von der Abteilungsleitung oder Kaderabteilung ausgesprochen, hätten die Kollegen in der Regel wenig beeindruckt. „Wird die Disziplinarstrafe aber von seinem Kollektiv ausgesprochen, so bedeutet das, dass sich die gesamte Brigade mit diesem ‚Vergehen‘ des betreffenden Kollegen beschäftigt und dadurch mehr Eindruck auf den Kollegen macht. (…) Dieser entsprechende Verweis bzw. diese Missbilligung wird schriftlich festgehalten im Brigadebuch.“ Dies geschehe aber nicht einfach nach Gusto des jeweiligen Kollektivs, sondern die Sanktionen würden „zusammen mit unserer Kaderabteilung verfasst und vorgenommen.“73 Wenn das auf diese Weise tatsächlich funktionierte, hätte dies SED und FDGB höchst willkommen sein müssen, denn das entsprach doch weitestgehend ihrer mit dem sozialistischen Leben verbundenen Vorstellung der „Selbsterziehung“ genannten Sozialdisziplinierung innerhalb der Brigaden. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass eine große Zahl von Brigaden und ihre Mitglieder erpicht darauf waren, dies so umzusetzen. Deshalb war die hinter der „Syndikalismus“-Kritik stehende Befürchtung wahrscheinlich nicht ganz unbegründet, dass die Mehrzahl der Brigaden bei einer generellen Einführung solcher Regelungen versuchen würde, deren aus ihrer Sicht positive Aspekte wahrzunehmen, den auf Steuerung, Kontrolle und stärkere Einbindung zielenden „Rest“ aber zu ignorieren. Genau dies war vermutlich der springende Punkt: Die Spitzen von SED und FDGB wussten sehr gut, dass der zahlenmäßige Erfolg der Kampagne zur Bildung sozialistischer Brigaden, die sie selbst wiederholt als die Lösung vieler Probleme beim Aufbau des Sozialismus gefeiert hatten, ein Trugbild war. Unter der propagandistisch aufgebauschten Oberfläche sah die Realität in den Betrieben bezüglich der breiten Masse der Arbeiter und Brigaden sehr viel nüchterner aus. Daher war es eher sekundär, welche konkreten Formen und welches Ausmaß die inkriminierten „syndikalistischen“ Erscheinungen bis dahin tatsächlich angenommen hatten. 73

BL der SED Potsdam, Protokoll der Bezirks-Neuererkonferenz am 28.4.1960 im Haus der SED-BL mit Mitgliedern der sozialistischen Brigaden und Gemeinschaften und Neuerern der Produktion, Diskussionsbeitrag des Kollegen Dressler, Karl-Marx-Werk Babelsberg. BLHA, Rep. 530/1160 (unpag.).

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Ging man den Schritt, erweiterte Rechte für die sozialistischen Brigaden ganz offiziell zu kodifizieren, war nicht auszuschließen, dass die Apparate von Partei und Gewerkschaft die Kontrolle verlieren und sich die Brigaden eventuell tatsächlich zu einer eigenständigen Bewegung emanzipieren könnten. Darüber, ob, wann und unter welchen weiteren Voraussetzungen eine solche Dynamik eingesetzt hätte, soll hier nicht spekuliert werden. Es ist aber sicher Skepsis dahingehend angebracht, dass sich – nach den Erfahrungen aus anderthalb Jahrzehnten SED-Herrschaft – sehr viele Arbeiter diesbezüglich engagiert hätten; ganz davon abgesehen, dass ein tatenloses Zurückweichen der Machthaber nicht zu erwarten war. Trotz aller Differenzen innerhalb des Herrschaftsapparates, die in der Diskussion um erweiterte Rechte der sozialistischen Brigaden deutlich wurden, gibt es im Übrigen keinen Grund, die stärker reformorientierten Kräfte um Apel zu idealisieren. Sowohl dessen Konzeption in dieser Frage und noch mehr sein Verhalten angesichts aufkommender Kritik zeigt, dass es ihm bestenfalls um systemimmanente Optimierung, keinesfalls aber um die Infragestellung des Machtmonopols der SED gegangen war.

6. Kampf gegen „Syndikalismus“ und „Reformismus“ Nach allem, was bisher bekannt ist, hatten „syndikalistische“ Tendenzen in den Betrieben bis zum Frühjahr 1960 ein qualitativ und quantitativ so geringes Ausmaß erreicht, dass Ulbrichts Reaktion und die nachfolgende Kampagne völlig überzogen erscheinen. Es entsteht der Eindruck, als sei von den Apparaten der SED und des FDGB nun krampfhaft nach vermeintlich „syndikalistischen“ Erscheinungen in den Industriebetrieben der DDR gesucht worden. Symptomatisch dafür war, dass ab Juli 1960 die inzwischen aufgeschreckten Funktionäre beispielsweise in der Bildung von Brigadekonten oder -kassen eine neue Erscheinung des „Syndikalismus“ witterten. Dass sich die Auseinandersetzung um die Rechte der Brigaden damit „eigenartigerweise (…) an einem Randphänomen festhakte“, wie Peter Hübner schrieb,74 findet seine Erklärung in dem Umstand, dass es sich dabei um das einzige weiter verbreitete „syndikalistische“ Phänomen in den Betrieben handelte. Diese Konten bzw. Kassen hätten „sich ohne genügende Kontrolle in sehr großer Zahl entwickelt“, stellte die ZKAbteilung Gewerkschaften im Sommer 1960 fest. „Diese Entwicklung ist nicht gut, da diese Mittel für Ausgaben der Brigade (Ausflüge) mehr zur Isolierung der

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Hübner, Konsens, S. 135.

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Brigaden von der Gesamtbelegschaft beitragen, statt erzieherisch auf ihre Umgebung einzuwirken. Vorgesehen ist, die Kassen zu liquidieren (…).“75 Tatsächlich existierten derartige Brigadekassen schon länger, in der Regel mit Wissen und Duldung der Funktionäre in den Betrieben, wie ein etwas skurriles Beispiel vom Januar 1960 aus dem Eisenhüttenkombinat zeigt.76 Bereits im Februar 1959 hatte ein Genosse aus dem Brandenburger Traktorenwerk den Zweck dieser Kassen auf einer Sitzung der SED-Bezirksleitung erläutert (ohne damit Argwohn auszulösen): „Die Brigadekasse, in welche bei jeder Lohnzahlung 1 DM wandert, finanziert Blumen, Konfekt usw. für die Frauen (…).“ Außerdem hatte diese Brigade die Verpflichtung übernommen, aus ihren finanziellen Mitteln „für zwei westdeutsche Kinder die Teilnahme an der Ferienaktion zu ermöglichen“.77 Eine Leunaer Brigade bspw. kaufte aus den Mitteln ihrer gemeinsamen Kasse ein Paddelboot nebst Campingausrüstung. In der Geraer SED-Bezirkszeitung „Volkswacht“ wurde eine ganz ähnliche, typische Beschreibung wiedergegeben.78 Das klingt alles nicht wirklich nach „Syndikalismus“. Aber wer wie die Wächter der SED-Diktatur von der ZK-Abteilung Gewerkschaften das Gras wachsen hören konnte, erspähte auch hinter soviel Harmlosigkeit noch die lauernde Gefahr: „Solche Konten und Kassen fördern nach unserer Auffassung das Eigenleben und 75 76

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Abt. GS, Berlin, 30.6.1961, Information an den Gen. Alfred Neumann. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/34 (unpag.). „Ist es richtig, dass Kollektive (…) sich Brigadekassen anlegen?“ – fragt die Genossin Blume vom Parteikabinett des Betriebes und fährt fort: „Wem dient es, fragt sich der klassenbewusste Arbeiter bei allem, was er beginnt. Eine Brigadekasse, deren Barbestand bei einem Kollegen daheim aufbewahrt wird, schadet unserem Staat, wenn es eine allgemeine Erscheinung wird. Unser Handeln müssen wir so einstellen, dass alles verallgemeinert werden kann. So wird jedes Konto bei der Post oder Sparkasse zur Festigung unseres Staates beitragen. Wenn jede Brigade oder jedes Kollektiv unserer DDR sich ein Konto anlegt, so wie es viele Brigaden auch unseres Kombinates bereits getan haben, helfen wir unserer Volkswirtschaft zusätzliche finanzielle Mittel zu erschließen.“ UF 2/60, 15.1.1960, S. 4. Protokoll der SED-BL-Sitzung Potsdam am 21.2.1959. BLHA, Rep. 530/42, Bl. 303. Die Brigadekasse, „wie die sich füllt? Nun, die Brigademitglieder einigten sich zum Beispiel darin, dass jeder Verbesserungsvorschlag aus der Brigade als ein Kollektivvorschlag eingereicht wird. 50 Prozent der Prämie bekommt der Freund, der den Vorschlag ausgearbeitet hat, der Rest wandert in die Brigadekasse. (…) Was aus dieser Kasse finanziert wird? Na, die Brigadeausflüge mit den Frauen und Freundinnen oder das kleine Geschenk für den kranken Kollegen (…) zu Ostern, das Buch für den besten Schüler aus der Patenklasse, die Anerkennungsprämie für den Kollegen (…), der der Brigade sozialistische Hilfe leistete, und natürlich auch die zehn Einladungskarten zu dem schönsten Brigadefest am 7. Mai 1960, als die Auszeichnung mit dem Ehrentitel ‚Brigade der sozialistischen Arbeit‘ im Palast-Café bis zur Taxiheimfahrt fröhlich gefeiert wurde.“ Zitiert nach Hübner, Konsens, S. 235f.

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die Forderung nach größerer Selbständigkeit der Brigaden im Produktionsprozess.“ Eine solche Entwicklung musste – aus der Herrschaftsperspektive betrachtet – bereits im Ansatz erstickt werden.79 Die Kritik der Funktionäre, mit den o.g. Methoden die Brigadekassen zu füllen, würde das Leistungsprinzip verletzt und Gleichmacherei betrieben, ist zwar nachvollziehbar, steht aber zugleich in einem Spannungsverhältnis zu jener Kollektiv-Ideologie, auf der die gesamte Brigadebewegung basierte. Primär aber ging es darum, dass die Ausprägung noch so bescheidener Anfänge eines Eigenlebens oder gar einer größeren Selbständigkeit der Brigaden dem absoluten Lenkungs- und Kontrollanspruch der dominierenden Dogmatiker in der SED-Führung widersprach. Damit „Vater Staat“ die Zügel fest im Griff behielt, durften „seine Kinder“ nicht einmal ihr Taschengeld zusammenlegen, um davon womöglich ihre Freizeit nach eigenem Gutdünken zu gestalten. Ihre Lebenserfahrung sagte den kommunistischen Patriarchen wohl, dass es dann nicht mehr weit war, bis die „Kinder“ ganz und gar ihre eigenen Wege gingen – eine offenbar unerträgliche Vorstellung. Fragt sich nur, wie attraktiv das sozialistische Arbeiten, Lernen und Leben für die Beschäftigten noch sein konnte, wenn sie dies ausschließlich nach von oben vorgegebenen Spielregeln vollführen und kaum etwas Eigenes einbringen durften. Solche Gängelung soll bekanntlich den Spaß am Spiel verderben und zudem einer tiefergehenden Identifikation abträglich sein. Im Januar 1961 meldete die ZK-Abteilung Gewerkschaften an Ulbricht, dass es bezüglich der Betriebsakademien Tendenzen „syndikalistischen Charakters“ gebe.80 Diese Akademien waren seit 1959 verstärkt gebildet worden, um die mit der BdsA-Kampagne ausgelöste Nachfrage nach Angeboten der betrieblichen Weiterbildung und Qualifizierung befriedigen zu können. Inzwischen hätte „sich die Mehrheit der Betriebsakademien zu selbständigen Institutionen bzw. Schulen entwickelt“, wobei in der „Funktion des Sekretärs, Leiters oder Direktors der Betriebsakademien hauptamtliche Kräfte tätig“ seien. Diese Entwicklung widerspräche völlig einem Mitte 1960 gefassten Ministerratsbeschluss. Eine ganze Reihe solcher Betriebsakademien erhöbe „jetzt Forderungen nach Erweiterung ihrer Rechte oder der der Räte der Betriebsakademien. In einzelnen Fällen wurden solche syndikalistischen Forderungen durch Gewerkschaftsleitungen sanktioniert.“ Zur Beseitigung dieser „Entstellungen“ wurden umgehend entsprechende 79 80

Abt. GS, Berlin, 8.7.1960, Arbeitsmaterial für alle Genossen der Abteilung. SAPMOBArch, DY 30 IV 2/611/38 (unpag.) Daher auch im Folgenden. ZK-Abt. GS, Berlin, 30.1.1961, Information an den Genossen Walter Ulbricht, betr. Syndikalistische Erscheinungen in der Arbeit der Betriebsakademien und Nichteinhaltung der Beschlüsse des MR vom 30.6.1960. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/12 (unpag.).

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Maßnahmen in den Apparaten sowie zur „Aufklärung“ in Presse und Fernsehen festgelegt.81 Diese „syndikalistischen“ Tendenzen bei den Betriebsakademien deuten darauf hin, dass unter den Wirtschaftsfunktionären, insbesondere beim ingenieurtechnischen Personal der Betriebe ein gewisses reformerisches Potenzial vorhanden war, dass in der folgenden Periode des NÖS eine wichtige Rolle spielen sollte. Insgesamt ist das tatsächliche Ausmaß der „Syndikalismus“-Affäre in den Betrieben als gering einzuschätzen. Aus den Aufsätzen von Klinger und Hübner sowie aus den Überlieferungen von SED und FDGB auf zentraler Ebene sowie für den Bezirk Potsdam, die für diese Arbeit ausgewertet wurden, entsteht jedenfalls der Eindruck, dass es nur eine sehr kleine Zahl von sozialistischen Brigaden gegeben hat, die – über das bereits im Laufe der 1950er Jahre etablierte Aushandeln höherer Löhne und Prämien hinaus – größere Rechte im o.g. Sinne beansprucht haben. Abgesehen vom Randphänomen der „Brigadekassen“ traten „syndikalistische“ Tendenzen zur Ausweitung der Rechte der Brigaden im weiter oben erörterten Sinne ausschließlich in jenen Betrieben auf, wo es aus dem Apparat heraus entsprechend konkrete Anregungen, Anleitung und Kontrolle gegeben hatte.82 Dass es in der „Syndikalismus“-Kampagne nicht zuletzt um die Bekämpfung „reformistischer Unklarheiten“ innerhalb des SED- und FDGB-Apparates ging, zeigt auch die folgende Auseinandersetzung, die im Sommer 1960 kulminierte: Fast gleichzeitig mit dem Höhepunkt der „Syndikalismus“-Kritik wurde ein weiteres Randproblem „geklärt“, dass der „revolutionären Wachsamkeit“ der ZKAbteilung Gewerkschaften nicht entgangen war. Es wurde „Lohnsicherheitsideologie“ genannt und als solche verteufelt. Der Leiter der Abteilung für Löhne und Arbeitsrecht des FDGB-Bundesvorstandes, Otto Lehmann, hatte bereits auf dem 5. FDGB-Kongress im Herbst 1959 darauf aufmerksam gemacht, dass es ein Widerspruch sei, wenn man die besten Brigadiers zur zeitweiligen „sozialistischen Hilfe“ in leistungsschwächere Arbeitskollektive delegieren wolle, ihnen dafür aber nicht einmal den vorher erzielten Durchschnittslohn, der ja z. T. abhängig von der Leistung der gesamten Brigade gezahlt wurde, garantiere.83 Da dies einleuchtete, blieb Lehmann mit 81 82

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Ebd. Als weiteres Indiz für die marginale Ausbreitung des „Syndikalismus“ in der Industrie ist zu bewerten, dass in den Quellen keine Hinweise darauf zu finden sind, dass es nach Einsetzen der parteioffiziellen Kritik und dem Kassieren der z. T. bereits beschlossenen „größeren Rechte“ für die BdsA zu irgendwelchen Unruhen in den Betrieben gekommen wäre. SAPMO-PA, DY 30 IV 2/611/33. Bl. 461ff. „Probleme die sich aus der Diskussion auf dem 5. FDGB-Kongress ergeben.“ (5.11.59) Zu diesem Zeitpunkt stellte die ZK-Abteilung lediglich fest, dass dieses Problem „geklärt werden“ muss.

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seiner Meinung nicht allein und das Institut für Arbeitsökonomik Dresden sowie „einige Genossen des Komitees für Arbeit und Löhne“ erstellten eine entsprechende theoretische Begründung. Die Genossen der ZK-Abteilung „entlarvten“ jedoch das Wesen dieser Auffassungen: „Alles mit Geld zu erreichen, das Klassenbewusstsein der Arbeiter mit Geld zu erkaufen.“84 Dass er sich zum Vorreiter einer so „dekadenten“ Denkweise machte, ahnte Otto Lehmann sicher noch nicht, als er in einem 17-seitigen Papier seinen Standpunkt bekräftigte.85 Dazu erfolgte postwendend eine umfangreiche Stellungnahme der ZK-Abteilung, worin Lehmann des „Revisionismus“ bezichtigt wurde – ein bewährtes Schlagwort zur Disziplinierung von Funktionären, die sich gelegentlich eine eigene Meinung erlaubten.86 Es dauerte noch einen Monat bis die ZKInquisitoren vom zuständigen Politbüromitglied Alfred Neumann grünes Licht zur Bekehrung des Abtrünnigen erhielten. Stolz konnten die Genossen dann zu Protokoll geben, dass Lehmann „unter Tränen“ seinen falschen Auffassungen abgeschworen habe und natürlich alle Mitglieder des Präsidiums des FDGBBundesvorstandes sich „distanzierten“.87 Am längeren Hebel der Macht sitzend, setzte die ZK-Abteilung in ihrer ideologischen Borniertheit die Auffassung durch, der zufolge „die Entwicklung vieler Brigaden der sozialistischen Arbeit beweist, dass die kameradschaftliche Hilfe gegenüber den Zurückgebliebenen ein Ausdruck des höheren Bewusstseins, des neuen sozialistischen Menschen ist.“88 Anders ausgedrückt: Brigadiere und engagierte Facharbeiter, die für einige Zeit in andere Arbeitskollektive wechselten, um dort zu einer Leistungssteigerung beizutragen, waren angeblich ohne Weiteres bereit, dabei auch teils empfindliche Lohneinbußen hinzunehmen. Vom Durchboxen dieser so offenkundig unsinnigen und realitätsfernen Auffassung waren die Herren in der ZK-Abteilung Gewerkschaften auch durch versammelten Sachverstand nicht abzubringen.89 Rettmann und Co. vertraten diesen Unfug gegen alle 84 85 86 87 88 89

SAPMO-PA, DY 30 IV/2/611/46, Bl. 81ff. Beratung bei der Abt. GS am 12.8.1960. Ebd., Bl. 50–66. Das Dokument ist überschrieben als „Gemeinsamer Standpunkt …“ der Abteilung Löhne/Arbeitsrecht und datiert vom 30.6.60. Ebenda, Bl. 33-40. Stellungnahme der Abt. GS zu dem vorliegenden Material des Gen. Lehmann und der Abt. Arbeit und Löhne (…), 8.7.60. Ebenda, Bl. 75–77. Information für Gen. Neumann über die Auseinandersetzung mit Gen. Otto Lehmann (…), 9.8.60. SAPMO-PA, DY 30 IV/2/611/46, Bl. 38. Stellungnahme der Abt. GS (…), 8.7.1960. Eine gerade gemeinsam von Experten des Bundesvorstandes des FDGB, des Komitees für Arbeit und Löhne, des Instituts für Arbeitsökonomik und Arbeitsschutzforschung in Dresden, Mitarbeitern der Staatlichen Plankommission und des ZV der IG Metall erarbeitete Lohnkonzeption für den VEB Glashütter-Uhrenbetrieb wurde zurückgewiesen und ihre Realisierung verhindert, weil auch darin das angeblich falsche Prinzip der Lohn-

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Fachleute so tapfer, weil ihr Dienstherr, der ZK-Sekretär Alfred Neumann einige Monate zuvor Kritik „an den beamtenmäßigen Auffassungen einer Reihe von Gewerkschaftsfunktionären zum Lohnausgleich bei sozialistischer Hilfe“ geübt und seine Meinung dazu noch nicht geändert hatte.90 Da erwiesen sie sich ganz als „rote Preußen“, die den Kadavergehorsam als unverzichtbare Komponente des „demokratischen Zentralismus“ verinnerlicht hatten. Ziemlich klar und eindeutig waren die Folgen dieser unsinnigen Politik zu benennen: „Die gegenseitige Hilfe als Hauptprinzip des sozialistischen Wettbewerbs (…) setzt sich in unserem Bezirk nur zögernd durch. Das beste Beispiel dafür [ist der] VEB Kunstseidenwerk Friedrich Engels Premnitz, in dem die Kollegin H.S. arbeitet und die Initiative entwickelt hat. Diese gute Bewegung wurde selbst in diesem Betrieb vollkommen ungenügend verbreitet. Wohl findet dieses Prinzip in einigen BdsA, die mit dem Titel ausgezeichnet wurden oder um ihn kämpfen, Anwendung. (…) Keinesfalls kann man von unserem Bezirk sagen, dass sich diese Bewegung breit entwickelt hat. Die Ursache liegt in erster Linie darin, dass wir als Leitung der Bewegung zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben und ungenügend offen die Fragen mit den Kollegen in den Brigaden und Gewerkschaftsgruppen diskutierten.“91 Wie wahr! Sonst hätten sie das Unverständnis und den Unmut der Arbeiter über das Geschwätz von „falscher Lohnsicherheitsideologie“ etc. hören können. Weitgehend fruchtlos blieben die Bemühungen im Nachgang der „Syndikalismus“-Affäre, „den Vertrauensleuten, als den wichtigsten Funktionären in den Gewerkschaftsgruppen“ zu größerer Geltung zu verhelfen.92 So ist auch die Be-

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sicherheit festgeschrieben worden war. Abt. GS, Berlin, 8.7.1960, Arbeitsmaterial für alle Genossen der Abteilung. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/38 (unpag.). Ebenda. Fritz Rettmann war zu diesem Zeitpunkt (1957–1962) Leiter der Abteilung Gewerkschaften und Sozialpolitik des ZK der SED. Bereits im Frühjahr 1959 hatten sich die Abteilungsmitarbeiter an ähnlichen Äußerungen auf der 29. Tagung des FDGB BuV gestoßen und wirre Pseudotheorien über den „Charakter der Entlohnung in den sozialistischen Betrieben im Gegensatz zum Lohn entsprechend den Ausbeutungsverhältnissen im Kapitalismus“ entworfen. Abt. GS, Berlin 3.4.1959, Stellungnahme zur Disposition für die Auswertung (…) SAPMO-BArch, DY 30 IV/2/611/12 (unpag.). FDGB-BV Potsdam, Abt. Arbeit und Löhne, 20.7.1960, Einschätzung der Ergebnisse des sozialistischen Wettbewerbes im Bezirk Potsdam. BLHA, Rep. 547/BK 1039 (unpag.) Plan für die erste Auswertung der 4. BuV-Sitzung des FDGB, Sekretariat des BV FDGB Potsdam, 1.6.1960, BLHA, Rep. 547/BK 208 (unpag.). Exemplarisch dazu: „Die Arbeit der Vertrauensleute ist nicht ausreichend. Dies ist zurückzuführen auf die mangelnde Anleitung von Seiten der AGL. Nach Aussagen der Vertrauensleute fand in diesem Jahr noch keine Anleitung derselben statt.“ Hennigsdorf (SWH), 22.7.60, Die ständigen Produktionsberatungen, Wettbewerbsaufruf der Brigade Max Reimann und Arbeit des Vertrauensmannes. BLHA, Rep. 547/BK 1039 (unpag.).

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merkung Herbert Warnkes vom März 1961 einzuordnen, der beklagte, dass die kurz zuvor gewählten fast 800.000 ehrenamtlichen Gewerkschaftsfunktionäre inzwischen bereits wieder „verschwunden“ seien. Dafür würden Brigadiere auftreten, was an sich nicht schlecht sei. „Falsch war nur, dass daneben der Vertrauensmann völlig verschwand.“93 Warnkes Befund bedarf allerdings einer kleinen Korrektur, ohne die das Bild schief wird: Der FDGB-Vorsitzende suggeriert damit nämlich, die gewerkschaftlichen Basisfunktionäre seien von den Brigadiers verdrängt worden, hätten vordem also in der Hierarchie über diesen gestanden. Dass dies völliger Unfug ist, muss selbst Warnke gewusst haben. Bislang spricht vielmehr alles dafür, dass die FDGB-Vertrauensleute nicht erst durch die Aufwertung der sozialistischen Brigaden und ihrer Leiter zu einer „grande quantité négligeable“ geworden waren,94 sondern von Beginn an mehr oder weniger bedeutungsund einflusslos gewesen sind.95

7. Zum Einfluss westdeutscher Medien auf die „Syndikalismus“Affäre Die „Syndikalismus“-Affäre ist auch ein anschauliches Beispiel dafür, welch große Aufmerksamkeit die Parteiführung der Berichterstattung westdeutscher Medien zu Entwicklungen in der DDR widmete. Ab Ende Mai 1960 tauchen in den Akten des ZK-Apparates eine ganze Reihe von Auszügen aus Mitteilungen des Staatlichen Rundfunk-Komitees auf, die Meldungen und Kommentare vorrangig des RIAS, SFB und NDR zur Diskussion um die erweiterten Rechte der sozialistischen Brigaden enthalten. Diese Mitschnitte bezeugen, dass die bundesdeutschen Medien das diesbezügliche Geschehen in der DDR ziemlich genau verfolgten. Der Tribüne-Artikel von Rubbel wurde ebenso wohlwollend besprochen wie der Aufsatz von Schmutzler, und immer wieder wurde der Vergleich zu Jugoslawien und Polen gezogen, wo „die Möglichkeiten der Mitbestimmung (…) größer als in der Zone“ seien.96 Die SED „fürchtet Syndikalismus und Titoismus und das schreckt sie vielleicht noch mehr als wirtschaftliche Fehlschläge. (…) Diese Versuche zu einer Selbstverwaltung und Mitverwaltung der Arbeiter in ihren Betrieben, wie sie bspw. in Jugoslawien nicht ohne Erfolg gehandhabt wird, müssen der Partei 93 94 95 96

Zitiert nach Hübner, Konsens, S. 236f. Ebd. Vgl. Werum, „Wir sind die Illegalen!“; Stadtland, Herrschaft, S. 117ff. und 363ff.; Reichel, Auf dem Weg. Auszug aus „RIAS – Werktag der Zone“ – vom 27.5.1960. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/ 2029/204 (unpag.).

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ein Dorn im Auge sein. (…) Wenn die Arbeiter aber beginnen, ihr bislang nur auf dem Papier stehendes Mitbestimmungsrecht zu praktizieren, fühlt die Partei ihre Herrschaft angetastet.“97 „Die sogenannten sozialistischen Brigaden wachsen ihr [der SED] über den Kopf, weil sie mehr Rechte und Mitbestimmung fordern. (…) Im Parteijargon heißt das ‚Syndikalismus‘, der nach parteioffizieller Auffassung eine Gefahr ist, weil er den zentralistischen Staat und seine umfassende Befehlsgewalt bedroht. (…) Wenn die SED sich gegen diese Versuche einer Selbsthilfe der Arbeiter wendet, die zwar nicht bewusst und absichtlich, aber doch mit innerer Konsequenz die zentrale Exekutiv- und Befehlsgewalt einzuschränken beginnen, ist sie machtpolitisch im Recht, doch mit der Verteidigung des Machtinstruments Staat verstößt sie schwer gegen die ideologischen Grundsätze, aus denen sie die Berechtigung für alle ihre Handlungen zu ziehen vorsieht.“98 Die Kommentare lassen es an Deutlichkeit nicht fehlen, wobei sie weniger die aktuelle Situation in den DDR-Betrieben wiedergeben, als vielmehr Projektionen eventueller bzw. erwünschter künftiger Entwicklungen darstellen. In parteiinternen Informationsmaterialien der SED werden sie ausführlich als „Einmischungsversuche des feindlichen Rundfunks“ besprochen und „widerlegt“.99 Daraus ergibt sich die Frage, welchen Einfluss diese Berichterstattung der westdeutschen Medien auf den Verlauf der „Syndikalismus“-Affäre ausübte. Über die Rezeption durch die Arbeiterschaft in der DDR sagen diese Quellen leider nichts aus. Also geht es im Wesentlichen um die Wirkungen innerhalb des Parteiapparates. Hier ist zu vermuten, dass die oben zitierte Bewertung der Diskussion über mehr Rechte für die sozialistischen Brigaden den Hardlinern in Führung und Apparat der SED indirekt in die Hände spielte. Das Lob der Medien des „Klassenfeindes“ setzte jegliche noch so vorsichtige Bemühungen um einen Ausbau der Kompetenzen und Mitbestimmungsmöglichkeiten der Arbeitskollektive quasi automatisch ins Unrecht, machte sie höchst verdächtig. Aus Sicht jener wohlwollenden westdeutschen Kommentatoren war dies ein Dilemma, dem sie unmöglich entrinnen konnten. Denn die Alternative eines hoffnungsvollen Beschweigens war mit deren Verständnis von Öffentlichkeit und dem Auftrag der Medien nicht zu 97 98 99

Auszug aus der Mitteilung des Staatl. Rundfunk-Komitees, Abt. Information vom 1.6.1960; Hier spricht Berlin (SFB), ebd. Auszug aus der Mitteilung des Staatl. Rundfunk-Komitees, Abt. Information vom 10.6.1960, ebd. ZK-Abt. Agitation/Propaganda, Berlin, 8.6.1960, Information (28) Zur Arbeit mit den soz. Brigaden. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/2029/204 (unpag.). Anschreiben von Abt. GS, 17.6.60 an Gen. Dr. Mittag, In der Anlage übersenden wir dir ein Material, welches wir für den Informationsdienst (…) erarbeitet haben, zu deiner Kenntnis. Parteiinternes Material: Informationsdienst (gedruckt), Nr. 41/VI, 1960 (hrsg. vom ZK der SED, Abt. Agit. und Prop.), ebd.

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vereinbaren. Ohnehin ist kaum anzunehmen, dass die Reaktionen der Dogmatiker in der SED sehr viel anders ausgefallen wären, wenn es diese Kommentare nicht gegeben hätte. Schließlich hatte Ulbricht sein „Syndikalismus“-Verdikt verkündet, bevor die zitierten Berichte in den Westmedien gesendet wurden.

8. Zusammenfassung Was blieb nach dieser erfolgreichen Bekämpfung aller mit den sozialistischen Brigaden verknüpften „syndikalistischen“ und revisionistischen Tendenzen? SED und FDGB drehten sich praktisch im Kreis. Da sie das eine – mehr Rechte und größere Selbständigkeit sowie eine gezielte materielle Stimulierung für die (besten, loyalsten) Brigaden – mit Rücksicht auf die unverrückbaren Prinzipien des „demokratischen Zentralismus“ und der „sozialistischen Einzelleitung“ nicht wollten bzw. wollen durften, konnten sie andererseits die BdsA auch kaum als Instrument zur Steigerung der Produktivität und zur „Erziehung der Arbeiterklasse“ zu „neuen, sozialistischen Menschen“ nutzen. Beschnitten um gerade erst ansatzweise errungene Freiräume, mussten die sozialistischen Brigaden selbst für engagierte Arbeiter ihre Attraktivität fast gänzlich verlieren und zu einer weitgehend formalen Einrichtung verkommen. Entsprechend enttäuschend fiel auch der ökonomische Nutzen der BdsAKampagne aus. Mitte 1960 musste die ZK-Abteilung Gewerkschaften einen unübersehbaren Widerspruch konstatieren: „Während die Zahl der Teilnehmer [am sozialistischen Wettbewerb] immer mehr steigt, werden andererseits wichtige Staatsplanpositionen nicht erfüllt.“100 Die Enttäuschung darüber, dass die „Wunderwaffe“ der sozialistischen Brigaden nach anderthalb Jahren scheinbar noch keinen nennenswerten Beitrag zur Leistungssteigerung der Volkswirtschaft erbracht hatte und die DDR auf eine neuerliche, nicht zuletzt ökonomisch bedingte Krise zutrieb,101 mochte dazu beigetragen haben, dass Ulbricht und Co. mit ihrer „Syndikalismus“-Kritik das Kind beinahe mit dem Bade ausgeschüttet hatten. Dies war insofern prägend für den weiteren Verlauf der Bewegung der sozialistischen Brigaden, als dadurch die praktische Unmöglichkeit der Entfaltung einer tatsächlichen – selbständigen – Bewegung der Arbeiter und ihrer Brigaden in den Betrieben demonstriert worden war.

100 Abt. GS, Berlin, 18.6.60, Zu einigen aktuellen Fragen und Erscheinungen bei der Entwicklung der soz. Gemeinschaftsarbeit. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/2029/204 (unpag.). 101 Vgl. Steiner, Vom Überholen eingeholt.

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Nachdem zunächst aus dem Machtapparat heraus die Möglichkeit zu größerer Selbständigkeit und Mitbestimmung der BdsA eröffnet und angepriesen worden war, wurde die entsprechende Umsetzung in der Praxis alsbald gestoppt und somit beispielhaft verdeutlicht, dass SED-Losungen wie „plane mit, arbeite mit, regiere mit“102 – abgesehen vom Arbeiten – letztlich nur leere Phrasen waren. Selbst die kaum zu quantifizierende Minderheit der Arbeiter, die bereit gewesen waren, sich in den sozialistischen Brigaden tatsächlich zu engagieren, lernte daraus (erneut), dass derartige Angebote nicht wirklich ernst gemeint waren, sondern lediglich eine Alibifunktion erfüllten: Ihre Eigeninitiative war eher unerwünscht. Die tonangebenden Dogmatiker in der SED- und FDGB-Führung hatten die Prioritäten ein weiteres Mal klar abgesteckt: Das Prinzip des „demokratischen Zentralismus“ war und blieb unantastbar, was bedeutete, keine schwer oder nicht zu kontrollierenden, auch nur teilweise autonomen Institutionen in Wirtschaft und Gesellschaft der DDR zuzulassen. Vom Anspruch der lückenlosen Durchherrschung gab es kein Abrücken. Erhalt und Ausbau der Macht der SEDFührung besaßen letztlich absolute Priorität. Deshalb unterdrückten Ulbricht und Genossen alle Ansätze zur Schaffung sogenannter „jugoslawischer Verhältnisse“, wobei es im Kern um die Ablehnung jeder realen, substantiellen demokratischen Beteiligung und Mitbestimmung – hier der Arbeiter, also der angeblich führenden Klasse – ging. In jedem Fall ist Hübners Einschätzung zuzustimmen, dass die recht drastische Intervention der SED-Spitze nicht zuletzt auf die krisenhafte Gesamtsituation, in der sich die DDR 1960/61 befand, zurückzuführen war, die das Regime offenbar empfindlich auf kleinste Ansätze der Relativierung der Strukturen und Mechanismen seiner Herrschaft reagieren ließ.103 So war die „Syndikalismus“-Affäre ein weiterer Schritt weg von der Utopie und dem Postulat des „Arbeiterstaates“, hin zum letztlich perspektivlosen realexistierenden Sozialismus.104 Diese Erkenntnis – oder möglicherweise auch bittere Erfahrung – betraf die Arbeiterschaft freilich in weit geringerem Maße als jene Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre, die sich für größere Rechte der sozialistischen Brigaden eingesetzt hatten. Sie vor allem lernten, zu Beginn jener Periode, da in der DDR (noch) kleinere und größere Reformversuche unternommen wur102 In seiner Lobpreisung der soz. Brigaden hatte Ulbricht auf der 6. ZK-Tagung selbst diesen Slogan zitiert, der in den BdsA „erst richtig zur Geltung“ komme. „Das ist nicht einfach nur eine Losung, sondern ein Ausdruck der Höherentwicklung unserer Demokratie.“ Zitiert nach: Abt. GS, Berlin, 18.6.60, Zu einigen aktuellen Fragen und Erscheinungen bei der Entwicklung der soz. Gemeinschaftsarbeit. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/2029/204 (unpag.). 103 Hübner, Versündigungen, S. 114. 104 Vgl. Meuschel, Legitimation, S. 123ff. und 221–229.

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den, wie enge Grenzen solchen Bestrebungen durch die SED-Führung aus ideologischen und v. a. machtpolitischen Gründen gesetzt wurden. Als besonders gefährlich musste den führenden Genossen die Verbindung zwischen den auf Anregung von Apel u. a. vereinzelt bereits realisierten Forderungen der Brigaden in den Betrieben einerseits und jenen, diese aufgreifenden und ausweitenden Überlegungen im Partei- und Gewerkschaftsapparat sowie bei einigen Gesellschaftswissenschaftlern andererseits erscheinen. Noch war es lediglich darum gegangen, die weitere Ausbreitung „reformistischer Unklarheiten“ innerhalb des SED- und FDGB-Apparates zu verhindern. Hätten diese weiter um sich gegriffen und unter den Arbeitern in den Betrieben Fuß gefasst, wäre möglicherweise der absolute Machtanspruch der Partei, insbesondere ihrer Führung ins Wanken geraten. Innerhalb der Arbeiterschaft war der Funke aber noch nicht übergesprungen. Gewährte man jedoch nicht nur probehalber einer Handvoll ausgesprochen loyaler sozialistischer Brigaden unter permanenter Anleitung und Kontrolle durch Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre größere Rechte und Freiräume, war es nur eine Frage der Zeit, dass diese Entwicklung immer weitere Kreise gezogen hätte und kaum mehr zurückzudrehen gewesen wäre. Das vertrug sich nicht mit dem diktatorischen Anspruch der SED-Spitze, buchstäblich alle Fäden in der Hand zu behalten. So barg noch die harmloseste, an sich für den Erfolg der BdsA-Kampagne sprechende Äußerung eines Arbeiters, Mitglied der Brigade „7. Oktober“ im KWO (Ostberlin), den Keim der Bedrohung des Ulbricht-Regimes: Ganz im Sinne der Kampagne meinte dieser, „dass die Punkte sozialistisch arbeiten, lernen und leben eng verbunden sind und eine Einheit bilden“. Mit seinen eigenen Worten umschreibt der Arbeiter den zitierten Slogan: „Wird nicht der, der nicht locker lässt mit seinem Plan, bis er auf den Tag aufgeschlüsselt ist, nicht auch in anderen Situationen des Lebens seinen Mann stehen? Wenn wir durch die Arbeit lernen uns durchzusetzen und für eine Sache einzutreten, wird es uns auch im privaten Leben leichter fallen, sozialistisch zu handeln.“105 Paradoxerweise lag genau hier das Problem: Selbstbewusste, durchsetzungswillige und -fähige Arbeiter stellten eine Bedrohung der SED-Diktatur dar. Was wäre bspw. geschehen, wenn eines Tages die Arbeiter gemeinsam mit den Wirtschaftsfunktionären, Ökonomen und Ingenieuren ihrer Betriebe erkannt hätten, dass das überzentralisierte staatliche Planungssystem und die Allmacht des Politbüros das grundlegende Problem darstellten?106 105 Die politische Bedeutung der Bewegung „BdsA“. FDGB-BuV, o. D. (ca. Frühjahr 1960). SAPMO-BArch, DY 34/21319 (unpag.). 106 In einer „Einschätzung der Ergebnisse des sozialistischen Wettbewerbs im Bezirk Potsdam“ vom 20.7.1960 durch den FDGB-BV Potsdam heißt es diesbezüglich: Die

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Dies konnten die Machthaber unter keinen Umständen wollen. Zugleich wird daran deutlich, wie weit sie sich von ihrem vorgeblichen Ziel eines „sozialistischen Arbeiterstaates“ entfernt hatten.

„,Ideologie‘ vieler Wirtschaftsfunktionäre: ‚die da oben haben Schuld‘, hat bei vielen Arbeitern Einfluss gefunden und wird durch die Gewerkschaftsleitungen ungenügend bekämpft.“ BLHA, Rep. 547/BK 1039 (unpag.).

IV. Die Entwicklung der sozialistischen Brigadebewegung in den 1960er Jahren

1. Stagnation und Rückgang bis Mitte der sechziger Jahre Deutliches Abflauen infolge der „Syndikalismus“-Affäre Nach der monatelangen Euphorie um die sozialistischen Brigaden seit dem Kampagnenauftakt Anfang 1959, zu der auch Ulbricht persönlich wiederholt beigetragen hatte, löste die plötzliche heftige „Syndikalismus“-Kritik des SED-Chefs Verwirrung und Verunsicherung unter vielen Funktionären, aber auch unter den Beschäftigten aus, die sich der Brigadebewegung angeschlossen hatten. „Nun sollen sie – damit ist die Partei gemeint (…) – nachdem das als falsch erkannt wurde, auch sagen, was wir machen sollen und wie es weitergehen soll“ – gab ein interner Bericht im ZK-Apparat entsprechende Reaktionen wieder.1 Die Folge war, dass die bis dahin auf allen Ebenen intensiv betriebene BdsA-Kampagne praktisch eingestellt wurde. So musste nicht nur im Brandenburger Stahl- und Walzwerk Anfang 1961 festgestellt werden, dass bezüglich der sozialistischen Brigaden inzwischen „leider die anleitende Tätigkeit der Funktionäre und die erzieherische Mitarbeit des gesamten Kollektivs“ fehle. In der Abteilung Schrottplatz bspw. fand dieser Zustand seinen Ausdruck darin, dass nur eine der drei Schichten ihren neuen Brigadevertrag diskutiert und an die AGL zurückgegeben hatte.2 Solche und ähnliche Meldungen kamen aus vielen Betrieben. Auch in der FDGB-Führung machte sich Ernüchterung breit. Jetzt kam man zu der Einsicht, dass „in einer Reihe von Betrieben (…) willkürlich Brigaden gebildet [worden waren], die nicht dem technologischen Prozess bzw. der innerbetrieblichen Arbeitsteilung“ entsprachen. Weiterhin kritisch angemerkt wurde in der Gewerkschaftszentrale, dass in diesem

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ZK-Abt. Maschinenbau und Metallurgie, 25.6.1960, Einschätzung einiger Probleme (…), SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/2029/31 (unpag.). Protokoll der Mitgliederversammlung der APO Schrottplatz am 4.1.1961. BLHA Rep. 532/159 (unpag.). Im EKO wurde Ende 1960 ein ähnlicher Zustand konstatiert und darauf zurückgeführt, dass die Brigaden nicht genügend durch Abteilungsleitungen und Meister unterstützt, die zentralen Erfahrungsaustausche der BdsA nur mangelhaft durchgeführt würden und eine „teilweise Interesselosigkeit der Brigademitglieder“ um sich greife. UA EKO 174, Bl. 263 f. Die Arbeit mit den BdsA (…) im Jahre 1961.

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Zusammenhang „vielfach gesellschaftliche Brigadiere gewählt“ worden seien.3 Derartige Entwicklungen müssten gestoppt und revidiert werden, da sie gegen einschlägige Vorschriften verstießen und „syndikalistische Tendenzen zum Ausdruck“ brächten. Gleichzeitig wurde die Position der Meister gegenüber den Brigadiers wieder stärker betont. Zudem bemühte sich der FDGB den noch weiter ins Hintertreffen geratenen Vertrauensleuten als gewerkschaftlichen Basisfunktionären den Rücken zu stärken und unterstrich deshalb, dass sie für die Organisierung des sozialistischen Wettbewerbes in den Brigaden verantwortlich seien. In diesen Kontext passt auch, dass „durch die Auszeichnung der besten Meisterbereiche im sozialistischen Wettbewerb anstelle der Orientierung auf Brigaden“ diese „in den Hintergrund gedrängt“ wurden, wie der BGL-Vorsitzende des EAW Treptow auf einer Beratung in der ZK-Abteilung im Sommer 1962 berichtete. In diesem Betrieb hatte das zwar noch nicht zu einem zahlenmäßigen Rückgang geführt, aber „das sozialistische Arbeiten, Lernen und Leben [sei] nicht der Inhalt der Brigaden“. Aus der Werkzeugmaschinenfabrik „7. Oktober“ berichtete ein Genosse in derselben Besprechung, dort seien die Brigaden inzwischen „vielfach eingeschlafen“, nachdem zuvor die „Zahlenhascherei durch Partei und BGL“ den Inhalt „von vornherein verwässert“ hatte.4 Insofern entsprach der Rückgang der Zahl der Brigaden bis Mitte der sechziger Jahre zum Teil einer Bereinigung der Statistik um eine Vielzahl jener Kollektive, die nur auf dem Papier existiert hatten. Manche Betriebe, wie etwa BergmannBorsig (Berlin), versuchten diesen Abwärtstrend durch einen regelmäßig durchgeführten „Tag der sozialistischen Brigaden“ abzuwenden.5 Die insgesamt rückläufige Tendenz der Brigadebewegung konnte aber auch dadurch nicht gestoppt werden. Immer wieder gab es Meldungen, wie die aus der Maxhütte Unterwellenborn vom Frühjahr 1964, dass es der BGL erst nach mehreren Anläufen und unter 3

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Für selbige gibt es allerdings keine konkreten Beispiele. FDGB-BuV, Abt. Wirtschaft, 22.2.1961, (Entwurf) Stellungnahme des Präsidiums (…) zu einigen Fragen, die sich aus der weiteren Entwicklung der Bewegung zum sozialistischen Arbeiten, Lernen und Leben ergeben, SAPMO- BArch, DY 34/21920 (unpag.). Eine Bemerkung in diesem Sinne machte auf jener Besprechung auch der IG-MetallVorsitzende Reinhard Sommer. ZK-Abt. GS, 28.6.1962, Aktennotiz über die Beratung der Abteilung (…) mit Vertretern gewerkschaftlicher Organe und Brigaden (...), SAPMOBArch, DY 30 IV 2/611/24, Bl. 114ff. Ebd. In einem Bericht vom Sommer 1964 schätzte ein Mitarbeiter des FDGB-BuV jedoch ein, dass der immer noch stattfindende „Tag der Brigade“ bei Bergmann Borsig „stark den Charakter von Abteilungsversammlungen bzw. Produktionsberatungen trägt und die spezifischen Probleme der Brigade[n] dort ungenügend behandelt werden“. FDGB-BuV, Sektor Wettbewerb, Berlin, 8.8.64, Analyse und Entwicklung der Arbeitsweise der KdsA. SAPMO-BArch, DY 34/21924 (unpag.).

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größten Mühen gelungen war, wenigstens die gleiche Anzahl von Brigaden wie im Vorjahr formal zur Teilnahme am Titelkampf zu bewegen.6 Gleichzeitig wurde von diesen Funktionären der Fehler beklagt, „das sozialistische Leben als Randerscheinung zu behandeln“. Dies verweist auf eine inhaltliche Verschiebung des Brigadewettbewerbs im Kontext des NÖS, auf die noch näher einzugehen sein wird. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass sich schließlich im März 1965 sogar das ZK-Sekretariat mit den „Problemen der Arbeit der sozialistischen Brigaden in den Betrieben“ befasste. Die SED-Führungsriege stellte fest, dass „in vielen Betrieben den sozialistischen Brigaden nicht mehr genügend Aufmerksamkeit im Kampf um die Verwirklichung der politisch-ideologischen und ökonomischen Aufgaben der Betriebe geschenkt wird. Viele Partei-, Wirtschafts- und Gewerkschaftsleitungen orientierten (…) ungenügend auf die sozialistischen Kollektive und unterschätzten deren Bedeutung für die Durchsetzung“ des NÖS. Das habe dazu geführt, dass die „Bildung neuer Brigaden stagniert und bereits bestehende Brigaden nicht erneut um den Titel (…) kämpften“.7 Diese rückläufige Tendenz wird auch durch die statistischen Angaben in Tabelle 1 sichtbar. Während die absolute Zahl der teilnehmenden Brigaden und Beschäftigten seit 1962 fiel und 1966 ihren Tiefstpunkt erreichte, ist bei den verliehenen KdsA-Titeln zu erkennen, dass der sozialistischen Brigadebewegung ab 1965 von oben wieder eine größere Bedeutung beigemessen wurde.

Paradox: Staatstitel wird geschrumpft – Teilnehmerkreis erweitert Um zu ergründen, warum der Kampf um den Kollektivtitel stagnierte, ist es hilfreich, die Modalitäten der Auszeichnung mit dem Staatstitel „Brigade (bzw. Kollektiv) der sozialistischen Arbeit“ näher zu betrachten. Nachdem es bereits 1959 Differenzen in dieser Frage gegeben hatte, stand der BGL-Vorsitzende der Rostocker Warnow-Werft ganz sicher nicht allein, als er im Frühjahr 1961 davor warnte, die Brigadebewegung könne „trotz aller betrieblichen Bemühungen verflachen, wenn der Auszeichnungsmodus nicht verändert wird. Die Möglichkeiten, wirklich gute Brigaden auszuzeichnen, sind zu gering und haben mit dem Wachstum dieser Bewegung nicht Schritt gehalten.“8 6 7 8

VEB Maxhütte Unterwellenborn, BGL, Bericht über die Führung des sozialistischen Wettbewerbs, 15.4.64. SAPMO-BArch, DY 34/21877 (unpag.). Protokoll der Sitzung des ZK-Sekretariats vom 31.3.1965, Anlage Nr. 2; SAPMO-BArch DY 30 J IV 2/3/1064, Bl. 10–13. Bericht über die Arbeit der BGL in der Warnow-Werft, 15.3.1961, SAPMO-BArch DY 30 IV 2/611/52 (unpag.) Dies blieb über Jahre ein gravierendes Problem, wie ein Be-

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Dem FDGB-Bundesvorstand war dieses Problem durchaus bekannt, da es wiederholt von der betrieblichen Basis reklamiert worden war. Einerseits wirkte die Unzufriedenheit darüber, dass aufgrund der restriktiven Begrenzung des Auszeichnungskontingentes nicht einmal in jedem Betrieb die besten und engagiertesten Brigaden honoriert werden konnten, demotivierend auf viele Beschäftigte. Andererseits hatte inzwischen auch die Parteiführung realisiert, dass die Verleihung des mit einigen hundert Mark je Kollektivmitglied recht hoch dotierten BdsA-Staatstitels bei einer unumgänglichen Erhöhung des Kontingents sehr schnell zu einer kostspieligen Angelegenheit werden würde. Deshalb „orientierte“ das SED-Politbüro Mitte 1961, angesichts der bevorstehenden Ehrungen anlässlich des DDR-Gründungstages am 7. Oktober, mehr „auf moralische Auszeichnungen, wie öffentliche Anerkennung usw., und wenn möglich, die Liquidierung von Geldprämien“. Allerdings sah man in der Parteizentrale sehr wohl, dass die gewünschte „Liquidierung von solchen Leistungsprämien (…) unter den jetzigen Bedingungen unangenehme Diskussionen auslösen“ würde, wovor man zunächst zurückscheute. Als ebenfalls problematisch wurde eine offenbar ins Auge gefasste „Verlagerung der Auszeichnung auf die Betriebe“ angesehen. Denn bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Kollektivprämierung käme „eine Anzahl Betriebe in Schwierigkeiten“, weil dann die Mittel dafür aus den jeweiligen Prämienfonds gezahlt werden müssten, die dadurch vielfach überfordert würden. Damit hätte man das Problem also lediglich verlagert, aber nicht gelöst.9 Letztlich fielen diese Bedenken jedoch unter den Tisch, wie die im März 1962 verabschiedete „Verordnung über die Stiftung des Ehrentitels Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ zeigt.10 Waren laut vorläufiger Ordnung von 1960 noch ausdrücklich eine Prämie für jedes ausgezeichnete Brigademitglied bis zu 600 DM festgeschrieben und die entsprechenden Mittel „im Haushalt des Büros des Präsidiums des Ministerrates zu planen“,11 fiel dies nun alles weg. Lediglich „eine Urkunde für das Kollektiv und für jedes Mitglied eine Medaille sowie eine Urkunde“

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richt von 1965 zeigt: „Stark verbreitet ist die Tatsache, dass Kollektive, die gute Leistungen vollbracht und sich sozialistisch entwickelt haben, aber nicht unmittelbar Erste im Wettbewerb geworden sind, schon jahrelang um die Anerkennung als ‚Kollektiv der sozialistischen Arbeit‘ kämpfen, ohne die Möglichkeit zu sehen, in absehbarer Zeit ausgezeichnet zu werden. (…) Darin liegt keine Perspektive, die moralischen Aspekte werden wirkungslos. (…) Diese Erscheinung tritt generell auf.“ (FDGB-BuV), 24.9.65, Information über die Entwicklung der sozialistischen Brigaden im Wettbewerb, SAPMO-BArch, DY 34/21886 (unpag.). ZK-Abt. GS, 30.6.1961, Information an den Gen. A. Neumann, SAPMO-BArch DY 30 IV 2/611/34 (unpag.) GBl. der DDR, Teil II, Nr. 19/62, vom 9.4.1962, S. 167f. GBl. der DDR, Teil I, Nr. 38/60, vom 6.7.1960, S. 395f.

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– freilich nicht mehr, wie noch 1959, vom Ministerpräsidenten und FDGBVorsitzenden unterzeichnet12 – sollten nun als Anerkennung genügen. Und tatsächlich erfolgte die Verlagerung von der Antragstellung bis zur Auszeichnung komplett auf die Betriebsebene.13 Den Betriebsleitungen war es nunmehr auch überlassen, durch eine entsprechende Dotierung einen materiellen Anreiz für den Titelkampf zu geben und die dafür erforderlichen Mittel bereitzustellen.14 Das führte in der Tat zu Komplikationen, z.B. weil „in einer Reihe von Betrieben erhebliche Mittel des Betriebsprämienfonds für die Aufholung von Planrückständen durch Sonderschichten und Überstunden verwandt“ wurden und „aus diesem Grunde oft keine ausreichenden Mittel für die materielle Anerkennung der Leistungen bei der Auszeichnung der Kollektive vorhanden“ waren.15 So zeigten sich bestimmt nicht nur die Mitglieder der Brigade „8. Mai“ aus dem VEB Bergmann Borsig (Berlin) enttäuscht über eine Prämie von lediglich 70 DM pro Kollege anlässlich der Auszeichnung mit dem KdsA-Titel zum 1. Mai 1964. „Als die Summe bekannt wurde, weigerten sich einige Koll. mit zur Auszeichnung zu gehen“, notierte ein besorgter Berichterstatter. Diese Enttäuschung habe dazu geführt, dass „ein absolutes Absinken nach der Auszeichnung in der Brigadearbeit eingetreten“ sei.16 Dass dies ein generelles Problem war, ist einer zusammenfassenden Einschätzung der FDGB-Führung vom Sommer 1964 zu entnehmen. Darin wird zudem betont, dass die „materielle Anerkennung“ im Zusammenhang der Auszeichnung als KdsA in den Betrieben

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GBl. der DDR Teil I, Nr. 49/59, vom 31.8.1959, S. 664. GBl. der DDR, Teil II, Nr. 19/62, vom 9.4.1962, S. 167f. Aus den Auszeichnungsunterlagen des SWB geht hervor, dass hier bspw. im Frühjahr 1962 eine 43-köpfige Brigade („Staschko“) zur Verleihung des BdsA-Titels Prämien zwischen 250,- (Brigadier) und 40,- DM erhielt. Die Gesamtsumme für das Kollektiv betrug 4000,- DM, wovon 440,- DM ausdrücklich für einen Brigadeabend anlässlich der Auszeichnung vorgesehen waren. Insgesamt erhielten im SWB im Frühjahr 1962 drei Brigaden den Staatstitel. Für die (zusammen) 135 Kollegen wurde eine Prämiensumme von 12.500 DM (durchschnittlich 92,59 DM pro Kopf) bereitgestellt. Aus den Unterlagen einer Hochofenbrigade („Popowitsch“) geht hervor, dass diese ein Jahr später zwischen 100,- und 200,- DM erhielten. Die differenzierte Prämienverteilung innerhalb der Brigaden findet sich in allen entsprechenden Unterlagen des SWB der sechziger Jahre wieder. BLHA Rep. 502/881 (unpag.). (FDGB-BuV), 24.9.65, Information über die Entwicklung der sozialistischen Brigaden im Wettbewerb. SAPMO-BArch, DY 34/21886 (unpag.). FDGB-BuV, Sektor Wettbewerb, Berlin, 8.8.64, Analyse und Entwicklung der Arbeitsweise der Kollektive der sozialistischen Arbeit, SAPMO-BArch, DY 34/21924 (unpag.).

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„sehr unterschiedlich“ gehandhabt werde und diese Prämien in den letzen Jahren tendenziell „wesentlich niedriger“ ausfielen.17 Das alles bedeutete einen erheblichen Prestigeverlust und eine klare Entwertung dieser Kollektivauszeichnung. Damit sank die Attraktivität des sozialistischen Brigadewettbewerbs beträchtlich, was ganz sicher ein wesentlicher Grund für den Rückgang in der Beteiligung war. Die Neuerung, derzufolge künftig der „Ehrentitel demselben Kollektiv mehrfach verliehen werden“ konnte, vorausgesetzt, dass die „erneuten Verpflichtungen (…) höhere Aufgaben darstellen und diese ebenfalls vorbildlich erfüllt“ würden,18 scheint keinen sonderlichen Motivationsschub ausgelöst zu haben. Die nach wie vor eng begrenzte Zahl der Auszeichnungen (vgl. Tabelle 1) machte eine baldige erneute Ehrung immer noch unwahrscheinlich, so dass sich einmal ausgezeichnete Brigaden häufig nicht so schnell wieder dem Stress der allseitigen Mobilisierung eines erfolgreichen BdsA-Titelkampfes unterzogen. Nach der Auszeichnung, so der Bericht eines IG-Zentralvorstandes, trete „oft eine Stagnation in der Entwicklung der Brigade“ ein. „Wir haben es geschafft, die anderen sollen erst mal so gut werden!“, sei die übliche Formel.19 Es war Augenwischerei, zu glauben, dass lediglich die „Vernachlässigung der politisch-ideologischen Erziehungsarbeit“ durch Betriebsleitung, BPL und BGL dazu führte, dass häufig „bisher mit dem Staatstitel ausgezeichnete (…) Brigaden, nachdem sie den Titel errungen haben, gegenüber den anderen Kollektiven in ihrer politisch-ideologischen Arbeit weit zurückgeblieben sind, ebenso in ihrer Wettbewerbsinitiative“.20 Auch wenn dies der Wunschvorstellung führender SED- und Gewerkschaftsfunktionäre nicht entsprach, war und blieb das ausschlaggebende Motiv für die ganz überwiegende Mehrzahl der Beschäftigten die Aussicht auf eine möglichst hohe Prämie. Zum Teil versuchte man in den Betrieben dieser Tendenz entgegenzuwirken und Druck auf bereits ausgezeichnete Kollektive auszuüben: „Die moralische, politische Verantwortung gegenüber der Partei- und Staatsfüh17

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Diesem Bericht zufolge waren die Prämien von 250 bis 600 MDN „in den ersten Jahren so um 1960“ auf „zwischen ca. 80 und 150 MDN“ in den Jahren 1962–64 gefallen. (FDGBBuV), Berlin, 22.8.1964, Einschätzung des Standes und der neuen Erfahrungen der Bewegung des sozialistischen Arbeitens, Lernens und Lebens (…); SAPMO-BArch, DY 34/ 21924 (unpag.). GBl. der DDR, Teil II, Nr. 19/62, vom 9.4.1962, S. 168. ZV der IG Druck und Papier, 15.8.1963, Zur Vorlage: Die neuen Erfahrungen und ideologischen Probleme in der Entwicklung der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit (…), SAPMO-BArch, DY 34/21922 (unpag.). ZV IG Metall, Berlin, 5.6.1963, Präsidiums-Information, Bericht über die Untersuchung der Teilnahme der Brigaden und Kollektive der sozialistischen Arbeit am innerbetrieblichen Wettbewerb (…), SAPMO-BArch, DY 34/21921 (unpag.).

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rung verpflichtet, diese Leistungen auf höherer Ebene ständig zu wiederholen.“ Doch auch solche eindringlichen Appelle, in diesem Fall aus dem SWB, dürften die meisten Arbeiter kaum beeindruckt haben und signalisieren eher, dass diese Forderungen in der Realität zumeist unerfüllt blieben.21 Als Resümee aus Berichten der IG-Zentralvorstände und der Bezirksvorstände des FDGB hieß es in einem Papier des Bundesvorstandes im Sommer 1963, die sozialistische Brigadebewegung würde „oftmals durch zu hohe Anforderungen für die Verleihung des Ehrentitels gehemmt“. Es gäbe „viele Anzeichen, dass gute Brigaden nicht mit dem Ehrentitel ausgezeichnet werden und zu der Auffassung gelangen: ‚Wir kämpfen um ein unerreichbares Ziel!‘“ Vielfach zu hören sei in diesem Zusammenhang das Argument, die Prämienmittel reichten nicht aus.22 Im FDGB-Bundesvorstand brachte man das nach wie vor bestehende Problem auf den Punkt: „Wie kann die zur Zeit bestehende Tendenz, dass nur relativ wenige Kollektive die Möglichkeit haben, als ‚Kollektiv der sozialistischen Arbeit‘ ausgezeichnet zu werden, überwunden werden, ohne dass eine Verflachung des Inhalts der Gemeinschaftsarbeit bzw. eine Abwertung der Auszeichnung eintritt?“23 Eine beide Aspekte berücksichtigende Lösung war freilich nicht in Sicht. Seit dem letzten Boom der Brigadebewegung, im Jahr nach Beginn der BdsAKampagne (1959/60), hatte es noch eine weitere wichtige Veränderung gegeben. Der Beschluss vom Frühjahr 1962, die Modalitäten der Auszeichnung mit dem Staatstitel zu revidieren, beinhaltete, neben den bereits genannten Aspekten, eine Umbenennung der Ehrung von Brigade (…) in „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“. Dahinter verbarg sich weit mehr als eine formale Namensänderung: Die ursprünglich klare Begrenzung auf die (Arbeits-)Brigaden in der Produktion wurde aufgehoben und ausdrücklich betont, dass nunmehr auch „Kollektive außerhalb der materiellen Produktion mit diesem Ehrentitel ausgezeichnet“ werden könnten.24 Die FDGB-Führung begründete diesen Schritt damit, dass „die Bewegung für sozialistisches Arbeiten, Lernen und Leben bereits alle Schichten der Werktätigen und Geistesschaffenden erfasst“ habe.25

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SWB, BPL, Referat zum Brigademeeting (1965); BLHA Rep. 532/1439 (unpag.). FDGB-BuV, Sektor Wettbewerb, Berlin, 22.8.1963, (Entwurf) Einschätzung der neuen Erfahrungen (…);SAPMO-BArch, DY 34/21922 (unpag.). (FDGB-BuV), Berlin, 22.8.1964, Einschätzung des Standes (…), Schlussfolgerungen; SAPMO-BArch, DY 34/21924 (unpag.). GBl. der DDR, Teil II, Nr. 19/1962, vom 9.4.1962, S. 167f. FDGB-BuV, Abt. Wirtschaft, Berlin, 12.1.1962, Wie soll im Jahre 1962 (…) der sozialistische Wettbewerb in Verbindung mit dem Kampf um den Titel KdsA geführt werden? SAPMO-BArch, DY 34/21920 (unpag.).

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Hierzu ist zweierlei anzumerken: Einerseits war dabei nicht zuletzt der Wunsch Vater des Gedankens: Abgeleitet von dem Ziel, eine klassenlose, weitgehend homogenisierte Gesellschaft zu schaffen, die wenige Jahre später mit dem Begriff der „sozialistischen Menschengemeinschaft“ umschrieben wurde. Das umfassende Konzept des sozialistischen Arbeitens, Lernens und Lebens sollte nun also nicht mehr nur für die Produktionsarbeiter gelten, sondern auf eine deutlich größere Gruppe von Werktätigen ausgedehnt werden. Andererseits hatten Beschäftigte in den nichtproduzierenden Bereichen schon rein materiell ein Interesse daran, ebenfalls am sozialistischen Brigade- bzw. Kollektivwettbewerb teilnehmen zu können, um ihr Einkommen mit den dabei zu erzielenden Prämien aufbessern zu können. Dies traf sowohl auf die nicht unmittelbar in der Produktion tätigen und daher auch nicht in Brigaden zusammengefassten Beschäftigten von Industriebetrieben als auch auf Werktätige in der Landwirtschaft, im Handel oder Dienstleistungsgewerbe zu, insofern es sich um „volkseigene und ihnen gleichgestellte Betriebe und Einrichtungen“ der Genossenschaften handelte.26 Außerdem brannten ja gerade unter den Angehörigen der nicht im Bereich der materiellen Produktion tätigen und überdurchschnittlich SED-loyalen „Dienstklasse“ viele darauf, den „Makel“, kein (richtiger) Arbeiter zu sein, dadurch wettmachen zu können, dass sie den Beweis antraten, dem postulierten Ideal des sozialistischen Arbeitens, Lernens und Lebens mindestens ebenso gerecht zu werden wie jene.27

Wirtschaftskrise, Mauerbau, politischer Druck: Schlechte Rahmenbedingungen – auch für die sozialistische Brigadebewegung Alles andere als stimulierend dürfte die allgemeine, zunehmend negative Stimmung in der DDR-Bevölkerung zu Beginn der sechziger Jahre angesichts von Wirtschaftskrise und Mauerbau auf die Bereitschaft zum Engagement in der Brigadebewegung gewirkt haben.28 Nachdem Ende der fünfziger Jahre eine „deutliche 26 27

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GBl. der DDR, Teil II, Nr. 19/1962, vom 9.4.1962, S. 168. Wenn man die Brigadestatistik von Anfang bis Mitte der sechziger Jahre betrachtet (Tabelle 1), könnte man überdies vermuten, dass die Spitzen von FDGB und SED froh darüber waren, den zahlenmäßigen Rückgang der Brigadebewegung durch diese Ausweitung des Teilnehmerkreises statistisch kaschieren zu können. Dies als maßgebliches Motiv für die Einbeziehung nichtproduzierender Bereiche zu unterstellen, erscheint allerdings übertrieben.Zu dem nicht unumstrittenen Begriff der „Dienstklasse“ siehe Heike Solga, Auf dem Weg in eine klassenlose Gesellschaft? Klassenlagen und Mobilität zwischen Generationen in der DDR, Berlin 1995 sowie als Überblick zum aktuellen Stand der Diskussion um Eliten in der DDR: Peter Hübner, Einleitung: Antielitäre Eliten? In: Ders. (Hg.), Eliten im Sozialismus. Beiträge zur Sozialgeschichte der DDR, Köln u.a. 1999, S. 9–35. Vgl. Steiner, Überholen, S. 245–262; Major, Mit Panzern; Hübner, Das Jahr 1961.

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Konsolidierungstendenz“ zu verzeichnen gewesen war,29 mit der auch die Zahl derer, die die DDR in Richtung Westen verließen spürbar zurück ging, wuchsen im Laufe des Jahres 1960 mit der einsetzenden Wirtschaftskrise die Flüchtlingszahlen wieder bedrohlich an.30 Dieses Bild spiegelt sich in den meisten, zumal größeren Betrieben wider, wie in Tabelle 18 am Beispiel des Stahl- und Walzwerkes Brandenburg zu sehen ist.31 Da bereits ab Mitte der fünfziger Jahre die Beschäftigungsreserven weitgehend ausgeschöpft waren,32 wirkte nicht mehr nur die wirtschaftliche Situation in der DDR auf die Zahl der „Republikfluchten“, sondern hing umgekehrt in zunehmendem Maße auch die ökonomische Stabilität von der Eindämmung des Flüchtlingsstromes ab. Besonders dramatisch war dabei der Verlust von qualifizierten Fachkräften. So befanden sich unter den über 600 „Republikflüchtigen“ des Brandenburger Stahlwerkes der Jahre 1956 bis 1960 mindestens zwei Meister, 11 Brigadiere, 9 Aktivisten und eine ganze Reihe weiterer Kollegen, die explizit als „gute Arbeiter“ bezeichnet wurden. Ein Grund für deren Weggang war auch im SWB die „Sogwirkung des westdeutschen Arbeitsmarktes“.33

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Kleßmann, Zwei Staaten, S. 310f. Von knapp 400.000 Flüchtlingen 1956 und 385.000 im Jahr darauf sank die Zahl 1958 auf 226.000 und erreichte 1959 mit 174.000 den tiefsten Stand der gesamten fünfziger Jahre. 1960 gingen mit reichlich 225.000 wieder deutlich mehr Menschen in den Westen und 1961 wurden 233.500 gezählt, wobei die deutlich schwierigeren Fluchtmöglichkeiten nach dem 13. August in Rechnung zu stellen sind. Zahlen nach: Heidemeyer, Flucht, S. 44. Im Juli 1960 gingen allgemein (z.B. beim FDGB-BV Potsdam) vermehrt Meldungen über steigende Flüchtlingszahlen ein. Aus dem Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf hieß es bspw., dass allein im ersten Quartal des Jahres „7 Kollegen aus der gesamten Feinwalzstraße unsere Republik verlassen“ hatten und auch die IG Metall des Kreises Teltow berichtete von einer „starken Republikflucht“. BV des FDGB Potsdam, Abt. Arbeit und Löhne, 20.7.1960, Einschätzung der Ergebnisse des sozialistischen Wettbewerbes im Bezirk Potsdam; BLHA Rep. 547/BK 1039 (unpag.). Steiner, Überholen, S. 254. Hübner, Das Jahr 1961, S. 23. In diesem Fall findet sich mehrfach der Hinweis, dass Beschäftigte aus Brandenburg an der Havel in ein neu errichtetes Stahlwerk an die Weser nach Bremen wechselten, wobei häufig „Rückverbindungen“ bereits früher dorthin verzogener ehemaliger Kollegen aus dem SWB als „Ursache“ in den Akten vermerkt sind. So in diversen Dokumenten zu „Republikflüchtigen“ aus dem SWB in der Akte: BLHA, Rep. 532/163 (unpag.). In einer 1967 verfassten Diplomarbeit eines Stasi-Offiziers ist von ca. 500 ehemaligen Beschäftigten des SWB die Rede, die nach 1954 in einem neu errichteten Stahlwerk in Bremen Arbeit gefunden haben sollen. Anton Schlögel, Die Analyse des Nutzeffektes der inoffiziellen Arbeit bei der Bekämpfung der Feindtätigkeit im Rahmen der Objektsicherung, dargestellt am VEB Stahl- und Walzwerk Brandenburg. BStU, MfS,

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Darüber hinaus gab es eine Reihe weiterer Gründe, weshalb sich Beschäftigte in der Havelstadt und anderswo für den Umzug nach Westen entschieden, von denen im Folgenden einige beispielhaft genannt werden.34 Ein „guter Arbeiter“, Jahrgang 1927, war in letzter Zeit in der Betriebszeitung mehrfach „streng kritisiert“ worden, u. a. weil er erklärt hatte, nur in die SED eingetreten zu sein, weil er damals noch keine klare Vorstellung von ihren Zielen hatte und man ja auch nur Wert auf die Erhöhung der Mitgliederzahl gelegt habe; außerdem sei ihm die Gewerkschaft „zu politisch“. Dem wachsenden Druck entzog er sich schließlich in Richtung Westen. Ein Brigadier, Jg. 1906, der wegen seiner fachlich guten Arbeit bereits seit 1952 diese Funktion ausübte und 1954 als „Aktivist“ ausgezeichnet worden war, sah sich ebenfalls aufgrund wachsenden politischen Drucks zur Flucht veranlasst: „(…) dass er mit unserer Politik nicht einverstanden war, brachte er deutlich während der Konterrevolution in Ungarn durch Diskussionen zum Ausdruck. Von diesem Zeitpunkt an beschäftigte man sich intensiver mit Müller,35 in Aussprachen und an der Wandzeitung der Abteilung. Im Juni 1958 wurde er wegen mangelhafter Konsequenz in politischen Fragen gegenüber seinen Kollegen von seiner Brigadiertätigkeit enthoben und als Ofenschlosser beschäftigt. Daraufhin verließ er am 15.9.58 illegal die DDR.“ Ein anderer Brigadier, Jg. 1902, der vor 1945 NSDAP-Mitglied war und der SS angehört hatte, während dieser Zeit als Poststellenleiter bei den Arado-Flugzeugwerken in Brandenburg/Havel tätig gewesen war, „leitete auf Grund seiner guten fachlichen Leistungen ab 1953 eine Schlosserbrigade. Durch seine aktive gesellschaftliche Arbeit wurde er von den Kollegen als AGL-Vorsitzender gewählt und übte diese Funktion bis Juni 1958 aus.“ Dann wurde er jedoch als AGLVorsitzender „abgelöst, da sein Sohn nach Ablegung des Abiturs republikflüchtig wurde und in Westdeutschland studieren soll“. Solche Fälle von ‚Sippenhaft‘, die sich in Schikanen und Repression niederschlugen, tauchen wiederholt als Fluchtgrund auf. Ein 39-jähriger Meister, ehrenamtlicher Gewerkschaftsfunktionär, Mitglied der Revisionskommission des FDGB-Bezirksvorstandes, „streng katholisch“, war wegen eines „Gesetzesverstoßes“, er hatte in West-Berlin einen Fahrraddynamo und Zigaretten gekauft, in einer Aussprache vor dem Kollektiv gerügt

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JHS Potsdam, SV 1. Interessant wäre es, wenn zum Vergleich Untersuchungen zur (Binnen-)Arbeitsmigration in der frühen Bundesrepublik herangezogen werden könnten. Die nachfolgend wiedergegebenen Beispiele entstammen diversen Dokumenten in den Akten BLHA, Rep. 532/162 und 163 (beide unpag.). Name geändert.

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worden. Dies war für ihn der letzte Anstoß, künftig nur noch im Westen einzukaufen.36 Wie die Tabelle 18 zeigt, waren unter den „Republikflüchtlingen“ eine ganze Reihe Leute (ca. 12 Prozent), die zuvor aus der Bundesrepublik in die DDR gekommen waren, unter ihnen wiederum nicht wenige „Pendler“, die bereits früher in den Westen gegangen, dann wiedergekommen und nun erneut geflohen waren. Vor allem in dieser Gruppe befanden sich nicht wenige Vorbestrafte bzw. Straffällige, die sich durch ihre Flucht zugleich der Strafverfolgung entzogen.37 Ebenfalls häufiger vermerkt ist in den Akten, dass es sich bei diesem oder jenem Flüchtling um einen „Bummelanten“ gehandelt habe, der mehrmals, regelmäßig oder gar über einen längeren Zeitraum der Arbeit ferngeblieben oder zu spät gekommen war.38 Dass bereits 1956 vom späteren stellvertretenden Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, Duscheck, diagnostizierte Motiv, wonach „in vielen Fällen Arbeiter (…) nur deswegen weggehen, weil sie geordnet arbeiten möchten“,39 hat ganz sicher auch im Falle des SWB eine Rolle gespielt. Denn die, vermutlich für die DDR insgesamt zu dieser Zeit nicht untypisch, hohe Fluktuation der Beschäftigten (Tabelle 17) hatte sicherlich auch mit der für viele unbefriedigenden Arbeitssituation in den Betrieben zu tun. Zwar stieg mit dem Erreichen der Vollbeschäftigung auch in der Bundesrepublik die Neigung der Arbeiter, von sich aus den Betrieb zu verlassen und sich eine andere Beschäftigung zu suchen. Doch in einem dem SWB vergleichbaren Unternehmen wie der Dortmunder Westfalenhütte lag die Fluktuationsquote im gleichen Zeitraum deutlich niedriger,40 was neben dem besseren Verdienst sehr wahrscheinlich auch mit der in den fünfziger Jahren konsequent betriebenen Modernisierung der Produktionsanlagen, entsprechend besseren Arbeitsbedingungen und einer durchdachten, betriebswirtschaftlich fundierten Arbeitsorganisation inner36

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Weitere Bspe.: Die Verweigerung des Interzonenpasses für einen als „unbescholten“ bezeichneten Arbeiter, der mit seiner Familie Verwandte in Westdeutschland besuchen wollte, nahm dieser zum Anlass, ohne Pass und für immer zu gehen. Über den zu geringen Verdienst hatte ein „fleißiger, guter Arbeiter“ geklagt und war mit seiner gesamten Familie in den Westen gezogen. Weil sie aus ihrer Wohnung, die vor deren „Republikflucht“ von den Schwiegereltern bewohnt worden war, zwangsgeräumt wurden, ging ein „guter Arbeiter“, Jahrgang 1936, mit Frau und Baby in die Bundesrepublik. Dies lässt sich für das SWB aufgrund fehlender Angaben nicht quantifizieren. In Tabelle 19 im Anhang gibt es hierzu jedoch eine Statistik, bezogen auf das EKO und Eisenhüttenstadt in der ersten Hälfte der sechziger Jahre. Hinweise darauf in diversen Dokumenten zu „Republikflüchtigen“ aus dem SWB in den Akten: BLHA, Rep. 532/162 und 163 (beide unpag.). Zitiert nach Lüdtke, Menschen, S. 196. Lauschke, Die Hoesch-Arbeiter, S. 355f.

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halb funktionierender volkswirtschaftlicher Rahmenbedingungen zusammenhing. Bisher leider kaum unternommene, detaillierte, vergleichende Untersuchungen hierzu würden sicher interessante Rückschlüsse für die Bewertung der Lage und des Verhaltens der Arbeiterschaft in beiden deutschen Staaten ermöglichen.41 Der signifikante Rückgang der Fluktuation im SWB ab 1962 (Tabelle 17), also im Jahr nach dem Mauerbau, hing offenkundig eng mit dem nunmehr versperrten Weg nach Westen zusammen. Dass man sich jetzt gezwungenermaßen auf längere Sicht in der DDR einrichten musste, sorgte wohl ebenso für eine gewisse Beruhigung auf dem Arbeitsmarkt wie eine zunehmende Betriebsbindung, v. a. aufgrund zumindest partieller Modernisierungsmaßnahmen und wachsender betrieblicher Sozialleistungen; wobei es freilich erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Branchen und Betrieben gegeben hat.42

Die Faust in der Tasche: Die Brigaden und das „Produktionsaufgebot“ Mit der Abriegelung der Grenzen verband die SED-Führung auch die Hoffnung, die zuvor geübte starke Zurückhaltung bei der konsequenten Durchsetzung von Leistungsanforderungen gegenüber den Beschäftigten könne nunmehr einer härteren Gangart weichen.43 Das bis zum Mauerbau vorhandene Drohpotential, man können sich jederzeit in den Westen absetzen, um bei der Betriebsleitung Forderungen durchzusetzen, stand den Arbeitern nun nicht mehr bzw. nur mit hohem Risiko zur Verfügung.44 Dies fand seinen Niederschlag in dem Anfang September 1961, nicht einmal vier Wochen nach dem Mauerbau, ausgelösten sogenannten „Produktionsaufgebot“. Sinnfällig wurde der unmittelbare Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen in der Parole: „Ordnung an den Grenzen und Ordnung in den Betrieben!“45 Nicht weniger klar drückten einige Arbeiter aus, was wohl die meisten unter ihnen davon hielten: „Jetzt, wo die Grenzen dicht sind, könnt ihr es ja mit uns machen!“ oder: „Das Produktionsaufgebot ist Ausbeutung!“46 Dies war, aus Sicht der Beschäftigten, eine durchaus zutreffende Umschreibung der Hauptlosung, unter der

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Für eine erste übergreifende Studie siehe: Peter Ahlheit (u.a.), Gebrochene Modernisierung. Der langsame Wandel proletarischer Milieus. (…), 2 Bde., Bremen 1999. Vgl. Hübner, Sozialpolitik. Steiner, Überholen, S. 261. Roesler, Probleme des Brigadealltags, S. 10. KV des FDGB Dessau, 20.1.1962, Wie hat die Kreisgewerkschaftsorganisation Dessau (…) die besten Erfahrungen im Produktionsaufgebot verallgemeinert? SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/54, Bl. 4ff. Ebd.

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das „Produktionsaufgebot“ initiiert wurde: „In der gleichen Zeit für das gleiche Geld mehr produzieren.“47 Die direkte Verknüpfung von „Grenzsicherung“ und „Produktionsaufgebot“ ist auch daran ablesbar, dass bspw. der FDGB-Bezirksvorstand Karl-Marx-Stadt in einem Informationsbericht über die „politische Führung des Produktionsaufgebotes“ ausschließlich von Bemühungen zur Eindämmung von Unmutsbekundungen in den Betrieben als Reaktion auf den Mauerbau schreibt.48 Die Abriegelung der Grenzen nach Westen ließ auch ganze, bis dahin als vorbildlich angesehene Brigaden nicht kalt. So heißt es in einem Bericht über die – wenige Monate zuvor als BdsA ausgezeichnete – Jugendbrigade „Karl Liebknecht“ aus der Wickelei des Ostberliner Transformatorenwerkes Oberspree (TRO). „Der größte Teil der jungen Kollegen brachte zum Ausdruck: jetzt werden wir nicht arbeiten, die Maschinen stellen wir ab, jetzt müssen wir erstmal diskutieren.“ Dieser Zustand habe sich „über Tage hingezogen“ und sei erst überwunden worden, nachdem der Bereichsleiter in einer Versammlung alle aufgefordert hatte, die Arbeit wieder aufzunehmen. Die deutlich spürbare Arbeitszurückhaltung in diesem vormals vorbildlichen Jugendkollektiv konnte auch bis Anfang Oktober trotz mehrerer Gewerkschaftsgruppenversammlungen nicht grundsätzlich überwunden werden. Als Funktionäre die jungen Arbeiter von der Notwendigkeit und Richtigkeit des Mauerbaus sowie davon überzeugen wollten, dass ihre eigenen regelmäßigen Westberlin-Besuche nicht in Ordnung gewesen seien, gab sich „ein Großteil dieser Kollegen verstockt“: „Hier ist nichts los wie in Westberlin; wir können uns hier nicht das kaufen, was wir möchten; wir möchten das ganz Berlin Freie Stadt wird“ entgegneten sie und: „Wenn wir jetzt sagen, wir sind nicht mit dem 13. einverstanden (…), dann heißt es doch, wer nicht für den Frieden ist, entscheidet sich für den Krieg und dann wird man vielleicht noch zur Verantwortung gezogen. Aus diesem Grund sage ich nichts.“ Schließlich beschlossen Betriebsleiter, BPL und BGL die Mitglieder der Jugendbrigade in Einzelgesprächen dazu zu bringen, sich von ihrem Verhalten am 13. August zu distanzieren und sich „offen dazu bereit zu erklären, durch entsprechende Leistungen in Zukunft besser zu arbeiten“.49 So wie der Erfolg solcher „Überzeugungsarbeit“ in diesem konkreten Fall zweifelhaft blieb, löste der Mauerbau auf die gesamte Arbeiterschaft bezogen ganz

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Informationsblatt des FDGB, Nr. 15, Berlin 1961, S. 2 (zitiert nach Hübner, Das Jahr 1961, S. 27). FDGB-BV KMSt., 17.9.1961, Informationsbericht Nr. 13, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/ 611/53 (unpag.). FDGB-BuV, Sekretariat Jugend und Sport, Berlin, 2.10.1961, Zur Situation in der Jugendbrigade (…), SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/54 (unpag.).

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sicher keinen Schub in puncto Leistungsbereitschaft aus – höchstens im negativen Sinne: Mit der geballten Faust in der Tasche arbeitet es sich schlecht. Trotz dieser negativen Voraussetzungen konnten, nach schon bewährtem Muster, zwei Brigaden aus dem Ostberliner Kabelwerk Oberspree (KWO) als Initiatoren des „Produktionsaufgebotes“ gewonnen werden,50 während der FDGB-Bundesvorstand im Hintergrund Regie führte.51 Organisiert war auch in diesem Fall das unmittelbare „spontane Aufgreifen der Initiative“ durch andere Brigaden in allen Bezirken und Branchen, das durch die DDR-Medien entsprechend verbreitet wurde.52 Sich diesem Aufruf zu entziehen sollte der Arbeiterschaft dadurch erschwert werden, dass eine direkte rhetorische Verknüpfung mit dem „Friedenskampf“, die zugleich eine Rechtfertigung für die militärischen Maßnahmen im Zuge der „Grenzsicherung“ mitlieferte, vorgenommen wurde: „Schlagt die Militaristen mit Taten in der sozialistischen Produktion und der deutsche Friedensplan wird verwirklicht!“53 Welcher (ost)deutsche Arbeiter wollte sich schon nachsagen lassen, nicht für – was automatisch hieß: gegen – einen „deutschen Friedensplan“ zu sein?54 Dies änderte jedoch wenig daran, dass die Masse der Arbeiter dem „Produktionsaufgebot“ ablehnend gegenüberstand. Dazu trugen auch Funktionäre verschiedenster Ebenen bei, indem sie bspw. in „einigen Bezirken auf unbezahlte Überstunden, NAW- und Sonderschichten, Kampfsonntage und Nachteinsätze orientiert(en)“ – obwohl solche Initiativen, laut zuständiger ZK-Abteilung, „dem Sinn und dem Inhalt des Produktionsaufgebotes“ widersprachen.55 Derartige immer wieder anzutreffende ‚Reibungsverluste‘ im System des „demokratischen Zentralismus“ waren Ausdruck der hochgradigen Verunsicherung vieler Funktionäre auf 50 51

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Geschichte des FDGB, Berlin 1982, S. 490f. Vgl. auch: ZK-Abt. GS, 7.9.61, Aufruf zum Produktionsaufgebot (…), SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/53 (unpag.). Rolf Berger (1961 gerade zum stellv. Vorsitzenden des FDGB und Leiter des Sekretariats des FDGB-BuV avanciert), Berlin, 6.9.1961, Vorlage zur Führung des Produktionsaufgebotes (…); SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/53 (unpag.). Stellungnahmen zum Produktionsaufgebot aus den Bezirkspresseorganen, o.D. (September 1961), SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/53 (unpag.). ZK-Abt. GS, (an Gen. Norden am) 7.9.61, Aufruf zum Produktionsaufgebot (…), SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/53 (unpag.). Diese Rhetorik verfing freilich nicht durchgehend, aber die Kriegsangst war anderthalb Jahrzehnte nach der großen Katastrophe noch keineswegs verflogen und eine nüchterne Einschätzung der akuten Bedrohung dürfte selbst gut informierten Zeitgenossen schwergefallen sein. (ZK-Abt. GS), Berlin, 13.9.1961, Entwurf (eines Rundschreibens) an die 1. Sekretäre der BL und KL der SED, betr. Führung des Produktionsaufgebotes, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/53 (unpag.).

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allen Ebenen, die mit teils blindem Aktionismus versuchten, die gerade aktuelle Mobilisierungskampagne umzusetzen. Ebenso typisch die Reaktion: Kaum war eine neue Kampagne gestartet, registrierte man in der Zentrale bereits „Tendenzen einer Anschlussbewegung, was sich darin ausdrückt, dass global Verpflichtungen für den ganzen Betrieb durch Werkleitung, BPO und BGL übernommen werden, ohne diese gründlich in den Abteilungen zu beraten“.56 Diese „Anschlussbewegung“ setzte sich dann bis zur untersten Ebene fort in der „Abgabe von Verpflichtungen ohne gründliche Beratung in den Brigaden nach altem Stil“.57 Daran hatten auch diverse nachgeordnete Instanzen des SED- und FDGB-Apparates ihren Anteil, z.B. wenn die SED-Kreisleitung Zwickau/Stadt bereits die Teilnahme von 319 Brigaden meldete, während vom FDGB lediglich 59 teilnehmende Kollektive registriert wurden. In der Regel wussten die Funktionäre um den zweifelhaften Wert solcher Zahlen, die sie nach oben weitergaben. So schätzte bspw. der FDGB-Kreisvorsitzende von Stollberg (Sachsen), dass mindestens die Hälfte der 125 gemeldeten Brigaden, sich lediglich formal „angeschlossen“ hatten, ohne konkrete Verpflichtungen einzugehen.58 In anderen Fällen hinkten einzelne Brigaden oder ganze Betriebe hinterher und propagierten unter der Überschrift der neuen Kampagne die veralteten inhaltlichen Kriterien der vorangegangenen Wettbewerbsinitiative. Ein Gubener Metallbetrieb mit 500 Beschäftigten etwa „orientierte“ seine Arbeitskollektive vorrangig auf die Werbung für NVA, Kampfgruppe, Reservistenlehrgänge, DSF, DFD, DRK und die Teilnahme am Parteilehrjahr. „Erst am Schluss erschienen dann einige Verpflichtungen ökonomischer Art“, was eher an den Kampf um den BdsATitel erinnert und mit Bezug auf das „Produktionsaufgebot“ oben als „Entstellung“ kritisiert wurde;59 freilich ohne dass man in der Zentrale zu der Einsicht gelangte, mit den häufig kurz aufeinander folgenden, sich zuweilen widersprechenden und nicht selten inhaltlich fragwürdigen Kampagnen dieses Durcheinander immer wieder selbst auszulösen. Es gibt auch Anzeichen dafür, dass im Zusammenhang des „Produktionsaufgebotes“ im Gewerkschaftsapparat, insbesondere bei einzelnen Industriegewerkschaften immer noch bzw. erneut einige Funktionäre, zumindest bis zur Ebene der 56 57 58 59

ZK-Abt. GS, Berlin, 11.9.1961, Information über einige Erscheinungen im Produktionsaufgebot, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/53 (unpag.). Albin Petermann, Berlin, 15.9.1961, Aktennotiz zum Produktionsaufgebot im Bezirk Frankfurt/Oder; SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/53 (unpag.). KMSt., 15.9.1961, Bericht über den gegenwärtigen Stand des Produktionsaufgebotes im Bezirk KMSt.; SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/53 (unpag.).Ebd. Horst Foerster (u. a. an Warnke), Berlin, 14.10.1961, betr. Entstellungen im Produktionsaufgebot; SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/53 (unpag.).

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Bezirksvorstände, nicht bereit waren, derartige Kampagnen mitzutragen. Zum Beispiel wurde der Bezirksvorstand Karl-Marx-Stadt der IG Chemie negativ hervorgehoben, weil in seinem Bereich zunächst nur 7 von 288 Brigaden für die Teilnahme am „Aufgebot“ gewonnen worden waren.60 So kann man vermuten, dass es auch noch in den sechziger Jahren einzelne Gewerkschaftsfunktionäre (von der Bezirksebene abwärts), gelegentlich auch kleine Gruppen oder gar Vorstände gegeben hat, die sich den Arbeitern an der Basis ihrer Organisation und dem traditionellen Verständnis von Interessenvertretung nach wie vor stärker verpflichtet fühlten als den Anweisungen von oben. Während solche Abweichungen im hauptamtlichen Funktionärskörper durch eine rigide Personalpolitik immer weiter zurückgedrängt wurden, stießen entsprechende Gleichschaltungsbestrebungen in Bezug auf die ehrenamtlichen Basisfunktionäre an ihre quasi natürlichen Grenzen. Ein Arbeiter, Genosse und stellvertretender AGL-Vorsitzender im Leipziger Kirow-Werk, konnte z. B. gänzlich ungestraft äußern: „Für das Produktionsaufgebot muss man ein tüchtiges Bewusstsein haben. Dies habe ich nicht, wie viele andere Kollegen. Deshalb ist das Produktionsaufgebot unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht zu organisieren.“61 Vor allem einfache Arbeiter, die kaum etwas zu verlieren hatten und keine Karriere anstrebten, konnten bzw. wollten sich diesen Luxus einer vergleichsweise unverblümten Meinungsäußerung leisten. Keineswegs eindeutig fällt der Befund zur Rolle der Brigaden im Kontext des „Produktionsaufgebotes“ aus. Zwar hatte man zwei Brigaden als Initiatoren dieser Kampagne gewinnen können. Die Umsetzung der Devise, die „ganze Initiative muss von den Brigaden aus entwickelt werden“, erwies sich über einige VorzeigeKollektive hinaus aber offenbar als schwierig. Bisher „spielen im Bezirk die Brigaden, die den Staatstitel haben (…) noch eine untergeordnete Rolle“, verlautete Mitte September 1961 aus Frankfurt (Oder). Und: „Die Hauptkraft wird auf die Schaffung von Beispielen gelegt.“ Dies war eine allerorten angewandte bewährte Methode, wie bspw. ein Flugblatt von der Großbaustelle Kraftwerk Lübbenau zeigt. Unter der Losung: „Jetzt alle Reserven auf den Tisch für die Stärkung der Deutschen Demokratischen Republik!“, forderte die Jugendbrigade „Wilhelm

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Hans Kravcik, Berlin 7.9.1961, Einschätzung der 2. BV-Sitzung des FDGB KMSt. am 5.9.61; Ebd. Der Verfasser berichtet in diesem Schreiben an anderer Stelle von der „Notwendigkeit, dass nochmals eine Bezirksvorstandssitzung der IG Chemie durchgeführt wird, wo wahrscheinlich trotz der Wahlen Veränderungen im Sekretariat vorgenommen werden müssen.“ Er meldet darüber hinaus „Abweichungen“ in den IG Textil-Bekleidung-Leder sowie Bau-Holz desselben Bezirkes. ZK-Abt. GS, Berlin, 20.9.1961, Zu einigen Fragen des Produktionsaufgebotes; Ebd.

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Pieck“ darin gemeinsam mit der zentralen Gewerkschaftsleitung der Baustelle „eine Überprüfung unserer Normen“.62 Nur selten wurde in Berichten festgehalten, was sicher kein Spezifikum des Fürstenwalder Reifenwerkes war:63 „Die in der Presse veröffentlichten Verpflichtungen der Brigaden ‚Karl Marx‘ und ‚Georgi Dimitroff‘ (…) sind zum Teil unreal. Außerdem stehen die Kollegen der Brigaden nicht voll hinter ihren Verpflichtungen.“ Dieses Beispiel, heißt es weiter, „soll von Vertretern des Zentralvorstandes und des Bezirksvorstandes IG Chemie in Verbindung mit Vertretern des ‚Neuen Tag‘ [SED-Bezirkszeitung Frankfurt/Oder] organisiert worden sein, ohne dass Funktionäre des Betriebes zugegen waren“. Die vorbildliche Verpflichtung des „Karl Karx“-Kollektivs lautete dabei, angesichts einer „Normerfüllung von 300 bis 350 Prozent 3 Prozent (!) der Arbeitszeit zurückgeben“ zu wollen; allerdings nur, „wenn die Werkleitung auf die Verminderung der Warte- und Stillstandszeiten einwirkt“.64 Dass andere Abteilungen des Betriebes sich über die Propagierung der Verpflichtungen solcher Brigaden in der Bezirkspresse „bereits lustig“ machten, ist nur zu verständlich. Wenn man davon ausgeht, dass dies kein Einzelfall war, lässt sich erahnen, wie ernst derartige Wettbewerbskampagnen im Laufe der Jahre noch genommen wurden. Auch im Bezirk Potsdam mussten SED und FDGB erstaunt feststellen, dass sie mit dem „Produktionsaufgebot“ auf „besondere Schwierigkeiten (…) bei den sozialistischen Brigaden“ stießen. Deren Verweigerung wurde unterstrichen durch Äußerungen wie: „Das Produktionsaufgebot ist eine illegale Normerhöhung. – Die Brigaden werden jetzt ausgenommen. – Jahrelang ward ihr zu feige, die Normen zu erhöhen, jetzt kommt ihr auf diese Tour.“ Als Hauptargument zur Ablehnung der neuen Kampagne werde vorgebracht, dass „keine Reserven mehr vorhanden“ seien. Diese habe man schon im Rahmen des BdsA-Wettbewerbs der vergangenen Jahre aufgedeckt und ausgeschöpft.65 Hartnäckige Funktionäre gaben sich mit solchen Antworten allerdings nicht zufrieden. So berichtete der Dessauer FDGB-Vorstand stolz, in allen BGL des 62 63 64

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Albin Petermann, Berlin, 15.9.1961, Aktennotiz zum Produktionsaufgebot im Bezirk Frankfurt/Oder, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/53 (unpag.). Abteilung Gewerkschaften, Sektor Sozialpolitik, Aktennotiz über den Einsatz im VEB Reifenwerk Fürstenwalde am 20. September 1961; Ebd. Der Bericht vermerkt weiter, dass in dieser Brigade üblicherweise „bereits eine ½ bis 1 Stunde vor Schichtschluss kaum noch jemand arbeitet. Die Kollegen suchen die Kantine auf und verlassen z. T. 10–20 Minuten vor Schichtschluss den Betrieb. Die Begründung der Reifenmacher hierfür lautet: ‚Unser Körper hat sich daran gewöhnt, eine ¾ Stunde vor Schichtschluss aufzuhören, weil er dann nichts mehr leisten kann.‘“ Einschätzung der Führungstätigkeit der SED-BL Potsdam zur Organisierung des Produktionsaufgebotes, 14.10.1961; SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/5/425, Bl. 48ff.

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Kreises seien öffentliche Auseinandersetzungen mit dieser Ideologie erfolgt. Im VEB Junkalor zum Beispiel hätte man eine intensive „Auseinandersetzung mit dem Wortführer“ der Brigade der Großdreher geführt und erreicht, dass dieses Kollektiv sich nachher zu einer 34-prozentigen Steigerung der Arbeitsproduktivität bereit erklärte.66 In einem anderen Betrieb der Stadt hatte man einen solchen Wortführer in einer Belegschaftsversammlung als politisch unzuverlässig „entlarvt“, weil er sich öffentlich gegen die Verteufelung Adenauers als Kriegstreiber bekannt hatte. Nachdem dieser Kollege „politisch geschlagen war, war der Weg frei, dass die Brigademitglieder von sich aus Vorschläge unterbreiteten, wie sie im Rahmen des Produktionsaufgebotes die Arbeitsproduktivität um 20 % steigern können“.67 Unterschlagen werden soll nicht, dass in den Akten auch andere Beispiele vorkommen, die nahelegen, ausgezeichnete „Brigaden der sozialistischen Arbeit“, die wegen ihrer „vorbildlichen Verpflichtungen im Produktionsaufgebot (…) von rückschrittlichen Elementen im Werk angefeindet“ wurden, hätten sich „selbst geholfen, indem sie die Kollegen, die sie anpöbelten, zu einer Brigadeversammlung“ einluden. Jene Kollegen hätten „sich anschließend öffentlich entschuldigt“.68 Mehr ist dazu nicht zu erfahren. Ob sich dieser Fall tatsächlich so zugetragen hat, unter welchen Begleitumständen, eventuell unter ähnlichem Druck wie im vorgenannten Beispiel, bleibt Spekulation. Sehr viele Brigaden wird es jedenfalls nicht gegeben haben, die – wie im folgenden Fall aus dem Stahl- und Walzwerk Brandenburg – sich bereitfanden, Kollegen einer anderen Brigade in der Betriebs(partei)zeitung öffentlich scharf anzugreifen.69 Sie verwiesen darin ausführlich auf die eigenen konkreten Verpflichtungen und „kritischen Auseinandersetzungen“, die sie mit einzelnen Kollegen geführt hatten. Dazu heißt es: „Wir waren sogar gezwungen, den Antrag zu stellen, dass

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Abschrift, KV des FDGB Dessau, 20.1.1962, (…) Erfahrungen im Produktionsaufgebot, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/54, Bl. 4ff. Ebd. Dass die Auseinandersetzung mit dem Betreffenden nicht nur im Betrieb, sondern auch „in seinem Wohngebiet im Rahmen der Nationalen Front“ geführt wurde, kann als massive Einschüchterung gewertet werden. Darüber, ob die solcherart den Arbeitern abgepressten Verpflichtungen dann auch tatsächlich realisiert wurden, sagt der Bericht nichts aus. Hans Lorenz, Kommission für Produktionspropaganda, Berlin, 13.10.1961; SAPMOBArch, DY 30 IV 2/611/53 (unpag.). Hier handelte es sich um eine Brigade aus dem „Fritz Heckert“ Werk, KMSt. Genau genommen ist nicht anzuunehmen, dass das gesamte Kollektiv hinter dem offenen Brief stand, denn er war lediglich vom Brigadeleiter, Vertrauensmann und Parteigruppenorganisator unterzeichnet.

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der notorische Bummelant Schulze70 zur Arbeitserziehung eingewiesen wurde.“ Dabei habe man veranlasst, dass ein weiterer Kollege, der „in der Vergangenheit auch des Öfteren gebummelt hatte, an der Verhandlung vor dem Kreisgericht teilnehmen musste“. Anschließend sei mit diesem Kollegen nochmals eindringlich „vor der gesamten Brigade diskutiert“ worden.71 Die Kritik an der im offenen Brief angesprochenen Brigade scheint in vielen Punkten durchaus gerechtfertigt. Häufig würden „bereits 25 Minuten vor Schichtschluss bei Euch sämtliche Kräne stehen“ und die „Dreckhaufen“ in ihrem Arbeitsbereich würden immer größer, womit u. a. die Gefahr von Arbeitsunfällen steige. Wesentlich verantwortlich für diese schlechte Disziplin, Ordnung und Sauberkeit seien die Führungskräfte der angesprochenen Brigade, die ihre Aufgaben nicht richtig wahrnehmen würden. Selbst wenn diese Kritik in allen Punkten sachlich zutraf, gerechtfertigt und nicht einmal (vordergründig) politisch motiviert gewesen sein mag, war es sicher eine Ausnahme, dass Kollegen (zumal ganze Brigaden) auf diese Weise öffentlich angesprochen wurden, sich quasi gegenseitig bei ihrer Arbeiterehre zu packen versuchten.72 Offenbar war es kein Zufall, dass sich dies im SWB ereignet hat, denn dieser Betrieb dürfte zu den Vorreitern im „Produktionsaufgebot“ gezählt haben, da bis Mitte Dezember 1961 immerhin 142 von 200 Brigaden des Stahl- und Walzwerkes konkrete Verpflichtungen zur vollen Ausnutzung der Arbeitszeit sowie zur Ausschaltung von Verlust- und Wartezeiten durch bessere Arbeitsorganisation eingegangen waren. Das habe insgesamt zu einer erheblichen Produktivitätssteigerung und zu einer „Wende in der Produktion unseres Werkes“ geführt, resümierte die Betriebsleitung in ihrem Rechenschaftsbericht zum BKV.73 Unter den zwei dabei explizit hervorgehobenen Brigaden war auch jenes Kollektiv vom Schrottplatz, dass den oben erwähnten offenen Brief verfasst hatte. Diese Brigade wurde wenige Monate später als „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ ausgezeichnet.74 Beinahe märchenhaft muten eher seltene Meldungen wie jene über die Brigade „Färber“ aus dem VEB WEMA Plauen an, die „bei der Überprüfung ihrer Arbeit zu dem Ergebnis [gekommen sein soll], dass bei voller Ausnutzung der Arbeitszeit

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Name geändert. „Roter Stahl“, Sonderausgabe (September 1961), offener Brief an die Grubenbrigade „Roter Stern“, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/5/425, Bl. 90ff. Einige Sätze in dem offenen Brief deuten auch darauf hin, dass hier in bekannter Manier von Funktionären zumindest „Formulierungshilfe“ geleistet wurde: „Ihr habt Euch auf die Plattform der Bummelanten begeben. Ihr wollt vom Tisch der Gesellschaft essen, aber nichts dafür geben, dass dieser Tisch reich gedeckt ist.“ SWB, Bericht der Werkleitung (…), 16.12.1961; BLHA Rep. 502/1042 (unpag.). Auszeichnung der Brigade „Staschko“, 15.3.1962; BLHA Rep. 502/881 (unpag.).

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und bei entsprechender Materialanlieferung der Tagesplan in der Hälfte der bisherigen Zeit erfüllt werden“ könnte. Das Kollektiv soll sich nach „eingehenden Beratungen entschlossen“ haben, diese „hohe Leistung zur Grundlage einer neuen Arbeitsnorm zu nehmen“.75 Wenngleich solche Selbstverpflichtungen den Intentionen des „Produktionsaufgebotes“ entsprachen, mussten sie doch zugleich einen unangenehmen Beigeschmack haben. Denn sie ließen erahnen, welche enormen Reserven in der Arbeitsorganisation, Leistungsmotivation und -bereitschaft man nicht zu mobilisieren im Stande gewesen war. Wer wollte, konnte erkennen, dass es sich dabei nicht um die zumeist bemühten „Schwächen in der politischideologischen Arbeit“, sondern um grundlegende Fehler im System handelte. Dass dieses Problem wenigstens teilweise (an)erkannt wurde, war zu keiner Zeit stärker spürbar, als während der wenig später beginnenden NÖS-Phase, der „ökonomischsten“ Periode in der gesamten DDR-Geschichte.

Arbeitskonflikte Das Motto des „Produktionsaufgebotes“ – „In der gleichen Zeit für das gleiche Geld mehr produzieren“ – war nicht zuletzt deutlicher Ausdruck des Bestrebens, das nach Ansicht der Parteiführung vorhandene volkswirtschaftliche Missverhältnis in der Steigerung von Produktivität und Durchschnittslohn zu verbessern.76 Daraus resultierende Befürchtungen der Arbeiter, ihnen stünden damit Lohnkürzungen ins Haus, erwiesen sich nicht selten als berechtigt. Auch wenn dies als Verletzung der „Generallinie der Partei“ kritisiert wurde, kam es in vielen Betrieben vor, dass z.B. neue Lohnformen eingeführt wurden, ohne gleichzeitig die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, was effektive Lohnminderungen für die Beschäftigten zur Folge hatte.77 Umgekehrt wurde aber offenbar auch nicht immer der Grundsatz befolgt, demzufolge bei Einführung neuer Technik auch neue Normen festzulegen waren, worüber sich die betroffenen Arbeiter verständlicherweise nicht beklagten. Deutlich häufiger aber kam es wohl zu Lohneinbußen, oftmals im Zusammenhang mit der Umrechnung von Normen und veränderten Prämienzahlungen.

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FDGB-BV, Org.-Kader, KMSt., 28.11.1961, 20. Informationsbericht; SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/53 (unpag.). Vgl. Steiner, Überholen, S. 255f. Er benennt überzogene Planvorgaben in der Relation von Produktivität und Einkommen als Ursache für die „Fehlperzeption“ der Parteispitze, „wonach sich der Lohnanteil in den Kosten systematisch erhöht“ habe. FDGB-BuV, Abt. Organisation, Information, Statistik, Berlin, 5.8.1963, Betriebe (…), in welchen die Generallinie der Partei (…) verletzt wird (materielle Interessiertheit, neue Technik – neue Norm usw.); SAPMO-BArch DY 34/23071 (unpag.).

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Dies führte zu einer ganzen Reihe von Arbeitskonflikten, an denen auch ganze Brigaden beteiligt waren. Bezogen auf das I. Quartal 1962 stellte die ZK-Abteilung Gewerkschaften bspw. fest, dass es „bei der überwiegenden Mehrzahl der [38] Arbeitsniederlegungen [um] Unstimmigkeiten in Lohnfragen“ gegangen sei.78 In diesem Bericht wird ausdrücklich betont, dass „in 6 Fällen (…) Brigadiere eine schädliche Rolle gespielt und die Arbeiter zu Arbeitsniederlegungen veranlasst“ hätten. Für das vierte Quartal desselben Jahres werden explizit in 2 von 27 Fällen Brigaden als kollektive Akteure in Arbeitskonflikten benannt. Zusammenfassend heißt es, dass „in allen 4 Quartalen 1962 (…) überwiegend Konflikte infolge administrativer Lohn- und Normenveränderungen“ aufgetreten seien. Dieser Trend setzte sich auch im darauffolgenden Jahr fort.79 Gemessen an der Gesamtzahl der Arbeitsniederlegungen war der explizit ausgewiesene Anteil der Brigaden gering. Dies sollte aber nicht zu voreiligen Schlüssen führen, wonach Brigaden in allen anderen Fällen nicht beteiligt gewesen wären. Oftmals ist gar nicht angegeben, wie viele Beschäftigte an solchen Streiks teilgenommen hatten, weshalb man auch nicht daraus ersehen kann, ob es sich dabei vielleicht um eine oder mehrere Brigaden handelte. Wesentlich öfter noch wurde in solchen Konflikten die Schwelle zur Arbeitsniederlegung nicht überschritten. In einem FDGB-Bericht aus dem Frühjahr 1962 zu einer Untersuchung im VEB Elektroprojekt Berlin (Ost) bspw. ist mit Bezug auf eine Jugendbrigade von „sehr erregten Diskussionen, die bis zur Androhung des Austritts aus der Gewerkschaft führten“, die Rede. Dort war es ausdrücklich um eine „Korrektur der hohen Durchschnittslöhne“, im Zuge der „Verbesserung des Verhältnisses der Arbeitsproduktivität zum Durchschnittslohn“, gegangen. Dabei waren die Normen und Löhne, einschließlich Zuschläge, so umgerechnet worden, dass die Arbeiter faktisch in gleicher Zeit, für weniger Geld mehr leisten sollten. Die betroffenen Kollegen waren sehr erbost darüber und fragten laut: „Warum tritt die Gewerkschaft nicht gegen diese Benachteiligung der Kollegen ein?“ Oder: „Warum hat die BGL in dieser Frage die gleiche Meinung wie der Werkleiter?“ Auch hier griffen die Funktionäre zum Mittel der „Einzelausspra-

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ZK-Abt. GS, Berlin 25.5.62, Information über die klassenfeindliche Tätigkeit im I. Quartal 1962, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/ 611/9 (unpag.). ZK-Abt. GS, 12.3.1963, Analyse über Arbeitskonflikte (…), SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/6.11/98 (unpag.). 1962 waren, diesem Dokument zufolge, insgesamt 144 Arbeitsniederlegungen registriert worden.

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chen“, wobei sie sich „besonders auf die Kollegen konzentrierten, die großen Einfluss in ihren Brigaden“ ausübten.80 Weniger üblich war der in diesem Fall als „wesentliche Hilfe“ bezeichnete „Einsatz von Arbeitern des Eisenhüttenwerkes Ost, die den Kollegen von ihrem Arbeiterstandpunkt aus darlegten, dass die weitere Inanspruchnahme der ungerechtfertigten Zuschläge gegen die gesamten Interessen der Klasse verstoße“. Restlos überzeugend kann dieser Auftritt der „Roten Hochöfner“ aus Eisenhüttenstadt jedoch nicht gewesen sein, denn auf die Entscheidung des Werkleiters, ab 1.1.1962 die Zuschläge zu streichen, reagierten die Beschäftigten mit deutlicher Arbeitszurückhaltung, die sich in einem Rückgang der Norm(über)erfüllung im Januar von mehr als 50 Prozent gegenüber dem Vormonat niederschlug. Der Durchschnittslohn je Produktionsarbeiter war dabei, v. a. aufgrund der weggefallenen Zuschläge, von 1.098 DM auf 910 DM gesunken.81 Da es keine regelmäßigen Tariferhöhungen gab und die Zuschläge und Prämien sich über Jahre quasi zu festen Lohnbestandteilen entwickelt hatten, war dies gleichbedeutend mit spürbaren Einkommensverlusten für die Beschäftigten. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie Gewerkschaften und Betriebsräte in der Bundesrepublik auf ein solches Vorgehen der Betriebsleitung reagiert hätten. Insofern ist die Reaktion der Arbeiter des VEB Elektroprojekt und vieler anderer DDR-Betriebe in ähnlichen Fällen nachvollziehbar und kann sogar als vergleichsweise moderat bezeichnet werden. Selbst loyale Arbeiter, die ihre „Normpolster“ bereits abgegeben hatten und eine Erfüllung um die 100 % erreichten, sperrten sich zuweilen gegen prinzipiell sinnvolle Neuerungen, weil sie Einkommenseinbußen befürchteten. So erklärten sich die Bohrwerksdreher aus der Maschinenbaufabrik „Heinrich Rau“ in Wildau zwar grundsätzlich bereit, den „gesamten Lohn leistungsabhängig zu machen“, meldeten zugleich jedoch erhebliche Bedenken an: „Der Arbeitsablauf ist dermaßen schlecht, dass vieles, was wir im Produktionsaufgebot an Zeit gewonnen haben, wieder verloren geht. Niemand fragt nach den Kosten, die durch das Durcheinander entstehen. (…) Wir erfüllen immer den Plan, aber wie und unter welchen Umständen er erfüllt wird, danach fragt niemand. Z. B. ist Sonn-, Feiertags- und

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FDGB-BuV, Abt. Arbeit und Löhne, Berlin, 15.3.1962, Sekretariatsinformation (streng vertraulich), Zwischenbericht über die Tätigkeit einer Arbeitsgruppe im VEB Elektroprojekt Berlin; SAPMO-BArch DY 34/23071 (unpag.). Ebd. War im Dezember noch eine Normerfüllung von durchschnittlich 266 % registriert worden, konnten nun lediglich 213 % verzeichnet werden.

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Überstundenarbeit keine Seltenheit.“82 Dass von vielen Beschäftigten deshalb das „Produktionsaufgebot“ bzw. jene Maßnahmen, die unter dieser Überschrift in den Betrieben durchgeführt wurden, skeptisch bis ablehnend aufgenommen wurden, sollte anhand der geschilderten Beispiele hinreichend deutlich geworden sein. Auch die FDGB-Führung hatte erkennen müssen, dass die mit dem „Produktionsaufgebot“ angestrebte Offensive lediglich in die Sackgasse eines unfruchtbaren Stellungskampfes führte.83 Bereits Ende 1961, also wenige Monate nach dem Beginn dieser Kampagne, zog der Bundesvorstand der Einheitsgewerkschaft die „Aufwand-Nutzen-Relation des Produktionsaufgebotes“ in Zweifel. Doch es verging noch ein ganzes Jahr, bevor schließlich Walter Ulbricht der Kampagne auch ein formales Ende bereitete, mit der Begründung, ihr Schema sei nicht aufrechtzuerhalten, weil dabei aus dem Blick gerate, dass die Arbeiter aus Rationalisierungsmaßnahmen „auch einen materiellen Vorteil“ ziehen müssten.84 Zuvor war man im ZK-Apparat zu der Erkenntnis gelangt, dass „insgesamt gesehen im Produktionsaufgebot die Entwicklung der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit in der Beteiligung der Werktätigen und z. T. auch im Inhalt zurückgegangen“ sei, woraufhin der SED-Chef persönlich die Parole ausgegeben hatte, die „Arbeit mit den sozialistischen Brigaden wieder zu entwickeln“.85 „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“, würde der Volksmund dazu sagen – und wird sich mancher verwirrte Funktionär gedacht haben, dem noch Ulbrichts „Syndikalismus“Verdikt vom Frühjahr 1960 in den Ohren klang. Allerdings sollte dies zunächst eine eher halbherzige Rückbesinnung auf die Brigadebewegung bleiben, die weniger mit einem konkreten Konzept verbunden war, sondern vielmehr einen notgedrungenen Rückgriff darstellte, weil die Methode „Produktionsaufgebot“ fehlgeschlagen war und den Führungen von SED und FDGB kein neues Rezept einfiel, wie sie die Werktätigen zu höheren Arbeitsleistungen motivieren konnten.

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FDGB-BuV, Abt. Arbeit und Löhne, Berlin, 11.7.1962, Sekretariats-Information über die Fortführung der Arbeit im VEB „Heinrich Rau“, Wildau, SAPMO-BArch DY 34/23071 (unpag.). Hübner, Das Jahr 1961, S. 27. Zitiert nach ebd., S. 29f. Ulbricht auf einer SED-Konferenz am 1./2.12.1962. ZK-Abt. GS, an G. Mittag, 17.9.1962, (…) über die Ergebnisse der Untersuchungen zu Fragen der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit (…) in einigen Betrieben der Bezirke Berlin und Leipzig; SAPMO-BArch DY 30 IV 2/2029/97 (unpag.).

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2. Partielle Neuausrichtung der sozialistischen Brigaden im Kontext des NÖS Unverkennbar ist in der ersten Hälfte der sechziger Jahre, im Kontext der Konzipierung des NÖS, eine Akzentverschiebung und partielle Neubestimmung der Funktion und Aufgaben der sozialistischen Brigaden. So schrieb Mittag an Ulbricht im Herbst 1962, dass „in Auswertung der bisher gewonnenen Erfahrungen“ die BdsA sich künftig auf folgende Aufgaben konzentrieren müssten: „hochproduktiv, organisiert und ökonomisch zu arbeiten, beharrlich die neue Technik einzuführen, bei der Arbeit die fortschrittlichsten Methoden und Verfahren anzuwenden; unablässig zu lernen und bestrebt zu sein, sich die neuesten Ergebnisse der Wissenschaft und Technik, die Errungenschaften der sozialistischen Kultur zum Nutzen der Gesellschaft zu eigen zu machen; die besten Charaktereigenschaften des Menschen der neuen Gesellschaft zu erwerben, (…) in der Lebensführung und in der Einstellung zur gesellschaftlichen Pflicht beispielgebend zu sein und aktiv für die sozialistische Moral zu kämpfen“.86 Wie wurde diese Orientierung konzeptionell umgesetzt und an der betrieblichen Basis realisiert?

Konzentration auf das „sozialistische Arbeiten“ – Anpassung der Brigadestrukturen an technologische Prozesse Ständig betont wurde nun, die „sozialistischen Brigaden sollten dem technologischen Prozess entsprechen“ und der Kampf um den KdsA-Titel müsse fest in den sozialistischen Wettbewerb der Betriebe integriert werden.87 Zumindest die erste dieser beiden Forderungen scheint vielerorts umgesetzt worden zu sein. So ist in den Quellen häufig davon die Rede, dass nunmehr „ausgehend vom technologischen Prozess und den arbeitsorganisatorischen Bedingungen, der Kampf um die Anerkennung als ‚Kollektiv der sozialistischen Arbeit‘ auf Bereichs- und Abteilungsebene“ geführt werde.88 Nicht selten wurden mehrere Brigaden zu einem Meisterbereich zusammengefasst und beide Bezeichnungen dann synonym verwandt; in einigen Branchen wurde dafür auch der Begriff ‚Gewerk‘ gebraucht.89 86 87 88 89

Schreiben vom 28.9.1962; SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/2029/100 (unpag.). ZK-Abt. GS an G. Mittag, 6.2.1963, (…) Aufgaben der Gewerkschaften (…), SAPMOBArch, DY 30 IV A 2/6.11/78 (unpag.). (FDGB-BuV), 24.9.65, Information über die Entwicklung der sozialistischen Brigaden im Wettbewerb. SAPMO-BArch, DY 34/21886 (unpag.). Z.B. heißt es in einem Bericht aus der Volkswerft Stralsund, dass zwischen 1960 und 1964 die Zusammenfassung von Brigaden zu „größeren Kollektiven – Gewerken“ entsprechend den „technologischen Bedingungen des Produktionsablaufes“ erfolgt sei. In einem ande-

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Verbreitet waren auch die Bildung von „Komplexbrigaden“ und die Durchführung von „Komplexwettbewerben“. Aus einem Textilbetrieb bspw. verlautete in diesem Zusammenhang, dass durch den „Zusammenschluss der Arbeitsgänge Strecken, Flyern und Spinnen zu einem Komplex (…) der bisherige Abteilungsegoismus, das Nebeneinanderarbeiten überwunden und ein besserer Produktionsablauf erreicht“ worden sei. Im Zuge dieser technologisch begründeten Reorganisation war es auch zur Auflösung von Brigaden gekommen, die früher bereits den BdsA-Titel erhalten hatten.90 Die Forderung nach Integration des Ringens um die Kollektivauszeichnung in den sozialistischen Wettbewerb der Betriebe scheint hingegen auf größere Schwierigkeiten gestoßen zu sein. Der Kampf der sozialistischen Brigaden, hieß es in einem Bericht des FDGB-Bundesvorstandes 1965, wird „häufig neben und losgelöst vom komplexen Erzeugniswettbewerb geführt. Die zu einseitige Orientierung besonders der Wirtschaftsleiter auf die ökonomischen und wissenschaftlichtechnischen Aufgaben im Wettbewerb engt die sozialistische Persönlichkeitsentwicklung der Brigademitglieder ein.“ Zudem gebe es eine „sehr stark verbreitete (…) einseitige Orientierung der Gewerkschaftsleitungen und Wirtschaftsleiter auf die Spitzenbrigaden und damit die Vernachlässigung der Bewegung ‚sozialistisch arbeiten, lernen und leben‘ als Ganzes“. Dies gehe einher mit einer „dogmatischen Trennung des Inhalts“ dieser drei Komponenten, was insbesondere in einer Vernachlässigung (…) der Bereiche sozialistisch Lernen und Leben seinen Ausdruck finde.91 Grundsätzlich wurde aber begrüßt, dass sich zumindest bei einem Teil der sozialistischen Kollektive die Erkenntnis durchsetze, dass „die sozialistische Arbeit bestimmend für das sozialistische Lernen und Leben ist“.92 Durch eine gezielte Schwerpunktsetzung im innerbetrieblichen Wettbewerb sei auch das Engagement der Arbeitskollektive entsprechend gesteuert worden: „Das Schwergewicht wird auf das soz. Arbeiten gelegt“, erklärte ein Brigadier, weil „bei hohen ökonomischen

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ren Papier über die Werft wird von einem „Jugendgewerk“ berichtet, das gleichzeitig als Meisterbereich bezeichnet wird und gerade als KdsA ausgezeichnet worden war. FDGBBuV, Sektor Wettbewerb, Berlin, 7.8.64, Analyse der Entwicklung und Arbeitsweise der soz. Kollektive; FDGB-BuV, Sektor Wettbewerb, 29.7.64, gleicher Titel; SAPMO-BArch, DY 34/21924 (unpag.). ZV IG Textil, Bekleidung, Leder, Berlin, 18.6.1963, Bericht über die Entwicklung der Brigaden (…), SAPMO-BArch, DY 34/21921 (unpag.). (FDGB-BuV), 24.9.65, Information über die Entwicklung der sozialistischen Brigaden im Wettbewerb. SAPMO-BArch, DY 34/21886 (unpag.). (FDGB-BuV), Berlin, 22.8.1964, Einschätzung des Standes und der neuen Erfahrungen der Bewegung (…), SAPMO-BArch, DY 34/21924 (unpag.).

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Ergebnissen (…) eine entsprechende materielle Vergütung erfolgt“.93 Das heißt in den monatlich, quartalsweise etc. abgerechneten innerbetrieblichen Produktionswettbewerben um die konkrete quantitative und qualitative Planerfüllung, konnten die Arbeitskollektive regelmäßig, wesentlich öfter und in der Summe deutlich höhere Prämien erzielen als im Kampf um den KdsA-Titel. Ungeachtet der neuen Prioritätensetzung gab es aber immer wieder Klagen, in „einer größeren Zahl von sozialistischen Brigaden aller Industriezweige“ mache sich eine „überaus starke Betonung der Aufgaben in den Verpflichtungen bemerkbar, die außerhalb des Betriebes zu lösen sind, wie Patenschaften mit Schulen, NAW-Leistungen“ und ähnliche Dinge. Bei der Einschätzung und Abrechnung werde „oft so herangegangen, dass mit der Erfüllung solcher Wettbewerbspunkte (…) vorhandene Mängel bei der Erfüllung der Produktionsaufgaben ausgeglichen“ werden könnten. Dadurch würden „die Kollektive von ihren eigentlichen Aufgaben in der Produktion etwas wegorientiert“.94 Offenbar gab es nicht in allen Branchen und Betrieben so eindeutige Anweisungen wie die des Hauptdirektors der VVB Stahl- und Walzwerke vom August 1961, dass „im Interesse der Sicherung der Planerfüllung und der Senkung des gesellschaftlichen Aufwandes (…) ab sofort keine Produktionsarbeiter in der Arbeitszeit für andere Aufgaben herangezogen werden“ dürften.95 Auch wenn darüber, soweit ersichtlich, kein offener Disput geführt wurde, zeichnet sich in dieser Konstellation etwas für die sechziger Jahre, insbesondere für die NÖS-Periode, Typisches ab: Der Versuch von Teilen der Wirtschaftselite, den Einfluss der nicht-ökonomischen Aufgaben und Instanzen in den Betrieben zurückzudrängen. Davon wären tendenziell ganz klar auch die betrieblichen SEDStrukturen betroffen gewesen, was die Parteiführung keineswegs zulassen konnte und daher schon im Ansatz stoppen musste. Hierin wird eines der grundlegenden Dilemmata der SED-Herrschaft deutlich: Wirtschaftliche Effizienz und Dynamik 93 94

95

FDGB-BuV, Sektor Wettbewerb, Berlin, 8.8.64, Analyse und Entwicklung der Arbeitsweise der KdsA, SAPMO-BArch, DY 34/21924 (unpag.). FDGB-BV Groß-Berlin, 17.8.1963, Einschätzung über die neuen Erfahrungen und ideologischen Probleme in der Entwicklung der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit; SAPMOBArch, DY 34/21922 (unpag.). Dass es solche unmissverständlichen Weisungen keineswegs überall gab und sie auch nicht konsequent umgesetzt wurden, hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass es im Parteiapparat keine Unterstützung für eine so kategorische Durchsetzung des Primats der Ökonomie gab. So schickte der Leiter der ZK-Abteilung Gewerkschaften und Sozialpolitik, Rettmann, eine Abschrift der genannten Weisung des VVB-Chefs an den verantwortlichen ZK-Sekretär Alfred Neumann mit der Bemerkung, dass diese seines Erachtens „zu weit“ gehe. VVB Stahl- und Walzwerke, Hauptdirektor, Anweisung vom 19.8.1961 und Anschreiben vom 15.9.1961, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/53 (unpag.).

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setzten ein Mindestmaß an Autonomie der Wirtschaftseinheiten und das Funktionieren des Subsystems Ökonomie entsprechend seiner Eigenlogik voraus. Das war mit dem totalen Durchherrschungsanspruch der Partei letztlich nicht vereinbar. Damit war freilich auch der Spielraum für eine wirksame Reform des Wirtschaftssystems von vornherein (zu) eng begrenzt.96 In den Betrieben waren außerökonomische Kriterien im sozialistischen Wettbewerb schon zur fest verankerten Gewohnheit geworden. So beklagte die Arbeitsdirektion des EKS im März 1961, dass der „Wettbewerb solche Punkte noch beinhaltet, wie Einhaltung des Urlaubsplanes, regelmäßiger Besuch von Produktionsberatungen, Kauf von Solidaritätsmarken usw. Diese Punkte sind in letzter Konsequenz nicht entscheidend zur Verbesserung der Arbeit der Kollektive.“ Andererseits fehlten Aussagen zu solchen „wichtigen Fragen, wie Standardisierung, Anwendung der neuesten Technik (Neuerermethoden), Senkung der Kosten und Einsparung von Material auf allen Gebieten, welche die Voraussetzung für die Steigerung der Arbeitsproduktivität sind“. Zwar wäre in allen Brigadeverpflichtungen die Anwendung der Seifert-Methode enthalten, die Ergebnisse würden jedoch beweisen, dass „ein großer Teil der Brigaden diese Verpflichtungen nicht ernst nimmt“.97 Es wird auch kein Einzelfall gewesen sein, dass eine Brigade als „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ ausgezeichnet wurde, obwohl bezüglich der „direkten Produktionsleistungen“ in dem jeweiligen Betrieb bessere Kollektive vorhanden waren. In solchen Fällen gab oftmals den Ausschlag, dass die betreffende Brigade „besonders, wenn es gilt, neue Initiativen aufzugreifen (…) zu den führenden Kollektiven“ gehörte und „fast alle Kollegen der Brigade gesellschaftliche Funktionen“ ausübten.98 Auch in den Verpflichtungen und Rechenschaftslegungen zum KdsAWettbewerb 1964 im SWB findet man wiederholt derartige Kriterien. So wurde bspw. darauf hingewiesen, dass bei der Verteilung der Prämien „die Beteiligung an 96 97 98

Siehe dazu ausführlich meinen demnächst erscheinenden Aufsatz: „Verhinderten die Arbeiter Wirtschaftsreformen in der DDR?“ EKS, Direktor für Arbeit, Abt. Arbeitsnormung, Stalinstadt, 16.3.1961, (…) zur Verbesserung der Arbeit mit den BdsA, UA EKO 575, Bl. 279ff. Hier exemplarisch die Jugendbrigade „Peter Göring“ aus dem VEB Wälzlagerfabrik Fraureuth; „gesellschaftliche Funktionen“ hieß in diesem Fall, dass u a. je ein Brigademitglied der BGL und der ZBGL angehörte. Bei der Auszeichnung als KdsA dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass der Pate des Kollektivs der APO-Sekretär war, der vermutlich des öfteren, wenn es darum ging, irgendeine neue Wettbewerbskampagne aufzugreifen, auf die „Initiative“ seiner „Schützlinge“ zurückgegriffen hatte. (FDGB-BuV), Sektor Wettbewerb, Berlin, 31.7.64, Entwicklung und Arbeitsweise der Kollektive der sozialistischen Arbeit; SAPMO-BArch, DY 34/21924 (unpag.).

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gesellschaftlichen Arbeiten und das gesamte kollektive Verhalten des Kollegen mit einzubeziehen“ sei; während andere sogar konkret abrechnen konnten, dass in „persönlichen Aussprachen“ mit drei Kollegen erreicht wurde, dass diese „den Antrag stellten, Mitglied der SED zu werden“.99 Solche oder ähnliche Leistungen, etwa die Verpflichtung zur Teilnahme an der Kampfgruppenausbildung oder der Eintritt in die DSF, wurden auch während der NÖS-Periode insbesondere von den Partei- und Gewerkschaftsleitungen vieler Betriebe gefordert, lobend erwähnt und nach Möglichkeit auch honoriert.100 Umgekehrt beklagte bspw. der stellvertretende BGL-Vorsitzende eines Leipziger Maschinenbaubetriebes: „Wenn es um die Produktion geht, steht jeder Kollege seinen Mann, aber in Versammlungen und Fragen, die das Privatleben betreffen, kneifen sie.“101 Eine ausgezeichnete Brigade aus dem Waggonbau Dessau, deren Mitglieder sich durch die aktuellen Normen- und Lohnregelungen im Betrieb benachteiligt sahen, zeigte daraufhin eine spürbar geringere Neigung, „zusätzlich z. B. NAW-Stunden abzuleisten oder Hilfe in der Landwirtschaft zu geben“.102 So dürfte die Mehrzahl der Beschäftigten nach wie vor zurückhaltend reagiert haben, wenn es um die Vermengung von Arbeits- und Privatleben ging. Wenn überhaupt vorhanden, sank die Bereitschaft, Freizeit für diverse gesellschaftliche Aktivitäten zu opfern, falls es im Betrieb Unstimmigkeiten zumal in puncto Entlohnung gab. Die FDGB- und SED-Funktionäre vor Ort hatten also, angesichts der ökonomisch-technischen Schwerpunktsetzung und des relativen Machtzuwachses der Wirtschaftsfunktionäre während der NÖS-Periode, einen besonders schweren Stand, die Belegschaften für gesellschaftspolitische Aufgaben zu mobilisieren. Die Betriebsleitung des EKO bemühte sich Anfang der sechziger Jahre intensiv, die „Verpflichtungsbewegung der sozialistischen Brigaden in die richtigen Bahnen“ zu lenken und wies alle Abteilungsleitungen an, „ihren Brigaden eine konkrete Zielstellung zu geben und sie bei der Ausarbeitung ihrer Verpflichtungen entsprechend zu unterstützen“. Als Grundlage sollte ein 10-Punkte-Programm „or99 Aus diversen Brigadeverpflichtungen und -Abrechnungen verschiedner Abteilungen des SWB 1964; BLHA, Rep. 502/5285 (unpag.). 100 Z.B. Hervorhebung solcher Leistungen im Referat zum Brigademeeting der sozialistischen Brigaden (1965), BLHA, Rep. 532/1439 (unpag.). 101 Dieser BGL-Funktionär, der zugleich Mitglied einer als KdsA ausgezeichneten Brigade war, gab weiter zu Protokoll, dass bspw. die „monatlichen Zusammenkünfte (Gruppenabende) der Brigade (…) in der letzten Zeit nicht mehr organisiert“ worden seien. Bericht über die (…) Brigade „Fortschritt“ des VEB Drehmaschinenwerk Leipzig, (Frühjahr 1964); SAPMO-BArch DY 34/21924 (unpag.). 102 Ebd., Institut für Arbeitsökonomik, Bernau, 23.4.1964, Bericht über die Brigade „Hermann Duncker“ im VEB Waggonbau Dessau.

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ganisatorischer Maßnahmen zur Unterstützung der sozialistischen Brigaden“ dienen, das von der Werkleitung erarbeitet worden war.103 Das Schwergewicht lag dabei ganz klar auf ökonomisch-technischen Aspekten und konkreten Festlegungen zur ständigen Anleitung und Kontrolle der Brigaden. Zugleich sollte eine bessere Information und Mitwirkung der Arbeitskollektive gesichert werden, weshalb die Betriebsabteilungsleiter verpflichtet wurden, „in ihren Abteilungsberatungen regelmäßig Mitglieder der sozialistischen Brigaden zur Aussprache hinzuzuziehen“. In dem Maßnahmenkatalog wurde weiterhin die „Erarbeitung des Planes der Ausbildung und Qualifizierung“ für jede Abteilung gefordert, ebenso wie das Schaffen von Voraussetzungen, dass „auch die Brigaden ihre politischen Aufgaben lösen können“. Der Aspekt der politisch-ideologischen Indoktrination, Einbindung und Mobilisierung der Beschäftigten über die Brigaden geriet damit zwar etwas in den Hintergrund, verschwand aber keineswegs von der Agenda.

„Sozialistische Arbeits- und Forschungsgemeinschaften“ – Konkurrenz für die BdsA? Ein untrügliches Zeichen für eine gewisse Rückstufung der Brigaden ist darin zu sehen, dass sie Mitte der sechziger Jahre, nach dem offiziellen Beginn der NÖSPeriode, wann immer es um die „sozialistische Gemeinschaftsarbeit“ ging, nicht mehr, wie bis dahin üblich, an erster Stelle genannt wurden, sondern zumeist hinter den „sozialistischen Arbeits- und Forschungsgemeinschaften“ rangierten.104 Diese waren als Teil der Bewegung unter dem Motto „sozialistisch Arbeiten, Lernen und Leben“ im Zuge der BdsA-Kampagne ab Anfang 1959, sozusagen im Schatten der Brigaden, aus der Taufe gehoben worden und hießen zunächst „Gemeinschaften der sozialistischen Arbeit“. Sie hatten nur zeitweiligen Charakter, waren in der Regel deutlich kleiner als die Brigaden und bestanden aus Ingenieuren, Ökonomen, Technologen sowie Arbeitern, die größtenteils neben ihrer eigentlichen Tätigkeit zusammenkamen, um gemeinsam an konkreten Aufgaben zur Verbesserung der Technologie, der Arbeitsorganisation und ähnlicher Dinge zu arbeiten.105

103 EKS, Direktor für Arbeit, 20.7.1961, Anlage zur Werkleitervorlage betr. Verbesserung der Arbeit mit den sozialistischen Brigaden; UA EKO 576, Bl. 205ff. 104 Exemplarisch dafür: W. Ulbricht, Rede auf der 11. Staatsratstagung (3.10.1964); in: Materialien zur Weiterführung des sozialistischen Wettbewerbs (Tribüne Sonderdruck), S. 4; SAPMO-BArch DY 30 IV A 2/6.11/78 (unpag.). 105 Wenn man die durchschnittliche Mitgliederzahl der Brigaden und Gemeinschaften vergleicht, waren letztere nur etwa halb so stark (siehe Tabelle 1 und 36).

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Entgegen der ursprünglichen Intention, waren Produktionsarbeiter in dieser Art von Neuererkollektiven unterrepräsentiert, gehörten ihnen nicht selten eher formal an und trugen naturgemäß in geringerem Maße zur Lösung der gestellten Aufgaben bei. Hier spielten sicher auch Standesdünkel beiderseits der „Kragenlinie“ eine Rolle, deren Überwindung und Einebnung ein wesentlicher Zweck dieser Institution gewesen war. Entsprechend schätzte die FDGB-Führung im Sommer 1964 ein, dass die „Tätigkeit der sozialistischen Arbeits- und Forschungsgemeinschaften (…) in den meisten Betrieben zur Herstellung kameradschaftlicher Beziehungen und guter Zusammenarbeit zwischen den Arbeitern und der Intelligenz“ geführt habe. Dass dies nicht ganz reibungslos verlief, wird klar, wenn es im nächsten Satz heißt: „Notwendig waren und sind (…) in nicht wenigen Fällen auch Diskussionen über die Rolle der Arbeiterklasse mit der Intelligenz bzw. (…) über individualistische Auffassungen bei einzelnen Angehörigen der Intelligenz“.106 Vorbehalte seitens der wissenschaftlich-technischen Angestellten klingen auch in anderen Dokumenten an. Bei ihnen gebe es „teilweise Überheblichkeit, Unterschätzung des Wertes der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit, Individualismus“. Sie betrachteten „die Gemeinschaftsarbeit als Einschränkung ihrer Freizeit bzw. ihrer eigenen schöpferischen Tätigkeit“ und würden „oft noch zuerst die Frage [nach] der materiellen Anerkennung“ stellen. „Sie wägen ab, ob es sich lohnt, in der Gemeinschaft mitzuarbeiten.“107 In der Regel lösten sich diese „Gemeinschaften“ nachdem die Aufgabenstellung abgearbeitet war oder sich als unerfüllbar erwiesen hatte wieder auf. Im Erfolgsfall konnten diese Kollektive als „Gemeinschaften der sozialistischen Arbeit“, später als KdsA geehrt und prämiert werden. Teilweise erbrachten die von ihnen erarbeiteten Neuerungen und Verbesserungsvorschläge einen durchaus respektablen ökonomischen Nutzen für ihre Betriebe, was nicht immer angemessen honoriert wurde – woraus wiederum Motivationsprobleme zur Teilnahme an derartigen „Arbeits- und Forschungsgemeinschaften“ erwuchsen, zumal deren Mitglieder für diese Tätigkeit mitunter ein beträchtliches Quantum Freizeit opferten. Daher war auch viel Zweckoptimismus im Spiel, wenn Ulbricht im Herbst 1964 betonte, die „sozialistische Gemeinschaftsarbeit“ habe sich „in allen volkswirtschaftlichen Bereichen durchgesetzt und als sehr lebensfähig erwiesen“ und hinzufügte, dass „die Zahl der sozialistischen Arbeitsgemeinschaften und das Ni106 (FDGB-BuV), Berlin, 22.8.1964, Einschätzung (…)der Entwicklung und Tätigkeit der sozialistischen Arbeits- und Forschungsgemeinschaften (…), SAPMO-BArch, DY 34/ 21924 (unpag.). 107 (FDGB-BuV), Sektor Wettbewerb, Berlin, 31.7.1964, Analyse der Entwicklung der sozialistischen Kollektive im Betriebsmaßstab, Ebd.

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veau ihrer Arbeit gestiegen“ sei.108 Abgesehen von einem Zwischenhoch 1963 sagt die in Tabelle 36 wiedergegebene offizielle Statistik allerdings das Gegenteil aus. Zudem sind die schiere Zahl dieser „Gemeinschaften“ sowie der darin Mitwirkenden ohnehin ein zweifelhaftes Kriterium, um ihren Erfolg zu bewerten. Angaben über den tatsächlichen ökonomischen Nutzen, der aus der Tätigkeit dieser „sozialistischen Arbeits- und Forschungsgemeinschaften“ resultierte, liegen nach Kenntnis des Autors bislang nicht bzw. nur für Einzelfälle vor. Im Widerspruch zu Ulbrichts Darstellung war auch der FDGB-Bundesvorstand nur wenige Monate zuvor zu der Einschätzung gelangt, dass sich diese Art der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit „insgesamt (…) noch zu langsam“ entwickle, nicht zuletzt, weil sie „von den Wirtschaftsleitern noch zu wenig durch den Abschluss von kollektiven Neuerervereinbarungen gefördert“ würde. Entstanden seien die Arbeits- und Forschungsgemeinschaften häufig „spontan aus persönlicher Interessiertheit und Interesse am Forschen und Entwickeln einzelner Mitglieder“, und die „sinnvolle Nutzung ökonomischer Hebel der materiellen Interessiertheit“ würde sich (auch) in diesem Zusammenhang „nur sehr langsam“ durchsetzen.109 Zu dieser Frage war bspw. im VEB Kombinat Espenhain im Herbst 1963 beim Abschluss der Vereinbarung mit einer solchen Gemeinschaft fixiert worden: „Der Werkleiter behält sich vor, nach Realisierung des Vertrages und Erfüllung der Zielstellung das Kollektiv (…) zu prämiieren.“ In der FDGB-Zentrale war man sicher, dass dies beileibe nicht die einzige „sozialistische Arbeits- und Forschungsgemeinschaft“ war, die „bei Übernahme ihrer Aufgaben nicht [wusste], welche materielle Anerkennung sie bei Lösung der Aufgaben erhalten“ würde. Außerdem sei „vielen BGL und Wirtschaftsleitern (…) nicht bekannt, dass auch sozialistische Arbeitsgemeinschaften als Kollektiv der sozialistischen Arbeit ausgezeichnet werden können“. Dass die „sozialistischen Arbeits- und Forschungsgemeinschaften“ Mitte der 1970er Jahre aus den Statistiken verschwanden, hat vermutlich v.a. damit zu tun, dass sie in der veränderten Auszeichnungsverordnung von 1972 als zeitweilige Kollektive von der Auszeichnung mit dem KdsA-Titel ausgeschlossen wurden.110 Wenngleich sie als Institution verschwanden, wurde ihr Aufgabenfeld im Rahmen der Neuererbewegung weiter bearbeitet.

108 W. Ulbricht, Rede auf der 11. Staatsratstagung, 3.10.1964; (…); SAPMO-BArch DY 30 IV A 2/6.11/78 (unpag.). 109 (FDGB-BuV), Berlin, 22.8.1964, Einschätzung des Standes und der neuen Erfahrungen (…), SAPMO-BArch, DY 34/21924 (unpag.)., daher auch im Folgenden. 110 Siehe dazu Kapitel V.1.

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Stagnation und Rückgang der Brigadebewegung im Schatten der Wirtschaftsreform Dass die Brigadebewegung ausgerechnet zwischen 1965 und 1968, also inmitten der Wirtschaftsreformjahre, eine sehr deutliche statistische Talsohle durchschritt (Tabelle 1), ist ganz sicher kein Zufall. Dies ist tendenziell vergleichbar mit dem, was man in Marktwirtschaften als „Gesundschrumpfen“ von Unternehmen oder ganzen Branchen bezeichnet. Zum einen gingen in dieser Zeit die zuvor vielfach beklagte „Zahlenhascherei“ der Funktionäre und die damit im Zusammenhang stehenden formalen Anschlüsse an die Brigadebewegung spürbar zurück, weil die Kampagne nur noch auf Sparflamme geführt wurde und eindeutig im Schatten der Wirtschaftsreform stand. Letztere bewirkte auch, dass der sozialistische Wettbewerb in den Betrieben zunehmend nach „harten“ ökonomisch-technischen Kriterien geführt wurde und die „weichen“ Faktoren im weitgespannten Bereich der gesellschaftlichen Aktivitäten kaum mehr als Kompensation von Defiziten in der Produktionsleistung akzeptiert wurden. Folglich musste nun auch die Auszeichnung mit dem KdsA-Titel härter erarbeitet werden. Zum anderen war aber gleichzeitig, durch die oben beschriebene Abwertung des Titels und die Streichung bzw. Reduzierung der damit verbundenen Prämien, die Attraktivität der Brigadebewegung gesunken. Und schließlich nutzten viele Betriebsleitungen ihren größeren Spielraum während der Reformjahre, die Struktur der Produktionsabteilungen stärker dem technologischen Prozess entsprechend auszurichten, was gegebenenfalls auch die Auflösung oder Zusammenfassung von Brigaden einschloss. Vollends deutlich wird die Prioritätensetzung während dieser Periode daran, dass selbst der FDGB auf diese Linie einschwenkte. „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben, das heißt heute vor allem“, deklamierte der stellvertretende Vorsitzende Rolf Berger im Herbst 1964, „perspektivisch zu denken, den Plan Neue Technik gewissenhaft zu erfüllen, die Gemeinschaftsarbeit zwischen Forschung und Produktion ständig zu entwickeln, die Qualität der Erzeugnisse auf das Weltniveau zu bringen und auf dem Wege der sozialistischen Rationalisierung die Kosten zu senken“.111 Dabei handelte es sich ziemlich eindeutig um Aufgaben, die primär 111 Referat Rolf Berger auf der 3. Tagung des BuV des FDGB (30.9.–1.10.1964): in: Materialien zur Weiterführung des sozialistischen Wettbewerbs (Tribüne Sonderdruck), S. 16 in SAPMO-BArch DY 30 IV A 2/6.11/78 (unpag.). Berger, von 1961 bis 1971 Leiter des Sekretariats und stellvertretender Vorsitzender des FDGB-BuV, war der ‚starke Mann‘ und Protagonist des NÖS in der Gewerkschaftsspitze – und wurde als solcher im Zuge des Machtwechsels von Ulbricht zu Honecker aller Funktionen enthoben, zumal er eine größere Eigenständigkeit des FDGB gefordert hatte. Sein Sturz ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass die von ihm vertretenden Positionen auch schon zuvor nicht unbedingt von allen (Spitzen-)Funktionären des FDGB geteilt worden waren.

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weder durch die Gewerkschaften, noch von den Brigaden zu lösen waren. Hierin wird ein grundlegender Mangel des SED-Herrschaftssystems sichtbar: An der ‚kurzen Leine‘ der Parteiführung stürzten sich zumeist alle Institutionen, unabhängig von ihrer Kompetenz und Zuständigkeit, auf die von oben jeweils vorgegebenen Schwerpunkte. Dabei dilettierten sie häufig, vernachlässigten allzu oft ihre ganz spezifischen Aufgaben und waren dadurch nur begrenzt in der Lage, die in ihrem Sektor (oder Subsystem) der Gesellschaft bzw. des Staates erforderliche Kompetenz auszuprägen, die für eine kontinuierliche und dynamische Entwicklung des Gesamtsystems notwendig gewesen wäre.112 Die Ökonomisierung der Politik, auch des FDGB, ging aber selbst während der Hochzeit des NÖS nicht so weit, dass etwa die „Erfordernisse des Marktes“ zum bestimmenden Maßstab erhoben worden wären und auch eine grundsätzliche Abkehr von der „sozialistischen Gemeinschaftsarbeit“ erfolgte nicht.113 So verwies der stellvertretende FDGB-Vorsitzende Berger im Februar 1966 auf eine aktuelle Äußerung Ulbrichts, worin der SED-Chef betont hatte, dass „den bildenden und erzieherischen Potenzen der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit im Wettbewerb mehr Aufmerksamkeit zu widmen“ sei. Die „Bewegung, auf sozialistische Weise zu arbeiten, zu lernen und zu leben“, diene, so Berger, nicht nur der „Lösung der ökonomischen Aufgaben, sondern auch der geistigen Entwicklung der Werktätigen“. Mit der Forderung, die „objektiven gesellschaftlichen Erfordernisse immer mehr zu den persönlichen Bedürfnissen und Interessen der Werktätigen zu machen und dadurch den Prozess der Persönlichkeitsentwicklung richtig zu lenken“,114 unterstrich der stellvertretende FDGB-Vorsitzende freilich unmissverständlich, dass die Arbeiter und Angestellten nach wie vor nicht als mündige Subjekte, sondern als Objekte der Politik von SED und FDGB betrachtet wurden, die erzogen und gelenkt werden mussten. Eine nachhaltige Mobilisierung der Beschäftigten, indem ihnen substantielle Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte in ihren „volkseigenen“ Betrieben eingeräumt worden wären, war in der Tat zu keinem Zeitpunkt Bestandteil des 112 Im Falle der Gewerkschaften war bspw. die Tarifpolitik eines der zentralen und zugleich sträflich vernachlässigten Felder, dessen nachlässige Bearbeitung zu immer größeren Problemen im Gesamtsystem führte. 113 Dies behauptet Renate Hürtgen (Demokratisierung, S. 53) fälschlicherweise. Der Kontext dieser Bemerkungen von Rolf Berger in seinem Schlusswort zur 8. Tagung des FDGBBuV Mitte Februar 1966 zeigt nämlich, dass er zwar die verquaste Äußerung eines Funktionärs bezüglich der „Gemeinschaftsarbeit“ kritisiert, aber direkt anschließend erläutert, warum der „Zwang zur Gemeinschaftsarbeit (…) ein objektiver Zwang“ sei. Protokoll der 8. Tagung des FDGB-BuV vom 17.-19.2.1966, Schlusswort Dr. Rolf Berger, SAPMOBArch, DY 34/26900, Bl. 43ff., hier Bl. 46f. 114 Ebd. (Schlusswort Berger), Bl. 48.

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Reformkonzeptes der sechziger Jahre gewesen.115 Diese Frage war mit einer klaren Absage an alle Bestrebungen, den sozialistischen Brigaden größere Rechte einzuräumen, bereits 1960 in der „Syndikalismus-Affäre“ geklärt worden. Auch Experimente mit „Produktionskomitees“, „Gesellschaftlichen Räten“ (in VVB) und „Gewerkschaftskomitees“ in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre können kaum als ernst zu nehmende Partizipations- und Demokratisierungsangebote bewertet werden, zumal sie durchweg spätestens Anfang der siebziger Jahre wieder eingestellt wurden.116 Zweifellos kann die fehlende demokratisch-partizipative Einbindung der Masse der Werktätigen in die Bemühungen um eine Reform des Wirtschaftssystems als eine Ursache für deren letztliches Scheitern angesehen werden. Allerdings bedeutet dies keineswegs, dass – im Umkehrschluss – eine stärkere Einbeziehung und Beteiligung der Beschäftigten den Erfolg des NÖS garantiert hätte, denn dadurch wären sehr wahrscheinlich eine ganze Reihe von Interessenkonflikten zutage getreten, einschließlich der Möglichkeit einer eventuellen Modifikation oder Blockierung der Reformvorhaben. Dass die Beschäftigten weder über die Brigaden noch durch andere Strukturen in die Diskussion um das NÖS und seine Umsetzung aktiv einbezogen wurden, trug umgekehrt auch mit zum Stagnieren der Brigadebewegung bei. Der eindringliche Appell der Parteiführung vom Frühjahr 1965, „völlige Klarheit über den untrennbaren Zusammenhang zwischen der Durchsetzung des NÖS der Volkswirtschaft und der Arbeit der sozialistischen Brigaden“ zu schaffen,117 kann als Indiz dafür angesehen werden, dass diese Verbindung bis dahin in der betrieblichen Praxis eben nicht bestanden hatte, woran sich auch nichts ändern sollte. Da kaum ein Zusammenhang zwischen beiden hergestellt wurde, konnten die sozialistischen Brigaden bzw. Kollektive auch nicht in deren Fahrwasser von den Bemühungen um die Wirtschaftsreform profitieren, sondern standen lediglich in deren Schatten. Die oberflächlich-plakative Verknüpfung allein genügte nicht, zumal die diesbezüglichen Erfahrungen vieler Werktätiger im Betriebsalltag dem nicht entsprachen oder bestenfalls ambivalent ausfielen.

115 Vgl. Hürtgen, Demokratisierung; die Auseinandersetzung um eben diese Frage im Zuge der „Syndikalismus“-Kontroverse wird dort allerdings übersehen. 116 Steiner, DDR-Wirtschaftsreform, S. 318 ff.; Hürtgen, „vergessene“ Demokratisierung, S. 54f. 117 Protokoll der Sitzung des ZK-Sekretariats vom 31.3.1965, Anlage Nr. 2; SAPMO-BArch DY 30 J IV 2/3/1064, Bl. 10–13.

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Alte Probleme, ungelöst: Normen und Löhne, Arbeits- und Lebensbedingungen Es war nicht zuletzt das alte Problemfeld von Norm, Leistung und Lohn, welches die Wirtschafts-, Partei- und Gewerkschaftsleitungen im Zuge des NÖS neu zu bestellen versuchten – und dabei, wie schon in den fünfziger Jahren, auf wenig Gegenliebe bei den Arbeitern stießen.118 Auch die nunmehr sozialistisch genannten Brigaden, über die man gehofft hatte, diesbezüglich entscheidend voranzukommen, halfen dabei kaum mehr als im vorangegangenen Jahrzehnt: „Nur einzelne Kollektive handeln zum Beispiel danach, dass sozialistisch arbeiten heißt, zusammen mit der neuen Technik auch neue technisch begründete Arbeitsnormen anzuwenden.“ – konstatierte die FDGB-Führung im Sommer 1964 enttäuscht. Und weiter: „Insgesamt muss eingeschätzt werden, dass die richtige Durchsetzung des Prinzips der materiellen Interessiertheit zu jenen Problemen bei der Entwicklung der sozialistischen Kollektive gehört, die mit als die kompliziertesten anzusehen sind. In den meisten (…) Kollektiven gehört(e) die Durchsetzung des Leistungsprinzips, die Anwendung neuer TAN und ökonomisch zweckmäßiger Lohnformen sowie die Verteilung der Prämien zu jenen Fragen, die am heftigsten diskutiert wurden und zu denen auch in fortgeschrittenen Kollektiven viel Überzeugungsarbeit notwendig war und ist.“ In diesem Zusammenhang sei „auch die Tendenz festzustellen, dass bei der Übernahme neuer Verpflichtungen durch sozialistische Kollektive am wenigsten zu den Fragen der materiellen Interessiertheit festgelegt“ würde.119 Eher selten wurde von der FDGB-Führung offen kritisiert, dass „die Gleichmacherei, besonders bei der Verteilung von Prämien, (…) noch ziemlich verbreitet“ war.120 Hier bewegten sich die Funktionäre auf dünnem Eis, denn der Zusammenhang zu dem – teils populistischen – Egalitarismus, den SED und FDGB von Beginn an selbst propagiert hatten, um die Arbeiterschaft für sich zu gewinnen, war nicht zu übersehen. In entsprechenden Dokumenten wurde immer wieder die Notwendigkeit betont, „allen Kollektiven nochmals aufzuzeigen, dass zum sozialistischen Arbeiten die Arbeit nach TAN und exakten qualitativen Kennziffern gehört“.121 Genauso regelmäßig musste festgestellt werden, dass es „über diese

118 Für die 1950er Jahre siehe Hübner, Konsens, S. 16ff. 119 (FDGB-BuV), Berlin, 22.8.1964, Einschätzung des Standes und der neuen Erfahrungen (…);SAPMO-BArch, DY 34/21924 (unpag.). 120 FDGB-BuV, Sektor Wettbewerb, Berlin, 22.8.1963, (Entwurf) Einschätzung der neuen Erfahrungen (…); SAPMO-BArch, DY 34/21922 (unpag.). 121 Institut für Arbeitsökonomie, Bernau, 13.4.1964, Bericht über den Einsatz der Untersuchungen der Brigaden „Hermann Duncker“, SAPMO-BArch, DY 34/21924 (unpag.).

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Fragen (…) auch in sozialistischen Kollektiven noch die meisten und heftigsten Diskussionen“ gebe.122 Besonders prekär wurde es, wenn Brigaden, die sich im Wettbewerb entsprechend den Forderungen der Funktionäre hervorgetan hatten, zu der Einsicht gelangten, dass sie letztlich im Vergleich zu ihren Kollegen, die sich diesbezüglich stärker bedeckt gehalten hatten, die Dummen, d.h. schlechter Bezahlten waren. Exemplarisch veranschaulicht wird dieser wiederholt beklagte Sachverhalt durch den Fall der Brigade „Hermann Duncker“ aus dem VEB Waggonbau Dessau: „Vor der Zeit des Umstellens der Arbeitsnormen (…) hat das Kollektiv Normzeiten zurückgegeben. Sie taten das mit der Absicht, dem Staat gegenüber ehrlich zu sein und darüber hinaus mit dem Ziel, dass ihnen die anderen Kollektive folgen mögen. Obwohl die Leitungen im Betrieb mit dieser hervorragenden Initiative hausieren gingen und die Brigade als Aushängeschild benutzten, verstanden sie es nicht, diese Initiative zu verallgemeinern. Auch die Zeit des Umstellens der Arbeitsnormen (…) wurde nicht genutzt, um zu realen Leistungskennziffern und Vergleichen zu kommen und notwendige Korrekturen vorzunehmen.“ Schließlich waren, in diesem Falle, die Ehrlichen zugleich die Dummen: „So ergibt sich, dass die Brigade im Durchschnitt 100,- bis 150,- DM weniger Verdienst [je Kollege und Monat!] hat, als die anderen Brigaden“, mit gleicher Arbeitsklassifikation. Folgerichtig mussten die Funktionäre nun feststellen, dass die bis dahin vorbildlichen Arbeiter dieses Kollektivs „zum Wettbewerb keine Einstellung mehr finden“: „Durch weniger Verdienst trat Unlust ein und so ist die Brigade heute in ihrer inneren Festigkeit zerrüttet.“123 Dass der Dessauer Waggonbaubetrieb in dieser Beziehung nicht die unrühmliche Ausnahme darstellte, macht ein FDGB-Bericht vom Herbst 1965 deutlich, der generalisierend feststellt: „Durch nichtsachkundige Nutzung der ökonomischen Hebel, der materiellen Interessiertheit, wird die Entwicklung des Bewusstseins der Werktätigen im Interesse der Gesellschaft sowie in ihrem eigenen Interesse (…) große Leistungen zu vollbringen, gehemmt.“124 122 (FDGB-BuV), Berlin, 23.9.1964, Hauptprobleme (…), SAPMO-BArch, DY 34/21873 (unpag.). Exemplarisch heißt es dazu im Bericht über ein KdsA aus dem Fischkombinat Rostock: „Heftigste Auseinandersetzungen gab es im Zusammenhang mit [der] Normenarbeit.“ Diese Brigade arbeitete nach TAN mit einer Normerfüllung von 170 % und sträubte sich seit einem halben Jahr „zum Prämienzeitlohn überzugehen, bei dem die Qualität mehr berücksichtigt werden soll“. (FDGB-BuV), Berlin, 4.7.64, Entwicklung und Arbeitsweise der KdsA; SAPMO-BArch, DY 34/21924 (unpag.). 123 Institut für Arbeitsökonomik, Bernau, 23.4.1964, Bericht über die Brigade „Hermann Duncker“ im VEB Waggonbau Dessau, ebd. 124 (FDGB-BuV), 24.9.65, Information über die Entwicklung der sozialistischen Brigaden im Wettbewerb. SAPMO-BArch, DY 34/21886 (unpag.).

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Weitere Schwierigkeiten, mit denen der Gewerkschaftszentrale zufolge „die Mehrzahl der Kollektive zu tun“ hatte, waren: „Mängel in der Arbeitsorganisation, schlechte Leitungstätigkeit, unrhythmischer Produktionsablauf und in diesem Zusammenhang auch eine Vielzahl von Überstunden, die sich sehr nachteilig auf die Entwicklung des Kollektivs, auf die Arbeitsfreude wie auch auf die Bereitschaft zur Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben auswirken“.125 Dringend notwendig waren vielerorts „verstärkte Bemühungen der Gewerkschaftsleitungen (…), durch Einflussnahme auf die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen gute Voraussetzungen für die Entwicklung der Initiative sozialistischer Kollektive im Wettbewerb“ zu schaffen.126 Dies einzufordern war eine genuin gewerkschaftliche Aufgabe, die oft genug von den BGL und übergeordneten FDGB-Instanzen nicht mit dem Nachdruck wahrgenommen wurde, wie es die Beschäftigten erwarteten. Die eben wiedergegebene Einsicht in entsprechende Defizite mag mit dazu geführt haben, dass in den sechziger Jahren die betriebliche Sozialpolitik erheblich ausgebaut wurde.127 Dabei spielten nicht zufällig die spezifischen Probleme berufstätiger Frauen eine Rolle, deren Erwerbsquote in diesem Jahrzehnt von 66,5 auf 81,8 Prozent stieg.128 Mobilisiert wurden viele von ihnen zunächst über sogenannte Hausfrauenbrigaden, im Rahmen einer 1958 gestarteten Kampagne, die vorrangig vom Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD) getragen wurde. Auf ihrem Höhepunkt wies diese spezielle Brigadebewegung 1961 eine Beteiligung von mehr als 61.000 Frauen auf, bevor sie 1962/63 schon wieder von der Bildfläche verschwand.129 Ganz überwiegend vollzog sich dies durch die Integration der Frauen in reguläre Arbeitsverhältnisse, z. T. indem ganze Hausfrauenbrigaden mehr oder weniger geschlossen in jene Betriebe eingegliedert wurden, wo sie bereits zuvor aushilfsweise gearbeitet hatten. So beispielsweise 27 (von 84) Kolleginnen des Kollektivs Schiffsreinigung der Volkswerft Stralsund, die 1964 um den KdsATitel kämpften und sogleich nicht nur voll in den Arbeitsprozess integriert, sondern auch in das umfassendere Programm des sozialistischen Arbeitens, Lernens und Lebens einbezogen wurden.130

125 (FDGB-BuV), Berlin, 22.8.1964, Einschätzung des Standes (…); SAPMO-BArch, DY 34/ 21924 (unpag.). 126 Ebd. 127 Vgl. Hübner, Sozialpolitik. 128 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Statistische Übersichten zur Sozialpolitik in Deutschland seit 1945 (Band SBZ/DDR), S. 144. 129 Siehe dazu ausführlich: Mattes, Hausfrauenbrigaden; insbes. S. 42 und 61. 130 (FDGB-Bundesvorstand), Sektor Wettbewerb, Berlin, 5.8.1964, Analyse (…) sozialistischer Kollektive, SAPMO-BArch, DY 34/21924 (unpag.).

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3. Neuer Aufschwung mit langem Anlauf – die sozialistischen Brigaden in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre Bemühungen zur Überwindung der Stagnation der Brigadebewegung Angesichts der oben beschriebenen Schwierigkeiten, Widersprüche und Selbstblockaden sowie der Tatsache, dass die Brigadebewegung weiterhin im Schatten der Wirtschaftsreformbemühungen stand, verwundert es nicht, dass die Forderung des SED-ZK-Sekretariats vom Frühjahr 1965 nach einer Neubelebung des Kampfes um den Titel „Brigade der sozialistischen Arbeit“ zunächst weitgehend verpuffte.131 Dennoch blieb das Thema auf der Agenda, u. a. weil die Parteiführung mit jenem Beschluss angeordnet hatte, dass sowohl das beim Politbüro angesiedelte Büro für Industrie und Bauwesen als auch die FDGB-Spitze gemeinsame Beratungen „mit Leitern sozialistischer Brigaden“ sowie Partei- und Gewerkschaftsfunktionären aus Betrieben durchführen sollten, um nach Wegen zur Überwindung der Stagnation der Brigadebewegung zu suchen. Konkrete Ergebnisse brachten diese Treffen jedoch nicht, abgesehen davon, dass die genannten Führungsgremien aus erster Hand erfuhren, dass „man sich nur an die sozialistischen Brigaden erinnert, wenn prominente Besucher auf die Baustelle kommen oder an einer Konferenz teilzunehmen ist. Wir sollen dann das ‚Paradepferd‘ sein. Es ist klar, dass wir uns in dieser Rolle nicht wohlfühlen. Um die Sorgen und Probleme der Brigade kümmert sich sonst niemand.“ So die Kritik von Kollektivvertretern, die kaum Trost darin gefunden haben dürften, dass ihnen „erneut bestätigt [wurde], dass die Bewegung der sozialistischen Brigaden (…) der Schlüssel zur Lösung aller volkswirtschaftlichen Aufgaben bei der Durchführung der technischen Revolution und der Herausbildung der neuen Menschengemeinschaft“ sei. Das einzige greifbare Ergebnis war ein Beschlussvorschlag zur Überarbeitung der „Ordnung zur Verleihung des Ehrentitels ‚Kollektiv der sozialistischen Arbeit‘“, allerdings ohne die Richtung der Änderung anzuzeigen.132 Hinweise, worauf die erneute Modifizierung abzielen könnte, gab es aber bereits. So war wiederholt indirekt beklagt worden, dass Beschäftigte „hauptsächlich in den Abteilungen der Verwaltungsbereiche, Funktionsabteilungen, Organisationen u. ä.“ innerhalb der Betriebe zwar zum größten Teil im sozialistischen Wettbewerb stünden, aber nicht um den KdsA-Titel kämpfen könnten. Als Ursache 131 Protokoll der Sitzung des ZK-Sekretariats vom 31.3.1965, Anlage Nr. 2; SAPMO-BArch DY 30 J IV 2/3/1064, Bl. 10–13. 132 Büro für Industrie und Bauwesen (beim PB der SED), Sekretariat des BuV des FDGB, Berlin, 15.7.1965, Information für das Sekretariat des ZK der SED, Betr.: Beratungen (…) mit Angehörigen sozialistischer Brigaden (…); SAPMO-BArch, DY 34/21882 (unpag.).

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der Nichtbeteiligung wurde benannt, dass „in der Regel nur Produktionskollektive ausgezeichnet“ werden durften.133 Die explizite Lockerung dieser Eingrenzung, in der 1962er Novelle der Auszeichnungsverordnung, hatte sich in der betrieblichen Praxis bislang offenbar kaum niedergeschlagen. Erst im Frühjahr 1966 hieß es in einem Papier des FDGB-Bezirksvorstandes Potsdam, dass nun „in stärkerem Maße (…) Kollektive der Intelligenz der vorbereitenden Abteilungen, den Kampf um das sozialistische Arbeiten, Lernen und Leben aufzunehmen“ begännen.134 Sozusagen in einem zweiten Anlauf enthielt die im Herbst 1966 verabschiedete „Zweite Verordnung über die Stiftung des Ehrentitels ‚Kollektiv der sozialistischen Arbeit‘“ eine nochmalige und klarere Erweiterung des Kreises der potenziellen Teilnehmer an diesem Wettbewerb. Dazu zählten nunmehr „einzelne Arbeitskollektive sowohl aus dem Bereich der materiellen Produktion als auch aus dem nichtmateriellen Bereich“, insofern sie „mess- und kontrollierbare Verpflichtungen“ erfüllten. Ausdrücklich einbezogen wurden jetzt erstmals auch „Einrichtungen der staatlichen Verwaltungen, des Gesundheitswesens, der Wissenschaft und anderen öffentlichen Einrichtungen“.135 Im Gegensatz zur Auszeichnungsverordnung von 1962, in der dies ganz gestrichen worden war, sollte nun, nach der 1966er Fassung, mit der Verleihung des KdsA-Titels wieder „eine materielle Anerkennung entsprechend dem erreichten ökonomischen Nutzen aus dem einheitlichen Prämienfonds“ erfolgen.136 Angesichts dessen, dass die Zahl der jährlich verliehenen KdsA-Auszeichnungen bereits 1965 spürbar gestiegen war und die Kurve in den Folgejahren steil nach oben wies, war jedoch klar, dass man die Kollektivmitglieder nicht mehr mit so hohen Prämien wie zu Beginn der sozialistischen Brigadebewegung locken konnte. Im Stahlund Walzwerk Brandenburg bspw. bewegten sich Ende der sechziger Jahre die mit dem Kollektivtitel verbundenen Prämien weitgehend auf dem Niveau von 1962/63 bzw. leicht darüber.137 133 Das geht bspw. aus einem Kurzbericht zum VEB Kombinat Espenhain vom Sommer 1964 hervor; SAPMO-BArch, DY 34/21924 (unpag.). 134 BV des FDGB, Sekretariat, Potsdam, 15.4.1966, Abrechnung der Ergebnisse der Gewerkschaftsarbeit (…); SAPMO-BArch, DY 34/21890 (unpag.). 135 GBl. der DDR, Teil II, Nr. 109/66, vom 15.10.1966, S. 701–703; hier § 3 c. 136 Ebd., § 8, Abs. 1. 137 In den Akten BLHA Rep. 502/881 und 882 (beide unpag.) befinden sich diverse KdsAAuszeichnungsunterlagen des SWB aus den sechziger Jahren, die dies belegen. Die Prämienlisten verschiedener Kollektive weisen Beträge zwischen 100,- und 250,- Mark aus; mit wenigen Ausnahmen nach oben (300,-) und unten (75,-). Deutliche Abweichungen von dieser Regel sind interessanterweise (im Herbst 1968) nur bei Kollektiven festzustellen, die bislang mehr oder weniger vom KdsA-Wettbewerb ausgeschlossen waren. So erhielt das 23-köpfige Kollektiv der Abteilung Automatisierung, Mess- und Prüftechnik (al-

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Da insgesamt keine wesentliche Aufstockung der Prämienfonds erfolgte, musste die Erhöhung des Auszeichnungskontingentes ohnehin ein Nullsummenspiel bleiben, bei dem entweder mehr ausgezeichnete Kollektive durchschnittlich weniger Geld bekamen oder dieses ungleich verteilt wurde. So nimmt es nicht Wunder, dass trotz erneuter Ausweitung des potenziellen Teilnehmerkreises die Zahl der Kollektive, die sich tatsächlich am KdsA-Wettbewerb beteiligten, auch 1967/68 kaum nennenswert wuchs. Erst 1969 platzte der statistische Knoten, wurde der Höchststand von Anfang der sechziger Jahre wieder erreicht und schließlich übertroffen; was zunächst einmal eine rein quantitative Aussage ist.138 Diverse Anläufe und Konzeptionen der Spitzen von FDGB und SED, einen „neuen Aufschwung der Masseninitiative aller Werktätigen im sozialistischen Wettbewerb“, insbesondere über die Brigadebewegung zu initiieren, hat es seit 1966 wiederholt gegeben.139 Auf dem VII. Parteitag und unmittelbar danach wurde bspw. im Frühjahr 1967 die „ständig zunehmende Bedeutung der Brigaden und Kollektive der sozialistischen Arbeit“ hervorgehoben. Ein „erfolgreicher, auf die Erhöhung des Nutzeffektes der Arbeit und die Lösung der Aufgaben der wissenschaftlich-technischen Revolution gerichteter Wettbewerb ist ohne einen kräftigen Aufschwung der Bewegung der sozialistischen Kollektive undenkbar“, hieß es in diesem Zusammenhang.140 Immer seien es die BdsA, die „sich als Motor des Wettbewerbs erweisen“, woraus „den Gewerkschaftsleitungen die erhöhte Verpflichtung“ erwachse, die „Bewegung der Brigaden noch tatkräftiger zu unterstützen“.141 Der Durchbruch zu einem tatsächlich kräftigen Aufschwung ließ jedoch noch auf sich warten.

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les Ingenieure, Laboranten, Sachbearbeiter u.ä.; keine Produktionsarbeiter) zwischen 450,(Abteilungsleiter) und 150,- Mark (Durchschnitt: 258,70). Auch dem besonderen „Nachholbedarf“ des Kollektivs der Lehrausbilder der Betriebsberufsschule (LOM II, BBS) wurde mit Prämien zwischen 500,- und 200,- Mark (Durchschnitt: 336,67) Genüge getan. Siehe Tabelle 1. Exemplarisch: Gemeinsame Vorlage FDGB-BuV und ZK-Abteilungen GS und Landwirtschaft für das SED-PB, Berlin, 15.10.1966; FDGB-BuV, Berlin, 5.10.1967, Konzeption des BuV des FDGB für die Entfaltung der Masseninitiative (…); beide in: SAPMOBArch, DY 30 IV A 2/6.11/78 (unpag.). H. Warnke, Berlin, 2.2.1968, Vorlage für das SED-PB, Konzeption des BuV des FDGB zur Entfaltung der Masseninitiative (…);SAPMO-BArch, DY 30 J IV 2/2 A/1277, Bl. 106ff. ZK-Abt. GS, Berlin, 25.4.1967, Einige wichtige Grundaufgaben zur Auswertung des VII. Parteitages (…); SAPMO-BArch, DY 30 IV A 2/ 6.11/1 (unpag.). Über Probleme der Gewerkschaftsarbeit nach dem VII. Parteitag der SED, Referat des Gen. H. Warnke (…) auf dem Seminar des ZK der SED mit den 1. Sekretären der Kreisleitungen, hrsg. vom Büro des PB am 12.10.1967; Ebd.

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Inhaltlich wurden nach wie vor die mit der Wirtschaftsreform verknüpften Kriterien in den Vordergrund gerückt. Die ZK-Abteilung bspw. begrüßte im Herbst 1968 die „neue Tendenz im Wettbewerb und in der Entwicklung der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit (…), mehr und mehr die Kollektive auf der Basis der Kostenstellen zu organisieren, um dadurch noch effektiver den Kampf um den Staatstitel“ führen zu können.142 Auch in FDGB-Papieren war vermehrt von Kostenanalyse, Kostenvergleich und Kostennormativen die Rede. Allerdings wurde die Vorgabe, die „wichtigsten Kostenarten (…) auf die Arbeitskollektive aufzuschlüsseln und mit Hilfe des Haushaltsbuches abzurechnen“, keineswegs überall realisiert.143

Stärkung kultureller Aspekte im Brigadewettbewerb? Parallel dazu gab es Bestrebungen, insbesondere im FDGB-Apparat, den „Zusammenhang von technischer und Kulturrevolution in den Mittelpunkt unserer ideologisch-kulturellen Arbeit“ zu stellen, d. h. die tendenziell in den Hintergrund gerückten Bereiche sozialistisch lernen und leben wieder stärker zu betonen. Dies hielt man in der Gewerkschaftsführung für notwendig, um den „Zustand überwinden (zu) helfen, dass meist nur die ökonomischen Ziele und deren Realisierung interessieren und das kulturell-geistige Leben den Brigaden häufig allein überlassen“ blieb. Jedoch verfolgte man dieses Vorhaben zumindest 1965 noch nicht allzu konsequent – wohl nicht zuletzt, weil die Resonanz darauf innerhalb der Brigadebewegung recht dürftig blieb, wie das Papier zur Vorbereitung eines entsprechenden Forums mit Teilnehmern aus der gesamten DDR zeigt.144 Immerhin hatte sich eine Brigade aus dem EKO, Gastgeber dieses Forums, gefunden, in deren Namen ein passender Aufruf unter der Losung: „Macht alle mit! Dem Volk zum Nutzen, der Republik zu Ehren. – Mit besten Leistungen für ein glück-

142 ZK-Abt. GS, Berlin, 3.10.1968, Zuarbeit zum Bericht des Politbüros; SAPMO-BArch, DY 30 IV A 2/6.11/4 (unpag.). 143 FDGB-BuV, Berlin, 5.10.1967, Entwurf Konzeption (…) Entfaltung der Masseninitiative (…), SAPMO-BArch, DY 30 IV A 2/6.11/78 (unpag.). 144 In dem Papier wird weiter die „Betrachtung der Kulturarbeit als Ressortangelegenheit der Kulturfunktionäre“ sowie die „noch häufig anzutreffende Unterschätzung der Rolle von Literatur und Kunst und der Entwicklung der schöpferisch-künstlerischen Betätigung der Werktätigen“ beklagt. FDGB-BuV, Abt. Kultur, Berlin, 28.5.1965, Konzeption für das Forum mit sozialistischen Brigaden über neue Probleme der Entwicklung des kulturellgeistigen Lebens, wie sie mit der technischen Revolution verbunden sind. SAPMO-BArch, DY 34/21768 (unpag.).

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liches und kulturvolles Leben in unserem sozialistischen Vaterland.“, veröffentlicht wurde.145 Ab 1967 ging der FDGB schließlich dazu über, Kultur als verbindlichen Bestandteil des Wettbewerbs auszuweisen: „Grundsätzlich sollte (…) jede Gewerkschaftsgruppe einer Brigade, die im Wettbewerb um den Staatstitel kämpft, ein festes Programm, einen Plan zur Entfaltung des geistig-kulturellen Lebens in Form eines Kultur- und Bildungsplanes besitzen. Die Kultur- und Bildungsmaßnahmen sind in Verbindung mit den Aufgaben des sozialistischen Wettbewerbs auf die politische und weltanschauliche, die allgemeine und fachliche Bildung sowie das vielfältige Beschäftigen mit der Literatur und Kunst und das eigene künstlerische Betätigen der Arbeiter zu richten. Je mehr wir die Erfüllung des Kultur- und Bildungsplanes zu einem entscheidenden Kriterium bei der Verleihung des Ehrentitels machen, desto nachhaltiger wird seine kulturell bildende Wirkung sein.“146 Auf der Bezirksebene, bspw. in Potsdam, wurde diese Neuerung prompt aufgenommen und nach unten weitergegeben. Der FDGB-Bezirksvorstand präzisierte die Anweisung im Oktober 1967 dahingehend, dass von nun an „auf den Perspektivplan ausgerichtete langfristige Bildungs- und Kulturpläne ausgearbeitet (…) und in den jahresbezogenen Titelkampf als Teilpläne aufgenommen und abgerechnet werden“ sollten.147 Dies scheint jedoch eher eine Erweiterung bzw. Konkretisierung der Kriterien für den Titelkampf in einem Teilbereich und keine grundsätzliche Verschiebung der Prioritäten gewesen zu sein. Und offenbar wurde diese deutlichere Betonung kultureller Aspekte auch nicht mit großem Nachdruck propagiert, wie das folgende Beispiel beweist.

Zum Stand der sozialistischen Brigadebewegung in den Betrieben Ende der 1960er Jahre Mit einer aufschlussreichen Gewichtung der unterschiedlichen Kriterien formulierte der Bezirksvorstand des FDGB Frankfurt/Oder im Frühjahr 1969 „Grundforderungen“ an die „Bewegung sozialistisch arbeiten, lernen und leben“.148 Dieser 145 EKO, Betriebsabteilung Hütte I, Brigade „10. Jahrestag“, 15.4.1965, Stand der Verpflichtungen unseres Aufrufes (…); BLHA, Rep. 730/1823 (unpag.). 146 Über Probleme der Gewerkschaftsarbeit nach dem VII. Parteitag der SED, Referat des Gen. H. Warnke (…); SAPMO-BArch, DY 30 IV A 2/6.11/1 (unpag.). 147 BV des FDGB, Abt. Arbeit/Löhne/Wettbewerbe, Potsdam, 6.10.1967, Zwischenabrechnung (…) über die Ergebnisse des sozialistischen Wettbewerbes zu Ehren des 50. Jahrestages der Großen Soz. Oktoberrevolution, SAPMO-BArch, DY 34/21906 (unpag.). 148 „Ständig hohe technische und ökonomische Arbeitsergebnisse zu erzielen; eine hohe Qualität der Produktion zu erreichen; die Produktionsprozesse ständig zu vervollkommnen; fortgeschrittene Erfahrungen und die wissenschaftliche Arbeitsorganisation einzu-

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Katalog ist klar von den Prioritäten der NÖS-Periode gekennzeichnet und fasst lediglich im letzten Anstrich ein paar bekannte Punkte zum sozialistischen Leben zusammen. Was blieb von derartigen Forderungen auf der Betriebsebene übrig? Im EKO, einem der größten VEB des Bezirkes Frankfurt/Oder, war gut ein Jahr zuvor der „Maßstab zur Auszeichnung als Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ wesentlich kürzer, unspezifischer und mit einer deutlich abweichenden Schwerpunktsetzung formuliert worden.149 Im Vergleich zu dem o. g. FDGB-Papier fehlen NÖS-typische Forderungen völlig und sticht die fast ausschließliche Betonung geistig-kultureller und politischer Kriterien ins Auge. Ganz so ungleichgewichtig stellt sich dies in der Auswertung des Wettbewerbs zum 19. Jahrestag der DDR-Gründung im Herbst 1968 jedoch nicht dar. Denn in einem entsprechenden Dokument wird u. a. darauf verwiesen, dass seit Jahresbeginn „ein großer Teil“ der EKO-Kollektive Verpflichtungen im Rahmen der Aktion „Besser rechnen, klüger wirtschaften – runter mit den Kosten!“ übernommen führen und anzuwenden; sparsam mit Rohstoffen, Material, Elektroenergie usw. umzugehe; eine hohe Produktionskultur zu erreichen; die wirtschaftliche Rechnungsführung auf der Grundlage des Haushaltsbuches oder anderer Formen bis in die kleinste Einheit durchzusetzen; eine strenge Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus Wirtschaftsverträgen mit anderen Werken ergeben; die Erhöhung der Allgemeinbildung und technischen Qualifikation; eine hohe sozialistische Arbeitsdisziplin; die ständige Verwirklichung der kollektiven Normen und der Prinzipien der sozialistischen Moral (insbesondere der Hilfe für die Arbeitskollegen, die ständige Sorge um das Wohlergehen der Familien, die Erziehung der Kinder zu sozialistischen Staatsbürgern, die Vermeidung moralwidriger Verhaltensweisen und eine klare Stellung zum proletarischen Internationalismus sowie aktiv am militärischen Schutz unseres Staates teilzunehmen).“ FDGB-BV Frankfurt/Oder, o.D. (Frühjahr 1969), Entwurf (Vertraulich!), Analyse zur Vorbereitung der Teilprognose Arbeits- und Lebensbedingungen als Bestandteil der Gesellschaftsprognose des Bezirkes; BLHA, Rep. 730/3160 (unpag.). 149 Gefordert wurde in einer vom Werkdirektor und vom BGL-Vorsitzenden gemeinsam unterschriebenen Direktive als Voraussetzung für die Verleihung des Titels: 1. „dass eine allseitige Erfüllung der Verpflichtungen einschl. des Kultur- und Bildungsplanes bis zum Jahresende erreicht wurde; 2. dass im Kollektiv erkennbar sein muss, vor allem bei solchen, welche zum wiederholten Male ausgezeichnet werden, dass eine sichtbare Entwicklung des geistig-kulturellen Lebens zu verzeichnen ist und sich sozialistische Persönlichkeiten entwickelt haben; 3. dass das Kollektiv auf politische Höhepunkte, wie VII. Parteitag, Vorbereitung der Volkswahlen und Vorbereitung der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution [sic.] reagierte und Ergänzungen zu seinen Verpflichtungen erarbeitet hat; 4. dass alle Mitglieder des Kollektivs in die Erfüllung der Verpflichtungen, auch auf dem Gebiet des geistig-kulturellen Lebens, einbezogen wurden und sich immer mehr zum Schrittmacher entwickelt haben.“ (EKO), Eisenhüttenstadt, 28.11.1967, Direktive zur Auszeichnung mit dem Titel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“; UA EKO 776, Bl. 25 f.

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hatte, was eine „Gesamteinsparung in Höhe von 2,6 Mio. Mark“ erbracht habe. Weit ausführlicher widmet sich jedoch auch dieses Papier bezüglich des KdsATitelkampfes, „neben der Lösung der ökonomischen Aufgaben, vor allem (der) Verbesserung der politisch-ideologischen Arbeit, die sich in den Kultur- und Bildungsplänen“ widerspiegele. Allerdings wird darin eingeräumt, dass die „Qualität der Verpflichtungen und deren Erfüllung (…) in den einzelnen Kollektiven äußerst unterschiedlich“ zu bewerten sei. Nur 7 bis maximal 10 der 228 am KdsAWettbewerb teilnehmenden Brigaden des EKO seien „Schrittmacherkollektive, die die politische, ideologische, ökonomische und geistig-kulturelle Arbeit sowie die Verteidigungsbereitschaft als eine Einheit betrachten“ würden. Insbesondere die Kultur- und Bildungspläne enthielten oftmals „nur allgemeine, schwer kontrollierbare Verpflichtungen“ und gingen „in ungenügendem Maße [auf] die Erziehung zum Klassenbewusstsein und die Entwicklung zu sozialistischen Arbeiterpersönlichkeiten“ ein.150 Angesichts dieser Einschätzung darf bezweifelt werden, dass die Forderung der Ende 1968 im EKO erarbeiteten Direktive tatsächlich umgesetzt worden ist, wonach „nur solche Kollektive, die Schrittmacherleistungen auf den Gebieten der Politik, Ökonomie, Kultur, Bildung und der militärischen Stärkung unserer Republik aufzuweisen“ hatten, für die Auszeichnung mit dem KdsA-Titel in Frage kamen.151 Denn immerhin wurden in jenem Jahr nicht 7 oder 10, sondern 89 Brigaden ausgezeichnet.152 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass ab 1967/68 nicht mehr, wie Anfang der sechziger Jahre üblich, fast ausschließlich zum 1. Mai bzw. zum 7. Oktober die besten Brigaden als „Kollektive der sozialistischen Arbeit“ geehrt wurden, sondern nunmehr zu einem jährlichen Auszeichnungsturnus übergegangen wurde.153 Die Verleihung erfolgte von nun an immer im Februar zusammen mit der Auszahlung der Jahresendprämien für das vorangegangene Jahr. Da ein zunehmender Teil der Prämienmittel von den Betrieben für die Jahresendprämien verwendet wurde, um den Werktätigen – ähnlich wie in der Bundesrepublik weit verbreitet – eine Art 13. Monatsgehalt zahlen zu können, nahm die relative Bedeutung der Summen, die mit der Kollektivauszeichnung verbunden waren, weiter ab. Denn neben einer Jahresendprämie von einigen hundert Mark (in der Re150 EKO, Direktor für Ökonomie, Eisenhüttenstadt, 12.9.1968, Werkdirektor-Vorlage zum sozialistischen Wettbewerb (…); UA EKO 361, S. 413ff. 151 EKO, Direktor für Ökonomie, Eisenhüttenstadt, 6.12.1968, Direktive zur Auszeichnung mit dem Titel KdsA 1968; Ebd., Bl. 259ff. 152 Vgl. Tabelle 8 im Anhang. 153 ZK-Abt. GS, Berlin, 6.12.1967, Grundgedanken zur Ausarbeitung einer Wettbewerbskonzeption (…); SAPMO-BArch, DY 30 IV A 2/2021/488 (unpag.).

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gel bis zur Höhe eines Monatslohns, je nach Planerfüllung) wurde sie allmählich zur Nebensache, und sofern die Summe (Jahresendprämie plus KdsA-Prämie) stimmte, waren auch kaum negative Auswirkung eines weiteren Absenkens der Kollektivprämien auf die sozialistische Brigadebewegung zu befürchten. In einer „Diskussionsgrundlage über Maßstäbe im Kampf um den Ehrentitel Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ aus dem Eisenhüttenkombinat vom Herbst 1968 werden exemplarisch drei Brigaden herausgestellt, die dem Ideal des „Schrittmacherkollektivs“ weitgehend entsprachen:154 Im Falle des Kollektivs „Nguyen van Troi“ wird als erstes hervorgehoben, dass „in allen Belangen die führende Rolle der Partei zum Ausdruck“ komme, da die Parteigruppe der Brigade eine ausgezeichnete Arbeit leiste.155 Lobend erwähnt wird weiterhin, dass von diesem Kollektiv zwei anderen Brigaden „zielgerichtete Hilfe“ gewährt wurde. Einer Brigade aus dem VEB Spezialmontage Weimar, die am Aufbau des KWW im EKO beteiligt war, wurde „speziell in politisch-ideologischer Hinsicht“ geholfen und das neu gebildete Kollektiv Haubenglühanlage im KWW erhielt u. a. „Unterstützung bei der Erarbeitung der Verpflichtungen des Kultur- und Bildungsplanes sowie der Führung des Brigade[tage]buches, der Entwicklung der Patenschaftsbeziehungen“. Bei der „Festigung der Prinzipien des proletarischen Internationalismus“, verwiesen wird auf „Verbindungen zu Vietnam und Unterstützung der westdeutschen Arbeiterklasse“, zeichne sich das Kollektiv ebenso als „Schrittmacher“ aus, wie in punkto Deutsch-Sowjetischer Freundschaft. Alle Brigademitglieder gehörten der DSF an, und außerdem bestanden „Verbindungen (…) zur sowjetischen [Militär-]Einheit Müllrose (gemeinsame Sport- und Schießnachmittage)“. Zu loben galt es weiterhin die „beispielhafte Patenschaftsarbeit zur Schule“ (u. a. die Durchführung von „Polit-Informationsstunden zur Unterstützung des Staatsbürgerkundeunterrichts“) und dass ständig die „sozialistische Wehrerziehung in den Vordergrund gestellt“ werde (10 der 25 Brigademitglieder gehörten der Kampfgruppe an, was eine sehr hohe Quote war). Darüber hinaus reagiere das Kollektiv „Nguyen van Troi“ sofort auf Schwerpunkte im sozialisti154 Der Begriff „Schrittmacher“ war 1968 groß in Mode gekommen. In den hier zitierten EKO-Dokumenten wird dabei v. a. Bezug genommen auf eine Beratung Ulbrichts mit Schrittmachern in Halle im März d.J., und in diversen Chroniken sind weitere ähnliche Veranstaltungen im Frühjahr 1968 verzeichnet. Z.B.: „Kongress junger Schrittmacher“ in Zeitz am 6./7. April, auf dem 550 Jugendliche sowie 150 Delegierte des ersten Jungaktivistenkongresses (April 1948) „über die Aufgaben der Arbeiterjugend bei der weiteren Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft“ berieten. Daran nahm u. a. G. Mittag als Leiter einer ZK-Delegation teil. (FDGB-Chronik, S. 211) Am 19./20. April beriet in Dresden eine „Schrittmacherkonferenz der Studenten und Hochschullehrer“ über die Durchführung der Hochschulreform. (DDR-Zeittafel, S. 101). 155 UA EKO 174, Bl. 18ff. Daher auch im Folgenden.

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schen Wettbewerb (u. a. „Kostensenkung, kritische Auseinandersetzungen mit Mängeln in der Leitungstätigkeit“) und entwickle laufend „neue Gedanken zur Verbesserung des Arbeitsablaufes“. Ähnlich fällt die Gewichtung bei der Darstellung der anderen beiden „Schrittmacherkollektive“ in diesem EKO-Bericht aus, wobei die ökonomisch-technischen Leistungen etwas mehr Beachtung finden. Selbstverständlich gab es auch im Stahl- und Walzwerk Brandenburg solche „Schrittmacherkollektive“, z. B. die Brigade „August Bebel“ von der Grobblechstraße. Dieses Kollektiv war noch relativ jung, da es erst im Februar 1967 mit der Einführung des 4-Brigade-Systems gebildet worden war.156 Nach anderthalb Jahren wurde es nun zur Auszeichnung mit dem KdsA-Titel anlässlich des 20. Jahrestages der DDR-Gründung vorgeschlagen. In der ausführlichen Begründung wird der Reihe nach auf die Punkte sozialistisch arbeiten, lernen und leben eingegangen.157 Die Ergebnisse bei der Planerfüllung, mehrere Neuerervorschläge zur Rationalisierung und zur Verbesserung der Qualität sowie die Mitwirkung von 12 der 35 Kollegen in verschiedenen „sozialistischen Arbeitsgemeinschaften“ stehen dabei nicht nur an erster Stelle, sondern nehmen auch den größten Raum ein. Ausführlich werden die Leistungen der Brigade auf dem Gebiet des sozialistischen Lernens gewürdigt. Neben der fachlichen Qualifizierung (zum Meister, Facharbeiter oder bspw. Erwerb des Brennerpasses) werden hierunter auch Formen der politischen Schulung subsummiert. So erfährt man u. a., dass der Parteigruppenorganisator und der Meister der Brigade Jahreslehrgänge an der Bezirksparteischule der SED absolvierten sowie das Niveau und die Beteiligung am Parteilehrjahr wesentlich verbessert wurden. Diesem Punkt sind ebenfalls Mitteilungen darüber zugeordnet, dass aus den Reihen der Brigade „August Bebel“ zwei neue Kandidaten für die „Partei der Arbeiterklasse“ gewonnen wurden, wodurch nunmehr 15 Kollegen des Kollektivs (43 Prozent!) der SED angehörten. „Besonders positiv auf die Entwicklung der politisch-ideologischen Arbeit“ hätten sich die „differenzierten Aussprachen unter Leitung der Parteigruppe ausgewirkt“, in denen fast alle Brigademitglieder (bis auf drei) zum Eintritt in die DSF bewegt werden konnten.

156 SWB, Grobblechstraße, Kirchmöser, 22.8.1969, Protokoll über die öffentliche Verteidigung der Wettbewerbsergebnisse der Brigaden der Grobblechstraße; BLHA, Rep. 502/ 882 (unpag.). Daher auch im Folgenden. „4-Brigade-System“ bedeutet rollendes 4Schicht-System, in dem jede Schicht einer Brigade entspricht. 157 Hier kann man keinen direkten Vergleich zu dem vorgenannten EKO-Dokument anstellen, denn dort wurden nur einzelne Punkte auf 1,5 Seiten herausgehoben, während für die SWB-Brigade eine 9-seitige Würdigung vorliegt. Dennoch könnte dies als ein Hinweis auf gewisse Unterschiede in der Gewichtung der einzelnen Wettbewerbskriterien im EKO bzw. im SWB zu jener Zeit gedeutet werden.

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Schließlich erfährt man unter der Rubrik sozialistisch leben, dass es Ziel der Leitungstätigkeit in der Brigade sei, „sozialistische Persönlichkeiten und eine sozialistische Menschengemeinschaft zu schaffen, die sich durch einen festen Klassenstandpunkt“ auszeichne. Hierbei werden fünf Kollegen (Meister, 2 Brigadiere, PGO, Vertrauensmann) als „Schrittmacher“ hervorgehoben, die bereits „sozialistische Persönlichkeiten“ darstellten. Neben Veranstaltungen im Rahmen des Kultur- und Bildungsplanes sei ein „besonderer Schwerpunkt auf die Verbesserung der Patenarbeit und die Mitarbeit im Wohngebiet gelegt“ worden. In einem Patenschaftsvertrag mit einem „Wohnbezirksausschuss“ der Nationalen Front verpflichtete sich das Kollektiv zur „politisch-ideologischen Unterstützung“. Als beispielgebend werden die freiwilligen Leistungen von Brigademitgliedern beim Bau einer neuen Oberschule und bei der „klassenmäßigen Erziehung der Kinder“ ihrer Patenklasse eingeschätzt. Vorbildlich sei auch die Gestaltung des Brigadetagebuches und von Wandzeitungen zu verschiedenen aktuell-politischen Themen und Höhepunkten. Außerdem hatten die Mitglieder des „August Bebel“Kollektivs „mehrfach schärfsten Protest gegen die Machenschaften des USAImperialismus“ in Vietnam erhoben und insgesamt 800 Mark zur Unterstützung des vietnamesischen Volkes gespendet. Diese, recht ausführlich wiedergegebenen, Berichte über je ein ausgezeichnetes „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ aus dem Eisenhüttenkombinat Ost und dem Brandenburger Stahl- und Walzwerk gibt es ähnlich für eine Reihe weiterer Brigaden, ganz sicher nicht nur, dieser beiden Betriebe. Sie zeigen, dass die sozialistische Brigadebewegung durch die Anstrengungen von FDGB und SED, trotz des Abschwungs in der Mitte des Jahrzehnts, am Ende der sechziger Jahre qualitativ und quantitativ zumindest kein schlechteres Bild abgab als 1960, bevor sie in Folge der „Syndikalismus-Affäre“ ins Trudeln geraten war. Wenn man in Rechnung stellt, dass ähnlich wie im EKO, wo bis 1968 insgesamt 156 Brigaden mit dem KdsA-Titel ausgezeichnet wurden,158 sich in allen VEB der DDR während des ersten Jahrzehnts ihres Bestehens eine Vielzahl von Kollektiven an der sozialistischen Brigadebewegung beteiligte, bedeutet dies, dass ein erheblicher Teil der Arbeiterschaft während dieses Zeitraumes mehr oder 158 Von diesen 156 ausgezeichneten KdsA hatten bis dahin 69 den Titel einmal, 63 zweimal und 24 dreimal verliehen bekommen. Legt man zugrunde, dass den Angaben in Tabelle 8 zufolge von 1959 bis 1968 eine Brigade im EKO durchschnittlich 21,6 Mitglieder hatte, heißt das (unter Vernachlässigung der Fluktuation), ca. 60 Prozent der Beschäftigten (Stand 1968) waren in diesem Zeitraum mindestens einmal mit dem Kollektiv-Titel ausgezeichnet worden. EKO, Direktor für Ökonomie, Eisenhüttenstadt, 12.9.1968, Werkdirektor-Vorlage zum sozialistischen Wettbewerb (…); UA EKO 361, Bl. 413ff., hier Bl. 416.

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weniger stark durch diese Bewegung beeinflusst worden ist. Davon ausgehend, dass die entsprechenden Werte des EKO deutlich über dem Durchschnitt lagen, kann geschlussfolgert werden, dass Ende der sechziger Jahre zumindest in den größeren Betrieben (mit mehreren Tausend Beschäftigten) etwa ein Drittel bis die Hälfte der Belegschaften diesem Kreis zuzurechnen waren. Auch wenn man unterstellt, dass die Mehrzahl der ausgezeichneten KdsA nur in Teilbereichen und nicht so umfassend wie die o. g. „Schrittmacherkollektive“ den Anforderungen gerecht wurde, kann zumindest von einem Teilerfolg der Kampagne „sozialistisch arbeiten, lernen und leben“ im Sinne von SED und FDGB gesprochen werden.

Neuerliche Belebung der Brigadekampagne von oben Das allmähliche quantitative Anwachsen der Bewegung zum Ende der 1960er Jahre wurde in den Zentralen von Partei und Gewerkschaftsbund offenbar als nicht ausreichend angesehen. Zumal 1969 mit dem 20. Jahrestag der DDRGründung ein Jubiläum ins Haus stand, an dem die Entwicklung des „ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden“ als grandiose Erfolgsgeschichte gefeiert werden sollte.159 Dies wollte man natürlich auch statistisch belegen können, was bezüglich der sozialistischen Brigaden anhand der Teilnehmerzahlen zu Beginn der zweiten Hälfte der sechziger Jahre allerdings nicht möglich war. 1966 wies die Statistik nämlich einen Rückgang der Beteiligung von fast 40 Prozent gegenüber 1961 aus, und die geringen Zuwächse 1967/68 genügten keineswegs, um den Höchststand vom Beginn des Jahrzehnts auch nur annähernd wieder zu erreichen.160 Das konnte man schwerlich als Erfolgsbilanz verkaufen. Bereits Ende 1967 wurde deshalb im ZK-Apparat eine Wettbewerbskonzeption entworfen, um die „politische Aktivität der Arbeiterklasse (…) völlig auf die Vorbereitung des 20. Jahrestages“ zu konzentrieren. Darin beschwor man die „bewusstseinsbildende Kraft des sozialistischen Wettbewerbes“ und die Gewerkschaften wurden aufgefordert, entsprechend ihrer „Rolle und Stellung (…) im gesellschaftlichen Gesamtsystem des Sozialismus“ diesen Wettbewerb „auf der Grundlage eines hohen Niveaus der politisch-ideologischen Arbeit mit allen Werktätigen“ zu führen.161 Die FDGB-Führung formulierte in diesem Zusammenhang das Ziel „in der Bewegung zum sozialistischen Arbeiten, Lernen und Leben (…) die enge Verbindung zwischen der Lösung der Produktionsaufgaben, 159 Vgl. dazu mehrere Beiträge in dem Band: Monika Gibas u.a. (Hg.), Wiedergeburten. Zur Geschichte der runden Jahrestage der DDR, Leipzig 1999. 160 Siehe dazu Tabelle 1. 161 ZK-Abt. GS, Berlin, 6.12.1967, Grundgedanken zur Ausarbeitung einer Wettbewerbskonzeption (…), SAPMO-BArch, DY 30 IV A 2/2021/488 (unpag.).

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der Entwicklung des geistig-kulturellen Lebens, dem Streben nach einer höheren beruflichen Qualifikation, Bildung und einem besseren Verständnis für die Probleme unserer sozialistischen Entwicklung weiter zu vertiefen“.162 Insbesondere aus dem ZK-Apparat kamen in dieser Zeit wiederholt Forderungen nach einer deutlich stärkeren Betonung der politisch-ideologischen Komponente im sozialistischen Wettbewerb allgemein und speziell in Bezug auf die Brigadebewegung: „Es ist besonders hervorzuheben, dass es Aufgabe aller leitenden Parteiorgane und aller Gewerkschaftsleitungen ist, alles zu tun, um den sozialistischen Brigaden zu helfen, nicht nur sozialistisch zu arbeiten, sondern auch sozialistisch zu lernen und sozialistisch zu leben.“163 Besonders die für Gewerkschaftsfragen zuständige Abteilung in der SED-Zentrale drängte in diese Richtung. Im Dezember 1968 war sie, wie üblich, federführend an der Ausarbeitung eines offiziell durch die Vertrauensleutevollversammlung eines großen VEB zu fassenden Beschlusses „zur Weiterführung des sozialistischen Wettbewerbes“ beteiligt, der anschließend als Richtschnur für alle Betriebe und Beschäftigten der DDR über die Medien verbreitet wurde.164 162 Herbert Warnke, Berlin, 2.2.1968, Vorlage für das PB des ZK der SED, Konzeption des BuV des FDGB zur Entfaltung der Masseninitiative aller Werktätigen (…); Ebd. Das Bemühen um ein Ankurbeln der sozialistischen Brigadebewegung ist ebenfalls deutlich erkennbar in einer knapp 90-seitigen Broschüre „Sozialistische Kollektive im Wettbewerb“ (Horst Lehmann und Helmut Zieten, Verlag Tribüne, 2. veränderte und erweiterte Auflage, Berlin 1968), wo im Vorwort eine jährliche „beachtliche qualitative und quantitative Entwicklung dieser bedeutsamen Bewegung“ behauptet wird. Als Ziel dieser in einer Auflage von 10.000 Exemplaren gedruckten Publikation (In einer ersten Auflage waren bereits 25.000 Broschüren produziert worden.) wurde explizit angegeben, „allen Kollektiven (…) sowie den neugewählten betrieblichen Gewerkschaftsleitungen Anregungen zu geben, die helfen mögen, einen weiteren Aufschwung der Bewegung des sozialistischen Arbeitens, Lernens und Lebens zu erreichen“. 163 Das forderte dezidiert die ZK-Abteilung Planung und Finanzen in einer Stellungnahme zur Wettbewerbskonzeption des FDGB. 23.1.1968, Stellungnahme zur Konzeption des BuV des FDGB zur Entfaltung (…); SAPMO-BArch, DY 30 IV A 2/2021/488 (unpag.). 164 Der Chef dieser Abteilung betonte in einem Schreiben an den verantwortlichen ZKSekretär, Günter Mittag, dass er auf eine Überarbeitung dieses Beschlusspapiers insistiert habe, wobei es ihm v.a. „um das noch stärkere Herausarbeiten der politischen Zielsetzungen“ gegangen sei. ZK-Abt. GS (F. Brock) an Gen. Dr. Mittag, 2.12.1968; Ebd. Die Rolle des „Initiativbetriebes“ war in diesem Falle dem VEB Kabelkombinat Berlin übertragen worden. Bereits zu Beginn des Jahres hatte sich die Abt. GS bei Mittag über die „Nichtbeachtung unserer Hinweise zur Hervorhebung der Frage des geistig-kulturellen Lebens und der Lernbewegung bei der Veröffentlichung des Wettbewerbsaufrufes des KWO“ beschwert. Da man an der Quelle saß, konnten die Genossen dies aber insofern umgehend korrigieren, als sie über die Agitationskommission des ZK eine Anweisung an die „Chefredakteure von Presse, Funk und Fernsehen“ gaben, in der Berichterstattung „diese Prob-

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Zum Jahrestag der DDR-Gründung kam 1969 ein zweites Jubiläum hinzu, das bestens geeignet war, einen kräftigen Aufschwung der sozialistischen Brigadebewegung zu begründen. Diese Bewegung selbst konnte Anfang Januar auf ihr zehnjähriges Bestehen zurückblicken. Dies wurde zum Anlass genommen, eine große zweitägige Konferenz des Ministerrates und des Bundesvorstandes des FDGB mit insgesamt ca. 650 Teilnehmern, davon 450 Vertreter von „Kollektiven der sozialistischen Arbeit“, zu organisieren. Ziel dieser Konferenz (am 22./23. Januar 1969) war es, „die Bedeutung der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit für die Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus herauszuarbeiten“. Konkret ging es darum, die „wichtigsten Erfahrungen der Schrittmacherkollektive bei der weiteren Entwicklung der sozialistischen Menschengemeinschaft und der Herausbildung sozialistischer Persönlichkeiten“ zu verallgemeinern und im „Zusammenhang mit dem Wettbewerb zum 20. Jahrestag der Gründung der DDR (…) einen neuen Aufschwung in der Bewegung des sozialistischen Arbeitens, Lernens und Lebens“ zu organisieren.165 Dass es sich dabei nicht um eine reine Show-Veranstaltung handelte, lässt sich daran erkennen, dass kein einziges hochrangiges Mitglied der Parteiführung zugegen war. Neben der FDGB-Spitze waren allerdings acht Minister und sämtliche Vorsitzende aller Einzelgewerkschaften vertreten. Der vorrangigen Zielsetzung, einen breiten Aufschwung der Brigadebewegung zu organisieren, entsprach auch das Programm, in dem die Sitzungen von acht Arbeitsgruppen, jeweils geleitet von einem oder mehreren Vorsitzenden einer IG/Gew., den größten Raum einnahmen. Selbstverständlich durfte – im Sinne einer möglichst glaubwürdigen Traditionskonstruktion – ein Rückblick der „Gründungsväter“ der Brigade „Nikolai Mamai“ nicht fehlen. Wenig überraschend ist auch, dass die „gute Diskussionsfreudigkeit“ der Kollektivvertreter aus allen Bezirken „im wesentlichen von den Ausführungen der Vertreter aus Großbetrieben“ getragen wurde, wobei die „fertig vorbereiteten Diskussionsreden überwogen“, welche durchweg „von ihrem Inhalt her eine Unterstützung und Bekräftigung der vom Referat her gegebenen Linie“ darstellten.166

leme als Einheit mit den ökonomischen Problemen“ hervorzuheben. ZK-Abt. GS an Gen. Dr. Mittag, 8.2.1968; Ebd. 165 ZK-Abt. GS an Genossen Dr. Mittag, 7.1.1969 und (als Anlage zu diesem Schreiben) Organisationsplan zur Durchführung der Konferenz mit Vertretern sozialistischer Brigaden und Arbeitskollektive (Berlin, 8.1.1969). 166 Horst Foerster, Berlin, 24.1.1969, Information für Kollegen Warnke (Weiterer Verlauf der gemeinsamen Konferenz …), SAPMO-BArch, DY 34/10655 (unpag.).

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Massive Ausdehnung des KdsA-Wettbewerbs auf nichtindustrielle Bereiche Die eben geschilderte Veranstaltung war offensichtlich der Ausgangspunkt für eine breit angelegte Organisationsarbeit zur Belebung des Wettbewerbs um den KdsA-Titel in allen Einzelgewerkschaften, v.a. jener Bereiche, die bislang praktisch kaum in den Kollektiv-Wettbewerb einbezogen worden waren. In Tabelle 3 kann man sehen, dass es sich dabei insbesondere um die in den Gewerkschaften Land-, Nahrungsgüter- und Forstwirtschaft sowie Gesundheitswesen, Kunst, Staatsorgane/Kommunalwirtschaft, Unterricht/Erziehung und Wissenschaft organisierten Werktätigen handelte. Dazu passt, dass sich auch in der Industrie, bspw. im SWB, 1968/69 erstmals auffällig viele Kollektive aus Leitungsbereichen, Forschungsund Entwicklungsabteilungen, von Lehrern der Betriebsberufsschulen sowie verschiedene zeitweilige Kollektive, die vorrangig oder ausschließlich aus Angestellten bzw. Angehörigen der Intelligenz bestanden, mit besonders guten Anträgen am KdsA-Wettbewerb beteiligten.167 Vor allem die Beschäftigten der durch die zweite Verordnung zur Verleihung des KdsA-Titels vom Herbst 1966 neu einbezogenen „nichtmateriellen Bereiche“ wurden 1969 erstmals massiv zur Teilnahme am Kollektiv-Wettbewerb mobilisiert. Die unter „übrige“ zusammengefassten Gewerkschaften von Gesundheitswesen bis Wissenschaft trugen allein 42,1 Prozent (Kollektive im Wettbewerb) bzw. 36,6 Prozent (in diesen Kollektiven organisierte Werktätige) des gesamten Zuwachses von 36.590 Kollektiven (43,6 %) und ca. 635.000 Beschäftigten (42,0 %) gegenüber dem Vorjahr (1968) bei. Auch die Zahl der verliehenen KdsA-Titel war bereits 1968 stark erhöht und im darauffolgenden Jahr nochmals verdoppelt worden.168 Damit war im 10. Jahr ihres Bestehens ein großer Schritt zur Einbindung (fast) aller Arbeiter und Angestellten der DDR, d.h. der gesamten „Klasse der Werktätigen“, in die „Bewegung des sozialistischen Arbeitens, Lernens und Lebens“ vollzogen worden. Die derart ausgedehnte sozialistische Brigadebewegung stellte eine tragende Säule der Ende der sechziger Jahre postulierten homogenisierten „sozialistischen Menschengemeinschaft“ dar.169 Im Rahmen des großen sozialistischen Wettbewerbes zu Ehren des 20. DDRGründungsjubiläums wurde 1969 auch der Titel „Betrieb der sozialistischen Arbeit“ neu geschaffen und am Vorabend des „Republikgeburtstages“ von SED-Chef 167 Diverse Wettbewerbsunterlagen des SWB in: BLHA Rep. 502/882 (unpag.). 168 Vgl. Tabellen 1, 3 und 5. 169 Zu Ulbrichts Fiktion einer „sozialistischen Menschengemeinschaft“ siehe Kleßmann, Arbeiter, S. 634ff.

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Ulbricht persönlich erstmals an 15 VEB verliehen.170 Diese Auszeichnung ist ein weiterer deutlicher Hinweis darauf, dass ab 1969 eine massive Ausweitung der „Bewegung des sozialistischen Arbeitens, Lernens und Lebens“ betrieben wurde. Dass nun nicht mehr nur Brigaden, sondern ganze „Betriebe der sozialistischen Arbeit“ gekürt wurden, sollte das qualitative und quantitative Wachstum des sozialistischen Wettbewerbes sowie die damit verbundene Ausbreitung des entsprechenden „Bewusstseins“ unter den Werktätigen symbolisieren.171

Forschungsergebnisse von DDR-Sozialwissenschaftlern zu den sozialistischen Brigaden Eine weit verbreitete positive Grundeinstellung der Arbeiter gegenüber den Brigaden war bereits in einer westdeutschen Untersuchung, basierend auf der Befragung von Flüchtlingen, Ende der 1950er Jahre registriert worden.172 Dieses Ergebnis war 1965 in einer, allerdings eher unspezifischen und suggestiven, Umfrage des Meinungsforschungsinstituts beim SED-Politbüro prinzipiell bestätigt worden.173 170 Dazu diverse Dokumente: Protokoll der Sitzung des Sekretariats des ZK der SED 46/69 vom 25.6.1969 (TOP 11: Bestätigung der Muster für die Urkunde und Plakette zum Ehrentitel „Betrieb der sozialistischen Arbeit“); SAPMO-BArch, DY 30 J IV 2/3/1533. Vorschläge zur öffentlichen moralischen und materiellen Anerkennung von hervorragenden Leistungen der Werktätigen im sozialistischen Wettbewerb zu Ehren des 20. Jahrestages der DDR; SAPMO-BArch, DY 30 IV A 2/2021/488 (unpag.). G. Mittag an Gen. Ulbricht, 26.9.1969, Anschreiben und Redemanuskript für Verleihung der Auszeichnungen; Ebd. 171 Diese Auszeichnung ist bis zum Ende der DDR erhalten geblieben und jährlich an eine kleine Zahl von Betrieben verliehen worden. Das belegt bspw. eine Liste von 18 Betrieben, einschließlich einer LPG und eines AdW-Instituts, mit den Auszeichnungsvorschlägen für 1984. SAPMO-BArch, DY 30 vorl. SED 35967/1 (unpag.), Abt. GS an G. Mittag, 26.7.1984. 172 Viggo Graf Blücher, Industriearbeiterschaft in der Sowjetzone. Eine Untersuchung der Arbeiterschaft in der volkseigenen Industrie der SBZ. (Eine Veröffentlichung des Institutes infratest München), Stuttgart 1959, S. 20f. 173 Institut für Meinungsforschung beim PB des ZK der SED, Anschreiben Maron an Mittag, 6.12.65, Umfrage zu einigen Problemen der technischen Revolution und der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit (Umfrage in 42 Betrieben der DDR, November 1965, 4700 Fragebögen), SAPMO-BArch, DY 30 IV A 2/2021/87, Bl. 1-71. Die konkrete Fragestellung lautete: „Zwei Arbeiter unterhalten sich über die KdsA. Kollege A sagt: ‚Ich bin der Meinung, dass es gut ist, einem solchen Kollektiv anzugehören. Dort werden alle Probleme der Arbeit gemeinschaftlich gelöst. Kameradschaft, Hilfe und gegenseitige Achtung heben die Arbeitsfreude und schaffen die Voraussetzungen für gute Arbeitsergebnisse.‘ Kollege B: ‚Da bin ich anderer Meinung. In einem solchen Kollektiv gilt der Einzelne nicht viel. Man kann sich nicht genügend als Persönlichkeit entwickeln, wenn man alles

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Etwas detailliertere Aussagen ergab eine empirische Brigade-Untersuchung Ende der sechziger Jahre. Sie ermöglicht eine Vielzahl interessanter Einsichten zur qualitativen Bewertung der sozialistischen Brigadebewegung.174 Trotz aller methodischen Vorbehalte ist davon auszugehen, dass die Ergebnisse dieser Befragung tendenzielle Aussagen zulassen und für die Forschung zweifellos von Interesse sind. Sie widerspiegeln allerdings keineswegs den Durchschnitt, sondern eher die Spitze der Brigadebewegung.175 Daher ist davon auszugehen, dass eine repräsentative Befragung deutlich schlechtere Werte ergeben hätte. Dem Forschungsbericht ist folgende Definition der Institution Brigade vorangestellt: Sie sei „ein wichtiges Glied in der Kette demokratischer Organe des Betriebes, mit dessen Hilfe die Masse der Produktionsarbeiter, geführt von der Betriebspartei- und Gewerkschaftsorganisation sowie von Vertretern der staatlichen Leitung des Betriebes, ihre politische und wirtschaftliche Macht als gesellschaftliche Eigentümer der Produktionsmittel aktiv an der Planung und Leitung des Reproduktionsprozesses teilzunehmen, verwirklicht“. Die Brigade übe „im betrieblichen Leitungssystem vermittelnde Funktionen“ aus. Sie „macht die Brigademitglieder mit objektiven gesellschaftlichen und betrieblichen Erfordernissen mit anderen zusammen macht.‘ Welcher Meinung würden Sie zustimmen?“ Ergebnis: Kollege A: 88,8 %, Kollege B: 4,9 %, weiß nicht: 4,5 %, keine Antwort: 1,8 %. 174 [unveröffentlichter] Forschungsbericht: „Der dialektische Zusammenhang zwischen der Entfaltung der sozialistischen Demokratie und der Entwicklung sozialistischer Kollektivbeziehungen, der sozialistischen Persönlichkeit und des sozialistischen Bewusstseins in volkseigenen Industriebetrieben.“ Teil D: Die Brigadeversammlung; erstellt von einer Forschungsgruppe am Lehrstuhl Soziologie des Instituts für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED unter der Leitung von J. Rittershaus (verantwortlich für diesen Teilbericht: W. Bronizkaja), Berlin (Ost) 1970. Daher auch im Folgenden – zitiert als Forschungsbericht Brigadeversammlung. Zu den methodischen Problemen der Meinungsforschung in der DDR vgl. die interessanten Aussagen eines Insiders in der Einleitung von: Heinz Niemann, Meinungsforschung in der DDR. Die geheimen Berichte des Instituts für Meinungsforschung an das PB der SED, Köln 1993. 175 Diese Umfrage kann nicht als repräsentativ bezeichnet werden, so wie die Untersuchung insgesamt nur in eingeschränktem Maße wissenschaftlichen Maßstäben gerecht wird. Befragt wurden (schriftlich) 225 Beschäftigte aus 16 Brigaden. Dabei handelte es sich um jeweils 4 Brigaden aus 4 Ostberliner VEB: dem Berliner Glühlampenwerk (BGW), dem Kabelwerk Oberspree (KWO), dem Elektroapparatewerk Treptow (EAW) und der Werkzeugmaschinenfabrik „7. Oktober“. Diese Brigaden waren für die Untersuchung von den Wissenschaftlern des ZK-Instituts „in Zusammenarbeit mit der Betriebspartei- und Gewerkschaftsorganisation“ ausgewählt worden. Auswahlkriterien waren dabei u.a., dass diese Kollektive bereits als KdsA ausgezeichnet worden waren bzw. aktuell um diesen Staatstitel kämpften und dass sie zu den „Schrittmachern“ innerhalb ihrer Betriebe gehörten sowie ein „relativ hohes Niveau der kollektiven Beziehungen“ aufwiesen.

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vertraut. Sie ist eine wichtige Grundlage für die Brigademitglieder, um die gesellschaftlichen, kollektiven und individuellen Interessen bewusst in Übereinstimmung zu bringen.“176 Diese Definition ist weitgehend selbsterklärend, einschließlich der auffälligen Lücke bezüglich konkreter Möglichkeiten der Brigademitglieder, ihre angebliche „politische und wirtschaftliche Macht“ tatsächlich zu gebrauchen, um eigene Interessen artikulieren, ja durchsetzen zu können. Dafür wurde – in dieser theoretisch-idealistischen Perspektive – wohl keine Notwendigkeit gesehen, nachdem sich die Werktätigen vermeintlich die „objektiven gesellschaftlichen und betrieblichen Erfordernisse“ zu eigen gemacht hatten. Konsequenterweise gingen die Verfasser der Studie davon aus, dass Bereichsleiter, Meister und Brigadiere „nicht nur Aufgaben in Bezug auf die Arbeitsorganisation und die Qualifizierung der Brigademitglieder“ wahrzunehmen hatten, sondern auch „für deren politisch-ideologische und moralische Entwicklung“ Verantwortung trugen.177 Ausgehend von o. g. Definition, wonach die Brigade ein „wichtiges Glied in der Kette demokratischer Organe des Betriebes“ darstellte, wurden die Kollektivmitglieder zunächst ganz allgemein nach ihrer Einschätzung der betrieblichen Mitbestimmung gefragt (Tabelle 20). Dass – entgegen aller Rhetorik á la „Plane mit, arbeite mit, regiere mit!“ – nicht einmal jeder Vierte der Befragten die diesbezüglichen Möglichkeiten als „sehr gut“ bis „ausreichend“ bewertete, musste für SED und FDGB ein absolut ernüchterndes Ergebnis darstellen. Der signifikant niedrigere Wert aus dem EAW Treptow (13,3 %) ist ein Indikator dafür, dass die Belegschaften zumindest einiger Betriebe ihre Mitbestimmungschancen noch deutlich negativer bewerteten.178 In diesen Kontext gehört auch die Feststellung der Verfasser der Studie, dass „das bewusste, planmäßig organisierte ‚Vertreten‘ der Kollektive bzw. der Belegschaft, die Vermittlung zwischen den Kollektiven und den Vertreterorganen noch weit mehr zum Inhalt der Tätigkeit der Mitglieder dieser Organe werden muss“. Vielen Befragten waren ihre Vertreter bzw. Vertreterorgane kaum bekannt und große Erwartungen scheinen die Beschäftigten in sie ohnehin nicht gesetzt zu haben.179 Interessant, wenngleich wenig überraschend, ist die klare Mehrheit, welche bestätigt, dass wenige Wortführer die Diskussionen innerhalb der Brigade bestreiten

176 Ebd., S. 1f. 177 Ebd., S. 7. 178 Welches Ergebnis hätte wohl eine repräsentative Befragung, nicht unter ausgewählten „Schrittmacherkollektiven“, ergeben?! 179 Forschungsbericht Brigadeversammlung, S. 11. Die Fragestellungen zu diesem Thema erwecken den Eindruck, dass allzu eindeutige negative Befunde vermieden werden sollten und bieten daher auch kaum verwertbare Antworten.

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und prägen (Tabelle 21, Frage 2).180 Die signifikanten Abweichungen bei den beiden Betrieben sind vermutlich darauf zurückzuführen, dass im „Initiativbetrieb“ KWO die SED- und FDGB-Organisationen wesentlich stärkere Aktivitäten entwickelten als dies bspw. im EAW der Fall war, das nicht derart im Rampenlicht stand. Da bereits das „Produktionsaufgebot“ 1961 mit einem Aufruf aus dem KWO begonnen hatte,181 war dies sehr wahrscheinlich einer jener Vorzeigebetriebe, in dem die SED-BPO einen überdurchschnittlich hohen Organisationsgrad und eine tiefere Durchdringung der Belegschaft bis in die Brigaden hinein vorweisen konnte. Vergleichsweise groß war in solchen Betrieben auch der Einfluss ihrer Basisfunktionäre auf das Klima in den einzelnen Arbeitskollektiven.182 In dieses Interpretationsmuster passt ebenfalls, dass im KWO weit mehr Brigademitglieder als sonst üblich eine starke Einflussnahme auf jedes einzelne Kollektivmitglied bestätigten (Tabelle 21, Frage 3), was der offiziellen Forderung nach „Erziehung und Selbsterziehung“ innerhalb der Brigaden entsprach. Bezüglich der Partizipationsmöglichkeiten kommt der Forschungsbericht zu bemerkenswerten Einsichten: „Die demokratische Initiative und Schöpferkraft der Brigademitglieder wird gegenwärtig noch zu ausschließlich auf die Lösung operativer Einzelprobleme, insbesondere auf die Überwindung von Schwierigkeiten bei der Durchführung des Produktionsprozesses gelenkt. Es kommt darauf an, die Brigaden aktiver in die Perspektivplanung des Betriebes einzubeziehen.“183 Die Umschreibung verhüllt den Kern der Aussage kaum: Die „demokratische Initiative“ der Arbeiter ist nur insofern gefragt, als sie sich für die Erfüllung des Planes (häufig durch Überstunden) einsetzen sollen, den sie in keiner Weise beeinflussen können. Dies wird eindeutig als Defizit gekennzeichnet: „Umfang und Qualität der tatsächlichen Einbeziehung von Brigademitgliedern in die Planung und Leitung des Reproduktionsprozesses werden nicht der dafür objektiv steigenden Verantwortung der Belegschaft gerecht. Folge davon ist, dass vielen Brigademitgliedern nicht hinreichend bewusst wird, welche Verantwortung jeder einzelne dafür trägt, dass der gegenwärtige und zukünftige Reproduktionsprozess so geplant und durchgeführt wird, dass ein maximales Betriebsergebnis und ein hoher Beitrag zum Nationaleinkommen erzielt wird. (…) Nur ca. 22 % ziehen aus der Tatsache, dass sie sozialistische Eigentümer sind, für ihr persönliches und kollektives Handeln schon die Konsequenz, bei der Planung und Leitung ökonomischer, technischer und sozialer Prozesse im Betrieb Aufgaben im Rahmen des Kollektivs 180 Auch hier ist der teils suggestive Charakter der vorgegebenen Antwortmöglichkeiten nicht zu übersehen. 181 Siehe Kapitel IV.1. 182 Vgl. Reichel, „durchherrschte Arbeitsgesellschaft“, S. 93f. 183 Forschungsbericht Brigadeversammlung, S. 7f.

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zu lösen und dafür auch Verantwortung zu tragen.“ Die größte Gruppe, nämlich knapp ein Drittel der Befragten, ist der Meinung, es genüge, wenn sie ihre tägliche, vorgeschriebene Arbeit gut verrichten, während gut jeder Fünfte es nicht für erforderlich hielt, bei der Planung und Leitung mitzuwirken und ebenso viele die Frage gar nicht beantworteten.184 Als eine Ursache dafür wurde ermittelt, dass „Inhalt und Umfang der Leitungstätigkeit von Bereichsleitern und Meistern in zu hohem Maße von operativen Aufgaben bestimmt“ würden. „Sie finden kaum Zeit und Möglichkeiten, sich perspektivischen Fragen zuzuwenden. Bereichsleiter und Meister werden von den übergeordneten Leitungen nicht bzw. unzureichend in die Ausarbeitung und Beratung perspektivischer Probleme einbezogen. Daraus resultiert, dass sie selbst nicht hinreichend über die perspektivische Entwicklung des Betriebes und ihres Bereiches informiert sind. Das steht im Widerspruch zu der Tatsache, dass sowohl Bereichsleiter als auch Meister starkes Interesse für perspektivische Probleme bekunden.“ Außerdem kämen „die Leiter häufig ihrer Rechenschaftspflicht gegenüber den Brigaden nicht nach, so dass diese nicht erfahren, wie ihre Vorschläge und Hinweise berücksichtigt wurden, bzw. warum das nicht geschehen konnte“.185 Als noch fataler wurde der allgegenwärtige „unkontinuierliche Produktionsablauf“ bewertet. Dieser verursache „häufig nachträgliche Plankorrekturen“, welche stets ohne die Beteiligung der Brigaden erfolgten und so letztlich die Plandiskussion entwerteten. Daraus resultierten „immer wieder zu hohe Überstunden, die von den Brigademitgliedern vor allem an Wochenenden geleistet werden. Diese hohe physische Belastung, das über die normale Arbeitszeit hinaus an den unmittelbaren Arbeitsplatz Gebundensein, nimmt den Brigademitgliedern Zeit, Kraft und Möglichkeit aktiv bei der Planung und Leitung mitzuarbeiten. Unkontinuierlicher Produktionsablauf wirkt sich nicht nur hemmend für die aktive Mitarbeit der Brigademitglieder bei der Plandiskussion aus, sondern lähmt in jeder Hinsicht ihr demokratisches Handeln. (…) Der Plan erscheint den Brigademitgliedern dann nicht als ein Werk, an dem sie selbst mitgearbeitet haben, sondern als ein äußerliches Instrument, dem sie sich blind unterordnen müssen.“ Zusammenfassend heißt es: „Nichtbeachten der Vorschläge der Brigademitglieder und Vernachlässigung der Rechenschaftslegung ihnen gegenüber lähmen die demokratische Initia184 Ebd., S. 25f. 185 Ebd., S. 24f. Folgende Punkte wurden von den Bereichsleitern und Meistern als gravierendste Probleme benannt: diskontinuierlicher Produktionsfluss und deshalb Probleme in der Planerfüllung; Arbeitskräftemangel und hohe Fluktuation; Schwierigkeiten mit der Materialbereitstellung; zu geringe Produktionskapazität (deshalb Überstunden); stark überalterter Maschinenpark und mangelnde Instandhaltung. Ebd., Anlage 1.

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tive der Brigaden, führen zu Unzufriedenheit und Interesselosigkeit, nähren die allen objektiven Erfordernissen widersprechende Auffassung, aktive demokratische Mitarbeit bei der Planung sei sinnlos.“186 Diese „allen objektiven Erfordernissen widersprechende Auffassung“ fand ihren Niederschlag auch in der Beantwortung der Frage, in welchen Bereichen die Brigademitglieder bereit wären, Verantwortung zu übernehmen. Weit abgeschlagen war das Interesse an der Planausarbeitung bezeichnenderweise am geringsten.187 Sehr wahrscheinlich hing die Bereitschaft, auf diesem oder jenem Gebiet im Rahmen der Brigade Aufgaben zu übernehmen, auch relativ eng mit dem zusammen, was den Mitgliedern üblicherweise zu tun angetragen wurde. Hier fanden die Wissenschaftler heraus, dass Aufgaben „in der Regel nur an den Brigadier, Kulturund Sportobmann“ erteilt wurden. Wenn überhaupt Aufträge erteilt wurden, dann ging es typischerweise um die Ausgestaltung von Wandzeitungen, die Ausarbeitung bzw. Auswertung von Kultur- und Bildungsplänen, das Organisieren von Kultur- und Sportveranstaltungen oder das Führen des Brigadetagebuches.188 Das unterschied sich freilich wenig von dem, was die Beschäftigten bereits als Pioniere gemacht hatten oder von ihren eigenen Kindern aus der Schule erzählt bekamen – und hatte nichts mit tatsächlicher Partizipation zu tun. Entsprechend konstatierte der Bericht, dass „in fast allen Brigaden ein Widerspruch zwischen der Bereitschaft der Brigademitglieder, Aufgaben zu übernehmen und den ihnen von den Leitern dazu tatsächlich eingeräumten Möglichkeiten“ bestünde.189 Schließlich kommt die Studie zu einem weiteren wunden Punkt, indem konstatiert wird, dass „in den Untersuchungsbetrieben beträchtliche Unterschiede zwischen den Informationsbedürfnissen und der Informationsvermittlung“ bestünden. „Das Bedürfnis der Brigademitglieder nach Informationen über Probleme des Betriebes, der Volkswirtschaft und über gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge (…) entspricht mehr den objektiven Erfordernissen bei der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus, als die gegenwärtig vermittelten Informationen.“190 186 Ebd., S. 31f. 187 Vorgegeben waren 8 Antwortmöglichkeiten, von denen mehrere ausgewählt werden konnten. Nur 9 % der Befragten kreuzten „Planausarbeitung“ an, es folgte mit 17 % die „politisch-ideologische Erziehung und Bildung der Brigademitglieder“. Im Mittelfeld rangierten „Arbeits- und Gesundheitsschutz“ (22 %) und „Ausgestaltung der Arbeitsräume“ (25 %). Am ehesten Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen gab es bei der „Entwicklung des kulturellen Lebens der Brigade“ (36 %); aber selbst hierzu waren, laut dieser Befragung, fast zwei Drittel nicht bereit! 188 Ebd., S. 52. 189 Ebd., S. 9f. 190 Ebd., S. 10.

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Diese, für DDR-Verhältnisse, ungewöhnlich klare Kritik lässt sich anhand von Tabelle 22 gut nachvollziehen. Beachtlich ist das teilweise stark ausgeprägte Desinteresse bzw. die ablehnende Haltung gegenüber den zur Wahl gestellten Informationsbereichen. Im EAW ging diese Einstellung bei 43 Prozent der Befragten sogar so tief, dass sie auch keinerlei Erwartungen äußern mochten, worüber sie gern mehr informiert würden. Wenig überraschend ist der Befund, dass im Verhältnis zu den anderen Informationsfeldern die „politisch-ideologischen Inhalte“ nach Auffassung der Beschäftigten zu stark im Vordergrund standen. Dass für ökonomische Fragen Ende der sechziger Jahre, nachdem die Wirtschaftsreform im offiziellen Diskurs jahrelang eine prominente Rolle gespielt hatte, mit Abstand das geringste Interesse bekundet wurde, mag mit einer gewissen Übersättigung zu tun haben, könnte aber auch Indikator für ein grundlegendes Desinteresse sein. Insgesamt fällt das Ergebnis dieser Untersuchung ziemlich eindeutig aus. Von der eingangs wiedergegebenen Definition, der zufolge die Brigade „ein wichtiges Glied in der Kette demokratischer Organe des Betriebes“ darstellen und „mit dessen Hilfe die Masse der Produktionsarbeiter (…) ihre politische und wirtschaftliche Macht als gesellschaftliche Eigentümer der Produktionsmittel aktiv an der Planung und Leitung des Reproduktionsprozesses teilzunehmen“ verwirklichen sollte,191 war in der Praxis kaum etwas wiederzufinden. Damit schließt sich der Kreis, indem am Ende der sechziger Jahre grundsätzlich dieselben Partizipationsdefizite konstatiert werden mussten, die am Beginn des Jahrzehnts die Debatte um mehr Rechte für die sozialistischen Brigaden ausgelöst hatten. Diesmal erwuchsen daraus allerdings keine vergleichbaren Konsequenzen. In den Akten gibt es keinen einzigen Hinweis darauf, dass dieser Forschungsbericht (aus einem beim Politbüro des ZK der SED angesiedelten Institut) in der Führungsetage der Partei oder zumindest in der zuständigen ZK-Abteilung oder im FDGB-Apparat auch nur zur Kenntnis genommen worden wäre. Der eine Vielzahl gravierender Probleme anzeigende Befund dieser Studie wurde offenbar weder Teil eines internen Diskurses im Herrschaftsapparat noch gelangte er an die Öffentlichkeit, die es bekanntlich nur in sehr eingeschränktem Maße gab. Ohne die Hintergründe in diesem konkreten Fall zu kennen, scheint das durchaus typisch für den Umgang mit derartigen Forschungsarbeiten gewesen zu sein, zumal wenn sie eher unangenehme Erkenntnisse zutage förderten.192 191 Ebd., S. 1. 192 Heinz Niemann (Meinungsforschung, S. 55) trifft diesbezüglich folgende Einschätzung: „Innerhalb des bürokratisch-zentralistischen Systems ohne Öffentlichkeit als Indiz einer demokratischen politischen Kultur vermochte eine noch so professionelle Meinungsforschung keine nennenswerte positive Wirkung zu erzielen. Zu keinem Zeitpunkt ist nachweisbar eine qualifizierte Reaktion der politischen Führung auf die vorgelegten Ergebnisse

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4. Zusammenfassung Nach dem geradezu euphorischen Auftakt und der schnellen Ausbreitung 1959/60 geriet die sozialistische Brigadekampagne infolge der „Syndikalismus“Affäre in eine Phase der Stagnation. Diese negative Entwicklung wurde durch widrige gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen (Wirtschaftskrise, Fluchtbewegung nach Westen, Mauerbau) zu Beginn des Jahrzehnts noch verstärkt. Zwar versuchten SED und FDGB mit dem „Produktionsaufgebot“ (September 1961) unter dem Motto „In der gleichen Zeit für das gleiche Geld mehr produzieren!“ gegenzusteuern. Doch die Tatsache, dass sich zwei Brigaden aus dem Berliner KWO bereitfanden, die „Initiatoren“-Rolle für diese Kampagne zu übernehmen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das „Produktionsaufgebot“ allgemein, aber auch bezogen auf die Brigadebewegung, eher ein Fehlschlag wurde. Der Abwärtstrend im Brigade-Wettbewerb wurde durch die Modifizierung der Auszeichnung, die ab 1962 „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ hieß, noch verstärkt. Vor allem, weil die ursprünglich hohe Prämie offiziell gestrichen bzw. eine deutlich geringere Honorierung durch die Betriebe eine eindeutige Entwertung des Titels signalisierte. Entsprechend enttäuscht, teilweise demotiviert reagierten nicht nur einzelne Arbeitsbrigaden, die sich ernsthaft im Kollektivwettbewerb engagiert hatten. Als Hemmnis erwies sich weiterhin die relativ geringe Zahl verliehener KdsA-Titel, da oft kaum zu begründen war, weshalb die eine Brigade ausgezeichnet wurde und die Kollegen nebenan leer ausgingen. Besonders problematisch wurde das, wenn Kollektive den Vorzug erhielten, die zwar geringere Produktionsleistungen erzielt hatten, aber mit besonderem gesellschaftlichen Engagement glänzten und immer den Finger hoben, wenn wiedermal kurzfristig ein „Schrittmacherkollektiv“ für irgendeine neue Wettbewerbsinitiative gesucht wurde. Diese Tendenz wurde im Zuge der Wirtschaftsreform (NÖS) etwas zurückgedrängt. Nun lag der Schwerpunkt der Brigadebewegung eindeutig auf dem sozialistischen Arbeiten, erfolgte vielerorts eine Reorganisation der Brigaden entsprechend den technologischen Erfordernissen. In diesem Zusammenhang wurden sogar Brigaden wieder aufgelöst, was mit dazu beitrug, dass es Mitte der 1960er Jahre zu einem spürbaren Rückgang in der Beteiligung am Kollektivwettbewerb kam. Zusammen mit dem zu Zeiten der Wirtschaftsreform relativ ausgeprägten Trend, nichtökonomische Aufgaben und Institutionen in den Betrieben zurückzudrängen, kann dies als eine Art „Gesundschrumpfen“ der Brigadebewegung erfolgt.“ Ganz in diesem Sinne hatte das Politbüro 1979 schließlich das ihm unterstellte Institut für Meinungsforschung kurzerhand „abgewickelt“. (Ebd., S. 54f.).

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betrachtet werden. Zumal sich viele Arbeitskollektive ohnehin lieber auf das sozialistische Arbeiten im Betrieb konzentrierten und dieses von der Privatsphäre (sozialistisch Leben) gern getrennt halten wollten. Bezogen auf das NÖS lassen sich im Übrigen kaum direkte Wechselwirkungen mit der Brigadebewegung feststellen. Die Werktätigen, z.B. über ihre Arbeitskollektive, stärker in die wirtschaftlichen Reformbemühungen einzubeziehen wurde nicht ernsthaft versucht. Substantielle Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten in ihren „volkseigenen“ Betrieben waren, wie die „Syndikalismus“-Affäre gezeigt hatte, nicht vorgesehen. So kann man die fehlende demokratisch-partizipative Einbindung der Werktätigen als eine Ursache für das spätere Scheitern des NÖS vermuten. Diese massiven Defizite werden eindrücklich durch zeitgenössische empirische Forschungen belegt, die selbst bei der Befragung von ausgewählten „Schrittmacherbrigaden“ zu ernüchternden Ergebnissen und Einsichten gelangten. So konnte die Brigadebewegung weder zum Gelingen der Wirtschaftsreform beitragen, noch von ihr profitieren. Sie stand lediglich im Schatten des NÖS, ohne dass die Chancen einer sinnvollen Verknüpfung genutzt worden wären.193 Ab Mitte des Jahrzehnts hat es dann mehrere Anläufe gegeben, die Stagnation im Kollektivwettbewerb zu überwinden. Mit der 1966er Änderung der KdsAVerordnung erfolgte eine noch deutlichere Ausweitung des Teilnehmerkreises als 1962. Doch erst mit einer massiven Kampagne anlässlich des 10jährigen Bestehens der sozialistischen Brigadebewegung und zum 20. „Republikgeburtstag“ 1969 gelang der statistische Durchbruch. Nunmehr beteiligten sich tausende Kollektive aus dem nichtindustriellen Bereich und sowohl die Zahl der Teilnehmer als auch der Ausgezeichneten ging ab diesem Jahr steil nach oben. Zudem war auf Betreiben des FDGB ab 1967 die Ausarbeitung und Abrechnung sogenannter „Kulturund Bildungspläne“ als obligatorischer Bestandteil in den Kollektivwettbewerb eingeführt worden, wodurch eine formale Stärkung der zuvor ins Hintertreffen gelangten Aspekte des sozialistischen Lernens und Lebens eingeleitet wurde. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass zum Ende des Jahrzehnts, vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Scheiterns des NÖS, im Herrschaftsapparat eine zunehmende Rückbesinnung auf die sozialistische Brigadebewegung erfolgte. Ein überzeugendes Konzept, die nach wie vor bestehenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme wirksam anzugehen, war damit freilich nicht verbunden. Wie oberflächlich oder tiefgreifend und nachhaltig die damit einhergehende Mobilisierung Millionen Werktätiger (laut Brigadestatistik) tatsächlich war, sollte sich erst in der Ära Honecker erweisen. 193 Siehe dazu ausführlich meinen demnächst erscheinenden Aufsatz: „Verhinderten die Arbeiter Wirtschaftsreformen in der DDR?“

V. Es geht seinen sozialistischen Gang1 – Die Brigaden in der Ära Honecker

Der Machtwechsel an der SED-Spitze von Ulbricht zu Honecker am Beginn der 1970er Jahre war bekanntlich auch ein Paradigmenwechsel. Der neue Parteichef verfolgte einen etwas pragmatischeren Ansatz, der in der Rede vom real existierenden Sozialismus seinen verbalen Niederschlag fand.2 Die (neuerlich) propagierte „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ zielte darauf, die Loyalität der „werktätigen Massen“ zu sichern, wobei die damit verbundene Hinwendung zu einer Art Konsumsozialismus auf eine Refinanzierung durch entsprechende Produktivitätszuwächse in allen Bereichen der Volkswirtschaft angewiesen war. Für das Erreichen beider Ziele – die Erzeugung und Erhaltung der Massenloyalität und die Produktivitätssteigerung – spielten die Brigaden eine durchaus wichtige Rolle. Dies hatte offenbar auch die SED-Führung erkannt. Der Ende der sechziger Jahre eingeschlagene Weg, die Bewegung „sozialistisch arbeiten, lernen und leben“ verstärkt zu fördern und immer weiter auszudehnen, wurde Anfang der siebziger Jahre nochmals forciert und kontinuierlich bis zum Ende der DDR fortgeführt.

1. Blendende Statistik durch veränderte Wettbewerbs- und Auszeichnungsmodi Anfang der 1970er Jahre wurden von oben die Bemühungen forciert, so viele Werktätige wie irgend möglich in die „höchste Form“ des sozialistischen Wettbe-

1

2

In Anlehnung an Erich Loests Roman, Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene. Halle (Saale), 1978. Loest bezog sich mit dem Buch-Titel auf die nach seiner Beobachtung „anfangs der siebziger Jahre“ in der DDR verbreitet anzutreffende Redewendung: „Es geht seinen [sozialistischen] Gang“. Alf Lüdtke wies unlängst in einem Aufsatz (Alltag „in unserer Ebene“. Anfragen zu den Perspektiven auf die 1970er und 1980er Jahre in der DDR, in: Hürtgen/Reichel, Schein, S. 295–300.) darauf hin, wie treffend Loest in seinem Roman den Zustand der DDR-Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt beschrieben hat. Zentral sind dabei Erscheinungen wie der „Verschleiß“ in allen möglichen Bereichen, eine merkwürdige Gemengelage aus „Gewissheit des geschichtlichen Fortschritts … [und] Kapitulation vor der Robustheit des Schlendrians“ sowie dem Sich-Einrichten der Menschen in diesem „realen“ Sozialismus, dem alles Visionäre, Zukunftweisende und Mobilisierende immer mehr verloren ging. Vgl. Staritz, Geschichte, S. 276ff.

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werbs einzubeziehen.3 Eine Schlüsselrolle spielten dabei die im Juni 1972 vom 8. FDGB-Kongress verabschiedeten „Grundsätze der weiteren Entwicklung der Bewegung ‚Sozialistisch arbeiten, lernen und leben‘ im sozialistischen Wettbewerb“. Die wichtigste, in diesem Dokument fixierte Neuerung war, dass die Auszeichnung mit dem Ehrentitel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ nur noch einmal erfolgen sollte, und zwar „nicht mehr an das Planjahr gebunden, sondern (…) dann, wenn das Kollektiv den hohen Anforderungen an das sozialistische Arbeiten, Lernen und Leben gerecht wird“. Entscheidend war der folgende Satz der Neuregelung: „Diese hohe gesellschaftliche Wertschätzung kollektiver Leistungen ist jährlich erneut durch kontinuierliche Erfolge im sozialistischen Wettbewerb neu zu verteidigen.“ Dies war bislang eines der Hauptprobleme gewesen: Aufgrund des anfänglich eng begrenzten Kontingentes der jährlich mit dem Titel auszuzeichnenden Kollektive, gingen häufig selbst solche Brigaden leer aus, die alle Anforderungen erfüllten. Klar war auch, dass es etliche Jahre dauern würde, bis eine einmal ausgezeichnete Brigade wieder an die Reihe käme. Die Wirkung war also eindeutig – und den Intentionen von FDGB und SED zuwiderlaufend: Demotivation und Diskontinuität bezüglich der Teilnahme am KdsA-Wettbewerb. Die Lösung dieses lange bekannten Problems war in den 1960er Jahren immer wieder verschoben worden, nicht zuletzt, weil man die anfänglich hohen TitelPrämien weder an zehn- oder gar hunderttausende Kollektivmitglieder jährlich zahlen, noch diese Prämie, für viele ein wichtiges Motiv zur Wettbewerbsteilnahme, einfach streichen konnte.4 Nun wurde eine vergleichsweise elegante Lösung gefunden: Bei der erstmaligen Titelverleihung gab es eine Kollektivprämie aus dem Betriebsprämienfond und die erfolgreiche jährliche Verteidigung des Titels sollte über die Jahresendprämie abgegolten werden. Mit der Koppelung an die Jahresendprämie wurde die Prämierung also von der Planerfüllung des Betriebes abhängig gemacht und somit auch der KdsA-Wettbewerb mittelbar auf die bestmögliche Erfüllung des Planes ausgerichtet. Inhaltlich wurde die Verabschiedung der neuen „Grundsätze“ damit begründet, dass die „bisherigen Maßstäbe für diese Bewegung sich durch die Leistungen der 3

4

Als „höchste Form“ des sozialistischen Wettbewerbs wurde die „Bewegung ‚sozialistisch arbeiten, lernen und leben‘“ in offiziellen Reden und Dokumenten immer wieder bezeichnet. So bspw. in den „Grundsätzen der weiteren Entwicklung der Bewegung ‚Sozialistisch arbeiten, lernen und leben‘ im sozialistischen Wettbewerb“, veröffentlicht im Protokoll des 8. FDGB-Kongresses (26.–30.6.1972), hrsg. vom FDGB-BuV, Berlin(Ost), 1972, S. 305. Ebd., S. 305–309. Dieses Schlüsseldokument, im Weiteren nur kurz als „Grundsätze (…)“ zitiert, wurde am 19.7.1972 in der „Tribüne“ veröffentlicht.

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Kollektive und das Leben bereits überholt“ hätten. Folglich galt es, „neue Anforderungen an das sozialistische Arbeiten, Lernen und Leben“ festzulegen, die im Folgenden zusammengefasst wiedergeben werden.5 Allerdings waren viele Punkte nicht wirklich neu, sondern bestenfalls modifiziert bzw. ergänzt worden. Die Erfüllung der Planaufgaben, eine höchstmögliche Steigerung der Arbeitsproduktivität, ständige Qualitätsarbeit und Kostensenkung, aktive Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts durch Teilnahme an der Bewegung der Neuerer und Rationalisatoren und unter Anwendung insbesondere sowjetischer Erfahrungen – all das waren bereits bekannte Anforderungen. Der gegenseitige Wettstreit, Erfahrungsaustausch sowie sozialistische Hilfe mit bzw. gegenüber anderen Kollektiven und die Forderung nach „persönlich-schöpferischen Plänen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität“ zu arbeiten, war ebenso wenig neu.6 Dieser erste und umfänglichste Forderungskomplex war offensichtlich auf den Bereich „sozialistisch arbeiten“ bezogen. Natürlich durften auch spezielle Kriterien bezüglich des „sozialistischen Lernens und Lebens“ nicht fehlen. Hier sollte „im Geiste des Marxismus-Leninismus ständig das politische und fachliche Wissen und Können“ der Kollektivmitglieder vertieft sowie ein „vielseitiges geistig-kulturelles und sportliches Leben“ entfaltet werden, mit dem Ergebnis „sozialistischer Persönlichkeiten als gebildete und überzeugte Erbauer des Sozialismus“. Um diesen Prozess zu befördern waren „Kulturund Bildungspläne“ auszuarbeiten und „Schulen der sozialistischen Arbeit“ zu organisieren.7 Abgerundet wurde dieser Komplex mit der Forderung an die Kollektivmitglieder „bewusst ihre staatsbürgerliche Verantwortung und Pflichten im Betrieb, in der Familie und im Territorium wahrzunehmen, mit vorbildlichem Einsatz an der Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft mitzuwirken, ihrer Verantwortung für die klassenmäßige Erziehung der jungen Generation gerecht zu werden, einen aktiven Beitrag zur Verwirklichung des sozialistischen Internationalismus, besonders der Festigung der Freundschaft zur Sowjetunion und den ande5 6

7

„Grundsätze (…)“, S. 306. Weiterhin sollten KdsA-Mitglieder „aktiv an der Leitung und Planung im Betrieb und Territorium“ teilnehmen, eine hohe Arbeitskultur anstreben, an einem „strengen Regime der Ordnung, Sauberkeit, Sicherheit und Disziplin im Arbeitsprozess“ mitwirken und unfallfrei arbeiten. Gesundheits- und Arbeitsschutz, eine gesunde Lebensweise, die Mitwirkung an der „ständigen Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen“ standen als Anforderungen neben der „schöpferischen Teilnahme“ an der „wissenschaftlichen Arbeitsorganisation“ und der „täglichen Verwirklichung“ des Grundsatzes „Neue Technik – neue Normen“. Das „sozialistische Lernen und Leben“ verbindlicher über „Kultur- und Bildungspläne“ in den Kollektivwettbewerb einzubeziehen bemühte sich der FDGB bereits seit 1967. Siehe dazu Kapitel IV.3. Zu den „Schulen der sozialistischen Arbeit“ siehe das Kapitel V.4.

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ren sozialistischen Ländern und der Klassensolidarität zu leisten“. Als „wesentlich neues Merkmal“ wurde abschließend die Übernahme persönlicher Verpflichtungen durch alle Kollektivmitglieder herausgestellt, was keine wirkliche Neuerung war, aber bislang kaum Resonanz gefunden hatte. Die allermeisten dieser Kriterien waren an sich nicht neu, aber ihre Bündelung zu einem derart komplexen Anforderungsprofil an alle Brigaden und ihre Mitglieder, die mit dem KdsA-Titel ausgezeichnet werden wollten, stellte durchaus eine neue Qualität dar. Zugleich war klar, dass dies nicht wirklich die Messlatte für die Auszeichnung sein konnte, denn nur eine kleine Zahl von Kollektiven dürfte bereit und in der Lage gewesen sein, diese Kriterien zu erfüllen. Der formale, statistische Erfolg der sozialistischen Brigadebewegung war in erster Linie eine Frage der Organisation, wie es gelang, sie über die Apparate der SED, des FDGB und der staatlichen Leitungen bis in den kleinsten Betrieb zu verbreiten und zu verankern. Dazu bedurfte es einer gewissen Verbindlichkeit, ja Verpflichtung an dieser Bewegung teilzunehmen bzw. sie aktiv zu befördern, auch wenn formal das Prinzip der Freiwilligkeit erhalten blieb. Um also einen hohen Durchdringungsgrad zu erreichen, wurden die „Grundsätze der weiteren Entwicklung der Bewegung ‚Sozialistisch arbeiten, lernen und leben‘ im sozialistischen Wettbewerb“ zu einer verbindlichen Rahmenordnung erklärt: „Durch die staatlichen Leiter sind gemeinsam mit den gewerkschaftlichen Leitungen (…) betriebliche Ordnungen zu schaffen und die Verfahrensweise bei öffentlichen Verteidigungen festzulegen. Diese Festlegungen sind im BKV aufzunehmen.“8 Untermauert wurde dieses – allerdings neue – hohe Maß an Verbindlichkeit dadurch, dass sich die im Gesetzblatt der DDR veröffentlichte und vom Vorsitzenden des Ministerrates, W. Stoph, unterzeichnete „Dritte Verordnung über den Ehrentitel ‚Kollektiv der sozialistischen Arbeit‘ vom 13. September 1972“ ausdrücklich auf die „vom 8. FDGB-Kongress beschlossenen Grundsätze (…)“ bezog.9 Die als Anlage zur Verordnung an gleicher Stelle veröffentlichte „Ordnung über die Verleihung des Ehrentitels (…)“ enthielt zudem in Paragraph 2 nahezu wörtlich die oben zitierten Anforderungskriterien aus den „Grundsätzen (…)“ sowie die darin fixierte Neuregelung der einmaligen Verleihung und nachfolgenden jährlichen Verteidigung des Ehrentitels ebenso wie die veränderten Modalitäten der Prämiierung.10 Enthalten war auch ein eigener Paragraph, der festschrieb,

8 9 10

Ebd., S. 309. BKV = Betriebskollektivvertrag GBl., Teil II, Nr. 54, 22.9.1972; Bl. 597. Ebd., S. 598f. Daher auch im Folgenden. Der FDGB-BuV hatte diese „Ordnung“ auf der Basis der vom 8. Kongress beschlossenen „Grundsätze …“ ausgearbeitet, wie folgendes Dokument belegt. Horst Heintze, Berlin 25.7.1972, Präsidiumsvorlage, Betr.: Ordnung zur

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durch welche Maßnahmen die „Leiter der Betriebe und Einrichtungen und die Vorstände der Genossenschaften (…) in Übereinstimmung mit den zuständigen Gewerkschaftsleitungen alle Voraussetzungen zu schaffen [hatten], um die schöpferische Initiative der Kollektive entsprechend den steigenden Anforderungen zu entfalten“. An erster Stelle stand hier „eine zielgerichtete, differenzierte politischideologische Arbeit“, flankiert von der Forderung nach Planaufschlüsselung, regelmäßiger Rechenschaftslegung und ähnlichen Dingen. In der neuen Auszeichnungsordnung wurde der Kreis der Betriebe und Einrichtungen, deren Arbeitskollektive am KdsA-Wettbewerb teilnehmen konnten, abermals erweitert. So fanden nun, neben den bereits genannten öffentlichen Einrichtungen des Gesundheitswesens und der Wissenschaft, auch die der Volksbildung und der Kultur ausdrückliche Erwähnung. Gestrichen wurden hingegen die Betriebe mit staatlicher Beteiligung und Privatbetriebe, da sie im selben Jahr (1972) nahezu vollständig abgeschafft, d. h. verstaatlicht bzw. in Genossenschaften umgewandelt worden waren.11 In Anlehnung an die oben erörterten „Grundsätze“ des FDGB erhob die neue Ordnung die Ehrung der „Mehrheit der Mitglieder mit staatlichen oder betrieblichen Auszeichnungen“ zur Voraussetzung für die Verleihung des Ehrentitels. Als zusätzlicher Anreiz für eine kontinuierliche aktive Beteiligung der Arbeitskollektive am Titelkampf wurden eine gesonderte Urkunde sowie eine Spange zur Medaille für jene in Aussicht gestellt, deren KdsA-Titel „innerhalb eines Fünfjahrplan-Zeitraumes“ jährlich ununterbrochen bestätigt wurde. Enthalten waren neuerdings auch Paragraphen zur Regelung der Aberkennung des Ehrentitels bzw. der Nicht-Bestätigung der Verteidigung. Keine Bestätigung sollte erfolgen, wenn die Leistungen des betreffenden Kollektivs „nicht den gewachsenen Anforderungen“ entsprachen, was aber eine erneute Titelverteidigung in den folgenden Jahren nicht ausschloss. Eine explizite Aberkennung war für den Fall vorgesehen, dass „ernste Verstöße von Mitgliedern des Kollektivs, die mit den der Bewegung ‚Sozialistisch arbeiten, lernen und leben‘ zugrunde liegenden Normen sozialistischer Moral und Ethik im Widerspruch stehen oder Gesetze und andere Rechtsvorschriften des sozialistischen Staates in grober Weise verletzen“, vorlagen. Inwieweit von diesen beiden Paragraphen in den Betrieben tatsächlich Gebrauch gemacht wurde, wird weiter unten noch zu klären sein. Bis zum Ende der DDR wurde die KdsA-Auszeichnungsordnung noch dreimal geändert (1978, 1982, 1987). Eher einer Formalie entsprach, dass ab 1978 der Ehrentitel nicht mehr als staatliche Auszeichnung, sondern fürderhin als „gesell-

11

Verleihung des Ehrentitels „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“. SAPMO-BArch DY 34/22930 (unpag.). Monika Kaiser, 1972 – Knockout für den Mittelstand. (…), Berlin 1990.

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schaftliche Wertschätzung“ bezeichnet wurde.12 Dass damit eine bewusste, ausdrückliche Abwertung des KdsA-Titels beabsichtigt worden wäre, scheint unwahrscheinlich, zumal es darauf keinerlei Hinweise gibt. Am auffälligsten ist, dass alle drei Änderungen vor allem weitere Schritte zur Ausweitung des Teilnehmerkreises enthielten. So räumte die 1978er Ordnung den Beschäftigten der „Zivilbereiche der bewaffneten Organe“ sowie von Staatsorganen, „soweit es sich um Arbeitskollektive handelt, die materiell-technische Aufgaben, Versorgungs- oder Betreuungsaufgaben auf der Grundlage abrechenbarer Planvorgaben erfüllen“ handelte, die Möglichkeit ein, zu beweisen, dass sie die Anforderungen des „sozialistischen Arbeitens, Lernens und Lebens“ ebenso erfüllten, wie alle anderen Werktätigen auch. Die vorletzten Reserven wurden erschlossen, als 1982 auch Arbeitskollektiven „der Nationalen Volksarmee, der Grenztruppen der DDR und der anderen Schutz- und Sicherheitsorgane, die sich überwiegend aus Zivilbeschäftigten zusammensetzen“, die Erringung des Ehrentitels in Aussicht gestellt wurde.13 Zuletzt kamen 1987 noch „zeitweilig gebildete Kollektive im Rahmen der Forschungskooperation“ zwischen „Kombinaten und den Einrichtungen der Akademie der Wissenschaften der DDR, der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR, der Bauakademie der DDR und des Hochschulwesens“ zur weiteren Verbesserung der KdsA-Statistik hinzu.14 Um die permanente Wettbewerbsteilnahme aller Kollektive zu sichern, enthielt die 1978er Auszeichnungsordnung die Festlegung, dass „bei der Verteidigung (…) die Verpflichtungen zum sozialistischen Arbeiten, Lernen und Leben des Kollektivs und der einzelnen Mitglieder des Kollektivs für das folgende Planjahr mit verteidigt“ werden sollten.15 Jede erfolgreiche Verteidigung des Kollektivtitels sollte den Mitgliedern von nun an nicht nur durch eine Urkunde, sondern auch durch einen entsprechenden Eintrag im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung bestätigt werden. Die Verknüpfung der Verleihung bzw. Verteidigung des KdsA-Titels mit einer Prämie wurde nunmehr in eine Kann-Bestimmung umgewandelt. Diverse Bestimmungen bezüglich des KdsA-Wettbewerbes wurden aber nicht nur in den erwähnten Auszeichnungs(ver)ordnungen gesetzlich festgeschrieben, sondern fanden auch Eingang in weitere wichtige Dokumente. So verpflichtete Paragraph 18 des 1977 verabschiedeten Arbeitsgesetzbuches der DDR alle Be12

13 14 15

Ordnung über die Verleihung und Bestätigung der erfolgreichen Verteidigung des Ehrentitels „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“. GBl., Sonderdruck Nr. 952, 28.7.1978, S. 15f. Daher auch im Folgenden. GBl., Teil I, Nr. 36, 28.10.1982, S. 607f. GBl., Teil I, Nr. 13, 29.5.1987, S. 151f. GBl., Sonderdruck Nr. 952, 28.7.1978, S. 15f. Daher auch im Folgenden.

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triebsleiter die Bewegung „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben“ zu fördern, und in § 223 heißt es konkreter: „Zur Verwirklichung des Rechts auf Teilnahme am kulturellen Leben, an Körperkultur und Sport ist der Betrieb verpflichtet, die geistig-kulturelle und sportliche Betätigung der Werktätigen des Betriebes, ihre weltanschauliche, ökonomische und ästhetische Bildung und Erziehung sowie die Entwicklung des geistig-kulturellen Lebens mit der Bewegung ‚Sozialistisch arbeiten, lernen und leben‘ zu fördern.“16 Auch in das vom IX. SED-Parteitag beschlossene Parteiprogramm fand diese Bewegung Eingang, wobei insbesondere die „Entfaltung der erzieherischen Kräfte der Arbeitskollektive“ beschworen wurde, „um die Eigenschaften sozialistischer Persönlichkeiten wirksam auszuprägen“.17 Auf dem 9. FDGB-Kongress (Mai 1977) brachte der SED-Generalsekretär Honecker auf den Punkt, warum der Bewegung „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben“ ein so hoher Stellenwert beigemessen wurde: Sie sei „populär, weil sie den ganzen Menschen anspricht.“18 Das Problem dieser Art Ansprache war, dass eine ablehnende Antwort nicht vorgesehen war, es sich also weniger um ein Angebot als vielmehr um eine Inanspruchnahme und Vereinnahmung bis weit in die Privatsphäre der Menschen hinein handelte. Zumindest statistisch erwies sich diese Politik der Ausweitung und Verstetigung als ausgesprochen erfolgreich (siehe Tabelle 1). Zwischen 1970 und 1977 gab es jährlich teils erhebliche Zuwächse, verdoppelte sich die Zahl der Brigaden, die am Wettbewerb um den Titel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ teilnahmen nahezu von knapp 130.000 auf über 255.000 und die der einbezogenen Kollektivmitglieder stieg von ca. 2,5 auf 4,5 Millionen. Danach verlangsamte sich diese Entwicklung, wenngleich die Zahlen jährlich weiter leicht anstiegen, so dass 1988, im letzten Jahr der statistischen Erfassung, 310.000 Kollektive mit mehr als 5,4 Millionen Mitgliedern als Wettbewerbsteilnehmer verzeichnet wurden, von denen gut 85 Prozent ein- oder zumeist mehrfach mit dem KdsA-Titel ausgezeichnet worden waren. Setzt man diese 5,4 Millionen Erwerbstätigen, die im vorletzten Jahr der DDR in Kollektiven organisiert an diesem Wettbewerb teilgenommen haben, ins Verhältnis zur Anzahl der dafür insgesamt in Frage kommenden Beschäftigten(Tabelle 1), wird deutlich, dass letztlich die ganz überwiegende Mehrzahl aller Werktätigen in diese Bewegung einbezogen waren.

16 17 18

Arbeitsgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 16. Juni 1977, GBl. I, Nr. 18, S. 185ff. Programm der SED, Berlin (Ost) 1985 (11. Aufl.), S. 47 und S. 95. Zitiert nach: SAPMO-BArch, DY 30/vorl. SED/21069/1, Abt. GS an Büro Mittag, 16.11.77 (unpag.). [Rede auf dem 9. FDGB-Kongress, in: Dokumente des 9. FDGBKongresses, Berlin(Ost), 1977, S. 75].

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In Tabelle 4 ist der statistische Ausgangszustand der Brigadebewegung zu Beginn der 1970er Jahre, aufgeschlüsselt auf die Einzelgewerkschaften, erfasst. Von besonderem Interesse sind hier die Differenzen zwischen den verschiedenen Branchen und die Relation zur Zahl der Beschäftigten insgesamt. Die stark differierenden Steigerungsraten bei den Teilnehmerzahlen der einzelnen Gewerkschaften zwischen 1970 und 1973 veranschaulicht ein Vergleich der Tabellen 4 und 5, wobei das sehr unterschiedliche Ausgangsniveau nicht übersehen werden darf. Vor allem in den Großbetrieben der Metallindustrie und Metallurgie stellten 1979 jene mit einer Teilnahmequote unter 90 Prozent bereits Ausnahmen dar.19 Bei der zugrunde liegenden Stichprobe von 66 Betrieben verschiedener Branchen lagen 60 Prozent über dieser Marge, aber in jedem fünften Werk lag die Beteiligung unter 70 Prozent, wobei sich in acht Betrieben nicht einmal die Hälfte der Belegschaft am KdsA-Wettbewerb beteiligte.20 Diese Erhebung verdeutlicht die teils erhebliche Diskrepanz zwischen Großbetrieben (mit hohen Teilnehmerquoten) einerseits und mittleren bzw. Kleinbetrieben andererseits, mit nicht selten deutlich geringeren Werten. Erwartungsgemäß klar fällt auch der in Tabelle 6 ausgewiesene Unterschied zwischen den (in der Regel größeren) zentral bzw. (zumeist kleineren) örtlich geleiteten Betrieben aus. Die Betriebsgröße war offenbar entscheidend dafür, ob sich die Beschäftigten mehrheitlich an den diversen Wettbewerbskampagnen, d. h. unter anderem an dem wiederholt als wichtigster Wettbewerb bezeichneten KdsA-Titelkampf beteiligten oder nicht. Der wichtigste Grund dürfte in der simplen Logik gelegen haben, dass kleine(re) Betriebe in der Regel auch weniger bedeutsam und damit in der Perspektive der Herrschenden recht weit unten angesiedelt waren. Es machte einen großen Unterschied, dass es in kleineren Betrieben keine oder nur wenige hauptamtliche Funktionäre der SED (und i.d.R. keine Parteigruppen bis hinunter auf Brigadeebene) sowie des FDGB gab und damit der Machtapparat nicht permanent vor Ort präsent war.21 Freilich 19

20 21

SAPMO-BArch DY 34/11821 (unpag.); Gewerkschaftshochschule „Fritz Heckert“ beim BuV des FDGB, Mai 1979, Studie (Entwurf): Der Einfluss der Bewegung „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben“ auf die Entwicklung der schöpferischen Aktivität der Arbeiterklasse, auf die Herausbildung sozialistischer Persönlichkeiten und die Durchsetzung der sozialistischen Lebensweise, S. 20. Ebd., S. 19f. In kleinen Industrie-Buden konnten gelegentlich sogar Betriebsleiter oder andere leitende Angestellte ohne SED-Parteibuch sitzen (vor allem weil die Kader-Decke zu dünn war), wodurch die Möglichkeiten ihrer direkten Beeinflussung, im Sinne der Partei dieses oder jenes mit den ihnen unterstellten Beschäftigten zu veranstalten, zusätzlich beschränkt wurden. F. Weil (Herrschaftsanspruch und soziale Praxis, S. 32f.) nennt bspw. den VEB Goldring Markkleeberg (Leipzig) wo in den 1980er Jahren ein „konfessionsgebundener Mitarbeiter … eine große Abteilung“ leitete und 1987 zum Produktionsdirektor aufstieg.

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wird es auch kleinere Betriebe mit Konstellationen gegeben haben, die dazu führten, dass nahezu die gesamte Belegschaft in sozialistischen Kollektiven organisiert war und regelmäßig fast ebenso vollzählig den KdsA-Titel errang bzw. verteidigte.22 Tendenziell schritt die Durchdringung der Gesellschaft, d. h. auch der Wirtschaft, der Betriebe im Laufe der Jahrzehnte der SED-Herrschaft immer weiter voran.23 Davon blieb selbstverständlich nicht unbeeinflusst, ob und in welchem Maße sich auch die Belegschaften kleinerer Betriebe zumindest formal am sozialistischen Wettbewerb beteiligen mussten bzw. wollten oder sich dem entziehen konnten. Zumindest statistisch ist dieser fortschreitende Durchdringungsprozess eindeutig belegt. Wie tief ins Bewusstsein der Arbeiter und Angestellten reichte der statistisch ausgewiesene starke Anstieg der Brigadebewegung in der ersten Hälfte der siebziger Jahre und ihr anschließendes stetiges Wachstum bis zum Ende der DDR? Ging das „sozialistische Arbeiten, Lernen und Leben“ den werktätigen Massen im zweiten und dritten Jahrzehnt des Kollektivwettbewerbs schließlich doch in Fleisch und Blut über, so dass sie es tatsächlich zu ihrer Bewegung machten? Oder war diese blendende statistische Entwicklung nur Teil des oberflächlich schönen Scheins mit dem die schleichende Erosion der SED-Herrschaft bis zu ihrem überraschenden Zusammenbruch verdeckt wurde? Antworten auf diese Fragen sind am ehesten auf der betrieblichen Ebene und in zeitgenössischen empirischen Untersuchungen zu finden.

2. Zwischen Popularisierung der „höchsten Form des sozialistischen Wettbewerbs“ und Kritik an „gewissem Zahlenfetischismus“ Stetig begleitet und unterstützt wurde die sozialistische Brigadebewegung auch in den 1970/80er Jahren durch eine intensive Propaganda der zentral gesteuerten 22

23

Vielleicht weil die Beschäftigten wirklich so eifrig waren, vielleicht aber auch, weil es betriebsintern einen Deal gab, sich nicht gegenseitig das Leben schwer zu machen, sondern mit spitzem Bleistift die gewünschten Zahlen nach oben zu melden (und die entsprechenden Prämien untereinander aufzuteilen). Während man sich weiter oben wiederum über die schöne Statistik freute und ohnehin weder Zeit noch Lust hatte, nachzuhaken, ob das in dieser oder jener kleinen Bude auch mit rechten Dingen zuging. Zur sukzessiven Ausbreitung von SED-Strukturen in den Betrieben siehe: Reichel, „Durchherrschte Arbeitsgesellschaft“, S. 91ff. und zum Vergleich für die frühen Jahre: Ders., Feste Burgen.

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Medien, vom Fernsehen und Rundfunk bis zu Lokal- und Betriebszeitungen. So sollte bspw. im Rahmen der „Popularisierung bewährter Methoden zur Steigerung der Arbeitsproduktivität“ in Vorbereitung des IX. SED-Parteitages die Bewegung „sozialistisch arbeiten, lernen und leben“ in der medialen Berichterstattung eine zentrale Rolle spielen. Dabei wurden klare Festlegungen getroffen, mit welchem Tenor die Darstellung in Presse, Funk und Fernsehen zu erfolgen hatte: Zunächst sollte herausgearbeitet werden, dass sich diese Bewegung als „höchste Form des sozialistischen Wettbewerbs erwiesen“ habe. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, sichtbar zu machen, dass „gerade in dieser Bewegung hohe ökonomische Zielstellungen (…) mit der Verpflichtung, sich weltanschaulich und fachlich weiterzubilden und am geistig-kulturellen Leben teilzunehmen“ verknüpft würden, was schließlich „wesentlich zur Herausbildung sozialistischer Persönlichkeiten“ beitrage. Hervorgehoben werden sollte zudem die „Bereitschaft der Kollektive (…) sozialistische Hilfe zu gewähren und zurückgebliebene Kollegen und Kollektive zu unterstützen“. Mit Polemik hingegen sollten die DDR-Medien gegen „formales, einseitiges Herangehen an die Bewertung der Leistungen der Kollektive“ zu Felde ziehen.24 Ein konkretes Beispiel für diese mediale Schützenhilfe war der gemeinsam vom FDGB-Bundesvorstand und der Gewerkschaftszeitung „Tribüne“ ausgerichtete 4. Tribüne-Treff im Kulturhaus „Freundschaft“ des Leipziger „Kirow“-Werkes im Juli 1974 zum Thema: „Die weitere Entwicklung der Bewegung ‚Sozialistisch arbeiten, lernen und leben‘ im sozialistischen Wettbewerb als entscheidende Voraussetzung einer erfolgreichen Verwirklichung der Ziele im Wettbewerb und der Erhöhung seiner bewusstseinsbildenden Kraft“.25 Zur Propaganda im Kontext der sozialistischen Brigadebewegung gehörte auch, dass auf allen Ebenen – vom einzelnen Betrieb bis hin zu republikweiten Kampagnen – immer wieder Vorzeigebrigaden bestimmte Wettbewerbsinitiativen auslösen durften, wobei es sich häufig um Jugendbrigaden handelte.26 Die Jugendbrigaden spielten als Teil der sozialisti24 25 26

SAPMO-BArch, DY 30/vorl. SED/21072/2 (unpag.); Berlin, 25.3.1976, [SED-ZK Abt. GS], Vorschläge zur Popularisierung (…). SAPMO-BArch, DY 34/11813 (unpag.); FDGB-BuV, 14.6.1974, Anschreiben und Konzeption für die Durchführung dieses „Tribüne-Treffs“. Exemplarisch siehe (Kapitel II.1.) den Start der BdsA-Kampagne 1959 durch die Brigade „Mamai“. Drei weitere Beispiele: „Die Jugendbrigade ‚Hans Kiefert‘ von der Großbaustelle des Wohnungsbaus in Berlin-Marzahn veröffentlicht in der ‚Jungen Welt‘ ihre Wettbewerbsverpflichtung, ‚Jeden Tag mit guter Bilanz‘ zu arbeiten. (…) Diese Initiative wird von vielen Jugendbrigaden und anderen Arbeitskollektiven aufgegriffen.“ (22.3.1977), FDGB-Chronik, S. 294. In einem Dokument der ZPL des EKO vom 9.6.1980 (UA EKO 8932 [unpag.]) wird auf einen Aufruf der Jugendbrigade „Ernst Schneller“, veröffentlicht in der SED-Bezirkszeitung „Neuer Tag“ (Frankfurt/Oder) vom 24.5.1980, verwiesen, mit

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schen Brigadebewegung – gerade während der Ära Honecker – eine bedeutende Rolle, die im politischen Kalkül der SED-Führung und in ihrer propagandistischen Präsenz weit schwerer wog, als es ihr Anteil von maximal knapp 16 Prozent an der Gesamtzahl der am KdsA-Wettbewerb insgesamt beteiligten Arbeitskollektive würde vermuten lassen.27 Der starke quantitative Zuwachs brachte es auch in den 1970/80er Jahren mit sich, dass diese Massenbewegung nicht vollständig bis in jedes Detail von oben gesteuert werden konnte. Immer wieder kam es zu Wucherungen und Verselbständigungstendenzen der Art, dass in diesem oder jenem Betrieb von den lokalen Akteuren (Funktionäre bzw. Leiter, nicht „einfache“ Beschäftigte) bestimmte Kriterien im Kollektivwettbewerb besonders betont oder zusätzlich eingeführt wurden. (Dem wurde allerdings auch dadurch Vorschub geleistet, dass im Laufe der Jahre eine solche Vielzahl verschiedener Wettbewerbsformen und -initiativen existierte, dass kaum mehr jemand den Überblick behielt.) Keine dieser Tendenzen erreichte auch nur ansatzweise Ausmaße, die an die „Syndikalismus“-Affäre zu Beginn der 1960er Jahre heranreichten. Dennoch sah man sich oben von Zeit zu Zeit bemüßigt, steuernd einzugreifen. Dies zeigt bspw. ein 1982 auf Drängen der FDGB-Führung entstandenes gemeinsames Papier des Ministerrates, des FDGB-Bundesvorstandes und des Zentralvorstandes der DSF. Es enthielt konkrete Festlegungen „zur weiteren Qualifizierung des Kampfes“ um den Ehrentitel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ und die „Einordnung der Verleihung des Ehrennamens ‚Kollektiv DeutschSowjetische Freundschaft‘ sowie der Zuerkennung des Titels ‚Kollektiv bzw. Bereich der vorbildlichen Ordnung, Disziplin und Sicherheit‘ in den Kampf um den Ehrentitel“.28 Offenbar hatte die Gewerkschaftsführung Grund zu der Annahme,

27 28

dem das Kollektiv „hohe Maßstäbe für die Vorbereitung des X. Parteitages [der SED] gesetzt“ habe. Ein weiteres Beispiel von 1985/86 aus dem Stahl- und Walzwerk Riesa: Im Plan für die „Stahlwerkeraktion – XI. Parteitag“ (2. Etappe von Mai bis März 1986) heißt es: „Mit diesen Kollektiven sind durch die jeweiligen Fachdirektoren, mit Unterstützung der gesellschaftlichen Organisationen, öffentliche Wortmeldungen vorzubereiten, in denen das Bekenntnis zu höheren Aktivitäten in Vorbereitung des XI. Parteitages, unter Anwendung der traditionsreichen Initiativen zum Ausdruck kommt.“ Vorab werden in dem Dokument 15 Namen von „Schrittmacherkollektiven“ (darunter 9 Jugendbrigaden) aufgezählt, die sich immer wieder bei diversen Initiativen bewährt hätten. BLHA Rep. 502/1644 (unpag.). Aufgrund dieser herausragenden Bedeutung ist den Jugendbrigaden ein eigenständiges Kapitel (VI.) dieser Arbeit gewidmet. SAPMO-BArch, DY 32/1117 (unpag.) sowie (ebd.) eine Stellungnahme des ZV der DSF zu diesem vom FDGB-BuV eingebrachten Entwurf, verfasst vom Sekretär für Wirtschaftsfragen beim DSF-ZV, Berlin, 1.7.1982.

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dass die Vielzahl verschiedener Kollektivauszeichnungen eher verwirrend auf die Beschäftigten wirkte bzw. inflationäre Züge anzunehmen drohte, mit der Folge einer Entwertung der einzelnen Wettbewerbe und Auszeichnungen. Priorität sollte der KdsA-Wettbewerb besitzen, dem alle anderen Kollektivauszeichnungen unterzuordnen waren. Dementsprechend sollte es auch „keine gesonderten Programme und keine getrennten Rechenschaftslegungen bzw. Abrechnungen“ mehr geben und den Betrieben wurde nahegelegt, die „Zahl bisher verliehener Titel spürbar zu reduzieren“. Wohl nicht nur die FDGB-Spitze legte Wert auf die Feststellung, dass „Kernstück des Kampfes um den Ehrentitel (…) die konkreten Wettbewerbsverpflichtungen zur Erfüllung und gezielten Überbietung der Planaufgaben“ seien. „Alle Aufgaben und Vorhaben, die nicht ausschließlich diesem Ziel dienen, gehören nicht in die Wettbewerbsverpflichtungen.“ Es gehe darum, sich im sozialistischen Wettbewerb auf die „Lösung ökonomischer Aufgaben zu konzentrieren“ und konkrete Beiträge „zur entschiedenen Verbesserung des Verhältnisses von Aufwand und Ergebnis“ zu leisten.29 Dies hatte freilich 10 Jahre zuvor noch ganz anders geklungen, als auf Betreiben der FDGB-Führung die Kultur- und Bildungspläne für den Kollektivwettbewerb obligatorisch wurden. Nun, 1982, waren die wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten der DDR möglicherweise ein starkes Motiv, wenigstens verbal (wieder einmal) eine striktere ökonomische Fokussierung des Wettbewerbs anzumahnen. In einigen Kombinaten und Betrieben hatten verantwortliche Funktionäre und Leiter bezüglich der Anforderungen für die KdsA-Auszeichnung offenbar selbständig verschiedene zusätzliche Kriterien eingeführt, was in dem Papier von Ministerrat, FDGB und DSF unmissverständlich kritisiert wurde. Zwar sollten die Kollektive „Aktivitäten auf geistig-kulturellem und gesellschaftlichem Gebiet“ grundsätzlich in ihren jährlichen Kultur- und Bildungsplänen ausweisen, aber „Festlegungen über die Höhe des Solidaritätsbeitrages, über die Mitgliedschaft in der DSF u. a. gesellschaftlichen Organisationen, FZR [Freiwillige Zusatzrentenversicherung] u. a. gehören nicht“ in diese Pläne, wurde ausdrücklich betont.30 Abzulehnen seien überdies „auf eine formale zahlenmäßige Beteiligung hinauslaufende Verpflichtungen wie kollektive Kinobesuche und anderer Veranstaltungen (…), Blutspendeaktionen u. ä.“. Zumindest in solchen internen Papieren wurde darauf verwiesen, dass „die Teilnahme am geistig-kulturellen Leben (…) auf freiwilliger Basis“ zu erfolgen habe: „kein Werktätiger darf gezwungen werden, an

29 30

Ebd. Hervorhebung im Original.

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kollektiven Veranstaltungen teilzunehmen, um ‚Punkte zu sammeln‘. Jeder Formalismus und Schematismus, jede Reglementierung ist zu vermeiden.“31 Solche Praktiken waren offenbar weit verbreitet, da sich die Gewerkschaftsführung veranlasst sah, auf dem 10. FDGB-Kongress (Oktober 1982) öffentlich diese „schädliche Tendenz“ zu verurteilen, die „manchmal in einem gewissen Zahlenfetischismus in den Abrechnungsbögen von Wettbewerbsarbeitern und in Auffassungen mancher BGL ihren Nährboden finden“ würden. Die Betriebe wurden nun ausdrücklich angehalten, die geforderte Reduzierung und Vereinheitlichung der Wettbewerbe um Titel und Ehrennamen unter dem Dach des KdsAWettbewerbs, einschließlich der Beseitigung willkürlich eingeführter zusätzlicher Kriterien, „in den BKV verbindlich festzulegen“.

3. Die betriebliche Realität des Brigadewettbewerbs in den 1970/80er Jahren Im folgenden Abschnitt soll nun die betriebliche Ebene, primär am Beispiel des EKO und in deutlich geringerem Umfang des SWB, im Mittelpunkt stehen. Ergänzend werden punktuell auch relevante Informationen zu anderen Betrieben einbezogen, um zumindest für den ein oder anderen Aspekt durch Vergleiche die Erkenntnisse für die beiden hauptsächlich untersuchten Betriebe überprüfen zu können.

„Ausdruck einer zu wenig kritischen Wertung der real erreichten Leistungen“ – Brigadestatistiken ausgewählter Betriebe32 Unterschiede zwischen einzelnen, verschieden großen Betrieben diverser Branchen in Bezug auf den KdsA-Wettbewerb werden in Tabelle 11, als Ausgangswert zu Beginn der 1970er Jahre, sichtbar. Dabei überraschen weniger die deutlich niedrigeren Beteiligungsquoten in den kleineren Betrieben als vielmehr die enorme Diskrepanz zwischen Großbetrieben ein und derselben Branche, bspw. zwischen EKO und SKET auf der einen Seite, die 100 Prozent Beteiligung melden sowie dem SWB auf der anderen Seite, wo nicht einmal die Hälfte der Belegschaft teilnimmt. Die Tabellen 8 bis 12 bieten die Möglichkeit, einige interessante Vergleiche anzustellen. So hatte das EKO bereits 1970 ein hohes Ausgangsniveau, sowohl was 31 32

Ebd. Das Zitat stammt aus dem Bericht zur Auswertung des sozialistischen Wettbewerbs im EKO 1986. UA EKO 8931 (unpag.).

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die Teilnehmerzahlen als auch die KdsA-Auszeichnungen anbelangt und konnte diese Werte bis 1988 weiter erhöhen, stets deutlich über dem DDR-Durchschnitt liegend (Tabelle 8).33 Sehr auffällig sind in der Tabelle 9 die großen Differenzen, nicht nur zwischen dem EKO als Kombinatsstammbetrieb und den übrigen Werken, sondern vor allem zwischen den kleineren Betrieben.34 Im Vergleich dazu liegt der riesige Stammbetrieb der Chemischen Werke Buna 1987 leicht unter dem Kombinatsdurchschnitt (Tabelle 12), d. h. einige kleinere Betriebsteile weisen sogar höhere Quoten bei der Beteiligung am sozialistischen Brigadewettbewerb aus und keiner von ihnen fällt so deutlich ab wie einige im Bandstahlkombinat Eisenhüttenstadt.35 Für die teils sehr großen Unterschiede zwischen verschiedenen Betrieben eines Kombinates wurde in einer Untersuchung des FDGB Ende der 1970er Jahre, bezogen auf den VEB Herrenmode Dresden, eine ziemlich plausible Erklärung gegeben. In den 12 Betriebsteilen an unterschiedlichen Standorten hatten sich 1978 nur 2.633 von insgesamt 4.998 Beschäftigten (52,7 %) am „sozialistischen Arbeiten, Lernen und Leben“ beteiligt. Als Ursache wurde die „Übernahme von bisher bezirksgeleiteten Klein- und Kleinstbetrieben, einschließlich Heimarbeitern, in den Jahren 1977/78“ genannt.36 Diesen Eingliederungsprozess betrachtete man im FDGB-Apparat jedoch auch als Chance, die bislang in sehr viel geringerem Maße einbezogenen Belegschaften kleinerer Betriebe nun ebenfalls stärker in die sozialistische Brigadebewegung integrieren zu können: „Insgesamt geht es hierbei um die Ausnutzung des aus der Kooperation, Konzentration und Zentralisation erwachsenden Effekts der Bildung und Festigung der Kombinate für die weitere Entwicklung des Kampfes um den Ehrentitel (…) in allen Betriebsteilen bei gründlicher Auswertung der Erfahrungen beispielgebender Arbeitskollektive und Kombinatsbetriebe.“ Konkret empfohlen wurde deshalb u. a. zur „kontinuierlichen Überwindung der Niveauunterschiede in qualitativer und quantitativer Hinsicht (…) die Erfahrungsaustausche der Kollektive der BGL-Vorsitzenden entsprechend zu gestalten“.37 Die Ent33 34

35 36

37

Vgl. die Tabelle 1 und 3. Während die Walzwerke Finow (WWF) und Oranienburg (KWO) bereits 1981 hohe Werte aufweisen, liegen die Betriebe in Olbernhau (BWO) und Aken (MWA) im selben Jahr weit unter dem Kombinatsdurchschnitt, den sie – trotz erheblicher Steigerungen – auch 1986 nicht erreichen. Zu den Besonderheiten des VEB Buna Schkopau siehe den Aufsatz von Georg WagnerKyora, Karbidarbeiter in der Bargaining-Community, in: Hürtgen/Reichel, S. 191–216. SAPMO-BArch DY 34/11821 (unpag.); Gewerkschaftshochschule „Fritz Heckert“ beim FDGB-BuV, Mai 1979, Der Einfluss der Bewegung „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben“ (…), S. 83. Ebd.

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wicklung in den kleineren zum EKO gehörenden Kombinatsbetrieben zwischen 1981 und 1986 (Tabelle 9) deutet darauf hin, dass sich diese Hoffnung vielfach erfüllt hat, was wiederum als Indiz für die fortschreitende Durchdringung der Betriebe durch den Herrschaftsapparat gewertet werden kann. Für das Brandenburger Stahl- und Walzwerk (Tabelle 10) ist erkennbar, dass hier in puncto Beteiligung Anfang der 1970er Jahre ein sehr viel geringeres Ausgangsniveau bestand als im EKO, dieses aber dann offenbar sprunghaft gesteigert wurde und schließlich ab Mitte der 1980er Jahre auch deutlich über 90 Prozent lag. Allerdings ist im Vergleich der beiden Werke nicht zu übersehen, dass die Quote der mit dem KdsA-Titel ausgezeichneten Kollektive und noch auffälliger der ausgezeichneten Beschäftigten im SWB ab 1985 erheblich geringer ausfiel als im EKO und dabei sogar unter den DDR-Durchschnitt rutschte, nachdem für 1983 noch ein deutlich höherer Wert ausgewiesen worden war.

Wettbewerbsorganisation und Auszeichnungskriterien in den Betrieben Wie wurde nun der Wettbewerb der sozialistischen Kollektive organisiert und welche konkreten Kriterien für die Auszeichnung mit dem KdsA-Titel kamen zur Anwendung? Nicht einmal drei Wochen nachdem der 8. FDGB-Kongress die neuen „Grundsätze der weiteren Entwicklung der Bewegung ‚Sozialistisch arbeiten, lernen und leben‘ im sozialistischen Wettbewerb“ beschlossen hatte, legten der BGL-Vorsitzende und der Direktor für Ökonomie und Planung dem Leitungsgremium des EKO Mitte Juli 1972 gemeinsam ein Papier zur konkreten Umsetzung der darin getroffenen Neuregelungen vor. Der Forderung in den „Grundsätzen“ folgend wurde festgelegt, bis zum 30.9. d. J. eine entsprechende betriebliche Ordnung zu erarbeiten, um den Kollektiven des EKO rechtzeitig eine Orientierung für die Erarbeitung ihrer Wettbewerbsverpflichtungen zum neuen Planjahr bereitstellen zu können. Als Voraussetzung dafür wurde die Erarbeitung von Analysen über den Entwicklungsstand der einzelnen Kollektive durch alle Abteilungsleiter in Verbindung mit den jeweiligen gewerkschaftlichen Leitungen angeordnet.38 38

UA EKO 830, Bl. 110–119. Eisenhüttenstadt, den 18.7.1972, Vorlage für die Stammwerksberatung (regelmäßige Dienstberatung beim Direktor des EKO) zur Führung des Kampfes um den Titel KdsA (…). Diese beiden Instanzen – die BGL bzw. ZBGL und der ökonomische Direktor, dem eine spezielle Abteilung bzw. ein Büro für Wettbewerbe zugeordnet war – zeichneten (auf jeden Fall in den 1970/80er Jahren) für die Organisierung und Abrechnung des sozialistischen Wettbewerbes, d. h. auch für den KdsA-Wettbewerb, im EKO verantwortlich. Da dies im SWB genauso war, ist davon auszugehen, dass es sich

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Nach ausführlichen Diskussionen der staatlichen und gewerkschaftlichen Leitungen aller nachgeordneten Ebenen über die neuen Anforderungen hatten die staatlichen Leiter (also Abteilungsleiter o. ä.) durch eine „konkrete Aufschlüsselung der Planaufgaben (…), technisch begründeter Normvorgaben [… etc.] die Voraussetzungen zur Übernahme von ‚persönlichen schöpferischen Plänen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität‘ zu schaffen“. Bereits bis Ende August plante man durch eine „zielgerichtete politisch-ideologische Aufklärungsarbeit (…) in allen Abteilungen entsprechende Beispiele“ präsentieren zu können. Durch Betriebsfunk und Betriebszeitung sollte eine breite Öffentlichkeitsarbeit zu dieser Kampagne gewährleistet werden. Außerdem wurde ein Betriebsbereich (Bleche und Bänder) benannt, in dem „mit einem Kollektiv nach dem Beispiel der Brigade ‚Völkerfreundschaft‘ vom EKB eine ‚Schule der sozialistischen Arbeit‘ zu schaffen“ war. Schließlich sollten im gesamten EKO die öffentlichen Verteidigungen der Verpflichtungen der Kollektive für das Planjahr 1973 nach den neuen Maßstäben mit Wettbewerbsprogramm, Kultur- und Bildungsplan und individuellen Verpflichtungen systematisch vorbereitet werden.39 Die schnelle Reaktion auf die Beschlüsse des FDGB-Kongresses mit diesem klar strukturierten Maßnahmeplan deutet auf eingespielte Routine und einschlägige Erfahrungen in der Organisation und Durchführung des Kollektiv-Wettbewerbes im EKO bereits zu Beginn der 1970er Jahre hin, womit ein Gutteil der Erklärung für die vergleichsweise hohen Quoten hinsichtlich der Teilnahme und der KdsAAuszeichnungen gegeben scheint. Zum SWB hingegen existiert für diese Zeit kein vergleichbares Dokument. Es gibt im Gegenteil Indizien dafür, dass die sozialistische Brigadebewegung im Stahlund Walzwerk kurz zuvor beinahe zum Erliegen gekommen war und entsprechende Wettbewerbs-Routinen hier erst neu etabliert werden mussten.40 Die rasche Steigerung sowohl der Zahl der Teilnehmer als auch der verliehenen KdsATitel 1973/74 ist mit großer Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, dass Betriebsleitung und BGL des SWB die Organisation des „sozialistischen Arbei-

39 40

hierbei um eine allgemeingültige Struktur, zumindest für die Kombinate und größeren Betriebe in der DDR gehandelt hat. Ebd. In einer Rückschau von 1975 ist davon die Rede, dass 1970 lediglich 14 Kollektive am „Titelkampf“ teilgenommen hätten (BLHA Rep. 502/008 [unpag.], Kurzdokumentation über die Entwicklung des SWB nach dem VIII. Parteitag der SED [ca. Oktober 1975]). In einem Dokument von Anfang 1973 wird von der „Wiederaufnahme des Kampfes um den Ehrentitel“ in einer bestimmten Betriebsabteilung gesprochen. BLHA Rep. 502/894 (unpag.), Brandenburg, 24.1.1973, (Bereich) PS 10.3 (Gießbetrieb), Protokoll über die Verteidigung der Brigadeverpflichtungen (…).

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tens, Lernens und Lebens“ binnen weniger Jahre ähnlich intensiv betrieben wie ihre Eisenhüttenstädter Kollegen.41 Für das EKO liegen auch im weiteren Zeitverlauf bis Ende der 1980er Jahre Führungsdokumente vor, die keinen Zweifel an einer straffen, detailliert vorbereiteten Durchführung des Kollektivwettbewerbes aufkommen lassen.42 Dann gab es jährlich spezielle Richtlinien „zur Durchführung der Rechenschaftslegung der Kollektive zur Verteidigung bzw. Auszeichnung mit dem Ehrentitel“. 1977 bspw. wurden u. a. folgende Grundsätze zur Leistungsbewertung festgelegt: „Wie hat das Kollektiv die ihm von der staatlichen Leitung vorgegebenen konkreten, beeinflussbaren Kenziffern erfüllt, übererfüllt bzw. unterschritten?“ „Wie hat sich die Bewegung auf die Erziehung und Selbsterziehung der Kollektivmitglieder ausgewirkt?“ Zur Einschätzung sollten auch „solche Faktoren wie die sozialistische Einstellung zur Arbeit, Bereitschaft zur sozialistischen Hilfe, Patriotismus und proletarischer Internationalismus und beispielhafte Aktivitäten zur Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums“ herangezogen werden. Bewertet werden sollte außerdem die „Tätigkeit der Kollektivmitglieder bei der Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflichten“. All diese und weitere Punkte waren in öffentlichen Rechenschaftslegungen vor einem „gesellschaftlichen Gremium der jeweiligen Abteilung bzw. des Bereiches, dem verdienstvolle Vertreter der Kollektive angehören, unter Verantwortung des staatlichen Leiters und der AGL“ auszuwerten, und zwar durch mehrere Kollektive gleichzeitig, um den „Charakter des Erfahrungsaustausches und des Leistungsvergleiches der Rechenschaftslegungen zu gewährleisten“.43 Wie umfangreich und komplex die Palette der zum Titelkampf gehörenden Aktivitäten bereits Anfang der 1970er Jahren aussehen konnte, zeigt die (nicht einmal vollständige) Liste diverser Wettbewerbskriterien aus vier verschiedenen VEB des Bezirkes Halle (Tabelle 29).44 Deutlich wird an dieser Übersicht, dass 41 42

43 44

Siehe Tabelle 10. So wurden z. B. Ende 1975 einheitliche Maßstäbe für die Auszeichnung all jener Kollektive in den Betrieben des Bandstahlkombinates festgelegt, die den KdsA-Titel über den gesamten Fünfjahrplanzeitraum (1971–1975) hinweg erfolgreich verteidigt hatten. UA EKO 821, Bl. 163–165; Direktor für Ökonomie, Eisenhüttenstadt, 6.11.1975, GDVorlage für die Kombinatsleitungsberatung am 20./21.11.1975. UA EKO 8932 (unpag.), Direktor für Ökonomie, Eisenhüttenstadt, 6.12.1977, Gemeinsame Richtlinie des Direktors für Ökonomie und der BGL (…). BV des FDGB Halle, Abteilung Organisation/Kader, 12.2.1974, Analyse des Standes der auf dem 8. FDGB-Kongress beschlossenen Grundsätze (…), Anlage 1. SAPMO-BArch, DY 34/11820 (unpag.). Die Untersuchung fand in vier VEB des Bezirkes Halle statt: Pumpenwerk Halle, Chemische Werke Buna, August-Bebel-Hütte Helbra sowie BernardKoenen-Schacht Niederröblingen des Mansfeldkombinates. Methodische Hinweise, in welcher Form diese Untersuchung durchgeführt wurde sind leider nicht enthalten. Daher

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nicht alle Kollektive Verpflichtungen zu jedem einzelnen Kriterium eingingen. So gaben von den 70 untersuchten Brigaden zwar alle mehr oder weniger unverbindliche Verpflichtungen zu „höherer Qualität“ ab, aber nicht einmal 13 Prozent hatten die konkrete Regelung „neue Technik – neue Norm“ in ihr Wettbewerbsprogramm aufgenommen. Formal verfügten alle überprüften Kollektive über einen Kultur- und Bildungsplan, da dieser zwingend zu den Wettbewerbsunterlagen gehörte. Aber was dieser Plan im Einzelnen tatsächlich beinhaltete und ob die darin ausgewiesenen Vorhaben auch unter mehrheitlicher Beteiligung der Kollektivmitglieder realisiert wurden, ist damit nicht gesagt. Andererseits lassen auch einige Kriterien mit weit unter 100-prozentiger Beteiligung aufmerken. Dass zum Beispiel ca. zwei Drittel aller sozialistischen Brigaden konkrete Verpflichtungen zur „Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft“ (Mitarbeit in der „Kampfgruppe“, Delegierung einzelner junger Kollegen zum Ehrendienst in der NVA für 3 und mehr Jahre oder ähnliches) übernahmen, immerhin 60 Prozent als Patenbrigaden aktiv sein wollten oder jedes fünfte Kollektiv sich zur „geschlossenen Teilnahme am Parteilehrjahr der SED“ verpflichtete, sind doch relativ hohe Werte. Zu beobachten ist nicht nur an dieser Übersicht, dass die „harten“, konkreten ökonomischen Verpflichtungen im Bereich des „sozialistischen Arbeitens“ nicht selten gemieden bzw. eher pauschal und unkonkret formuliert wurden. „Weiche“ Kriterien aus dem Bereich des Kultur- und Bildungsplanes („sozialistisch Lernen und Leben“) hingegen nehmen im Verlauf der 1970er Jahre einen immer breiteren Raum bei den KdsA-Verpflichtungen ein. Letzteres entsprach zwar dem gesellschaftspolitischen Ziel der politisch-ideologischen Erziehung der breiten Masse der Werktätigen mit Hilfe der sozialistischen Brigadebewegung. Aber wenn der Eindruck richtig ist, dass in den Kollektivverpflichtungen nicht selten ein Ausweichen von „harten“ auf „weichere“ Kriterien erfolgte, war dies aus wirtschaftlicher Perspektive eine bedenkliche Entwicklung. Ähnlich wie im EKO existierte auch im SWB (zumindest seit Beginn der 1980er Jahre) eine sogenannte „Führungskonzeption zur Vorbereitung und Durchführung der Verteidigung des Ehrentitels KdsA“. In der Anlage zu dieser Wettbewerbskonzeption wurden spezielle Bewertungskennziffern für den (Quartals-)Wettbewerb der Schichtkollektive festgelegt.45 Dieses offiziell verpönte

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können die Angaben auch nicht als repräsentativ bewertet werden, sondern geben lediglich eine, vermutlich überdurchschnittlich positive, Tendenz wieder. Dabei handelte es sich u. a. um folgende Punkte (hier für das Jahr 1982/83): Beteiligung im Neuererwesen (je 1% Beteiligung = 0,5 Punkte), unfallfreies Arbeiten (10 Punkte), keine „U-Schichten“ (unentschuldigtes Fehlen) und Vorhandensein eines Patenschaftsvertrages (je 5 Punkte), Neuaufnahmen in die SED, Kampfgruppe, Zivilverteidigung und

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Punktesystem, das so oder ähnlich vermutlich nicht nur im SWB angewandt wurde, setzte zwar das Prinzip der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft in Parteien und Massenorganisationen nicht völlig außer Kraft. Durch die unmittelbare Verknüpfung mit dem Kollektivwettbewerb wurde aber die damit verbundene freie, zutiefst individuelle Entscheidung in den Interessen- und Einflussbereich des jeweiligen Kollektivs gerückt und somit ein, den gesellschaftspolitischen Zielen des SED-Regimes entsprechender Konformitätsdruck („freiwilliger Zwang“) erzeugt. Das Resultat war vielfach eine formale Anpassung, ohne wirkliche innere Überzeugung. Genau bestimmen lässt sich die tatsächliche Wirkung allerdings kaum, so dass ein breiter Interpretationsspielraum bleibt – wie es auch in der Praxis von Betrieb zu Betrieb mehr oder weniger deutliche Unterschiede und verschiedene individuelle Erfahrungen gegeben haben dürfte. Eine grundsätzlich positive Bilanz dieser Entwicklung wurde in der bereits zitierten 1979er FDGB-Studie gezogen: „Enorm zugenommen haben in den Kollektiven der sozialistischen Arbeit gesellschaftspolitische Aktivitäten auf dem Gebiet der Landesverteidigung, zur Mitarbeit in gesellschaftlichen Gremien und zur Verstärkung der internationalen Solidarität als Ausdruck der Wahrnehmung staatsbürgerlicher Verantwortung und als Kennzeichen sozialistischer Lebensweise der Arbeiterklasse.“46 Das Gros der Berichte und Statistiken stützt durchaus ein derart positives Resümee und basierte schließlich auf dem zumindest formaloberflächlich angepassten Verhalten der allermeisten Werktätigen. Die 1979er „Ordnung zur Organisierung der Bewegung sozialistisch arbeiten, lernen und leben“ für das EKO enthielt eine interessante Änderung.47 Darin wird erstmals die Möglichkeit der Auszeichnung der „den Kollektiven übergeordneten Leiter“ eingeräumt – „bei Erfüllung aller Anforderungen, die in der Ordnung an ihre Leitungstätigkeit gestellt sind und aktiver Einflussnahme auf die Entwicklung der Kollektive“. Allerdings war dies ein eher halbherziger Versuch der Tatsache Rechnung zu tragen, dass diese Akteure der mittleren betrieblichen Leitungsebene (Abteilungsleiter etc.) eine ganz entscheidende Rolle bei der Durchführung des Kollektivwettbewerbes spielten. Insofern war diese Auszeichnung für sie wohl nur

46 47

Freiwillige Feuerwehr (je 5 Punkte) bzw. unbegründeter Austritt aus der SED oder einer der Massenorganisationen je 5 Punkte Abzug), DSF: ab einer Mitgliederquote von 70% der Brigade (= 1 Punkt, ab 75% = 2, ab 80 = 3 etc. bis 100% = 10 Punkte). Waren alle bis 26jährigen in der FDJ, gab es 10 Punkte, gehörte auch nur ein Brigademitglied vor Erreichen dieser Altersgrenze nicht (mehr) der Jugendorganisation an, gab es statt der 10 glatte 0 Punkte.BLHA Rep. 502, Nr. 174 (unpag.). SAPMO-BArch, DY 34/11821 (unpag.). UA EKO 9205 (unpag.), Änderung der Anlage des BKV: Ordnung zur Organisierung der Bewegung (… 1979).

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ein schwaches Trostpflaster, denn dabei handelte es sich ausdrücklich nur um eine „moralische Anerkennung“, die mit „keiner finanziellen Zuwendung verbunden“ sein durfte. Offensichtlich war man sich der Inkonsequenz dieser Regelung aber bewusst, denn in einer späteren Version dieser Ordnung (von 1982) hieß es: „Bereichs- und Abteilungsleiter, denen mehrere Kollektive unterstellt sind, können in ihren Gewerkschaftsgruppen mit dem Titel ausgezeichnet werden“.48 Auch im Sinne der SED-Gesellschaftspolitik war dies durchaus konsequent: Selbst mittlere und leitende Angestellte sollten den Produktionsarbeitern nicht als herausgehobene Gruppe gegenüberstehen, sondern mit ihnen gemeinsam in der klassenlosen Gesellschaft der Werktätigen aufgehen. Geregelt wurde in dieser betriebsinternen Ordnung auch die Höhe der mit dem KdsA-Titel verbundenen Prämien. Danach wurde bei „Auszeichnung und erfolgreicher Verteidigung eine kollektive Anerkennungsprämie gewährt“, die sich auf 60 Mark pro Kollektivmitglied belief und „nicht mehr Bestandteil der Jahresendprämie“ sein durfte. Über die Verwendung sollte das Kollektiv entscheiden, wobei empfohlen wurde, sie „zur Gestaltung des geistig-kulturellen Lebens“ zu verwenden.49 Dieser Empfehlung scheint aber eine ganze Reihe von Kollektiven nicht gefolgt zu sein, denn 1982 wird noch hinzugefügt, dass für einzelne Kollektivmitglieder „kein Rechtsanspruch auf anteilige Auszahlung“ bestehe.50 Um eine größere Intensität des Kollektivwettbewerbes zu erreichen, wurde 1982 außerdem festgelegt, „quartalweise bzw. zu gesellschaftlichen Höhepunkten (…) in den Gewerkschaftsgruppen eine Rechenschaftslegung über die Ergebnisse im Titelkampf vorzunehmen“, die in den Abteilungen bzw. Bereichen von der jeweiligen Leitung auszuwerten war. Spätestens ab Mitte der 1980er Jahre wurden im EKO jährlich „(Hinweise und) Festlegungen zur Erarbeitung der Programme im Kampf um den Ehrentitel (bzw. zur Verteidigung des Ehrentitels) ‚Kollektiv der sozialistischen Arbeit‘“ für das bevorstehende Planjahr herausgegeben.51 48 49 50

51

UA EKO 9205 (unpag.), VEB Bandstahlkombinat „Hermann Matern“, EKO, Eisenhüttenstadt, 20.12.1982, Ordnung über die Verleihung und Bestätigung (…). Ebd., Ordnung zur Organisierung der Bewegung (… 1979). Ebd. Ordnung über die Verleihung und Bestätigung (… 1982). In beiden Versionen (1979 und 1982) waren identische Regelungen über Zusatzprämien im Falle der Erfüllung der „von der staatlichen Leitung vorgegebenen Kennziffern der Neuererbewegung“ (in Höhe von 20 Prozent der Kollektivprämie) und wenn es keine selbstverschuldeten Unfälle, Brände oder Havarien gab (zwischen 10 und 25 Mark je Produktionsarbeiter). Eine 20köpfige Brigade, der beide Zusatzprämien zustanden, kam so auf insgesamt 1.740 Mark, durchschnittlich 87 Mark pro Kollektivmitglied und Jahr. Diese Dokumente wurden (als Graudruck im A-5-Format) an alle BGL- und AGLMitglieder verteilt. Einleitend wurde darin immer auf die gerade aktuellen Wettbewerbsinitiativen und -losungen Bezug genommen. Für 1986 waren das z. B. „unsere gesamtbe-

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Regelmäßig wurden Beispiel- bzw. Initiatorenkollektive ausgewählt und öffentlich benannt. Für 1988 waren es gleich zehn, davon drei Jugendbrigaden, aus sieben verschiedenen Werken bzw. Betriebsteilen des EKO. Dass diesbezüglich nichts dem Zufall überlassen wurde, ist auch daran ablesbar, dass bspw. für 1986 schon im Juli des Vorjahres ein „gemeinsamer Arbeitsplan zur Vorbereitung von Beispielkollektiven“ durch die ZBGL und den ökonomischen Direktor des EKO aufgestellt wurde.52 Am Ende dieser Prozedur stand schließlich die „Veröffentlichung von Standpunkten der ausgewählten Kollektive sowie von Beispielen der […] Kultur- und Bildungspläne in der Betriebszeitung“. In der Auswertung des KdsA-Wettbewerbes 1986 hieß es zwar zunächst, dass sich „die Arbeit mit den Beispielkollektiven (…) bewährt“ habe, aber im Folgenden wurden – in seltener Klarheit – gravierende Probleme offenbart: „Die Auswahl der gleichen Kollektive über Jahre hinweg [mindere] deren Ausstrahlungskraft und Wirksamkeit in der ganzen Breite des Werkes und Betriebes. Ausgehend von den Anforderungen der Öffentlichkeitsarbeit erwachsen diesen wenigen Kollektiven oft hohe Belastungen, die meist nur von wenigen Kollektivmitgliedern mit den notwendigen propagandistischen Fähigkeiten getragen werden können. Das führt in den meisten Fällen zu Überlastungen, Routinearbeit und letztendlich zum Nachlassen der Bereitschaft als Beispielkollektiv zu wirken.53 Hervorzuheben ist hieran, dass es sich also über Jahre hinweg um dieselben wenigen Kollektive und, noch weiter einschränkend, innerhalb dieser Brigaden wiederum nur um wenige Kollegen handelte, auf deren Schultern die Last der aktiven, v. a. propagandistischen Wettbewerbsarbeit ruhte. Zunehmende Verschleißerscheinungen, sowohl bei den Betreffenden selbst als auch bezüglich der Wirkung der von ihnen getragenen Wettbewerbspropaganda, waren unvermeidlich. Betriebsleitung und ZBGL wussten offenbar keinen rechten Ausweg, denn sie „delegierten“ die Lösung des Problems schlicht an die „Leitungen der [einzelnen] Werke“, die daran vermutlich ebenso wenig ändern konnten. Die hier erörterten Dokumente zur Führung des KdsA-Wettbewerbes im EKO unterstreichen die Vorreiterrolle, die das Eisenhüttenkombinat diesbezüglich im

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triebliche Kampfposition ‚Klarer Standpunkt – hohe Leistung‘ in Verbindung mit den Initiativen ‚Weniger produzieren mehr‘, ‚Ideen, Lösungen, Patente‘ sowie der betrieblichen Wettbewerbsaktion ‚Produktionsverbrauch senken – kein Nationaleinkommen verschenken‘“. UA EKO 9205 (unpag.), in dieser Akte befinden sich die „(Hinweise und) Festlegungen …“ für die Planjahre 1986 bis 1988. Ebd., Direktor für Ökonomie/ZBGL, Eisenhüttenstadt, den 31.7.85, Gemeinsamer Arbeitsplan (…). UA EKO 8931 (unpag.), Direktor für Ökonomie, Eisenhüttenstadt, 23.3.1987, Vorlage für die GD-Dienstberatung betr. Einschätzung der Rechenschaftslegungen der Kollektive zur Verteidigung des Titels „KdsA“ für das Jahr 1986.

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Vergleich zu vielen anderen DDR-Betrieben einnahm. Die zügige und konkrete Umsetzung der jeweils neuen zentralen Ordnungen und Richtlinien zur Führung des Kollektivwettbewerbes erfolgte nämlich keineswegs überall so prompt wie im EKO. So konstatierte eine Studie der FDGB-Hochschule von 1979, dass der „Prozess der Erarbeitung betrieblicher Ordnungen für den Kampf um den Ehrentitel ‚Kollektiv der sozialistischen Arbeit‘ auf der Grundlage der neuen zentralen Ordnung nur sehr schleppend“ vorangekommen sei. Inzwischen gab es zwar in 39 von 42 untersuchten Betrieben entsprechende Anlagen zum BKV. Davon entsprachen jedoch „nur 6 weitgehend und 15 teilweise den Anforderungen der neuen Auszeichnungsordnung (…), 7 bezogen sich [immer noch] auf die gesetzlichen Grundlagen von 1972“.54 Vieles deutet darauf hin, dass die übergroße Mehrzahl der Betriebe, z. T. mit erheblicher zeitlicher Verzögerung, die zentralen Verordnungen zum KdsA-Wettbewerb zumindest formal in entsprechenden betrieblichen Ordnungen umsetzte, wobei wiederum ein tendenzieller Zusammenhang zwischen Betriebsgröße und Geschwindigkeit sowie Konsequenz in der Realisierung unterstellt werden kann.55 Sowohl bei der Ausarbeitung, insbesondere aber bei der Umsetzung der betrieblichen Dokumente zum Kollektivwettbewerb war von entscheidender Bedeutung, ob es ein zielgerichtetes „Zusammenwirken der Leitungskader, wie der Parteigruppenorganisatoren, Vertrauensmänner sowie der anderen Gruppenfunktionäre und der staatlichen Leiter“ auf den verschiedenen Ebenen des Betriebes gab,

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Studie: „Der Einfluß der „Bewegung ‚Sozialistisch arbeiten, lernen und leben‘ auf die Entwicklung der schöpferischen Aktivität der Arbeiterklasse (…), Gewerkschaftshochschule F. Heckert bei FDBG-BuV, Mai 1979; SAPMO-BA, DY 34/11821 (unpag.). Für das SWB bin ich nicht direkt auf entsprechende Dokumente gestoßen, fand jedoch in Wettbewerbsunterlagen einzelner Betriebsteile und Abteilungen verschiedene Hinweise darauf, dass es solche Papiere ähnlich wie im EKO auch im Brandenburger Stahl- und Walzwerk gegeben hat. Außerdem gibt es zumindest einen konkreten Verweis aus dem Jahr 1974 auf eine entsprechende betriebliche Ordnung als Anlage zum BKV in: Isle Pavel, Mitglied der Kommission Arbeit und Löhne des BuV des FDGB, Brandenburg, 26.2.1974, Untersuchung von Problemen der Wettbewerbsführung (…) im VEB SWB; SAPMO-BA, DY 34/11820 (unpag.). Für das Kombinat VEB Chemische Werke Buna Schkopau bspw. lässt sich deren Existenz konkret belegen, denn in einem Dokument wird ausdrücklich auf die „betriebliche Ordnung über die Verleihung und Bestätigung der erfolgreichen Verteidigung des Ehrentitels (…) vom 29.1.1986“ sowie auf die „gemeinsame Orientierung des Generaldirektors und Kreisvorstandes der IG Chemie, Glas und Keramik zur Erringung und Verteidigung des Ehrentitels für das Jahr 1987 vom 1.10.87“ sowie entsprechende „Maßnahmepläne der Direktionen“ verwiesen. SAPMO-BA, DY 34/ 27014 (unpag.).

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wie es bspw. vom FDGB-Bezirksvorstand Potsdam 1974 gefordert wurde.56 War diese Voraussetzung erfüllt, gab es in der Regel hohe Beteiligungs- und Auszeichnungsquoten im KdsA-Wettbewerb, denn die Organisation und Anleitung bis auf die unterste Ebene war der entscheidende Schlüssel für den (quantitativen) Erfolg der Brigadebewegung. Doch das funktionierte keineswegs überall immer reibungslos. Am häufigsten sträubten sich staatliche Leiter, (viel) Zeit für die Führung und Auswertung des Kollektivwettbewerbs aufzuwenden, weshalb bei ihnen, aber auch bei Gewerkschaftsfunktionären und Arbeitskollektiven selber „eine verstärkte politisch-ideologische Überzeugungsarbeit“ geleistet werden müsse, resümiert eine FDGB-Untersuchung von 1979.57

Hinter den Zahlen – Zur Praxis des KdsA-Wettbewerbs in den 1970/80er Jahren Trotz vieler Mängel, häufig unkonkreter Kriterien oder nur formaler Abrechnung ihrer Wettbewerbsergebnisse bekamen 1975 von den 378 teilnehmenden Kollektiven des EKO 328 (87 Prozent) den KdsA-Titel bestätigt bzw. verliehen. Weshalb die restlichen 50 Brigaden leer ausgingen, sagt der Bericht nicht bzw. nur für drei Kollektive, denen der Titel „wegen Alkoholgenuss am Arbeitsplatz“ nicht bestätigt wurde.58 Üblicherweise fanden die Rechenschaftslegungen der am Wettbewerb teilnehmenden Kollektive jeweils in der zweiten Januarhälfte für das Vorjahr statt. Daran nahmen neben den unmittelbaren Leitern und FDGB-Funktionären gelegentlich auch übergeordnete Leiter und Vertreter der BGL sowie anderer Kollektive teil. Zumeist rechneten mehrere Kollektive eines Bereiches bzw. einer Abteilung in einer gemeinsamen Veranstaltung ihre Verpflichtungen ab, so dass diese gleichzeitig als Erfahrungsaustausch deklariert werden konnte.59 Für 1976 vermerkt der entsprechende Bericht zum EKO, dass einige Kollektive das Fehlen der Jahresendabrechung, als entscheidende Grundlage zur Bewertung 56

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BV des FDGB Potsdam, Abt. Arbeit und Löhne, 1.2.1974, Vorlage zur Einschätzung über den Stand der Verwirklichung der auf dem 8. FDGB-Kongress beschlossenen Grundsätze (…);SAPMO-BA, DY 34/11820 (unpag.). Studie der FDGB-Hochschule „Der Einfluss der Bewegung (…)“ vom Mai 1979; SAPMO-BArch DY 34/11821 (unpag.). UA EKO 821, Bl. 62ff. Das beschriebene Prozedere fand so oder ähnlich in den allermeisten DDR-Betrieben statt, wobei die Abrechnung und Einschätzung der Ergebnisse für das zurückliegende Jahr zunehmend mit der Verteidigung der Kollektivverpflichtungen für das bevorstehende Jahr verbunden wurde. So die bereits zitierte Studie der FDGB-Hochschule vom Mai 1979; SAPMO-BArch DY 34/11821 (unpag.).

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der Planerfüllung, zum Zeitpunkt der Rechenschaftslegung moniert hätten. Sowohl die Tatsache, dass damit eine seriöse Abrechnung gerade der ökonomischen Kennziffern im Wettbewerb gar nicht möglich war, als auch der Umstand, dass sich lediglich einige Brigaden daran stießen, spricht Bände darüber, wie (wenig) ernst die enge Bindung des KdsA-Wettbewerbes an das tatsächliche wirtschaftliche Ergebnis des Betriebes genommen wurde. Der wie immer gemeinsam von der Abteilung Wettbewerbe und der BGL verfasste Bericht kritisiert, dass in einer ganzen Reihe von Produktionsabteilungen eine Vielzahl von Initiativschichten abgerechnet worden wären, die in der offiziellen Berichterstattung des EKO gar nicht vorkamen. Die dazu geführten Diskussionen hätten erkennen lassen, dass „noch nicht überall Klarheit über Inhalt und Aufgaben einer Initiativschicht“ bestünden, außerdem hätten sich viele Kollektive über die „mangelhafte Vorbereitung und ungenügende Auswertung solcher Initiativschichten durch die staatlichen Leiter“ beschwert. Ähnliche Anmerkungen tauchen auch in den Folgejahren immer wieder auf und legen den Schluss nahe, dass das bereits mehrfach benannte Problem der Kompensation diskontinuierlicher und somit ineffizienter alltäglicher Produktions- und Arbeitsabläufe durch Aktionismus in Form von Sonderoder Initiativschichten die Beschäftigten in vielen DDR-Betrieben bis zum Schluss begleitete.60 Im Bericht über die Rechenschaftslegung aller Wettbewerbskollektive des EKO für 1975 wurde auf ein weiteres Problem hingewiesen, das auch in den folgenden Jahren relevant blieb: „Infolge mangelhafter Aufschlüsselung der Planvorgaben auf die einzelnen Kollektive“ rechneten diese ihre Produktionsergebnisse innerhalb „ein und desselben Arbeitsbereiches“ nach unterschiedlichen Kriterien ab. „Das Gleiche gilt“, heißt es weiter, „für die Darstellung der Qualitätsarbeit des Kollektivs“. Das hatte freilich fatale Konsequenzen in Bezug auf ein zentrales Anliegen des Wettbewerbs, nämlich „dass das Kollektiv sich nicht in jedem Fall voll verantwortlich für die Erfüllung der ökonomischen Aufgaben (…) fühlt und sie auch ungenügend zum Gegenstand der Auseinandersetzung gemacht werden“.61 Defizite bezüglich Planaufschlüsselung und Wettbewerbskriterien, die eine Vergleich-

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UA EKO 814, Bl. 165ff. UA EKO 9205 (unpag.), Eisenhüttenstadt, 4.2.1976, Bericht der Kommission Arbeit und Löhne der BGL und der Abt. Wettbewerbe über Erfahrungen und Ergebnisse bei der Durchführung der Rechenschaftslegung der Kollektive (…) für das Planjahr 1975. Die jährlichen zusammenfassenden Berichte über die Rechenschaftslegungen aller Wettbewerbskollektive des EKO stellen überhaupt interessante Dokumente dar und sind für die Jahre ab 1975 vollständig vorhanden. Sie gewähren in unterschiedlichem Maße Einblicke, inwieweit die Verpflichtungen den oben erörterten Vorgaben entsprachen und tatsächlich realisiert wurden.

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barkeit zwischen verschiedenen Kollektiven ermöglichten, waren keineswegs Probleme, mit denen sich allein das EKO konfrontiert sah, sondern stellten wohl in allen Betrieben ständige Begleiter des sozialistischen Wettbewerbes dar.62 Das Niveau des geistig-kulturellen Lebens der Kollektive – also die Bereiche „sozialistisch lernen und leben“ betreffend – war nach Einschätzung der Verantwortlichen im EKO 1975 sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während die kulturelle Selbstbetätigung als durchgängig „schwach entwickelt“ bewertet wurde, hätte sich die „Qualität der Brigadetagebücher wesentlich verbessert“. Tendenziell sei „in zahlenmäßig nicht so starken Kollektiven ein regeres geistig-kulturelles Leben“ zu verzeichnen als in größeren Brigaden. Inhaltlich beschränke es sich in der Regel auf „das Hören von Vorträgen, die Teilnahme an Theaterveranstaltungen, die Durchführung von Brigadeabenden und den Besuch nationaler Gedenkstätten“. Neuerdings würden zunehmend „Radwanderungen, Familienausflüge in die Umgebung u. ä. Veranstaltungen mit großem Erfolg“ organisiert. Einige Kollektive, erwähnt wird u. a. die Bauabteilung, begründeten ganz und gar offenherzig, dass es ihnen „infolge des hohen Anteils der Feierabendarbeit (außerhalb des EKO) nicht möglich sei, ein reges geistig-kulturelles und gewerkschaftliches Mitgliederleben zu entwickeln“. Auch wenn diese überzeugende Begründung in den Quellen so gut wie nie auftaucht, weist sie doch auf eine wahrscheinlich verbreitete Praxis und eine klare Prioritätensetzung seitens einer wachsenden Zahl von Beschäftigten mit entsprechend attraktiven „Feierabend-Berufen“ hin.63 Die Mitte der siebziger Jahre noch relativ neuen und stark propagierten „Schulen der sozialistischen Arbeit“ fanden sich zwar in den Wettbewerbsverpflichtungen und -Abrechnungen fast aller Kollektive, wurden aber offenbar sehr lax durchgeführt. Die einen rechneten hierfür ihre „morgendlichen Diskussionen zu politischen Fragen“ ab, andere führten sie mal eben schnell in der Mittagspause durch und viele brachten sie lediglich formal in den Protokollen ihrer Gewerkschaftsversammlungen unter. Zumindest 1975 dürfte es diesem Bericht zufolge kaum ein „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ im EKO gegeben haben, das die

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Darauf wurde in diversen Untersuchungen immer wieder hingewiesen, so u. a. in der Studie der FDGB-Hochschule über die „Bewegung ‚Sozialistisch arbeiten, lernen und leben‘“ vom Mai 1979; SAPMO-BA, DY 34/11821 (unpag.). UA EKO 9205 (unpag.), Eisenhüttenstadt, 4.2.1976, Bericht der Kommission Arbeit und Löhne der BGL und der Abt. Wettbewerbe: Erfahrungen und Ergebnisse bei der Durchführung der Rechenschaftslegung der Kollektive (…) für das Planjahr 1975.

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Themen im Rahmen der „Schule der sozialistischen Arbeit“ auch nur annähernd den Vorgaben entsprechend abgearbeitet hat.64 Konkrete Reibungspunkte, v. a. zwischen den staatlichen Leitern und Gewerkschaftsfunktionären, traten vorrangig hinsichtlich der Gewichtung der unterschiedlichen Wettbewerbsbestandteile auf. Die Quellen legen nahe, dass es insbesondere hauptamtliche FDGB-Kulturfunktionäre in den Apparaten und Vorständen ab Kreisebene aufwärts bzw. in größeren Betrieben waren, die einen zu geringen Stellenwert der Bereiche „sozialistisch lernen und leben“ in der Wettbewerbspraxis der Betriebe beklagten. Es werde „vielfach die Einheit von Politik, Ökonomie, Ideologie und Kultur nicht verwirklicht“, heißt es in einer FDGBUntersuchung Ende der 1970er Jahre. Viele Gewerkschaftsfunktionäre seien der Meinung, die „ökonomische Seite werde überbewertet bzw. ausschließlich hierauf von Seiten der staatlichen Leiter Einfluss genommen“. Die Verfasser der Untersuchung resümierten, dass „insgesamt aus den vorliegenden Berichten eine Stagnation auf den Gebieten des sozialistischen Lernens und Lebens“ zu erkennen sei. Neben der beanstandeten einseitigen Prioritätensetzung wurden weitere Hemmnisse für eine stärkere Entwicklung des „geistig-kulturellen Lebens“ benannt, u. a. eine „hohe Anzahl von Überstunden, Schichtarbeit und große territoriale Einzugsgebiete“, d. h. lange Wegezeiten der Beschäftigten.65 Eine ähnliche Entwicklung gab es im EKO, wo es 1982 sachlich-nüchtern hieß: „Die Kultur- und Bildungsarbeit ist auf den notwendigen wirtschaftlichen Leistungsanstieg zu orientieren.“66 So wurde bspw. im Bericht zum 1986er Kollektivwettbewerb des EKO zum einen festgestellt, dass „insgesamt (…) die Einflussnahme der staatlichen Leiter auf den Titelkampf zu gering“ sei und zum anderen „in der Beurteilung der Kollektivleistungen (…) zu einseitig nur auf die ökonomischen Ergebnisse eingegangen“ wurde.67 Eine in den 1980er Jahren deutlich abnehmende Tendenz der Bedeutung, die dem „sozialistischen Lernen und Leben“ in der Wettbewerbspraxis der Betriebe beigemessen wurde, ist unübersehbar. Dass angesichts der spürbar wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Betriebsalltag 64

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Siehe dazu Kapitel V.4. Einen ganz ähnlichen Befund liefert der Bericht für das Wettbewerbsjahr 1977, so dass also auch keine Tendenz der Besserung im Sinne der Vorgaben des FDGB zu erkennen war. UA EKO 1715, Bl. 165ff., hier Bl. 170. SAPMO-BArch, DY 34/11821 (unpag.), Auswertung der Betriebsuntersuchungen der Klassen 7–10 des 18. Dreijahreslehrganges zum Studium von Ergebnissen und Erfahrungen bei der Verwirklichung der vom 9. FDGB-Kongress gestellten Anforderungen an die weitere Entwicklung der Bewegung (…), ca. 1978. UA EKO 9205 (unpag.), Eisenhüttenstadt, 20.12.1982, Ordnung über die Verleihung und Bestätigung der erfolgreichen Verteidigung des Ehrentitels (…). UA EKO 8931 (unpag.), Eisenhüttenstadt, 23.3.1987, Einschätzung der Rechenschaftslegungen der Kollektive (…).

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selbst eines solchen Vorzeigebetriebes wie des EKO kaum mehr formal die eingeschliffenen ideologisch-gesellschaftspolitischen Rituale im Rahmen des KdsAWettbewerbs eingehalten wurden, kann als deutliches Krisensymptom gedeutet werden. Hinsichtlich der gemeinsamen Freizeitbetätigung der Kollektivmitglieder vermerkt der 1976er EKO-Bericht: „Im schnelleren Maße entwickelten sich Formen der Geselligkeit, während die höheren Werte der Kultur noch vernachlässigt werden.“ Diese Tendenz war keineswegs neu, sondern von Anfang an zu beobachten – und sie hielt bis zum Ende an. Ihrer Rolle als Patenbrigaden bemühten sich, der Wettbewerbsauswertung von 1976 zufolge, die meisten Kollektive gerecht zu werden. Vermutlich übertreibend hieß es wörtlich, dass „diese Seite staatsbürgerlicher Verantwortung einen breiten Raum im Leben der Kollektive“ einnehme.68 Unkonkret und plakativ-beschönigend liest sich das Resümee zum 1976er Kollektivwettbewerb: Zwar seien „noch nicht alle Potenzen und Möglichkeiten voll genutzt“ worden, aber insgesamt habe die „Bewegung ‚Sozialistisch arbeiten, lernen und leben‘ (…) einen wirkungsvollen Beitrag“ geleistet, die „sozialistische Demokratie im Betrieb weiter zu entwickeln und die Kollektivmitglieder zur staatsbürgerlichen Verantwortung bei der Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben zu erziehen“.69 Der unübersehbare Widerspruch zu den – oftmals (wie auch hier) im selben Bericht festgehaltenen – eher ernüchternden konkreten Aussagen zu einzelnen Wettbewerbsfeldern weist deutlich auf das hohe Maß an Wunschdenken hin, durch das solche Einschätzungen häufig geprägt waren. Die 1977 wiederholte Klage, dass „kulturelle Veranstaltungen mit höheren Ansprüchen“ wie gehabt einen zu geringen Anteil in der gemeinsamen Freizeitgestaltung der Kollektive einnehmen würden, war keineswegs neu. Interessant hingegen war die mitgelieferte Erläuterung: „Ein Teil der Kollektivmitglieder“, hieß es, folge bezüglich der Teilnahme an den weniger beliebten, aber von oben erwünschten Veranstaltungen der Hochkultur einer „gewissen kollektiven Disziplin“. Die gerade vom FDGB-Bundesvorstand öffentlich wiederholte „Orientierung (…), Aktivitäten insbesondere auf geistig-kulturellem Gebiet nicht durch eine kollektive Wettbewerbsdisziplin zu motivieren, sondern durch Freiwilligkeit und Überzeugung“, entlockte einer „Reihe von Kollektivleitern (…) die Befürchtung“, dass damit der „Anteil der an Veranstaltungen mit höherem Niveau teilnehmenden

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Damit wurde aber wahrscheinlich weniger über die Qualität und Intensität der Patenschaftsarbeit als vielmehr über das noch geringere Niveau der Aktivitäten des Gros der Kollektive bezüglich des „sozialistischen Lebens“ insgesamt ausgesagt. Zum Thema Patenbrigaden siehe das Kapitel V.5. UA EKO 814, Bl. 165ff.

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Kollektivmitglieder noch geringer wird“.70 Auch diese Einlassungen sind ein beredtes Zeugnis dafür, wie weit der Anspruch und das offizielle Bild von SED und FDGB von der Realität des Brigadelebens in den Betrieben entfernt waren. In den achtziger Jahren setzte sich im EKO die rückläufige Tendenz bezüglich des kulturell-geselligen Lebens fort, was von Seiten der Kollektive zumindest teilweise mit „dem Wegfall der [kostenlosen!] Busfahrten und fehlenden Räumlichkeiten im Territorium“ begründet wurde.71 Dem 1981er Bericht zufolge standen „im Vordergrund der Wertungen (…) der Kultur- und Bildungspläne“ folgende Fragen: „Wie hat sich der politisch-ideologische Erziehungsprozess auf die kollektive Entwicklung ausgewirkt? Wie werden die fachlichen Bildungsaufgaben entsprechend der betrieblichen Erfordernisse erfüllt? Wie hat das geistig-kulturelle und sportliche Leben die Leistungsbereitschaft der Kollektivmitglieder gefördert? Wie sind die Aufgaben der Landesverteidigung im Kollektiv entwickelt? Wie werden die Patenschaftsbeziehungen zur kommunistischen Erziehung der Schuljugend entwickelt?“72 Ob diese Ideologielastigkeit im Brigadealltag auch nur annähernd so stark ausgeprägt war, wie es durch diese Fragen suggeriert wird, darf bezweifelt werden.73 In den letzten Jahren änderte sich im EKO und anderswo nur noch wenig an den eingespielten Wettbewerbsroutinen. Formal nahmen fast alle Kollektive am KdsA-Wettbewerb teil und (weit) über 90 Prozent von ihnen wurde der Titel Jahr für Jahr bestätigt bzw. verliehen, obwohl die internen Berichte immer wieder mehr oder weniger deutlich durchblicken lassen, dass die Anforderungen in verschiedensten Bereichen nicht wirklich erfüllt wurden. So heißt es bspw. für 1986 lapidar: „8.897 Werktätige arbeiten nach einer persönlichen Verpflichtung, 70 71

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UA EKO 1715, Bl. 165ff., hier Bl. 169. UA EKO 1991, Bl. 231; hier zitiert aus dem Bericht für 1981. Ganz ähnliche Formulierungen finden sich im 1986-er Bericht, wo u. a. von einer „ungenügenden materiellen Basis für Kultur- und Kunstveranstaltungen“ und von einem daraus resultierenden „nicht ausreichenden und den veränderten Bedingungen entsprechenden kulturellen Angebot im Betrieb und Territorium“ sowie einem „mangelnden Angebot öffentlicher Verkehrsmittel“ die Rede ist. UA EKO 8931 (unpag.), DfÖ, Eisenhüttenstadt, 23.3.1987, Vorlage für die GD-Dienstberatung, betr. Einschätzung der Rechenschaftslegungen der Kollektive (…) für das Jahr 1986. Man kann sich ausmalen, wie es in vielen anderen Betrieben und Städten diesbezüglich aussah, wenn schon aus einem privilegierten Großbetrieb in der vergleichsweise großzügig geförderten „ersten sozialistischen Stadt“ derartige Klagen laut wurden. UA EKO 1991, Bl. 231. Aus den Quellen lässt sich dies nur vage beantworten, wenngleich die Wahrscheinlichkeit großer Differenzen zwischen dem offiziellen Wunsch-Bild und der Realität auch in diesem Punkt recht hoch ist und viele Indizien (z. B. Brigadetagebücher aus den 1980er Jahren) für eine solche Interpretation sprechen.

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389 Ingenieure nach einem Ingenieurpass und 304 Meister nach einem Pass des Meisters. Die Qualität der [vorgenannten] Einzelverpflichtungen ist in der Mehrzahl nicht ausreichend.“ Aber die Statistik stimmte: Fast 9.600 persönliche Verpflichtungen, d. h. von über 80 Prozent der EKO-Belegschaft sind schließlich eine stolze Zahl. Die hervorragende statistische Bilanz des 1986er Kollektivwettbewerbes quittierten selbst die Berichterstatter von BGL und Wettbewerbsabteilung nicht etwa mit euphorischem Jubel, sondern mit wohl begründeter Skepsis: „Gemessen an den Ergebnissen in der komplizierten und problemhaften Planrealisierung im Jahr 1986 wird das Verhältnis von 15 nicht ausgezeichneten Kollektiven von insgesamt 548 als Ausdruck einer zu wenig kritischen Wertung der real erreichten Leistungen“ angesehen.74 Dass 1987 mit 32 Kollektiven mehr als doppelt so viele Brigaden wie im Vorjahr den KdsA-Titel nicht erhielten, wurde sogleich als Qualitätssprung in der „objektiv-kritischen“ Bewertung der Arbeit der Kollektive durch die Verantwortlichen in den Abteilungen und Bereichen gefeiert.75 Aber eine ernsthafte, generelle Tendenz zu einer gänzlich nüchtern-realistischen Bewertung anhand klarer, einheitlicher Kriterien war dies freilich nicht, denn schon ein Jahr später, 1988 (im letzten Wettbewerbsjahr), sank die Zahl der Nichtausgezeichneten trotz weiter

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UA EKO 8931 (unpag.), Bericht für 1986. 1978 war im EKO erstmals eine vollständige Liste erstellt worden, welche Kollektive aus welchen Bereichen bzw. Abteilungen aus welchen Gründen nicht ausgezeichnet wurden. 20 von 396 teilnehmenden Kollektiven hatten demnach den Titel nicht bestätigt bekommen. Zur Begründung wurden am häufigsten Unfälle, Havarien und Brände genannt, aber auch Nichterfüllung der ökonomischen Zielstellungen, Inventurdifferenzen, mangelhafte Ordnung und Sauberkeit, zu viele Fehlschichten bzw. Disziplinverstöße, zu niedrige Solidaritätsspenden, zu geringe gesellschaftliche Aktivitäten oder „Nichterfüllung der Verpflichtungen auf politisch-ideologischem Gebiet“ bzw. des Kultur- und Bildungsplanes. UA EKO 1874, Bl. 255ff., hier Bl. 258f. Im darauffolgenden Jahr kam es im EKO zu einer Aberkennung des KdsA-Titels für eine Brigade, was eine schärfere und sehr selten angewandte Form im Vergleich zur Nichtbestätigung der Auszeichnung darstellte. Betroffen war das Kollektiv „7. Oktober“ vom Werkbahnhof Ziltendorf mit 38 Werktätigen. Begründet wurde diese Aberkennung mit „ernsthaften Verstößen einer Vielzahl von Mitgliedern des Kollektivs, die mit den Prinzipien der Bewegung ‚sozialistisch arbeiten, lernen und leben‘ im Widerspruch stehen und Gesetze des sozialistischen Staates in grober Weise verletzt haben“. UA EKO 1954, Bl. 185; UA EKO 9205 (unpag.), Betr. Aberkennung des Ehrentitels „KdsA“, Bereich Werkverkehr an Generaldirektor, Eisenhüttenstadt, 29.2.80. UA EKO 8931 (unpag.), DfÖ, Eisenhüttenstadt, 8.4.1988, Vorlage für die GDDienstberatung „Einschätzung der Rechenschaftslegung (…) für das Jahr 1987.

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steigender Gesamtteilnehmerzahl wieder ab, und zwar auf 26 von 568 Wettbewerbskollektiven.76 Solche Schwankungen der KdsA-Auszeichnungsquote hat es in den 1980er Jahren auch im SWB (Tabelle 10) gegeben. So erhielten allein im SM-Stahlwerk 9 von 29 Kollektiven für das Jahr 1985 den KdsA-Titel nicht, weil es in diesen Brigaden gravierende Arbeitsunfälle gegeben hatte.77 Darüber, ob es noch andere Gründe für die 1985 vergleichsweise große Zahl nicht ausgezeichneter Kollektive im SWB gab, kann mangels weiterer Belege nur gemutmaßt werden. Möglicherweise wurde in diesem Jahr besonders streng auf die Unfallbilanz geachtet und/oder es passierten besonders viele Unfälle und eine allgemein verbesserte Vorsorge und Aufmerksamkeit in den Folgejahren ließ die Unfallzahlen deutlich sinken und zugleich die KdsA-Auszeichnungsquote wieder ansteigen, die selbst auf dem Tiefpunkt (1985) noch bei 78 Prozent gelegen hatte. Der 1988er Bericht zum Kollektivwettbewerb im EKO verrät eine Methode zur Verbesserung der KdsA-Statistik, die seit Längerem praktiziert, aber kaum explizit erwähnt wurde. Hier waren bei 2 Hochofenbrigaden einmal 11 von 28 und in dem anderen Fall 7 von 27 Kollegen von der Kollektivauszeichnung ausgeschlossen worden. „Im Interesse des positiven Kerns der Kollektive [sei] nach eingehender Beratung im Bereich auf eine Auszeichnung dieser Kollektive entschieden“ worden.78 Das ausdrückliche Ziel der sozialistischen Brigadebewegung, alle Werktätigen einzubinden und dementsprechend die Auszeichnung mit dem KdsA-Titel davon abhängig zu machen, ob das jeweilige Kollektiv als Ganzes durch „Erziehung und Selbsterziehung“ die Kriterien des sozialistischen Arbeitens, Lernens und Lebens erfüllt, wurde mit dieser nicht nur im EKO angewandten Praxis allerdings massiv unterlaufen bzw. aufgegeben.79 76 77 78 79

UA EKO 8931 (unpag.), DfÖ, Eisenhüttenstadt, 20.3.1989, GD-Information, Einschätzung der Rechenschaftslegungen der Kollektive (…) für das Planjahr 1988. SWB, BGL PS, Brandenburg, 4.3.1986, Abschlussprotokoll zur Ehrentitelverteidigung (…); BLHA Rep. 502/1666 (unpag.). UA EKO 8931 (unpag.), DfÖ, Eisenhüttenstadt, 20.3.1989, GD-Information, Einschätzung der Rechenschaftslegungen der Kollektive (…) für das Planjahr 1988. Für das SWB seien zwei ähnliche Fälle zitiert: 1973 hatte die Brigade „Julian Grimau“ insgesamt 19 sogenannte U-Schichten (U = unentschuldigtes Fehlen) zu verzeichnen, was eine Auszeichnung mit dem KdsA-Titel eigentlich ausschloss. Da aber am Ende des Jahres 3 der 4 dafür verantwortlichen Kollegen die Brigade (wieder) verlassen hatten (1 Betriebswechsel, 1 „wieder in Haft genommen“, 1 in eine andere Brigade gewechselt), konnten die übrigen Kollegen schließlich doch den Kollektivtitel entgegennehmen. Zur Begründung hieß es dazu im Rechenschaftsbericht: „Abschließend muss gesagt werden, dass sich der Stamm des Kollektivs häufig mit Kollegen auseinanderzusetzen hatte, die ihren Aufgaben in einem sozialistischen Betrieb und darüber hinaus in unserem Staat nicht im-

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Das sahen offensichtlich auch die FDGB-Funktionäre bei Buna in Schkopau so. Dort waren 1987 „291 Werktätige auf Antrag der [jeweiligen] Gewerkschaftsgruppe [des Kollektivs/der Brigade] vom erfolgreichen Titelkampf ausgeschlossen“ worden. Im Kombinat belief sich diese Zahl sogar auf insgesamt 475 Beschäftigte (vgl. Tabelle 12). „Hauptursachen waren Verstöße gegen die Arbeitsund Produktionssicherheit, mangelnde Arbeitsdisziplin und Alkoholgenuss während der Arbeitszeit. Dieser Anteil ist außergewöhnlich hoch“, hieß es besorgt. Und ratlos-resigniert weiter: „Dieser Weg des Einzelausschlusses kann nur in geringen Ausnahmefällen zugelassen werden, da sonst das eigentliche Anliegen des Titelkampfes verloren geht.“ Kaum überzeugender wirkt das Rezept zur Überwindung des damit verbundenen offenbar massiven Problems: „Hier müssen künftig die Vertrauensleute und vor allem die Meister und Kollektivleiter ihre Verantwortung in der politisch-ideologischen Arbeit und im Erziehungsprozess noch stärker wahrnehmen.“80 Berücksichtigt man, dass im selben Jahr 61 Kollektiven im Kombinat Buna der KdsA-Titel nicht bestätigt wurde und weitere 132 Brigaden aus den selben Gründen („ungenügende Ordnung und Disziplin, Arbeitszeitverletzungen und Alkoholmissbrauch“) gar nicht erst zur Titelverteidigung antraten, wird das Ausmaß des Problems erahnbar. Die Idee, buchstäblich alle Menschen im arbeitsfähigen Alter durch Erwerbsarbeit in die Gesellschaft zu integrieren und die Verantwortung für diese Integration im Wesentlichen den Arbeitskollektiven mit ihrer vermeintlich unbegrenzten Fähigkeit, jeden zu erziehen und zu disziplinieren, zuzuschieben, stieß hier unübersehbar an ihre Grenzen. Viele Brigaden und Kollektive waren damit schlicht überfordert, fühlten sich allein gelassen und reagierten letztlich mit der Ausgrenzung derer, die ihnen die Kollektivnorm, d. h. die Prämien verdarben.81

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mer gerecht wurden. (…) Nur durch die gute Arbeit der anderen Brigademietglieder konnten wir die Missstände wieder ausgleichen.“ BLHA Rep. 502/894 (unpag.), P 5 – Drahtzieherei und Konsumgüterproduktion, Brandenburg, 25.1.74, Protokoll. Ein ganz ähnlicher Fall, 1985: Einer ansonsten tadellosen Jugendbrigade werden 48 Fehlschichten angelastet. Verursacher war ein einziger Kollege. Im Rechenschaftsbericht ist lediglich lapidar vermerkt: „Seit Mitte Dezember gehört er nicht mehr zum Kollektiv. 48 F-Schichten sind 48 zuviel. Es bleibt nur zu wünschen, dass von staatl. Seite schnellere Reaktionen zu verzeichnen wären.“ BLHA Rep. 502/1666 (unpag.). KV IG Chemie (…) Kombinat VEB Chem. Werke Buna, Schkopau, 25.2.1988, Einschätzung des Verlaufes und der Ergebnisse der Titelverteidigungen (…), SAPMO-BArch DY 34/27014 (unpag.). Was den Erziehungsaspekt angeht, waren die Betriebe z. T. stark in die Jugendhilfearbeit eingebunden, sollten bei der „Organisierung des gesellschaftlichen Einflusses“ mitwirken. Eine Forschungsarbeit zu diesem Thema resümiert 1998, dass „die Betriebe und Brigaden von den vielfältigen pädagogischen Anforderungen teilweise schlicht überfordert“ gewesen

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Für die Erringung bzw. Verteidigung des KdsA-Titels gab es 1980 im EKO eine Prämie von 60,- Mark pro Brigademitglied. Erfüllte das Kollektiv sein Soll an Neuerervorschlägen, gab es einen Zuschlag von 12,- Mark pro Arbeitskraft. Blieben die Kollektive unfallfrei und vermieden Havarien sowie Brände, gab es zwischen 10,- und 25,- Mark Zusatzprämie je Arbeitskraft.82 Insgesamt wurden im KdsA-Wettbewerb 1980 an die Beschäftigten des EKO 600.808 Mark Prämien ausgezahlt, verteilt auf 422 Brigaden mit 8.143 Mitgliedern (im Durchschnitt ca. 74 Mark/Beschäftigten).83 1986 wurden im Vergleich dazu insgesamt 730.000 Mark für den „Fonds zur Anerkennung und Verteidigung des Ehrentitels“ eingeplant, was angesichts der gestiegenen Beschäftigtenzahl ein etwa gleichbleibendes Niveau der durchschnittlichen KdsA-Prämien bedeutete.84 Allgemein üblich war in den meisten Betrieben Ende der 1970er Jahre eine „materielle Anerkennung“ zwischen 50 und 100 Mark pro Kollektivmitglied, wobei in der Regel bei der (Erst-)Auszeichnung etwas mehr gezahlt wurde als bei den nachfolgenden KdsA-Titelverteidigungen. Allerdings scheint es auch Abweichungen nach oben und unten gegeben zu haben, denn den FDGB erreichten

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seien. Exemplarisch wird der Fall eines 17-jährigen, der in der Garderobe des Werkes X einen Diebstahl begangen hatte, aus der zweiten Hälfte der 1960er Jahre geschildert. Staatsanwaltschaft und Polizei hatten diesen Fall an die betriebliche Konfliktkommission abgegeben, die folgende Festlegungen/Einschätzung traf: „A., der sonst fleißig ist und in seinem Beruf vorwärtsstrebt, schon zum Direktstudium zur Ingenieurschule delegiert werden sollte, kann bestimmt durch seine direkte Umgebung besser erzogen werden. Seine Arbeitskollegen werden entscheiden, welche geeigneten Erziehungsmaßnahmen notwendig werden. Sie werden A. nicht verdammen, nein, sie werden ihm helfen. (…) A. wird eine gesellschaftliche Missbilligung ausgesprochen. (…) Die sozialistische Brigade wird sich in Zukunft eingehend mit A. befassen, ihm in seinen Sorgen und Nöten mit Tat und Rat zur Seite stehen. (…) A. begreift, dass seine Kollegen es gut und aufrichtig meinen, er weiß, sie wollen ihm helfen. Die sozialistische Brigade wird sich seiner weiter annehmen. A. weiß, dass er das Vertrauen der Kollegen seiner sozialistischen Brigade nicht missbrauchen darf.“ Christoph Bernhardt/Gerd Kuhn, Keiner darf zurückgelassen werden! Aspekte der Jugendhilfepraxis in der DDR 1959–1989, Münster 1998, S. 154f. UA EKO 8930 (unpag.), Zusammenstellung der Prämienmittel für „KdsA“ (1980); UA EKO 9203 (unpag.), Zuarbeit: Beschluss des Politbüros vom 30.4.1985 über „Grundsätze für die Gewährleistung einer hohen technologischen Disziplin, Ordnung und Sicherheit …“. Die Abweichung der Zahl von 8.143 ausgezeichneten Kollektivmitgliedern gegenüber der in Tabelle 8 für 1980 ausgewiesenen Zahl resultiert aus den unterschiedlichen Angaben in verschiedenen Dokumenten. Den Neuererzuschlag erhielten 228 Brigaden und 204 den für unfallfreies Arbeiten. Im 1985er Wettbewerb erhielten übrigens nur noch 142 Kollektive die Zusatzprämie aufgrund erfüllter Neuereraufgaben, eine deutlich fallende Tendenz. UA EKO 2026, Bl. 92. UA EKO 2026, Bl. 97ff., hier Bl. 98.

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auch Beschwerden über „ungerechtfertigte, unterschiedliche materielle Stimulierung zwischen Betrieben in einem Territorium“, d. h. bspw. kleinere Betriebe mit minimalen Prämienfonds konnten z. T. deutlich geringere Kollektivprämien zahlen als benachbarte Großbetriebe.85 Die ständig steigende Zahl der Arbeitskollektive, die den Ehrentitel errangen bzw. verteidigten, führte offenbar dazu, dass bspw. in den Buna-Werken Mitte der 1980er Jahre nur noch bei der Erstauszeichnung sowie der fünf-, zehn- und fünfzehnmaligen KdsA-Titelverteidigung Prämienzahlungen erfolgten. Wenig überraschend führte diese Praxis allerdings „zunehmend zu Problemen“, d. h. zu Unzufriedenheit und Motivationsverlust bei den Arbeitskollektiven, weshalb der zuständige Kreisvorstand der IG Chemie vorschlug, zur jährlichen Prämiierung im KdsA-Wettbewerb zurückzukehren.86 Im EKO scheinen die eher geringen Prämien z. B. zur zusätzlichen Stimulierung unfallfreien Arbeitens zunehmend an Anziehungskraft verloren zu haben, weshalb 1988 in einer Vereinbarung zwischen dem Generaldirektor und der ZBGL hierzu eine Neuregelung erfolgte. Deren Kern bestand darin, dass nun die Kollektivleiter (dem Dokument zufolge in aller Regel Meister) eine gesonderte Prämie zwischen 20 und 30 Mark je Halbjahr bekamen, wenn ihre Brigaden unfallfrei blieben.87 Dies bestätigt den in den 1980er Jahren zu verzeichnenden zaghaften Trend einer etwas besseren Bezahlung und Prämierung des unteren und mittleren Leitungspersonal, der Einsicht folgend, dass von ihrem Engagement in der Regel deutlich mehr abhing, als dies in ihrer vergleichsweise schlechten Entlohnung zum Ausdruck kam. Immer wieder tauchen in den Zusammenfassungen über die KdsA-Rechenschaftslegungen im EKO Formulierungen auf, die den Verdacht einer mehr oder 85

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FDGB-Hochschule, Studie: Der Einfluss der Bewegung (…); SAPMO-BArch DY 34/11821 (unpag.). Für das SWB besagt ein Bericht von Anfang 1974, dass bei der Erstauszeichnung 100 Mark pro Kollektivmitglied gezahlt wurden und danach eine Anerkennung (in nicht genannter Höhe) im Zusammenhang der Jahresendprämienzahlung erfolgte. Ilse Pavel, Brandenburg, 26.2.1974, Untersuchung von Problemen der Wettbewerbsführung (…); SAPMO-BArch DY 34/11820 (unpag.). Im selben Bericht ist außerdem davon die Rede, dass „die einzelnen Abteilungen [des SWB] einen Leistungsvergleich zwischen den Brigaden [durchführen], der monatlich ausgewertet und monatlich bzw. quartalsmäßig prämiiert wird“. D. h. zumindest die Beschäftigten in den Bereichen, wo diese zusätzlichen Wettbewerbe stattfanden, hatten die Chance, im Laufe eines Jahres im Zusammenhang des Kollektivwettbewerbes eine deutlich größere Prämiensumme zu kassieren. Ähnliche Wettbewerbe, z. B. innerhalb von Abteilungen und Auswertung/Prämiierung in jedem Quartal, hat es im SWB auch in den 1980er Jahren gegeben, wie ein entsprechendes Dokument für 1984 belegt. BLHA Rep. 502/1632 (unpag.), Begründung des Vorschlages „Beste Abteilung des RE-Bereiches“ in Auswertung des IV. Quartals 1984. SAPMO-BA, DY 34/27014 (unpag.). UA EKO 8931 (unpag.), BKE, EKO, 13.4.1988, Vereinbarung (…).

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weniger nachsichtigen Beurteilung der Kollektive mit dem Ergebnis einer (sehr) hohen Quote von Brigaden, die den Titel jährlich verteidigten bzw. neu verliehen bekamen, erhärten. So hieß es für das Wettbewerbsjahr 1981, dass „die Einschätzung der Arbeitskollektive (…) von einer bestimmten Inkonsequenz getragen“ gewesen sei. Dies hätte sich „besonders im Suchen nach Begründungen für nicht gebrachte Neuererleistungen [gezeigt], um das betreffende Kollektiv doch noch in den Genuss zusätzlicher Stimulierung kommen zu lassen“.88 Offenbar wurden bei der Leistungsbewertung häufig nicht nur ein paar Augen zugedrückt, sondern die zugrunde liegenden Kriterien und Maßstäbe für den KdsA-Wettbewerb waren vielen (Bereichs- und Abteilungs-)Leitern, die über die Auszeichnung der ihnen unterstellten Kollektive zu entscheiden hatten, nicht oder nur teilweise bekannt. Da verwundert es nicht, wenn sich im EKO in den achtziger Jahren fast die komplette Belegschaft alljährlich mit dem Titel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ schmücken und die Prämien dafür einstecken konnte. In einer Beratung der Abteilung Wettbewerbe mit der ZBGL und weiteren BGL-Vorsitzenden aus verschiedenen Werken bzw. Betriebsteilen wurde am 24. November 1989 nach mehr als 30 Jahren schließlich das Ende des Wettbewerbes um den Titel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ im EKO besiegelt. In dem förmlichen Beschluss heißt es: „Die Kollektive haben nach gültigen Dokumenten 1989 zumindest bis zum 40. Jahrestag der DDR ihren Titelkampf geführt und Ergebnisse vorgelegt. (…) Zum Jahresende können die Kollektive den Antrag auf Anerkennung ihrer positiven Ergebnisse stellen.“ Der Antrag sollte allerdings nur noch die Ergebnisse der Selbstkostensenkung, im Neuererwesen und im Arbeitsschutz beinhalten. „Die Kollektive werden nicht mit dem Titel ‚Kollektiv der sozialistischen Arbeit‘ ausgezeichnet. Sie bekommen für die erbrachten Leistungen eine materielle Anerkennung.“89 So oder ähnlich dürfte der KdsA-Wettbewerb und mit ihm die Brigadebewegung in der gesamten DDR nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes ein eher unspektakuläres, beinahe unbemerktes Ende gefunden haben. Anzeichen dafür, dass einzelne Arbeitskollektive oder gar die Brigaden besonderen Anteil an der friedlichen Revolution im Herbst 1989 gehabt bzw. sich umgekehrt für den Fort-

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UA EKO 1991, Bl. 228ff., hier Bl. 230f. UA EKO 9205 (unpag.), Abteilung Wettbewerbe, Eisenhüttenstadt, 24.11.1989, Aktennotiz über eine Beratung während der Anleitung der BGL-Vorsitzenden des EKO. Ob und in welcher Höhe diese letzten Kollektivprämien im EKO noch ausgezahlt wurden, entzieht sich der Kenntnis des Autors.

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bestand der DDR stark gemacht hätten, gibt es nicht.90 Offenbar hatte die Brigadebewegung zwar zur Erzeugung und (langen) Aufrechterhaltung einer mehr oder weniger missmutigen Loyalität unter den Werktätigen und zum Verhindern des Entstehens einer Arbeiteropposition wie bspw. in Polen beigetragen, aber andererseits doch nicht so tiefe Spuren im Sinne von SED und FDGB hinterlassen, dass die „werktätigen Massen“ sich veranlasst gesehen hätten, ihren angeblichen „Arbeiterstaat“ vor dem Untergang zu bewahren.

4. „Sozialistisch lernen“ ab den 1970er Jahren: Die „Schulen der sozialistischen Arbeit“ In einem Bericht an das Politbüro vom Frühjahr 1972 nahm die SED-Bezirksleitung Halle zur „Wirksamkeit der politischen Massenarbeit und der Parteipropaganda bei der klassenmäßigen Erziehung der Werktätigen in den Großbetrieben“ Stellung. Diesem Papier zufolge wuchs angeblich „in vielen Arbeitskollektiven (…) bei parteilosen Werktätigen das Bedürfnis nach politischer und weltanschaulicher Bildung“, weshalb bereits jeder vierte Teilnehmer am Parteilehrjahr der SED parteilos sei. Daraus wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass man diesem „wachsenden Bedürfnis“ Rechnung zu tragen habe: Es „sind Wege zu beschreiten, die geeignet sind, die marxistisch-leninistische Bildungsarbeit in den Arbeitskollektiven zu fördern“.91 Die Neigung der Parteiführung, sogar sich selbst vorzugaukeln, man müsse vorgeblich in der Arbeiterklasse gereifte Bedürfnisse bedienen bzw. diese würden idealerweise in eigenständige Initiativen der Werktätigen münden, war ganz offensichtlich stark ausgeprägt. Denn sowohl die Genossen der Parteispitze als auch der Hallenser Bezirksleitung wussten sehr wohl, dass ein solcher Weg just gefunden worden war: Die Gewerkschaftsgruppe der Brigade „Völkerfreundschaft“ des Chemiekombinates Bitterfeld (im Bezirk Halle) hatte sich gut zwei Wochen zuvor „spontan“ zu der Verpflichtung durchgerungen, eine „Schule der sozialistischen Arbeit“ zu initiieren.92 In der Tradition der „Mamais“ war also wiederum 90

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Siehe dazu Bernd Gehrke/Renate Hürtgen (Hg.), Der betriebliche Aufbruch im Herbst 1989 – die unbekannte Seite der DDR-Revolution. Diskussion, Analysen, Dokumente, Berlin 2001. SAPMO-BArch DY 30 J IV 2/2/1386, Protokoll Nr. 13 (der PB-Sitzung) vom 4.4.1972, Anlage Nr. 1 (Bl. 5ff.). SAPMO-BArch DY 30 vorl. SED 13136/1 (unpag.), Verpflichtung der Gewerkschaftsgruppe (…), datiert auf den 22.3.1972, inklusive eines 9-seitigen Anhangs mit dem fertig ausgearbeiteten Lehrplan für das erste „Schuljahr“; abgezeichnet von Erich Honecker per-

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einer Bitterfelder Brigade die Aufgabe zugefallen, eine große Initiative von unten auszulösen. Auch in anderer Hinsicht kam diese Kampagne auf ausgetretenen Pfaden daher: Pate hatten, kaum mehr überraschend, sogenannte „Schulen der kommunistischen Arbeit“ in der Sowjetunion gestanden. Ein Bericht der Moskauer DDRBotschaft vom November 1971 lieferte ausführliche Informationen über sie, die „auf Initiative der Leningrader Werktätigen als neues Schulungssystem der Gewerkschaften vor etwa 10 Jahren“ entstanden waren.93 Ihr Grundanliegen, insbesondere parteilosen Arbeitern, Kolchosbauern und Angestellten „neben den wichtigen Fragen der Innen- und Außenpolitik der UdSSR vor allem ökonomisches Grundwissen (…) zu vermitteln“, wurde für die „Schulen der sozialistischen Arbeit“ (SchdsA) in der DDR weitgehend übernommen.94 Im Unterschied zum sowjetischen Vorbild waren die SchdsA von Anfang an eng an die „Bewegung sozialistisch, arbeiten, lernen und leben“, d. h. an den Wettbewerb der „Kollektive der sozialistischen Arbeit“ geknüpft. Laut SED-offizieller Version hielten nämlich die Mitglieder der Bitterfelder Brigade „Völkerfreundschaft“ ihre bisherige Bildungsarbeit nicht mehr für ausreichend, obwohl sie bereits „Schulungen, Vorträge, Buchlesungen und anderes“ praktiziert hatten. Das genügte ihnen jetzt aber angeblich nicht mehr, war ihnen zu „unsystematisch, unplanmäßig und (…) zu wenig mit der eigenen Arbeit verbunden“. Wie damals in

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sönlich am 26.6.72 – offenbar in Vorbereitung der Veröffentlichung in der Zeitschrift „Die Wirtschaft“ (siehe unten) im August 1972. DY 32/1033 (unpag.), DDR-Botschaft in Moskau, Polit. Abt., Moskau, 29.11.71, Informationen über die Tätigkeit der Gewerkschaften zur Verbesserung der Organisierung des sozialistischen Wettbewerbes und zur Erziehung zu einer kommunistischen Einstellung zur Arbeit. (Einschließlich des aktuellen Lehrprogramms der sowjetischen „Schulen der kommunistischen Arbeit“.) Nachdem diese „Schulen“ in der SU über ein Jahrzehnt kaum Aufmerksamkeit erregt hatten, waren sie durch den XXIV. KPdSU-Parteitag im Frühjahr 1971 und durch einen speziellen Parteibeschluss „über die Verbesserung der Arbeit der Schulen der kommunistischen Arbeit“ vom Juli d. J. aufgewertet worden. Das Botschaftsdossier nennt Zahlen von über 80.000 solcher „Schulen“ mit 2,5 Millionen teilnehmenden „Werktätigen“. Ebd. Nicht unterschlagen werden soll, dass es bereits im Sommer 1965 in einem internen Papier des FDGB-Bundesvorstandes den Vorschlag gegeben hatte „im Rahmen des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems in Form von Schulen der sozialistischen Arbeit als Bestandteile der Betriebsakademien für die Werktätigen weitere Qualifizierungsmöglichkeiten zu schaffen, die den Erfordernissen des sozialistischen Arbeitens, Lernens und Lebens und dem Massencharakter der Brigadebewegung entsprechen. (Hervorhebung im Original.) SAPMO-BArch DY 34/21882 (unpag.), (Bestand FDGB-BuV, Abt. Arbeit und Löhne), Berlin, 4.8.1965, Die Weiterentwicklung der Bewegung der sozialistischen Brigaden.

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offiziellen Darstellungen üblich, hatten sich die Arbeiter von der sowjetischen Presse und den Beschlüssen des VIII. SED-Parteitages anregen lassen, als „Kollektiv nunmehr höhere Anforderungen an sich selbst [zu] stellen und gemeinsam schon heute für das Morgen intensiv [zu] lernen“.95 Was lag da näher, als die Bildung einer „Schule der sozialistischen Arbeit“? Der weitere Verlauf der Kampagne gestaltete sich nach dem bekannten und bewährten Muster: Zunächst griffen ein paar Brigaden in Großbetrieben aller DDR-Bezirke und Industriezweige die Bitterfelder Initiative auf und wurden dabei von den zuständigen FDGB-Bezirksvorständen tatkräftig angeleitet. Im Bezirk Frankfurt (Oder) bspw. durften Kollektive aus bekannten Großbetrieben wie dem PCK Schwedt, dem EKO, VEB Kranbau Eberswalde und dem Halbleiterwerk Frankfurt (Oder) diese Initiative der Werktätigen anführen. Dazu gehörte auch die Durchführung diverser Erfahrungsaustausche in den einzelnen Bezirken und auf zentraler Ebene.96 Auch wenn ein Aus-dem-Ruder-Laufen im Zusammenhang der SchdsA kaum zu befürchten war, achtete der FDGB-Apparat von Anfang an genauestens darauf, dass sich diese neuen „Schulen“ nicht verselbständigten oder irgendwelche ungewollten Nebenwirkungen entfalteten. So wiesen schon die ersten Berichte darauf hin, dass bestimmten Meinungen bzw. Fragen, die bereits aufgetaucht waren, entgegengetreten werden müsste. Dazu zählten u. a.: „Ist dann die Schulung der [FDGB-]Gruppenfunktionäre noch notwendig? Wird damit die Freizeit der Werktätigen beschnitten? Fällt damit der Kultur- und Bildungsplan weg? Können wir damit Punkte im [KdsA-]Titelkampf sammeln? Brauchen die Genossen und Freunde dann nicht mehr am Parteilehrjahr teilnehmen bzw. am FDJ-Schuljahr?“97 Offenbar trieb zumindest einige Arbeiter der zunächst ausgewählten Vorzeige-Kollektive die Sorge um, mit den SchdsA eine weitere, zeitraubende Institution untergeschoben zu bekommen bzw. versuchten sie sogleich dies zu kompensieren, indem sie andere ähnliche Veranstaltungen in Frage stellten. Insbesondere 95

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„Die Wirtschaft“, Nr. 35, 30.8.1972, Beilage 14/72: Schulen der kommunistischen und der sozialistischen Arbeit. Erfahrungen aus der UdSSR und dem Chemie-Kombinat Bitterfeld; hier S. 9. Für den Bezirk Frankfurt (Oder) bspw. SAPMO-BArch DY 34/22930 (unpag.), FDGBBV Frankfurt (Oder), Bereich Propaganda/BBS, Einschätzung des Erfahrungsaustausches am 30.5.1972 in Eisenhüttenstadt. Der erste zentrale Erfahrungsaustausch des FDGBBundesvorstandes fand am 18.10.73 in Bitterfeld mit ca. 800 Gewerkschaftsfunktionären statt. SAPMO-BArch DY 30 vorl. SED 13111/1 (unpag.), ZK-Abt. Gew. (an Gen. Krolikowski), Berlin, 25.10.73, Information über den Erfahrungsaustausch des BuV des FDGB (…). SAPMO-BArch DY 34/22930 (unpag.), FDGB-BV Frankfurt (Oder), Bereich Propaganda/BBS, Frankfurt (O.), den 28.6.1972, Erste Erfahrungen (…).

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die damit weiter wachsende Mehrfachbelastung der Parteimitglieder und Basisfunktionäre von SED und FDGB scheint ein Problem gewesen zu sein. Zwar lautete die Devise: „Die Gewinnung aller Kollegen für die Schulen der sozialistischen Arbeit muss auf freiwilliger Grundlage basieren.“ Aber man wollte keinesfalls der Tendenz entgegenwirken, dass sich ganze Kollektive geschlossen verpflichteten an den SchdsA teilzunehmen. Im Gegenteil, genau das war das Ziel der Übung. Hätte man z. B. die SED-Mitglieder und ehrenamtlichen Gewerkschaftsfunktionäre aus den Brigaden von der Teilnahme an den Schulen befreit, weil sie das alles ohnehin schon wussten oder bei anderen Veranstaltungen zu hören bekamen, wären folglich die weniger „überzeugten“ und politisch engagierten Kollektivmitglieder in den Schulungen unter sich geblieben – ohne den „positiven“ Einfluss ihrer „fortschrittlicheren“ Kollegen. Nein, es ging explizit darum, dass „das ganze Kollektiv entsprechend seiner Verpflichtung: sozialistisch arbeiten, lernen und leben, sich gemeinsam höhere Kenntnisse aneignen“ sollte. In einem Punkt war das Ansinnen des FDGB-Apparates freilich von vornherein aussichtslos: Das Vorhaben, die „Tendenz, diese Schulen nur an den [KdsA-]Titelkampf zu binden“ zu überwinden, konnte nur scheitern.98 Wie hätte man einzelne Beschäftigte oder gar ganze Brigaden, die nicht zur Teilnahme am Titelkampf bereit waren, zur Beteiligung an den SchdsA bewegen wollen? Der FDGB-Bundesvorstand, Organisator und Kontrolleur auch dieser Kampagne, wartete bis Ende September 1972, also ein halbes Jahr nach der „Initiative“ der Brigade „Völkerfreundschaft“, ehe er mit „Empfehlungen und Maßnahmen zur Förderung und Entwicklung von Schulen der sozialistischen Arbeit“ seine erste offizielle Verlautbarung dazu veröffentlichte. Im Mai 1973 rapportierte die Gewerkschaftsspitze erstmalig vor dem Sekretariat des ZK der SED „über die bisherigen Ergebnisse und Erfahrungen bei der Entwicklung“ der SchdsA. Zufrieden schätzte man ein, die Schulen stellten „eine wertvolle Bereicherung der bewährten Formen der massenpolitischen Arbeit der Gewerkschaften“ dar. Mit ihnen sei es vor allem gelungen, „zahlreiche parteilose Kollegen an die Weltanschauung der Arbeiterklasse heranzuführen und den Grad der bewußten Teilnahme der Werktätigen am sozialistischen Wettbewerb zu erhöhen“.99 Jetzt wurden auch die ersten Zahlen genannt: Bis Ende 1972 seien ca. 14.000 solcher Schulen gebildet worden, an denen etwa 300.000 Werktätige teilnahmen. Drei Monate später hatte sich die Zahl der SchdsA auf über 31.000 mit mehr als 635.000 Teil-

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Ebd. SAPMO-BArch DY 30 vorl. SED 13106/2b (unpag.), FDGB-BuV (J. Töpfer, stellv. Vorsitzende), Berlin, 9.5.73, Vorlage für das Sekretariat des ZK, Betr.: Bericht über die bisherigen Ergebnisse und Erfahrungen (…).

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nehmern erhöht.100 Bisher seien diese Schulen allerdings fast ausschließlich in den „Zentren der Arbeiterklasse, den Großbetrieben“ gebildet worden, denn nur dort verfügten SED und FDGB über eine ausreichend große Anzahl hauptamtlicher Funktionäre, die derartige Kampagnen stemmen konnten. Für problematisch hielt die FDGB-Führung gewisse „Tendenzen, aktuelle Tagesfragen ohne Verbindung zu dem geplanten Thema zu behandeln“. Dies habe sich „ebenso wenig bewährt, wie wenn sich Kollektive eigene Themen wählen, die dem politischen Grundanliegen der Schulen der sozialistischen Arbeit nicht entsprechen (z. B. Weltraumfahrt, Kosmetik, Gartenpflege usw.)“. Aus diesem Grunde hätten „viele Gewerkschaftsleitungen“ vorgeschlagen, die „Themen in Zukunft verbindlicher vorzugeben“. D. h., wenn unten diskutiert wurde, dann bitte schön nicht über Dinge, die den jeweiligen Beschäftigten gerade auf den Nägeln brannten, sondern über Fragen, die zuvor oben festgelegt worden waren. Diesem „Wunsch“ wurde prompt entsprochen. Der FDGB-Bundesvorstand hatte dem Bericht an das ZK-Sekretariat nämlich gleich einen „Rahmenplan“ für die SchdsA im Jahr 1974 mit sieben verbindlichen Themen angefügt.101 Neben einigen erläuternden Sätzen gab es zu jedem der Themen abschließend eine konkrete Anweisung: „Zeige“, „denke nach und überprüfe“, „prüfe“ oder „überlege und mache Vorschläge“ z. B.: „Wie können die Selbstkosten an deinem Arbeitsplatz gesenkt werden?“ Oder: „Zeige an Beispielen Deines Kollektivs, wie die Arbeiter die Macht in unserem Staat ausüben!“ Bei solchen Vorgaben verwundert es nicht, dass im Bericht der FDGB-Führung beklagt wird, es gelinge „in verhältnismäßig wenigen Schulen, eine lebhafte Diskussion der Teilnehmer zu entwickeln“.102 Da konnten sich auch die Gesprächsleiter mühen wie sie wollten: Die Beschäftigten zu lebhaften Diskussionen über die vorgegebenen Themen zu animieren, musste wohl eine zumeist undankbare Aufgabe bleiben. Die Auswahl und Anleitung dieser Gesprächsleiter erscheint in den Berichten von SED und FDGB über die SchdsA von Beginn an als ein Hauptproblem. Zwar hätten sich „viele bewährte Propagandisten und Agitatoren der Betriebsparteiorganisation[en], Gewerkschaftsfunktionäre, erfahrene Wirtschaftsleiter, oft Meister und Brigadiere, Neue100 Einen statistischen Überblick zu den SchdsA bietet die Tabelle 32. 101 Ebd. Die Themen: „Die Politik der SED zur weiteren Verwirklichung der Hauptaufgabe im Jahre 1974; die Steigerung der Arbeitsproduktivität – das Entscheidende; das sozialistische Weltsystem – die größte Errungenschaft der internationalen Arbeiterklasse; Sparsamkeit ist keine Erscheinung des Mangels, sondern der Vernunft; 25 Jahre DDR – Beweis erfolgreicher Arbeiterpolitik durch die SED; die Qualität der Erzeugnisse – ein Spiegelbild der Arbeit; die Rolle der sozialistischen Arbeitskultur für schöpferische Initiativen im Arbeitsprozess.“ 102 Ebd. Schließlich wurde ein zentral vorgegebenes Jahresprogramm (Oktober bis Mai jeweils 1,5 bis 2 Stunden) etabliert. Vgl. Enzyklopädie der DDR, S. 5564f.

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rer sowie Mitglieder der Betriebsgruppen der URANIA“ bereit erklärt, eine solche Aufgabe zu übernehmen. Aber sowohl bezüglich des Bildungsniveaus als auch der didaktischen Fähigkeiten blieben angesichts der benötigten großen Zahl von Gesprächsleitern viele hinter den Erwartungen zurück. Probleme gab es hierbei u. a., weil die „hohen Anforderungen“ bei der Anleitung der Gesprächsleiter nur erfüllt werden konnten, wenn die jeweilige BGL über eine „arbeitsfähige Kommission Agitation und Propaganda“ verfügte, was offenbar häufig nicht der Fall war.103 Dieses Problem hat der FDGB, so scheint es, nicht in den Griff bekommen, denn noch im Herbst 1978 ist von internen Schätzungen die Rede, denen zufolge „bis zu 60 Prozent der Gesprächsleiter (…) an keiner Anleitung“ teilnehmen würden, viele von ihnen, weil dazu gar keine Möglichkeit bestand.104 Schon Mitte der 1970er Jahre gab es Großbetriebe, wo zur „Förderung und Entwicklung der Schulen der sozialistischen Arbeit exakte Festlegungen im BKV“ getroffen wurden, während aus anderen Klagen über mangelnde Unterstützung durch Werkleiter und sonstige Wirtschaftsfunktionäre zu hören waren.105 Das EKO gehörte zu jenen Betrieben, in denen auch die SchdsA überdurchschnittlich gut organisiert abliefen – nicht zuletzt, weil BGO und BPO über die entsprechenden Ressourcen verfügten. Dort bestanden 1981 insgesamt 341 dieser Schulen, was knapp Dreiviertel der zu dieser Zeit am KdsA-Wettbewerb beteiligten Brigaden entsprach. Sie wurden von 290 Gesprächsleitern durchgeführt, von denen 161 Genossen, 145 Hoch- und Fachschulkader und 176 staatliche Leiter waren. Allerdings galt auch hier als „immer noch kritischer Punkt (…) die Teilnahme an den Gesprächsleiteranleitungen“, denn von den 176 Teilnehmern der Eröffnungsveranstaltung erschienen zu einem späteren Termin nur noch ganze 29 dieser Agitatoren. Aus den monatlichen Berichtsbögen der Arbeitskollektive ergab sich eine durchschnittliche Beteiligung an den SchdsA zwischen 65 und 70 Prozent, bei teils sehr unterschiedlichem Niveau. Unzufrieden war die FDGB-Leitung des EKO mit der mangelnden Diskussionsfreudigkeit vieler Schulungsteilnehmer und damit, dass nur wenige wie vorgesehen sich durch Selbststudium anhand der diversen Begleitmaterialien auf die jeweiligen Veranstaltungen vorbereiteten.106

103 Ebd. 104 SAPMO-BArch DY 30 vorl. SED 23040/2 (unpag.), (ZK-Abt. Gew.,) Berlin, den 10.10.1978, Standpunkt zur Vorbereitung der Berichterstattung zum Thema: „Bericht zur Wirksamkeit der Schulen der sozialistischen Arbeit (…)“. 105 SAPMO-BArch DY 30 vorl. SED 13106/2b (unpag.), FDGB-BuV (J. Töpfer, stellv. Vorsitzende), Berlin, 9.5.73, Vorlage für das Sekretariat des ZK, Betr.: Bericht über die bisherigen Ergebnisse und Erfahrungen (…). 106 BLHA Rep. 732/3079 (unpag.), ZBGL, Eisenhüttenstadt, den 7.7.1981, Vorlage für die ZPL des EKO: Einschätzung des Schuljahres 1980/81 der SchdsA.

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Von Beginn an erhielt auch diese Kampagne die entsprechende mediale Unterstützung. Neben einer Broschüre für die Gesprächsleiter gab es wöchentliche Veröffentlichungen mit Lesematerialien zu den jeweils aktuellen Themen in der „Tribüne“ (Auflage 390.000). Rundfunk und Fernsehen der DDR hatten den SchdsA bereits mehrere Sendungen gewidmet und die zentralen Presseorgane sowie die Bezirkspresse hatten ebenfalls begonnen, diese neuerliche Kampagne mit entsprechenden Veröffentlichungen zu bewerben. Einem Vorschlag der für Gewerkschaften und Sozialpolitik bzw. Propaganda zuständigen ZK-Abteilungen folgend beschloss das ZK-Sekretariat im Mai 1973 darüber hinaus „zur Unterstützung der marxistisch-leninistischen Bildungsarbeit in den Schulen der sozialistischen Arbeit (…) für die Schuljahre ab 1975 einen populär geschriebenen Grundkurs“ erarbeiten zu lassen.107 Ende September segnete die Parteispitze die Konzeption des „Grundkurses“ ab, der dann 1975 unter der Herausgeberschaft der stellvertretenden FDGB-Vorsitzenden Johanna Töpfer in vier Teilbändchen mit einer Auflage von zunächst 200.000 erschien. Zwischen 1975 und 1978 wurden diverse weitere Broschüren, insbesondere für die Gesprächsleiter, in einer Gesamtauflage von ca. 1 Million Exemplaren gedruckt.108 Alles in allem ein nicht unerheblicher Aufwand, zumal vor dem Hintergrund der permanenten Papierknappheit in der DDR. Die FDGB-Führung betonte gegenüber der Parteispitze zwar einerseits von Anfang an Einfluss darauf genommen zu haben, dass eine „enge Verbindung der Schulen mit der Bewegung ‚Sozialistisch arbeiten, lernen und leben‘ im sozialistischen Wettbewerb“ zustande kam. Andererseits bemängelte sie jedoch, dass einige BGL bzw. Vertrauensleutevollversammlungen „im Widerspruch zu den Empfehlungen des Bundesvorstandes alle Kollektive“, die am KdsA-Wettbewerb teilnahmen, sich verpflichtet“ hatten, SchdsA zu bilden.109 Dies war freilich ein eher 107 SAPMO-BArch DY 30 vorl. SED 13106/2b (unpag.), (ZK-) Abt. Gew. u. Abt. Propaganda, Berlin, 9.5.1973, Stellungnahme zum Bericht des Bundesvorstandes des FDGB (…). 108 SAPMO-BArch DY 30 vorl. SED 13106/4b (unpag.), (ZK-) Abt. Gew., Abt. Propaganda, Abt. Wissenschaften, Präsidium des BuV des FDGB, Berlin, 25.9.1973, Vorlage für das Sekretariat des ZK der SED, Betr.: Inhaltliche Gestaltung des Buches (…).Johanna Töpfer (Hg.), Der Sozialismus, unsere Welt. Grundkurs für die Schulen der sozialistischen Arbeit. Bd. 1–4. (je zwischen 57 und 78 Seiten), Berlin (Ost) 1975. Die Auflagenhöhe ist entnommen, dem Dokument: SAPMO-BArch DY 30 vorl. SED 23040/2 (unpag.), J. Töpfer, Berlin, den 18.10.78, Präsidiumsvorlage, Betr.: Wirksamkeit der SchdsA und Probleme ihrer weiteren Entwicklung. 109 SAPMO-BArch DY 30 vorl. SED 13106/2b (unpag.), FDGB-BuV (J. Töpfer, stellv. Vorsitzende), Berlin, 9.5.73, Vorlage für das Sekretariat des ZK, Betr.: Bericht über die bisherigen Ergebnisse und Erfahrungen (…).

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kleines Problem im Vergleich zu den Schwierigkeiten die man hatte, die Schulen in mittleren und kleinen Betrieben überhaupt zu etablieren, denn dort fehlten in der Regel die „ideologischen und kadermäßigen Voraussetzungen“, um dieses Vorhaben realisieren zu können.110 Und wie üblich entsprachen auch im Falle der SchdsA die gemeldeten Teilnehmerzahlen kaum der Realität. Diesbezüglich repräsentierte der VEB Kühlautomat Berlin (Ost), wo nur 30 von 61 formal gebildeten Schulen tatsächlich durchgeführt wurden, eher den Regel- als den Ausnahmefall.111 Eine gewisse Skepsis bezüglich des Erfolges der SchdsA erzeugt auch ein genauer Blick auf die Ergebnisse einer im September 1974 durchgeführten Meinungsumfrage unter knapp 2.000 Teilnehmern dieser Schulen.112 Unter den zur Wahl gestellten Motiven für die Teilnahme wurde die Aneignung von Kenntnissen des Marxismus-Leninismus, ein zentrales Ziel dieser Kampagne, am seltensten angekreuzt, während immerhin mehr als ein Drittel der Befragten freimütig bekannte, nur wegen der Verpflichtung des gesamten Arbeitskollektivs dabei zu sein und mit Abstand am häufigsten der am wenigsten verfänglichste Grund („gute Erfahrungen für meine praktische Arbeit zu sammeln“) ausgewählt wurde.113 Unterstellend, dass die meisten Befragten eine ziemlich genaue Vorstellung von den erwarteten Antworten hatten, überrascht nicht, dass fast Dreiviertel zu Protokoll gaben, der Umfang der Behandlung „marxistisch-leninistischer Grundfragen“ im Rahmen der SchdsA sei „gerade richtig“. Auffällig ist jedoch, dass bei dieser Frage mit knapp 10 Prozent deutlich mehr als bei allen anderen Themen die Meinung äußerten, davon würde ihnen „zu viel“ geboten. Noch stärker ins Auge sticht, dass die in der Themenhierarchie weiter hinten eingeordneten Fragen bei den Teilnehmern auf deutlich größeres Interesse stießen – allen voran die zum Schluss genannten „kulturellen Fragen“. Ein recht weiter Interpretationsspielraum ergibt sich bei der Frage nach den Auswirkungen der Teilnahme an den SchdsA. Zunächst einmal liefern die vorge110 Exemplarisch: Bericht des FDGB-Bezirksvorstandes Frankfurt (Oder) an den Bundesvorstand, vom 15.2.1974. SAPMO-BArch DY 34/11820 (unpag.). 111 SAPMO-BArch DY 34/11820 (unpag.), Bezirksvorstand des FDGB, Berlin, den 28.1.1974, Analyse des Standes der Verwirklichung (…). 112 SAPMO-BArch DY 30 vorl. SED 18830/2 (unpag.), ZK-Abt. Gew. (an Gen. Krolikowski), Berlin, 10.12.74, (Anschreiben zu) Information über die Ergebnisse einer Meinungsumfrage bei Teilnehmern der Schulen der sozialistischen Arbeit. Die Umfrage wurde vom Institut für Meinungsforschung beim ZK der SED im September 1974 durchgeführt. Befragt wurden 1976 Teilnehmer an SchdsA in 21 Industriebetrieben, vorwiegend Produktionsarbeiter. Daher auch im Folgenden. 113 Die vierte Variante, „um mich über aktuelle Tagesfragen zu informieren“, wählten 45 % der Befragten; wobei mehrere Antworten angekreuzt werden konnten.

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gebenen Antwortmöglichkeiten (in Tabelle 33 und 35) Aufschluss über die Intentionen, die SED und FDGB mit den Schulen verfolgten. Die Auslegung der Befragungsergebnisse könnte sich sowohl an dem Motto „das Glas ist halb voll“ als auch an seiner umgekehrten Variante orientieren. Es wäre reine Spekulation genau sagen zu wollen, wie viele der Befragten bei diesen Umfragen der Neigung nachgaben, einfach die vermutlich gewünschten Antworten auszuwählen. Dennoch sprechen die Ergebnisse dafür, dass die angestrebten Ziele der „Schulen der sozialistischen Arbeit“ zumindest bei einer (kaum zu quantifizierenden) Minderheit der Werktätigen erreicht wurden. Da nur bei jeweils einer der möglichen Antworten etwas mehr als die Hälfte der Befragten zustimmte, erscheint es plausibel, das Ergebnis als nicht gerade berauschend zu interpretieren. Darauf, dass die große Mehrheit der Werktätigen keinen besonderen Enthusiasmus bei der Teilnahme an den SchdsA entwickelte, deutet bspw. die Formulierung in einem Bericht der ZBGL des EKO von 1976 hin, wonach „das Lernen in diesen Schulen noch nicht überall allgemeines Bedürfnis ist, sondern als ein Punkt in der Bewegung ‚Sozialistisch arbeiten, lernen und leben‘ betrachtet wird, den man erfüllen muss, um bei der Verteidigung zu bestehen“. Im Klartext bedeutete dieses „noch nicht überall“ wohl, dass in den allermeisten Kollektiven nach genau diesem Schema des formalen Abhakens verfahren wurde.114 Dies war und blieb sehr wahrscheinlich nicht nur im EKO gängige Praxis. Gestellt werden muss letztlich auch die Frage nach der Relation von Aufwand und Nutzen. Neben den Kosten, die dem FDGB für Personal zur Organisierung der „Schulen“ sowie für die Erarbeitung und den Druck diverser Begleitmaterialien entstanden, ist hier insbesondere die Arbeitszeit zu nennen, die vielen Betrieben verloren ging, weil die Schulungen in der Regelarbeitszeit stattfanden. Wenn in der 1974er Umfrage fast die Hälfte der Befragten einräumte, die SchdsA würden in ihrem Betrieb ganz oder teilweise innerhalb der Arbeitszeit stattfinden, muss man dazu wohl noch eine nicht unerhebliche Dunkelziffer aufschlagen und kann mit sehr großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass dieser Anteil in den Folgejahren nicht geringer geworden, sondern eher noch gestiegen ist. Denn schon die ersten Reaktionen der Beschäftigten hatten gezeigt, dass die angestrebte hohe Beteiligung an den „Schulen der sozialistischen Arbeit“ niemals zu erreichen sein würde, wenn die Arbeiter und Angestellten dafür zusätzlich Freizeit opfern mussten. Rechnet man also die angegebenen ca. 50 Prozent mit der stetig wachsenden Zahl der Schulungsteilnehmer (Tabelle 32) hoch, kommt man in der Summe auf durchaus volkswirtschaftlich relevante Arbeitszeitverluste. Ob

114 UA EKO 814, Bl. 165ff.

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diese durch die erhofften positiven Effekte kompensiert wurden, lässt sich freilich nicht errechnen, scheint aber zumindest zweifelhaft. Dass sich die „Schulen der sozialistischen Arbeit“, ungeachtet der wahrscheinlich ungünstigen Kosten-Nutzen-Relation, des anhaltenden Interesses und der Förderung nicht nur von Seiten der FDGB-, sondern auch der SED-Spitze erfreuten, schlug sich nicht zuletzt in der zahlenmäßigen Entwicklung dieser „kollektiven Lernbewegung“ nieder (Tabelle 32). Gleichwohl wusste man selbst in den Apparaten von Partei und Gewerkschaft, dass auch diese Statistik bestenfalls formalen Wert hatte: „Einschätzungen besagen, dass von den bestehenden Schulen gegenwärtig etwa 50–60 % auf gutem Niveau regelmäßig durchgeführt werden“, hieß es recht nüchtern im Herbst 1978.115 Formal betrachtet weist die Statistik eine „normale“, oder besser gesagt DDR-typische Entwicklung auf. Nach einer sprunghaften Zunahme der Zahl der SchdsA und ihrer Teilnehmer in den ersten drei Jahren bis 1975 setzte eine Phase des verlangsamten, aber stetigen Wachstums ein. Im Schuljahr 1983/84, für das die letzten Daten vorliegen, waren knapp 3,7 Millionen Werktätige erfasst, etwas mehr als Dreiviertel der zu jenem Zeitpunkt am KdsA-Titelkampf teilnehmenden Beschäftigten. Bis Mitte der 1980er Jahre hatte man gebraucht, die „Schulen der sozialistischen Arbeit“ nicht nur in Großbetrieben, sondern schrittweise auch in Kleinund Mittelbetrieben zu etablieren. Um die Durchführung der mittlerweile knapp 200.000 SchdsA auf einem einigermaßen passablen Niveau zu gewährleisten, wurden rund 7.000 sogenannte Leitpropagandisten eingesetzt, die eine „qualifizierte Anleitung eines großen Teils aller Gesprächsleiter“ gewährleisten sollten. Im Republikdurchschnitt nahmen 1984 offiziell 50,9 Prozent der Beschäftigten teil, mit relativ geringen Abweichungen in den einzelnen Bezirken nach unten (Rostock: 44,2 %) bzw. oben (Erfurt: 56,0 %). In einem Bericht an das ZK-Sekretariat formulierte der FDGB-Vorsitzende Harry Tisch im Herbst 1984, fünf Jahre vor dem Zusammenbruch der DDR, das Ziel, die „Schulen (…) als eine stabile und wirksame Form politischer Wissensvermittlung weiterzuentwickeln, um das Vertrauen der Werktätigen in die Politik der SED unablässig zu festigen und neue Aktivitäten und Initiativen zu ihrer erfolgreichen Verwirklichung zu mobilisieren.“116

115 SAPMO-BArch DY 30 vorl. SED 23040/2 (unpag.), (ZK-Abt. Gew.,) Berlin, den 10.10.1978, Standpunkt zur Vorbereitung der Berichterstattung zum Thema: „Bericht zur Wirksamkeit der Schulen der sozialistischen Arbeit (…)“. 116 SAPMO-BArch DY 30 vorl. SED 35982 (unpag.), Harry Tisch, Berlin, 22.10.84, Vorlage für das Sekretariat des ZK der SED, Betr.: Bericht über die Entwicklung und Wirksamkeit der Schulen der sozialistischen Arbeit.

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Genau das war von Beginn an das Hauptanliegen der „Schulen der sozialistischen Arbeit“: Die politisch-ideologische Indoktrination der Masse der Werktätigen. Der Trick, um damit möglichst viele wenigstens formal zu erreichen, bestand in der engen Anbindung der SchdsA an den KdsA-Wettbewerb. Wie das Ergebnis einer Befragung von 1977 zeigt, ist diese Rechnung auch aufgegangen. Denn im Vergleich bildeten sich mehr als doppelt so viele Mitglieder sozialistischer Kollektive in den SchdsA weiter als andere Werktätige. Zugleich waren sie die mit Abstand häufigste Form der politisch-ideologischen Schulung, an der Kollektivmitglieder überhaupt teilnahmen. Dies hatte auch zur Folge, dass weniger als ein Drittel der KdsA-Mitglieder angab, sich gar nicht gesellschaftspolitisch weiterzubilden, während dies auf über die Hälfte der Nichtmitglieder zutraf.117 Aber ob und in welchem Maße es mit alledem gelang, die Beschäftigten so zu beeinflussen, dass nachhaltige Überzeugungen, im Sinne einer loyalen bzw. positiv-engagierten Haltung zum SED-Staat, ausgeprägt und gefestigt wurden, lässt sich aus solchen Daten nicht wirklich ableiten. Zulässig, wenngleich nicht überraschend, ist sicher der Schluss, dass diese Zahlen eine Bestätigung der These liefern, wonach Mitglieder sozialistischer Brigaden tendenziell loyaler bzw. engagierter waren, wozu die diversen Aktivitäten im Kontext des sozialistischen Arbeitens, Lernens und Lebens (zumal über einen längeren Zeitraum) erheblich beitrugen. Auch wenn die offiziellen Teilnehmerzahlen der SchdsA bis 1989 sehr wahrscheinlich weiter stiegen, hat auch diese Institution den letztlich rapiden Vertrauensverlust des SED-Regimes nicht verhindern, sondern bestenfalls abbremsen können. Dagegen half am Ende auch die schöne statistische Fassade nicht. Ein grundsätzliches und ziemlich gravierendes Problem spielt in den diversen Konzeptionen und Berichten zu den „Schulen der sozialistischen Arbeit“ bezeichnenderweise kaum eine Rolle. Obwohl die SchdsA beinahe gleichbedeutend mit dem sozialistischen Lernen waren und diesen Bereich der Brigadebewegung in den 1970/80er Jahren weitgehend abdecken sollten, kam dabei ein ganz entscheidender Aspekt viel zu kurz: die berufsbezogene Weiterbildung. Eine Studie von 1979 benennt die Defizite: „In der Mehrzahl der Arbeitskollektive sind die Bildungsmaßnahmen jedoch nicht konsequent genug an den zu lösenden politischen und ökonomischen Aufgaben orientiert. Nach wie vor wird noch Wissen und Können vermittelt, das nicht zielgerichtet auf die Beherrschung hochproduktiver Technik, auf die Anwendung neuer Technologien, auf die Erhöhung der Qualität der Produktion oder auf die Einsparung von Material, Energie und Arbeitszeit (…) orientiert ist. Nach wie vor werden Werktätige, die veränderte oder neue Arbeitsaufga117 Aktuelle Probleme des sozialistischen Wettbewerbs bei der Intensivierung der gesellschaftlichen Produktion. Gewerkschaftshochschule „Fritz Heckert“ beim Bundesvorstand des FDGB (Nur für den Dienstgebrauch.), o.O. o.D. (ca. Anfang 1978), Anlage 13.

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ben übernehmen, nicht rechtzeitig und konsequent aufgabenbezogen qualifiziert. (…) Als eine wesentliche Ursache für diese Erscheinungen ist vor allem die Tatsache anzusehen, dass in der Mehrzahl der untersuchten Betriebe den Arbeitskollektiven entweder keine oder ungenaue Vorgaben für die berufliche Bildung, für die Entwicklung der Berufs- und Qualifikationsstruktur der Kollektive übergeben werden.“118 Für das EKO lassen sich diese Probleme an einem konkreten Beispiel belegen: Ein Stasi-Bericht von 1984 konstatiert einen „nicht den Anforderungen entsprechenden Qualifizierungsstand eines Teils des Produktionspersonals“ im neu errichteten Konverterstahlwerk, weshalb es bereits zu „Störungen aufgrund von Bedienungsfehlern und Mängeln in der Wartung“ gekommen war.119 Und dabei ging es nicht um irgendeine kleine Anlage, sondern um eine der größten Industrieinvestitionen der DDR in den 1980er Jahren, die von einer österreichischen Firma realisiert wurde.

5. „Die sozialistische Menschengemeinschaft wird auch hier Schritt für Schritt Wirklichkeit.“ – Patenbrigaden am Beispiel des Eisenhüttenkombinates Ost120 Welcher „gelernte DDR-Bürger“ erinnert sich nicht an die eine oder andere Begegnung mit der Patenbrigade bzw. umgekehrt mit den Schülerinnen und Schülern der Patenklasse? Die Kinder und Jugendlichen kamen zur Betriebsbesichtigung an den Arbeitsplatz ihrer Paten oder brachten ein Ständchen zur kulturellen Umrahmung der Frauentagsfeier. Vertreter der Brigade nahmen an der Zeugnisausgabe teil, begleiteten ihre Klasse bei einem Ausflug, spendierten Bockwurst und Limonade für alle. 118 Studie der Gewerkschaftshochschule „Fritz Heckert“ von 1979, „Der Einfluss der Bewegung …“, SAPMO-BArch DY 34/11821 (unpag.). 119 BStU Ast. FF/O. AKG 872, Bl. 96ff.: Information zur Arbeitskräftesituation im Zusammenhang mit der Realisierung des Investvorhabens Konverterstahlwerk, Frankfurt (Oder), 26.7.1984. 120 Dieses Unterkapitel lässt sich chronologisch nicht eindeutig zuordnen. Erste Anfänge solcher Patenschaftsbeziehungen gab es bereits zu Beginn der 1950er Jahren, bevor sie in den 1960er Jahren systematisch mit den sozialistischen Brigaden verknüpft und massiv ausgebaut wurden. Die größte Breitenwirkung erzielten die Patenbrigaden jedoch in den 1970/80er Jahren, mit der nochmals deutlichen Ausweitung der Brigadebewegung. Deshalb erfolgt die Einordnung dieses Unterkapitels an dieser Stelle als ein wichtiger Aspekt des „sozialistischen Lebens“. Das Zitat stammt aus einem Bericht (1968) zur Patenschaftsarbeit im EKO, UA EKO 26.

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Interessant sind diese Patenschaften als ein Ausschnitt des Geflechts gesellschaftlicher Beziehungen in der DDR, den es so bspw. in der Bundesrepublik nicht gab. Sich mit ihnen etwas genauer zu befassen lohnt sich, weil an ihnen der Spannungsbogen zwischen ideologisch-politischen Vorgaben, pädagogischen Konzepten und vielfältigen Varianten ihrer (Nicht-)Umsetzung im alltäglichen Leben des „Arbeiter- und Bauernstaates“ nachvollzogen werden kann. Im Hinblick auf die sozialistischen Brigaden ist deren Wirken als Patenbrigaden interessant, weil sie zu jenen Funktionen gehörten, die den Kollektiven im Rahmen des sozialistischen Lebens zugewiesen wurden. Welcher Arbeiter, bspw. im EKO, der gelegentlich staunenden Schülern der Patenklasse die Funktion eines Hochofens live zeigte und erklärte, welches fleißige Mädchen, das zur Zeugnisausgabe von einem Vertreter des Patenkollektivs ein Buch als Auszeichnung in die Hand gedrückt bekam, wusste, dass diese Patenschaftsbeziehungen aufgrund von gesetzlichen Bestimmungen initiiert worden waren und durch diverse Richtlinien und Anweisungen geregelt wurden? Und wer von ihnen hätte sich um all diese Vorschriften gekümmert? Welche Forderungen bezüglich der Einflussnahme der „Arbeiterklasse auf die klassenmäßige Erziehung der Schuljugend“ wurden überhaupt von der SED-Führung und Funktionären auf darunter liegenden Ebenen des Herrschaftsapparates erhoben? Wie viel drang davon bis nach unten durch, und wer bemühte sich hier vor Ort die Bestimmungen von oben gegen welche Widerstände durchzusetzen und mit welchem Resultat? Welche Rolle spielten dabei die Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen und andere Funktionsträger? Der erste Freundschaftsvertrag zwischen dem EKO und der „Zehnklassenschule Fürstenberg/Oder, Wohnstadt“ wurde Ende 1952 geschlossen.121 Das Eisenhüttenkombinat verpflichtete sich, ein Ferienlager mit einer Kapazität für 60 Kinder der Schule am Scharmützelsee zu errichten sowie Unterstützung in der sportlichen und kulturellen Massenarbeit zu gewähren. Im Gegenzug übernahm es die Schule, gelegentlich eine Wandzeitung zu gestalten, bei besonderen Anlässen mit kleinen Kulturprogrammen im EKO aufzutreten und die Werksangehörigen mit „fortschrittlichen pädagogischen Gedanken“ vertraut zu machen. Allerdings war damals noch nicht von Patenschaften zwischen den bereits existierenden Arbeitsbrigaden und Schulklassen die Rede, sondern die Kontakte sollten von Seiten des Werkes durch Aktivisten und die technische Intelligenz zum Pädagogischen Rat und zur Pionier- und FDJ-Organisation der Schule gepflegt werden. Die Institution der Patenbrigaden verbreitete sich erst ab 1959, im Zusammenhang der sozialistischen Brigadebewegung. Arbeitskollektive, die um den 121 UA EKO 1669, Bl. 128f.

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BdsA-Titel kämpften, sollten als Vorreiter der sozialistischen Gesellschaft auch entscheidenden Einfluss auf die Heranwachsenden ausüben. Ab den 1960er Jahren wurden Patenschaftsbeziehungen zwischen sozialistischen Brigaden und Schulklassen sogar in Schlüsseldokumenten zur gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR erwähnt und durch gesetzliche Bestimmungen geregelt. So forderte das SED-Parteiprogramm von 1963, dass „im Zusammenwirken von Schule, Betrieb, Freier Deutscher Jugend, Pionierorganisation ‚Ernst Thälmann‘ und dem Elternhaus […] die junge Generation so erzogen werden [soll], dass sie den besten Vorbildern und Patrioten der Nation nacheifert und gute Taten für den Sozialismus vollbringt.“122 Im 1965er Bildungsgesetz wurden die Volkseigenen Betriebe als wichtige Bildungsstätten bezeichnet, an deren Leben die Schüler Anteil nehmen sollten.123 Ebenfalls Mitte der 1960er Jahre wurde eine spezielle „Richtlinie über die Einflussnahme der Arbeiter, Genossenschaftsbauern und der Angehörigen der Intelligenz auf die sozialistische Bildung und Erziehung der Kinder und Jugendlichen der Polytechnischen Oberschule durch die sozialistischen Patenschaftsbeziehungen“ erlassen.124 Die grundsätzliche Idee, wonach die Arbeiterklasse und die sozialistische Industrie eine wichtige Rolle bei der Erziehung der jungen Generation spielen sollten, geht auf Marx zurück.125 In der Frühphase der Sowjetunion hatte es zum Teil exzessive Versuche der Realisierung dieses Ansatzes gegeben,126 der dann „natürlich“ auch in der marxistisch-leninistischen Pädagogik der DDR seinen Niederschlag fand.127 Wie wurden diese Vorgaben in Eisenhüttenstadt umgesetzt? Ab den 1960er Jahren unterhielten Kollektive des EKO Kontakte zu Klassen aller zehn Schulen der Stadt, wozu auch eine Rahmenvereinbarung zwischen dem Werk und dem Rat der Stadt „über die Aufgaben zur Sicherung der Einflussnahme der Arbeiterklasse auf die klassenmäßige Erziehung der Schuljugend“ geschlossen wurde.128 Diesem 122 Programm der SED. In: Das Programm des Sozialismus und die geschichtliche Aufgabe der SED. Berlin (O.) 1963, S. 369. 123 Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem vom 25.2.1965 in der Fassung des Beschlusses des Staatsrates der DDR vom 30.6.1966, § 7, Abs. 3. 124 Richtlinie (…) vom 19.11.1965. In: Loseblattsammlung (…) C/Ic/24, Blatt 1. 125 Marx/Engels (MEW Bd. 4, S. 482) fordern im „Kommunistischen Manifest“ in der 10. Maßregel die „Vereinigung der Erziehung mit der materiellen Produktion“. 126 Vgl. Oskar Anweiler, Geschichte der Schule und Pädagogik in Russland vom Ende des Zarenreiches bis zum Beginn der Stalin-Ära, Berlin 1964, insbes. S. 414–421. 127 Als ein Beispiel sei der Band „Beiträge zur staatsbürgerlichen Erziehung älterer Schüler“, Berlin (O.) 1968 (darin u. a.: Gerhard Neubert, Der Einfluss sozialistischer Patenschaftsbeziehungen auf die staatsbürgerliche Erziehung älterer Schüler, S. 271ff.) erwähnt. 128 UA EKO 2044 (unpag.), hier die Rahmenvereinbarung von 1972.

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Dokument zufolge sollten sich die Patenbrigaden besonders um die Vorbereitung ihrer Schützlinge auf den Eintritt in die FDJ sowie auf die Jugendweihe, um die wehrsportliche Erziehung und um die Berufsberatung kümmern. Durch die einzelnen Betriebsabteilungen wurden Freundschaftsverträge mit den Schulen geschlossen, zu denen die meisten Brigaden des jeweiligen Bereiches Patenschaften unterhielten. Auf dieser Ebene (Betriebsabteilung – Schule) fanden regelmäßig sogenannte Patenschaftskonferenzen statt, um Rechenschaft abzulegen, Erfahrungen auszutauschen und Festlegungen für die weitere Zusammenarbeit zu treffen.129 Ab den 1970er Jahren übernahm die Kommission „sozialistische Erziehung der Kinder“ der ZBGL die Koordination und Anleitung der Patenschaftsarbeit im gesamten EKO.130 Im Jahre 1968 hatten 78 Prozent aller Schulklassen Eisenhüttenstadts einen Patenschaftsvertrag mit einer Brigade des EKO, während umgekehrt noch über 40 Prozent der Kollektive auf keinen derartigen Kontakt verweisen konnten.131 Gut zehn Jahre später gab es nur noch eine kleine Zahl, die sich nicht Patenbrigade nennen konnte. Dieser Rest war vor allem dem Umstand geschuldet, dass es in ganz Eisenhüttenstadt keine Klasse ohne Paten mehr gab.132 Schließlich wurden sogar Kindergärten und -krippen, Sektionen der Betriebssportgemeinschaft „Stahl“ sowie Kinderheime mit einbezogen, damit möglichst alle „Kollektive der sozialistischen Arbeit“ auf einen Patenschaftsvertrag verweisen konnten. Denn die „Unterstützung der kommunistischen Erziehung der jungen Generation auf Grundlage von Patenschaftsverträgen“ war ein Punkt der „Anforderungen zur Erarbeitung der Kultur- und Bildungspläne“, die bis Ende der 1980er Jahre Teil der „Festlegungen zur Erarbeitung der Programme im Kampf um den [KdsA-] Ehrentitel“ im EKO waren.133 Die erwähnten Vereinbarungen und Bestimmungen auf den verschiedenen Ebenen und die statistischen Angaben zur Entwicklung der Patenschaftsverbindungen in Eisenhüttenstadt sagen jedoch noch nichts über die praktischen Beziehungen zwischen den einzelnen Brigaden und ihren Schulklassen aus. Zum Standardprogramm gehörten dabei, neben den eingangs bereits genannten Punkten, die gelegentliche Gestaltung von Pioniernachmittagen, z. B. mit einem Wis129 UA EKO 2044 (unpag.), UA EKO 2865 (unpag.), „Chronik unserer Patenbrigade ,Juri Gagarin‘, Abteilung Materialversorgung“, Klasse 7b, 8. Oberschule „Gerhart Eisler“ (1980). 130 UA EKO 44, Bl. 25. 131 UA EKO 26, Anlagen 1 und 2. 132 UA EKO 44, Bl. 25 (328 Patenbrigaden im Jahre 1981); 1985 waren es 341 Patenbrigaden (UA EKO 50, Bl. 283f.). 133 UA EKO 9205/32 (hier für 1988).

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senstoto bei Kakao und Kuchen, Unterstützung bei der Faschingsfeier oder die Begleitung der Klasse auf Wanderungen, manchmal sogar bei mehrtägigen Ausflügen, meist durch einzelne Vertreter der Patenbrigade.134 Viele dieser Veranstaltungen konnten sowohl kindgerecht und ohne ideologisches Tamtam als auch mit umgekehrtem Akzent durchgeführt werden. Es machte schon einen Unterschied, ob der „traditionelle Berlinausflug zum Pioniergeburtstag“ mit der ganzen Klasse dem „Spaß an der Freude“ diente und beispielsweise in den Tierpark führte oder ob dieser Ausflug als Auszeichnung für die acht besten Schüler der Pioniergruppe den Besuch einer Ausstellung mit dem Titel „Kämpfer und Sieger“ sowie die Betrachtung (aus der Ferne) und Erläuterung der „Grenzsicherungsanlagen“ und des Brandenburger Tors zum Gegenstand hatte.135 Mehr mit praktischer Hilfe als mit „klassenmäßiger Erziehung“ hatte es zu tun, wenn ein Pate kurzzeitig den erkrankten Lehrer im Werkunterricht vertrat.136 Auch die Leitung einer Arbeitsgemeinschaft „Modelleisenbahn“ an der Patenschule konnte ohne ideologische Indoktrination bestritten werden und diente womöglich dem Betreiben des eigenen Hobbys.137 Einer Steigerung der Qualität des Unterrichts und der Freizeitgestaltung für die Kinder und Jugendlichen kam es zugute, wenn Brigaden, zum Teil in hunderten Arbeitsstunden, Fachkabinette für Chemie, Physik oder Biologie einrichten halfen, Klassenräume renovierten, Spielplätze anlegten sowie viele kleine und größere Reparaturen in den Schulen ausführten, wofür der Betrieb nicht selten auch noch das Material zur Verfügung stellte.138 Ob und wie gut solch handfeste materielle Unterstützung funktionierte, hing vom guten Willen der jeweiligen Verantwortlichen im EKO und der Hartnäckigkeit des bittstellenden Schulleiters ab. Freilich war diese Praxis, zumal in dem Umfang, wie sie in den 1960/70er Jahren zum Tragen kam, nur möglich, im Rahmen einer sozialistischen Volkswirtschaft, wo bestimmte ökonomische Zwänge und Regeln außer Kraft gesetzt waren. Andere Notwendigkeiten, wie die Sicherung des Arbeitskräftenachwuchses, ließen sich auch in der DDR nicht beiseite schieben, weshalb über die Patenschaftsbeziehungen auch in wachsendem Maße versucht wurde, Berufswerbung und -lenkung zu betreiben. Nicht aus der Kasse des EKO, sondern aus den Beiträgen der FDGB-Mitglieder wurden sogenannte Patenschaftsgelder finanziert. Pro 134 UA EKO 2865 (unpag.). 135 UA EKO 2044 (unpag.). Beide Varianten wurden – von unterschiedlichen Brigaden – praktiziert. 136 UA EKO 2853 (unpag.), Brigadetagebuch der Komplexbrigade „Philipp Müller“, Werkverkehr, Eisenbahnbetrieb, 1960/62. 137 Ebd. 138 UA EKO 2044 (unpag.).

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Klasse verteilte die Kommission „sozialistische Erziehung der Kinder“ der ZBGL 1985 bspw. 85 Mark an die Brigaden, womit kleine Geschenke, Fahrkosten und ähnliche Ausgaben bestritten werden konnten.139 Einen Schwerpunkt in der Praxis so mancher Patenbrigade, stellte die besondere Unterstützung für die Leitungen der Pionier- bzw. FDJ-Gruppe ihrer Klassen und die „Überzeugungsarbeit“ zur Gewinnung möglichst aller Schüler für die Teilnahme an der Jugendweihe dar.140 Vertreter des Patenkollektivs, die als Jugendstundenleiter (in Vorbereitung der Jugendweihe) den Heranwachsenden Themen wie „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen“ oder „Du brauchst die sozialistische Gemeinschaft – sie braucht dich“ nahezubringen versuchten, erfüllten sicher am ehesten die oben gehegten Erwartungen. Das Gleiche trifft auf jene Kollegen zu, die an der Vorbereitung und Durchführung von „Pioniermanövern“ und der „vormilitärischen Ausbildung“ in den höheren Klassenstufen aktiv beteiligt waren.141 Den Eifer, bereits Kinder einer fünften Klasse während der Pioniernachmittage vorrangig politisch-ideologisch erziehen zu wollen und mit ihnen Schießübungen durchzuführen, damit sie „das Schießabzeichen bis zum VIII. Parteitag der SED“ ablegen konnten, haben wohl nur besonders eifrige Paten aufgebracht. Bezüglich der Militarisierung der Schule entsteht allerdings der Eindruck, dass diese über die eben genannten Punkte zu einem beträchtlichen Teil von den Patenbrigaden abgesichert wurde, wobei vorrangig Kollegen, die in der Kampfgruppe oder als Reservisten der NVA aktiv waren, zum Einsatz kamen.142 Gefragt werden muss in diesem Zusammenhang nach den Aktivposten der Patenschaftsarbeit, insbesondere nach jenen, die das Postulat von der „klassenmäßigen Erziehung“ besonders ernst nahmen und zu realisieren versuchten. Die Betriebsparteileitung der SED im EKO schätzte 1968 ein, dass die besten Patenschaften dort bestünden, wo die Gliederungen der Partei und des FDGB sowie die jeweiligen staatlichen Leiter dieses Thema regelmäßig und entsprechend den Vorgaben behandelten.143 Die BPL verwies dabei ausdrücklich auf die besondere Verantwortung der Parteigruppen in den einzelnen Kollektiven. Und in der Tat belegen die Quellen, dass es immer wieder SED-Genossen waren, die sich in dieser Hinsicht hervortaten. Ob sie als Vertreter einer Patenbrigade an der Parteiaktivtagung des Elternbeirates der Schule teilnahmen oder auf Sitzungen des pädagogischen Rates der Schule auftraten, sie gewährleisteten die Vernetzung der Vertreter der „führenden Partei“ in bzw. zwischen den verschiedenen Institutionen und 139 140 141 142 143

UA EKO 50, Bl. 283f. UA EKO 2044 (unpag.). Ebd. UA EKO 2044 (unpag.). UA EKO 26 (unpag.).

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Gremien, die gemeinsam für die sozialistische Erziehung der Schuljugend verantwortlich zeichneten.144 Es waren auch einzelne SED-Mitglieder, die im direkten Kontakt mit ihren Paten, gegenüber den Eltern und Lehrern der Schüler die ideologische Indoktrination auf die Spitze trieben. Ein solcher Eiferer animierte z. B. 1961 die Pioniere der Patenklasse ein Schreiben aufzusetzen, in dem sie sich verpflichteten, keine Westsender zu hören oder zu sehen. Dies wurde als Aufruf an die Schulwandzeitung gehängt und die Kinder sollten auch ihre Eltern anhalten, keine „Feindsender“ einzuschalten.145 Ende der 1960er Jahre berichtet ein anderer Genosse stolz, dass er in „seiner“ Klasse 20 Elternbesuche durchgeführt habe, bei denen er die Diskussion nicht nur über Erziehungsprobleme, sondern auch zu aktuell-politischen Fragen führte.146 Wie übereifrig manche ihre Patenpflichten erfüllten, zeigt der folgende Fall: Genosse Scharf,147 Mitglied der BPL und stellvertretender Brigadeleiter, hatte in den zurückliegenden Jahren viel Zeit in die Arbeit mit der Patenklasse investiert und seiner Meinung nach dazu beigetragen, dass aus einer „mehr oder weniger vernachlässigten und äußerst schwierigen Klasse“ zwar keine Musterschüler wurden, aber immerhin ein „politisch aufgeschlossenes Kollektiv“ entstanden war.148 Die Pionierleiterin und einige Lehrer der Klasse wollten ihm diesen „Erfolg“ allerdings vermiesen, indem sie auf ihrer Meinung beharrten, dass dies nach wie vor die leistungsschwächste und undisziplinierteste Klasse der Schule sei. Das nahm Genosse Scharf persönlich und zum Anlass, massiv gegen die Pionierleiterin und den Klassenlehrer zu pöbeln. Letzteren griff er vor allem dafür an, dass er den Vorschlag der Patenbrigade, gemeinsam in die Kreisausstellung der „Messe der Meister von Morgen“ (MMM) zu gehen, „mit einer Handbewegung vom Tisch fegte“. Noch mehr erboste ihn die Begründung des Klassenleiters, diese Kreismesse sei „nicht viel wert“ gewesen, weshalb er lieber später mit den Jugendlichen die Bezirks-MMM besuchen werde. Die Tiraden gipfelten in der Anschuldigung, insgesamt widerspreche das Verhalten des Genossen Klassenlehrers „Beschlüssen unserer Partei und Regierung zur Verwirklichung der neuen Entwicklungsetappe an unseren Oberschulen“. Der „Spaß“ hörte gänzlich auf, als Genosse Scharf quasi nach der „Inquisition“ rief, indem er verlangte, dass „sich die Parteiorganisation und der Pädagogische Rat“ der Schule mit diesem „Fall“ befassen sollten. Dies kam praktisch einer Denunziation gleich, die den Lehrer unter Umständen in erhebli-

144 145 146 147 148

UA EKO 2853 und 2854 (unpag.). UA EKO 2854, Eintragung 2.11.1961. UA EKO 26 (unpag.) Name geändert. UA EKO 26 (unpag.), daher auch im Folgenden.

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che Schwierigkeiten bringen konnte.149 Scharfs Fazit bezüglich der Patenschaftsbeziehung zwischen Brigade und Schulklasse lautete nichts desto trotz, dass „die sozialistische Menschengemeinschaft […] auch hier Schritt für Schritt Wirklichkeit“ wird. Diese Gemeinschaft wurde zumindest auf der symbolischen Ebene tatsächlich hergestellt, indem bspw. sozialistische (Paten-)Brigaden hohe Auszeichnungen der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ verliehen bekamen, besonders engagierte Paten-Genossen Mitglieder der Kreisleitung der Pionierorganisation oder Lehrer von Patenklassen ehrenhalber in Brigaden aufgenommen wurden und mit ihnen die Auszeichnung „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ erhielten. Mancherorts wurde auch die Brigadestruktur auf Schulklassen übertragen, die dann in einem sozialistischen Wettbewerb zwischen verschiedenen „Lernbrigaden“ um einen von ihrem Patenkollektiv gestifteten Wimpel wetteifern sollten.150 Solche symbolischen Akte stellten allerdings eher Kuriosa dar, die nicht allzu oft und vor allem in den 1960er Jahren vorkamen. Wie also ist die Rolle der Patenbrigaden insgesamt, über mehr oder weniger spektakuläre bzw. kuriose Einzelbeispiele hinaus, einzuschätzen? Es gibt keine Dokumente, die anhand nachvollziehbarer Kriterien für das EKO zusammengefasst Aussagen darüber treffen, wieviel Prozent der Patenbrigaden eine entsprechend den Vorgaben sehr gute, gute bis ganz schlechte Arbeit mit ihren Klassen geleistet haben. Lediglich Einschätzungen zu verschiedenen Betriebsabteilungen oder von einzelnen Schulen erlauben einige vorsichtige Rückschlüsse. Generell wird eine „große Differenziertheit in der Qualität“ der Patenschaftsbeziehungen konstatiert, wobei sämtliche Beurteilungen von Teilbereichen zu dem Schluss kommen, dass es nur wenige „Schrittmacherkollektive“ gegeben hat.151 Sehr viel hing davon ab, wie engagiert die jeweiligen staatlichen Leiter, Parteiund Gewerkschaftsfunktionäre sich dieses Themas annahmen. Hier werden einerseits immer wieder einige positive Beispiele hervorgehoben und auf der anderen Seite vergleichsweise viele Betriebsbereiche genannt, die die diesbezügliche Tätigkeit der Kommission „sozialistische Erziehung der Kinder“ der ZBGL weitgehend ignorierten, deren Anweisungen nicht an die Brigaden weitergaben und umgekehrt keine Informationen über die Patenschaftsaktivitäten der Kollektive an die Kommission lieferten.152 Auch die Patenschaftsverträge wurden in diversen Ana149 Ob aus dieser Angelegenheit wirklich ein „Fall“ wurde und wie dieser ausging, lässt sich anhand der Akten leider nicht nachvollziehen. 150 UA EKO 2853 (unpag.), UF 49/59, S. 1; UA EKO 2044 (unpag.) 151 UA EKO 2865 (unpag.); UA EKO 2044 (unpag.); UA EKO 48, Bl. 93; UA EKO 26, Bl.15f. 152 UA EKO 2044 (unpag.); UA EKO 44 (unpag.)

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lysen wiederholt als ganz überwiegend schematisch oder völlig unzureichend kritisiert.153 Zuweilen wurde auch beklagt, dass es von Seiten der Brigaden Tendenzen gebe, sich lieber eine Patengruppe aus den unteren Klassenstufen zu suchen und zwar gegen die offizielle Maßgabe, vor allem in den Klassen 8 bis 10 tätig zu werden. Möglicherweise verbirgt sich dahinter der Versuch, den viel stärker politischideologisch geprägten Inhalten der Arbeit mit höheren Klassen auszuweichen. Diese Interpretation korrespondiert mit der zeitgenössischen Kritik von DDRPädagogen, die bemängelten, dass nicht wenige „Patenschaftsverhältnisse […] sich von den eigentlichen erzieherischen Aufgaben abwenden und dadurch besonders bei Unterstufenklassen beziehungsweise Jungpionieren zu einem für die Erziehung unbrauchbaren ‚Guten-Onkel-und-Tanten-Verhältnis‘ abgewertet werden.“154 Mit Jugendlichen höherer Klassenstufen gab es offenbar teils größere Schwierigkeiten, da sie ihren Paten vielleicht weniger aufgeschlossen bzw. ehrfürchtigstaunend gegenübertraten und bereits Zweifel an dem DDR-offiziellen, stilisierten Bild der Arbeiterklasse hegten. In diesem Zusammenhang bröckelte auch der Mythos der „roten Hochöfner“ des EKO, da sich mehrere Kollektive ausgerechnet aus dem Bereich Hochöfen weigerten, ihre Patenschaften zu Klassen der Erweiterten Oberschule Eisenhüttenstadts fortzuführen. Die BPO-Leitung unterstützte dieses Ansinnen der Brigaden mit der fadenscheinigen Begründung, dass das hervorragende Schulsystem der DDR den Abiturienten eine so ausgezeichnete Bildung vermittelt hätte, dass sich die Arbeiter häufig außer Stande sähen, zu einer weiteren Leistungssteigerung der Schüler beizutragen.155 Offenbar war es auch so, dass die Decke derjenigen Kollegen, meist Genossen, die bereit waren, sich ganz im Sinne der „klassenmäßigen Erziehung“ in der Patenarbeit zu engagieren, sehr dünn war.156 Ohnehin wurde der Kontakt zur Patenklasse in der Regel nur von einem oder sehr wenigen Mitgliedern der Brigade aufrechterhalten.157 Diese Teilbefunde stehen allerdings in einem gewissen Widerspruch zu einer Anfang der 1980er Jahre getroffenen Einschätzung der ZBGL, der zufolge drei Viertel der Patenschaftsverhältnisse als gut und sehr gut zu bewerten seien.158 Dieses pauschale, im Einzelnen nicht belegte Urteil stützte sich wohl hauptsächlich auf die formale Abrechnung des Punktes Patenschaftsarbeit im Rahmen der 153 UA EKO 2044 (unpag.), UA EKO 30 (unpag.); UA EKO 26, Bl. 24. 154 Gerhard Neubert/Siegfried Schmidt, Für vielfältige Beziehungen zwischen Schülern und Werktätigen. In: Pädagogik 22 (1967) 4, S. 312ff. 155 UA EKO 26 (unpag.). 156 UA EKO 48, Bl. 94. 157 UA EKO 44 (unpag.). 158 Ebd.

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alljährlichen Verteidigung des KdsA-Titels. Dass die Brigaden bei diesen Titelverteidigungen keine „Eigentore“ schossen, indem sie bspw. selbstkritisch nur spärliche Bemühungen um ihre Patenklasse eingestanden, scheint ebenso selbstverständlich, wie sich die meisten Bereichs- und Abteilungsleiter gehütet haben dürften, wegen einer Lappalie wie den Patenschaften den Brigaden die Kollektivprämie und sich das Betriebsklima zu verderben. Auf der anderen Seite ist wohl auch ein gewisser Gewöhnungseffekt eingetreten. Es wurde für viele Patenbrigaden zur Normalität, ab und zu für ihre Schulklassen die „guten Onkels und Tanten“ zu spielen und nebenbei vielleicht auch ein paar der geforderten ideologischen Inhalte zu vermitteln. Genauso, wie eine ganze Reihe von Paten Jahr für Jahr mit den Pionieren und FDJlern Schieß- und andere wehrsportliche Übungen absolvierten. Was bewirkte diese schleichende Normalität, die weitgehend unreflektierte, routinemäßige Beteiligung an teils fragwürdigen Maßnahmen zur „klassenmäßigen Erziehung“ der Kinder und Jugendlichen im Rahmen der Patenschaftsbeziehungen? Nein, dies führte nicht zur Verwirklichung der „sozialistischen Menschengemeinschaft“, von der ja selbst die SED-Führung schon in den 1970er Jahren kaum noch sprach. Und ganz sicher zählten die Patenbrigaden zu keinem Zeitpunkt zu den tragenden Säulen der SED-Herrschaft. Doch haben auch sie ihr Mosaiksteinchen zur relativ langen Existenz des gescheiterten Realsozialismus in den Farben der DDR beigetragen.

6. Noch ein Titel: „Kollektiv der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“ Ab den 1970er Jahren wurde verstärkt der Ehrenname „Kollektiv [der] DeutschSowjetische[n] Freundschaft“ verliehen, und zwar ganz überwiegend in Anlehnung an den KdsA-Titel. Um enge Verbindungen der Arbeiterschaft zur Sowjetunion hatte sich bereits seit Beginn der Brigade-Kampagne neben dem FDGB auch und insbesondere die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) bemüht. Sporadisch war dieser Ehrenname bereits seit Anfang der sechziger Jahre verliehen worden.159 1968 beschloss das Sekretariat des Zentralvorstandes der DSF schließlich eine erste „Ordnung für die Auszeichnung mit dem Ehrennamen ‚Kollektiv Deutsch-Sowjetische Freundschaft‘“.160 Selbige wurde, nach der 159 SAPMO-BArch, DY 32/1019 (unpag.); GfDSF, ZV, Abt. Propaganda, Berlin(Ost), 14.9.1965; Konzeption für die weitere Tätigkeit der Kollektive (…). 160 SAPMO-BArch, DY 32/1019 (unpag.); GfDSF, ZV, Sekretariat, Berlin(Ost), 2.4.1968, Beschluss Nr. 44/69 [sic] des Sekretariats des ZV vom 20.3.1968, Betr.: Ordnung über die Verleihung von Auszeichnungen (…).

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Verabschiedung der oben ausführlich behandelten „Grundsätze der weiteren Entwicklung (…)“ der sozialistischen Brigadebewegung durch den FDGB, mit ausdrücklichem Bezug auf dieses Dokument überarbeitet und im Februar 1973 in neuer Form beschlossen. Nunmehr wurden jene Kollektive, die den DSF-Ehrennamen trugen, explizit als „Teil dieser Bewegung“ bezeichnet, die sich besonders durch „ihr Bekenntnis und ihre Tat für den Bruderbund mit der Sowjetunion und ihr beispielhaftes Vorangehen beim Studium und bei der schöpferischen Anwendung der Erfahrungen des kommunistischen Aufbaus“ dort auszeichneten.161 Als Voraussetzung für die Verleihung des Beinamens wurde u. a. bestimmt, dass diese Kollektive „das Freundschaftsbekenntnis im eigenen Tätigkeitsbereich sichtbar“ machen und „weitere Werktätige dafür gewinnen“ sollten. Weiterhin wurde erwartet, dass „die Mitglieder der Kollektive aktiv an der politischen Massenarbeit ihrer [DSF-]Grundeinheit teilnehmen und in den Patenklassen im Sinne der deutsch-sowjetischen Freundschaft wirken“. Ob die 100-prozentige DSFZugehörigkeit aller Brigademitglieder Bedingung für die Verleihung des Ehrennamens sein sollte, wurde nicht eindeutig geregelt. In der 1968er Auszeichnungsordnung lautete die Formulierung, dass „die Mitglieder des betreffenden Kollektivs möglichst vollzählig unserer Organisation angehören“ sollten. 1973 fehlten nähere Bestimmungen wie „alle“ oder „(möglichst) vollzählig“.162 Dies ließ den für die Verleihung/Bestätigung vor Ort zuständigen Sekretariaten der DSF-Kreisvorstände einen gewissen Spielraum. Die einmalige Titelverleihung und die jährliche Verteidigung folgten gänzlich der neuen KdsA-Verordnung. Binnen weniger Monate, vor allem im Sog der verstärkten Brigade-Kampagne, sah sich die DSF 1972/73 einer Flut neuer Anträge zur Verleihung des Ehrennamens gegenüber. Mit ihrem kleinen Apparat konnte die Organisation jedoch unmöglich überprüfen, ob die Bewerber auch nur annähernd die eben genannten Bedingungen erfüllten und wollte dies wohl auch kaum, denn immerhin spülte diese Welle eine beachtliche Zahl neuer Mitglieder (und somit Beitragszahler) in die DSF, die ansonsten eher ein Schattendasein fristete.163 Schließlich war die 161 SAPMO-BArch, DY 32/904 (unpag.); GfDSF, ZV, Sekretariat, Berlin(Ost), 1.3.1973, Beschluss Nr. 68/135 des Sekretariats des ZV vom 22.2.1973. 162 Ebd. 163 Nachdem es in der Mitgliederstatistik der DSF zwischen 1955 und 1972 kaum Bewegung gegeben hatte, wurden ab 1973 jährlich Hunderttausende neue Mitglieder registriert, ein Sprung um 2 Millionen bis 1978. Der Zusammenhang zur Brigadebewegung und dem KdDSF-Titel scheint evident. Dies findet auch darin seinen Niederschlag, dass die Zahl der DSF-Veranstaltungen (und noch mehr der Teilnehmer) trotz der Vielzahl neuer Mitglieder bis 1976 zurückgeht. Auch dies ist ein Hinweis auf die organisatorische Überforderung des kleinen DSF-Apparates einerseits und den inhaltlich kaum untersetzten Masseneintritt der Kollektive andererseits. StJB der DDR 1960/61, S. 159 (für 1950 bis 1960),

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Mitgliedschaft das einzige überprüfbare Kriterium, von dem die Verleihung des Ehrennamens tatsächlich abhing.164 Sofern es überhaupt DSF-Funktionäre gab, die sich darum kümmern konnten, herauszufinden, ob die Voraussetzungen erfüllt waren, gelangten sie meist zu der Erkenntnis, dass die „Aktivitäten im Sinne der Spezifik der Aufgaben der GfDSF noch zu allgemein, zu einseitig und manchmal zu formal“ Eingang in die Kultur- und Bildungspläne der Arbeitskollektive fanden.165 Eine letzte Veränderung der Modalitäten um den Ehrennamen „Kollektiv Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ erfolgte 1983. Neben permanenten Arbeitskollektiven aller möglichen Bereiche wurde darin auch „Lehrlings- und Studentenkollektiven“ sowie „Kollektiven des künstlerischen Volksschaffens“ die Möglichkeit eingeräumt, den Beinamen verliehen zu bekommen. Als Anerkennung für Kollektive, die den Ehrennamen fünfmal in ununterbrochener Reihenfolge verteidigt hatten, stiftete die DSF nun eine spezielle Ehrenplakette. Zudem enthielt die neue Richtlinie die Empfehlung, die Verleihung bzw. Verteidigung des Kollektivtitels jeweils in den Mitgliedsbüchern zu vermerken; beides Regelungen, die eindeutig an die KdsA-Regularien erinnern.166 Über entsprechende Aktivitäten der Kollektive zur Vertiefung der Freundschaft mit der Sowjetunion sagen die Quellen relativ wenig aus, was darauf hindeutet, dass dies einer der vielen Punkte war, die im Rahmen des sozialistischen Lernens und Lebens eher formal abgehakt wurden. Einen größeren Stellenwert hatte das Ganze freilich für die DSF, weil es zumindest formal eine erhebliche Aufwertung der Freundschaftsgesellschaft bedeutete. Sie gewann dadurch Millionen Mitglieder und Beitragszahler, die mehrheitlich auch noch der „führenden Klasse“ angehörten. Die Wirkung auf die Masse der beteiligten Werktätigen dürfte dagegen eher marginal gewesen sein. Und dennoch war diese Einbindung der StJB 1969, S. 495 (für 1965); StJB 1972, S. 503 (für 1970/71); StJB 1975, S. 443 (für 1972-74); StJB 1980, S. 397 (für 1975, 1978/79); StJB 1984, S. 398 (für 1980); StJB 1987, S. 403 (für 1985); StJB 1989, S. 410 (für 1988). 164 Im EKO bspw. erhielten 1985 insgesamt 382 von 516 Kollektiven den KdDSF-Titel und 8.302 von 11.020 Beschäftigten waren als Mitglieder der Freundschaftsorganisation registriert. UA EKO 2026, EKO, Bl. 88ff. (Direktor für Ökonomie, 20.3.1986, Betr. Einschätzung der Rechenschaftslegungen der Kollektive […] für das Jahr 1985), hier Bl. 96. 165 SAPMO-BArch, DY 32/1014 (unpag.); GfDSF, Abt. Wissenschaft und Technik, 27.8.73, Betr. Zuarbeit für Berichterstattung an das Sekretariat des ZK der SED. Eine prinzipiell gleichlautende Einschätzung enthält ein Bericht des DSF-Bezirksvorstandes Leipzig mit demselben Betreff, vom 28.8.1973 – in derselben Akte. 166 SAPMO-BArch, DY 32/4012 (unpag.); Richtlinie zur Verleihung und Verteidigung des Ehrennamens „Kollektiv Deutsch-Sowjetische Freundschaft“, Beschluss des Präsidiums des ZV der GfDSF vom 1.2.1983.

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DSF und ihres Anliegens in die sozialistische Brigadebewegung ein weiterer Faden in dem dicht geknüpften Netz staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen bzw. Organisationen des SED-Herrschaftssystems, in das jede/r Einzelne über das (Arbeits-)Kollektiv eingesponnen war.

7. Wirkung und Akzeptanz der sozialistischen Brigadebewegung im Spiegel der DDR-Sozialforschung Zunächst soll es um Einsichten bezüglich der Wirkung und Akzeptanz des sozialistischen Brigadewettbewerbes in der DDR-Arbeiterschaft gehen, die in einigen Meinungsumfragen und Studien, vorrangig aus der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, überliefert sind.167 Die Motive der Beschäftigten für die Wettbewerbsteilnahme sollten durch eine 1977/78 in 11 Betrieben durchgeführte Befragung ergründet werden (Tabelle 23).168 Dass nur jeder vierte Befragte zugab, sich u. a. aus materiellen Motiven (Prämien) zu beteiligen, während zwei Drittel die mutmaßlich von oben erwünschten Antwortmöglichkeiten auswählten, lässt vermuten, dass das Umfrageergebnis durch eine Art Selbstzensur erheblich beeinflusst, d. h. verfälscht wurde. Angesichts dessen ist es erstaunlich, dass nahezu 20 Prozent einräumten, ihre Wettbewerbsteilnahme sei dem Konformitätsdruck („Weil alle meine Kollegen teilnehmen.“ bzw. „Weil es von mir verlangt wird.“) geschuldet. Nicht zu übersehen ist, dass die Mitglieder sozialistischer Kollektive signifikant häufiger die vermutlich erwünschten gesellschaftlichen Motive (Antwort 1 bis 3) bejahten, während die anderen deutlich öfter den Anreiz der Prämie und die Wirkung des Konformitätsdrucks (Fragen 7 und 8) bekannten. Ein Gradmesser dafür, wie ernst die Beschäftigten ihre Wettbewerbsteilnahme selbst nahmen, ist die Frage, ob sie die Ziele dieser Wettbewerbe überhaupt kann167 Dass solche Daten für das letzte Jahrzehnt des SED-Staates kaum existieren, ist in erster Linie der Tatsache geschuldet, dass die Parteiführung 1979 die Auflösung des dafür zuständigen, dem Politbüro direkt unterstellten Instituts beschloss. (Niemann, Meinungsforschung, S. 54f. Nach Niemanns Einschätzung gab es „zu keinem Zeitpunkt … eine qualifizierte Reaktion der politischen Führung auf die vorgelegten Ergebnisse“ dieses Instituts.) Bestehen blieb aber das Leipziger Zentralinstitut für Jugendforschung, dessen Ergebnisse für die 1980er Jahre u. a. für das Kapitel über die Jugendbrigaden in diesem Buch herangezogen wurden. 168 SAPMO-BArch DY 34/22930 (unpag.); statistische Ergebnisse einer Umfrage (ca.1977) zu den BdsA, Zentralschule des BuV des FDGB „Otto Schlag“, Besenstedt, 10.8.78, Bericht über das Studium der Ergebnisse und Erfahrungen bei der Verwirklichung der vom 9. FDGB-Kongress gestellten Anforderungen an die weitere Entwicklung des „sall“ – dazu nur Anlage: Liste der Betriebe u Ergebnisse zu einer Befragung in diesen Betrieben.

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ten. Abgesehen davon, dass die Umfragen offenbar keine Kontrollfragen enthielten, um jene herauszufiltern, die hierauf mit „ja“ antworteten, ohne wirklich zu wissen, worum es ging, weisen die Ergebnisse aus den verschiedenen Jahren eine deutlich steigende Tendenz auf.169 Wie vorsichtig diese Umfrageergebnisse tatsächlich zu interpretieren sind, zeigen die Resultate einer ähnlichen Befragung von 1975 in der nur 40 Prozent der Beschäftigten angaben, die Wettbewerbsziele ihres Arbeitskollektivs zu kennen. Noch weniger, nämlich nicht einmal ein Drittel der Befragten, bejahte eindeutig, mit den Wettbewerbszielen ihres Betriebes vertraut zu sein.170 Bezeichnend ist der Befund, dass nicht einmal jeder fünfte Beschäftigte der Meinung war, der Produktionsablauf und die Materialbereitstellung in seinem Arbeitsbereich/Betrieb seien gut organisiert. Da drängt sich die Frage auf, was es nutzte, wenn bspw. mehr als zwei Drittel der Befragten angaben, in ihren Brigaden werde großer Wert auf Qualitätsarbeit und Ausnutzung der Arbeitszeit gelegt? Ob dies der Realität entsprach, lässt sich nicht mehr nachprüfen. Klar scheint aber, dass zumindest in der Wahrnehmung der Beschäftigten ein krasses Missverhältnis zwischen ihren Bemühungen um die Erfüllung aller möglicher Kriterien in diversen Wettbewerben einerseits und den scheinbar unüberwindlichen Defiziten bezüglich solch elementarer Rahmenbedingungen wie Produktionsablauf und Materialbereitstellung andererseits bestand. Auch die Zufriedenheit mit der Würdigung ihrer Leistungen im Wettbewerb, war offenbar nicht sehr ausgeprägt, wenn etwa die Hälfte der Befragten diese Antwortoption nicht ankreuzte.171 Diese skeptisch-kritische Grundstimmung spiegelt sich auch in jenem Teil der Untersuchung deutlich wider, wo es um notwendige Verbesserungen, Probleme der Arbeitszeitauslastung sowie die Arbeits- und Lebensbedingungen geht. Klare 169 Gaben 1971 noch reichlich 40 % an, die Wettbewerbsziele ihres Arbeitsbereiches nur teilweise oder gar nicht zu kennen bzw. gar nicht teilzunehmen, halbierte sich die Zahl dieser Antworten bis 1974 auf etwas über 20 Prozent. ZK-Abt. GS, Berlin, 29.5.1974, Ergebnisse einer Meinungsumfrage (durchgeführt vom Institut für Meinungsforschung beim ZK der SED) zu Fragen der Information der Werktätigen. SAPMO-BArch, DY 30 vorl. SED/16288/2 (unpag.). Befragt wurden insgesamt 1.858 Beschäftigte aus jeweils geschlossenen Kollektiven, Brigaden, Meister- bzw. Produktionsbereichen, von denen ca. 2/3 im Schichtsystem arbeiteten. 170 SAPMO-BArch, DY 30/vorl. SED/18825/2 (unpag.) Originalfragebogen und Information (Teil-Auswertung) dazu von ZK-Abt. GS, Berlin, 14.1.1976 (an Krolikowski für Honecker). Umfrage zu einigen Problemen der Mitwirkung der Werktätigen an der Leitung und Planung in den Betrieben (September/Oktober 1975), durchgeführt vom Institut für Meinungsforschung beim PB des ZK der SED. Befragt wurden 2.478 Werktätige aus 15 zentralgeleiteten und 6 Kleinbetrieben. 171 Ebd.

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Favoriten bei der Frage nach Dingen, die im Betrieb verbessert werden müssten, waren für deutlich über 50 Prozent der Beschäftigten eine leistungsgerechte(re) Entlohnung und die „noch bessere“ Berücksichtigung ihrer Meinungen und Vorschläge bei der Planausarbeitung. Immerhin knapp 40 Prozent fühlten sich unzureichend darüber informiert, welche Prämien ihnen bei termin- und qualitätsgerechter Planerfüllung winkten, was vermutlich Motivationsprobleme zur Folge hatte. Interessanterweise fanden diesen Punkt aber deutlich weniger Befragte wichtig als jenen der leistungsgerechten Entlohnung.172 Dies legt den Schluss nahe, dass eine deutliche Mehrheit der Beschäftigten höheren, an die Leistung gekoppelten Löhnen den Vorzug gegenüber mehr und höheren Prämien gegeben hätte. Ein Widerspruch zur o. g. hohen Wertschätzung der Ausnutzung der Arbeitszeit ergibt sich aus den Antworten auf die Frage, ob die Arbeitszeit in ihrem Bereich voll ausgenutzt werde. Nur gut die Hälfte der Befragten bejahte dies, wobei immerhin mehr als ein Drittel einräumte, es sei auf „ungenügendes Verantwortungsbewusstsein einzelner Kollegen“ zurückzuführen, wenn das nicht geschehe.173 Weitaus stärker gewichtet wurde allerdings die unregelmäßige Materialbereitstellung, und auch andere Mängel bezüglich der betrieblichen Organisation wurden von relevanten Minderheiten beklagt.174 In der Summe wird deutlich, dass die Arbeiter den Schlendrian einiger Kollegen zwar nicht leugneten, aber ganz überwiegend die Rahmenbedingungen für die ungenügende Ausnutzung der Arbeitszeit, die ja unmittelbar auf die Arbeitsproduktivität durchschlug, verantwortlich machten. Zufrieden mit ihren allgemeinen Arbeitsbedingungen zeigten sich 1975 knapp 54 Prozent der Befragten, während gut 39 Prozent diese Frage verneinten. Ganz ähnlich sahen die Relationen bei der Frage nach der Entwicklung der Arbeits- und Lebensbedingungen im Betrieb in den letzten Jahren aus: Gut die Hälfte bewertete selbige positiv und reichlich 38 Prozent negativ. Alarmieren musste die Verantwortlichen hierbei, dass lediglich 29 Prozent den Eindruck hatten, dass die „Vorschläge und Hinweise der Werktätigen für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen in ihrem Betrieb ernsthaft geprüft und beachtet“ wurden,

172 Ebd. 173 Ebd. 174 Ergänzend hier das Ergebnis einer Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts unter jungen Berufstätigen und Lehrlingen von 1977: Nur 56 % waren „vorbehaltlos bereit, die Arbeitszeit immer vollständig zu nutzen“; die tatsächliche Nutzung der Arbeitszeit betrug nach eigener Einschätzung: 20 % immer, 62 % meistens vollständig; 49 % der männl. und 64 % der weibl. Werktätigen waren vollkommen dafür, die Arbeitszeit vollständig auszunutzen. SAPMO-BArch DY 34/11356 (unpag.); Kurt Zahn an H. Tisch, 1.12.77, Betr.: Forschungsbericht zur Herausbildung kommunistischer Einstellungen (…).

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während mehr als ein Drittel der Befragten vom Gegenteil überzeugt war (und ein weiteres Drittel angab, dies nicht beurteilen zu können). Nahezu gleich schlecht schnitten die leitenden Wirtschaftsfunktionäre und die Betriebsgewerkschaftsleitungen bei der Frage ab, ob sie sich genügend für die Verbesserung der Arbeitsund Lebensbedingungen in ihrem Betrieb eingesetzt hätten. Die Mehrzahl der Beschäftigten war jeweils der Meinung, dass dies nicht der Fall sei (Wirtschaftsfunktionäre: 48 % nein, 37 % ja; BGL: 44 % nein, 39 % ja).175 Diese Aussagen der Beschäftigten zu den Rahmenbedingungen ihrer Arbeit zeigen, dass es eine ganze Reihe von ungelösten Problemen gab, die das grundsätzliche Anliegen des sozialistischen Wettbewerbs, bestmögliche ökonomische Leistungen zu erzielen, teilweise konterkarierten und als Motivationsbremse wirkten. Eine 1977 vom ZIJ unter mehr als 7.000 jungen Arbeitern und Lehrlingen durchgeführte Erhebung erbrachte kaum überraschende Ergebnisse im Hinblick auf die Erwartungen der jungen Werktätigen an ein gutes Arbeitskollektiv, wie Tabelle 24 zeigt.176 Bemerkenswert ist aber, dass immerhin knapp ein Viertel die „aktive gesellschaftliche Tätigkeit und politisch-ideologische Erziehungsarbeit in den Arbeitskollektiven“ indirekt ablehnte. Denn genau darin bestand ja die zentrale Absicht, die SED und FDGB mit der sozialistischen Brigadebewegung verknüpften. Dem Arbeitskollektiv gestanden die allermeisten der befragten Jugendlichen auch zu, auf Fehlverhalten von Kollegen zu reagieren (Tabelle 25). Dies war zwar in der Fragestellung nicht näher definiert, meinte aber vermutlich erzieherische und disziplinarische Maßnahmen. Drei Viertel bis nahezu 90 Prozent der Befragten fanden entsprechende Sanktionen angemessen, wenn Kollegen offensichtlich schlecht arbeiteten, sich Fehlschichten leisteten oder während der Arbeitszeit (zu tief) in die Flasche guckten. Beinahe ein Drittel hingegen hielt ein Einschreiten des Kollektivs nicht unbedingt für geboten, wenn sich der ein oder andere am „Volkseigentum“ bereicherte.177 Immerhin die knappe Hälfte hatte Bauchschmerzen bezüglich des Anspruchs, private Verfehlungen durch Kollektivsanktionen zu ahnden. Genau genommen kam dies einer Zurückweisung der mit dem „sozialistisch Arbeiten, Lernen und Leben“ angestrebten Überwindung der Trennung zwischen Arbeitswelt und Privatsphäre gleich. Einige interessante Befunde zu den sozialistischen Brigaden erbrachte auch die bereits zitierte 1977er Befragung durch ein FDGB-Institut. Nahezu 60 Prozent 175 Ebd. (Die Zahlen in diesem Absatz beziehen sich auf keine hier wiedergegebene Tabelle). 176 Die meisten Punkte waren darin so allgemein(gültig) formuliert, dass eine hohe Zustimmung selbstverständlich erscheint. 177 Hier ging es um Diebstahl, etwas umständlich umschrieben mit der Formel: „wiederholte Entnahme von Materialien für persönliche Belange“.

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der Beschäftigten waren demnach der Meinung, die Teilnahme am „sozialistischen arbeiten, lernen und leben“ wirke sich positiv auf das Klima in ihren Arbeitskollektiven aus, und fast ebenso viele meinten, dadurch würde die Geselligkeit unter den Kollegen auch außerhalb der Arbeitszeit gefördert, wobei der gemeinsame Besuch kultureller Veranstaltungen etwas vor dem kollektiven Sporttreiben rangierte. Deutlich weniger, nämlich nicht einmal jeder Vierte meinte, dadurch würde die eigene kulturelle Betätigung in der Freizeit angeregt. Immerhin 45 Prozent gingen von positiven Wirkungen auf die Bereitschaft der Kollegen zur beruflich-fachlichen Qualifizierung aus, während nur ein reichliches Drittel den gleichen Effekt im Hinblick auf die politische Weiterbildung vermutete. Nur gut ein Viertel der Befragten bejahte die Frage nach speziellen Impulsen für den „proletarischen Internationalismus“.178 Einer von zehn Beschäftigten war der Meinung, die Zugehörigkeit zu einer sozialistischen Brigade habe keinerlei besondere Auswirkungen und lediglich 6 Prozent gaben an, sich durch zu viele kollektive Veranstaltungen in der Ausübung ihrer privaten, persönlichen Interessen beeinträchtigt zu fühlen. Dies ist ein sehr geringer Wert, der selbst bei Anrechnung einer Dunkelziffer von Befragten, die es, entgegen ihrer tatsächlichen Meinung, nicht für opportun hielten, diese Antwort anzukreuzen, für eine insgesamt sehr hohe Akzeptanz der sozialistischen Brigaden spricht. Diese grundsätzlich positive Bewertung findet ihre Entsprechung darin, dass Mitglieder sozialistischer Brigaden mit ca. 80 Prozent deutlich häufiger ihre Arbeitszufriedenheit (vollkommen und überwiegend) bestätigten als jene Kollegen (68 %), die nicht einem solchen Kollektiv angehörten (Tabelle 27). Nach Auskunft der Befragten waren die in sozialistischen Brigaden beschäftigten auch deutlich leistungsbereiter als jene in Arbeitskollektiven, die nicht an dieser Bewegung teilnahmen (Tabelle 28). Ob höhere Maschinenauslastung, Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, -organisation und Technologie oder Qualität der Produktion und Planerfüllung insgesamt, bei allen abgefragten Kriterien lagen die Umfragewerte von Brigademitgliedern zwischen 15 und 23 Prozent über denen der Kollegen, die sich nicht am „sozialistischen arbeiten, lernen und leben“ beteiligten. Dieses Kapitel zu den Ergebnissen von Meinungsumfragen und ähnlichen Erhebungen, vorrangig aus der zweiten Hälfte der 1970er Jahre, sollen ein paar kurze Auszüge einer umfangreichen soziologischen Untersuchung beschließen, die 1978 im Bezirk Karl-Marx-Stadt durchgeführt und 1982 veröffentlicht worden ist.179 178 Siehe Tabelle 26. 179 Lebensweise – Sozialstruktur – Territorium. Eine Studie zur Entwicklung der Lebensweise von Produktionsarbeitern und Angehörigen der wissenschaftlich-technischen Intelligenz im Bezirk Karl-Marx-Stadt am Ende der 1970er Jahre. Wissenschaftliche Schriften-

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Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die „Produktionsarbeiter (…) den Kollektivbeziehungen hohe Wertschätzung“ beimessen und „soziales Wohlbefinden im Kollektiv (…) ihnen zu einem wesentlichen Bedürfnis geworden“ sei. Das hätten 87 Prozent der Befragten zum Ausdruck gebracht. Fast drei Viertel von ihnen sahen „ihre Ansprüche hinsichtlich kollektiver Beziehungen verwirklicht“ und „weit über die Hälfte“ waren mit den „vorhandenen Beziehungen zufrieden und sehr zufrieden“. Die Autoren der Studie betonten in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass „gute kollektive Beziehungen (…) eine echte Stimulierung positiven Arbeitsverhaltens und enger sozialer Bindungen an den Betrieb“ darstellten.180 So explizit wurde diese, aus arbeits- und betriebssoziologischer Sicht wichtige Erkenntnis im Kontext der Konzipierung, Beeinflussung und Bewertung der sozialistischen Brigadebewegung in den Dokumenten von SED und FDGB erstaunlicherweise nie formuliert. Auch in dieser Untersuchung wurden teils deutliche Unterschiede zwischen den Beschäftigten verschiedener Branchen (hier Metall- und Textilindustrie) bzw. in Abhängigkeit von der Betriebsgröße diagnostiziert. So heißt es bspw. im Vergleich der beiden Industriezweige, dass in den Textilbetrieben bestimmte erwünschte „Verhaltensweisen im geringeren Maße objektiv von den Bedingungen her stimuliert“ würden, was sich z. B. „in der [vergleichsweise geringen] Teilnahme am Neuererwesen, in der Ausübung ehrenamtlicher Funktionen im Betrieb und in der Zusammenarbeit mit der wissenschaftlichen Intelligenz“ widerspiegeln würde.181 Andererseits böten „die speziellen und allgemeinen Arbeitsanforderungen und Arbeitsbedingungen, das organisatorische und politische Niveau, die kulturellen und sozialen Bedingungen in den Großbetrieben ganz andere Möglichkeiten für die Entwicklung der Arbeiterpersönlichkeit“, was in den Untersuchungsergebnissen zum „sozialen und politischen Niveau der Arbeiter von Großbetrieben“ nachgewiesen worden sei.182 Die Studie schließt mit einem stark nivellierenden, positiv überzeichneten Fazit: „Die Industriebeschäftigten zeichnen sich aus, durch eine große Einheitlichreihe der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt, Heft 5, 1982. Methodische Hinweise: durchgeführt 1978 in den drei größten Industriezweigen (Metallverarbeitung, Leichtu. Textilindustrie) des Bez. KMSt.; Fragestandard zu 91 Komplexen; schriftlich befragt wurden 1.972 Werktätige. („ausgewählt in mehrstufig geschichteter Zufallsauswahl“); „gültig für 961 Betriebe mit 225.757 Industriearbeitern“ (78 % der Industriearbeiterschaft. des Bezirkes). Leider sind die Primärdaten in der Veröffentlichung so stark komprimiert, verkürzt bzw. gar nicht wiedergegeben, dass ihr potentiell großer Aussagewert weitgehend überdeckt ist. 180 Ebd., S. 32f. 181 Ebd., S. 64. 182 Ebd., S. 72.

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keit in den Grundüberzeugungen und Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen ihrer persönlichen Bedürfnisse mit den gesellschaftlichen Zielen. Sie zeigen eine große Leistungsbereitschaft verbunden mit einem positiven Verhältnis zur Arbeit. Ihr kollektives Verhalten und die Qualität ihrer Kollektivbeziehungen sind einheitlich gut ausgeprägt. Sie besitzen gemeinsam ein hohes Niveau an Bildung und Qualifikation, der gesellschaftlichen Aktivität und ihrer Bedürfnis- und Interessenstruktur im Freizeitbereich.“183 Natürlich entsprach dieses Fazit stark dem Wunsch bzw. der „Notwendigkeit“, die Gesellschaftspolitik der SED als überaus erfolgreich darzustellen. Und dennoch widerspricht es nicht gänzlich den in selbiger Studie zuvor präsentierten empirischen Befunden. In der Zusammenschau mit den anderen, oben erörterten Untersuchungen lässt sich konstatieren, dass die sozialistische Brigadebewegung natürlich nicht jenen (eben zitierten) „150-prozentigen“ Erfolg hatte. Andererseits ist nicht zu bestreiten, dass sie durchaus positive Wirkungen entfaltete – sowohl in Bezug auf das Betriebsklima, die Arbeitseinstellung und -leistung als auch im Hinblick auf die mit ihr verknüpften gesellschaftspolitischen Intentionen.

8. Zusammenfassung Die Zahlenbilanz der sozialistischen Brigadebewegung in der Honecker-Ära ist blendend: Zwischen 1970 und 1988 hat sich die Zahl der Teilnehmer von 2,5 auf knapp 5,5 Millionen Werktätige mehr als verdoppelt.184 Zurückzuführen ist dieser enorme quantitative Zuwachs vor allem auf die Ausdehnung des Kollektivwettbewerbs über die industriellen Großbetriebe hinaus, auf kleine und mittlere Betriebe sowie auf weite Teile des gesamten nichtproduzierenden Sektors. Damit wurden nunmehr nicht nur, wie noch in den 1960er Jahren, die Arbeiter, sondern nahezu alle Werktätigen in das sozialistische Arbeiten, Lernen und Leben einbezogen. Freilich sagt diese beeindruckende Statistik noch nichts über die Qualität der Bewegung aus. In der Führung des Wettbewerbs waren SED und FDGB hinsichtlich der Schwerpunktsetzung eher schwankend. Nach der recht klaren Priorität für ökonomische Wettbewerbskriterien in den sechziger Jahren wurde in der folgenden Dekade stärker das sozialistische Lernen und Leben betont. Ab Anfang der achtziger Jahre erfolgte, vor dem Hintergrund wachsender wirtschaftlicher Probleme, zumindest verbal eine stärkere Rückbesinnung auf das Kerngeschäft des sozialisti183 Ebd., S. 85. 184 Siehe Tabelle 1.

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schen Arbeitens. Diese Schwankungen wurden auf den nachgeordneten Ebenen, bis hinunter zu den Brigaden selbst, unterschiedlich schnell nachvollzogen. Sie führten auch zu einer gewissen Verunsicherung, wodurch auf der Betriebsebene geringe Spielräume entstanden, die von den jeweiligen Leitern und Funktionären teilweise genutzt wurden, eigene Schwerpunkte zu setzen. Die Bereitschaft der Werktätigen, sich im sozialistischen Wettbewerb zu engagieren, wurde in vielen Fällen durch unbefriedigende materielle Rahmenbedingungen (v. a. Mängel in der Materialbereitstellung und im Produktionsablauf sowie hinsichtlich leistungsgerechter Entlohnung), ungenügende Informationen und häufiges Nichtbeachten ihrer Verbesserungsvorschläge bzw. Kritiken mehr oder weniger stark beeinträchtigt. Die dadurch geschürte Unzufriedenheit wurde sehr wahrscheinlich maßgeblich durch die Arbeitskollektive abgemildert. Denn trotz teils widriger und sich verschlechternder Rahmenbedingungen gab es eine relativ hohe Arbeitszufriedenheit, die bei Mitgliedern sozialistischer Kollektive signifikant stärker ausgeprägt war als bei Nichtmitgliedern. Dafür spricht auch, dass viele Beschäftigte großen Wert auf gute Kollektivbeziehungen legten. Interessant ist die Entwicklung in den Bereichen sozialistisch lernen und leben, um die sich FDGB und SED in den 1970er Jahren besonders bemühten. So wurden ab 1972 erhebliche Anstrengungen unternommen, in enger Anbindung an die sozialistische Kollektivbewegung, möglichst flächendeckend „Schulen der sozialistischen Arbeit“ in den Betrieben und Einrichtungen zu etablieren. Auch hier ist die rein statistische Entwicklung (von 300.000 Teilnehmern 1972 auf 2,7 Millionen 1978) imposant. Aber ein genauerer Blick hinter die Zahlenkulisse offenbart wenig Substanz. Es ging in diesen Schulen primär um politisch-ideologische Indoktrination möglichst vieler Beschäftigter, die man eben am besten über die Brigaden erreichen konnte. Doch wenig deutet darauf hin, dass diesbezüglich eine nachhaltige Tiefenwirkung erzielt wurde. Andererseits taten sich erhebliche Defizite in der berufsbezogenen Weiterbildung auf, die man als Kern des sozialistischen Lernens in den Kollektiven und Betrieben hätte vermuten können. Bezogen auf den kulturellen Bereich beklagten Funktionäre auf allen Ebenen immer wieder zu geringe Aktivitäten in der „künstlerischen Selbstbetätigung“ und zunehmende Tendenz zu Formen geselliger Freizeitgestaltung, während die „Hochkultur“ weiterhin vernachlässigt oder bestenfalls im Rahmen einer „gewissen kollektiven Disziplin“ konsumiert wurde. In den achtziger Jahren scheinen die gemeinsamen kulturell-geselligen Aktivitäten weiter rückläufig gewesen zu sein. Der Konformitätsdruck innerhalb der Kollektive spielte im Bereich sozialistisch leben eine relativ große Rolle. Dieser war sehr weit gefasst, denn darunter waren vom Engagement für die Patenklasse, über die Verpflichtung zu einem mehrjährigen „Ehrendienst“ in der NVA, bis hin zum Eintritt in Massenorganisationen wie die DSF oder gar in die SED alle möglichen „gesellschaftlichen Aktivi-

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täten“ subsumiert, die das Privatleben der einzelnen Kollektivmitglieder teils massiv berührten. Dieser Kollektivdruck konnte vor allem in jenen Betrieben entstehen, die nach einem Punktesystem den KdsA-Wettbewerb führten, in dem auch die eben genannten, an sich sehr persönlichen Entscheidungen (wie Parteieintritt oder längerer Militärdienst) honoriert und der jeweiligen Brigade gutgeschrieben wurden. Damit wurde zugleich das offiziell auch für die Brigadebewegung geltende Prinzip der freiwilligen Teilnahme an diversen kollektiven Aktivitäten unterlaufen. In die Privatsphäre Einzelner eingegriffen wurde auch, wenn die sozialistischen Kollektive den Auftrag, sich gegenseitig zu erziehen, ernst nahmen. War dieses Ansinnen schon seit Beginn der sozialistischen Brigadebewegung bei vielen Werktätigen auf Skepsis und Ablehnung gestoßen, erfolgte in diesem Punkt zumindest in einigen Betrieben in den 1980er Jahren eine Lockerung. Und zwar indem der KdsA-Titel nun auch an Brigaden unter Ausschluss mehrerer Mitglieder von der Auszeichnung vergeben wurde. Dies bedeutete praktisch eine Abkehr von dem ursprünglichen Anspruch, gerade mithilfe der sozialistischen Brigaden buchstäblich jede/n erreichen und zu einer „sozialistischen Persönlichkeit“ erziehen zu wollen.

VI. Jugendbrigaden: Die Arbeiterjugend als Avantgarde der Brigadebewegung?

1. Zur Entwicklung der Jugendbrigaden bis Ende der 1960er Jahre Folgte man der offiziellen Statistik, ließe sich das Thema Jugendbrigaden eindeutig dem Kapitel über die Brigaden in der Ära Honecker zuordnen, denn eine offizielle Statistik der Jugendbrigaden gab es erst ab 1970.1 Einschlägige DDRPublikationen hingegen ziehen eine Traditionslinie zurück bis ins Jahr 1948, als der damalige FDJ-Vorsitzende Honecker auf dem 1. Jungaktivistenkongress in Zeitz die arbeitende Jugend in der SBZ dazu aufrief, sich an die Spitze der Aktivistenbewegung zu stellen.2 Die Zahl der damals „Jugendaktivs“ oder „Jugendproduktionsgruppen“ genannten ersten Jugendbrigaden wurde für 1948 mit knapp 500 und für das darauffolgende Jahr auf ca. 3.000 beziffert.3 Auch die Geschichte der sozialistischen Brigadebewegung haben Jugendbrigaden von Beginn an mit geschrieben. Bei den „Mamais“, die 1959 den Startschuss für das sozialistische Arbeiten, Lernen und Leben geben durften, handelte es sich schließlich um eine „Jugendkomplexbrigade“ und nicht nur zufällig war der FDJZentralrat an der Ausarbeitung dieser Kampagne beteiligt gewesen.4 Der Staatstitel „Hervorragende Jugendbrigade der Deutschen Demokratischen Republik“ war sogar schon Mitte der 1950er Jahre gestiftet worden, als an die BdsA-Kampagne noch gar nicht zu denken war.5 1 2

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Siehe Tabelle 2. Hummel, Lothar u.a. (Autorenkollektiv): Jugendbrigaden. Grundlagen und Erfahrungen ihrer Leitung, hrsg. vom Zentralrat der FDJ und dem Zentralinstitut für sozialistische Wirtschaftsführung beim ZK der SED, Berlin (Ost) 1979, S. 3 (Vorwort). Henneberg, Arbeitsbrigaden, S. 163f. Vgl. Kapitel.II.1. Der damalige FDGB-Vorsitzende, Herbert Warnke, begründete Ende 1958 die Präferenz für jugendliche „Initiatoren“ der BdsA-Kampagne damit, dass es zweckmäßig sei, „diese Bewegung zunächst von jüngeren Kollegen ausgehen zu lassen, weil das die Forderung der Qualifizierung und Selbstbildung erleichtert“. „Entwurf einer Diskussionsgrundlage …“ (Warnke, 15.12.58), SAPMO-BArch, DY 34/24514 (unpag.). Vgl. Roesler, Jugendbrigaden, S. 22. Nach seinen Berechnungen war im „Frühjahr 1959 … jede fünfte Brigade, die sich im ‚Titelkampf‘ befand, eine Jugendbrigade“, und die Jugendbrigaden insgesamt zählten zu diesem Zeitpunkt etwa 40.000 Mitglieder. Die Auszeichnung wurde Mitte 1955 gestiftet und im Februar 1956 erstmals vergeben. (Quelle: „Manöver Schneeflocke“, Zeittafel) Im Gesetzblatt der DDR taucht sie dann Anfang 1959 auf: Ordnung über die Verleihung des Ehrentitels „Hervorragende Jugendbri-

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Von der kontinuierlichen Erfolgsstory in zeitgenössischen FDJ-Publikationen6 bis hin zur Betitelung als „die Unerreichbaren“ in jüngeren Forschungsarbeiten7 changiert das Bild von der Arbeiterjugend in der DDR. Wie sind nun die Jugendbrigaden in dieses historiographische Spannungsfeld einzuordnen? Von der gezielten Instrumentalisierung der besonderen Begeisterungsfähigkeit und des Tatendrangs der Jugend bis hin zur wachsenden Distanz und Skepsis der nachwachsenden Generation der „herrschenden Klasse“ gegenüber dem Gesellschaftsentwurf der SED und dem daraus geronnenen Realsozialismus reicht das Spektrum, ohne dass man diese Phänomene in einer eindeutigen zeitlichen Abfolge sortieren könnte. Der Focus dieser Untersuchung richtet sich weniger auf die gezielte Instrumentalisierung einzelner Jugendbrigaden, die es von 1948 bis 1989 immer wieder gab, sondern auf die Phase der systematischen, flächendeckenden Förderung von Jugendbrigaden in der DDR und die daran geknüpften Zielvorstellungen. Dass diese Eingrenzung sinnvoll ist, wird u. a. daran deutlich, dass bspw. anlässlich der Verleihung des Ehrentitels „Hervorragende Jugendbrigade der DDR“ 1958 in einem Bericht dazu explizit eingeräumt wurde, dass noch „keine klare Vorstellung über den Charakter einer Jugendbrigade und ihre altersmäßige Zusammensetzung“ bestehe.8

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gade der DDR“ veröffentlicht im Rahmen der Verordnung über die Bestätigung der Ordnungen über die Verleihung von staatlichen Auszeichnungen vom 22. Januar 1959 in: GBl. Teil I Nr. 17 (28.3.1959), S. 209f. Limitiert wurde die Auszeichnung auf jährlich „bis zu 50“ Jugendbrigaden (§ 8) und eine Prämie pro Brigademitglied von „bis zu 300,- DM“ (§ 7). Analog der Modifizierung der letztgenannten Auszeichnung (Siehe Kapitel IV.1.) erfolgte 1963 auch hier eine Modifikation: Neben der Umbenennung des Titels in „Hervorragendes Jugendkollektiv der DDR“ wurde die Prämie auf maximal 200 DM (pro Kopf) gesenkt und bei 5000 DM pro Jugendkollektiv gedeckelt. Die Begrenzung auf maximal 50 Auszeichnungen jährlich blieb bestehen. Gbl. Teil II Nr. 47 (31.5.1963), S. 327f. Hummel u. a., Jugendbrigaden. Dort findet sich auf S. 10f. ein kurzer chronologischer Abriss dieser „Erfolgsgeschichte“. Sandrine Kott, Die Unerreichbaren der sozialistischen Gesellschaft: die Arbeiterjugend in der DDR (1970–1989), in: Hürtgen/Reichel, Schein, S. 229–248. SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/611/52 (unpag.). Zentrale Kommission für staatliche Kontrolle, 21.1.1958, Bericht über die Überprüfung der Beschlussvorlage über die Verleihung des Ehrentitels (…). In dem Papier heißt es, dass alle 49 vorgeschlagenen Brigaden die Auszeichnung erhalten hatten, obwohl die Bedingungen dafür gar nicht in jedem Fall erfüllt waren. Hauptkritikpunkt waren die Größe und die altersmäßige Zusammensetzung der ausgezeichneten „Jugendbrigaden“: Eine sehr große Brigade hatte bspw. 76 Mitglieder von denen weniger als die Hälfte (37) jünger als 25 Jahre waren und 13 älter als 40 oder gar 50. In einer anderen „Hervorragenden Jugendbrigade“ waren nur 2 von insgesamt 10 Kollegen jünger als 25 Jahre.

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Zwar tauchen im Quellenmaterial für die 1960er Jahre immer wieder Jugendbrigaden als Auslöser diverser Wettbewerbsinitiativen auf, und einer von ihnen wurde bspw. in der „Parteidiskussion zur Vorbereitung des VII. Parteitages“ der SED die Urheberschaft an der markanten Losung „Schrittmacher oder Mitmacher“ zugeschrieben.9 Aber eine breite, systematische Förderung der Jugendbrigaden ist in dieser Dekade noch nicht erkennbar. Symptomatisch hierfür ist, dass in der SED-internen Diskussion während der Ausarbeitung des Ende März 1967 gefassten Staatsratsbeschlusses „Jugend und Sozialismus“ eher allgemein formuliert wurde, dass es „besonders bei der Jugend darauf ankommt, ihr Bewußtsein in der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit und speziell in den sozialistischen Brigaden zu entwickeln“.10

2. Hochfliegende Pläne: Jugendbrigaden als Instrument zur „klassenmäßigen Erziehung“ und Mobilisierung der Arbeiterjugend Mit Beginn der 1970er Jahre wurde den Jugendbrigaden dann zunehmend mehr Aufmerksamkeit geschenkt, was nicht nur in der nun offiziell einsetzenden statistischen Erfassung, ihrer kontinuierlich wachsenden Zahl (Tabelle 2) und der häufigeren Vergabe des Titels „Hervorragendes Jugendkollektiv der DDR“ seinen Niederschlag fand.11 In einem parteiinternen Rundschreiben des SED-Zentralkomitees an alle 1. Bezirks- und Kreissekretäre vom Dezember 1971 werden die Jugendbrigaden ausdrücklich als „eine der wirksamsten Möglichkeiten, die klassenmäßige Erziehung und das Leistungsvermögen junger Arbeiter zu fördern“

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Exemplarisch: „Konzeption zur Erarbeitung des Aufrufes der Jugendbrigade „6. FDGBKongress“ im VEB Wema Plauen zur Weiterführung der Bewegung ‚sozialistisch arbeiten, lernen und leben‘ ...“ (ca. Sommer 1965) SAPMO-BArch, DY 34/21882 (unpag.). SAPMO-BArch, DY 30 IV A 2/6.11/63 (unpag.). ZK-Abt. Maschinenbau/Metallurgie, Berlin, 18.10.1967, Zuarbeit zum Referat des Gen. Dr. Mittag. Das Zitat bezieht sich auf die Jugendbrigade „Völkerfreundschaft“ aus dem VEB Braunkohlenwerk Regis. Ebd., ZK-Abt. GS, Berlin, 6.2.1967, Bemerkungen zur Vorlage „Jugend und Sozialismus“. FDJ-Zentralrat, Beschlussreihe K, 6/10/77 (Verbandsinternes Material), hrsg. vom Sekretariat des Büros des FDJ-ZR am 15.2.1977; Gemeinsame Information des BuV des FDGB und des ZR der FDJ über Erfahrungen und Aufgaben bei der Entwicklung der Jugendbrigaden, S. 7. Diesem Dokument zufolge wurde der Titel zwischen 1971 und 1975 an 436 Jugendbrigaden vergeben, was einem Durchschnitt von jährlich ca. 87 dieser Auszeichnungen entspricht – gegenüber maximal 50 pro Jahr, die in der gesetzlichen Ordnung von 1963 festgelegt worden waren. 1987 wurden dann sogar 300 Jugendbrigaden mit diesem Titel ausgezeichnet.

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hervorgehoben.12 Dass nunmehr zu einer breiten, systematischen Förderung von Jugendbrigaden übergegangen wurde, manifestierte sich spätestens in dem Anfang 1974 verabschiedeten Jugendgesetz der DDR, wo es in § 12 explizit hieß: „Die Leiter und Vorstände schaffen langfristig und planmäßig die Voraussetzungen für die Bildung von Jugendbrigaden“.13 Gleichwohl herrschte im Parteiapparat noch Mitte der 1970er Jahre Unzufriedenheit darüber, dass sich die Zahl der Jugendbrigaden „in den letzten Jahren nicht so entwickelt [habe], wie es den betrieblichen Möglichkeiten“ entspräche. Dies wurde auf die „Unterschätzung der politischen Funktion der Jugendbrigaden“ zurückgeführt, insbesondere durch die staatlichen Leiter der Betriebe, die bis dato „noch ungenügend die erforderlichen Voraussetzungen zur Bildung von Jugendbrigaden“ geschaffen hätten.14 Besagte Unzufriedenheit mündete in den Anfang Februar 1977 veröffentlichten „Gemeinsamen Beschluss des Ministerrates der DDR, des Zentralrates der FDJ und des Bundesvorstandes des FDGB zur weiteren Förderung und Bildung von Jugendbrigaden“.15 Dieser „gemeinsame Beschluss“ kann als d a s zentrale Dokument der SED-Politik bezüglich der Jugendbrigaden betrachtet werden, weshalb eine etwas ausführlichere Erörterung seines Inhaltes angemessen erscheint. Einleitend wird darin die Bedeutung des Themas mit einem Honecker-Zitat herausgestellt. Der SED-Generalsekretär hatte auf dem X. Parlament der FDJ im Juni 1976 gesagt: „Viele Jugendbrigaden vollbringen vorbildliche Leistungen und sind 12

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SAPMO-BArch, DY 30 J IV 2/3/1815, Bl. 17 ff., Rundschreiben 03/14, Anlage Nr. 2 zum Protokoll Nr. 62/71 vom 1.12.1971, „Erfahrungen bei der klassenmäßigen Erziehung der Arbeiterjugend (…). „Gesetz über die Teilnahme der Jugend an der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und über ihre allseitige Förderung in der Deutschen Demokratischen Republik – Jugendgesetz der DDR – vom 28. Januar 1974 (GBl. I, Nr. 5; S. 45 ff.) Gleich in § 1 dieses Jugendgesetzes wurde übrigens folgendes festgeschrieben: „Aufgabe jedes jungen Bürgers ist es, auf sozialistische Art zu arbeiten, zu lernen und zu leben (…).“ SAPMO-BArch, DY 30 vorl. SED 16288/1 (unpag.). ZK-Abt. GS an Gen. Krolikowski, 7.11.74, Diskussionsmaterial über ausgewählte Entwicklungsprobleme der Arbeiterjugend (…). Roesler (Jugendbrigaden, S. 23) resümiert, dass „das mit den Jahren aufgebaute politische Anleitungs- und Kontrollsystem der Jugendbrigaden kaum funktionierte und dass auch die gesetzlich verankerten Vorschriften über Organisation und Aufgabenstellung der Jugendbrigaden vielfach von den Werkleitungen … nicht eingehalten wurden.“ Gemeinsamer Beschluss des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik, des Zentralrates der FDJ und des Bundesvorstandes des FDGB zur weiteren Förderung und Bildung von Jugendbrigaden vom 4. Februar 1977. FDJ-Zentralrat, Beschlussreihe K, Nr. 6/10/77 (hrsg. vom Sekretariat des Büros am 15.2.1977; Verbandsinternes Material). Daher auch im Folgenden. Dieses Dokument wird nachfolgend in diesem Kapitel nur in der Kurzform als „Gemeinsamer Beschluss“ bezeichnet.

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zuverlässige Kaderschmieden geworden. Darin liegt der tiefe Sinn der Jugendbrigaden.“16 Passend zu dieser Weihe von höchster Stelle hatte der Jugendverband auf derselben Veranstaltung das bereits während eines „Kongresses der Arbeiterjugend“ im Herbst 1975 verkündete Ziel bekräftigt, im Fünfjahrplanzeitraum 1976 bis 1980 die Anzahl der Jugendbrigaden um 10.000 zu erhöhen. Angesichts von offiziell registrierten 26.000 Jugendkollektiven im Jahr 1975 ein überaus ehrgeiziges Vorhaben. Dass der „gemeinsame Beschluss“ nicht lediglich von FDJ und FDGB gefasst, sondern ausdrücklich der Ministerrat daran beteiligt wurde, sollte das Gewicht des Beschlusses erhöhen und deutet zugleich auf das geringe Zutrauen in die Durchsetzungsfähigkeit des Jugendverbandes und der Einheitsgewerkschaft. Die Autorität des Ministerrates musste aufgeboten werden, um die Hauptadressaten tatsächlich zu erreichen, nämlich die „Leiter der Staats- und Wirtschaftsorgane“. Diese wurden, gemeinsam mit den Betriebsgewerkschaftsleitungen und den FDJLeitungen, in einem ganzen Maßnahmenkatalog zur „Förderung und Entwicklung von Jugendbrigaden“ in ihren jeweiligen Verantwortungsbereichen verpflichtet. So hatten sie fortan nicht nur der „Einbeziehung der Jugendbrigaden in den sozialistischen Wettbewerb und (…) ihrer Teilnahme an der Bewegung ‚sozialistisch arbeiten, lernen und leben‘ besondere Aufmerksamkeit“ zu widmen. Vielmehr wurden die „Leiter der Betriebe und Genossenschaften“ nun explizit verpflichtet, „in Übereinstimmung mit den Leitungen der FDJ und der Gewerkschaften“ konkrete „Vereinbarungen über die Förderung der Jugendbrigaden und über ihren Wettbewerbsbeitrag“ abzuschließen sowie die „Voraussetzungen zur Erfüllung und öffentlichkeitswirksamen Abrechnung der Zielstellungen“ zu schaffen.17 Der gleiche Kreis wurde verantwortlich gemacht, spezielle „Festlegungen zur Anleitung und Qualifizierung der Leiter der Jugendbrigaden, der FDJ-Gruppen16

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Ebd., S. 1. Die Wunschvorstellung, Jugendbrigaden würden als „Kaderschmieden“ funktionieren, war freilich älter. Günter Mittag schrieb bspw. im Herbst 1963 an Ulbricht in Vorbereitung auf ein Jugendforum, das der Parteichef in Leipzig abhalten wollte über eine vorbildliche Jugendbrigade aus diesem Bezirk: „Diese Brigade arbeitet im Sinne des Jugendkommuniqués. Sie schmiedet durch ihre systematische Arbeit mit den Menschen die Kader von Morgen.“ SAPMO-BArch, DY 30 IV A 2/2021/50, Bl. 106f. An anderer Stelle heißt es dazu in dem „gemeinsamen Beschluss“: „In den Fünfjahr- und Jahresplänen sind durch die Leiter der Betriebe, Kombinate, Genossenschaften und kooperativen Einrichtungen, der VVB und Ministerien (…) im Sinne des Jugendgesetzes der DDR Maßnahmen festzulegen. In diese Pläne sind die betrieblichen Schwerpunkte für den Einsatz von Jugendbrigaden, deren zukünftige Arbeitsaufgaben sowie Schritte zur Auswahl und Vorbereitung der Kader mit Verantwortlichkeit und Terminen aufzunehmen. Die Maßnahmen sind in der Plandiskussion zu beraten (…) sowie in den Jugendförderungsplänen zu verankern.“

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sekretäre, der gewerkschaftlichen Vertrauensleute und anderen Brigadefunktionären“ zu treffen. Um den geplanten enormen quantitativen Zuwachs zu erreichen, sollten die staatlichen Leiter außerdem „sichern, dass Jugendliche planmäßig mit Beendigung der Lehrzeit für die Arbeit in Jugendbrigaden gewonnen“ und jene, die „ihren Ehrendienst in den Reihen der bewaffneten Organe beendet haben, in Jugendbrigaden eingegliedert“ werden. Die „Anwendung und Weiterführung bewährter Traditionen und Arbeitserfahrungen der Arbeiterklasse“ sollte durch die „Delegierung erfahrener, klassenbewußter Facharbeiter“ in die Jugendbrigaden gewährleistet werden. Klassenbewusstsein diente hier wohl als Chiffre für SED-Mitgliedschaft, deren explizite Erwähnung bewusst vermieden wurde, so wie in dem gesamten Dokument die Parteiinstanzen als die im Zweifelsfall maßgeblichen Institutionen auf allen Ebenen ungenannt blieben. Damit wurde vermutlich das Ziel verfolgt, die in den Betrieben nur marginale Rolle und Autorität der FDJ aufzuwerten, indem sie hier einmal nicht im Schatten der Einheitspartei dargestellt wurde und somit zugleich möglichst wenige Jugendliche abzuschrecken.18 In diesem Sinne wurde im „gemeinsamen Beschluss“ den FDJ-Leitungen der Betriebe auch das Recht zugesprochen „Räte der Brigaden als ihre beratenden Organe“ zu berufen. Ein wesentlicher Zweck der verstärkten Bemühungen um die Jugendbrigaden war ihre angestrebte Funktion als Kaderschmiede, die ja Honecker persönlich in dem obigen Zitat hervorgehoben hatte. Nun sollten also „verstärkt aus den Jugendbrigaden Kader für leitende Funktionen in den Betrieben und gesellschaftlichen Organisationen entwickelt“ werden. Dazu waren konkrete Festlegungen zu treffen, um „hervorragende junge Facharbeiter aus Jugendbrigaden für die Aufnahme eines Studiums“ vorzubereiten. Diesen sicherte man außerdem zu, „bei der

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Selbstverständlich waren dem „gemeinsamen Beschluss“ Beratungen und Festlegungen der Parteispitze vorausgegangen – auch wenn diese in dem Dokument mit keiner Silbe erwähnt werden, was ein weiteres Indiz für die Richtigkeit der These der bewussten Unterschlagung ihrer „führenden Rolle“ in diesem Fall liefert. In einer Quelle wird ausdrücklich auf den „Beschluss des Sekretariats des Zentralkomitees [der SED] vom 26.1.1977 zur weiteren Entwicklung der Jugendbrigaden“ Bezug genommen – und nicht auf den vom 4.2.1977 datierenden „gemeinsamen Beschluss“. Diese Quelle deutet auch darauf hin, dass (wie üblich) selbst Details des „gemeinsamen Beschlusses“ von der Parteiführung zuvor festgelegt worden waren. BLHA Rep. 532/4081 (unpag.), Vorlage für das Sekretariat der Kreisleitung der SED Brandenburg zur Sekretariatssitzung am 16.3.1977, Bericht über erste Erfahrungen und Ergebnisse bei der Vorbereitung der Parteiwahlen unter besonderer Berücksichtigung der Verwirklichung der Jugendpolitik der Partei, eingereicht vom Sekretär der Leitung der GO des VEB Stahl- und Walzwerk Brandenburg.

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Vergabe des FDJ-Stipendiums bzw. anderer Sonderstipendien vorrangig berücksichtigt“ zu werden. Diverse Maßnahmen zur weiteren Popularisierung der Jugendbrigaden flankierten die Kampagne. Unter ausdrücklichem Bezug auf einen entsprechenden Vorschlag Honeckers wurde z. B. festgelegt, dass „ab 1977 jährlich am Ende der ‚Woche der Jugend und Sportler‘ (freitags) der ‚Tag der Jugendbrigaden‘ in den Betrieben und Genossenschaften durchgeführt“ werden sollte. An diesem Tag waren die Leistungen der Jugendbrigaden öffentlich abzurechnen und zu würdigen sowie neu gebildeten Jugendbrigaden von „leitenden Funktionären des Betriebes oder Veteranen der Arbeit die Berufungsurkunde des Zentralrates der FDJ und des Bundesvorstandes des FDGB“ auszuhändigen. Außerdem sollten aus diesem Anlass diverse Auszeichnungen verliehen werden, „Erfahrungsaustausche, ökonomisch-kulturelle Leistungsvergleiche und vielfältige gesellige Veranstaltungen“ stattfinden. Den jährlichen Höhepunkt bildete an diesem speziellen Tag ein „Ball der Jugendbrigaden“ im Palast der Republik, zu dem der Ministerrat wiederum gemeinsam mit den Spitzen von FDJ und FDGB einlud und der Gelegenheit zur Begegnung zwischen Mitgliedern von Jugendbrigaden und Ministern sowie leitenden Funktionären bieten sollte. In einem dem „gemeinsamen Beschluss“ beigefügten Dokument über die „Erfahrungen und Aufgaben bei der weiteren Entwicklung der Jugendbrigaden“ erfährt man etwas mehr über die inhaltlichen Beweggründe und Ziele der Kampagne zur massiven Vermehrung der Jugendbrigaden. Neben der bereits genannten Funktion als Kaderschmieden wurden den Jugendbrigaden folgende Attribute zugeschrieben: Stätten bzw. Zentren der kommunistischen Erziehung, Initiatoren des Neuen, Stoßtrupps im sozialistischen Wettbewerb, Zentren kultureller Aktivitäten der Jugend sowie politisch-organisatorische Basis für die Tätigkeit der FDJ unter der Arbeiterjugend – das alles sollten die Jugendbrigaden sein.19 Rein statistisch nahm die Bewegung der Jugendbrigaden Ende der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre tatsächlich einen rasanten Aufschwung.20 Es gelang sogar mehr als die angestrebten 10.000 neuen Jugendkollektive bis einschließlich 1980 zu bilden, was einem Zuwachs von fast 50 Prozent gegenüber 1975 entsprach. Die Beschlüsse des XI. (Juni 1981) und insbesondere des XII. FDJ-Parlamentes (Mai 1985), nochmals jeweils 5.000 zusätzliche Jugendbrigaden zu gründen, konnten

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Gemeinsame Information des Bundesvorstandes des FDGB und des Zentralrates der FDJ über Erfahrungen und Aufgaben bei der weiteren Entwicklung der Jugendbrigaden. FDJZentralrat, Beschlussreihe K, Nr. 6/10/77 (hrsg. vom Sekretariat des Büros am 15.2.1977; Verbandsinternes Material). Siehe Tabelle 2.

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dann allerdings nicht einmal mehr theoretisch umgesetzt werden.21 1986 wurde mit 45.675 Jugendkollektiven und mehr als 575.000 Mitgliedern der statistische Höhepunkt erreicht. Danach gingen die Zahlen leicht zurück. Die Entwicklung der Jugendbrigaden und ihre ausführliche propagandistische Würdigung beschäftigte wiederholt die Parteispitze. So wurden bspw. die Konzeptionen zur Durchführung der Treffen der Jugendbrigadiere anlässlich des 30- bzw. 40-jährigen Jubiläums der Jungaktivistenbewegung im April 1978 bzw. 1988 in Zeitz vom Sekretariat des ZK der SED beraten und beschlossen, einschließlich der ausführlichen Medienberichterstattung über die Vorbereitung und Durchführung der Treffen.22 An der 2-tägigen Veranstaltung im Frühjahr 1988 sollten bspw. 600 Jugendbrigadiere „aus allen volkswirtschaftlichen Bereichen“ teilnehmen, innerhalb der Delegationen aus allen Bezirken der DDR unter der Leitung der jeweiligen FDJ-Bezirkschefs.23 Ähnliche Großveranstaltungen fanden außerdem auch in den einzelnen Bezirken statt,24 um den teilnehmenden Vertretern der Jugendbrigaden, und durch entsprechende Medienberichte auch der breiten Öffentlichkeit, den Eindruck einer starken und breiten Bewegung zu vermitteln.

3. Zur Realität der Jugendbrigaden auf betrieblicher Ebene und in empirischen Studien im letzten Jahrzehnt der DDR Was lässt sich nun über die reale Entwicklung der Jugendbrigaden und die tatsächliche Erfüllung der in sie gesetzten Erwartungen jenseits der propagandistisch aufbereiteten Erfolgsgeschichte herausfinden? Dieser Frage soll im Folgenden anhand einiger Quellen aus den beiden Referenzbetrieben dieser Untersuchung, dem Eisenhüttenkombinat Ost (EKO) und dem Stahl- und Walzwerk Branden-

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ZIJ-Studie 1987, S. 46. SAPMO-BArch, DY 30 J IV 2/3/2678, Bl. 6f., Anlage Nr. 1 zum Protokoll Nr. 135 (der Sitzung des ZK-Sekretariats) vom 23.11.1977, und SAPMO-BArch, DY 30 J IV 2/3/2147, Bl. 9 ff., Anlage Nr. 2 zum Protokoll Nr. 88 (der Sitzung des ZK-Sekretariats) vom 12.8.1987. Eine ähnliche Veranstaltung fand am 30.5.1987 anlässlich der Eröffnung der „Woche der Jugend und des Sports“ in Berlin statt, wo gemeinsam durch den Ministerrat, den FDJ-ZR und den FDGB-BuV 300 Jugendbrigaden mit dem Titel „Hervorragendes Jugendkollektiv der DDR“ ausgezeichnet wurden. SAPMO-BArch, DY 34/14350 (unpag.), Maßnahmen des Ministerrates zur Durchführung des Jugendgesetzes im Jahre 1987. Exemplarisch: Materialien des Treffens der Jugendbrigadiere des Bezirkes Karl-MarxStadt am 25. Oktober 1980. (Graudruck ohne Vermerk des Herausgebers, vermutlich FDJ-ZR; SAPMO-Bibliothek, FDJ-Bestand).

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burg (SWB), vor allem aber mit Hilfe mehrerer zeitgenössischer Studien des Zentralinstituts für Jugendforschung (ZIJ) Leipzig nachgegangen werden.

Jugendbrigaden im Stahl- und Walzwerk Brandenburg Etwas, das in den offiziellen Darstellungen zur Jugendbrigade-Kampagne auffälligerweise fehlt, aber faktisch immer stattfand, war die Führung der entsprechenden Prozesse durch die jeweiligen SED-Instanzen. So postulierte die BPL des SWB in einem Bericht an die SED-Kreisleitung nur knapp sechs Wochen nach der Veröffentlichung des „gemeinsamen Beschlusses“ (von Ministerrat, FDGB-Bundesvorstand und FDJ-Zentralrat): Die „ständige Arbeit und die immer wieder Neuformierung und Festigung der Jugendbrigaden (…) wird als wesentlicher Bestandteil der Jugendpolitik im Führungs- und Leitungsprozess eingeordnet“.25 In Auswertung des entsprechenden Beschlusses des ZK-Sekretariats habe man u. a. mit der „Bildung des Rates der Jugendbrigadiere als eine Form der weiteren politischen Arbeit der FDJ-Leitung in den Jugendbrigaden“ begonnen. Kritisiert wurde, dass „noch nicht alle APO-Leitungen und staatlichen Leiter (…) die vorhandenen Möglichkeiten zur Formierung von Jugendbrigaden (…) sowie zur Erhöhung des Niveaus der Arbeit in diesen Kollektiven“ ausschöpfen würden. Dies sei aber erforderlich, da sich aus dem „starken Wechsel und der ständigen Wiedereinordnung Jugendlicher in diese Kollektive“ eine „besondere politische Verantwortung (…) zur Festigung der Arbeit in den Jugendbrigaden“ ergebe. Dass es im Brandenburger Stahl- und Walzwerk auch vor 1977 schon entsprechende Anstrengungen gegeben hat, belegt eine „Übersicht über Ergebnisse der Jugendpolitik seit Juni 1975“ für diesen Betrieb.26 Speziell zu den Jugendbrigaden im SWB liegen nur wenige statistische Angaben, begrenzt auf die erste Hälfte der 1980er Jahre, vor (Tabelle 13). Für 1983 lässt sich die Zahl der Jugendbrigaden (48) ins Verhältnis zu den insgesamt 316 Brigaden des SWB setzen, die in diesem Jahr am KdsA-Wettbewerb teilgenommen haben, was einem Anteil von 15 Prozent entspricht.27 Dieser Wert deckt sich ziemlich genau mit dem DDR-Durchschnitt während der ersten Hälfte der 1980er Jahre.28 Sowohl die quantitative 25

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27 28

BLHA Rep. 532/4081 (unpag.), Vorlage für das Sekretariat der Kreisleitung der SED Brandenburg zur Sekretariatssitzung am 16.3.1977, Bericht über erste Erfahrungen und Ergebnisse bei der Vorbereitung der Parteiwahlen unter besonderer Berücksichtigung der Verwirklichung der Jugendpolitik der Partei, eingereicht vom Sekretär der Leitung der GO des VEB Stahl- und Walzwerk Brandenburg. Daher auch im Folgenden. Siehe Tabelle 14. Diese Zahlen beziehen sich zwar nicht direkt auf die Jugendbrigaden, sind aber recht aufschlussreich im Hinblick auf erhebliche jugendpolitische Aktivitäten insbesondere der BPO im SWB in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre. Vgl. Tabelle 10. Vgl. Tabelle 2 (Spalte 4).

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Jugendbrigaden: Die Arbeiterjugend als Avantgarde der Brigadebewegung?

Entwicklung der Jugendbrigaden im SWB als auch das Vorhandensein der entsprechenden betrieblichen Dokumente, wie bspw. eines Jugendförderplanes, belegen das Bemühen, die Forderungen des „gemeinsamen Beschlusses“ vom Februar 1977 umzusetzen. Dass diese Bemühungen, v. a. um die Erfüllung der immer neuen Anforderungen zur Bildung weiterer Jugendbrigaden, nicht ohne Weiteres Früchte trugen, wird bspw. durch Überlegungen „zur besseren Einbeziehung der Jugendbrigaden in den Kampf um den Ehrentitel ‚Kollektiv der sozialistischen Arbeit‘“ vom Herbst 1983 belegt. Darin wurde u. a. bekräftigt, dass jedes Jugendkollektiv „am Jahresanfang konkret abrechenbare Verpflichtungen“ zu übernehmen habe und zwar „überdurchschnittliche Verpflichtungen“, da die Jugendbrigaden als „Schrittmacher im sozialistischen Wettbewerb auftreten“ sollten.29 Dafür sei ihnen durch die staatlichen Leiter „jegliche Unterstützung bei der Führung des Wettbewerbes“ zu gewähren. Offensichtlich wurde auch auf betrieblicher Ebene, durch die staatlichen Leiter in Zusammenarbeit mit den Funktionären von SED, FDGB und FDJ auf die „bewährte“ Methode zurückgegriffen, so genannte Führungsbeispiele zu entwickeln. Verpflichtungen, wie die folgenden der Jugendbrigade „Tiefofen“ aus dem SWB, wurden den Mitgliedern der Brigaden eher aufgedrängt, als aus innerem Antrieb freiwillig übernommen. Neben einer Reihe ökonomischer Verpflichtungen wie der Einsparung von Material, der Erarbeitung von Neuerervorschlägen und der „konsequenten Auslastung der Arbeitszeit“ versprachen die Brigademitglieder, „2 Kollegen zum Meisterlehrgang“ zu delegieren sowie „2 Jugendliche für die FDJ und 2 Jugendfreunde als Kandidaten für die Partei der Arbeiterklasse“ zu gewinnen.30 Dieses Beispiel ist ein weiterer Beweis für die äußerst fragwürdige Verknüpfung der Brigadebewegung mit sehr persönlichen Entscheidungen der einzelnen Kollektivmitglieder. Eindeutig politische Anforderungen enthielt bspw. auch der „Maßnahmeplan des Generaldirektors zur Durchsetzung des Jugendgesetzes im Jahr 1984“. Zur Realisierung der „GST-Verpflichtung DDR 35 – Unsere Tat für die Stärkung der Verteidigungskraft des sozialistischen Vaterlandes“ sollten diesem Plan zufolge „in den Jugendbrigaden Wehrkampfsportgruppen gebildet werden, die aktiv am Reservisten-Dreikampf teilnehmen“. Bei der Förderung der Jugendbrigaden war besonderes Augenmerk darauf zu legen, dass „alle Jugendlichen im Jugendverband organisiert sind und in jeder Jugendbrigade Genossen arbeiten“, „nach Möglichkeit eigene Partei- und FDJ-Gruppen“ in jedem Jugendkollektiv existieren, jede Jugendbrigade den „Ehrennamen eines antifaschistischen Widerstandskämpfers 29 30

BLHA Rep. 502/1632 (unpag.), Direktor für Ökonomie an Generaldirektor, Brandenburg, den 23.9.1983, Vorschlag zur besseren Einbeziehung (…). Exemplarisch: BLHA Rep. 502/1632 (unpag.), Direktor für Rationalisierung an Direktor für Ökonomie, Brandenburg, 30.8.1983, Anlage mit Auszug aus dem Kampfprogramm der Jugendbrigade „Tiefofen“ Schicht III, RH 5. Daher auch im Folgenden.

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oder einer fortschrittlichen Persönlichkeit trägt“ und „Patenschaftsbeziehungen zu einer Schulklasse bzw. einem Lehrlingskollektiv unterhält“. Außerdem ordnete der Generaldirektor an, die Eignung aller Jugendbrigadiere zu prüfen und gegebenenfalls „erforderliche Maßnahmen, wie Parteischulbesuch oder Qualifizierung“ festzulegen. Für die Umsetzung dieser Anweisungen wurden die jeweiligen staatlichen Leiter verantwortlich gemacht. Zudem war offenbar die hauptberufliche Funktion von Jugendbeauftragten bei den Betriebsdirektoren geschaffen worden. Diese Beauftragten waren „über alle die Jugendarbeit tangierenden Probleme“ und Entscheidungen der jeweiligen Bereiche zu informieren und zu konsultieren. Sie kamen zu regelmäßigen Beratungen der „Jugendarbeitsgruppe“ beim Jugendbeauftragten des Generaldirektors zusammen, in denen die Erfüllung der Beschlüsse kontrolliert wurde.31 Nichts sollte dem Zufall überlassen werden. Große Betriebe bzw. Kombinate wie das SWB, das zugleich Stammbetrieb des Qualitäts- und Edelstahlkombinates (QEK) war, konnten es sich offenbar auch leisten, Auszeichnungsveranstaltungen für die besten Jugendbrigaden in noblen Etablissements durchzuführen. So fand bspw. im September 1983 ein solcher Empfang des Generaldirektors mit Vertretern von 15 Jugendkollektiven des Kombinates, darunter 3 aus dem SWB, im Potsdamer Hotel Cecilienhof statt.32 Den Anlass gaben keine herausragenden Ehrungen, sondern lediglich die „Auszeichnung der besten Jugendbrigaden im 3. Initiativmonat“ des Jahres (das war der Juli) mit einer Urkunde des Ministers bzw. des Generaldirektors. Ganz jugendgemäß gab es den größten Teil des Abends „Musik mit einer Discothek“ und dazu „Gespräche an den Tischen (…) in gelockerter Form“, wobei ein „Wechsel der Funktionäre innerhalb der Tische (…) empfohlen“ wurde. Bei den Funktionären handelte es sich laut Ablaufplan der Veranstaltung um „Vertreter der ZBPL, ZBGL und FDJ-GOL“. Auch wenn das Ganze nicht unbedingt in jugendlich-gelockerter Form abgelaufen sein mag, ist es doch gut vorstellbar, dass wenigstens ein Teil der jungen Arbeiter von einer solchen Veranstaltung, in diesem gediegenen Umfeld, durchaus beeindruckt war, sich dadurch geehrt und anerkannt fühlte und dies zugleich als Ansporn verstand, in seinem Engagement für den Betrieb und darüber hinaus keinesfalls nachzulassen.

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32

BLHA Rep. 502/1632 (unpag.), VEB Qualitäts- und Edelstahlkombinat, Brandenburg, den 13.01.1984, Maßnahmeplan des Generaldirektors zur Durchsetzung des Jugendgesetzes im Jahr 1984. Daher auch im Folgenden. BLHA Rep. 502/1632 (unpag.), Direktor für Kader und Bildung an Generaldirektor Gen. Lauck, Brandenburg, den 8.9.1983, Ablauf der Auszeichnungsveranstaltung am 13.9.1983 in Cecilienhof.

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Jugendbrigaden im Eisenhüttenkombinat Ost Bei den Recherchen zum EKO tauchte auf der übergeordneten Ebene des Bezirkes Frankfurt/Oder, u. a. ein Dokument auf, das die Bemühungen der FDJ zum Thema Jugendbrigaden belegt. An die SED-Bezirksleitung war ein Maßnahmeplan des Jugendverbandes im Bezirk zur „Führung der volkswirtschaftlichen Jugendinitiativen im sozialistischen Wettbewerb im Planjahr 1978“ eingereicht worden. An erster Stelle stand das Ziel, in diesem Jahr „weitere 200 Jugendbrigaden“ zu bilden und „die bestehenden weiter zu stabilisieren, indem wir vor allem die Wirksamkeit der FDJ-Gruppen erhöhen“. Es folgt die Empfehlung an die Kreisleitungen der FDJ „analog zu verfahren“. In der Tat waren die FDJGruppen der einzig konkrete Ansatzpunkt für den Jugendverband, an der Basis in puncto Jugendbrigaden etwas zu bewegen. Allerdings waren und blieben sie das schwächste Glied in der Kette der Institutionen, die auf das Geschehen in den Betrieben Einfluss auszuüben versuchten. Die FDJ-Bezirksleitung sah es weiterhin als ihre Aufgabe an, überbetriebliche Leistungsvergleiche der Jugendbrigaden in den einzelnen Kreisen und im Bezirk zu organisieren, deren Sinn und Nutzen allerdings aufgrund der großen Unterschiedlichkeit der Betriebe und Institutionen, in denen überall Jugendkollektive existierten, umstritten war. Letztlich dienten diese Aktionen wohl primär der „weiteren Popularisierung“ der Jugendbrigaden, wie auch die Vorbereitung und Durchführung des „Tages der Jugendbrigaden“ und der III. Arbeiterjugendkonferenz des Bezirkes sowie die Auswahl und Delegierung der „besten jungen Arbeiter aus Jugendbrigaden“ zum Republikstreffen anlässlich der „30. Wiederkehr des Beginns der Jungaktivistenbewegung“ im April 1978 in Zeitz. Und schließlich hielt es die FDJ-Bezirksleitung Frankfurt/Oder für wichtig, dafür zu sorgen, dass „in den Jugendbrigaden (…) verstärkt der Kampf um den Namen eines revolutionären Helden“ geführt würde.33 Aus einem Informationsbericht des Sekretärs der SED-BPO des EKO an die Bezirksparteileitung geht hervor, dass in diesem Betrieb im IV. Quartal 1978 eine Kontrolle der Arbeiter- und Bauerninspektion (ABI) zur Realisierung des „gemeinsamen Beschlusses“ vom Februar 1977 stattgefunden hatte. Die BPL habe „ausgehend von der ABI-Kontrolle (…) weitere Festlegungen getroffen und unter Parteikontrolle genommen“, die nachfolgend aufgezählt wurden: Einsetzung eines Jugendbeauftragten des Generaldirektors, Ergänzung des „Staatsplanes zur Neubildung von Jugendbrigaden“, Überarbeitung der „Konzeption zur Arbeit mit Jugendbrigaden bis 1980“, Erarbeitung einer entsprechenden Konzeption des Generaldirektors für das gesamte Kombinat, Bildung eines „Rates der Jugendbrigadiere“ sowie die Durchführung diverser Leistungsvergleiche der Jugendkollektive wurden als wichtigste, bereits realisierte Maßnahmen genannt.34 33 34

BLHA Rep. 730/5314 (unpag.), Maßnahmeplan der BL Frankfurt der FDJ (…). BLHA Rep. 730/5301 (unpag.). Der Bericht datiert vom 9.5.1979.

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Beim „Rat der Jugendbrigadiere“, dessen Bildung auch in den Quellen zum SWB erwähnt wird, handelte es sich um ein hochgradig künstliches Gebilde, das zwar formal existiert haben mag, aber kaum wirklich tätig geworden sein dürfte. Auch wenn ihre Bezeichnung an die „Brigaderäte“ aus der „Syndikalismus-Affäre“ Anfang der 1960er Jahre erinnert, hatten sie mit diesen kaum etwas gemein. Durch die bereits im „gemeinsamen Beschluss“ vorgegebene, weitgehend sterile Konstruktion dieser Gremien per Berufung einzelner Jugendbrigadiere durch die FDJ-Leitung des Betriebes, der sie dann als beratendes Organ dienen sollten, war von vornherein klar, dass von diesen Räten keinerlei eigenständige Impulse ausgehen würden.35 Obwohl im EKO bereits „zielgerichtet (…) Förderungsverträge mit Jugendbrigaden vorbereitet und abgeschlossen“ worden waren, schätzte die BPL 1979 ein, dass die Zahl von insgesamt 31 Jugendkollektiven mit 612 Mitgliedern zu gering sei und „weitaus mehr Jugendliche in Jugendbrigaden zu organisieren“ wären. Unzureichend sei auch der Parteieinfluss in vielen Jugendbrigaden, weshalb von Seiten der SED-Gliederungen „in den nächsten Monaten schwerpunktmäßig mit den Jugendbrigaden gearbeitet“ werden sollte, auch um „weitere Jugendliche als Kandidaten unserer Partei [zu] gewinnen“. Abschließend wurden ehrgeizige Ziele zur Vermehrung der Jugendkollektive im EKO festgelegt: Bis Ende 1979 sollten weiter 15 Brigaden hinzukommen und bis zum Beginn des Jahres 1981 wollte man „50 Prozent aller Jugendlichen in Jugendbrigaden (…) organisieren“, wodurch sich deren Zahl „fast verdoppeln“ würde. Der von der BPL vorgegebene Schwerpunkt lag also primär auf der quantitativen Zunahme der Jugendbrigaden im EKO.36 Eine im Frühjahr 1979 entstandene Diplomarbeit über die Jugendbrigaden im EKO enthält einige interessante Anlagen, u. a. das Protokoll eines Gespräches mit dem Jugendbeauftragten des Generaldirektors.37 Dieser betonte, dass der „Erhal35

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Gemeinsamer Beschluss des Ministerrates der DDR, des ZR der FDJ und des Bundesvorstandes des FDGB zur weiteren Förderung und Bildung von Jugendbrigaden vom 4. Februar 1977. FDJ-ZR, Beschlussreihe K, Nr. 6/10/77 (hrsg. vom Sekretariat des Büros am 15.2.1977; Verbandsinternes Material), S. 3. Vgl. auch die Ausführungen zu den „Räten“ in der bereits zitierten offiziellen Broschüre: Hummel u.a., Jugendbrigaden, S. 106f. BLHA Rep. 730/5301 (unpag.). Bericht vom 9.5.1979. Die Jugendbrigaden der Industrie – Schulen der sozialistischen Demokratie für die Arbeiterjugend, dargestellt am Beispiel des Eisenhüttenkombinat/Ost. Diplomarbeit für Fachlehrer der allgemeinbildenden polytechnischen Oberschulen der Deutschen Demokratischen Republik, eingereicht bei der Sektion Marxismus/Leninismus/ Staatsbürgerkunde der Pädagogischen Hochschule „Ernst Schneller“ Zwickau von Annerose Wenzel (Abschluss der Arbeit: 30. Mai 1979). Anlage 2. („Graue“ Literatur, SAPMO-Bibliothek, Bestand FDJ).

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tung und Neubildung sowie der Verjüngung der Jugendbrigaden“ das Hauptaugenmerk gelte. Die „Auffüllung“ der Brigaden erfolge durch NVA-Rückkehrer und Jungfacharbeiter. Dabei hatte es aber offenbar Probleme gegeben, da die von ihrem anderthalbjährigen Wehrdienst Zurückgekehrten in der Regel vorher bereits in anderen Kollektiven integriert gewesen waren und beide Seiten häufig wollten, dass sie auch dahin zurückkamen.38 Der Beauftragte des Generaldirektors gab weiterhin zu Protokoll, dass die Bildung von Jugendkollektiven insbesondere an neuen Anlagen angestrebt werde und wiederholte außerdem die bekannte Formel, derzufolge die Jugendbrigaden als Kaderschmieden dienen sollten. Präzisiert lauteten die im „Kader- und Bildungsplan“ des Betriebes ausgewiesenen Perspektiven: „Delegierung zum Studium, Qualifizierung, sozial-politische Maßnahmen, Entlohnung, Soldat auf Zeit, Berufsoffizier“. Gewonnen werden sollten also nicht nur Kader für den Betrieb, sondern auch Berufsoffiziere oder wenigstens „Soldaten auf Zeit“ (3 bzw. 4 Dienstjahre). Die Bereitschaft, sich als Kader entwickeln zu lassen wurde mit sozialpolitischen Maßnahmen, d. h. bspw. bevorzugte Vergabe einer Neubauwohnung und besserer Entlohnung honoriert. Auch auf die politische Befähigung der Jugendbrigadiere wurde Wert gelegt. Sie sollten nicht nur einen 2-jährigen Meisterlehrgang absolviert haben, sondern möglichst der SED angehören, zumindest aber am Parteilehrjahr teilnehmen. Ab September 1979 war die Einrichtung einer „Schule junger Leiter“ geplant, die für alle Jugendbrigadiere obligatorisch sein sollte. Bis 1981 stieg die Zahl der Jugendbrigaden im EKO auf 50, wovon allerdings neun als überaltert eingestuft wurden.39 Gemessen an den insgesamt 465 Brigaden, die am KdsA-Wettbewerb teilnahmen, waren das knapp 11 Prozent, also ein etwas geringerer Wert als im SWB (1983) und im DDR-Durchschnitt.40 Insgesamt hatte man die „staatlichen Planaufgaben auf dem Gebiet der Jugendpolitik“ im Vorjahr (1980) erfüllt. Dieser Erfolg war allerdings ein eher quantitativ-oberflächlicher, denn bei genauerem Hinsehen gab es noch eine Vielzahl „spürbarer Hemmnisse bei der Arbeit mit Jugendbrigaden“. So wurde die Beteiligung am Leistungsvergleich der Jugendkollektive als „nach wie vor ungenügend“ bewertet, obwohl immerhin eine „Steigerung von 39 % auf 68 % zu verzeichnen“ war. Der jüngste einwöchige Lehrgang, der speziell für Jugendbrigadiere eingerichteten „Schule junger Leiter“, war, wie die vorhergehenden auch, nur äußerst schwach besucht

38 39 40

Ebd., Anlage 1, Gesprächsprotokoll mit dem Beauftragten des Produktionsdirektors. BLHA Rep. 732/3079 (unpag.), Büro GD, Informationsmaterial für die ZPL-Sitzung am 3.6.1981, Analyse zum Stand der Arbeit mit Jugendbrigaden im EKO. Dort waren es jeweils ca. 15 Prozent.

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worden (lediglich 27 % Auslastung).41 In einem wichtigen Betriebsteil, dem Bereich Hütte, war die Jugendarbeit, auch die mit den Jugendbrigaden, völlig zum Erliegen gekommen, weil man seit anderthalb Jahren keinen neuen FDJ-Sekretär finden konnte. Als Ursache der nicht unerheblichen Probleme bei der inhaltlichen Arbeit mit den Jugendbrigaden wurden Unzulänglichkeiten in der Leitung diagnostiziert: Weisungen und Festlegungen würden „nicht in allen Leitungsebenen mit Konsequenz und Engagement durchgesetzt“. Und die „Patenschaftsarbeit der Leiter mit den Jugendbrigaden“ müsse „durchgängig verbessert werden“. Das heißt, die jedem Jugendkollektiv zugeordneten Paten, in der Regel staatliche Leiter der mittleren Betriebsebene, kümmerten sich unzureichend um ihre Schützlinge. Dass die inhaltlichen Schwächen vor allem auf Mängel in der Anleitung und Betreuung der Jugendbrigaden – also auf externe Faktoren – zurückgeführt wurden, spricht nicht für deren eigene Stärke und innere Motivation. Darin deutet sich der etwas künstliche Charakter der gesamten Kampagne um die Jugendbrigaden und ihren vermeintlichen Erfolg an.42 Diese Tendenz kommt in den hier ausgewerteten Quellen zum EKO deutlicher zum Ausdruck als in Bezug auf das SWB. Massiv untermauert wird sie durch die im Folgenden wiedergegebenen Befunde des Leipziger Zentralinstituts für Jugendforschung (ZIJ). 41

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Für 1987 findet sich in den Akten des FDGB-Bundesvorstandes ein vom Staatssekretariat für Berufsbildung und dem Amt für Jugendfragen herausgegebenes zentrales Programm für die Weiterbildung der Jugendbrigadiere, an dessen Erarbeitung auch der FDJ-ZR und der FDGB-BuV beteiligt waren. Umfang (1 Woche) und Intention entsprechen genau der „Schule junger Leiter“. Die darin festgelegten Themen: 1. Die führende Rolle der SED bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und die Rolle der FDJ als Helfer und Kampfreserve der SED – die politische Verantwortung des Jugendbrigadiers. 2. Die Rolle der Jugendbrigaden und Jugendforscherkollektive der FDJ bei der noch wirksameren Verbindung der Vorzüge des Sozialismus mit den Errungenschaften der wissenschaftlich-technischen Revolution. 3. Der Leistungsvergleich der Jugendbrigaden als Bestandteil des sozialistischen Wettbewerbs. 4. Die Durchsetzung des sozialistischen Rechts für die Entwicklung und Festigung sozialistischer Kollektivbeziehungen in den Jugendbrigaden, insbesondere für die Herausbildung einer sozialistischen Einstellung zur Arbeit. 5. Die Stellung und Aufgaben des Jugendbrigadiers bei der Förderung und effektiven Nutzung der produktiven und erzieherischen Potenzen der Jugendbrigade. Die Bedeutung eines niveauvollen und ansprechenden geistig-kulturellen Lebens in den Jugendbrigaden für die Herausbildung und Festigung sozialistischer Kollektivbeziehungen und sozialistischer Persönlichkeitseigenschaften der Werktätigen.“ SAPMO-BArch, DY 34/14350 (unpag.). Jörg Roesler (Jugendbrigaden, S 24) mutmaßt, dass die „immer wieder beklagte ‚mangelnde Anleitung‘ … andererseits auch weitaus mehr Freiraum für die Selbstorganisation der Jugendbrigaden, als ihnen formal zugestanden war“ geboten habe. Das ist theoretisch richtig, lässt aber offen, ob und wie diese Freiräume tatsächlich genutzt wurden. Konkrete Belege oder auch nur Indizien dafür hat Roesler offenbar ebensowenig finden können wie ich.

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„… sind Jugendbrigaden vielerorts formalistischer Selbstzweck geworden.“ – Empirische Studien aus den 1980er Jahren43 Das Leipziger Institut, an dem es seit 1967 einen Forschungsbereich „Jugend und Arbeit“ gab, hat zwischen 1980 und 1987 mehrere vertrauliche Studien speziell zum Thema Jugendbrigaden angefertigt.44 Diese auf relativ solider wissenschaftlicher Basis durchgeführten Untersuchungen, insbesondere die letzte 1987 entstandene, vermitteln ein recht differenziertes, teilweise offen-kritisches und vergleichsweise realistisches Bild. Sie geben auch Aufschluss darüber, inwieweit die oben im Zusammenhang des „gemeinsamen Beschlusses“ von 1977 stichpunktartig wiedergegebenen Ziele der Kampagne zur massiven Vermehrung der Jugendbrigaden erreicht oder verfehlt wurden. „Initiatoren des Neuen“ und „Stoßtrupps“ im sozialistischen Wettbewerb hatten sie sein sollen. Zumindest 1980 lautete der diesbezügliche Befund, dass Jugendbrigaden wenig Gelegenheit hatten sich als „Initiatoren des Neuen“ zu beweisen, sondern vielmehr häufig als „Stoßtrupps“ eingesetzt wurden:45 Ihre Mitglieder erfüllten „wesentlich häufiger als andere junge Werktätige Arbeitsaufgaben, die unter erschwerten und ungünstigen Bedingungen vollzogen“ werden mussten, wie z. B. „hohe körperliche Anforderungen, Belastungen durch Lärm, Hitze, Staub“. Sie waren „mit 72 % (…) deutlich häufiger als andere (51 %) in Bereichen tätig, die vorwiegend durch Handarbeit, Arbeit mit Maschinenwerkzeugen oder Arbeit an Maschinen mit hohem Bedienanteil gekennzeichnet“ waren. Fast die Hälfte der Mitglieder von Jugendbrigaden gab in der zugrunde liegenden Befragung an, im Mehrschichtsystem (davon 24 % im Dreischichtsystem) tätig zu sein, während dies nur auf 26 % (10 %) der jungen Werktätigen in anderen Arbeitskollektiven zutraf. Diese Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass Jugendbrigaden in den Betrieben häufig eben nicht in technologisch moderneren Bereichen als „Initiatoren des Neuen“, sondern im Gegenteil gezielt vor allem da eingesetzt wurden, wo aufgrund der hohen physischen Belastungen kaum mehr jemand arbeiten mochte. Auch nicht neu war das Bestreben, Maschinen und Anlagen möglichst mehrschichtig auszulasten und dies keineswegs nur an hochproduktiven modernen 43

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Leonhard Kasek (Redaktion), Persönlichkeitsentwicklung und Leistungsbereitschaft junger Arbeiter in Jugendbrigaden, Zentralinstitut für Jugendforschung Leipzig, Dezember 1987, S. 51. Das Zentralinstitut für Jugendforschung Leipzig 1966 bis 1990. Geschichte – Methodik – Erkenntnisse, hrsg. von Walter Friedrich u. a., Berlin 1999. Darin (S. 269–300): Barbara Bertram/Leonhard Kasek/Gisela Thiele, Forschungen zu Jugend und Arbeit. Gerth, Werner/Kaftan, Burkhard: Die Rolle der Jugendbrigaden bei der Herausbildung kommunistischer Denk- und Verhaltensweisen bei jungen Werktätigen (Parlamentsstudie 1980 – Arbeiterjugend – Abschnitt 3), Zentralinstitut für Jugendforschung Leipzig, 1980. Nachfolgend zitiert als „ZIJ-Studie 1980“.

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Anlagen, da in vielen Betrieben die dafür erforderlichen Investitionen ausblieben. Bei dem vielerorts zähen Ringen um die Einführung des 3- und 4-Schichtsystems, wurden offenbar verstärkt Jugendbrigaden eingesetzt, um dieser Neuerung zum Durchbruch zu verhelfen. Stellten die Jugendbrigaden tatsächlich Zentren der kommunistischen Erziehung dar? Potenziell ja, könnte man kurz und knapp aus der 1980er ZIJ-Studie zusammenfassen, aber ein Selbstläufer waren sie auch in dieser Hinsicht keineswegs. Umschrieben wird dieser Zustand mit der Formel, dass „die hohe Konzentration junger Werktätiger in Jugendbrigaden besonders günstige Voraussetzungen für eine wirksamere erzieherische Einflussnahme schafft, aber gleichzeitig auch eine besonders intensive erzieherisch-persönlichkeitsbildende Arbeit auf allen Gebieten erfordert“. Zwar seien eine „höhere Leistungsorientiertheit und größere gesellschaftliche Aktivitäten“ nachweisbar, aber um sie gänzlich in die „richtigen“ Bahnen zu lenken, bedürfe es zusätzlich „vielfältiger und systematischer politischideologischer und geistig-kultureller Bildung und Erziehung“ der Jugendbrigaden. Es überrascht nicht, dass in den Betrieben bezüglich der Jugendbrigaden deutlich größere Anstrengungen zur regelmäßigen Durchführung politischer Veranstaltungen unternommen wurden als in anderen Arbeitskollektiven.46 Allerdings sollten aus der Häufigkeit derartiger Erziehungs- und Bildungsmaßnahmen keine simplen Rückschlüsse auf deren tatsächlichen Erfolg, also die Identifikation der Jugendlichen mit den Inhalten der vermehrten „Rotlichtbestrahlung“ (wie dies im DDR-Volksmund genannt wurde) ziehen. Bekanntermaßen führte das nicht selten zu Abstumpfung, Überdruss, überzeugungslosen Lippenbekenntnissen und ähnlichen, nicht beabsichtigten Ergebnissen. Diese Erkenntnis scheint auch in der 1982er ZIJ-Studie zum „Entwicklungsprofil von Jugendbrigaden“ durch.47 Entgegen den Erwartungen musste man nämlich feststellen, dass „sich langjährig in Jugendbrigaden mitarbeitende junge Werktätige in ihrem ideologischen Entwicklungsstand praktisch nicht von solchen unterscheiden, die über alle Untersuchungsetappen ‚lediglich‘ den Wunsch nach Mitarbeit in Jugendbrigaden äußerten“.48 Die Leipziger Jugendforscher glaubten 46

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Die Frage nach „mindestens monatlich stattfindenden Veranstaltungen im Arbeitsbereich/-kollektiv“ beantworteten Mitglieder von Jugendbrigaden durchweg häufiger mit ja als Nichtmitglieder: FDJ-Mitgliederversammlung (65 % Mitglieder von Jugendbrigaden und 52 % Nichtmitglieder), FDJ-Studienjahr (42 % und 24 %), organisierte politische Gespräche (34 % und 20 %), Gespräche mit Leitern (27 % und 15 %). ZIJ-Studie 1980, S. 14. B.(urkhard) Kaftan, Zum Entwicklungsprofil von Jugendbrigaden (Bericht zur SIS I/III), Zentralinstitut für Jugendforschung Leipzig, März 1982. Die Studie von 1982 wertete Mehrfachbefragungen im Zeitraum zwischen 1976 und 1980 aus. Die Auswertung ergab u. a. eine Gruppe von jungen Arbeitern, die in allen Befragungen den Wunsch geäußert hatten, in einer Jugendbrigade zu arbeiten, diesen aber nicht realisieren konnten.

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„dennoch einen besonderen erzieherisch-persönlichkeitsbildenden Einfluss der Jugendbrigaden“ belegen zu können. Dies schlussfolgerten sie aus der „Tatsache, dass jene jungen Werktätigen, die 1976 eine ablehnende Meinung zu ihrer eigenen realen Mitgliedschaft in Jugendbrigaden äußerten, nach Ablauf von nur etwa 4 Jahren ein Niveau der gesellschaftlichen Aktivitäten aufweisen, das sie kaum von ehemaligen oder gegenwärtigen engagierten Mitgliedern von Jugendbrigaden unterscheidet“. Damit ist allerdings wiederum nichts über die Ursachen dieser Angleichung gesagt, die zumindest teilweise auf einer Nivellierung innerhalb der Jugendkollektive beruht haben könnte und die eventuell auch ein Nachlassen der Aktivitäten der (zunächst) besonders engagierten Mitglieder implizierte. Auch ist es nicht unwahrscheinlich, dass junge, über einen solchen Zeitraum in normalen Brigaden sozialisierte Arbeiter, schließlich ganz ähnliche Verhaltensweisen an den Tag legten.49 Etwas aufgesetzt wirkt die Aussage, dass „der entscheidende Vorzug der Jugendbrigaden gegenüber anderen Arbeitskollektiven“ darin läge, dass sie bzw. ihre Mitglieder „in der Regel nicht nur nach hohen Leistungen im täglichen, unmittelbaren Arbeitsprozess streben, sondern dass sie zugleich mit großem Engagement (…) im Rahmen gesellschaftlicher Tätigkeit Leistungen anstreben und erbringen, die für sie in der Mehrheit selbstverständlich sind und damit Jugendbrigaden zu Vorbildern für viele andere Arbeitskollektive machen“.50 Es ist zu vermuten, dass diese „neue Erkenntnis“ zwar offensichtlich näher am offiziellen (Wunsch-)Bild der Jugendbrigaden lag, sich aber gleichzeitig von der Realität weiter entfernte. In diese Richtung deutet auch die veränderte empirische Basis der 1983er Untersuchung.51 Die Ende 1987 fertiggestellte letzte ZIJ-Studie über Jugendbrigaden weist zwar aus, dass Mitglieder dieser Kollektive häufiger und auch mit größerem Zeitauf-

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Immerhin relativierte der Autor der 1982er Studie seine Befunde mit der Einsicht, dass ein „positiver, wissenschaftlicher Beweis besonderer ökonomischer wie auch erzieherischpersönlichkeitsfördernder Wirksamkeit bzw. Leistungsfähigkeit der Jugendbrigaden generell (…) durch die Anlage dieser Untersuchung nicht erbracht werden“ konnte. ZIJ-Studie 1983, S. 11f. Verwiesen wird auf eine 1982 durchgeführte Untersuchung bei „59 ausgewählten Jugendbrigaden“, von denen sich 39 „im Kampf um hohe Leistungen und Ergebnisse besonders bewährt“ hatten und die übrigen 20 „noch nicht ihre Leistungspotenzen und Entwicklungsmöglichkeiten voll ausschöpfen“. Anders als die 1982er Studie, die auf dem repräsentativen Material der Zentralen Intervallstudie Junge Arbeiter (ZIS) beruhte, kann hier von Repräsentativität keine Rede sein, da die einbezogenen Jugendbrigaden speziell ausgewählt wurden und eine „Gegenprobe“ mit jungen Arbeitern nicht aus Jugendbrigaden überhaupt nicht stattfand.

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wand gesellschaftliche Tätigkeiten ausübten.52 Allerdings wird in dieser Untersuchung unmissverständlich kritisiert, dass der Quantität allzu große Priorität beigemessen wurde: „Die gegenwärtigen Formen der Abrechnung der politischen Arbeit begünstigen eine Verselbständigung der Form gegenüber dem Inhalt: Es wird nicht mehr wichtig, was im Denken wirklich verändert wurde, wichtig wird, welche Teilnehmerzahlen bei wie vielen Veranstaltungen erreicht wurden. Das wiederum fördert administrierte FDJ-Arbeit (z. B. FDJ-Studienjahr und Mitgliederversammlung während der Arbeitszeit) anstelle politischer Überzeugung.“ Damit wird die Aussagekraft solcher rein quantitativen Erhebungen stark relativiert. In die 1987er Studie flossen dann auch die Ergebnisse von Gesprächen der Leipziger Forscher mit 36 Jugendbrigaden im Oktober desselben Jahres ein. Unübersehbar hatte sich ihnen dabei der Eindruck aufgedrängt, dass zunehmend Unruhe an der ideologischen Front Einzug hielt, Zweifel und Kritik an der SEDPolitik rasch zunahmen. Das brachte all jene immer stärker in Bedrängnis, die in diversen Veranstaltungen zur politisch-ideologischen Erziehung der Jugendbrigaden diese Politik zu vertreten hatten: „Problematisch ist, dass sich gegenwärtig viele FDJ-Funktionäre in den Betrieben unsicher fühlen, den Fragen junger Arbeiter ausweichen oder glatte, nichtssagende Phrasen von sich geben. Die politische Diskussion in den Jugendbrigaden verläuft demzufolge oft spontan, wird wenig vom Jugendverband zielgerichtet geführt.“ Die massivsten Schwierigkeiten erwuchsen dabei aus der großen Zustimmung zur „sowjetischen Innenpolitik“ – gemeint sind Gorbatschows „Glasnost“ und „Perestroika“ – im Kontrast zur Ignoranz, mit der die SED-Führung diesen Veränderungen begegnete:53 „Immer nachdrücklicher treten junge Arbeiter vor allem für eine ebenso offene und kritische Berichterstattung in unseren Massenmedien ein, wie in der Sowjetunion. Die Erwartungen wachsen rasch, und unsere Medien werden zunehmend kritischer beurteilt. (…) Die Differenz zwischen der Darstellung in den Medien und den eigenen Erfahrungen ist zu groß. (…) Unter dem 52

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Leonhard Kasek (Redaktion), Persönlichkeitsentwicklung und Leistungsbereitschaft junger Arbeiter in Jugendbrigaden, Zentralinstitut für Jugendforschung Leipzig, Dezember 1987, S. 37. Nachfolgend zitiert als „ZIJ-Studie 1987“. Die Frage nach dem Umfang gesellschaftlicher Tätigkeit außerhalb der Arbeitszeit pro Woche wurde wie folgt beantwortet: Keine Zeit (39 % der Mitglieder von Jugendbrigaden und 51 % der Nichtmitglieder), bis 2 Stunden (35 % bzw. 27 %), 2-3 Stunden (6 % bzw. 7 %), 3-5 Stunden (9 % bzw. 5 %), mehr als 5 Stunden (11 % bzw. 10 %). Vgl. dazu: Vera-Maria Baehr, Wir denken erst seit Gorbatschow. Protokolle von Jugendlichen aus der DDR, Recklinghausen 1990. Umfassender und aus der Sicht eines früheren ZIJ-Mitarbeiters: Peter Förster, Die Entwicklung des politischen Bewusstseins der DDRJugend zwischen 1966 und 1989. In: Walter Friedrich u. a. (Hg.), Das Zentralinstitut für Jugendforschung, Berlin 1999, S. 70–165.

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Einfluss dieser politischen Stimmung treten junge Arbeiter auf Foren, Versammlungen (…) zunehmend offener, auch aggressiver auf und diskutieren ihre Fragen und Meinungen nicht selten sehr zugespitzt. Teilweise werden aber auch heikle Fragen nur im Kollegenkreis erörtert, während die Diskussionsfreude bei offiziellen Veranstaltungen nachlässt.“ Verstärkt diskutiert wurden die wachsenden Erwartungen zu Reiseerleichterungen Richtung Westen, Umweltfragen, Mängel in der Versorgung und die immer drängendere Wohnungsproblematik, aber auch die ineffiziente Arbeitsorganisation, Bürokratie und Formalismus. Sehr wahrscheinlich wurden dabei die vorgegebenen Themen zur kommunistischen Erziehung der Arbeiterjugend im FDJ-Studienjahr und anderen Veranstaltungen immer mehr von diesen aktuellen Problemen verdrängt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt trat auch die äußerst schwache Position der FDJ in den Betrieben zutage, die in der 1987er ZIJ-Untersuchung mit der Formel „insgesamt recht reservierte(r) Urteile junger Arbeiter zur FDJ“ umschrieben wurde.54 Davon, dass die Jugendbrigaden als „politisch-organisatorische Basis für die Tätigkeit der FDJ unter der Arbeiterjugend“ dienten, wie es in offiziellen Darstellungen immer hieß, konnte keine Rede sein. So diagnostizierten die Leipziger Jugendforscher, dass „für junge Arbeiter der Bezug vieler FDJ-Aktivitäten zu ihren Interessen und Sorgen kaum noch zu erkennen [sei]. Die wesentlichen Prozesse in der Arbeit (auch ökonomische Initiativen) werden aus Sicht der Werktätigen von der staatlichen Leitung geführt. Auf der anderen Seite ist bei Fragen der Freizeitgestaltung (z. B. Brigadeabende) in vielen Jugendbrigaden die Gewerkschaft weit aktiver als der Jugendverband.“ Die Feststellung, dass „der FDJ-Gruppensekretär (…) in den meisten Jugendbrigaden eine recht untergeordnete Rolle“ spielt, untermauert diesen Befund zusätzlich. Bereits die 1982er Studie hatte ergeben, dass „das FDJ-Leben in den Jugendbrigaden, wie auch in den anderen Arbeitskollektiven, noch zu stark auf geplante, ökonomische Leistungen und Erfolge ausgerichtet“ sei und die den „Jugendbrigaden eigenen, spezifischen Möglichkeiten der Entfaltung gesellschaftlicher Aktivität durch den sozialistischen Jugendverband noch nicht entscheidend genutzt bzw. zur Geltung gebracht werden“.55 Die Leipziger Jugendforscher zeigten sich in derselben Studie regelrecht überrascht, herausgefunden zu haben, dass „langjährig engagiert in Jugendbrigaden arbeitende junge Werktätige im Vergleich zu jenen, die trotz vorhandenem, ständigen Wunsch keine eigenen Erfahrungen in und mit 54

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Vgl. Sandrine Kott (Die Unerreichbaren, S. 233) mit folgender Einschätzung: „Die FDJ hat sich in den Betrieben zwischen SED und FDGB keinen eigenen Raum und keine spezifischen Bereiche schaffen können, in denen sie die Jugend hätte repräsentieren und mobilisieren können.“ ZIJ-Studie 1982, S. 24f.

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Jugendbrigaden sammeln konnten, sich insgesamt weniger häufig und auch weniger intensiv mit ihrem sozialistischen Jugendverband identifizierten“. Dass sie dennoch überwiegend in der FDJ blieben und ihre Beiträge weiter entrichteten war reine Formsache (weil häufig Wettbewerbskriterium). Dabei ermittelten die ZIJ-Wissenschaftler auch, dass der „Anteil der aus den Jugendbrigaden hervorgegangenen FDJ-Funktionäre vergleichsweise gering“ ausfiel und somit nicht bestätigt würde, dass Jugendbrigaden „als ‚Kaderschmieden‘ besonders wirksam“ wären.56 Einschränkend muss jedoch hinzugefügt werden, dass hier eine zu enge Definition von „Kaderschmieden“ zugrunde gelegt wurde. Hinzu genommen werden müssten sicher auch jene ehemaligen Mitglieder von Jugendbrigaden, die nicht nur in der FDJ, sondern in der SED, dem FDGB, in der Wirtschaft oder im Staatsapparat, eventuell auch in den Blockparteien Karriere machten.57 Bleibt schließlich als letzter der vorgeblichen Vorzüge von Jugendbrigaden zu überprüfen, ob sie in der Tat als „Zentren kultureller Aktivitäten der Jugend“ fungierten. Auch in dieser Frage gelangten die Leipziger Soziologen 1987 zu ernüchternden Erkenntnissen: „Insgesamt betrachtet scheint uns auf der Basis der vorliegenden Ergebnisse, dass die Jugendbrigaden vielfach noch nicht dem Anspruch gerecht werden, Stätten eines niveauvollen geistig-kulturellen Lebens zu sein und damit ihre Potenzen, wesentlich zur Ausprägung der sozialistischen Lebensweise unter der Arbeiterjugend beizutragen, deren Kulturniveau zu erhöhen, bisher oft nur in ungenügendem Maße ausschöpfen.“58 Dabei stützten sie sich u. a. auf die in Tabelle 31 wiedergegebenen Umfrageergebnisse zum Freizeitverhalten, die nur in relativ wenigen Punkten signifikante Differenzen zwischen Mitgliedern von Jugendbrigaden und jungen Arbeitern, die nicht einem solchen Kollektiv angehörten, ergaben. Dennoch lag auf diesem Feld aus Sicht ihrer Mitglieder einer der entscheidenden Vorzüge von Jugendbrigaden: „Gemeinsame Freizeitaktivitäten gehören zu den Aspekten der Brigadearbeit, die von den jungen Werktätigen am positivsten bewertet werden.“ Im Ganzen betrachtet sah die überwiegende Mehrheit der Befragten „keine wesentlichen Unterschiede zu anderen Brigaden“. Nach Ansicht der Jugendforscher ergaben sich die Vorzüge der Jugendbrigaden „vor allem aus dem [positiven] sozialen Klima, das als

56 57

58

Ebd., S. 20f. Über derartige Erhebungen ist in den ZIJ-Berichten allerdings nichts zu finden. Wenn überhaupt, dann ließen sich entsprechende Erkenntnisse eventuell aus dem Zentralen Kaderdatenspeicher des Ministerrates der DDR ermitteln. Siehe dazu: Heinrich Best/Stefan Hornbostel, Prozess-produzierte Daten als empirisches Material für eine Soziologie des realen Sozialismus. Das Beispiel der Kaderspeicher des Ministerrates der DDR, in: Materialien zur Erforschung der DDR-Gesellschaft, Opladen 1998, S. 201–222. ZIJ-Studie 1987, S. 38.

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Folge der Dominanz der Interessen der jungen Arbeiter, dem Zusammensein mit Gleichaltrigen“ interpretiert wurde.59 Die Untersuchungen des ZIJ ergaben wiederholt, dass „Mitglieder von Jugendbrigaden deutlich häufiger mit den sozialen Beziehungen in ihren Kollektiven zufrieden“ waren. Besonders hervorgehoben wurde, dass „die Zufriedenheit mit dem Kollektiv nicht nur aktuell durch die reale Mitarbeit in Jugendbrigaden gefördert wird, sondern die Erfahrungen mit Jugendbrigaden offensichtlich auch eine langfristig kollektivorientierte Einstellung bei jungen Werktätigen wirksam“ beeinflusse.60 Mit kritischem Blick auf die offenbar gängige Praxis in vielen Betrieben hieß es allerdings ergänzend: „Für die Brigadeentwicklung sind ‚angeordnete Eingriffe in die Freizeit‘, wie das ein Jugendbrigadier ausdrückte, oft schädlich. Aus diesen Gründen ist auch nicht einzusehen, weshalb immer alle mit sollen. Ein gemeinsames Erlebnis mit nur einem Teil der Brigade kann lange nachwirken und Interesse an künftigen ähnlichen Aktivitäten fördern, während verordnete Gemeinsamkeit oft nur das Bestreben weckt, seine Individualität zu behaupten, nur noch das zu machen, was unbedingt gemacht werden muss. Nicht die Anzahl von Veranstaltungen und die prozentuale Beteiligung an diesen darf der Maßstab für die Beurteilung des Erfolges sein, sondern die Wirkung auf die Teilnehmer.“61 Dies scheint eine Binsenweisheit, die auszusprechen allerdings nicht ganz selbstverständlich war, weil sie eine vielfach praktizierte Unsitte kritisierte. Der „Sicherung eines langjährigen Bestehens der Jugendbrigaden“ kam den Leipziger Jugendforschern zufolge eine große Bedeutung zu. Ihre Untersuchungen hatten nämlich ergeben, dass „Kollektive mit mehr als dreijähriger bis über fünfjähriger Erfahrung (…) insgesamt nicht nur am häufigsten an den verschiedenen gesellschaftlichen Aktionen/Initiativen beteiligt [waren], sondern noch wichtiger (…), dass sie nahezu doppelt so häufig auch konkrete Aufgaben übernahmen im Vergleich zu Jugendbrigaden mit nur etwa einjähriger Existenzdauer.“62 Überhaupt maßen sie den sozialen Beziehungen, nicht nur in den Jugendbrigaden, einen sehr hohen Stellenwert bei und monierten, dass deren Bedeutung in der betrieblichen Praxis oftmals stark unterschätzt würde, „obwohl mehrere vorliegende Forschungsergebnisse deutlich nachweisen, dass die Erhöhung der Kollektivität zu einer Erhöhung der Leistungsbereitschaft, besonders aber auch der Leistungsfähigkeit der Kollektive beitragen kann“.63 Eine Folge davon wären „häufiger 59 60 61 62 63

Ebd., S. 28. Ebd., S. 36. Ebd., S. 32f. ZIJ-Studie 1983, S. 5. ZIJ-Studie 1982, S. 22. Interessant wäre, ob Jugendbrigaden bzw. gut funktionierende Arbeitskollektive dazu beitragen konnten, die für die Betriebe unliebsame Fluktuation, gerade unter Jugendlichen, einzudämmen. Eine 1977 durchgeführte Meinungsumfrage un-

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und ausgeprägtere sozialistische Arbeitseinstellungen“ nicht nur bei Mitgliedern von Jugendbrigaden. In der Frage der Arbeitseinstellung konnte übrigens kein signifikanter Unterschied zu nicht in Jugendbrigaden arbeitenden jungen Werktätigen ermittelt werden.64 Nachweisen ließ sich auch kein Zusammenhang zwischen der „Länge bzw. Dauer der Zugehörigkeit zu einer Jugendbrigade“ und dem „Ausprägungsgrad einzelner wesentlicher Persönlichkeitsmerkmale der jungen Werktätigen“.65 Die Verbundenheit mit dem eigenen Kollektiv hatte nach Ansicht der Jugendforscher aber auch eine Kehrseite: Sie konstatierten „eine Tendenz zu einem Kollektiv-Egoismus“, weil lediglich „etwa die Hälfte der in die Untersuchung einbezogenen jungen Werktätigen eine ausgeprägtere Bereitschaft bekundete, in einem anderen Arbeitskollektiv sozialistische Hilfe leisten zu wollen“. Dies widersprach der Forderung, wonach Brigademitglieder stets zur sozialistischen Hilfe in anderen Kollektiven bereit sein sollten. Auch in dieser Hinsicht wurden kaum Unterschiede zwischen Mitgliedern von Jugendbrigaden und anderen jungen Werktätigen festgestellt.“66 Ein bisweilen heikler Punkt, unter der Rubrik „soziale Beziehungen“ war das Verhältnis zwischen älteren und jüngeren Arbeitern. Zwar ergaben die Forschungen des ZIJ „seit Jahren wiederholt (…), dass die Einbeziehung einer Anzahl älterer, erfahrener Facharbeiter in Jugendbrigaden gerade auch von den jungen Werktätigen begrüßt wird. 75 – 90 % von ihnen vertreten die Auffassung, vor allem die Zusammenarbeit jüngerer mit einer Reihe älterer Werktätiger fördere den Austausch und die Vertiefung der beruflichen und betrieblichen Erfahrungen, das gegenseitige Verständnis und die Leistungsfähigkeit des gesamten Kollektivs.“67 Man erfährt aber nichts darüber, wie umgekehrt die älteren Kollegen zu dieser Frage standen. Jene, die als alte Hasen selbst Jugendbrigaden angehörten und

64 65 66 67

ter „jungen Werktätigen in der sozialistischen Industrie“ hatte nämlich ergeben, dass nur ein Viertel den gewünschten Beruf erlernen konnte, ein weiteres Viertel einen ähnlichen; d. h. die Hälfte hatte ursprünglich einen anderen oder gar keinen Berufswunsch. Die Folge waren der Studie zufolge: mangelhafte Berufsverbundenheit und Leistungszurückhaltung sowie die Gefahr erhöhter Fluktuation nach der Lehrzeit. SAPMO-BArch DY 34/11356 (unpag.); Kurt Zahn an H. Tisch, 1.12.77, Betr.: Forschungsbericht zur Herausbildung kommunistischer Einstellungen zur Arbeit bei jungen Werktätigen in der sozialistischen Industrie (Datenbasis: ca. 2.500 Werktätigen zw. 17 u. 26 Jahren aus den Bereichen Erzbergbau-Metallurgie-Kali, Schwermaschinen- und Anlagenbau, Allgemeiner Maschinen-, Landmaschinen- und Fahrzeugbau, Leichtindustrie). ZIJ-Studie 1982, S. 27. Ebd., S. 31. Ebd., S. 29. ZIJ-Studie 1980, S. 10.

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darin eine von den jüngeren respektierte Position einnahmen, können nicht unbedingt als repräsentativ für die Mehrheit ihrer Altersgenossen angesehen werden. Galten für manchen oder für viele Arbeiter der älteren Generation in den 1970/80er Jahren noch die Motive, aus denen heraus die Älteren (einer Generation zuvor) in den 1950er Jahren den Jugendbrigaden argwöhnisch bis ablehnend gegenübergestanden hatten? Damals spielten das traditionelle Nicht-AbguckenLassen der älteren Facharbeiter gegenüber den jungen und die stärkere Zurückhaltung der älteren Generation in Bezug auf die Erhöhung von Normen und Arbeitsproduktivität eine große Rolle. Dieselben Arbeiter, die sich einst als Mitglieder der ersten Jugendbrigaden dieser Skepsis der älteren gegenübergesehen hatten, registrierten allerdings später ihrerseits „mit Missvergnügen, dass die ‚Disziplin‘ der – dann – jungen Leute nachgelassen habe“.68 Welche Verschiebungen sich diesbezüglich im Laufe der vier Jahrzehnte der Existenz der DDR und im Wechsel der Generationen vollzogen haben, lässt sich kaum aus den Quellen herausarbeiten. Galt, was für die 1950er Jahre belegt und plausibel scheint, in den späteren Jahrzehnten immer noch, dass nämlich ein entscheidendes Motiv der Jungarbeiter in Jugendbrigaden mitzuwirken darin bestand, der „Unterordnung unter ‚die Alten‘ entgehen“ und zugleich als Gruppe mit ihnen in Konkurrenz treten, sich beweisen zu können?69 Trifft tatsächlich auch noch in den 1980er Jahren zu, dass es die SED darauf anlegte diese „Spannung zwischen den Generationen teilweise aus[zu]spielen, um ihre eigene Linie durchzusetzen“?70 Lässt sich die Festlegung des Jugendgesetzes von 1974, dass in jeder Jugendbrigade erfahrenere Arbeiter Mitglied sein sollten, im Ergebnis darauf reduzieren, dass „die Jugendlichen eindeutig unter die Obhut ihrer älteren Kollegen gestellt“ wurden? Stimmt es, dass die „Beachtung der ‚Altershierarchie‘ und des ‚natürlichen Vorrangs‘ der älteren Generation im Betrieb (…) Ausdruck des Respekts [gewesen ist], der in der DDR den ‚natürlichen‘ Autoritätsverhältnissen zwischen Eltern und ihren Kindern 68

69

70

Alf Lüdtke, „Helden der Arbeit“ – Mühen beim Arbeiten. Zur missmutigen Loyalität von Industriearbeitern in der DDR, in: Hartmut Kaelble u. a. (Hg.), Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 188–213, hier S. 202f. Jörg Roesler (Jugendbrigaden, S. 25) nennt noch zwei wesentliche Motive zur Mitarbeit in Jugendbrigaden: Dass die Jungarbeiter Kontakt zu Gleichaltrigen suchten und sich wohler fühlten, wenn sie in solchen Gruppen arbeiten und einen Teil ihrer Freizeit verbringen konnten, leuchtet ein und wird auch durch die ZIJ-Studien bestätigt. Skepsis hingegen scheint angebracht, ob die „Hoffnung, als Jugendbrigade eher Druck auf die (in den Brigadeverträgen stets enthaltene) Sicherung kontinuierlicher Materialzulieferungen ausüben zu können“ tatsächlich zu den wesentlichen Beweggründen gehörte, sich einem solchen Kollektiv anzuschließen. Kott, Die Unerreichbaren, S. 244.

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entgegengebracht wurde“?71 Und war der Generationenkonflikt damit gelöst? Einige Forschungsarbeiten der letzten Jahre, nicht zuletzt aus dem Bereich der Oral History, weisen darauf hin, dass im Laufe der Jahrzehnte der Enthusiasmus, den zumindest eine relevante Minderheit bis in die 1960er Jahre an den Tag gelegt hatte, die nachfolgende Generation viel geringer oder kaum noch prägte.72 Ein wesentlicher, wenn auch zurückhaltend formulierter Kritikpunkt der ZIJForscher war bereits in der ersten Jugendbrigade-Studie 1980 die „gegenwärtig noch relativ einseitige Orientierung der Aktivität vieler Leitungen auf die Bildung der Jugendbrigaden“, die sinnvollerweise „stärker auf die Förderung der nunmehr bestehenden“ Kollektive umgelenkt werden sollte. Der Grund für diese Mahnung war ein simpler, demographischer: Es war absehbar, dass die Zahl der ins Berufsleben eintretenden jungen Werktätigen im Laufe der 1980er Jahre dramatisch abnehmen würde.73 Der für DDR-Verhältnisse ungewöhnlich kritische Arbeitsbericht des ZIJ über die Jugendbrigaden von Ende 1987 formulierte das Problem dann auch viel klarer: Es sei rätselhaft, „wie mit absolut immer weniger jungen Werktätigen nicht nur die Anzahl der Jugendbrigaden erhalten, sondern sogar noch erhöht werden“ könne.74 Insbesondere die Beschlüsse des XI. und XII. FDJ-Parlamentes 1981 und 1985 jeweils noch 5.000 neue Jugendbrigaden aus dem Boden zu stampfen, hätten die Betriebe vor praktisch „nicht lösbare“ Aufgaben gestellt. Jetzt wurden auch die absehbaren Konsequenzen solcher „Zahlenhascherei“75 unzweideutig benannt: Dieses „objektiv nicht lösbare Problem“ habe bei „einer Vielzahl staatlicher Leiter – bis hin zu den Leitern der Jugendbrigaden selbst – zu Unzufriedenheit geführt und sie zu Praktiken verführt, wie zumindest formalstatistisch Planvorgaben erfüllt und abgerechnet werden können. Solcher Formalismus findet bei den betroffenen jungen Arbeitern kein Verständnis und ist nur geeignet, die Jugendbrigaden in ihren Augen zu diskreditieren.“ Verschärfend wirkte in diesem Kontext die „Idealisierung von Jugendbrigaden in den Medien“, da sie zu „überzogene Erwartungen“ und schließlich „zu Enttäuschung, Ablehnung der Paradepferde und im Extrem der gesamten Arbeit mit Jugendbrigaden“ 71 72

73 74 75

Ebd. Z. B. Annegret Schüle, Mächtige Mütter und unwillige Töchter. Ein Generationenvergleich unter Arbeiterinnen eines Textilbetriebs der DDR, in: Hübner/Tenfelde (Hg.), Arbeiter in der SBZ-DDR, S. 709ff. ZIJ-Studie 1980, S. 18. Betrug ihre Zahl Ende der 1970er Jahre noch ca. 230.000 jährlich, so wurden für 1990 „mindestens 60.000 weniger“ prognostiziert. ZIJ-Studie 1987, S. 46ff. Derartige „Zahlenhascherei“ hatte es nicht nur in der „Brigadebewegung“ von Anfang an gegeben, so wie auch die offenbar wenig erfolgreiche Kritik an ihr bereits aus frühen DDRTagen überliefert ist. Roesler, Jugendbrigaden, S. 29.

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führe.76 Dazu weiter die 1987er ZIJ-Studie: „Entscheidend ist daher die inhaltliche Förderung aller Jugendbrigaden. So sagte ein Schichtleiter: ‚Sehr negativ auf die Entwicklung der jungen Menschen wirkt sich aus, wenn Paradepferde durch die staatliche Leitung gezüchtet oder wenn Pflichtübungen gestartet werden, nur um etwas abrechnen zu können.‘ Geradezu verheerend auf das Vertrauen in den Jugendverband und die Leistungsbereitschaft der jungen Arbeiter wirkt es sich aus, wenn Brigaden nur formal gebildet werden, um nach oben Erfolge abrechnen zu können oder auch, um nicht kritisiert zu werden. So berichtete ein Jugendbrigadier, dass der anwesende staatliche Leiter bei der Berufung seines Kollektivs zur Jugendbrigade Folgendes äußerte: ‚Jetzt seid ihr zwar eine Jugendbrigade, aber ändern wird sich deswegen nichts.‘ Seitdem, so der Brigadier weiter, herrsche in seinem Kollektiv kaum Vertrauen in die Leitungstätigkeit, sei Einsatzfreude und Leistungsbereitschaft gesunken, werde den Meldungen von Erfolgen der Jugendbrigaden nur mit Skepsis gegenübergetreten.“77 Als besonders problematisch erweise sich in diesem Zusammenhang, dass in solchen Fällen Jugendbrigadiere eingesetzt würden, „die arbeitsrechtlich keine Befugnisse besitzen und ihrerseits dem staatlichen Leiter der arbeitsorganisatorischen Einheit unterstehen!“ Außerdem würden „in der betrieblichen Praxis (…) nur mit einem geringen Anteil der Jugendbrigaden“ verbindliche Vereinbarung abgeschlossen und jährlich präzisiert, wie es im „Gemeinsamen Beschluss“ 1977 ursprünglich festgelegt worden war.78 Groteske Auswirkungen zeitigte das bloße Schielen nach einer möglichst großen und ständig weiter wachsenden Zahl von Jugendbrigaden auch, wenn deren 76

77 78

„Paradepferde“ meint jene als „Vorzeige-Brigaden“ besonders geförderten Kollektive, die – wie oben im Falle des EKO zitiert – in vielen Betrieben „gezüchtet“ wurden, u. a. durch Sonderkonditionen und Privilegien, die den faktisch benachteiligten Kollegen der anderen Brigaden mehr oder weniger sauer aufstießen. ZIJ-Studie 1987. Daher auch im Folgenden. Zu bezweifeln ist in diesem Zusammenhang Roeslers (Jugendbrigaden, S. 22) generalisierende Aussage, Jugendbrigaden hätten jährlich mit der Werkleitung und der BGL einen Brigadevertrag abgeschlossen. Dies mag in den 1950er Jahren und zum Teil auch noch bis in die 1960er Jahre verbreitet gewesen sein, trifft aber nicht mehr für die 1970/80er Jahre zu. Ähnlich verhält es sich mit den von Roesler (ebd.) genannten beiden (generellen) Merkmalen von Jugendbrigaden (und Brigaden überhaupt): „Ihre Gründung war … das Resultat einer Entscheidung der Arbeitsgruppe selbst, d. h., die Bildung von Jugendbrigaden konnte nicht ‚von oben‘ angeordnet … werden“. (Diese Praxis dürfte selbst in den 1950er Jahren eher die Ausnahme denn die Regel dargestellt haben; für die letzten beiden Jahrzehnte ist diese Aussage schlicht unzutreffend.) Ebenso skeptisch zu bewerten ist die pauschale Aussage, die Brigademitglieder hätten ihren Brigadier „in der Regel“ gewählt. Der Regel entsprach – bereits ab den 1960er Jahren – vielmehr, dass die Brigadeleiter von „oben“, d. h. durch die Betriebsleitung, eingesetzt wurden.

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Mitglieder mehrheitlich langsam auf das Rentenalter zusteuerten: „In vielen Betrieben und Kombinaten werden Kollektive statistisch noch als Jugendbrigaden geführt, obwohl diese längst nicht mehr dem Kriterium ‚in der Mehrheit aus jungen Werktätigen‘ zu bestehen, entsprechen! (…) Eine nicht geringe Anzahl von Kollektiven, die schon über mehrere Jahre noch immer als ‚Jugendbrigade‘ geführt und behandelt werden, aber nun tatsächlich ‚so alt geworden sind‘, dass sie selbst sich nicht mehr als Jugendbrigade verstehen können, stellte und stellt den offiziellen Antrag, aus den Reihen der Jugendbrigaden verabschiedet zu werden.“ Aber sie scheiterten mit ihren Anträgen „in der Regel am Veto der zuständigen FDJKreisleitung des Territoriums“ – die ja sonst in Erklärungsnot geraten wäre, weil sie nach oben nicht die geforderte bzw. geplante Zahl von Jugendkollektiven hätte melden können. „Was wird mit solch ‚alten Jugendbrigaden‘ gewonnen?“ – fragten die Leipziger Jugendforscher und zitierten einen in solcher Notlage befindlichen „Jugend“-Brigadier: „Wir machen uns im Betrieb unverschuldet lächerlich, wenn wir alten Knacker als Jugendbrigade bezeichnet werden. Wir scheinen zur Jugendbrigade verdammt zu sein!“79 Die zuweilen praktizierte Alternative der kontinuierlichen Verjüngung von Jugendbrigaden war auch nicht unproblematisch. Denn um der Statistik willen wurden dabei eingespielte Arbeitskollektive immer wieder auseinandergerissen, was sich nicht selten sowohl auf die Leistungsfähigkeit des Kollektivs als auch auf die Motivation der Einzelnen negativ auswirkte.80 Eine solche Praxis stand in klarem Widerspruch zu dem oben zitierten Befund der ZIJ-Forscher, dass die Sicherung eines langjährigen Bestehens nicht nur von Jugendbrigaden außerordentlich bedeutsam war. Die Autoren der 1987er ZIJ-Untersuchung beließen es angesichts der erdrückenden Befunde nicht dabei diese aufzulisten, sondern zogen daraus ungewöhnlich klare Schlussfolgerungen: Es sei „dringend notwendig, sich endgültig für eine Konzeption der Förderung von Jugendbrigaden zu entscheiden und einer quantitativ-statistischen Orientierung zu entsagen“. Auf den Anteil der „bisher nur statistisch existierender Jugendbrigaden [sollte] bewusst verzichtet werden“. Angemahnt wurde eine Rückbesinnung auf die simple Tatsache, dass Jugendbrigaden „nur unter bestimmten Bedingungen geeignet [seien], Leistungsbereitschaft zu stimulieren und politisches Verantwortungsbewusstsein zu fördern. Wie aus unseren Ergebnissen deutlich wird, sind Jugendbrigaden vielerorts formalistischer 79

80

Ebd. Vgl. zum Problem der „Überalterung“ der Jugendbrigaden: Roesler, Jugendbrigaden, S. 29f. Er weist übrigens darauf hin, dass im Jugendgesetz von 1974 noch einmal festgelegt worden war, dass die „Altersabgrenzung nach oben bei 25 Jahren liegen sollte“. Vgl. auch Kott, Die Unerreichbaren, S. 245f. Vgl. Roesler, Jugendbrigaden, S. 30 sowie das Beispiel oben im Abschnitt Jugendbrigaden im Eisenhüttenkombinat Ost.

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Selbstzweck geworden. Es ist wichtig, die Leistungsbereitschaft und das Engagement junger Arbeiter zum Hauptkriterium der Abrechnung zu machen und Jugendbrigaden stärker danach zu hinterfragen, was sie wirklich bewegen. Sie sollten nur dann gegründet werden, wenn sie unter den gegebenen Bedingungen die günstigste Form der Förderung junger Werktätiger sind.“ Um die dringende Notwendigkeit eines solchen Kurswechsels zu unterstreichen, zitierten die Jugendforscher einen Betriebsleiter aus dem Kombinat Robotron: „Hätte ich nur ein Drittel der Jugendbrigaden, ich wüsste, wie wir entscheidend vorankommen würden. Das, was mich am meisten auffrisst, das ist das, was ich veranstalten muss, um herauszufinden, wie ich die anderen Jugendbrigaden unseres Betriebes ökonomisch und statistisch rechtfertige.“81 Im Gegensatz zu den vorangegangenen Studien wurden in dem 1987er ZIJPapier auch Vorschläge für die Verbesserung der Brigadearbeit unterbreitet. Insgesamt gehe es um die Ausprägung „leistungs- und persönlichkeitsfördernder Kollektivnormen“, wobei es darauf ankomme, den „Einfluss der Jugendbrigaden auf die Befriedigung der Bedürfnisse ihrer Mitglieder zu erhöhen“. Folgende konkrete Maßnahmen wurden empfohlen: „1. Stärkerer Einsatz von Kollektivprämien, die auch höher sein sollten als bisher. Über die Aufteilung bzw. Verwendung dieser Mittel sollten die Brigaden selbst entscheiden. 2. In Abhängigkeit von der Leistung sollten die Entscheidungsbefugnisse (…) der Jugendbrigade erweitert werden. 3. Beratung geplanter Veränderungen in Arbeitsinhalten und -bedingungen mit den betroffenen Jugendbrigaden. 4. Stärkere Orientierung von Maßnahmen zur Weiterbildung (z. B. um den Einsatz neuer Technik vorzubereiten) auf ganze Kollektive, unter Beachtung der Interessen der jungen Arbeiter (…). 5. Die Jugendbrigaden sollten wesentlich mehr Möglichkeiten erhalten, zusätzlich zum Plan Aktivitäten durchzuführen (z. B. zur Verminderung der Umweltbelastung), die helfen, Sorgen und Probleme ihre Mitglieder zu lösen. Solche Initiativen von unten scheitern gegenwärtig an formalen Orientierungen auf Planerfüllung und ungenügender Stimulierung.“ (…) Zur Erläuterung dieser Vorschläge fügten die Leipziger Soziologen exemplarisch die Äußerung eines Betriebsdirektors an. Auf die Frage, weshalb er „einen Neuerervorschlag, der eine erhebliche Überbietung der Planaufgaben in Aussicht“ stellte, nicht realisiert habe, erklärte er: „Wenn wir das machen, erhalten wir nächstes Jahr Planauflagen, die wir nicht erfüllen können. Wir überbieten unseren Plan im geforderten Umfang dieses Jahr auch ohne diesen Vorschlag. Außerdem 81

ZIJ-Studie 1987, S. 51ff.

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ist es immer gut, Reserven zu haben, um zusätzlichen Anforderungen jederzeit gerecht werden zu können.“ Anschaulicher ließ sich die Selbstblockade des Planwirtschaftssystems der DDR wohl kaum in Worte fassen. Dieser kleine Forderungskatalog erinnert in Ansätzen an die alsbald als „Syndikalismus“ gebrandmarkte Diskussion um mehr Rechte für die sozialistischen Brigaden Anfang der 1960er Jahre. Die hier recht ausführlich wiedergegebenen Ergebnisse und Vorschläge der letzten, Ende 1987 entstandenen ZIJ-Studie über die Jugendbrigaden belegen, dass viele grundlegende Probleme ein gutes Vierteljahrhundert später die gleichen geblieben oder ganz ähnliche waren. Systemimmanente Reformen waren gescheitert oder es hatte sie in vielerlei Hinsicht gar nicht gegeben. Allseits bekannte Probleme, wie die vom ZIJ für die Jugendbrigaden herausgearbeiteten, durften noch immer nicht offen diskutiert werden, da sie dem offiziellen Wunschbild von Honecker & Co. widersprachen. Die „Katze“ biss sich – noch immer und immer wieder – in den Schwanz. Dies wurde (ganz sicher nicht nur) für die nachwachsende Generation, nicht zuletzt für die jungen Arbeiter, ab Mitte der 1980er Jahre immer offensichtlicher und mündete schließlich in einen rapiden Vertrauensverlust in „Partei und Regierung“.82 Damit war das System des Realsozialismus á la SED nahezu folgerichtig an sein Ende gelangt.

82

Vgl. Friedrich, Mentalitätswandlungen. Vgl. Roesler, Jugendbrigaden, S. 31 und Kott, Die Unerreichbaren, S. 248.

VII. Die „Kollektivierung“ der Gesellschaft – Brigaden, Arbeiterschaft und die Gesellschaft in der DDR (Schlussbetrachtung)

Angesichts von über 300.000 Brigaden mit fast 5,5 Millionen Mitgliedern allein im Jahr 1988 ist leicht nachvollziehbar, dass sich diese Institution mit ihren vielfältigen Erscheinungsformen schwerlich in einem exakten und schon gar nicht in einem allgemeingültigen, einheitlichen Bild fixieren lässt. Bei einem Zeitraum von gut 30 Jahren, wenn man nur die Phase der sozialistischen Brigaden in den Blick nimmt, und einer Bandbreite von männerdominierten Arbeitsbrigaden in Großbetrieben der Schwerindustrie über reine Frauenbrigaden in kleineren Textilfabriken bis hin zu sozialistischen Kollektiven von Verwaltungsangestellten, Krankenschwestern oder Wissenschaftlern in allen möglichen nichtindustriellen Bereichen muss es deutliche Unterschiede gegeben haben, die auch mit einer Arbeit wie dieser nicht bis in jedes Detail erfasst werden können. Der Ausgangspunkt war jedoch für alle gleich: Die Anfang 1959 auf Betreiben der FDGB-Spitze und mit ausdrücklicher Unterstützung der SED-Führung initiierte Kampagne zum Kampf um den Titel „Brigade [später Kollektiv] der sozialistischen Arbeit“ unter dem Motto „wir wollen sozialistisch arbeiten, lernen und leben“. An diesem Beginn verblüfft zunächst die Unverfrorenheit, die Schlichtheit, aber auch die Schnelligkeit, mit der die FDGB-Führung das sowjetische Vorbild der kommunistischen Brigaden kopierte und in einer generalstabsmäßig vorbereiteten Inszenierung als Bewegung der Arbeiter realisierte. Sowohl die wenig kreative Übernahme sowjetischer Vorlagen als auch das immer gleiche Strickmuster der Kampagnen erwiesen sich in den folgenden Jahrzehnten als Konstanten der Politik des FDGB hinsichtlich der Organisation des sozialistischen Wettbewerbs unter der Arbeiterschaft und den Werktätigen überhaupt. Anders als während der Besatzungszeit (und bis in die erste Hälfte der fünfziger Jahre), als Moskau massiven Druck z. B. zur Abschaffung der Betriebsräte und zur Ausrichtung des FDGB als „Transmissionsriemen“ der SED ausübte,1 ist bezüglich der sozialistischen Brigade- und Wettbewerbsbewegung nicht erkennbar, dass die sowjetische Seite auf die Übernahme irgendwelcher Modelle gedrängt hätte. Die Initiative dazu ging in der Regel von der FDGB-Führung aus, die dabei gelegentlich Anregungen seitens der DSF oder aus dem SED-Apparat aufgriff.

1

Vgl. Kleßmann, Arbeiter, S. 155ff.

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Die „Kollektivierung“ der Gesellschaft (Schlussbetrachtung)

Bis zum Ende der DDR wurde bei sämtlichen Wettbewerbskampagnen versucht, die Fiktion der Initiative „von unten“ nach dem immer gleichen Schema zu erzeugen und aufrechtzuerhalten. Zumeist waren es sozialistische Kollektive die, nicht nur im Rahmen der Brigadebewegung, als Initiatoren des Wettbewerbs präsentiert wurden und deren Beispiel dann binnen weniger Tage andere Kollektive in allen Bezirken und Branchen „begeistert“ nacheiferten. In dieser Hinsicht funktionierte der FDGB-Apparat von der Spitze über die Bezirksebene bzw. die Zentralvorstände der Einzelgewerkschaften bis hin zu den BGL in den Betrieben weitgehend reibungslos und auch das entsprechende Medienecho war dank der zentralen Steuerung durch die SED stets gesichert. Und immer wieder fanden sich Brigaden, die mehr oder weniger bereitwillig die Initiatorenrolle übernahmen. Obschon die Verantwortung für den sozialistischen Wettbewerb, also auch für die Brigadebewegung, nominell in den Händen des FDGB lag, wurde bei verschiedenen Anlässen seine enge Abhängigkeit und eindeutige Unterordnung unter die SED sehr deutlich, sei es bei der Intervention Ulbrichts in der „Syndikalismus“-Affäre oder der permanenten Gängelung der FDGB-Führung durch die zuständige ZK-Abteilung. Hier wie auf vielen anderen Gebieten entsteht der Eindruck, dass die Auseinandersetzungen und Friktionen innerhalb des Herrschaftsapparates mit dem Übergang von Ulbricht zu Honecker deutlich abnahmen. Ursache dafür war sicher nicht, dass es kein Konfliktpotential mehr gab, sondern vielmehr die Tatsache, dass nach diversen Auseinandersetzungen und Disziplinierungsmaßnahmen die Zahl der eigenständigen und kritischen Köpfe im Apparat auf allen Ebenen gegen Null tendierte, zumindest kaum mehr jemand bereit war, sich an heiklen Problemen die Finger bzw. den Mund zu verbrennen. Betrachtet man den Verlauf der sozialistischen Brigadekampagne fällt auf, dass sich die durch SED und FDGB vorgegebene Priorität zwischen den drei Komponenten des sozialistischen Arbeitens, Lernens und Lebens mehrfach verschob. Diese Schwankungen betrafen weniger das Arbeiten, also den Wettbewerb um die Erfüllung und Überbietung der Produktionspläne, der immer im Mittelpunkt blieb, als vielmehr den Stellenwert, der den Bereichen sozialistisch lernen und leben beigemessen wurde. Während diese beiden Komponenten, in denen ja die neue Qualität der sozialistischen Brigadebewegung gegenüber derjenigen der Arbeitsbrigaden zum Ausdruck kommen sollte, in der Anfangsphase ab 1959 relativ stark betont wurden, rückten sie in den sechziger Jahren, insbesondere im Kontext der Wirtschaftsreform, deutlich in den Hintergrund. Eine erneute Konjunktur in der offiziellen Wettbewerbspolitik erlebte das sozialistische Lernen und Leben für gut ein Jahrzehnt ab Ende der 1960er Jahre, als SED und FDGB angesichts des sich abzeichnenden Scheiterns des NÖS das gesellschaftspolitische Potential der sozialistischen Brigadebewegung wiederentdeckten und ihre massive Ausdehnung über den Bereich der Industrie hinaus vorantrieben. Ab Anfang der 1980er Jahre

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wurde schließlich das Kerngeschäft des sozialistischen Arbeitens, die Planerfüllung, wieder stärker gewichtet, um den wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten entgegenzuwirken. Diese Schwankungen in der Betonung der ein oder anderen Komponente des Kollektivwettbewerbs wurden an der Basis mit einer gewissen Zeitverzögerung mehr oder weniger nachvollzogen, mit deutlichen Unterschieden und teils eigenen Akzenten in verschiedenen Betrieben und Einrichtungen. Wie ist die Entwicklung im Bereich des sozialistischen Arbeitens insgesamt zu bewerten, welche Veränderungen sind diesbezüglich gegenüber den 1950er Jahren und im Verlauf der drei Jahrzehnte währenden sozialistischen Phase der Brigadebewegung zu konstatieren? Ein zentraler Aspekt bei der Beantwortung dieser Frage ist die Stellung der Brigaden innerhalb der betrieblichen Hierarchie. In den fünfziger Jahren war die Rangordnung in den Betrieben noch nicht gänzlich festgezurrt, gab es für die Arbeitsbrigaden hier und da gewisse Spielräume. Teilweise hatten sie eine relativ starke Position, die es ihnen erlaubte, Brigadeverträge mit der Betriebsleitung auszuhandeln, in denen nicht nur die Arbeiter im Produktionswettbewerb, sondern auch die Leitungen gegenüber den Brigaden konkrete Verpflichtungen eingingen.2 Dabei ging es nicht zuletzt um das Aushandeln von Normen und Löhnen sowie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen.3 Auch die Tatsache, dass Brigadiere teilweise gewählt wurden und nicht nur in Einzelfällen die traditionell starke Position des Meisters durch den Brigadier infrage gestellt wurde, verweist auf eine gewisse Bewegung innerhalb der betrieblichen Hierarchie im Jahrzehnt nach der DDR-Gründung. All diese Dinge sind ab den 1960er Jahren kaum mehr feststellbar. Es werden keine Brigadeverträge mehr ausgehandelt, sondern die Arbeitskollektive übernehmen lediglich Wettbewerbsverpflichtungen und nichts deutet darauf hin, dass Brigadiere noch gewählt werden konnten. Sie wurden von der Betriebsleitung bestimmt und eingesetzt. Auch grundlegende Konflikte zwischen Meister und Brigadier kommen in den Quellen nicht mehr vor, die Hierarchiefragen waren im Wesentlichen geklärt. Von entscheidender Bedeutung in diesem Klärungsprozess und für den gesamten weiteren Verlauf der sozialistischen Brigadebewegung war die „Syndikalismus“-Affäre im Frühjahr 1960. Weit weniger spektakulär als andere, muss sie dennoch als ein Schlüsselereignis, eine folgenschwere Weichenstellung im Verhältnis zwischen SED und der angeblich führenden Arbeiterklasse betrachtet werden. Zwar war die übergroße Mehrzahl der Arbeiter von dieser Affäre gar nicht direkt betroffen, denn mit der Diskussion und Umsetzung der Forderung nach mehr Rechten und größerer Eigenständigkeit für die sozialistischen Brigaden 2 3

Vgl. Roesler, Inszenierung, S. 15f. Vgl. Hübner, Konsens, S. 16ff.

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war erst in wenigen Betrieben begonnen worden. Aber mit dem „Syndikalismus“Verdikt Ulbrichts war endgültig geklärt, dass die „Partei der Arbeiterklasse“ nicht bereit war, selbst loyalen und im Sinne des Sozialismus engagierten Arbeitern in „ihren volkseigenen“ Betrieben nennenswerte Mitbestimmungsrechte zuzugestehen. Dabei war der Anstoß dazu aus dem Machtapparat selbst erfolgt und wurde innerhalb des Apparates auf verschiedenen Ebenen zunächst wohlwollend diskutiert und vertieft. Doch die Gralshüter der Macht, mit dem Parteichef an der Spitze, setzten sich durch und stoppten dieses Experiment, noch ehe der Funke auf die Arbeiter in breiterem Maße überspringen konnte. Zu diesem frühen Zeitpunkt, reichlich ein Jahr nach dem Beginn der Kampagne, wurde untermauert, was von vornherein festgestanden hatte: Dass sich daraus niemals eine wirkliche BrigadeBewegung entwickeln würde, weil die SED-Führung das nach ihrer Logik der Macht nicht zulassen konnte. Die Idee der Bildung von Brigaderäten, also eine Vernetzung der einzelnen Brigaden auf betrieblicher Ebene (und eventuell darüber hinaus), wäre ein logischer und notwendiger Schritt hin zu einer tatsächlichen Bewegung gewesen. Doch den Zustand der Fragmentierung wollten die Herrschenden um jeden Preis erhalten bzw. umgekehrt die unkontrollierte, nicht von oben gesteuerte Artikulation und Vertretung von Arbeiterinteressen verhindern. Eine ernsthafte Diskussion dieser zentralen Frage der Mobilisierung der Arbeiterschaft durch tatsächliche Partizipation hat es innerhalb des Herrschaftsapparates und in Verbindung mit den Arbeitern selbst danach bis zum Ende der DDR nicht mehr gegeben. Damit vergab das SED-Regime auf Dauer die Chance, das Potential zu mehr Engagement der Werktätigen für „ihren“ Staat zu erschließen. Insofern war diese Machtdemonstration ein Pyrrhussieg, mit dem einerseits reformwillige Funktionäre und engagierte Arbeiter von der Parteispitze in die Schranken gewiesen wurden, sich das Regime aber zugleich selber enge Grenzen setzte und das Entwicklungspotential seines „Arbeiterstaates“ stark beschnitt. Diese (Selbst-)Beschränkung ist eine nicht unwesentliche Facette der „Diktatur der Grenzen“ in der DDR.4 Zu den für die Aufrechterhaltung des Herrschaftssystems so bedeutsamen „Funktionsträgern im ‚Grenzgebiet‘“, die gleichzeitig als „Grenzwächter und Grenzgänger“ in der Grauzone zum „sozialen Nahbereich“ fungierten, in dem die Macht der Partei ihrerseits an Grenzen stieß,5 gehörten die Basisfunktionäre von SED und FDGB im Betrieb ebenso wie Meister und Brigadiere, die als unterste 4 5

Lindenberger, Diktatur der Grenzen, S. 19ff. Ebd., S. 34f. Ausdrücklich zu unterstreichen ist, dass dieser „Nahbereich alles andere als einen ‚herrschaftsfreien Raum‘ darstellte“, der sich dennoch „deutlich von den unmittelbar angrenzenden Arenen exklusiver SED-Herrschaft“ unterschied. Ebd., S. 31.

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Ebene der staatlichen Leitung in die Arbeitskollektive integriert waren. In den 1950er Jahren noch deutlich wahrnehmbar, verschwammen die Grenzen zwischen diesen verschiedenen Funktionen an der betrieblichen Basis später zunehmend.6 Teilweise übte bspw. der Meister zugleich die Funktion des Parteigruppenorganisators aus oder der Brigadier war in Personalunion auch noch Vertrauensmann seiner Gewerkschaftsgruppe, die in der Regel identisch mit der Brigade war, da fast alle Werktätigen dem FDGB angehörten. Selbstverständlich funktionierten nicht alle Personen, die auf eine (oder gleichzeitig mehrere) dieser Positionen gesetzt wurden, gleichermaßen effektiv.7 Und selbstverständlich konnte es von Betrieb zu Betrieb deutliche Unterschiede geben, z. B. in der Frage, ob Funktionen wie Meister und Brigadier überwiegend oder ausschließlich mit SED-Mitgliedern besetzt wurden bzw. werden konnten.8 Wie gezeigt bemühte sich die SED nicht ohne Erfolg, die sozialistischen Brigaden als Reservoir zur Gewinnung neuer Parteimitglieder und entwicklungsfähiger Kader zu nutzen, so wie es ihr in jenen Betrieben, wo sie über einen vergleichsweise hohen Organisationsgrad verfügte, früher und in größerer Breite gelang, die Werktätigen zur Beteiligung am sozialistischen Kollektivwettbewerb zu bewegen.9 Dass die SED in Großbetrieben wie SWB und EKO intensiver und mit größerem Erfolg als in kleineren Betrieben das Ziel verfolgte, ihre Strukturen bis in die Brigaden als unterste Ebene auszudehnen, überrascht nicht. Wo es den Betriebsparteiorganisationen gelang, so viele Mitglieder zu rekrutieren, dass sich in praktisch jeder Brigade eine eigene Parteigruppe etablieren konnte, war dies gleichbedeutend mit einer Verschiebung des „Grenzgebietes“ zwischen SED-dominiertem Herrschafts- und „sozialem Nahbereich“ weit nach unten, nämlich bis in die Brigaden hinein. Das bedeutete keineswegs zwangsläufig, dass die SED-Genossen in den Brigaden bereit und in der Lage waren, die Politik ihrer Parteiführung uneingeschränkt zu exekutieren. Aber diese personelle Durchdringung der Arbeitskollektive, zumindest in vielen Großbetrieben, hat ganz sicher mit dazu beigetragen, die Arbeiterschaft dauerhaft zu pazifizieren, was sich u. a. darin manifestierte, dass sie kaum zu dem gesellschaftlichen Aufbruch in der DDR Ende der 1980er Jahre beitrug.10

6 7 8

9 10

Vgl. Schüle, Die Spinne, S. 240. Lindenberger, Diktatur der Grenzen, S.34f. Annegret Schüle bspw. beschreibt, bezogen auf den von ihr untersuchten Betrieb, dass bei Meister/innen auf die Parteimitgliedschaft geachtet wurde, aber nicht bei Brigadeleiter/innen. Schüle, Die Spinne, S. 240. Siehe oben, im Kapitel II.2.; sowie Reichel, „durchherrschte Arbeitsgesellschaft“, S. 91ff. Vgl. Kleßmann, Arbeiter, S. 781; Roesler, Produktionsbrigaden, S. 164.

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An der relativ schwachen Position der FDGB-Basisfunktionäre in den 1950/ 60er Jahren,11 hat sich auch später kaum etwas geändert. Zwar kann man davon ausgehen, dass es in nahezu jeder Brigade eine/n Vertrauensfrau bzw. Vertrauensmann und zumeist auch einen Kulturobmann gab. Doch diese ehrenamtlichen Gewerkschaftsfunktionäre besaßen in der Regel keine besonders starke Position innerhalb der Kollektive und sahen sich zumeist weder beauftragt noch befähigt, die Interessen ihrer Kolleginnen und Kollegen gegenüber der betrieblichen Leitung zu vertreten. Wenn sie mussten, gingen sie zur „Anleitung“12 und waren ansonsten, wie der FDGB insgesamt, stark in die betriebliche Sozialpolitik13 eingebunden, z. B. bei der Verteilung der Ferienplätze oder der Aufteilung der Jahresendprämien. Differenzierte Aussagen über die typische Rollenverteilung innerhalb der Brigaden sind schwer zu treffen, weil dazu detailliertere Mikrostudien in verschiedenen Bereichen erforderlich wären. Generalisierend lässt sich aber zumindest festhalten, dass in der Regel die o. g. Funktionsträger, also Meister und Brigadier sowie Parteigruppenorganisator und Gewerkschaftsvertrauensmann in den Arbeitskollektiven tonangebend waren, in etwa auch in dieser Reihenfolge. Inwiefern sie dabei gemeinsam agierten, einzelne mehr oder weniger stark dominierten oder es auch zu Spannungen zwischen ihnen kam, hing von den jeweils beteiligten Persönlichkeiten und den konkreten Umständen ab. Darüber hinaus könnte man mit einem groben Raster die Brigademitglieder in drei Gruppen unterteilen: Einen Kern von engagiert-loyalen Werktätigen, daneben die Indifferenten und schließlich die Verweigerer.14 Das Mischungsverhältnis und die Stärke der einzelnen Gruppen konnte von Fall zu Fall sehr verschieden sein. Tendenziell kann man davon ausgehen, dass die Indifferenten in der Überzahl waren, jene insgesamt große Gruppe von Werktätigen, die sich mehr oder weniger notgedrungen anpassten und mit ihrer „missmutigen Loyalität“ (Alf Lüdtke) im Realsozialismus der DDR einrichteten.15 Dabei ist im Einzelfall zwischen dem Einsatz am Arbeitsplatz und der Beteiligung an den darüber hinaus von den sozialistischen Brigaden geforderten Aktivitäten zu unterscheiden. So gab es 11 12 13 14 15

Roesler, Produktionsbrigaden, S. 150; Hübner, Konsens, S. 230. So beschreibt es im Rückblick ganz typisch eine der Interviewpartnerinnen von A. Schüle (Die Spinne, S. 241). Vgl. Hübner, Sozialpolitik, S. 723. Vgl. Schüle, Die Spinne, S. 243. Sie bezeichnet die erstgenannte Gruppe als die „Zuverlässigen“. Eine Interviewpartnerin von Parmalee, die sich selber dem „Kollektivzwang“ verweigerte und als Einzelgängerin sah, bezeichnet diese Gruppe rückblickend als „Konformisten“ und betont, dass deren Konformität nicht erzwungen gewesen sei. Parmalee, Brigadeerfahrungen, S. 82.

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durchaus Beschäftigte, die tadellos arbeiteten, aber mit dem „Rest“ nichts am Hut hatten und sich daran nur beteiligten, wenn sie dazu gedrängt wurden. Gemessen an den Intentionen von SED und FDGB zählten sie zu jener „schweigenden Mehrheit“, die sich eher arrangierte als engagierte. Der Anteil derer, die sich dem „freiwilligen Zwang“ innerhalb der Kollektive bewusst entzogen,16 war gering, wobei auch innerhalb dieser Kategorie noch einmal graduelle Unterschiede festzustellen sind. Den schwersten Stand hatten ganz sicher „Totalverweigerer“, die nicht einmal ihre Arbeitsaufgaben erfüllten und damit die Planerfüllung der gesamten Brigade, also auch die Prämien (und eventuell Leistungslöhne) ihrer Kollegen gefährdeten. In solchen Fällen war sehr wahrscheinlich das Gros der Werktätigen bereit, Druck auszuüben, damit ihnen nicht Einzelne oder einige Wenige die Kollektivnorm verdarben. Bezog sich die Verweigerung auf Wettbewerbskriterien außerhalb der unmittelbaren Arbeitsaufgaben, dürfte die Front der Kollegen schon gebröckelt sein, die bereit waren, dies mit mehr oder weniger sanftem Druck zu erzwingen. Hier kam es auf die konkrete personelle Konfiguration des betreffenden Kollektivs an. Je größer der Anteil und das Gewicht der engagiert-loyalen Mitglieder innerhalb der Brigade waren, umso unwahrscheinlicher war es, dass selbst partielle Verweigerung toleriert wurde. In einer solchen Konstellation wuchs mit dem Gruppendruck vermutlich bei so manchem Verweigerer die Neigung, durch kleine Anpassungsleistungen den Druck zu vermindern – womit der erste Schritt ins Lager der Indifferenten getan war. Die Alternativen bestanden darin, entweder dauerhaft zum Außenseiter zu werden oder das betreffende Kollektiv zu verlassen, was mit der Unsicherheit eines Arbeitsplatzwechsels verbunden war, ohne die Garantie nicht erneut in einen ähnlichen Gruppenzusammenhang zu geraten. (Als letzter Ausweg blieb dann nur noch der radikale Schnitt aus diesem System gänzlich auszusteigen, also der Versuch, die DDR zu verlassen.) Selbstverständlich kann auch mit Blick auf die Engagiert-Loyalen eine Binnendifferenzierung vorgenommen werden. Genossen sie den Respekt ihrer Kollegen weil sie tadellose Arbeit leisteten? Wenn sie eine Funktion (Meister, Brigadier, Parteigruppenorganisator oder Vertrauensmann) innehatten, nutzten sie diese im Interesse des Kollektivs oder waren sie nur auf den eigenen Vorteil und Aufstieg bedacht? Engagierten sie sich (auch über die Arbeit hinaus) aus ehrlicher Überzeugung und bemühten sich andere zu überzeugen, aber niemanden zu zwingen? Also auch für diese Gruppe gab es eine breite Palette von Charaktereigenschaften, Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die ihre Autorität und ihren Einfluss auf andere Kollektivmitglieder wesentlich beeinflussten. Diese Erörterung typischer Rollen 16

Götz Richter, Soziale Bindungen im VEB, S. 232.

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bzw. eines groben Gruppenrasters zur Differenzierung innerhalb der Brigaden zeigt, dass man bei der Beantwortung der damit zusammenhängenden Fragen an Grenzen stößt. Ähnlich schwer zu fassen sind in den Quellen die verschiedenen Formen informeller innerbetrieblicher Arrangements zwischen Betriebsleitung und Beschäftigten, bei denen die Kollektive und ihre Vertreter eine wichtige Rolle spielten.17 Dass solche informellen Aushandlungsprozesse gang und gäbe waren, liegt nahe, denn die in den Betrieben vorhandenen Probleme und Konflikte wurden in der Regel nicht so offen angesprochen und ausgetragen, dass davon etwas nach außen drang. Das Risiko einer Intervention von oben war für beide Seiten schwer kalkulierbar und entsprechend groß das Interesse, sich betriebsintern zu einigen. Erst wenn diese interne Kommunikation zu keiner befriedigenden Lösung für die Beschäftigten führte, konnte es zu offeneren Arbeitskonflikten kommen, die dann auch aktenkundig wurden. Die Beispiele aus den 1960er Jahren zeigen, dass dies relativ selten der Fall war, daran nie größere Gruppen beteiligt gewesen sind und zumeist bereits wenige Stunden Arbeitsniederlegung ausreichten, um die Betriebsleitung zum Einlenken zu bewegen oder zumindest mit Nachdruck auf Missstände aufmerksam zu machen. Zwar wird dabei auch die Beteiligung von Brigaden erwähnt, aber ein besonders hoher Anteil an diesen meist kurzen Streiks kann ihnen nach diesen Unterlagen nicht zugeschrieben werden.18 Ab den 1970er Jahren ist der Trend zu beobachten, dass die Zahl der Arbeitsniederlegungen weiter zurückgeht und stattdessen Eingaben immer wichtiger werden.19 Dies könnte als eine Art Arrangement interpretiert werden, das über die Grenzen des Betriebes hinausging und damit in gewisser Weise die Etablierung und Anerkennung der SED-Herrschaft durch die Arbeiter dokumentiert. Gemessen an den traditionellen Formen des Arbeitskampfes war die Eingabe ein ausgesprochen zahmes Instrument, um die Interessen der Beschäftigten durchzusetzen. Doch die traumatische Erfahrung des 17. Juni 1953 hatte sich beiden Seiten tief eingebrannt. Die Arbeiter wussten, dass sie durch offene Konfrontation ihre Ziele nicht oder nur um den Preis harter Repressalien, zumindest gegen die „Rädelsführer“, erreichen konnten. Die SED wiederum fürchtete nichts mehr als öffentlichen Aufruhr oder auch nur Aufsehen, zumal wenn er von Vertretern der „führenden Klasse“ ihres „Arbeiterstaates“ ausging. Insofern war sie, wie die Beispiele zeigen, häufig bereit, auf die nicht selten berechtigten Forderungen einzugehen, freilich ohne die grundlegenden Probleme wirklich anzupacken oder gar zu lösen. Insofern ist dies ein typisches Beispiel, wie „Herrschaft als soziale Praxis“ in der DDR 17 18 19

Vgl. Kleßmann, Arbeiter, S. 776 sowie Hübner, Betrieb als Sozialisationsinstanz. Siehe Kapitel IV.1. Vgl. Kleßmann, Arbeiter, S. 779.

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funktionierte und sich in einem wechselseitigen Lernprozess das autoritär-paternalistische Regime des „real existierenden Sozialismus“ ausformte. Ist es also angemessen, für die 1970/80er Jahre noch von Widerstand der Arbeiterschaft in der DDR zu sprechen, auch speziell im Zusammenhang mit den Brigaden? Eher nicht. Ein Beispiel: In einer Textilfabrik mit vielen weiblichen Beschäftigten wurde der Lebensmittelverkauf dezentral und damit arbeitsplatznah über Stützpunkte in den einzelnen Produktionsstätten organisiert, um zu verhindern, dass die Frauen während der Arbeitszeit zur zentralen Verkaufsstelle gingen, was vorher der Fall gewesen war und zu Problemen im Produktionsablauf geführt hatte.20 Über sogenannte Frauenausschüsse waren hier die Interessen der Arbeiterinnen artikuliert und eine Lösung in ihrem Sinne gefunden worden, die zugleich im Interesse des Betriebes lag. Dies als Erfolg „kollektiven, pragmatisch-widerständigen Verhaltens“ der Arbeiterinnen zu interpretieren,21 scheint allerdings stark übertrieben. Vielmehr ist dies ein Exempel für die innerbetrieblichen Arrangements, die sich nicht zuletzt in der betrieblichen Sozialpolitik niederschlugen und der Einsicht folgten, dass auch „in sozialistischen Gesellschaften die individuellen Interessen der Produzenten auf Dauer nicht ignoriert werden konnten“.22 Den berufstätigen Frauen hier pragmatisches, eigen-sinniges Verhalten zu attestieren, das sie an den Tag legten, um ihren oft von beruflich-familiärer Doppelbelastung geprägten Alltag zu bewältigen, ist sicher angemessen.23 Aber die Politik des SEDRegimes war insbesondere unter Honecker auch ganz bewusst auf die „soziale Befriedung“ ausgerichtet,24 was in der besonders starken Betonung der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik zum Ausdruck kam. Wie viel davon durch die Werktätigen erzwungen wurde ist schwer zu sagen, denn das Problem war ja weniger, dass die SED nicht bessere Lebensbedingungen schaffen wollte, als vielmehr ihr Unvermögen, dies langfristig volkswirtschaftlich zu untersetzen. Kaum empirisch zu belegen ist eine etwaige besondere Rolle der Brigaden beim Aushandeln der diversen innerbetrieblichen Arrangements, sei es durch Eingaben oder auf noch niedrigeren Eskalationsstufen. In der Summe ist die von Peter Hübner für Ende der fünfziger Jahre konstatierte teilweise Übernahme „quasigewerkschaftlicher Aufgaben“ durch die Brigaden spätestens ab den 1970er Jahren nicht mehr nachzuweisen. Ihren Beitrag zur Befriedung der Arbeiterschaft und der anderen Werktätigen leisteten die Kollektive auf andere Weise. 20 21 22 23 24

Schüle, Die Spinne, S. 248. Ebd. Hübner, Betriebe als Träger der Sozialpolitik (…), S. 759. Zur Situation berufstätiger Frauen in der DDR siehe Gisela Helwig, Familienpolitik. In: Geschichte der Sozialpolitik, Bd. 9, S. 496ff. Hübner, Betriebe als Träger der Sozialpolitik, S. 760.

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Um auf den Aspekt des sozialistischen Arbeitens im engeren Sinne zurückzukommen, soll abschließend noch die Frage nach dem ökonomischen Nutzen des sozialistischen Brigadewettbewerbs aufgeworfen werden. Dieser lässt sich nicht seriös berechnen, weil es eine Vielzahl weiterer Einflussfaktoren auf die wirtschaftliche Entwicklung gegeben hat, die man schlicht nicht in einer Formel zusammenfassen kann. Die Effekte der diversen Wettbewerbskampagnen dürften unmittelbar am Beginn der sozialistischen Brigadebewegung noch am größten gewesen sein, als nicht unbedingt Euphorie, aber doch ein gewisser Optimismus, zumindest in Teilen der Arbeiterschaft spürbarer war als in späteren Jahren,25 da allgemeine Verschleißerscheinungen26 unübersehbar wurden, immer neue Wettbewerbe bereits zur Alltagsroutine gehörten und kaum mehr mobilisierend wirkten. Ein nicht unwichtiger Faktor dabei waren die anfänglich hohen Prämien, die alsbald deutlich gesenkt wurden, womit der materielle Anreiz als wesentliches Motiv zur Beteiligung am BdsA-Wettbewerb zwar nicht gänzlich verschwand, aber doch deutlich vermindert wurde. In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage nach dem Verhältnis von Aufwand und Nutzen des Kollektivwettbewerbs wie des sozialistischen Wettbewerbs insgesamt auf. Auch hier kann man nur Vermutungen anstellen. Fakt ist, dass der Aufwand, der dafür betrieben wurde, nicht unerheblich war. Zieht man die Prämien, die Aufwendungen für die Wettbewerbspropaganda und vor allem die Personalkosten im FDGB-Apparat sowie für die eigenen Wettbewerbsabteilungen zumindest in größeren Betrieben zusammen, so ergibt dies ganz sicher eine erkleckliche Summe. Praktisch unmöglich ist es, die Gegenrechnung aufzumachen, weil sich nicht annähernd genau bestimmen lässt, wie groß der Anteil an der Wirtschaftsleistung der DDR gewesen ist, der durch den sozialistischen Wettbewerb generiert wurde. Dass die sozialistische Brigadebewegung durchaus positive ökonomische Effekte hervorrief, zeigen empirische Untersuchungen aus den 1970er Jahren.27 Zumindest in der Wahrnehmung der Beschäftigten haben die Kollektive wesentlich zu einer relativ hohen Arbeitszufriedenheit und signifikant höheren Leistungen beigetragen. Damit dürfte es teilweise gelungen sein, die systembedingten Dysfunktionen auf volkswirtschaftlicher und betrieblicher Ebene ein wenig zu kompensieren. Um den Systemwettbewerb mit der kapitalistischen Bundesrepu25 26

27

Vgl. Roelser, Probleme, S. 9 und Kleßmann, Arbeiter, S. 469. Alf Lüdtke hat darauf hingewiesen, dass Erich Loest in seinem Roman „Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene“ (1978) den zu dieser Zeit in der DDR bereits allgegenwärtigen „Verschleiß des Engagements einzelner für das Projekt einer anderen, einer neuen und humanen Gesellschaft des Sozialismus“ thematisierte und vielfältig variierte. Lüdtke, Alltage in unserer Ebene, S. 296. Siehe Kapitel V.7.

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blik zu gewinnen genügte das nicht, aber für die Sicherung der (zumindest missmutigen) Loyalität eines Großteils der Werktätigen und damit des jahrzehntelangen Bestands der SED-Herrschaft war dies ein wichtiger Faktor. In diesen Kontext gehört auch die vor allem mit Blick auf die 1950er Jahre entstandene These, wonach die Arbeiter durch offenen Widerstand, informelle Resistenz und passive Loyalität wesentlich mitverantwortlich für die wirtschaftspolitische Immobilität der DDR gewesen seien.28 Dass sie sich den Zumutungen und der Holzhammerpolitik des SED-Regimes im ersten Jahrzehnt seiner Existenz widersetzten, kann man den Beschäftigten nicht ernsthaft vorwerfen. Aber ab den 1960er Jahren, insbesondere im Zusammenhang mit den Reformversuchen des NÖS, lässt sich diese These kaum mehr belegen. Im Gegenteil, stießen die wenigen Versuche, die Werktätigen ernsthaft in den Reformprozess einzubeziehen, auf positive Resonanz.29 Es war die Parteiführung selbst, die sich, auch wirtschaftspolitisch, mit der Verweigerung nennenswerter Mitbestimmungsrechte und dem letztendlichen Festhalten am starren, zentralistischen Planungssystem als reformunfähig erwies und ihren „Arbeiterstaat“ in die Sackgasse führte. Welche Bilanz ist hinsichtlich des sozialistischen Lernens im Rahmen der Brigadebewegung zu ziehen? Über den Kollektivwettbewerb die Bereitschaft der einzelnen Brigademitglieder zur beruflichen Qualifizierung anzuregen, gehörte zweifellos zu den sinnvolleren Bestandteilen dieser Kampagne. Insofern es entsprechende Angebote und Möglichkeiten gab, wurden diese von den Werktätigen auch gut angenommen, verband sich doch damit für den Einzelnen die Hoffnung, dadurch sein Einkommen zu verbessern und sich Aufstiegschancen zu eröffnen. Ab den siebziger Jahren ging der Bedarf in diesem Bereich zurück, weil das allgemeine Ausbildungsniveau der nachwachsenden Generationen inzwischen deutlich gestiegen war. Gleichwohl wurden nunmehr Lücken erkennbar, was die spezifische aufgabenbezogene Weiterbildung der Beschäftigten im Zusammenhang mit der Realisierung von Rationalisierung- und Modernisierungsvorhaben in der Industrie betraf. Dieses Problem wurde freilich nicht von den Brigaden selbst verursacht, sondern auf übergeordneten Ebenen. Immerhin wurde vom FDGB seit Anfang der 1970er Jahre einiger Aufwand betrieben, um in enger Verbindung mit dem KdsA-Wettbewerb in vielen Betrie28

29

Kopstein, Chipping away at the state, S. 422 und Soldt, Schwarze Pumpe, S. 107f. Alheit/Haack (Die „vergessene“ Autonomie der Arbeiter, S. 445) sehen in der „Arbeiterschaft“ gar den „entscheidenden Protagonisten des ökonomischen Niedergangs der DDR – weit vor der Wende“; was sie allerdings nicht stichhaltig belegen (können), zumal sich ihre Studie empirisch nur auf die fünfziger Jahre bezieht. Siehe dazu ausführlich meinen demnächst erscheinenden Aufsatz: „Verhinderten die Arbeiter Wirtschaftsreformen in der DDR?“

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ben sogenannte „Schulen der sozialistischen Arbeit“ zu installieren. Das Hauptaugenmerk dieser „Schulen“ galt aber offenbar weniger der Arbeit, also der konkret berufsbezogenen Qualifizierung, sondern vielmehr der allgemeinen politischideologischen Schulung möglichst vieler Werktätiger, die man für diesen Zweck am besten über ihre Arbeitskollektive glaubte erreichen zu können. Die statistischen Erfolge der „Schulen der sozialistischen Arbeit“ können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sowohl die inhaltliche Substanz ihrer einheitlichen Jahresprogramme als auch die tatsächliche Resonanz, auf die sie bei den Beschäftigten stießen, ziemlich schwach waren. Gelegentlich tauchte in den Wettbewerbsverpflichtungen von Brigaden auch die Teilnahme von Nicht-Genossen am SED-Parteilehrjahr oder der jüngeren Kollegen am FDJ-Studienjahr auf. Die Wirkung dieser verschiedenen Versuche, im Zuge der Brigadebewegung die Beschäftigten auf möglichst breiter Front politisch-ideologisch zu indoktrinieren, ist schwer einzuschätzen. Aber gemessen an den Intentionen von SED und FDGB dürften diese Bestrebungen eher wenig erfolgreich gewesen sein. Sowohl ums Lernen als auch um das sozialistische Leben ging es in den „Kulturund Bildungsplänen“, die von den Kollektiven ab Ende der 1960er Jahre aufgestellt und abgerechnet werden sollten. Die Kulturarbeit war und blieb über den gesamten Zeitraum der sozialistischen Brigadebewegung ein schwieriges Feld. Schwierig vor allem deshalb, weil die hochfliegenden Pläne von SED und FDGB mit den kulturellen Traditionen und Interessen des Gros der Werktätigen nicht kompatibel waren.30 Nach den Vorstellungen führender Kulturfunktionäre sollte die Arbeiterklasse in der DDR die Höhen der Kultur erklimmen, sowohl als Kenner und Liebhaber als auch als Schöpfer von Kunst und Kultur. Da die sozialistischen Kollektive auserkoren waren, den nach diesen Vorstellungen geprägten neuen Menschen zu formen, gibt es überwiegend aus der Anfangszeit eine Reihe von Zeugnissen, die das Streben nach künstlerischer Selbstbetätigung im Kontext der Brigaden belegen.31 Selbiges lässt später ebenso nach wie die von vielen Werktätigen häufig als Pflichtübung empfundene Rezeption der Hochkultur bspw. in Theater, Literatur oder bildender Kunst. In der Rückschau äußerten sich ehemalige Brigademitglieder nicht selten „ambivalent positiv über die gemeinsamen Besuche bei Kulturveranstaltungen“. Unter dem Motto „Wir machen‘s, dann haben wir unsere Ruhe“, wären viele oftmals wenig begeistert mitgegangen. Andererseits sei es „unbedingt ein Vorteil“ gewesen, dass dadurch „mancher angeregt [wurde], der nie auf die Idee gekommen wäre“.32

30 31 32

Ausführlich dazu: Schuhmann, Kulturarbeit. Exemplarisch die drei Brigade-Gedichte im Anhang. Parmalee, Brigadeerfahrungen, S. 77; ähnlich bei Schüle, Die Spinne, S. 235.

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In der Praxis der Brigaden gab es von Beginn an einen recht starken Trend, die kulturellen Aktivitäten in der Rubrik sozialistisch Leben nach den eigenen Interessen zu gestalten, wobei verschiedene Formen von Geselligkeit und ungezwungenen Freizeitvergnügungen dominierten. Je nachdem, ob es sich um eine Brigade von Eisenbiegern oder Textilarbeiterinnen oder ein Kollektiv von Verwaltungsangestellten oder Bibliothekarinnen handelte, konnte die Interessenlage und dementsprechend die gelegentliche gemeinsame kulturelle Freizeitgestaltung sehr verschieden ausfallen. Das könnte man bei manchen Brigaden durchaus pointiert eine Art „Biertischsozialismus“ nennen und für andere Kollektive, wo sich ein Gutteil der Kollegen häufig und regelmäßig bspw. zum Angeln traf, wäre die Bezeichnung „Ersatzverein“ zutreffend.33 Die Bandbreite war diesbezüglich sehr weit, sowohl was die spezifischen Interessen als auch die Häufigkeit und Intensität betraf, weshalb pauschale Aussagen und Bewertungen zu diesem Aspekt wenig sinnvoll sind. Als allgemeine Tendenz kann man die in den 1970/80er Jahren zunehmende „Privatisierung“ des Brigadelebens konstatieren, da „Kegelnachmittage und Kaffeekränzchen“ im Vergleich zu anspruchsvolleren Kulturveranstaltungen einen immer breiteren Raum einnahmen.34 Mit der Formel „der Zwang blieb, die Lust wurde größer“ hat Annegret Schüle diese Entwicklung zusammengefasst.35 Dies wäre dahingehend zu präzisieren, dass der Zwang merklich nachließ und der beschriebene Trend von den Vorgesetzten bzw. Wettbewerbskommissionen zunehmend akzeptiert oder wenigstens resigniert hingenommen wurde und kaum mehr jemand auf den Besuch anspruchsvoller Kulturveranstaltungen und ebensolche künstlerische Selbstbetätigung pochte. Der Zwang ist auch deshalb zu relativieren, weil die Nichtteilnahme schlimmstenfalls mit dem Ausschluss von der (nicht mehr all zu hohen) Kollektivprämie sanktioniert wurde. Angesichts dieser Entwicklung ist die Frage, wieso „Arbeiter dafür ausgezeichnet und prämiert [wurden], dass sie zusammen kegeln“ gingen und was an den diversen gemeinsamen Freizeitaktivitäten der Kollektive denn das spezifisch sozialistische gewesen sei, vollkommen berechtigt.36 Sie verweist auf die Tatsache, dass die sozialistische Brigadebewegung seit den siebziger Jahren formal zwar noch auf den 1959 formulierten Zielen basierte, de facto aber erheblich „ideologisch ausgedünnt“ war.37 Die bereits erwähnten Verschleißerscheinungen waren auch in dieser Hinsicht unübersehbar. Mit Volker Braun könnte man sagen, in den Betrieben ebenso wie (zumindest) auf den unteren Ebenen des Macht33 34 35 36 37

Soldt, Schwarze Pumpe, S. 107. Vgl. Schüle, Die Spinne, S. 263. Ebd., S. 269. Parmalee, Brigadeerfahrungen, S. 80. Kleßmann, Arbeiter, S. 476.

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apparates griff immer mehr die Einsicht um sich, dass es „vielleicht keine Macht auf Erden [gab], die Hinze wider Willen befreien, ihn ohne sein Wissen glücklich machen konnte“.38 In der Erinnerung der meisten ehemaligen DDR-Bürger waren die Brigaden eine alltägliche, ganz selbstverständliche, weitgehend unpolitische und zumeist positiv konnotierte Institution.39 Dieses unreflektierte Bild ist nicht unbedingt ein Zeichen bewusster Verdrängung und Verklärung. Es verweist vielmehr darauf, welche – eher subtile – Wirkung die sozialistische Brigadebewegung über drei Jahrzehnte entfaltet hat und welche der ursprünglichen Ziele von SED und FDGB (nicht) erreicht wurden. Nein, Ulbrichts Vision von 1959, mit Hilfe der sozialistischen Kollektive die Werktätigen mehrheitlich zu neuen Menschen zu erziehen, wurde nicht verwirklicht. Selbst die Bemühungen, dieses Ziel zu erreichen, ließen spätestens mit dem Ende seiner Herrschaftsperiode immer mehr nach. Die entscheidende Leistung und Funktion der sozialistischen Brigaden bzw. Arbeitskollektive war die Systemintegration eines Großteils der erwerbstätigen Bevölkerung. So pauschal mag es übertrieben klingen, dass „die beruflichen Tätigkeiten (…) tendenziell im Schatten der sozialen Integration in eine Gruppe von Kolleginnen und Kollegen“ gestanden habe.40 Aber von einer Gleichrangigkeit kann man sicher sprechen. Die kollektive Sozialisation, die mit der Schulklasse, der Pionier- und FDJ-Gruppe begann, für die Männer in der NVA ihre Fortsetzung fand, mündete für nahezu alle Werktätigen in der jahrzehntelangen Einbindung in ein sozialistisches Arbeitskollektiv. (Das galt prinzipiell auch für die kollektivierte Landwirtschaft.) Selbstverständlich konnte man im vertrauten Kollegenkreis auch mal meckern und Dampf ablassen über die Unzulänglichkeiten des realsozialistischen Berufs- und Alltagslebens. Aber das erfolgte und blieb zumeist innerhalb des von SED und FDGB vorgegebenen Rahmens. Sie gaben die Grenzen und die Regeln vor, die zwar teilweise verwässert und ausgehöhlt, aber nicht gänzlich außer Kraft gesetzt, sondern im Gegenteil von den allermeisten Kollektivmitgliedern mehr oder weniger verinnerlicht und akzeptiert wurden. Auch jenen, die sich nicht enthusiastisch am sozialistischen Leben beteiligen wollten, stand die Möglichkeit offen, es bloß aus Geselligkeitsgründen, ohne großes Engagement, zu tun. Auf diese Weise wurde die Mehrzahl der Werktätigen „in diese hochpolitisierte Gesellschaft integriert (…), ohne selber politisch tätig sein zu 38 39 40

Volker Braun, Fantastischer Gedanke. In: Ders., Berichte von Hinze und Kunze, Halle und Leipzig 1983, S. 77. Parmalee, Brigadeerfahrungen, S. 71f.; Richter, Soziale Bindungen im VEB, S. 221ff.; Schüle, Die Spinne, S. 229. Richter, Soziale Bindungen im VEB, S. 222.

Die „Kollektivierung“ der Gesellschaft (Schlussbetrachtung)

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müssen“, weil sie sich „abgesehen von einigen Veranstaltungen (…) unpolitisch verhalten und trotzdem dazugehören“41 konnten – und sollten. Wohl für viele traf zu, was Patty Lee Parmalee an ihren InterviewpartnerInnen beobachtete: „Sie hielten oder halten – schwer zu unterscheiden – den ganzen Wettbewerb und die Preisverleihungen für eine Art Spiel, das man spaßeshalber trotz der Lächerlichkeit mitmacht, und sich dann doch mehr oder weniger damit identifiziert.“42 Ganz Ähnliches hat Annegret Schüle festgestellt: „In ihrer humorvollen Beschreibung ‚Bienchen sammeln für Erichen‘ verglichen sich die Frauen mit Schulkindern, die dem SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzenden zuliebe fleißig waren und deshalb die in manchen unteren POS-Klassen übliche Auszeichnung eines ‚Bienchens‘ erhielten. Dieser Vergleich ist treffend, weil tatsächlich das gleiche Prinzip der Belohnung galt.“43 Auch und (gemessen an der Dauer) vor allem hier – in den sozialistischen Brigaden und Arbeitskollektiven – gelang es dem „vormundschaftlichen Staat“44 Millionen Werktätige über drei Jahrzehnte beinahe wie Kinder unter Kontrolle zu halten. Damit waren die Brigaden die zentrale Institution zur „Kollektivierung“ der Gesellschaft in der DDR.

41 42 43 44

Parmalee, Brigadeerfahrung, S. 83. Ebd., S. 81. Schüle, Die Spinne, S. 234. Rolf Henrich, Der vormundschaftliche Staat. Vom Versagen des real existierenden Sozialismus, Hamburg (April) 1989, S. 12f.

 

Textanhang

Legt heute Last und Sorgen nieder, gestattet ist heute freie Liebe. Singt mit uns die schmutzigen Lieder, freier Lauf für alle Triebe. Jeder kann den Durst heut stillen, und die Intelligenz soll saufen. Wer grad’ Lust hat, kann auch brüllen, aus den Ohren muß es laufen. Diese Zeilen schrieb nicht irgendein Verein, es war eine sozialistische Brigade, sie wollt auf ihre Art mal fröhlich sein, schade, schade, schade. Bei Raspa, Samba, Boogie-Woogie kann man sich schlangenhaft bewegen und dann an einer fremden Mutti sich mächtig sexuell erregen.

Textanhang

334

Besoffen darfst du durch die Gegend schießen, in jeder Hand ’ne volle Flasche, darfst fremde Früchte heut genießen und kotzt dem Nachbar in die Tasche. Diese Zeilen schrieb nicht irgendein Verein, es war eine sozialistische Brigade, sie wollt auf ihre Art mal fröhlich sein, schade, schade, schade. Uns nützt kein Freund, kein Feind, was wir wollen, werden wir betreiben, und wem dieses ungehörig scheint, soll bei sich zu Hause bleiben. Wir werden jedes Mädchen in den Ausschnitt küssen, und sollte sie ob dieser Frechheit schrei’n, dann wird sie aus dem Saal geschmissen, die gehört in unsere Truppe nicht hinein. Diese Zeilen schrieb nicht irgendein Verein, es war eine sozialistische Brigade, sie wollt auf ihre Art mal fröhlich sein, schade, schade, schade. Gebt uns einen Roboter her, wir wollen uns nicht schinden, die Arbeit schmeckt uns gar nicht mehr, weil wir sie überflüssig finden. Am Zahltag finden wir uns ein, den Weg nehmen wir in Kauf, wir streichen unser Geld dann ein und bringen es zum Lokal „Glück auf“. Diese Zeilen schrieb nicht irgendein Verein, es war eine sozialistische Brigade, sie wollt auf ihre Art mal fröhlich sein, schade, schade, schade. Es ist erschreckend, es ist wirklich schade, daß wir in unserem Betrieb dies Beispiel kennen, und so was nennt sich heut Brigade

Textanhang

335

  und will sich morgen „sozialistisch“ nennen. Die schreiben sich für ihr Vergnügen ein Festblatt, wie ein Saufverein, sie wollen im Kampf um einen hohen Titel siegen und lassen sich mit solchen Dingen ein. Wo bleiben all die edlen Ziele, von denen die Verpflichtung spricht? Aus einem Festsaal wird ’ne Nahkampfdiele, nein, Brigade, nein, so geht das nicht. Ihr müsst das Alte überwinden, ihr müßt dem Neuen Beifall zollen, ihr werdet neue Wege finden, aber nur, wenn alle wollen. Natürlich sollt ihr lustig sein Bei Tanz und Spiel in froher Runde, auch Bier und Schnaps und guten Wein, doch wer da säuft, geht vor die Hunde. Das große Ziel erfüllt ihr nicht mit Schwärmen für Roboter und Sauferei. Sozialistisch arbeiten, leben, lernen erreicht man nicht so nebenbei.

Aus der Betriebszeitung „Roter Stahl“ (Stahl- und Walzwerk Brandenburg/Havel), Nr. 31/1959

Textanhang

336

Unsere Brigade1 Im April haben wir uns zusammengetan und wollen mit Freude, Fleiß und Elan den Titel „Sozialistische Brigade“ erringen und uns auf eine höhere Stufe bringen. Aller Anfang ist meistens schwer und wir berieten hin und her, wie wir am besten zum Ziele gelangen ohne Zaudern und ohne Bangen. Sozialistisch arbeiten, lernen und leben haben wir uns als Richtschnur gegeben. Verpflichtungen haben wir uns gestellt: Alle lesen die „Junge Welt“. Bei 84 Aufbaustunden haben wir Kontakt mit den Bauern gefunden. Mitglieder der DSF sind wir jetzt alle, internationale Solidarität üben wir in jedem Falle. Zu den Weltfestspielen in Wien haben wir gespendet und eine Protestkarte nach Griechenland gesendet. Über die Arbeit machen wir uns viele Gedanken, wie können nur die Analysen so schwanken? Warum machen wir in den Kontrollen so viele Fehler? Damit beschäftigt sich ein jeder.

                                                             1

Unser Friedenswerk, 48/1959 (4.12.1959), S. 3. Anmerkung (der Redaktion): „Dieses Gedicht über das Leben ihrer Brigade hat die Jugendfreundin H.U. auf dem letzten Brigadeabend vorgetragen. Die 21 jährige Laborantin im Hochofenlabor, dort gleichzeitig Sekretär der FDJ-Gruppe, hat sich mit diesem netten kleinen Gedicht das erste mal (und wir meinen gewiss nicht schlecht) an die Öffentlichkeit gewagt und damit auch einen ersten Schritt vom lesenden zum schreibenden Arbeiter getan. H. U., dieses ruhige und bescheidene Mädchen, ist mit Lust und Liebe bei der Sache. Auch ihr Beispiel beweist, dass es in unserem Kombinat junge Talente in großer Zahl gibt. Für die Kulturfunktionäre sollte das Ansporn und Verpflichtung sein, dieses und die vielen, vielen anderen Talente zu suchen und bewusst zu fördern, denn die Hüttenfestspiele verlangen das von Tag zu Tag dringender denn je.“

Textanhang

337

  Gute Filme sehen wir uns gemeinsam an, oft folgt ein fröhlicher Brigadeabend dann. Wir diskutieren über das Neueste in der Welt und helfen, dass uns der Frieden erhalten bleibt. So gibt es zu berichten von vielen Dingen, doch die kann man nicht alle bringen. Wir haben auch mit Schwierigkeiten zu tun und dürfen nicht in der Arbeit ruh’n. Wir wollen eine gute Brigade werden und sein und setzen all’ unsere Kräfte ein. Damit wir bald den Titel erringen, müssen wir nach dem Grundsatz handeln: „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben“ um unsere Brigade noch besser zu wandeln. Wir werden alle Kräfte dafür geben durch Arbeit, Fleiß und Elan zu schaffen für den Siebenjahrplan!

Textanhang

338

Der Unbelehrbare2

Im September kam aus Westdeutschland zurück ein Kollege, er war anscheinend geheilt von seinem falschen Wege. Klaus Thoms wurde er genannt, von der Schiffswerft einigen Kollegen noch bekannt. Er kam als Schlosser zu Fred Kroll in die Schicht, wir sagten ihm: „Unpünktlichkeit und Fehlschichten dulden wir nicht“. Einen Moment lang ging’s mit ihm gut, dann bekam er zum Bummeln Mut. Am 18. und 19.10. legte er Fehlschichten ein und ließ seine Kollegen in der Nachtschicht allein. In einer ersten Auseinandersetzung, versprach er Besserung. Doch sein Versprechen war nicht von langer Dauer, denn die Arbeit schmeckte ihm bald wieder sauer. Er sagte den Schichten am 31.12. und 1.1.60 adé und feierte lieber Feste mit einer holden Fee. Es wurde Kumpeln und Meister nun doch zu bunt, sie sagten ihm nochmals tüchtig ihre Meinung. Klaus konnte die Meinung nicht vertragen und dacht’, „ihr könnt mich alle gerne haben“. Das ganze wurde dem Arbeitsdirektor bekannt und er hätte ihn sich schon gern einmal gelangt. Inzwischen ist er weggerannt und will noch einmal im Westen versuchen sein Glück, doch eines Tages wird er kehren reumütig zurück.

                                                             2

Auszug aus dem (Brigade-)Tagebuch der Wartungsschlosser der MES, Bereich Carow. Die Namen wurden geändert. UF 13/1960, 31.3.1960, S. 4. Hinzugefügt wurde folgende Anmerkung: „Thoms wurde bei seiner Republikflucht von den Staatsorganen der DDR gestellt und am 2.3.1960 vor dem Kreisgericht Stalinstadt wegen versuchten Verstoßes gegen das Passgesetz zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Nach Verbüßung seiner Strafe werden wir ihn wieder in unseren Meisterbereich aufnehmen.“

125.089

59.364

130.074

130.855

121.188

114.575

107.870

84.147

78.951

79.231

83.903

120.493

129.608

146.923

154.120

19575

1959

1960

1961

1962

1963

1964

1965

1966

1967

1968

1969

1970

1971

1972

4,9

13,4

7,6

43,6

5,9

0,4

-6,2

-22,0

-5,9

-5,5

-7,4

0,6

119,1

-

-

Veränderung zum Vorjahr (%)

5

4

3

2

1

  

-

4,5

15,1

16,5

42,0

8,1

3,6

-1,4

-15,7

-5,6

-0,8

-1,0

5,0

136,2

-

10,1

19,5

19,6

19,3

17,8

18,0

17,7

17,1

16,3

15,1

15,0

14,3

13,4

12,8

11,9

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

Arbeiter und Angestellte (AuA) insgesamt3

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

Anteil Brigademitglieder an AuA insgesamt (%) -

38.260

28.765

24.613

31.504

15.642

k.A.

9.502

6.706

1.705

3.174

2.936

3.420

972

100

24,8

19,6

19,0

26,1

18,6

-

12,0

8,0

1,6

2,8

2,4

2,6

0,9

0,2

-

% von Verpflichtungen

747.458

563.892

475.138

561.361

281.957

k.A.

162.563

109.216

25.692

47.685

42.035

45.792

15.656

1.190

-

ca. ausgezeichnete Mitglieder4

BdsA/KdsA-Auszeichnungen Brigaden/ Kollektive

StJb. 1959, S. 209; StJb. 1960/61, S. 205 u. 221; StJb. 1963, S. 41 u. 53; StJb. 1964, S. 64 u. 69; StJb. 1965, S. 64 u. 66; StJb. 1966, S. 76 u. 78; StJb. 1967, S. 76 u. 78; StJb. 1968, S. 78 u. 80; StJb. 1969, S. 70 u. 72; StJb. 1970, S. 70 u. 72; StJb. 1971, S. 70 u. 72; StJb. 1972, S. 70 u. 72; StJb. 1973, S. 70 u. 72; StJb. 1974, S. 70 u. 72; StJb. 1975, S. 66 u. 68; StJb. 1976, S. 66 u. 68; StJb. 1980, S. 107; StJb 1985, S. 133; StJb. 1989, S. 134 f. Ab 1962 hieß der Titel nicht mehr „Brigade...“, sondern „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“. Vgl. Verordnung über die Stiftung des Ehrentitels „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ vom 15. März 1962, in: GBl. der DDR 1962, Teil II, Nr. 19, S. 167 f.  (... in sozialistischen Betrieben und Einrichtungen) StJb 1989, S. 128 (für 1986-88). berechnet aus der Zahl der ausgezeichneten Brigaden und der durchschnittlichen Mitgliederzahl Für 1957 werden hier zum Vergleich die Zahlen der am Wettbewerb (von Brigade zu Brigade) Teilnehmenden angegeben. StJb. 1957, S. 197.

3.010.931

2.880.190

2.501.997

2.147.032

1.512.404

1.399.685

1.350.716

1.370.440

1.625.432

1.721.328

1.735.041

1.752.069

1.669.208

706.657

1.266.635

Mitglieder

Mitglieder je Brigade ()

Statistischer Überblick zur sozialistischen Brigadebewegung (1959-1988)1 Veränderung zum Vorjahr (%)

BdsA/KdsA-Verpflichtungen2

                                                            

Brigaden/ Kollektive

Jahr

Tabelle 1 (Blatt 1)

Tabellenanhang

200.537

201.477

228.129

243.560

255.507

259.705

252.369

255.271

256.479

265.114

270.251

278.913

287.917

300.278

307.043

310.025

19736

1974

1975

1976

1977

1978

1979

1980

1981

1982

1983

1984

1985

1986

1987

1988

1,0

2,3

4,3

3,2

3,2

1,9

3,4

0,5

1,1

2,8

1,6

4,9

6,8

13,2

0,5

30,1

6

1,2

1,0

5,1

2,0

2,4

1,9

1,1

1,3

1,1

0,7

1,7

4,5

6,4

8,0

9,6

13,3

17,5

17,5

17,7

17,6

17,8

17,9

17,9

18,3

18,2

18,2

17,6

17,6

17,6

17,7

18,6

17,0

Mitglieder je Brigade ()

7.310.600

7.293.500

7.287.800

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

Arbeiter und Angestellte (AuA) insgesamt

74,4

73,6

72,9

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

Anteil Brigademitglieder an AuA insgesamt (%) 58.477

264.576

261.085

249.770

241.845

228.716

215.432

205.813

196.020

184.247

178.524

166.050

150.599

128.727

106.626

92.780

85,3

85,0

83,2

84,0

82,0

79,7

77,6

76,4

72,2

70,7

63,9

58,9

52,9

46,7

46,0

29,2

% von Verpflichtungen

4.638.888

4.566.468

4.421.813

4.249.310

4.068.408

3.863.974

3.693.454

3.596.677

3.353.491

3.251.849

2.919.273

2.647.321

2.270.828

1.887.647

1.721.456

995.031

ca. ausgezeichnete Mitglieder

BdsA/KdsA-Auszeichnungen Brigaden/ Kollektive

Ab 1973 enthalten die Angaben aufgrund der gesetzlichen Neuregelung der Verleihung des Titels sowohl die Kollektive, die erstmalig ausgezeichnet wurden, als auch diejenigen, die ihren Titel erfolgreich verteidigten.

5.435.759

5.370.290

5.315.983

5.058.813

4.961.314

4.847.204

4.757.651

4.706.010

4.646.203

4.596.950

4.565.792

4.491.458

4.296.556

4.038.669

3.738.239

3.412.291

Mitglieder

Veränderung zum Vorjahr (%)

BdsA/KdsA-Verpflichtungen

Veränderung zum Vorjahr (%)

                                                            

Brigaden/ Kollektive

Jahr

Tabelle 1 (Blatt 2)

340 Anhang

2

1

14.022 15.685 16.821 22.195 23.888 26.006 27.862 29.364 30.057 33.366 38.317 40.249 41.173 42.544 43.445 44.541 45.675 44.937 42.135

1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988

11,9 7,2 31,9 7,6 8,9 7,1 5,4 2,4 11,0 14,8 5,0 2,3 3,3 2,1 2,5 2,5 - 1,6 - 6,2

Veränderung gegenüber Vorjahr (in Prozent) 10,8 10,7 10,9 11,1 11,9 11,4 11,4 11,5 11,6 13,2 15,0 15,7 15,5 15,7 15,6 15,5 15,2 14,6 13,6

Anteil an KdsA gesamt (in Prozent) 178.358 199.725 214.924 266.030 283.188 300.195 319.864 334.796 362.423 393.374 433.169 465.493 492.631 513.700 534.410 557.828 575.261 569.717 541.970

Mitglieder

12,0 7,6 23,8 6,4 6,0 6,6 4,7 8,3 8,5 10,1 7,5 5,8 4,3 4,0 4,4 3,1 - 1,0 - 4,9

Veränderung gegenüber Vorjahr (in Prozent) 7,1 6,9 7,1 7,8 7,6 7,4 7,4 7,5 7,9 8,6 9,3 9,9 10,4 10,6 10,8 11,0 10,8 10,6 10,0

Anteil an KdsA- Mitglieder gesamt (in Prozent)

Jugendbrigaden in der DDR (1970-1988)1

k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. 61,0 59,9 k.A. 57,9 55,5 55,8 54,8 53,3 52,0 50,9 49,1

Jugendlichen (unter 25 Jahre) an Mitgliedern gesamt (in Prozent) k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. 20,3 22,6 k.A. 26,1 27,0 28,0 29,1 28,8 29,1 28,5 27,4

jugendlichen Mit glieder an Jugendlichen im Betrieb (in Prozent)

Anteil der2

Quelle: 1970 bis 1979, Staatliche Zentralverwaltung für Statistik der DDR (SZS), Jugend, 1980, S. 38; 1981 bis 1988, SZS, Jugend, 1989, S. 29. Nur im Bereich der Industrieministerien (die hatten einen Anteil an den Jugendbrigaden insgesamt von weniger als einem Drittel); Quelle: 1978/79 SZS, Jugend, 1980, S. 43; 1981 bis 1988, SZS, Die Jugend in der DDR. Statistische Übersichten, Berlin (O.) 1989, S. 31.

Anzahl

Jahr

Tabelle 2

Tabellen

341

2

1

7.045 143.052 6.747 141.855 7.777 162.349 8.073 181.857 8.647 169.758 9.487 203.146 14.411 251.709 13.227 274.903 17.557 342.226 203,0 201,6

absolut

% von gesamt 5,4 8,2 8,0 10,4 9,9 12,0 10,2 13,0 7,2 7,9 7,3 8,1 7,2 7,4 5,8 6,8 5,7 6,3 9.076 155.050 6.888 148.062 6.196 137.792 6.283 143.449 8.414 174.881 8.510 200.906 12.561 262.205 15.681 332.380 18.441 363.561 219,2 207,9

absolut

% von gesamt 6,9 8,8 8,2 10,8 7,8 10,2 7,9 10,2 7,0 8,1 6,6 8,0 6,3 7,7 6,9 8,2 5,9 6,7 -

IG Bergbau/Energie2 IG Chemie/Glas/Keramik

25.736 396.393 16.080 332.261 15.151 325.612 15.759 335.690 25.027 557.947 30.202 698.088 43.171 928.693 48.395 1.060.693 58.272 1.272.331 232,8 228,0

absolut

% von gesamt 19,7 22,6 19,1 24,2 19,2 24,1 19,9 24,0 20,8 26,0 23,3 27,9 21,5 27,2 21,2 26,3 18,8 23,4 -

IG Metall

9.661 161.179 6.136 125.669 5.448 116.596 4.785 111.662 6.163 152.360 6.035 171.022 10.792 230.445 11.114 282.285 13.072 328.808 212,1 215,8

absolut

% von gesamt 7,4 9,2 7,3 9,2 6,9 8,6 6,0 8,0 5,1 7,1 4,7 6,8 5,4 6,8 4,9 7,0 4,2 6,0 -

IG Textil/ Bekleidung/Leder

BdsA/KdsA-Verpflichtungen nach Einzelgewerkschaften (1961-1988)1

Die absoluten Zahlen sind den jeweiligen Ausgaben des StJb. entnommen. Die Prozentangaben beziehen sich auf die in Tabelle 1 ausgewiesene jeweilige Gesamtzahl. Bis einschl. 1963 nur Bergbau; der Bereich Energie ist bis dahin zusammen mit Post und Transport in einer IG und auch in deren Zahlen enthalten.

1961

Brigaden Mitglieder Brigaden 1965 Mitglieder Brigaden 1966 Mitglieder Brigaden 1967 Mitglieder Brigaden 1969 Mitglieder Brigaden 1970 Mitglieder Brigaden 1973 Mitglieder Brigaden 1975 Mitglieder Brigaden 1988 Mitglieder Brigaden Veränderung 1988:1969 in % Mitglieder

Jahr

Tabelle 3 (Blatt 1/2)

2.625 38.375 2.011 32.462 1.797 30.627 1.404 24.530 2.168 38.772 2.164 43.021 3.535 53.184 4.156 71.068 4.730 84.204 218,2 217,2

absolut

% von gesamt 2,0 2,2 2,4 2,4 2,3 2,3 1,8 1,8 1,8 1,8 1,7 1,7 1,8 1,6 1,8 1,8 1,5 1,5 -

IG Druck und Papier

342 Anhang

4

3

10.442 122.205 4.526 71.065 5.429 80.758 6.168 94.401 9.135 146.827 10.091 178.931 17.924 263.421 23.095 363.099 31.239 510.516 342,0 347,7

absolut

% von gesamt 8,0 7,0 5,4 5,2 6,9 6,0 7,8 6,7 7,6 6,8 7,8 7,2 8,9 7,7 10,1 9,0 10,1 9,4 -

IG Bau/Holz

Gewerkschaft Land/ Nahrungsgüter/Forst % von absolut gesamt 7.454 5,7 77.474 4,4 813 1,0 11.768 0,9 680 0,9 8.445 0,6 702 0,9 8.609 0,6 7.110 5,9 100.430 4,7 9.552 7,4 147.705 5,9 13.858 6,9 202.598 5,9 17.289 7,6 273.020 6,8 24.281 7,8 414.885 7,6 341,5 413,1 -

IG Transport/ Nachrichtenwesen3 % von absolut gesamt 27.077 20,7 353.353 20,2 19.169 22,8 276.919 20,2 18.398 23,3 288.511 21,4 17.644 22,3 290.282 20,7 17.565 14,6 314.661 14,7 16.946 13,1 334.190 13,4 22.955 11,4 423.632 12,4 25.257 11,1 458.735 11,4 27.161 8,8 526.775 9,7 154,6 167,4 Gewerkschaft Handel/ Nahrung/Genuss % von absolut gesamt 31.425 24,0 302.235 17,3 21.564 25,6 228.224 16,7 17.040 21,6 189.936 14,1 18.202 23,0 206.873 14,8 20.626 17,1 243.308 11,3 21.303 16,4 265.130 10,6 34.180 17,0 375.742 11,0 38.814 17,0 453.646 11,2 61.272 19,8 684.534 12,6 297,1 281,3 -

BdsA/KdsA-Verpflichtungen nach Einzelgewerkschaften (1961-1988)

Bis einschl. 1963 zusammengesetzt aus den Zahlen für die IG Eisenbahn/Energie/Post/Transport. Im StJb. der DDR wurden hier subsumiert: Gesundheitswesen, Kunst, Staatsorgane/Kommunalwirtschaft, Unterricht/Erziehung und Wissenschaft.

1961

Brigaden Mitglieder Brigaden 1965 Mitglieder Brigaden 1966 Mitglieder Brigaden 1967 Mitglieder Brigaden 1969 Mitglieder Brigaden 1970 Mitglieder Brigaden 1973 Mitglieder Brigaden 1975 Mitglieder Brigaden 1988 Mitglieder Veränderung Brigaden 1988:1969 in % Mitglieder

Jahr

Tabelle 3 (Blatt 2/2)

314 2.753 213 2.155 1.035 10.090 211 2.332 15.638 248.088 15.318 259.858 27.150 420.662 31.101 468.840 54.000 907.919 345,3 366,0

absolut

% von gesamt 0,2 0,1 0,3 0,2 1,3 0,7 0,3 0,2 13,0 11,6 11,8 10,4 13,5 12,3 13,6 11,6 17,4 16,7 -

übrige Gewerkschaften4

Tabellen

343

1

12.278

233.293

12.891

9.062

828

3.437

10.885

45.171

22.334

19.224

27.343

3.479

9.988

42.503

13.870

254.649

4.070.649

198.799

108.046

13.526

59.803

277.205

457.886

426.970

291.695

417.140

63.447

253.219

939.156

309.108

77,5

71,3

49,8

44,0

62,9

90,1

70,5

85,0

82,6

79,8

68,0

75,2

78,0

82,5

87,6

131.880

5.367

5.135

450

2.048

2.399

21.507

17.035

9.623

10.552

2.220

6.665

30.696

8.696

9.487

Brigaden/ Kollektive

2.537.746

81.851

59.102

6.955

36.017

76.873

268.058

336.715

148.597

184.755

43.861

182.191

705.982

203.616

203.173

Mitglieder

(gesamt) in %

48,3

29,3

27,3

22,6

37,9

25,0

41,3

67,0

42,1

35,3

47,0

54,1

58,7

54,4

69,9

Anteil an Beschäftigten

davon im Wettbewerb um KdsA-Titel

SAPMO-BArch DY 34/9203 (unpag.), Zur Entwicklung des geistig-kulturellen Lebens der Arbeiterklasse in der Bewegung "Sozialistisch arbeiten, lernen und leben" (Entwurf), Februar 1971 (FDGB-Bundesvorstand).

5.255.357

279.010

Gesundheitswesen

DDR gesamt

30.721

95.134

Wissenschaft 216.756

307.724

Unterricht und Erziehung

Staatsorgane und Kommunalwirtschaft

649.204

Handel-Nahrung-Genuss

Kunst

353.012 502.389

Transport und Nachrichtenwesen

Bau-Holz

Land-Nahrungsgüter-Forst

93.344 522.890

Druck und Papier

336.636

1.203.293

Textil-Bekleidung-Leder

Metall

290.652 374.592

Chemie, Glas, Keramik

(gesamt) in %

Anteil an Beschäftigten

Brigaden/Kollektive im sozialistischen Wettbewerb (Einzelgewerkschaften, 1970)1 davon sind erfasst in Beschäftigte in Betrieben (gesamt) Brigaden/ArbeitsMitglieder kollektiven

Bergbau-Energie

IG/Gewerkschaft

Tabelle 4

344 Anhang

2

1

11.093 200.537

Gesundheitswesen

DDR gesamt

3.412.291

159.307

80.819

16.462

69.932

94.142

375.742

423.632

202.598

263.421

53.184

230.445

928.693

262.205

251.709

Mitglieder

55,0

45,8

23,7

33,4

54,2

30,8

51,5

74,1

47,8

38,8

47,5

52,4

68,4

63,7

81,0

6,7

16,5

-3,6

10,8

16,3

5,8

10,2

7,1

5,7

3,5

0,5

-1,7

9,7

9,3

11,1

Anteil an Beschäftig- Veränderung gegenten gesamt (%) über 19702 (%)

(Einzelgewerkschaften, 1973)1

45,1

85,0

65,7

40,8

50,0

70,0

72,3

36,1

35,9

25,9

47,8

72,6

34,1

41,8

23,6

darunter Frauen (%)

Teilnehmer der Bewegung „sozialistisch arbeiten, lernen und leben“

39,1

45,6

38,2

24,9

48,3

35,1

33,1

46,8

36,8

35,9

36,7

22,3

47,1

38,3

32,9

bislang ausgezeichnete Kollektive (%)

FDGB-BuV, Abt. Organisation, Berlin, 26.6.1973, Information über die statistischen Ergebnisse der Arbeitskollektive, die im sozialistischen Wettbewerb Teilnehmer der Bewegung "sozialistisch arbeiten, lernen und leben" sind (Stand Februar 1973). Anlage 2 und 3; SAPMO-BArch, DY 30/vorl. SED/16287/1 (unpag.) Bezogen auf den in Tabelle 4 ausgewiesenen Anteil an den Beschäftigten.

1.303 6.653

Staatsorgane und Kommunalwirtschaft

Wissenschaft

Kunst

4.150 3.951

Unterricht und Erziehung

22.955 34.180

Handel-Nahrung-Genuss

13.858

Land-Nahrungsgüter-Forst

Transport und Nachrichtenwesen

3.535

10.792

Textil-Bekleidung-Leder 17.924

43.171

Metall

Bau-Holz

12.561

Druck und Papier

14.411

Chemie, Glas, Keramik

Kollektive

Bergbau-Energie

IG/Gewerkschaft

Tabelle 5

Tabellen

345

346

Anhang

Tabelle 6

Vergleich KdsA-Teilnahme in zentral bzw. örtlich geleiteten Betrieben (1971)1 zentral

Beschäftigte insgesamt Brigaden/Kollektive im KdsA-Wettbewerb Mitglieder Anteil an Beschäftigten (in %) Kollektive mit

KuB-Plan2

(in %)

Kollektive mit Patenschaftsvertrag (in %)

Tabelle 7

örtlich

2.636.584

3.733.546

72.095

77.484

1.636.367

1.286.005

62,1

34,4

90,6

80,9

58,8

37,3

Entwicklung der Teilnahme am Wettbewerb um den Titel BdsA 1959/603

1 2 3

Stichtag

Brigaden

Mitglieder

15.06.1959

16.307

192.001

05.09.1959

30.077

355.104

15.12.1959

59.364

706.657

15.03.1960

80.654

982.655

15.06.1960

120.598

1.503850

15.09.1960

126.922

1.612.967

15.12.1960

130.074

1.669.208

FDGB-BuV, Abteilung Organisation, Berlin, 19.10.1971, Information über die statistischen Ergebnisse der Bewegung „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben“. SAPMO-BArch, DY 34/22931 (unpag.). KuB-Plan = Kultur- und Bildungsplan. StJB 1960/61, S. 205.

347

Tabellen

Statistischer Überblick zur sozialistischen Brigadebewegung im EKO (1959-1988) 1 Brigaden im einbezogene ausgez. Anteil an ge- ausgez. Anteil an geWettbewerb Werktätige BdsA/ KdsA samt (in %) Werktätige samt (in %)

Tabelle 8 Jahr 1959

1

135

2.645

1

0,7

k.A.

-

1960

236

3.569

1961

k.A.

k.A.

3

1,3

k.A.

-

6

k.A.

k.A.

-

1962

k.A.

1963

172

k.A.

3

k.A.

k.A.

-

3.420

9

5,2

k.A.

-

1964

172

3.420

14

1965

170

3.810

35

8,1

k.A.

-

20,6

k.A.

1966

167

4.238

70

41,9

-

k.A.

-

1967

179

4.437

84

46,9

1968

212

5.637

89

42

2.380

k.A.

42,2

-

1969

265

6.880

83

31,3

2.065

30,0

1970

321

7.316

84

26,2

2.574

35,2

1971

326

7.680

91

27,9

2.545

33,1

1972

342

8.087

252

73,7

5.823

72,0

1973

348

8.568

261

75

6.368

74,3

1974

379

8.779

296

78,1

7.058

80,4

1975

378

8.762

332

87,8

7.518

85,8

1976

383

8.989

354

92,4

8.032

89,4

1977

389

9.030

371

95,4

8.282

91,7

1978

396

9.066

376

94,9

8.639

95,3

1979

438

9.079

410

93,6

8.287

91,3

1980

465

9.144

422

90,8

8.118

88,8

1981

465

9.322

420

90,3

8.133

87,2

1982

457

9.455

433

94,7

8.736

92,4

1983

442

10.048

417

94,3

9.243

92,0

1984

484

10.621

458

94,6

9.705

91,4

1985

516

11.020

498

96,5

10.272

93,2

1986

548

11.260

533

97,3

10.632

94,4

1987

564

11.712

532

94,3

10.812

92,3

1988

568

11.587

542

95,4

10.871

93,8

Die Angaben für die Jahre 1959 bis 1979 sind einer 1980 von der Abteilung Wettbewerbe erstellten Übersicht zur Entwicklung des Wettbewerbes im EKO entnommen. UA EKO 9203 (unpag.); UA EKO 1989, Bl.25; UA EKO 1991, Bl. 234; UA EKO 1993, Bl. 74; UA EKO 1995, Bl. 127; UA EKO 2025, Bl. 260 und 263; UA EKO 2026, Bl. 96; UA EKO 8931 (unpag.); UA EKO 8931 (unpag.); UA EKO 8931 (unpag.).

2

1

457

98,3

418

91,5

89,9

9.322

9.166

98,3

8.133

88,7

87,2

Kollektive im Wettbewerb

% von gesamt

Kollektive ausgezeichnet

% von Kollektiven im Wettbewerb

% von gesamt

Beschäftigte gesamt

Beschäftigte im Wettbewerb

% von gesamt

Beschäftigte ausgezeichnet

% von Beschäftigten im Wettbewerb

% von Beschäftigte gesamt

95,6

96,6

86

98,9

89

90 40

40

37

96,8 92,5

97,9 92,5

92

98,9 100

94

95 37

37

34

90,7 91,9

90,7 91,9

39

100 100

43

43 42

43 36

36 25

45

BWO 39

45 33

36

22

34

25

39

24

96,2 51,2 94,4 55,6 86,7 66,7

96,2 52,4 94,4 100 100 72,7

50

45

49

89,8

97,8

44

91,8

MWA2

100 97,7 100 55,6 86,7 91,7

52

52

WWB

91,7

94,2 100

99,6 100

98,4 98,6 100 54,7 79,8 90,6

94,4

94,4 86,5

94,2 89,0 92,7

94,5 92,7 90,2 88,2

90,6 88,2

94,2 55,0 90,5 53,5 79,5 48,6

95,7 55,8 90,5 97,8 99,6 53,6

10.632 1.896 1.864 913 1.036 743 1.143 503 789 312 495 431

100

11.260 2.012 1.973 985 1.143 842 1.194 901 872 319 497 804

79,9

96,8

804

82,6

831

11.260 2.193 2.094 985 1.148 842 1.213 914 872 583 623 887 1.006

97,3

97,3

533

100

548

548

KWS

82,2

86

12.931

95,6

15.029

15.726

85,4

89,3

646

95,6

723

756

92,0

94,3

16.763

97,6

17.770

18.216

95,7

97,0

831

98,7

857

868

BKE (gesamt)

In der linken Spalte steht jeweils der Wert für 1981 und rechts daneben der für 1986. UA EKO 9205 (21) WWF: Walzwerk Finow, KWO: Kaltwalzwerk Oranienburg, KWS: Kaltwalzwerk Bad Salzungen, WWB: Walzwerk Burg, BWO: Blockwalzwerk Olbernhau, MWA: Magnesitwerk Aken, BKE: Bandstahlkombinat Eisenhüttenstadt. Da die Angaben zum Magnesitwerk Aken für 1981 in der Quelle fehlen, werden hier die von 1982 verwendet.

465

Kollektive insgesamt

KWO

WWF

Betrieb/Betriebsteil

EKO

KdsA-Wettbewerb im Bandstahlkombinat Eisenhüttenstadt 1981/19861

Tabelle 9

348 Anhang

2

1

130

266

316

339

356

355

1973

1974

1983

1985

1987

1988

8.786

8.656

8.698

8.348

7.150

3.574

Zahl der Kollektivmitglieder

95,9

93,5

93,1

89,6

97,0

49,1

Anteil an AuA2 insgesamt (in Prozent)

-

291

263

292

236

-

ausgezeichnete KdsA

-

81,7

77,6

92,4

88,7

-

Anteil an Verpflichtungen (in Prozent)

-

6.741

6.308

7.622

-

-

-

77,9

72,5

91,3

-

-

ausgezeichnete Anteil an KollektivVerpflichtungen mitglieder (in Prozent)

KdsA-Wettbewerb im SWB 1970/80er Jahre1

-

72,1

67,4

81,8

-

-

Anteil an AuA2 insgesamt (in Prozent)

Herkunft der Daten für 1973: SAPMO-BArch DY 30 vorl. SED 16287/1, FDGB-BuV, Abt. Org., Berlin 26.6.1973, Info Statistik Bewegung „sozialistisch arbeiten, lernen und leben“ (Stichtag 28.2.73), Anlage; für 1974: BLHA Rep. 502/008 (unpag.); Kurzdokumentation über die Entwicklung des SWB nach dem VIII. PT der SED; für 1983/85/87/88: Dokumentation über die Entwicklung des VEB SWB im Zeitraum 1983 bis Mai 1988; SWB-Archiv. Eine durchgehende statistische Übersicht wie für das EKO existiert zum SWB leider nicht. AuA = Arbeiter und Angestellte

KdsAVerpflichtungen

Jahr

Tabelle 10

Tabellen

349

1

501 344 348 194 240 220 177 130 121 68 41 30 41 78 18

SKET Magdeburg BKK Lauchhammer Eisenhüttenkombinat Ost (EKO) Sachsenring Zwickau Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk Suhl CFW "F. Engels" Premnitz Kombinat Narva Berlin Stahl- und Walzwerk Brandenburg GISAG Leipzig Zementwerk Karsdorf WBK Erfurt Möbelkombinat Zeulenroda-Triebes Porzellanwerk Triptis HO-Kreisbetrieb Dessau Herrenmode Dresden

11.062 9.097 8.568 7.698 6.220 5.649 4.481 3.574 3.420 1.768 863 853 628 595 322

Mitglieder 100,0 94,6 100,0 93,5 88,3 74,5 78,9 45,0 62,9 64,2 60,8 51,5 63,9 50,4 43,5

Anteil an Beschäftigten gesamt (%) 22,7 30,5 k.A. 26,7 22,5 43,3 63,1 31,2 18,2 26,1 23,1 27,1 76,1 75,6 95,3

darunter Frauen (%)

26,9 18,3 75,0 24,2 100,0 22,3 49,7 92,3 100,0 5,9 36,6 63,6 17,1 37,2 -

bislang ausgezeichnete Kollektive (%)

Teilnehmer der Bewegung „sozialistisch arbeiten, lernen und leben“ (ausgewählte Betriebe, Februar 1973)1

FDGB-BuV, Abt. Organisation, Berlin, 26.6.1973, Information über die statistischen Ergebnisse der Arbeitskollektive, die im sozialistischen Wettbewerb Teilnehmer der Bewegung „sozialistisch arbeiten, lernen und leben“ sind. Anlage 2 und 3; SAPMO-BArch, DY 30/vorl. SED/16287/1 (unpag.)

Kollektive

Betrieb

Tabelle 11

350 Anhang

181 111 38

Orbitaplast

ECW

Greiz-Dölau

1

1452

34

102

172

12

71

Kollektive im Wettbewerb 1061

92,4

89,5

91,9

95,0

85,7

100,0

% von gesamt 91,8

1310

34

101

167

12

57

ausgez. Kollektive 939

90,2

100,0

99,0

97,1

100,0

80,3

% von Koll. im Wettbewerb 88,5

83,4

89,5

91,0

92,3

85,7

80,3

% von gesamt 81,2

616

11

80

74

9

21

Kollektiv-Mitglieder ausgeschlossen 421

KdsA-Wettbewerb im Kombinat VEB Chemische Werke Buna 19871

SAPMO-BArch DY 34/27014 (unpag.); KV IG Chemie, Glas und Keramik, Kombinat VEB Chem. Werke Buna, Schkopau, 25.2.1988, Einschätzung des Verlaufs und der Ergebnisse der Titelverteidigungen „KdsA“ 1987. Die Bezeichnungen der einzelnen Betriebsteile sind unverändert aus der Originalquelle übernommen, aus der leider nicht zu entnehmen ist, wofür die Abkürzungen im Einzelnen stehen. Unabhängig von dieser partiellen (Un-)Kenntnis ist es für die Darstellung hier primär wichtig, Daten für unterschiedlich große Betriebe/Betriebsteile einbeziehen zu können.

1571

14

BT Roßleben

Kombinat (gesamt)

71

Kollektive insgesamt 1156

APW

Stammbetrieb

Tabelle 12

Tabellen

351

352

Anhang

Tabelle 13

Jugendbrigaden im SWB in der ersten Hälfte der 1980er Jahre1

Jahr

Anzahl der Jugendbrigaden

einbezogene Jugendliche

Einbeziehungsgrad2

1981

39

414

22,6 %

1982

42

451

21,9 %

1983

48

472

23,3 %

1984

52

615

34,0 %

Tabelle 14

Zur Jugendpolitik im SWB in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre 3 1975 (Mai)

1977 (März)

2.010

1.932

1.565 (77,9 %)

1.715 (88,8 %)

junge SED-Mitglieder (bis 25 Jahre)4

114

169 (8,7 %)

junge beauftragte Genossinnen und Genossen der APO zur Arbeit im Jugendverband

37

130

Parteigruppen in den Leitungen der FDJGrundorganisationen (insges. 31 FDJ-GO)

0

26

Anteil der SED-Mitglieder in den FDJLeitungen

48,2 %

60 %

ausgewählte Nachwuchskader für die Einsatzvorbereitung im Jugendverband

15

42

Jugendliche im Alter bis zu 25 Jahren in der FDJ

1

2

3 4

organisiert4

(5,7 %)

BLHA Rep. 502/1632 (unpag.), Direktor für Kader und Bildung, Brandenburg, den 23.11.1983, Erarbeitung des Jugendförderplanes 1984; und VEB Qualitäts- und Edelstahlkombinat, Brandenburg, den 13.01.1984, Maßnahmeplan des Generaldirektors zur Durchsetzung des Jugendgesetzes im Jahr 1984. Jugendliche (bis 25 Jahre) in Jugendbrigaden im Verhältnis zur Gesamtzahl der Jugendlichen unter den Beschäftigten des Betriebes. Für die Jahre 1981 bis 1983 liegt dieser Wert im SWB etwas unter dem DDRDurchschnitt; 1984 um ca. 5 % darüber. Vgl. Tabelle 53, S. 261. BLHA Rep. 532/4081 (unpag.), Vorlage für das Sekretariat der Kreisleitung der SED Brandenburg (…), 16.3.1977. Die Prozentangaben in Klammern beziehen sich jeweils auf die in der ersten Zeile ausgewiesene Gesamtzahl der Jugendlichen im SWB. Für die in der FDJ organisierten dürfte diese Bezugsgröße allerdings nicht ganz korrekt sein, da es auch noch einige FDJ-Mitglieder gegeben haben mag, die älter als 25 Jahre waren.

1

81 17 14 30 20 8 22 12 9 9 6

118 42 38 9 20 8 12 3 3 4 3

SWB

RAW

BTW (Traktorenwerk)

Weichenwerk

VEB Bau

Elisabeth-Hütte

Kammgarnspinnerei

Kinderbekleidungswerk

Konsum Bekleidungswerk

Feinjute

Konsü (Süßwaren)

BLHA Rep. 531/379, Bl. 154.

BdsA-Verpflichtungen

Parteigruppen

0

0

0

0

2

8

16

9

10

3

81

Parteigruppen in BdsA

5

8

25

28

31

20

49

98

76

44

478

Genossen in BdsA

5

6

20

28

26

14

35

70

66

41

380

davon Arbeiter

0,8

0,9

2,8

2,3

1,4

2,5

2,5

3,3

5,4

2,6

5,9

Genossen je BdsA ()

Relation BdsA (Verpflichtungen), SED-Parteigruppen und SED-Mitglieder in ausgewählten Betrieben der Stadt Brandenburg an der Havel (Ende Januar 1960)1

Betrieb

Tabelle 15

Tabellen

353

2

1

4001

1863

424

196

354

147

5645

2363

558

244

417

807

100

68

31

59

280

1213

insges. Arbeiter insges.

Belegschaft

12,4

16,3

12,7

10,6

11,8

21,5

%

17

54

17

29

138

689

Arbeiter

SED

11,6

15,3

8,7

6,8

7,4

17,2

%

24

11

15

20

115

227

0

0

0

3

0

23

22

11

5

10

22

133

0

0

0

3

0

23

251

96

55

205

297

2326

Mitgl.

18

32

7

20

27

476

SED

BdsA (Verpflichtungen)

Anzahl Pt.-Gr. Anzahl Pt.-Gr.

Brigaden

0,8

2,9

1,4

2,0

1,2

3,6

Genossen je BdsA ()

Relation Belegschaft, Brigaden, BdsA (Verpflichtungen), SED-Parteigruppen (Pt.-Gr.) und SED-Mitglieder in ausgewählten Betrieben von Stalinstadt (Dezember 1959)1

BLHA Rep. 731/246 (unpag.), SED-KL Stalinstadt, 6.1.1960, Analyse zur Jahresstatistik über die Mitglieder und Kandidaten 1959 im Kreis Stalinstadt. Darin enthalten: HO-Kreisbetrieb (520 Beschäftigte), Konsumgenossenschaft (139), Lebensmittelgroßhandel (90), HO-Gaststätten (33), Kohlehandel (25).

Handel2

Kraftverkehr

Großbäckerei

Fleischkombinat

Bau Union

EKS

Betrieb

Tabelle 16

354 Anhang

355

Tabellen

Tabelle 17 Jahr

Beschäftigte und Fluktuation im SWB (1950-1966)1 Beschäftigte

Zugänge

Abgänge

1950

2.006

2.419

413

20,6

1951

3.548

2.323

781

22,0

1952

3.916

1.306

938

24,0

1953

4.561

1.871

1.226

26,9

1954

4.784

1.589

1.366

28,6

1955

4.548

1.062

1.298

28,5

1956

4.969

1.466

1.045

21,0

1957

6.359

2.843

1.453

22,8

1958

6.392

1.357

1.324

20,7

1959

6.573

1.424

1.243

18,9

1960

6.648

1.583

1.508

22,7

1961

6.571

1.299

1.376

20,9

1962

7.064

1.547

1.054

14,9

1963

7.284

1.165

945

13,0

1964

8.644

1.191

1.128

13,0

1965

8.745

1.377

1.276

14,6

1966

8.982

1.314

1.075

12,0

                                                             1

Fluktuationsquote (in Prozent)

Die Zahlenangaben sind dem „Goldenen Buch“ des SWB im Archiv des Industriemuseums Brandenburg/Havel entnommen.

260

86

65

51

619

1958

1959

19604

1956 bis Mai 1960

4

3

2

1

547

40

61

76

230

140

Arbeiter

58

7

4

7

26

14

Angestellte

sozialer Status

14

4

0

3

4

3

Intelligenz

37

2

1

9

14

11

SEDMitglieder

„Republikfluchten“ von Beschäftigten des SWB (1956 bis 1960) 1

46

4

8

3

17

14

zugezogen aus der BRD

27

3

4

7

13

0

O-W-OPendler2

BLHA Rep. 532/162 und 163 (unpag.) Für 1955 wurden 132 Geflüchtete erfasst, die aufgrund fehlender Detailangaben nicht in der obigen Tabelle verzeichnet sind. Ost-West-Ost-Pendler: Beschäftigte die bereits (mindestens) einmal zuvor aus der DDR in die Bundesrepublik gegangen, aber inzwischen zurück gekommen waren und nun erneut „Republikflucht“ begingen. Siehe dazu auch das Gedicht „Der Unbelehrbare“ über einen solchen Ost-West-Ost-Pendler im Anhang. Es soll aus einem Brigadetagebuch stammen und wurde im Frühjahr 1960 in der Betriebszeitung des EKS abgedruckt. Darin thematisiert der (unbekannte) Autor die Geschichte eines Kollegen, der sich nicht in die Disziplin der Brigade einfügt und sich durch Flucht in die Bundesrepublik zu entziehen versucht hat, von wo er schon einmal, ebenfalls gescheitert, zurück gekehrt ist. Für Januar und Februar 1956 lag nur die Gesamtzahl der Flüchtlinge vor, so dass die insgesamt 30 in diesen beiden Monaten Geflüchteten zwar in der Gesamtsumme des Jahres 1956 und für alle Jahre zusammen enthalten sind, aber bei den übrigen aufgeschlüsselten Daten den Proportionen für den Gesamtzeitraum entsprechend (26 Arbeiter, 3 Angestellte, 1 Intelligenz) rechnerisch ergänzt wurden bzw. bei den Angaben für die letzten 3 Spalten fehlen. Für die Monate Januar bis Mai 1960.

                                                            

157

1957

gesamt

19563

Jahr

Tabelle 18

356 Anhang

357

Tabellen

Rückkehrer und Erstzuziehende aus der BRD in Eisenhüttenstadt (EH) und EKO bis 19651

Tabelle 19

Rückkehrer Kreis EH davon EKO gesamt davon männlich weiblich ledig Altersstruktur 14 - 25 Jahre 26 - 40 Jahre 41 - 60 Jahre über 60 Jahre

627 407 220

101 87 14

361 223 138

63 55 8

69

4

31

2

97 421 94 15

60 36 5 0

31 186 121 23

23 27 8 0

90 11 2 8 1

325 36 11 12 5

54 9 2 2 0

8 6

0 0

6 2

3 1

184 143 41

68 40 28

79 43 36

16 7 9

Zeitpunkt der Rückkehr bzw. Übersiedlung vor 13.8.61 550 nach 13.8.61 gesamt 77 davon 1961 16 1962 33 1963 14 1964 1965 davon Vorbestrafte (gesamt) in der DDR in der BRD/Berlin (W.)

1

BStU, MfS-Zentralarchiv, SV/4.

Erstzuziehende Kreis EH davon EKO

358

Anhang

Tabelle 20

Umfrage zur betrieblichen Mitbestimmung (1969) 1 Frage: Können Sie im Betrieb mitbestimmen? (Angaben in Prozent)

insgesamt

KWO

EAW

sehr gut

10,0

18,0

3,0

ausreichend

14,2

16,1

10,0

kaum

35,6

33,9

40,0

gar nicht

15,1

8,9

18,3

das kann ich nicht einschätzen

15,1

12,5

16,7

9,8

10,7

11,7

keine Antwort

1

Forschungsbericht Brigadeversammlung, S. 34. Neben dem „insgesamt“-Ergebnis (alle 225 Befragten = 100 %) werden hier die Ergebnisse für KWO (56 Befragte) und EAW (60) mit aufgeführt, um die erheblichen Differenzen zwischen den Betrieben kenntlich zu machen. Als Hintergrund zu den durchweg überdurchschnittlich positiven Werten des KWO sei daran erinnert, dass – wie oben angemerkt – sich dieser Betrieb 1968/69 (also auch während der Befragung) als einer der Initiativbetriebe im „sozialistischen Wettbewerb“ zum 20. Jahrestag einer besonderen „Fürsorge“ übergeordneter Instanzen erfreuen konnte.

1

59,0 38,7 11,6 15,1 37,8

2) Es sind aber leider immer nur dieselben, die Stellung nehmen und Vorschläge machen.

3) Die Brigade duldet keine Halbheiten und Globaleinschätzungen. Wir setzen uns mit jedem Mitglied über seinen Beitrag zur Erfüllung des Brigadevertrages auseinander.

4) Die Diskussionen sind meistens hitzig, aufgebracht und wenig sachlich. Jeder versucht dem anderen die Schuld für Mängel und Versäumnisse zu geben.

5) Konkrete Vorschläge werden kaum gemacht.

6) Es wird kaum diskutiert; man hört sich alles an, nimmt aber selten Stellung dazu. Die eigentlichen Diskussionen finden nach der Versammlung zwischen einzelnen Kollegen statt.

Forschungsbericht Brigadeversammlung, Anlage 7.

50,0

gesamt

41,1

10,7

25,0

51,8

66,0

66,0

KWO

Bewertung der Brigadeversammlungen durch die Mitglieder (1969; Angaben in Prozent)1

1) Diskussionen sind lebhaft und sachlich; jeder ist bemüht, durch Aufzeigen von Mängeln, Reserven etc. sowie durch konkrete Vorschläge zur besseren Erfüllung der Verpflichtungen beizutragen.

Aussage

Tabelle 21

45,0

18,3

6,7

23,3

50,0

38,3

EAW

Tabellen

359

1

1 1 2

31,2 32,1 19,6 19,6 12,5 16,2 13,3 10,0 6,7 6,7 63,3

c) d) e) a) b) c)

d) e)

4 1

2 5 4 2 3 4

5

13,3

Forschungsbericht Brigadeversammlung, S. 68.

EAW

KWO

gesamt

2 3 4

Rangfolge

24,0 16,4 15,1

Prozent

Welche Informationen erhalten Sie gegenwärtig vorwiegend?

25,0 43,3

19,6 14,3 19,6 11,7 6,7 13,3

17,8 28,6 17,9

25,8

20,0 12,4 24,0

Prozent

2 1

2 4 2 4 5 3

4 1 3

1

3 5 2

Rangfolge

Welche Informationen bevorzugen Sie persönlich?

gewünschte und vermittelte Informationen an Brigademitglieder (1969) 1

Informationen mit a) politisch-ideologischem b) ökonomischem c) sozialem d) wissenschaftlichtechnischem Inhalt e) keine Antwort a) b)

Tabelle 22

360 Anhang

1

70,3 62,4 28,3 22,3 15,1 13,0 6,5

Um meinen persönlichen Beitrag für die Erfüllung des sozialpolitischen Programms zu leisten.

Um die Gemeinschaftsarbeit und die gegenseitige Hilfe im Kollektiv zu fördern.

Um meine Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Damit sich mein Einkommen durch Prämien erhöhen kann.

Weil alle meine Kollegen am Wettbewerb teilnehmen.

Weil es von mir verlangt wird.

Damit mein Ansehen im Kollektiv erhöht wird.

Forschungsbericht Brigadeversammlung, S. 68.

72,3

Um beizutragen, dass der Betrieb hohe ökonomische Ergebnisse erreicht.

Teilnehmer am „sozialistischen arbeiten, lernen und leben“

5,3

22,8

24,9

33,0

28,6

50,2

54,5

50,2

Nichtteilnehmer

„Warum beteiligen Sie sich am sozialistischen Wettbewerb?“ (1977/78; Angaben in Prozent)1

Antworten (nach Rangfolge; Mehrfachnennungen waren möglich)

Tabelle 23

Tabellen

361

362

Anhang

Tabelle 24

Erwartungen junger Arbeiter und Lehrlinge an ein gutes Arbeitskollektiv (1977)1

gute Beziehungen untereinander guter Verdienst

98 % 95 %

ehrliche Auseinandersetzung mit der Arbeit gute berufliche Entwicklung Anerkennung der Leistungen durch den Kollektivleiter aktive gesellschaftliche Tätigkeit und politisch-ideologische Erziehungsarbeit in den Arbeitskollektiven

96 % 93 % 93 % 76 %

Das Arbeitskollektiv soll bei enormen Verstößen von Kollektivmitgliedern reagieren: (junge Arbeiter und Lehrlinge, 1977)2 bei schlechter Arbeit 89 % Fehlschichten 78 % Alkohol während der Arbeitszeit 75 % Tabelle 25

wiederholte Entnahme von Materialien für persönliche Belange bei unmoralischen Verhaltensweisen außerhalb der Arbeitszeit

69 % 51 %

„Wie wirkt sich Ihrer Meinung nach die Teilnahme an der Bewegung ‚soz. alul‘ aus?“ (1977)3 Das Zusammenwirken der Arbeitskollegen entwickelt sich besser. 59,4 % Es entwickelt sich die Geselligkeit auf Brigadeveranstaltungen usw. 55,5 % Die Bereitschaft zur beruflich-fachlichen Weiterbildung wird größer. 45,3 % Tabelle 26

1

2 3

Der gemeinsame Besuch kultureller Veranstaltungen wird angeregt. Die gemeinsame sportliche Betätigung wird gefördert. Die Mitwirkung in der gesellschaftlichen Arbeit wird aktiviert. Die Bereitschaft zur politischen Weiterbildung wird größer. Der proletarische Internationalismus wird gestärkt. Die eigene kulturelle Betätigung in der Freizeit wird angeregt.

40,2 % 37,2 % 36,2 % 34,5 % 26,2 % 22,6 %

Es verändert sich dadurch nichts. Es wird zu viel kollektiv veranstaltet und man kann zu wenig seinen persönlichen Interessen nachgehen.

10,7 % 6,1 %

SAPMO-BArch DY 34/11738 (unpag.); Kurt Zahn an H. Tisch, 3.3.78; Ergebnisse von ZIJ-Untersuchungen zur Teilnahme junger Werktätiger am soz. Wettbewerb, zur Betriebsverbundenheit etc.; Datenbasis: „über 7.000 junge Arbeiter und Lehrlinge“. Aus dem Dokument geht nicht hervor, ob die an 100 % Fehlenden überwiegend oder völlig unzufrieden waren bzw. wie viele die jeweilige Frage gar nicht beantworteten. Ebd. SAPMO-BArch DY 34/22930 (unpag.); „soz. alul“ Kurzform für: „sozialistisch arbeiten, lernen und leben“.

363

Tabellen

Tabelle 27

Zusammenhang von Arbeitszufriedenheit und Mitgliedschaft in einer Brigade (1977; „Befriedigt Sie Ihre jetzige Arbeit?“)1

vollkommen zufrieden mehr zufrieden als unzufrieden mehr unzufrieden als zufrieden völlig unzufrieden Das kann ich nicht sagen.

Tabelle 28

Teilnehmer am „soz. alul“2 33,6% 46,6% 13,9% 2,0% 3,1%

„Ist es Ihrem Kollektiv mit Hilfe des sozialistischen Wettbewerbs gelungen, folgendes zu erreichen?“ (1977)3

Antworten Wir erfüllen/überbieten die Planaufgaben. Wir verbessern die Qualität der Produktion. Wir sparen Material und Energie ein. Wir lasten die Maschinen/Anlagen besser aus. Wir verbesserten die Arbeitsorganisation. Wir verbesserten die Arbeitsbedingungen. Wir verbesserten die Technologie.

1 2 3

Nichtteilnehmer 24,4% 43,7% 20,1% 5,9% 4,4%

Teilnehmer am „soz. alul“2 76,5 % 72,1 % 69,7 % 52,2 % 52,1 % 47,8 % 36,0 %

Nichtteilnehmer 53,7 % 51,2 % 48,2 % 37,5 % 29,5 % 28,0 % 17,0 %

SAPMO-BArch DY 34/22930 (unpag.) Kurzform für: „sozialistisch arbeiten, lernen und leben“. Aktuelle Probleme des sozialistischen Wettbewerbs bei der Intensivierung der gesellschaftlichen Produktion. Gewerkschaftshochschule „Fritz Heckert“ beim Bundesvorstand des FDGB (Nur für den Dienstgebrauch.), o.O., o.D. (ca. Anfang 1978), Anlage 12. (Bestand SAPMO-Bibliothek) Die Ergebnisse dieser als „soziologisch“ deklarierten Befragung basieren auf der Beantwortung von Fragebögen durch 2659 Beschäftigte aus 11 Großbetrieben (PCK Schwedt, Kühlautomat Berlin, Buna Schkopau, Textilkombinat Cottbus, Warnowwerft Warnemünde, SKET Magdeburg, WF Berlin, Clara-Zetkin-Werk Burgstädt, Stahlgießerei Elstertal Silbnitz, Wema-Union Gera, Grobgarnwerk Kirschau). Zur Methodik der Befragung und durch wen sie konzipiert, ausgewertet sowie vor Ort durchgeführt wurde, enthält diese Studie leider keine Angaben. Von Interesse sind lediglich noch die Angaben, dass 72,3 % der Befragten Facharbeiter in der Produktion waren; 12,1 % der Befragten waren Un- bzw. Angelernte; 3,5 % hatten einen Teilfacharbeiterabschluss und 10 % verfügten über einen Abschluss als Meister, Ingenieur bzw. Diplomingenieur. Teilgenommen hatten 30 % Frauen und 70 % Männer. Unter 25 Jahre waren 23,7 % der Befragten.

364

Anhang

Tabelle 29

Ausgewählte Verpflichtungen von 70 Brigaden/Kollektiven im Kampf um den Titel „KdsA“ (1973)1

Verpflichtungen Arbeit nach sowjetischen Erfahrungen und Neuerermethoden Beteiligung an der Neuerer- und Rationalisatorenbewegung persönlich-schöpferische Pläne2 kollektiv-schöpferische Pläne Verbesserung der Arbeitskultur Mitarbeit an wissenschaftlicher Arbeitsorganisation (WAO) Neue Technik – Neue Norm Verpflichtungen zu höherer Qualität Teilnahme an Leistungsvergleichen Kultur- und Bildungsplan Teilnahme an ökonomisch-kulturellen Leistungsvergleichen Teilnahme an und Organisierung von Kulturveranstaltungen Verpflichtungen zur Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft marxistisch-leninistische Weiterbildung Besuch von Schulen der Partei- und Massenorganisationen geschlossene Teilnahme am Parteilehrjahr (der SED) Schulen der sozialistischen Arbeit Teilnahme am „Zirkel junger Sozialisten“ fachliche Weiterbildung Qualifizierung an Hoch- bzw. Fachschulen Qualifizierung zum Meister Qualifizierung zum Facharbeiter Erlernen eines 2. Berufes Teilnahme an und Organisierung von Sportwettkämpfen darunter regelmäßige Teilnahme unregelmäßige Teilnahme Patenschaften darunter mit Schulklassen 1. bis 6. Schuljahr mit Schulklassen 7. bis 10. Schuljahr mit Lehrlingskollektiven bzw. Lehrlingen sonstige (Martin-Luther-Universität, Bezirksmusikschule)

1

2

Prozent 100,0 82,9 51,4 37,1 18,6 2,9 12,9 100,0 48,6 100,0 62,9 97,1 65,7 97,1 24,3 20,0 45,7 5,7 100,0 11,4 11,4 30,0 17,1 85,7 50,0 35,7 60,0 34,3 4,3 15,7 5,7

Aktuelle Probleme des sozialistischen Wettbewerbs bei der Intensivierung der gesellschaftlichen Produktion. Gewerkschaftshochschule „Fritz Heckert“ beim Bundesvorstand des FDGB (Nur für den Dienstgebrauch.), o.O., o.D. (ca. Anfang 1978), Anlage 12. (Bestand SAPMO-Bibliothek) Diese Zahlen erscheinen sehr hoch, was auf ausgewählte „Schrittmacherkollektive“ hindeutet bzw. darauf, dass sich jeweils nur wenige Brigademitglieder daran beteiligten, denn in der Analyse (S. 8) sind für drei der genannten Untersuchungsbetriebe nur durchschnittliche Werte von 22,1 %, 28,7 % und 36,8 % Verpflichtungen von Mitgliedern ausgewiesen.

365

Tabellen

Tabelle 30

„Bilden Sie sich zurzeit gesellschaftspolitisch weiter?“ (1977)1

Antworten

Teilnehmer am „soz. alul“2

Nichtteilnehmer

22,7 %

27,5 %

13,3 %

Ja, in der Schule der sozialistischen Arbeit.

35,9 %

44,0 %

20,0 %

Ja, im Zirkel der FDJ.

9,7 %

9,3 %

10,7 %

Ja, in anderen Einrichtungen.

9,7 %

11,4 %

6,3 %

Ja, in einem gesellschaftswissenschaftlichen Lehrgang der VHS.

0,6 %

0,7 %

0,4 %

36,1 %

28,0 %

51,9 %

5,3 %

4,7 %

6,1 %

keine Antwort

2

darunter

Ja, im Parteilehrjahr der SED.

Nein.

1

Befragte insgesamt

Aktuelle Probleme des sozialistischen Wettbewerbs bei der Intensivierung der gesellschaftlichen Produktion. Gewerkschaftshochschule „Fritz Heckert“ beim Bundesvorstand des FDGB (Nur für den Dienstgebrauch.), o.O. o.D. (ca. Anfang 1978), Anlage 13. Kurzform für: „sozialistisch arbeiten, lernen und leben“.

1

ZIJ-Studie 1987, S. 35.

Nichtmitglieder 87 76 71 65 53 52 37 33 22 27 23 21 29

Mitglieder 85 81 62 60 60 49 37 35 35 34 29 28 26

(Angaben in Prozent; Mehrfachnennungen möglich)

Dafür interessiere ich mich stark/sehr stark.

Freizeitinteressen von Nicht-/Mitgliedern von Jugendbrigaden (1987)1

Rundfunk hören/fernsehen erholen, ausruhen KfZ fahren Auslandsreisen Sport treiben sich beruflich weiterbilden politisch-weltanschauliche Weiterbildung naturwissenschaftlich-technische Betätigung (basteln, experimentieren, Tierzucht o.ä.) Mitarbeit an Neuererprojekten kulturell-künstlerische Selbstbetätigung (zeichnen, singen, malen, musizieren, modellieren, fotografieren o.ä.) gesellschaftliche Tätigkeit Theater- oder Konzertbesuche Gaststättenbesuch

Tabelle 31

366 Anhang

367

Tabellen

Tabelle 32

Statistik „Schulen der sozialistischen Arbeit“

Schulen

Teilnehmer

19721

14.000

300.000

10,0

19732

43.000

834.000

24,4

Jahr

Anteil an KdsA-Teilnehmern (in %)

19753

99.796

1.876.674

46,5

1976

110.125

2.081.981

48,5

1977

127.533

2.423.644

54,0

1978

137.940

2.688.438

58,9

1983/844

187.394

3.696.201

76,3

„Wie hat sich ihrer Meinung nach die Teilnahme an den SchdsA auf die Arbeit der Kollegen Ihres Arbeitskollektivs mit ausgewirkt?“ (1974)5

Tabelle 33

Antwortmöglichkeiten (Mehrfachnennungen erlaubt) Die Kollegen interessierten sich stärker für die Probleme des Betriebes.

2

3

4

5

53,1

Es arbeiten mehr Kollegen nach persönlich-schöpferischen Plänen.

45,8

Die Kollegen setzen sich stärker für die Steigerung der AP ein.

43,7

Die Arbeitsdisziplin hat sich verbessert.

37,4

Die Kollegen leisten eine bessere Qualitätsarbeit.

1

Prozent

37

Die Kollegen setzen sich stärker für die Einsparung von Material ein.

32,1

Die Teilnahme an der Neuererbewegung hat sich erhöht.

27,3

Sie hat sich bisher nicht auf das Kollektiv ausgewirkt.

9,5

ohne Angaben

6,2

SAPMO-BArch DY 30 vorl. SED 13106/2b (unpag.), FDGB-BuV (J. Töpfer, stellv. Vorsitzende), Berlin, 9.5.73, Vorlage für das Sekretariat des ZK, Betr.: Bericht über die bisherigen Ergebnisse und Erfahrungen bei der Entwicklung der Schulen der sozialistischen Arbeit. (ca.-Angaben für Ende 1972). SAPMO-BArch DY 30 vorl. SED 13111/1 (unpag.), ZK-Abt. Gew. (an Gen. Krolikowski), Berlin, 25.10.73, Information über den Erfahrungsaustausch des BuV des FDGB zu „Schulen der sozialistischen Arbeit“ in Bitterfeld am 18.10.73; ca.-Angaben mit Stand Ende 1. Halbjahr 1973. SAPMO-BArch DY 30 vorl. SED 23040/2 (unpag.), J. Töpfer, Berlin, den 18.10.78, Präsidiumsvorlage, Betr.: Wirksamkeit der Schulen der sozialistischen Arbeit und Probleme ihrer weiteren Entwicklung; Zahlen für 1975 bis 1977 jeweils Stand Jahresende, 1978 Stand erstes Halbjahr. SAPMO-BArch DY 30 vorl. SED 35982 (unpag.), Harry Tisch, Berlin, 22.10.84, Vorlage für das Sekretariat des ZK der SED, Betr.: Bericht über die Entwicklung und Wirksamkeit der Schulen der sozialistischen Arbeit (Anlage). SAPMO-BArch DY 30 vorl. SED 18830/2 (unpag.), ZK-Abt. Gew. (an Gen. Krolikowski), Berlin, 10.12.74, Information über die Ergebnisse einer Meinungsumfrage bei Teilnehmern der Schulen der sozialistischen Arbeit. Die Umfrage wurde vom Institut für Meinungsforschung beim ZK der SED im September 1974 durchgeführt. Befragt wurden 1976 Teilnehmer an SchdsA in 21 Industriebetrieben, vorwiegend Produktionsarbeiter.

368

Anhang

Tabelle 34

„Wie schätzen Sie den Umfang der bisher behandelten Fragen in ihrer SchdsA ein?“ (1974)1

Themenkomplex a) marxistisch-leninistische Grundfragen zu wenig gerade richtig zu viel ohne Angaben b) aktuelle politische Tagesfragen zu wenig gerade richtig zu viel ohne Angaben c) ökonomische Fragen der Volkswirtschaft zu wenig gerade richtig zu viel ohne Angaben d) ökonomische Fragen des Betriebes zu wenig gerade richtig zu viel ohne Angaben e) kulturelle Fragen zu wenig gerade richtig zu viel ohne Angaben Tabelle 35

2

12,8 72,1 9,2 5,9 23,4 68,7 3,6 4,3 25,1 64,9 3,8 6,2 31,8 59,2 3,7 5,3 47,6 45,6 1,4 5,4

„Wie hat sich die Teilnahme an der SchdsA auf die gesellschaftliche Aktivität in Ihrem Arbeitskollektiv ausgewirkt?“ (1974)2

Antwortmöglichkeiten (Mehrfachnennungen erlaubt) Die Kollegen diskutieren mehr über politische Tagesfragen. Die Qualität der Gewerkschaftsarbeit ist gestiegen. Die Kollegen beteiligen sich mehr am geistig-kulturellen Leben. Die Kollegen beteiligen sich stärker an der Qualifizierung. Sie hat sich bisher nicht auf das Kollektiv ausgewirkt. ohne Angaben

1

Prozent

Prozent 50,3 35,1 33,7 29,6 10,7 8,5

SAPMO-BArch DY 30 vorl. SED 35982 (unpag.), Harry Tisch, Berlin, 22.10.84, Vorlage für das Sekretariat des ZK der SED, Betr.: Bericht über die Entwicklung und Wirksamkeit der Schulen der sozialistischen Arbeit (Anlage). Ebd.

369

Tabellen

Tabelle 36

1

„Sozialistische Arbeits- und Forschungsgemeinschaften“1

Jahr

Anzahl

Veränderung zum Vorjahr (%)

Mitglieder

Veränderung zum Vorjahr (%)

1959 1960 1961 1962 1963

25.684 37.912 34.381 32.671 37.171

147,6 90,7 95,0 113,8

213.792 306.298 268.516 236.148 252.229

143,3 87,7 87,9 106,8

8,3 8,1 7,8 7,2 6,8

1964 1965 1966 1967 1968 1969

33.769 28.893 30.367 29.947 29.429 30.366

90,8 85,6 105,1 98,6 98,3 103,2

226.139 188.480 198.180 192.963 196.005 205.729

89,7 83,3 105,1 97,4 101,6 105,0

6,7 6,5 6,5 6,4 6,7 6,8

1970 1971 1972 1973 1974 1975

32.927 38.697 39.954 47.088 43.499 43.836

108,4 117,5 103,2 117,9 92,4 100,8

241.084 290.933 303.170 364.344 349.477 358.491

117,2 120,7 104,2 120,2 95,9 102,6

7,3 7,5 7,6 7,7 8,0 8,2

Mitglieder je Gemeinschaft (Ø)

Bis einschließlich 1960: „Gemeinschaften der sozialistischen Arbeit“ Quellen: StJB 1960/61, S. 205; StJB 1963, S. 41; StJB 1964, S. 57; StJB 1965, S. 64; StJB 1966, S. 76; StJB 1967, S. 76; StJB 1968, S. 78; StJB 1969, S. 70; StJB 1970, S. 70; StJB 1971, S. 70; StJB 1972, S. 70; StJB 1973, S. 70; StJB 1974, S. 70; StJB 1975, S. 66; StJB 1976, S. 66.

370

Anhang

Tabelle 37

1

Statistik Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft 1950–19881

Jahr 1950 1955 1960 1965

Mitglieder 1,96 Mio. 3,62 Mio. 3,55 Mio. 3,4 Mio.

Veranstaltungen -

Teilnehmer -

1970 1971 1972 1973 1974 1975

3,5 Mio. 3,5 Mio. 3,5 Mio. 4,1 Mio. 4,5 Mio. 4,8 Mio.

394.000 309.000 460.000 335.000 385.000 436.000

16,5 Mio. 12,7 Mio. 18,0 Mio. 14,5 Mio. 15,7 Mio. 16,5 Mio.

1976 1977 1978 1979 1980 1985

5,1 Mio. 5,2 Mio. 5,5 Mio. 5,5 Mio. 5,7 Mio. 6,0 Mio.

424.000 532.000 639.000 775.000 966.000 1,21 Mio.

13,0 Mio. 16,7 Mio. 16,8 Mio. 20,1 Mio. 23,6 Mio. 33,5 Mio.

1988

6,4 Mio.

1,16 Mio.

27,6 Mio.

StJB der DDR 1960/61, S. 159 (für 1950 bis 1960), StJB 1969, S. 495 (für 1965); StJB 1972, S. 503 (für 1970/71); StJB 1975, S. 443 (für 1972–74); StJB 1980, S. 397 (für 1975, 1978/79); StJB 1984, S. 398 (für 1980); StJB 1987, S. 403 (für 1985); StJB 1989, S. 410 (für 1988).

Quellenverzeichnis

Archivalien

a) Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO-BArch) Bestand Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) Signatur: DY 30/...

Politbüro des ZK der SED: J IV 2/2 A/… 0994; 1277; 1435; 1488; 1572; 1585; 1595 J IV 2/2/… 0788; 0789; 0790; 0872; 0901; 0902; 0919; 1095; 1153; 1163; 1234; 1279; 1281; 1317; 1343; 1361; 1362; 1375; 1386; 1395;1409; 1426; 1429; 1438; 1447; 1453; 1552; 1566; 1685; 2109

Sekretariat des ZK der SED: J IV 2/3 A/…1156; 1671; 1672; 1688; 1830; 2106; 2349; 2948; 2956; J IV 2/3/… 0991; 1059; 1064; 1473; 1490; 1533; 1594; 1635; 1809; 1815; 2111; 2240; 2563; 2678; 3831; 4147

Büro Dr. Günter Mittag (Sekretär des ZK der SED und Mitglied des PB): IV A 2/2021/… 050; 087; 088; 089; 482; 483; 484; 485; 486; 487; 488; 489; 490

Büro Dr. Erich Apel und Wirtschaftskommission beim PB des ZK der SED: IV 2/2029/... 016; 030; 031; 033; 034; 055; 097; 098; 099; 100; ; 102; 174; 204; 205

Wirtschaftskommission beim Politbüro des ZK der SED: IV 2/2.101/... 015; 016; 023; 035; 061; 117

Quellen- und Literaturverzeichnis

372

ZK der SED, Abteilung Parteiorgane: IV 2/5/… 422; 424; 425

ZK der SED, Abteilung Gewerkschaften und Sozialpolitik: IV 2/611/…002; 004; 005; 007; 008; 009; 011; 012; 013; 014; 015; 017; 018; 019; 022; 023; 024; 025; 027; 028; 033; 034; 038; 039; 040; 041; 043; 044; 045; 046; 047; 048; 049; 050; 051; 052; 053; 054; 055; 060 IV A 2/6.11/…001; 002; 004; 029; 034; 036; 038; 043; 044; 047; 062; 063; 078; 079; 080; 081; 082; 084; 085; 086; 087; 088; 089; 098; 117 vorl. SED… 13105/1b; 13105/2a; 13105/2b; 13105/3a; 13105/4a; 13106/2a; 13106/2b; 13106/3b; 13106/4b; 13111/1; 13111/2; 13136/1; 13136/3; 13142/1; 13142/2; 16287/1; 16287/2; 16288/1; 16288/2;16288/3; 16289/1; 16289/2; 18825/2; 18830/1; 18830/2; 21069/1; 21069/2; 21069/3; 21069/4; 21072/1; 21072/2; 21078/2; 23040/1; 23040/2; 27962/1; 27962/3; 27963/1; 27963/2; 27972/1; 27972/2; 27978/1; 27978/2; 27985/1; 27985/2; 32415; 35966/2; 35966/3; 35967/1; 35967/2; 35967/3; 35982

Bestand FDGB-Bundesvorstand Signatur:

DY 34/...2425; 4274; 9203; 10655; 10673; 11356; 11366; 11738; 11811; 11813; 11820; 11821; 11840; 13645; 14350; 14684; 21207; 21209; 21317; 21319; 21320; 21321; 21322; 21326; 21768; 21865; 21873; 21877; 21882; 21886; 21890; 21901; 21906; 21912; 21920; 21921; 21922; 21923; 21924; 21925; 22279; 22280; 22896; 22930; 22931; 23071; 23263; 23264; 23267; 23365; 23367; 23665; 23787; 24514; 24515; 24516; 24540; 24545; 24626; 24630; 24824; 24825; 24871; 25137; 25244; 25320; 26078; 26084; 26086; 26093; 26103; 26868; 26900; 27014; 27019; 17/138/5170; 17/352/7106; 18/244/3006; 42/970/4538; S 215; S 284

Zentralvorstand der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) Signatur: DY 32/...904; 1014; 1019; 1033; 1117; 1665; 1677; 4012; 5375

Quellen- und Literaturverzeichnis

373

b) Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA) Bestand Stahl- und Walzwerk Brandenburg: BLHA, Rep. 502/… 0006; 0008; 0174; 0195; 0560; 0870; 0881; 0882; 0894; 0930; 1042; 1051; 1466; 1496; 1501; 1505; 1506; 1632; 1644; 1650; 1660; 1666; 1789; 1828; 2006; 2108; 2109; 2110; 2111; 3058; 4275; 5253; 5285

Bestand SED-Bezirksleitung Potsdam: BLHA, Rep. 530/… 0010; 0012; 0042; 0043; 0078; 0188; 0191; 0200; 0205; 0206; 0207; 0209; 0210; 0211; 0759; 0761; 1160; 1199; 1212

Bestand SED-Kreisleitung Brandenburg an der Havel: BLHA, Rep. 531/… 0378; 0379; 0384; 1140; 1258; 1262; 1263; 1288; 1289; 1290; 1825; 1839; 1840; 1842; 1843; 2105; 2235

Bestand SED-Betriebsparteiorganisation (BPO) Stahl- und Walzwerk Brandenburg: BLHA, Rep. 532… 0159; 0162; 0163; 1439; 2198; 4081; 4089; IV 7/055/108; IV/7/055/110; IV/7/055/137; IV/7/055/193

Bestand FDGB-Bezirksvorstand Potsdam: BLHA, Rep. 547… BK 0115; BK 0205; BK 0207; BK 0208; BK 0228; BK 1038; BK 1039; BK 1040

Bestand SED-Bezirksleitung Frankfurt/Oder: BLHA, Rep. 730… 0901; 1823; 1825; 1851; 1858; 3104; 3159; 3160; 4337; 4395; 4399; 5301; 5314; 5338; 6249; IV/2/4/662

Bestand SED-Kreisleitung Eisenhüttenstadt: BLHA, Rep. 731… 0243; 0244; 0245; 0246; 0399; 0698; 0702; 0981; 1001; 1127; 1153

Quellen- und Literaturverzeichnis

374

Bestand SED-Betriebsparteiorganisation (BPO) Eisenhüttenkombinat Ost: BLHA, Rep. 732… 0377; 0380; 0427; 1179; 1785; 1786; 1790; 2514; 3079; 3080

c) Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitdienstes der ehemaligen DDR (BStU) BStU … ASt. FF/O., KD EH/068; ASt. FF/O., KD EH/071; ASt. FF/O./AKG 243; ASt. FF/O./AKG 472; ASt. FF/O./AKG 872; ASt. FF/O., BVfS FF/O./AKG 559; ASt. FF/O., BVfS FF/O./AKG 621; ASt. FF/O., BVfS FF/O./AKG 675;ASt. FF/O. – XVIII/1094; ASt. Potsdam, BVfS Potsdam 1998/2; ASt. Potsdam, BVfS Potsdam/AKG 179; ASt. Potsdam, BVfS Potsdam/AKG 473; ASt. Potsdam, KD Brandenburg/621; ASt. Potsdam/AKG 416; MfS – JHS Potsdam – SV/1; MfSZentralarchiv – SV/4

d) Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung AdsD…SPD-PV-Ostbüro…02344/0062/BI; 02345/0062/BII; 02346/0062/CI; 03136/0386

e) Unternehmensarchiv EKO-Stahl GmbH, Eisenhüttenstadt UA EKO

0002; 0025; 0026; 0044; 0048; 0050; 0174; 0361; 0575; 0576; 0586; 0776; 0808; 0814; 0821; 0830; 1669; 1715; 1874; 1954; 1989; 1991; 1993; 1995; 2025; 2026; 2044; 2853; 2854; 2865; 8930; 8931; 8932; 9203; 9205

f) Archiv des Industriemuseums Brandenburg an der Havel Hierbei handelt es sich nicht um ein herkömmliches Archiv, als vielmehr um einen Fundus mit diversen Quellen zur Geschichte des SWB, die (noch) nicht mit entsprechenden Signaturen versehen und verzeichnet sind.

Gedruckte Quellen (größtenteils „graue“ Literatur aus dem Bestand der SAPMO-Bibliothek)

Quellen- und Literaturverzeichnis

375

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

ABI Abt. Abt. GS AdsD AdW AfS AGB AGL AKG APL AP APO APuZ ASt. AuA BArch BdsA BGL BGO BGW BKE BKK BKV BKW BL BLHA BPKK BPL BPO BRD BStU BT BTW

Arbeiter- und Bauern-Inspektion Abteilung Abteilung Gewerkschaften und Sozialpolitik (des ZK der SED) Archiv der sozialen Demokratie Akademie der Wissenschaften (der DDR) Archiv für Sozialgeschichte (Jahrbuch) Arbeitsgesetzbuch (der DDR) Abteilungsgewerkschaftsleitung Aufklärungs- und Kontrollgruppe (Gliederung des MfS) Abteilungsparteileitung (der SED) Arbeitsproduktivität Abteilungsparteiorganisation (der SED) Aus Politik und Zeitgeschichte (Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“) Außenstelle Arbeiter und Angestellte Bundesarchiv Brigade der sozialistischen Arbeit Betriebsgewerkschaftsleitung Betriebsgewerkschaftsorganisation (Ost-)Berliner Glühlampenwerk Bandstahlkombinat Eisenhüttenstadt („Hermann Matern“) Braunkohlenkombinat Betriebskollektivvertrag Braunkohlewerk Bezirksleitung Brandenburgisches Landeshauptarchiv Bezirks-Parteikontrollkommission (der SED) Betriebsparteileitung (der SED) Betriebsparteiorganisation (der SED) Bundesrepublik Deutschland Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Betriebsteil Brandenburger Traktorenwerk

390

Abkürzungsverzeichnis

BuV BV BVfS BzG

Bundesvorstand Bezirksvorstand Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung

CFW

Chemiefaser Werk (Premnitz)

DDR DFD DfÖ DSF DRK

Deutsche Demokratische Republik Demokratischer Frauenbund Deutschlands Direktor für Ökonomie Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft Deutsches Rotes Kreuz

EAW EKB EKO EKS

Elektroapparatewerk (Treptow, [Ost-]Berlin) Elektrochemisches Kombinat (Bitterfeld) Eisenhüttenkombinat Ost Eisenhüttenkombinat Stalinstadt

FDGB FDJ FF/O. FIM FZR

Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Frei Deutsche Jugend Frankfurt/Oder Führungs-IM (des MfS) Freiwillige Zusatzrentenversicherung

GD Gen. Gew. GfDSF GG GMS GO GOL GRW GST

Generaldirektor (z.B. des EKO) Genosse Gewerkschaft siehe DSF Geschichte und Gesellschaft (Zeitschrift) Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit (des MfS) Grundorganisation Grundorganisationsleitung Geräte- und Reglerwerk (Teltow) Gesellschaft für Sport und Technik

HO HUB

Handelsorganisation Humboldt-Universität Berlin

IG IGM

Industriegewerkschaft IG Metall

Abkürzungsverzeichnis

391

IM IWK

Inoffizieller Mitarbeiter (des MfS) Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung

JHK JHS

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung Juristische Hochschule des MfS (in Potsdam-Golm)

KD KdT KdsA KL KMSt. KMU KPD KPdSU KPI KPKK KuB-Plan KV KWO KWW KZ

Kreisdienststelle (des MfS) Kammer der Technik Kollektiv der sozialistischen Arbeit Kreisleitung Karl-Marx-Stadt Karl-Marx-Universität (Leipzig) Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei der Sowjetunion Kollektivplan der Intensivierung Kreisparteikontrollkommission (der SED) Kultur- und Bildungsplan Kreisverband Kabelwerk Oberspree ([Ost-]Berlin) bzw. Kaltwalzwerk Oranienburg Kaltwalzwerk Konzentrationslager

LPG

Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft

MDN MfS MMM MR

Mark der deutschen Notenbank (der DDR) Ministerium für Staatssicherheit Messe der Meister von Morgen Ministerrat

NAW ND NDR NÖS NÖSPL NVO NS NSDAP NVA

Nationales Aufbauwerk Neues Deutschland (Zentralorgan des ZK der SED) Norddeutscher Rundfunk Neues ökonomisches System (= NÖSPL) Neues ökonomisches System der Planung und Leitung (= NÖS) Neuererverordnung Nationalsozialismus Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands National Volksarmee

392

Abkürzungsverzeichnis

OibE

Offizier im besonderen Einsatz (des MfS)

PCK PGO PKK PV

Petrolchemisches Kombinat (Schwedt) Parteigruppenorganisator (der SED) Parteikontrollkommission (der SED) Parteivorstand

QEK

Qualitäts- und Edelstahlkombinat (Stammsitz beim SWB)

RAW Rep. RIAS

Reichsbahnausbesserungswerk Repertorium (Archiv-Verzeichnis) Rundfunk im amerikanischen Sektor ([West-]Berlin)

SAPMO SBZ SchdsA SED SFB SKET SPK SPD SS StJb. SU SWB SWH SWR

Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR (im Bundesarchiv, Berlin) Sowjetische Besatzungszone Schule(n) der sozialistischen Arbeit Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sender Freies Berlin Schwermaschinenkombinat „Ernst Thälmann“ (Magdeburg) Staatliche Plankommission Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel (NS) Statistisches Jahrbuch (der DDR) Sowjetunion Stahl- und Walzwerk Brandenburg Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf Stahl- und Walzwerk Riesa

TAN TRO

Technisch begründete Arbeitsnorm Transformatorenwerk Oberspree ([Ost-]Berlin)

UdSSR UF unpag.

Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Unser Friedenswerk (SED-Betriebszeitung des EKS/EKO) unpaginiert (ohne Seitenangabe)

VEB VP VVB

Volkseigener Betrieb Volkspolizei Vereinigung Volkseigener Betriebe

Abkürzungsverzeichnis

WBK WTR WWF

Wohnungsbaukombinat Wissenschaftlich-technische Revolution Walzwerke Finow

ZBGL ZBPL ZIJ ZK ZPL ZR ZV

Zentrale Betriebsgewerkschaftsleitung (in Kombinaten) Zentrale Betriebsparteileitung (der SED) Zentralinstitut für Jugendforschung (Leipzig) Zentralkomitee Zentrale Parteileitung (z.B. in Kombinaten) Zentralrat Zentralvorstand

393

Matthias Lienert

Zwischen widerstand und repression studenten der tu dresden 1946–1989

Hochschulen stehen in diktatorischen Systemen unter der besonderen Beobachtung der Staatsmacht. Dieses Buch beleuchtet erstmals Dimensionen und Hintergründe politisch motivierter Urteile gegen Studenten der TU Dresden während der gesamten DDR-Zeit. Dabei erläutert der Autor die Motivation für oppositionelle Handlungen von Studenten im historischen Kontext und unter den konkreten Bedingungen an der Dresdner Hochschule auf der Basis akribischer Quellenauswertung und unter Einbeziehung von Zeitzeugenberichten. 2011. 242 S. 28 S/w-Abb. Auf 16 TAf. br. 155 x 230 mm. ISbN 978-3-412-20598-0

böhlau verlag, ursulaplatz 1, 50668 köln. t : + 49(0)221 913 90-0

Tobias schul z

»sozialisTische WissenschafT« Die berliner humbolDTuniversiTäT (1960–1975) (zeiThisTorische sTuDien, banD 47)

Das Buch beschreibt die Entwicklung einer »sozialistischen Wissenschaft« an den Hochschulen der DDR am Beispiel der Humboldt-Universität zu Berlin. Die so ge nannte 3. Hochschulreform 1968/69 stellte dabei einen markanten Einschnitt dar, in deren Folge sich die zentralen Strukturen und Verfahrensweisen herausbildeten, die das Wissenschaftssystem der DDR bis 1989/90 prägten. Die Entwicklung war gekennzeichnet durch Ambivalenzen zwischen den Erfordernissen einer Modernisierung und einer gleichzeitigen Ideologisierung der Universität. Diese ergaben sich aus den politischen Zielvorstellungen der SED an die Institution Universität, aus den Herausforderungen, die sich dem Bildungssystem jeder modernen Industriegesellschaft seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts stellten, und aus der institutionellen Eigenlogik des spezifischen Raumes der Universität. 2010. 328 S. Gb. 155 x 230 mm. ISbN 978-3-412-20647-5

ECK ART CONZE, K ATHARINA GAJDUKOWA , SIGRID KOCH-BAUMGARTEN (HG.)

DIE DEMOKR ATISCHE REVOLUTION 1989 IN DER DDR

1989, das Jahr des zivilgesellschaftlichen Aufbruchs in der DDR, begründet eine Zäsur in der neuen deutschen Geschichte. Die „demokratische“, „friedliche“ oder „nachholende“ Revolution beendete nicht nur die „moderne Diktatur“ der SED in Ostdeutschland, sondern auch die mit der „doppelten Staatsgründung“ 1945 bis 1949 entstandene deutsche Teilung – und damit in weiterer Perspektive einen langen „Sonderweg“ Deutschlands in Europa. Das Buch basiert auf einer Ringvorlesung an der Philipps-Universität Marburg, bei der sich Wissenschaftler und Zeitzeugen mit dem demokratischen Umbruch 1989 beschäftigt und nach Ursachen und Verlauf, nach Akteuren und ihren Zielen und nach Wirkungen der friedlichen Revolution gefragt haben, die sich in der Wiedervereinigung nicht erschöpfen. Der Sammelband mit Beiträgen renommierter Autoren, unter ihnen Konrad Jarausch, Martin Sabrow, Joachim Gauck und Werner Schulz zieht Bilanz und liefert dem Leser zugleich eine historische und politische Einordnung der nunmehr schon 20 Jahre zurückliegenden Ereignisse. 2009. 251 S. MIT 4 S/W-ABB. BR. 155 X 230 MM. ISBN 978-3-412-20462-4

böhlau verlag, ursulaplatz 1, 50668 köln. t : + 49(0)221 913 90-0

Manuel Schr aMM

WirtSchaft und WiSSenSchaft in ddr und Brd die K ategorie Vertr auen in innoVationSprozeSSen ( WirtSchaftS- und SozialhiStoriSche Studien, Band 17)

Das Buch untersucht anhand der Kategorie Vertrauen, inwieweit Konzepte der Neuen Institutionenökonomie in der Historischen Innovationsforschung anwendbar sind. Dazu wurden Beispiele ausgewählt, die den Kooperationsbeziehungen zwischen Hochschulen und Forschungsinstituten sowie Betrieben und Unternehmen verschiedener Branchen sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik Deutschland entstammen. Der Aufbau von Vertrauen zwischen Akteuren unterschiedlicher Organisationen besitzt eine große Bedeutung dafür, ob Innovationen gelingen oder scheitern. Für die DDR zeigt sich, dass die Forschungs- und Innovationspolitik zum Scheitern verurteilt war, weil dort zivilgesellschaftliche Strukturen fehlten. In der Bundesrepublik funktionierten solche Netzwerke v.a. in den 1950er- und 1960er-Jahren. Die Studie leistet nicht nur einen Beitrag zur deutschen Wirtschaftsgeschichte, sondern zeigt überdies die Bedingtheit wirtschaftlichen Erfolgs durch gesamtgesellschaftliche Strukturen auf. 2008. XII, 355 S. 2 S/w-Abb. und 25 dIAgr. br. ISbn 978-3-412-20174-6

ZEITHISTORISCHE STUDIEN HERAUSGEGEBEN VOM ZENTRUM FÜR ZEITHISTORISCHE FORSCHUNG POTSDAM

Band 45: Peter Hübner, Christa Hübner SOZIALISMUS ALS SOZIALE FRAGE SOZIALPOLITIK IN DER DDR UND POLEN 1968–1976

Eine Auswahl.

2008. 520 S. Gb. ISBN 978-3-412-20203-3

Band 41:

Band 46:

Mario Keßler

Jochen Laufer

OSSIP K. FLECHTHEIM

PAX SOVIETICA

POLITISCHER WISSENSCHAFTLER UND ZUKUNFTSDENKER (1909–1998)

STALIN, DIE WESTMÄCHTE UND DIE DEUTSCHE FRAGE 1941–1945

2007. 295 S. 9 s/w-Abb. auf 8 Taf. Gb. ISBN 978-3-412-14206-3

Band 42: Annette Schuhmann (Hg.) VERNETZTE IMPROVISATIONEN GESELLSCHAFTLICHE SUBSYSTEME IN OSTMITTELEUROPA UND IN DER DDR

2008. 255 S. Gb. ISBN 978-3-412-20027-5

Band 43:

Melanie Arndt

GESUNDHEITSPOLITIK IM GETEILTEN BERLIN 1948 BIS 1961 2009. 281 S. Gb. ISBN 978-3-412-20308-5

Band 44: José M. Faraldo, Paulina Gulińska-Jurgiel, Christian Domnitz (Hg.) EUROPA IM OSTBLOCK VORSTELLUNGEN UND DISKURSE (1945–1991) EUROPE IN THE EASTERN BLOC. IMAGINATIONS AND DISCOURSES (1945–1991)

2009. 639 S. Mit 5 s/w-Karten. Gb. ISBN 978-3-412-20416-7

Band 47:

Tobias Schulz

»SOZIALISTISCHE WISSENSCHAFT« DIE BERLINER HUMBOLDTUNIVERSITÄT (1960–1975)

2010. 328 S. Gb. ISBN 978-3-412-20647-5

Band 48:

Michael Lemke

VOR DER MAUER BERLIN IN DER OST-WEST-KONKURRENZ 1948 BIS 1961

2011. 753 S. Mit 150 s/w-Abb. auf Taf. Gb. ISBN 978-3-412-20672-7

Band 49:

Dominik Trutkowski

DER GETEILTE OSTBLOCK DIE GRENZEN DER SBZ/DDR ZU POLEN UND DER TSCHECHOSLOWAKEI

2011. 205 S. Mit 27 s/w-Abb. Gb. ISBN 978-3-412-20673-4

733

2008. 407 S. Gb. ISBN 978-3-412-20029-9

böhlau verlag, ursulaplatz 1, 50668 köln. t : + 49(0)221 913 90-0